Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt: Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Band III: Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten) [2 ed.] 9783428480913, 9783428080915

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Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt: Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Band III: Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten) [2 ed.]
 9783428480913, 9783428080915

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Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Analysen und Vorschläge der unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission)

Herausgegeben von

Schwind/Baumann u.a.

Band III Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten)

Zweite, unveränderte Auflage

Duncker & Humblot . Berlin

Band 111

Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten)

Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) herausgegeben von Hans-Dieter Schwind (Vorsitzender) Jürgen Baumann (stellv. Vorsitzender) Friedrich Lösel (UK Psychologie) Helmut Remschmidt (UK Psychiatrie) Roland Eckert (UK Soziologie) Hans-Jürgen Kerner (UK Kriminologie) Alfred Stümper (UK Polizeipraxis) Rudolf Wassermann (UK Strafrechtspraxis) Harro Otto (UK Strafrechtswissenschaft) Walter Rudolf (UK Öffentliches Recht) Friedhelm Berckhauer (AGA) Edwin Kube (AG B) Monica Steinhilper (AG A) Wiebke StetTen (AG B)

Band 111 Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten) Zweite, unveränderte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Die Redaktion der einzelnen Sondergutachten lag bei den Verfassern Gesamtredaktion zu Band III: Gernot Steinhitper

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt : Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) I hrsg. von Hans-Dieter Schwind ... Berlin : Duncker und Humblot NE: Schwind, Hans-Dieter [Hrsg.]; Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt Bd. 3. Sondergutachten : (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten) I [Gesamtred. zu Bd. 3: Gernot Steinhilper]. 2., unveränd. Aufl. - 1994 ISBN 3-428-08091-2 NE: Steinhi1per, Gernot [Red.]

Band

I = Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen

Band II = Erstgutachten der Unterkommissionen Band III Sondergutachten (Auslandsgutachten, Inlandsgutachten)

=

Band IV = Bevölkerungsumfragen

Erste Auflage, 1990 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-08091-2

Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) Band 111 Sondergutachten (Auslandsgutachten und Inlandsgutachten)

Inhaltsübersicht Vorbemerkung ................... . ...................... . . ..... ............... . .. .... . Teil A: Auslandsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Roland Eckert, Helmut Willems, Marianne Wolf Gewaltberichte aus Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Konrad Hobe Darstellung und Auswertung des Berichts der von Alain Peyrefitte geleiteten Kommission ,,Antworten auf die Gewalt" an den Präsidenten der französischen Republik (1977) sowie Untersuchung über die Auswirkungen des Berichts und die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Paula Maeder Organisation und Finanzierung der Frauenhäuser in den Mitgliedsstaaten des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

Hans-Joachim Schneider Zusammenfassende Darstellung und kritische Auswertung der Arbeit der "National Commission on the Causes and Prevention of Violence" (USA) und Untersuchung über die weitere Entwicklung und Auswirkungen der Arbeit der U.S. Violence Commission . .. . .. . . . . .. . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . ... . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . . .. . . . . . . . .. . .

155

Hans-Joachim Schneider Zusammenfassung des Berichts des ,,Ministerial Committee oflnquiry into Violence" (Neuseeland) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Teil 8: Inlandsgutachten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Thomas Feltes Gewalt in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Michael-Sebastian Honig Gewalt in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Klaus Hurrelmann Gewalt in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

VIII

Inhaltsübersicht

Hans Mathias Kepplinger Medieninhalte und Gewaltanwendung . .. ... . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . 381 Christian Pfeiffer, Birgitt Schöckel Gewaltkriminalität und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Ursula Schneider Gewalt in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Kurt Weis, Christian Alt, Frank Gingeleit Probleme der Fanausschreitungen und ihrer Eindämmung

575

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673

Vorbemerkung Die "Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt" (kurz: "Gewaltkommission") hatte einen festumrissenen Untersuchungsauftrag und gliederte den Arbeitsstab in insgesamt acht Unterkommissionen. Die Gutachten dieser Unterkommissionen sind ungekürzt in Band II veröffentlicht; Band I enthält neben dem Endgutachten die zusammenfassenden Zwischengutachten der Arbeitsgruppe A und B. Der Gutachtensauftrag befaßte sich schwerpunktmäßig mit der Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Vergleichbare Kommissionen waren indessen auch in anderen Ländern eingesetzt worden (insbesondere Frankreich, USA, Großbritannien und Neuseeland). Um Abweichungen oder Unstimmigkeiten mit der Gewaltsituation und den Bekämpfungsmöglichkeiten in anderen Ländern feststellen zu können, war es daher notwendig, die Erfahrungsberichte aus anderen Ländern zumindest in ihren Kernaussagen bei den Gutachten zu berücksichtigen. Zu den einschlägigen Kommissionen wurden daher zusammenfassende Berichte erstellt. Diese befassen sich auch mit der Frage, ob bzw. inwieweit die Vorschläge der jeweiligen Kommissionen in die Praxis umgesetzt wurden und welche Erfolge dabei erzielt werden konnten. Diesen "Auslandsgutachten" (Teil A dieser Veröffentlichung) ist ein Bericht über Organisation und Finanzierung von Frauenhäusern in den Mitgliedstaaten des Europarates hinzugefügt. Während der Bearbeitung der Gutachten stellte sich heraus, daß zu einzelnen Teilfragen Ergänzungsgutachten erforderlich wurden. Diese sind hier ebenfalls abgedruckt. Es handelt sich dabei um Sekundäranalysen, Stellungnahmen oder auch eigene Erhebungen, die nicht in die jeweiligen Erstgutachten (Band II) als Anhang aufgenommen werden konnten. Sie enthalten Erkenntnisse, auf denen die Erstgutachten aufbauen und auf die der Leser möglicherweise bei vertiefenden Analysen zurückgreifen muß. Eine gesonderte Veröffentlichung war daher angezeigt. Die Themen reichen von "Gewalt in der Schule", "Gewalt in der Familie", "Gewaltkriminalität und Strafverfolgung" über "Probleme der Fanausschreitungen" und "Gewaltanwendung" (vgl. untenTeil B: ..Inlandsgutachten"). Die Inlands- und die Auslandsgutachten weichen in ihrem Aufbau und in ihrer Gliederung teilweise voneinander ab. Wegen der unterschiedlichen Themen schien ein schematisierter Aufbau wenig sachgerecht. Hinzu kommt, daß sich die Berichte über ausländische Gewaltkommissionen an dem Aufbau der jeweiligen Ursprungsberichte orientieren mußten. Aus diesen Gründen wurde auch darauf verzichtet, die Gliederung aller Gutachten starr zu vereinheitlichen. 1 Gewaltkommission Bd. 1II

2

Vorbemerkung

Dem jeweiligen Gutachten sind die Literaturverzeichnisse angefügt. Die Vielfalt der einzelnen Themen soll sich dem Leser durch ein ergänzendes Stichwortverzeichnis (Seite 673 ff.) erschließen.

Teil A Auslandsgutachten

t•

Gewaltberichte aus Großbritannien Vorschläge der in Großbritannien eingesetzten Untersuchungskommissionen zur Verhinderung oder Begrenzung ethnisch begründeter Konflikte Roland Eckert Helmut Willems Marianne Wolf

Inhaltsübersicht 1.

Vorbemerkung: Relevanz des Gutachtens im Rahmen der Arbeit der Gewaltkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

2.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

2.1

Ausgangssituation: Die Jugendunruhen in Großbritannien 1980-1985 . . .

11

2.2

Darstellung der Kommissionsberichte und des dokumentierten Materials

13

2.2.1

Offizielle Untersuchungskommissionen

13

2.2.2

Polizei-Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2.2.3

Weitere Untersuchungsberichte

...................................

16

2.2.4

Zusätzliches Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2.3

Aufbau und Inhalt des Gutachtens

17

3.

Ursachen-Analyse

18

3.1

Sozio-ökonomische Bedingungen

18

3.2

Ethnische Faktoren

19

3.3

Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

4.

Empfehlungen

20

4.1

Empfehlungen zur Städte- und Wohnungsbaupolitik

4.1.1

Förderung von Sonderprogrammen in der Wohnungspolitik . . . . . . . . . . .

21

4.1.2

Verbesserung der Partizipationschancen und Förderung der Identifikation mit dem Wohnbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

4.1.3

Stärkung der Mu1tifunktionalität des Wohnumfeldes und der Heterogenität der Bewohnerstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

4.1.4

Förderung der sozialen Integration und Stärkung informeller Kontrolle . .

24

4.1.5

Bauliche Maßnahmen

25

4.1.6

Behördliche/bürokratische Verbesserungen bei der Vergabe von Sozialwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

.................

21·

7

Inhaltsübersicht 4.1.7

Personelle Maßnahmen

27

4.2

Empfehlungen zur·Regierungs- und Verwaltungspraxis

28

4.2.1

Verbesserung der Jugendpolitik und Jugendarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

4.2.2

Verbesserung der Integration ethnischer Minoritäten und Abbau rassischer Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

4.2.2.1 Generelle Empfehlungen zur Koordination und Finanzierung von Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

4.2.2.2 Bildung und Erziehung

29

4.2.2.3 Arbeit und Beruf

30

4.2.2.4 Soziales

30

4.3

Empfehlungen zum Bereich Erziehung und Schule

31

4.3.1

Verbesserung der Kooperation und Integration von Schule und Gemeinde

31

4.3.2

Verbesserung der schulischen Praxis, insbesondere im Hinblick auf die Situation multi-ethnischer Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

4.3.2.1 Berücksichtigung multi-ethnischer Aspekte im Unterricht . . . . . . . . . . . . .

32

4.3.2.2 Verbesserung der Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

4.4

Empfehlungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik

33

4.4.1

Koordination und Integration der Maßnahmen und Programme

34

4.4.2

Arbeitsplatzförderung durch Unterstützung der örtlichen Wirtschaft . . . .

34

4.4.3

Berufsförderungs- und Beschäftigungsprogramme für Jugendliche . . . . . .

35

4.4.4

Einzelmaßnahmen zur Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher

36

4.5

Empfehlungen zur Sozialpolitik

36

4.6

Empfehlungen zur Polizeipraxis

38

4.6.1

Rekrutierung von Polizeibeamten aus ethnischen Minderheiten und Problemgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

4.6.2 . · Verbesserung der Polizeiausbildung und Überprüfung bei den Einstellungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

4.6.3

Methoden und Vorgehensweise der Polizei

40

4.6.4

Forderung nach verstärkter Kontrolle der Polizei

41

4.6.5

Verbesserung der Police-Community Beziehungen durch "co-operative policing" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

. .. ... ......... .... ......

8

Inhaltsübersicht

4.6.6

Verbesserung der Polizeiausrüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

4.7

Empfehlungen zur Medienpraxis

43

5.

Implementienmg

44

5.1

Implementierung der empfohlenen Maßnahmen für den Bereich der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

5.1.1

Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention in Innenstadtbezirken . . . . . . . .

44

5.1.2

Maßnahmen zur Verbesserung der Rekrutierung und Ausbildung der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

5.1.3

Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle und Rechenschaftspflicht der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

5.1.4

Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung

47

5.1.5

Maßnahmen zur Verbesserung der Polizei-Ausstattung

48

5.2

Implementierung der Empfehlungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungssituation Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

6.

Übertragbarkeit und Anwendbarkeit der Empfehlungen auf die Bundesrepublik

50

6.1

Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Städte- und Wohnungsbaupolitik

50

6.1.1

Förderung von Sonderprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

6.1.2

Partizipationschancen und Förderung der Identifikation mit dem Wohnbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

6.1.3

Multifunktionalität des Wohnumfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

6.1.4

Förderung der sozialen Integration und Stärkung informeller Kontrolle

52

6.1.5

Bauliche Maßnahmen

52

6.1.6

Behördliche/bürokratische Verbesserungen bei der Vergabe von Sozialwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

6.1. 7

Personelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

6.2

Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Regierungs- und Verwaltungspraxis

54

6.2.1

Verbesserung der Jugendpolitik und Jugendarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

6.2.2

Verbesserung der Integration ethnischer Minoritäten und Abbau rassischer Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

6.2.2.1 Koordination und Finanzierung von Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

..................................

Inhaltsübersicht

9

6.2.2.2 Bildung und Erziehung

54

6.2.2.3. Arbeit und Beruf

55

6.2.2.4 Soziales

55

6.3

Übertragbarkeit der Empfehlungen im Bereich Erziehung und Schule

55

6.3.1

Verbesserung der Kooperation und Integration von Schule und Gemeinde

55

6.3.2

Berücksichtigung multi-ethnischer Aspekte im Unterricht . . . . . . . . . . . . .

56

6.3.3

Verbesserung der Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

6.4

Übertragbarkeit der Empfehlungen in den Bereichen Berufsausbildung und Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

6.4.1

Koordination und Integration der Maßnahmen und Programme

56

6.4.2

Arbeitsplatzförderung durch Unterstützung der örtlichen Wirtschaft

57

6.4.3

Berufsförderungs- und Beschäftigungsprogramme fiir Jugendliche

57

6.4.4

Einzelmaßnahmen zur Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher

58

6.5

Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Sozialpolitik

58

6.6

Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Polizeipraxis

59

6.6.1

Rekrutierung von Polizeibeamten aus ethnischen Minderheiten und Problemgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

6.6.2

Verbesserung der Polizeiausbildung und Überprüfung bei den Einstellungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

6.6.3

Methoden und Vorgehensweise der Polizei

60

6.6.4

Verstärkte Kontrolle der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

6.6.5

Verbesserung der Police-Community Beziehungen durch "co-operative policing" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

6.6.6

Verbesserung der Polizeiausrüstung .. . . .. , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

6.7

Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Medienpraxis

61

7.

Abschließende Bemerkungen

61

8.

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Vorbemerkung: Relevanz des Gutachtens im Rahmen der

Arbeit der Gewaltkommission

Gegenstand des hier vorliegenden Ausgangsberichtes sind die Vorschläge, die in Großbritannien zur Verhinderung und Bekämpfung von öffentlichen Unruhen und gewalttätigen Ausschreitungen mit ethnischen Hintergrund gemacht worden sind. Wir gehen davon aus, daß diese Vorschläge für die Arbeit der Gewaltkommission in der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sein können. 2 Zwar sind an den Jugendunruhen und gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik ausländische Jugendliche bisher kaum beteiligt gewe~en. Es ist allerdings denkbar, daß sich ähnliche Unruhen zukünftig auch bei uns ereignen werden. Auf einige Entwicklungstendenzen sei daher hier hingewiesen. a) Die Krawalle in Berlin-Kreuzberg im Mai 1987 zeigen, daß auch in Deutschland eine Ghettoisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu sozialen Spannungen und letztendlich zu einem unkoutrollierten Ausbruch von Gewalt führen kann. Obgleich in Berlin im Unterschied zu britischen Immigrantenwohngebieten nicht in erster Linie ethnische Minderheiten, sondern vor allemjugendliche Subkulturen von der Ghettoisierung betroffen sind, kann davon ausgegangen werden, daß auch hier ähnliche EskalationsMechanismen wirksam werden, wie sie in England zum Ausbruch der innerstädtischen Jugendunruhen (Riots) geführt haben. b) Die Gefahr von Konflikten mit ethnischem Hintergrund besteht vor allem in Städten mit einem hohen Ausländeranteil, da die ausländischen Bevölkerungsgruppen und hier insbesondere die Jugendlichen von einer schlechten Beschäftigungssituation am stärksten betroffen sind. c) Es ist nicht auszuschließen, daß sich die sozialen und ökonomischen Probleme wie "Ghettobildung", "Arbeitslosigkeit", "Stigmatisierung" und "Kriminalitätsbelastung" mit dem Beitritt weiterer Länder zur Europäischen Gemeinschaft verschärfen können (Schwind 1983). Desweiteren wird die steigende Zahl von Asylbewerbern vergleichbare Probleme aufwerfen. d) Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Zahl von Aussiedlern in bundesrepublikanischen Städten und Gemeinden sind frühzeitige Integrationsmaßnahmen anzustreben, damit den Aussiedlern die Eingliederung in die bundesdeutsche Gesellschaft erleichtert und potentiellen Problemfeldern - wie "Ghettobildung" und "Fremdenfeindlichkeit" - entgegenwirkt werden kann. 3 Angesichts dieser sich abzeichnenden Problemlagen und gesellschaftlichen Spannungsfeldern sind daher präventive Maßnahmen zur Verhinderung von

Sondergutachten Großbritannien

11

Gewalt besonders wichtig. Eine Sequenz von Segregation, Arbeitslosigkeit, Stigmatisierung und gewalttätigen Konflikten ist in der Bundesrepublik ähnlich wahrscheinlich wie in anderen Industriegesellschaften, die sich Einwanderungsströmen ausgesetzt sehen. Die Chance der Bundesrepublik besteht darin, daß sie noch Zeit für präventive Maßnahmen hat.

2. Einleitung Diesem Gutachten liegen Untersuchungen verschiedener Kommissionen und Institutionen über die Jugendunruhen in Großbritannien in der ersten Hälfte der 80er Jahre zugrunde. Die von diesen Gremien erarbeiteten Analysen und Empfehlungen, die im Zentrum des Gutachtens stehen, sind jedoch nur zu verstehen, wenn sie in den zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet werden können. Aus diesem Grunde sollen hier zunächst die Ereignisse skizziert werden, auf die sich die verschiedenen Berichte beziehen.

2.1 Ausgangssituation: Die Jugendunruhen in Großbritannien 1980-1985 Die Riots in der britischen Hafenstadt Bristol am 2. 4. 1980 stellten den 4 Beginn einer ganzen Serie von gewalttätigen Unruhen und Krawallen dar, die sich zwischen 1980 und 1985 in einer Vielzahl von englischen Städten entwickelten. Auslöser der Konflikte waren meist ,geringfügige Anlässe', vor allem polizeiliche Aktionen und Maßnahmen wie z. B. Personenkontrollen, Verhaftungen und Razzien. In Bristol kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen vorwiegend schwarzen Jugendlichen und der Polizei. Im Verlauf der Ausschreitungen gab es zahlreiche Verletzte, Fahrzeuge wurden zerstört, Gebäude beschädigt und Läden geplündert. Die Polizei verlor zeitweise die Kontrolle über einzelne Stadtviertel (no-go-areas) und geriet daher ins Zentrum der öffentlichen Kritik. Ein Jahr später, im April1981, wurden aus dem Londoner Stadtteil Brixton die bis dahin schwersten Unruhen in der neueren Geschichte der britischen Hauptstadt gemeldet. Die Bilanz dreitägiger Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und Polizei wies 172 Verletzte und Sachschäden in Millionenhöhe aus. Am 3./4. Juli 1981 war der Liverpooler Stadtteil Toxteth Schauplatz gewalttätiger Zwischenfälle, an denen vorwiegend farbige Jugendliche und die Polizei teilnahmen. In den folgenden Tagen und Nächten steigerten sich die Auseinandersetzungen zu schweren Krawallen, an denen sich schließlich Hunderte von Jugendlichen beteiligten. 80 schwerverletzte Polizisten und über 300 Verhaftungen waren das Ergebnis dieser Ausschreitungen.

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Zur gleichen Zeit kam es im Londoner Stadtteil Southall zu einer Konfrontation zwischen der Polizei und ca. 300 asiatischen Jugendlichen, nachdem die Polizei einige Skinheads vor den Jugendlichen zu schützen suchte. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurden 61 Polizisten und 70 Zivilisten verletzt sowie 21 Verhaftungen vorgenommen. Nurwenige Tage später, vom 7.-11. Juli 1981 flammten in Moss Side, einem Stadtteil von Manchester, Gewalttätigkeiten auf. Nahezu 1000 randalierende Jugendliche und Polizeieinheiten waren in schwere Straßenschlachten verwickelt. Während der Ausschreitungen wurden 27 Polizisten verletzt; 22 Polizeifahrzeuge und mehrere Feuerwehreinsatzwagen wurden beschädigt, 147 Läden und öffentliche Gebäude demoliert und viele davon geplündert. Die Polizei nahm 241 Verhaftungen vor. In Birmingham-Handsworth (10./11. 7. 1981) attackierten vorwiegend farbige Jugendliche Polizeibeamte, warfen Benzinbomben und plünderten zahlreiche Geschäfte, nachdem sie von einer geplanten Demonstration von Rechtsradikalen durch "ihren" Stadtteil gehört hatten. Neben erheblichen Sachschäden an Gebäuden und Fahrzeugen wurden 40 Polizeibeamte verletzt und 141 Personen verhaftet. Innerhalb kurzer Zeit breiteten sich dann die Unruhen über das ganze Land aus. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei wurden im Sommer 1981 gleich aus mehreren Dutzend Städten gemeldet. Betroffen waren nicht nur die Großstädte und industriellen Ballungszentren wie London, Liverpool, Manchester oder Birmingham, sondern auch Klein- und Mittelstädte (z. B. Hull, Preston, Slough, Wolverhampton). Obwohl die Unruhen in der Regel nach 2-3 Tagen wieder abklangen, war die britische Öffentlichkeit schockiert von diesen Entwicklungen. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei gab es zahlreiche Verletzte und sogar Tote auf beiden Seiten. Die Schäden an Gebäuden, Fahrzeugen und anderen Sachwerten waren enorm. Die Tatsache, daß an den Riots sehr viele farbigeJugendliche beteiligt waren, führte schnell zu der Bezeichnung "Rassenkrawalle".

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Zahlreiche Politiker und Wissenschaftler zeichneten das Bild einer Gesellschaft, in der die Polarisierung zwischen Arm und Reich und die Lage der ethnischen Minderheiten die Gefahr gewaltsamer Konflikte auch in der Zukunft noch verstärken würden. Diese Prognose erschien vielen bereits bestätigt, als es im Sommer 1985 erneut zu schweren Auseinandersetzungen mit teilweise ähnlichen Verläufen wie in den Jahren zuvor kam. Gewalttätige Unruhen wurden wieder aus einer Vielzahl von Städten, z. B. aus Brixton, Tottenham, Bristol, Leicester gemeldet. Diese neuerlichen Unruhen zeichneten sich zudem durch ein sehr viel höheres Gewaltpotential aus.

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2.2 Darstellung der Kommissionsberichte und des dokumentierten Materials Im Anschluß an die Unruhen und gewaltsamen Ausschreitungen in vielen 6 Städten Großbritanniens wurden zahlreiche Untersuchungskommissionen von verschiedenen Seiten eingesetzt. Zum einen handelt es sich um offenzieHe Untersuchungskomrnissionen, die von der Regierung, den regionalen Parlamenten oder den Stadtparlamenten und Stadtverwaltungen eingesetzt wurden. Zum anderen um Untersuchungen der Polizei, der Kirchen oder verschiedener Institute und Gremien (z. B. Institute ofRace Relations). Im folgenden Kapitel sollen die wichtigsten Untersuchungskommissionen kurz dargestellt werden; da sich das vorliegende Gutachten im wesentlichen auf deren Berichte bezieht. 2.2.1 Offizielle Untersuchungskommissionen

Die mittlerweile wohl bekannteste Kommission wurde 1981 im Anschluß an 7 die Unruhen im Londoner Stadtteil Brixton einberufen. Der Innenminister beauftragte den Richter Lord Scarman, eine Untersuchung über die Ursachen der gewalttätigen Ausschreitungen durchzuführen und Empfehlungen an die Regierung zu richten ("Report of an lnquiry by the hon. The Lord Scarman, 0. B. E.: The Brixton Disorders"; die kursiv gedruckten Wörter werden im folgenden als Kurztitel verwandt.) Die Kommission unterrichtete sich über wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten in Brixton, rekonstruierte die Ereignisse und ihre unmittelbaren Ursachen und analysierte insbesondere die PolizeiPolitik und -Methoden in den multi-ethnischen Communities. Es wurden zahlreiche Zeugen vernommen. An den verschiedenen Untersuchungsphasen waren jeweils Repräsentanten der Polizei, des Stadtparlaments, verschiedener Bürgerrechtsorganisationen, des Jugend-Zentrums von Brixton, der Selbsthilfegruppen und der Kommission für Rassengleichheit beteiligt. Der Bericht schloß mit einer Reihe von Vorschlägen zur Behebung der sozialen Mißstände und zum Abbau der Spannungen, die sich insbesondere auf eine Neugestaltung und Reform innerhalb politischer und polizeilicher Institutionen bezogen. Ebenfalls vom Innenministerium wurde die 1981 veröffentlichte Studie 8 "Ethnic Minorities, Crime and Policing" in Auftrag gegeben. Im Rahmen dieser Arbeit, die die Wissenschaftler Tuck und Southgate erstellten, wurden die Erfahrungen westindischer und weißer Einwohner mit Kriminalität und ihre Kontakte mit der Polizei vergleichend untersucht. Es handelte sich dabei um Bewohner eines innerstädtischen Gebietes in Manchester, wovon Teile (Moss Side) 1981 von gewalttätigen Ausschreitungen betroffen waren. In einer weiteren wissenschaftlichen Studie, "Public Disorders", die auch vom 9 Innenministerium in Auftrag gegeben wurde, wurde untersucht, wie die Unruhen im Bezirk Handsworth (Birmingham) 1981 von den Anwohnern und unmittelbaren Zeugen interpretiert wurden. Zudem wurde ein Vergleich mit den

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Rassenkrawallen der 60er Jahre in den USA gezogen, von dem man sich Hinweise für den Umgang mit solchen Konflikten erhoffte. 10

Im Anschluß an die Unruhen in Moss Side (Manchester) Anfang Juli 1981, berief das Stadtparlament eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des Staatsanwaltes B. Hytner ein (.,Report of the Moss Side Enquiry Panel to the Leader of the Greater Manchester Council"). Dem Gremium gehörten die Vorsitzende des Koordinationskomitees westindischer Organisationen, Manchester, eine Professorin für Sozialpsychologie der polytechnischen Fakultät Manchester, der Direktor des Jugendrings der Stadt Manchester (Greater Manchester Youth Association) sowie der frühere Chefinspektor der Polizei von Manchester an. Die Kommission hatte die Aufgabe, zunächst die den Unruhen zugrundeliegenden Umstände aufzuzeigen, die Art und Weise des Umgangs der Behörden, Institutionen und Parteien mit den Riots darzustellen sowie Möglichkeiten zur Verhinderung zukünftiger ähnlicher Vorfälle zu prüfen. Die Arbeitsgruppe analysierte zunächst die strukturellen Gegebenheiten und Bedingungen und sah ihre politische Aufgabe darin, der im Zusammenhang mit den Unruhen entstandenen Stigmatisierung des Stadtteils Moss Side als gewalt-und kriminalitätsbelastetem Bezirk entgegenzuwirken. Ziel der Kommission war auch die Förderung der Aussöhnung zwischen Bevölkerung und Polizei sowie die Unterstützung eines besseren Verhältnisses zwischen der Polizei und der Police Authority (eines Polizeiüberwachungskomitees, das die Polizei beraten soll und demgegenüber diese Rechenschaft ablegen muß).

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Im Februar 1986 legte Julius Silverman seinen Bericht "Independent Inquiry into the Handsworth Disturbances September 1985" vor. Die Untersuchungskommission unter seiner Leitung war vom Stadtparlament eingesetzt worden und sollte ähnlich der Scarman-Kommission regierungsunabhängig arbeiten. Silverman untersuchte die sozialen Gegebenheiten in Handsworth, vor allem die Rolle der Arbeitslosigkeit, und führte Interviews mit Bewohnern und Betroffenen zum Vorgehen der Polizei. Seine Empfehlungen zielten vor allem auf Arbeitsbeschaffungs- bzw. Beschäftigungsprogramme ab. Daneben forderte er verbesserte Trainingsprogramme für den Umgang der Polizei mit ethnischen Gruppen sowie eine stärkere Einbeziehung der Bewohner vor Ort bei Veränderungen bzw. Erneuerungen in deren Wohnumwelt.

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Im Anschluß an die Unruhen in Birmingham-Handsworth im September 1985 wurde auch von dem West Midlands Country Council (Grafschaftsrat) eine Untersuchung in Auftrag gegeben. In dem Bericht "A Different Reality": Report of the Review Panel ging es vor allem darum, speziell die Perspektive der farbigen Minderheit in die Nachforschungen über die Ausschreitungen einzubeziehen. Eine unabhängige Untersuchungskommission sollte Lösungsvorschläge zur Verbesserung der sozialen Lage der Bewohner des Bezirks Handsworth. entwickeln. Das Untersuchungskomitee bestand aus sechs farbigen(!) Mitgliedern aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Justiz. Die Kommission bemühte sich um einen direkten Kontakt zur Bevölkerung und

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führte ausschließlich Interviews in Wohnungen und im unmittelbaren Wohnumfeld von Handsworth durch. Nach den schweren Ausschreitungen im Londoner Stadtteil Tottenham im 13 Oktober 1985 forderten auch dort die Kommunalbehörden eine möglichst schnelle Untersuchung der Unruhen und ihrer Ursachen. Aufgrund einer Weigerung des Innenministers, eine offizielle Untersuchungskommission einzusetzen, berief das Stadtparlament London eine Kommission unter Vorsitz des Kronanwalts Lord Gifford (QC) (vgl. "Report of the Independent Inquiry into Disturbances of October 1985_at the Broadwater Farm Estate, Tottenham"). Weitere Mitglieder des Ausschusses waren hohe Vertreter der Kirche, die Vorsitzende des Community Relations Council, ein Sozialwissenschaftler und ein Pädagoge. Die Kommission führte Interviews mit Betroffenen, Bewohnern der Bezirke, Sozialarbeitern, Repräsentanten ethnischer Gruppen, Beamten der Wohnungsbehörden und Polizeibeamten. In ihrem Untersuchungsbericht wurden die Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen und der Polizei, sowie Polizeimethoden und -aktionen analysiert. Insbesondere erfolgte eine Analyse der sozialen Umstände und der polizeilichen Maßnahmen, die vor den Unruhen durchgeführt worden waren. Der Bericht kam zu einer Reihe von Anregungen hinsichtlich der Verbesserung der Lebensbedingungen in dem Stadtteil sowie der Ausbildung und Rechenschaftspflicht der Polizei. Darüber hinaus wurden Vorschläge für Regierung und städtische Behörden entwickelt, die Arbeitsplatzschaffung, Stadtplanung, Schulen und Medien betreffen. 2.2.2 Polizei-Untersuchungen

Der Bericht des Polizeichefs von Merseyside (Liverpool), K. Oxford: "Report 14 to the Police Committee by Kenneth Oxford, Chief Constable" (Polizeichef): "Public Disorder on Merseyside: July-Aug. 1981" bezog sich auf die schweren Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei in Toxteth (Liverpool). Er enthält eine ausführliche chronologische Beschreibung der Ereignisse vom 3. 7.- 15. 8. 1981 sowie eine Darstellung der Folgen (Zahl der Verletzten, Schäden, gemeldete Plünderungen, Kosten der Polizei etc.). Oxford gibt darüber hinaus einen historischen Überblick über die "Gewalt in der Stadt Liverpool", präsentiert Statistiken zur Kriminalitätsbelastung in der Stadt, und schildert die Beziehungen zwischen Gemeinde und Polizei. Der Bericht schließt mit Vorschlägen zur Verhinderung ähnlicher Ereignisse in der Zukunft, die sich auf die Polizei, ihre Ausbildung, ihre Ausrüstung und ihr Vorgehen beschränken. Dem Bericht der Polizeichefs des Bezirks West-Midland "Report to the Chief 15 Constable West Midiamis Police, Handsworth/ Lozells") lag ein entsprechender Auftrag des Innenministers zugrunde, die Vorgänge im Stadtteil Handsworth (Birrningham) 1985 zu untersuchen. Es wurde versucht, die Polizeipraxis und polizeiliche Vorgehensweise in diesem Stadtteil vor Beginn der Riots darzustel-

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Jen, wobei die Bekämpfung des Drogenproblems den Schwerpunkt bildete. Eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse in Handworth während der Unruhen und eine Analyse der möglichen Ursachen finden sich ebenfalls in dem Report. Der Bericht schließt mit Empfehlungen, wobei das Hauptgewicht Veränderungen der polizeiinternen Strukturen und Maßnahmen gilt (z. B. Verbrechensbekämpfung, Ausrüstung). 2.2.3 Weitere Untersuchungsberichte

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Im Mai 1981legte die "Commissionfor Racial Equality", die Kommission für Rassengleichstellung, ihren Bericht .. Youth in Multi-Racial-Society" vor. Die "Commission for Racial Equality" besteht seit 1976. Sie wurde im Zuge des Race Relation Act eingesetzt und sieht ihre Aufgabe in einem Abbau von Diskriminierung und in der Förderung gleicher Möglichkeiten und guter Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Die Kommission unterbreitete eine umfassende Darstellung der Probleme, mit denen Jugendliche in einer multi-rassischen Gesellschaft konfrontiert sind. Der Bericht schließt mit einer Anzahl von Empfehlungen an Regierung und Kommunalbehörden.

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Ebenfalls von der "Commission for Racial Equality" wurden die Untersuchungsberichte "Race and Housing in Liverpool" (1984) und " Race and Council Housing in Hackney" (1984) vorgelegt, die in enger Zusammenarbeit und mit Unterstützung der Wohnungsbehörden entstanden. Hintergrund war die hohe Konzentration ethnischer Minoritäten in bestimmten Stadtteilen mit vorwiegend schlecht ausgestatteten öffentlichen Wohnungen. Es wurden eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die einer Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe auf dem Wohnungsmarkt entgegenwirken sollten.

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Das H ome Affairs Committee", ein ständiger Regierungsausschuß, führte Anfang der 80er Jahre eine Untersuchung zu dem Themenbereich "Rassische Benachteiligung" durch. Der seit Juli 1981 vorliegende Bericht beschäftigt sich ausführlich mit Fragen der Migration, Diskriminierung und Segregation der farbigen Minderheiten im öffentlichen Leben Großbritanniens. Ein eingesetztes Sub-Committee befragte in öffentlichen Sitzungen Personen, die mit Themen rassischer Benachteiligung konfrontiert sind. Es fanden Treffen mit Vertretern der karibischen Handelskammer, den Gewerkschaften und Vertretern verschiedener staatlicher Bildungseinrichtungen statt. Die Untersuchung enthält eine Reihe von Empfehlungen zum Abbau bestehender Diskriminierungen in Regierung und Verwaltung, Schul- und Beschäftigungssystem.

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Bei dem 1985 veröffentlichten Bericht "Faith in the City" handelt es sich um eine Untersuchung, die der Erzbischof von Canterbury 1983 angesichts der Unruhen in verschiedenen Innenstadtbezirken des Landes veranlaßte (Kommission des Erzbischofs von Canterbury). Insgesamt 18, sowohl klerikale als auch

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profane Kommissionsmitglieder, besuchten zahlreiche Städte und analysierten deren ökonomische undsoziale Strukturen. Die Kommission sprach zahlreiche Empfehlungen an Kirche und Kommunalverwaltungen aus. Viele Vorschläge des Berichtes thematisieren mögliche Veränderungen in den Innenstadt-Bezirken. Sie betreffen die Bereiche Arbeitslosigkeit, Wohnungsbau, Sozial- und Gemeindearbeit, Schule und Erziehung, Polizei und Kommunalpolitik. Eine ähnliche Untersuchungskommission setzte der Bischof der Diözese 20 Birmingham ein (Kommission der Diözese Birmingham). Diese sollte die sozialen und ökonomischen Probleme und Gegebenheiten der Stadt Birmingham unter kirchlichen Aspekten prüfen. Den Vorsitz dieser Kommission hatte ebenfalls, wie bereits bei der vorgenannten Kommission, Sir R. O'Brien, der Leiter des Policy Studies Institut (ein staatliches Institut für politische Studien). Dieser Bericht, der 1988 vorlag, stellt eine umfassende Analyse der sozialstruktureilen Bedingungen der Stadt dar und ist in seinen Schlußfolgerungen und Empfehlungen durchaus auf andere Innenstadt-Bezirke übertragbar. 2.2.4 Zusätzliches Material

Neben diesen von der Regierung, den Städten, der Polizei oder der Kirche 21 eingesetzten Untersuchungskommissionen veröffentlichten verschiedene offizielle Police Committees (Polizei-Überwachungsgruppen) und Police Authorities (Polizeiausschüsse) Berichte, die hier ebenfalls berücksichtigt werden. Insbesondere wurden die von den Police Committees publizierten Informationsschriften, wie "Policing London" , die eine Reihe von Anregungen geben, analysiert. Zusätzlich sind in das Gutachten auch zahlreiche Schriften, Kurzberichte und Darstellungen von Bürgerrechtsgruppen, Bürgerinitiativen sowie von Selbsthilfegruppen eingegangen (Civil Liberty, Police-Monitoring Manchester, Newham Monitoring Project etc.), die hier nicht im einzelnen dargestellt werden können.

2.3 Aufbau und Inhalt des Gutachtens Das folgende Gutachten gliedert sich in vier Teile. Im anschließenden Kapitel3 wird zunächst eine kurze Darstellung der von der verschiedenen Untersuchungskommissionen erarbeiteten Ursachen- und Hintergrundanalysen gegeben. Sie beziehen sich zum einen auf die soziostrukturellen und ökonomischen Bedingungen, unter denen die Jugendlichen in vielen Innenstadtbezirken leben und zum anderen auf den weiterverbreiteten Rassismus in den Beziehungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, sowie auf die Beziehung zwischen der Bevölkerung, insbesondere den farbigen Jugendlichen, und der Polizei. Der Analyse dieser grundlegenden Bedingungen wird in den verschiedenen Kornmissionsberichten breiter Raum eingeräumt. Das Kapitel4 faßt die von den Untersuchungskommissionen ausgesprochenen Empfehlungen zur Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen in 2 Gewaltkommission Bd. III

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bestimmten Stadtteilen, zur Verbesserung der Situation der Jugendlichen und zur Prävention potentieller gewaltsamer Ausschreitungen zusammen. Im Kapitel 5 dieses Gutachtens wird eine erste Bilanz der realisierten Maßnahmen und ihrer Auswirkung versucht. Eine Analyse der Implementierung von Empfehlungen kann hier freilich nur ansatzweise geleistet werden, da entsprechende Studien nicht vorhanden sind. In dem abschließenden Kapitel 6 werden die in den britischen Berichten ausgesprochenen Vorschläge hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Bundesrepublik geprüft. Hierzu wurden zu den einzelnen Problembereichen eine Reihe von Expertenmeinungen eingeholt. Zu danken haben wir vor allem: Barbara John, Ausländerbeauftragte in Berlin; Dr. Kramer, Senat für Gesundheit und Soziales, Berlin; Paul Kreutzer, Bürgermeister a. D. und ehemaliger Sozialdezernent der Stadt Trier; Dipl. Soz. Karl-Heinz Simon, Universität Trier; Dipl. Sozialarbeiter Klaus Jensen und Dipl. Päd. Harald Goldbach, beide Mitarbeiter des Sozialplanungsbüros Trier. Für die Formulierungen dieses Berichts sind freilich nur die Autoren verantwortlich.

3. Ursachen-Analyse 3.1 Sozio-ökonomische Bedingungen Die meisten der Untersuchungskommissionen beschäftigen sich ausgiebig mit den Ausgangsbedingungen der Jugendunruhen in Großbritannien. Sie analysieren insbesondere die sozio-ökonomischen Strukturen derjenigen Stadtteile, in denen die Unruhen stattfanden, und stellen vor allem die Lebenslage der dort lebenden farbigen Jugendlichen als entscheidende Ursache dar. Die Bezirke sind in der Regel gekennzeichnet von wirtschaftlichem Niedergang, überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote, katastrophalen Wohnverhältnissen und einem Mangel an Sozialleistungen. 22

Bei vielen der Gebiete, in denen die Ausschreitungen stattfanden, handelt es sich um Industriegebiete, in denen in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre die Arbeitsmöglichkeiten besonders gut schienen und die Zuwanderung von asiatischen und karibischen Immigranten infolgedessen besonders stark war. lnfolge der Wirtschaftskrise und der Sparpolitik der Regierung verschlechterte sich die ökonomische Situation jedoch rapide. Diese Gebiete weisen daher heute eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote auf. Betroffen sind vor allem Jugendliche, insbesondere farbige Jugendliche. Die Situation verschärft sich Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre, als die öffentlichen Gelder zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten gekürzt werden. Zwar gibt es eine Reihe staatlicher Trainingsprogramme für arbeitslose Schulabgänger, doch werden diese in den Untersuchungsberichten als in keiner Weise ausreichend beurteilt. Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit kennzeichnen daher die Situation der Jugendlichen in diesen Stadtteilen. Viele der von Arbeitslosigkeit betroffenen Jugendlichen fühlen sich ausgegrenzt und isoliert und haben keine

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Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Langeweile wird zum Hauptproblem. Einen Großteil ihrer sinnentleerten "Freizeit" verbringen sie auf der Straße: Rowdytum und Gewalttätigkeiten breiten sich aus. Die Wohnsituation trägt ebenfalls zur Resignation und Verbitterung vieler 23 Bewohner bei. Die trostlosen Wohnverhältnisse sind sichtbares Zeichen des Zerfalls der Innenstadtbezirke. Nachdem besserverdienende Bewohner nach und nach wegziehen, konzentrieren sich hier vor allem Bewohnergruppen mit niedrigem Einkommen und Sozialstatus. Da diese nicht in der Lage sind, die im Anschluß an Renovierungen fallig werdenden höheren Mieten zu zahlen, aber auch aus Spekulationsgründen, unterlassen viele Hausbesitzer notwendige Instandsetzungen. Veraltete Wohnungen mit grundlegenden Mängeln und schlecht isolierte, bauf:illige Gebäude sind die Folge. Durch staatliche Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben sehen sich die Lokalbehörden gezwungen, ihre Wohnungsbauprogramme weitgehend einzustellen. Zu dem desolaten Zustand der Wohnsiedlungen kommt eine hoffnungslose Überbelegung der Wohnungen. In den betroffenen Bezirken herrscht Wohnungsmangel, so daß auf den amtlichen Wartelisten der Wohnungsvermittlungsstellen Tausende von Wohnungssuchenden stehen. Jugendarbeitslosigkeit und beengte Wohnverhältnisse führen häufig zu 24 innerfamiliären Konflikten. Diese enden oft darin, daß Jugendliche ihr Elternhaus verlassen und familiale Bindungen abbrechen. Die informelle soziale Kontrolle wird so reduziert. Das Verlassen des Elternhauses bedeutet für viele Jugendliche Obdachlosigkeit und verstärktes Angewiesensein auf Sozialleistungen. Im Zuge der Sparmaßnahmen der Regierung werdenjedoch auch in diesem Bereich Kürzungen vorgenommen- eine Tatsache, die in den Kommissionsberichten ebenfalls als eine der strukturellen Ursachen für die Unruhen genannt wird. Die Kürzungen bei den Sozialleistungen haben zusätzlich zur Schaffung sozialer Probleme in den Slums beigetragen und die bestehenden Defizite an sozialen Diensten hier noch vergrößert.

3.2 Ethnische Faktoren Bei der Trägergruppe der Unruhen handelt es sich vorwiegend um Jugendli- 25 ehe der zweiten Immigrantengeneration, die in Großbritannien geboren sind und sich als britische Staatsbürger begreifen. Diese Gruppe ist von der Arbeitslosigkeit, der Wohnraummisere und der sozialräumlichen Segregation besonders betroffen. Eine Entfremdung und zunehmende Distanzierung von der traditionellen Kultur der Eltern verstärkt noch die Probleme der Jugendlichen. In den verschiedenen Berichten und Untersuchungen wird die Lage der 26 ethnischen Minderheiten ausführlich behandelt. Sowohl offener Rassismus bei Vertretern staatlicher Institutionen als auch Formen des "institutionellen 2•

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Rassismus" (z. B. Unterrepräsentierung farbiger Gruppen in öffentlichen Ämtern etc.) werden dargestellt. Die Benachteiligung der farbigen Bevölkerung, sowohl in den Bereichen Wohnungswesen, Erziehung als auch im Beschäftigungs- und Berufssystem, wird übereinstimmend diagnostiziert.

3.3 Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung 27

Als eine entscheidende Ursache der Konflikte kennzeichnen die verschiedenen Untersuchungskommissionen die schlechten Beziehungen zwischen den Mitgliedern der ethnischen Communities und der Polizei. In der Regel gehen den Ausschreitungen Polizeirazzien und -kontrollen, bzw. als willkürlich interpretierte Verhaftungen farbiger Jugendlicher voraus. Provokationen und Gegenprovokationen steigern sich wechselseitig bis zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß die Einstellungen vieler farbiger Jugendlicher gegenüber der Polizei von Mißtrauen über Angst bis zu offener Feindseligkeit reichen. Sie legen Belege dafür vor, daß die Vorwürfe der Jugendlichen hinsichtlich einer Diskriminierung und eines Machtmißbrauchs der Ordnungskräfte nicht unbegründet sind. Die Kritik an praktizierten Polizeimethoden hat innerhalb der verschiedenen Berichte einen hohen Stellenwert. Die Einstellungen der Ordnungskräfte gegenüber Farbigen werden ebenso behandelt wie Fragen zur Ausbildung der Beamten. Starke Beachtung findet auch das Thema der internen Kontrolle sowie der Rechenschaftspflicht der Polizei.

4. Empfehlungen 28

Im folgenden werden Empfehlungen und Problemlösungsvorschläge der verschiedenen Kommissionen und Gremien dargestellt, die mit der Untersuchung der gewalttätigen Unruhen betraut waren. (Sie werden in direkter Rede wiedergegeben, obwohl es sich um Vorschläge der britischen Kommissionen und nicht um unsere Empfehlungen handelt.) Eine Vielzahl von Empfehlungen verliert sich in allgemeinen, unverbindlichen und moralischen Appellen, die hier nicht wiedergegeben werden. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben in diesem Bericht Vorschläge, die in der öffentlichen Diskussion, nicht aber in den Kommissionsberichten thematisiert wurden (sie gehen z. T. weit über die Empfehlungen der Kommissionsberichte hinaus). Auf der einen Seite wird hier die Prügelstrafe für randalierende Jugendliche gefordert, auf der anderen Seite die Berücksichtigung kultureller und ethnischer Besonderheiten in der Gesetzgebung und in der Rechtsprechung.

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Empfehlungen zur Prävention, Deeskalation und zur Polizeipraxis stehen im Vordergrund unseres Gutachtens. Strafrechtstheoretische und -praktische Überlegungen sind dagegen nicht Gegenstand der Untersuchung. Sie spielen auch in den referierten Berichten keine Rolle.

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Die Kommissionsberichte, denen die Empfehlungen entnommen sind, werden jeweils im Anschluß mit Kurztitel vermerkt.

4.1 Empfehlungen zur Städte- und Wohnungsbaupolitik Die gewalttätigen Unruhen und Krawalle fanden insbesondere in den 30 Randbereichen der Großstadtzentren, den ,Inner City Areas', und teilweise auch in den Neubausiedlungen der Trabantenstädte statt. Die Inner City Areas besitzen einen hohen Anteil an zerfallenen Gebäuden und alten, schlecht ausgestatteten. Wohnungen. Auch die Infrastruktureinrichtungen sind defizitär, Wohnumfeld, Straßen und öffentliche Plätze sind häufig in einem verwahrlosten Zustand. DerAnteil des kommunalen Wohnungsbestands ist hoch, der private Mietwohnungsbau spielt eine vergleichsweise geringe Rolle. Darüber hinaus sind die Konzentration einkommensschwacher Bevölkerungsschichten, hohe Arbeitslosenquoten, hohe Kriminalitätsraten und ein hoher Anteil farbiger Bewohner Kennzeichen dieser Gebiete. Die Berichte thematisieren die Zusammenhänge zwischen diesen typischen 31 Merkmalen der Innenstadtgebiete und den hohen Kriminalitäts- und Vandalismusraten sowie der Entwicklung von kollektiven Unruhen und Gewalt. Sie machen Vorschläge, wie z. B. im Rahmen einer vorbeugenden Kriminalitätsabwehr durch bauliche Maßnahmen die "Gelegenheitsstruktur" zur Begehung von Delikten verringert werden kann. Solche Maßnahmen aus dem Bereich der sekundären Prävention können zwar nicht die vielfältigen Ursachen von Kriminalität bekämpfen, werden aber gleichwohl als geeignete Einzelmaßnahmen angesehen, die kurzfristig ergriffen werden können. Die Vorschläge reichen von sehr allgemein gehaltenen Empfehlungen, wie der Forderung nach einer kriminalitätserschwerenden Architektur, über weitreichende Empfehlungen zur sozialen Infrastruktur und Belegungspolitik bis zu konkreten Vorschlägen, die sowohl die Gestaltung des Wohnbereichs als auch des Wohnumfeldes betreffen. Eine Vielzahl von Vorschlägen der Gewaltbekämpfung setzt an diesem Punkt an. Den Empfehlungen liegt häufig die Vorstellung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den baulichen- bzw. räumlichen Strukturen und der Erhöhung der Gewaltbereitschaft bzw. dem Auftreten von gewalttätigen Ausschreitungen zugrunde. 4.1.1 Förderung von Sonderprogrammen in der Wohnungspolitik

Die Empfehlungen der verschiedenen unabhängigen Untersuchungskommis- 32 sionen zu den Komplexen Wohnung und Wohnumfeld legen eine verstärkte Förderung und Durchführung innerstädtischer Hilfsprogramme zum Wohnungsbau nahe, um dem sozialen Niedergang verelendeter Stadtbezirke entgegenzuwirken (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, London 1985,

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S. 194; Julius Silverman, Birmingham 1986, S. 100; Lord Scarman, London 1981, S. 101; Lord Gifford, London 1986, S. 225; Report of a Review Panel, Birmingham 1986, S. 80). 33

Zur Minderung des bestehenden Wohnungsmangels schlagen verschiedene Untersuchungsausschüsse ein stärkeres öffentliches Wohnungsbau-Programm vor, das die Grundlage zum Bau neuer Gebäude sowie zur Renovierung bestehender Bauten, insbesondere in den teilweise stark deprivierten InnenstadtBezirken, bilden soll. Es soll versucht werden, ein hinreichendes Angebot qualitativ guter Mietunterkünfte bereitzustellen, die der hohen Nachfrage entsprechen (Kommission der Diözese Birmingham, Birmingham 1988, S. 69; Lord Scarman, a. a. 0., S. 103; Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 187). Julius Silverman weist ausdrücklich auf die Bedürfnisse vieler Alleinstehender und Alleinlebender hin (a. a. 0., S. 25).

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Die bestehenden städtischen Hilfs-Programme müssen umfangreicher werden. In ihrem Bericht "Faith in the City of Birmingham" schreibt die Kommission der Diözese Birmingham, daß in den Urban Priority Areas (UPA) sowohl durch die Regierung als auch die Kommunalverwaltung Partnerschaftskonzepte entwickelt werden müssen, um eine stärkere Konsultation der Ortsansässigen sowie eine stärkere Teilnahme dieser in der Nachbarschaftsarbeit zu fördern (a. a. 0., S. 193; ähnlich äußern sich auch Julius Silverman, a. a. 0., S. l03; Report ofthe Review Panel, a. a . 0., S. 81 f. und die Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0 ., S. 187).

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Das Horne Affairs Committee schlägt eine Untersuchung des Finanzierungssystems im öffentlichen Wohnungsbau vor. Hierbei soll insbesondere geprüft werden, ob das bestehende System den Bau von mehr Wohneinheiten erschwert bzw. verhindert (London 1980, S. 40). Auch die Kommission des Erzbischofs von Canterbury empfiehlt eine Untersuchung über das gesamte WohnungsbauFinanzierungs-System, einschließlich der Hypotheken-Steuer-Erleichterung (a. a. 0., S. 256f.).

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Lord Gifford regt an, daß die Wohnungsämter eine bestimmte Anzahl verschiedener Unterkunftstypen anbieten, die in Notfällen jeweils sofort bezogen werden könnten. Für obdachlose Jugendliche soll die Stadt Wohnungen in ausreichender Zahl bereitstellen (a. a. 0., S. 237). Ähnliche Empfehlungen kommen von der Kommission der Diözese Birmingham (a. a. 0 ., S. 72).

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Zwischen Regierung und den Wohlfahrts-Verbänden soll ein neues Abkommen geschlossen werden, das Wohlfahrtsverbänden, die neben den staatlichen Einrichtungen arbeiten, eine langfristige Perspektive bezüglich ihrer Tätigkeit bietet und die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel gewährleistet (Lord Scarman, a. a. 0., S. 101; Kommission der Diözese Birrningham, a. a. 0., S. 146f.; Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 191).

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4.1.2 Verbesserung der Partizipationschancen und Förderung der Identifikation mit dem Wohnbereich Vorschläge, Mieter bei der Gestaltung der Wohnumwelt miteinzubeziehen, 38 zielen vor allem auf die (Mit-)Verantwortung der Bewohner. Die Kommissionen gehen davon aus, daß die Gefahr von Vandalismus, Kriminalität und Verslumung ganzer Wohnsiedlungen abnimmt, wenn die Bewohner eines Quartiers sich für ihr Wohnumfeld engagieren und sich mit dem Wohnviertel identifizieren. Die städtischen Behörden sollen daher bei Entscheidungen, welche innerstäd- 39 tischeWohngebiete betreffen, die Bewohner stärker beteiligen. Dies soll sowohl bei der Planung als auch bei der späteren Ausführung geschehen. Verwaltungsangestellte sollen auf eine Vorgehensweise verpflichtet werden, die für die Betroffenen transparent ist (Commission for Racial Equality: Race and City Housing in Hackney, London 1984, S. 114; Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, London 1984, S. 89; Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 74; Lord Scarman, a. a. 0., S. 103). Vor allem Sanierungsarbeiten und Stadterneuerungsmaßnahmen sollen in 40 Zusammenarbeit mit Bürgergruppen durchgeführt werden, die die Bewohner von Erneuerungsgebieten vertreten. In den entsprechenden Fällen wird die Errichtung von Stadtteilbüros vorgeschlagen, die mit Mitgliedern der für die Erneuerung zuständigen Projektgruppen (Architekten, Planer, Mitarbeiter städtischer Ämter etc.) besetzt werden. Diese Projektteams sollen die Bewohner über ihre Bedürfnisse befragen, sie über beabsichtigte Maßnahmen unterrichten und bei der Erarbeitung konkreter Problemlösungsvorschläge einbeziehen. Informationsbroschüren und Plakate müssen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung stehen (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 74; Report ofthe Review Panel, a. a. 0., S. 82f.; Lord Scarman, a. a. 0 ., S. 101 f.). Die Kommission der Diözese Birmingham schlägt die Bildung von Mietvertretungen vor, die bei geplanten Veränderungen (Modernisierungen etwa) zu hören und an der Entscheidung zu beteiligen sind. Auch ein Jugendvertreter soll diesen Mietervertretungen angehören (a. a. 0., S. 74f.; ähnliche Empfehlungen macht auch Julius Silverman, S. 26). Generell sollen den Jugendlichen weitreichende Artikulationsmöglichkeiten und Partizipationschancen an Entscheidungsprozessen angeboten werden (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., s. 74). Den Stadtverwaltungen wird empfohlen, Selbsthilfeinitiativen von Haus- 41 bewohnern zur Instandsetzung von Wohnungen finanziell zu unterstützen (Greater London Council Police Committee, London 1984, S. 41).

4.1.3 Stärkung der Multifunktionalität des Wohnumfeldes und der Heterogenität der Bewohnerstruktur Bei dem Bau von neuen Wohnquartieren muß der Gefahr der "Monofunktio- 42 nalität" begegnet werden. Die Bereiche Wohnen, Freizeit und Gewerbe sollen

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möglichst nicht getrennt werden, da sonst städtische Räume entstehen, die zu bestimmten Zeiten menschenleer sind und in denen eine informelle soziale Kontrolle nicht mehr funktioniert. Die Forderungen gehen daher in Richtung einer multifunktionalen Wohnwelt, in der Läden, Spiel- und Freizeiteinrichtungen in die Wohnquartiere integriert sind (Lord Gifford, a. a. 0., S. 253f.). 43

Um eine Bewohnermischung, d. h. eine vielfältig heterogene Bewohnerstruktur (z. B. Familien mit Kindern, Alleinstehende, Jugendliche und alte Menschen, sowie verschiedene ethnische Gruppen etc.) zu erreichen, wird der großzügige Ausbau des Angebotes an Infrastruktureinrichtungen wie Spielmöglichkeiten, Kindergärten, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsanbindungen, Grünflächen etc. empfohlen (Lord Gifford, a. a. 0., S. 236). Durch eine heterogene Bewohnerstruktur soll eine Vielzahl sich überschneidender Zugehörigkeiten ermöglicht werden. Die ausschließliche Verpflichtung aufund Identifikation mit einer sozialen, ethnischen oder territorialen Gruppe soll so relativiert werden. Damit kann einer Segregation und einer konfliktträchtigen Segmentierung von Bevölkerungsgruppen vorgebeugt werden (The Greater London Council Police Committee, a. a. 0., S. 40).

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In den Wohnkomplexen sollen Räume für bestimmte Bewohnergruppen, wie Jugendliche, Ausländer, Alte, Arbeitslose u. a. zur Verfügung gestellt werden. Um soziale Defizite auszugleichen, muß das Beratungs- und Betreuungsangebot zu einer koordinierten Gemeinwesenarbeit ausgebaut werden. Stadtteilbezogene Eigeninitiativen der Bewohner sollen gefördert werden (Lord Gifford, a. a. 0 ., S. 232; Julius Silverman, a. a. 0., S. 26f.). Insbesondere von den Bürgerinitiativen bzw. Quartiersgruppen werden Möglichkeiten und Ansätze genannt, in welcher Weise Gebäude, Räumlichkeiten und öffentliche Räume für gemeinsame Aktivitäten und Zusammenkünfte genutzt werden können. 4.1.4 Förderung der sozialen Integration und Stärkung informeUer KontroUe

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Empfehlungen für eine heterogene Bewohnerstruktur sind vor allem hinsichtlich der sozialen Integration von Bedeutung. Hier werden von den verschiedenen Kommissionen insbesondere Vorschläge zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes der Bewohner und der Bildung eines "Territorialitätsgefühls" für das Wohnumfeld gemacht. Erreicht werden soll dies z. B. durch die Förderung kleinerer Interessengemeinschaften - ein Aspekt der bereits bei der Wohnungsbelegung berücksichtigt werden soll. Bei solchen Interessengemeinschaften kann es sich z. B. um Personen mit ähnlichen Problemlagen und Interessen (wie Familien mit schulpflichtigen Kindern oder alleinstehende Personen einer bestimmten Altersgruppe) handeln, in die gezielt sogenannte "Problemgruppen" integriert werden. Ein sozialer Zusammenhalt der Bewohner trägt in der Regel zu einer verstärkten informellen sozialen Kontrolle und zu einer höheren Verantwortungsbereitschaft füreinander und für die Wohnumwelt bei. Von der Förderung guter Nachbarschaftsbeziehungen und der Motivation der Bewoh-

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ner zum verantwortungsbewußten Umgang mit "ihrer" Wohnanlage kann dann eine sozial integrative Wirkung auch auf "Außenseiter" ausgehen (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 262f.; Greater London Council Police Committee, a. a. 0., S. 39f.). Um der unter den Bewohnern der Innenstadt-Gebiete weitverbreiteten 46 Verbrechensangst entgegenzuwirken, wird von der Polizei, von Initiativen und Vereinen das Aufstellen von Plänen zur Vorbeugung von Kriminalität empfohlen. Sogenannte "Überwachungspläne", in deren Verlauf die Bewohner zur Zusammenarbeit mit der Polizei angeregt werden, sollen erarbeitet werden (Lord Scarman, a. a. 0., S. 104; Policing London, 1983, Nr. 7, S. 2; Together, 1988, S. 7). 4.1.5 Bauliche Maßnahmen

Zur Präventation von Kriminalität und zur Stärkung des Sicherheitsgefühls 47 der Bewohner sollen bei der Planung von neuen Wohnkomplexen unüberschaubare, nicht einsehbare Bereiche (Eingangsbereiche, Treppenaufgänge, Ecken etc.) vermieden werden (Institute of Race Relations: Police Media Research Projekt, 1985, Nr. 24, S. 2). Das Wohnumfeld soll von der Wohnung aus einsehbar sein, so daß Kinder beispielsweise beim Spielen beoabachtet werden können (Newham Monitaring Project 1985, S. 15; Institute of Race Relations: Police Media Research Projekt, 1985, Nr. 21, S. 4f.). Im Hinblick auf bereits bestehende Wohnkomplexe empfiehlt das Institute for Race Relations, für eine ausreichende und intakte Beleuchtung solcher Bereiche zu sorgen. Diese Empfehlungen gelten ebenfalls für das Wohnumfeld, d. h. Parkplätze, Tiefgaragen und Wegverbindungen. Gleiche Vorschläge machen auch verschiedene Nachbarschaftsgruppen in den einzelnen Stadtbezirken (Police Watch, 1986, Nr. 2, S. 6). Diese Forderung ist nicht unumstritten: Lord Gifford schlägt vor, bei 48 Neuanlagen darauf zu achten, daß sogenannte "Pufferzonen" vorhanden sind, d. h. Flächen, die von Jugendlichen vielfältig genutzt werden können und die keiner starken Kontrolle unterliegen (a. a. 0., S. 233). Ebenfalls auf Neuanlagen bezieht sich der Vorschlag, vom Bau großer 49 Wohnkomplexe abzusehen, da eine gleichförmige Gestaltung des Wohngebietes bei den Bewohnern ein Gefühl der Anonymität erzeugt und eine Identifizierung der Bewohner mit dem Gebäude bzw. ihrer Wohnumwelt erschwert. Die Folge - so die Kommissionen - ist, daß sich niemand verantwortlich fühlt und keine soziale Kontrolle stattfindet. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, wird der Vorschlag gemacht, kleine, überschaubare Wohneinheiten mit Grünflächen vor den Häusern zu schaffen, die von den Bewohnern gestaltet werden können. Dies soll zur Stärkung ihres Verantwortungsbewußtseins beitragen (Report of the Review Panel, a.a.O., S. 23f.; Greater London Council Police Comrnittee, a.a.O., S. 34f.).

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In den Berichten wird häufig darauf hingewiesen, daß bestehende Verwahrlosungen zu weiteren Verschmutzungen und Zerstörungen führen. Die Kommission des Greater London Council Police Committee schlägt daher eine laufende Instandhaltung und Pflege der Antagen und Einrichtungen vor, um den Eindruck der Verwahrlosung erst gar nicht entstehen zu lassen. Es wird empfohlen, Schäden an Gebäuden und Einrichtungen möglichst umgehend durchdie Hausverwaltungen zu beseitigen (a. a. 0., S. 41). Lord Gifford schlägt ebenfalls vor, heruntergekommene, trostlos wirkende Gebäude instandzusetzen. Die Renovierungsarbeiten dürfen nicht auf das Wohnungsinnere beschränkt werden, sondern sollen auch das Gebäudeäußere einschließen (z. B. helle, freundliche Farbanstriche; a. a. 0., S. 14f.). Ähnlich äußern sich auch Mitglieder des Newham Monitoring Project (a. a. 0., S. 15). 4.1.6 Bebördlichefbürokratiscbe Verbesserungen bei der Vergabe von Sozialwohnungen

51

Um die Sozialstruktur eines Wohngebietes vor allem nach ethnischen Merkmalen zu differenzieren und einer "Ghettobildung" entgegenzuwirken, wird eine gezielte Belegungs- und Mietenpolitik vorgeschlagen (Commission for Racial Equality: Race and Housing in Hackney, a. a. 0., S. 114; Greater Council Police Committee, a. a. 0 ., S. 34 ff.). Durch eine "positive Diskriminierung" der farbigen Bevölkerung bei der Vergabe von Sozialwohnungen und eine gezielte Streuung will man Benachteiligungen vermeiden und eine "Dissegregation" der ethnischen Gruppen erreichen (Report of the Review Panel, a. a. 0., S. 84; Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 34).

52

Vor allem die Commission for Racial Equality macht eine Reihe von Vorschlägen, wie bei der Vergabe von Sozialwohnungen eine ethnische Diskriminierung verhindert werden könne (Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., s. 32ff.). So soll der Stadtrat eine Anordnung erlassen, die dem mit Wohnungsangelegenheiten befaßten Personal die Möglichkeit zur Information über ethnische Minoritäten und zum Training für den Umgang mit Angehörigen einer Minderheit bietet.

53

Im Rahmen einer Schulung sollen Beamten Entscheidungskriterien an die Hand gegeben werden, die sie bei einer Vielzahl von Wohnungsbewerbern einsetzen können (Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., S. 89; Greater London Council Police Committee, a. a. 0., S. 32).

54

Jeder Wohnungsbewerber soll über vorhandene Optionen informiert werden. Allen Bewerbern und Mietern müssen umfassende und detaillierte Informationen über die Leistungen der städtischen Wohnungsbehörden zukommen. Auch sollen sie über die Zuteilungspolitik und die Reihenfolge auf der Warteliste

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aufgeklärt werden (Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., S. 89; Greater London Council Police Committee, a. a. 0., s. 33). Um direkte und indirekte Diskriminierungen bei der Wohnungszuteilung zu 55 verhindern, sollen Listen über Wohnungsnachfrager geführt werden (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 71; Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., S. 89; Race and Housing in Hackney, a. a. 0., S. 114). Auch soll die ethnische Herkunft aller Personen, die sich erfolgreich um eine Wohnung bemühen, schriftlich festgehalten werden. Diese Information soll vierteljährlich ausgewertet werden. Hierbei sind 56 insbesondere folgende Fakten festzuhalten: Qualität und Wohngegend der Unterkunft, die dem Wohnungssuchenden angeboten wurde; Qualität der schließlich zugeteilten Wohnung, falls sie sich von der erstgenannten unterscheidet. Dies soll eine Kontrolle der Praktiken der Wohnungsvergabe ermöglichen. Sie soll sicherstellen, daß die entsprechenden Kriterien klar definiert sind und auf alle Bewerber f Mieter gleich angewandt werden (Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., S. 87ff.). Das Greater London Council Police Committee schlägt schließlich vor, die 57 Wohnungsbehörden in die Stadtteile zu dezentralisieren, um eine gezielte und effiziente Belegungspolitik zu gewährleisten (a. a. 0 ., S. 44). Eine Dezentralisierung wird ebenfalls von der Kommission des Erzbischofs von Canterbury (a. a. 0., S. 253) und Mitgliedern des Newham Monitorlog Project (a. a. 0 ., S. 18) empfohlen. 4.1.7 Personelle Maßnahmen

Da die Verwirklichung der Vorschläge zusätzliches Personal erfordert, 58 werden von der Commission for Racial Equality einige Beispiele für neu zu schaffende Stellen genannt: So soll ein "Kontroll-Beamter" eingesetzt werden, der die gesammelten Informationen vergleicht und für einen verantwortlichen Umgang mit diesen Daten zuständig ist. Auch soll er zusammen mit dem für den Wohnungsbereich zuständigen community-relations-officer (einem Beauftragten für ethnische Minoritäten) Methoden entwickeln, um die speziellen Bedürfnisse oder auch die Benachteiligungen der Bewerber auf dem Wohnungsmarkt festZustellen. Ferner wird die Einstellung eines Gleichstellungsbeauftragten für ethnische Minderheiten vorgeschlagen. Zusätzlich soll ein Beamter für Information und Training im Zusammenhang mit Fragen von Rassenbeziehungen eingesetzt werden. Von den Stadträten werden weitere Initiativen zur Anhebung der unverhältnismäßig geringen Zahl farbiger Beamter in den Wohnungs-Behörden gefordert. Es sollen vermehrt farbige Beamte geschult werden. Durch diese Maßnahmen erhofft man sich Fortschritte in der Gleichstellung ethnischer

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Minderheiten im öffentlichen Dienstleistungsbereich (Commission for Racial Equality: Race and Housing in Liverpool, a. a. 0., S. 90; Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 42).

4.2 Empfehlungen zur Regierungs- und Verwaltungspraxis Die Vorschläge beziehen sich vor allem auf den Abbau von Diskriminierung ethnischer Minderheiten und lassen sich unter dem Begriff einer weitreichenden Integrationspolitik subsumieren. 4.2.1 Verbesserung der Jugendpolitik und Jugendarbeit 59

Die "Commission for Racial Equality" empfiehlt der Regierung eine Koordination der Ressorts, die mit Jugend zu tun haben. Die Zusammenarbeit der Ressorts Bildung, Beschäftigung, soziale Dienste, Wohnung, Sport und Kultur soll angestrebt und durch einen eigens ernannten Jugend-Minister überwacht werden (Commission for Racial Equality: Youth in multiracial society, London, 1980 S. 68). Die Kommission der Diözese in Birmingham macht einen ähnlichen Vorschlag (a. a. 0., S. 133).

60

Auch den Kommunen wird empfohlen ein Jugendpolitik-Komitee einzusetzen, das eine Koordination der verschiedenen "Ressorts" auf lokaler Ebene entwickelt. Die Kommunen sollen zudem Studien über die Belange und Bedürfnisse von Jugendlichen, insbesondere auch aus ethnischen Minoritäten in Auftrag geben (Commission for Racial Equality, a. a. 0., S. 68).

61

Die Gemeinden werden zudem aufgefordert, Jugend- und Selbsthilfegruppen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und lokale Jugendbüros und selbstorganisierte Jugend-Foren finanziell zu unterstützen (Commission for Racial Equality: Youth in multiracial society, a. a. 0., S. 66 und S. 72). Ähnliche Vorschläge kommen auch von Lord Gifford (a. a. 0 ., S. 232) sowie Julius Silverman (a. a. 0., S. 101). Empfohlen wird der Ausbau zentraler Selbst-Hilfe-Fonds für Projekte, die ethnische Minoritäten betreffen (Commission for Racial Equality: Youth in multiracial society, a. a. 0., S. 73; Report of the Review Panel, a. a. 0., s. 77ff.). 4.2.2 Verbesserung der Integration ethnischer Minoritäten und Abbau rassischer Vorurteile 4.2.2.1 Generelle Empfehlungen zur Koordination und Finanzierung von Maßnahmen

62

Das Horne Affairs Committee regt in seinem Bericht "Racial Disadvantage" an, daß das Innenministerium seine Bemühungen zum Abbau rassischer

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Vorurteile und Diskriminierungen verstärkt und eine koordinierende Funktion diesbezüglich innerhalb der Regierung einnimmt. Ein Ausschuß, der einen Überblick über den Forschungsstand erarbeitet, soll eingerichtet werden. (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 19). Die Regierung soll die Städte und Gemeinden bei der Durchführung lokaler 63 Programme gegen rassische Vorurteile finanziell unterstützen. Die den Gemeinden gewährten finanziellen Zuschüsse zum Abbau von Benachteiligungen ethnischer Minderheiten (Gemeinden, die britische Staatsbürger aus anderen Commonwealth-Ländern aufnehmen, werden in Großbritannien durch einen nationalen Fond unterstützt) sollen ausgeweitet werden (Horne Affairs Committee, a. a. 0 ., S. 29; Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 181 f.; Lord Scarman, a. a. 0., S. 102). Eine Untersuchung aller Dienstleistungen der lokalen Verwaltungen wird 64 vorgeschlagen, um festzustellen, im Rahmen welcher Aufgabenbereiche der nationale Fond zum Abbau der Benachteiligungen ethnischer Minderheiten in Anspruch genommen werden kann (Horne Affairs Committee, a. a. 0 ., S. 31).

4.2.2.2 Bildung und Erziehung

Das Bildungsministerium soll eine Arbeitsgruppe einsetzen, die sich aus- 65 schließlich mit Fragen und Problemen einer "multi-ethnischen-Erziehung" in den Schulen beschäftigt (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 20; Lord Gifford, a. a. 0., S. 238). Zudem soll eine stärkere Repräsentierung von Angehörigen ethnischer 66 Minderheiten in den Schulleitungen gewährleistet werden (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 62; Julius Silverman, a. a. 0., S. 28f.; Report of the Review Panel, a. a. 0., S. 41). In einem Trainingsprogramm sind den Lehrkräften das Wissen und die 67 Techniken einer "multi-kulturellen Erziehung" zu vermitteln (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 62; Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0 ., S. 82). Schulleiter sollen ermutigt werden, spezielle Zugangskurse für Schüler aus ethnischen Minoritäten zu etablieren (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 58f.). Sprachschulen für "Englisch als Fremdsprache" sollen eingerichtet werden (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 16; Lord Scarman, a. a. 0., S. 105). In bestimmten Stadtgebieten mit einem hohen ethnischen Bewohneranteil sollen asiatische Sprachen in die Lehrpläne aufgenommen werden (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 66; Report ofthe Review Panel, a. a. 0., S. 43). Zudem sind die Möglichkeiten des Schüleraustausches zwischen englischen und karibischen bzw. indischen Schulen zu untersuchen (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 68).

30

Sondergutachten Großbritannien 4.2.2.3 Arbeit und Beruf

68

Das Arbeitsministerium soll feststellen, in welcher Weise ethnische Minderheiten Spezialprogramme und Fachsprachenkurse nutzen (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 83f.; Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 60). Für die Teilnahme an Berufsförderungs-undWeiterbildungs-Programmen für Arbeitslose soll verstärkt geworben werden (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 84f.; Lord Scarman, a. a. 0., S. 107). Das "Race Relations Employment Advisory Service", eine offizielle Beratungsstelle für Fragen der Weiterbildung, soll weiter ausgebaut werden und sowohl private als auch öffentliche Arbeitgeber miteinbeziehen (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 86).

69

Der "lndustrial Training Board", ein auf Regierungsebene angesiedelter Ausbildungsrat, soll die Ausbildung von Angehörigen ethnischer Minderheiten untersuchen (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 88).

70

Ein neuer "Kredit-Bürgschafts-Plan" hat die besonderen Bedürfnisse der Geschäfte und Betriebe ethnischer Minderheiten zu berücksichtigen (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 257).

71

Das Handels-Ministerium soll ein Management-Beratungssystem durch die lokalen Handelskammern initiieren, ähnlich dem amerikanischen Score (Service Corps of Retired Executives), wobei pensionierte Geschäftsleute Unternehmer ethnischer Minderheiten beraten (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 92).

72

Dem Business Education Council (zuständig für Fachhochschulen) wird empfohlen, in Verbindung mit der karibischen Handelskammer ein Kursprogramm zu erarbeiten, welches speziell auf westindische Geschäftsleute abgestimmt ist (Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 91).

73

Ausbildungsinhalte an den Verwaltungsakademien sollen auf Rassendiskriminierung überprüft werden {Horne Affairs Committee, a. a. 0 ., S. 83).

74

Die Anstellung von Personal unter Inanspruchnahme des nationalen Fonds zum Abbau rassischer Benachteiligung ist in Erwägung zu ziehen. So sollen z. B. die Gemeinden prüfen, ob in Anlehnung an den genannten Fond die Einstellung von Hausverwaltungs-Personal möglich ist {Horne Affairs Committee, a. a. 0 ., s. 29fT.). 4.2.2.4 Soziales

75

Das Gesundheits- und Soziahninisterium soll untersuchen, in welchem Umfang das Soziale-Sicherungs-System durch ethnische Minderheiten in Anspruch genommen wird. Auch in diesem Ministerium ist eine Arbeitsgruppe zu schaffen, die sich speziell mit Rassenvorurteilen beschäftigt {Horne Affairs Committee, a. a. 0., S. 42).

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In Stadtteilen mit einem hohen Anteil ethnischer Minoritäten sollen die 76 Behörden prüfen, ob die Angehörigen dieser Gruppen über die ihnen zustehenden Leistungen ausreichend informiert sind (Horne Affairs Committee, a. a. 0., s. 42). Eine gemeinsame Initiative der örtlichen Verwaltungen und der Regierung ist 77 notwendig, um die Einrichtung von Kindertagesstätten für Kinder bis zu 5 Jahren zu gewährleisten. Gerade unter den Angehörigen der ethnischen Minderheiten besteht hierfür ein starkes Bedürfnis (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0 ., S. 273).

4.3 Empfehlungen zum Bereich Erziehung und Schule Die Untersuchungskommissionen kommen zu dem Ergebnis, daß Verbesse- 78 rungen und Maßnahmen in den Bereichen Schule und Ausbildung generell notwendig sind. Das Schulsystem hat bisher bei der Sozialisation der Kinder und Jugendlichen in den deprivierten Innenstadt-Bezirken weitgehend versagt. Schulleiter und Lehrer schildern die Situation in den Schulen als hoffnungslos. Klassen, in denen nur die Hälfte der Schüler zum Unterricht erscheint, sind nicht selten. Die erzielten Abschlüsse sind durchschnittlich niedriger als in anderen Bezirken. Die Zahl der Schüler, die weiterführende Schulen besucht, ist vergleichsweise gering. Vandalismus in den Schulen ist die Regel. Die Empfehlungen der diversen Kommissionen zu diesem Bereich zielen 79 insbesondere darauf ab, durch Veränderungen im Schulsystem die Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit der Schule zu fördern und diese zugleich zur sozialen Verantwortung zu erziehen.

4.3.1 Verbesserung der Kooperation und Iotegration von Schule und Gemeinde Die Kommission der Diözese Binningham fordert eine stärkere Einbeziehung 80 der Eltern in den Schulablauf und regt an, verstärkt Elternvertreter aus ethnischen Minderheiten für die Wahlen des "board of governors", des Schulbeirates (der sich aus Elternvertretern, Schülervertretern, Repräsentanten der Communities und Lehrern zusammensetzt), zu mobilisieren (a. a. 0., S. 141 ). Lord Scarman empfiehlt ebenfalls eine stärkere Einbeziehung der Eltern (a. a. 0 ., S. 106). Zudem sollten die Schulen häufig Treffen von Eltern, Repräsentanten der Communities und ehemaligen Schülern veranstalten und bestehende Problemkomplexe diskutieren. Lord Gifford fordert darüber hinaus, daß die Schulen, bei der Planung und 81 Durchführung von Stadtteilinitiativen eine aktive Rolle spielen. Sie sollen dabei mit den Bürgerinitiativen und Stadtteilorganisationen zusammen arbeiten. Diesen muß die Möglichkeiten gegeben werden, ihren Tätigkeitsbereich und ihre Ziele vor den Schülern darzustellen (a. a. 0., S. 238fT.). Auch Angebote zur

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Erwachsenenbildung in den Schulen der Innenstadt-Bezirke sind zu intensivieren (a. a. 0., S. 239). 82

Lord Scarman weist die Schulen auf die Aufgabe hin, den Jugendlichen Möglichkeiten einer sinnvollen "Freizeitgestaltung" zu vermitteln. Junge Menschen sollen ihren Aktionsdrang in "sozial angemessener Weise ausleben können" (Lord Scarman, a. a. 0., S. 106). Die Kommission der Diözese Birmingham regt an, innerhalb der Schulen Werkstätten zur Ergänzung der schulischen Ausbildung einzurichten. Lehrer, die eine praktische Ausbildung erhalten haben, können den Schülern durch solche vorberuflichen Ausbildungsgänge Einblicke in unterschiedliche Berufsbilder vermitteln (a. a. 0 ., S. 88). 4.3.2 Verbesserung der schulischen Praxis, insbesondere im Hinblick auf die Situation multi-ethnischer Schulen 4.3.2.1 Berücksichtigung muJti-etbnischer Aspekte im Unterricht

83

Lord Scarman regt an, bereits in den Vorschulen verstärkt auf Probleme einzugehen, die Kinder aus ethnischen Minderheiten betreffen. So ist beispielsweise zu berücksichtigen, daß solche Kinder häufig aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen (a. a. 0., S. 105). Julius Silverman empfiehlt Ähnliches (a. a. 0 ., S. 28f). Im Report of the Review Panel wird vorgeschlagen, in den Schulen die kulturellen Besonderheiten der Kinder zu berücksichtigen und speziell religiöse Vorschriften, die von den Kindern eingehalten werden, nicht zu ignorieren (Julius Silverman, a. a. 0., S. 30). Die Kommission der Diözese Birmingham fordert gar die lokalen Schulbehörden auf, Richtlinien zu erlassen, denenzufolge eine multi-kulturelle Erziehungspraxis auf alle Schulen auszudehnen Ist, unabhängig vom Anteil der ethnischen Minderheiten in den Bezirken (a. a. 0., S. 142).

84

Der Vermittlung der englischen Sprache in den Schulen soll, laut Lord Scarman, Priorität eingeräumt werden, um eine Integration der farbigen Jugendlichen in die Gesellschaft zu fördern (a. a. 0., S. 105).

85

Die Schule soll dazu beitragen, das Rechtsbewußtsein der Jugend zu fördern, indem beispielsweise das Wissen um die eigenen Rechte sowie um deren Grenzen vermittelt und das Verantwortungsgefühl des Einzelnen gestärkt wird (Lord Gifford, a. a. 0., S. 220). 4.3.2.2 Verbesserug der Lehrerausbildung

86

Die Lehrer haben sich um eine Verringerung sozio-kultureller Lernbarrieren zu bemühen. Angehende Lehrer sollen bereits während ihrer Ausbildung mit den Schwierigkeiten vertraut gemacht werden, die in einer multi-ethnischen Gesellschaft auftreten können (Lord Scarman, a. a. 0., S. 105). Lord Gifford

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empfiehlt, daß jeder Lehrer ein einführendes Spezial-Training für den Unterricht in einer multi-ethnischen Klasse absolviert. Diese Ausbildung muß ein breites Wissen über den kulturellen Hintergrund der farbigen Schüler vermitteln (a. a. 0., S. 237). Das Horne Affairs Committee fordert, daß jeder Einführungskurs für angehende Lehrer daraufhin überprüft wird, ob er die Thematik und Problematik der Gesellschaft widerspiegelt, in der die Kursteilnehmer später arbeiten (a. a. 0., S. 60). Eine häufig erhobene Forderung ist die "positive Diskriminierung" im 87 Zusammenhang mit der Einstellung farbiger Lehrkräfte. So schlägt Lord Gifford vor, für den Fall, daß sich für eine Lehramtsstelle mehrere Personen bewerben, bei gleicher Qualifikation, vorrangig farbige Lehrer einzustellen (a. a. 0., S. 238). An Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern ethnischer Minderheiten sollen vermehrt Lehrer eingestellt werden, die die Muttersprache der Kinder beherrschen; so beispielsweise Lehrer afro-karibischer Herkunft, die sich speziell den Bedürfnissen der Schüler dieser ethnischen Gruppe widmen können (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0 ., S. 77).

4.4 Empfehlungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik Von vielen Autoren und Untersuchungskommissionen (Lord Scarman, Lord 88 Gifford, Julius Silverman, Commission for Racial Equality) wird ein signifikanter Zusammenhang zwischen hoher Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen aus ethnischen Minoritäten, und antisozialen, gewalttätigen Verhaltensweisen und systemkritischen Einstellungen angenommen. Häufig wird in den verschiedenen Berichten darauf hingewiesen, daß es sich auf lange Sicht als politischer und gesellschaftlicher Sprengsatz erweisen dürfte, eine hohe Anzahl beschäftigungsloser Jugendlicher in Kauf zu nehmen. Politische Interventionen werden daher als dringend notwendig angesehen. Zwar gab es bereits in den 70er Jahren Maßnahmen der Regierung, die den Jugendlichen den Eintritt ins Erwerbsleben erleichtern sollten. Diese erwiesen sich jedoch angesichts eines schrumpfenden Arbeitsmarktes und einer starken Konkurrenz um Arbeitsplätze als nicht ausreichend. Eine der meist genannten politischen Maßnahmen, die zur Präventation von 89 Jugendkriminalität, gewalttätigen Ausschreitungen und Vandalismus gedacht sind, ist daher die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Neben der Notwendigkeit eines festen Einkommens, wird in diesem Zusammenhang die stabilisierende Funktion einer beruflichen Aktivität, fester Tagesabläufe und eines gesicherten sozialen Status betont. Als Elemente der individuellen Lebensplanung und der sozialen Integration sind sie für die gesellschaftliche Ordnung grundlegend. Um Jugendliche psychisch und sozial zu stabilisieren müssen daher neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Zur Förderung der beruflichen Integration arbeitsloser Jugendlicher sollen zeitlich begrenzte Ausbildungs- und Überbrückungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. 3 Gewaltkommission Bd. I1I

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Die Forderung nach dem Ausbau von Ausbildungs-, Fortbildungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen findet sich in allen hier ausgewerteten Untersuchungsberichten. Komplexere und vor allem längerfristige Maßnahmenbündel sollen realisiert werden, da mit einem baldigen Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ohne politische Interventionen nicht zu rechnen ist. 4.4.1 Koordination und Integration der Maßnahmen und Programme

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Die Kommission des Erzbischofs von Canterbury fordert die Verbesserung der Zusammenarbeit der mit Ausbildung und Beschäftigung befaßten Dienststellen. Dies soll sich sowohl auf die Planung und Vorgehensweise als auch auf Frage der Finanzierung beziehen (a. a. 0., S. 227; vergleiche hierzu auch Lord Scarman, a. a. 0., S. 107).

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Das Arbeitsamt soll vor der Vermittlung von Angeboten prüfen, ob die entsprechenden offenen Stellen nicht mit Arbeitssuchenden aus den Urban Priority Areas (Stadtbezirke, auf die bestimmte von der Stadtverwaltung festgelegte Kriterien, wie hohe Arbeitslosenquote, Wohnungsmangel, schlecht ausgestattete Wohnungen etc., zutreffen) bzw. demnäheren Umfeld zu besetzen sind (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0 ., S. 138; Lord Gifford, a. a. 0., S. 227).

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Die städtische Verwaltung soll dafür Sorge tragen, daß die Verkehrsverbindungen zwischen den Inner-City-Bezirken und den Gebieten ausreichend sind, in denen Arbeitsplätze bestehen bzw. zusätzlich geschaffen werden. (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 138). 4.4.2 Arbeitsplatzförderung durch Unterstützung der örtlichen Wirtschaft

94

Julius Silverman empfiehlt, von staatlicher Seite sowohl öffentliche als auch private Arbeitgeber zu fördern (a. a. 0 ., S. 94f.). Ähnliche Vorschläge kommen auch von Lord Scarman, Lord Gifford und den kirchlichen Untersuchungskommissionen. Zur Stärkung der ortsansässigen Betriebe bzw. zur Wiederansiedlung von Klein- und Mitteluntemehmen, vor allem in bestimmten Stadtvierteln, werden spezielle Förderungs- und Subventionsprogramme vorgeschlagen. Für diese Aufgabe soll die Stadt einen eigenen Beamten, der für kleine Betriebe zuständig ist, einsetzen (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0 ., S. 210). Die Klein- und Mittelbetriebe, und insbesondere auch die Kooperativen sollen durch staatliche Mittel unterstützt werden. Hier ist z. B. an direkte Subventionen zu denken, aber auch an staatliche Bürgschaften und Garantien, Mietzuschüsse und spezielle Anreize zur Arbeitsplatzbeschaffung (Lord Gifford, a. a. 0., S. 225f.). Unterstützung kann kooperativen Betrieben auch durch die "~ouncil's Economic Development Unit" (städtischer Ausschuß, dessen Aufgabe die Beratung von Betrieben ist) zukommen (Lord Gifford, a. a. 0 ., S. 228).

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Lord Gifford empfiehlt, öffentliche Ausschreibungen, die Projekte in den 95 Innenstadtbezirken betreffen, mit der Auflage zu verbinden, daß die Firmen, die zur Ausführung der Arbeiten zusätzliche Arbeitskräfte benötigen, Ortsansässige einstellen (a. a. 0., S. 227). Ähnlich äußert sich Julius Silverman (a. a. 0., S. 21). Lord Scarman's Vorschlag einer "positiven Diskriminierung ethnischer Minderheiten" greift die Kommission der Diözese Birmingham 1988 erneut auf, indem sie fordert, daß Firmen verstärkt Jugendliche aus ethnischen Minderheiten einstellen (a. a. 0., S. 138). Auch Lord Gifford (a. a. 0., S. 227 f.) und Julius Silverman (a. a. 0., S. 21) legen ein solches Vorgehen nahe. Zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaft sind darüber hinaus weitreichende 96 Kontakte, Partnerschaften und Kooperationen zwischen gemeinnützigen Vereinen, Bürgergruppen und Initiativen sowie dem privaten Sektor der Unternehmen und Betriebe notwendig (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 64f.; Lord Scarman, a. a. 0 ., S. 108). Um das Image der deprivierten und segregierten Stadtteile zu verbessern, 97 sollen Einkaufszentren errichtet werden, die auch auswärtige Kunden anziehen (Lord Gifford, a. a. 0., S. 232). 4.4.3 Berufsförderungs- und Beschäftigungsprogramme für Jugendliche

Die Maßnahmen zur Berufsförderung und Beschäftigung sollen arbeitslosen 98 Jugendlichen den Übergang von der Schule in den Beruf erleichtern, indem ihnen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit in Form des praktischen Erwerbs beruflicher Qualifikationen geboten wird. Den Jugendlichen soll eine Lern- und Trainingschance gewährt werden; sie sollen die Möglichkeit erhalten, Arbeitserfahrungen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zu sammeln (Lord Scarman, a. a. 0 ., S. 107; Julius Silverman, a. a. 0., S. 43). Entsprechende Programme sollen einem breiteren Personenkreis zugänglich gemacht werden und auch und nicht auf wenige lokale Gebiete beschränkt sein (Lord Scarman, a. a. 0., S. 107; Julius Silverman, a. a. 0 ., S. 40fT.). Staatlich finanzierte Berufsförderungsstätten sollen errichtet werden. Julius 99 Silverman schlägt u. a. die Einrichtung sogenannter "Jugendwerkstätten" (z. B. Autoreparaturwerkstätten) vor, um jugendlichen Arbeitslosen eine sinnvolle Betätigung zu bieten (a. a. 0., S. 98f.). Die Forderungen nach Maßnahmen zur Beschäftigung Jugendlicher richten 100 sich nicht ausschließlich an staatliche Stellen. So wird von der Commission for Racial Equality vorgeschlagen, daß Arbeitgebervereinigungen, lokale Industrieund Handwerkskammern sowie gewerkschaftliche Organisationen ebenfalls einen Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit von Jugendlichen leisten, indem sie spezifische Programme entwickeln und durchführen (Youth in multiracial society, a. a. 0., S. 70). Die Kommission des Erzbischofs von Canterbury empfiehlt Ähnliches (a. a. 0., S. 211). 3*

36 101

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Die Kommission der Diözese Birrningham schlägt schließlich vor, daß die ortsansässigen Betriebe mit den Schulen Verträge schließen, um Schulabgängern, die einen bestimmten Ausbildungsstand nachweisen können, eine Arbeitsstelle zu sichern (a. a. 0., S. 80). 4.4.4 Einzelmaßnahmen zur Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher

102

Lord Gifford empfiehlt die Zulassung privater Radiosender in den segregierten Bezirken. Radio-Stationen in Verbindung mit Musik-Studios bietenjugendlichen Arbeitslosen kreative Möglichkeiten. Dies könnte auch Künstler und Musikgruppen außerhalb des Stadtteils anziehen und damit die Attraktivität des Bezirks steigern (a. a. 0., S. 231).

103

Eine weitere Beschäftigungsmöglichkeit wird in Mini-Transportunternehmen gesehen. Mit Privatautos können sowohl Personen- als auch Warentransporte durchgeführt werden. Entsprechende Verträge mit öffentlichen Organisationen können die Rentabilität eines solchen Projektes sichern (Lord Gifford, a. a. 0 ., S. 231).

104

Gedacht ist ferner an eine Planungsgesellschaft in den Wohnbezirken. Sie kann als eine Art Arbeitsvermittler für Aufträge insbesondere der öffentlichen Hand bei Renovierungsarbeiten fungieren und eng mit den Arbeitsämtern zusammenarbeiten (Lord Gifford, a. a. 0 ., S. 232).

105

Andere Projekte, wie die Einrichtung von Werkstätten, in denen technische Geräte und Computer montiert und repariert werden können, werden angeregt. Ein solches Unternehmen kann durch eine bereits bestehende Elektronik- oder Computerfirma unterstützt werden, die bei der Ausbildung Jugendlicher aus den verschiedenen Innercity-areas behilflich ist (Lord Gifford, a. a. 0., S. 232f.).

4.5 Empfehlungen zur Sozialpolitik 106

Angesichts der Vielzahl von sozialen Problemen in den von Unruhen betroffenen Gebieten gehen viele Vorschläge weit über die unmittelbare Gewaltprävention hinaus und zielen auf eine generelle Verbesserung der Situation in den segregierten Wohnvierteln. Hier werden v. a. umfangreiche Sozialprogramme für notwendig erachtet.

107

Viele Städte Großbritanniens befinden sichjedoch in einer finanziellen Krise. Probleme ergeben sich darüber hinaus aus den Kompetenzüberschneidungen der verschiedenen städtischen und staatlichen Ebenen. Die Probleme spitzen sich zu, weil die staatlichen Zuschüsse an die Städte im Zuge der Sparmaßnahmen der Regierung begrenzt werden, gleichzeitig aber die Zahl der von öffentlichen Zuwendungen abhängigen bedürftigen Personen ständig ansteigt.

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Die Aufrechterhaltung und Entwicklung der sozialen Infrastrukturausstat- 108 tung von Innenstadtbereichen muß weiterhin eine zentrale Aufgabe der Politik sein. Dies betrifft die Bereiche: Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsvorsorge, Erziehung, Sozialhilfe und die Linderung der Folgen von Armut und Arbeitslosigkeit. Generell wird gefordert, daß lokale soziale Dienste durch öffentliche Gelder unterstützt werden, um eine ausreichende Versorgung und Betreuung der Bevölkerung zu gewährleisten. Lokale Stadtteilverwaltungen bzw. Distrikt-Verwaltungen sollen mit anderen Dienststellen Gemeinwesenarbeit etablieren und unterstützen (Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 280f.). Gerade in Wohnbezirken mit einem hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Sozialisationsdefiziten sind vermehrt soziale Dienste einzurichten. Wichtig ist insbesondere in belasteten Gebieten eine umfassende soziale Infrastruktur mit verschiedenen Einrichtungen für unterschiedliche Bewohnergruppen sowie einem umfassenden Beratungs- und Betreuungsangebot. Es soll Jugend- und Freizeitzentren, Altentagesstätten umfassen sowie Angebote für Ausländer organisieren (Report of the Moss Side Enquiry Panel, Manchester 1981, S. 13; Lord Gifford, a. a. 0., S. 233ff.). Die Kommission der Diözese Birmingham fordert, daß der Zugang zu 109 Freizeit- und Erholungseinrichtungen in den innerstädtischen Communities nicht durch Faktoren wie Sprache und kulturelle Zugehörigkeit behindert werden darf. Ebenso sind Eintrittspreise und etwaige Benutzergebühren nicht so zu gestalten, daß dadurch bestimmte Gruppen, einkommenslose Jugendliche beispielsweise, ausgeschlossen werden (a. a. 0., S. 143). Die Lokalbehörden sollen die Zugangsmöglichkeit zu den bestehenden Freizeit- und Erholungseinrichtungen auf diesen Aspekt hin überprüfen. Julius Silvermann empfiehlt den verstärkten Einsatz von Freizeitbetreuern für 110 die Altersgruppe der 15-24jährigen (a. a. 0., S. 35). Wichtigist hierbei, daß die Betreuung nicht nur tagsüber stattfindet, sondern daß vielmehr auch abends Aktivitäten organisiert werden. In diesem Zusammenhang fordert er die Erhöhung der Zahl der Jugendleiter in den Innenstadtbezirken, um so die Entstehung von Jugendgruppen zu fördern (a. a. 0., S. 35). Auch die Zahl der Spielgruppen in den Innenstadtbezirken muß erhöht werden, da diese eine optimale Ergänzung zur Kindergartenerziehung darstellen. Durch sie haben die Kinder unterschiedlicher ethnischer Herkunft die Möglichkeit, die englische Sprache bereits vor der Einschulung zu erlernen. Eine zusätzliche Funktion der Spielgruppen wird in der Beratung der Eltern bei aktuellen Problemen gesehen (a. a. 0., S. 28f.). Im Gesundheitsbereich soll der Gemeinderat Maßnahmen ergreifen, die zu 111 einer Dezentralisierung der Dienstleistungen (ambulante Dienste, SozialstatioIl'!n) beitragen (Lord Gifford, a. a. 0 ., S. 235; Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 88). Angesichts der zunehmenden Zahl pflegebedürftiger Personen (Alte, chronisch Kranke) ist eine Bereitstellung entsprechender Finanzmittel notwendig. Institutionen, die psychisch Kranke betreuen, müssen

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in ihrer Arbeit von den Behörden unterstützt werden (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 144). Fragen der gesundheitlichen Versorgung der Kinder unter 5 Jahren sollen die zuständigen Abteilungen der Gemeindeverwaltungen gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden analysieren (Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0., S. 88). 112

Es sollen Überlegungen angestellt werden, ob nicht seitens der Gemeindeverwaltungen Grenzwerte für Mindesteinkommen festgelegt und solche Einkommen garantiert werden können. Die infolge von Arbeitslosigkeit entstehenden Einkommenseinbußen verstärken sich zusätzlich, wenn die Berechtigung zum Erhalt von Arbeitslosenunterstützung entfallt und die Betroffenen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Daher fordert die Kommission des Erzbischofs von Canterbury die Änderung der Sozialhilfesätze, um ein Abgleiten in Armut zu vermeiden (a. a. 0., S. 220). Ein Vorschlag der gleichen Kommission bezieht sich auf die Unterstützung kinderreicher Familien: Das Kindergeld soll erhöht werden (a. a . 0 ., S. 220).

4.6 Empfehlungen zur Polizeipraxis 113

Die Untersuchungskommissionen haben in den Berichten detailliert das Vorgehen der Polizei vor und während der Unruhen analysiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, das sowohl das Entstehen der Unruhen als auch die gewaltsamen Eskalationen durch die Vorgehensweise der Polizei mitbedingt waren. Fragen nach der Rolle der Polizei, ihrer Kontrolle und Rechenschaftspflicht, ihrer Verantwortlichkeit, ihrer Vorgehensweisen und ihrer Ausrüstung wird daher in vielen Untersuchungsberichten und Veröffentlichungen große Bedeutung beigemessen. Die Kommissionen teilen die Auffassung, daß die Beziehungen zwischen den farbigen Communities und der Polizei denkbar schlecht sind. Von Seiten der Jugendlichen, aber auch von Vertretern und Organisationen ethnischer Minoritäten sowie von Sozialarbeitern, ist häufig der Vorwurf des Machtmißbrauchs der Beamten geäußert worden. Sehr viele der im folgenden wiedergegebenen Empfehlungen beziehen sich daher auf die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Bevölkerung, insbesondere ethnischer Gruppen und der Polizei. 4.6.1 Rekrutierung von Polizeibeamten aus ethnischen Minderheiten und Problemgebieten

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Angesichts der U nterrepräsentierung der farbigen Minderheiten in der Polizei empfiehlt Lord Scarman 1981 in seinem Bericht, eine verstärkte Rekrutierung Farbiger für den Polizeidienst (a. a. 0., S. 76ff.). Ein solcher Vorschlag wird ebenfalls von Lord Gifford, der Commission on Urban Priority Areas, dem Institut of Race Relation, dem Polizei-Überwachungskomitee Manchester sowie von zahlreichen anderen Bürgerrechtskomitees, Selbsthilfeorganisationen

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und Verbindungskomitees geäußert. Die Polizei soll Kampagnen und Werbeaktionen starten, die speziell auf die Gruppe der ethnischen Minderheiten ausgerichtet sind und den Polizeiberuf durch gute Aufstiegschancen attraktiv machen. Das Innenministerium soll in Zusammenarbeit mit Vertretern der Polizeiverwaltungen und die Repräsentanten der ethnischen Minderheiten eine Studie zu diesem Thema durchführen (Lord Gifford, a. a. 0., S. 206).

4.6.2 Verbesserung der Polizeiausbildung und Überprüfung bei den EinsteUungsvoraussetzungen

Um rassistischen Vorurteilen innerhalb der Polizei entgegenzuwirken, emp- 115 fiehlt Lord Scarman in seinem Bericht, die Methoden der Bewerberauswahl für den Polizeidienst zu ändern. Bei der Rekrutierung sollen wissenschaftlich ausgearbeitete Tests und Befragungen angewandt werden, um Grundeinsteilungen der Bewerber zu prüfen. So soll die Beschäftigung von Beamten mit rassistischen Vorurteilen vermieden werden (a. a. 0., S. 76ff.). Einen ähnlichen Vorschlag macht Kenneth Oxford in seinem Bericht (a. a. 0., S. 67). Sowohlin den verschiedenen unabhängigen Untersuchungsherich ten als auch 116 in den Polizeiberichten wird die Verbesserung der Polizeiausbildung empfohlen. Bereits Lord Scarman schlägt die Verlängerung der Einführungsphase, der Ausbildung in der Polizeischule, vor (die im Unterschied zu Deutschland in Großbritannien sehr kurz ist; a. a. 0., S. 80ff.). Die Ausbildungsinhalte werden ebenfalls als revisionsbedürftig angesehen. Die Vermittlung von Kenntnissen zur Prävention von und zum Umgang mit öffentlichen Unruhen soll stärkere Beachtung finden. In der Ausbildung sind die Polizeianwärter mit Fragen der sozialen Beziehungen in einer Gemeinschaft vertraut zu machen. So sollen die Polizeianwärter bereits während der Grundausbildung Erfahrungen in den einzelnen Stadtteilen sammeln. Nach Lord Gifford kann dies Verständnis und Einfühlungsvermögen für den Lebensstil und die Probleme ethnischer Gruppen vermitteln (a. a. 0., S. 198) (Ähnliche Vorschläge finden sich bei: Kommission der Diözese Birmingham, a. a. 0 ., S. 97); Julius Silverman, a. a. 0., S. 103, Kommission des Erzbischofs von Canterbury, a. a. 0., S. 347). Auch die Behandlung von Grundrechten während der Ausbildung soll stärkere Beachtung finden (Lord Gifford, a. a . 0 ., S. 219). An die Ausbildung soll sich, so Lord Scarman, eine Probezeit anschließen. 117 Die Bewährungsphase soll unter anderem praktische Übungen und Unterweisungen im Umgang mit Konfliktsituationen beinhalten. Dieser Teil der Ausbildung ist durch ältere, erfahrene Polizeibeamte, die jeweils kleine Gruppen von Polizeianwärtern betreuen, durchzuführen (street duties course). Während der Probezeit sollen die Polizeianwärter teilweise in Stadtteilen eingesetzt werden, in denen ethnische Minderheiten einen Großteil der Bevölkerung

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ausmachen (Lord Scarman, a. a. 0., S. 81 f.). Es wird empfohlen, daß Anwärter für den Polizeidienst während der Probezeit niemals allein in Innenstadtbezirken oder anderen vorwiegend ethnischen Communities eingesetzt werden. Vielmehr soll die Ausbildung nach dem "tutor constable scheme" ablaufen, was bedeutet, daß jeweils ein Anwärter für den Polizeidienst einem erfahrenen Streifenpolizisten zugeteilt ist (Lord Scarman, a.a.O., S. 82f.). 118

Darüber hinaus soll die Teilnahme an Zusatzkursen und Weiterbildungsmaßnahmen für alle Polizeibeamten Pflicht sein. Hier sind Grundlagen zum Umgang mit Minoritäten zu vermitteln. Lord Gifford schlägt vor, Polizisten, die in "Problem-Bezirken" eingesetzt werden, vor ihrem Einsatz einer Spezialausbildung zu unterziehen (a. a. 0., S. 198). Als Ausbilder sollen sowohl Experten der Polizei als auch Psychologen und Soziologen eingesetzt werden. Auch Repräsentanten der Communities sind zu beteiligen (a.a.O., S. 201). Das Institute of Race Relation fordert vor allem bei der Einsatzvorbereitung von Polizeibeamten eine verbesserte psychische Betreuung. Die angespannte Stimmung der Beamten soll keinesfalls noch verstärkt werden, indem beispielsweise Videofilme g~walttätiger Auseinandersetzungen gezeigt werden (Institute of Race Relations: Police Media Research Project, 1987, Nr. 37, S. 2). 4.6.3 Methoden und Vorgehensweise der Polizei

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Provokative Polizeiaktionen bzw. Überreaktionen einzelner Beamter werden in vielen Berichten als eskalationsauslösende Faktoren dargestellt. Um hier entgegenwirken zu können, betont Lord Scarman die Wichtigkeit der Rolle der Vorgesetzten bei der Beaufsichtigungjunger Polizisten. Lord Gifford schlägt in diesem Zusammenhang vor, in Zeiten öffentlicher Unruhen keine Hausdurchsuchungen und Verhaftungen ohne vorherige Absprache mit dem zuständigen Polizeichef durchzuführen (a.a.O., S. 204).

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Lord Scarman fordert darüber hinaus eine generelle Überprüfung der Polizeimethoden hinsichtlich ihrer eskalativen bzw. deeskalativen Auswirkungen. Vor allem spezielle Polizeipraktiken wie etwa "Stop and Search"-Aktionen (Anhalten und Überprüfen von Personen) sollen eingeschränkt werden, weil sie zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen den ethnischen Minderheiten und den Ordnungskräften beitragen (a.a. 0., S. 113f.). Lord Gifford schlägt vor, daß über jede "Stop and Search"-Überprüfung ausführlich Bericht erstattet werden muß, einschließlich einer entsprechenden Begründung der Aktion (a. a. 0., S. 204).

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Auch die Einschränkung des Einsatzes von Sandereinsatzkommandos (Special Patrol Groups), die für eine bestimmte Zeitspanne in Innenstadtvierteln zur Bekämpfung der Kriminalität eingesetzt werden, wird gefordert (Lord Scarman, a.a.O., S. 91f.; Report of the Moss Side Enquiry Panel; a.a.O., S.18; Lord Gifford, a.a.O., S. 205; Report ofthe Review Panel, a.a.O., S. 70f.). Die von diesen SPG-Truppen in verstärktem Maß praktizierte "Stop and Search"-Praxis

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trägt zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen den ethnischen Minderheiten und den Ordnungskräften bei. 4.6.4 Forderung nach verstärkter Kontrolle der Polizei

Eine ähnlich große Bedeutung wie der Verbesserung der Ausbildung kommt 122 der Kontrolle von Polizeibeamten zu. Auch hier werden von vielen Untersuchungskommissionen Vorschläge gemacht (Lord Scarman, a.a.O., S. 84; Merseyside Police, Authority, 1981, S. 12; Julius Silverman, a. a.O., S. 103; Report ofthe Moss Side Enquiry, S. 56f.; Lord Gifford, S. 198fT.; Report ofthe Review Panel, a.a.O., S. 75f.). Angesichts zahlreicher Hinweise auf diskriminierendes Vorgehen, insbesondere junger Polizisten, sollen, so Lord Gifford, dienstältere und erfahrene Beamte bei ersten Anzeichen rassistischen Verhaltens jüngerer Kollegen entsprechende Schritte einleiten (a.a.O., S. 198). Lord Scarman schlägt vor, diskriminierendes Verhalten gegenüber ethnischen 123 Minderheiten als ein spezielles Vergehen in den "Police Disciplin Code" aufzunehmen (a. a. 0., S. 87). Entsprechende Verhaltensweisen von Polizeibeamten sollen bestraft und die betreffenden Polizisten gegebenenfalls vom Dienst suspendiert werden (a.a.O., S. 87f.). Damit ungesetzliche Handlungen von Beamten der SPG-Einheiten (,,Special 124 Patrol Group", Sondereinsatzkommandos) strafrechtlich verfolgt werden können, empfehlen die Police-Committees auch diese Polizeibeamten mit Erkennungsnummern auszustatten, wie sie bereits für Beamte anderer Polizeibereiche eingeführt sind (Greater London Council Police Committee, a.a.O., S. 9ff.; Police Watch, 1987, S. 4). Eine Änderung des bestehenden "Beschwerdesystems" wird von Lord 125 Scarman vorgeschlagen (a. a. 0., S. 88). Die "Police Complaint Boards" sollen dezentralisiert werden. Die Untersuchungen der Beschwerden über Polizeibeamte sollen von unabhängigen Gremien und nicht polizeiintern durchgeführt werden (Lord Gifford, a.a.O., S. 215; Civil Liberty, 1987, Nr. 3). Im Report of the Moss Side Enquiry Panel wird das Einsetzen eines erfahrenen Community Officer empfohlen, der zusammen mit einem Beamten höheren Dienstgrades Beschwerden über die Polizei bearbeitet. Die entsprechende Anlaufstelle soll außerhalb der Polizeidienststelle eingerichtet werden (a. a. 0., S. 27 f.; vgl. hierzu auch: Merseyside Police Authority, a. a. 0., S. 6ff.). Lord Scarman fordert die Einrichtung von Verbindungszentren, die zwischen 126 der Polizei und den Communities vermitteln sollen. Ihre Aufgabe ist die gegenseitige Beratung, Information und Rücksprache zwischen Vertretern der Polizei, Repräsentanten der verschiedenen Community-Gruppen und Mitarbeitern verschiedener fachlicher Dienststellen (a. a. 0., S. 92f.). Ähnlich äußert sich auch Lord Gifford, der die Einrichtung sogenannter Beratungskomitees

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innerhalb des Polizeidistrikts London vorschlägt. Diese Gruppen sollen sich aus Repräsentanten verschiedener Organisationen, die das Vertrauen der Bevölkerung besitzen, und Vertretern der verschiedenen Polizei-Dienststellen zusammensetzen (a.a.O., S. 208f.). 4.6.5 Verbesserung der Police-Community Beziehungen durch "co-operative policing" 127

Zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Communities und der Polizei schlägt die Scarman-Kommission das Konzept eines "community policing" für die Innenstadtbezirke vor. Ein Bestandteil dieses Konzeptes ist der Einsatz sogenannter "home beat officers", Streifenpolizisten, die in den Vierteln zu Fuß Dienst tun, um einen direkteren Kontakt zur Bevölkerung herzustellen. Der motorisierte Einsatz soll hingegen eingeschränkt werden. Kontak,tbereichsbeamte ("community officers") sollen eng mit Vertretern der ethnischen Gemeinden zusammenarbeiten und sich für die Belange der Bewohner einsetzen (a.a.O., S. 88ff.). Ähnlich äußert sich auch Polizeichef Kenneth Oxford in seinem Bericht. Er schlägt ebenfalls eine enge Zusammenarbeit mit Repräsentanten verschiedener Gruppen der Communities vor (1981, S. 67). 128 In den Bezirken sollen zudem kleine lokale Polizeistationen eingerichtet werden, in denen Polizeibeamte, die mit den spezifischen Gegebenheiten der Bezirke vertraut sind, arbeiten. Sie sollen versuchen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen (Lord Scarman, a.a.O. , S. 91). 129 Lord Gifford's Empfehlungen gehen über das Konzept des "community policing" hinaus. Er fordert ein Vorgehen nach dem Konzept des "co-operative policing". Dies bedeutet, daß eine enge Kooperation mit der Bevölkerung auf allen Ebenen der Polizei stattfinden soll. Die Polizei soll mit allen bestehenden ethnischen Organisationen zusammenarbeiten. Es darf hierbei nicht im Ermessen der Ordnungskräfte liegen, auszuwählen, welche der Organisationen die jeweilige "ethnic community" vertritt. Die verschiedenen Organisationen müssen gleichermaßen als legitime Vertreter der Communities anerkannt und behandelt werden. Das "co-operative policing" beinhaltet zudem die Einbeziehung von Bedürfnissen der Bewohner. Befürworter dieses Konzepts (siehe hierzu auch: Police Monitaring and Research Group: Police Watch, Dez. 87, S. 3) schlagen vor, die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung eines Innenstadtbezirkes auch bei der Verbrechensbekämpfung zu berücksichtigen. So soll in bestimmten Situationen auch kooperativ darüber entschieden werden, welcher Deliktart Priorität bei der Bekämpfung zukommen soll. Dies kann durch entsprechende Zusammenarbeit mit Vertretern der Bevölkerung und durch Befragung der Bewohner in Erfahrung gebracht werden (Lord Gifford, a.a. O., S. 196; was das im Einzelfall bedeuten und zu welchen Interessenkonflikten und Machtkämpfen dies in der Realität führen könnte, wird dabei jedoch nicht thematisiert - die Autoren).

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Die Polizei soll im Rahmen einer solchen kooperativen Zusammenarbeit 130 versuchen, in der Bevölkerung Verständnis für die Ausführung ihrer Aufgaben zu wecken. Dies kann durch eine ausführliche Informationspolitik geschehen (Lord Gifford, a.a.O., S.195f.). 4.6.6 Verbesserung der Polizeiausrüstung

Hinsichtlich der Polizei-Ausstattung empfiehlt Lord Scarman in seinem 131 Bericht von 1981 die Verbesserung der Ausrüstung zum Schutz der Polizeibeamten. Ihm zufolge soll die Polizei über distanzhaltende Einsatzwaffen, wie Wasserwerfer, CS-Gas und Plastikgeschosse, verfügen. Diese sollen allerdings nur in äußersten Notfällen, wie etwa in lebensbedrohenden Situationen, angewandt werden. Ein entsprechender Einsatz hat nur auf ausdrücklichen Befehl der Polizeichefs zu erfolgen (a. a. 0., S. 97 f.) . Auch Julius Si!verman empfiehlt, die Polizei mit moderner Ausrüstung und Transportmitteln auszustatten (a. a. 0 ., S. 102). Sowohl in dem Polizeibericht Kenneth Oxfords (a. a. 0., S. 55f.) als auch im Report to the Chief Constable West Midlands Police (Birrningham 1985, S. 74fT.) finden sich ähnliche Forderungen. Das Horne Office empfiehlt, Polizeibeamte im Rahmen eines Trainings auf 132 das Tragen von Schußwaffen und auf daraus möglicherweise erwachsende Konsequenzen vorzubereiten. Im Polizeibericht der West Midlands Police wird das Erstellen von Polizeiplä- 133 nen empfohlen, um bei unerwarteten öffentlichen Unruhen vorbereitet zu sein und schnell geeignete Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Darüber hinaus wird angeregt, eine Polizeireserve einzurichten, die aus Zivilisten besteht (a. a. 0., S. 71f.).

4.7 Empfehlungen zur Medienpraxis In den Untersuchungsberichten wird auch die Rolle der Medien behandelt. 134 Den Presseorganen wird vor allem eine einseitige Informationspolitik in bezug auf die Jugendunruhen vorgeworfen. Man kritisiert, daß die Bewohner der Innenstadtbezirke durchweg negativ dargestellt werden, was bei den MedienRezipienten zur Verfestigung von Vorurteilen beiträgt. Die Kommissionen bezweifeln zudem die Ausgewogenheit der Berichterstattung, die kaum Informationen zu dem sozio-ökonomischen Hintergrund der Unruhen liefert und einen Mangel an Empathie und Verständnis offenbart. Folgende Empfehlungen werden zur Medienpraxis gemacht. Die bestehenden Richtlinien der Nationalen Gewerkschaft der Journalisten 135 sollen stärkere Beachtung finden. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz verwiesen, daß bei Berichterstattungen die Nationalität und Rassenzugehörigkeit nur erwähnt werden darf, falls dies sachlich notwendig ist (Lord Gifford, a. a. 0., S. 240).

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Lord Gifford regt an, daß Berichte, die sensible Bereiche, wie etwa gewalttätige Ausschreitungen Jugendlicher betreffen, vom Dachverband der Presse laufend analysiert und beurteilt werden (a. a. 0., S. 242).

137

Er fordert zudem die Presse auf, künftig eine aktive Rolle bei der Verbesserung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und den Beziehungen in den Stadtteilen zu spielen (a. a. 0., S. 240). Die Kommission der Diözese Birmingham empfiehlt in diesem Zusammenhang, positive Aktionen, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität in den deprivierten Bezirken geführt haben, ausführlich in der Presse darzustellen. Eine solche Berichterstattung könne möglicherweise zur Nachahmung anregen. Es würde eine Darstellung von Handlungsalternativen für Personen bedeuten, die in einer ähnlichen Situation leben (a. a. 0., S. 135). Auch soll eine Berichterstattung angestrebt werden, die Gewalt gegen Sachen als sozialschädliche Verhaltensweise anprangert und nicht durch ausführliche Berichterstattungen honoriert. Gewaltfreies Verhalten dagegen soll öffentlich positiv bewertet werden. Nichtgewalttätige Problemlösungsmuster sind ebenso wie Anreize für sozialadäquates Verhalten als Vorbild darzustellen (Lord Scarman, a.a.O., S. 111).

5. Implementierung 138

Eine umfassende Analyse der Verwirklichung oder gar der Wirkung der hier dargestellten Empfehlungen ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit aufgrund der Literaturlage nicht möglich. Trotzdem wird im folgenden der Versuch unternommen, einen ersten Überblick zu geben über die mittlerweile realisierten Vorschläge aus den Bereichen Polizeipraxis und Beschäftigungspolitik.

5.1 Implementierung der empfohlenen Maßnahmen f"ür den Bereich der Polizei 5.1.1 Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention in Innenstadtbezirken 139

Einen besonderen Umfang nehmen hier allgemeine Programme zur Kriminalitätsprävention ein. Die angeregten "Pläne zur Überwachung von Wohnvierteln" (Horne Watch Program, Neighbourhood-watch) sind in vielen Stadtbezirken verwirklicht. Sie werden von der Polizei als bedeutende präventive Maßnahme hinsichtlich der Kriminalitätsbekämpfung bewertet und im Rahmen eines Kriminalitätsvorbeugungspaketes des Innenministeriums (Umfang 1,7 Millionen Pfund) finanziell gefördert. Die Polizei führt zunächst Informationsveranstaltungen zu dem Thema Kriminalitätsverhütung in den betreffenden Bezirken durch und stellt entsprechende Materialien zur Verfügung, mit deren Hilfe Anwohner ihr Eigentum

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markieren. Diese Methode soll einerseits der Abschreckung möglicher Diebe dienen, andererseits die Identifizierung und Rückgabe gestohlenen Eigentums beschleunigen. Die Bewohner erklären sich bereit, ihre Wohnung, ihr Wohnumfeld und die Häuser ihrer Nachbarn zu beobachten. Bei verdächtig erscheinenden Vorkommnissen verständigen sie die Polizei. Ein weiterer Bestandteil des Programmes ist die individuelle Beratung der Bewohner durch die Polizei. Beamte besuchen einzelne Haushalte und machen Verbesserungsvorschläge zur Sicherung des Eigentums. Diese Programme sind zur Prävention bestimmter Deliktarten durchaus 140 erfolgreich. Einbrüche und Vandalismusschäden an Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen beispielsweise gingen in den betreffenden Stadtteilen zurück. Nicht so dagegen die Beschädigungen und Diebstähle von Kraftfahrzeugen (Institute of Race Relations: Police Media Research Project, Nr. 24, Donnison 1986, S. 1). Untersuchungen in South Wales kommen zu dem Ergebnis, daß auch die Maßnalunen zur Eigentumsidentifikation und Eigentums-Rückführung nicht erfolgreich sind (Donnison, a. a. 0., S. lf.). Die von der Polizei empfohlenen Maßnalunen zur Eigentumssicherung seien zudem für Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen von geringem praktischen Nutzen, da diese sich die Verbesserungsmaßnahmen i. d. R. nicht leisten könnten (Donnison, a.a.O., S. 2). Ein positiver Effekt der "Horne Watch"-Programme wird in einer Reduzierung der Furcht vor Kriminalität bei den Bewohnern gesehen. Das Police Monitaring Committee Manchester kritisiert dagegen die "Home-Watch-Programs" als reine kosmetische Maßnalune, mit dessen Hilfe die Kriminalität in Gegenden verlagert wird, deren Bewohner sich weniger gut schützen können (Police Watch, Dez. 1986, S. 9). Um rassistischen Angriffen entgegenzuwirken, startete die Metropolitan 141 Police London eine Kampagne in Bezirken, in denen sich häufig Angriffe gegen ethnische Minderheiten ereignen. Polizisten wurden im Umgang mit rassistischen Übergriffen trainiert. Ziel der Aktion war Schaffung von Vertrauen und Kooperationsbereitschaft zwischen Bevölkerung und Polizei sowie die Prävention rassistischer Angriffe und die Hilfe bei der Identifizierung von Tätern (Institute of Race Relations, Police Media Research Project, Nr. 41, S. 8). In West Yorkshire richtete die Polizei eine eigene Telefonleitung für Opfer rassistischer Übergriffe ein (Institute of Race Relations, Police Media Research Project, Nr. 41, S. 9). 5.1.2 Maßnahmen zur Verbesserung der Rekrutierung und Ausbildung der Polizei

Vielerorts gibt es Bemühungen, mehr farbige Polizeischüler anzuwerben. In 142 Wohnbezirken mit einem hohen Anteil ethnischer Wohnbevölkerung werden

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Kampagnen und Werbeaktionen durchgeführt. In Südiondon beispielsweise wurde ein Pilot-Projekt gestartet, in dessen Rahmen versucht werden soll, auch bereits berufstätige Männerund Frauen für den Polizeidienst zu gewinnen. Eine andere Kampagne versucht, die Arbeitsvermittlungs-Centren und örtlichen Beratungsstellen zur Kriminalitätsvorbeugung in die Bemühungen um eine verstärkte Rekrutierung farbiger Bürger einzubeziehen. Die bisherigen Erfolge sind allerdings gering. Die Zahl der farbigen Polizeibeamten konnte zwar seit Beginn der 80er Jahre erhöht werden, die ethnischen Minderheiten sind jedoch noch immer stark unterrepräsentiert. Wenn einmal die Feindschaft eskaliert ist, gelingt es kaum mehr, gute Bewerber zu finden (Institute of Race Relations, Police Media Research Project, Nr. 35, S. 7). 143 Die Vorschläge zur Verbesserung der Polizeiausbildung sind vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Ausbildung innerhalb der einzelnen Polizeibezirke äußerst unterschiedlich und zudem im Vergleich zur Bundesrepublik sehr kurz ist. Die von Lord Scarman empfohlene Verlängerung der Grundausbildungszeit auf sechs Monate wurde mittlerweile in einigen Polizeibezirken verwirklicht. In Lambeth (London) beispielsweise beträgt die Ausbildungszeit jetzt 30 Wochen, während die Kurse in Toxteth (Liverpool) immer noch lediglich 10 Wochen dauern. 144 Auch die Ausbildungsinhalte wurden erweitert. Neben geographischen und fachspezifischen werden mittlerweile auch verhaltenstheoretische Kenntnisse vermittelt. Als Reaktion auf die Kritik an dem Auftreten der Polizeibeamten in Schulen wurden spezielle Trainings-Kurse eingerichtet. Diese Ausbildung soll dazu beitragen, daß zum Besuch der Schulen nur sachkundige, gut informierte Beamte eingesetzt werden (Institute of Race Relations, Nr. 24, S. 7). Als Folge der neuerlichen Unruhen Mitte der 80er Jahre richtete die Polizei einen Kursus ein, in dessen Verlauf verschiedene Formen des Umgangs mit gewalttätigen Ausschreitungen erarbeitet und eingeübt werden. 5.1.3 Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle und Rechenschaftspflicht der Polizei 145 In einigen Städten bzw. Stadtteilen wurden sogenannte "Police Consultive Groups" gebildet, die sich aus Vertretern der Polizei, Stadträten und Repräsentanten der Comrnunities zusammensetzen. Diese Gruppen sollen die Polizei vor Einsätzen in Innenstadtbezirken beraten. Unter anderem haben sie die Aufgabe, sich mit polizeilichen Übergriffen zu befassen und zusammen mit der Polizei Möglichkeiten der Untersuchung und Bekämpfung von Gesetzesübertretungen durch Polizeibeamte zu diskutieren. Mitglieder der "Police Consultive Groups" besuchen u. a. in unregelmäßigen Abständen und ohne Vorankündigung verschiedene Polizeiwachen und informieren sich über die Behandlung Inhaftierter (Institute of Race Relations, Police Media Research Project, Nr. 21). 146 Lord Gifford kritisiert in seinem Bericht jedoch ausdrücklich die Tatsache, daß sich solche Gruppen offensichtlich nicht aus Repräsentanten der farbigen

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Communities zusammensetzen. Es sind zumeist Vertreter kirchlicher Verbände, von Mietervertretungen und Nachbarschaftsgruppen, die in diesen beratenden Kommissionen mitwirken. Da die "Consultive Groups" lediglich eine beratende Funktion haben und die Polizei gegenüber diesen Gruppen letztendlich nicht verantwortlich ist, werden sie von farbigen Community-Leitern und Aktivisten häufig boykottiert. Die Police Monitoring Groups beklagen, daß die Polizei die "Consultive Groups" nicht ausreichend bzw. in einigen Fällen gar nicht über bestimmte Vorfälle und Aktionen informiert (Newham Monitoring Project: Annual Report 1985, S. 23). Die vorgeschriebenen Polizeiausschüsse (Police Authorities), die nach dem Gesetz (Police Act 1976) die Verantwortung für die Polizei haben und sich aus direkt gewählten Gemeindevertretern, Beamten der Stadtverwaltungen und ernannten Richtern (magistrats) zusammensetzen, wurden 1984 durch die "Police Joint Boards" ersetzt. Diese bestehen zu einem Drittel aus Gemeindevertretern und einer Anzahl von Repräsentanten der jeweiligen Gebietskörperschaften, die nicht mehr direkt gewählt, sondern von den Gemeinderäten ernannt werden. In einigen Städten werden die Police Joint Boards durch sogenannte Polizei-Überwachungs-Komitees (Police Monitoring Groups) unterstützt. Diese überwachen die Einhaltung einer verantwortungsbewußten Polzeiarbeit in der Community. Sie setzen sich aus Gemeinderäten und Beamten zusammen. Ein Ziel der Polizei-Überwachungs-Komitees besteht darin, die Bewohner vor polizeilichen Übergriffen zu schützen und deren Bürgerrechte zu verteidigen. Gleichzeitig sollen Strategien entwickelt werden, die die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen und die die Angst vor Verbrechen und Kriminalität reduzieren. Diese "Police Monitaring Groups" erhalten finanzielleUnterstützungvom Gemeinde-(Stadt)rat. Sie beobachten und analysieren u. a. Polizeistrategien, die beispielsweise ethnische Minderheiten betreffen, und arrangieren Publikumsveranstaltungen mit Polizeivertretern, auf denen die Polizei umstrittene Aktionen direkt vor der Bevölkerung legitimieren muß. Teilweise leiten sie auch Untersuchungen über bestimmte lokale Vorfälle ein.

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Die Arbeit der Police Monitaring Groups wird nicht von allen Seiten positiv beurteilt. In Manchester beispielsweise mußte die Gruppe Anfang 1988 ihre Tätigkeit einstellen, nachdem ein neuer Stadtrat gewählt worden war, der die finanzielle Unterstützung versagte.

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5.1.4 Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung Das von Lord Scarman angeregte "Community Policing" ist weitgehend Im Zusammenhang mit dem Modell werden in den gefährdeten Innenstadtbereichen verstärkt Fußstreifen ("Community officers") eingesetzt. Diese arbeiten eng mit den örtlichen "Crime Prevention Officers" zusammen, wenn es beispielsweise um die Durchführung der " Horne Watch Progams" geht. v~rwirklicht.

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Beteiligt sind die Streifenpolizisten auch bei den "school contact programs", in deren VerlaufPolizisten in den Schulen Informationsveranstaltungen durchführen. Um die Beziehungen zwischen den Communities und der Polizei zu verbessern, wurden "Community Liasion Fores" eingerichtet, in denen polizeiliche Maßnahmen besprochen werden. Zwischen diesen und der Polizei finden regelmäßig Treffen statt. 150

Das Modell des "Community Policing" wird aber von Teilen der Polizei kritisiert, da sich, insbesondere durch den Verzicht auf die "Stop and Search"Praktiken, als eine Folge dieses Konzeptes sogenannte "no go areas" in bestimmten Innenstadtbezirken gebildet hätten, innerhalb derer weiße Bewohner von Farbigen unterdrückt würden. Auch habe die Praktizierung dieses Modells zur Ausbreitung des Drogenmißbrauchs und Drogenhandels beigetragen (Institute of Race Relations: Police Media Research Project, Nr. 23, S. 2).

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Die Polizei initiierte in verschiedenen Stadtbezirken Freizeit-Programme für Schüler und Jugendliche, die einer positiven Selbstdarstellung der Ordnungskräfte dienen und zu verbesserten Beziehungen zwischen den Gruppen beitragen sollen. Ein Beispiel ist die Organisation von Disco-Veranstaltungen durch die Polizei, in deren Verlauf von den örtlichen Polizeistationen gestiftete Preise zu gewinnen sind. Ebenfalls der Verbesserung der Beziehungen zwischen Ordnungskräften und Jugendlichen dienen Sport-Programme, die die Polizei während der Sommermonate mit Kindem und Jugendlichen durchführt. Im Verlauf dieser Aktivitäten werden beispielsweise Fußball-Turniere für verschiedene Altersgruppen organisiert; im Rahmen der ,sports for girls' werden unterschiedliche Sportarten angeboten und Wettkämpfe organisiert, wobei die Gewinner-Teams jeweils eine Gala-Nacht im Polizei-Club verbringen dürfen. Weitere Bestandteile des Sport-Programms sind Angel- und Schwimm-Wettbewerbe, Junior-Box-Turniere und Golf-Turniere. 1988 soll ein Musik-Festival stattfinden, in dessen Rahmen ebenfalls Wettbewerbe stattfinden sollen (Together, a.a. O., S. 10). 5.1.5 Maßnahmen zur Verbesserung der Polizei-Ausstattung

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Die Ausstattung der Polizei mit Wasserwerfern und Reizgas erfolgte in einigen Bezirken, während die "Police Authorities" in anderen Bezirken den notwendigen finanziellen Ausgaben hierfür nicht zustimmten. Heute verfügen die Einsatztruppen über entsprechende Schutzuniformen, Helme und Schutzschilder. Schußwaffen tragen bislang nur die Spezialeinheiten, wie beispielsweise die Mitglieder der SPG. Entsprechend der Empfehlung, die allgemeine Ausrüstung und den Umgang der Polizisten mit einer speziellen anti riots-Ausrüstung zu verbessern, wurde ein Training in der Anwendung von Plastik-Geschossen bei der Polizei eingeführt (Institute of Race Relations, Police Media Research Project, Nr. 26, S. 5).

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5.2 Implementierung der Empfehlungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungssituation Jugendlicher In den 80er Jahren wurde von seitender Regierung mit Hilfe unterschiedlicher 153 Programme versucht, die Berufschancen für Jugendliche zu verbessern und die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das "Community Industry Scheme" beispielsweise besteht seit Anfang der 70er Jahre. Die Anzahl der Regionen, die in diese Maßnahme einbezogen wurden, hat sich mittlerweile beträchtlich erhöht. Das Programm zielt auf Schulabgänger, die aus sozial schwachen Familien stammen und über keinerlei Qualifikation verfügen. Die zu schaffenden Arbeitsplätze sollen durch die Anhindung an ein lokales Projekt von besonderem sozialen Wert sein. Gemeinden können auf diese Weise soziale Dienste einführen bzw. ausbauen. Die Maßnahme dient vorwiegend konkreten Qualifikationsaspekten wie der Schulung einzelner Fähigkeiten oder einem praktischen Kontakt mit der Arbeitswelt. Die Absolventen erhalten für die Dauer eines Jahres einen Basislohn. Finanziert wird das Programm von der staatlichen "Manpower Service Commission" (MSC), einer unserer Bundesanstalt für Arbeit vergleichbaren Einrichtung. Diese Maßnahme wird vorwiegend in wirtschaftlich besonders benachteiligten Regionen durchgeführt. Ein anderes staatliches Beschäftigungsprogramm, das sogenannte "Youth 154 Opportunities Program" (YOP), wurde ebenfalls Anfang der 80er Jahre stärker ausgebaut, um die Mehrheitjunger Leute ohne Arbeit zu erreichen. Ziel dieser Maßnahme ist es, die Berufsaussichten derjenigen Schulabgänger zu verbessern, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt gering sind. Hierbei werden je nach lokaler Gegebenheit von unterschiedlichen Organisationen - Betrieben, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Behörden - oder von Einzelpersonen berufsvorbereitende Maßnahmen durchgeführt. Die Dauer variiert zwischen einem halben bis zu einem Jahr. Die jugendlichen Teilnehmer erhalten während dieser Zeit eine wöchentliche Vergütung von ca. 90,- DM. Die Maßnahme beinhaltet sowohl einen theoretischen Unterricht als auch praxisnahe, überbetriebliche Kurse und praktische Arbeit. Das" Youth Training Scheme" (YTS) ist ein seit September 1983 bestehendes 155 Programm. Die Regierung hatte im Anschluß an die Jugendunruhen zugesichert, daß jeder fortbildungswillige Jugendliche, der an einer solchen Maßnahme teilnehmen wolle, auch einen Platz erhalten würde. Allen 16jährigen Schulabgängern, ob mit oder ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz, sowie allen 17jährigen Arbeitslosen wird im Rahmen dieser Maßnahme ein Ausbildungsplatz in der Wirtschaft für die Dauer eines Jahres angeboten. Mit dem" Young Worker Scheme", das im Januar 1982 in Kraft trat, versucht 156 die Regierung die Einstellungswiligkeit derUnternehmen zu erhöhen, indem sie Zuschüsse für Betriebe bereitstellt, die noch nicht 18jährige Berufsanfänger 4 Gewaltkommission Bd. 1II

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beschäftigen. Die Zahlungen dieses Unterstützungsprogrammes sind auf ein Jahr begrenzt. 157

Eine steigende Zahl von Jugendlichen nimmt diese Angebote wahr (Moon 1983, S. 301 ff.). Eine allgemeine Akzeptanz der Programme kannjedoch daraus nicht abgeleitet werden. Die Ergebnisse von Umfragen unter Jugendlichen deuten darauf hin, daß sich infolge steigender Arbeitslosigkeit immer mehr Schulabgänger schlicht gezwungen sehen, staatliche Angebote anzunehmen (Williamson 1982, S. 99fT.). Die Frage, ob die Jugendlichen nach Beendigung der Maßnahme leichter und schneller einen Arbeitsplatz finden, ist hier nicht zu beantworten.

6. Übertragbarkeit und Anwendbarkeit der Empfehlungen auf die Bundesrepublik Nachdem in der vorliegenden Dokumentation die einzelnen Untersuchungsberichte, ihre Ursachenanalysen, die daraus abgeleiteten Empfehlungen und ihre Implementierung beschrieben wurden, werden im folgenden Aspekte der Übertragbarkeit dieser Empfehlungen auf die Bundesrepublik Deutschland analysiert. 6.1 Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Städte- und VVohnungsbaupolitik 6.1.1 Förderung von Sonderprogrammen

158

Die genannten Empfehlungen zur Minderung des Wohnungsmangels, wie verstärkte öffentliche Wohnungsbauprogramme, Hilfsprogramme für bestimmte Stadtbezirke sowie die Bereitstellung unterschiedlicher Unterkunftstypen in ausreichender Zahl sind in der Bundesrepublik prinzipiell im Rahmen des bestehenden Baugesetzes (ehemals Städtebauförderungsgesetz und Bundesbaugesetz) realisierbar. Die öffentliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus ist auch in Deutschland Teil der Wohnungsbaupolitik und sollte- eine wiederkehrende Äußerung bei unserer Expertenbefragung - weiter ausgebaut werden. Gleiches gilt für Sonderprogramme, wie das geplante Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung im Rahmen der Aussiedlerpolitik. Diese Programme ermöglichen auch in finanziell schwachen Kommunen den Bau von Wohnungen. Gemeinsame Konzepte zwischen Regierung und Kommunalverwaltungen oder auch zwischen Regierung und Wohlfahrtsverbänden hinsichtlich der Bereitstellung notwendiger Finanzmittel sind prinzipiell auch in der BRD realisierbar und könnten z. B. dabei helfen, Übergangswohnraum schnell und preisgünstig zu schaffen.

159

Um Segregation und Stigmatisierung zu vermeiden ist es allerdings wichtig, auf den Bau großer, zusammenhängender Komplexe von Sozialwohnungen zu

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verzichten und ihn durch "kleine Lösungen" wie z. B. den Ankauf und die Renovierung einzelner Häuser, die in verschiedenen Stadtgebieten gelegen sind, zu ersetzen. 6.1.2 Partizipationschancen und Förderung der Identifikation mit dem Wohnbereich

Die in den Kommissionsberichten geforderte Partizipation der Bewohner an 160 Planung und Durchführung von Neubau- und Sanierungsarbeiten ist im Baugesetz (früher Städtebauförderungsgesetz) der Bundesrepublik explizit vorgesehen. Allerdings ergeben sich bei der konkreten kommunalen Umsetzung häufig Probleme. Die Einschaltung einer neutralen Instanz zur Vermittlung zwischen städtischen Behörden und Bewohnern scheint dadurch sinnvoll. So könnten, etwaangesichtsder positiven Erfahrungen, die in vielen Stadtteilen mit der Arbeit der Nachbarschaftsläden gemacht wurden, diese verstärkt gefördert und in die Planung einbezogen werden. Eine explizite Beteiligung Jugendlicher in Mietvertretungen existiert unseres 161 Wissens nach bislang in der BRD nicht; die Bildung eines Jugendbeirates scheint jedoch durchaus realisierbar. In unseren Expertengesprächen wurde zusätzlich die Förderung abgestufter 162 Sanierungskonzepte angeregt. Renovierungen sollten die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner stärker berücksichtigen. Auch wurde darauf hingewiesen, daß etwa die Schaffung von Möglichkeiten des Erwerbs von Wohneigentum zu einer positiven Identifikation mit dem Wohngebiet beitragen kann. 6.1.3 Multifunktionalität des Wohnumfeldes

Die Empfehlungen zur Segregationsvermeidung durch Förderung einer 163 heterogenen Bewohnerstruktur sind auch für bundesrepublikanische Verhält· nisse von hoher Bedeutung, da sich Zuzugstops von Ausländern für bestimmte Wohngebiete als nicht wirksam erwiesen haben und zudem rechtlich wie politisch als problematisch zu beurteilen sind. Um in den "Problemgebieten" eine heterogene Bewohnerstruktur zu erreichen, wird es.als notwendig erachtet, die Wohnviertel für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen attraktiv zu gestalten und Monofunktionalität zu vermeiden. Die in diesem Zusammenhang von den britischen Kommissionen erhobenen Forderungen nach verbesserten Infrastruktureinrichtungen (z. B. Altenbegegnungsstätten, Kindertagesstätten, Jugendzentren etc.) können auch für deutsche Städte gelten. Fachleute weisen dabei auf die Notwendigkeit hin, alle Infrastrukturmaßnahmen mit den Bewohnern abzustimmen, damit sie akzeptiert und nicht als Diskriminierung und Stigmatisierung empfunden werden. Sinnvolle Eigeninitiativen der Bewohner spielen daher eine wichtige Rolle. Sie könnten auch in der Bundesrepublik bezuschußt werden. Eventuelle Erschwernisse durch das bestehende Auflagewe4*

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sen (z. B. Beaufsichtigung von Kindern) können durch Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden und Trägern der Gemeinwesenarbeit geregelt werden. 164

Eine gezielte Dissegregationspolitik kann insbesondere im Rahmen von Umsiedlungsmaßnahmen praktiziert werden.

6.1.4 Förderung der sozialen Integration und Stärkung informeller Kontrolle 165

Auf die Bundesrepublik bezogen erscheint eine Förderung kleiner Interessengemeinschaften (z. B. Familien mit schulpflichtigen Kindern, alleinstehende Personen) im Hinblick auf gute Nachbarschaftsbeziehungen und die Stärkung der sozialen Integration wichtig. Hierzu ist, Expertenmeinungen zufolge, eine gezielte Wohnungsbelegungspolitik, wie sie bereits vereinzelt praktiziert wird, notwendig. Es fehlen jedoch verbindliche gesetzliche Vorgaben.

166

Die von den Untersuchungskommissionen empfohlenen "Überwachungspläne" für bestimmte Wohnviertel bergen, nach Meinung von Praktikern, die Gefahr einer "gegenseitigen Bespitzelung" und können möglicherweise die gezielte Integration sogenannter Problemgruppen erschweren.

6.1.5 Bauliche Maßnalunen 167

Vorschläge zur Gestaltung von Wohnanlagen und Wohnumfeld (etwa die Vermeidung von nichteinsehbaren Bereichen oder einer gleichförmigen, anonymen Gestaltung der Wohngebiete) existieren als Teil einer präventiven Kriminalpolitik in ähnlicher Form auch in Deutschland. Bestehende gesetzliche Regelungen des sozialen Wohnungsbaus (Wohnungsbaugesetz und entsprechende Verwaltungsvorschriften) beschränken sich allerdings zumeist auf das Wohnungsinnere (z. B. Zimmermindestgröße). Die Empfehlungen zur laufenden Instandhaltung und Pflege von Anlagen und Einrichtungen durch die Hausverwaltungen sind übertragbar. In Anlehnung an neuere Modelle der Sozialplanung könnten Eigenleistungen der Bewohner verstärkt honoriert werden (z. B. Beseitigung von Schäden gegen Mietnachlaß).

168

Als zusätzliche Maßnahme bei Sanierungen empfehlen von uns befragte Experten die Vermeidung von Überbelegung (overcrowding), die durch ein Zusammenlegen kleinerer Wohneinheiten erreicht werden könne.

6.1.6 Behördliche I bürokratische Verbesserungen bei der Vergabe von Sozialwohnungen 169

Vorschläge zur positiven Diskriminierung ausländischer Bevölkerungsgruppen bei der Vergabe von Sozialwohnungen kollidieren mit dem Gleichheits-

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grundsatz. Ihre Übertragung ist von daher problematisch. Jedoch ist es nach Expertenmeinung notwendig, Tendenzen einer (negativen) ethnischen Diskriminierung auf dem freien Wohnungsmarkt sowie bei der Vergabe von Sozialwohnungen durch rechtliche Normierung (Antidiskriminierungsgesetz) entgegenzuwirken. Auch Forderungen, Entscheidungskriterien für Wohnungsämter zu erstellen, sind prinzipiell übertragbar und werden von einigen der befragten Experten als notwendig erachtet. Eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Interessenten scheint hingegen nur schwer realisierbar und mit dem Ziel der Dissegregation kaum vereinbar zu sein.

170

Der britische Vorschlag, vollständige Listen der Wohnungsnachfrager zu 171 erstellen und die Praktiken und Kriterien der Vergabe von Sozialwohnungen zu kontrollieren, istjedoch übertragbar und erscheint, den Gesprächen mit unseren Beratern zufolge, auch für die Bundesrepublik sinnvoll. Spezielle Schulungen von Verwaltungsangestellten zum Umgang mit Minderheiten finden in der Bundesrepublik bislang nur ansatzweise statt. Die Teilnahme an entsprechenden Kursen ist freiwillig. Nach Meinung unserer Gesprächspartner sollten spezielle Qualifizierungskurse für das Personal verpflichtend eingeführt werden.

172

Im Rahmen von Modellprojekten gibt es in e1mgen deutschen Städten 173 Hilfsangebote für wohnungssuchende, ausländische Familien (beispielsweise Übersetzung der Antragsformulare, Erläuterungen zum Antrag auf Ausstellung eines Wohnungsberechtigungsscheins u. a. m.). So wurde z. B. in Köln eine zentrale Wohngeldberatungsstelle für Ausländer in den Wohnungsvermittlungsstellen eingerichtet. Dies läßt sich weiter ausbauen. Die bereits erwähnte Koordinationsstelle zwischen Wohnungs-, Sozialpolitik und Jugendhilfe, Wohlfahrtsverbänden und gemeinnützigen Baugesellschaften kann auch bei der Wohnungsvergabe und Erstellung von Entscheidungskriterien hilfreich sein.

174

6.1.7 Personelle Maßnahmen

Durch die Einstellung von Kontroll- und Gleichstellungsbeamten sollen Diskriminierungen in den Wohnungsämtern in Großbritannien verhindert werden. Prinzipiell ist dies auch bei uns realisierbar.

175

Die Rekrutierung von Beamten aus ethnischen Minoritäten, die in den Kommissionsberichten vorgeschlagen wird, wird bei uns durch die bestehenden beamten- und ausländerrechtliehen Bestimmungen jedoch weitgehend verhindert.

176

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6.2 Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Regierungs- und Verwaltungspraxis 6.2.1 Verbesserung der Jugendpolitik und Jugendarbeit 177

Eine systematische Regelung und Institutionalisierung der Koordination und Zusammenarbeit verschiedener Ressorts, die sich mit Problemen Jugendlicher beschäftigen, existiert in der Bundesrepublik nicht. In einigen Städten gibt es jedoch Modellversuche hierzu. In Zusammenhang hiermit kristallisierte sich in unseren Expertengesprächen die Meinung heraus, daß eine verstärkte Zusammenarbeit der mit Jugend befaßten Ressorts, sowohl auf Regierungs- wie auf Kommunalebene, sinnvoll wäre.

178

Unterstützung von Jugend- und Selbsthilfegruppen gibt es bereits teilweise in der Bundesrepublik. Sie kann weiter ausgebaut werden. Neben der Beseitigung bürokratischer Hemmnisse sei insbesondere die Bereitstellung von Räumen und Sachmitteln notwendig.

6.2.2 Verbesserllßg der Integration ethnischer Minoritäten und Abbau rassischer Vorurteile 6.2.2.1 Koordination und Finanzierung von Maßnahmen

179

Vorschläge britischer Untersuchungskommissionen, die Gemeinden bei der Durchführung von Programmen gegen Ausländerfeindlichkeit mit Regierungsgeldern zu unterstützen, könnten auch in der Bundesrepublik hilfreich sein.

6.2.2.2 Bildung und Erziehung

180

Die genannten Empfehlungen der Einrichtung von Sprachschulen und spezieller Zugangskurse für Schüler ethnischer Minoritäten werden teilweise in deutschen Städten bereits praktiziert. In Vorbereitungsklassen und speziellen Förderkursen bereitet man beispielsweise ausländische Kinder auf den Besuch der Regelklassen vor.

181

Der englische Vorschlag, in Stadtgebieten mit hohem ethnischen Bewohneranteil verschiedene "Muttersprachen" in die Lehrpläne einzusetzen, wird bei uns ebenfalls bereits praktiziert. Laufende Modellversuche, wie etwa die Alphabetisierung türkischer Schulanfänger in ihrer Muttersprache, könnten institutionalisiert werden. Vorschläge zur Förderung von Schulreisen in die Herkunftsländer der Schüler werden positiv bewertet. Schulpartnerschaften, mit türkischen Gymnasien etwa, können das Zusammenleben junger ausländischer und deutscher Schüler fördern und beiden Seiten Wissen über Kultur und Tradition der Partner vermitteln.

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6.2.2.3 Arbeit und Beruf

Eine Untersuchung, inwieweit ethnische Minderheiten an speziellen Berufs- 182 förderungsprogrammenund Kursen teilnehmen, ist auch in der Bundesrepublik sinnvoll. In diesem Zusammenhang scheint eine verstärkte Werbung für bestehende Programme angesichts der hohen Zahl von Langzeit-Arbeitslosen notwendig zu sein. Auch die Empfehlung des Ausbaus von speziellen Beratungsdiensten für 183 Angehörige ethnischer Minoritäten läßt sich auf die Bundesrepublik übertragen. Diese Aufgabe könnte, nach Meinung von Experten, von den Arbeitsämtern in Bezirken mit einem besonders hohen Ausländeranteil übernommen werden. Von uns befragte Experten unterstützen die britischen Vorschläge, Kredit- 184 Sicherungs- und Beratungsprogramme für Angehörige ethnischer Minderheiten in "Problemgebieten" versuchsweise einzurichten. Weiterhin könnte eine zentrale Stelle die verschiedenen kommunalen Unter- 185 suchungen sichten, auswerten und somit eine Koordination und Erfahrungsaustausch gewährleisten. Hier besteht die Möglichkeit präventive Maßnahmen für Städte und Gemeinden zu konzipieren, die in absehbarer Zeit mit Problemen ethnischer Minoritäten konfrontiert werden. 6.2.2.4 Soziales

Die Einrichtung von Beratungsstellen für ausländische Bevölkerungsgruppen 186 bei den örtlichen Behörden ist übertragbar. Sie könnten für die unterschiedlichsten Bereiche (Schule, Familie, Arbeit, Ausbildung, soziale Dienste, rechtliche Fragen etc.) Informationen über die gesetzlichen und organisatorischen Regelungen vermitteln und die Ratsuchenden an die zuständigen Dienststellen und Beratungsstellen verweisen. Ausländerbeauftragte der Landesregierungen gibt es allerdings erst in drei Bundesländern. Diese Institution hat sich z. B. in Berlin bewährt. Der Vorschlag einer gemeinsamen Initiative von Regierung und örtlichen 187 Verwaltungen hinsichtlich der Einrichtung von Kindertagesstätten ist prinzipiell übertragbar. Angesichts der hohen Erwerbsquote ausländischer Frauen ist zu prüfen, inwieweit das vielerorts unzureichende Angebot an Kinder-, Tages- oder Wochenpflegestellen verbessert werden kann.

6.3 Übertragbarkeit der Empfehlungen im Bereich ErzieJmng und Schule 6.3.1 Verbesserung der Kooperation und Integration von Schule und Gemeinde Die empfohlene stärkere Einbeziehung von Eltern in das Schulgeschehen ist 188 realisierbar. Unsere Gesprächspartner waren der Meinung, daß dies auch in der

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Bundesrepublik geschehen könnte. Damit würde zudem ausländischen Eltern die "Schwellenangst" vor behördlichen Institutionen genommen. Ein Ausbau des Angebotes zur Erwachsenenbildung in den Schulen der betroffenen Stadtteile könne hierbei durchaus hilfreich sein. Entsprechende Aktivitäten zur Verbesserung der Kooperation und Integration von Schule und Gemeinde werden in Ansätzen, beispielsweise über Jugendkulturprojekte, versucht. Sie liegen allerdings bisher größtenteils in der Initiative der Schulen und gründen sich weitgehend auf unbezahlte Mehrarbeit von Lehrern, weshalb eine kontinuierliche und systematische Arbeit in Frage gestellt ist. Auch kommunale und ehrenamtliche Initiativen wie Arbeitsgemeinschaften und Gruppenaktivitäten sind dann besonders erfolgreich, wenn sie über die Schulen die ausländische Bevökerungsgruppen erreichen. 6.3.2 Berücksichtigung multi-ethnischer Aspekte im Unterricht 189

Die Berücksichtigung multi-ethnischer Aspekte im Unterricht ist auf die Bundesrepublik übertragbar und wird teilweise bereits praktiziert. Experten erachten es jedoch als notwendig, spezifische Curricula zu erstellen. Vorschläge, bereits in den Vorschulen ethnische Besonderheiten der Kinder zu berücksichtigen, sind ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragbar. Zur Realisierung wird eine Fortbildung für sozialpädagogische Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen und Vorschulen, in denen der Anteil der Ausländerkinder über 10% liegt, als sinnvoll erachtet. Zusätzliche Maßnahmen, z. B. musische, sportliche und handwerkliche Angebote mit möglichst multikulturellem Charakter können auch an Haupt-, Grund- und Sonderschulen eingeführt werden. 6.3.3 Verbesserung der Lehrerausbildung

190

191

Qualifikations- und Erfahrungsdefizite deutscher Lehrer im Umgang mit ausländischen Kindem sollten, Expertenmeinungen zufolge, spätestens während des Referendariats kompensiert werden. Spezielle sprachpädagogische und sozialpsychologische Zusatzausbildungsmöglichkeiten können eingerichtet werden. Nachdem bereits vereinzelt türkische Lehrer eingestellt worden sind, sollte dies auch bei anderen Nationalitäten geschehen.

6.4 Übertragbarkeit der Empfehlungen in den Bereichen Berufsausbildung und Beschäftigung 6.4.1 Koordination und Integration der Maßnahmen und Programme 192

Die britischen Empfehlungen einer verstärkten Zusammenarbeit der mit Berufsausbildung und Beschäftigung befaßten Dienststellen sind prinzipiell

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auch in der BRD umsetzbar. Eine weitreichende Koordination und Integration der Maßnahmen könnte, Fachgesprächen zufolge, durch die Schaffung einer "Querschnittsstelle" in den Verwaltungen erreicht werden. Hier sollten die positiven Erfahrungen genutzt werden, die bereits in einigen Kommunen mit der Arbeit von Verbundsystemen gemacht wurden. Die Empfehlungen an die Arbeitsämter, offene Stellen mit Arbeitssuchenden 193 aus "Problemgebieten" zu besetzen, widersprechen dem verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz in der Bundesrepublik. Nichtsdestoweniger können konkrete stadtteilbezogene Arbeitsbeschäftigungsprojekte bevorzugt auf Arbeitslose der Stadtteile selbst zurückgreifen. 6.4.2 Arbeitsplatzförderung durch Unterstützung der örtlichen Wirtschaft

Eine Förderung öffentlicher und privater Arbeitgeber, die Jugendliche und 194 junge Erwachsene aus Problemgebieten einstellen, ist auch in der Bundesrepublik zu verwirklichen. Die Empfehlungen englischer Untersuchungskommissionen, öffentliche Ausschreibungen von stadtteilbezogenen Projekten mit der Auflage zu verbinden, Ortsansässige einzustellen, sind leicht übertragbar. Auch der Vorschlag der speziellen Förderung von Klein- und Mittelbetrieben 195 ist übertragbar und sinnvoll, da gerade diese Betriebe (die an der bestehenden Wirtschaftsförderung oft nicht partizipieren) in Problemgebieten zur Stärkung der Wirtschaftskraft beitragen können. Maßnahmen zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaft wie die empfohlenen 196 Kooperationen zwischen gemeinnützigen Vereinen, Bürgergruppen, Initiativen und privaten Wirtschaftsunternehmen sind ebenfalls übertragbar und werden teilweise bereits von bestehenden Verbundsystemen praktiziert. Spezielle Programme, wie beispielsweise in Berlin, in deren Rahmen die Stadt die Lohnkosten der Jugendlichen übernimmt, die sich selbst einen Arbeitsplatz gesucht haben, können weiter ausgebaut werden. 6.4.3 Berufsförderungs- und Beschäftigungsprogramme ftir Jugendliche

Die Instrumente zur Durchsetzung der empfohlenen Beschäftigungsmaßnah- 197 men existieren in der Bundesrepublik, wenngleich sich zunehmend finanzielle Schwierigkeiten zeigen. Im Hinblick auf den bestehenden Maßnahmenkatalog wie etwa Förderlehrgänge, Qualifizierungslehrgänge, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, erscheint es nach Auffassung der von uns befragten Experten notwendig, geänderte gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die den Übergang zu einer jeweils weiterführenden Qualifikation erleichtern. Da in der Bundesrepublik zur Zeit trotz Entwarnung auf dem Lehrstellenmarkt eine hohe Zahl von Langzeit-Arbeitslosen bzw. schwervermittelbaren Jugendlichen und mittlerweile auch Erwachsenen zu verzeichnen ist, die noch nie in einem Ausbildungs- bzw.

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Beschäftigungsverhältnis standen, seien pädagogische Programme notwendig, die innerhalb von Betrieben die (Wieder-)Herstellung der Arbeitsfähigkeit für diese Personengruppen anstreben (Berufspraktisches Jahr). 198

In Zusammenhang mit der Ausbildung ausländischer Jugendlicher weisen Experten auf einen zusätzlichen Aspekt hin. Da die Eltern i.d. R. großen Einfluß auf die Motivation von Jugendlichen zur Absolvierung einer Ausbildung haben, sei eine verstärkte Elternarbeit geboten.

199

Wie in Großbritannien können auch in der Bundesrepublik "nichtstaatliche Stellen" Maßnahmen zur Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher realisieren. So können beispielsweise gerade die Kammern und Arbeitgeberverbände durch ihre Nähe zu den Betrieben eine effektive, praxisnahe Ausbildung bieten. 6.4.4 Einzelmaßnahmen zur Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher,

200

Die vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen sind ,prinzipiell übertragbar und werden auflokaler Ebene bereits teilweise praktiziert. So erledigen beispielsweise in Trier im Rahmen eines sogenannten Bürgerservice jugendliche Arbeitslose bei entsprechender Bezahlung und sozialer Absicherung Tätigkeiten wie Botengänge, Gartenarbeiten, Umzüge, Transporte, Renovierungen u.a.m. In diesem Zusammenhang könnte ein Einsatz in Bereichen des Umweltschutzes, der Landschaftspflege und der Müllverwertung angestrebt werden. Eine Konkurrenz mit privatwirtschaftliehen Unternehmen ist hierbei weitgehend ausgeschaltet, da diese Tätigkeiten Aufgabenbereiche der Kommunen darstellen. Zudem besteht für Jugendliche die Chance, in ein festes Beschäftigungsverhältnis übernommen zu werden.

6.5 Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Sozialpolitik 201

Wie in Großbritannien ist in der Bundesrepublik die Unterstützung und Förderung von Gemeinwesenarbeit und die vermehrte Einrichtung sozialer Dienste in "Problemgebieten" notwendig.

202

Da auch in der Bundesrepublik Ausländer häufig der Zugang zu Freizeiteinrichtungen (Diskotheken beispielsweise) verwehrt wird, sollte nach Auffassung ,der von uns befragten Experten durch Ergänzung der Strafrechte bzw. durch Schaffung besonderer Schutzgesetze solchen Diskriminierungen entgegengewirkt werden. Auch sei es notwendig, die integrierende Funktion der Vereine besonders im Hinblick auf die ausländischen Mitbürger zu fördern. Hier könnte von politischer Seite auf die entsprechenden Verbände eingewirkt werden, z. B. bestehende "Deutschen-Vorbehalte" (Ausgrenzung der Ausländer bei der Teilnahme an Wettkämpfen und Meisterschaften) aufzuheben.

203

Da die Integration der jungen Ausländer im Freizeitbereich unzureichend ist und Jugendarbeit mit Ausländern nicht systematisch betrieben, sondern

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allenfalls auf der Initiative engagierter Mitarbeiter von Jugend- und Sportverbänden beruht, scheint es notwendig zu sein, in Stadtgebieten mit einem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil Freizeitangebote auch an den Bedürfnissen der Ausländer auszurichten. Vor allem Mädchen könnten von ausländeradäquaten Angeboten in internationalen Jugend-, Frauen- und Familienzentren profitieren. Die britischen Empfehlungen einer verstärkten Förderung der Dezentralisie- 204 rung der Dienstleistungen im Gesundheits- und Pflegebereich, wie ambulante Dienste und Sozialstationen, sind übertragbar. Mindesteinkommen sind in der Bundesrepublik i. d. R. über Sozialhilfe 205 gesichert. Vorstellungen, den Bezug von Arbeitslosengeld für unter 25jährige zu kürzen und das Arbeitsförderungsgesetz zu novellieren, sollten unter sozialpolitischer Perspektive überdacht werden.

6.6 Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Polizeipraxis 6.6.1 Rekrutierung von Polizeibeamten aus ethnischen Minderheiten und Problemgebieten

Die Rekrutierung von Beamten aus ethnischen Minderheiten ist möglich und 206 kann, da das Verhältnis zwischen ausländischer Bevölkerung und Polizei in Deutschland noch weniger belastet ist als in Großbritannien, einen erheblichen Beitrag zur Prävention von Konflikten zwischen Polizei und ausländischen Bevölkerungsgruppen leisten. Freilich stehen dem gegenwärtig ausländerrechtliehe Bestimmungen entgegen. Zum einen können sich in Deutschland auf Beamtenstellen nur deutsche Staatsbürger bewerben, zum anderen werdenjunge Türken im wehrfähigen Alter nicht aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen, bevor sie den Wehrdienst in der Türkei geleistet haben. Dies wiederum verhindert ihre Einstellung als Polizeischüler. Hier ließe sich eine politische Lösung finden, etwa in Form von Abkommen mit den betreffenden Ländern oder auch der Zulassung einer Doppelstaatsbürgerschaft in der Bundesrepublik. 6.6.2 Verbesserung der Polizeiausbildung und Überprüfung bei den Einstellungsvoraussetzungen

Aufgrund der im Vergleich zu Großbritannien längeren und intensiveren 207 Ausbildung der Polizei in der Bundesrepublik sind die Vorschläge in diesem Bereich nicht auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik anwendbar. Die Empfehlungen der britischen Kommissionen zur Verbesserung der 208 Ausbildung hinsichtlich des Verhaltens in Konfliktsituationen sind jedoch übertragbar und sind in einzelnen Bundesländern ansatzweise realisiert. Das gleiche gilt für die Vorschläge einer verbesserten psychologischen Betreuung von Beamten vor und nach den Einsätzen.

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6.6.3 Methoden und Vorgehensweise der Polizei 209

Die Überprüfung von Polizeimethoden hinsichtlich ihres Eskalationsbeitrages, wie in den verschiedenen Kommissionsberichten gefordert, ist nach unserer Meinung auch in der Bundesrepublik geboten.

210

Ebenfalls läßt sich die Empfehlung des eingeschränkten Einsatzes von Sandereinsatz-Kommandos in bestimmten Stadtgebieten durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragen. Hier erscheint es notwendig, SEK's stärker in die Bereitschaftspolizei zu integrieren. 6.6.4 Verstärkte Kontrolle der Polizei

211

Das Konzept, unabhängige Kontrollinstanzen einzuführen, die die Verhaltensweise der Polizei kontrollieren und sie dadurch auch von dem Vorwurf des Fehlverhaltens entlasten können, ist auf die Bundesrepublik übertragbar. Allerdings dürfte es bei der Einführung einer unabhängigen Kontroll- und Beschwerdeinstanz Schwierigkeiten aus der Abstimmung zwischen Bund und Ländern geben. Eine solche Maßnahme ist nicht ohne verbindliche gesetzliche Regelungen durchführbar.

212

Der Vorschlag, sogenannte Verbindungszentren einzurichten, in denen Vertreter der verschiedenen Polizei-Dienststellen, Repräsentanten der Gemeinden und Mitarbeiter aus Jugend- und Sozialämtern sich zur Beratung und Information treffen, ist auf die Bundesrepublik übertragbar.

213

Auch die britische Empfehlung, die Uniform der Polizeibeamten mit Erkennungsnummern auszustatten, ist prinzipiell realisierbar. 6.6.5 Verbesserung der Police-Community Beziehungen durch "co-operative policing"

214

Der Einsatz von Kontaktbereichsbeamten wird in der Bundesrepublik bereits in einigen Stadtteilen praktiziert.

215

Die Dezentralisierung, bzw. Wiedereinrichtung kleiner lokaler Polizeistationen ist auch in Deutschland möglich. Die britischen Empfehlungen zu einer engen Zusammenarbeit mit Repräsentanten verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Förderung eines gegenseitigen Vertrauensverhältnisses sind ebenfalls übertragbar. 6.6.6 Verbesserung der Polizeiausrüstung

216

Die Empfehlung, die die britischen Untersuchungskommissionen zur Verbesserung der Polizeiausstattung anregten, sind auf die Bundesrepublik nicht übertragbar, da die Ausrüstung der deutschen Polizisten wesentlich besser ist.

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Die britische Polizei verfügte zur Zeit der Jugendunruhen über keine adäquate Ausstattung.

6.7 Übertragbarkeit der Empfehlungen zur Medienpraxis Die an die Medien gerichteten Empfehlungen sind auf die Verhältnisse in der 217 Bundesrepublik übertragbar. Sie haben freilich eher Appellcharakter, weil gesetzliche Einschränkungen einen Eingriff in die Pressefreiheit bedeuten würden.

7. Abschließende Bemerkungen Die in diesem Bericht skizzierten Empfehlungen sind im Rahmen einer 218 generellen Prävention von Gewalt von Bedeutung. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Integration von Jugendlichen der zweiten und dritten Ausländergeneration in die Gesellschaft Großbritanniens sowie auf den polizeilichen Umgang mit diesen Jugendlichen. Die Konflikte in Großbritannien sind aus einer Sequenz von Segregation, Arbeitslosigkeit und Stigmatisierung entstanden. Diese Sequenz kann als allgemeine Regelmäßigkeit angesehen werden und ist nicht auf besondere Bedingungen in Großbritannien zurückzuführen. Die vorgeschlagenen politischen und administrativen Interventionen können freilich nicht als Einzelmaßnahmen ihre Wirkung entfalten, sondern müssen ihren Platz im Rahmen einer integrierten, bereichsübergreifend koordinierten politischen Konzeption finden. Die Handlungsmöglichkeiten, die in Großbritannien vorgeschlagen werden 219 und auf die Bundesrepublik übertragen werden können, sind vielfältig. Dennoch dürfte es auch mit ihrer Hilfe nicht gelingen, einen unbegrenzten Einwandererstrom zu integrieren. So reizvoll die Perspektive einer multikulturellen Gesellschaft, so unwiderruflich auch die Entwicklung einer Weltgesellschaft, so unabdingbar darum der Übergang von einer Nachbarschaftsethik zu einer Weltethik ist, - so begrenzt ist darum doch die Integrationskapazität von Gesellschaften in einem gegebenen Zeitraum. Es hat den Anschein, daß Frankreich und Großbritannien an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gekommen sind. Kein Grund besteht aber zu der Annahme, daß gerade wir Deutsche auf diesem Gebiet besondere Fähigkeiten hätten. Versuche, einen massiven Einwandererstrom mit humanen Mitteln zu begrenzen, dürften daher gerade dem Rassismus vorbeugen, den man ihnen zunächst vorzuwerfen geneigt ist.

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Darstellung und Auswertung des Berichts der von Alain Peyrefitte geleiteten Kommission "Antworten auf die Gewalt" an den Präsidenten der französischen Republik (1977) sowie Untersuchung über die Auswirkungen des Berichts und die weitere Entwicklung Konrad Hohe

Inhaltsübersicht A. Anlaß, Struktur und Erarbeitung des Berichts ....... ... ................ . . I. Anlaß und Struktur ... ... . . .. . .. ....... ... . .. ...... . . . . .. . ..... . II. Erarbeitung

72 72 72

B. Aussagen des Berichts zur Gewalt ................... .. ................ . I. Gewalt überhaupt ..... . .. .................. ... ................ . II. Politisch motivierte Gewalt ................. . . . ............. .... . III. Gewalt auf Straßen und Plätzen .............. . ............ . .... . . IV. Gewalt im Stadion .. .... ...... . . . ......... .. .......... . ...... . . V. Gewalt in der Schule .. . ....... ... ........ . . . ..... . . . .. . ..... .. . VI. Gewalt in der Familie .. .... ...... .. ........ ... ................. .

73 73 75 75

C. Ursachen der Gewalt ...... .... ................. .. ...... . ...... .. ... . I. Allgemeines ..... . ... ... ................. ... .............. .... . II. Stand der Forschung . .. . .. ................. .. ................. . . III. Die einzelnen Faktoren .. ... . .............. .. .................. . 1. Die Spuren der Vergangenheit ... ....... ... .... .... ......... . . . 2. Einfluß der Massenkommunikationsmittel . ... ..... .. . .. ...... . . . 3. Psychologische Faktoren . . ... . . .. .... .... .. . . .... .. . ... ...... . 4. Biologische Daten . .... . . .. .. ............ .. ................ . . 5. Die Rolle des Alkohols ................ . . .. ................. . . 6. Der Stellenwert des Betäubungsmittelmißbrauchs .. . ........... . . 7. Geringe Aussagekraft der bisher erwähnten Faktoren . . .. . .. .... . . 8. Die Gewalt als Antwort auf Frustrationen ... ... . .. . ... . ....... . . a) Die Schattenseiten des wirtschaftlichen Wachstums ..... ... . . . aa) Gewalt im Verhältnis zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Arbeitslosigkeit ..... . ...... . . . . ... ............. . ... . . bb) Gewalt und Arbeit . . ......... ..... ..... . ........... . . cc) Wirtschaftswachstum und Randgruppen .............. . . . dd) Die Krise der Familie .......... .. .......... . ....... . . ee) Jugend und Gewalt ..... .... . .... .. .... . .. .. . .. .... . . b) Die Überflußgesellschaft .. . .. . ... .. ... .. ............ ..... . aa) Die Organisation der Verlockung . ....... .. . .. . . . . ..... . bb) Gewalt infolge wirtschaftlicher Berechnung . .. . ........ . . cc) Gewalt und Gerechtigkeitssinn . . ... .................. . . c) Der Wildwuchs im Städtebau ...... .... ................ ... . aa) Städtebaulicher Typus; Gebäudehöhe .... . ............. . bb) Entmischung der Bevölkerung . ... ......... . .......... . cc) Entpersönlichung der Bevölkerung ...... .. ............ . 9. Gewalt als Gesprächsersatz .. . . ... . . . . .. ...... ... ............ . a) Gewalt als Schrei der Stummen ..... ... ...... .... ........ . .

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81 81 82 83 83 84 84 85 85

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70

Inhaltsübersicht b) Gewalt als Schrei derer, die sich im Dickicht der Vorschriften verloren haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Der Stand der Prävention

90

E. Der Zustand der Stnfrechtspßege ...................... . .......... . .. . I. Die Strafgesetzgebung . . . ............................... .. ..... . II. Die StrafVerfolgung ...... . ................ . . . ............. . . . .. . III. Die Sanktionstätigkeit der Gerichte ....... ... . . ............... . . . . IV. StrafVollzug .......... .. ........ . ...... . ... . .......... . ..... . . . V. Die Wiedereingliederung .. ..... .. .. ....... ... . . .. ....... . ...... .

90 91 91 91 91 91

F. Die Empfehlungen . .... . . .. . .... . . . .. ..... ...... . ... . ... .... . ...... . I. Gliederung ........... ... .... . ........... ... .................. . II. Die Schaffung der Voraussetzungen, fundierte Vorschläge machen zu können ........... . .. .... .............. .... .............. .... . 1. Die Statistiken .. . .... . ......... .. ....... . ............ . .... . . 2. Die Lage der Forsch1.mg ............. . .... . .................. . III. Präventive, insbes. sozialpräventive Maßnahmen . ............ . ..... . 1. Städtebau ... ..... . ... . ... ... .. .. .. . .. . ... .. .. . . . .. . ....... . 2. Verlust der Kultur .... ...... . .. . ...... ... ................ . .. . 3. Machtmißbrauch . .... .... .. ......... . .. .. . . ......... . . .. ... . 4. Kriminalität des Wirtschaftslebens . ... . .. ... .............. .. .. . 5. Schutz der Familie . .. . ................. .. ............ . .... .. . 6. Massenmedien .... .. .... ... . ..... .. .. .. .. . .. . . .. . . ..... . ... . 7. Alkoholismus und Medizin .. . .. . . . ....... . ... .. .. .. .. . ...... . 8. Jugendschutz .. .. ... .. ... ... ... .. .... . . .. ....... . . . .. . ..... . 9. Sicherheit der Gebäude ....... . ....... .... ......... . . . ...... . IV. Strafrechtspflege 1. Die Polizei 2. Das Gerichtswesen ... .................. . ................ .. . . 3. Die internationale Zusammenarbeit . ..... .. ................... . 4. Das Strafrechtssystem . . .. .. . ... ... .. ... ..... ... . . .......... . . 5. Sachverständigengutachten ..... .... .. ... .... ....... . ......... . 6. StrafVollstreckung .. ... ... ......... ........ . ......... . . .. ... . . 7. Todesstrafe ........................ .... ....... . .......... .. . V. Einrichtungen

92 92

G. Beurteilung des Peyrefitte-Berichts ............ . ... . . . . . .. . ...... ..... . . I. Die Darstellung der Gewalt .. . . ... .... .... . . .... . ... . ...... . . . . . . II. Die Analyse der Wurzeln der Gewalt . . .. . . .. . . .. . .. . . . . .. .. .. ... . III. Die Empfehlungen . . .. ..... . . ... . ... .. . . . .... ... .. . ... ... .. . . . . 1. Die Instrumente der wissenschaftlichen Forschung .. .. ......... . . 2. Präventive Maßnahmen .......... .. . .... ................ . .. . . 3. Strafrechtspflege ... . ................. . .. ........ . ........ ... .

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H. Die weitere Entwicklung ........ .. . . .. . ..... .. ....... ... .......... .. . l12 I. Der Forschungsstand, der Gewaltbegriff, die Erscheinungen der Gewalt, die Mitberücksichtigung des Opfers . . ... ... . ... ...... .... ... . ...... . . l12 II. Präventive Maßnahmen ..... . .. . .... . .. . .. ....... .. .......... .. . ll3

Inhaltsübersicht

m.

1. Der Chavanon-Bericht .. .................. .. ................. . 2. Der Bericht der Bürgermeister (Bonnemaison-Bericht) ... . ..... .. . 3. Der Nationale Rat für Verbrechensverhütung und die Kommunalen Räte (1983-1988) . . ..... .. .................. . . . ................ .. . a) Konzeption, Arbeitsweise .............. .. ................. . b) Arbeit der Kommunalen Räte, einzelne Maßnahmen ..... . . .. . c) Wirksamkeitskontrolle ............ . .. . . . ............ . . .. . . 4. Die Nationale Kommission für die soziale Entwicklung von Stadtteilen (1981-1988) .. . .... .... .......... . ..... .... .......... . .... .. . 5. Schaffung eines nationalen Rates der Städte und der sozialen Stadtentwicklung sowie weiterer Gremien (1988) . .. .......... . ....... .. . 6. Forum von Städten und Regionen in Europa für die Sicherheit in den Städten .......... ... . .. .. . ........... ... . . .............. . . . Strafrechtspflege ..... ... ................ .. . . ............. .. .. . . 1. Das Gesetz "Sicherheit und Freiheit" .... . . .. ............... ... . 2. Einführung der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Sanktion .. . 3. Umgang der Strafjustiz mit "zivilem Ungehorsam" .. . .... . . ... . . . 4. Internationale Zusammenarbeit . ......... . . . .............. . ... .

71

113 113 114 114 115 118 118 120 121 122 122 122 123 123

I. BeurteßUDg der weiteren EntwicldUDg, Auswirkungen des Peyrefitte-Bericbts

123

J. Die Übertngbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schaffung der wissenschaftlichen Voraussetzungen flir geeignete Empfehlungen . .... . ....... .. .................. .. ........ . . ..... ...... m. Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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K. Fundstellenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 L. Litenaturveneichnis. Weitere Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

A. Anlaß, Struktur und Erarbeitung des Berichts I. Anlaß und Struktur Anlaß des Berichts war die Verunsicherung der französischen Bevölkerung durch Gewaltakte, insbesondere durch kriminelle Gewalttätigkeiten. Diese Themenstellung ist bemerkenswert. In einem Land, das großen Wert auf Sicherheit legt, wird die Verunsicherung der Bevölkerung als eigener Gegenstand ernstgenommen. 2

Der Bericht befaßt sich deshalb als Ausgangspunkt mit der Frage, durch welche vermittelnden Faktoren in der Öffentlichkeit das Bild von der Gewalttätigkeit und den staatlichen vorbeugenden oder repressiven Reaktionen hierauf geprägt wird; er erörtert im weiteren verschiedene Ausformungen der Gewalt, aber auch der sonstigen Kriminalität und der Delinquenz, sowie der Formen der Reaktionen hierauf, und auch die Kosten der Kriminalität (1. Teil des Berichts). Alsdann geht er auf die Wurzeln der Gewalt ein (II. Teil des Berichts). Er schließt mit 105 Empfehlungen zur Forschung und zum Zustand der Statistiken sowie- in der Hauptsache- zur präventiven und repressiven Auseinandersetzung insbesondere mit der Gewalt (111. Teil des Berichts).

II. Erarbeitung 3

Der Bericht stammt von einer zwölfköpfigen Kommission, deren Präsident Alain Peyrefitte war. (Der Bericht wird deshalb im weiteren auch PeyrefitteBericht genannt, um Verwechslungen mit anderen Berichten zu vermeiden). Peyrefitte wurde kurz vor Abschluß des Berichts zum Justizminister ernannt. Auch die übrigen Kommissionsmitglieder waren hochangesehene Wissenschaftler oder Praktiker (u. a. Jacques Uaute und Robert Schmelck). Die Kommission bildete fünf Arbeitsgruppen. Jeder der Arbeitsgruppe gehörten zwei Mitglieder der Kommission sowie bis zu vier weitere Mitglieder an. Kommission und Arbeitsgruppen haben insgesamt über hundert Fachleute angehört. Zur Unterstützung der Arbeitsgruppen hat ferner die Kommission insgesamt 34 Einzeluntersuchungen durchführen lassen. Die Kommission wurde durch ein Dekret vom März 1976 konstituiert. Sie begann im April1976 ihre Arbeit. Der Bericht lag im Juli 1977 vor. Er wurde also in einer überaus kurzen Zeit erstellt.

4

Der Peyrefitte-Bericht gliedert sich in einen Generalbericht von knapp 200 Seiten sowie in die Berichte der fünf Arbeitsgruppen. Deren Hauptergebnisse sind in den Generalbericht aufgenommen. Als Anhang sind in sieben weiteren

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Bänden die durchgeführten Einzeluntersuchungen sowie eine Literaturdokumentation angefügt.

8. Aussagen des Berichts zur Gewalt I. Gewalt überhaupt Der Bericht weist auf die Schwierigkeiten hin, den Gegenstand der Untersu- 5 chung, die Gewalt, einigermaßen klar zu umgrenzen. Es handelt sich, so wird ausgeführt, einmal um die Gewalt eines einzelnen, der 6 versucht, einen anderen an seinem Leibe oder seiner Seele zu treffen. Die Gewalt kannjedoch auch von Gruppen ausgehen. Sie wird oft eingesetzt, um bestimmte genau festgesetzte Ziele zu erreichen. Die Gewaltausübung kann jedoch auch ohne bestimmtes Ziel erfolgen, lediglich um dem Ausübenden der Gewalt eine Befriedigung zu bereiten. Gewalt ist ferner nicht nur eine Tätigkeit, sondern auch ein Zustand: Es gibt Gewaltsituationen. Gewalt und Gewaltausübung wird in aller Regel negativ beurteilt. Gewaltaus- 7 übung kann jedoch auch geduldet oder sogar legitim sein. Abgesehen von Kriegen geschieht dieses in Fällen der Notwehr sowie bei sportlichen und spielerischen Aktivitäten. Die Gewalt ist zu unterscheiden von der Kraft. Die Kraft ist eine neutrale 8 Möglichkeit, während die Gewalt zumeist die Verletzung gebilligter Regeln darstellt. Die Gewalt ist auch von der Aggressivität zu unterscheiden. Unter "Aggressi- 9 vität" wird die Neigung verstanden, andere anzugreifen. Diese Aggressivität braucht jedoch nicht immer Gewalt zu sein. Die Gewalt ist somit keine einfache Äußerung der Kraft oder der Aggressivi- 10 tät. Sie steht im ständigen Zusammenhang von Entgegensetzungen, im Zentrum der Beziehungen, die den einzelnen und die Gesellschaft, sowie einen einzelnen von einem anderen verbinden und trennen. Eine erste Umschreibung geht dahin, in der Gewalt jeden unberechtigten oder 11 als unberechtigt wahrgenommenen Angriff auf die Freiheit anzusehen, die die Gesellschaft ausdrücklich oder stillschweigend ihren Mitgliedern zuerkennt. In diesem Sinn umfaßt die Gewalt einen wesentlichen Bereich der Kriminali- 12 tät. Dementsprechend gibt der Bericht einen Überblick über die Entwicklung der Kriminalität und die Arten der Kriminellen. Im vorstehenden Zusammenhang sind hierüber mcht die Einzelheiten, wohl 13 aber die generellen Tendenzen, die sich abzeichnen, von Interesse. Es sind die folgenden. Der Umfang des Dunkelfeldes ist schlecht abschätzbar, dürfte jedoch bei Gewalttaten, ausgenommen die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung,

14

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gering sein. Selbst die statistischen Daten sind jedoch, zumal für die weiter zurückliegende Zeit, nur begrenzt feststellbar. 15 Nach verschiedenen Schwankungen war der Zuwachs der Gewaltkriminalität ab 1971 erstmals größer als der Bevölkerungszuwachs. Die einzelnen Bereiche der Gewaltkriminalität zeigten dabei verschiedene Tendenzen. Dieselbe Entwicklung bestand in fast allen lndustrieländern. 16

Der Anteil der Frauenkriminalität ist, im Gegensatz zur Kriminalität der Männer, nur ganz geringfügig gestiegen.

17

Die höchste Kriminalitätsbelastung liegt bei den 16 bis 30jährigen, mit Höhepunkt bei den 21jährigen, bzw., mit Hinblick auf die Gewaltkrirninalität, bei den 18jährigen. Der Anteil der jungen Straftäter wächst.

18

Die Straftaten werden konzentriert in den großen Städten begangen. 1976 geschahen 3/s aller bekannt gewordenen Gewaltdelikte in 7 der 94 Departements; es waren die Departements mit den Großstädten. Vor den Jugendgerichten in Paris und Marseille waren 1976 30% aller Jugendsachen anhängig.

19

Die Kriminalitätsbelastung der Ausländer ist, statistisch-global gesehen, höher als die der Franzosen. Es handelt sich jedoch bei ihnen überwiegend um Personen im deliktsgeneigten Alter. Umgekehrt waren die Ausländer häufiger Opfer von Straftaten als die Franzosen.

20

Es ist jedoch zu eng, den Begriff der Gewalt einzugrenzen auf die gewichtigere Kriminalität. Der Bericht lehnt es aber auch ab, sich einer der allgemein oder in bestimmten Kreisen vertretenen Auffassung von Gewalt anzuschließen.

21

Er nimmt deshalb als Leitlinie der Umgrenzung dasjenige, was Anlaß für den gesamten Bericht war: Das Gefühl der Unsicherheit bzw. der Verunsicherung, das in Frankreich entstanden war. Der Bericht konzentriert sich deshalb auf die gewalttätigen Verhaltensweisen, die zu der Unsicherheit geführt haben. Hierzu gehört in erster Linie die Gewaltkriminalität. Hinzu treten jedoch auch Gewalttätigkeiten im Bereich der Wirtschaft und im Arbeitsleben. Ausgeschlossen aus der Erörterung werden zugelassene Formen der Gewalt, wie z. B. bei bestimmten Sportarten, ferner die als berechtigt angesehenen Formen der Gewaltausübung sowie die Kriege und der politische Terrorismus. Es wird jedoch deutlich gemacht, daß auch Handlungen, die dem Recht nicht widersprechen - z. B. Betriebsstillegungen aus wirtschaftlichen Gründen - von den Betroffenen als Gewaltausübung angesehen werden und Anlaß sein können, hierauf mit - pönalisierter - Gewalt zu antworten.

22

Der Untersuchungsbereich der französischen Kommission ist umfangreich. Er umfaßt insbesondere auch die Fragen des staatlichen und des wirtschaftlichen Machtmißbrauchs und der Gewalt bei Arbeitskämpfen. Andererseits differenziert der Bericht so gut wie gar nicht nach einzelnen Bereichen. Der Schwerpunkt liegt darin, für die Gewalt, wie auch immer sie sich differenziert, die Wurzeln aufzudecken und Konzepte zur Prävention, die sich

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an den Ursachen orientieren, und zur Repression der Gewalt überhaupt zu entwickeln.

II. Politisch motivierte Gewalt Der französische Bericht spricht nicht von politisch motivierter Gewalt. 23 Dieses heißtjedoch nicht, daß diese von der Untersuchung ausgeschlossen sei. Sie ist lediglich nicht als solche besonders gekennzeichnet, sondern Teil der untersuchten Gewalt überhaupt. Hervorgehoben werden allerdings der Zusammenhang von Gewalt und 24 Gerechtigkeitssinn (unter Rdn. 86- 90) sowie die Deutung der Gewalt als Schrei der Stummen (unter Rdn. 97-1 02). Damit sind Gebiete umschrieben, die dem der politisch motivierten Gewalt entsprechen. Über sie kann vorwegnehmend bereits hier das folgende erwähnt werden: Immer mehr, so führt der Bericht aus, wird die Gewalt zu einem Moment des sozialen Dialoges. Naturgemäß ist es schon immer beim sozialen Dialog auch zur Gewalt gekommen. Neuerdings werde es jedoch zur Gewohnheit, Forderungen mit Gewalt durchzusetzen. Verschiedene sozio-professionelle Gruppen zögerten z. B. nicht mehr, ihre Forderungen auch auf diese Weise geltend zu machen. Dieses geschehe u. a. durch Straßenblockaden und Hafenblockaden, ferner aber auch durch Verwüstungen von Verwaltungsgebäuden und Belästigungen der Beamten. Die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger sei nicht selten durch Gewalt geprägt. Der einzelne Beamte, demgegenüber Gewalt verübt werde, sei dabei als Repräsentant der eigentlich gemeinten Institution genommen.

111. Gewalt auf Straßen und Plätzen Der Bericht bringt Gewalt in der Öffentlichkeit in engen Zusammenhang mit 25 den Großstädten und den Städten mit mehr als 100000 Einwohnern. Der Anteil derer, die einräumen, aggressiv zu sein, ist dort viel größer als bei denen, die in kleineren Orten oder auf dem Lande leben. In dem Durcheinander einer Großstadt dient es durchaus dem Ausgleich einer aggressiven Stimmung, wenn man sich durch Autostaus durchwindet oder sich in einem vollbesetzten Bus einen Sitzplatz erkämpft. Sehr leicht kann dieses jedoch in ungerechtfertigte Gewalt übergehen. Mehr als ein Viertel der Einwohner von Paris gaben bei einer Befragung an, in der vergangeneo Woche mindestens einmal große Lust verspürt zu haben, einen anderen zu prügeln. Ungefahr ebenso viel erklärten, sie seien innerhalb der selben Zeit in großen Zorn geraten. Drei Prozent äußerten, sie hätten in dem letzten halben Jahr mit einer Person, die sie vorher nicht kannten, eine Auseinandersetzung gehabt.

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26,

Auch außerhalb des sozialen Dialoges, nämlich zur Durchsetzung kultureller, allgemein-menschlicher oder auch konfessioneller Forderungen komme es zur Gewaltanwendung gleichfalls in der Öffentlichkeit.

27

Nach den Vorgaben für den deutschen Gewaltbericht stehen die Fragen der Gewalt im Arbeitsleben nicht im Vordergrund. Gewalt am Arbeitsplatz ist jedoch auch hier insoweit zu erwähnen, als es in Zusammenhang mit Arbeitskonflikten zu Gewalttätigkeiten auf Straßen und Plätzen kommen kann.

28

Der Bericht geht auf verschiedene Formen der Gewalt im Arbeitsleben ein (vgl. näher unter Rdnrn. 64-69). Er erwähnt hier Fabrikbesetzungen, die zumindest die freie Verwendung der Produktionswerkzeuge beeinträchtigen. Solche Werkbesetzungen kämen immer häufiger vor. Sie seien sehr oft Ausgangspunkt von Gewalttätigkeiten. Hinzu träten Gewalttätigkeiten bei der Selbstverteidigung mancher Unternehmer.

29

Im Rahmen des alltäglichen Arbeitslebens, d. h. außerhalb von sozialen Konflikten, komme es gleichfalls zu Gewaltakten: Vandalismus, häufige Bombenalarme, gespanntes Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und den Führungskräften, das nicht selten zu Gewalttätigkeiten führe.

IV. Gewalt im Stadion 30

Der Bericht geht auf Fälle von Gewalt im Stadion nicht ein. Er äußert sich jedoch allgemein über die Gewalt im Sport. Die Gewalt stecke offensichtlich nacheinander alle Bereiche des Zusammenlebens an. Das reiche bis zum Sport, der eine Aggressivität kanalisiere und zivilisiere, aber manchmal Gelegenheit zu Gewalttätigkeiten gebe. Besessen vom Wunsch zu siegen, zögerten Sportler nicht, zur Gewalt überzugehen. Diese Gewaltstimmung könne dann auch die Zuschauer erfassen.

V. Gewalt in der Schule 31

Der Bericht selber geht auf Gewalt in der Schule nicht ein. In dem Unterbericht "Untersuchungen über den Schutz der Jugend" ist lediglich darauf hingewiesen, daß es in Schulen, die in sozial benachteiligten Stadtteilen liegen, zu Akten des Vandalismus komme.

VI. Gewalt in der Familie 32

Der Bericht weist daraufhin, daß auch das gewalttätige Verhalten gegenüber Nahestehenden mit der Größe der Stadt anwächst. Die Gewalt äußert sich im unmittelbaren Umfeld. Etwa die Hälfte aller Bewohner von Paris räumten ein, daß sie häufig Auseinandersetzungen mit jemandem aus der Familie hätten.

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C. Ursachen der Gewalt I. Allgemeines Wie der Bericht den Schwerpunkt auf die Gewalt als solche legt und einzelne 33 ihrer Bereiche lediglich verhältnismäßig kurz kennzeichnet, so untersucht er auch die Ursachen für die Gewalt schlechthin, grundsätzlich ohne Zuordnung bestimmter Ursachen zu bestimmten Bereichen der Gewalt. Die aufgeführten Ursachen gelten im wesentlichen für alle Bereiche. Der Bericht bechränkt sich hierbei darauf, die Ursachen darzustellen, die dem 34 Ausschuß als die wichtigsten erschienen sind. An Vollständigkeit ist nicht gedacht.

II. Stand der Forschung Der Bericht weist darauf hin, daß es - erstaunlicherweise - keine 35 Wissenschaft von der Gewalt gibt. Der Arzt, der Richter, der Polizeibeamte, der Politiker, der Bürgermeister, der Psychologe, der Soziologe, der Historiker, der Lehrer, der Gewerkschaftler, der Bürger: Jeder gibt aus seiner Sicht eine Erklärung der Gewalt, keiner jedoch gelangt zu einer Gesamtsicht. Das erschwert die Möglichkeiten von Aussagen über die Gewalt und ihre Wurzeln. Es tritt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Einander gegensätzliche Ursachen 36 können zu den gleichen Wirkungen führen. Der eine protestiert gewalttätig, weil er seine soziale Umwelt als zu stark einschränkend empfindet; der andere protestiert in der gleichen Weise, weil er - in der seihen Stadt oder sogar in derselben Familie- sein soziales Umfeld als zu fade erlebt. Letztlich ist es die menschliche Freiheit, die die Wissenschaften daran 37 hindern, menschlichem Verhalten, auch gewalttätigem Verhalten, strikte Ursachen zuzuordnen. Der Bericht weist auf eine weitere Schwierigkeit hin, Wurzeln der Gewalt 38 nachzugehen. Fast einjeder meint, berufen oder unberufen, in der Lage zu sein, sich zu diesem Thema zu äußern. Es gibt also einen Wust verschiedener Standpunkte. Das Thema ist außerdem emotional aufgeheizt. Grundsätzliche weltanschauliche Positionen werden ins Spiel gebracht. Für die einen ist die Gewalt ein Fehlverhalten von einzelnen oder von Gruppen, ein Nichtbefolgen berechtigter Verhaltensregeln. Für die anderen ist die Gewalt Ausdruck einer bestimmten und nachdrücklich kritisierten Gesellschaftsform. Der Bericht sieht bewußt davon ab, zu diesen grundsätzlichen weltanschauli- 39 chen Fragen Stellung zu nehmen. Er will sich darauf beschränken, anband der feststellbaren Tatsachen jedenfalls zu plausiblen Annahmen über die Wurzeln der Gewalt zu kommen.

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111. Die einzelnen Faktoren 1. Die Spuren der Vergangenheit 40

Der Bericht weist daraufhin, daß die Geschichte Frankreichs, wie die anderer Nationen, auch eine Geschichte von Gewalttätigkeiten ist. Die Kreuzzüge, die Kriege Ludwig XIV, die französische Revolution, die napoleonischen Kriege: der Geschichtsunterricht berichtet immer wieder von Gewalttaten, die allerdings als ehrenvolles Heldentum angesehen werden.

41

Die jüngere Geschichte, insbesondere der Widerstand gegen die deutsche Besatzung, hat gezeigt, daß es geboten sein kann, sich, auch gewalttätig, außerhalb der Grenzen des gesetzten Rechts zu bewegen. Die Kriege in Indochina und Nordafrika haben zu einer Heroisierung des Untergrundkämpfers geführt. Dieses nicht zuletzt auch deshalb, weil er seine Ziele siegreich verfolgt hat.

42

Es kann deshalb nicht wunder nehmen, daß Gewalttätigkeiten im sozialen Dialog unter Rückgriff auf die Geschichte häufig nicht als Unrecht angesehen werden, gleichgültig, ob es sich um Probleme der Landwirtschaft, um den Industriebereich oder um Schwierigkeiten in bestimmten Regionen Frankreichs handelt. 2. Einfluß der Massenkommunikationsmittel

43

Der Bericht erwähnt, neben anderen Daten, daß im Durchschnitt ein im Jahr 1974 geborener Franzose voraussichtlich einen Zeitraum, der sieben Jahren seines Lebens entspricht, vor dem Fernsehgerät zubringen werde, ein junger Amerikaner sogar 18 Jahre. Viele der Fernsehsendungen handelten von Gewalt, von tatsächlichen oder gespielten Tötungen. Es bestehe die Gefahr, daß sich damit die Vorstellung einbürgere, Gewaltausübung sei etwas völlig Normales. Gerade das Fernsehen dringe, praktisch nicht zensiert, unmittelbar in die Familie ein, die jedoch häufig unberaten darüber sei, wie sie mit diesen vielen Gewaltdarstellungen im Wohnzimmer fertig werden solle.

44

Der Bericht unterstreicht allerdings, daß trotz dieses Befundes das Recht der Presse auf freie Meinungsäußerung und freie Berichterstattung nicht beeinträchtigt werden dürfe. Einem Journalisten oder einem Reporter,.der in einer von Gewalttätigkeiten geprägten Welt lebe, könne nicht verboten werden, über diese Gewalttaten zu berichten. Allerdings entspreche diesem Recht auch eine besondere Verantwortlichkeit der Berichtenden.

45

Im weiteren wird auf die Ungewißheit eingegangen, die nach wie vor über die Auswirkungen der Gewaltsendungen usw. besteht. Die sog. Reinigungstheorie wird referiert. Des weiteren wird der sog. Nachahmungseffekt erörtert. Verschiedene Studien hätten ergeben, daß aggressive Reaktionen nach dem Besuch entsprechender Filme insbesondere dann stattgefunden hätten, wenn sich der

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Zuschauer mit dem Gewalttätigen oder seinem Opfer hätte identifizieren können. Wäre das nicht möglich gewesen, so hätte der Film einen Einfluß dieser Art nicht gehabt. Ohne sich genau festzulegen, gibt der Bericht abschließend zu bedenken, daß 46 die Menschen anfällig oder sogar verletzlich sind gegenüber äußeren Anreizen und deshalb bereit sind, sich an Gewaltdarstellungen zu orientieren. 3. Psychologische Faktoren Der Bericht äußert sich nur summarisch zu den Auffassungen verschiedener psychologischer Theorien mit Hinblick auf die Kriminalität.

47

Hervorgehoben wird die Bedeutung der Entwicklung im Kindesalter und die Wichtigkeit, im jüngsten Lebensalter affektive Bindungen aufbauen zu können.

48

Erwähnt wird ferner der Zusammenhang von Aggressivität und Sexualität, wie ihn die Psychoanalyse aufgedeckt habe. Es wird bedauert, daß sich die Psychoanalyse offensichtlich bisher noch zu wenig mit den Ursachen kriminellen Verhaltens befasse.

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Erwähnt wird ferner der Behaviourismus. Untersuchungen hätten ergeben, daß konditioniertes Training zur Korrektur abweichenden oder perversen Verhaltens erfolgreich gewesen sei.

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Kurz erwähnt wird schließlich auch die Psychometrie als Möglichkeit, auf mathematischer Grundlage mit Hilfe von verschiedenen Tests Aussagen über die Persönlichkeit und insbesondere ihre Neigung zur Aggressivität zu machen.

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4. Biologische Daten Der Bericht nennt verschiedene vergleichende Studien zwischen der Aggressivität bei Tieren und der Kriminalität des Menschen. Hierbei zeigten sich bestechende Perspektiven. Allerdings lägen gegenwärtig noch keine verwertbaren Aussagen vor.

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Als weiteres wird auf Chromosomenanomalien hingewiesen. Nach kurzer Erörterung des Wissensstandes wird als Ergebnis zusammengefaßt, daß das Vorliegen einer ChromosomenanomaJie keineswegs notwendig zur Gewalt oder zur Geisteskrankheit führe. Wenig ergebnisreich im vorliegenden Zusammenhang seien ferner Untersuchungen über angeborene Verhaltensweisen bei Tieren.

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Genannt wird ferner das statistisch belegbare Faktum, daß die Gewaltkriminalität eng verbunden ist mit dem männlichen Geschlecht und zwar im Lebensabschnitt der größten sexuellen Aktivität. Späteren Ausführungen vorgreifend, erwähnt der Bericht, daß die Folgerung aus diesem Befund nicht

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sein könne, in bestimmten Fällen zu kastrieren; eher komme eine medikamentöse Behandlung in Betracht. 55

Weitere Möglichkeiten bestünden, die Gehirnstrukturen chemisch zu beeinflussen. Letztlich sei es aber nicht möglich, dadurch das Bezugssystem, aus dem der einzelne heraus handelt, zu beeinflussen. Das Bezugssystem, so wird der Biologe Karli zitiert, ist beim Menschen in erster Linie das Ergebnis der Erziehung; diese ist Ausdruck des kulturellen Orientierungssystems mit seinen Werten und seinen Mythen. Dagegen ist die genetische Veranlagung nicht die Quelle der Aggressivität oder der Nächstenliebe. 5. Die RoDe des Alkohols

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Der Bericht konstatiert ein Ansteigen des Alkoholismus; insbesondere bei jungen Menschen. Er zögert jedoch, darin einen offenkundigen Faktor der Gewalt zu erblicken. Es sei zwar zutreffend, daß viele Gewalttätigkeiten unter dem Einfluß des Alkohols begangen würden. Es gebe jedoch auch viele Gewalttätigkeiten völlig nüchterner Menschen. Außerdem - und das ist entscheidend - sei der Hinweis auf den Alkohol nur eine vorläufige Antwort. Die eigentlichen Faktoren zeigten sich erst, wenn man fragt, warum der betreffende Alkohol zu sich genommen hatte. Und die Antwort hierauf ist nicht so einfach. 6. Der SteUenwert des Betäubungsmittelmißbrauchs

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Der Bericht stellt für die zurückliegende Zeit fest, daß die Alkoholproblematik, gesehen mit Hinblick auf die Gewaltakte, erheblich größer ist als die der Drogen. Dieses betreffe die Verbreitung von Alkohol und von Drogen. Es folge aber auch daraus, daß der Drogenkonsum weitgehend die Wirkung habe, Aggressionen, und damit die Neigung zu Gewalttaten, abzubauen.

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Allerdings sei nicht zu verkennen, daß es bei Drogenabhängigen im Rahmen der Beschaffungskriminalität zu Gewaltakten führe. Im Jahr 1975 seien in diesem Zusammenhang 820 Apothekeneinbrüche geschehen. Außerdem könne ein Drogenabhängiger bei Entzug der Droge gewalttätig werden.

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Der Bericht kommtjedoch zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß Drogenabhängigkeit in ihrer Bedeutung für die Gewalt nicht überschätzt werden solle. Die Droge sei vielmehr·ein Drama für sich. Nicht zuletzt richte der Drogenabhängige die Aggressivität gegen sich selber. 7. Geringe Aussagekraft der bisher erwähnten Faktoren

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Der Bericht schließt die Erörterung der vorstehend erwähnten Faktoren mit einer kritischen Zusammenfassung ab. Alle bisher genannten Faktoren seien in

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der Persönlichkeit des einzelnen verankert. Nichts des bisher Erwähnten könne jedoch wirklich das Zustandekommen und das Ausmaß der Gewalt erklären. Stets bleibe die Frage, warum diese Faktoren hatten wirksam werden können. Der Bericht nimmt damit eine Gewichtung vor. Größere Bedeutung komme den im weiteren zu erörterten Faktoren zu. 8. Die Gewalt als Antwort auf Frustrationen Der Franzose des Jahres 1977 ist wohlhabener, besser ausgebildet und sozial mehr geschützt als die Angehörigen der vorangegangenen Generationen. Er fühlt sich trotzdem in Frage gestellt. Zu den positiven Seiten der wirtschaftlichen Entwicklung und der verbesserten Lebensbedingungen gesellt sich das Gefühl des Unwohlseins, das er schnell als Frustration empfindet.

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Eine tatsächliche oder auch eine nur eingebildete Frustration kann leicht zur Gewalttätigkeit führen. Der Bericht distanziert sich ausdrücklich davon, damit die Meinung zu vertreten, daß jeder Straftäter Opfer der Gesellschaft sei. Es komme auf erheblich differenziertere Analysen an. Untersucht werden die Schattenseiten des wirtschaftlichen Wachstums, die Überflußgesellschaft und der Wildwuchs im Städtebau.

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a) Die Schattenseiten des wirtschaftlichen Wachstums

aa) Gewalt im Verhältnis zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Arbeitslosigkeit

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß sich hinsichtlich der Entwicklung der Gewalt keine signifikante Korrelation mit dem Wirtschaftswachstum oder auch mit der Arbeitslosigkeit habe feststellen lassen. Allerdings sei nicht auszuschließen, daß dieses Ergebnis auch auf der Mangelhaftigkeit der vorhandenen und ausgewerteten Statistiken beruhe.

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bb) Gewalt und Arbeit

Es fragt sich, ob Korrelationen zwischen der Art der Arbeit und der Gewalt bestehen. Hier kommt der Bericht zum Ergebnis, daß hinsichtlich des primären Sektors eine negative Korrelation besteht. Ebenso hinsichtlich der selbständigen Arbeit. Enge Beziehungen bestehen dagegen bei den Lohn- und Gehaltsempfängern des sekundären und des tertiären Sektors. Die gleichen Ergebnisse hätten sich auch in Ländern mit anderer Wirtschaftsstruktur (Ungarn, Polen, Jugoslawien) gefunden.

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Das wirtschaftliche Unternehmen kann in mannigfaltigem Sinn den Boden für Gewalt abgeben. Hier ist einmal an Arbeitsunfälle als Gewalt gegenüber dem Verletzten zu denken, für die ein anderer auch strafrechtlich verantwortlich sein kann. Als Gewalt können auch Vorgänge wirken, die nicht strafrechtlicher Art

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6 Gewaltkommission Bd. IIl

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sind, z. B. die Schließung eines Unternehmens aus wirtschaftlichen Gründen, ferner das Gefühl der Entpersönlichung angesichts einer stupiden Arbeit. 66

Geographische Mobilität, zumeist im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz, macht den Betreffenden anfällig, Gewalt auszuüben. Teile der Bevölkerung, die in eine andere Gegend versetzt wurden und in ein anderes soziales Umfeld hineingeraten sind, werden verstärkt zur Gewalt angereizt.

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Soziale Mobilität, zumal die nach unten gerichtete, scheint sich im selben Sinn auszuwirken.

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Die wachsende Kompliziertheit der wirtschaftlichen Struktur stellt an den einzelnen höhere Anforderungen. Damit wächst die Zahl derer, die den Anforderungen nicht genügen. Dieses führt zu dem Ergebnis, zurückgewiesen zu werden und damit zur Frustration.

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Eine weitere Frustration entsteht durch die Arbeitsteiligkeit. Wie schon häufig beschrieben, führt die Auflösung des Arbeitsganges in viele Schritte, die der einzelne jeweils wiederholt, verbunden mit der Bindung an Vorschriften dazu, daß die Arbeit als Entfremdung empfunden wird: Der einzelne findet sich in der Arbeit nicht mehr wieder. Der einzelne kann sich nicht mehr entfalten, es fehlt der soziale Dialog. Arbeit allein zum Zwecke des Geldverdienens ist unbefriedigend. cc) Wirtschaftswachstum und Randgruppen

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Benachteiligte Randgruppen des wirtschaftlichen Wachstums sind die eingewanderten Arbeiter, die aus allen Teilen der Welt nach Frankreich kommen. Es vergeht keine Woche in der nicht spitz über Gewalttätigkeiten von eingewanderten Arbeitern berichtet wird. Einzelheiten, wie es dazu kam, werden nicht berichtet. Außerdem werden, rassistisch gefärbt, die meisten dieser Gewaltausübungen zu Unrecht den Einwanderern angelastet, die aus Anrainerstaaten des Mittelmeeres gekommen sind.

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Der Bericht ist dieser Frage sorgfältig nachgegangen. Er kommt zum Ergebnis, daß keinerlei ethnischer Faktor eine Rolle spielt. Bei den eingewanderten Arbeitern handelt es sich vielmehr in aller Regel um Personen, bei denen sich die verschiedensten Nachteile des Wirtschaftswachstums häufen: Verlust des eigenen Kulturbereichs, Auseinanderreißen der Familie, Verschiedenheiten der Sprache und der Erziehung, Absonderung hinsichtlich des Wohnensund der Arbeit, Isoliertsein, geographische und berufliche Instabilität, Ausgeschlossensein von der Mitgestaltung des kommunalen Lebens wegen des fehlenden Kommunalwahlrechts: Betrachte man alle diese Faktoren, so sei es nur verwunderlich, daß die Gewalttaten, die von den eingewanderten Arbeitern ausgehen, nicht viel zahlreicher und schwerer sind.

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Gerade auf diese Personengruppe beziehen sich im III. Teil die Empfehlungen, die eine bessere soziale Integration erreichen wollen.

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dd) Die Krise der Familie Durch die Entwicklung der früheren Großfamilie zur heutigen entfunktionalisierten Kleinfamilie ist der einzelne auch innerhalb der Familie vereinsamt: Die wenigen anderen Familienmitglieder sind entweder bei der Arbeit, unterwegs, müde oder vor dem Fernsehen. Das Gespräch der Eltern mit den Kindern kann auch aus anderem Grund nur noch begrenzt stattfinden: was die Kinder in der Schule lernen müssen, unterscheidet sich stark von dem, was früher die Eltern gelernt hatten. Sie können ihren Kindern deshalb nur wenig bei den Schulaufgaben helfen. Soweit die Eltern berufstätig sind, haben sie geringe Neigung, mit den Kindern über ihren Beruf zu sprechen, weil dieser sich weitgehend in trivialer Wiederholung des ständig Gleichen erschöpft.

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Gerade der junge Mensch flieht deshalb häufig die Familie sowie die enge und laute Wohnung, die seinen berechtigten Bedürfnissen nicht mehr genügen. Glücklich ist er dabei nicht. An die Stelle des Einflusses der Familie treten immer mehr Einflüsse von Personen außerhalb, auf die fast unmerklich die Rolle des Erziehers übergeht. ee) Jugend und Gewalt Der Bericht weist einleitend daraufhin, daß ein Großteil der Gewalttaten von jungen Menschen begangen wird. Er geht deshalb sorgfältig den entsprechenden Faktoren nach.

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Es läßt sich, so führt der Bericht aus, einmal feststellen, daß die Gesellschaft den jungen Menschen heute mit gewisser Angst gegenübersteht. Nicht zuletzt als Folge der Unruhen des Jahres 1968 hat sich ein bestimmtes verzerrtes Bild von ,dem Jugendlichen' gebildet: Es seien Langmähnige, die nicht selten drogenabhängig sind, stehlen oder sinnlos zerstören. Mancher Erwachsene denkt ihnen gegenüber: "Als ich so alt war wie Du, ja da habe ich gearbeitet".

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Aus dem 19. Jahrhundert stammt das Wort von Victor Hugo: "Öffnet die Schulen, dann könnt ihr die Gefängnisse schließen". Niemand, so betont der Bericht, wird heute das Gebotene einer langen und auf alle bezogenen Schulausbildung bestreiten wollen. Sie hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Diese zeigen sich insbes. in dicht besiedelten Gebieten: Viele Jugendliche neigen zur Passivität, zum Wegbleiben von Schule und Ausbildung usw., zum sinnlosen Zerstören und manchmal auch zur Selbstzerstörung.

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Der Bericht gibt als Grund hierfür an, daß viele Kinder durch die schulischen Anforderungen schlichtweg überfordert sind. Schule und Ausbildung erscheinen ihnen nicht als Möglichkeit des Vorankommens, sondern als Quälerei und Strafe. Der Schul- und Ausbildungszwang engt ihre Freiheit gerade in dem Augenblick ein, in dem sie beginnen, innerlich selbständig zu werden. Nimmt der Schüler aber nur widerwillig, weil überfordert oder falsch gefordert, an der Schule oder der Ausbildung teil, so sieht er sich rasch in einem Strudel, der ihn in eine Randposition bringt. Bei Lehrern und Ausbildern, die sich besonders

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fachlich qualifiziert haben, besteht nur begrenzte Neigung, sich mit diesem ,schlechten' Schüler abzugeben. Dieser gerät in besondere Klassen, in denen möglicherweise solche Lehrer unterrichten, die eine bessere Beschäftigung nicht gefunden haben. Der junge Mensch fühlt sich von allen Seiten zurückgewiesen und versucht, seine Einsamkeit durch Gewaltakte, zunächst allein, dann mit anderen gemeinsam, zu überwinden. 78

Es ist nicht zu verkennen, daß der Staat sehr viel für die Jugend unternimmt. Die Sporteinrichtungen wurden in den letzten Jahren kräftig verbessert. Häuser der Jugend und Jugendclubs wurden eingerichtet. Aber diese Einrichtungen wetteifern um weitere staatliche Mittel. Diese sind nötig, weil die Ausstattung so qualifiziert ist, daß laufend Unterhaltskosten beachtlicher Art entstehen. Der Verein, der Club usw., alle wollen Erfolge aufweisen. Das führt aber dazu, daß die Ungeschickten, die Haltschwachen und andere als Störer ausgeschlossen werden: Mit ihnen kann kein Fußballclub, kein Fotolabor, keine Stereoeinrichtung, keine Kapelle, kein Club der Modellflugzeugbauer Erfolge vorweisen. D. h. aber, daß diese Jugendlichentrotz der großen Bemühungen um die Jugend wiederum ausgeschlossen sind. Versuchen sie nunmehr, auf eigene Faust eine verlassene Hütte im Park zu ihrer Höhle umzubauen oder allein baden zu gehen, so sehen sie sich einer Fülle von Drohungen, Zwängen, sogar strafrechtlichen Ermittlungen gegenüber. Gerade diese gefahrdeten Jugendlichen fallen durchs Netz, das sie auffangen soll. b) Die Überflußgesellschaft

aa) Die Organisation der Verlockung

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Während die Produktion Genauigkeit, Einordnung und Disziplin erfordert und die öffentliche Meinung wenig berührt, wird umgekehrt der Konsum idealisiert und zu einer bürgerlichen Tugend aufgebauscht. Der Konsum erhält nahezu einen Heiligenschein. Es gibt Einrichtungen der Absatzförderung, denen die Gemeinnützigkeit zuerkannt wird, staatliche Förderungen und sogar ein Ministerium dafür. Der Konsum setzt, derartig vorangetrieben, Werte. Wer einen bestimmten Gegenstand besitzt, darf ein bestimmtes Persönlichkeitsbild auf sich beziehen und davon ausgehen, sich in einer bevorzugten Lage zu befinden. Kino, Fernsehen, Radio und Zeitung unterstützen diese archetypischen Vorstellungen.

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Zusammen mit dieser Vergötzung des Verbrauchs geht eine Verarmung der sozialen Beziehungen, die mit dem Verbrauch zusammenhängen. Neue Verkaufstechniken führen dazu, daß dem Käufer alles offen vor Augen und zur Hand liegt. Der Kunde wird reduziert auf die primitiven Tätigkeiten des Herumgehens, des Sehensund des Nehmens. Der Akt des Kaufens wird durch die Bezahlung mit Scheck und Kreditkarte auseinandergerissen. Hieraus ergeben sich verschiedene Konsequenzen: Der Kunde verliert jede Identität.

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Vom Marketing Management wird er lediglich als Mittel des Absatzes angesehen. Das Verkaufsgespräch verkümmert; der Kunde wählt sich, allein gelassen und anonym, die Dinge aus. Der Kauf ist nicht mehr die Gelegenheit eines sozialen Austauschs. Er muß schnell an der Kasse bezahlen, weil der Nächste wartet. Das Kaufhaus wird zum Königreich des Schweigens und der Klarsichtpackung. Schließlich schwindet das Gefühl für Eigentum. Die offen in unübersehbarer Menge zum Verkauf ausliegenden Waren scheinen niemandem zu gehören. Zumindest merkt doch niemand, wenn etwas fehlt. Diebstahl und Gewalt, um sich die Sachen zu beschaffen, die ,man' für wichtig hält, liegen nahe. bb) Gewalt infolge wirtschaftlicher Berechnung

Es breitet sich zunehmend die Auffassung aus, daß sich eine Gewalttat lohne, wenn die Risiken deutlich geringer erscheinen als die voraussichtlichen Vorteile.

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Bei den Nachteilen wird abgeschätzt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, erwischt zu werden, ferner - als wichtigstes - die Wahrscheinlichkeit, ob nunmehr ein Strafverfahren eingeleitet wird. Eine weitere Rolle spielt die geschätzte Wahrscheinlichkeit, zu einer strengen Strafe verurteilt zu werden und schließlich die Wahrscheinlichkeit, sie verbüßen zu müssen. Gerade bei Delikten gegenüber fremdem Eigentum scheinen solche Erwägungen angestellt zu werden.

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In dieses wirtschaftliche Kalkül geht ferner ein, daß die begehrten Objekte heute weit verstreut sind. Überall gibt es Depositenkassen von Banken. Es ist viel leichter, in eine solche Nebenstelle einzubrechen als in der Zentrale. Um den Kunden nicht abzuschrecken, verzichtet die Geschäftsführung häufig auf allzu sichtbare Schutzmaßnahmen. Der Polizeischutz wird immer dünner, weil es immer mehr gefährdete Objekte gibt.

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Hinzu kommt, daß wenig Verlockung besteht, das Geld statt durch Delikt durch ehrliche Arbeit zu erwerben. Das Arbeitsleben wird immer anspruchsvoller; immer mehr Spezialisierungen und Diplome werden verlangt. Von der Arbeit geht kein Reiz mehr aus.

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In der Öffentlichkeit ist ferner das - unzutreffende - Bild einer zu nachsichtigen Justiz entstanden. Die dadurch herbeigeführte größere Bereitschaft, auch Gewaltakte zu begehen, ist eine ungewollte Auswirkung auch der Vertreter einer harten Linie, die ständig die Justiz wegen ihrer angeblichen Laxheit kritisieren.

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cc) Gewalt und Gerechtigkeitssinn

Der Bericht nimmt für die Franzosen ein besonders ausgeprägtes Gefühl der Unduldsamkeit gegenüber Ungerechtigkeiten in Anspruch. Eine Verschiedenheit, die wirklich oder vermeintlich nicht auf Arbeit oder Talent beruht, wird als

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Rechtfertigung dafür angesehen, sich als Protest dagegen bis zur Gewalttätigkeit zu schlagen. 87

Sicherlich haben auch in Frankreich in den letzten Jahrhunderten die Ungleichheiten abgenommen. Fallen aber Ungleichheiten weg, so werden die übrig bleibenden als besonders drückend empfunden. Das Bedürfnis nach Gleichbehandlung nimmt deshalb mit dem Schwinden von Unterschieden nicht ab, sondern zu. Sie erstreckt sich aufneue Gebiete: Die Kultur, die Freizeit, die Ökologie. Wird Mißständen nicht alsbald abgeholfen, so entsteht das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.

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Aus dem Gefühl, ungerecht behandelt zu sein, kommt es leicht zur Gewalttätigkeit. Der Gewaltakt kann auf die Erlangung eines materiellen Vorteils gehen. Damit erscheint einmal die erlittene Ungerechtigkeit ausgeglichen; außerdem gibt er das Gefühl der moralischen Entschädigung für die erlittene Erniedrigung.

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Der Bericht sieht in diesem Faktor einen Grund für Gewalttätigkeiten, die in bestimmten Regionen, bestimmten sozialen Gruppen oder von den Angehörigen bestimmter Berufe ausgehen. Zumeist handelt es sich sonst um friedliche Leute, z. B. Bauern, Seeleute, Kaufleute, die sich aber nunmehr durch einen wirklichen oder vermeintlichen Akt der Ungleichbehandlung verunsichert und in ihrer Existenz bedroht sehen. In dem Gefühl, Opfer ungerechter Behandlung zu sein, drehen sie das Rad der Gewalt immer weiter: Straßenblockaden, Dernotierung öffentlicher oder privater Gebäude, Gewaltandrohungen und durchgeführte Gewalttätigkeiten gegenüber Personen sind die verschiedenen Steigerungsformen. Nicht zuletzt ist auch die Arbeitsstelle Ort solcher Gewaltakte aus dem Gefühl heraus, ungerecht behandelt worden zu sein.

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Es gibt darüber hinaus auch eine diffuse Verbindung der Gewalt mit dem Gefühl der Ungerechtigkeit. Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck besteht, daß der Staat gegenüber bestimmten unberechtigten Bevorzugungen sehr nachsichtig ist, so schwächt dieses die Bereitschaft, sich selber an die Grenzen des gesetzten Rechts zu halten. Entsteht der Eindruck, daß der Staat mit Wirtschaftskriminellen sehr nachsichtig ist, so fühlt sich mancher berechtigt, nunmehr seinerseits zur Gewalt überzugehen, um sich die Vorteile zu verschaffen, die der andere durch diese Nachsicht des Staates erhält. c) Der Wildwuchs im Städtebau

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Die Stadt gilt seit altersher als der Ort der Zivilisation und der gehobenen Kultur. Es war jedoch auch schon immer bekannt, daß das städtische Milieu die Gewalttätigkeit fördert. Neu scheint jedoch das Ausmaß der Gewalt in den Städten zu sein. Der Umfang der Gewalttätigkeit folgt dem Anwachsen der Städte oder geht ihm sogar voran, denn die Gewalt wächst schneller als die Größe der Städte. Außerdem kennen insbesondere die großen Städte die schwersten Formen der Kriminalität. Ein gewisser Grenzwert scheint bei der

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Zahl von 200000 Einwohnern zu liegen. Jenseits dieser Grenze steigt die Kriminalität stark an. Der Bericht erwähnt zur Erklärung die folgenden drei Faktoren. aa) Städtebaulicher Typus; Gebäudehöhe

Verschiedene Studien, die der Ausschuß hatte durchführen lassen, haben Zusammenhänge zwischen der Gewalt und dem städtebaulichen Typus festgestellt. Dasselbe gilt für die Höhe der Gebäude. Haben die Gebäude mehr als sechs Stockwerke, so steigt auch die Rate der Gewalttaten deutlich an. Das Zusammengepferchtsein verstärkt das Gefühl der Unsicherheit des einzelnen oder der Familien. Hinzu treten die Engigkeit der Wohnung, das Fehlen eines eigenen Grundstücks, Gartens usw., wo der einzelne seine Individualität darleben kann. Der andere wird in dieser Engigkeit als feindselig angesehen. Schnell entsteht ein allgemeines Gefühl der Angst.

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bb) Entmischung der Bevölkerung

Als Folge der Bodenspekulation setzte bereits im vorigen Jahrhundert eine Entmischung der Bevölkerung ein. Es war vorher die Regel, daß in einem Hause neben dem wohlhabenden Inhaber auch weitere Familien aus ärmeren Schichten wohnten. Man lebte in ständigem Kontakt und half sich gegenseitig. Die dann einsetzende Entwicklung führte jedoch zur Bildung der reinen Arbeitervorstädte. Hinzu kommt in neuererZeitdie Schaffung von säuberlich untereinander getrennten Schlafstädten, Arbeitsgebieten und Erholungsgebieten. Die Bodenspekulation einerseits, mangelnde Vorausschau bei der städtebaulichen Planung andererseits haben dazu geführt, daß sowohl die verschiedenen sozialen Schichtungen als auch die verschiedenen Altersgruppen nicht mehr untereinander vermischt wohnen und sich deshalb immer weniger kennen. Wer sich schon sowieso benachteiligt fühlt, gerät dadurch in eine feindselige Stimmung gegenüber den bessergestellten anderen, von deren Leben er nur die glänzende Außenseite kennt. An die Stelle des Respekts tritt eine diffuse Gewaltbereitschaft gegenüber dem unbekannten anderen.

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cc) Entpersön/ichung der Bevölkerung

Infolge der städtebaulichen Konzeption, die zwischen den beiden Weltkriegen herrschte, haben die Stadtplaner die Straßen und die sonstigen natürlichen Begegnungsstätten für das innerstädtische Gewerbe beseitigt. In runden und viereckigen oder sonstwie phantasievoll gestalteten Hochhäusern lebt der einzelne mehr und mehr isoliert, auf sich selbst gestellt. Die neuen Stadtgebiete sind nach vorgeplanten Bedürfnissen konstruiert. An die Stadt als Ort des natürlichen Kontakts ist dabei nicht gedacht. Die Städte sind weitgehend nach demselben Muster gebaut. Der einzelne verliert seine Persönlichkeit in der Monotonie und im Beton.

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Diese Isoliertheit setzt sich fort durch die automatisierte Abfertigung bei den Verkehrsmitteln und den Banken sowie bei vielen Geschäften. 9. Gewalt als Gesprächsersatz

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Was geschieht wenn ein erforderlicher Dialog nicht mehr stattfindet? Wenn man nicht mehr mit dem anderen sprechen kann, sich ihm nicht mehr verständlich machen kann, kommt es leicht zur Gewalt, um dem anderen jedenfalls deutlich zu machen, daß man noch da ist. Mit der Gewalt soll eine Antwort auf eine drängende Frage erzwungen werden. Gewalt als Gesprächsersatz kommt in verschiedenen Formen vor. Sie ist der Schrei der Stummen oder der Schrei der Verlorenen. a) Gewalt als Schrei der Stummen

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In einem demokratischen Staat, der den Bürger möglichst vielseitig an den öffentlichen Angelegenheiten beteiligen will, besteht eine Vielheit von Möglichkeiten, den Dialog zu führen. Es erscheint deshalb, so führt der Bericht aus, auf den ersten Blick schwer verständlich, wie Gewalt als Ersatz für einen Dialog überhaupt nötig sein sollte.

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Kurioserweise macht der Bürger von den vielen Möglichkeiten, in institutionalisierter Form den sozialen Dialog zu führen, nur wenig Gebrauch. Geringe Beteiligung bei den Wahlen zu den Berufsvertretungen, dünne Besetzung bei Tagungen des Gemeinderats sind hierfür Anzeichen.

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In Wahrheit besteht jedoch ein überaus großer Bedarf an sozialem Dialog. Gleichzeitig schwindet jedoch das Vertrauen in seine institutionalisierten Formen.

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Der einzelne Bürger merkt bei Gesprächen mit Vertretern der öffentlichen Verwaltung sehr bald, daß der andere zwar schöne Worte machen kann, letztlich aber gar nicht zuständig ist, die nötigen Entscheidungen für die Konfliktregelung zu treffen. Der Bürger sieht sich zu oft einem inkompetenten Gesprächspartner gegenüber. Letztlich werden alle wichtigen Entscheidungen zentral in der Hauptstadt getroffen. In der Hauptstadt selber ist man zwar näher zum Dialog. Der dort geführte Dialog betrifft jedoch die grundsätzlichen Entscheidungen der Nation. Was die kleinen Probleme des Alltags betrifft, ist der Bürger in der Hauptstadt ebenso ohne kompetenten Gesprächspartner wie der Bürger in der Provinz.

101

Auf diese Weise staut sich bei dem Bürger der Ärger an. Plötzlich kommt er zum Ausbruch. Der Polizeibeamte, gegen den sich nunmehr die Gewalt richtet, ist dabei im Grunde gar nicht gemeint. Wenn man auf den Polizisten schießt, zielt man auf die Regierung. Es bildet sich eine Ethik der Konfrontation heraus.

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Aus der mangelnden Möglichkeit des Dialoges heraus sind auch Gewalttätig- 102 keiten am Arbeitsplatz- Betriebsbesetzung, Betriebsübernahme, verschiedene Demonstrationen - zu verstehen. Gerade hinsichtlich der betrieblichen Entscheidungen, die besonders intensiv in das Leben des Arbeitnehmers und seiner Familie eingreifen, besteht kaum eine Dialogmöglichkeit. Der Bericht verdeutlicht diesesamFall der Entlassungen. Die Entscheidung über Entlassungen wird häufig nicht mehr in dem Betrieb selber getroffen, sondern im Rahmen einer Globalsteuerung des - nationalen oder sogar multinationalen - Konzerns. Der eigentlich Entscheidende lebt möglicherweise gar nicht im seihen Kontinent. Die Entscheidung über die Entlassungen, sorgfaltig vorbereitet, wird dem unmittelbar Betroffenen erst im letzten Augenblick bekanntgegeben. Der Betrieb ist gehalten, sie durchzusetzen. Für den Arbeitnehmer besteht keine Verhandlungsmöglichkeit mehr. An die Stelle der Verhandlung tritt bei ihm die Gewalt. Diese hat auch eine symbolische Bedeutung. Wird der Betrieb besetzt, so ist auch der Inhaber des Betriebes symbolisch abgesetzt. Viele dieser Akte sind strafbar. Sie sind jedoch die Antwort auf Akte- die Kündigungen-, die vom Arbeitnehmer als Gewalt empfunden wurden. - Das Problem löst sich nicht durch Kriminalisierung, sondern durch Wiederherstellung der Möglichkeit des Dialogs. b) Gewalt als Schrei derer, die sich im Dickicht der Vorschriften verloren haben

Die Normenflut nimmtnicht nur zu. Der Bürger empfindet sie zudem als Akt 103 der Gewalt, weil die Gesetze usw., in unverständlicher Sprache verfaßt, immer zahlreicher und umfangreicher werden, dabei ohne einheitliche Linie sind und mit dem Verstand nicht mehr faßbar. Dem einzelnen kann von Staats wegen ein Vorteil versagt werden, er kann verfolgt, verurteilt, mit einer Geldbuße belegt werden, ohne daß der Betroffene eigentlich wirklich verstehen kann, warum dieses so ist. Im Interesse der Allgemeinheit muß der Staat immer mehr in Einzelinteressen eingreifen, wobei er Grenzen setzt oder etwas versagt. Selbst wenn dieses Vorgehen legal ist und auch als gerechtfertigt erscheint, so wird es doch von den Betroffenen nicht selten als Gewalt empfunden, mit der Folge, daß sich das Klima verschlechtert. Der Bürger macht ferner die Erfahrung der passiven Gewalt der Bürokratie. 104 Er sieht sich mit seiner Angelegenheit von einer Stelle zur anderen geschickt. Die Struktur der Verwaltung bleibt für ihn undurchschaubar. Er verliert zunehmend den Respekt vor diesem Verwaltungshandeln und den ihm dort gesetzten Grenzen, was ihn anfällig macht, zur Gewalt überzugehen. Das Vertrauen des Bürgers in die Fähigkeit des Staates, mit den Problemen 105 der Gewalt fertig zu werden, wird nicht zuletzt dadurch unterminiert, daß Regierung und Parlament nach einer Woge der Gewalt in Krisenstimmung, aus dem Gefühl heraus, dem Bürger Aktivität demonstrieren zu müssen, in Windeseile Gesetze machen. Nach Wegfall des konkreten Anlasses werden diese

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Gesetze zumeist nicht mehr angewendet. Sie gehören zu dem Berg jener Vorschriften, die zwar in Kraft sind, praktisch aber keine Bedeutung haben. 106

Der Bürger macht schließlich die Erfahrung, daß Recht oft nicht durchsetzbar ist. Der zu Unrecht entlassene Gewerkschaftsfunktionär muß feststellen, daß es nicht gelingt, ihn im Betrieb wieder einzustellen. Das empfindet er als Gewalt, die er nicht so leicht vergiBt.

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Aus allen diesen verschiedenen Gesichtspunkten entsteht für den Bürger immer mehr der Eindruck, daß man zur Gewalt übergehen muß, wenn man überhaupt noch gehört werden will.

D. Der Stand der Prävention 108

Der Bericht betont, daß die bestehenden Maßnahmen der Verbrechensverhütung unzulänglich sind und dadurch nicht zuletzt einen Faktor der Gewalt darstellen. Viele Gewaltakte lassen sich zwar durch präventive Maßnahmen nicht verhindern. Denen stehen aber zahlreiche andere gegenüber, die bei wirksamen Maßnahmen der Verbrechensverhütung unterblieben wären.

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Verbrechensverhütung ist aber eine eher vernachlässigte Aufgabe. Dieses zeigt sich, wenn man die Tätigkeit der Einrichtungen betrachtet, die speziell die Aufgabe haben, Gewalttaten zu verhüten.

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Insgesamt befassen sich zwar im Frankreich des Jahres 1977 zehn Ministerien mit Fragen der Gewaltverhütung (Justiz, Inneres, Verteidigung, Arbeit, Gesundheit, Soziales, Jugend und Sport, Erziehung, Kultur und Umgebung, Ausrüstung). Viele dieser Ministerien haben aber nur begrenzte Haushaltsmittel zur Verfügung. Bei keinem steht die Aufgabe der Prävention an erster Stelle. Die beunruhigte öffentliche Meinung setzt mehr auf Repression als auf Prävention. Diese ist sogar verdächtig. Dem Erzieher oder dem Sozialarbeiter könne es doch leicht passieren, daß er von der Haltung angesteckt wird, gegen die sich seine Tätigkeit richten sollte.

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Darüber hinaus befassen sich zwar die verschiedensten privaten und öffentlichen Einrichtungen mit Gewaltverhütung. Ihre Tätigkeit ist jedoch bereits untereinander schlecht koordiniert und ebenso schlecht koordiniert mit der Justiz und anderen Bereichen der Verwaltung.

E. Der Zustand der Strafrechtspflege 112

Der Bericht konstatiert für die verschiedenen Abschnitte des Systems der Strafrechtspflege eine Reihe von Schwächen.

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I. Die Strafgesetzgebung Der Bericht kennzeichnet, soweit hier von Interesse, die Strafgesetzgebung in 113 Frankreich als zu wenig differenziert, als in sich uneinheitlich und als inflationär.

II. Die Strafverfolgung Das Dunkelfeld ist sehr groß. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, 114 verfolgt zu werden, gering. Viele Wiederholungstäter verbleiben im Dunkelfeld. Die Strafverfolgung schreckt sie nicht ab. Es fehlt an einer Koordinierung der verschiedenen Strafverfolgungsorgane. Der Bürger scheut vor einer Zusammenarbeit mit der Polizei zurück.

111. Die Sanktionstätigkeit der Gerichte Über 70% der Franzosen meinen, wie eine Umfrage ergab, daß die Justiz 115 nicht gut funktioniert und daß die Gerichte zu nachsichtig sind. Dieses Bild ist unzutreffend. Die Gerichte neigen vielmehr dazu, verstärkt strengere Strafen zu verhängen. Die Schwierigkeit für die Gerichte besteht darin, Recht zu sprechen und sich 116 damit auch an Werten zu orientieren in einer Zeit, in der diese Werte nicht mehr allgemein anerkannt sind. Hinzu kommt, daß die Justiz vielleicht zu sehr isoliert von der Bevölkerung 117 tätig ist. Dem Richter steht zwar eine Vielzahl von Sanktionen zur Auswahl. Trotzdem 118 ist er aber noch nicht in der Lage, hinreichend zu differenzieren. Auch verhindert die relativ schwache finanzielle Ausstattung die wirksame Ausführung mancher Sanktion. - Alles dieses kann gleichfalls als Faktor der Gewalt wirken.

IV. Strafvollzug Dem Strafvollzug wird vorgeworfen, er sei in Wahrheit eine Verbrechensschu- 119 le; außerdem sei er zu durchlässig; auch käme man zu schnell wieder heraus. Die öffentliche Meinung werde insbesondere dadurch schockiert, daß verschiedene Maßnahmen, die bereits zur Verkürzung der StrafverbüBung führen, noch mit Begnadigungen zusammengehen können.

V. Die Wiedereingliederung Die Maßnahmen der Wiedereingliederung werden als unzulänglich bezeich- 120 net. Der Strafentlassene ist den Problemen, sich in das soziale Leben hineinzu-

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finden, nicht gewachsen; er gerät wieder in sein altes Milieu und damit erneut in die Bereitschaft, Gewalttaten zu begehen.

F. Die Empfehlungen I. Gliederung 121

Der Bericht formuliert, wie erwähnt, 105 Empfehlungen. Sie betreffen zunächst die Voraussetzungen für die Erarbeitung des nötigen Tatsachenwissens als Grundlage von Empfehlungen. Der Bericht hatte hier verschiedene Wissenslücken festgestellt.

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Weitere Empfehlungen beziehen sich auf präventive Maßnahmen. Sie orientieren sich an den verschiedenen Faktoren der Gewalt, die der Bericht festgestellt hatte. Auch hier erfolgt nicht eine Aufgliederung nach den einzelnen Gebieten der Gewalt. Von der Beachtung der Empfehlungen wird vielmehr generell ein Einfluß auf die Gewalt, in welcher Form auch immer sie auftritt, erwartet. Weitere Empfehlungen beziehen sich auf die Repression. Im folgenden ist eine kurze Inhaltsangabe, jedoch keine Übersetzung der Empfehlungen gegeben.

II. Die Schaffung der Voraussetzungen, fundierte Vorschläge machen zu können l. Die Statistiken

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Empfehlung 1: Koordinierung der gerichtlichen Verfolgungsstatistik und der Polizeilichen Kriminalstatistik, um eine gemeinsame Verwendung zu ermöglichen.

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Empfehlung 2: Aufgliederung der Verurteiltenstatistik bei den einzelnen Delikten nach kennzeichnenden Tatumständen, insbes. hinsichtlich der Schwere der Straftat und der Begehungsweise.

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Empfehlung 3: Häufigere und raschere Veröffentlichung der Statistiken über die Jugenddelinquenz und die erzieherischen Maßnahmen.

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Empfehlung 4: Schaffung einer durchlaufenden Statistik, die insbes. Einzeldaten der Straftat und der verschiedenen Stadien des Strafverfahrens erfaßt. Es müßte heutzutage möglich sein, auf Grund der EDV eine solche Statistik zu errichten.

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Empfehlung 5: Sonderauswertung des statistischen Materials mit Hinblick auf Geisteskranke und seelisch abnorme Täter.

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2. Die Lage der Forschung

Empfehlung 6: 128 Durchführung von Untersuchungen über die Kosten der Kriminalität. Der Bericht hatte bei der Bestandsaufnahme festgestellt, daß es hinsichtlich einer Abschätzung der Kosten der Kriminalität kaum brauchbareUnterlagen gibt. Er macht deshalb in dieser Empfehlung genaue Vorschläge. Eine Kenntnis der Kosten der Kriminalität sei dienlich für eine Analyse des Strafverfahrens und bedeutsam als indirekter Maßstab für die wirksame Anwendung des Rechts.

Diese Forschungen sollten in den folgenden beiden Richtungen vorange- 129 bracht werden: Durch Analysen insbesondere der Haushaltspläne sollten regelmäßig festgestellt werden: die Auswirkung auf die öffentlichen Mittel, die finanziellen Nachteile der Opfer, der unmittelbare volkswirtschaftliche Schaden, die Abschätzung des Gewinnes aus den Straftaten. Eine Untersuchung der Kosten der verschiedenen Abschnitte des Strafverfahrens. Es geht um die Feststellung des verschiedenen Aufwandes an Zeit und Geld hinsichtlich der einzelnen Verfahrensabschnitte und auch hinsichtlich der verschiedenen Deliktsarten. Empfehlung 7: 130 Nötig ist ferner eine Neuordnung der Haushaltsmittel, die für die Forschung vorgesehen sind, einschließlich einer genaueren Aufgabenbestimmung für die zuständigen Einrichtungen. Empfehlung 8: Übertragung der Koordinierung dieser Untersuchungen an eine zentrale Stelle.

131

Vorgabe der Forschungsorientierung und Bestimmung der Prioritäten durch einen zu errichtenden Nationalen Ausschuß für Verbrechensverhütung. Empfehlung 9: 132 Förderung der einschlägigen soziologischen und pönologischen Forschungen durch Neugruppierung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel und Bildung von Forschergruppen. Empfehlung 10: Bevorzugte Förderung einschlägiger medizinisch-psychologischer Forschung.

Der Bericht gibt Einzelheiten über die nötige Forschung an. Dieses entspricht der vorangegangenen Feststellung, daß auf den Gebieten der Psychologie und Biologie bisher einschlägige brauchbare Kenntnisse nicht vorliegen, obwohl sie möglich wären.

133

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111. Präventive, insbes. sozialpräventive Maßnahmen 1. Städtebau

134

Empfehlung 11: Vermeidung einer Zersiedlung an den Stadträndern, die die natürliche Umgebung erheblich beeinträchtigt. Hierfür werden konkrete Vorschläge gemacht.

135

Empfehlung 12: Städtebauliche Planung dahin, daß nach Möglichkeit keine Städte mit mehr als 200 000 Einwohnern entstehen. Es hatte sich gezeigt, daß bei den größeren Städten die Kriminalitätsbelastung erheblich ansteigt. Eine solche Städtebaupolitik kann durch Koordinierung sehr gefördert werden.

136

Empfehlung 13: Errichtung von Satellitenstädten um die "Mutterstadt" in der vorstehend vorgeschlagenen Größe, jedoch von ihr durch Grüngürtel getrennt.

137

Empfehlung 14: Verhinderung der Bodenspekulation.

138

Empfehlung 15: Rückführung der Höhe und der Breite großer Gebäude mit Hinblick auf den Gesamtcharakter des betroffenen Gebietes.

139

Empfehlung 16: Förderung des Baues von Einfamilienhäusern (wird näher ausgeführt).

140

Empfehlung 17: Verwirklichung einer Methode des Städtebaus, die die Isolierung der Einwohner von Anfang an verhindert. Wünschenswert wäre die Errichtung von Ortszentren für jeweils 5-10 000 Einwohner.

141

Empfehlung 18: Neustrukturierung der bestehenden Städte zur Schaffung eines Eigenlebens der einzelnen Stadtteile. Der Stadtteil soll wieder Ort der Verbundenheit der dort Wohnenden untereinander und ihrer Solidarität sein, und damit Spannungen abbauen.

142

Empfehlung 19: Ermutigung der Einwohner, ihrem Stadtteil eine persönliche Note zu geben; Erlaubnis an die Stadtverwaltung, bestimmte öffentliche Einrichtungen zu dezentralisieren bzw. dezentralisierte Einrichtungen zu schaffen (Ortsvorsteher, Stadtteilsausschüsse, Stadtteils-Einrichtungen).

143

Empfehlung 20: Ausstattung eines jeden Stadtteils mit einer Vielzahl von Aktivitäten zur Animierung des Stadtteilslebens. Dadurch werde eine gewisse soziale Kontrolle der Gewalt ermöglicht. Außerdem können Spannungen abgebaut werden.

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Empfehlung 21: 144 Ermutigung des Vereinslebens durch finanzielle Förderung und durch Bereitstellen von Gelände. Empfehlung 22: 145 Verhinderung der Entmischung der Stadtteile hinsichtlich des Alters, des Einkommens und des kulturellen Zuschnittes durch personenorientierte Förderung, durch Schaffung von Wohnraum in den Häusern in verschiedenen Größen und Ausstattungen und durch Schaffung spezifischer kultureller Einrichtungen. Empfehlung 23: 146 Wiederherstellung der Stadt als Raum der Begegnung; Vermeidung der Stadt als Ort sich kreuzeoder Pfade der Einsamkeit. Es sollten die Straßen und Plätze wieder in einer Art hergerichtet werden, die es ermöglicht, daß sie verlebendigen und menschliche Wärme ausstrahlen. Ausdehnung von Fußgängerzonen. Verbot von großen Straßen, die die Stadt zerschneiden. Empfehlung 24: 147 Schaffung von Spiel- und Abenteuerplätzen, die dem eigenen Gestalten viel Raum lassen. Empfehlung 25: 148 Vermehrung der Radfahrwege. Schaffung, außerhalb der Städte, von Gelände für Motorsport. Empfehlung 26: 149 Weitgehende Überlassung der inneren Ausgestaltung der Wohnung an den Wohnungsinhaber selber, damit er seiner Wohnung eine persönliche Note geben und sich aus der Ausgestaltung seiner Wohnung ein Freizeit-Hobby machen kann. Empfehlung 27: Förderung einer verstärkten Lärmisolierung der Wohnungen und der Werkstätten.

150

Empfehlung 28: 151 Vermeidung von Monumentalbauten der öffentlichen Hand. Gedacht ist an Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Universitäten, Schulen, Gerichte, Gefangnisse.

2. Verlust der Kultur Empfehlung 29: 152 Ergreifung von Maßnahmen, um die Entwurzelung zu verringern und dem Menschen seine Umwelt und seine Lebensgewohnheiten zu erhalten.

Hier wird insbesondere das folgende empfohlen: Man sollte von der bisherigen Übung der industriellen Konzentration abgehen. Diese war früher notwendig wegen des billigen Zuganges zum

153

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hauptsächlichen Energiespender, der Kohle, und den Grundmaterialien. Hochspannungsleitungen, Gas- und Ölleitungen, hinreichend große Kanäle und Autobahnen machen diese Konzentration heute überflüssig. 154 Bei der Raumplanung sollten nicht nur die Menschen auf die Arbeitsplätze hin orientiert werden, sondern insbesondere auch umgekehrt sollte Arbeit dort angeboten werden, wo die entsprechende Bevölkerung lebt. 155 Die örtlichen Handwerksbetriebe sollten durch Ausbildung auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden. 156 In benachteiligten Gebieten sollten Fabriken entstehen, die der Bevölkerung in der Umgebung Arbeitsplätze verschaffen. 157 Es sollten Industriebetriebe und verarbeitende Betriebe mittlerer Größe durch Unterstützung der Modernisierung und der Entwicklung gefördert werden. 158

Förderung der Auflösung großer Industriebetriebe in kleinere Einheiten mit menschlicheren Ausmaßen.

159

Empfehlung 30: Soweit sich eine Entwurzelung nicht vermeiden läßt: Untersuchung der Möglichkeiten, die Auswirkungen der Entwurzelung zu begrenzen sowie Förderung von Maßnahmen der sozialen Integration.

3.

~acbblüßbrauch

160

Empfehlung 31: Ausdehnung der Bekämpfung von wirtschaftlichem Machtmißbrauch. Förderung des öffentlichen Bekanntwerdens verurteilter Fälle dieses Machtmißbrauchs.

161

Empfehlung 32: Förderung von Schiedsstellen bei Arbeitskonflikten, um den Ausbruch von Gewalttätigkeiten zu vermeiden.

162

Empfehlung 33: Strenge Sanktionierung von Verwaltungswillkür und von staatlichem Machtmißbrauch, ferner des Vor-vollendete-Tatsachen-Stellens, der Nichtbeachtung der Gesetze und Vorschriften durch die Verwaltung sowie der Nichtbefolgung gerichtlicher Entscheidungen. Schaffung umfassender Rechtsmittel für die Betroffenen gegenüber diesem institutionellen Machtmißbrauch.

163

Empfehlung 34: Beseitigung von Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung, z. B. Langsamkeit, Anonymität, mangelnde Verantwortlichkeit, Geheimniskrämerei. Beteiligung der Betroffenen an bestimmten Entscheidungsprozessen der Verwaltung (Autobahnbau, städtebauliche Planung). Wirksame Ausgestaltung der Öffentlichkeit des Verwaltungshandelns.

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Empfehlung 35: 164 Erschwerung der mißbräuchlichen Verwendung unverständlicher Gesetze oder der Sinnverdrehung von Texten. Zu diesem Zweck sollte die Öffentlichkeit über solche Unverfrorenheilen sachlich unterrichtet werden. Außerdem sollten der Regelungsgehalt vereinfacht, sowie die Texte, ihre Sprache und ihre Mitteilung klar und übersichtlich sein. Schließlich sollte die Öffentlichkeit zur kritischen Wachheit gebracht werden.

4. Kriminalität des Wirtschaftslebens Empfehlung 36: 165 Erschwerung, entsprechende Delikte begehen zu können, insbesondere durch folgende Maßnahmen: Information der Öffentlichkeit über die sich ständig ändernden Formen dieser Kriminalität. Verbesserung der Sicherheit des Geldverkehrs. Schaffung spezieller strafrechtlicher Maßnahmen zur Verhinderung von vorgeschobenen Personen oder von Strohmännern. Verhinderung der Gründung betrügerischer Unternehmen. Schaffung besserer Verbindungen zwischen der Staatsanwaltschaft und den Behörden, die die Tätigkeit der Wirtschaftsgesellschaften überwachen.

Empfehlung 37: Erhöhte Strafrisiken für den Straftäter insbes. durch folgende Maßnahmen:

166

Schaffung von Berufsverboten; Schaffung einer speziellen Gerichtsbarkeit. Bei der Geldstrafe Anpassung der Höhe der Strafe an den Deliktsgewinn; Schaffung eines Straftatbestandes ,Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit' gegen schwindlefische Schuldner. 5. Schutz der FarniUe

Empfehlung 38: Information der Eltern oder der künftigen Eltern durch qualifizierte Einzelpersonen oder Vereinigungen, über das Radio oder über das Fernsehen zu bestimmten Grundlagen der Erziehung (Wichtigkeit der frühen Kindheit und der Beziehung Vater-Mutter-Kind; Unausgeglichenheit des Jugendalters). Information auch über die Irrtümer, die die Eltern vermeiden sollten.

161

Empfehlung 39: 168 Entwicklung einer gesunden Familie. Erforschung einer harmonischen und fähigen Struktur des Familienlebens, die den Bedürfnissen der Familie und ihrer Mitglieder mit Hinblick auf die Gesellschaft entspricht. 7 Gewaltkommission Bd. JII

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169

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Empfehlung 40: Erleichterung der Anpassung der Arbeitszeiten sowie Entwicklung von Teilzeitarbeit, um es insbesondere den Müttern zu ermöglichen, mehr Zeit dem Familienleben zu widmen, wenn sie arbeiten wollen. Es sollte gerade den Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit eröffnet werden, zwischen Voll- und Teilarbeitszeit wählen zu können. Vergrößerung des Angebotes von Lösungsmöglichkeiten an die Familien, einerseits den Verpflichtungen zur Arbeit genügen und andererseits der emotionalen Entwicklung der Kinder Rechnung tragen zu können. 6. Massenmedien

170

Empfehlung 41: Untersuchung der möglichen Zusammenhänge von Lichtspielvorführungen und Fernsehsendungen mit der Gewalt. Der Bericht sieht ausdrücklich davon ab, Empfehlungen hinsichtlich der Massenmedien, die sich in Schriftform äußern, zu geben. Auf diesem Gebiet genüge die Beachtung der bestehenden Regeln. Der Bericht unterstreicht, daß stets das Recht der freien Meinungsäußerung zu respektieren sei. Damit seien Maßnahmen ausgeschlossen, die, offen oder verdeckt, auf eine Zensur hinausliefen. Um zu verhindern, daß die jungen Menschen sich an Gewalt gewöhnen, hält es der Bericht für unerläßlich, daß die verschiedenen Fernsehanstalten Anstrengungen unternehmen, Sendungen mit Gewaltcharakter zahlenmäßig zu begrenzen oder nur zögerlich in die Programmierung aufzunehmen. Sie sollten außerdem erst gegen Ende der Sendezeit ausgestrahlt werden. Diese Empfehlung gilt insbesondere, wenn Gewaltszenen ausgestrahlt werden, die in der Gegenwart und in Situationen spielen, die den Kindern und Jugendlichen vertraut sind, die ferner in einem Umfeld stattfinden, das ihrem alltäglichen Leben entspricht.

171

Empfehlung 42: Prüfung der Möglichkeit, für jede Fernsehanstalt einen Programmbeirat zu schaffen, nicht zuletzt zur Umsetzung der Empfehlung Nr. 41. Dieser Beirat sollte auch darüber wachen, daß die Fernsehteilnehmer vorher über den speziellen Charakter des Filmes informiert werden.

172

Empfehlung 43: Es sollte in Aussicht genommen werden, die Polizeibefugnisse der Bürgermeister mit Hinblick auf öffentliche Veranstaltungen wieder zu beleben und vielleicht sogar zu vergrößern, um eine Eingrenzung von Filmen mit Gewaltdarstellungen unter Hinblick auf die örtlichen Begebenheiten vorzunehmen; hierbei wären insbesondere die Jugendlichen oder bestimmte Gruppen von Jugendlichen in

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Betracht zu ziehen. Die Umgrenzung und Verwirklichung einer solchen Polizeibefugnis bedarf allerdings noch sorgfältiger Überlegungen, weil sie das Recht der Meinungsfreiheit berührt. Empfehlung 44: 173 Es sollte eine häufigere Anwendung der Befugnisse des Präfekten erwogen werden, nach Erörterung mit dem Bürgermeister und einer Kornmission (Jugendrichter, Leiter des Gesundheits- und Sozialwesens u. a.) Minderjährigen den Zugang zu bestimmten Veranstaltungen, insbesondere zu bestimmten Filmvorführungen zu verbieten, wenn die Vorführung schädlichen Einfluß auf die Gesundheit oder die guten Sitten haben kann.

7. Alkoholismus und Medizin

Empfehlung 45: 174 Nachdrücklichere Verhütung des Alkoholismus, der häufig mit Gewaltakten zusammengeht. Einrichtungen, die empirisches Material sammeln und auswerten, sollten daran beteiligt werden, moderne Wege der Verhütung und der Therapie des Alkoholismus zu entwickeln. Empfehlung 46: Systematische Untersuchungen in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften, durch Ausstattung der entsprechenden Dienststellen mit den hierfür erforderlichen Mitteln.

115

176 Empfehlung 47: Aktualisierung, Verbesserung und Ausdehnung der gesetzlichen Vorschriften über die gefahrliehen Alkoholika. 177 Empfehlung 48: Bessere Information über den Alkoholismus als kriminogenen Faktor. Diese Unterrichtung sollte sich bereits an die Grundschüler richten. Außerdem sollten die Erzieher, die sich mit Fragen der Gewaltverhütung befassen, hierüber besonders informiert werden.

Empfehlung 49: Genauere Anwendung der Vorschriften über die Werbung für Alkoholika.

178

Empfehlung 50: 119 Vervollständigung der Grundausbildung in einigen Berufen über das, was Bezug auf Kriminalität und gewalttätiges Verhalten hat. Die künftigen praktischen Ärzte sollten eine Ausbildung auf dem Gebiet der seelischen Abnormitäten erhalten. Zu ihr gehört auch die Befassung mit den gefährlichen Verhaltensweisen, die auf seelische Störungen zurückgehen. Diese Ausbildung sollte mehrere Jahre lang dauern. Hierbei sollten Vorlesungen mit 7*

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klinischen Demonstrationen abwechseln. Außerdem sollten ergänzend Grundkenntnisse der gesetzlichen Vorschriften über sozial-vorbeugende Maßnahmen vermittelt werden. Ärzte, die bereits in der Berufspraxis stehen, sollten entsprechende Fortbildungskurse besuchen können. 180 Empfehlung 51: Den Psychiatern sollte es auferlegt werden, in den Fächern Sozialpathologie, forensische Psychiatrie und Kriminologie zu unterrichten. Es wäre wünschenswert, wenn sie genauer darüber Bescheid wüßten, wie das Strafrechtssystem mit den Sicherungsmaßnahmen bei Geisteskranken zusammengeht. 181 Empfehlung 52: Alle Praktiker auf dem Gebiet der Strafrechtspflege sollten Informationen über die Ergebnisse kriminologischer Untersuchungen erhalten. 8. Jugendschutz

182

Empfehlung 53: Ermutigung des spontanen Entstehens von Jugendgruppen, soweit sie hinreichend durchdacht und realistisch sind. Hierbei insbesondere Förderung oder Entwicklung von Stadtteilsvereinigungen. 183 Empfehlung 54: Verstärkung der Teilhabe der Jugendlichen an der Auswahl und der Organisation ihrer Freizeitbeschäftigung. Die Vorschriften über den Bau und die Organisation von Jugendhäusern sollten gemildert werden, um nicht Initiativen zu lähmen. 184

Empfehlung 55: Den Jugendlichen sollte ein größerer Zugang zu den sozio-kulturellen Einrichtungen verschafft werden. Bestimmte Praktiken, als solche zu kennzeichnen, sollten untersagt werden, z. B. Fernhalten durch unangemessene Altersgrenzen oder durch hohe Eintrittsgebühren. In den Einrichtungen sollten auch weniger ausgefeilte Tätigkeiten möglich sein, um nicht eine allzu regelmäßige Teilnahme fordern zu müssen. 185 Empfehlung 56: Im Bereich des Sports Aufgabe des Grundsatzes der systematischen Auswahl, da diese zum Ausschluß jener führt, die nicht intensiv trainieren können. Wünschenswert ist die Förderung freiwilliger örtlicher Sportvereinigungen, da sie hervorragend geeignet sind, soziale Beziehungen aufzubauen. 186

Empfehlung 57: Vervollständigung der Ausbildung der Erzieher, die sich für die Tätigkeit auf dem Gebiet der sozialen Prävention entschlossen haben. Sie sollten eine vertiefte Ausbildung über die Randmilieus erhalten. Sie sollten zur Ausbildung zeitweilig Erziehern, die auf diesem Gebiet Erfahrung haben, zugeordnet werden.

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Empfehlung 58: Einstellung von Erziehern zur Prävention. Die Einstellung könnte sich einmal beziehen auf erfahrene Mitarbeiter, die bereits auf dem Gebiet des Sozialwesens u. dgl. tätig waren. Eingestellt werden sollten jedoch auch solche Jugendliche, die aus dem Randgruppenmilieu stammen. Gerade sie stellen sich häufig als großartig Anleitende heraus.

187

Empfehlung 59: Neuordnung der Besoldung und der beruflichen Lautbahn von PräventionsErziehern. Ein solcher Erzieher kann seine Tätigkeit nicht sein ganzes Leben lang wirkungsvoll und mit Schwung ausüben. Es ist vorrangig, sicherzustellen, daß Übergänge und Eingliederungsmöglichkeiten mit Hinblick auf eine Tätigkeit in der Verwaltung oder in Bereichen, die an das Sozialwesen angrenzen, möglich sind.

188

Empfehlung 60: Schaffung von Anreizen, interdisziplinäre Präventionsgruppen einzurichten. Die Schwierigkeit der Arbeit auf dem Gebiet der Prävention führt dazu, gerade solche Gruppen zu fördern, zu denen nicht zuletzt Erzieher und auch Psychologen gehören sollten.

189

Empfehlung 61: 190 Begünstigung einer verstärkten pädagogischen Zusammenarbeit unter den einzelnen Präventionsgruppen, die in demselben räumlichen Gebiet arbeiten. Empfehlung 62: Organisierung einer wirksamen Koordination der Tätigkeit der verschiedenen Dienste, die sich mit Prävention befassen.

191

Empfehlung 63: 192 Sicherung einer angepaßteren finanziellen Ausstattung für die Vereinigungen, die auf dem Gebiet der Prävention tätig sind. Es wird ein Pauschalsystem vorgeschlagen, zumindest die Schaffung eigener Fonds, mit nachheriger genauer Kontrolle. Empfehlung 64: Motivierung der Staatsanwaltschaften, Verfahren gegen Minderjährige möglichst vor den Jugendrichter zu bringen, da nur dieser die spezialisierten Fachkenntnisse für den gerichtlichen Jugendschutz hat.

193

Empfehlung 65: Entwicklung pädagogisch orientierter Dienste bei dem Richter, der mit Jugendsachen befaßt ist. Soweit solche Dienste bestehen, üben sie eine wichtige Rolle aus. So geht z. B. die Zahl der erhobenen Anklagen zurück zu Gunsten von pädagogischen Lösungen.

194

Empfehlung 66: Organisierung einer geordneten und häufigen Zusammenarbeit auf Departement-Ebene, zwischen den Jugendrichtern und den Vertretern des Gesundheits-

195

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und Sozialwesens. Damit soll verhindert werden, daß verschiedene Sozialarbeiter unkoordiniert sogar innerhalb derselben Familie tätig werden. 196

Empfehlung 67: Es sollte die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß der Jugendrichter eine erzieherische Maßnahme ohne Freiheitsentzug anordnen kann, wenn der Jugendliche dem Sozialdienst für Minderjährige unterstellt ist.

197

Empfehlung 68: Im Bereich der individuellen Prävention sollte das Eingreifen der Polizei und der Gendarmerie nur punktuell sein. Bei Eingriffen von längerer Dauer müßte die Verpflichtung bestehen, hierüber die Verwaltungsbehörden oder die Gerichte zu informieren.

198

Empfehlung 69: Ausstattung eines jeden Jugendgerichtsbezirks mit verschiedenen Einrichtungen, damit den Zielen des Jugendschutzes hinreichend Rechnung getragen werden kann. Dieser zielt darauf ab, soweit wie möglich freiheitsentziehende Maßnahmen zu vermeiden.

199

Empfehlung 70: Änderung des Zuständigkeitsbereichs der Richter, die sich mit Jugendschutz befassen. Der Jugendrichter sollte zum Richter für die Jugend werden.

200

Empfehlung 71: Verbesserung der Ausstattung für die Jugendrichter; Schaffung einer größeren Stabilität hinsichtlich ihrer Tätigkeit und ihrer Position; Intensivierung ihrer Ausbildung vor und während der Berufstätigkeit

201

Empfehlung 72: Vergrößerung der Zahl der Erzieher. Die Zahl ist gegenwärtig zu gering für eine Erziehung, die sich kontinuierlich an den Bedürfnissen des einzelnen zu Erziehenden orientiert. Auch ist sie im Vergleich mit denen der Nachbarländer zu gering.

202

Empfehlung 73: Zweckmäßigere Ausgestaltung der Schulpflicht. Sie sollte die Eingliederung gerade der am meisten benachteiligten Schüler erleichtern. Es sollte das Interesse der Schüler geweckt werden; sozio-kulturelle Erschwernisse sollten verringert werden; Gewährleistung einer vorberuflichen Ausbildung, die sich auch dem Schüler anpaßt.

203

Hierfür werden die folgenden Grundlinien vorgeschlagen: Empfehlung 74: Vergrößerung des Interesses der Schüler für den Unterricht, der ihnen zugedacht ist. Es ließ sich ein Bedürfnis der Schüler feststellen, an dem Leben der Schuleinrichtung teilzunehmen. Es ist ferner erforderlich, daß die Lehrer eine intensive psychologisch-pädagogische Ausbildung erhalten, damit sie besser auf das Gesprächsbedürfnis der Schüler eingehen können. Außerdem liegt den

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103

Schülern und auch den Studenten an einer Ausbildung, die gegenüber der Außenwelt offener ist. Empfehlung 75: 204 Verringerung der sozio-kulturellen Benachteiligung durch - eine möglichst frühzeitige Abklärung dieser Benachteiligungen m der Schule; - eine Pädagogik der Unterstützung, die es erlaubt, beim Unterrichten stark auf den einzelnen Schüler einzugehen; - eine Verringerung des Umfanges des Lehrprogrammes, damit sich der Unterricht auf die wesentlichen Gebiete konzentrieren kann. Es wäre gleichfalls erforderlich, Lehrer vorzusehen, die für diese Art des Unterrichts besonders geeignet und am besten ausgebildet sind. 205 Empfehlung 76: Gewährleistung einer angemessenen vorberuflichen Ausbildung. Dieses Ziel ließe sich durch verschiedene Maßnahmen erreichen: - Gewährleistung einer individualisierten Ausbildung, die die schulische Ausbildung ergänzt. Sie sollte durchgeführt werden von Lehrern, die selber eine angemessene praktische und psychologische Ausbildung erhalten haben. Auch sollten die Werkstätten hinreichend ausgestattet sein. - Anpassung der neuen Unterrichtsformen an die Berufspraxis; Vorbereitung im Unterricht auf den Lebensalltag; - Organisation von Praktika in Unternehmen oder Handwerksbetrieben in der Weise, daß sie zu einer klaren Vorstellung von den entsprechenden Berufen führen; - Vervielfachung der Praktika in den öffentlichen Unternehmen.

Empfehlung 77: Zulassung ausnahmsweiser Befreiung von der Schulpflicht für solche Kinder, die nach dem 14. Lebensjahr eine schulische Ausbildung nicht mehr durchstehen können. Diese sollten einen entsprechenden angepaßten Unterricht erhalten.

206

In Erziehungsheimen sollten die Leiter die Zuständigkeit haben, für die in diesen Heimen Heranwachsenden die Herausnahme aus der Schulpflicht vorzusehen.

9. Sicherheit der Gebäude

Empfehlung 78: 207 In enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden Berufszweigen und den zuständigen Verwaltungen: Festsetzung von Normen für die Gewaltverhütung, die bei der Errichtung von Gebäuden zu beachten sind, soweit diese von mehreren gemeinsam bewohnt werden oder der Öffentlichkeit zugänglich sind. Schaffung entsprechender Zuständigkeiten.

104 208

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Empfehlung 79: Verstärkung der Straßenbeleuchtung und der sonstigen Einrichtungen, die die Sichtverhältnisse verbessern können.

IV. Strafrechtspflege 209 Es handelt sich um repressive Maßnahmen sowi~J um präventive Tätigkeit, soweit diese im Zusammenhang mit der Strafrechtspflege steht. 1. Die Polizei

210

Empfehlung 80: Durchführung einer Studie, um zu ermitteln, welche Mindestausstattung für die Polizei erforderlich ist, damit sie dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger entsprechen kann. In einigen Gebieten ist die Polizei offensichtlich zu wenig präsent. Dieses ist insbesondere der Fall am Rand der großen Stadtgebiete.

211

Empfehlung 81: Einrichtung von kleineren PolizeisteHen in den Stadtteilen, anstelle von zentralen "Polizeihäusern". Rückgriff auf die sog. Inselbildung.

In ländlichen Gebieten wurden gute Erfahrungen mit dezentralisiert stationierten Gendarmerieposten gemacht. Bei der Planung eines Stadtteils ist die Errichtung einer örtlichen Polizeistation rnitzuberücksichtigen. 212

Empfehlung 82: Untersuchung der Wirksamkeit des polizeilichen Einsatzes mit dem Ziel, die verschiedenen Polizeieinheiten besser mit den benötigten Ausrüstungsgegenständen zu versehen. 213 Empfehlung 83: Verbesserung der Beziehung zwischen der Polizei und den Bürgern: - Entwicklung der Information des Bürgers über die polizeiliche Tätigkeit und auch über die Zwänge, denen die Polizei ausgesetzt ist, ferner über die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, wenn es bei Gelegenheit eines Polizeieinsatzes zu polizeilichem Gewaltmißbrauch kam. - Vertiefung der beruflichen und der bürgerlichen Ausbildung der Polizeibeamten. Einräumung von Prioritäten für die Aufgaben der Sicherheit und für die Einstellung gegenüber der Öffentlichkeit. 2. Das Gerichtswesen

214

Empfehlung 84: Gewährleistung einer besseren Kenntnis der Ziele und der Arbeit des Gerichtswesens.

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Bei den Jugendlichen: Aufnahme eines Grundunterrichts über die Möglichkeiten und die Arbeitsweisen des Gerichtswesens in die Lehrprogramme für die Zeit vor dem Ende der Schulpflicht; Schaffung von Anreizen dazu, Verbindungen zu all den Berufen herzustellen, die mit dem Gerichtswesen zu tun haben. Bei den Personen, die vor Gericht erscheinen müssen: Allgemeine Einrichtung von entsprechend ausgestatteten ,Anlaufstellen' bei den einzelnen Gerichten. Diese Anlaufstellen sind nicht als juristische Beratungsstellen gemeint. Zu ihnen können ergänzend Informationsdienste hinzutreten, die einige Stadtverwaltungen einrichten oder einzurichten beabsichtigen und zwar entweder für die Stadt oder für Stadtteile. Gegenüber der Gesamtheit der Bürger: Befriedigung des Informationsbedürfnisses des Bürgers: Bei Gelegenheit bestimmter Fälle sollte der Bürger nicht nur über die entsprechende Sache mit Informationen versorgt werden, sondern darüber hinaus auch über die Arbeitsweise des Gerichtswesens. Überprüfung der Rechtsgrundlagen für die Geheimhaltung der Ermittlungen, allerdings unter Beachtung der Verteidigungsrechte. Empfehlung 85: 215 In Verbindung mit der Gerichtsinstanz Schaffung einer Aussöhnungsstelle, an die sich die Parteien wenden können, um zu vermeiden, daß die kleinen Alltagskonflikte vor das Strafgericht kommen. Empfehlung 86: 216 Verbesserung der personellen Ausstattung der Kriminalpolizei. Die Zahl der Polizeibeamten und der Polizeioffiziere muß erhöht werden. Zu diesem Zweck Entwicklung einer nicht zu zeitraubenden Spezialausbildung. Die hierfür zuständigen Staatsanwälte sollen dazu angehalten werden, die Tätigkeit der Kriminalpolizei, die sie überwachen, zu intensivieren und zu koordinieren. Empfehlung 87: Es erscheint insbesondere wünschenswert, daß diese Staatsanwälte zusammen mit den Präfekten von vornherein gemeinsame Aktionspläne für die Fälle entwickeln, in denen die Kriminalpolizei und die Schutzpolizei einzusetzen sind.

3. Internationale Zusammenarbeit

Empfehlung 88: 217 Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verhütung und der Bekämpfung der Gewaltverbrechen durch die Entwicklung von Einrichtungen der strafgerichtliehen Zusammenarbeit und der Ausweisung.

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Die Bemühungen um die internationale Zusammenarbeit müßte - unter Beachtung des Asylrechts und des Status des politischen Flüchtlings, die in Frankreich traditionell gewährt werden - fortgesetzt und intensiviert werden insbesondere auf folgende Weise: - weltweit durch Förderung der gegenwärtigen Arbeiten der Vereinten Nationen über den Kampf gegen den Terrorismus und die Geiselnahme; - in Europa durch Beschleunigung der Ratifikation des am 27. Januar 1977 von sieben Mitgliedsländern des Europarals gezeichneten Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus. Ferner durch verstärkte Fortsetzung der Arbeit innerhalb der neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, entsprechend den Entscheidungen des Europäischen Ausschusses vom 13. Juli 1976, für die Erarbeitung eines neuen Übereinkommens zur Einrichtung eines vereinfachten Ausweisungsverfahrens unter den Neun bei schweren Gewalttaten. 218

Empfehlung 89: Durchführung einer Studie über die Bedingungen, unter denen die Verbrechensbeute dem Zugriff der Behörden verborgen bleibt und später wieder in den Wirtschaftskreislauf gebracht wird.

Insbesondere hinsichtlich der Verbrechen, die große Profite bringen, ist es wesentlich, daß die Gewinne, die in dem einen oder dem anderen Land verborgen werden konnten, entweder beschlagnahmt oder dem Opfer wieder zugeleitet werden. Diese Studie sollte in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen zur Verbrechensbekämpfung anderer Länder durchgeführt werden.

4. Das Strafrechtssystem 219

Empfehlung 90: Fortsetzung und Verstärkung der vor einigen Jahren begonnenen Bemühungen um die Schaffung neuer Strafen, die geeignet sind, bestimmte freiheitsentziehende Strafen zu ersetzen. Zu diesem Zweck sollte ins Auge gefaßt werden, eine Strafe zu schaffen, deren Vollstreckung mit Einwilligung des Verurteilten darin besteht, zeitweilig gemeinnützige Arbeit zu leisten. Es sollten ferner verstärkt die Möglichkeiten geprüft werden, Strafen vorzusehen, die Rechte entziehen oder es untersagen eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, ohne jedoch den betreffenden an den Rand seiner Existenz zu bringen. Ebenso sollten die Möglichkeiten der Beschlagnahme - unter Berücksichtigung der Rechte Dritter und insbesondere der Familie des Betroffenen überprüft und erweitert werden.

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Empfehlung 91: 220 Vergrößerung der Möglichkeit für den Richter, die Geldstrafe mit Hinblick auf die Vermögensverhältnisse des Täters und des Gewinnes, den er aus dem Delikt gezogen hat, zu bestimmen. Hierzu gehört: - Erhöhung bestimmter gesetzlicher Höchstgrenzen, die unzulänglich geworden sind; - Schaffung eines Geldstrafenkataloges; - Verbesserung der richterlichen Möglichkeit, sich einen Einblick in die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten zu verschaffen. Empfehlung 92: 221 Schaffung der Möglichkeit für den Richter, das Verbot auszusprechen, eine Waffe zu erwerben oder im Besitz zu haben. Empfehlung 93: 222 Schaffung der Möglichkeit für den Richter, bei Jungerwachsenen Erziehungsmaßnahmen vorzusehen, die denen entsprechen, die das Jugendgericht verhängen kann. Empfehlung 94: 223 Modemisierung der Strafvorschriften mit Hinblick auf die Änderung des Moralverständnisses und die Einschätzung der Gewalt. Diese "Umschmelzung" ist nötig, damit die Justiz gemäß ihrer Aufgabe zur Bestätigung der anerkannten Werte beiträgt. Empfehlung 95: Untersuchung über eine bessere Aufgliederung der Verbrechenstatbestände.

224

Es ist wünschenswert, daß, soweit wie möglich, das Strafrecht nicht mehr 225 unter den selben Merkmalen ganz verschiedene Sachverhalte erfaßt. Es ist vielmehr geboten, daß bereits in der strafrechtlichen Norm die konkreten Tatumstände, ihre tatsächliche Schwere und das Verhalten des Täters Berücksichtigung finden. Hiermit soll auch erreicht werden, daß nicht mehr bestimmte qualifizierte Tatbestände auf Fälle angewendet werden, die zwar darunter subsumierbar sind, aber nicht den entsprechenden Unrechtsgehalt aufweisen.

5. Sachverständigengutachten

Empfehlung 96: 226 Volle Berücksichtigung des Persönlichkeitsgutachtens. Zu diesem Zweck sollen die Regeln über die Zulassung als Gerichtsgutachter neu geordnet werden. Dabei sind die Vorraussetzungen festzusetzen, nach denen jemand in die Liste der Sachverständigen aufgenommen werden kann. Hierzu gehört eine angemessene psychiatrische und juristische Ausbildung. Außerdem

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muß Vorsorge dafür getroffen sein, daß die Unabhängigkeit des Gutachters gewährleistet ist. Unter diesen Voraussetzungen soll die Zahl der in dieser Liste aufgeführten Gutachter deutlich vergrößert werden. Gutachter, die in dieser Liste nicht aufgeführt sind, sollten nur in Ausnahmefällen herangezogen werden. 227

Empfehlung 97: Einholung von Gutachten in allen Fällen von Gewaltverbrechen, aber auch bei entsprechenden Vergehen. Das Gutachten über die Verantwortlichkeit soll in Strafsachen bereits zu Beginn der Ermittlungen durchgeführt werden. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten soll möglichst erst kurz vor dem Urteil und unter Berücksichtigung der abgeschlossenen Ermittlungen erstellt werden.

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Empfehlung 98: Modernisierung der Hilfsmittel für die Gutachten. Schaffung besonderer Zentren für Gutachten insbesondere zur Abschätzung der Gefährlichkeit und der Verantwortlichkeit des Beschuldigten. 6. Strafvollstreckung

229

Empfehlung 99: Prüfung der Möglichkeit, das Strafrecht dahingehend zu refonnieren, daß bei Verurteilung zu einer schweren Strafe ein Gericht von der selben Art wie das verurteilende dafür zuständig wird, über eine bedingte Strafaussetzung zu entscheiden.

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Empfehlung 100: Vergrößerung der Zahl der Vollstreckungsrichter. Es wird als wünschenswert angesehen, daß im Rahmen des möglichen dem erkennenden Gericht dann ein Vollstreckungsrichter angehört, wenn eine freiheitsentziehende Strafe in Betracht kommt.

231

Empfehlung 101: Neuordnung der Regelungen über Freigang und Ausgang auf Gefangene, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden. Es erscheint wünschenswert, daß die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen dem Strafvollstreckungsrichter seine Stellungnahme zur Frage der Ausgangs- oder Freigangserlaubnis mitteilt. Bei Meinungsverschiedenheiten könnte die Sache unmittelbar vor einen Richter des Berufungsgerichts, zu denken wäre an den Präsidenten des Berufungsgerichts oder seinen Stellvertreter, gebracht werden. Dieser Richter hätte auch den Verurteilten und seinen Verteidiger anzuhören.

232

Empfehlung 102: Unabhängig von den bestehenden Gefängnissen: Schaffung von Vollzugsanstalten kleineren Ausmaßes und mit vereinfachter Verwaltung.

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Diese Einrichtungen könnten insbesondere für den halboffenen Vollzug und für den Vollzug kurzer Freiheitsstrafen vorgesehen werden. Es ist erforderlich, die Strafvollzugsreform fortzusetzen.

7. Todesstrafe Empfehlung 103: Die Todesstrafe ist abzuschaffen. Wenn dieses geschieht, könnten m den folgenden Fällen "Sicherheitsstrafen" verhängt werden: - Kindesraub oder Geiselnahme, wenn das Opfer gestorben ist; - vorsätzliche Tötung einer Person, die direkt oder indirekt zur Aufrechterhaltung eines öffentlichen Dienstes beitrug: - vorsätzliche Tötung einer Person, die der Täter wegen ihrer Schwäche zum Opfer ausgesucht hatte; - erneute vorsätzliche Tötung.

233

V. Einrichtungen Empfehlung 104: 234 Schaffung auf nationaler Ebene einer dauernden Einrichtung, die mit weiteren Einrichtungen auf der Ebene der Departements in Verbindung steht und die Aufgabe hat, die Anstrengungen zur Verhütung der Kriminalität und der Gewalt, die heute sehr verstreut sind, zu koordinieren, anzuregen und wirksamer zu gestalten. Die nationale Institution sollte beim Amt des Premierministers geschaffen werden. Sie sollte Vertreter aller der Stellen umfassen, die sich mit der Verbrechensverhütung beschäftigen. Diese Einrichtung sollte Überlegungen fördern und Aktivitäten anregen. Sie sollte Maßnahmen der Verbrechensverhütung aufallden verschiedenen Gebieten des sozialen Lebens ermutigen, Initiativen anregen und Forschungen auf dem Gebiet der Gewalt und der Kriminalität fördern. Empfehlung 105: 235 Auf der Ebene der Departements sollten dezentralisierte Einrichtungen errichtet werden, da sich dort die Hauptprobleme der Koordinierung stellen. Sie hätten aufmerksam auf die Sorgen der Bevölkerung zu achten und eine Politik der Prävention zu entwickeln, die auf die besonderen Umstände der Kriminalität in dem entsprechenden Gebiet Rücksicht nimmt. Diesen Einrichtungen könnten angehören: der Präsident des Generalrats, die Bürgermeister der wichtigeren Städte, der Präfekt, Vertreter der Gerichte und der Staatsanwaltschaften, die Leiter der Polizei sowie der Verwaltung, ferner qualifizierte Einzelpersonen, schließlich auch Vertreter von Vereinigungen, ebenso der Rechtsanwälte und der lokalen Presse.

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G. Beurteilung des Peyrefitte-Berichts 236

Der Gegenstandsbereich des Peyrefitte-Berichts umfaßt neben der Gewalt schlechthin, die im Vordergrund steht, auch die Kriminalität und die Delinquenz. Er ist somit erheblich weiter als das Thema der Gewaltkommission der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund für diese weitere Fassung mag auch darin zu erblicken sein, daß es in Frankreich nicht als sinnvoll erschien, Erwägungen allein zur Gewalt, zudem nur zu bestimmten ihrer Formen, anzustellen und dabei ihre übrigen Formen sowie die Kriminalität und die Delinquenz kaum oder gar nicht in Betracht zu ziehen.

I. Die Darstellung der Gewalt 237

Wenn der Peyrefitte-Bericht hinsichtlich der Gewalt zwar grundsätzlich nicht nach einzelnen Bereichen unterscheidet, sondern vielmehr dem- mehr oder weniger vage umschriebenen - Gebiet der Gewalt schlechthin nachgeht, so wird doch deutlich, daß der Bericht alle die fünf Bereiche von Gewalt umfaßt, die in dem Mandat für die Gewaltkommission der Bundesrepublik besonders aufgeführt sind. Hierbei ist bemerkenswert, daß der Peyrefitte-Bericht den Begriff "politisch motivierte" Kriminalität vermeidet. Es ist vielmehr die Rede von besonderen Personengruppen, die ihre Interessen, nicht selten ihre existentiellen Interessen, durch die Regierungspolitik gefahrdet sehen.

238

Hervorzuheben ist ferner, daß der Bericht statt von eingewanderten Arbeitern und ihren Familien von Personen spricht, bei denen sich verschiedene soziale Probleme häufen. Vgl. oben Rdnr. 71.

239

Über den Bereich von Gewalt, mit dem sich die Gewaltkommission der Bundesrepublik insbesondere beschäftigen soll, hinaus bezieht sich der Peyrefitte-Bericht nicht zuletzt am;h auf Gewalttätigkeiten beider Seiten im Arbeitskampf sowie auf Aktivitäten im Wirtschaftsleben, die als Gewalttätigkeiten empfunden werden. Auch dies ist jedoch mit Hinblick auf die Aufgabenstellung der Gewaltkommission von Interesse, weil die genannten Aktivitäten zumal in politisch motivierte Gewalt sowie in Gewalt auf Straßen und Plätzen übergehen können. Vgl. oben Rdnrn. 64-69 und 102.

U. Die Analyse der Wurzeln der Gewalt 240

Es ist bemerkenswert, daß der Peyrefitte-Bericht mit einer Untersuchung des Instrumentariums beginnt, das der Kommission zur Verfügung stand. Kritische Bemerkungen über den Zustand der einschlägigen Statistiken, über die Organisation der Forschung und auch der Bereitstellung von Forschungsmitteln sowie der Hinweis auf Forschungslücken kennzeichnen die Grenzen, innerhalb derer die Untersuchung durchgeführt werden mußte.

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Trotz dieser Schwierigkeiten erweist sich der Bericht als überaus vielseitig. 241 Soweit ersichtlich, sind alle Wissenschaftszweige, die zu der Frage der Gewalt und der staatlichen Auseinandersetzung mit der Gewalt etwas beitragen können, in vielen Fällen gestützt auf speziell für den Bericht durchgeführte Untersuchungen, zu Wort gekommen. Allerdings stellen sich, wohl auch mitbedingt durch die Forschungslage, Schwerpunkte heraus. Die Beiträge der Psychiatrie, der Psychologie und der Medizin sind in dem Preyrefitte-Bericht verhältnismäßig dünn. Das Schwergewicht liegt auf einer Erörterung der sozialen, insbesondere der sozialstruktureilen Faktoren. Hierbei haben die Bereiche "Stadtstruktur", "Jugend" und "Familie" eine besondere Bedeutung. Unverkennbar ist auch, daß der Bericht nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit den Problemen der Gewalt sucht, die in Zusammenhang mit den studentischen Unruhen in Frankreich im Mai 1968 stehen. Diese dehnten sich auf das ganze Land aus und hatten lang nachwirkende Diskussionen und Einstellungsänderungen zur Folge. Die durchgeführten Analysen und ihre Ergebnisse dürften typisch für die 242 Probleme in westlichen Industrieländern überhaupt sein. Sie sind deshalb auch aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland von Interesse.

111. Die Empfehlungen 1. Die Instrumente der wissenschaftlichen Forschung

Die Empfehlungen zur Gestaltung der Statistik und zur Forschungslage 243 beziehen sich speziell auf die Lage in Frankreich. Trotzdem sind enthalten die Gedanken, die auch für die Bundesrepublik Deutschland wichtig sind. 2. Präventive Maßnahmen

Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind breit gefächert. Naturgemäß ist auch 244 bei ihnen jeweils auf die französische Situation abgestellt. Dennoch dürften gerade in diesen Bereich viele Erwägungen übertragbar sein. Grundsätzlich betreffen sie alle auch die Gewalterscheinungen, mit denen sich die Gewaltkommission der Bundesrepublik auseinandersetzen soll. 3. Strafrechtspflege

Auch diese Empfehlungen knüpfen weitgehend an die spezifische Lage in 245 an. Dieses gilt nicht nur für die Vorschläge zum Sachverständigengutachten und zur Abschaffung der Todesstrafe. Andererseits sind mit diesen Empfehlungen häufig generelle Orientierungen gegeben, die auch losgelöst von dem bestimmten Strafrechtspflegesystem eines Landes von Bedeutung sind. Frankr~ich

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H. Die weitere Entwicklung I. Der Forschungsstand, der Gewaltbegriff, die Erscheinungen der Gewalt, die Mitberücksichtigung des Opfers 246

Die in dem Peyrefitte-Bericht vorgenommenen Beschreibungen der Gewalt sowie die Untersuchungen über die Wurzeln der Gewalt werden auch heute noch, nach zehn Jahren, im wesentlichen als aktuell angesehen. Untersuchungen zu diesem Gebiet sind, soweit ersichtlich, mit vergleichbarer Intensität seitdem in Frankreich nicht mehr durchgeführt worden. Ob den speziellen Forschungsempfehlungen nachgekommen wurde, sei allerdings der Beurteilung der jeweiligen Fachwissenschaftler überlassen. 247 In der weiteren Entwicklung insbesondere hinsichtlich der praktischen Maßnahmen wird ferner grundsätzlich wie in dem Peyrefitte-Bericht von der Gewalt schlechthin ausgegangen, d. h. auch für die weiter unten zu erörternden einzelnen praktischen Maßnahmen wird kaum nach einzelnen Gebieten der Gewalttätigkeit unterschieden. Ansatzpunkt sind vielmehr die verschiedenen Wurzeln der Gewalt, während in den Hintergrund tritt, in welcher Weise sie sich äußert. 248 Dieses schließt allerdings nicht aus, daß es auch spezifische Untersuchungen zu einzelnen Bereichen gibt. Hierzu kann das Folgende erwähnt werden. 249 Von politisch motivierter Gewalt wird überwiegend im Zusammenhang mit dem Terrorismus und nationalistischen Bewegungen auf Korsika, bei den Basken und - in geringerem Maße - in der Bretagne gesprochen. 250

Sonst können in diesem Zusammenhang insbesondere die neueren z. T. gewalttätigen Demonstrationen der Bauern mit Straßenblockaden als Proteste gegen die EG-Agrarpolitik genannt werden. Die französischen Atomkraftwerke sind kaum Objekt von Demonstrationen. US-Raketendepots gibt es in Frankreich nicht. 251 Die Gewalttätigkeit, gegen die sich die verschiedenen repressiven und präventiven Maßnahmen richten, finden dagegen überwiegend in der Öffentlichkeit, auf Straßen und Plätzen statt. Gewalttätigkeiten in Stadien sind in Frankreich kaum vorgekommen. Sie würden als Teilphänomen der Gewalt in der Öffentlichkeit angesehen werden. Vandalistische Akte in den Schulen sozial benachteiligter Stadtteile kommen nur selten vor. Sie werden wie die Gewalt in der Öffentlichkeit als Teil eines umfassenden sozialen Problems angesehen. Über die Gewalt in der Familie sowie über die Einrichtung von Frauenhäusern konnte zunächst nur wenig in Erfahrung gebracht werden. Große Bedeutung wird dem Problem der Integration der Einwanderer, zumeist aus islamischen Ländern, gesehen. In Frankreich ist inzwischen der Islam die zweitstärkste Religion geworden. 252 Kritisch wird erörtert, ob es eigentlich wirklich die Gewalt ist, die die Bevölkerung verunsichert. Das Sicherheitsgefühl scheint viel stärker beeinträch-

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tigt zu werden durch die häufige und eher banale Kriminalität wie Diebstahl und Einbruch. Dementsprechend scheint auch eine Akzentverlagerung stattgefunden zu haben. Während sich der Peyrefitte-Bericht mit der Gewalt befaßt und daneben auch noch die sonstige Kriminalität und die Delinquenz erwähnte, standen später Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität und Delinquenz schlechthin im Vordergrund, unter Einschluß der Gewalt als Fall der Kriminalität. Besonders starke Berücksichtigung hat in den letzten Jahren das Verbrechens- 253 opfer gefunden.

II. Präventive Maßnahmen 1. Der Chavanon-Bericht

Den entsprechenden Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts folgend errichtete 254 die französische Regierung im Februar 1978 einen Nationalen Ausschuß für Verbrechensverhütung sowie weitere Ausschüsse in den Departements. Vorsitzender des Nationalen Ausschusses wurde Guy Chavanon, ein pensioniertet hoher Staatsanwalt. Dieser Nationale Ausschuß legte im Mai 1980 einen weiteren Bericht zur 255 Verbrechensverhütung, diesmal mit 106 Empfehlungen, vor. Diese Empfehlungen konzentrieren sich auf den Bereich der Verbrechensverhütung. Sie liegen auf der Linie des Peyrefitte-Berichts. Besonders eingehend werden die Probleme der jungen Menschen erörtert: Der Bericht enthält viele Vorschläge darüber, den jungen Menschen vorbereitend mit der Arbeitswelt vertraut zu machen und ihm die ersten Schritte des Berufslebens zu erleichtern. Bereits die Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts hatten bei der französischen 256 Regierung jedoch nur begrenzt Beachtung gefunden. Die Empfehlungen des Chavanon-Berichts stießen auf noch weniger Interesse. Er spielt in der weiteren Entwicklung kaum eine Rolle. Ein neuer Anstoß geschah- unerwartet- durch den Bericht der Bürgermei- 257 ster. 2. Der Bericht der Bürgermeister (Bonnemaison-Bericht) Im Sommer 1981 kam es in Venissieux, einem Außenbezirk von Lyon, zu 258 Unruhen und Gewalttätigkeiten. Junge Einwanderer aus Nordafrika, die keine Arbeit hatten, fingen u. a. an, Autos anzuzünden. Die Regierung setzte daraufhin im Mai 1982 eine Kommission von 35 Bürgermeistern ein, die einen Bericht mit Vorschlägen über die Sicherheit vorlegen sollten. Den Vorsitz hatte Gilbert Bonnemaison, Bürgermeister von Epinay s. Seine. Der Bericht wurde im Dezember 1982 dem Premierminister übergeben. Er enthielt 61 Vorschläge. 8 Gewaltkommission Bd. 1II

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Einige von ihnen gingen dahin, anstelle des unwirksamen Systems des Nationalen Ausschusses und der departementalen Ausschüsse für Verbrechensverhütung einen völlig anders strukturierten Nationalen Rat für Verbrechensverhütung zu schaffen sowie neben Räten auf Departement-Ebene insbesondere Räte für Verbrechensverhütung auf kommunaler Ebene vorzusehen. Entsprechend diesem Vorschlag, allerdings mit einigen Modifikationen, entstanden im Juni/Oktober 1983 der Nationale Rat, die neuen departementalen Räte sowie viele kommunale Räte für Verbrechensverhütung. Mit Dekret Nr. 88-1015 vom 28. Oktober 1988 hat die französische Regierung den Nationalen Rat aufgelöst und seine Aufgaben einer neuen Einrichtung, zu dem der Nationale Rat der Städte und der sozialen Stadtentwicklung gehört, übertragen. 3. Der Nationale Rat flir Verbrechensverhütung und die kommunalen Räte (1983-1988) a) Konzeption, Arbeitsweise

259

Auch vor der Gründung des Nationalen Rates sah man in Frankreich die Verbrechensverhütung grundsätzlich als Aufgabe des Staates an. Der Staat unterstützte die Tätigkeit verschiedener Verbände, die auf diesem Gebiete tätig waren. Diese Struktur führte zur Zersplitterung; sie war wenig effektiv. Bei gefährdeten Personen, Familien oder auch Gegenden waren nicht nur unkoordiniert unterschiedliche Verbände und verschiedene staatliche Stellen, häufig ohne voneinander zu wissen, tätig; sie handelten auch nach Vorstellungen, die nicht vor Ort entwickelt waren.

260

Demgegenüber ging der Nationale Rat für Verbrechensverhütung auf Vorschlag der Bürgermeister von der folgenden Konzeption aus. Die Gemeinden kennen am besten die sozialen und sonstigen Probleme ihrer Einwohner. Es ist deshalb Sache der jeweiligen Gemeinde, ein konkretes Programm zur Verbrechensverhütung, nicht zuletzt zur Gewaltverhütung, zu erarbeiten. Hierfür ist es nötig, daß in einem örtlichen Rat für Verbrechensverhütung alle qualifizierten Personen sowie Verbände, die zur Lösung der anstehenden Probleme etwas beitragen können, mitwirken. Eine effektive Verbrechensverhütung ist nur möglich, wenn die Gemeinde selber durch dieses Fachgremium die entsprechende spezifische Lage ermittelt und analysiert und alsdann örtlich orientierte Programme erstellt.

261

Da es jedoch auch Angelegenheit des Staates ist, Verbrechen zu verhüten, muß er die Gemeinden bei der Durchführung der Programme unterstützen. Dieses geschah durch den Nationalen Rat für Verbrechensverhütung. Sein Präsident war der Premierminister. Dessen Stellvertreter war ein Bürgermeister. Gewählt wurde G . Bonnemaison. Dem Rat gehörten ferner 80 Mitglieder an: fünf Abgeordnete, 35 Bürgermeister, 12 Minister sowie 28 Vertreter von Verbänden

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·oder Gewerkschaften bzw. besonders geeignete Persönlichkeiten. Der Nationale Rat hatte ein geschäftsführendes Büro. Jede Gemeinde, bei der ein kommunaler Rat für Verbrechensverhütung 262 besteht, konnte mit dem Nationalen Rat einen Vertrag schließen, in dem sich die Gemeinde verpflichtete, das von ihr aufgestellte Programm zu verwirklichen, und in dem sich der Nationale Rat verpflichtete, die Verwirklichung des- von ihm gebilligten- Programmes mitzufinanzieren. Im Durchschnitt finanzierte er 20 % der Kosten für die Ausführung des Programmes. Hinzu trat die Finanzierung weiterer Aktivitäten, wenn in der entsprechenden Gemeinde ein kommunaler Rat für Verbrechensverhütung bestand. Insgesamt konnte der Nationale Rat für Verbrechensverhütung im Jahr 1987 über 42,2 Mio. FF aus dem Etat des Premierministers verfügen. Im März 1988 bestanden in mehr als 500 Gemeinden solche Räte. 80% der Städte mit mehr als 30000 Einwohnern haben einen kommunalen Rat für Verbrechensverhütung. Weitere Aufgaben des Nationalen Rates bestanden darin, mit anderen Stellen, 263 z. B. Ministerien, bei der Konzeption, Durchführung und Finanzierung von Programmen zusammenzuarbeiten. Er entwickelte ferner Vorstellungen über effektive Verbrechensverhütung, evaluierte die von ihm und von anderen Stellen geförderten Maßnahmen und betrieb intensive Öffentlichkeitsarbeit, um wichtiger Faktor der Verbrechensverhütung-inder Bevölkerung ein Klima zu schaffen, das kriminogenen Faktoren entgegenwirkt.

b) Arbeit der kommunalen Räte, einzelne Maßnahmen

Die lokalen Räte setzen sich aus Trägern politischer Mandate (z. B. Bürger- 264 meistern), aus Vertretern von Verbänden und aus Fachleuten zusammen. Offensichtlich ist es attraktiv, diesem Rat anzugehören: Es gibt Räte, deren Mitgliedszahl sich im Lauf der Jahre vervierfacht hat, z. B. in einem Fall von 20 auf 80 Mitglieder. Um effektiv arbeiten zu können, bilden die Räte Delegationen, die die eigentliche Arbeit leisten und zu denen auch Personen gehören können, die nicht dem kommunalen Rat angehören. Durch dieses System wird die Verbrechensverhütung in einer Gemeinde auf eine sehr breite Basis gestellt. Die Tätigkeit dieser Delegationen bezieht sich z. B. auf Rauschgift, Rückfallverhütung, Kommunikation, Randgruppen, Sozialpädagogik, Hilfe für schwache Schüler, Stadtbelebung, Opferberatung, Täter-Opfer-Ausgleich, Sicherheit in der Stadt oder auch auf bestimmte Stadtteile. Angesichts der Vielzahl der einzelnen auf die jeweiligen konkreten Bedürfnis- 265 se zugeschnittenen Programme und sonstigen Aktivitäten ist es nicht möglich, hier eine umfassende Zusammenstellung der einzelnen Maßnahmen zu geben. Es werden deshalb im weiteren eine Reihe von durchgeführten Maßnahmen und Programmen als Beispiele aufgeführt; die entsprechenden Aktivitäten gehen bis in den Bereich der Polizei und der Strafrechtspflege hinein. s•

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Es lassen sich aufführen: 266

Maßnahmen der generellen Verbrechensverhütung: Hilfe bei Schwächen in der Schule, (wenn wegen mangelnder Unterstützung durch das Elternhaus schulisches Versagen droht, helfen in einem Programm Studenten dem Schüler, die Lücken aufzufüllen) Maßnahmen gegen Analphabetismus, pädagogische Unterstützung nach Abschluß der Schule, "Schnupperwerkstätten", Ausbildung zum Staatsbürger, kommunale Jugendausschüsse usw.

267 -

berufliche und soziale Eingliederung: Es handelt sich um spezielle präventive Maßnahmen, z. B. Hilfe bei der Arbeitssuche, berufliche Ausbildung, Fertigwerden mit Alltagsproblemen, helfende Vereinigungen und Unternehmen, speziell pädagogisch orientierte Werkstätten usw.

268 -

Anregungen und Freizeitgestaltung: sportliche Einrichtungen, Treffpunkte, kulturelle Tätigkeiten und Feste, sportliche Aktivitäten, Maßnahmen zur Förderung der Kommunikation usw.

269 -

Wohnung und Städtebau: Wohnungsbeihilfen für junge Menschen, Notunterkünfte, z. B. Frauenhäuser, Vereinigungen von Hausbewohnern zur Instandsetzung und Unterhaltung der Wohnungen, telefonischer Beistand, Stadtteilsgemeinschaftshäuser usw.

270 · -

im Bereich der Strafrechtspflege: Opferhilfe, Aussöhnung und Täter-OpferAusgleich, Unterbringung nach Haftentlassung, Schaffung der Voraussetzungen für die Durchführung gemeinnütziger Arbeit usw. im Bereich der Polizei: Ausrüstung, insbesondere mit EDV.

271 272 273 -

verschiedene Maßnahmen gegen den Drogenmißbrauch. Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Fragen der Verbrechensverhütung.

274 275 -

Ausbildung für Maßnahmen der Verbrechensverhütung. Besondere Bedeutung kommt dem inzwischen alljährlichen Sommerprogramm zur Verbrechensverhütung zu. Mit diesem Programm soll nicht zuletzt verhindert werden, daß junge Menschen aus sozial benachteiligten Stadtteilen, die nicht in die Ferien fahren können, untätig herumsitzen. Gedacht sind diese Programme in erster Linie für solche jungen Menschen zwischen 13 und 18 Jahren und den etwas älteren, die besonders gefährdet sind, Straftaten zu begehen sowie für junge Strafgefangene, um ihre Entlassung vorzubereiten. Es ist wichtig, daß die entsprechenden Aktivitäten zusammen mit den Jugendlichen selber entwickelt werden. Insgesamt wurden im Jahr 1987 2000 verschiedene Aktivitäten gefördert. Sportliche und sonstige physische Aktivitäten standen im Vordergrund, zur Hälfte zu Hause, zur Hälfte während einer durch diese Programme ermöglichten Ferienreise. Es fanden ferner kulturelle und künstlerische sowie auch technische Aktivitäten statt. Ein nicht geringer Teil zielte auf die Belebung des Stadtteils ab.

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Im Rahmen des Sommerprogrammes wurden ferner Jugendliche damit beschäftigt, Grünflächen wieder herzustellen, einen Abenteuer-Spielplatz zu schaffen, einen Minigolfplatz zu errichten, den Führerschein zu machen, sportlich tätig zu sein oder Videofilme herzustellen. Einrichtung von Notunterkünften zumal für junge Menschen in Schwierig- 276 keiten. Diese Häuser dienen dem vorübergehenden Aufenthalt u. a. in folgenden Fällen: Personen in sozialen Schwierigkeiten, die noch nicht wieder eine Wohnung oder eine Arbeit gefunden haben; Personen, die einem Familienkonflikt entfliehen; Haftentlassene. Umgestaltung eines seit mehr als zehn Jahren nicht mehr benutzten und 277 verwahrlosten Schulgebäudes in ein Wohnhaus durch achtjunge Straftäter, die zum Teil schon mehrfach rückfällig waren. Schaffung einer Fahrrad- und Motorradrennstrecke durch die Jugendlichen 278 selber. Einstellung von zehn städtischen "Leibwächtern", deren Aufgabe es u. a. ist, 279 ältere Personen bei ihren Gängen zu Behörden, zu Banken usw. zu helfen. Schaffung eines besonderen Dienstes zur Überwachung leerstehender 280 Wohnungen in der Ferienzeit. Schaffung von Anlaufstellen für Verbrechensopfer, in denen die Opfer ihr 281 Herz ausschütten können sowie Auskünfte und Hilfe erhalten. Errichtung von Gartenanlagen, um Stätten der Erholung und des Umganges 282 mit der Erde zu schaffen. Förderung des Einbaus von besonders gesicherten Türen insbesondere in 283 sozial benachteiligten Wohngebieten. In einer technischen Fachschule mit 750 Schülern wurde, ausgestaltet als 284 eine Art von Cafeteria, eine Beratungsstelle geschaffen, in der die Schüler ihre häuslichen, beruflichen und schulischen sowie sonstigen Probleme erörtern können. Die Schüler an dieser Schule hatten besonders aggressives Verhalten gezeigt. Sie stahlen, es gab Konflikte unter den Schülern selber, mit den Lehrern und überhaupt mit den Erwachsenen. Die Einrichtung wurde in Zusammenarbeit mit der Schule geschaffen, ist jedoch von ihr unabhängig. Öffentlicher Volkstanz in einem verödeten Stadtteil mit den dort herumlun- 285 gernden Jugendlichen. Speziell hierfür entstand in Eigeninitiative eine Tanzschule. Ziel ist, an die Stelle einer faden Zerstreuung die Kunst und an die Stelle der Zerstörung eine schöpferische Tätigkeit zu setzen. Besonders bevorzugt sind die Tänze aus amerikanischen sozialen Ghettos, mit denen die Teilnehmer unschwer ihre eigenen Stadtteile vergleichen können. -

Jungen Arbeitslosen werden kleine Jobs vermittelt.

286

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Sondergutachten Frankreich c) Wirksamkeitskontrolle

287

Es ist schwierig, die Wirksamkeit der vorstehend genannten Maßnahmen zu kontrollieren. Es ließen sichjedoch bei den verschiedensten Projekten objektive Merkmale feststellen, die für einen beachtlichen Erfolg sprechen. So wird aus einem Projekt der Hilfe für Schüler berichtet: Das Verhalten der Schüler habe sich verbessert, sie seien weniger oft weggeblieben, das Verhältnis zwisshen den Schülern und den Lehrern habe sich gebessert. Gerade durch schulische Erfolge läßt sich jedoch ein soziales Abgleiten, das dann in Kriminalität und Gewalttätigkeit übergehen kann, vermeiden.

288

Ein Vergleich der Kriminalstatistiken von 1985 und 1986 ergibt für Frankreich generell einen Rückgang der - festgestellten - Kriminalität. Dieser Rückgang ist jedoch in Gemeinden, die einen kommunalen Rat für Verbrechensverhütung haben, zumal in den Gemeinden mit weniger als 50000 Einwohnern, größer als in den anderen Gemeinden. Allerdings bewegt sich der Rückgang generell zwischen 2 und 5 %. 4. Die Nationale Kommission für die soziale Entwicklung von Stadtteilen (1981-1988)

289

Die bereitserwähnten Vorfällein Venissieuxim "heißen" Sommer 1981 waren ferner mit Anlaß zur Gründung einer Nationalen Kommission für die soziale Entwicklung von Stadtteilen im Dezember 1981. Die Tätigkeit dieser Kommission sollte der städtebaulichen, wirtschaftlichen und sozialen Sanierung heruntergekommener Stadtviertel dienen. Damit sollte sie auch einen Beitrag zur Verbrechensverhütung, nicht zuletzt zur Verhütung von Gewalttaten leisten. Der Kommission wurden zwei Aufgaben gesetzt:

290 -

Entwicklung neuer Konzeptionen und Orientierungen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von etwa 15 Stadtteilen, die, nicht zuletzt durch Strukturprobleme im französischen sozialen Wohnungsbau (H.L.M.) in einem tristen Zustand waren; Entwicklung einer globalen dezentralisierten Politik zur Sanierung auch weiterer Stadtteile mit ähnlichen Problemen.

291

Es war der Regierung darum gegangen, mit der Gründung dieser Kommission konkrete praxisbezogene Pläne, die neue Wege gehen, zu entwickeln. Die Kommission bestand deshalb nicht nur aus Vertretern der zuständigen Ministerien, sondern auch aus Abgeordneten, Vertretern der Gewerkschaft, Vertretern der Einwohner dieser Stadtteile sowie Sozialarbeitern.

292

Diese Kommission verfügte nicht über einen eigenen Haushalt. Die Ministerien und die Verwaltung waren jedoch angewiesen, die Tätigkeit der Kommission in jeder Weise, auch durch Bereitstellung der entsprechenden Mittel, zu unterstützen.

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Zum Vorsitzenden der Kommission wurde Hubert Dubedout gewählt, der als 293 Bürgermeister von Grenoble in seiner Stadt bereits mit viel Erfolg entsprechende Sanierungen vorgenommen hatte. Die einzelnen Maßnahmen, die aufVorschlag der Kommission durchgeführt 294 oder in Angriff genommen wurden, waren überaus vielseitig. Es können hier nur einige Grundlinien erwähnt werden. Von vorrangiger Bedeutung war es, in der Stadt oder dem Stadtteil selber eine 295 Regie zu schaffen, die sich vor Ort um die Probleme kümmert. Nicht selten waren vorher diese Stadtteile an den Rand des Interesses der Stadtverwaltung usw. geraten. Es wurden Beratungsstellen geschaffen, die jungen Menschen bei der sozialen 296 und beruflichen Eingliederung vor Ort helfen sollten. Sie hatten darüber hinaus den Zweck, demjungen Menschen auch in anderen Lebensfragen (Ausbildung, Wohnung, kulturelle Aktivitäten, Berührung mit der Justiz) zu helfen. Schaffung wirtschaftlicher und kultureller Aktivitäten in den heruntergekommenen Stadtteilen.

297

Durchführung besonderer Bemühungen zur Integration junger und weibli- 298 eher Eingewanderter. Bessere Versorgung des Stadtteils mit Schulen, wenn die Zahl der Schulversa- 299 gerauffallend groß war. Ausstattung der Schulen mit besonders ausgebildeten Mitarbeitern. Schaffung vor Ort von Einrichtungen, die sich mit Fragen der Gesundheit und 300 der Hygiene, einschließlich der Fragen der Gesundheit in der Schule, der Drogen und des Alkohols befassen. Schaffung von Büchereien, auch für Kinder sowie betreuendes Hinführen 301 zum Buch. Schaffung der Möglichkeit, daß in den Stadtteilen Theater gespielt wird; Gründung - in einer Stadt - einer Zirkusschule. Schaffung von Schauspiel- und Musiksälen.

302 303

Einrichtung von Museen, die die Bewohner des Stadtteils mit der Kultur ihres 304 Landes oder doch von bestimmten Aspekten bekannt machen sollen (z. B. Museum über das Arbeitsleben). Schaffung einer Stadtteilszeitung und eines Stadtteils-Fernsehens.

305

Städtebauliche Maßnahmen: Verschönerung der Häuser, einwohnerfreundli- 306 ehe Gestaltung der Außenflächen, Verbesserung der Verkehrsanbindung. Instandsetzung von Wohnungen. Teilweise wird erwogen, besonders öde Wohntürme u. dgl. wieder abzureißen. 307 Verstärkung der öffentlichen Sicherheit durch präventive Tätigkeit der Polizei 308 und Zusammenarbeit der Verwaltung mit der Justiz und den Sozialarbeitern.

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309

Die Erfolge dieser Maßnahmen werden als ermutigend angesehen. Es gelang vielfach, die negative Entwicklung (Wegzug anspruchsvollerer Familien, Weggang der engagierten Lehrer und Sozialarbeiter, Verschlechterung der Verkehrsanbindung) in das Gegenteil zu verkehren. Insgesamt rechnet die Kommission durchschnittlich mit dem Zeitraum von zehn Jahren für eine Sanierung. Familien, Weggang der engagierten Lehrer und Sozialarbeiter, Verschlechterung der Verkehrsanbindung) in das Gegenteil zu verkehren. Insgesamt rechnet die Kommission durchschnittlich mit dem Zeitraum von zehn Jahren für eine Sanierung.

310

Das erwähnte Dekret Nr. 88-1015 vom 28. Oktober 1988 hat auch diesen Nationalen Rat aufgelöst und seine Aufgaben gleichfalls der neu geschaffenen Einrichtung, zu dem der Nationale Rat der Städte und der sozialen Stadtentwicklung gehört, übertragen. 5. Schaffung eines Nationalen Rates der Städte und der sozialen Stadtentwicklung sowie weiterer Gremien (1988)

311

Es erschien geboten, mit Hinblick auf die Städte in Erfüllung einer staatlichen Aufgabe tätig zu werden, um die Personen oder Personengruppen, die dem Staat und der Gesellschaft nicht zuletzt durch ungünstige Lebensumstände entfremdet sind, wieder zu integrieren, und mit dieser Aufgabe die Aufgaben der bisherigen Nationalen Kommission für die soziale Entwicklung von Stadtteilen und des Nationalen Rates für Verbrechensverhütung zu verbinden. Das genannte Dekret setzt für die neue umfassende nationale Politik für die Städte und die Stadtentwicklung die folgenden Hauptziele fest: a) Kampf gegen den Ausgliederungsprozeß im städtischen Gebiet; Eingliederung von Bevölkerungsteilen, die sich besonderen Schwierigkeiten gegenübersehen; berufliche, soziale und kulturelle Eingliederung der jungen Menschen; b) Förderung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungsprogramme, um die Lebensbedingungen in der Stadt und der Stadtumgebung zu verbessern; c) Bestimmung neuer Formen der Gemeinschaftlichkeit von Staat, Ortsgebietsschaften sowie sozio-ökonomischen Partnern; d) verstärkte Verhütung der Verbrechen und der Drogenabhängigkeit; e) Anpassung der Kriminalpolitik sowie Entwicklung von Täter-Opfer-Ausgleich und Aussöhnung; f) Forschungen über Stadtentwicklung und architektonische Erneuerung;

g) Entwicklung der Zusamp1enarbeit unter französischen Städten, die sich ergänzen, sowie Entwicklung der Verbundenheit zwischen Städten und ihren

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Nachbarländern, jeweils mit Hinblick auf eine Verstärkung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Die für die Umsetzung dieser Politik geschaffene neue Einrichtung setzt sich 312 aus drei Gremien zusammen. Es handelt sich einmal um den Nationalen Rat der Städte und der sozialen Stadtentwicklung. Seine Aufgabe ist es, gemäß den vorgenannten Hauptzielen eine konkrete Politik zu erarbeiten. Den Vorsitz in dem Rat hat der Premierminister. Seine Stellvertreter sind zwei Bürgermeister (z. Zt. Bonnemaison und Diligent). Dem Rat gehören 20 Bürgermeister oder andere gewählte Mandatsträger an, ferner 25 Sachverständige und die Vertreter von 22 Ministerien. Die Vertreter der 22 Ministerien bilden ferner unter Vorsitz des Premierministers als weiteres Gremium einen - durch Vertreter anderer Ministerien erweiterbaren - Interministeriellen Ausschuß für die Städte und die soziale Stadtentwicklung. Seine Aufgabe ist es insbesondere, über das Programm der Städtepolitik sowie seine Umsetzung und Koordinierung zu entscheiden und aus den Etats der einzelnen Ministerien die erforderlichen Mittel für die Programme bereitzustellen. Als ausführendes Organ auf nationaler Ebene wurde als drittes Gremium die Interministerielle Delegation für die Stadt und die soziale Stadtentwicklung geschaffen, die einem interministeriellen Delegierten untersteht. Diese Delegation, die rd. 50 Mitarbeiter hat, arbeitet die umfassenden Verträge mit den Städten oder den städtischen Agglomerationen aus, um generell die Lebensverhältnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Sie arbeitet aber auch - wie bisher der Nationale Rat für Verbrechensverhütung- die speziellen Verträge über Maßnahmen der Verbrechensverhütung mit den Kommunen aus, bei denen ein lokaler Rat für Verbrechensverhütung besteht. Die lokalen Räte werden durch die Umst(ukturierung auf nationaler Ebene nicht berührt. Für die Organisation der Verbrechensverhütung ergibt sich als wesentlichste Änderung durch die neue Einrichtung insbesondere der umfassende Zusammenhang, in den sich nunmehr die Politik der Verbrechensverhütung gestellt sieht. 6. Forum der Städte und Regionen in Europa für die Sicherheit in den Städten Nach einer vorbereiteten internationalen Konferenz im Rahmen des Europa- 313 rats in StraßburgimJahr 1986 wurde im September 1987 in Paris das Forum für Städte und Regionen Europas für die städtische Sicherheit gegründet. Zum Vorsitzenden wurde G. Bonnemaison gewählt, der die Rolle des stellvertretenden Vorsitzenden des französischen Nationalen Rats für Verbrechensverhütung einem anderen Bürgermeister überlassen hatte. Zweck des Forums ist es, örtliche und regionale Verwaltungen in Europa zusammenzubringen, die aktiv werden und örtliche Programme für die städtische Sicherheit und die Verbrechensverhütung entwickeln.

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111. Strafrechtspflege 1. Das Gesetz "Sicherheit uod Freiheit" 314

Nachdem Alain Peyrefitte kurz vor Fertigstellung des Berichts, der seinen Namen trägt, Justizminister geworden war, bevorzugte er eine stark repressiv orientierte Kriminalpolitik. Diese fand in dem Gesetz Nr. 81-82 vorn 2. Februar 1981 zur Verstärkung der Sicherheit und zum Schutz der persönlichen Freiheit ihren Ausdruck. Dieses Gesetz wurde mit dem Gesetz Nr. 83-466 vorn 10. Juni 1983 im wesentlichen wieder aufgehoben, weil es sich als unwirksam, wenn nicht sogar als gegenproduktiv herausgestellt hatte. 2. Einflihrung der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Sanktion

315

Mit dem Gesetz Nr. 83-466 vom 10. Juni 1983 wurde ferner im Sinne des Peyrfitte-Berichts die gemeinnützige Arbeit als selbständige strafrechtliche Sanktion eingeführt. Sie kann verhängt werden, wenn Gefangnisstrafe vorgesehen ist und der Angeklagte während der letzten fünf Jahre vor der jetzt abzuurteilenden Tat weder wegen Verbrechens oder Vergehens zu einer infamierenden Kriminalstrafe noch zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gefangnisstrafe von mehr als fünf Monaten verurteilt wurde. Der Verurteilte muß dann zugunsten einer Gemeinde usw. oder einer Vereinigung eine Arbeit erbringen, die im allgerneinen Interesse liegt, nicht vergütet wird und deren Dauer zwischen 40 und 240 Stunden liegt. Die gemeinnützige Arbeit muß innerhalb einer bestimmten Frist, die 18 Monate nicht übersteigt, erbracht werden. Zur gemeinnützigen Arbeit können auch Minderjährige von 16 bis 18 Jahren verurteilt werden. In diesem Fall muß die Dauer der Arbeit zwischen 20 und 120 Stunden liegen. Die festzusetzende Frist für ihre Ableistung darf 12 Monate nicht übersteigen.

316

Im Falle der Strafaussetzung zur Bewährung kann dem Verurteilten gleichfalls auferlegt werden, gemeinnützige Arbeit zu erbringen. Ihre Dauer muß zwischen 40 und 240 Stunden liegen. Sie muß innerhalb einer festzusetzenden Frist erbracht werden, die 18 Monate nicht übersteigt.

317

Die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Strafe soll, ausgehend von positiven Erfahrungen in anderen Ländern, nicht zuletzt dazu dienen, die schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges zu vermeiden sowie ihn durch die Arbeit wieder einzugliedern und ihm auch entsprechende Fertigkeiten zu vermitteln.

318

Diese neue Sanktion hat somit auch eine starke präventive Bedeutung. Der Nationale Rat für die Verbrechensverhütung schlägt deshalb vor, insbesondere die kleinen und die mittleren Gerneinden auf diese Möglichkeit, gemeinnützige Arbeit ausführen zu lassen, aufmerksam zu machen. Es sei dann möglich, im

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Interesse der Verbrechensverhütung weitere Maßnahmen anzuschließen: Unterbringung, Ausbildung und finanzielle Unterstützung. 3. Umgang der Strafjustiz mit "zivilem Ungehorsam" Auch in Frankreich besteht die Frage, wie die Justiz auf solche Personen 319 reagiert, die, an sich friedlich, zur Wahrung bestimmter beruflicher oder sonstiger Interessen oder auch für andere Ziele u. U. gewalttätig demonstrieren oder sonstige, nicht selten symbolische Akte wie vorübergehende Fabrikbesetzungen vornehmen. Das in Frankreich herrschende Opportunitätsprinzip bei der Strafverfolgung gibt den Staatanwälten die Möglichkeit, viele Fälle nicht zu verfolgen. Gerade in diesem Bereich will die Justiz ferner "beweglich" sein, d. h. möglichst keine endgültigen Entscheidungen treffen. Soweit die Strafverfolgung eingeleitet wird, ist es, zumal im Zusammenhang mit Arbeitskonflikten, nicht selten zu strengen Verurteilungen gekommen. Es kann jedoch sein, daß hinterher eine Amnestie erfolgt, die auf dergleichen Fälle zugeschnitten ist. Das Amnestiegesetz von 1981 bezieht sich nicht zuletzt auf die folgenden Vergehen: Demonstrationen in der Öffentlichkeit, in öffentlichen Einrichtungen oder im Bereich der Universitäten oder der Schulen; Vergehen im Zusammenhang mit dem Unterricht oder mit Arbeitskonflikten; Vergehen, begangen bei Gelegenheit von Konflikten der Landwirtschaft, des Handwerks oder des Handels. Es wird insoweit ein deutlicher Unterschied gegenüber der sonstigen Kriminalität gemacht. 4. Internationale Zusammenarbeit Das in der Empfehlung Nr. 88 des Peyrefitte-Berichts genannte Europäische 320 Übereinkommen vom 27. Januar 1977 wurde von der Bundesrepublik Deutschland am 3. Mai 1978, von Frankreich am 21. September 1987 ratifiziert. Für die Bundesrepublik ist es seit 4. August 1978 in Kraft. Hinsichtlich der in der seihen Empfehlung genannten Erarbeitung eines neuen 321 Übereinkommens zur Einrichtung eines vereinfachten Ausweisungsverfahrens unter den Neun waren nähere Informationen nicht zu erhalten. Inzwischen wurde ein Europäisches Übereinkommen über Gewalt und 322 Ausschreitungen der Zuschauer bei Sportveranstaltungen erarbeitet. Frankreich hat es am 12. März 1986 gezeichnet und am 17. März 1987 ratifiziert. Es ist seit dem 1. Mai 1987 für Frankreich in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland hat es (bis 1. Nov. 1989) nicht gezeichnet.

I. Beurteilung der weiteren Entwicklung. Auswirkungen des Peyrefitte-Berichts Der Peyrefitte-Bericht gab eine umfassende Analyse zu den weit verzweigten 323 Wurzeln der Gewalt. Er befaßte sich in diesem Zusammenhang auch mit der

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Struktur des Arbeits- und des Wirtschaftslebens, mit der Verwaltung, den grundsätzlichen Wertorientierungen usw. 324

Bereits die Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts machen jedoch von diesen vielen Aspekten und aufgewiesenen Strukturen nicht voll Gebrauch. Angesichts der vorgenommenen Probleinanalyse wäre es möglich gewesen, auch Empfehlungen über die grundsätzlichen Orientierungen der Arbeits-, Wirtschafts-, Sozial- und Innenpolitik zu geben. Der Peyrefitte-Bericht siehtjedoch davon ab.

325

Soweit er, immer noch sehr weit gefächert, Vorschläge macht, enthalten diese Schwerpunkte im Bereich des Städtebauwesens, der Jugendfragen und auch der Familienfragen. Er enthält ferner bereits den Vorschlag zur Errichtung einer nationalen Organisation für die Verbrechensverhütung. Aus dem Bericht wird ferner deutlich, daß eine Erörterung von Maßnahmen gegenüber der Gewalt übergeht in die Entwicklung von Maßnahmen gegenüber der Kriminalität überhaupt. Diese Entwicklung wird um so deutlicher, je praxisbezogener die Maßnahmen sind.

326

Der Bericht stellte ferner in seinen Analysen und seinen Empfehlungen eine Kromprimierung und genaue Formulierung der wohl auch außerhalb des Berichts vertretenen Ansichten und kriminalpolitischen Überzeugungen dar.

Die weitere Entwicklung entfernte sich immer mehr von der Erörterung der grundsätzlichen Fragen. Es ging vielmehr um ganz konkrete Projekte, die machbar erschienen. Damit jedoch wurden viele Empfehlungen auch des Peyrefitte-Berichts umgesetzt. 328 Der hervorstechende Zug ist dabei nicht so sehr die Empfehlung einzelner konkreter Maßnahmen, sondern die Schaffung einer Organisation bzw. mehrerer Organisationen, die in der Lage sind, die entsprechenden Maßnahmen konkret vor Ort, d. h. in den betroffenen Gemeinden selber zu entwickeln. Die im einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen, die offensichtlich mit Erfolg, verwirklicht werden, sind dabei zwar in vielen Fällen originell, im ganzenjedoch nicht unüblich. Wichtig erscheint es vielmehr, daß es gelungen ist, Einrichtungen zu schaffen, die dasjenige verwirklichen können, was vielleicht schon immer als effektive Maßnahme der Verbrechensverhütung einleuchtete, aber nicht umgesetzt werden konnte. 327

329

Große Bedeutung kommt hierbei dem zu, daß es gelang, den politischen Willen zu mobilisieren und damit auch Haushaltsmittel zur Verfügung zu erhalten. Seit der Errichtung des Nationalen Rats für Verbrechensverhütung hat in Frankreich mehrmals die Regierung gewechselt. Die jeweils neue Regierung hat sich jedoch stets hinter die Tätigkeit dieses Rates sowie der anderen genannten Organisationen gestellt.

330

Trotz der unüberblickbaren Vielzahl der einzelnen Maßnahmen ergibt sich doch eine Gesamtrichtung. Es sind für sie die besondere Bedeutung der Fragen der Jugend, des Städte- und des Wohnungsbaus sowie der Förderung und Belebung des Wohnens in bestimmten bisher öden oder verödeten Stadtteilen

Sondergutachten Frankreich

125

charakteristisch. In diesem Zusammenhang können ferner erwähnt werden: Das Angehen der Probleme der Einwanderer, aber auch des Alkoholismus, im Rahmen der genannten Organisationen; die Einbeziehung der Tätigkeit der Polizei und der Gerichte in die Maßnahmen des Nationalen Rates für Verbrechensverhütung; die Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Versöhnung auf die selbe Art; die Schaffung der Voraussetzungen für die Durchführung von gemeinnütziger Arbeit gleichfalls im Rahmen der genannten Programme. Die Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs usw. bezwecken, statt zu vergelten oder - was häufig illusionär ist - zu resozialisieren, bescheidener aber effektiver, dafür zu sorgen, daß soz. der Riß im konkreten sozialen Gefüge, den die Straftat hervorgerufen hat, wieder ausgeglichen wird. Damit setzt sich die starke Betonung des Gedankens der Verbrechensverhütung durch konkrete Maßnahmen bis in den Bereich des Strafrechts fort. Die vorstehend geschilderten Aktivitäten dürften dabei auch den Schwer- 331 punkt der Umsetzung der Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts ausmachen, oder sich doch an ihnen orientieren. Dieses schließt nicht aus, daß in Frankreich auch weitere Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts auf die eine oder die andere Art umgesetzt wurden. Der vorstehende Bericht hat jedoch, davon abgesehen, dem nachzugehen. Einige weitere Empfehlungen betreffen eine spezifisch französische Situation, bei der auch eine analoge Übernahme nicht in Betracht kommt. So z. B. hinsichtlich der - erfolgten- Neufassung des Rechts der gerichtlichen Sachverständigen oder hinsichtlich der- erfolgten -Abschaffung der Todesstrafe. Andere Empfehlungen betreffen nicht den Aufgabenbereich der deutschen Gewaltkommission. Dies gilt z. B. für die Empfehlungen hinsichtlich der Wirtschaftskriminalität. Mit Bezug auf wiederum andere Empfehlungen ist, soweit ersichtlich, eine Umsetzung jedenfalls substantiiert nicht erfolgt. So z. B. hinsichtlich der Empfehlung, die Kosten der Kriminalität zu ermitteln - wobei die NichtVerwirklichung kein Argument gegen die Richtigkeit der Empfehlung ist. Es läßt sich allerdings nicht ausschließen, daß einige weitere hier an sich interessierende Empfehlungen umgesetzt wurden, dafür jedoch, jedenfalls zunächst, keine Informationen zu erhalten waren. Dieses könnte zumal Teilfragen des Alkoholismus, den Polizeibereich, Fragen des Machtmißbrauchs, die Massenmedien und Einzelfragen des Strafrechtssystems betreffen. Hier müßten ggfs. noch weitere Informationen eingeholt werden. Ebenso war es noch nicht möglich, Einzelheiten der lokalen Projekte der Verbrechensverhütung in der jeweiligen Gemeinde selber nachzugehen.

126

Sondergutachten Frankreich

J. Die Übertragbarkeit I. Allgemeines 332

Die ausgewerteten Unterlagen geben wenig her zur Unterscheidung der fünf Gebiete der Gewalt, mit denen sich die Gewaltkommission der Bundesrepublik insbesondere beschäftigen soll. Über die französische Sicht ergab sich, wie dargelegt (Rdnrn. 248-252) folgendes: Im Schwerpunkt des Interesses steht die Gewalt auf Straßen und Plätzen; politisch motivierte Gewalt wird in diesem Zusammenhang gesehen; Gewalt in Stadien sowie Gewalt in den Schulen werden als Teilaspekte der Gewalt angesehen, die sich auch auf Straßen und Plätzen manifestiert. Über die Fragen der Gewalt in der Familie war wenig in Erfahrung zu bringen.

333

Die im Peyrefitte-Bericht vorgenommene weit gefächerte Analyse der Wurzeln der Gewalt enthält möglicherweise Anregungen für die Gewaltkommission der Bundesrepublik, entsprechenden Bereichen intensiver nachzugehen. Zu denken wäre hier insbesondere an die Ausführungen zum Städtebauwesen und zur Belebung verödeter Stadtteile.

334

Die weitere Entwicklung in Frankreich gibt Anlaß, davon auszugehen, daß nur solche Vorschläge realistisch sind, die vielleicht nicht sonderliche Originalität aufweisen, jedoch unter den jeweils gegebenen konkreten Umständen als durchführbar erscheinen, sowie von einer entsprechenden Organisation und dem politischen Willen getragen werden.

335

Aus dem Bericht wird dabei deutlich, daß diese konkreten Maßnahmen unvollständig sind, wenn nicht, ergänzend, die Orientierungen der Politik, z. B. der Wirtschafts- und der Landwirtschaftspolitik, daraufhin überprüft werden, ob, ggfs. wie sie sich im Bereich der Kriminalität auswirken. ß. Schaffung der wissenschaftlichen Voraussetzungen für geeignete Empfehlungen

336

337

Überträgt man die entsprechenden Empfehlungen des Peyrefitte-Berichts auf die deutsche Lage, so könnte empfohlen werden: -

Harmonisierung von polizeilicher Kriminalstatistik, staatsanwaltlicher Statistik und gerichtlicher Verfolgungsstatistik;

-

Schaffung einer durchgehenden Statistik; Schaffung einer umfassenden Datenbank für den Bereich der Strafrechtspflege.

Zu erörtern bleibt ferner, ob Anlaß besteht, Vorschläge zur Organisation und Finanzierung der Forschung auf dem Gebiet der Gewalt zu machen.

Sondergutachten Frankreich

127

111. Präventive Maßnahmen 1. Mit Hinsicht auf den französischen Nationalen Rat der Städte und der

sozialen Stadtentwicklung sowie mit Hinblick auf den früheren französischen Nationalen Rat für Verbrechensverhütung sollte geprüft werden, ob es geboten und möglich ist, auch in der Bundesrepublik Deutschland eine Einrichtung für die Verbrechensverhütung zu schaffen.

338

2. Es erscheinen die vorstehend unter den Rdnrn. 266-286 sowie 295-308 genannten konkreten Maßnahmen als Orientierungspunkte geeignet. Wichtiger ist es jedoch, eine Einrichtung zu schaffen, die in der konkreten Situation über die gebotenen präventiven Maßnahmen entscheidet. Sie könnte sich an den französischen Kommunalen Räten für Verbrechensverhütung, die in vielen Kommunen bestehen, orientieren.

IV. Strafrechtspflege Es ist nicht Aufgabe dieses Berichts, in Rechtsvergleichung das französische 339 System der Strafrechtspflege mit Hinblick auf die Gewalt darzustellen. Es werden hier vielmehr nur einzelne Maßnahmen erwähnt, die in Zusammenhang mit dem Peyrefitte-Bericht stehen. 1. Angesichts des zu erörtenden weiten Bereichs der Gewalt, der sich nach 340

seinem Unrecht- und Schuldgehalt im allmählichen Übergang zur Kriminalität befindet, kann erwogen werden, ob die folgenden in Frankreich erprobten und in der Bundesrepublik bereits in Ansätzen bestehenden Maßnahmen weiter ausgebaut werden sollten: - Einführung der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Sanktion, - Täter-Opfer-Ausgleich.

2. In Frankreich erlaubt das Opportunitätsprinzip der Strafverfolgung einen 341 differenzierten Umgang mit Fällen von symbolischem zivilen Ungehorsam und damit auch von politisch motivierter Gewalt. Die Amnestiegesetzgebung, die entsprechende Fälle aufführt, ermöglicht eine spätere Korrektur der Sanktionen. In beidem drückt sich eine vorsichtige und bewegliche Haltung gegenüber den in Betracht kommenden Tätern aus. Es sollte geprüft werden, ob diese Haltung trotz verschiedener Gesetzeslage, insbesondere trotz anderer Konzeption der Amnestie-Gesetzgebung, nicht im Recht der Bundesrepublik Deutschland auf die eine oder andere Weise eine Entsprechung finden sollte.

128

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K. Fundstellenübersicht Rdnr(n) 1-2 3 5-11 12-19 20-22 23-24 25 26 28-29 30 31 32 34 35 36 37 38-39 40-42 43 44 45 46 47-51 52-55 56 57-59 60 61-62 63 64 65 66-67 68 69 70-71 73 74-78 79-80 81-85 86-90 91 92 93 94-95 96

Peyrefitte-Bericht, S. 34-54 Peyrefitte-Bericht, S. 4-14 Peyrefitte-Bericht, S. 26-30 Peyrefitte-Bericht, S. 55-66 Peyrefitte-Bericht, S. 26-29 Peyrefitte-Bericht, S. 120-124, 132-137 Peyrefitte-Bericht, S. 71-72 Peyrefitte-Bericht, S. 77-78 Peyrefitte-Bericht, S. 102-103 Peyrefitte-Bericht, S. 73 Peyrefitte-Bericht, S. 587 Peyrefitte-Bericht, S. 72-73 Peyrefitte-Bericht, S. 87 Peyrefitte-Bericht, S. 85 Peyrefitte-Bericht, S. 85 Peyrefitte-Bericht, S. 85 Peyrefitte-Bericht, S. 86-87 Peyrefitte-Bericht, S. 88-89 Peyrefitte-Bericht, S. 89-90 Peyrefitte-Bericht, S. 90 Peyrefitte-Bericht, S. 91 Peyrefitte-Bericht, S. 91 Peyrefitte-Bericht, S. 92-93 Peyrefitte-Bericht, S. 93-96 Peyrefitte-Bericht, S. 96-97 Peyrefitte-Bericht, S. 97-98 Peyrefitte-Bericht, S. 98 Peyrefitte-Bericht, S. 98-99 Peyrefitte-Bericht, S. 99-101 Peyrefitte-Bericht, S. 102 Peyrefitte-Bericht, S. 102-103 Peyrefitte-Bericht, S. 103 Peyrefitte-Bericht, S. 103 Peyrefitte-Bericht, S. 103 Peyrefitte-Bericht, S. 104 Peyrefitte-Bericht, S. 105- 108 Peyrefitte-Bericht, S. 108-113 Peyrefitte-Bericht, S. 113-115 Peyrefitte-Bericht, S. 116-120 Peyrefitte-Bericht, S. 120-124 Peyrefitte-Bericht, S. 124-125 Peyrefitte-Bericht, S. 125-126 Peyrefitte-Bericht, S. 126-129 Peyrefitte-Bericht, S. 129 - 130 Peyrefitte-Bericht, S. 131

Sondergutachten Frankreich Rdnr(n) 97-102 103-107 108-111 112 113 114 115-118 119 120 123-235 252 254-256 258 259-263 265-286

287-288 289-293 294-309 310-312 313 318 319

129

Peyrefitte-Bericht, S. 131-137 Peyrefitte-Bericht, S. 38 Peyrefitte-Bericht, S. 140-143 Peyrefitte-Bericht, S. 144 Peyrefitte-Hericht, S. 144 - 146 Peyrefitte-Bericht, S. 146-147 Peyrefitte-Bericht, S. 148-150 Peyrefitte-Bericht, S. 150-151 Peyrefitte-Bericht, S. 152 Peyrefitte-Bericht, S. 157-193 vgl. Zauberman et Robert Chavanon-Bericht bes. S. 67 -90; Chevalier, S. 13 Bonnemaison-Bericht bes. S. 113-119; Chevalier, S.14; D.I.V. S. 41f. C.N.P.D., bes. Tätigkeitsbericht 1987, Instrument, Sammelmappe C.N.P.D., bes. Tätigkeitsberichte 1985 und 1987, Sammelmappe, D.I.V. S. 66f., Prevention Delinquance Magazine C.N.P.D., Tätigkeitsbericht 1987, S. 12-13 Dubedout-Bericht, bes. S. 9-15, Chevalier, S. 17-23 C.N.D.S.Q.: Les Regies, Quartiers und Ensembles C.C.P. Toulouse Clichy Magazine Forum, Inaugural Meeting, Constitution C.N.P.D.: Groupe de Reflexion N" 4, S. 14 vgl. Loi N° 81-736 du 4 aöut 1981 portant amnistie, Art. 1 und 2; Code de procedure penale, Art. 40, al. 1.

9 Gewaltkommission Bd. III

L. Literaturverzeichnis Weitere Informationsquellen Chevalier G.: L'Interet central pour Je local Analyse des politiques socio-preventives entre 1981 et 1986, Centrede recherches sociologiques sur Je droit et !es institutions penales (C.E.S.D.I.P.), Paris, 1987, Nr. 5 Clichy Magazine, Special Bilan Municipal 1 83-89, 1989 (Clichy Magazine)

Comite d'Etudes sur Ia Violence, Ia Criminalite et Ia Delinquance: Reponses aJa violence, Rapport a M. Je President de Ia Republique, juillet 1977, La Documentation Fran~aise, Paris, Rapport, 8 Annexes (Peyrefitte-Bericht) Comite National de Prevention de Ia Violence: Prevenir Ia violence, Rapport a M. Je Premier Ministre, mai 1980, La Documentation fran~aise, Paris (Chavanon-Bericht) Commission des Maires sur Ja Securite: Rapport presente aux Membres de Ia Commission, decembre 1982, vervielfältigt. (Bonnemaison-Bericht) Commission Nationale pour le Developpement Social des Quartiers (C.N.D.S.Q.)

-

Ensemble refaire Ja ville, Rapport au Premier Ministre du President de Ia Commission, janvier 1983, La Documentation Fran~aise, Paris (Dubedout-Bericht)

-

Les Regies de Quartier, juillet 1987

-

Ensembles, No 11, 15-18 (juin '86 - mars '88)

-

Quartiers: Mode d'Emploi, o. J.

Conseil Communal de Prevention de Ia Delinquance (Toulouse) Seance du 28 novembre 1988 (C.C.P. Toulouse) Conseil National de Prevention de Ia Delinquance (C.N.P.D.) -

Instrument d'etude et d'aide ä Ia decision pour !es Conseils Communaux de Prevention de Ia delinquance, fevrier 1985, Paris

-

Rapport D'activite 1985, Paris

-

Rapport d'activite 1987, Paris

-

Prevention Delinquance Magazine, Poitiers, 12/13 juin 1987

-

Groupe de Reflexion et de Proposition, No 4, Nov. 1987

-

Sammelmappe, Paris, o.J.

Delegation ä !'Insertion ProfessionneUe et Sociale des Jeunes en Difficulte: Les Missions Locales pour l'insertion professionneUe des Jeunes en difficulte (Sammelmappe), Paris, o.J. Delegation Interministerielle ä Ia Ville et au Developpement Social Urbain (D.I.V.): Installation du Conseil National des Villes et du Developpement Social Urbain, Paris, fevrier 1989 (D.I.V.)

Literaturverzeichnis

131

Forum des collectivites territoriales europeennes pour Ia securite urbaine I Forum ofLocal and Regional Authorities of Europe for Urban Security -

Inaugural Meeting, Barcelona, November 1987

-

Constitution

Ville de Clichy Ia Garenne, Conseil Communal de Prevention, o.J. Zaubermann, R. et Robert, Ph.: Les citoyens face aux degäts de Ia criminalite, .,Le Monde Diplomatique", juin 1988, p. 26-27.

Weitere Informationen erhielt der Verfasser -

Anfang Juni 1988 bei Gesprächen im französischen Ministerium der Justiz, im Nationalen Rat für Verbrechensverhütung (C.N.P.D.), in der Nationalen Kommission für die soziale Entwicklung von Stadtteilen (C.N.D.S.Q.), im Zentrum für Soziologische Forschung auf dem Gebiet des Rechts und der Strafrechtspflege (C.E.S.D.I.P.) sowie im Institut für Kriminologie der Juristischen Fakultät der Universität Paris II (Sorbonne);

-

im April 1989 bei Gespräch,en in der Interministeriellen Delegation für die Stadt und die soziale Stadtentwicklung (D.I.V.), Paris, sowie mit Vertretern des jeweiligen kommunalen Rates für Verbrechensverhütung in Clichy s. Garenne und in Toulouse.

Organisation und Finanzierung der Frauenhäuser in den Mitgliedsstaaten des Europarates Paula Maeder

Inhaltsübersicht I. Vorbemerkungen

135

ß. Länderberichte

136

1. Bundesrepublik Deutschland

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

2. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Spanien

138

4. Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Schweiz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

6. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

7. Zypern

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

8. Portugal

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

9. Dänemark 10. Finnland 11. Irland

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

12. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 13. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 14. Österreich

145

15. Luxemburg

146

16. Norwegen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

17. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

m.

Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

IV. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

I. Vorbemerkungen In einem Gespräch zwischen der Ministerin des Bundesministeriums für 1 Jugend, Familie, Frauen, Gesundheit (BMJFFG), Frau Prof. Dr. Süßmuth, dem Vorsitzenden der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission), Herrn Prof. Dr. Schwind, und den Damen Dr. Monica Steinhilper, Dr. Wiebke Steffen, Dr. Ursula Schneider, Dr. Paula Maeder fand am 7. 11. 88 ein Gespräch statt, in dem auch der zweite Frauenhausbericht erwähnt wurde. Da die Ministerin die ständigen Appelle der Frauenhausträger wegen einer bundesgesetzliehen Finanzierung von Frauenhäusern beklagte, wurde der Vorschlag gemacht, Organisation und Finanzierung von Frauenhäusern in anderen Mitgliedsstaaten des Europarates zu untersuchen, um festzustellen, ob ein möglicher Vergleich weitere Aufschlüsse und eventuell Empfehlungen zum Problem der Finanzierung liefern könnte. Die Ministerin erklärte, sie würde es sehr begrüßen, wenn im Rahmen des Regierungsauftrages der Gewaltkommission eine solche vergleichende Untersuchung zustande käme. Sie verspräche sich davon Anregungen für die Arbeit ihres Hauses und mögliche Lösungsvorschläge für die Finanzierung von Frauenhäusern. Es ist vorgesehen, zunächst Organisation und Finanzierung von Frauenhäu- 2 sern in der Bundesrepublik zu beschreiben, um dann die Darstellung der Frauenhaus-Arbeit, soweit es Organisation und Finanzierung angeht, in anderen europäischen Staaten anzuschließen. Zu diesem Zweck sollen Berichte aus 17 Mitgliedstaaten des Europarates ausgewertet werden, die als Vorbereitung zu dem Straßburger Kongreß "Gewalt in der Familie" November 1987 erstellt worden sind. In einer Zusammenfassung soll zum Schluß versucht werden, die verschiedenen Ansätze auf ihre Ergiebigkeit zu prüfen und entsprechende Vorschläge zu machen. Damit der Leser ein größeres Verständnis für Frauenhäuser gewinnen kann, 3 soll an dieser Stelle stichwortartig eine Charakterisierung der von Gewalt betroffenen Frauen vorangestellt werden. Eine breitere Darstellung würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. In mehreren europäischen Berichten finden sich ähnliche Schilderungen. -

Frauen, die Frauenhäuser aufsuchen, gehören meist der Unterschicht an. Sie haben eine geringe Bildung. Die wenigsten von ihnen sind berufstätig.

136 -

Sondergutachten Frauenhäuser

Sie sind von der jeweiligen Herkunftsfamilie geprägt und oft unfähig, mit Problemen und Konflikten fertig zu werden.

-

Sie sind selten auf den Berufund auch nicht auf Partnerschaft und Familie vorbereitet.

-

Auch ihre Kinder sind gestört und brauchen Hilfe.

-

Frauen verlassen ihre Partner, weil sie ebenso wie diese nicht fähig sind, auftretende Konflikte zu lösen. Mißhandlungen sind eine Folge ungelöster Konflikte.

-

Die Hälfte aller Prauenhaus-Bewohnerinnen geht zu ihren Partnern zurück.

-

Frauen, die eine eigene Existenz aufbauen, haben große Schwierigkeiten. Sie benötigen Nachbetreuung.

II. Länderberichte 1. Bundesrepublik Deutschland 4

Seit Mitte der 70er Jahre gibt es Frauenhäuser. Als erstes Modell wurde 1976 das erste Frauenhaus in Berlin vom damaligen Bundesministerium Jugend, Familie, Gesundheit und der Stadt Berlin gefördert. 1978 gab es bereits zwei Frauenhäuser in Hannover, ein weiteres in München. In rascher Folge entstanden Unterkünfte für mißhandelte Frauen in fast allen größeren Städten. Heute schätzt man einen Bestand von 180 Häusern und Wohnungen. Träger dieser Frauenhäuser sind selbständige Vereine, Wohlfahrtsverbände und der Sozialdienst Katholischer Frauen. Ihre Arbeit entwickelte sich aus ehrenamtlicher Initiative von Frauen, die nach anfänglicher Improvisation mit Hilfe von Spenden und gelegentlichen Zuwendungen von Gemeinden und Verbänden einen neuen Zweig sozialer Arbeit schufen. Zu den selbständigen Vereinen gehören in der Mehrzahl Initiativen der autonomen Frauenhausbewegung "Frauen helfen Frauen" mit einer Informationsstelle für autonome Frauenhäuser in Harnburg und Landesarbeitsgemeinschaften in allen Ländern. Ein Teil der nicht-autonomen örtlichen Frauenhausträger sind Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauen- und Kinderschutzhäuser mit dem Sitz z. Zt. in Freiburg.

5

Zwischen den autonomen und nicht-autonomen Frauenhäusern gibt es erhebliche konzeptionelle Unterschiede. So wird in den "Grundlagen für die Arbeit in Frauen- und Kinderschutzhäusern" der Arbeitsgemeinschaft folgendes empfohlen: -

Stabilisierung der Familie, Beseitigung ihrer Störungen und Hilfen bei der Konfliktbewältigung.

-

Zusammenarbeit mit Männern, da Emanzipation und Reformen nur durch Zusammenwirken beider Geschlechter möglich sind.

Sondergutachten Frauenhäuser -

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Zusammenarbeit mit Vertretern von Gesellschaft und Staat. Bejahung der demokratischen Grundordnung und durch kritische Stellungnahmen und Vorschläge Anregung von Reformen und Hilfe bei deren Verwirklichung.

Die Arbeitsgemeinschaft wurde im Februar 1981 in Hannover gegründet. Verfasserin dieser Untersuchung hatte hier im Juni 1978 ein nicht-autonomes Frauen- und Kinderschutzhaus eingerichtet und suchte jetzt in anderen Städten Mitstreiterinnen, die in ähnlicher Weise arbeiteten und bereit waren, gemeinsam Schwerpunkte der Frauenhaus-Arbeit zu entwickeln und der Regierung Anregungen zu geben. So wurden bisher Vorschläge gemacht bezüglich der Fortbildung von Mitarbeiterinnen, Nachbetreuung mißhandelter Frauen, Hilfen für die Partner und Selbsthilfegruppen für betroffene Frauen. Das BMJFFG sieht in der Förderung von Frauenhausarbeit einen wichtigen 6 Schwerpunkt seiner frauenpolitischen Arbeit. Am 8. 8. 83 hat das Bundesministerium dem Deutschen Bundestag einen ersten Frauenhausbericht vorgelegt, der sich mit der Frage befaßte, ob bundesgesetzliche Grundlagen zur Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können. Das Ergebnis des Berichts war, daß die Länder mit einer Ausnahme, die kommunalen Spitzenverbände, der Deutsche Verein für Öffentliche und Private Fürsorge und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe bundesgesetzliche Schritte außerhalb oder innerhalb des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ablehnten. Die Bundesregierung schloß sich dieser Auffassung an. 1984 entwickelte das BMJFFG ein Finanzierungskonzept auf der Grundlage der geltenden Fassung des BSHG in Verbindung mit ergänzenden institutionellen Zuschüssen der Länder und Gemeinden. Dabei empfahl es den Vorschlag des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge, Kostenvereinbarungen zwischen den örtlichen Trägem der Sozialhilfe und den Trägem der Frauenhäuser abzuschließen. Dagegen halten bis heute alle Träger von Frauenhäusern eine bundesgesetzliehe Regelung zur Finanzierung von Frauenhäusern für unverzichtbar. Die Frauenhäuser haben mit erheblichen Finanzierungsproblemen zu kämpfen, die ihre Arbeit beeinträchtigen. Auch wenn Länder und Gemeinden Zuschüsse zu den Personal- und Sachkosten geben, handelt es sich bei den bestehenden Regelungen um freiwillige Verwaltungsvorschriften ohne gesetzliche Grundlage, die keinen dauerhaften Rechtsschutz gewähren. Im zweiten Frauenhausbericht, der 1988 dem Parlament vorgelegt wurde, und 7 der die weitere Entwicklung der Frauenhäuser schildert, wird in der Anfügung einer zweiten Empfehlung des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge deutlich, daß die "Ergänzenden Institutionellen Hilfen vielfach zu gering bemessen (sind)", daß "die Frauenhausfinanzierung vielfach noch nicht ausreichend gesichert" ist, und daß "Die Kostenvereinbarungen . . . auch laufende Sach- und Personalkosten einschließen" sollen. Die Unsicherheit in den Frauenhäusern bleibt. Durch den mangelnden Rechtsschutz kann die jeweilige Haushaltslage der Länder und Gemeinden, die

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Sondergutachten Frauenhäuser

Abhängigkeit von Mehrheitsentscheidungen und die Parteinahme für bestimmte Frauenhauskonzeptionen jede planvolle Arbeit vereiteln. So bleibt nach wie vor die Finanzierung deutscher Frauenhäuser ein ungelöstes Problem. 8 Zusammenfassung: -

Träger der ca. 180 Frauenhäuser sind selbständige Vereine und Wohlfahrtsverbände.

-

Bei den Vereinen sind autonome und nicht-autonome Frauenhäuser zu unterscheiden.

-

Das BMJFFG fördert die Frauenhäuser durch Empfehlungen und Projektunterstützung.

-

Es legte bisher dem Deutschen Bundestag zwei Berichte über die Lage der Frauenhäuser vor.

-

1984 entwickelte es ein Finanzierungskonzept mit Finanzierungsempfehlungen an Länder und Gemeinden auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes.

-

Die Bundesregierung kann ohne gesetzliche Grundlage keine Frauenhäuser finanzieren.

2. Belgien 9

Seit etwa 10 Jahren gibt es Frauenhäuser. Sie wurden von militanten Feministinnen ins Leben gerufen. Ihre materielle Existenz ist unsicher. Die Möglichkeiten für eine Bezahlung von Mitarbeiterinnen sind begrenzt. Forschungsarbeiten liegen noch nicht vor. 1985 erfolgte mit der Einrichtung eines Staatsekretariats für "Soziale Emanzipation" die Einrichtung eines Netzes von Stellen für Forschung und Aktivitäten auf höherer Ebene. Die Staatsministerin für "Soziale Emanzipation" hat eine Arbeitsgruppe "Frauen und Sicherheit" ins Leben gerufen und empfiehlt die Zusammenarbeit mit den Sozialen Hilfszentren (LCPAS). Diese Hilfszentren sind städtische Institutionen, die allen Bürgern sozialen Beistand leisten. Hier können auch mißhandelte Frauen Hilfe finden, obwohl sie in Frauenhäusern besser untergebracht sind, die auf ihre speziellen Probleme besser eingehen können.

10 Zusammenfassung: 1. Frauenhäuser in Belgien werden von militanten Feministinnen betreut. 2. Sie erfahren kaum finanzielle Unterstützung. 3. Die Behörden haben sich bisher auf Empfehlungen und Planung beschränkt.

3. Spanien 11

Die Öffentlichkeit und auch die staatlichen Stellen haben erst in jüngster Zeit von den Problemen der Gewalt in der Familie erfahren. Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen über das Problem der Gewalt in der Familie. Es liegen nur Polizeiberichte vor. Außerdem hat die Kommission für

Sondergutachten Frauenhäuser

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die Mißhandlung von Frauen, eine private Institution, unter Mitarbeit des Innenministeriums einen Bericht verfaßt über Mißhandlungen von Frauen in Spanien während der Jahre 1985 und 1986. Er heißt "Die soziale Situation von Frauen in Spanien", veröffentlicht von "EI Institutode la Mujer" (Institut für Frauen). Maßnahmen sind bisher noch nicht getroffen worden. Empfohlen sind präventive und unterstützende Maßnahmen. Zu den Präventivmaßnahmen gehören die Aufklärung der Öffentlichkeit und das Verhaltenstraining der Polizei bezüglich der mißhandelten Frauen. Zu den Hilfsmaßnahrnen zählen: -

ein spezielles Training für Fachleute (Anwälte, Psychologen, Sozialarbeiter), die in Teams zusammenarbeiten;

-

die Einrichtung von Zufluchtsstätten. Bisher (Ende 1987), gibt es 18 solcher Zentren, die gefördert werden von Stadtverwaltungen, von privaten Verbänden oder autonomen Gruppen.

Es muß mehr getan werden. Eine in Arbeit befindliche Studie zeigt Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten auf durch wirtschaftliche und soziale Veränderungen in der Gesellschaft. Die spanische Regierung hat deshalb das "Staatliche Zentrum für die Familie und deren Zusammenhalt" ins Leben gerufen. Hier beschäftigt man sich mit Programmen für die Familie und den Familienverband und unterstützt Forschungsvorhaben. 12

Zusammenfassung: 1. In Spanien fangt die Aufklärung über Gewalt in der Familie erst an.

2. Bisherige Aktivitäten, darunter die Errichtung von 18 Frauenhäusern, gehen von privaten Verbänden und Gruppen aus. Auch Stadtverwaltungen beteiligen sich bereits. 3. Die Regierung tut noch nichts. Von Finanzierung kann noch keine Rede sein.

4. Schweden 1983 gab ein Gutachten für das schwedische Parlament einen Überblick über 13 Gewalttaten gegen Frauen und Empfehlungen für Gegenmaßnahmen. Folgende Vorschläge wurden angenommen und durchgeführt: -

Personal des Gesundheits- und Sozialwesens soll Angebote für Schulungen zum Thema Gewalt gegen Frauen erhalten.

-

Es wurden Methoden entwickelt, um nicht nur Frauen zu helfen, sondern auch Kindem und Männern.

-

Von der Regierung wurde eine Zusammenstellung von Polizeiberichten, Verhören und Verhaltensvorschlägen herausgegeben, die sich befaßten mit Vergewaltigung und sexuellem Mißbrauch von Frauen und Kindern. Das

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Sondergutachten Frauenhäuser

bedeutete für Frauen eine Stärkung ihrer Position und brachte ihnen Erleichterungen. -

Das Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt führte ein Seminar durch, das die Forderung nach wissenschaftlicher Forschung auf allen Gebieten der Gewalt erhob.

-

Für Frauen, die eingewandert sind, sollen Informationen über die schwedische Gesetzgebung zum Thema Gewalt und Angebote über Hilfen orientieren.

-

Vielfach erreichen praktische Hilfsangebote die mißhandelten Frauen nicht, weil Scham und Furcht diese hindern, sich zu offenbaren.

-

Deshalb hat die Regierung 1 Million schwedischer Kronen zur Verfügung gestellt für Aufklärung, Informationen und Training von Personal im Gesundheits- und Personalwesen. Dieses soll gut vorbereitet sein, um die Probleme der Gewalt besser erkennen zu können.

-

Es gibt keine staatlichen Hilfsangebote für mißhandelte Frauen in der Praxis. Sie werden durch ehrenamtliche Helfer vetmittelt. Eine Ausnahme bildet das städtische Krankenhaus in Gothenburg. Es stehen wohl städtische Sozialdienste zur Verfügung. Die ehrenamtlichen Kräfte leisten Beistand in allen Notsituationen.

-

Eine Alternative zu den Hilfsangeboten der Behörden sind hundert meist kleine Frauenhäuser mit ehrenamtlichen Mitarbeitern. Diese Organisation, die seit fünf Jahren besteht, hat bei Behörden und politischen Parteien Respekt und moralische Unterstützung erlangt.

14 Zusammenfassung: 1. Die schwedische Regierung hat seit 1983 Forschung, Information und Aufklärung

vorangetrieben.

2. Sie hat 1 Million schwedischer Kronen zur Verfügung gestellt für Training des Personals im Gesundheits- und Sozialwesen. 3. Es werden 100 Frauenhäuser von ehrenamtlichen Kräften betrieben. 4. Die Regierung finanziert weder Frauenhäuser noch Betreuungsmaßnahmen für mißhandelte Frauen.

5. Schweiz 15

1980 war im Schweizer Parlament ein Antrag an den Bundesrat gestellt worden, durch eine wissenschaftliche Untersuchung die Situation mißhandelter Frauen klären zu lassen. 1982 übernahmen Bundesrat und Nationalrat diesen Bericht über Schweizer Frauen als Opfer von Grausamkeit und Gewalt. Der Bericht wurde dann der Bundeskommission für Frauenangelegenheiten übergeben, die die Ergebnisse in die Praxis umsetzen sollte. Es war das erste Mal,

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daß in einer Studie über Gewalt in der Familie Einzelheiten über Gewalt und Gewalttäter veröffentlicht und statistisches Material bereitgestellt wurde. In die Untersuchung waren einbezogen die meisten großen Städte, aber nicht die ländlichen Gebiete. Ende 1987 hatte die Schweiz 10 Frauenhäuser. Die Kosten für den Unterhalt werden von regionalen Vereinigungen getragen, die sich um mißhandelte Frauen kümmern und auch die Verantwortung für die Unterkünfte tragen. Die Verantwortlichen arbeiten eng mit den Wohlfahrtsdiensten zusammen. Es herrschen ständig finanzielle Probleme. Die Frauenhäuser kämpfen um ihre Existenz und müssen Kampagnen starten, um Spenden zu erhalten. Die örtlichen Behörden sind angewiesen, drundstücke, Häuser oder Wohnungen bereitzustellen. Es ist aber unmöglich, Mietgrundstücke zu finden oder sie zu einem angemessenen Preis zu übernehmen. Außerdem müßten die Mitarbeiterinnen für ihre anstrengende Arbeit besser bezahlt werden. 16

Zusammenfassung: 1. 1982 gab eine Untersuchung im Auftrag der Regierung erstmalig Auskunft über die

Situation mißhandelter Frauen.

2. Die Schweiz hatte Ende 1987 10 Frauenhäuser. 3. Sie werden betrieben durch private Vereine. Ihre Finanzierung erfolgt durch Spenden.

6. Italien Seit Juni 1984 besteht beim Präsidium des Ministerrats ein Ausschuß für die 17 Gleichheit von Mann und Frau. Dieser hat 1987 einen Code für Frauen (Codice Donna) veröffentlicht. Es handelt sich um einen vollständigen Bericht über Gesetze für Frauen und ihre Rechte. Von Frauenhäusern und anderen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie ist nichts bekannt. 7. Zypern Das Wohlfahrtsministerium befaßt sich mit allen Formen von Gewalt in der 18 Familie. Bis Ende 1987 gab es außer Studien in Teilbereichen noch keine eingehende wissenschaftliche Untersuchung über Gewalt in der Familie. Die Abteilung für soziale Wohlfahrt, die sich besonders der Familie annimmt, hat noch kein besonderes Programm zur Bekämpfung von Gewalt. Sie arbeitet mit ehrenamtlichen Verbänden zusammen, um die Öffentlichkeit aufzuklären und zu informieren. Zusammenfassung:

1. Die Sozialbehörden bemühen sich, das Gewaltproblem zu untersuchen und die Öffentlichkeit aufzuklären. 2. Es gibt noch keine Aktivitäten zur Bekämpfung und Verhinderung von Gewalt.

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8. Portugal 20

Es liegen bisher noch keine Untersuchungen über Gewalt gegen Frauen vor und deshalb sind auch noch keine Maßnahmen zum Schutz der Frauen getroffen worden. 1983 wurde ein Bericht über Gewalt gegen Frauen für die Vereinten Nationen vorbereitet. Er enthielt Informationen der Polizei, der Nationalen Republikanischen Garde, der Juristenvereinigung u. a. Aber die Angaben waren unvollständig. Auch das Ausmaß der Gewalttaten gegen Frauen ist unbekannt. Man weiß nur, daß es angeblich sehr hoch ist. Es gibt noch keine staatlichen Maßnahmen oder Aktivitäten, um das Problem zu lösen oder den betroffenen Frauen in den Familien zu helfen, obwohl eine parlamentarische Gruppe einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Auch präventive Maßnahmen, die von der "Kommission für die Gleichberechtigung der Frau" in der Öffentlichkeit gefordert werden, sind bisher nicht erfolgt. Es müßten mehr Zentren für Krisen und Familientherapie geschaffen werden, da ihre Wirksamkeit die Anzahl der Gewalttaten in der Familie verringern könnte.

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Zusammenfassung:

1. Aufklärung und Information über die Situation mißhandelter Frauen liegen noch sehr im argen. 2. Es fehlen noch präventive und unterstützende Maßnahmen und Aktivitäten, sowohl von staatlicher Seite als von freiwilligen Verbänden. 3. Eine Finanzierung ist noch nicht in Sicht.

9. Dänemark 22

Im Zeitraum von 1979 bis 1987 sind 30 Frauenhäuser eingerichtet worden. Die meisten sind auf Initiative von feministischen Frauengruppen entstanden. Es bedurfte großer Anstrengungen, um Grundstücke, Geld und Mitarbeiterinnen für die Idee zu gewinnen. Nach und nach wurden Behörden in die Arbeit einbezogen, sowohl bei der Beschaffung von Grundstücken als auch von Fachkräften und deren Entlohnung. Sozialkomitees und Wohlfahrtsverwaltungen der Städte sind in erster Linie Partner dieser autonomen Frauengruppen. Auf freiwilliger Basis übernehmen die Behörden die allgemeinen Unkosten für die Frauenhäuser. Die weiteren Kosten werden durch Spenden, Beiträge der Bewohnerinnen und Zuwendungen von Verbänden aufgebracht. Die dänischen Frauenhausträger sind autonome Vereine mit Satzung und Vorstand, der das Frauenhaus nach außen vertritt und die Verantwortung trägt. Die Leitungsfunktionen wechseln. An der beschlußfassenden Versammlung nehmen hauptamtliche und ehrenamtliche Kräfte, Vorstandsmitglieder und auch die betroffenen Frauen teil.

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23

Zusammenfassung:

1. Feministische, autonome Frauengruppen haben Frauenhäuser eingerichtet und leiten sie. 2. Sozialkomitees und Wohlfahrtsverwaltungen der Städte übernehmen die allgemeinen Unkosten. Weitere Kosten werden durch Spenden und Zuwendungen privater · Organisationen aufgebracht.

10. Finnland Seit 1987 führt das Innenministerium Medien-Kampagnen zur Aufklärung 24 der Öffentlichkeit über das Problem Gewalt in der Familie durch (FernsehSpots, Prospekte, Poster). 1979 entstanden bereits die ersten Frauenhäuser, heute sind es 12. Davon befinden sich einige in Gebäuden anderer Institutionen. Sie arbeiten in enger Verbindung mit den bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen, dem Nationalen Komitee (Board) für soziale Wohlfahrt und dem Nationalen Komitee für Gesundheit. Ein Teil der Unterkünfte gehört den Gemeinden, der Rest ist in Händen von privaten Verbänden, die mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Die Gemeinden bezahlen den Aufenthalt ihrer Klienten mit geringen Mitteln. Einen Teil der Kosten übernehmen die Bewohnerinnen selbst. Die städtischen Wohlfahrtsdienste gewähren den Gewaltopfern finanzielle Unterstützung, arrangieren Unterbringung, Betreuung, Pflege der Kinder und Arbeitsvermittlung. Da man weiß, daß Gewalt in der Familie eine Folge der jeweiligen Familiensituation ist, werden die Familien in der Familienberatung betreut. Diese Einrichtung ist in den letzten 10 Jahren sehr ausgeweitet worden.

25

Zusammenfassung:

1. Frauenhäuser werden von Gemeinden oder privaten Organisationen getragen. Diese erhalten auch öffentliche Gelder. 2. Die Übernahme der Sach- und Betreuungskosten geschieht durch die Gemeinden. An den Kosten für die Unterbringung sollen sich die Bewohnerinnen selbst beteiligen.

11. Irland Die acht regionalen Gesundheitsämter haben die Verantwortung für die 26 Betreuung von Frauen, die sich in Schwierigkeiten befinden. Sie stellen auch für diese Frauen Unterkünfte bereit. Im gesamten Land gibt es 13 solcher Unterkünfte, die entsprechend den unterschiedlichen Fällen jeweils anders organisiert sind (Vergewaltigung, Bedrohung, Mißhandlung). Zusammenfassung:

Ihre Finanzierung erfolgt durch die Gesundheitsämter.

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12. Frankreich 27

Die französische Regierung läßt seit 1980 Untersuchungen machen zur Situation von mißhandelten Frauen. Der größte Teil von ihnen ist nicht berufstätig und hat einen niedrigen Bildungsstand. Die Regierung hat deshalb Maßnahmen eingeleitet, die sowohl vorbeugende Wirkung haben als auch in aktuellen Notsituationen helfen sollen. Behörden und private Verbände wie "SOS - Femmes Battues (SOS Mißhandelte Frauen), "Solidarite Femmes" (Frauenhilfe) unterhalten eine Reihe von Unterkünften. Die Regierung unterstützt diese Verbände mit finanziellen Zuschüssen, um die Frauen sozial und wirtschaftlich unabhängig zu machen. Statt Wohnungszentren werden Einzelwohnungen finanziert und bereitgestellt, die die Frauen beeinflussen, ihre Besorgungen und notwendigen Gänge für sich und ihre Kinder allein zu machen. Für die Vermieter werden Garantien und Bürgschaften gegeben. Regierung und lokale Behörden führen Kurse über Berufsbildung durch. 1986 wurden 2000 und 1987 5000 solcher Plätze finanziert. 1986 begann eine Aktion zur Beschäftigung und gesellschaftlichen Integration von Frauen über 40 Jahren, an der auch mißhandelte Frauen teilnehmen. Diese Frauen können nützliche Arbeiten für die Kommunen ausführen; dadurch werden sie finanziell unabhängig.

28 Zusammenfassung: 1. Um mißhandelte Frauen sozial und wirtschaftlich unabhängig zu machen, werden

neben bestehenden Frauenhäusern auch Wohnungen zur Verfügung gestellt.

2. Kurse zur Berufsbildung bieten Beschäftigungschancen und Möglichkeiten der Schaffung einer eigenen Existenz. 3. Die Regierung finanziert diese Maßnahmen direkt oder indirekt.

13. Großbritannien 29

Die Anzahl der Frauenhäuser stieg von 40 im Jahre 1975 auf 200 bis Ende 1987. Das Ministerium für Gesundheit und nationale Sicherheit stattete ab 1975 den Frauenhilfsbund (Women' s Aid Federation), eine nationale ehrenamtliche Organisation, mit 100000 Pfund jährlich aus. Dieser faßt die Arbeit einzelner örtlicher Gruppen zusammen, berät die Frauenhäuser und plant neue Unterkünfte. Die Planung neuer Frauenhäuser und ihre Finanzierung obliegt den örtlichen Behörden, evtl. gemeinsam mit einer ehrenamtlichen Organisation. Bei Schwierigkeiten kann staatlicheUnterstützungdurch die "Urban Aid Programme" (Städtisches Hilfsprogramm) in Anspruch genommen werden. Im Haus-

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haltsjahr 1985/86 wurde 57 Frauenhäusern mit 950000 Pfund geholfen. Seit 1979 hat die Regierung die "National Association ofVictims Support Schemes" (Nationale Gesellschaft für Opferhilfe) finanziert, 160 000 Pfund in 1987-88. Für die drei nächsten Haushaltsjahre sind 9 Millionen angekündigt für hauptamtliche Mitarbeiter(innen) oder auch als Beitrag für laufende Kosten. Durch das "Criminal lnjuries Compensation Scheme" (Wiedergutmachung für Kriminelle Opfer) werden öffentliche Gelder für Opfer von Gewaltverbrechen zur Verfügung gestellt. Im Haushaltsjahr 1986 / 87 gewährte der Vorstand über 48 Millionen Pfund für Wiedergutmachung, an denen auch mißhandelte Frauen Anteil haben. Das Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit hat mehrere Jahre hindurch ehrenamtliche Organisationen unterstützt, die sich um Helfer kümmerten, im letzten Haushaltsjahr mit über einer Million Pfund.

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Zusammenfassung:

1. Die englische Regierung hilft den Frauenhäusern indirekt, indem sie diese über Organisationen und Städte finanziert. 2. Sie legt jedes Jahr in ihrem Haushalt entsprechende Summen fest.

14. Österreich Für mißhandelte und vergewaltigte Frauen gibt es in allen Provinzen 31 Notunterkünfte. Seit 1987 befindet sich in Wien ein Dienstleistungszentrum für Frauen (Frauenhaus), das vom Staatssekretariat für Frauenangelegenheiten im Bundeskanzleramt getragen wird. Die dort gesammelten Daten bilden die Grundlage für Initiativen und neue Institutionen als Hilfsmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt. Inzwischen (Ende 1987) ist die Zahl dieser Zentren auf acht gestiegen.. 1980 wurde ein Bericht veröffentlicht mit dem Titel "Initiativen für Frauen in Österreich". Er enthält Planungen, Erfahrungen und Lernerfolge der bisherigen Arbeit. Inzwischen sucht man die Unterstützung einer oder mehrerer Parteien zu finden, um Trägervereine für Frauenhäuser zu bilden. Die Unterhaltung der bisherigen und die Errichtung neuer Häuser geschieht durch eine Mischfinanzierung, an der Bund, Provinzen und Städte beteiligt sind. Hinzu kommen Spenden und Zuwendungen von Organisationen. Der Wiener Trägerverein hat eine Kostenvereinbarung mit der Stadt abgeschlossen, die den größten Teil der Unkosten für zwei Frauenhäuser garantiert. Fehlbeträge werden durch Spenden und Mitgliedsbeiträge gedeckt. Mit einer Leiterin und 17 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen ist das Wiener Frauenhaus das am besten versorgte in Österreich. 10 Gewaltkommission Bd. IJI

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32 Zusammenfassung: 1. Ende 1987 existierten acht Frauenhäuser.

2. Eine Mischfinanzierung durch Bund, Provinzen und Städte garantiert den Bestand. 3. Das Wiener Frauenhaus ist mit 18 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen beispielhaft.

15. Luxemburg 33

Vereinigungen, die Frauenhäuser unterhalten, haben die Billigung des Familienministeriums. Die laufenden Kosten und Gehälter für die Mitarbeiterinnen und Fachkräfte werden vom Staat übernommen. Ende 1987 waren sieben Unterkünfte für mißhandelte Frauen bekannt.

34 Zusammenfassung: 1. 7 Frauenhäuser werden von Vereinen unterhalten. 2. Der Staat trägt die Kosten.

16. Norwegen 35

Aus ersten Befragungen liegen Schätzungen vor, daß jährlich 10000 Frauen die Gesundheitsbehörden um Beistand bitten; 3000 Frauen sind schätzungsweise Opfer von Vergewaltigungen. 1986 wurde mit Unterstützung der Zentralregierung ein Plan entwickelt, der alle Forschungsvorhaben koordinieren sollte. 1987 bestanden bereits aufgrund privater Initiativen erste Frauenhäuser für mißhandelte Frauen. Das waren Aktivitäten der Frauenbewegung. Seitdem erfolgt die Finazierung durch die Regierung und lokale Behörden. Es besteht aber kein Regierungs-Fonds für eine umfassende Arbeit auf breiterer Ebene. Eine Zusammenarbeit zwischen Frauenbewegung und Regierung mit ihrem Sozialhilfe-Programm ist in den verschiedenen Regionen unterschiedlich. Sie ist abhängig von der jeweiligen Einstellung der Regierungsvertreter. Nur 25-35% aller mißhandelten Frauen haben überhaupt Hilfe gefunden. Die Regierung hat im ganzen Land Schulungskurse für Fachkräfte in sozialen Bereichen durchgeführt, um Einstellung und Verhalten zu verbessern. Es liegen auch Aktionspläne der Gesundheitsbehörden für die Arbeit in Frauenhäusern vor: Verschiedene Formen der Betreuung, Nachsorge, Gruppentherapie, Selbsthilfegruppen. Außerdem veröffentlicht das Ministerium laufend Informationsmaterial.

36 Zusammenfassung: 1. Die Regierung unterstützt Forschungsvorhaben über Gewalt in der Familie, gibt Informationsmaterial heraus und führt Trainingskurse für Fachkräfte durch.

2. Sie finanziert die bisherigen Frauenhäuser zusammen mit den lokalen Behörden. Es besteht aber kein Regierungsfonds für umfassende Arbeit auf breiter Ebene.

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17. Niederlande In einem Memorandum des Ministeriums für Wohlfahrt, Gesundheit und 37 Kultur werden die Institutionen aufgeführt, die bei der Bekämpfung von sexueller Gewalt und der Verbesserung von Hilfsmöglichkeiten für die Opfer eine Rolle spielen. Das Hauptziel ist die Bereitstellung von Unterkünften und weiteren Hilfen für die Opfer durch die Institutionen. Die Finanzierung geschieht durch das Ministerium. Außerdem werden einige Kurse für Sozialarbeiterinnen durchgeführt und einige Projektmodelle von der Regierung finanziert. Es wurde auch ein großes Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben, um Zahlen und Fakten als Grundlage für die weitere Arbeit zu erhalten. Dank der Initiativen der Frauenbewegung, besonders der Frauenhäuser "Blijf van m'n Lijr' und ihrer angewandten Methoden ist in bescheidenem Ausmaß Hilfe und Unterbringung möglich. Man erwartet von ihnen nicht nur praktische Hilfen, sondern auch Prävention. In den bisher 18 Unterkünften mit 2000 Wohneinheiten für je eine Frau mit ihren Kindern gibt es zumeist nur ehrenamtliche Kräfte. Die Selbsthilfe der Bewohnerinnen wird mit in die Arbeit einbezogen. Die wesentlichen Ziele sind.Schutz durch Unterbringung, Informa, tion, gegenseitige Beratung und Hilfen für die Kinder. Außerdem wird eine größere Bewußtmachung der Frauen, Gewinn der eigenen Identität und Aufklärung der Öffentlichkeit angestrebt. Die spezielle Struktur, die Unabhängigkeit und die Arbeitsmethoden stimmen nicht immer mit den gegenwärtigen Vorschriften für Hilfsmaßnahmen in den Öffentlichen Diensten überein. Dadurch werden manche Möglichkeiten der Unterstützung blockiert. Wenn die Bewohnerinnen ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, werden sie durch die Sozialhilfe versorgt. Die Ehemänner brauchen deshalb nicht angesprochen zu werden. Neuerdings werden Verhandlungen geführt zwischen dem zuständigen Mini- 38 sterium für Wohlfahrt, Gesundheit, Kultur und dem Ministerium für Soziales und Arbeit wegen der Möglichkeiten einer staatlichen Finanzierung. Es müßte Einvernehmen mit den Häusern hergestellt werden über die Finanzierung durch die Aufstellung eines Haushalts oder einer Pauschale. Voraussetzung wäre eine geordnete Verwaltung mit Unterscheidung von anerkennungsfähigen Ausgaben. Eine andere Gruppierung von Frauenhäusern sind die "Vrouwen-Opvang Centra". Sie unterscheiden sich von der ersten Gruppe durch eine fortwährende, langandauernde Betreuung. Anders auch als die offiziellen Dienste wecken und fördern sie Interessen der Frauen, versuchen eine Prävention und Aktivitäten. Sie verlangen Bezahlung der Mitarbeiterinnen und kooperieren mit den Sozialen 10*

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Diensten. Auch für sie ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft m Zusammenhang zu sehen mit bestimmten Formen der Gewalt. 39 Zusammenfassung: 1. Das Ministerium für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur finanziert über eine Reihe von

Institutionen Unterkünfte und Hilfsmaßnahmen für Opfer der sexuellen Gewalt.

2. Es vergibt Forschungsaufträge und führt Trainingskurse für Sozialarbeiterinnen durch. 3. Die Frauenhäuser der feministischen Bewegung "Biijf van m'n Lijr• werden mit eigenwilligen Methoden geführt, die nicht immer mit den Vorstellungen des Öffentlichen Dienstes übereinstimmen. Dadurch werden öffentliche Mittel beschränkt. 4. Eine andere Gruppe sind die" Vrouwen-Opvang Centra". Sie unterscheiden sich von der ersten Gruppe durch stärkere Betreuung, Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Kooperation mit den Sozialdiensten.

111. Schlußfolgerungen 39

Nach Durchsicht der 17 Berichte stellt sich heraus, daß die Finanzierung von Frauenhäusern und deren Aktivitäten in unterschiedlicher Weise erfolgt. Auch die Rolle der jeweiligen Regierung wechselt von Staat zu Staat.

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In sieben Staaten gibt es für mißhandelte Frauen keine Geldzuwendungen durch die Regierung. Die Gründe sind unterschiedlich; sie werden nur selten angegeben. In vier Staaten erfolgt die Finanzierung durch Provinzen (Länder), Gemeinden oder Regionalverwaltungen, und in sechs Staaten fühlen sich die Regierungen selbst verantwortlich und fördern ihre Frauenhäuser über Organisationen, die sie unterstützen, oder durch Gemeinden, denen sie die notwendigen Gelder zur Verfügung stellen.

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Erste Gruppe: Zu ihnen gehören Belgien, Spanien, Schweden, die Schweiz, Italien, Zypern und Portugal.

Der belgisehe Bericht erklärt ganz offen, daß die Regierung die Initiativen für diese Arbeit den militanten, feministischen Frauengruppen überläßt und deshalb keine finanzielle Unterstützung der Frauenhausarbeit beabsichtigt. In Spanien ist die Gesellschaft traditionell ganz auf Männer orientiert. Zwar haben private Verbände und autonome Frauengruppen 18 Frauenhäuser geschaffen, die meist unter Regie von Stadtverwaltungen stehen. Aber von einer staatlichen Finanzierung ist nichts bekannt. Die schwedische Regierung finanziert weder die von ehrenamtlichen Kräften betriebenen hundert Frauenhäuser noch andere Betreuungsmaßnahmen für mißhandelte Frauen. Dafür gibt es keine Begründung. Ähnlich ist es in der Schweiz. Zehn Frauenhäuser werden durch private Vereine gefördert und durch Spenden finanziert. Gründe für die Zurückhaltung auf finanziellem Gebiet werden im Bericht nicht genannt.

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In Italien stehen herrschende Tradition und antiquiertes Rollenverständnis von Mann und Frau der Emanzipation der Frauen im höchsten Maße entgegen. Deshalb geraten Informationen und Aufklärung nicht an die Öffentlichkeit. Es gibt keinen Schutz und keine Hilfsmaßnahmen für mißhandelte Frauen. Infolgedessen befaßt sich auch nicht die Regierung mit Maßnahmen oder Geldzuwendungen. Von Zypern sind weder Maßnahmen für mißhandelte Frauen noch eine staatliche Finanzierung bekannt. Dasselbe gilt für Portugal. Hier fehlt es auch an Aufklärung und Information. Es gibt weder Frauenhäuser noch irgendwelche Aktivitäten auf diesem Gebiet. Von Finanzierung ist keine Rede. In einer zweiten Gruppe, zu der Dänemark, Finnland, Irland und die 42 Bundesrepublik gehören, haben Länder, Provinzen, Kommunen oder Regionalverwaltungen die Verantwortung für Frauenhäuser und die Betreuung von mißhandelten Frauen übernommen, häufig zusammen mit Vereinen, die ehrenamtlich arbeiten. Die jeweilige Zentralregierung bleibt im Hintergrund. Die Kosten dieser sozialen Maßnahmen werden durch eine sogenannte Mischfinanzierung aufgebracht.

In Dänemark sind die Frauenhäuser von feministischen, autonomen Frauengruppen eingerichtet worden und werden auch von ihnen geleitet. Neben Spenden und Zuwendungen privater Organisationen übernehmen die Sozialbehörden die allgemeinen Unkosten. Ähnlich sind die Verhältnisse in Finnland. Frauenhäuser werden von Gemeinden oder privaten Organisationen getragen und durch öffentliche Gelder unterstützt. An den Kosten für die Unterbringung sollen sich die Bewohnerinnen selbst beteiligen. In Irland haben acht regionale Gesundheitsämter die Verantwortung für 13 Frauenhäuser, die sich auch finanzieren. In der Bundesrepublik besteht das System der Mischfinanzierung. Grundlage ist das Bundessozialhilfegesetz. Länder und Gemeinden leisten institutionelle Zuschüsse auffreiwilliger Basis. Es gibt kein Gesetz, das der Regierung erlaubt, sich an der Versorgung der Frauenhäuser zu beteiligen oder sie ganz zu übernehmen. Eine dritte Gruppe von Staaten - Frankreich, Großbritannien, Österreich, 43 Luxemburg, Norwegen und die Niederlande- unterstützen ihre Frauenhäuser indirekt, d. h. über Städte und Organisationen. In Frankreich finanziert die Regierung über Organisationen nicht nur Frauenhäuser, sondern auch Einzelwohnungen für mißhandelte Frauen. Die Regierung initiiert auch neben anderen präventiven Maßnahmen Berufsbildungskurse.

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Großbritannien hat zur Zeit (1987) 200 Frauenhäuser. Sie werden geplant und finanziert durch Stadtverwaltungen und freiwillige Organisationen mit zusätzlicher Hilfe der Regierung. Jedes Jahr legt die britische Regierung hierfür in ihrem Haushalt eine bestimmte Summe fest, außerdem fixe Beträge für Personal und Wiedergutmachungszwecke. Das Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit untersülzt ehrenamtliche Organisationen für die Durchführung ihrer Frauenhausarbeit. Österreich zählt Ende 1987 acht Frauenhäuser. Bundesregierung, Provinzen und Kommunen sind an der Finanzierung beteiligt. Man versichert sich auch der aktiven Mithilfe von Vertretern(innen) der Parteien. Auch private Organisationen sind an der Mitarbeit und Finanzierung beteiligt. Sieben Frauenhäuser in Luxemburg befinden sich in Trägerschaft von Vereinen. Die laufenden Kosten hat der Staat übernommen. Die Frauenhäuser in Norwegen sind durch Aktivitäten der Frauenbewegung entstanden. Ihre Finanzierung erfolgt durch die Regierung gemeinsam mit den lokalen Behörden. Es besteht aber kein Regierungsfonds für eine umfassende Arbeit. Die Zusammenarbeit zwischen Frauenbewegung und Behörden ist abhängig von der jeweiligen Einstellung der Regierungsvertreter. In achtzehn niederländischen Frauenhäusern mit ihren 2000 Wohneinheiten für mißhandelte Frauen sind nur feministische, ehrenamtliche Kräfte tätig. Da ihre Arbeitsmethoden und ihre Haushaltsführung nicht den Vorschriften des öffentlichen Dienstes entsprechen, werden die staatlichen Zuwendungen beschränkt. Eine bessere Zusammenarbeit in Betreuung und Finanzierung besteht zwischen einer anderen Frauenhausgruppe und den öffentlichen sozialen Diensten. Die unterschiedliche Handhabung der Finanzierung in den europäischen Staaten bietet uns eine Skala von Vergleichsmöglichkeiten. Wenn wir feststellen, daß unsere Nachbarn Frankreich, Großbritannien, Österreich, Luxemburg, Norwegen und die Niederlande Gelder in ihren Haushalten bereitstellen, um ihre Frauenhäuser zu unterhalten, sollte uns dies Anlaß zum Nachdenken geben und uns anhalten, die eigene Situation zu überprüfen. 44 Der Bund kann nach Artikel 74, Nr. 7 Grundgesetz Angelegenheiten der öffentlichen Fürsorge regeln. 1983 im ersten Frauenhausbericht hat die Bundesregierung abgelehnt, eine Finanzierungsregelung außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vorzunehmen. Die Entscheidung kam unter dem einhelligen Votum der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zustande. Wie bereits oben (Seite 137) gesagt, besteht die aktuelle Finanzierungsregelung für Frauenhäuser in der Ausschöpfung des BSHG in Verbindung mit institutionellen Zuschüssen der Länder und Gemeinden.

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Viele Fachleute im sozialen Bereich vertreten die Ansicht, daß die Frauenhausfinanzierung nicht ins BSHG hineingehört. Das BSHG diente Anfang der 80er Jahre lediglich als Krücke für die Hilflosigkeit öffentlicher Stellen, die unter Handlungsdruck gegenüber dem stürmischen Aufbruch der Frauenhausbewegung eine Regelungslücke füllen mußten. Die institutionellen Zuschüsse unterliegen, wie auf Seite 137 ausgeführt, dem Zufall. Es handelt sich um freiwillige Verwaltungsvorschriften, die jede planvolle Arbeit der Frauenhäuser unterbinden, und die eine beständige Unruhe in der Frauenhausbewegung nicht beseitigen können. Es fehlt eine Rechtsgrundlage. Sie zu erlangen bieten sich drei Möglichkeiten 45 an: 1. Die Länder geben sich selbst bindende Richtlinien. Das können sie, aber es ist unwahrscheinlich, weil nach bisherigen Erfahrungen die Beschlüsse von Länderkonferenzen nicht von allen Länderregierungen umgesetzt werden. Außerdem werden sie nicht von ihrem hartnäckigen Widerstand gegen ein Bundesgesetz abrücken. 2. Die Länder geben den Kommunen Anweisungen für die Finanzierung. Es fragt sich, ob das rechtlich möglich ist. Die Kommunen werden nicht mitmachen. 3. Es muß ein Bundesgesetz geschaffen werden, das Länder-Richtlinien und Regelungen für die Gemeinden enthält. In den Angelegenheiten der öffentlichen Fürsorge besitzt der Bund die Kompetenz laut Grundgesetz. Das ist eine politische Entscheidung. Sie muß auch auf politische, d. h. auf parteipolitische Weise gelöst werden. Die Parteien müssen aktiv werden. Es genügt nicht, den Vertreterinnen der 46 Frauenhäuser gegenüber die Notwendigkeit ihrer sozialpolitischen Arbeit zu betonen und ihnen Respekt für ihren Einsatz zu zollen. Es muß gehandelt werden. Seit Anfang der 80er Jahre hat sich in der Praxis nichts geändert. Entgegen dem Willen der oben angeführten Organisationen und der Länder und Gemeinden muß durch entsprechende Anträge in allen Parteien auf die Notwendigkeit eines Frauenhausfinanzierungsgesetzes hingewiesen und dieses in den Ausschüssen vorbereitet werden. Dabei soll den Initiatorinnen der Frauenhäuser die Freiheit ihrer Konzeption und der Durchführung überlassen werden, andererseits können die Erfahrungen der europäischen Länder - z. B. Belgiens und der Niederlande genutzt werden, um den Zuwendungsemprangern bestimmte Auflagen zu machen. a) Auf dem Gebiet der Vewaltung muß gefordert werden, daß die haushaltsrechtlich erforderlichen Mittel bestimmungsgemäß verwendet werden und einer lückenlosen Kontrolle unterliegen. b) Eine ausreichende Zusammenarbeit mit den Behörden sollte Voraussetzung sein für zufriedenstellende Unterstützung.

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Hinter den äußeren Symptomen der Gewalt in der Familie wie Alkohol-, Drogensucht und eine mangelnde Fähigkeit zur Lösung von Konflikten erkennen wir tiefere Ursachen. Es können sein wirtschaftliche Not, fehlendes Rollenverständnis von Mann und Frau und eine nicht ausreichende Erziehung. Diese Defizite abzubauen, ist die Aufgabe der Zukunft. Sie zu lösen, würde bedeuten, daß Frauenhäuser nicht mehr notwendig sind, und auch die Probleme einer Finanzierung nicht mehr auftreten.

IV. Literaturverzeichnis 1. Bericht der Bundesregierung über die Lage der Frauenhäuser für mißhandelte Frauen und Kinder. (BT-Drucksache 10/ 291 v. 8. 8. 1983) 2. Bericht der Bundesregierung über die Lage der Frauenhäuser für mißhandelte Frauen und Kinder. (BT-Drucksache 11 / 2848 v. 1. 9. 1988) Federal Republic of Germany: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 19. 8. 1987 CDPS-VF (87) 1 /FRG Belgium: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 30. 6. 1987 CDPS-VF (87) 1 /B Spain: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 5. 8. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Sp Sweden: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 30. 6. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Sw Switzerland: National Report ofthe Steering Commitee for Social Policy ofthe Council of Europe. 2. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Switz Italy: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 2. 9. 1987 CDPS-VF (87) 1/It Cyprus: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 8. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Cy Portugal: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 30. 6. 1987 CDPS-VF (87) 1 /P Denmark: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 1. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Dk Finland: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 10. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1/Fin lreland: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 7. 8. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Ir France: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 2. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1/F United Kingdom: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 27. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1 /UK Austria: National Report of the Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 3. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1/ A Luxembourg: National Report ofthe Steering Commitee for Social Policy ofthe Council of Europe. 29. 6. 1987 CDPS-VF (87) 1 /Lux

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Literaturverzeichnis

Norway: National Report ofthe Steering Commitee for Social Policy of the Council of Europe. 2. 7. 1987 CDPS-VF (87) 1 /N Netherlands: National Report ofthe Steering Commitee for Social Policy ofthe Council of Europe. 30. 6. 1987 CDPS-VF (87) 1 /NL

Zusammenfassende Darstellung und kritische Auswertung der Arbeit der "National Commission on the Causes and Prevention of Violence" (USA) und Untersuchung über die weitere Entwicklung und die Auswirkungen der Arbeit der U.S. Violence Commission Hans J oachim Schneider*

* Mein besonderer Dank gilt meinen Assistenten, Frau Uthemann, Frau MeyerHöger, Herrn Kabisch und besonders Herrn Theodor Dopheide M. A. sowie meiner studentischen Hilfskraft Frau Kaperschmidt, die mir bei der Materialbeschaffung und bei der Übersetzung geholfen haben. Meine Frau Hildegard hat das Konzept geschrieben und meine Sekretärin Frau Röwekamp mit Fleiß und· Ausdauer die Reinschrift angefertigt. Beiden sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt.

Inhaltsübersicht A. Die Arbeit der U.S. Violence Commission

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

I. Zeitgeschichtlicher Hintergrund und Bedeutung der Arbeit der U.S. Violence Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

II. Auftrag, personelle Zusammensetzung, Beratungszeit und Organisation der U.S. Violence Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Arbeitsinhalte, -ergebnisse und Empfehlungen der U.S. Violence Commission und ihrer Unterkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Die Arbeit der acht Unterkommissionen der U.S. Violence Commission 168

a) Die Unterkommission zum Studium geschichtlicher und vergleichender Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Der Inhalt der Bände 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Arbeitsergebnisse

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

b) Die Unterkommission zum Studium der Gruppengewalt . . . . . . . 173 aa) Inhalt des Bandes 3 bb) Arbeitsergebnisse

173 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

cc) Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Die Unterkommission zum Studium individueller Gewalthandlungen ......... .. ............... ..... ................ . .. 178 aa) Inhalt der Bände 11, 12 und 13 bb) Arbeitsergebnisse

178

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

cc) Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 d) Die Unterkommission zum Studium von Attentaten und politischer Gewalt 189 aa) Inhalt des Bandes 8 bb) Arbeitsergebnisse

189 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

e) Die Unterkommission zum Studium der Beziehung zwischen Schußwaffen und Gewalt im amerikanischen Leben . . . . . . . . . . . 197

158

Inhaltsübersicht aa) Inhalt des Bandes 7 bb) Arbeitsergebnisse

197 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

cc) Empfehlungen ................ .... ................... 201 f) Die Unterkommission zum Studium der Beziehung zwischen Mas-

senmedien und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Inhalt des Bandes 9 und des Bandes 9 A

202

bb) Arbeitsergebnisse und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 g) Die Unterkommission zum Studium von Maßnahmen auf den Gebieten der Gesetzgebung und -anwendung 212 aa) .·Inhalt des Bandes 10 bb) Arbeitsergebnisse

212

............ . ..................... .. 213

h) Die Unterkommission zur Untersuchung von Gewalt während Demonstrationen, von Rassen- und Studentenkrawallen (mit fünf Untersuchungsteams) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Inhalte der Bände 4, 5 und 6 bb) Arbeitsergebnisse

217

........... ... ..................... . 219

2. Die zentralen Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der U.S. Violence Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Inhalt des Hauptbandes (14)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

b) Arbeitsergenisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Vorschläge zur Vorbeugung

228

bb) Vorschläge zur Bekämpfung

228

B. Venrirklichung der Empfehlungen der U.S. Violence Commission . . . . . . . . . . . . 232

I. Art und Umfang ihrer Verwirklichung .......... .. .......... ... .... 232

II. Erfolg der Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 C. Die Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der U.S. Violence Commission im Lichte neuerer nordamerikanischer kriminologischer Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . 240

I. Arbeitsergebnisse und Empfehlungen zweier neuer Kommissionen

. . . . 240

II. Kritische Beurteilung aufgrund der Weiterentwicklung der kriminologischen Gewaltforschung in Nordamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Inhaltsübersicht

159

1. Einige neue Aspekte der nordamerikanischen kriminologischen Gewaltforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Erforschung der Gewalt in der Schule

252

3. Erforschung der Gewalt in der Familie

258

a) Überblick über die Entwicklung der Forschung in den sechzigerund siebziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Der Erkenntnisstand der achtziger Jahre ......... _..... . . . . . . . 261 aa) Häufigkeit und Entwicklung familiärer Gewaltanwendung in den USA ... ... ................................ .. ... 261 bb) Erscheinungsformen der Gewalt: Faktoren, die mit Gewalt in der Familie in Verbindung gebracht werden . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Vorbeugung und Bekämpfung ........... . ............ .. .... 271 aa) Die sozialen Auswirkungen von Gewalt in der Familie

. . . . 271

bb) Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalt in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

D. Abschließende Bewertung der Arbeit der U.S. Violence Commission

275

E. Literaturverzeichnis

277

A. Die Arbeit der U.S. Violence Commission I. Zeitgeschichtlicher Hintergrund und Bedeutung der Arbeit der U.S. Violence Commission 1

Will man die Arbeit der U .S. Violence Commission verstehen, so muß man sie in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge einordnen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren viele schwarze Amerikaner mit ihrem sozialen Status unzufrieden. In den Südstaaten der Vereinigten Staaten kam es bereits in den 50er Jahren zu Aktionen der Bürgerrechtsbewegung und zu gewaltsamen Gegenaktionen rechtsextremistischer Weißer (Ku-Klux-Klan). Anfang der 60er Jahre erstarkte die Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten. Hunderttausende nahmen an Protestmärschen teil. Zu ersten Unruhen kam es in den Schwarzengettos der Großstädte der Nordstaaten im Jahre 1964. Nach 1965 wuchs auch die Opposition gegen den Vietnam-Krieg. Der Antikriegsprotest erreichte seinen Höhepunkt im Jahre 1969. Mit diesem Protest waren Studentenunruhen in den nordamerikanischen Universitäten verbunden. Bereits im Jahre 1963 war es zu ersten Studentenunruhen an der Universität von Kaliformen in Berkeley gekommen. Der Aufruhr an den Universitäten erreichte immer größere Ausmaße. Häßliche, grausame Krawalle ereigneten sich insbesondere am San Franziska Staatscollege im Winter 1968/69, an der Columbia Universität im Jahre 1969 und an der Kent State Universität in Ohio im Mai 1970. Die gesellschaftliche Unruhe wurde auch an drei Attentaten erkennbar, die die nordamerikanische Öffentlichkeit schwer erschütterten: an dem Attentat auf Präsident John F. Kennedy im Jahre 1963, an der Ermordung von Senator Robert F. Kennedy im Jahre 1968 und an dem Attentat auf den Bürgerrechtler Martin Luther King im seihen Jahr. Mit Beginn der 70er Jahre ließen die Gettokrawalle der schwarzen Amerikaner an Zahl und Ausmaß nach. Zu größerem Aufruhr kam es nur noch im Schwarzengetto von Miami in den Jahren 1980 und 1983. Mit dem Abflauen der Protestaktionen der schwarzen Amerikaner zu Beginn der 70er Jahre tauchten neue gesellschaftliche Probleme auf: der Gleichberechtigungsanspruch der Frauenbewegung, der Protest der Indianer 1 und der Amerikaner mittel- und südamerikanischer Herkunft gegen ihre Diskriminierung. Die Antikriegsproteste kamen mit dem Friedensschluß in Vietnam im Jahre 1972 zu einem vorläufigen und mit dem Einmarsch der kommunistischen Truppen in Saigon im Frühjahr 1977 zu ihrem endgültigen Abschluß. Mehr als 6 Millionen Amerikaner hatten an den Demonstrationen 1

Jeanne Quillemin 1979, 287-305.

Sondergutachten USA

161

und Unruhen teilgenommen. 350 Menschen waren getötet und 12000 verletzt worden. Nahezu 100000 Amerikaner waren verhaftet worden. 2 Die Antikriegsproteste, die Studenten- und Rassenunruhen und die Attentate 2 hatten zwei wesentliche Konsequenzen. Zum einen versuchte man, im Wege der Bundesgesetzgebung der gesellschaftlichen Unruhe Herr zu werden. Im Jahre 1968 wurden vier wichtige Gesetze in den USA zur inneren Sicherheit erlassen, die später novelliert worden sind: -

das "Omnibus Crime Control and Safe Streets Act", ein Bundesgesetz, das sich gegen "Straßenkriminalität", insbesondere Gewaltkriminalität, richtete;

-

das "Juvenile Delinquency Prevention and Control Act", ein Bundesgesetz, das in der Kontrolle der Jugenddelinquenz neue Wege zu beschreiten versuchte;

-

das "Gun Control Act", ein Bundesgesetz, das die Waffenkontoolle verschärfte, und schließlich

-

das "Model Cities and Housing Act", ein Bundesgesetz, das die Großstadtsanierung und den Wohnungsbau voranzutreiben suchte.

Neben diesen gesetzlichen Maßnahmen versuchten die verantwortlichen 3 Politiker, sich wegen der in der Öffentlichkeit als bedrohlich empfundenen Lage durch die verschiedenen sozialen Gruppen, insbesondere auch durch die Wissenschaft, beraten zu lassen, um langfristig wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Man bildete große Kommissionen, die nicht nur das Wissen der Zeit sammelten und zusammenfaßten, sondern die auch empirische Forschungsarbeiten mit neuen Forschungsmethoden anregten. Drei wichtige Kommissionen, die sich mit der Verbrechensverhütung und -kontrolle befaßten, wurden vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt und nahmen ihre Arbeit auf: -

die "President's Commission on Law Enforcement and Administration of Justice" (Vorsitzender Nicholas deB. Katzenbach), die in den Jahren 1966 und 1967 arbeitete;

-

die "U.S. National Advisory Commission on Civil Disorders" (Vorsitzender Gouverneur Otto Kerner), die in den Jahren 1967 und 1968 ihre Aufgaben erfüllte, und schließlich

-

die "U.S. National Comrnission on the Causes and Prevention ofViolence" (Vorsitzender Milton S. Eisenhower), die in den Jahren 1968 und 1969 tätig wurde.

Die "Katzenbach-Kommission", die man so auch nach ihrem Vorsitzenden 4 benannte, veröffentlichte 1967 einen großen Bericht3 , neun "Task Force" Vgl. den Überblick bei Ted Robert Gurr 1979, 49-76. President's Comrnission on Law Enforcement and Administration of Justice (Hrsg.): The Challenge of Crime in a Free Society. Washington D.C. 1967. 2

3

11 Gewaltkommission Bd. III

162

Sondergutachten USA

Berichte4 und fünf Feldforschungen (Field Surveys), darunter die ersten Befragungen nach dem kriminellen Opferwerden (Victimization Surveys). 5 Sie legte den größten Wert auf die Erforschung der Kriminalität allgemein und der Wirksamkeit des Kriminaljustizsystems. Sie nahm im Rahmen eines "Task Force" Berichts 6 allerdings auch zur Frage der Rassen- und Studentenkrawalle Stellung. Die "Kerner-Kommission", die auch so nach ihrem Vorsitzenden heißt, kam in ihrem Bericht 7 zu dem Schluß, daß sich die Nation der Vereinigten Staaten auf zwei Gesellschaften zubewegt: eine schwarze und eine weiße getrennt und ungleich. Diese Kommission führte die Rassenunruhen auf einen "institutionalisierten Rassismus" zurück. Sie hatte die Rassenunruhen in 23 Großstädten der USA untersucht und folgerte aus ihren Untersuchungen, daß Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, unzureichende Wohnungen, Mängel im Erziehungssystem und diskriminierende und ineffektive Polizeipraktiken Ursachen der gewaltsamen Unruhen seien. Die 3. Kommission, die auch nach ihrem Vorsitzenden "Eisenhower-Kommission" genannt wird, befaßte sich speziell mit der kollektiven und individuellen Gewaltkriminalität. Sie veröffentlichte ihre Untersuchungsergebnisse in mehr als 15 Bänden. Alle drei Kommissionen, die "Katzenbach-", die "Kerner-" und die "Eisenhower-Kommission", verfolgten aufgrund ihrer Untersuchungen und Beratungen einheitlich eine durchgehende Tendenz, die auch heute noch bei der Erforschung der Kriminalität in den USA vorherrschend ist: Sie erklärten die Verursachung der Kriminalität weniger aus psychischen als aus sozialen Störungen, und sie stellten Forderungen nach Änderungen im Wirtschafts-, Rechts-, Erziehungs- und politischen System auf. Alle drei Kommissionen schlugen eine Doppelstrategie bei der Kriminalitätskontrolle vor: die Verdoppelung der Investitionen für das Kriminaljustizsystem und den sozialen Wiederaufbau ("Social Reconstruction") in den Großstädten. Alle drei Kommissionen haben- rückschauend-den Fehler gemacht, daß sie die sozioökonomischen Probleme für die Verursachung der Kriminalität überbetont haben. Mängel im sozioökonomischen System sind zwar für die Kriminalitätsverursachung mitverantwortlich. Es handelt sich aber nicht allein um eine Finanzierungsfrage, und durch die Beseitigung der sozioökonomischen Mängel allein läßt sich das Verbrechensproblem nicht lösen. Mit den Arbeitsergebnissen der "Eisenhower-Kommission" liegt zum ersten Male eine systemati4 "Task Force" Berichte: Crime and its Impact - an Assessment; Juvenile Delinquency and Youth Crime; The Police; The Courts; Corrections; Organized Crime; Narcotics and Drug Abuse; Drunkenness, Science and Technology. Deutsche Zusammenfassung des Kommissionsberichts und der "Task Force" Berichte bei Hans Joachim Schneider 1969, 1088-1099. 5 Albert D . Biderman, Louise A. Johnson, Jennie Mcintyre, Adrianne W. Weir 1967; Philip H. Ennis 1967. 6 "Task Force" Bericht: Crime and its Impact -an Assessment. Washington D.C. 1967, 116-122. 7 U.S. National Advisory Commission on Civil Disorders (Hrsg.): Report. Washington D.C. 1968.

Sondergutachten USA

163

sehe und umfassende Darstellung des Wissens über kriminelle Gewalt in den Vereinigten Staaten nach dem Stand von 1969 vor. 8 Die Bedeutung der Arbeit der "Eisenhower-Kommission" liegt weniger in ihrem unmittelbaren Einfluß auf die nordamerikanische Strafgesetzgebung und -anwendung. Der Wert der Arbeit dieser Kommission besteht vielmehr darin, daß sie die auch heute noch maßgeblichen Texte zu den Erscheinungsformen, Ursachen, der Vorbeugung und Kontrolle der Gewaltkriminalität hervorgebracht hat. Die mehr als 15 Bände der "Eisenhower-Kommission" wurden nach ihrer Veröffentlichung in Nordamerika zum Bestseller. Nach ihrer Erstausgabe durch die Bundesdruckerei (Government Printing Office, Washington D.C.) erschienen zwei PaperbackAusgaben (Bantam, New American Library /Signet) und eine gebundene Ausgabe (Praeger-Verlag). Insgesamt sind derzeit in der nordamerikanischen Gesellschaft, insbesondere bei Behörden und Universitäten, und weltweit mehr als 300000 Exemplare des Berichts verbreitet. Durch diese weite Verbreitung übt der Bericht der U.S. Violence Commission mittelbar einen großen Einfluß auf die Beurteilung der Gewaltkriminalität in der nordamerikanischen Gesellschaft und weltweit aus. Er hat auch heute noch ein großes wissenschaftliches Gewicht, obgleich die sozialwissenschaftliche Entwicklung weitergegangen ist und obgleich sich die Stimmen mehren, die fordern, eine neue wissenschaftliche Kommission in den USA zur Erforschung der Gewaltkriminalität solle die Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der "Eisenhower-Kommission" erneuern.

II. Auftrag, personelle Zusammensetzung, Beratungszeit und Organisation der U.S. Violence Commission Präsident Lyndon B. Johnson erteilte der U.S. Violence Commission am 6. 5 Juni 1968 ihren Auftrag. Die Kommission arbeitete 18 Monate lang. Im Abschlußbericht der Kommission ist hervorgehoben, daß sie sich der Hilfe und Unterstützung von mehr als 200 führenden Wissenschaftlern der USA bediente. 9 Die Kommission führte mehr als 30 Tage lang Anhörungen durch. Die Meinung von über 150 Personen, staatlichen Bediensteten, Wissenschaftlern, religiösen Würdenträgern, Medienverantwortlichen und Bürgern, wurde während dieser Anhörungen erfragt. Die Kommission hielt 60 Tage lang Arbeitssitzungen und drei Spezialkonferenzen ab: eine Konferenz mit Wissenschaftlern, eine Konferenz zur Frage "Jugend und Gewalt" und eine Konferenz mit 20 Universitätspräsidenten. Die U .S. Violence Commission setzte sich- einschließlich ihres Vorsitzenden 6 und ihres stellvertretenden Vorsitzenden - aus 13 Mitgliedern zusammen. Vorsitzender war Milton S. Eisenhower, der ehemalige Präsident der Johns Neil Alan Weiner, Marvin E. Wolfgang 1985, 18. National Commission on the Causes and Prevention ofViolence (Hrsg.): To Establish Justice, to Insure Dornestic Tranquility, Final Report, Washington D.C. 1969, S. XIII. 8

9

164

Sondergutachten USA

Hopkins Universität und anderer Universitäten und der ehemalige Berater des Präsidenten der USA in lateinamerikanischen Angelegenheiten. Stellvertretender Vorsitzender war A. Leon Higginbotham, ein Bundesrichter. Der Kommission gehörten weiterhin an: ein Mitglied des Repräsentantenhauses, ein Mitglied des Senats, zwei Mitglieder aus Staatsparlamenten, ein Erzbischof, ein Hafenarbeiter, eine Rechtsprofessorin, zwei Rechtsanwälte, ein Mitglied eines obersten Gerichts eines Staates und ein Psychiater. Die U.S. Violence Commission beschäftigte einen Mitarbeiterstab von 25 Personen: einen Direktor, seinen Stellvertreter, einen Ratgeber, einen Verwaltungs- und einen Informationsfachmann und sechs Assistenten. Für die Verwaltung waren fünf Personen, für die Herausgabe der mehr als 15 Bände der Arbeitsergebnisse fünfweitere Personen verantwortlich. Das Sekretariat der Kommission bestand aus zehn Personen. Zehn Gutachter waren für die Kommission unmittelbar zuständig. Die gesamte Forschungsarbeit, die die Kommission in Auftrag gab, wurde von zwei Forschungsdirektoren, den Kriminologen James F. Short, Jr. (Washington State University, PullmanjWashington) und Marvin E. Wolfgang (University of Pennsylvania, Philadelphia) geleitet. 7

8

Der Auftrag, den die Kommission erhielt, lautete folgendermaßen: Die Kommission soll untersuchen und zu folgenden Problemen Empfehlungen geben: -

zu den Ursachen und der Verhütung von ungesetzlichen Gewalthandlungen in unserer Gesellschaft, einschließlich Attentaten, Mord und Körperverletzung;

-

zu den Ursachen und der Verhütung der Nichtachtung von Recht und Ordnung, der Respektlosigkeit gegenüber Repräsentanten der Öffentlichkeit und der gewaltsamen Zusammenbrüche der öffentlichen Ordnung, die durch Einzelpersonen und Gruppen verursacht worden sind;

-

zu weiteren Angelegenheiten, die der Präsident der Kommission vorlegt.

Für die U .S. Violence Commission arbeiteten acht Unterkommissionen (Task Forces, aus der militärischen Sprache eigentlich Kampfverbände, im übertragenen Sinne Sonderunternehmen) und fünfStudy Teams (Forschungsteams). Die acht Unterkommissionen (Task Forces) und die fünf Forschungsteams (Study Teams), die eine erhebliche Zahl von eigenem Personal, von Mitarbeitern, Gutachtern und Beratern beschäftigten, standen alle unter der Leitung eines oder mehrerer Direktoren und erhielten ihre Aufgaben von der U.S. Violence Commission. In diesen Unterkommissionen, die personell unabhängig von der zentralen U.S. Violence Comrnission waren, wurde die eigentliche Arbeit der Kenunission geleistet. Mitarbeiter und eigenes Personal der U nterkommissionen und Forschungsteams verfaßten die Berichte der Unterkommissionen und Forschungsteams; Sachverständige (Consultants) lieferten schriftliche Gutachten und sonstige schriftliche Beiträge; Berater (Advisors) erteilten ihren mündlichen Rat. Die acht Unterkomrnissionen, deren Personal, Mitarbeiter,

165

Sondergutachten USA

Orguiutiollibmicht latioaal Coaaiuion oa tbe Causes and Prevention of Yioleace, Vashiagton D.C. 1961/1969 (U.S. 9iolme Couissionl li!toa s. Bimboaer Vorsitzender loui11ion 13 Bitglieder

I

25 Personen Persoul 10 Gutachter nei Ponchuagsdirettorea: Jlltl r. Short, Jr lmil 1. lolfgug

. . . . .""" ,. . . . . . . . . .,l j

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AD;Jr. a. Jtrart.f.

erf.Fälle HZ

A.quote %

21265 35 52,3

21648 21950 24193 27710 30465 29561 28012 29685 28581 28122 36 39 45 49 46 49 47 46 35 48 54,3 52,7 53,0 52,3 50,3 49,8 49,9 50,0 48,4 47,5

"1:'1 m.t.ödl. 1ou9glm:J

erf.Fälle

166 0,3 94,6

HZ

A.cp:lte %

169 0,3 92,9

148 0,2 96,6

158 0,3 94,9

158 0,3 96,2

168 0,3 91,7

142 0,2 93,7

122 0,2 97 , 5

123 0,2 92 , 7

112 0,2 95,5

108 0,2 95,4

get .SI:Dr."#:''

sowie verqitt.

erf.Fälle HZ

A.quote %

52620 86 85,6

52334 56487 65479 68876 67474 66057 63746 64314 64097 63711 85 92 106 112 110 108 104 105 105 104 85,8 85,2 84,5 83,9 84,5 84,9 84,6 84,6 84,2 84,1

mpr.MBIIBälr.

erf.Fälle HZ

A.cp:lte %

65 0,1 69,2

40 0,1 80,0

39 0,1 66,7

43 0,1 55,8

. 66 0,1 69,7

65 0,1 87,7

70 0,1 74,3

67 0,1 70,1

69 0,1 71,0

87 0,1 64,4

66 0,1 69,7

46 0,1 82 , 6

45 0, 1 91,1

54 0,1 88,9

38 0,1 89,5

58 0,1 89,7

93 0,2 86,0

57 0,1 96,5

72 0,1 75,0

59 0, 1 91,5

96 0,2 71,9

62 0, 1 87,1

6 0 100,0

5 0 80,0

3 0 33,3

6 0 50,0

6 0 50,0

7 3 0 0 85,7 100,0

3 2 0 0 66,7 100,0

-

-

Ol!lisal..-

erf.Fälle HZ

A.quote% Allgriff a.d. IA.tnvedlllbr

erf.Fälle HZ

A.quote %

-

408

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

13

Tabelle 3 zeigt, daß der seit 1982 registrierte, leichte Rückgang der Gewaltkriminalität bei fast allen Einzeldelikten bzw. Deliktsgruppen aufgetreten ist. Diese Entwicklung ist allerdings, wie aus der im Anhang abgedruckten Tabelle A 1 erkennbar wird, nicht in allen Bundesländern zu beobachten. Die Häufigkeitszahl der Gewaltkriminalität hat seit 1982 überproportional abgenommen in den Bundesländern Bayern (- 13,0%), Berlin (- 12,6%), Schleswig-Holstein (- 11,8%), Saarland (- 8,8%), Baden-Württemberg (- 8,4%) und Harnburg (- 7,4%). Die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen (- 6,5%) und RheinlandPfalz (- 5,2%) weicht nur geringfügig vom Bundesdurchschnitt ab. Leicht zugenommen hat die Gewaltkriminalität dagegen in Niedersachsen ( + 0,6%) und Hessen ( + 2,6%) und stark zugenommen in Bremen ( + 14,2%).

14

Der insgesamt seit 1982 zu beobachtende Rückgang der Gewaltkriminalität ist bei den unter Verwendung von Schußwaffen begangenen Gewaltstraftaten besonders deutlich ausgeprägt. Die nachfolgende Tabelle 4 informiert über die Entwicklung seit 1971. Tabelle4

Schußwaffenkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, 1971 bis 1987 mit Sdni,BWaffe geschcssen 'insg.

Mord/

Totsdll.

Raub- qef.fsdM. del. Közperv.

mit Sdlu,Bwaffe gedroht insg.

Raubdel.

Vergew.

1971

12904

644

93

2309

6065

1633

183

1972

13709

731

92

1809

7096

2039

248

1973

10487

528

215

1694

5875

1623

256

1974

8081

488

173

1744

5429

1468

228 212

1975

9490

565

235

2434

6104

1727

1976

8229

467

195

2109

5825

2019

211

1977

7594

381

199

1987

5787

2249

175

1978

7917

364

187

2032

5453

2109

202

1979

7836

371

216

2180

5470

2112

160

1980

8892

355

248

2559

6103

2356

145

1981

8969

382

289

2639

6980

2859

203

1982

9187

416

339

2626

7789

3748

193

1984

6881

296

278

1914

6440

3097

153

1985

6787

333

328

1867

7128

3663

156

1986

6318

275

282

1649

6804

3438

117

1987

5429

272

233

1536

6564

3248

122

Sondergutachten PfeifTer/ Schöckel

409

Bei den Tötungsdelikten setzt die rückläufige Tendenz bereits im Jahr 1973 ein. Mit 272 erfaßten Fällen wurde im Jahr 1987 ein Tiefstand erreicht, der um 62,8% unter der Zahl des Jahres 1.972liegt. Die Verwendung von Schußwaffen bei Raubdelikten hat zwischen 1971 und 1982 um 136,8% zugenommen. Im Verlauf der letzten fünf Jahre ist sie danach um 14,8% zurückgegangen. Bei den Körperverletzungsdelikten und der Vergewaltigung ist der Schußwaffengebrauch stark rückläufig. Gemessen am jeweiligen Höchststand beträgt die Abnahme bis zum Jahr 1987 41,7% bzw. 52,3%. Insgesamt gesehen spielt die Schußwaffenverwendung allerdings bei den Gewaltdelikten nur eine untergeordnete Rolle. Sie wurde im Jahr 1987 bei 5,7% dererfaßten Fälle registriert. Bei den Tötungsdelikten wurden 11,1 %, bei den Raubdelikten 12,3% der registrierten Straftaten unter Verwendung einer Schußwaffe begangen (PKS 1987, S. 79). Daten zum Mitführen von Schußwaffen wurden in der PKS nach längerer Pause erstmals wieder im Jahr 1986 veröffentlicht. Danach wurden im Jahr 1987 im Vergleich zum Vorjahr um 8,4% weniger Fälle von Gewaltkriminalität erfaßt, in denen der Täter ei!le Waffe mit sich geführt hat (4211 zu 4595). Die bisher dargestellten Daten der PKS lassen aus den unter 2. dargestellten 15 Gründen noch keine verläßliche Beurteilung der Frage zu, wie die Entwicklung der Gewaltkriminalität seit 1971 tatsächlich verlaufen ist. Genaueren Aufschluß könnten regelmäßig wiederholte, repräsentative Opferbefragungen geben, wie sie beispielsweise in England oder den skandinavischen Ländern üblich sind. In der Bundesrepublik ist eine derartige wiederholte Untersuchung bisher lediglich von Schwind, Ahlborn und Weis (1978 und 1988) für die Stadt Bochum durchgeführt worden. Angesichts des Fehlens entsprechender Repräsentativerhebungen für einen Querschnitt der bundesdeutschen Bevölkerung läßt sich die die Aussagekraft der PKS im Rahmen dieserUntersuchungnur durch eine Gegenüberstellung mit den Daten der Strafverfolgungsstatistik kontrollieren. Dies soll nachfolgend mit Hilfe eines Schaubilds geschehen, in dem einerseits für die Jahre 1971 bis 1986 die Häufigkeitszahlen der erfaßten bzw. der aufgeklärten Gewaltdelikte dargestellt werden und andererseits der entsprechende Kurvenverlauf der Angeklagten- und Verurteiltenziffern enthalten ist. Die Häufigkeitsziffern wurden dabei jeweils pro 100000 der strafmündigen Wohnbevölkerung berechnet (vgl. Tab. A2). Zwar sind dadurch bei den oberen beiden Kurven des Schaubilds die von Kindern begangenen Gewaltdelikte mit enthalten. Ihre Zahl dürfte jedoch den Kurvenverlauf nur unwesentlich beeinflussen. Im Jahr 1986 beispielsweise waren 1,6% der mit Gewaltdelikten registrierten Tatverdächtigen unter 14 Jahre alt (PKS 1986, S. 79). Aus dem Schaubild wird erkennbar, daß die Eingangszahlen der Strafjustiz, 16 d. h. die Häufigkeitszahlen der aufgeklärten Fälle von Gewaltkriminalität, bis 1982 nicht in dem Umfang zugenommen haben wie die insgesamt registrierten Gewaltstraftaten. Ferner fallt auf, daß die große Mehrheit der aufgeklärten Fälle nicht als Gewaltkriminalität abgeurteilt worden ist. Die Staatsanwaltschaften haben offenbar die entsprechenden Verfahren entweder eingestellt oder

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

410

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Schaubild 1: Polizeilich registrierte Gewaltkriminalität und Strafverfolgung, 1971 bis

1986, Häufigkeitszahlen dererfaßten Fälle sowie der aufgeklärten Fälle, Abgeurteiltenziffern und Verurteiltenziffern

mit einem Tatvorwurf angeklagt, der nicht mehr der Gewaltkriminalität zuzuordnen ist. Das volle Ausmaß dieses Ausfilterungsprozesses läßt sich dem Schaubild allerdings nur näherungsweise entnehmen. Die oberen beiden Verlaufskurven beziehen sich auf Fälle, die unteren dagegen auf angeklagte Personen.

Sondergutachten Pfeiffer 1Schöckel

411

Schließlich fallt der im Vergleich zu den mittleren beiden Kurven flachere 17 Anstieg der Verurteiltenziffern auf. Dies läßt die Schlußfolgerung zu, daß die für den Zeitraum zwischen 1971 und 1982 registrierte Zunahme der Gewaltkriminalität in hohem Maß auf einer verstärkten Erfassung von Straftaten beruht, die von den Strafgerichten später als weit weniger gravierend eingestuft worden sind als zuvor von der Polizei. Noch genauer läßt sich dieser Vorgang der Entdramatisierung der Gewaltkriminalität erfassen, wenn man die Entwicklung

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Schaubild 2: Tatverdächtigenziffern und Verurteiltenziffern der 14- bis 21jährigen, Bundesrepublik Deutschland, 1977 bis 1986, Gewaltdelikte insgesamt und gefahrliehe I schwere Körperverletzung

412

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

der Tatverdächtigenziffern und Verurteiltenziffern getrennt für 14- bis 21jährige und Erwachsene einander gegenüberstellt. Dies soll nachfolgend für den Zehnjahreszeitraum 1977 bis einschließlich 1986 geschehen. In Schaubild 2 wird zunächst die Entwicklung der Tatverdächtigenziffern (TVZ, d. h. Tatverdächtige pro 100000 der entsprechenden Wohnbevölkerung) und die Verurteiltenziffern für 14- bis 21jährige der Tätergruppen Gewaltkriminalität insgesamt sowie

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Schaubild 3: Tatverdächtigenziffern und Verurteiltenziffern der über 21jährigen, Bundesrepublik Deutschland, 1977 bis 1986, Gewaltdelikte insgesamt und gefahrliehe I schwere Körperverletzung

Sondergutachten PfeifTer f Schöckel

413

gefährliche f schwere Körperverletzung dargestellt. Schaubild 3 gibt die entsprechenden Daten für die über 21jährigen wieder. Ergänzend zu den Schaubildern sind im Anhang entsprechende Tabellen für die Gewaltdelikte insgesamt sowie die vier größeren Deliktsgruppen bzw. Einzeldelikte enthalten (gefährliche Jschwere Körperverletzung, Raubdelikte, Vergewaltigung und Tötungsdelikte, vgl. Tabellen A5 bis A8). Aus dem Vergleich der in den Anhangtabellen wiedergegebenen absoluten 18 Zahlen zu den Häufigkeitsziffern wird zunächst erkennbar, daß der zwischen 1977 und 1982 registrierte Anstieg der Gewaltkriminalität zu etwa einem Viertel darauf beruht, daß die strafmündige Wohnbevölkerung und hier insbesondere die Altersgruppe der 14- bis 30jährigen in dieser Zeit leicht zugenommen hatdie 14- bis 30jährigen von 14,1 Millionen auf 15,6 Millionen, die über 14jährigen von 49,8 Millionen auf 52,1 Millionen. Besonders deutlich wird das bei den 14bis 21jährigen. Die absolute Zahl der wegen Gewaltdelikten Tatverdächtigen dieser Altersgruppe stieg von 1977 bis 1982 um 31,7%, ihre Tatverdächtigenziffer dagegen nur um 17,6% (vgl. Tab. A 7). Bei den Erwachsenen beträgt die Differenz 27,5% zu 23,0%. Die beiden Schaubilder bestätigen im übrigen den bisherigen Gesamtein- 19 druck. Die Verurteiltenziffern sind jeweils bis 1982 in geringerem Umfang angestiegen als die Tatverdächtigenziffern. Bei den 14- bis 21jährigen liegen sie im Jahr 1986 sogar unter den Vergleichszahlen des Jahres 1977. Dies gilt auch für die Einzeldelikte und Deliktsgruppen mit Ausnahme der Raubdelikte, bei denen ein Anstieg von 41 auf 44 zu verzeichnen ist (vgl. Tab. A5 bis A 7). Bei den über 21jährigen hat die Zahl der wegen Gewaltdelikten Verurteilten 20 pro 100000 der Wohnbevölkerung gerechnet nach dem Höchststand von 33 im Jahr 1982 vier Jahre später mit 29 fast wieder den Stand von 1977 (28) erreicht. Der leichte Anstieg beruht darauf, daß erneut bei den Raubdelikten die Entwicklung nicht so günstig verlaufen ist, wie bei den anderen Gewaltstraftaten. Die Verurteiltenziffer der Raubdelikte hat zwischen 1977 und 1982 von 5,9 auf 8,1 zugenommen. Erst danach ist sie bis 1986 auf 7,6 gesunken (vgl. Tab. A8). Die Tabellen und Schaubilder stützen eine bereits aus Schaubild 1 abgeleitete 21 Schlußfolgerung. Der in den Jahren von 1977 bis 1982 von der Polizei registrierte Anstieg der Gewaltkriminalität betrifft offenbar überwiegend Straftaten, die bei der justitiellen Überprüfung des Tatvorwurfs als weniger gravierende Sachverhalte bewertet worden sind und deshalb entweder nach den §§ 153 ff. StPO eingestellt oder zu weniger schweren Straftaten umdefiniert worden sind. Nimmt man die Verurteiltenziffern als Maßstab, dann ist die Gewaltkriminalität zwischen 1971 und 1977 um 32,2% angestiegen. Danach ist bis 1982 ein weiterer Zuwachs um 19,5% zu verzeichnen, der jedoch bis 1986 wieder vollständig durch einen entsprechenden Rückgang der Verurteiltenziffern ausgeglichen worden ist.

414

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

Tabelle 5 Die Reduktion des polizeilieben Tatvorwurfs durch die Strafjustiz bei der Gewaltkriminalität sowie den Raubdelikten, den TötuDgsdelikten, der Vergewaltigung und der gefährlichen/ schweren Körperverletzung; absolute Zahlen der Tatverdäcbtigen, der Abgeurteilten und der Verurteilten des Jahres 1986 für die 14- bis 21jäbrigen und die Erwachsenen, Prozentquoten bezogen auf die Gesamtzahl der Tatverdächtigen 14- bis 21jährige

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Die seit 1984 bundesweit eingeführte Echttäterzählung ermöglicht im übrigen eine genauere Überprüfung des von der Strafjustiz vorgenommenen Ausfilterungsprozesses der justitieU bestätigten Gewaltdelikte. In der nachfolgenden Tabelle 5 werden für das Jahr 1986 in bezugauf die Gewaltkriminalität und ihre größeren Deliktsgruppenjeweils den absoluten Zahlen der polizeilich registrierten Tatverdächtigen die absoluten Zahlen der Abgeurteilten und der Verurteilten gegenübergestellt. Angesichts der unter 2. dargelegten Einschränkungen zur Vergleichbarkeit von Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik können die in Tabelle 5 angegebenen Prozentwerte nur als Näherungswerte interpretiert werden. Auffallend ist zunächst, daß abgesehen von den Raubdelikten offenbar schon auf der Ebene der Staatsanwaltschaft die Mehrheit der polizeilich registrierten Gewaltstraftaten eingestellt bzw. umdefiniert und im Ergebnis nicht mehr als solche angeklagt worden ist. Genauen Aufschluß geben die Daten zu den Abgeurteilten insoweit allerdings nicht, weil die Registrierung eines Abgeurteilten, sofern er auch verurteilt worden ist, zu dem Straftatbestand erfolgt, der im Urteilstenor genannt wird. Es ist also auch denkbar, daß erst das Gericht einen Sachverhalt, der noch als Gewaltdelikt angeklagt worden ist, als weniger schwere Straftat eingestuft hat.

23

Als Erklärung für die großen Differenzen in der Beurteilung derartiger Sachverhalte durch Polizei und Strafjustiz bieten sich die verschiedenen Rollen der Verfahrensbeteiligten an. Die Polizei setzt sich gerade bei den hier

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

415

untersuchten Straftaten zunächst mit dem Opfer und seiner Darstellung des Geschehens auseinander. Der Sachverhalt wird unter der Tatbezeichnung bearbeitet, die sich aus dieser ersten, noch stark von Emotionen und Ängsten des Opfers (oder seiner Angehörigen) geprägten Interaktion ergibt. Es erscheint plausibel, daß aus dieser Perspektive in vielen Fällen eine andere Bewertung entsteht als bei der aus größerer Distanz operierenden Justiz, die zudem bei der Beweiswürdigung dem Grundsatz "in dubio pro reo" verpflichtet ist. Gerade bei Gewaltstraftaten dürfte ferner der Anteil der Fälle nicht gering 24 sein, in denen der Tatverdächtige bei der Polizei die Aussage verweigert und erst gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht im Beisein seines Anwalts Entlastendes vorbringt. Döl/ing hat bei seiner Untersuchung zu Raubdelikten und Vergewaltigungen eine Quote von 16,6% bzw. 25,9% ermittelt, in denen die Beschuldigten sich gegenüber .der Polizei auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen haben. Diese Fälle wurden im Vergleich zu den von aussagebereiten Beschuldigten zumindest bei den Raubdelikten erheblich häufiger mit einer Einstellung, einer geringeren Anklage oder einem Freispruch abgeschlossen (vgl. Döl/ing 1987, 2. Hlb., S. 283). In solchen Fällen wird es der Polizei sehr erschwert, eine ausgewogene und objektive Beurteilung des Tatgeschehens abzugeben. Für die hier angebotene Interpretation spricht im übrigen, daß nach Tabelle 5 das Verurteilungsrisiko der Erwachsenen deutlich niedriger ist als das der Jugendlichen und Heranwachsenden. Die Annahme erscheint plausibel, daß in den Ermittlungsverfahren gegenüber 14- bis 21jährigen aufgrund der größeren Geständnisbereitschaft junger Menschen geringere Beweisprobleme auftreten als bei den erwachsenen Beschuldigten, die möglicherweise häufiger bei der Polizei von ihrem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machen. Besonders gravierend fällt die von der Strafjustiz ausgeübte Reduktion des 25 Tatvorwurfs bei den Tötungsdelikten aus. Die Befunde entsprechen insoweit den Untersuchungsergebnissen, die Sessar (1981) und Kreuzer (1982) im Wege der Aktenanalyse ermittelt hatten. Danach waren nur etwa ein Viertel der polizeilich registrierten Tötungen in den Verurteilungen "übrig geblieben" (Sessar 1981, S. 63)- ein Prozentanteil, der sich bei den hier vorgenommenen Berechnungen auch in bezugauf das Jahr 1986 für die Erwachsenen bestätigt hat. Sessar und Kreuzer erklären diesen Filterprozeß strafrechtlicher Sozialkontrolle primär damit, daß die Staatsanwaltschaften und Gerichte Sachverhalte, die von der Polizei noch als versuchte Tötung definiert worden waren, im Zuge des Strafverfahrens als Körperverletzungsdelikte bewertet haben. Entsprechende Vorgänge sind bei der nach Tabelle 5 noch stärkeren Reduktion des Tatvorwurfs bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung zu vermuten. 100 Erwachsenen, die in der Bundesrepublik im Jahr 1986 mit diesem Tatverdacht den Staatsanwaltschaften gemeldet wurden, stehen im selben Jahr nur 17 Verurteilungen wegen gefährlicher/ schwerer Körperverletzung gegenüber. Die Staatsanwaltschaftliche Erledigungsstatistik läßt leider nicht erkennen, zu welchem Anteil der wegen Gewaltkriminalität eingeleiteten Verfahren die verschiedenen

416

Sondergutachten PfeifTer f Schöckel

Alternativen der Erledigung ohne Anklage zum Zuge gekommen sind. Insbesondere bleibt offen, zu welchem Prozentsatz die von der Polizei vorgenommene strafrechtliche Subsumtion unter den Tatbestand eines Gewaltdelikts zwar von der Staatsanwaltschaft bestätigt wird, der Fall dann jedoch trotzdem nach§ 45 Abs. 2 JGG bzw. § 153a StPO eingestellt wird (Beispiel: Die als Raubdelikt registrierte, gewaltsame Wegnahme der Fanmütze eines Fußballanhängers im Wert von 10 DM).

3.3 Gewaltkriminalität durch Ausländer und Deutsche 26

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 1987 waren 22,1% aller registrierten Gewalttäter Nichtdeutsche. Gemessen an dem Bevölkerungsanteil von 7,6% erscheinen damit die ausländischen Tatverdächtigen erheblich überrepräsentiert. Die nachfolgenden Schaubilder 4 und 5 bestätigen dies für die Jahre seit 1978. Die Längsschnittanalysen beginnen in diesem Jahr, weil erst seitdem von der PKS entsprechende Daten zu ausländischen Tatverdächtigen veröffentlicht werden. DasJahr 1983 wird wegen der in diesemJahrerfolgten Umstellung der Zählweise erneut ausgespart. Die beiden Schaubilder lassen erkennen, daß sich die Unterschiede der Kriminalitätsbelastung zwischen 1980 und 1982 zunächst etwas verringert haben. Seit 1984 sind sie dann jedoch wiederum stärker angewachsen. Während die Tatverdächtigenziffern der Deutschen in beiden Alters- und Deliktsgruppen gesunken sind, ist bei den Ausländern durchweg ein Anstieg zu verzeichnen.

27

Die nachfolgenden Schaubilder 6 und 7 zeigen, daß dies auch in bezugauf die wegen Raubdelikten registrierten Tatverdächtigen gilt. Zur Vergewaltigung dagegen ist bei den Ausländern in den letzten Jahren ein Rückgang der Tatverdächtigenziffern festzustellen, der bei den unter 21jährigen bereits in den Jahren vor 1982 eingesetzt hat.

28

Bei der Interpretation dieser Daten sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die das Gesamtbild zu Lasten der Ausländer verzerren. So können bei der zur Berechnung der Tatverdächtigenziffer herangezogenen Bevölkerungszahl der Ausländer Touristen, Durchreisende, Stationierungsstreitkräfte und Personen, die sich illegal im Bundesgebiet aufhalten, nicht erfaßt werden. Auf diese Gruppe von Ausländern sind im Jahr 1987 allein 9,4% der wegen Gewaltkriminalität registrierten ausländischen Tatverdächtigen entfallen.

29

Ferner ist zu beachten, worauf zu Recht bereits die Kommentierung der PKS hinweist (PKS 1987, S. 59), daß die nichtdeutsehe Wohnbevölkerung in ihrer Zusammensetzung durch ihre andere Sozialstruktur von der deutschen Wohnbevölkerung abweicht. Hierfür seien zwei Beispiele genannt. Ausländische Arbeitnehmer sind in besonderem Maß vom Anstieg der Arbeitslosigkeit betroffen. Ihre Arbeitslosenquote ist zwischen 1980 und 1985 von 5,0% auf 13,9% angestiegen. Die Gesamtarbeitslosenquote der Bundesrepublik hatte in

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

417

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Schaubild 4: Die Tatverdächtigenziffern der Gewaltkriminalität für Deutsche und Ausländer, 1978 bis 1982 sowie 1984 bis 1987; 14- bis 21jährige; Gewaltkriminalität insgesamt sowie gefährliche I schwere Körperverletzung

27 Gewaltkommission Bd. III

Sondergutachten Pfeiffer 1Schöckel

418

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Schaubild 5: Die Tatverdächtigenziffern der Gewaltkriminalität für Deutsche und Ausländer, 1978 bis 1982 sowie 1984 bis 1987; Erwachsene; Gewaltkriminalität insgesamt sowie gefährliche I schwere Körperverletzung

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

419

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Schaubild 6: Die Tatverdächtigenziffern der Gewaltkriminalität für Deutsche und Ausländer, 1978 bis 1982 sowie 1984 bis 1987; 14- bis 21jährige; Raubdelikte und Vergewaltigung

27*

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420

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Schaubild 7: Die Tatverdächtigenziffern der Gewaltkriminalität für Deutsche und Ausländer, 1978 bis 1982 sowie 1984 bis 1987; Erwachsene; Raubdelikte und Vergewaltigung

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

421

diesem Zeitraum von 3,8% auf9,3% zugenommen. Zwischen 1985 und 1988 ist bei den Ausländern ein weiterer Anstieg auf14,7% zu verzeichnen, während die Arbeitslosenquote für die Bundesrepublik insgesamt auf 8, 7% zurückging (Bundesanstalt für Arbeit 1981, 1986 und 1989). Ferner dürfte der starke Zuwachs an Asylsuchenden den Anteil der sozial randständigen Ausländer beträchtlich erhöht haben. Asylbewerber erhalten für die Zeitdauer ihres Anerkennungsverfahrens keine Arbeitserlaubnis. Ganz überwiegend müssen sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Die Zahl der in der Bundesrepublik einreisenden Asylbewerberist von 35000 im Jahr 1984 und 74000 im Jahr 1985 auf99000 im Jahr 1986 angestiegen. 1987 waren es 57 379. Ihr Anteil an allen wegen Gewaltdelikten registrierten ausländischen Tatverdächtigen wird in der PKS erst seit 1984 registriert. Er hat seitdem von 7,0% auf 14,9% im Jahr 1987 zugenommen. Ein weiterer Faktor, der das Bild zu Lasten der Ausländer verzerrt, ist die im 30 Vergleich zu Deutschen andere Altersstruktur der ausländischen Wohnbevölkerung. Die aufgeklärten Fälle der Gewaltkriminalität sind im Jahr 1987 nach den Angaben der PKS zu 72,3% von Männern im Alter von 14 bis 40 Jahren begangen worden. Deren Bevölkerungsanteil an der deutschen Wohnbevölkerung betrug im Jahr 1987 19,6%, bei den Ausländern lag ihr Anteil dagegen bei 27,5%. Ein Beispiel soll demonstrieren, wie sich dieser Faktor auf die Berechnung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Ausländern auswirkt. Die Tatverdächtigenziffer der wegen Gewaltkriminalität registrierten erwachsenen Ausländer lag im Jahr 1986 3,9mal so hoch wie die der Deutschen (445 zu 115). Wenn man bei der Vergleichsbetrachtung dem höheren Männecanteil der ausländischen Wohnbevölkerung Rechnung trägt und die Auswertung aufmännliche Tatverdächtige beschränkt, reduziert sich die höherbelastungder Ausländer auf die 3,2fache TVZ (719 zu 221 ). Wenn man ferner berücksichtigt, daß bei den Deutschen der Anteil der älteren Männer an der Wohnbevölkerung höher liegt als bei den Ausländern und die Auswertung deswegen auf die 21- bis 30jährigen begrenzt, liegt die Tatverdächtigenziffer der Ausländer nur noch 3,1mal so hoch wie die der Deutschen (1467 zu 466). Zu berücksichtigen ist ferner, worauf kürzlich Trau/sen (1988, S. 35) und 31 Walter (1989, S. 11) hingewiesen haben, daß die Ausländer in der Bundesrepublik überwiegend in großstädtischen Ballungszentren leben, in denen auch die deutsche Bevölkerung eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wesentlich höhere Kriminalitätsbelastung aufweist. Bei der Berechnung von Durchschnittswerten für die gesamte Bundesrepublik wird die Tatverdächtigenziffer der Deutschen durch die Einbeziehung der Landbevölkerung deutlich gesenkt. Bei Ausländern bleibt sie dagegen angesichts ihres geringen Anteils an der Landbevölkerung fast auf Großstadtniveau. Dieser Verzerrungsfaktor hat in der Zeit seit 1980 noch deutlich zugenommen. Die ausländische Wohnbevölkerung ist in Großstädten mit mehr als 500000 Einwohnern zwischen 1980 und 1986 um 9,7% angestiegen. Insgesamt hat sie in dieser Zeit dagegen nur um

422

Sondergutachten PfeifTer/ Schöckel

5,7% zugenommen (Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 2, 1980 und 1986). 32

Die höhere Kriminalitätsbelastung der Ausländer wird schließlich auch mit einer, allerdings nur partiell nachgewiesenen, gesteigerten Anzeigebereitschaft der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern erklärt (vgl. Walter 1989; M anse/1988 a und 1988 b; Villmow 1989; beachte aber auch Killias 1988). Man unterstellt ferner, daß auch die Polizei dazu tendieren könnte, bei Ausländern ihren Definitions- und Handlungsspielraum in einer Weise wahrzunehmen, der deren Kriminalisierungsrisiko erhöht (Hamburger u.a. 1981, S. 147; vgl. ferner Villmow 1989). Diese Annahmen lassen sich teilweise dadurch überprüfen, daß man entsprechend Tabelle 5 für Deutsche und Ausländer getrennt das Risiko eines Tatverdächtigen berechnet, angeklagt und verurteilt zu werden. Dies soll in der nachfolgenden Tabelle 6 durch Gegenüberstellung der Tatverdächtigenziffer, der Abgeurteiltenziffer und der Verurteiltenziffer für die Gewaltkriminalität insgesamt sowie ihre vier größeren Deliktsgruppen bzw. Einzeldelikte geschehen. Anders als in Tabelle 5 werden hier Häufigkeitsziffern und nicht absolute Zahlen verwendet, weil zu den Verurteilten und Abgeurteilten nur Daten zur Bundesrepublik ohne das Bundesland Bremen zur Verfügung stehen. Bremen Tabelle 6 Die Reduktion des polizeilichen Tatvorwurfs durch die Strafjustiz bei der Gewaltkriminalität insgesamt sowie Raubdelikten, Tötuugsdeleikten, Vergewaltigung und der gef"lihrlichen/ schweren Körperverletzung, Deutsche im Vergleich zu Ausländern, Häufigkeitsziffern der Tatverdäcbtigen, der Tatverdächtigen, der Abgeurteilten und Verurteilten des Jahres 1986, Prozentquoten bezogen auf die TVZ, BRD ohne Bremen Iwslämer

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2,9 109 35,6 2,3 16, 3 23,6

2,2 2,3

30,7 22,1

1,8 115 17,6 2,8 43,2 12,9

1,6 2,6

~St:Di

F:V

14-21j.

El::w.

244 109 44,7 70 28,7 102 26,5 26,0 16,8 16, 5

655 2,7 201 335 3,3 74,0

Sondergutachten Pfeiffee / Schöckel

423

h;;ttte aus Datenschutzgründen die Angabe zur Nationalität der Abgeurteilten auf den uns zur Verfügung gestellten Datenbändern gelöscht. Die jeweils im Verhältnis zur Tatverdächtigenziffer berechneten Prozentwerte sind zwar aus den oben unter 2. dargelegten Gründen nur als Näherungswert zu verstehen, erscheinen aber durchaus geeignet, einen Vergleich des Anklage- und Verurteilungsrisikos zu ermöglichen. Ferner ist bei den Ausländern jeweils angegeben, um welchen Quotient ihre Häufigkeitsziffer den Vergleichswert der Deutschen übersteigt. Tabelle 6 läßt sich entnehmen, daß die Strafjustiz und hier insbesondere die 33 Staatsanwaltschaft offenbar bei ausländischen Tatverdächtigen weit häufiger als bei deutschen Anlaß dazu hat, einen von der Polizei als Gewaltdelikt eingestuften Sachverhalt zu einer Straftat milderer Schwere umzudefinieren oder das Verfahren einzustellen. Sowohl das Anklage- wie das Verurteilungsrisiko der Ausländer liegen fast durchweg erheblich niedriger als das der Deutschen. Auf 100000 der deutschen 14- bis 21jährigen Wohnbevölkerung bezogen wurden 1986 von 326 Tatverdächtigen 160 (49,1%) wegen eines Gewaltdelikts angeklagt und 114 (35,0%) verurteilt. Bei den gleichaltrigen Ausländern waren es bei 990 Tatverdächtigen 351 Angeklagte (35,5%) und nur noch 241 Verurteilte (24,3%).Die Höherbelastung der Ausländer reduziert sich dadurch vom dreifachen Wert der TVZ auf den 2,1fachen bei den Verurteiltenziffern. Anders ausgedrückt: Bei 14- bis 21jährigen Deutschen entfällt auf 2,9 Tatverdächtige eine Verurteilung, bei gleichaltrigen Ausländern ist das Verhältnis 4,1 Tatverdächtige zu einer Verurteilung. Während beispielsweise von den deutschen 14bis 21jährigen Tatverdächtigen eines Raubdelikts etwa jeder zweite im Jahr 1986 mit einer Verurteilung rechnen mußte, war es bei den ausländischen Tatverdächtigen nur etwa jeder dritte. Noch krasser sind die Unterschiede bei der gefährlichen I schweren Körperverletzung. Bei 14- bis 21jährigen Deutschen beträgt das Verhältnis von Tatverdächtigen zu Verurteilten 3,5 zu eins, bei den Ausländern dagegen 5, 7 zu eins. Zur Praxis der Strafverfolgung bei Tötungsdelikten und Vergewaltigungen zeigen sich dagegen geringere Differenzen. Der Vergleich der Erwachsenen bietet ein entsprechendes Bild bei einem 34 generell niedrigeren Anklage- und Verurteilungsrisiko. Der 3,9fachen Tatverdächtigenziffer der Ausländer steht nur noch eine 2,6fache Verurteiltenziffer gegenüber. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei den Erwachsenen, wie oben bereits dargestellt, der geringere Frauenanteil der ausländischen Wohnbevölkerung das Bild zu Lasten der Ausländer verzerrt. Wenn man erneut die Auswertung auf männliche 21- bis 30jährige begrenzt, reduziert sich die Höherbelastung der Ausländer im Vergleich der Tatverdächtigenziffern auf den 3,1fachen Wert, im Vergleich der Verurteiltenziffern auf den 1,7fachen. Das Anklage- bzw. Verurteilungsrisiko erwachsener Deutscher und Ausländer differiert besonders stark bei der Vergewaltigung sowie den Raubdelikten. Während von den deutschen wegen Raubes Tatverdächtigen fast jeder zweite damit rechnen muß, angeklagt zu werden, waren es von den erwachsenen

424

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

ausländischen Tatverdächtigen nur noch knapp 30%. Lediglich bei den Tatverdächtigen der Tötungsdelikte bleiben die Relationen Deutsche zu Ausländer im Verlauf der Strafverfahren nahezu unverändert. 35

Die Daten der Tabelle 6 sind als Indiz dafür zu werten, daß Polizei und AnzeigeerstatteT gemeinsam dazu tendieren, bei ausländischen Tatverdächtigen erheblich stärker als bei deutschen, Sachverhalte zu dramatisieren und in der strafrechtlichen Einstufung als Gewaltkriminalität überzubewerten. Über das Ausmaß dieser Kriminalisierung kann freilich auf der Basis der dargestellten Berechnungen keine präzise Angabe gemacht werden. Das verwendete Datenmaterial ermöglicht es nicht, die Bedeutung anderer Variablen zu überprüfen, die den Ausfilterungsprozeß beeinflussen. Eine gewichtige Rolle dürften beispielsweise Kommunikationsprobleme spielen, die besonders der Polizei die Ermittlungsarbeit bei ausländischen Beschuldigten sehr erschweren können. Hierzu hat Dölling mit einer für diese Untersuchung gesondert durcJlgeführten Auswertung seines empirischen Materials zu den Verfahrensabläufen bei Raubdelikten und Vergewaltigungen (Dölling 1987) einen interessanten Beleg geliefert. Ausländer haben danach insbesondere bei Raubdelikten häufiger als Deutsche gegenüber der Polizei die Aussage verweigert (25,0% zu 15,3%). Die von Dölling zur Verfügung gestellten Tabellenausdrucke haben es ferner ermöglicht die Frage zu untersuchen, ob der bei den ausländischen Tatverdächtigen besonders starke Ausfilterungsprozeß eine Folge davon ist, daß es sich bei den ihnen zur Last gelegten Gewalttaten zu einem hohen Anteil um "Milieudelikte" unter Ausländern handelt, bei denen besondere Beweisprobleme zu erwarten sind. Diese Annahme hat sich bei den von Dölling untersuchten Delikten Raub und Vergewaltigung nicht bestätigt. Die AnzeigeerstatteT waren nur zu 10,4% (Raubdelikte) bzw. 21,6% (Vergewaltigung) ausländische Tatopfer. Bei den von Dölling durchgeführten Datenerhebungen war die Zahl der erfaßten Ausländer allerdings mit 32 Tatverdächtigen wegen Raubes und 33 Tatverdächtigen wegen Vergewaltigung relativ gering. WeitereUntersuchungen erscheinen erforderlich, um die bei Ausländern besonders starke Reduzierung des Tatvorwurfs erklären zu können.

36

Dabei sollte auch geklärt werden, welcher Anteil von ausländischen Tatverdächtigen vor Anklageerhebung in das Ausland abgeschoben wird. Erkundigungen bei verschiedenen Landesjustizverwaltungen haben allerdings ergeben, daß von dieser Möglichkeit, bei einem ausländischen Beschuldigten von Anklage nach § 154 b StPO abzusehen, offenbar gerade bei Gewaltstraftaten fast kein Gebrauch gemacht wird. Wie mir mitgeteilt wurde, erfolgen Ausweisung und Abschiebung schon aus generalpräventiven Gründen in solchen Fällen fast durchweg erst nach der Verurteilung bzW. nach einer TeilverbüBung der Strafe.

Sondergutachten PfeifTer JSchöckel

425

3.4 Die Bedeutung des Geburtenrückgangs für die weitere Entwicklung der Gewaltkriminalität Unter 2. ist bereits daraufhingewiesen worden, daß im Jahr 1987 61 ,2% der 37 wegen Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen zwischen 14 und 29 Jahre altwaren-eine Altersgruppe, deren Bevölkerungsanteil im Jahr 1987 25,4% betrug. Angesichts dieser Daten liegt es auf der Hand, daß die vom Geburtenrückgang ausgelöste Veränderung in der Alterszusammensetzung der Bevölkerung der Bundesrepublik die Häufigkeit der Gewaltkriminalität beeinflussen wird. Nachfolgend soll versucht werden, die Bedeutung dieser Variablen quantitativ zu erfassen. Ausgangspunkt sind dabei die letzten Bevölkerungsvoraussagen des Statistischen Bundesamtes, die auf der Basis des Bevölkerungsstandes vom 31. 12. 1986 berechnet wurden. Danach wird beispielsweise die Zahl der 14- bis 30jährigen von 15,4 Millionen im Jahr 1987 auf 10,3 Millionen im Jahr 2000 abnehmen (vgl. Tab. A 10). Grundlage der entsprechenden Berechnungen ist zum einen die Zahl der am 31. 12. 1986 in der Bundesrepublik lebenden 1- bis 17jährigen. Zum anderen geht das Bundesamt von der Annahme aus, daß auch in den 90er Jahren die Gesamtheit der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer trotz eines weiterhin bestehenden Anwerbestops jährlich um durchschnittlich 55 000 Menschen zunehmen wird und daß die Altersschichtung der neu Hinzukommenden der Zusammensetzung der bisherigen Zuwanderer entsprechen wird. Bis zum Jahr 2010 wird nach dieser Prognose die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden 14- bis 30jährigen auf 7,6 Millionen zurückgehen, also auf etwa die Hälfte des heutigen Standes. Die Voraussage für das Jahr 2010 ist allerdings bereits mit größeren Unsicherheiten behaftet. Sie beruht nur zum Teil auf der Fortschreibung der heute bereits lebenden Bevölkerung- bei den 14- bis 30jährigen also auf der Fortschreibung der am 31. 12. 1986 1- bis 6jährigen. Überwiegend ist sie in bezugauf diese Altersgruppe bereits eine Prognose der Geburtenzahlen der Jahre bis 1996. Als noch spekulativer sind die Bevölkerungsvoraussagen für das Jahr 2020 und 2030 zu bewerten, weil die unter 31jährigen bzw. unter 41jährigen dieser Jahre heute noch nicht geboren sind. Bei den Hochrechnungen zu den Auswirkungen des Geburtenrückgangs auf die 38 Entwicklung der Gewaltkriminalität wurde zunächst für die in der Kriminalstatistik gesondert ausgewiesenen Altersgruppen die Tatverdächtigenziffer des Jahres 1987 ermittelt, also für die 8- bis 14jährigen, die 14- bis 17jährigen, die 18bis 21jährigen, die 21- bis 25jährigen, die 25- bis 30jährigen, die 30- bis 40jährigen usw. Auf der Basis dieser Tatverdächtigenziffern wurde dann berechnet, wieviele Tatverdächtige sich für die neun Altersgruppen bei jeweils konstant gehaltener Kriminalitätsbelastung und bei Zugrundelegung der Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts für die Jahre 1993, 2000 und 2010 ergeben werden.

426

Sondergutachten PfeifTer/ Schöckel

Tabelle 7 Die Entwicklung der Gewaltkriminalität und ihrer Hauptdelitsgruppen bis zum Jahr 1993, 2000 und 2010, jeweils berechnet auf der Basis der Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamts und der Tatverdächtigenziffern des Jahres 1987 1987 'IV

Gewaltlcrim. insges.

1993 'IV

89215 81186

Veräni. 93/87 - 9,0

2000 Veräni. 'IV 2cXxJ/87 74513

2010 'IV

Veräni. 2010/87

-16,5

70398

-21,1

Mord, Totschl.. ; Tötg.a. Verl. ,Ki. töt.

2678

2395

-10,6

2186 -18,4

2105

-21,4

Vergewaltigung

3740

3435

- 8,2

3097

-17,2

3341

-10,7

Raub, räub. Erpress. u. räub. An;Jriff a.K. 17227

14964

-13,1

13450

-22,0

12832

-25,5

65684

- 2,8

59552

-11,8

56282

-16,6

qef.fsdr.l. IW sowie

Vergif'tung

67528

Die verschiedenen Einzeldaten zur Entwicklung der Gewaltkriminalität insgesamt und zu den einzelnen Deliktsgruppen sind für die Jahre 1993, 2000 und 2010 in dernachfolgenden Tabelle 7 enthalten. Das Schaubild 8 stellt für die Gewaltkriminalität insgesamt dar, in welchem Umfang sie bei den verschiedenen Altersgruppen zurückgehen oder ansteigen wird, wenn die beiden Ausgangsannahmen, der demographische Wandel entsprechend den Prognosen des Statistischen Bundesamts und eine konstante TVZ der verschiedenen Altersgruppen, sich bestätigen sollten. In dem Schaubild sind dabei aus Gründen der Übersichtlichkeit die neun Altersgruppen der Hochrechnung auf sechs reduziert worden. 39

Von den oben beschriebenen Annahmen ausgehend würde danach die Gesamtzahl der wegen Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen bis zum Jahr 2000 um 16,5% zurückgehen. Die für die verschiedenen Gewaltdelikte berechneten Abnahmequoten fallen in Tabelle 7 unterschiedlich aus, weil die Altersstruktur der Tatverdächtigen wie unter 3.1 dargestellt erheblich differiert. Bei den Raubdelikten ergibt sich bereits bis zum Jahr 1993 ein Rückgang der Tatverdächtigen um 13,1 %, der bis zum Jahr 2000 auf 22,0% steigt. Bei der gefährlichen/schweren Körperverletzung dagegen, der Deliktsgruppe, bei der die 18- bis 21jährigen am stärksten vertreten sind, wäre danach bis zum Jahr 1993 nur ein Rückgang um 2,3% und bis zum Jahr 2000 um 11,8% zu erwarten.

40

Als sozialwissenschaftliche Prognose dürfen diese Daten freilich nicht gewertet werden. Sie stellen lediglich die Ergebnisse einer von anderen Einflußfaktoren isolierten Hochrechnung der Auswirkungen einer spezifischen Variablen dar. Schon die auf der Basis der letzten Volkszählung korrigierten Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamtes, die für Mitte des Jahres 1989 zu erwarten sind, werden die Eckdaten der vorgetragenen Berechnungen

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel 30 000

427

30474

25 000

20 000

15 000

10 000

1000 •

-

I)

14-20

21 - 29

30- 39

40- 59

60 v..lltaz'

Schaubild 8: Die absoluten Zahlen der wegen Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen für die verschiedenen Altersgruppen des Jahres 1987 im Vergleich zu Hochrechnungen für das Jahr 2000, basierend auf Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamts und den Tatverdächtigenziffern des Jahres 1987

428

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

erstmalig verändern. Weitere Korrekturen erscheinen denkbar, sobald sich abzeichnet, ob der Zustrom an Aussiedlern auch in den nächsten Jahren unverändert anhalten wird. Ferner bleibt abzuwarten, ob die Prognose eines jährlichen Ausländerzuzugs um 55 000 auch in den 90er Jahren aufrechterhalten bleibt. Ein vom Geburtenrückgang ausgelöster Mangel an jungen Arbeitskräften könnte die Bundesrepublik veranlassen, den Anwerbestop ab Mitte der 90er Jahre zumindest für bestimmte Gruppen von ausländischen Arbeitnehmern zu lockern. Der ab 1992 geplante EG-Binnenmarkt kann ergänzend dazu beitragen, daß sich innerhalb der europäischen Länder Wanderungsbewegungen verstärken, die in die Bevölkerungsprognose nicht eingeflossen sind. 41

Auch der zweite Berechnungsfaktor, die TVZ der verschiedenen Altersgruppen, unterliegt einer Fülle von Einflüssen, die im einzelnen zu prognostizieren ausgeschlossen erscheint. Zwar hat die TVZ insgesamt gesehen in den vier Jahren seit 1984leicht abgenommen. Die den obigen Berechnungen zugrunde liegende Annahme einer konstanten TVZ negiert also einen sich abzeichnenden Trend. Auf der anderen Seite kann bereits eine verstärkte Zuwanderung von Aussiedlern und Ausländern dazu beitragen, daß die TVZ insgesamt betrachtet wieder ansteigt. Damit ist nur ein Aspekt unter vielen genannt, die für die Gesamtentwicklung der registrierten Gewaltkriminalität von Bedeutung sind. Sie mit Hilfe eines hochdifferenzierten Prognosemodells in die Berechnungen zu integrieren, erscheint wenig Erfolg versprechend (vgl. Heinz 1985, S. 51 f.). Die in Tabelle 7 enthaltenen Daten können angesichts der vielfliltigen Einschränkungen zur Zuverlässigkeit solcher Hochrechnungen nur als Orientierungshilfe dafür gewertet werden, welche Bedeutung dem demographischen Wandel als Einflußfaktor zukommen kann. Sie bedürfen laufender Korrektur, sobald jeweils neue Eckdaten der Bevölkerungsentwicklung und der Tatverdächtigenziffern bekannt werden. Andererseits kann auf derartige Berechnungen nicht verzichtet werden, weil nur auf diese Weise das in dem demographischen Wandel liegende, erhebliche Veränderungspotential für das Kriminalitätsgeschehen in kriminalpolitische Überlegungen und Planungen einfließen kann.

42

Angesichts der Tatsache, daß die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur nicht gleichmäßig erfolgen, wird empfohlen, zumindest für jedes Bundesland, möglichst aber für jeden Regierungsbezirk, gesondert entsprechende Hochrechnungen anzustellen. So reicht das Spektrum des Prozentanteils der wegen Gewaltkriminalität registrierten 14- bis 30jährigen Tatverdächtigen im Jahr 1987 im Vergleich der Bundesländer von 51,6%. in Berlin bis zu 64,3% in Nordrhein-Westfalen (vgl. PKS der Bundesländer). Die vom Bundesamt für Landeskunde und Raumordnung auf der Basis der Geburtenzahlen erarbeiteten Bevölkerungsprognosen zu den Bundesländern und die durch den Arbeitsmarkt verursachten Wanderungsbewegungen lassen erwarten, daß der demographische Wandel zunächst in strukturschwachen Regionen und den nördlichen Bundesländern zum Tragen kommt. Dort allerdings wäre schon ab Mitte der 90er Jahre mit Auswirkungen zu rechnen, die für die Bundesrepublik insgesamt

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

429

gesehen erst für etwa das Jahr 2000 prognostiziert werden können (Bundesamt 1984).

4. Die Strafverfolgung gegenüber Gewaltkriminalität 4.1 Die Längsschnittentwicklung von 1977 bis 1986 Im Rahmen einer Expertise zum 8. Jugendbericht (Pfeiffer 1988b) habe ich 43 kürzlich untersucht, wie sich die Jugendkriminalität und die jugendstrafrechtliehe Praxis seit 1980 in der Bundesrepublik entwickelt haben. Ein auffallendes Ergebnis war, daß die Tatverdächtigenziffer der Jugendlichen und Heranwachsenden, die noch in den .vier Jahren von 1979 bis einschließlich 1982 um 12,9% angestiegen war, in den letzten vier Jahren (1984 bis einschließlich 1987) nur noch um 2,9% zugenommen hat. Ferner hat sich gezeigt, daß die jugendstrafrechtliche Praxis seit 1982 den Gebrauch von Untersuchungshaft und freiheitsentziehenden Sanktionen gegenüber 14- bis 21jährigen stark reduziert hat (Pfeiffer 1988a, S. 19ff. und 1988b S. 55ff.). Wenn man die Anordnung von Untersuchungshaft ohne nachfolgenden Freiheitsentzug zu den Verurteilungen zu Jugendarrest und Jugendstrafe addiert, wurde 1982 in ca. 45000 Fällen auf Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender mit Freiheitsentzug reagiert. 1986 geschah dies nur noch gegenüber ca. 30500 14- bis 21jährigen. Diese Entwicklung kann nur zu einem Viertel auf den Geburtenrückgang zurückgeführt werden. In ca. 10700 Fällen haben die Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter im Jahr 1982 auf Freiheitsentzug verzichtet, in denen sie noch fünf Jahre zuvor mit Untersuchungshaft, Jugendarrest oder Jugendstrafe ohne Bewährung reagiert haben (Pfeiffer 1988b, S. 55ff.). Von dieser Entwicklung ist auch die Strafverfolgung gegenüber Gewaltkrimi- 44 nalität nicht unberührt geblieben. Der nachfolgenden Tabelle 8 läßt sich entnehmen, daß die Reduktion der freiheitsentziehenden Sanktionen bei den 14bis 21jährigen Gewalttätern sogar noch stärker ausgeprägt ist als bei den insgesamt angeklagten Jugendlichen und Heranwachsenden. Die absolute Zahl der zu Jugendstrafe/ Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilten 14- bis 21jährigen hat zwischen 1982 und 1986 um 32,9% abgenommen (Pfeiffer 1988 b, S. 57), bei den Gewalttätern dagegen um 36,9%. Dieser Rückgang kann dabei nur zu etwa einem Viertel auf den Bevölkerungsrückgang der 14- bis 21jährigen zurückgeführt werden. Wie der Vergleich der Häufigkeitsziffern der Jugendstrafe/Freiheitsstrafe ohne Bewährung zeigt, haben diese bei den zu Jugendstrafe I Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilten Gewalttätern um 29,7% abgenommen. Die veränderte Sanktionspraxis der Jugendgerichte dokumentiert sich auch in der Prozentquote aller Abgeurteilten, die zu Jugendstrafe I Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden. Sie ging zwischen 1982 und 1986 von 15,2% auf 12,2% zurück. Bei Jugendarrest und der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe I Freiheitsstrafe blieben die entspre-

430

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

TabelieB Die Entwicklung der Sanktionspraxis gegenüber Gewalttätern in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1977 und 1986, Jugendliche und Heranwachsende sowie Erwachsene J~.

AJ:gairtl. • N HZ

1977

1982

1977

1984

11152

14767

11625

-21,27

17726

21387

20007

- 6,45

169,20 200,04

175,49

-12,27

41,04

47,23

43,35

- 8,00

-24,32

- 7,90

1986

Diff. 86 zu 82%

8447 10836

8200

75,70 73,40

70,50

128,16 146,79

123,79

-15,67

2889

2212

-23,43

19,90 19,60

19,00

HZ

33,64

39,14

33,39

Jstrjftstr insg. N

3804

4838

3422

34,10 32,80

29,40

HZ

57,72

65,54

51,66

N

2102

2589

2002

%

18,80 17,50

17,20

HZ

31,89 35,07

30,22

-13,83 -36,86

~.N

% HZ

J'IIJM•"'.....

N

%

%

.. a.r.

o .....

N

2217

1694

über 21jährige

u. Herairw.

2249

1420

\

15,20 15,20

12,20

HZ

25,70 30,47

21,44

1986

11864

14617

13461

67,00

68,40

67,30

27,47

32,28

29,24

-

-

Diff. 86 zu 84 %

- 9,40

-

-

-14,69

-

-

-

-29,26

6339

8702

7786

35,80 40,70

38,90

-21,18

14,68

19,22

16,91

-12,00

-22,67

2701

3692

3682

- 0,27

15,20

17,30

18,40

6,25

8,15

8,00

- 1,80

3635

5011

4104

-18,10

20,50 21,50

20,50

-29,64

8,42

11,07

-

8,91

-10,52

-19,50

ehenden Quoten dagegen nahezu unverändert. Der Rückgang der absoluten Zahlen um etwa ein Fünftel und der Häufigkeitsziffern um 14,7% bzw.13,8% beruht primär darauf, daß die absolute Zahl der wegen Gewaltkriminalität angeklagten 14- bis 21jährigen um 21,3% und die Häufigkeitsziffer der Angeklagten um 12,3% abgenommen haben. 45

Bei den Erwachsenen zeichnet sich eine entsprechende Entwicklung erst seit 1984 ab. Der stärkste Rückgang ist auch hier mit 19,5% bei den Häufigkeitsziffern der zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung Verurteilten zu verzeichnen. Die Zahl der abgeurteilten Gewalttäter ist bei den Erwachsenen ebenfalls erst seit 1984 zurückgegangen- in absoluten Zahlen um 6,5% und bei den Häufigkeitsziffern um 8,0%.

Sondergutachten Pfeiffer / Schöckel

431

Im Vergleich der vier Hauptdeliktsgruppen der Gewaltkriminalität (s. dazu 46 Tabellen A11 bis A14) fällt auf, daß der Rückgang der Verurteilung zu Jugendstrafe/Freiheitsstrafe ohne Bewährung relativ gleichmäßig erfolgt ist. Die absoluten Zahlen haben am stärksten bei der gefährlichen I schweren Körperverletzung abgenommen (- 41,9%). Die geringste Reduktion ist in dem Fünfjahreszeitraum bei der Vergewaltigung zu verzeichnen (- 31,6%). Die Daten der Erwachsenen zeigen bei einer insgesamt geringeren Abnahmequote ein entsprechendes Bild. Der Vergleich der Prozentwerte der Abgeurteilten, die wegen eines Gewaltdelikts zu Jugendstrafe oder Freiheitsstrafe verurteilt wurden, bestätigt den Gesamteindruck: Die deutschen Jugendrichter sind in der Reaktion auf Gewaltkriminalität deutlich milder geworden. Und die Strafrichter sind auf dem Wege, es ihnen gleichzutun. Auf die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung bieten sich im Bereich 47 des Jugendstrafrechts mehrere Antworten an (vgl. Pfeiffer 1988b, S. 60fT.), die hier nur knapp skizziert werden sollen. So haben einzelne Regionalanalysen gezei~t daß die Reduktion freiheitsentziehender Sanktionen dort früher eingesetzt nat und inzwischen noch erheblich weiter vorangeschritten ist, wo den Jugendrichtern bereits seit Ende der 70er Jahre durch verschiedene Sozialarbeitsprojekte ambulante Alternativen zu freiheitsentziehenden Sanktionen angeboten werden. Aus diesen Modellversuchen und der durch sie ausgelösten Diskussion um eine innere Reform des Jugendstrafrechts hat sich eine bundesweite, sogenannte "ambulante Bewegung" mit einer Fülle von Nachfolgeprojektenentwickelt (Bundesarbeitsgemeinschaft, 1986). Die Praxis selber hat sich im Wege einer "Kriminalpolitik von unten" in vielen Regionen mit Erfolg darum bemüht, das Reaktionsspektrum des JGG differenzierter zu gestalten und den Gebrauch freiheitsentziehender Sanktionen zurückzudrängen. Ein anderes Erklärungskonzept ist die These, daß die seit 1982 extrem 48 angestiegene Quote der staatsanwaltschaftliehen Einstellungen nach § 45 Abs. 2 JGG ( + 73,6%, vgl. Pfeiffer 1988b, S. 43) für den Rückgang der stationären Sanktionen mitverantwortlich ist. Für einen ·Angeklagten, der bereits zum zweiten- oder drittenmal auffällig geworden ist und wegen eines zuletzt begangenen Gewaltdelikts nun erstmalig vor Gericht steht, ergibt sich eine vergleichsweise günstige Prozeßsituation. Die Jugendrichter werten ein Verfahren, das vom Jugendstaatsanwalt nach§ 45 Abs. 2 JGG eingestellt worden ist, offenbar nicht in gleicher Weise als straferhöhenden Faktor wie ein Jugendgerichtsverfahren, das sie selber - unter Umständen sogar mit einem Urteil abgeschlossen haben. Sie sehen den Angeklagten in solchen Fällen zum erstenmal und könnten deshalb eher dazu tendieren, ihn faktisch wie einen Ersttäter zu behandeln, d. h., die übliche Strafschärfung wegen Rückfalls noch nicht oder zumindest nicht voll zum Tragen zu bringen. Eine weitere Überlegung knüpft an die vom Geburtenrückgang ausgelöste 49 Abnahme der Faßzahlen an. Wenn die Anklagen, die zu bearbeiten sind, schrittweise abnehmen, reduziert sich damit der psychologische Druck, sich

432

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

gegenüber einer bedrohlichen Zunahme der Jugendkriminalität zur Wehr setzen zu müssen. Dies kann dazu beitragen, daß Jugendrichter weniger generalpräventiv reagieren. Da zudem die Staatsanwaltschaften ihre Einstellungspraxis in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet und damit die Eingangszahlen der Justiz noch weiter reduziert hatten, waren für die Jugendrichter günstige Voraussetzungen dafür gegeben, sich gewissermaßen "entspannt" auf den einzelnen Fall zu konzentrieren und verstärkt ambulante Sanktionsalternativen der Sozialpädagogik an die Stelle harter Abschreckungsstrafen treten zu lassen. 50

Zu den beiden zuletzt genannten Erklärungsangeboten konnten bisher lediglich am Rande von Fortbildungsveranstaltungen für Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte Plausibilitätskontrollen in der Weise durchgeführt werden, daß die Praktiker zu beiden Thesen befragt wurden. Dabei stieß vor allem die erste der beiden aufbreite Zustimmung. Die Annahme, daß eine Ausweitung des Angebots ambulanter Maßnahmen den Rückgang der freiheitsentziehenden Sanktionen ausgelöst hat, ist bisher empirisch nur in einigen Regionen überprüft worden. Sie hat sich vor allem dort bestätigt, wo die Entstehung der ambulanten Projekte mit einem breiten, oft von Fortbildungsveranstaltungen geförderten Diskussionsprozeß über die Problematik des Jugendstrafvollzuges verknüpft war. Möglicherweise liegt ein Hauptgrund für die rückläufigen Gefangenenzahlen darin, daß die Jugendrichter weniger als früher bereit sind, den Jugendstrafvollzug als eine Einrichtung zu bewerten, in dem mit Aussicht auf Erfolg eine stationäre Erziehung oder eine Behandlung der Gefangenen stattfindet. Die vom Bundeszentralregister seit einigen Jahren veröffentlichten Rückfallquoten zu allen aus dem Jugendstrafvollzug bzw. dem Strafvollzug Entlassenen, die fünf Jahre nach der Entlassung jeweils bei 85% bzw. 70% liegen (vgl. Bundeszentralregister 1986, 1987 und 1988 sowie Uhlig 1987, S. 293ff.), erscheinen geeignet, diese Skepsis nachhaltig zu unterstützen.

51

Im Bereich des Allgemeinen Strafrechts hat es in den letzten zehn Jahren weder eine vergleichbare Fortbildungsoffensive gegeben, noch ist dort eine der jugendstrafrechtliehen Praxis entsprechende, ambulante Bewegung entstanden. Lediglich die in den letzten Jahren angestiegenen staatsanwaltschaftliehen Verfahrenseinstellungen können im Sinne der oben vorgestellten These als Einflußfaktor genannt werden. Nach der Staatsanwaltschaftlichen Erledigungsstatistik hat die Quote der Anklagen bezogen auf alle Verfahrenserledigungen zwischen 1982 und 1986 von 19,0% auf16,2% abgenommen. Allerdings könnte auch bei den Strafrichtern ein EinsteUungswandel eine gewichtige Rolle gespielt haben. Streng hatte noch im Jahre 1981 bei seiner Befragung von niedersächsischen Strafrichtern festgestellt, daß sie als den wichtigsten Strafzweck den Gedanken der Resozialisierung nannten (Streng 1984, S. 211 ff.). Eine gegenwärtig von Oswald durchgeführte Untersuchung mit Richtern aus Amtsgerichtsbezirken verschiedener Bundesländer scheint den früher offenbar stark ausgeprägten Resozialisierungsoptimismus nicht mehr zu bestätigen (zum Forschungsdesign: Oswald/ Langer 1989). Auch für den Bereich des Allgemei-

433

Sondergutachten PfeifTer JSchöckel

nen Strafrechts fehlen also empirisch gesicherte Erkenntnisse zu den Ursachen des sich abzeichnenden Wandels der Strafzumessungspraxis. Es bleibt allerdings noch abzuwarten, ob er sich ähnlich wie im Jugendstrafrecht zu einem stabilen Trend entwickelt.

4.2 Die Strafverfolgung bei Gewaltdelikten von Ausländern und Deutseben Die von den Bundesländern zur Verfügung gestellten Datenbänder mit den Zählkarteninformationen zur Strafverfolgungsstatistik haben es ermöglicht, bei den Abgeurteilten nach der Nationalität zu unterscheiden. Die nachfolgende Tabelle 9 informiert über die Häufigkeit der wegen Gewaltdelikten abgeurteilten Deutschen und Ausländer, wobei bei der Kategorie "Gewaltdelikte insgesamt" zusätzlich nach Frauen und Männem differenziert wird. Ferner enthält die Tabelle Angaben zur Häufigkeit früherer Verurteilungen. Bei den Erwachsenen

Tabelle 9 Wegen &ewaltkriminalität abgeurteilte Deutsche und Ausländer, absolute Zablen und Häufigk~:itsziß'em, Anzahl früherer Verurteilungen, bei Gewaltdelikten insgesamt differenziert nacb Männern und Frauen, 14- bis 21jäbrige; Bundesrepublik obne Bremen, 1985/1986 Anzahl der früheren Verurt. Abg.

N

Gallllltd.

Dt:sdl. m Ausl. m Dt:sdl. w Ausl. w Rm:bSel.

Dt:sdl. m Ausl. m ~.

Dt:sdl. m Ausl. m

HZ

Ver-

urt. N

vuz

%d.V. %d. keine fr.V.

v.N.

18681 296,59 13471 213,88 72,1 46,3 3616 614,36 2545 432,40 70,4 34,5 1443 134

23,98 26,74

5207 82,67 1377 233,95 488 152

7,75 25,83

870 80

1.

53,7 16,4 65,5 15,9

14,46 60,3 23,0 15,96 59,7 16,4

77,0 12,1 83,6 9,0

4527 71,87 86,9 54,1 1175 199,63 85,3 41,6

45,9 17,8 58,4 18,7

406 127

6,45 83,2 53,7 21,58 83,6 35,8

2.

3.

4 u.

mehr

11,3 7,8 10,8 9,0 4,9 5,2 4,1 3,7

3,6 2,2

3,3 1,5

13,1 10,0 13,3 11,5 5,6 5,9

46,3 16,4 12,1 10,5 14,8 63,2 14,5 10,5 5,3 6,6

flllDI/qeL. ~.

Dt:sdl. m Ausl. m

12753 202,48 2022 343,54

flllDI. llldl Dtsch. m 1275 Ausl. m 3.92 'l'ÖtUIIg9d.

Dt:sd\. m

Ausl.

m

208 60

8321 132,11 65,2 42,7 1183 200,99 58,5 29,4

57,3 15,8 10,6 6,7 70,6 13,1 7,2 4,5

9,6 4,6

20,24 66,60

1199 356

19,04 94,0 59,1 60,48 90,8 47,2

40,9 18,1 14,6 11,8 14,6 52,8 19,4 12,8 6,4 8,7

3,30 10,19

192 55

3,05 92,3 49,5 9,34 91,7 35,0

50,5 17,8 10,1 9,6 12,0 65,0 20,0 8,3 1,7 5,0

28 Gewaltkommission Bd. I1I

52

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

434

Tabelle 10 Wegen Gewaltkriminalität abgeurteilte Deutsche und Ausländer, absolute Zahle und Häufigkeitsziffern, Anzahl früherer Verurteilungen, bei Gewaltdelikten insgesamt differenziert nach Männern und Frauen, 21- bis 30jährige; Bundesrepublik ohne Bremen und Nordrhein-Westfalen, 1985/1986 Anzahl der früheren Verurt.

Verurt. N

59,6 34,0

40,4 11,5 66,0 14,2

9,6 6,8

8,3 4,8

39,2 8,3

38,2 23,1

61,8 14,0 76,9 5,5

5,7 8,8

5,0 3,3

13,5 5,5

32,03 86,0 70,2 49,79 78,6 43,2

29 , 8 56,8

11,2 16,5

9,9 7,7

9,5 6,8

39,6 12,2

591 132

7,16 83,7 15,73 77,2

65,3 39,2

34,7 60,8

13,6 11,8 17,0 7,0

9,1 6,4

30,9 8,8

93,06 164,15

5356 869

64,90 69,7 103,52 63,1

54,4 30,1

45,6 11,5 69,9 12,9

9,3 6,2

7,7 3,8

25,9 7,2

880 176

10,66 20,97

819 155

9,92 93,1 18,46 88,1

72,5 50,6

27,5 12,7 49,4 15,9

10,8 12,5

8,5 8,5

40,5 13,6

353 98

4,28 11,67

308 79

3,73 87,3 9,41 80,6

66,9 30,6

33,1 10,2 69,4 15,3

8,2 9,2

8,5 4,1

39,9 2,0

11865 2189

143,77 260,76

8947 1508

702 91

8,92 13,71

483 60

3073 532

37,24 63,37

2643 418

706 171

8,56 20,37

7680 1378

Dtsch.m Aus1. m

'l'ÖbDJ9d· Dtsch. m m

N

Aus1.

m

Dtsch. w

Aus1.

w

RmDJel..

Dtsch. m m

Aus1.

Vergalal.

Dtsch. m m

Ausl.

keine %d.V. %d. v.N. fr.v.

2.

HZ

o.alt.d. Dtsch. m

vuz

1.

Abg.

108,41 75,4 179,64 68,9 6,13 9,04

68,8 65,9

3.

4 u. mehr

9Cbti/flld·

Köxpervar.

Dtsch.m Ausl. m 9Cbti.

Ausl.

llilld)

wird der Vergleich in Tabelle 10 auf 21- bis 30jährige begrenzt, um bei den Häufigkeitsziffern Verzerrungen zu vermeiden, die bei Berücksichtigung aller Erwachsenen durch die unterschiedliche Altersstruktur der Deutschen und Ausländer auftreten würden. Da das von Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellte Datenband bei den Erwachsenen keine entsprechende Altersdifferenzierung erlaubt, beziehen sich dieDatender Tabelle 10 nur auf die Bundesrepublik ohne Bremen und Nordrhein-Westfalen. 53

Die Daten der Tabelle 9lassen zum Anteil der Frauen an der Gewaltkriminalität einen überraschenden Befund erkennen. Bei den 14- bis 21jährigen Ausländerinnen ergibt sich im Vergleich zu den gleichaltrigen Deutschen eine nur geringfügig höhere Häufigkeitsziffer der Abgeurteilten und Verurteilten. Wenn man die unter 3.3 genannten Verzerrungsfaktoren berücksichtigt, die generell zu einer Erhöhung der Häufigkeitsziffer von Ausländern beitragen, bedeutet dies, daß unter 21jährige Ausländerinnen im Vergleich zu Deutschen derselben

Sondergutachten PfeifTer /Schöckel

435

Regionen in den 1ahren 1985 I 1986 vermutlich seltener wegen Gewaltkriminalität angeklagt und verurteilt worden sind. Auch bei den 21- bis 30jährigen Frauen zeigt sich in Tabelle 10 im Vergleich zu den Männern ein für die ausländischen Frauen günstigerer Befund. Ihre Häufigkeitsziffer der Abgeurteilten übersteigt die der deutschen Frauen "nur" um 53,6%. Bei den 21- bis 30jährigen männlichen Ausländern ergeben sich im Vergleich zu den gleichaltrigen Deutschen um 81,4% mehr Abgeurteilte pro 100000 der jeweiligen Wohnbevölkerung. Sowohl bei ausländischen Männern wie bei Frauen fällt in beiden Altersgrup- 54 pen auf, daß ein erheblich höherer Anteil von ihnen keine frühere Verurteilung aufweist und daß sie ferner erheblich seltener das Stadium einer kriminellen Karriere mit vier und mehr früheren Verurteilungen erreicht haben. Hierfür bieten sich mehrere Erklärungen an. So werden bei Ausländern, die 55 vor ihrer Verurteilung in der Bundesrepublik im strafmündigen Alter im Ausland gelebt haben, eventuelle frühere Verurteilungen aus dieser Zeit in der Bundesrepublik nicht erfaßt. Ferner ist zu beachten, daß Ausländer, die in der Bundesrepublik zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, häufig ausgewiesen werden und dadurch ganz· überwiegend in der Bundesrepublik nicht wieder erneut als Straffällige in Erscheinung treten. Insbesondere bei jungen Ausländern, deren Familien in der Bundesrepublik leben, wäre ferner zu prüfen, ob sie nach einer Verurteilung durch ein Jugendgericht zu einem geringeren Prozentsatz als deutsche Verurteilte rückfällig werden. Für diese Hypothese könnten Befunde einer 1982 I 1?83 in Frankfurt durchgeführten jugendpsychiatrischpsychologischen Untersuchung sprechen, bei der junge deutsche und ausländische Untersuchungsgefangene verglichen wurden (FockeniG/ey 1987). Sie hat eine Reihe von Belegen dafür erbracht, daß ausländische Gefangene auch in der Situation der Haft mehr Unterstützung durch ihre Familien erfahren und persönlich erheblich weniger gefährdet erscheinen als die deutsche Vergleichsgruppe. Nach den gängigen Prognosekriterien wäre danach beijungen Ausländern seltener Anlaß zu der Befürchtung gegeben, daß sie in eine kriminelle Karriere geraten könnten. Die zur Verfügung stehenden Daten erlauben es nicht, die vorgetragenen Einflußfaktoren zu gewichten. Insbesondere fehlt bisher eine gesonderte Erhebung zur Rückfallhäufigkeit von verurteilten Deutschen im Vergleich zu einer entsprechend zusammengesetzten Gruppe von Ausländern, die nicht ausgewiesen worden sind. Die Angaben zur Häufigkeit früherer Verurteilungen zeigen im übrigen, daß 56 bei einem Vergleich von Strafverfolgungsdaten der insgesamt abgeurteilten Deutschen und Ausländer einer bestimmten Tätergruppe ein gewichtiger Einflußfaktor negiert würde. So ergibt sich bei den wegen einer gefährlichen I schweren Körperverletzung abgeurteilten erwachsenen männlichen Deutschen eine Quote der Freiheitsstrafe ohne Bewährung von 8,3%, bei Ausländern dagegen nur von 4,6% (vgl. Tab. A26). Erst die im nachfolgenden Schaubild 9 vorgenommene Differenzierung nach der Zahl früherer Verurtei28*

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

436

00~----------------------------------~

Raubdel. Ausl. Raubdel. Deutsche

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..

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II

0 ~

r b.

4)

gef./schw. Körperverl . Deutsche gef./schw. Körperverl. Ausl.

10

0~-----,-------r------r------.------,

0

2

J

5

Schaubild 9: Die Häufigkeit der Verurteilung zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegenüber männlichen erwachsenen deutschen und ausländischen Abgeurteilten in Abhängigkeit von der Zahl früherer Verurteilungen; Raubdelikte und gefährliche I schwere Körperverletzung, 1985/1986, Bundesrepublik ohne Bremen

Iungen läßt erkennen, daß bei Ausländern keineswegs mit größerer Milde vorgegangen wird. Im Gegenteil: Bei weniger als drei früheren Verurteilungen liegt ihre Quote der Freiheitsstrafe ohne Bewährung geringfügig über der der deutschen Vergleichsgruppe. Erst bei einer höheren Zahl von früheren Verurteilungen kehrt sich das Bild um. Insgesamt gesehen ergeben sich insoweit keine gravierenden Strafzumessungsdivergenzen. (vgl. auch Tab. A26).

Sondergutachten Pfeiffer f Schöckel

437

Wenn die Verurteilung dagegen wegen eines Raubdeliktes erfolgt, müssen 57 erwachsene, männliche Ausländer nach Schaubild 9 mit einem erheblich höheren Risiko einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung rechnen. Insgesamt gesehen liegen ihre Quoten zwischen 7 und 25 Prozentpunkte über den Vergleichswerten der Deutschen. Soweit aus den Daten erkennbar, gibt die Zusammensetzung der Raubdelikte zu dieser unterschiedlichen Strafzumessung bei Deutschen und Ausländern keinen Anlaß. Insbesondere differiert der Anteil des schweren Raubes nur geringfügig (23,5% bei den Deutschen, 25,4% bei den Ausländern). Der insoweit härteren Bestrafung der Ausländer steht im übrigen eine entsprechende niedrigere Quote der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gegenüber (vgl. Tab. A15 und A16). Schaubild 10 stellt die entsprechenden Daten zur Häufigkeit der Untersu- 58 chungshaft dar. Bei beiden Deliktsgruppen zeigen sich zu den ausländischen Abgeurteilten erheblich höhere V-Haft-Quoten. Das Bild wiederholt sich in Schaubild 11 zur Untersuchungshaft gegenüber den 14- bis 21jährigen. Die zur Verfügung stehenden Daten erlauben keine Schlußfolgerung dazu, in 59 welchem Ausmaß der höhere Gebrauch von Untersuchungshaft gegenüber Ausländern sachlich gerechtfertigt erscheint. Insbesondere stehen keine Angaben zum Anteil der wegen Gewaltkriminalität abgeurteilten Ausländer zur Verfügung, die in der Bundesrepublik über keinen festen Wohnsitz verfügen und aus diesem Grunde besonders häufig als fluchtgefahrdet eingestuft werden. Schaubild 12 zeigt zur Strafzumessung bei 14- bis 21jährigen im Vergleich zu 60 Schaubild 9, daß bei den entsprechenden Delikten der unter 21jährigen offenbar nur geringfügige Unterschiede in der Häufigkeit der Verurteilung zu Jugendstrafe /Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegenüber Deutschen und Ausländern bestehen. Die Divergenzen der U-Haft-Quoten haben also insoweit keine präjudizierende Wirkung entfaltet (vgl. auch Tabellen A25 und A26). Insgesamt betrachtet hat die Gegenüberstellung von Befunden zur strafrecht- 61 liehen Reaktion auf die Gewaltkriminalität deutscher und ausländischer Abgeurteilter also kein einheitliches Bild ergeben. Dies bestätigt sich auch bei entsprechenden Datenvergleichen zu den einzelnen Bundesländern (vgl. Tab. A 15 bis A 22). Zwar ist bei den beiden untersuchten Deliktsgruppen gegenüber Ausländern in den Jahren 1985/1986 erheblich häufiger Untersuchungshaft angeordnet worden. Die Strafzumessungspraxis dagegen läßt nur bei den Raubdelikten erwachsener Ausländer ein entsprechend höheres Risiko erkennen, zu Freiheitsentzug verurteilt zu werden. Bei den 14- bis 21jährigen und den Erwachsenen, die wegen gefährlicher / schwerer Körperverletzung abgeurteilt wurden, haben sich keine oder nur geringe Abweichungen gezeigt.

438

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel ffi~--------------------------------~

Raubdel. Ausl.

Raubdel. Deutsche

t

0 I

I

J

gef./schw. Körperver 1 . Ausl. gef./schw. Körperverl. Deutsche

Schaubild 10: Die Häufigkeit der Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber männlichen erwachsenen deutschen und ausländischen Abgeurteilten in Abhängigkeit von der Zahl früherer Verurteilungen; Raubdelikte, gefahrliehe I schwere Körperverletzung, 1985 I 1986, Bundesrepublik ohne Bremen

439

Sondergutachten PfeifTer I Schöckel

~-----------------------------------.

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Raubdel.

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gef./schw . ....t-----:::::::::::=~ Körperv. Au! gef./schw. Körperver 1 .

Deutsche

0

Schaubild 11: Die Häufigkeit der Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber männlichen 14- bis 21jährigen deutschen und ausländischen Abgeurteilten in Abhängigkeit von der Zahl früherer Verurteilungen; Raubdelikte, gefahrliehe I schwere Körperverletzung, 1985 I 1986, Bundesrepublik ohne Bremen

440

Sondergutachten Pfeiffer ISchöckel

100~--------------------------------~

8l

10 Raubde 1 • Oe~ Raubde 1 • P.u ~

II' 0'

gef./schw.

Körperver1. Ausl.

gef./schw.

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Schaubild 12: Die Häufigkeit der Verurteilung zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegenüber männlichen, 14- bis 21jährigen, deutschen und ausländischen Abgeurteilten in Abhängigkeit von der Zahl früherer Verurteilungen; Raubdelikte und gefährliche I schwere Körperverletzung, 1985 I 19~6, Bundesrepublik ohne Bremen

441

Sondergutachten Pfeiffer I Schöckel

4.3 Regionale Unterschiede der Strafverfolgung gegenüber Gewalttätern Für die Untersuchung der regionalen Unterschiede wurden die Jahre 1985 62 und 1986 zu einem Zweijahreszeitraum zusammengefaßt, um das Risiko von Zufallsergebnissen bei kleineren Grundgesamtheiteil zu verringern. Die nachfolgenden Tabellen 11 und 12 informieren zunächst über die Strafverfolgung gegenüber 14- bis 21jährigen und erwachsenen Abgeurteilten, die in den Jahren 1985 I 86 in der Bundesrepublik wegen eines Gewaltdelikts angeklagt worden sind. Tabelle 11 Untersuchungshaft und Sanktionsentscheidungen gegenüber 14- bis 21jährigen, die 1985 f 86 wegen eines Gewaltdelikts abgeurteilt wurden, Bundesrepublik Deutschland, Gewaltdelikte insgesamt und Deliktsgruppen &m:ieslarxi

bzw. I.GBezirk

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