Traumatische Texturen: Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur [1. Aufl.] 9783839419533

Der 11. September gilt als epochale Zäsur, kulturelles Trauma und globales Medienereignis, das die Verknüpfung von Polit

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Traumatische Texturen: Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur [1. Aufl.]
 9783839419533

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Narrative, Bilder und Topoi des Medienereignisses 11. September
1. „Live Broadcasting of History“: Krisenberichterstattung und Medienereignis
2. „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“: Kulturelle Krisenerzählungen
3. „Im Rein-Raum der Global City“: Global Village, Ground Zero und Wounded New York
4. „Ökonomien und Politiken des Visuellen“: WTC Bildkomplex und Bilderkrieg
5. „The Spectacle of Trauma“: Mediale Urszene, Wound Culture und Erinnerungskultur
2. Lektüren
Das Symbolsystem Literatur und das Medienereignis 11. September
Literatur als Echtzeit-Inszenierung zwischen Blogosphäre, New Journalism und Dokumentarismus
1. „Katastrophen korrigieren Lebensläufe“: Else Buschheuers New York Tagebuch (2001) als Extremfall literarischen Bloggens
2. „diese unterwanderung der dokumentarischen form“: Kathrin Rögglas really ground zero (2001) als New Journalism aus SoHo
3. „auf allen Kanälen plötzlich Bilder“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als New York-Erzählung mit Medienprotokoll
4. Fazit: Semi-dokumentarische Erlebnisästhetik, E-Mail-Protokolle und Medienamateure
Literarische Schauplätze und Amerikabilder
1. New York: „Tattooed City“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als semiotische Stadtanalyse und Prekaritätsstudie
2. London: „Immer die Gegenseite des eigenen Lebens“: Enträumlichungsstrategien in Katharina Hackers Die Habenichtse (2006)
3. New York, Marfa, Los Angeles: „Jeder betritt Amerika in seinen Träumen zuerst“: Thomas Hettches Woraus wir gemacht sind (2006) als transatlantische Traumdeutung
4. „dieses seltsam fragmentierte stadtbild“: Kathrin Rögglas disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film (2006) als urbane „katastrophengrammatik“
5. Astroland: „meine 9/11-Geschichte“: Thomas Pletzingers Bestattung eines Hundes (2008) als Ethnographie einer Krise
6. Fazit: Textstadt New York, Imperium und Sozialkatastrophe
Terrorismus-Narrative seit 2001
1. „Liebe in Zeiten der Diskursanalyse, eines verschlissenen Alltags, prekärer Verhältnisse“: Ulrich Peltzers Teil der Lösung (2007) als kritischer Gegenwartsroman
2. „Steht auf. Bildet Barrikaden. Versammelt euch“: Michael Kumpfmüllers Nachricht an alle (2008) als Variation einer Politformel
3. „Gespräche über den Deutschen Herbst“: Bernhard Schlinks Das Wochenende (2008) als letzter RAF-Roman
4. „Etwas gewissermaßen Überlebendes“: Sherko Fatahs Das dunkle Schiff (2008) und die Figur des Märtyrers
5. „Embedded Poet“: Tinte, Blut und Öl: Symbolisierungsverfahren in Thomas Lehrs September Fata Morgana (2010)
6. Fazit: RAF, islamistische Märtyrerkultur und soziale Ungleichheiten: Die Wiederkehr des politischen Romans
Zehn Jahre 9/11: Ein Schlussbild
Literaturverzeichnis

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Heide Reinhäckel Traumatische Texturen

Lettre

Heide Reinhäckel, Literaturwissenschaftlerin und Journalistin, lebt und arbeitet in Berlin.

Heide Reinhäckel

Traumatische Texturen Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur

Zugl.: Gießen, Universität, FB 05, Diss., 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Lina Marcela Vásquez Chaparro Lektorat & Satz: Heide Reinhäckel Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1953-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 1. Narrative, Bilder und Topoi des Medienereignisses 11. September | 17

1. „Live Broadcasting of History“: Krisenberichterstattung und Medienereignis | 22 2. „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“: Kulturelle Krisenerzählungen | 30 3. „Im Rein-Raum der Global City“: Global Village, Ground Zero und Wounded New York | 40 4. „Ökonomien und Politiken des Visuellen“: WTC Bildkomplex und Bilderkrieg | 43 5. „The Spectacle of Trauma“: Mediale Urszene, Wound Culture und Erinnerungskultur | 56 2. Lektüren | 71

Das Symbolsystem Literatur und das Medienereignis 11. September | 71 Literatur als Echtzeit-Inszenierung zwischen Blogosphäre, New Journalism und Dokumentarismus | 79

1. „Katastrophen korrigieren Lebensläufe“: Else Buschheuers New York Tagebuch (2001) als Extremfall literarischen Bloggens | 79 2. „diese unterwanderung der dokumentarischen form“: Kathrin Rögglas really ground zero (2001) als New Journalism aus SoHo | 94 3. „auf allen Kanälen plötzlich Bilder“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als New York-Erzählung mit Medienprotokoll | 105 4. Fazit: Semi-dokumentarische Erlebnisästhetik, E-Mail-Protokolle und Medienamateure | 111

Literarische Schauplätze und Amerikabilder | 117

1. New York: „Tattooed City“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als semiotische Stadtanalyse und Prekaritätsstudie | 117 2. London: „Immer die Gegenseite des eigenen Lebens“: Enträumlichungsstrategien in Katharina Hackers Die Habenichtse (2006) | 131 3. New York, Marfa, Los Angeles: „Jeder betritt Amerika in seinen Träumen zuerst“: Thomas Hettches Woraus wir gemacht sind (2006) als transatlantische Traumdeutung | 137 4. „dieses seltsam fragmentierte stadtbild“: Kathrin Rögglas disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film (2006) als urbane „katastrophengrammatik“ | 144 5. Astroland: „meine 9/11-Geschichte“: Thomas Pletzingers Bestattung eines Hundes (2008) als Ethnographie einer Krise | 149 6. Fazit: Textstadt New York, Imperium und Sozialkatastrophe | 155 Terrorismus-Narrative seit 2001 | 161

1. „Liebe in Zeiten der Diskursanalyse, eines verschlissenen Alltags, prekärer Verhältnisse“: Ulrich Peltzers Teil der Lösung (2007) als kritischer Gegenwartsroman | 161 2. „Steht auf. Bildet Barrikaden. Versammelt euch“: Michael Kumpfmüllers Nachricht an alle (2008) als Variation einer Politformel | 169 3. „Gespräche über den Deutschen Herbst“: Bernhard Schlinks Das Wochenende (2008) als letzter RAF-Roman | 179 4. „Etwas gewissermaßen Überlebendes“: Sherko Fatahs Das dunkle Schiff (2008) und die Figur des Märtyrers | 184 5. „Embedded Poet“: Tinte, Blut und Öl: Symbolisierungsverfahren in Thomas Lehrs September Fata Morgana (2010) | 194 6. Fazit: RAF, islamistische Märtyrerkultur und soziale Ungleichheiten: Die Wiederkehr des politischen Romans | 212 Zehn Jahre 9/11: Ein Schlussbild | 217 Literaturverzeichnis | 227

Einleitung

Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen die literarischen Bezugnahmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur auf das Medienereignis 11. September und dessen weltpolitische Folgen. Die New Yorker Terroranschläge von 2001 gelten als nationales Trauma der USA, als globales Medienereignis und als epochale Zäsur zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Besonders die wirkmächtigen Medienbilder der Anschläge wurden als Bilder des Terrors1 in die kollektive Angstökonomie eingespeist und sind seither Bestandteil einer Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror2. Mit dem so genannten war on terror, dem Afghanistankrieg und dem Irakkrieg, deren zeithistorische Konsequenzen noch offen sind, lösten die Terroranschläge eine Kette von Gewalt aus. Die Anschläge gelten als paradigmatische Verknüpfung von Visualität, Geschichte und Politik und wurden unter der Chiffre 11. September zur Signatur einer konfliktiven Gegenwart erklärt.3

1

So der Titel des Sammelbandes von Michael Beuthner/Joachim Buttler/Sandra Fröhlich/Irene Neverla/Stephan A. Weichert (Hg.): Bilder des Terrors – Terror der Bilder? Krisenberichterstattung am und nach dem 11. September. Köln 2003.

2

Linda Hentschel (Hg.): Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse. Unter Mitarbeit von Caroline Schubarth. Berlin 2008.

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Im Folgenden werden die Begriffe 11. September, Nine Eleven und 9/11 als Bezeichnung für die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA verwendet. Der Ausdruck 11. September wurde bereits Ende 2001 von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt und dient seitdem als Kollektivchiffre der Anschläge.

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Das Datum markiert das Ende der durch den Zusammenbruch der Blockkonfrontation zwischen Ost und West charakterisierten 1990er Jahre und fungiert als Auftakt zum ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, das zunehmend durch die Ungleichzeitigkeiten der Globalisierung und die von diesen ausgehenden Konflikten gekennzeichnet ist. Somit geraten die literarischen Erzählungen über ein Jahrzehnt in den Blick, das ausgehend vom Medien- und Terrorereignis 11. September als ein Jahrzehnt der Unsicherheit gilt, in dem die politische Angst in die Öffentlichkeit zurückkehrte. Neue politische Rhetoriken und Bilderwelten, intensivierte nationale und internationale Sicherheitsdiskurse kennzeichnen die zurückliegenden zehn Jahre. Um die Literarisierungen der vom Medienund Terrorereignis 11. September ausgelösten weltpolitischen Folgen zu erfassen, untersucht die Studie Romane, Erzählungen und Essays aus dem Zeitraum 2001-2010 und fragt nach den dominanten Themen, Textverfahren und Narrativen der Literatur nach dem 11. September. In den Blickpunkt rücken dabei das Verhältnis von Literatur und Medienereignis, die literarischen Darstellungen von Politik, Terrorismus und Krieg sowie die deutschen Amerikabilder seit 2001. Mit der Untersuchung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit dem 11. September wirft die Studie die Frage nach den Funktionen von Literatur angesichts eines globalen, krisenhaften Medienereignisses im Internetzeitalter auf und thematisiert das Verhältnis von Literatur und Zeitgeschichte. Forschungsstand Der Themenkomplex 11. September ist als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand im Schnittpunkt verschiedener Forschungsperspektiven angesiedelt. Kommunikations- und Medienwissenschaften rekurrieren auf den 11. September als Extremfall globaler Krisenkommunikation und als Medienereignis.4 In den Politikwissenschaften gelten die New Yorker Terroranschläge als Beginn einer neuen asymmetrischen Kriegsführung, bei der sich substaatliche Akteure und Staaten gegenüberstehen, sowie als Phä-

4

Vgl. Beuthner et. al.: Bilder des Terrors; Martin Löffelholz (Hg.): Krieg als Medienereignis II. Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert. Wiesbaden 2004; Stephan Alexander Weichert: Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen. Köln 2006.

E INLEITUNG

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nomen eines neuen transnationalen Terrorismus.5 Besonders die terroristischen Bildstrategien der Anschläge und deren Einordnung in die Bildräume und den Bildgebrauch einer hochgradig ikonophilen Gesellschaft wurden zum Gegenstand einer transdisziplinären bildwissenschaftlichen Forschung.6 Aus Perspektive der Intermedialitätsforschung lassen sich die Repräsentationen des Medienereignisses 11. September in Film, Literatur und Kunst sowie die medial-ästhetischen Vorstrukturierungen bei der Konstruktion des Medienereignisses in den Nachrichtenmedien mittels vorgängiger Katastrophenfilme und Katastrophennarrative mit Astrid Erlls Begriffen der Remediation und Prämediation als „Phänomene des medialen Rückbezugs auf bzw. der medialen Vorformung durch bestehende Repräsentationen“7 beschreiben. Nach Erll sind insbesondere epochenprägende Medienereig-

5

Vgl. Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Reinbek bei Hamburg 2002; ders.: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Weilerwist 2006. Zum Paradigmenwechsel in der Terrorismusforschung und zum Phänomen des so genannten Neuen Terrorismus vgl. zum Beispiel Ulrich Schneckener: Transnationaler Terrorismus. Frankfurt am Main 2006; Henner Hess: „Die neue Herausforderung. Von der RAF zu Al-Qaida“. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF. Entmythologisierung einer terroristischen Organisation. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2008, S. 109-139. Zum 11. September als Terrorereignis vgl. Petra Bendel (Hg.): Im Schatten des Terrorismus. Hintergründe, Strukturen, Konsequenzen des 11. September 2001. Wiesbaden 2002; Detlef Sack/Gerd Steffens (Hg.): Gewalt statt Anerkennung? Aspekte des 11.09.2001 und seine Folgen. Frankfurt am Main 2003; Christian Schicha/Carsten Brosda (Hg.): Medien und Terrorismus. Reaktionen auf den 11. September 2001. Münster u.a. 2003.

6

Vgl. Paul Gerhard: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. München/Paderborn 2004; Hentschel: Bilderpolitik. Zu 9/11 als die Bildrezeption veränderndes Ereignis vgl. auch Helga Finter (Hg.): Das Reale und die (neuen) Bilder. Denken oder Terror der Bilder. Frankfurt am Main u.a. 2008 und Karen Engle: Seeing Ghosts. 9/11 and the Visual Imagination. Montreal 2009.

7

Astrid Erll: Prämediation – Remediation. Repräsentationen des indischen Aufstands in imperialen und post-kolonialen Medienkulturen (von 1857 bis zur Gegenwart). Trier 2007, S. 31.

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nisse Ausfangspunkt für transmediale Remediationen. Auch das Medienereignis 11. September zog zahlreiche Repräsentationen in unterschiedlichen Medien nach sich. Über die künstlerischen Verarbeitungen der New Yorker Terroranschläge liegen bisher mehrere interdisziplinäre Sammelbände vor. Die Bände Narrative des Entsetzens (2004), 9/11 – The world’s all out of tune. Populäre Musik nach dem 11. September 2001 (2004), Nine Eleven: Ästhetische Verarbeitungen des 11. September 2001 (2008) und 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien (2009) bilanzieren die Vielzahl ästhetischer Strategien und Darstellungsverfahren in Literatur, Film, Populärkultur und Bildender Kunst.8 Die Sammelpublikationen untersuchen die Mechanismen der kulturellen Bedeutungszuweisung und charakterisieren den 11. September primär als Medienereignis und symbolischen Angriff auf die westliche Welt, dessen Schockwirkung eine Auseinandersetzung in allen kulturellen Teilbereichen auslöste. Darüber hinaus wurden die künst-

8

Vgl. Matthias N. Lorenz (Hg.): Narrative des Entsetzens. Künstlerische, mediale und intellektuelle Deutungen des 11. September 2001. Würzburg 2004; Dietrich Helms (Hg.): 9/11 – The world’s all out of tune. Populäre Musik nach dem 11. September 2001. Bielefeld 2004; Ingo Irsigler/Christoph Jürgensen (Hg.): Nine Eleven: Ästhetische Verarbeitungen des 11. September 2001. Heidelberg 2008; Sandra Poppe/Thorsten Schüller/Sascha Seiler (Hg.): 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien. Bielefeld 2009. Zu Reaktionen der Gegenwartskunst siehe Heinz Peter Schwerfel (Hg.): Kunst nach Ground Zero. Köln 2002. Siehe weiterhin den englischsprachigen Sammelband von Cara Cilano/Sofia Ahlberg (Hg.): From Solidarity to Schisms. 9/11 and After in Fiction und Film from Outside the US. Amsterdam 2009 sowie zur filmischen Verarbeitung die Monographie von Thomas Schneider: Der 11. September 2001 im amerikanischen Kino. Zur filmischen Verarbeitung eines kollektiven Traumas. Marburg 2008. Repräsentationen des Terrorereignisses in verschiedenen Medien mit dem thematischen Schwerpunkt der Angst untersucht Anne Winkel: Der 11. September und die Angst. Perspektiven in Medien, Literatur und Film. Marburg 2010.

E INLEITUNG

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lerischen Bezugnahmen auf die Anschläge hinsichtlich der medialen Codierung von Terrorismus und Krieg untersucht.9 Zum Verhältnis von Nine Eleven und US-amerikanischer Gegenwartsliteratur liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor, die nachzeichnen, wie sich die Literatur angesichts eines zum nationalen Trauma ausgerufenen Ereignisses in erster Linie als Trauer-, Erinnerungs- sowie Vergemeinschaftungsmedium formierte.10 Über die literarischen Auseinandersetzungen mit dem 11. September in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur erschienen bisher mehrere Aufsätze in Sammelbänden, die sich überwiegend mit den zeitnahen literarischen Reaktionen auseinandersetzen.11 Mit Christian

9

Vgl. Heinz-Peter Preußer/Matteo Galli (Hg.): Mythos Terrorismus. Vom Deutschen Herbst zum 11. September – Fakten, Fakes und Fiktionen. Heidelberg 2006; Christer Petersen/Jeanne Riou (Hg.): Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien. Band III: Terror. Kiel 2008.

10 Vgl. Sebastian Domsch (Hg.): Amerikanisches Erzählen nach 2000. Eine Bestandsaufnahme. München 2008; Ann Keniston (Hg.): Literature after 9/11. New York u.a. 2008; Stefanie Hoth: Medium und Ereignis. ‚9/11‘ im amerikanischen Film, Fernsehen und Roman. Heidelberg 2011; Birgit Däwes: „,The Obliging Imagination Set Free.‘ Repräsentation der Krise – Krise der Repräsentation in der U.S.-amerikanischen 9/11-novel“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 67-87; Peer Trilcke: „Der 11. September 2001 in deutschen und US-amerikanischen Gedichten. Eine Sichtung“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 89-113; Evi Zemanek: „Trauerspielereien: Der 11. September aus kindlicher Perspektive. Jonathan Safran Foers Extremely Loud and Incredibly Close“. In: dies./Susanne Krones (Hg.): Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000. Bielefeld 2008, S. 27-41 sowie Daniela Jancsó: „Durch Mark und Bein: 9/11 in Ian McEwans Saturday und Philip Roths Everyman“. In: Zemanek/Krones: Literatur der Jahrtausendwende, S. 43-55. 11 Vgl. Werner Jung: „Terror und Literatur. Eine Misszelle“. In: Lorenz: Narrative des Entsetzens, S. 161-168; Volker Mergenthaler: „Katastrophenpoetik. Max Goldts und Ulrich Peltzers literarische Auseinandersetzungen mit Nine-Eleven“. In: Wirkendes Wort 55 (2005), S. 281-294; Christoph Deupmann: „Ausnahmezustand des Erzählens. Zeit und Ereignis in Ulrich Peltzers Bryant Park und anderen Texten über den 11. September 2001“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 17-28; Andrea Payk-Heitmann: „Der 11.

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de Simonis Studie „Es war aber auch ein Angriff auf uns selbst“. Betroffenheitsgesten in der Literatur nach 9/1112 erschien im Jahr 2009 die erste Monographie über das Motiv des 11. September in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Simonis diskursanalytisch ausgerichtet Arbeit interpretiert die deutschsprachige 9/11-Literatur als Teil eines hegemonialen Sprachdiskurses, der die Anschläge in erster Linie als Angriff auf den Westen und als Zäsur interpretiert. Simonis Studie leistet einen Beitrag zur Analyse der erzählerischen Strukturen von Extremereignissen, klammert jedoch durch die Fokussierung auf das Betroffenheitsparadigma andere Interpretationsansätze überwiegend aus. Zielsetzung Anlässlich der Jahrestage der New Yorker Terroranschläge wiederholt sich von Seiten der Literaturkritik routiniert die Diagnose, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur an der ästhetischen Darstellung des 11. September gescheitert sei mit Vorwürfen wie „Ich-Krater. Literatur nach dem 11. September – am Nullpunkt?“13, „Die Bücher zum 11. September sind da: Lauter Katastrophen [...]“14 oder „In der Gegenbilder-Falle. Die Literatur sucht noch: Alle Versuche, 9/11 in Romanen zu erfassen, scheitern jeden-

September im (fiktionalen) Tagebuch“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 49-66; Christoph Deupmann: „Versuchte Nähe. Vom Ereignis 11. September zum Ereignis des Textes“. In: Poppe/Schüller/ Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 139-161; Heide Reinhäckel: „Literarische Schauplätze deutscher 9/11-Romane“. In: Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 121-138; Jesko Bender: „Zum Denkmuster der ‚Zäsur‘ im deutschen ‚Terrorismus‘-Diskurs nach dem 11. September 2001 – Ulrich Peltzers Bryant Park“. In: Inge Stephan/Alexandra Tacke (Hg.): NachBilder der RAF. Köln/Weimar/Wien 2008, S. 268-286. 12 Christian de Simoni: „Es war aber auch ein Angriff auf uns selbst“. Betroffenheitsgesten in der Literatur nach 9/11. Marburg 2009. 13 Ina Hartwig: „Ich-Krater. Literatur nach dem 11. September – am Nullpunkt?“ In: Frankfurter Rundschau vom 4. April 2002. 14 Volker Weidermann: „Die Wörter sind unter uns“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 17. Februar 2002.

E INLEITUNG

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falls bislang“15. Beklagt wird das Ausbleiben eines großen deutschsprachigen 9/11-Romans, von einem Literaturskandal wie Frédéric Beigbeders Roman Windows on the World (2003), in dem der Holocaust und die New Yorker Terroranschläge zueinander in Beziehung gesetzt werden, ganz zu schweigen. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Auffassung der Literaturkritik und einzelner literaturwissenschaftlicher Forschungsbeiträge16, demzufolge die deutschsprachige Gegenwartsliteratur an der ästhetischen Darstellung und Verarbeitung des 11. September gescheitert sei, beziehungsweise dieser kein Thema für die Literatur nach der Jahrtausendwende darstelle, geht die Studie vom Vorliegen einer intensiven literarischen Auseinandersetzung mit dem 11. September und seinen weltpolitischen Folgen aus. Auch grenzt sich die Studie von der These einer benötigten „ästhetischen Inkubationszeit“17 ab und bezieht zeitnah erschienene journalistisch-literarische Texte in ihre Untersuchung ein. Die Fragestellung zielt somit auf die Analyse der verschiedenen Textstrategien und Narrative ab, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex 11. September entwickeln. In diesem Sinn versteht sich die Arbeit als Beitrag zur Erforschung des wechselseitigen Verhältnisses von Gegenwartsliteratur und Zeitgeschichte sowie als Beitrag über die literarische Darstellung von Extremereignissen im Zeitalter der Mediengesellschaft. Methodisches Vorgehen Um die literarischen Reaktionen auf den Themenkomplex 11. September untersuchen zu können, kombiniert die Studie literaturwissenschaftliche Fragestellungen mit medien- und kulturwissenschaftlichen Forschungsperspektiven. Dieser Fokus spiegelt sich im Aufbau der Arbeit wieder, die in einem ersten Teil aus kommunikations- und kulturwissenschaftlicher Perspektive die mit der Chiffre 11. September verbundenen medialen Repräsentationsmodi und Deutungsmuster untersucht, um anschließend im zweiten literaturwissenschaftlichen Teil die literarischen Bezugnahmen zu ana-

15 Dana Bönisch: „In der Gegenbilder-Falle. Die Literatur sucht noch: Alle Versuche, 9/11 in Romanen zu erfassen, scheitern jedenfalls bislang“. In: die tageszeitung vom 10. September 2008. 16 Vgl. zum Beispiel Jung: Terror und Literatur. 17 Andrea Köhler: „Literatur. Eine Kolumne. Ground zero“. In: Merkur 52 (2002), S. 234-239, hier S. 237.

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lysieren. Die Entscheidung für diese im Kontext einer literaturwissenschaftlichen Arbeit relativ ausführliche kommunikations- und kulturwissenschaftliche Analyse des Medienereignisses 11. September liegt nicht zuletzt in zwei Zielen begründet. Zum einen soll die ansatzweise Decodierung der Geschichtschiffre 11. September die rhetorische Kraft einer Formel aufzeigen, die wie andere epochale Zäsuren hinter einer Datierung Dynamiken von Singularität und Serialität verbirgt. Zum zweiten verfolgt die Kombination kommunikations- und kulturwissenschaftlicher Perspektiven die Absicht, auf die mit dem 11. September einhergehende Verschränkung von Massenmedien und Politik, Geschichte und Visualität und damit auch auf Aspekte der massenmedialen Historiografie hinzuweisen. Die breitflächige Analyse des Themenkomplexes 11. September kann auch Aufschluss darüber geben, auf welche Aspekte die Literatur verweist oder eben auch nicht verweist. Im zweiten Teil der Studie erfolgt die literaturwissenschaftliche Analyse der ausgewählten dokumentarisch-fiktionalen Hybridtexte, Romane, Erzählungen und Essays aus dem Zeitraum 2001-2010. Der Untersuchungszeitraum umfasst somit das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, in dem die weltpolitischen Folgen der New Yorker Terroranschläge andauern. Ausgehend vom Konzept einer „science of the particular“18 wurde bei der Auswahl der Texte keine vollständige empirische Inventarisierung angestrebt; vielmehr wurden diejenigen Texte ausgewählt, für die der 11. September einen dominanten produktionsästhetischen Referenzpunkt darstellt, oder solche, die das Datum als latentes Narrativ enthalten und die mit diesem verbundenen weltpolitischen Folgen thematisieren. Die Studie interpretiert so beispielsweise mit Else Buschheuers New York Tagebuch (2001), Kathrin Rögglas really ground zero (2001) und Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) zeitnahe literarische Reaktionen auf die Terroranschläge, die bereits als Literatur über den 11. September kanonisiert sind. Neben diesen bekannten 9/11-Büchern, deren bisherige Interpretationen in der Studie erweitert werden, untersucht die Arbeit u.a. mit Katharina Hackers Die Habenichtse (2006) und Thomas Hettches Amerikaroman Woraus wir gemacht sind (2006) zwei Bücher, die die Post-9/11-Ära thematisieren. Mit den Romanen Teil der Lösung (2007) von Ulrich Peltzer, Nachricht an alle

18 Moritz Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv: eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen 2005, S. 52.

E INLEITUNG

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(2008) von Michael Kumpfmüller, Das Wochenende (2008) von Bernhard Schlink und Das dunkle Schiff (2008) von Sherko Fatah bezieht sich die Studie auf eine Literatur, die als Ausdruck einer Konjunktur des Politischen gilt und paradigmatisch die Spannungen, Konflikte und Verwerfungen des ausgehenden ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts thematisiert. Die Interpretation schließt mit Thomas Lehrs Roman September Fata Morgana (2010) ab, der mit dem Abstand von nahezu zehn Jahren das Motiv des 11. September mit großer literarischer Komplexität entfaltet. Für die literaturwissenschaftliche Analyse wurden die ausgewählten Texte nach ihrer zeitlichen Entstehung angeordnet. Diese Chronologie ist insofern sinnvoll, als dass sie die Formulierung eines Verlaufsmodells der literarischen Reaktionen erlaubt, das domimante Themen und Textverfahren aufzeigt. Die Studie geht dabei von einer kulturpoetischen Funktion der Literatur aus.19 Demnach sind literarische Texte Bestandteil eines kulturellen Archivs, dessen Formationen sie nicht nur widerspiegeln, sondern selbst mitschreiben. Die untersuchte Gegenwartsliteratur ist somit Bestandteil des gesellschaftlichen 9/11-Diskurses und folglich in die Prozesse kultureller Bedeutungsaushandlung und -zuschreibung eingebunden. Aufbau der Arbeit Das erste Kapitel Narrative, Bilder und Topoi des Medienereignisses 11. September untersucht aus kommunikations- und kulturwissenschaftlicher Perspektive den 11. September als transnationales konfliktives Medienereignis. Dieses konstituierte sich wie alle Medienereignisse durch Prozesse der Narrativierung, Ikonisierung und Topisierung, um als Ereignis in Erscheinung zu treten. Das Kapitel gliedert sich in fünf Schwerpunkte: „The Live Broadcasting of History“: Krisenberichterstattung und Medienereignis charakterisiert die Live-Berichterstattung der New Yorker Terroranschläge als Extremfall journalistischer Krisenberichterstattung mit emotionalisierender und kollektivierender Wirkung. Der mit dem Medienereignis verbundene Topos der Zäsur, die Rhetorik der Bush-Administration im war on terror und die Krise der transatlantischen Beziehungen stehen im Mittelpunkt des anschließenden Unterkapitels „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“: Kulturelle Krisenerzählungen. „Im Rein-Raum der Global City“: Global Village, Ground Zero und Wounded New York beschreibt das

19 Vgl. Baßler: Die kulturpoetische Funktion.

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durch das Medienereignis 11. September ausgelöste Raumparadox zwischen Verräumlichung im Erinnerungsort New York und in diversen Kriegsschauplätzen und Enträumlichung im globalen media space. Auf den 11. September als Bild-Ereignis geht das Unterkapitel „Ökonomien und Politiken des Visuellen“: WTC Bildkomplex und Bilderkrieg ein, das sowohl die Ikonisierung der 9/11-Medienbilder beschreibt als auch ihr Merkmal, zugleich Gewalt zu dokumentieren und auszulösen. Als letzter Schwerpunkt fokussiert „The Spectacle of Trauma“: Mediale Urszene, Wound Culture und Erinnerungskultur das kulturelle Deutungsmuster des Traumas in Hinblick auf die Interpretation der New Yorker Anschläge als nationales Trauma der USA und als kulturelles Trauma der westlichen Welt. Das anschließende Lektüren-Kapitel gliedert sich in eine Überleitung und drei Interpretationsteile. Das Symbolsystem Literatur und das Medienereignis 11. September stellt mit den Kategorien Intermedialität, literarische Raumdarstellungen, Amerikabilder und Terrorismus-Narrative literaturwissenschaftliche Zugänge zur Analyse der literarischen Verarbeitungen des Themenkomplexes 11. September vor. Der erste Interpretationsteil Literatur als Echtzeit-Inszenierung zwischen Blogosphäre, New Journalism und Dokumentarismus untersucht Texte aus dem Zeitraum 2001-2002, denen seitens der Literaturkritik Authentizität und Unmittelbarkeit zugesprochen wurden. Der zweite Interpretationsteil Literarische Schauplätze und Amerikabilder fokussiert vor allem Romane aus dem Zeitraum 2003-2006 und damit aus der Post-9/11-Ära. Er untersucht u.a. Raumdarstellungen als Ausdruck des soziopolitischen Imaginären sowie die veränderte Semantik deutscher Amerikabilder seit dem 11. September. Der dritte Interpretationsteil Terrorismus-Narrative seit 2001 wendet sich den literarischen Codierungen von Terrorismus, Politik und Gewalt zu, die das Epochengefühl nach dem 11. September bilanzieren. Die einzelnen Interpretationsteile werden jeweils durch ein erstes Zwischenfazit abgeschlossen. Das Abschlusskapitel 10 Jahre 9/11: Ein Schlussbild resümiert die analysierten Themen und Textstrategien und formuliert ein Verlaufsmodell der literarischen Reaktionen auf den 11. September in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

1. Narrative, Bilder und Topoi des Medienereignisses 11. September

Am 11. September 2001 griffen vier von Mitgliedern der islamistischen Terrororganisation al-Qaida entführte Linienflugzeuge symbolträchtige zivile und militärische Ziele in den USA an. Am frühen Vormittag schlugen zwei Flugzeuge kurz hintereinander in die beiden Türme des World Trade Center in New York ein. Das Pentagon als Sitz des US-Verteidigungsministeriums wurde zum Ziel eines weiteren Flugzeuganschlags. Das vierte entführte Flugzeug, das vermutlich Kurs auf das Weiße Haus in Washington nehmen sollte, stürzte auf einem Feld im Bundesstaat Pennsylvania ab. Bei den Selbstmordattentaten starben über 3000 Menschen. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 gelten als epochale Zäsur und signifikantes historisches Ereignis der jüngsten Zeitgeschichte. Sie wurden unter der Chiffre 9/11 oder 11. September zum wirkmächtigen Geschichtszeichen erklärt. Die Chiffre 11. September ist Ausdruck komplexer globaler Veränderungen. Diese umfassen sowohl kriegerische Auseinandersetzungen, geopolitische Umstrukturierungen als auch das Aufleben kulturell-religiöser Konflikte. Die militärischen Reaktionen der USA auf die Anschläge, insbesondere der Afghanistankrieg und der Irakkrieg, die bis 2009 als so genannter war on terror bezeichnet wurden,1 haben zu einer weltweit veränderten 1

Zum Ende der Sprachpolitik der Bush-Administration, das 2009 von der USAußenministerin Hillary Clinton verkündet wurde, siehe Andrian Kreye: „Bushs Kriegsrhetorik hat ausgedient. Kein ‚Krieg gegen den Terror‘ mehr: Barack Obama tilgt die ideologischen Schlagworte der Bush-Ära aus dem Wortschatz der Regierung“. In: Süddeutsche Zeitung vom 1. April 2009.

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Sicherheitslage geführt. Der gesellschaftspolitische Konnex von Sicherheit und Risiko2 erfuhr außenpolitisch durch Die neuen Kriege3 und den global agierenden Neuen Terrorismus politisch-religiöser Prägung sowie innenpolitisch hinsichtlich der Schlagwörter der inneren Sicherheit und des Überwachungsstaates eine neue Brisanz. Ebenso werden die Wiederkehr der Religionen, beziehungsweise die Instrumentalisierung religiöser Codes im Bereich der Politik, sowie die Verschärfung der interkulturellen Konflikte zwischen der westlichen und arabischen Welt mit der Geschichtschiffre verknüpft. Zudem geriet das transatlantische Verhältnis zwischen den USA und Europa insbesondere im Vorfeld des Irakkrieges in eine Krise, deren Ausgangspunkte vor allem die Wiederkehr der Folter im Kontext US-amerikanischer Kriegsmethoden im war on terror sowie das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba waren. Ausgehend vom Theorem des Soziologen und Terrorismusforschers Peter Waldmann, demzufolge Terrorismus „primär eine Kommunikationsstrategie“4 darstellt, bestand das Kalkül der New Yorker Terrorakte nicht originär in den über 3000 Opfern als vielmehr in der Symbolkraft der Anschläge. Die Schockwirkung der Anschläge resultierte aus ihrer spektakulären medialen Inszenierung, der Choreografie der Parallelentführung von Flugzeugen, dem Angriff auf die Zivilbevölkerung auf dem Terrain der USA und der terroristischen Logik des Selbstopfers. Die Angriffsziele, das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus, verkörperten die ökonomischen, militärischen und politischen Schaltzentralen der USA. Doch nicht nur die Machtarchitektur der USA wurde symbolisch angegriffen. Der Angriff auf die Türme des Welthandelszentrums zielte darüber hinaus auf den globalen Wirtschafts- und Finanzmarkt. Hatte die Freiheitsstatue mit ihrer Inschrift give me your tired, your poor bis zum Bau des Welthandelszentrums im Jahr 1973 das Glücksversprechen einer auf Arbeit beruhenden Integration der Einwanderer in der Neuen Welt verkörpert, symbolisierten die Twin Towers als Schaltzentralen der abstrakten Finanz-

2

So der Titel eines Sammelbandes von Herfried Münkler/Matthias Bohlender/ Sabine Meurer (Hg.): Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert. Bielefeld 2010.

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Münkler: Die neuen Kriege.

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Peter Waldmann: Terrorismus. Provokation der Macht. Zweite, vollständig überarbeitete Auflage. Hamburg 2005, S. 15.

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logik und des globalen Kapitalismus das Gegenteil: die Exklusion des Großteils der Weltbevölkerung. Bereits kurz nach der Fertigstellung der Twin Towers hatte Joseph Beuys im Jahr 1974 im Rahmen seiner Kunstperformanz I like America and America likes me, an die das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung anlässlich der Anschläge 2001 erinnerte, auf die kapitalistische Ausschlusslogik der Türme verwiesen.5 Beuys beschriftete eine Postkarte der Twin Towers mit den Namen der arabischen Zwillingsbrüder Cosmas und Damian. Die Brüder, die in der Spätantike in Syrien als Armenärzte tätig waren und als katholische Märtyrer sowie Schutzheilige der Ärzteschaft verehrt werden, transplantierten laut Heiligenlegenden im so genannten Beinwunder das Bein eines toten ‚Mohren‘ an den Körper eines kranken Weißen. Beuys überschrieb in seiner Kunstaktion im Wortsinn die Doppeltürme des World Trade Center als Symbol des Finanzkapitalismus mit den Heiligennamen der Brüder, wobei er Cosmas in Cosmos umänderte, und überblendete damit den einheitlichen Architekturkörper des World Trade Center mit dem geheilten hybriden Patientenkörper des Beinwunders. Beuys Kunstaktion wurde als Plädoyer für die friedliche und gleichberechtigte Annäherung von Orient und Okzident interpretiert. Rund dreißig Jahre später wurden anlässlich der Ausstellung Kunst und Schock – Der 11. September und das Geheimnis des Anderen, die im Jahr 2002 im Haus am Lützowplatz in Berlin zu sehen war, 30 internationale Künstler, Autoren und Wissenschaftler gebeten, sich mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auseinanderzusetzen. In Zusammenarbeit mit der Kulturzeitschrift Lettre International präsentierte die Ausstellung die aus der zeitnahen Auseinandersetzung hervorgegangenen Bilder und Texte. Diese setzten sich mit dem symbolischen Schock der Anschläge, den Ursachen terroristischer Gewalt sowie differenten Betrachtungslogiken der Kunst, die sich einen Freiraum gegenüber politischen Imperativen erschafft, auseinander. Der Ausstellungstitel Kunst und Schock – Der 11. September und das Geheimnis des Anderen verwies einerseits auf den Moment des Schocks und der Betroffenheit und plädierte andererseits mit dem Begriff des Anderen für eine komplexe Betrachtung der Anschläge, die, so der Lettre International Chefredakteur Frank Beberich im Ausstellungskatalog, sich eine Sensibilität „für die Dramatik, für die Tragik des

5

Vgl. Thomas Zaunschirm: „Die arabischen Brüder von Joseph Beuys“. In: Neue Zürcher Zeitung vom 19. September 2001.

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Globalisierungsprozesses [...], für dessen politisch und ökonomisch motivierte Kurzschlüsse, die unterschiedliche geistige Orientierungen, spirituelle Werte und Zeitstrukturen zusammenschmelzen und aufeinander prellen lassen“6 erhalte. Die Kontextualisierung der New Yorker Terroranschläge im Spannungsfeld der Globalisierung eröffnete in der Ausstellung eine Perspektive, die über die Selbstbetroffenheit der USA und der westlichen Welt hinausging und zugleich die gängigen politischen Rhetoriken hinter sich ließ. Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme beschreibt in seinem Ausstellungstext Global Cities, Terrorismus. Fragile Urbanität einer vernetzten Welt den Symbolwert der Anschläge auf die Türme des World Trade Center: „Wie kein Gebäudekomplex von Downtown Manhattan repräsentierten die Twin Towers jene neue Ökonomie, die sich in den Global Cities räumlich materialisiert hatte. Die Twin Towers gaben der Südspitze Manhattans nicht nur physiognomisch ein neues Gepräge, das durchaus als letzter Triumph funktionalistischer Claritas verstanden werden kann. Sondern sie bildeten zusammen mit dem ebenfalls schwer beschädigten World Financial Center, der Börse der Wallstreet, die zuerst ins Zeichen der elektronischen Ökonomie getreten war, sowie den anrainenden BankenZentralen das Nervenzentrum einer Globalisierung. Diese beruht nicht mehr auf den klassischen Sektoren der Güterproduktion, sondern auf der Steuerungs- und Kontrollmacht der Finanzströme und Wirtschaftsdienste.“7

Mit Bezug auf die Arbeiten des US-amerikanischen Politgeographen Edward W. Soja sowie der US-amerikanischen Stadtsoziologin Saskia Sassen, die den Begriff der Global City prägte,8 beschreibt Böhme New York als

6

Frank Beberich: „Nachbeben. Vorwort“. In: Der Schock des 11. September und das Geheimnis des Anderen. Eine Dokumentation. Haus am Lützowplatz/Lettre International. Hrsg. von dems. Köln 2003, S. 9-12, hier S. 11.

7

Hartmut Böhme: „Global Cities, Terrorismus. Fragile Urbanität einer vernetzten Welt“. In: Der Schock des 11. September und das Geheimnis des Anderen, S. 153-166, hier S. 157, Hervorhebung im Original.

8

Vgl. Saskia Sassen: The Global City: New York, London, Tokyo. Princeton 2001. Siehe zum Überblick auch Saskia Sassen: „Global City: Internationale Verflechtungen und ihre innerstädtischen Effekte“. In: Hartmut Häußer-

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exemplarische Global City. Global Cities stellen Knotenpunkte im transnationalen Städtesystem der Finanz- und Kommunikationsströme dar und damit einen Stadttyp im Zeitalter der Globalisierung, der durch hochgradige räumliche und soziale Fragmentierung charakterisiert ist. Die urbane Struktur der Global Cities zeichnet sich durch die Dichotomie von hochfunktionalen, kapitalmächtigen, hermetisch abgeriegelten und sicherheitstechnisch bewachten, von Eliten bewohnten Geschäftszonen und verarmten, dysfunktionalen Randzonen aus. Diese duale Struktur bildet die sozialen und ökonomischen Verwerfungen und Brüche der Globalisierung innerhalb einer Stadt ab. Das World Trade Center stellte, so Böhme, die räumliche Verkörperung der hochkomplexen internationalen Finanzmarktprozesse dar und wurde als solche symbolisch angegriffen. Auch der französische Medienphilosoph Jean Baudrillard beschreibt in Der Geist des Terrorismus die Zerstörung des World Trade Center als symbolischen Angriff auf die westliche Welt- und Wirtschaftsordnung: „[...] die beiden Türme sind gleichzeitig ein körperlicher, architektonischer und ein symbolischer Gegenstand (der die finanzielle Potenz und den globalen Liberalismus symbolisiert). Der architektonische Gegenstand wurde zerstört, aber man zielte auf den symbolischen: Diesem galt die Zerstörungsabsicht.“9

Dass die symbolträchtige Zerstörung des World Trade Center als Verkörperung der globalen Wirtschaftsordnung den Schockmoment der Anschläge ausmachte, verdeutlichte noch einmal retrospektiv die Finanz- und Weltwirtschaftkrise von 2008/2009, als der Weltmarkt gänzlich zur globalen Metapher und zum Menetekel wurde. Die Terroranschläge des 11. September zeichnen sich weiterhin insbesondere durch die Verbindung von spektakulärer medialer Inszenierung und islamistischer Märtyrerkultur aus. Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel beschreibt die Rückkehr der Figur des Märtyrers auf die technisch hochgerüsteten Schauplätze kriegerischer Auseinandersetzungen:

mann/Walter Siebel (Hg.): New York. Strukturen einer Metropole. Frankfurt am Main 1993, S. 71-90. 9

Jean Baudrillard: Der Geist des Terrorismus. Hrsg. von Peter Engelmann. Wien 2002, S. 41.

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„Seit dem 11. September werden die internationalen Schauplätze von Krieg und Terror durch eine Wiederkehr von Bildern und Topoi geprägt, von denen man vorher annahm, daß sie historisch vergangenen, wenn nicht überwundenen Rhetoriken oder Ikonographien angehören. Die Rede vom heiligen oder gerechten Krieg oder von Schurkenstaaten, das Phänomen der Selbstmordattentäter, die sich als Märtyrer verstehen, sowie die Kontroversen um Völkerrecht, Souveränität und Menschenrechte haben zahlreiche Deutungsversuche motiviert, die den Diskurs der politischen Theorie im engeren Sinne überschreiten, indem sie auf Erklärungen der politischen Theologie zurückgreifen [...]“10

Demnach aktiviert der Neue Terrorismus ein Arsenal von Gewaltcodierungen, das als historisch überholt angesehen wurde, aber gegenwärtig mit neuer politisch-religiöser Energie aufgeladen wird, die sich in den politischen Rhetoriken und Bilderwelten zeigt. Hatte die Terrorismusforschung bereits seit den 1970er Jahren auf den Konnex von Massenmedien und Terrorismus verwiesen, erreichte die ambivalente Allianz in den Anschlägen vom 11. September eine neue Dimension. Als „Aufmerksamkeitsterror 2001“11 verdeutlichte das medial inszenierte Ereignis die Interdependenz zwischen einem hochgradig kommerzialisierten und globalisierten Primetime-Journalismus und dem terroristischen Gewaltakt. Die journalistische Krisenberichterstattung bot dem quotenträchtigen Terrorereignis ein Forum und übernahm zugleich das mediale Krisenmanagement durch die Überführung des Ereignisses in ein live broadcasting of history.

1. „Live Broadcasting of History“: Krisenberichterstattung und Medienereignis Die mediale Berichterstattung über die New Yorker Terroranschläge stellte ein neues Paradigma journalistischer Krisenkommunikation dar. Diese zeichnet sich grundsätzlich durch Überraschungseffekte, Situationen der

10 Sigrid Weigel: Walter Benjamin. Die Kreatur, das Heilige, die Bilder. Frankfurt am Main 2008, S. 57. 11 Stephan Alexander Weichert: „Aufmerksamkeitsterror 2001. 9/11 und seine Inszenierung als Medienereignis“. In: Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band II: 1949 bis heute. Bonn 2008, S. 686-693.

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Existenzbedrohung, knappe Zeitressourcen sowie akuten Entscheidungszwang aus.12 Im Fall des 11. September nahm die Krisenberichterstattung die Dimension eines globalen Medienereignisses an. Der Kommunikationswissenschaftler Stephan Alexander Weichert analysiert in seiner Studie Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen13 die Fernsehberichterstattung über die Terroranschläge. Weicherts Studie bezieht sich dabei auf das Konzept des Medienereignisses, das Daniel Dayan und Elihu Katz in ihrem Grundlagenwerk Media Events. The Live Broadcasting of History14 entwarfen. Weichert, dessen Forschungsarbeiten

12 Zur journalistischen Krisenkommunikation vgl. exemplarisch Martin Löffelholz: „Krisenkommunikation. Probleme, Konzepte, Perspektiven“. In: ders.: Krieg als Medienereignis. Opladen 1993, S. 11-23. Zur Berichterstattung über die Terroranschläge siehe vor allem Beuthner et al.: Bilder des Terrors. 13 Weichert: Die Krise als Medienereignis. Vgl. weiterhin ders.: „Krisen als Medienereignisse: Zur Ritualisierung mediatisierter Kommunikation im Fernsehen“. In: Carsten Winter (Hg.): Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden 2008, S. 311-328. Zum Medienereignis aus medien- und kulturtheoretischer Perspektive vgl. Christer Petersen: „Tod als Spektakel. Skizze einer Mediengeschichte des 11. Septembers“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven: Ästhetische Verarbeitungen, S. 195-218. 14 Daniel Dayan/Elihu Katz: Media Events. The Live Broadcasting of History. Cambridge, Mass./London 1992. Bisher liegt keine deutschsprachige Übersetzung des vor allem im angelsächsischen Raum prominenten Buches vor. Für eine erste Einführung siehe die Übersetzung eines Aufsatzes von Dayan/Katz: „Medienereignisse“. In: Ralf Adelmann/Jan O. Hesse/Judith Keilbach/Markus Stauff/Matthias Thiele (Hg.): Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz 2002, S. 413-454. Für einen prägnanten Überblick über das Konzept der media events sowie über den aktuellen Forschungsstand der Medienereignisforschung, der auch terminologische Arbeit leistet, vgl. Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 178-218. Siehe auch den Eintrag „Medienereignis“ von Guido Isekenmeier in: Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Vierte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar 2008, S. 469f. Vgl. weiterhin Irmela Schneider/Christina Bartz (Hg.): Formationen der Mediennutzung I: Medienereignisse. Bielefeld 2007 sowie Friedrich Lenger/Ansgar Nünning (Hg.): Medienereignisse der Moderne. Darmstadt 2008.

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wesentlich zur Verbreitung des Konzepts der Medienereignisse im deutschsprachigen Wissenschaftsraum beitrugen, erweitert und aktualisiert Dayans/Katz’ klassisches Medienereigniskonzept durch die Verbindung von Ritualforschung, Medienereignistheorie und Krisenkommunikationsforschung und definiert den 11. September als Medienereignis vom Typ Krise. Dayan/Katz entwarfen in Media Events. The Live Broadcasting of History eine funktionsorientierte Systematik ritueller Medienereignisse. Sie bezogen sich auf das Fernsehen als dominantes Leitmedium der zweiten audio-visuellen Medienrevolution, dessen Bedeutung nicht zuletzt die cultural studies unterstrichen,15 und definierten Medienereignisse grundsätzlich als „television genre“16. Ihrem Ansatz liegt ein Ritualverständnis von Fernsehkommunikation als Teil moderner Massenkommunikation zugrunde, demnach insbesondere dem Fernsehen in einer zunehmend mediatisierten Gesellschaft eine orientierende, stabilisierende Funktion und damit auch eine soziokulturelle Dimension zukommt. Für Dayan/Katz tritt diese beispielhaft bei Fernsehberichterstattungen zutage, die komplexe historische Ereignisse in wirkmächtige Medienereignisse mit spezifischen Erzählmustern, Bildästhetiken und Sozialfunktionen umwandeln. Nach Dayan/Katz zeichnen sich Medienereignisse durch drei wesentliche Aspekte aus: Sie können erstens mittels einer Fernseh-Grammatik beschrieben werden, erfüllen zweitens charakteristische Merkmale und können drittens nach Ereignistypen klassifiziert werden. Die Fernseh-Grammatik der Medienereignisse regelt als Ordnungsstruktur mittels der drei semiotischen Kategorien der Syntax, Semantik und Pragmatik die Beziehungen zu anderen Fernsehsendungen, der außermedialen Umwelt und den Zuschauern.17 Dabei beschreibt die syntaktische Relation das Verhältnis des Medienereignisses zur Programmstruktur und damit zu anderen Fernsehformaten und Sendeschienen: Medienereignisse unterbrechen den normalen Programmfluss fast aller Fernsehsender durch die Live-Berichterstattung eines außergewöhnlichen außermedialen Ereignisses. Die semantische Relation zielt auf die Bedeutungsebene in Bezug auf die außermediale Welt: Medienereignisse evozieren nach Dayan/Katz eine feierliche, auf Versöh-

15 Siehe zum Bsp. Stuart Hall: „Die strukturierte Vermittlung von Ereignissen“. In: Adelmann et al.: Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft, S. 344-375. 16 Dayan/Katz: Media Events, S. 2. 17 Vgl. Dayan/Katz: Media Events, S. 1-13.

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nung ausgerichtet Atmosphäre. Die pragmatische Relation zielt auf die Rezeptionswirkung, die als Emotionalisierung des Publikums beschrieben wird. Den einzelnen grammatikalischen Relationen der Fernsehgattung Medienereignis ordnen Dayan/Katz jeweils verschiedene Eigenschaften zu, deren Gesamtheit die konstituierende Merkmalsmatrix bildet.18 In Anlehnung an den Merkmalskatalog bei Dayan/Katz19 schlägt Weichert eine deutschsprachige Terminologie vor: Medienereignisse zeichnen sich demnach durch Simultanität, Zäsur, Konsonanz, Außermedialität, (Re)-Inszenierung, Distanzverlust, Versöhnung sowie Affektivität aus.20 Diese Eigenschaften sind nach Weichert für alle rituellen Medienereignisse konstitutiv. Folglich unterbrechen Medienereignisse als Fernsehgenre Alltagskommunikationen und mediale Sendeflüsse mittels einer LiveBerichterstattung, die an exklusiven Nachrichtenwertfaktoren ausgerichtet ist. Sie akkumulieren mediale Aufmerksamkeit und produzieren intermediale und interpersonelle Anschlusskommunikation. Weiterhin erreichen Medienereignisse ein großes Publikum, auf das sie emotionalisierende sowie identitäts- und gemeinschaftsstiftende Wirkung ausüben. Medienereignisse referieren zwar auf ein ihnen vorgängiges außermediales Ereignis, von dem sie aber in der massenmedialen Berichterstattung nicht zu trennen sind. Als dritten Aspekt unterscheiden Dayan/Katz die drei Medienereignistypen Wettbewerb (contest), Eroberung (conquest) und Krönung (coronation). Den unterschiedlichen Medienereignistypen liegen jeweils als Emplotment spezifische Erzählmuster zugrunde. Der Ereignistyp Wettbewerb umfasst periodisch wiederkehrende, geplante Veranstaltungen mit konkurrierendem Charakter und normativem Regelwerk wie Sportereignisse, Olympiaden oder Wahlkampfveranstaltungen, denen die Dichotomie Gewinner/Verlierer zugrunde liegt. Unter den Ereignistyp Eroberung fallen einmalige außergewöhnliche Errungenschaften wie bahnbrechende gesellschaftliche, wissenschaftliche oder kulturelle Leistungen, die mit einem

18 Vgl. zum Folgenden Dayan/Katz: Media Events; Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 185ff. 19 Dayan/Katz definieren Medienereignisse als live, interruptions, monopolistic, remote, preplanned, with reverence and ceremony, message of reconciliation, electrify very large audiences. Vgl. Dayan/Katz: Media Events, S. 5ff. 20 Zu den Begriffen vgl. Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 244-251.

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Helden-Narrativ unterlegt werden. Prominentes Beispiel ist die Mondlandung 1969. Der Ereignistyp der Krönung dient als Oberbegriff für Zeremonien wie Hochzeiten, Trauerfälle oder Beerdigungen, die tradierten Abläufen folgen, die beibehalten oder verändert werden können. Allen drei Ereignistypen ist gemeinsam, dass es sich um feierliche Medienereignisse, „holidays of mass communication“21, handelt, die bezogen auf das Publikum eine integrative und versöhnende Funktion besitzen. Nach Weichert liefert Dayans/Katz’ Theorie der rituellen Medienereignisse ein differenziertes Analyseinstrument für die Funktionslogik fernsehgebundener Medienereignisse. Überzeuge so einerseits der medienanthropologische Charakter der Theorie, der die soziokulturelle Dimension von Medienereignissen ausstelle, so sei jedoch andererseits Dayans/Katz’ Konzept auch vielfach kritisiert worden. Insbesondere das starre Schema der drei Ereignistypen, das sich ausschließlich auf feierliche Medienereignisse beziehe und keine Einordnungsmöglichkeit für konfliktive Medienereignisse biete, sei zum Zielpunkt der Kritik geworden.22 Der theoretische Zuschnitt von Dayans/Katz’ Medienereignistypologie kann aus der zeithistorischen Situation der Publikation von Media Events im Jahr 1992 erklärt werden, als im ‚weltpolitischen Frühling‘ nach dem Ende des Kalten Krieges sich scheinbar Das Ende der Geschichte23 abzeichnete. Jedoch angesichts der zahlreichen seit den 1990er Jahren geführten Medienkriege und den zunehmenden globalen Krisenherden eskalierender Gewalt erschien eine Erweiterung der Kategorien notwendig. Deshalb verbindet Weichert in seiner Studie die ritualorientierte Medienereignistheorie mit der Krisenkommunikationsforschung und liefert eine erweiterte und aktualisierte Definition des Medienereignisses: „Ritualisierte Medienereignisse sind außermediale, nicht-kommerzielle, von den Medien live übertragene und in besonderer (aber nicht zwingend der gleichen) Weise inszenierte Langzeitgeschichten, die – auch wenn sie nicht unmittelbar vorhersagbar sind oder ein konfliktives Geschehen präsentieren – den Alltag von Medien

21 Dayan/Katz: Media Events, S. 16. 22 Vgl. zur Kritik an Dayan/Katz ausführlich Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 205-218. 23 So die berühmte Studie von Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. München 1992.

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und Publikum unterbrechen und hochintegrative Funktionen erfüllen, indem sie die Gesellschaft an ihre Werte, Normen und Traditionen erinnern.“24

Demnach können Medienereignisse als medial „inszenierte Langzeitgeschichten“ mit „hochintegrative[n] Funktionen“ beschrieben werden, die komplexe Sachverhalte in erklärende und angesichts von Konflikten um so notwendigere sinnstiftende Medienerzählungen und Medienbilder transformieren. Als Erweiterung der drei klassischen Medienereignistypen Wettbewerb, Eroberung und Krönung führt Weichert deshalb den Medienereignistyp der Krise ein. Mit dem Medienereignistyp der Krise liegt erstmals eine Beschreibungskategorie für die mediale Berichterstattung über negative Extremereignisse vor. Die neue Kategorie umfasst Medienberichterstattungen über Naturkatastrophen, Technikunfälle, terroristische Anschläge und andere Krisenereignisse. Als prominente Beispiele für krisenhafte Medienereignisse führt Weichert den Reaktorunfall von Tschernobyl, den 11. September, die Tsunami-Katastrophe von 2004 und den Hurrikan Katrina von 2005 an.25 Medienereignisse des Typs Krise durchlaufen nach Weichert einen „dialektischen Phasenzyklus ritualisierter Krisenereignisse“, der die Phasen der „Liveness“, „Ästhetisierung“, „Dramatisierung“, „Ritualisierung“ sowie „Historisierung“ umfasst.26 Im Verlauf dieses Phasenzyklus wird die Krise medial konstruiert, repräsentiert und bewältigt, so dass die Massenmedien zur journalistischen Routine zurückkehren können. Weichert führt die fünf Phasen der massenmedialen Krisenrepräsentation und Krisendeeskalation exemplarisch am Beispiel der Medienberichterstattung am 11. September 2001 vor. Die erste Phase Liveness zeichnet sich durch verschiedene Formen der Live-Berichterstattung aus, die auf die mediale Konstruktion von Authentizität und Teilhabe zielen. Am 11. September 2001 brachte CNN bereits drei Minuten nach dem Einschlag des ersten Flugzeuges in den Nordturm des World Trade Center um 8.49 Ortszeit die Nachricht als breaking news.27 Spätestens mit dem Einschlag des zweiten Flugzeuges in den Südturm um 9.03 Ortszeit begann die Live-Berichterstattung, die bis

24 Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 218. 25 Vgl. Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 190. 26 Vgl. Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 258f. 27 Vgl. Weichert: Aufmerksamkeitsterror 2001, S. 690.

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zum Zusammenbruch der Twin Towers und der Evakuierung Manhattans andauerte und Live-Schaltungen zu Korrespondenten und Interviews mit Passanten umfasste. In der zweiten Phase der Ästhetisierung erfolgte eine Konvertierung des Materials der ersten Phase in bekannte Sendeformate. Die anfänglich irritierten Fernsehsender und überforderten Nachrichtenredaktionen, die anstelle neuer Hintergrundinformationen Videoschleifen der Katastrophenbilder sendeten, fanden zur journalistischen Routine zurück und unterlegten die New Yorker Live-Schaltung mit Bannern mit dem Titel war against America oder America under attack, die als erste Deutungsrahmen fungierten. Nachrichtenredaktionen in aller Welt übernahmen das Bildmaterial der Newsmonopolisten; das Medienereignis wies höchste Mediennutzungsdaten auf. Es wurden Sondersendungen angesetzt, in denen sichtlich schockierte Fernsehmoderatoren als Erzähler fungierten und dem Geschehen einen narrativen Rahmen gaben.28 So moderierten beispielsweise Peter Kloeppel und Ulrich Wickert im deutschen Fernsehen die Sondersendungen über die Anschläge. An diese medialen Rahmungen schloss die dritte Phase der Dramatisierung an, in der das Geschehen mittels vereinfachender Schemenbildungen interpretiert wurde. In diese Phase ist der Beginn der auf binären Oppositionen basierenden Rhetorik der Bush-Administration einzuordnen, die von einem Großteil der US-amerikanischen Medien übernommen wurde.29 In der vierten Phase der Ritualisierung entstanden durch Selektion und Wiederholung Schlüsselbegriffe und Schlüsselbilder, so beispielsweise die globalen Medienikonen der Anschläge.

28 Zur Narrativierung des Geschehens vgl. zum Bsp. Joan Kristin Bleicher: „Lesarten des Wirklichen. Narrative Strukturen der Live-Übertragung vom 11. September 2001“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 60-73; Knuth Hickethier: „Wie aus der Katastrophe eine Nachrichtengeschichte wurde. Ulrich Wickert und der ‚11. September‘“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 103112; Stefan Uhl: „Zwischen Moderation und Emotion: Wie deutsche Fernsehmoderatoren den 11. September bewältigen“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 113-133. 29 Vgl. Hans Kleinsteuber: „Terrorismus und Feindbilder. Zur visuellen Konstruktion von Feinden am Beispiel Osama Bin Laden und Saddam Hussein“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 206-237.

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In der abschließenden Phase der Historisierung wurde die Krisenbewältigung mittels Rückblicken und Retrospektiven abgeschlossen. Zu den erinnerungskulturellen Elementen dieser Phase zählen zum Beispiel die Fernsehberichterstattung über die Trauerfeier am Ground Zero anlässlich des ersten Jahrestages der Anschläge, die wiederum dem klassischen Medienereignistyp coronation entsprach, die in der New York Times erschienene Nachrufserie Portraits of Grief 30 sowie zahlreiche New Yorker Museumsausstellungen. Weiterhin wurde das Datum des 11. September 2001 als neuer Gedenktag in die Agenda der US-amerikanischen sowie einer globalisierten Erinnerungskultur aufgenommen.31 Die Medienberichterstattung am und nach dem 11. September 2001 löste im Nachhinein eine Debatte über die Leistungen und Defizite des modernen Echtzeit- und Krisenjournalismus aus, die durch einen hohen Grad an Selbstreflexivität gekennzeichnet war. Denn angesichts des Extremereignisses musste sich die journalistische Krisenberichterstattung zwischen Professionalitätsanspruch, Popularisierung und Boulevardisierung behaupten. Zudem markierte das Medienereignis 11. September einen mediengeschichtlichen Umbruch, stellt es doch rückblickend eines der letzten spektakulären Fernsehereignisse vor dem Niedergang der dominanten TVKultur dar, die zukünftig in die von mobilen Multifunktionsgeräten dominierte digitale screen culture integriert sein wird. Zusammenfassend war der 11. September ein sich im globalen mediaspace der Nachrichtenmedien konstituierendes transmediales und transnationales Medienereignis, dessen terroristische Botschaft an die Weltöffentlichkeit adressiert war. Dabei fungierte der Journalismus als erste kulturelle Deutungsinstanz, der das Krisenereignis mittels einer journalistischen Ereignisrekonstruktion und der narrativen Strukturierung durch Moderatoren in den Alltag überführte. Die normalisierende Funktion des Journalismus

30 Zur Nachrufserie und allgemein zur US-amerikanischen Erinnerungspolitik siehe kritisch David Simpson: 9/11. The Culture of Commemoration. Chicago 2006. 31 Zu einer transnationalen Erinnerungskultur vgl. Daniel Levy/Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Aktualisierte Neuausgabe. Frankfurt am Main 2007. Ihren Darlegungen nach konstituierte sich seit den 1970er Jahren eine globalisierte Erinnerungskultur mit einer spezifischen Erinnerungsästhetik, für die der Holocaust das Initial-Ereignis war.

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verdeutlicht besonders prägnant der Klappentext des von den Spiegelautoren Stefan Aust und Cordt Schnibben herausgegebenen Bandes 11. September. Geschichte eines Terrorangriffs32, an dem 18 Journalisten, darunter auch Alexander Osang und Dirk Kurbjuweit, beteiligt waren: „Brillanter Journalismus, präzise wie ein Sachbuch, spannend wie ein Roman“.

2. „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“: Kulturelle Krisenerzählungen Als „medial inszenierte Langzeitgeschichte“33 weist das Medienereignis 11. September eine narrative Dimension auf. Diese umfasst sowohl den Krisenplot des Medienereignisses als auch verschiedene kulturelle Anschlusserzählungen. Hatte Weichert im Kontext seiner Studie Die Krise als Medienereignis die Krise per Kurzdefinition als „Anfangspunkt einer bedrohlichen Entwicklung“34 bestimmt, so widmet sich der von Henning Grunwald und Manfred Pfister herausgegebene Band Krisis. Krisenszenarien, Diagnosen und Diskursstrategien35 ausführlich dem Deutungsmuster der Krise und rekapituliert deren Begriffs- und Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Nach Grunwald und Pfister beinhaltet jegliche Krisenmetaphorik die drei rhetorischen Elemente des Krisenszenarios, der Krisendiagnose und der Krisenakteure.36 Der Beginn einer Krise wird demnach durch ein Krisenszenario markiert, in dem sich unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte verschränken. Im Anschluss wird das Krisenszenario einer Krisendiagnose unterzogen, die für den weiteren Krisenverlauf verschiedene Rollenzuteilungen und damit Krisen-Akteure legitimiert. Fortan sind Krisendiagnostiker und Krisenmanager für Bewältigungsstrategien der Krise zuständig und entwerfen diskursive Strategien.

32 Stefan Aust/Cordt Schnibben (Hg.): 11. September. Geschichte eines Terrorangriffs. Stuttgart/München 2002. 33 Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 218. 34 Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 190. 35 Henning Grunwald/Manfred Pfister (Hg.): Krisis. Krisenszenarien, Diagnosen und Diskursstrategien. München 2007. 36 Vgl. zum Folgenden Henning Grunwald/Manfred Pfister: „Krisis! Krisenszenarien, Diagnosen und Diskursstrategien“. In: dies.: Krisis, S. 7-20.

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Der Anglist Ansgar Nünning untersuchte aus narratologischer Perspektive das im Fall des Medienereignisses 11. September relevante Verhältnis zwischen dem Erzählmuster der Krise und massenmedialen Krisenrepräsentationen.37 Seine Analyse der narrativen Dimension des Medienereignistyps der Krise betont dabei zwei Aspekte: die Kategorie der Ereignishaftigkeit, d.h. wann und unter welchen Umständen von einen Krisenereignis gesprochen wird, sowie die semantischen Implikationen der Krisenmetaphorik. Ausgehend von einem Ereignisbegriff, der dieses als Ergebnis eines Selektions- und Semantisierungsprozesses versteht, unterliegen nach Nünning Krisenereignisse spezifischen narrativen Diskursstrategien: „Krisenerzählungen beruhen auf einer besonderen Art der Konfiguration und des emplotment der jeweiligen Ereignisse und greifen auf kulturell verfügbare (Krisen-) Plots zurück. Wichtig für die Analyse jeglicher Repräsentationen von Medienereignissen des Typs ‚Krise‘ ist daher nicht nur die Auswahl der Geschehensmomente, sondern vor allem auch die narrative Anordnung des Materials zu bestimmten Erzählungen.“38

Dem fehlenden Ereignisbegriff der Geschichtswissenschaften, die trotz der Ereignisgeschichte kein Krisenereignis-Konzept aufweisen, setzt Nünning eine narratologische Ereignis-Definition entgegen. Er bezieht sich auf Wolf Schmid, der erstmalig Kriterien für Ereignishaftigkeit in fiktionalen Texten formulierte. Schmid zufolge kommt einer Situation Ereignishaftigkeit zu, wenn sie sich durch die Merkmale „Relevanz der Veränderung“, „Unvorhersagbarkeit“, „Folgelastigkeit“, „Unumkehrbarkeit“ und „Nicht-Wiederholbarkeit“ auszeichnet.39 Nünning plädiert in der Folge für die Übertragung der narratologischen Ereignisdefinition auf den Bereich der Historiografie, um mediale Repräsentationen historischer Ereignisse analysieren zu können. Weiterhin verweist er im Kontext der ubiquitären Krisenmetaphorik auf die Metapherntheorie und definiert die Metapher als Mini-Er-

37 Vgl. Ansgar Nünning: „Grundzüge einer Narratologie der Krise: Wie aus einer Situation ein Plot und eine Krise (konstruiert) werden“. In: Grunwald/Pfister: Krisis, S. 48-71. 38 Nünning: Narratologie der Krise, S. 61. 39 Vgl. Nünning: Narratologie der Krise, S. 57f. Dort Bezug auf Wolf Schmid: Elemente der Narratologie. Berlin/New York 2005, S. 24.

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zählung, die bestimmte Handlungsverläufe und Akteure impliziert.40 Die Metaphorik der Krise beziehe folglich ihr semantisches Potential aus der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes und dessen kontradeterministischer Verwendung in neuen Kontexten. Als Vokabel der antiken Medizin beschrieb die Krise den Verlaufspunkt einer Krankheit, an dem sich entschied, ob der Patient genesen oder sterben würde. Die metaphorische Übertragung des Bildspenders aus dem Bereich der Medizin impliziere für den Bildempfänger bestimmte Handlungsrollen wie Patient und Arzt, Verlaufsmuster wie Heilung oder Niedergang und Zustände wie Krankheit, Sorge oder Verschlimmerung. Die Auszeichnung einer Situation als Krise impliziere, so das Resümee des Aufsatzes, neben der Zuschreibung von Ereignishaftigkeit auch die auf der Krisenmetaporik basierenden Konfigurationen, Handlungsmuster und Diskursstrategien. Die nach dem Medienereignis 11. September zirkulierenden Krisenerzählungen weisen sowohl die rhetorischen Implikationen der Krisenmetaphorik als auch die Parameter der Ereignishaftigkeit auf. Wolfgang MüllerFunk beschreibt in Die Kultur und ihre Narrative41 die identitätsstiftende und sinngenerierende Funktion, die Erzählen und Erzählungen für Gemeinschaften besitzen. Besonders in Krisenzeiten dienen gemeinsame Geschichten als narrative Bewältigungsstrategien. So war nach dem Schock der New Yorker Anschläge das Bedürfnis nach sinnstiftenden kollektiven Erzählungen besonders groß. Folglich zirkulierten zahlreiche Erzählungen verschiedener „Erzählgemeinschaften“42 wie beispielsweise patriotische US-amerikanische Narrative zur Stärkung des Nationalgefühls, Betroffenheitsbekundungen der zur Weltöffentlichkeit deklarierten westlichen Welt sowie verschwörungstheoretische Spekulationen unterschiedlichster Provenienz.43

40 Vgl. Nünning: Narratologie der Krise, S. 63f. 41 Wolfgang Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. Wien/New York 2008. 42 Zum Begriff der Erzählgemeinschaft siehe Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative, S. 110, sowie zu latenten und manifesten Narrativen der Erzählgemeinschaft S. 101. 43 Zu Verschwörungstheorien anlässlich 9/11 vgl. die Beiträge von Karsten Wind Meyhoff: „Kontrafaktische Kartierungen. Verschwörungstheorie und der 11. September“. In: Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 61-79 sowie Steffi Hobuß: „,Die Wahrheit ist irgendwie da draußen‘. Verschwörungstheorien

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Die kulturellen Erzählungen über den 11. September gehören als offenkundige oder latente Narrative dem kollektiven Gedächtnis an. Aus der Vielzahl der kulturellen Erzählungen nach den New Yorker Terroranschlägen wurden im Rahmen dieser Studie drei exemplarische Krisenerzählung ausgewählt: zum ersten die auf dem Topos der Zäsur beruhende Erzählung über den 11. September als Tag, der die Welt veränderte, zum zweiten die religiös-patriotischen Krisenerzählungen der Bush-Administration sowie zum dritten die Erzählung über die transatlantische Krise zwischen Deutschland und Amerika. Unter einer kulturellen Erzählung wird dabei ein Narrativ einer Erzählgemeinschaft verstanden, das in unterschiedlichen medialen Ausformungen zirkuliert und die kollektive Identität maßgeblich prägt. Die mit globalem Anspruch auftretende Erzählung über den 11. September als Tag, der die Welt veränderte, manifestierte sich in der Sentenz „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“44, die bereits einen Tag nach dem Anschlägen auf den Titelseiten überregionaler deutscher Tageszeitungen zu finden war. Die Krisenerzählung beruht auf dem Topos der epochalen Zäsur, der sowohl in Bezug auf die geopolitischen Konsequenzen der Terroranschläge als auch in Bezug auf die kulturelle Verarbeitung der Anschläge angeführt wurde. Denn zum einen begann mit den New Yorker Terroranschlägen ein neues Paradigma asymmetrischer Kriegsführung.45 Die neue

zum 11.09.2001 und die Frage nach dem Entkommen aus der Skepzis“. In: Lorenz: Narrative des Entsetzens, S. 287-299. Beispiele für die Popularität von Verschwörungstheorien im deutschsprachigen Raum sind die Bestseller von Mathias Bröckers: Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. 9. Frankfurt am Main 2002 und ders./Andreas Hauß: Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11. 9. Frankfurt am Main 2003. Zur Kulturgeschichte der Verschwörungen siehe Manfred Schneider: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft. Berlin 2010. Zur Rhetorik der Betroffenheit vgl. Simoni: Betroffenheitsgesten in der Literatur nach 9/11 und ders.: „Betroffenheitsgesten in politischen, publizistischen und literarischen Antworten auf 9/11“. In: Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 81-99. 44 Vgl. Kai Dieckmann: „Kriegserklärung an die Menschheit“. In: Bildzeitung vom 12. September 2001 und Klaus-Dieter Frankenberger: „Ins Herz“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. September 2001. 45 Vgl. Münkler: Die neuen Kriege.

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Art der Kriegsführung erzeugt ein chronisches Bedrohungsszenario aus dem double bind von Angst und Sicherheitsstrategien, das in einem Sicherheitsparadox mündet, d.h. dass mit dem Sicherheitsgefühl das Gefühl der Bedrohung zunimmt und immer neue sicherheitsstrategische Maßnahmen evoziert, die dann wiederum als nicht ausreichend erlebt werden.46 Zum anderen wurde eine Zäsur in den diskursiven Bearbeitungen der Anschläge konstatiert. Der interdisziplinäre Sammelband 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien umreißt den sich abzeichnenden Wandel in den theoretischen und ästhetischen Auseinandersetzungen: „Gerade diese wiederkehrenden Aspekte wie der Rückbezug auf Trauma-Diskurse, Allegorisierung und Symbolisierung, der Einbruch des Realen in die Fiktion, Selbstreferentialität, die Verbindung des persönlichen Schicksals mit der Weltgeschichte, u.a. weisen auf eine ästhetische und kulturelle Zäsur, ausgelöst durch die Reaktion auf die Ereignisse des 11. September, hin.“47

Als Merkmale eines veränderten kulturellen und ästhetischen Diskurses nach 9/11 werden die Dominanz des kulturellen Deutungsmusters des Traumas, die Betonung der Selbstreferentialität sowie die Verschränkung von Lokalem und Globalem herausgearbeitet. Die Beiträge des Bandes 9/11 als kulturelle Zäsur konkretisieren den Topos der Zäsur in verschiedener Hinsicht. Sie zeichnen beispielsweise den Wandel hinsichtlich des Umgangs mit Kulturtheorien, Bildlichkeit und Emotionalität nach oder entwerfen in zeichentheoretischer Hinsicht eine „Semiotik der Zäsur“.48

46 Vgl. Herfried Münkler: „Strategien der Sicherheit. Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos. Theoretische Perspektiven“. In: ders./Bohlender/Meurer: Sicherheit und Risiko, S. 11-34, hier S. 12 47 Sandra Poppe: „Einleitung“. In: dies./Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 9-17. 48 Zur Semiotik der Zäsur vgl. Stephan Packard: „‚Whose Side Are You On?‘ Zur Allegorisierung von 9/11 in Marvels Civil War-Comics“. In Poppe/ Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 317-336, hier S. 322. Zu veränderten kulturtheoretischen Diskursen vgl. Thorsten Schüller: „Kulturtheorien nach 9/11“. In Poppe/ders./Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 21-38; zum Komplex Bildlichkeit und Emotionen vgl. Georgiana Banita: „9/11, YouTube und die

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Zugleich verweist der Band aber auch auf diskursive Kontinuitäten am Beispiel der Fortdauer neokonservativer Diskurse, die sich nur einer Rhetorik der Zäsur bedienen.49 Zusammenfassend dient die auf dem Topos der Zäsur beruhende Erzählung über den 11. September als Tag, der die Welt veränderte, zur Markierung und Konstituierung der Anschläge als irreversible Veränderung und als Indikator der historischen Ereignishaftigkeit. Jedoch verhindert oder zumindest erschwert die kulturelle Erzählung zugleich auch die historische Kontextualisierung und zeitpolitische Analyse der Anschläge. Friedrich Kittler brachte diesen Umstand provokativ auf den Punkt, als er fragte, wie die Weltmacht von heute zu den Feinden gekommen sei, die sie habe.50 Die nach den Anschlägen einsetzenden national-patriotischen Verlautbarungen der Bush-Administration werden als eine zweite Krisenerzählung betrachtet. Die auf Antagonismen beruhende Rhetorik der Bush-Administration über den Angriff des Bösen auf das christliche Amerika, den Heiligen Krieg, die Achse des Bösen und die Schurkenstaaten gipfelte in Bushs Ausspruch „‚Entweder ihr seid für uns oder ihr seid für die Terroristen‘“51. Der Krisendiskurs löste in den USA eine rigide publizistische Selbstzensur aus und lieferte einen Vorwand für die Einschränkungen der Bürger- und

neue Empfindsamkeit“. In Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 279-296. 49 Vgl. den Aufsatz von Lars Koch: „Nach 9/11: Die postsäkulare Gesellschaft und ihre neokonservativen Widersacher“. In: Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 39-69. 50 Vgl. Friedrich A. Kittler: „Von Staaten und ihren Terroristen“. In: ders./Étienne Balibar/Martin van Creveld: Vom Krieg zum Terrorismus? Mosse-Lectures Winter 2002/2003 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heft 120 (2003), S. 33-50, hier S. 36. Download am 13.02.2010 unter http://edoc.hu-berlin.de/doc views/abstract.php?-lang=ger&id=6135. 51 Zitiert nach Judith Butler: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Aus dem Englischen von Karin Wördemann. Frankfurt am Main 2005, S. 19 (Englische Originalausgabe: dies.: Precarious Life. The Politics of Mourning and Violence. London 2004). Zur Rhetorik der Bush-Administration siehe weiterhin Heinz Ickstadt: „Traditionen des paranoiden Denkens: Der 11. September und die Krise des amerikanischen Selbstbewusstseins“. In: Grunwald/Pfister: Krisis, S. 252-266.

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Freiheitsrechte sowie den Einmarsch in Afghanistan und den Irakkrieg.52 Die Krisenrhetorik der Bush-Administration traf auf eine Nation im Ausnahmezustand, den der New Yorker Essayist Eliot Weinberger mit dem Schock der US-Amerikaner in Folge des Attentats auf John F. Kennedy und der Ermordung Martin Luther Kings verglich.53 Die psychosozialen Energien der nationalen Trauerarbeit wurden mittels der binären Krisenrhetorik in einen aggressiven Patriotismus umgeleitet. Judith Butler beschreibt in ihrem politischen Essay Gefährdetes Leben die psychosozialen Prozesse, die Trauer in Melancholie und Gewalt umschlagen lassen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie angesichts der politischen Dynamik nach 9/11 Möglichkeiten einer gewaltfreien Reaktion auf die erlittene Gewalt zu denken wären. Ausgehend von der in der Körperlichkeit begründeten grundsätzlichen Verletzbarkeit des Individuums und der daraus resultierenden Interdependenz und Abhängigkeit plädiert Butler für eine gewaltfreie Ethik. Sie analysiert die diskursiven Sprachregelungen in den USA nach den Anschlägen: „Es gibt eine narrative Dimension [...]. In den Vereinigten Staaten beginnen wir mit der Geschichte, indem wir einen Erzählerstandpunkt in der ersten Person heraufbeschwören und dann erzählen, was am 11. September passierte. Es ist dieses Datum und die unerwartete und ganz entsetzliche Gewalterfahrung, die die Erzählung vorantreibt.“54

Butler resümiert, dass es im öffentlichen Diskurs nur schwer möglich sei, die Geschichte der Terroranschläge früher zu beginnen, höchstens als Vorgeschichte der Attentäter in Form einer persönlichen Pathologisierung von Osama Bin Laden oder Mohammed Atta. Strategien der Personifizierung, die Handlungen eindeutig auf ein Subjekt zurückführen, seien einfacher zu handhaben als die Vorstellung von al-Qaida als globalem Netzwerk. Die nationale Krisenerzählung aus der Perspektive der ersten Person Plural über den unerwarteten Angriff, die unschuldigen Opfer, den Heldenmut und den Willen, als Nation wieder aufzustehen, fungiert nach Butler für die USA als

52 Vgl. Ickstadt: Traditionen des paranoiden Denkens, S. 254. 53 Vgl. Eliot Weinberger: „New York: The Day After“. In: Der Schock des 11. September und das Geheimnis des Anderen, S. 193-200. 54 Butler: Gefährdetes Leben, S. 21.

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Rezentrierung des Nationalkollektives: „Es entsteht eine narrative Form, mit der die tiefe narzisstische Wunde kompensiert werden soll, die durch das öffentliche Sichtbarmachen unserer physischen Verwundbarkeit geschlagen wurde.“55 Butler lehnt diese narrative Form aber als verabsolutierend und vereinfachend ab und plädiert für dezentrierte Erzählungen, die früher beginnen. Die dritte Krisenerzählung umfasst das vor allem seit dem Irakkrieg spannungsvolle Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Der US-amerikanische Unilateralismus, die Präferenz militärischer Interventionen gegenüber Verhandlungen im Kontext internationaler Institutionen, ließ die unterschiedlichen politischen Kulturen offen zutage treten. Der Diskurs über die Unterschiede zwischen der Alten und Neuen Welt, Europa und Amerika, wurde auch in der deutschen Öffentlichkeit geführt. Die Betroffenheit angesichts der Terroranschläge und der emotionalisierende Vergemeinschaftungseffekt des Medienereignisses führten in Deutschland anfangs zur Bildung einer temporären Affektgemeinschaft mit den USA, die in der Sentenz ‚Wir sind alle Amerikaner‘ mündete: In Berlin trug das Brandenburger Tor einen Trauerflor mit der Aufschrift: Wir trauern – our deepest sympathy. Doch die einstimmige deutsche Identifikation mit den Vereinigten Staaten, die aus einem Verständnis der Anschläge als Angriff auf die Gesamtheit der westlichen Welt entstand, veränderte sich im Laufe der sich abzeichnenden US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik. Waren sich die intellektuellen Meinungsführer in der deutschen Öffentlichkeit in der Verurteilung der Tat als Angriff auf die westliche Welt und Werteordnung einig, gingen die Meinungen über die US-amerikanischen militärischen Reaktionen auseinander. Es entbrannte eine Amerika-Debatte, die von Amerikanismus und Antiamerikanismus geprägt war und damit den gängigen Mustern des schon immer ambivalenten deutschen Amerika-Diskurses entsprach.56 Vor allem die US-amerikanische Interpretation des nach dem

55 Butler: Gefährdetes Leben, S. 23. 56 Zur Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert und zur Amerika-Debatte nach 9/11 siehe Andrea Payk-Heitmann: „,Freundschaftsdienste‘ im Nachhall des Terrors“. In: Lorenz: Narrative des Entsetzens, S. 249-266; Alexander Stephan: „Vom Antiamerikanismus zum Systemkonflikt. Deutsche Intellektuelle und ihr Verhältnis zu den USA“. In: Jochen Vogt/ders.:

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Zweiten Weltkrieg aus den Vereinigten Staaten nach Europa importierten Demokratie- und Freiheitsverständnisses wurde angesichts des hegemonialen US-Unilateralismus und insbesondere angesichts des ungeklärten rechtlichen Status der Insassen des Gefangenlager Guantànamo Bay auf Kuba zu einem Hauptpunkt der Kontroverse. Die deutsche Amerika-Debatte nach dem 11. September besaß vor allem zwei Funktionen. Zum einen diente sie, so die These Klaus Scherpes, ausgehend von der Reflexion der deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945 als Anlass zur Neupositionierung eines vereinigten Deutschlands zu den USA. War das Verhältnis der ehemaligen BRD zu den Vereinigten Staaten besonders prägend für die kollektive Identität der Westdeutschen gewesen, Scherpe beschreibt das Verhältnis als Vater-Imago mit den dazugehörenden Generationskonflikten, veränderte sich das Bindungsmuster mit dem Ende des Kalten Krieges und der Vereinigung Deutschlands.57 Die Amerika-Debatte kann zum anderen auch als Bestandteil eines übergeordneten Diskurses über die grundsätzliche Positionierung Europas gegenüber den Vereinigten Staaten und somit über die Suche nach einer neuen europäischen Identität seit den politischen Transformationsprozessen nach 1990 interpretiert werden. Die europäische Neupositionierung zeigte sich insbesondere in den kritischen Reaktionen auf die US-militärischen Interventionen, die vor dem Hintergrund der europäischen Kriegserfahrungen des 20. Jahrhunderts abgelehnt wurden. Diese Position vertraten exemplarisch Jacques Derrida und Jürgen Habermas in ihrem Aufruf Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas58. Angesichts der polarisierenden AmerikaDebatte bemerkte der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht an: „Vielleicht stehen sich auf beiden Seiten des Atlantiks unvereinbar zwei Arten von Fundamentalismus gegenüber, welche beide in Anspruch nehmen, die normative Wirklichkeit des Westens zu sein. Der amerikanische Fundamentalismus: die Kon-

Das Amerika der Autoren. Von Kafka bis 09/11. München 2006, S. 407-429; Klaus R. Scherpe: „Fear and Loathing after 9/11. German Intellectuals and the America-Debate“. In: Ruth Starkman (Hg.): Transformations of the new Germany. New York 2006, S. 55-68. 57 Vgl. Scherpe: Fear and Loathing after 9/11. 58 Jacques Derrida/Jürgen Habermas: „Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Mai 2003.

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vergenz aus religiöser Gewissheit und dem Glauben an die Freiheit des Individuums als Grundlage wirtschaftlicher Prosperität, als Doppelerwartung innenpolitischer Zurückhaltung und außenpolitischer Entschlossenheit seitens des Staates – dieser amerikanische Fundamentalismus ist in Europa bekannt und wohl auch hinreichend kritisiert worden. Es ist nun Zeit für die kritischen Freunde Amerikas in Europa, die Konturen ihres eigenen Fundamentalismus zu entdecken: die Erwartung der universellen Sorgepflicht eines Staates, der außenpolitisch nicht entlang nationaler Interessen, sondern in Verwirklichung von Menschheitsidealen agieren soll – verbunden mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber religiösen Lebensformen und gegenüber dem Wert der individuellen Freiheit.“59

Gumbrecht verweist auf den Amerikanischen Traum als europäische Projektion, auf Fundamentalismen auf beiden Seiten des Atlantiks und plädiert für eine nuancierte Betrachtung des Anderen, die Differenzen anerkennt. Zusammenfassend dienten die drei vorgestellten Krisenerzählungen, die sich an die journalistische Ereignisrekonstruktion des 11. September anschlossen, als narrative Bewältigungsstrategien, sei es in der Ausrufung einer epochalen Zäsur, in der Beschwörung nationaler Stärke und Einheit der USA oder in der Erzählung über die politische Emanzipation eines sich transformierenden Deutschlands und Europas. Dass kollektive Krisenerzählungen an ihre historischen Entstehungskontexte gebunden sind und jeweils nur innerhalb eines limitierten Zeitraums gültig sind, zeigte sich insbesondere im Vorfeld des zehnten Jahrestages der Anschläge: Das Jahr 2011 war Anlass für zahlreiche bilanzierende Veranstaltungen und Publikationen, die u.a. die Rhetorik des Epochenbruchs relativierten und eine Rhetorik des Abschieds von der Katastrophe etablierten.60

59 Hans Ulrich Gumbrecht: „Freunde Amerikas. Ist der amerikanische Traum in Wirklichkeit eine Erfindung der Europäer? Über einige Missverständnisse in einer schwierigen Beziehung“. In: Literaturen 7/8 II (2006), S. 18-22, hier S. 22. 60 Vgl. zum Bsp. die Veranstaltung Zehn Jahre 9/11. Politik, Sprache, Bilder im 21. Jahrhundert. Eine Veranstaltung von Haus der Kulturen der Welt, Forum Transregionale Studien und Stiftung Zukunft Berlin am 28. und 29. Mai 2011 in Berlin. Vgl. zum Topus der Zäsur: Thorsten Schüller/Sascha Seiler (Hg.): Von Zäsuren und Ereignissen. Historische Einschnitte und ihre mediale Verarbeitung. Bielefeld 2010; zur Relativierung der Zäsur: Michael Butter/Birte Christ/ Patrick Keller (Hg.): 9/11 – Kein Tag, der die Welt veränderte. Paderborn 2011

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3. „Im Rein-Raum der Global City“: Global Village, Ground Zero und Wounded New York Das Medienereignis 11. September weist parallel zu den narrativen Verdichtungsprozessen auch eine räumliche Dimension auf. Medienereignisse sind grundsätzlich durch die Doppelbewegung der Ver- und Entortung gekennzeichnet: Ausgehend vom konkreten Ort des historischen Geschehens werden in medialen Prozessen translokale Kommunikationsräume erschlossen. Der 11. September veranschaulicht exemplarisch als zugleich lokales Ereignis in den USA und globales Medienereignis die Ver- und Entortungsdynamiken im Zeitalter der Echtzeitmassenmedien. Der globalen Ausstrahlung der Medienbilder und damit ihrer räumlichen Entortung im global village (McLuhan) stehen komplementär, so konstatieren Nils Werber und Rudolf Maresch, „Permanenzen des Raums“61 gegenüber, wie beispielsweise dominante Erinnerungsorte, Kriegszonen der Gewalt und die Wiederkehr geopolitischer Machtstrategien und dichotomer Raumordnungen im so genannten Krieg gegen den Terror verdeutlichen. In der öffentlichen Aufmerksamkeit avancierte das als Ground Zero bezeichnete Areal des ehemaligen World Trade Center in New York zum zentralen Erinnerungsort für die Anschläge. Wurde medial das beschädigte Gebäude des Pentagons aus Gründen der Geheimhaltung nicht zum Schauplatz konstruiert und entbehrte der Absturzort des entführten Flugzeuges United Airlines 93 bei Shanksville im US-Bundesstaat Pennsylvania außer einem Krater weiterer Nachrichtenfaktoren, so kann hinsichtlich der Symbolkraft von Ground Zero geradezu von einer Überkompensation der Unzugänglichkeit der anderen zwei Schauplätze des Verbrechens gesprochen werden. Dass der Flug United Airlines 93 in den USA zum nationalen Mythos erklärt wurde, auf den zahlreiche Filme wie beispielsweise United 93

sowie Bernd Greiner: 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen. München 2011, der vor allem die Folgen der Anschläge für die US-amerikanische Innen- und Außenpolitik präzisiert. 61 Vgl. Rudolf Maresch/Niels Werber: „Permanenzen des Raums“. In: dies. (Hg.): Raum – Wissen – Macht. Frankfurt am Main 2002, S. 7-30. Vgl. auch Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg 2006, S. 289.

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Bezug nehmen, ist in diesem Zusammenhang als Ersatzstrategie für eine nicht mögliche Verortung anzusehen.62 Der Erinnerungsort Ground Zero bezieht seine Wirkmächtigkeit auch aus der Überlagerung zweier kultureller Topoi: dem Topos der Metropole und dem Topos der zerstörten Stadt, wobei letzterer das Verhältnis zwischen Stadt und Krieg beziehungsweise Katastrophe einschließt. Die Stadt New York ist exemplarisch mit dem Mythos der Metropole verknüpft, der spezifische Stadtfigurationen und Oppositionsraster umfasst.63 Der Mythos New Yorks als Metropole der Hypermodernisierung und Urbanisierung, als Portal zur Neuen Welt, als big apple und melting pot prägte entscheidend das kollektive Imaginäre des 20. Jahrhunderts. Die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel führen als Gründe für die anhaltende Faszination New Yorks das Versprechen der kulturellen und ethnischen Heterogenität, das die Stadt zu einem Zentrum der Immigration werden ließ, die räumliche Konzentration auf Manhattan, den rasanten Stadtwandel, die „lokale Einheit von Glamour und Slum“64 sowie die Ausprägung einer „vollkommene[n] Marktgesellschaft“65 an. Die Merkmale der sozialen Segregation und des kapitalistischen Kalküls der Marktgesellschaft sind Charakteristika der Global Cities. Das zerstörte Areal des Welthandelszentrums evozierte weiterhin den kulturellen Topos der zerstörten Stadt. Dieser zählt seit der Antike zum kulturellen Imaginären und ist emblematisch mit städtischen Trümmer- und Ruinenlandschaften verbunden.66 Während die Erinnerungen an die Ruinenstädte des Zweiten Weltkrieges fest im europäischen Gedächtnis verankert sind und anlässlich der in den 1990er Jahren einsetzenden Debatte

62 Siehe zum Flug United Airlines 93 auch Jan Tilman Schwab: „Amid the Chaos Extraordinary Choices – Zum Selbstmordmotiv in Filmen und Diskursen über den 11. September 2001“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 277-312. 63 Vgl. Gotthard Fuchs/Bernhard Moltmann (Hg.): Mythos Metropole. Frankfurt am Main 1995. 64 Hartmut Häußermann/Walter Siebel: „Lernen von New York?“ In: dies.: New York, S. 7-26, hier S. 31, Hervorhebung im Original. 65 Häußermann/Siebel: Lernen von New York, S. 23. 66 Vgl. Andreas Böhn/Christine Mielke (Hg.): Die zerstörte Stadt. Mediale Repräsentationen urbaner Räume von Troja bis SimCity. Bielefeld 2007.

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über den Bombenkrieg und zuletzt 2005 anlässlich des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges aktualisiert wurden, stellte die innerstädtische Ruinenlandschaft an der Südspitze Manhattans für die USA ein Novum dar. Hartmut Böhme beschrieb die Auswirkungen auf den Stadtraum folgendermaßen: „Der Angriff auf die Twin Towers entfesselte mitten im Rein-Raum der Global City eine Kriegsruinen-Szenerie von wahrlich grandiosem Ausmaß: ein Bild der vierten Welt, doch auch ein immerwährender Friedhof, weil es undenkbar ist, die Leichen, die keine sind, zu bergen.“67

Um den urbanen Kriegsschauplatz zu überlagern, wurde die zerstörte Stadtfläche unverzüglich in vorgängige kulturelle Semantiken eingebunden und in zweifacher Hinsicht inszeniert: Zum einen wurde Ground Zero im rhetorischen Diskurs als Wunde der Stadt bezeichnet, zum anderen wurde hinsichtlich der visuellen Darstellungen vor allem die zerstörte Stahlkonstruktion der Twin Towers mittels einer Ruinenästhetik inszeniert. Die Rede von „Wounded New York“68, die den Imaginationsraum von Ground Zero als Wunde des Stadtkörpers eröffnet, basiert auf der KörperStadt-Analogie und damit der wechselseitigen Beeinflussung von Körperund Stadtkonzepten in je spezifischen historisch-kulturellen Situationen, die der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett in seinem Klassiker Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation69 beschrieb. Weiterhin evoziert die Metapher des verletzten New Yorker Stadtkörpers auch die Vorstellung eines verletzten Kollektivkörpers als politische Figuration der Nation. Die Terroranschläge vom 11. September wurden von Seiten der USA in diesem Sinne auch als Verwundung des Nationalkollektives erlebt. Diese Wundmetaphorik, ob im Bereich des Stadtkörpers oder des Nationalkollektives, verweist auf die noch zu charakterisierende wound culture hin. Innerhalb dieser wurde Ground Zero auch, so der Kunsthistoriker Tom Holert, unter dem Label eines „dark tourism“ zum

67 Böhme: Global Cities, S. 162. 68 Judith Greenberg: „Wounded New York“. In: dies. (Hg.): Trauma at Home. After 9/11. Lincoln/London 2003, S. 21-35. 69 Richard Sennett: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Aus dem Amerikanischen von Linda Meissner. Berlin 1997.

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Objekt eines touristisch-voyeuristischen Blickes, der sich an „Frakturen des Stadtbildes“ und an Schauplätzen von Kriegen, Naturkatastrophen und Terroranschlägen weidet.70 In den Medienbildern von Ground Zero wurde der verwundete Stadtkörper mittels der Ästhetik und Ikonographie der Ruine inszeniert. So schrieben besonders die Bilder der zerborstenen Stahlträger des World Trade Center sich in die kunsthistorische Traditionslinie der Darstellung von Ruinen ein.71 Hartmut Böhme charakterisierte die Ästhetik der Ruine als eine Ästhetik des Fragmentarischen und Erhabenen, die grundsätzlich einen Erinnerungsanspruch impliziert.72 Im Fall Ground Zeros trat dieser in den Debatten um die Neubebauung des Areals und den Kontroversen um die Konzeption einer Gedenkstätte zutage. Der Topos des Krieges, der mit dem Topos der zerstörten Stadt verbunden ist, wurde einerseits exemplarisch durch Ground Zero als Bezeichnung für das ehemalige Areal des World Trade Center evoziert, bezeichnet der Ausdruck doch den Abwurfplatz einer Atombombe. Andererseits fanden und finden Kriege weiterhin ihre gewaltvolle Realität vor allem jenseits der Global Cities in den von Maresch und Werber beschriebenen Kriegszonen einer neuen dichotomen Weltordnung und in den gewaltvollen Bildern des Bilderkrieges.

4. „Ökonomien und Politiken des Visuellen“: WTC Bildkomplex und Bilderkrieg Der 11. September war nicht nur ein globales Medienereignis, sondern auch ein signifikantes Bild-Ereignis. Die absichtsvoll im Rahmen einer terroristischen Bildstrategie produzierten Medienbilder der Zerstörung des

70 Vgl. Tom Holert: „Zerstörung zum Bild. Medialität der Stadt und Diskurse der Verletzung“. In: Rainer Dempf/Christoph Steinbrener (Hg.): Delete! Die Entschriftlichung des öffentlichen Raums. Wien 2006, S. 107-115, hier S. 11. 71 Vgl. dazu Susanne H. Kolter: „Architecture Criente: Nine Eleven zwischen Katastrophenästhetik, biblischem Strafgericht und Dekonstruktivismus“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 345-367. 72 Vgl. Hartmut Böhme: „Die Ästhetik der Ruinen“. In: Dietmar Kamper/ Christoph Wulf (Hg.): Der Schein des Schönen. Göttingen 1989, S. 287-304.

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World Trade Center erlangten den Status globaler Medienikonen.73 Als Bilder des Terrors74 lösten sie Angst und Schrecken aus, dokumentierten sie doch die Verwundbarkeit der Supermacht USA, und zirkulierten im neuen Bilderkrieg nach 2001. Nicht zuletzt evozierten die Bilder der Anschläge auch einen Metadiskurs über Medienrealität, Visualität und Politik, dessen Brisanz in der Dominanz des Visuellen in der Medienkultur der Gegenwart begründet ist. Seit der Ausrufung einer historischen und strukturellen Bildwende, die 1992 vom US-amerikanischen Kunsthistoriker William J.T. Mitchell als pictorial turn sowie zwei Jahre später vom deutschen Kunsthistoriker Gottfried Boehm als iconic turn verkündet wurde, stieg die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für die gesellschaftliche Bedeutung von Gebrauchsformen des Visuellen. Denn in einer globalen, hochgradig visuell konditionierten Mediengesellschaft organisieren sich gesellschaftliche Kommunikation und politische Öffentlichkeit zunehmend über die Kommunikation mit und in Bildern. Unter dem Stichwort der visuellen Kulturen avancieren die kulturellen Bedeutungen und Verwendungen von bildlichen Repräsentationen und Denkformen, die Vielzahl visueller Wahrnehmungspraktiken und Produktionsmechanismen sowie die medialen Differenzen, Konkurrenzen und Interaktionen der Bilder zu bildwissenschaftlichen Forschungsgegenständen.75

73 Zum Begriff der globalen Ikone vgl. Lydia Haustein: Global Icons. Globale Bildinszenierungen und kulturelle Identität. Göttingen 2005, insbesondere das Kapitel „Globale Ikonen – Politische Ikonen“, S. 193-232. 74 Beuthner et al.: Bilder des Terrors. 75 Aus dem überaus umfangreichen kunsthistorischen und bildwissenschaftlichen Forschungsstand zur visuellen Kultur seien hier beispielhaft erwähnt: Zum iconic turn als neues kulturwissenschaftliches Paradigma vgl. Doris BachmannMedick: „Iconic Turn“. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 300f. sowie vertiefend das Kapitel zum iconic turn in dies.: Cultural Turns, S. 329-380. Zum Forschungsfeld der visual culture studies siehe einführend Nicholas Mirzoeff: An introduction to visual culture. London u.a. 2009 sowie den Überblick von Ronja Tripp: „Visual Culture Studies“. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 748f. Zahlreiche anschauliche Beiträge zur Thematik bieten auch die Sammelbände von Christa Maar/Jan Assmann (Hg.): Iconic

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Vor dem Hintergrund der visuellen Kultur der Gegenwart analysiert Tom Holert in seiner Studie Regieren im Bildraum76 die mit den Medienbildern des 11. September verbundene Politik des Visuellen. Holert geht dabei von einem globalen digitalen Bildraum aus, der einerseits durch die zunehmende Verzahnung von Subjektivität und medialer Visualität, andererseits durch die zunehmende Ökonomisierung und Professionalisierung des Visuellen gekennzeichnet ist. Die Gesamtheit der im globalen digitalen Bildraum produzierten, immer mehr in Bezug auf Bildgattungen hybridisierten und in visuelle Markt- und Aufmerksamkeitsökonomien eingebetteten Bilder unterliegt, so Holert, einer Politik der Sichtbarkeit, die über verschiedene Stufen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit entscheidet. Denn der Bildraum ist primär ein sozialer Raum, in dem „Bilder vor allem ziel- und zweckgerichtet gebraucht werden, und zwar selbst dann, wenn sie die ihnen ursprünglich zugewiesenen Zwecke verfehlen und in unvorhergesehenen Verwendungskontexten auftauchen“77. Holert versteht Bilder demzufolge in erster Linie als instrumentelle Bilder, die zielgerichtet in Kommunikationsprozesse eingebunden werden, auch wenn mit ihnen ein multifunktionales Bilderhandeln verbunden ist. Mit diesem bildpragmatischen Verständnis grenzt er sich vor allem von William J.T. Mitchells Frage What do Pictures Want? The Lives and Loves of Images78 und dem damit verbundenen Konzept einer eigenen Handlungsmacht (agency) der Bilder ab. Vielmehr betont Holert die Verschränkung von Visualität und Politik und damit eine visuelle Gouvernementalität, die er am Beispiel des 11. September erläutert: „Der 11. September 2001 war Anstoß für Ökonomien und Politiken des Visuellen, welche Bilder und Bild-Texte produzieren, die einerseits zur affektiven Modulierung der Subjekte beitragen, andererseits diese kriminalistisch identifizieren und (maschinen-)lesbar machen sollen, sie mithin als zu regierende Subjekte gleichzeitig hervor- wie zum Verschwinden bringen. Zweifellos erfolgen die medialen Repräsen-

Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln 2004 und Christa Maar/Hubert Burda (Hg.): Iconic Worlds. Neue Bilderwelten und Wissensräume. Köln 2006. 76 Tom Holert: Regieren im Bildraum. Berlin 2008. 77 Holert: Regieren im Bildraum, S. 29, Hervorhebung im Original. 78 So der Titel der Studie von William J.T. Mitchell: What do Pictures Want? The Lives and Loves of Images. Chicago/London 2005.

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tationen der Ereignisse (vom Einschlag der Flugzeuge im World Trade Center bis zu den Inszenierungen einer Politik der Emotionen und der Vergeltung eines neokolonialistischen Nationalismus) und deren militärisch-bürokratische Effekte (von den Bombenangriffen auf Kabul oder Bagdad, über die Iris-Scans an den Einreiseschleusen der Flughäfen bis zur fotografisch gestützten Folter von Abu Ghraib) in sehr unterschiedlichen Registern des Visuellen.“79

Demnach etablierte das Medienereignis 11. September ein visuelles Tableau von unterschiedlichen kulturellen Ikonographien und Bildtechnologien, das zum Beispiel Pathosformeln der Trauer sowie militärisch genutzte Bildverfahren umfasst. Die Bildeffekte der unterschiedlichen Bildersphären erzeugten unterschiedliche Subjektmodulierungen, die beispielsweise in Gestalt der Trauernden, der patriotischen Bürger, des Soldaten und des Terroristen figurierten. Holerts Studie verdeutlicht anhand von Mikroanalysen die „Ökonomien und Politiken des Visuellen“80 nach dem 11. September, die sowohl im Bereich der öffentlichen Bildersphäre als auch im Bereich der Subjektivierungen wirksam sind. Die Kunstwissenschaftlerin Birgit Richard bezeichnet in ihrem Aufsatz 9-11. World Trade Center Image Complex + ‚shifting image‘ das heterogene visuelle Tableau der 9/11-Medienbilder als „WTC Bildkomplex“81. Sie bezieht sich in ihrer Analyse auf den Begriff des image, der im Gegensatz zum deutschsprachigen Bildbegriff eine Differenzierung zwischen immateriellen Bildern (images) und materiell gebundenen Bildern (pictures) leistet. Auch Holert unterscheidet zwischen beiden Bildarten: „Während images keinen festen physischen Träger haben, sondern in variablen medialen Aggregatzuständen erscheinen, weisen pictures eine spezifische Körperlichkeit auf.“82 Unter dem WTC Bildkomplex versteht Richard ein Bildcluster, in dem sich um das Ereignis 9/11 simultan Bilder unterschiedlicher Bildsorten aus diversen Gesellschaftsbereichen ansammeln. Demnach ist die Kette der vernetzten images des WTC Bildkomplexes potentiell endlos. Der WTC Bildkomplex umfasst so beispielsweise die Medienbilder der

79 Holert: Regieren im Bildraum, S. 21, Hervorhebung im Original. 80 Holert: Regieren im Bildraum, S. 21. 81 Birgit Richard: „9-11. World Trade Center Image Complex + ‚shifting image‘“. In: Kunstforum International: Das Magische 164 (2003), S. 36-73, hier S. 36. 82 Holert: Regieren im Bildraum, S. 27, Hervorhebung im Original.

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Anschläge, Fotografien der Ruinen des World Trade Center, photo ops mit Bush am Ground Zero, Filmstills aus Katastrophenfilmen wie Independence Day, Armageddon, Godzilla, Amateur-Aufnahmen, Propagandabilder und -videos von Osama Bin Laden sowie Satellitenbilder und Infrarotbilder aus dem Irakkrieg. Nach Richard ist dieser Bildkomplex ständigen Bildbewegungen unterworfen: „In Bezug auf den WTC Bildkomplex macht es keinen Sinn, isolierte Einzelbilder zu betrachten. Es gibt kein großes stilles Bild [...], sondern nur ein immer neue Bedeutungen entwerfendes shifting image. Das Bild wird nicht als feste Entität aufgefasst. Die visuellen Relationen zwischen Bildern unterschiedlichster gesellschaftlicher Systeme, die die Bilder erst zu sozialen Bedeutungsträgern und Generatoren von Wissen werden lassen, stehen im Mittelpunkt. Bilder sind konnektive Knotenpunkte in rhizomatischen, unhierarchischen, transkulturellen Bilduniversen, wie sie sich z.B. im Internet formieren. Schlüsselbilder mit starker ästhetischer Ausstrahlung bringen mit ihrer Erscheinung die angelagerten Bilder in Bewegung und führen zu Verwerfungen, die ungewollte Bilder zudecken. Jedes sichtbare und unsichtbare Bild, das in der Nachbarschaft der Schlüsselbilder liegt, findet einen neuen Platz in der Struktur.“83

Demnach treten im WTC Bildkomplex als shifting image dominante Schlüsselbilder hervor, die anliegende Bildbereiche strukturieren, indem sie visuelle Relationen erzeugen, Bildnachbarschaften aufbauen und eine Politik der Sichtbarkeit im globalen digitalen Bildraum erzeugen. Die dominanten Schlüsselbilder und Schlüsselbildsequenzen des WTC Bildkomplexes sind zweifelsohne die technischen Nachrichtenbilder der New Yorker Terroranschläge, die mittlerweiler fester Bestandteil des transnationalen kulturellen Gedächtnisses sind. So wurden das NBC-Fernsehbild des Anflugs von United Airlines 175 auf den Südturm des World Trade Center und Richard Drews Fotografie The Falling Man im zweibändigen Bildatlas Das Jahrhundert der Bilder, der die Geschichte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts anhand von Bildern des kollektiven Gedächtnisses rekapituliert, kanonisiert.84

83 Richard: WTC Image Complex, S. 41, Hervorhebung im Original. 84 Vgl. Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band I: 1900-1945. Göttingen 2009 sowie ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band II: 1949 bis

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Die Bildsequenzen der New Yorker Terroranschläge zeichnen sich durch das double bind zwischen einer spezifischen Bildästhetik der Distanz und einer emotionalisierenden Bildrezeption aus. Die Bildästhetik der Distanz beruhte auf spezifischen Bildstrategien wie beispielsweise der Bevorzugung einer Panoramaperspektive gegenüber einer Nahperspektive: Zahlreiche Fernsehaufnahmen orientierten sich an der brennenden Skyline und damit an Bildproportionen, die nicht den Größenverhältnissen der menschlichen Gestalt, sondern denen der New Yorker Hochhausarchitektur entsprachen. Auch das selbst auferlegte journalistische Abbildungsverbot, keine Opfer und Verletzten der Anschläge zu zeigen, unterstützte diese kühle Ästhetik. Anstelle von Opfern und Verletzten wurden die Ruinen des World Trade Center oder Helfer- und Retterfiguren wie Feuerwehrmänner und Polizisten unter Anlehnung an ikonographische Bildtraditionen visuell inszeniert. Auch Drews Fotografie The Falling Man, die einen kopfüber vom brennenden World Trade Center stürzenden Mann zeigt und als Tabubruch diskutiert wurde, stellt auf Grund der Bildkomposition ein überindividuelles und stilisiertes Opferbild dar. Demnach bilden die Medienbilder der New Yorker Terroranschläge den terroristischen Massenmord nicht auf der Ebene der Opfer ab und verweigern sich einer konkreten Symbolisierung von Tod und Gewalt. Besonders die Ausblendung von Opferbildern kann als bildpolitische Maßnahme interpretiert werden, die es bewusst vermied, tote Körper und damit Bilder der nationalen Verletzbarkeit zu zeigen. Das Bilderverbot wiederholte sich von Seiten der US-Regierung während des Irakkrieges, in dem Fotografien von Soldatensärgen verboten wa-

heute. Bonn 2008. Siehe im letzteren Band die Beiträge von Weichert: Aufmerksamkeitsterror 2001 und Godehard Janzing: „The Falling Man. Bilder der Opfer des 11. September 2001“, S. 694-701. Zu kunstgeschichtlichen Bezügen von Drews Fotografie siehe Martin Raspe: „The Falling Man. Der 11. September in der Momentaufnahme“. In: Irsigler/Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 369-382. Zu einer weiteren Fotoikone, Thomas E. Franklins Raising the Flag on Ground Zero, vgl. Maike Mügge: „Raising the Flag on Ground Zero – Die mediale Rückeroberung eines Ereignisses“. In: Unvergessliche Augenblicke – Die Inszenierung von Medienereignissen. Katalog zur Ausstellung im Museum für Kommunikation Frankfurt. Hrsg. vom Graduiertenkolleg für transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 2006, S. 22-31.

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ren und erst 2004 nach einer Enthüllungsstory im öffentlichen Bildraum zirkulierten.85 Trotz der Bildästhetik der Distanz lösten die 9/11-Medienbilder, wie Holert in Regieren im Bildraum beschreibt, affektive Subjektmodulierungen aus, indem sie Individuen und Kollektive hochgradig emotionalisierten. So zeigen die Medienwissenschaftler Kathrin Fahlenbrach und Reinhold Viehoff auf, wie die Medienbilder der Live-Berichterstattung eine besondere, auf Authentizität abzielende „Erlebnisästhetik, die Teilhabe und Zeugenschaft suggestierte“86 erzeugten. Auch die Bildpraxis der Angehörigen von Vermissten und Opfern, die nach den Terroranschlägen als Reaktion auf die offizielle Bildpolitik den New Yorker Stadtraum mit Vermisstenfotos plakatierten, kann als weitere affektive Subjektmodulierung interpretiert werden. Die Aushänge mit Privatfotos und Nachrufen stellten ein öffentliches Trauerforum her, in dem die Opfer personalisiert erschienen. Das Motiv trauernder Hinterbliebener, die Fotos von vermissten oder verlorenen Angehörigen in Kameras halten, wurde zur „globalen Pathosformel“87, die sich beispielsweise beim Tsunami 2004 wiederholte. Diese kollektivierenden und emotionalisierenden Rezeptionseffekte sind charakteristisch für Medienereignisse. Parallel zum Prozess der Kanonisierung innerhalb einer transnationalen Erinnerungskultur waren die 9/11-Schüsselbilder auch Ausgangspunkt für regionale, nationale und künstlerische Aneignungen. So beschreibt die Kunstwissenschaftlerin Lydia Haustein in Global Icons. Globale Bildinszenierung und kulturelle Identität lokale künstlerische Rekontextualisierungen der globalen Medienikone 11. September in China, Indien und Afrika. 88 Weiterhin wurden aus den visuellen Repräsentationen der Anschläge die

85 Vgl. Holert: Regieren im Bildraum, S. 295-315. 86 Kathrin Fahlenbrach/Reinhold Viehoff: „Ikonen der Medienkultur. Über die (verschwindende) Differenz von Authentizität und Inszenierung der Bilder in der Geschichte“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 42-59, hier S. 47. Zu medialen Authentizitätseffekten siehe weiterhin Helmut Lethen: „Versionen des Authentischen: sechs Gemeinplätze“. In: Hartmut Böhme/Peter Matussek/ Lothar Müller: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg 2000, S. 205-231. 87 Holert: Regieren im Bildraum, S. 65. 88 Vgl. Haustein: Global Icons, S. 206f.

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Bildelemente der Zwillingstürme und des anfliegenden Flugzeuges isoliert und in visuelle Codes der Bildenden Kunst und Populärkultur eingespeist.89 Der australische Künstler Gordon Bennett integrierte in einer Bilderserie aus dem Jahr 2001 die Bildelemente Hochhaus und Flugzeug in zahlreichen Varianten in ein urbanes Stadtszenario, wie die Kunsthistorikerin Jill Bennett am Beispiel des Bildes Notes to Basquiat (911) beschreibt: „Dramatic, Basquiat-inspired citycapes of tower blocks and skyscrapers are surmounted by a Shamsa pattern (like that found on the inside cover of the Koran), superimposed in places with Arabic text, saying ‚in the name of Allah, the beneficent, the merciful‘, its characters rising like flames above the skyline. Under this portentous sky, Basquiat’ cartoon planes hover, along with U.S. fighters and passenger planes, potentially signifying the vehicles of suicide attackers.“90

Die malerische Textur von Bennetts apokalyptischer Stadtlandschaft, deren Formensprache mit dem Graffiti-Stil Jean-Michel Basquiats korrespondiert, enthält englische und arabische Schriftzeichen sowie Schmuckornamente aus dem Koran und eröffnet damit einen Bildraum der Zeichen und Geschichte. Der Rückbezug auf Basquiat als US-amerikanischen Künstler mit haitianischer Herkunft evoziert den Topos New York und postkoloniale Diskurse, während die Bildelemente Hochhaus und Flugzeug die New Yorker Terrorattacken und damit auch die Konjunktur konfliktiver Kulturkontakttheorien, neokolonialistischer Diskurse sowie politischer Instrumentalisierungen des Religiösen nach 9/11 evozieren. Jill Bennett charakterisiert Gordon Bennetts Bilder als Bildräume sich überlagernder Gewaltspuren: „In these images, the trauma and terror of 9/11 does not seem to proceed from the attacks of the day. It is always already in place“.91 In diesem Sinne können Bennetts Bilder als Projekt einer Geschichte der globalen Gewalt und ihrer Verbindungslinien interpretiert werden. Ein weiteres Beispiel für

89 Zu den einzelnen Bildelementen vgl. Joachim Buttler: „Ästhetik des Terrors – Die Bilder des 11. Septembers 2001“. In: Beuthner et al.: Bilder des Terrors, S. 26-41, S. 28. 90 Jill Bennett: Empathic Vision. Affect, Trauma, and Contemporary Art. Stanford 2005, S. 124. Siehe zur Bilderserie von Gordon Bennett insbesondere das Kapitel „Global Interconnections“, S. 124-148. 91 Bennett: Affect, Trauma, and Contemporary Art, S. 147.

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subversive Bildpraktiken lieferte eine Aktion des britischen Street-ArtKünstlers Banksy. Er installierte am 11. September 2006 eine aufblasbare Puppe in Gestalt eines Guantànamo-Häftlings in einem DisneyThemenpark in Kalifornien. Mit der Installation schloss er die visuellen Codes des war on terror und der Unterhaltungsindustrie kurz. 92 Bennetts Bilderserie sowie Banksys Installation verdeutlichen nicht nur die Heterogenität der 9/11-Images, sondern sind darüber hinaus auch Beispiele für künstlerische Interventionen innerhalb des WTC Bildkomplexes. Richard beschreibt in 9-11. World Trade Center Image Complex, wie die Analyse des shifting image alternative Bildwelten und Wahrnehmungstechniken ermöglicht. Die das shifting image kennzeichnenden Bildbewegungen und Bildverdeckungen können nach Richard mit der hybriden Methode der Kombination des kunstwissenschaftlichen „good eye“– im Sinne einer klassischen Bildbeschreibung – und des „curious look“ der visual culture studies – im Sinne einer transdisziplinären Bildforschung – analysiert werden.93 Die Verfolgung der chronischen De- und Rekontextualisierungen könne, so Richard, die visuellen Beziehungen zwischen verschiedenen Bildfeldern verdeutlichen und ziele letztlich auf eine Analyse der Politik der Sichtbarkeit, die auf die normative Kraft kollektiver Bilder und Prozesse der Ikonisierung verweist. Trotz zahlreicher subversiver Bildpraktiken und Protestikonen war und ist jedoch die Wirkmächtigkeit der Schlüsselbilder des WTC Komplexes so groß, dass hinsichtlich der Gewalt der Bilder von einem Bilderkrieg gesprochen wird. Im „Krieg der Bilder 2001-2004“94, so William J.T. Mitchell, trat der politisch-instrumentale Bildgebrauch der 9/11-Bilder am deutlichsten hervor: Mitchell erklärte das zerstörte World Trade Center zum „bislang denkwürdigste[n] Bild des 21. Jahrhunderts“95. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp bezeichnete das Bild des Einschlages des zweiten Flugzeuges in

92 Vgl. Sönke Klug: „Paris Hilton, frei Schnauze“. In: Spiegel Online vom 12.09.2006. Download unter www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,43660 9,00.html am 05.05.2009. 93 Vgl. Richard: WTC Image Complex, S. 7. 94 William J.T. Mitchell: „Den Terror klonen. Der Krieg der Bilder 2001-2004“. In: Maar/Burda: Iconic Worlds, S. 255-285. 95 Mitchell: Krieg der Bilder, S. 261.

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den Südturm des World Trade Center als „schwarze Ikone“96. Diese stellt nach Bredekamp im Bereich der politischen Ikonographie einen „AntiLeviathan“97 dar, die nicht wie Thomas Hobbes berühmtes Titelblatt des Leviathans von 1651 einen Staatskörper und das staatliche Gewaltmonopol symbolisiere, sondern den Zerfall dieser Ordnung. Die Bilder des Bilderkrieges zwischen 2001 und 2004 sind für Bredekamp Bild-Akte, die analog zu Sprechakten einen performativen Charakter besitzen und Geschichte nicht abbilden, sondern erzeugen.98 Als Geschichtszeichen (sign) und Bild-Akte ordnet Bredekamp die 9/11-Bilder in die Geschichte des politisch-instrumentellen Bildgebrauchs ein. So bestand nach den wirkmächtigen Medienbildern der Anschläge eine der ersten Maßnahmen der Bush-Administration in der Konstruktion eines Feindbildes im Wortsinn, das die Gestalt von Osama Bin Laden und Saddam Hussein erhielt. Judith Butler beschreibt diese Verbildlichung als Gewalt, die Gesichter degradiert und nicht darstellt: „Es handelt sich dabei um mediengerechte Porträts, die oft im Dienst des Kriegs arrangiert werden, so als ob Bin Ladens Gesicht das Gesicht des Terrors wäre [...]“99 Die Personalisierung diente folglich vor allem der Dramatisierung des Kriegskomplexes, so dass die massenmediale Berichtserstattung mit Bush und Bin Laden auf das klassische Narrativ zweier Kriegsführer beziehen konnte. Eine weitere Etappe des Bilderkrieges war die Verhängung einer Wandteppich-Replik von Picassos Gemälde Guernica am 5. Februar 2003 im UN-Gebäude in New York anlässlich einer Pressekonferenz, auf der der damalige US-Außenminister Colin Powell den Irakkrieg ankündigte. Der Kriegserklärung folgten Medienbilder aus dem Irakkrieg, die die Verhüllung und Demontage von Saddam Hussein-Statuen durch die US-Armee im

96 Horst Bredekamp: Thomas Hobbes, der Leviathan: Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder (1651-2001). Zweite, stark veränderte Auflage. Berlin 2003, S. 158. Vgl. auch ders.: „Damit der Schrecken schrecke. Bilder der Grausamkeit und des Terrors in einer romanischen Kirche, in Thomas Hobbes’ ‚Leviathan‘ – und in Manhattan“. In: Literaturen 12 (2001), S. 24-26. 97 Bredekamp: Thomas Hobbes, S. 158. 98 Vgl. Horst Bredekamp: „Wir sind befremdete Komplizen. Triumphgesten, Ermächtigungsstrategien und Körperpolitik“. In: Süddeutsche Zeitung vom 28. Mai 2004. 99 Butler: Gefährdetes Leben, S. 168.

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April 2003 zeigten. Den Bildern aus Bagdad schloss sich der Folterskandal von Abu Ghraib aus dem Jahr 2004 an, als Fotografien an die Öffentlichkeit gelangten, die US-Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib aufgenommen hatten. In den Aufnahmen, die irakische Gefangene in entwürdigenden Positionen zeigten, überlagerten sich kolonialistische, pornographische und christologische Bildtraditionen. Nach der Aufdeckung des Skandals wurden die Aufnahmen aus Abu Ghraib zu globalen Protestikonen gegen den Irakkrieg. Zur prominentesten Protestikone wurde die so genannte Fotografie des ‚Kapuzenmanns‘, die einen auf einer Kiste stehenden irakischen Gefangenen mit schwarzem Umhang und dunkelgrüner Kapuze zeigt, dessen Körper mit Stromkabeln verbunden ist. Die Aufnahme wurde zum Anlass zahlreicher bildlicher Aneignungen. Beispielsweise inszenierte die US-amerikanische Designergruppe Forkscrew Graphics ein Protestplakat im Stil von Apples iPod-Werbung und der irakische Maler Sallah Edine Sallat schuf in Bagdad eine Wandmalerei, in der die Figur des ‚Kapuzenmanns‘ mittels Stromkabeln mit der Freiheitsstatue verknüpft war.100 Zu den globalen Protestikonen des Irakkrieges zählen weiterhin die Bilder der mit orangefarbenen Overalls bekleideten Insassen des US-amerikanischen Gefangenlagers Guantánamo auf Kuba, das zum Inbegriff des rechtslosen Ausnahmezustandes avancierte. Als Reaktion auf die Folterbilder aus Abu Ghraib zirkulierten im Internet so genannte Snuffvideos von al-Qaida, die die Enthauptung von gefangenen USAmerikanern vor laufender Kamera zeigten, aber von den westlichen Fernsehsendern nicht ausgestrahlt wurden.101 In diesen Tötungsbildern offenbarte der Bilderkrieg seine Logik als Bildakt, der um des Bildes wegen tötet.

100

Vgl. zum Plakat von Forkscrew Graphics Gerhard Paul: „,Der „Kapuzenmann‘. Eine globale Ikone des beginnenden 21. Jahrhunderts“. In: ders.: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute, S. 702-709, hier S. 708. Zu Sallats Wandmalerei siehe Mitchell: Krieg der Bilder 2001-2004, S. 280. Zu den Bildern aus Abu Ghraib siehe weiterhin Wolfgang Beilenhoff: „Bild-Ereignisse: Abu Ghraib“. In: Schneider/Bartz: Formationen der Mediennutzung, S. 79-96 und Avinoam Shalem: „Abu Ghraib, die Medien und die Entstehung einer Ikone“. In: Andreas Kraß/Thomas Frank (Hg.): Tinte und Blut. Politik, Erotik und Poetik des Martyriums. Frankfurt am Main 2008, S. 118-139.

101

Vgl. Linda Hentschel: „Einleitung“. In: dies.: Bilderpolitik, S. 9-27, hier S. 13.

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2006 schloss sich der so genannte Karikaturenstreit an, nachdem die dänische Zeitung Jyllands-Posten im September 2005 zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht hatte.102 Dass auf den Zeichner der umstrittenen Karikaturen, Kurt Westergaard, Anfang 2010 ein Mordversuch unternommen wurde, darf als Indiz gelten, dass die Gewalteffekte der cartoon crisis andauern.103 Als bislang letzte Etappe des Bilderkrieges kann die Bildpolitik anlässlich der Tötung Osama Bin Ladens gelten, die der US-amerikanische Präsident Barack Obama Anfang Mai 2011 in einer Rede an die Nation bekannt gab. Die mit dem 11. September als Geschichtszeichen verbundene Verknüpfung von Visualität, Geschichte und Politik zeigte sich beispielhaft in der auf die Todesbotschaft folgenden New York Times vom 2. Mai 2011. Auf der Titelseite war unter der Überschrift „BIN LADEN KILLED BY U.S. FORCES IN PAKISTAN, OBAMA SAYS, DECLARING JUSTICE HAS BEEN DONE“ eine Fotografie des Al Qaida-Führers und darunter eine der brennenden Twin Towers abgebildet.104 Das Bild des zur Ikone des Bösen stilisierten Terroristen wurde zur bildpolitischen Antwort, oder mit Horst Bredekamp gesprochen zum Bildakt, auf die Terroranschläge mit der Botschaft Justice has been done. Weitere Einzelheiten des Falles, so zum Beispiel die Pressebilder aus dem Weißen Hauses, die zeigten, wie der Regierungsstab den Einsatz live via Satellit verfolgte – eine Szene, die der Germanist Manfred Schneider in der Frankfurter Rundschau als „Feldherrnhügel des 21. Jahrhunderts“ 105 bezeichnete –, oder die Entscheidung der US-Regierung, keine Fotografie des getöteten Terroristen zu veröffent-

102

Vgl. Sabine Schiffer/Xenia Gleißner: „Das Bild des Propheten. Der Streit um die Mohammed-Karikaturen“. In: Paul: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute, S. 750-759.

103

Vgl. Reinhard Wolff: „Der zeichnende Provokateur. Die Angst davor, zu sterben, dürfe nicht so stark werden, dass man aufhöre zu leben, sagt der dänische Karikaturist Kurt Westergaard.“ In: die tageszeitung vom 4. Januar 2010.

104

Vgl. o.V.: BIN LADEN KILLED BY U.S. FORCES IN PAKISTAN, OBAMA SAYS, DECLARING JUSTICE HAS BEEN DONE. In: The New York Times vom 2. Mai. 2011, Hervorhebung im Original.

105

Manfred Schneider: „Bin Ladens Erledigung live“. In: Frankfurter Rundschau vom 4. Mai 2011.

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lichen, bieten Stoff für zukünftige Analysen einer kritischen Bildwissenschaft. Zusammenfassend treffen im Bilderkrieg im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit nach Sigrid Weigel die Möglichkeiten der globalen Medientechnologie und die Wirkmächtigkeit religiöser Symbole aufeinander, die im Medium des Bildes kompatibel sind: „Diese Funktion von Bildern für die Proliferation politischer Gewalt ist einer Überblendung archaischer und technischer Bilder geschuldet, der eine gegenläufige Entwicklung von Medien- und Religionsgeschichte zugrunde liegt. Einerseits ist das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit durch eine Epoche der digitalen Produktion und Zirkulation von Bildern abgelöst worden. Andererseits entfalten die täglich rund um den Globus verbreiteten Bilder von den internationalen Kampfschauplätzen – hinter dem Rücken ihrer Produzenten – eine geradezu biblische Gewalt, indem sie Affekte entfesseln, die sich als prekäre Gemengelage aus religiösen und politischen Motiven darstellen.“106

Demnach ist der so genannte „jüngste Bilderkrieg“107 zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch die Kopplung von modernster Bildtechnologie und affektauslösenden Pathosformeln gekennzeichnet. Der Medienwissenschafler Reinhold Görling bemerkte zum Verhältnis von Bild und Gewalt vor dem Hintergrund des Bilderkrieges an, dass Bilder der Gewalt häufig die Zerstörung des Körpers zeigen.108 Im Gewaltakt der Zerstörung des Körper-Bildes vollziehe sich dabei sowohl die Zerstörung des Anderen als Bild sowie die

106

Sigrid Weigel: „Schauplätze, Figuren, Umformungen. Zu Kontinuitäten und Unterscheidungen von Märtyrerkulturen“. In: dies. (Hg.): Märtyrer-Porträts. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern. München 2007, S. 11-37, hier S. 21.

107

Horst Bredekamp: „Marks und Signs. Mutmaßungen zum jüngsten Bilderkrieg“. In: FAKtisch. Festschrift für Friedrich Kittler zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Peter Berz, Annette Bitsch und Bernhard Siegert. München 2003, S. 163-169.

108

Vgl. Reinhold Görling: „Die Schreckensseite der Sichtbarkeit: Traumabilder“. In: Antje Kapust/Bernhard Waldenfels (Hg.): Kunst.Bild.Wahrnehmung. Blick. Merleau-Ponty zum Hundersten. München 2010, S. 117-133.

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Zerstörung des Selbst-Bildes des Anderen. Solcherart „Traumabilder“109 zerstören Görling zufolge auf der Grundlage von Korrespondenzen zwischen Sichtbarkeit und Subjektwerdung das Bildobjekt und die Selbstrepräsentanz des Opfers, negieren die Erwartung eines intersubjektiven Raumes und berühren somit die Kollektivebene: „Das Gefährliche an diesen Mechanismen der Entstellung [...] ist, dass sie nicht nur auf individueller Ebene funktionieren, sondern auch als kollektive und mediale Inszenierung.“110. Den Bildern des Bilderkrieges ist demnach auch eine traumatische Komponente eigen. Mit dem Trauma ist ein kulturelles Deutungsmuster aufgerufen, auf das sich die 9/11-Diskurse als emblematische Signatur der Verletzlichkeit beziehen, wurden die Anschläge doch als Zerstörung eines kulturellen containment interpretiert.

5. „The Spectacle of Trauma“: Mediale Urszene, Wound Culture und Erinnerungskultur Das Deutungsmuster des Traumas avancierte in zweifacher Hinsicht zur emblematischen Signatur des 9/11-Diskurses. Die New Yorker Terroranschläge vom 11. September 2001 gelten aus US-amerikanischer Perspektive als Trauma at home111 und damit als kollektives Trauma der USA, das die Nation in ein Kollektiv der Wunde verwandelte, als auch als kulturelles Trauma der westlichen Welt im Sinne einer provozierten Destabilisierung des kulturellen symbolischen Feldes. Während das kollektive Trauma des Angriffs auf die Vereinigten Staaten an die US-amerikanische Nation als Erinnerungsträger gebunden ist und eine repräsentative, konsensuelle und identitätsstiftende Funktion in der US-amerikanischen Erinnerungskultur besitzt, zeigen sich die Effekte des kulturellen Traumas vor allem in drei Bereichen: in den translokalen Rhetoriken der Wunde, der Verletzung und der Zäsur, in der Kopplung von Medienereignis und Trauma-Narrativ sowie im Verhältnis von Bild und Trauma. Die Interpretation der Anschläge als kulturelles Trauma vollzog sich vor dem Hintergrund des Endes der Simulationsdiskurse der 1990er Jahre.

109

Görling: Traumabilder.

110

Görling: Traumabilder, S. 130.

111

So der Titel des Sammelbandes von Judith Greenberg (Hg.): Trauma at Home. After 9/11. Lincoln/London 2003.

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So untersuchte Klaus Theweleit in Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell112 die mit der Interpretation der Anschläge als kulturelles Trauma einhergehende Rhetorik über den Einbruch des Realen und konstatierte, dass der 9/11-Diskurs letztlich um „das mythische Wesen ‚Realität‘“113 kreise. Für ihn stellen, mit Lacan gesprochen, das Reale des Traumas, das Symbolische der Deutungen und das Imaginäre der Bilder nur verschiedene Ebenen einer multiplen Realität dar: „Betrachtet man die Sache kühl, ohne gerüstet in den Schranken zu stehen für eine favorisierte Erscheinungsform des mythischen Wesens ‚Realität‘, erscheint es selbstverständlich, dass man die Toten betrauern kann, das Verbrechen hassen, dass man Tränen vergießen kann über die Verbrannten, und das Symbolische mitdenken, ohne irgendjemandem zu nahe zu treten oder gar zu verletzen [...]“114

Die Deutung der Terroranschläge als kulturelles Trauma nivelliert Theweleit zufolge nicht die reale Gewalt. Dagegen kritisierte Helmut Lethen die Applikation des Trauma-Paradigmas auf die New Yorker Anschläge und äußerte anlässlich der einsetzenden kulturwissenschaftlichen Interpretationen: „[K]ein Riß ging durch die Wissenschaften, welche die Arten unserer Weltwahrnehmungen untersuchen. Das ‚Ereignis‘ blieb in eine Schrecksekunde eingekapselt, von der man sich so schnell erholte, daß sich heute gut, wenn auch mit Einsprengseln einiger Unaussprechlichkeitstopoi, davon erzählen läßt.“115

Lethens Äußerung ist Ausdruck einer zunehmenden Kritik an der Inflation akademischer, öffentlicher und popkultureller Trauma-Diskurse. Dennoch stellt sich angesichts der anhaltenden Inanspruchnahme des Konzepts des

112

Klaus Theweleit: Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität

113

Theweleit: Der Knall, S. 258.

114

Theweleit: Der Knall, S. 259f., Hervorhebung im Original.

115

Helmut Lethen: „Bildarchiv und Traumaphilie. Schrecksekunden der Kultur-

und ein Kriegsmodell. Frankfurt am Main/Basel 2002.

wissenschaften nach dem 11.9.2001“. In: Klaus R. Scherpe/Thomas Weitin (Hg.): Eskalationen von Kultur, Recht und Politik. Tübingen/Basel 2003, S. 314, hier S. 3.

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Traumas, insbesondere auch in Bezug auf die New Yorker Terroranschläge, die Frage nach dessen kulturellen Semantiken und Funktionen. Einen Erklärungsansatz für die Popularität des Traumakonzepts liefert der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Mark Seltzer, der den Begriff der „wound culture“116 als Bezeichnung für Affektkulturen prägte, die sich durch die Zirkulation von Trauma-Narrativen auszeichnen: „The uncertain relays between private desire and public space in wound culture are nowhere clearer than in the surfacing, or resurgence, of the category of ,the trauma‘ (Greek for wound) on the contemporary scene. […] The contemporary public sphere represents itself to itself, from the art and culture scenes to tabloid and talk TV, as a culture of suffering, states of injury, and wounded attachments. The resurgence of trauma as a flashpoint of psychological and social ways of locating the subject and its vicissitudes is thus perhaps by now self-evident.“117

Das Trauma verbindet demnach über die Figur der Wunde Körper und Psyche, Individuum und Kollektiv sowie Privatsphäre und Öffentlichkeit. Seltzer zufolge zirkulieren Trauma-Narrative in einer „pathological public sphere“118 und damit in einer Medienöffentlichkeit, die durch psychosoziale Entgrenzungen gekennzeichnet ist. Als Modus individueller und kollektiver Selbstrepräsentanz stiftet das Trauma Evidenz und Identität in einer entgrenzten und entgrenzenden Öffentlichkeit, indem es auf die Beschädigung der körperlichen, seelischen, symbolischen oder kulturellen Integrität verweist. Dem Trauma kommt damit in der gegenwärtigen Kultur der Wunde eine subjekt- und kollektivkonstituierende Funktion zu. Obwohl Seltzer sich bei der Konzeption des Begriffes der „wound culture“ insbesondere auf die Figur des Serienmörders in der US-amerikanischen Kultur bezieht, lässt sich seine Analyse auch über die amerikanische Affektkultur, der er eine nahezu obsessive Beziehung zu Gewaltphänomenen, seelischen und körperlichen Traumata sowie Verletzungen nachsagt, ausweiten.

116

Vgl. ausführlich zum Konzept der wound culture Mark Seltzer: Serial Killers. Death and Life in America‘s Wound Culture. New York/London 1998, insbesondere das Kapital „Wound Culture“, S. 253-292.

117

Seltzer: Wound Culture, S. 254.

118

Seltzer: Wound Culture, S. 257.

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Denn durch Trauma-Narrative geprägte Medienkulturen stellen mittlerweile ein globales Phänomen dar. Das Deutungsmuster des Traumas ist nach Tom Holert und Mark Terkessidis mittlerweile Bestandteil einer Massenkultur des Krieges, in der ausgestellte physische und psychische Wunden Authentizität herstellen und Autorität vermitteln.119 Unter dem Begriff der „trauma culture“120 avancierte das Trauma gegen Ende des 20. Jahrhunderts zur Signatur kollektiver Befindlichkeiten. Im 20. Jahrhundert durchlief das Trauma-Konzept eine rasante Karriere vom einstigen individualpsychologischen Konzept der Psychoanalyse Freudscher Provenienz zum kollektiven Phänomen und kulturellen Deutungsmuster.121 Die Entwicklung des Trauma-Theorems war dabei stets an soziohistorische Kontexte und historische Referenzpunkte geknüpft. So wurde während des Ersten Weltkrieges über Kriegsneurosen diskutiert, nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Behandlung von Überlebenden der Shoah die psychoanalytische Traumaforschung intensiviert, infolge des Vietnamkrieges das Trauma 1980 unter der Bezeichnung posttraumatische Belastungsstörung als klassifizierbare Krankheit anerkannt und nach dem 11. September vor allem der Aspekt des kulturellen Traumas betont. Parallel zum Prozess der Konsolidierung des Traumas als klinisches Konzept vollzog sich ab den 1990er Jahren im Kontext der zunehmenden Ausdifferenzierung von Erinnerungsdiskursen die Übertragung des Traumas auf kollektive Prozesse und Geschichtskonzepte.

119

Vgl. Tom Holert/Mark Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Köln 2002.

120

Zum Begriff der trauma culture vgl. die Monographie von E. Ann Kaplan: Trauma Culture. The Politics of Terror and Loss in Media and Literature. New Brunswick, New Jersey u.a. 2005.

121

Zur Geschichte und Genese des Trauma-Konzepts vgl. Inka Mülder-Bach (Hg.): Modernität und Trauma. Beiträge zum Zeitenbruch des Ersten Weltkrieges. Wien 2000; Elisabeth Bronfen/Birgit R. Erdler/Sigrid Weigel (Hg.): Trauma.

Zwischen

Psychoanalyse

und

kulturellem

Deutungsmuster.

Köln/Weimar/Wien 1999; Ruth Ley: Trauma. A Genealogy. Chicago/London 2000.

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In den Literatur- und Kulturwissenschaften stellt das Konzept des Traumas seit den 1990er Jahren ein „Narrativ und kulturelles Deutungsmuster“122 dar. Als ein solches ist es mit den Kategorien der Nicht-Repräsentierbarkeit und Nicht-Erzählbarkeit verbunden. Diese Konzeption, die das Trauma als opak und absolut unzugänglich entwirft, unterliegt einer permanenten Kritik. Vor allem ihre Ausgangsbasis, die Übertragung des individual-psychologischen Konzepts auf Gruppen, historische Ereignisse sowie die Geschichtsschreibung wurde vielfach kritisiert, denn sie führt zu einer Universalisierung und Ästhetisierung des Trauma-Konzepts.123 Auch der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Andreas Huyssen kritisiert in seiner Studie Present Pasts. Urban Palimpsests and the Politics of Memory den monolithischen Topos von der absoluten Nicht-Repräsentierbarkeit des Traumas: „The psychoanalytic model may work well when it comes to the individual memory of the survivor or witness, but its application to the public memory of traumatic historical events remains problematic […] Public memory depends on representations in all its media, and it relentlessly mixes working through and acting out.“124

122

Karin Windt: „Das Trauma als Narrativ und kulturelles Deutungsmuster.“ In: TRN-Newsletter. Special Issue 2006. Hamburg Institute for Social Research. Januar 2006. Unter http:www.traumaresearch.net/special2006/windt.htm abgerufen am 19.01.2010. Siehe zum Überblick auch Birgit Neumann: „Trauma und Traumatheorien“. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 729-731.

123

Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem kulturwissenschaftlichen TraumaParadigma und dem inflationären Begriff einer Trauma-Kultur siehe Wulf Kantsteiner: „Menschheitstrauma, Holocausttrauma, kulturelles Trauma: Eine kritische Genealogie der philosophischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Traumaforschung seit 1945“. In: Friedrich Jäger/Jörn Rüsen (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Band 3. Themen und Thesen. Stuttgart 2004, S. 109-138; Harald Weilnböck: „,Das Trauma muss dem Gedächtnis unverfügbar bleiben.‘ Trauma-Ontologie und anderer Miss-/Brauch von Traumakonzepten in geisteswissenschaftlichen Diskursen“. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Institut für Sozialforschung 2 (2007), S. 2-64.

124

Andreas Huyssen: Present Pasts. Urban Palimpsests and the Politics of Memory. Stanford 2003, S. 146, FN 14.

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Huyssen fordert daher ein Verständnis des kollektiven Traumas, das mediale Repräsentationen und kulturelle Präfigurationen berücksichtigt. Auch Reinhold Görling plädiert für die Vorstellung, „Gewalt als eine besonders intensive Verflechtung [zu] denken, als Verknotung oder als zur Wunde Verzerrtes“125 . Wenn die Inanspruchnahme des Traumas als kulturelles Deutungsmuster immer an mediale Repräsentationen, Narrative, Emplotments, Lektüremuster und Interpretationsraster gebunden ist, dann liegt im Fall des 11. September eine besondere Repräsentationsstruktur durch die Kopplung von Medienereignis und Trauma vor. Vor allem die Visualität, Vergemeinschaftungseffekte und Subjektaffizierungen des Medienereignisses korrespondieren mit dem Narrativ des kulturellen Traumas, das auf der Grundlage von kanonischen Texten der Freudschen Psychoanalyse als Handlungsabfolge von Urszene – Verletzung – Wiederholung – Angst lesbar ist. Zweifelsohne gelten die Medienbilder der Zerstörung des World Trade Center, die Theweleit als „Schwellenbilder zum Eintritt in das neue Jahrtausend“126 bezeichnete, als visuelle Urszene der New Yorker Terroranschläge. Sigmund Freud entwickelte das Konzept der Urszene in seiner Fallstudie Aus der Geschichte einer infantilen Neurose127. Die Literaturwissenschaftlerin Dagmar von Hoff betont in ihrem Buch Familiengeheimnisse. Inzest in Literatur und Film der Gegenwart die mediale Strategie der Freudschen Fallgeschichte und verweist auf die „Einführung der optischen Apparatur des ‚Urszenen-Modells‘“128 . Zu den erzählerischen Elementen der psychoanalytischen Fallpräsentation tritt eine visuelle Komponente der traumatischen Genese: Dem Sehen und der visuellen Zeugenschaft wird eine besondere Bedeutung zugewiesen. Die Urszene kann daher abstrahierend als inszeniertes Schlüsselbild und Tableau des Sehens verstanden werden und stellt in diesem Sinne ein überaus kompatibles Konzept für die visuellen Kulturen des 20. Jahrhunderts dar. Gerade weil das Trauma als etwas grundsätzlich Unsichtbares gilt,

125

Görling: Traumabilder, S. 124.

126

Theweleit: Der Knall, S. 263.

127

Sigmund Freud: „Aus der Geschichte einer infantilen Neurose [1918]“. In: ders.: Gesammelte Werke. Hrsg. von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main 1986. Bd. 12, S. 27-157.

128

Dagmar von Hoff: Familiengeheimnisse. Inzest in Literatur und Film der Gegenwart. Köln/Weimar/Wien 2003, S. 254.

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muss es im Prozess der kulturellen Zirkulation Verbildlichungsstrategien unterworfen werden: Mediengeschichtlich war es vor allem die bezeugende Geste der Fotografie, die dem Trauma Evidenz verlieh. In jüngerer Zeit rückt zunehmend der Zusammenhang zwischen Trauma-Kulturen und visuellen Kulturen in das wissenschaftliche Interesse.129 Bezogen auf das Medienereignis 11. September bildet die Live-Übertragung vom Einflug des zweiten entführten Flugzeuges in den Südturm des World Trade Center die mediale Urszene des kulturellen Traumas, die ein globales Publikum unfreiwillig zu Zeugen des terroristischen Massenmordes erhob. Dieses Medienbild wurde als „schwarze Ikone“130 im kulturellen Bildgedächtnis kanonisiert und gilt seitdem als visuelle Chiffre der Anschläge. Auch der französische Philosoph Jean Baudrillard betonte den Zusammenhang zwischen Bild beziehungsweise Sichtbarkeit und Gewalt. Er beschrieb die visuelle Dimension von 9/11 mittels einer Lichtmetaphorik: „Nur symbolische Gewalt vermag Singularität zu erzeugen. Und so findet man in diesem singulären Ereignis, in diesem Katastrophenfilm aus Manhattan in höchstem Maße die beiden Phänomene der Massenfaszination des 20. Jahrhunderts vereint: die weiße Magie des Kinos und die schwarze Magie des Terrorismus. Das weiße Licht des Bildes und das schwarze Licht des Terrorismus.“131

Die Lichtmetaphorik verweist einerseits in der Konstellation von weißer Magie, Kinobild und Kinolicht auf Verfahren der Sichtbarkeit und Projektion. Die visuelle Vertrautheit der Medienbilder der brennenden Zwillingstürme beruhte auf der Ikonographie des Kinos. Susan Sontags Aussage, viele Augenzeugen hätten den Zusammenbruch der Twin Towers „,wie im Kino‘“132 erlebt, beschreibt pointiert die Prästrukturierung der Wahrneh-

129

Vgl. zum Forschungsfeld Trauma und visuelle Kultur zum Beispiel Frances Guerin/Roger Hallas (Hg.): The image and the witness. Trauma, memory and visual culture. London/New York 2007; Bennett: Affect, Trauma and Contemporary Art; Görling: Traumabilder.

130

Bredekamp: Thomas Hobbes, S. 158.

131

Baudrillard: Der Geist des Terrorismus. Wien 2003, S. 31.

132

Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten. München/Wien 2003, S. 28: „Über den Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 sagten viele, die sich aus den Türmen hatten retten können oder die in der Nähe ge-

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mung durch kinematographische Bildwelten und verweist auf das Verhältnis der Fernsehbilder zu vorgängigen realen und fiktiven Bildern des kollektiven Bildgedächtnisses. Die Bildästhetik der Fernsehbilder verwies insbesondere auf das Genre des Katastrophenfilms.133 Die Medienbilder waren damit auch Bestandteil einer von Kriegsmetaphern durchdrungenen Massenkultur, die Tom Holert und Mark Terkessidis in Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert134 beschreiben. Andererseits evoziert die Metapher des schwarzen Lichts des Terrorismus den Topos der NichtDarstellbarkeit von Gewalt sowie die Bildbereiche des Todes und der Trauer. Im Zusammenhang mit der medialen Urszene des Medienereignisses 11. September wurde weiterhin immer wieder auf die Aspekte der Wiederholung und der Angst hingewiesen, auch diese Aspekte korrespondieren mit dem Narrativ des Traumas. Das Bild der Verletzung des kulturellen Gewebes findet sich in zahlreichen Rhetoriken, sei es in der vom 11. September als Epochenbruch, als kulturelle Zäsur, als Einbruch des Realen oder wie der Lyriker Durs Grünbein schrieb, als Verletzung Amerikas als „Kontinente umspannenden Schutzraum“135. Die Motive der Verletzung, Wiederholung und Angst beschrieb Sigmund Freud im Jahr 1920 in Jenseits des Lustprinzips136, der Initialschrift der psychoanalytischen Trauma-Genese. Die zentrale Fragestellung der Abhandlung ist das Paradox des Wiederholungszwangs von Vorgängen wie Alpträumen und unwillkürlichen Erinnerungen, die dem psychischen Organismus Unlust verschaffen und damit „der Herrschaft des Lustprinzips“137 entgegenstehen. Freud vergleicht den psychischen Orga-

wesen waren, in ihren ersten Berichten, er sei ‚unwirklich‘ gewesen, ‚surreal‘, ‚wie im Kino‘“. 133

Vgl. die ausführliche Analyse von Katastrophenfilmen vor 2001 bei Peter Bürger: „Hollywood und Nine Eleven“. In: Telepolis. Download am 12.08. 2010 unter www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20911/1.html. Sowie ders.: Kino der Angst – Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood. Stuttgart 2005.

134 135

Holert/Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Durs Grünbein: „Aus einer Welt, die keine Feuerpause kennt“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. September 2001.

136

Sigmund Freud: „Jenseits des Lustprinzips [1920]“. In: ders.: Gesammelte Werke. Hrsg. von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main 1987. Bd. 13, S. 3-69.

137

Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 15.

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nismus in Analogie zur Zelle mit einem „undifferenzierte[n] Bläschen reizbarer Substanz“138, dessen Oberfläche mit einem Reizschutz ausgestattet ist. Eine übergroße äußere Reizkonzentration kann den Reizschutz durchbrechen und das Innere des Bläschens mit übergroßen Erregungsenergien überfluten: „Solche Erregungen von außen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen, heißen wir traumatische.“139 Als Reaktion auf die schockartige Durchbrechung des Reizschutzes mobilisiert der psychische Organismus Freud zufolge innere Energien, die die einbrechenden Reize binden sollen. Der Wiederholungszwang von Vorgängen, die dem Lustprinzip entgegenstehen, dient in Folge dem psychischen System als Versuch, in der Wiederholung der psychoökonomischen Überforderung diesmal adäquat zu reagieren und unter Angstsignalen, die die psychische Abwehr mobilisieren, die Erregungsmengen zu binden. Das einmalige Versagen des Reizschutzes soll durch eine spätere angemessene Bewältigung relativiert werden. Jenseits des Lustprinzips entwirft ein psycho-ökonomisches Modell des Traumas und beschreibt Wiederholungszwang und Angstsignal als Versuche des psychischen Systems, nachträglich die Balance wiederzufinden. Freud greift das Motiv der Wiederholung und der Angst im Jahr 1926 in Hemmung, Symptom und Angst140 wieder auf. Er verknüpft die Genese des Traumas mit dem Zustand der automatischen Angst, die sich im Lauf der Zeit in Angstsignale umwandelt: „Die Angst ist die ursprüngliche Reaktion auf die Hilflosigkeit im Trauma, die dann später in der Gefahrsituation als Hilfssignal reproduziert wird. Das Ich, welches das Trauma passiv erlebt hat, wiederholt nun aktiv eine abgeschwächte Reproduktion desselben, in der Hoffnung, deren Ablauf selbsttätig leiten zu können.“141

Die automatische Angst des Traumas, die aus der Hilflosigkeit des Ichs resultiert, wird demnach im Verlauf der Zeit zum Angstsignal umgewandelt,

138

Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 25.

139

Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 29.

140

Sigmund Freud: „Hemmung, Symptom und Angst [1926]“. In: ders.: Gesammelte Werke. Hrsg. von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main 1991. Bd. 14, S. 113-205.

141

Freud: Hemmung, Symptom und Angst, S. 199f.

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das durch die Mobilisierung von Abwehrenergien eine erneute automatische Angst, die als traumatisch erlebt wurde, verhindern soll. Jenseits des Lustprinzips und Hemmung, Symptom und Angst entwerfen mit den Kategorien der Verletzung des Reizschutzes, des Wiederholungszwangs und der Angstsignale entscheidende Merkmale des psychischen Traumas. Appliziert man diese Kategorien auf das Deutungsmuster des kulturellen Traumas, impliziert die Verletzung des Reizschutzes die Figur der Grenzverletzung. Diese korrespondiert mit der etymologischen Herkunft des Traumabegriffs aus dem Griechischen:  bezeichnete als Vokabel der antiken Medizin eine Gewebeverletzung.142 Bis heute wird die chirurgisch-medizinische Versorgung und Therapie von Verletzungen als Traumatologie bezeichnet. Das Trauma markierte damit ursprünglich eine körperliche Wunde. Die Grundfigur der Verletzung wurde im Verlauf der zunehmenden Invisibilisierung und Abstrahierung in die psychoanalytische Konzeption des Traumas aufgenommen und kehrt dominant im Konzept der wound culture wieder. Neben den bereits erwähnten Semantiken von 9/11 als Verletzung des kulturellen symbolischen Feldes findet sich die Figur der Verletzung auch in der Metapher von wounded New York. Komplementär zum verletzten New Yorker Stadtkörpers versuchten die USA nach dem 11. September, so Judith Butler in ihrem 2009 erschienen politischen Essay Krieg und Affekt, sich als ein nicht verletzbares Nationalkollektiv zu entwerfen: „Die jüngsten von den Vereinigten Staaten geführten Kriege, auch ihre Folteroperationen, haben eine Vorstellung von Subjektivität hervorgebracht, die von dem Wunsch nach Undurchdringlichkeit getragen ist. Die USA versuchen, sich als ein Subjekt zu bestimmen, das dauerhaft vor feindlichen Übergriffen geschützt ist und durch einen Angriff nicht verwundet werden kann.“143

142

Vgl. Stephanos Geroulanes/René Bridler: Trauma. Wundentstehung und Wundpflege im antiken Griechenland. Mainz 1994.

143

Judith Butler: Krieg und Affekt. Herausgegeben und übersetzt von Judith Mohrmann, Juliane Rebentisch und Eva von Redecker. Berlin/Zürich 2009, S. 30f.

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Die Vorstellung eines unverletzbaren Nationalkollektives stellt jedoch eine phantasmatische Wunschvorstellung dar, leugnet sie doch die grundsätzliche Verletzbarkeit des Menschen. Die in Jenseits des Lustprinzips und Hemmung, Symptom und Angst beschriebene Wiederholungsstruktur kann auch auf inszenatorische und räumliche Aspekte des kulturellen Traumas bezogen werden. Da mit dem Trauma eine gestörte Zeitlichkeit verbunden ist, in dem Sinne, dass es nur nachträglich adressiert werden kann, kommt dem Aspekt des Raumes eine große Bedeutung zu, die Seltzer als „binding of trauma to representation or scene […] time must be converted to place, act into scene“144 beschreibt. In vielen populären Trauma-Genres realisiert sich die Raumbezogenheit oftmals durch die Rückkehr zum Schauplatz des Verbrechens oder mittels eines Reenactments im Sinne eines Nachspielens der Urszene. Im Fall des 11. September sind eine Konzentration auf New York als Erinnerungsort sowie die Doppelbewegung von Verräumlichung und Entortung zu beobachten.145 Zudem können die bei der Berichterstattung über New Yorker Terroranschläge ausgestrahlten Bilderschleifen als visueller Wiederholungszwang interpretiert werden, der dem eigentlichen journalistischen Aktualitätsparadigma entgegenstand. Die Bilder des Terrors146 lösten kollektive Angstund Ohnmachtgefühle aus. Die Zeitverzögerung zwischen dem ersten und zweiten Flugzeugeinschlag in die Türme des World Trade Center, die die Augenzeugenschaft der zugeschalteten Zuschauer garantierten, enthüllte das Geschehen als geplantes Attentat. Zeitgleiche Informationen über den Absturz zweier weiterer Flugzeuge evozierten die Imaginationen der Zuschauer über mögliche weitere, von den Attentätern anvisierte Ziele. Das erzwungene Weiterimaginieren im Modus der größtmöglichen Katastrophe kann als Installation automatischer Angst und damit einer chronischen Bedrohungssituation verstanden werden, die ein Hauptziel terroristischer Strategien darstellt. Die Angst vor dem Neuen Terrorismus prägte die Epoche nach 2001, in der das Paradigma der Sicherheit an Relevanz gewonn. Zusammenfassend ist das kulturelle Deutungsmuster des Traumas mit dem Medienereignis 11. September besonders kompatibel, da es mit seiner

144 145

Seltzer: Wound Culture, S. 261, Hervorhebung im Original. Vgl. das Kapitel „Im Rein-Raum der Global City“ – Global Village, Ground Zero und Wounded New York“.

146

Beuthner: Bilder des Terrors.

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bei Freud angelegten Medialität der Urszene an die wirkmächtige Visualität des Medienereignis anschließt, die Figur der Verletzung mit kulturellen Rhetoriken der Zäsur, der Verwundung des Stadtkörpers und der narzisstischen Kränkung eines Nationalkollektives korrespondiert und das Trauma in seiner Doppelfigur als identitätskonstituierendes Individual- und Kollektiv-Phänomen anschlussfähig für die Affektstimulanzen und Vergemeinschaftungseffekte des Medienereignisses ist. Auch die US-amerikanische Erinnerungskultur nach dem 11. September bezieht sich auf das Trauma-Paradigma, das beispielsweise mittels einer spezifischen Ausstellungsästhetik realisiert wurde. Im Herbst 2007 präsentierte die von der New-York Historical Society organisierte Ausstellung Here is New York: Remembering 9/11 nicht nur über 1500 AmateurFotografien, die in den ersten Tagen nach den Terroranschlägen aufgenommen wurden und zu einem nicht-kommerziellen Galerieprojekt gehören, sondern auch Trümmerteile der entführten Flugzeuge sowie beschädigte Karosserieteile von Feuerwehr- und Polizeifahrzeugen.147 Das ebenfalls zur New-York Historical Society gehörende The Henry Luce III Center for the Study of American Culture integrierte in seine ständige Ausstellung, die u.a. eine Sammlung von Alltagsgegenständen aus dreihundert Jahren New Yorker Stadtgeschichte umfasst, neben einer Lostrommel aus dem Jahr 1863 eine Vitrine mit relicts and souvenirs of 9/11. Das Tribute World Trade Center 9/11 Visitor Center am Ground Zero stellt neben multimedialen Installationen in Vitrinen u.a. geschmolzene Löffel, Metrokarten, Feuerwehrhelme und Damenschuhe aus.148 Die US-amerikanische Kunsthistorikerin Terri Weissman analysierte diese musealen Ausstellungsstrategien in ihrem Aufsatz The Spectacle of Trauma: 9/11 in the Museum149. Sie schildert, wie die Kombination von spektakulärem massenmedialem Bildmaterial, Gebrauchsobjekten und privaten Erinnerungsdokumenten in Museen tendenziell zu einer Ausstellungspolitik führe, die paradoxerweise den

147

Die Ausstellung Here is New York: Remembering 9/11 war vom 11. September 2007 bis zum 31. Dezember 2007 im Gebäude der New-York Historical Society in Central Park West 170, New York zu sehen.

148

Auf der Website der Gedenkstätte www.tributewtc.org kann die Ausstellung

149

Terri Weissman: „The Spectacle of Trauma: 9/11 in the Museum“. In: Visual

mittels eines virtuellen Rundgangs besichtigt werden. Resources 21/2 (2005), S. 155-170.

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11. September dehistorisiere, weil sie nur auf der Ebene der Viktimisierung verbleibe, das nationale Trauma fokussiere und das Publikum einzig als Affektkollektiv anspreche. Weissman beschreibt diese Tendenzen exemplarisch am Beispiel der Ausstellung September 11: Bearing Witness to History, die das Smithsonian National Museum of American History in Washington vom 11. September 2002 bis zum 12. Januar 2003 präsentierte: „The exhibition, however, did succeed in making human experience the basis of its mode of communication, but what ultimately emerged was not a fitting memorial to the dead, or an understanding of the complexities of current international politics, or even an elucidation of the numerous human tragedies experienced worldwide by and since the events of September 11. Rather, the exhibition’s heightened emotionalism worked to promote a kind of uncritical patriotism, the resulting museum message being a reiteration of American power.“150

Weissman kritisiert das Fehlen einer kritischen historischen Einordnung im Kontext der Ausstellungspolitik. Denn anstelle einer historischen Kontextualiserung der Anschläge bezögen sich die erwähnten Ausstellungen mit der Repräsentation von Gebrauchsgegenständen auf eine globalisierte Erinnerungsästhetik im Zeichen des Traumas. Die Musealisierung und Auratisierung von Alltagsgegenständen als Überreste und Zeugnisse von historischen Katastrophen ist seit der Herausbildung einer auf dem Trauma-Paradigma beruhenden Gedenkästhetik und einer Kosmopolitisierung der Holocausterinnerungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anzutreffen.151 Darüber hinaus lässt sich die Fetischisierung der materiellen Überreste des Terroranschlags zur Bildung und Fortdauer eines nationalen Affektkollektivs in die kulturhistorischen Traditionslinien einordnen, die Hartmut Böhme in seiner Studie Fetischismus und Kultur152 beschreibt. Fetischisierungen können aber auch außerhalb musealer Ausstellungspraktiken beobachtet werden. Analog zum WTC Bildkomplex bildete sich ein 9/11-Erinnerungskomplex heraus, der diverse Medien des kollektiven Gedächtnisses umfasst, wie Erik Meier und Claus

150

Weissman: The Spectacle of Trauma, S. 164.

151

Vgl. Levy/Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter.

152

Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek bei Hamburg 2006.

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Leggewie in ihrem Aufsatz ,Collecting Today for Tomorrow‘. Medien des kollektiven Gedächtnisses am Beispiel des ‚Elften September‘153 darlegen. Besonders anschaulich wurden die mitunter auch irrationalen Momente solcher Erinnerungspolitik, als im Jahr 2009 das US-Kriegsschiff USS New York in Betrieb genommen wurde, in dessen Schiffsbug 7,5 Tonnen Stahl aus den Ruinen des World Trade Center eingebaut sind – ein Fall von Kriegsmagie im 21. Jahrhundert.154 Zusammenfassend zeichnete sich das Medienereignis 11. September ausgehend von der Ereignisrekonstruktion in den Nachrichtenmedien durch markante und langanhaltende Prozesse der Narrativierung, Ikonisierung und Topisierung aus, die es als Datum einer globalen Erinnerungskultur konsolidierten. Standen diese Dynamiken im Mittelpunkt des ersten Teils der Studie, erfolgt im anschließenden zweiten Teil die Analyse der ausgewählten Texte der deutschen Gegenwartsliteratur, die das Medienereignis 11. September als „medial inszenierte Langzeitgeschichte“155 auf literaturspezifische Weise weiterschreiben.

153

Vgl. Erik Meyer/Claus Leggewie: „,Collecting Today for Tomorrow‘. Medien des kollektiven Gedächtnisses am Beispiel des ‚Elften September‘“. In: Astrid Erll/Ansgar Nünning (Hg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität –Kulturspezifität. Berlin/New York 2004, S. 277-291.

154

Vgl. die Zeitungsmeldung: o.V.: „Kriegsschiff aus Twin-Tower-Stahl fährt los“. In: die tageszeitung vom 9. November 2009.

155

Weichert: Die Krise als Medienereignis, S. 218.

2. Lektüren

Das Symbolsystem Literatur und das Medienereignis 11. September Das Medienereignis 11. September stellt den Erzählanlass für zahlreiche Texte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dar. Die Analyse der literarischen Bezugnahmen wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gegenwartsliteratur und Zeitgeschichte auf. Seit dem narrative turn in den Geschichtswissenschaften und dem Siegeszug des New Historicism in den Literaturwissenschaften, d.h. der Einsicht in die Textualität der Geschichte sowie in die Geschichtlichkeit der Textualität, bildet die Konzeptualisierung des Verhältnisses von Historiografie und Literatur einen breiten interdisziplinären Forschungsgegenstand.1 Das Verhältnis der Gegenwartsliteratur zur unmittelbaren Zeitgeschichte ist dagegen in einem Unschärfebereich angesiedelt. Denn die Gegenwartsliteratur ist in die kulturellen Ausdeutungs- und Aushandlungsprozesse eines zeitgeschichtlichen Horizonts eingebunden, indem sie, so Katja Stopka, „an der Konstruktion wie Dekonstruktion kollektiver Deutungsmuster und Erinnerungsstereotype entscheidend beteiligt“2 ist. Vor die selbe Deutungsoffenheit der historischen Pro1

Vgl. zum Beispiel Daniel Fulda/Silvia Serena Tschopp (Hg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin/New York 2002 sowie Erhard Schütz/Wolfgang Hardtwig (Hg.): Keiner kommt davon. Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945. Göttingen 2008.

2

Katja Stopka: Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft. Version: 1,0. In: Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithisto-

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zesse wie die Zeitgeschichtsschreibung gestellt, verhandelt und reflektiert die Literatur die zeithistorischen Ereignisse mittels Poetiken der Gegenwart im Modus des Ästhetischen. Mit Moritz Baßler geht die Studie von einer kulturpoetischen Funktion der Literatur aus und versteht literarische Texte als Teil eines kulturellen Archivs, dessen Formationen sie nicht nur widerspiegeln, sondern selbst mitschreiben.3 Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur über den 11. September ist damit Bestandteil eines 9/11-Diskurses. Da sich das gesellschaftliche Funktionspotential literarischer Texte nach Winfried Fluck nur über deren ästhetische Wirkungsstruktur realisiert,4 werden in den drei anschließenden Interpretationskapiteln in exemplarischen Einzelstudien die literarischen Darstellungsverfahren der ausgewählten fiktionalen Texte untersucht. Bei der Analyse ist der titelgebende Begriff der traumatischen Texturen insofern leitend, als dass nicht wie bei Untersuchungen zur Erinnerungsliteratur literarische Traumadarstellungen, die um den Konnex von Erinnern, Vergessen und Amnesie kreisen, im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr die literarischen Bezugnahmen auf das spannungsvolle Verhältnis von Medienereignis und kulturellem Trauma. Das erste Lektürekapitel Literatur als Echtzeit-Inszenierung zwischen Blogosphäre, New Journalism und Dokumentarismus fragt nach dem Verhältnis zwischen Literatur und dem Medienereignis 11. September. Gerade weil das Symbolsystem Literatur längst Bestandteil eines postmodernen Medienverbundes ist, sind die literarischen Reaktionen auf 9/11 vor besondere Herausforderungen gestellt, die der Literaturwissenschaftler Christoph Deupmann mittels der Parameter „Information/Fiktion“, „Sichtbarkeit/ Unsichtbarkeit“, „Kontinuität/Diskontinuität“ als auch „Erwartbarkeit/ Unerwartbarkeit“ beschreibt.5 Denn das literarische Erzählen über den 11. September ist immer an den Informationshorizont einer globalen Mediengesellschaft gebunden, die das Ereignis minutiös dokumentierte. Das traditionell als langsam codierte und in der Nachträglichkeit agierende Medium

rischen Forschung. Download unter http://docupedia.de/docupedia/indexphp? title=Literaturwissenschaft&olid=69170 am 16.01.2010. 3

Vgl. Baßler: Die kulturpoetische Funktion.

4

Vgl. Winfried Fluck: Das kulturelle Imaginäre. Eine Funktionsgeschichte des

5

Vgl. Deupmann: Vom Ereignis des 11. September zum Ereignis des Textes.

amerikanischen Romans 1790-1900. Frankfurt am Main 1997.

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der Literatur war mit einem Medienereignis konfrontiert, das sich durch Echtzeit-Berichterstattung und die anschließende Ikonisierung der Medienbilder auszeichnete. Im Gegensatz zum Medium des Films und des Comics verfügt das Symbolsystem Literatur über keine explizite visuelle Formensprache, sondern vermag nur innerhalb einer literarischen Ästhetik zu agieren. Somit rückt der Aspekt der Intermedialität in den Mittelpunkt der literaturwissenschaftlichen Analyse. Als intermediale Verfahren werden dabei Medienreferenzen, Medienwechsel und Medienkombinationen verstanden, die unterschiedliche Stufen der Intermedialität darstellen.6 Die unterschiedlichen intermedialen Verfahren der zeitnahen literarischen Reaktionen auf das Medienereignis 11. September stehen somit im Mittelpunkt des ersten Lektürekapitels. Das zweite Lektürekapitel Schauplätze und literarische Amerikabilder untersucht die nach dem 11. September entstandenen Stadt- und Amerikabilder. Dabei liegt der Schwerpunkt vor allem auf zwei Aspekten: Vor dem Hintergrund des Konnexes von Großstadt und Katastrophe sowie der Konstruktion New Yorks als Erinnerungsort werden zum einen literarische Stadtdarstellungen analysiert, vor dem Hintergrund der transatlantischen Krise rücken zum anderen raumgebundene literarische Amerikabilder in den Mittelpunkt. Beiden Untersuchungsschwerpunkten liegt die Kategorie des Raums zugrunde, die seit den 1980er Jahren mit der Proklamation eines spatial turn zu einem sozial- und kulturwissenchaftlichen Leitkonzept avancierte.7

6

Vgl. den Überblicksartikel von Uwe Wirth: „Intermedialität“. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Hrsg. von Thomas Anz. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 2007, S. 254-264. Wirths Typologie, die sich auf die Klassifizierungen von Irina Rajewsky bezieht, unterscheidet vier Stufen der Intermedialität: Die Medienreferenz als systeminterne Thematisierung eines anderen Mediensystems stellt die „Nullstufe der Intermedialität“ dar. Der Medienwechsel von einem zu einem anderen Mediensystem bildet die „erste Stufe von Medialität“, die Medienkombination als „zweite Stufe von Intermedialität“ koppelt verschiedene Mediensysteme so, dass jeweils die mediale Eigenlogik erhalten, aber auch ein ästhetischer Mehrgewinn erzielt wird, während die dritte Stufe der Intermedialität in Gestalt „konzeptioneller Hybridbildung“ auftritt.

7

Vgl. die Ausführungen zum spatial turn bei Bachmann-Medick: Cultural Turns, S. 284-328. Für einen Überblick zur Raumkategorie vgl. den Eintrag „kultur-

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Gemeinsamer Ausgangspunkt der transdisziplinären Hinwendung zum Raum sind die Ablehnung eines essentialistischen Raumverständnisses und der Abschied von der mit dem Raum verbundenen Container-Metapher. Vielmehr wird Raum als kulturelles Produkt sozialer und symbolischer Praktiken verstanden und somit als soziokultureller Bedeutungsträger konzeptualisiert. Mit der neuen Raumperspektive rücken gesellschaftliche raumkonstituierende Praktiken und die mit ihnen verbundenen Machtverhältnisse, kulturellen Raumsemantiken, unterschiedlichen medialen Raumrepräsentationen sowie die Interdependenz zwischen realen, virtuellen und imaginären Räumen in den Vordergrund. Für eine kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft bedeutet die Hinwendung zum Raumparadigma unter der dem Leitkonzept eines topographical oder spatial turn die Untersuchung der kulturpoetischen Funktionen literarischer Raumdarstellungen und damit die Frage nach den raumrepräsentierenden und raumkonstituierenden Dimensionen der Literatur.8 Die Analyse der literarischen Stadtdarstellungen folgt der Typologie von Textstädten, die Andreas Mahler in seinem Aufsatz Stadttexte – Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution9 entwirft.

wissenschaftliche Raumtheorien“ von Jörg Dünne in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorien, S. 607f. Siehe weiterhin Michael C. Frank/Bettina Gockel/Thomas Hauschild/Dorothee Kimmich/Kirsten Mahlke: „Räume – zur Einführung“. In: dies. (Hg.): Zeitschrift für Kulturwissenschaften: Räume 2 (2008), S. 7-16; Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008. 8

Für die Variante eines topographical turns siehe Sigrid Weigel: „Zum ‚topographical turn‘. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften“. In: KulturPoetik 2 (2002), S. 151-165; Robert Stockhammer: TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. München 2005; Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Stuttgart/Weimar 2005. Zur stärkeren Betonung eines spatial turns vgl. Wolfgang Hallet/Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009.

9

Andreas Mahler: „Stadttexte – Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution“, In: ders. (Hg.): Stadt-Bilder. Allegorie-Mimesis-Imagination. Heidelberg 1999, S. 11-36.

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Mahler unterscheidet zwischen Städten des Allegorischen, Städten des Realen und Städten des Imaginären als drei Typen von Textstädten. Er führt als drei grundsätzliche Verfahren der literarischen Stadtkonstitution die Referentialisierung, die Setzung semantischer Konstitutions-Isotopien und die Setzung von Spezifikations-Isotopien an. Das Verfahren der Referentialisierung umfasst die explizite oder implizite referentielle Stadtkonstitution durch Bezugnahme auf die außersprachliche Realität und ist zumeist anhand des Titels oder des Textanfangs erkennbar. Als mimetisches Verfahren führt es in Stadttexten zu Städten des Realen. Das Verfahren der Stadtdarstellung mittels Konstitutions-Isotopien umfasst typische Bestandteile der fiktionalen Stadtwelt wie Straßen, Häuser oder Verkehrnetze, die Elemente einer partialen oder globalen Stadtdarstellung sind. Dominiert in Stadttexten die sprachliche und symbolische Konstitution der Stadt, führt dieses Verfahren zu Städten des Imaginären. Unter Spezifikations-Isotopien versteht Mahler die Charakterisierung der Stadt als Handlungsraum für die Protagonisten, der als konfliktiv, kontingent, offen, komplex oder harmonisch erfahren werden kann. Die Dominanz dieses Textverfahrens erzeugt Städte des Allegorischen. Neben dem Aspekt der Textstädte fokussiert das zweite Lektürekapitel die veränderte Semantik der deutschen Amerikabilder seit 2001. Niels Werber weist seinem Aufsatz Imaginationen des Raumes. Literarische und philosophische Fluchtlinien deutscher Amerikabilder10 auf die Wechselwirkungen zwischen Amerikabildern und Raumvorstellungen hin und zeigt auf, welchen Anteil die deutsche Amerikaliteratur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an der Konstruktion der Opposition von einerseits Amerika

10 Niels Werber: „Imaginationen des Raumes. Literarische und philosophische Fluchtlinien deutscher Amerikabilder“. In: Rudolf Behrens/Jörn Steigerwald (Hg.): Die Macht und das Imaginäre. Eine kulturelle Verwandtschaft in der Literatur zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Würzburg 2005, S. 201-215. Siehe des Weiteren auch Niels Werbers Studie: Die Geopolitik der Literatur. Eine Vermessung der medialen Weltraumordnung. München 2007, in der Werber anlässlich der Rückkehr der Geopolitik in die tagesaktuellen Zusammenhänge, die die beschworene Virtualisierung des Raumes im digitalen Zeitalter kontrastiert, in einem größeren Zusammenhang dem Verhältnis von Geopolitik und Literatur nachgeht und die literarischen Traditionslinien der Geopolitik seit dem 19. Jahrhundert herausarbeitet.

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als geschichtslosem, weitem Raum und andererseits Europa als mit Kultur, Geschichte und Tradition assoziiertem Ort hatte. Diese Opposition führte, so Werber weiter, zur Vorstellung eines aufgrund seiner Delokalisierung überall beheimatbaren Amerikaners und damit zur Vorstellung einer amerikanischen Globalherrschaft – Stereotype, die nach Werber bis heute wirksam sind und auch die Diskussionen nach 9/11 beherrschen. Die deutschen literarischen Amerikabilder fungierten seit dem Ende des 17. Jahrhunderts als Imaginationsmaschinerie für europäische Vorstellungen von Nord-Amerika. Die ‚Neue Welt‘ diente seit ihrer Entdeckung und Eroberung Europa als kulturelle Projektionsfläche par excellence. Dabei verweist die umfangreiche imagologische Forschung zum deutschen literarischen Amerikabild immer auch auf die den Projektionsleistungen zugrunde liegenden historisch kontextualisierbaren Selbstbilder. Bereits im Jahr 1979 verwies Manfred Durzak auf die auch aktuell noch gültige implizite Selbstbeschreibungsfunktion deutscher literarischer Amerikabilder: „Das Amerika-Bild in der deutschen Literatur sagt mehr über die historische und gesellschaftliche Situierung dieser Literatur und ihrer Autoren aus als über die Realität dieser neuen Wirklichkeit. Dieses Bild ist also enger mit der Bewußtseinsgeschichte der Deutschen verklammert als mit der Sozialgeschichte Amerikas.“ 11

Die für die literarischen Amerikabilder konstitutive Ambivalenz zwischen Utopie und Dystopie fand im 20. Jahrhundert in der berühmten Ankunftsszene in Franz Kafkas Romanfragment Amerika vielleicht ihre genuine Verkörperung: „Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie

11 Manfred Durzak: „Vorwort: Annäherung an Amerika“. In: ders.: Das AmerikaBild in der deutschen Gegenwartsliteratur. Historische Voraussetzungen und aktuelle Beispiele. Stuttgart 1979, S. 7-15, hier S. 10.

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in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“12

Die Ankunftsszene von Karl Roßmann im New Yorker Hafen, bei der dieser die Fackel der Freiheitsstatue für ein Schwert hält, veranschaulicht mit der Vertauschung von Fackel und Schwert das Changieren zwischen Freiheitsversprechen und Gewaltandrohung. Alleine eine Tour d’horizon entlang der deutschsprachigen Amerika-Literatur des 20. Jahrhunderts, die ausgehend von den publizistischen und literarischen Amerika-Diskursen der 1920er Jahre über die Amerikabilder der 1950er Jahre im Kontext der Amerikanisierung der westdeutschen Kultur, die Entdeckung der amerikanischen Beat-Literaten in den 1970er Jahren bis hin zu den publizistischen und literarischen Amerika-Diskursen nach den Anschlägen des 11. September 2001 verläuft, mündet in einer kaum überschaubaren Fülle von Amerika-Texten und deren Kommentierungen – und hält als Resümee an der bekannten Ambivalenz fest.13 Welche Nuancierungen die deutschen literarischen Amerikabilder in Nachfolge der gestörten transatlantischen

12 Franz Kafka: „Der Verschollene“. In: ders.: Schriften Tagebücher Briefe. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Jost Schillemeit. Frankfurt am Main 1983, S. 7. Max Brodt veröffentlichte nach Kafkas Tod den Text, der bereits 1913 in Leipzig bei Kurt Wolff unter dem Titel Der Heizer. Ein Fragment erschienen war, als Teil des von ihm kompilierten Amerikaromans. 13 Vgl. zum literarischen Amerikabild im 20. Jahrhundert beispielhaft Jochen Vogt/Alexander Stephan (Hg.): Das Amerika der Autoren: von Kafka bis 09/11. München 2006, insbesondere den eröffnenden Beitrag von Jeffrey L. Sammons: „Gibt es dort ein ‚Dort‘? Das deutsche Amerikabild“, der einen Überblick zum umfangreichen Forschungsstand gibt. Siehe weiterhin zur imagologischen Forschung über deutschsprachige literarische Amerikabilder Walter Erhart: „Fremderfahrung und Ichkonstitution in Amerika-Bildern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“. In: Orbis Litterarum 49 (1994), S. 99-122; Ulrich Ott: Amerika ist anders. Studien zum Amerika-Bild in deutschen Reise-Berichten des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main u.a. 1991. Zur Amerikanisierung der westdeutschen Nachkriegskultur siehe weiterhin Jochen Vogt/Alexander Stephan (Hg.): America on my mind. Zur Amerikanisierung der deutschen Kultur seit 1945. München 2006.

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Beziehungen anlässlich des Irakkrieges erfuhren, wird im Folgenden in Einzelanalysen aufgezeigt werden. Das dritte Lektürekapitel Terrorismus-Narrative untersucht die literarischen Codierungen von Terrorismus, Politik und politischer Gewalt seit 2001. Es widmet sich mit ‚Terrorismus‘ einem Phänomen, das wie Michael C. Frank und Kirsten Mahlke anmerken, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts „weltweit zu einem politischen Schlüsselbegriff avancierte, auf dessen Legitimationsgrundlage Kriege begonnen, globale politische Kräfteverhältnisse neu austariert und verfassungsrechtliche Grundlagen ausgehebelt wurden.“14 Die Analyse der literarischen Bezugnahmen auf Terrorismus bezieht sich vor allem auf drei Aspekte. Sie fragt nach den Anschlüssen an vorgängige Literarisierungen terroristischer Gewalt, insbesondere an das Genre der RAF-Literatur, fokussiert die literarischen Darstellungen des so genannten Neuen Terrorismus unter besondere Aufmerksamkeit für die Figur des politisch-religiösen Märtyrers und untersucht die Repräsentationen des Zusammenhanges zwischen antizipierter beziehungsweise suggestierter Sicherheitsbedrohung und Überwachungsstaat in der Epoche eines gesteigerten gesellschaftlichen Risikobewusstseins.

14 Michael C. Frank/Kirsten Mahlke: „Kultur und Terror. Zur Einführung“. In: dies. (Hg.): Zeitschrift für Kulturwissenschaften: Kultur und Terror 1 (2010), S. 7-16, hier S. 8.

Literatur als Echtzeit-Inszenierung zwischen Blogosphäre, New Journalism und Dokumentarismus

1. „Katastrophen korrigieren Lebensläufe“: Else Buschheuers New York Tagebuch (2001) als Extremfall literarischen Bloggens Die Autorin, Kulturjournalistin und TV-Moderatorin Else Buschheuer zieht im Sommer 2001 für ein dreimonatiges Praktikum bei der deutsch-jüdischen Zeitschrift Aufbau nach New York. Mit dem Tag ihrer Ankunft am 30. Juni beginnt sie unter www.else-buschheuer.de ein Internet-Tagebuch zu führen, in dem sie fast täglich Alltagsepisoden und Eindrücke aus ihrer neuen Wahlheimat schildert. Am Morgen des 11.09.2001 schreibt Buschheuer in ihrer Wohnung in der Thompson Street Nr. 57 um 9:34 Uhr Ortszeit in ihr Internet-Tagebuch: „Ich möchte nur mal schnell anmerken, dass ich durch eines der Flugzeuge, die ins World Trade Center reingeknallt sind (das zweite), wach geworden bin. Das zweite Flugzeug war größer, der Knall war lauter. Genauer: ich habe den beängstigenden Tiefflug gehört (WTC befindet sich optisch am Ende meiner Straße, ganz nah), habe den Crash gehört, der war trotz des permanenten Straßenlärms sehr deutlich zu unterscheiden, habe vor meinem Fenster die Leute zusammenlaufen gehört und O my

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god rufen hören und bin dann schnell rausgelaufen auf die Straße. In jeden verdammten Turm ist ein Flugzeug geknallt.“1

Zum Zeitpunkt des Eintrags ist Buschheuer die Dimension des Ereignisses völlig unklar. Sie beginnt in ihrer Souterrainwohnung in SoHo, die rund drei Kilometer vom World Trade Center entfernt ist, in ViertelstundenAbständen im Internet-Tagebuch über die Lage zu berichten. In der ungewissen Bedrohungssituation wird das Internet-Tagebuch für die Autorin zum einzigen Kommunikationskanal und somit zum Protokollmedium der Katastrophe, das minutiös die Ereignisse des Vormittags verzeichnet. Bereits die kurzen Überschriften mit ihrer Schreibung in Großbuchstaben erzeugen eine dramatische Chronologie. Als um 10:28 Uhr der Nordturm des World Trade Center kollabiert, schreibt Buschheuer zeitgleich mit der Medienberichterstattung: „DER ZWEITE TURM / NY 10:30 BERLIN 16:30 / ist zusammengefallen. Ich sitze hier und heule, die Erde ringsum bebt, draußen weinen auch alle. Das World Trade Center gibt es nicht mehr.“2 Aber bereits eine Stunde später schildert sie, als würde sie damit die Erneuerungskraft der Metropole beschwören, die Rückkehr zur Normalität: „IN DER THOMPSONSTREET / NY 11:47 BERLIN 17:47 / wird das Tagesgeschäft langsam wieder aufgenommen.“3 Um 12:36 Uhr berichtet sie: „WAR DRAUSSEN“4 und schildert erste Straßeneindrücke: „Sieht schrecklich aus, unfertig, ungewohnt, das klaffende Himmelsloch, die hässlichen niedrigen Hochhäuser, die übriggeblieben sind. Qualm- und Staubwolken immer noch.“5 Bereits zwei Einträge später resümiert sie die Ereignisse des Vormittags:

1

Else Buschheuer: www.else-buschheuer.de Das New York Tagebuch. Köln 2002, S. 128. Da das Internet-Tagebuch online nicht mehr verfügbar ist, dient die ein Jahr später erschienene Buchfassung im Folgenden als Textgrundlage.

2 3

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 135. Buschheuer: New York Tagebuch, S. 144. Siehe zum Topos der Normalität im Katastrophischen auch Wim Peters: „9/11 und das Insistieren des Alltags. Pressefotografie und deutsche Gegenwartsliteratur“. In: Poppe/Schüller/Seiler: 9/11 als kulturelle Zäsur, S. 203-221.

4

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 148.

5

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 148.

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„mein persönlich schlimmster Moment war der, als ich den zweiten Turm nicht stürzen sah, weil ich grade in meiner Wohnung war, dass ich nicht erkennen konnte, dass er in einigen Kilometern Entfernung in sich zusammenfällt, sondern dass ich aus den schrecklichen Schreien vor meinem Fenster herauszuhören glaubte, der Turm fiele in unsere Richtung [...]. Das Nicht-sehen-können [sic!] des Bildes, mit dem ich später zugeschissen wurde, war der schlimmste Schrecken. Es fehlte die visuelle Zuordnung, die akustische Einordnung. [...] Alles andere, die echten Bilder vor meiner Haustür, die Fernsehbilder in unseren Wohnzimmern, sah aus wie in einem aufwendig produzierten Sci-Fi-Streifen [...]“6

Buschheuer beschreibt die als bedrohlich erlebte Differenz zwischen ihrer persönlichen Wahrnehmung und der medialen Ereignisrekonstruktion. Dem „Knall“, den „schrecklichen Schreien“ und den „Qualm- und Staubwolken“ als Evidenz erzeugenden Sinneseindrücken stehen der als unwirklich empfundene Sehsinn und die Medienbilder gegenüber. Wie zur Aneignung der visuellen Eindrücke stellt sie zusätzlich zu den Texteinträgen zwei von ihr aufgenommene Fotografien auf ihre Website.7 Während die erste Fotografie die Thompson Street mit den brennenden Türmen des World Trade Center am Ende der Sichtachse zeigt, dokumentiert die zweite Fotografie das „klaffende Himmelsloch“8 nach dem Zusammenbruch der Türme. Die Amateur-Aufnahmen dokumentieren mittels eines Vorher-Nachher-Effekts den Verlust der vertrauten Stadtphysiognomie – „WTC befindet sich optisch am Ende meiner Straße, ganz nah“9. Zugleich sind die Aufnahmen auch exemplarisch für die insbesondere bei Medienereignissen ausgeprägte Partizipation von Medienamateuren an der Produktion digitaler Bildräume.

6

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 150.

7

Die Buchausgabe enthält keine Abbildungen. Vgl. die Erwähnung der Fotos auf Buschheuers Blog bei Volker Hage: „Vorbeben der Angst. Wie reagieren die Schriftsteller auf die Terroranschläge in den USA? Was folgt aus der veränderten Weltlage für die Literatur? Schluss mit Pop-Tralala, ernster Ton, elementare Themen – überraschend haben etliche der neuen Romane deutscher Sprache, die jetzt erscheinen, das längst beherzigt“. In: Der Spiegel vom 8. Oktober 2001, S. 224-232, hier S. 228.

8

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 148.

9

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 128.

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Dass für Buschheuer das Internet-Tagebuch eine Dynamik zwischen Schreibzwang und Therapeutikum entwickelt, bezeugt die hohe Schreibfrequenz im Zeitraum vom 11. bis zum 14. September, in dem sie über neunzig Tagebucheinträge verfasst. Sie berichtet aus ihrer im Sperrgebiet liegenden Wohnung in der Thompson Street über das Aufkommen von Atemmasken, über den Beginn der Aufräumarbeiten am Ground Zero und beschreibt die Trauerbekundungen der New Yorker auf den Straßen ebenso wie die Fernsehübertragungen großer Trauergottesdienste. Bereits am 12. September beginnt die deutsche Medienberichterstattung, sich für Buschheuers Internet-Tagebuch zu interessieren. Die Autorin erhält zahlreiche Anfragen von Fernseh- und Radiosendern. Als im Sperrgebiet am Ground Zero lebende Deutsche und ehemalige Wetter-Moderatorin beim Privatfernsehen erfüllt Buschheuer zugleich mehrere Einschaltquoten versprechende Nachrichtenfaktoren. Das mediale Interesse führt zu einer verstärkten Wahrnehmung des Internet-Tagebuchs in der deutschen Öffentlichkeit, und die Zugriffszahlen der Website schnellen in die Höhe.10 Doch Buschheuer lehnt alle Interviewanfragen mit dem Verweis auf das InternetTagebuch als autorisierte Quelle ab. Dennoch hält die anfänglich von Buschheuer als Schreibmotivation empfundene Aufmerksamkeit an, entzieht sich aber zunehmend dem Medienmanagement der Autorin. Als Reaktion auf den nicht mehr steuerbaren Medienhype um ihre Person und als Schutz vor Vereinnahmungen und Instrumentalisierungen wendet sie sich am 13. September offensiv im Internet-Tagebuch an die Presse: „Liebe Journalisten! Ich mag keine Schalten machen, keine Radiointerviews geben, nicht in Talkrunden sitzen und die ‚Deutsche, die aus New York berichtet hat‘ geben. Ich bin kein Opfer (nicht mehr als wir alle), keine nahe Augenzeugin, ich habe keine Angehörigen verloren und bin nicht verletzt. Ich wohne nur zufällig in der Nähe. Und führe zufällig seit Monaten mein Tagebuch aus New York. Alles, was ich zu sagen habe, steht in diesem Tagebuch.“11

10 Bis zu 200.000 Nutzer greifen in den ersten Tagen nach den Anschlägen täglich auf Buschheuers Website zu. Vgl. Ralph Gerstenberg: Schreiben in der Blogosphäre. Aktuelle Literatur im Netz. Deutschlandfunk-Feature vom 22.01. 2008. Manuskriptdownload unter www.dradio.de/dkultur/sendungen/literatur/ 706709/ am 10.02.2008. 11 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 182.

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Doch die mediale Aufmerksamkeit hält ungemindert an. Insbesondere Boulevardmedien aus Deutschland filmen, fotografieren und zitieren das Internet-Tagebuch. Die Situation eskaliert, als Buschheuer, die sich der medialen Dauerbeobachtung ausgesetzt fühlt, am 15. September einen Zusammenbruch erleidet. In einem längeren Tagebucheintrag schildert sie den Kollaps und die anschließende Notversorgung in einem New Yorker Krankenhaus und verweist mit einem Hyperlink auf Informationen über Psychotraumata in der Wochenzeitung Die Zeit.12 Sie reflektiert die von Schreibzwang und medialer Dauerbeobachtung gekennzeichnete Extremsituation der vergangenen Tage: „Die Zeit was außer Kraft gesetzt. Schreibenmüssen, Nichtschlafenkönnen, Bleibenmüssen. Und sich an den Kopf greifen, wenn man an sein früheres Leben denkt.“13 Zugleich kritisiert sie die Funktion ihres Internet-Tagesbuchs in der Berichterstattung: „Ab und zu hatte ich das unangenehme Gefühl, dass halb Deutschland mir grade dabei zusieht, wie ich verrückt werde. BILD und BZ montierten mein Gesicht vor das WTC (BILD) und vor die Trümmer (BZ), Taff und RTL EXCLUSIV filmten ungebeten mein Tagebuch ab. Offenbar gab es einen großen Mangel an deutschen Opfern, den ich interimsmäßig überbrücken sollte.“14

Nach der Medienanalyse der Autorin kühlt das mediale Interesse zusehends ab und auch das Internet-Tagebuch kehrt zum anfänglichen Schreibrhythmus mit durchschnittlich ein bis drei Einträgen pro Tag zurück. Die sich anschließenden Einträge liefern weiterhin Stimmungsbilder aus New York, berichten von den Debatten um den Wiederaufbau von Ground Zero, über die Anthrax-Hysterie sowie über den zunehmenden Patriotismus und die sich ausbreitende Kriegsrhetorik der Bush-Administration. Das InternetTagebuch endet am 4. November mit einem Eintrag über Buschheuers unmittelbar bevorstehenden Rückflug nach Deutschland und ihren Vorsatz, nach New York zurückzukehren. Das New York Tagebuch interpretiert das Medienereignis 11. September in erster Linie als individuelle und kulturelle Zäsur: „Weil eben nichts

12 Vgl. Buschheuer: New York Tagebuch, S. 255. 13 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 205. 14 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 205.

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mehr so ist, wie es war, niemand, ich auch nicht.“15 Das Motiv der Anschläge als individuelles und kollektives Konversionserlebnis wiederholt sich in der Fortsetzung des Internet-Tagebuchs www.else.tv. Das New York Tagebuch II.16 Buschheuer, die ihre Anstellung als Moderatorin des WDR Weltkulturspiegels in Folge der Anschläge verliert, kehrt im Dezember 2001 nach New York zurück und setzt ihr digitales Schreibprojekt fort. Im New York Tagebuch II notiert sie im Vorfeld des ersten Jahrestages der Anschläge am 4. September 2002: „Ja, ich bin grad hier, weil ich am 11.09. hier sein will. Ich werd mich auf die Stufen setzen vor meinem alten Apartment in der Thompson Street in SoHo, ich werde die beiden Fotos mitnehmen, die ich gemacht habe, und mein Internettagebuch, und werde ab morgens 9 das alles noch mal lesen und vermutlich auch ein bisschen erleben und etliche Schweigeminuten aneinanderreihen. Katastrophen korrigieren Lebensläufe.“17

Die Textpassage betont das Motiv der Zäsur, dem allerdings durch den intertextuellen Verweis auf das erste New York Tagebuch eine Kontinuität des diaristischen Prinzips entgegengestellt wird. Weiterhin eröffnet Das New York Tagebuch einen Bezug zwischen den historischen Chiffren 1989 und 2001: „When the WTC broke down. Klingt schon so floskulös wie ‚When the wall broke down‘. Der Kreis schließt sich. Bevor die Mauer fiel und nachdem das WTC fiel, wohnte ich in einem abgesperrten Gebiet, in einer SPERRZONE“18. Der Tagebucheintrag vom 25. Oktober 2001 zitiert unkommentiert Wolf Biermanns Gedicht und Liedtext „Und als wir ans Ufer kamen“ aus dem Jahr 1976.19 Der zeithistorische Kontext des Internet-Tagebuchs resemantisiert das entstehungsgeschichtlich auf die deutsche Teilung verweisende Gedicht, so dass dessen Körper- und Wundmetaphorik – „Was wird bloß aus unseren Träumen/In diesem zerrissenen Land/Die Wunden wollen nicht zugehn/Unter dem

15 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 179. 16 Else Buschheuer: www.else.tv. Das New York Tagebuch II. Dezember 2001August 2003. Deutsch-Englische Ausgabe. Norderstedt 2003. 17 Else Buschheuer: Das New York Tagebuch II, S. 55. 18 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 175, Eintrag vom 13. September 2001. 19 Vgl. Buschheuer: New York Tagebuch, S. 245f.

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Dreckverband“20 – in Bezug auf den verwundeten Stadtkörper New Yorks sowie auf den Topos des Amerikanischen Traums interpretierbar ist. Die Referenz auf den Mauerfall dient für die in der DDR aufgewachsene Autorin angesichts der Inkommensurabilität des Ereignisses nicht als historischer Vergleich, sondern als Bezug auf eine bereits lebensgeschichtlich erlebte epochale Zäsur und die mit dieser verbundenen individuellen und kollektiven Verwerfungen und Bewältigungsstrategien.21 Vor dem Hintergrund der deutungsoffenen geschichtlichen Dimension des 11. September kommt der Bezugnahme auf einen biographischen Referenzrahmen eine stabilisierende Funktion zu. Die im Kontext des Tagebuchs formulierten subjektiven Krisenerzählungen sind exemplarisch für die Konjunktur der Zäsur-Semantik unmittelbar nach dem Terrorakt. Buschheuers Internet-Tagebuch aus New York gilt als eine der ersten deutschen Echtzeit-Reaktionen auf die Terroranschläge. Die in der Thompson Street parallel zur Medienberichterstattung verfassten Tagebucheinträge zeichneten sich insbesondere durch Aktualität und Unmittelbarkeit aus. Der Spiegel erklärte das Internet-Tagebuch emphatisch zum „kaum wiederholbare[n] Experiment“ und „Dokument der hereinbrechenden Katastrophe“.22 Die Unmittelbarkeit, Aktualität und Subjektivität der Aufzeichnungen resultierten aus der medialen Funktionslogik des Internet-Tagebuchs. Als Buschheuer im Jahr 2000 begann, ein Internet-Tagebuch zu führen, war der einsetzende Boom der Blogkultur im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts noch nicht absehbar.23 Daher wählte die Autorin für ihr Onlineprojekt die Bezeichnung Internet-Tagebuch, an der sie bis 2009 festhielt. Dennoch kann Buschheuers Internet-Tagebuch retrospektiv als Blog

20 Wolf Biermann: „Und als wir ans Ufer kamen [1976]“. In: ders.: Alle Lieder. Köln 1991, S. 280. 21 Zur Auseinandersetzung Buschheuers mit dem Komplex 1989 siehe zum Beispiel ihren Essay „Opfor oder Dädor? Ein Beitrag zur Phänomenologie des Ossis“. In: Spiegel Online vom 18.05.2009. Download am 19.08.2009 unter www. spiegel.de/spiegel/0,1518,625488,00html. 22 Vgl. Hage: Vorbeben der Angst, S. 228. 23 Buschheuers erstes Internet-Tagebuch aus dem Jahr 2000 erschien 2002 nach dem Erfolg des New York Tagebuchs als Buch on demand unter dem Titel Klick!Mich!An!

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bezeichnet werden, da es dessen Form und grundsätzliche Funktionen erfüllt.24 Blogs zeichnen sich konzeptionell durch einen individuellen Charakter, aktuellen Gegenwartsbezug und Vernetzung im Form von sozialen Netzwerken aus. Zu den wesentlichen formalen Blog-Merkmalen zählen ein subjektiver Schreibstil, relativ kurze Beiträge, eine am jeweils aktuellen Beitrag ausgerichtete Chronologie, die Archivierung älterer Einträge, Verweise auf andere Blogs in Form eines Blogrolls sowie eine Kommentarfunktion. Größtenteils stellen Blogs kein homogenes digitales Textgenre dar, sondern kombinieren Text und audio-visuelles Material. Mittlerweile hat sich das Blogformat vor allem in Personal-Blogs und Non-PersonalBlogs ausdifferenziert: Während zu den Personal-Blogs private OnlineTagebücher, individuelle Themenblogs oder Literaturblogs, auch Litblogs genannt, zählen, bilden Watchblogs, die sich kritisch mit Medien und Unternehmen auseinandersetzen, sowie Corporate Blogs als kommerzielle Firmen-Blogs Beispiele für Varianten von Non-Personal-Blogs.25 Seit dem Aufkommen von Blogs Mitte der 1990er Jahre und dem anschließenden Boom der Blogkultur seit 2000 waren hohe Erwartungen an das neue digitale Medienformat geknüpft. Blogs wurden emphatisch als demokratisierende neue digitale Kommunikationstechnologien und die Blogosphäre, die Vernetzung aller Blogs, als digitale Polis gefeiert. Das „Web-2.0-Gründungsnarrativ“26 der digitalen Demokratisierung auf der Grundlage neuer Kommunikationstechnologien ist mittlerweile relativiert

24 Ein Weblog, ein Neologismus aus World Wide Web und Logbuch, auch in Kurzform als Blog bezeichnet, ist eine auf Blogsoftware basierende Website mit periodisch verfassten Einträgen. Im Kontext der Studie sind die kommunikationstechnischen Unterschiede zwischen Buschheuers Internet-Tagebuch aus dem Jahr 2001, das eine zu aktualisierende Homepage darstellte, die zudem noch von einem Webmaster betreut wurde, und aktuellen Blogs, die auf einfach zu bedienender Blogsoftware beruhen, nicht von Belang. 25 Vgl. zur Blogtypologie Miriam Otto: „Blog-Fieber: Über den Trend, sich mit Worten im WWW zu entblößen.“ In: Tiefenschärfe. Zeitschrift des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg: Schwerpunkt Internet 9 (2008), S. 21-24. 26 Ramón Reichert: Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0. Bielefeld 2008, S. 8.

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worden, denn die Leistungspotenziale der Blogs werden zunehmend im Spannungsfeld von Demokratisierung und Ökonomisierung sowie von Medienamateuren und professionellen Journalisten verortet.27 Das Verhältnis der Blogosphäre zum klassischen Informationsjournalismus changiert mittlerweile zwischen Konkurrenz und Supplement28. Dass Blogs bei journalistischen Recherchen besonders unter Aktualitäts- und Kostendruck an Bedeutung gewinnen, zeigte sich eindrücklich im Fall von Buschheuers Blog, dessen Content als kostenfreies Material abgefilmt und zitiert wurde. Die unterschiedlichen Blogtypen fungierten als Rezeptionsschema für Buschheuers Internet-Tagebuch. Obwohl Buschheuer im Jahr 2000 mit dem Roman Ruf!Mich!An!29 als Autorin debütierte, wurde ihr InternetTagebuch nicht explizit als Onlineprojekt einer Autorin und damit als literarischer Blog verstanden. Vielmehr wurde das Netzprojekt vor allem als Hybridformat zwischen persönlichem Online-Journal und semi-journalistischem Blog betrachtet und im Zusammenhang mit der Konjunktur des Online-Journalismus nach dem 11. September, dem Phänomen des New Journalism als hybrider Textgattung zwischen journalistischem und literarischem Schreiben sowie der Zunahme des Bürgerjournalismus auf Grundlage neuer Kommunikationstechnologien diskutiert.30 Obwohl Buschheuer als eine der ersten deutschen Autoren einen Blog führte, wurde ihr Netzta-

27 Vgl. Vanessa Diemand/Michael Mangold/Peter Weibel (Hg.): Weblogs, Podcasting und Videojournalismus: Neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potentialen. Hannover 2007 sowie Reichert: Amateure im Netz. 28 Vgl. zum Nachfolgenden Don Alphonso: „Ein Dutzend Gründe, warum Blogs den Journalismus im Internet aufmischen werden“. In: Kai Pahl/ders. (Hg.): Blogs! Text und Form im Internet. Berlin 2004, S. 24-43. 29 Else Buschheuer: Ruf!Mich!An! München/Zürich 2000. 30 Vgl. zum New York Tagebuch als netzbasiertem Bürgerjournalismus Steven Geyer: Der deutsche Onlinejournalismus am 11. September. Die Terroranschläge als Schlüsselereignis für das junge Nachrichtenmedium. München 2004, S. 146. Zum Verhältnis des Internet-Tagebuchs zum New Journalism siehe Christoph Neuberger: „Grenzgänger im World Wide Web. ‚Way New Journalism‘ und nonfiktionales Erzählen im Internet“. In: Joan Kristin Bleicher/Bernhard Pörksen (Hg.): Grenzgänger. Formen des New Journalism. Wiesbaden 2004, S. 416-439.

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gebuch unter dem Eindruck des 11. September vor allem auf die Funktion eines Katastrophenprotokolls und Zeitdokuments reduziert. Die Literarizität des Internet-Tagebuchs wurde aus mehreren Gründen negiert: Erstens wurde Buschheuer vor allem als Bestseller-Autorin und Fernseh-Moderatorin wahrgenommen. Ein Porträt in der Süddeutschen Zeitung titelte über die Autorin „Blöder Broiler, Promi-Tussi, Wetterfee, PopLiteratin“31 und spielte damit auf ihre ostdeutsche Herkunft und vorherige Arbeit als Wetter-Moderatorin bei ntv, ProSieben und N24 an. So wurde die Rezeption von Buschheuers Internet-Tagebuch durch ihren Autorenhabitus sowie ihrer Positionierung im literarischen Feld beeinflusst.32 Zweitens weist das Internet-Tagebuch als Literaturblog zwar Fiktionalitätssignale und verschiedene Stufen von Intertextualität auf, im Gegensatz zu anderen Litblogs entfaltet der Blog aber keine explizite Poetik des literarischen Bloggens, wie sie beispielsweise Nikolai Alban Herbst, der als einer der engagiertesten deutschen literarischen Blogger gilt, in seinem seit 2004 betriebenen Literaturblog Die Dschungel. Anderswelt entwirft.33 Drittens fällt der Beginn von Buschheuers literarischem Bloggen im Jahr 2000 mit dem Boom der Netzliteratur um die Jahrtausendwende zusammen, in dessen Kontext vor allem kollaborative Internetschreibprojekte wie NULL (1999)

31 Evelyn Roll: „Ich schreibe, also bin ich. Blöder Broiler, Promi-Tussi, Wetterfee, Pop-Literatin, ‚Kulturweltspiegel‘-Moderatorin: Annäherungen an Else Buschheuer“. In: Süddeutsche Zeitung vom 28. Juni 2001. Siehe weiterhin den Artikel von Thomas Tuma: „Nehmt! Mich! Ernst! ProSieben-Wetterfee Else Buschheuer beweist: Frauen können gut aussehen und dennoch nicht fürs Fernsehen taugen. Sie ist zu klug dafür“. In: Der Spiegel vom 19. Februar 2001, S. 135. 32 Grundsätzlich zum Autor im literarischen Feld vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999. 33 Vgl. den von Nikolai Alban Herbst betriebenen Literaturblog Die Dschungel. Anderswelt unter http://albannikolaiherbst.twoday.net, zuletzt gesehen am 22.08.2010, der unter der Rubrik „Litblog-THEORIE“ eine Kleine Theorie des Literarischen Weblogs entwirft. Herbsts Blog wird mittlerweile im Rahmen des an der Universität Innsbruck angesiedelten Projekts DILIMAG und vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert. Vgl. zu Herbst auch Florian Hartling: Der digitale Autor. Autorschaft im Zeitalter des Internets. Bielefeld 2009, S. 227-231.

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und pool (1999-2001) wahrgenommen wurden, die von ihrer Konzeption her jedoch ergänzend zur Onlinepräsenz auf eine Publikation abzielten.34 Zwar hatte 1999 Rainald Goetz mit Abfall für Alle sein Online-Journal des vorgegangenen Jahres als Buch veröffentlicht,35 aber dennoch war die Auseinandersetzung mit der Netzliteratur auf den „digitalen Mythos“36 Hypertext fokussiert und weniger auf die strukturell dem konventionellen Tagebuch ähnelnde Blogliteratur, die nach Florian Hartling einen Fall klassischer Netzliteratur37 darstellt. Aber obwohl die Literarizität des Internet-Tagebuchs negiert wird, profitiert Buschheuer durch die mediale Aufmerksamkeit in buchmarktstrategischer Hinsicht, denn der Medienhype ermöglicht die nachträgliche Veröffentlichung des Blogs. Im Jahr 2002 erscheint das Internet-Tagebuch unter dem Titel www.else-buschheuer. Das New York Tagebuch als Buch und begeht damit den umgekehrten Weg des anlässlich der Ausstellung @bsolut?privat! Vom Tagebuch zum Weblog38 diagnostizierten Trends –

34 Vgl. Sven Lager/Elke Natters (Hg.): the Buch. leben am pool. Köln 2001; Thomas Hettche/Jana Hensel (Hg.): NULL: www.dumontverlag.de/null. Köln 2000. Vgl. dazu Harro Segebrecht: „Menschsein heißt, medial sein wollen. Autorinszenierungen im Medienzeitalter“. In: Christine Künzel/Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007, S. 245-255 und Frank Fischer: „Der Autor als Medienjongleur. Die Inszenierung literarischer Modernität im Internet“. In: Künzel/ Schönert: Autorinszenierungen, S. 271-280. 35 Vgl. Stephan Porombka: „Rainald Goetz: Abfall für Alle (1998/99)“. In: ders./ Erhard Schütz (Hg.): 55 Klassiker des Kulturjournalismus. Berlin 2008, S. 224227. Vgl. zu Goetz und NULL weiterhin Uwe Wirth: „Neue Medien im Buch. Schreibszenen und Konvertierungskonzepte um 2000“. In: Corina Caduff/Ulrike Vedder (Hg.): Chiffre 2000 – Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. München 2005, S. 171-184. 36 Vgl. Stephan Porombka: Hypertext. Zur Kritik eines digitalen Mythos. München 2001. Vgl. zum aktuellen Forschungsstand sowie zur Typologie der Netzliteratur insbesondere Hartling: Der digitale Autor, S. 47. 37 Vgl. Hartling: Der digitale Autor, S. 49. 38 Zu Traditionen und Zukunftsprognosen der Tagebuchkultur siehe den anlässlich der Ausstellung @bsolut?privat! Vom Tagebuch zum Weblog, veranstaltet vom Museum für Kommunikation Frankfurt am Main/Berlin, herausgegebenen Aus-

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oder verweist vielmehr auf die Richtungsflexibilität und Interdependenz beider Formate. Das Buch weist die für die Gattung Tagebuch konstitutiven narrativen Strukturen auf: Es arrangiert die subjektiven homodiegetischen Einträge entlang einer an der Zeiteinheit des Tages ausgerichteten fortschreitenden Struktur und eröffnet ein Versuchsfeld zwischen Dokumentation, Reflexion und Archivierung.39 Im Gegensatz zu der an Aktualität ausgerichteten und einen „Real-Time-Effekt“40 erzeugenden Anordnung der Beiträge im Internet-Tagebuch sind die Tageseinträge im Buch in der fortlaufenden Chronologie des klassischen Tagebuchs angeordnet. Weiterhin integriert der Buchtext im Gegensatz zum Blog keine visuellen Elemente. Das Buch verweist auf mehreren Ebenen auf die Vorläuferform des Blogs und die stattgefundene mediale Konvertierung hin: Auf der graphischen Ebene signalisieren unterstrichene und durch Fettdruck markierte Textelemente ehemalige Hyperlinkfunktionen des Blogs, auf der inhaltlichen Ebene verweisen Schreibszenen auf das vorgängige Internet-Tagebuch: „Am iMac in der AufbauRedaktion schreibe ich diesen Tagebucheintrag“41. Zusätzlich thematisiert das Tagebuch wiederholt den Webmaster, der zum einen als Herausgeberfiktion mit eigenen Textpassagen fungiert,42 zum anderen aber auch auf die kommunikationstechnischen Bedingung des Bloggens vor dem Zeitalter der Blogsoftware verweist.

stellungskatalog: @bsolut?privat! Vom Tagebuch zum Weblog. Eine Publikation der Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Hrsg. von Helmut Gold, Christiane Holm, Eva Bös und Tine Nowak. Heidelberg 2008. 39 Vgl. allgemein zur Gattung des Tagebuchs den Überblick bei Lutz Hagestedt: „Tagebuch“. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Band 2: Methoden und Theorien, S. 174-178 sowie den anschaulichen Überblick von Christiane Holm: „Montag Ich. Dienstag Ich. Mittwoch Ich. Versuch einer Phänomenologie des Diaristischen“. In: Vom Tagebuch zum Weblog, S. 10-50, der anhand zahlreicher Beispiele den aktuellen Forschungsstand wiedergibt. Holm bezieht sich in ihrer Übersicht vor allem auf den Tag als zeitliche Einheit, der die Tagebuchführung rhythmisiert sowie strukturiert. 40 Holm: Versuch einer Phänomenologie des Diaristischen, S. 27. 41 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 110, Hervorhebung im Original. 42 Vgl. Buschheuer: New York Tagebuch, S. 110.

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Eine besondere Bedeutung kommt den im New York Tagebuch dokumentierten E-Mails zu, die Buschheuer als Ersatz für das am 11.09.2001 ausgefallene New Yorker Telefonnetz dienten. Die Autorin erhielt zahlreiche besorgte E-Mails von Kollegen, Freunden und Lesern aus New York und Deutschland. Im Internet-Tagebuch wird diese E-Mailkorrespondenz nachträglich am 12. September zwischen die Einträge des Vortags montiert: „ACHTUNG! / An ALLE, deren e-mails [sic!] von gestern jetzt RÜCKWIRKEND ins Tagebuchprotokoll eingefügt wurden. Wer das nicht will, schnell mailen.“43 Die durch das Kompositionsverfahren entstandenen Textpassagen werden in der zeitnahen Besprechung des Blogs als polyphoner Krisenchor und „kaum wiederholbare[s] Experiment“44 gelobt. In der überarbeiteten Buchfassung bilden die Tagebucheinträge und E-Mailkorrespondenzen vom 11.09.2001 eine Texteinheit, die den dokumentarischen Gestus und die Dramaturgie des Tagebuchs unterstützt. So führt das Buch auf verschiedenen Ebenen die Konvertierungsprozesse vom Blog zum Buch vor und verweist auf den stattgefundenen Medienwechsel. Die medialen Differenzen zwischen Blog und Buch wurden auch zu Konfliktlinien in der Rezeption des Tagebuchs. Hatte in der öffentlichen Wahrnehmung der Blog sein mediales Erregungspotential aus der EchtzeitReaktion und aus dem Spannungsfeld zwischen der Verortung in New York und der Entortung im virtuellen Netz bezogen, erschien das Buch dagegen als „Totenform lebendiger Netzprojekte“45. Von Seiten der Literaturkritik erhielt es keine positive Resonanz, dem Buch wurde wie zuvor dem Blog die Literarizität abgesprochen.46 Aber nicht nur die Literaturkritiker, sondern auch die Blogosphären-Theoretiker des Bandes Blogs! Text und Form im Internet lehnten grundsätzlich den Blog in Buchform ab: „Wenig erfolgreich sind abgedruckte Internet-Aufzeichnungen der früheren Wetteransagerin und Moderatorin Else Buschheuer, die heute als Book on De-

43 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 168. 44 Hage: Vorbeben der Angst, S. 228. 45 Wirth: Neue Medien im Buch, S. 184. 46 Vgl. zur Kritik an Buschheuers Buch zum Beispiel Jörg Plath: „Nun trifft es auch dich und dein Buch. Nine-Eleven und die deutschen Schriftsteller: Warum es so schwer ist, aus dem Trauma Literatur zu machen“. In: Der Tagesspiegel vom 11. September 2002 und Tine Nowak: „Vom Blatt zum Blog. Der Medienamateur und das digitale Tagebuch“. In: Vom Tagebuch zum Weblog, S. 51-63.

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mand ein Schattendasein fristen.“47 Dabei lässt die Diskussion um die Literarizität des Buches zwei wesentliche Aspekte außer Acht. Zum einen stellt das Internet-Tagebuch bereits einen literarischen Blog dar und zum anderen ist mit dem Medienwechsel vom Blog zum Buch auch eine literarische Bearbeitung verbunden. Darüber hinaus gelingt gerade dem Buch trotz der Ablehnung von Seiten der Literaturkritik ein buchmarktstrategischer Erfolg: Im Gegensatz zum Blog rentiert sich das Buch als paid content in finanzieller Hinsicht. Der Buchtitel www.else-buschheuer.de Das New York Tagebuch verdoppelt den Autorennamen als signifikanten Paratext und führt ihn dadurch als Label ein, das fortan auf den medialen Aufmerksamkeitsmärkten zirkuliert. Der Literaturwissenschaftler Dirk Niefanger beschreibt diese Dynamik folgendermaßen: „Den Autorennamen als ein Label zu fassen, bietet die Möglichkeit, ihn als Paratext mit verschiedenen Informationen zu lesen. Er gibt Hinweise über den Wert (etwa das latente symbolische Kapital) des Textes, über dessen Positionierung im jeweiligen Diskurs und den Ort des Autors im kulturellen Feld, er vermittelt ein Image und verspricht eine bestimmte Qualität.“48

Gleichzeitig etabliert der Buchtitel das fortan mit dem Autorennamen assoziierte Genre des Literaturblogs. Paradoxerweise inszeniert sich Buschheuer mit Hilfe des traditionellen Buches als Autorin im digitalem Zeitalter, indem sie mit dem Buchtitel auf ihr andauerndes Internet-Tagebuch-Projekt verweist, das sie kontinuierlich über einen Zeitraum von neun Jahren führen wird. Zwischen 2000 und 2009 entstehen insgesamt sieben InternetTagebücher, die jeweils nach ihren Entstehungsorten benannt sind.49 Die

47 Don Alphonso: „Warum diese Blogger? Warum nicht die anderern?“ In: ders./ Pahl: Blogs, S. 17-21, hier S. 18. 48 Dirk Niefanger: „Der Autor und sein Label. Überlegungen zur fonction classificatoire Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer)“. In: Autorschaft. Positionen und Revisionen. Hrsg. von Heinrich Detering. Stuttgart/Weimar 2002, S. 521-539, hier S. 526. 49 Chronologie der Tagebücher: Internet-Tagebuch: Klick!Mich!An! Online: 2000. Buch: Klick!Mich!An! Norderstedt 2002.

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Serie umfasst die vier New York Tagebücher www.else-buschheuer.de. Das New York Tagebuch, www.else.tv. Das New York Tagebuch II, Calcutta – Eilenburg – Chinatown. Das New York Tagebuch III und Harlem – Bangkok – Berlin. Das New York Tagebuch IV. Das jeweils aktuelle digitale Tagebuch war auf Buschheuers Website abrufbar, während die abgeschlossenen Tagebücher nur noch als Printversion, zumeist als book on demand, zugängig sind. Mit den Internet-Tagebüchern etabliert sich Buschheuer als internetaffine Autorin und Weltreisende, die unabhängig von Verlagsstrukturen entweder im Internet oder on demand ihre Texte publiziert. Doch die Internet-Tagebuch-Serie endet, als Buschheuer nach neun Jahren das Ende ihres literarischen Bloggens und den Wechsel zum Kurznachrichtendienst Twitter verkündet.50 Ab 2009 können ihre Leser im Netz nur noch ihre ma-

Internet-Tagebuch: www.else-buschheuer.de. Das New York Tagebuch. Online: 2001. Buch: www.else-buschheuer.de. Das New York Tagebuch. Köln 2002. Internet-Tagebuch: www.else.tv. Das New York Tagebuch II. Online: 20012003. Buch: www.else.tv Das New York Tagebuch II. Dezember 2001-August 2003. Deutsch-Englische Ausgabe. Norderstedt 2003. Internet-Tagebuch: Calcutta – Eilenburg – Chinatown. Das New York Tagebuch III. Online: 2003-2004. Buch: Calcutta – Eilenburg – Chinatown. Das New York Tagebuch III. Dezember 2003-August 2004. Deutsch-Englische Ausgabe. Norderstedt 2004. Internet-Tagebuch: Harlem – Bangkok – Berlin. Das New York Tagebuch IV. Online: 2004-2005. Buch: Harlem – Bangkok – Berlin. Das New York Tagebuch IV. Norderstedt 2005. Internet-Tagebuch: Leipzig-Tagebuch. Online: 2005-2006. Buch: Leipzig-Tagebuch. Leipzig 2007. Internet-Tagebuch: Keine Gewalt! Online: 2007-1.1.2009. Buch: Keine Gewalt! Tagebücher. Leipzig/Hildburghausen 2009. Buch-Kompilation: Typen, Scherben und Bonmots: 134 Geschichten + Gemeinheiten + Gedanken aus der großen kleinen Welt. Norderstedt 2006. 50 Vgl. Else Buschheuer: „Twittern ist Dada. Else Buschheuer bloggt nicht mehr, sie lebt nur noch in der Welt der 140 Zeichen“. In: Der Tagesspiegel vom 30. Juni 2009; dies.: „Ich bin auf Entzug. Else Buschheuer gibt das Bloggen auf und erklärt, warum sie nicht länger eine ‚gläserne Frau‘ sein will“. In: Der Tagesspiegel vom 5. Mai 2009. Vgl. auch den Tagebucheintrag im Leipzig Tagebuch

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ximal 140 Zeichen langen tweets verfolgen.51 Der Medienwechsel bietet Buschheuer ein neues Forum zur Inszenierung digitaler Autorschaft im Web 2.0 und bildet so ein weiteres Element ihres Autoren- und Literaturmarketings. Im Nachhinein erscheinen die Überschriften im InternetTagebuch aus New York, die Buschheuer im medialen Aufmerksamkeitsranking auf die vorderen Plätze katapultierten, geradewegs als Fingerübungen für das Mikroblogging: „FLUGZEUG-CRASH INS WTC / NY 9:34 BERLIN 15:34“52.

2. „diese unterwanderung der dokumentarischen form“: Kathrin Rögglas really ground zero (2001) als New Journalism aus SoHo Die Autorin Kathrin Röggla hält sich im Frühherbst 2001 als Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds in New York auf. Sie erlebt das urbane Katastrophenszenario am 11.09.2001 in unmittelbarer Nachbarschaft im New Yorker Stadtteil SoHo. Drei Tage später schildert sie in der tageszeitung (taz) ihre Beobachtungen: „einen tower haben wir hier eben brennen und einstürzen sehen, etwa einen kilometer entfernt von unserem platz auf der ecke houston/wooster street mit ziemlich guter perspektive auf das, was man euphemistisch ‚geschehen‘ nennen könnte und was doch weitaus zu groß zu sein scheint, um es irgendwie integrieren zu können in eine vorhandene erlebnisstruktur.“53

Ihre Beschreibung betont den Schock und die Inkommensurabilität des Ereignisses. Anlass für den Artikel war eine Rundmail der Kulturredaktion der Zeitung vom 12. September, die um spontane Reaktionen gebeten hatte.

vom 20. Juli 2009 unter www.elsebuschheuer.de, zuletzt gesehen am 22.08. 2010, der den Abschied vom Bloggen ankündigt. 51 Vgl. Buschheuers Twitterkanal unter http://twitter.com/elsebuschheuer, zuletzt gesehen am 22.08.2010. 52 Buschheuer: New York Tagebuch, S. 128. 53 Kathrin Röggla: „really ground zero. Die meisten New Yorker wirken derzeit wie stillgestellt. Die Normalität hat derzeit immer noch hysterische Züge. Szenen aus dem Ausnahmezustand“. In: die tageszeitung vom 14. September 2001.

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Röggla veröffentlicht in der Folgezeit sechs Artikel in der tageszeitung, in denen sie aus New York berichtet, und publiziert zudem weitere Artikel im Tagesspiegel sowie im Wiener Stadtmagazin falter.54 Damit zählt sie zu der Vielzahl der Schriftsteller, die sich unmittelbar nach den Terroranschlägen mit literarisch-journalistischen Beiträgen zu Wort melden. Als Autorin vor die grundsätzliche Frage nach möglichen Reaktionen auf das Ereignis 9/11 gestellt und durch ihre journalistische Tätigkeit bereits in das tagesaktuelle Deutungsgeschäft involviert, beginnt Röggla, die Mechanismen des deklarierten Ausnahmezustands zu erforschen. Sie verfolgt die US-amerikanische Medienberichterstattung, unternimmt ausgerüstet mit Fotoapparat und Aufnahmegerät zahlreiche Streifzüge durch New York, führt Interviews mit Passanten und Experten. Als Ergebnis der Recherche und der parallelen journalistischen Tätigkeit erscheint noch im Dezember 2001 ihr Buch really ground zero. 11. september und folgendes55, das als eines der ersten Bücher über den 11. September gilt. really ground zero. 11. september und folgendes ist ein Sample der journalistischen Texte, die Röggla in New York verfasste. Das Buch arrangiert die Einzeltexte mittels einer Kapitelstruktur, zusätzlichem Textmaterial und eines Abschlusskapitels neu, so dass eine übergeordnete Textkohärenz entsteht und sich eine durchgängige Narration entfaltet. Ähnlich wie im Fall der Aufzeichnungen von Else Buschheuer hebt die Literaturkritik

54 Vgl. die fünf weiteren Artikel von Röggla in der tageszeitung: „Im Land der wehenden Fahnen. Vereint im Kampf gegen das Böse: Ganz allmählich kehrt der Alltag zurück nach Manhattan – doch von Normalität kann keine Rede sein“. In: die tageszeitung vom 18. September 2001; „a prayer service. Am Sonntag fand im Yankee-Stadion in der Bronx die große Gedenk- und Trauerfeier für die Opfer des Terroranschlags auf New York statt. Eine mit Stars und politischer Prominenz bestückte Station auf dem schwierigen Weg zur so genannten Normalität“. In: die tageszeitung vom 26. September 2001; „geheimamerika dehnt sich aus“. In: die tageszeitung vom 12. Oktober 2001; „deswegen hassen sie uns!“. In: die tageszeitung vom 24. Oktober 2001; „der lange text. das große und das kleine gruseln“. In: die tageszeitung vom 3. November 2001. 55 Kathrin Röggla: really ground zero. 11. september und folgendes. Frankfurt am Main Dezember 2001. Das Buch enthält die Mehrzahl der zuvor in den deutschen Tageszeitungen taz, Tagesspiegel und dem Wiener Stadtmagazin falter abgedruckten Texte.

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beim Erscheinen des Buches die zeitliche und lokale Nähe der Textproduktion zu den Terroranschlägen hervor und lobt die Spontanität und Unmittelbarkeit des Textes. Dirk Knipphals, Kulturredakteur bei der tageszeitung, beschreibt in einer der ersten Rezensionen die Entstehungsgeschichte des Buches, die mit dem Eintreffen von Rögglas ersten Zeitungsartikel begann: „Der Text war dann am kommenden Morgen auf dem Mailaccount – ‚Thu, 13 Sep 2001 06:48:51 +0200 (MEST)‘ steht in der Protokollleiste. Aus dem Begleitbrief muss man unbedingt zitieren, weil er das Flirrende, das in der Schreibsituation geherrscht haben muss, gut einfängt: ‚anbei mein text, es ist der erste text, den ich, ohne schmäh, mit sauerstoffmaske geschrieben habe... ich habe eine nacht schon nicht geschlafen und jetzt ist wohl die zweite dran (in der houston street, neben meiner wohnung ist jetzt das aufmarschgebiet der rescues: polizei, trucks, emergencies etc. man kriegt echt paranoia). na gut, ich hör schon auf, arme taz-menschen zu belabern‘. Vielleicht hätte man dies Anschreiben in einem Kasten mitveröffentlichen sollen; es passt gut ins Spiel, das Rögglas Texte aufmachen werden: die Wirklichkeitsbeschreibung mit der Zustandsbeschreibung der Beschreibenden zu verquirlen.“56

Analog zum New York Tagebuch heben die meisten Rezensionen die Aktualität und Unmittelbarkeit von Rögglas Buch hervor, stellen aber dessen Literarizität in Frage. Vor allem das Genre des Buches wird diskutiert und really ground zero als „urban diary aus Fotos und Text“57, „literarisches New-York-Protokoll“58, „Katastrophen-Tagebuch“59 und „in Echtzeit stenographierte[r] Literaturbericht“60 charakterisiert. Diese Versuche von Gat-

56 Dirk Knipphals: „Auf dem Adrenalin-Teppich. Schreiben über das Schwindelgefühl, dass ‚das da‘ wirklich stattfindet: Kathrin Rögglas Texte über die Anschläge in New York finden sich in dem Buch ‚really ground zero. 11. september und folgendes‘“. In: die tageszeitung vom 24. Dezember 2001. 57 Ingo Arendt: „Ziemlich irre Perspektive. Kathrin Rögglas literarisches NewYork-Protokoll nach dem 11. September“. In: Der Freitag vom 11. Januar 2002. 58 Arendt: Ziemlich irre Perspektive. 59 Hartwig: Ich-Krater. 60 Elmar Krekeler: „Es ist uns was passiert. Der 11. September, die Literatur und die Kinder der Kohl-Ära – eine Zwischenbilanz“. In: Die Welt vom 2. September 2006.

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tungs- beziehungsweise Textsortenzuordnungen, die zugleich Interpretationen sind, beschreiben zwar das hybride Textgenre des Buches, verfehlen aber dessen Textstrategie. Während Buschheuers New York Tagebuch mittels autobiographischer Schreibverfahren vor allem auf die Darstellung des individuellen Erlebens abzielt, thematisiert Rögglas Text vor allem die medialen Rahmungen und sprachlichen Diskursivierungen des Medienereignisses. Diese Vorgehensweise verdeutlicht die Textpassage über den Zusammenbruch der Türme des World Trade Center: „als der zweite tower explodiert – ein anderes wort erscheint mir unpassend –, ist es nicht das laute bild, welches das gefühl auslöst, dass ‚das da‘ wirklich stattfindet, sondern das relativ leise geräusch. ton- und bildschiene fallen entschieden auseinander in ihrer psychischen wirkung, und wieder ist es die cineastische metapher, die man in kleinen gesprächen zwischen den herumstehenden menschen in der bleecker street ständig bemüht. gespräche, die man führt, um sich in seine wahrnehmung wieder einzubinden, sich einer realität zu versichern in kleinen kommunikativen gesten voller redundanzen und wiederholungen. trotzdem wird das geschehene dafür nicht nur weitaus zu groß sein, es fehlen bald auch die politischen und historischen 61

kategorien, es in einem größeren zusammenhang zu beschreiben und zu situieren.“

Wie in der Beschreibung des Zusammenbruchs der Türme bei Buschheuer dient wiederum das Geräusch als Realitätsindikator. Interessanterweise lässt sich das Konzept des Hörschocks, im Sinne einer intensiven beängstigenden Geräuschwahrnehmung, bis in die Debatten über die Genese der traumatischen Kriegsneurosen des Ersten Weltkrieges zurückverfolgen.62 Dagegen beschreibt Röggla die visuelle Wahrnehmung als eine derealisierte, an die man sich mittels „cineastische[r] metapher[n]“ annähert. Die geschilderte Diskrepanz zwischen „ton- und bildschiene“ weitet sich im Ver-

61 Röggla: really ground zero, S. 7f. 62 Zum Konzept des Hörschocks siehe die Ausführungen von Helmut Lethen: „,Knall an sich‘: Das Ohr als Einbruchstelle des Traumas“. In: Mülder-Bach: Modernität und Trauma, S. 192-210. Lethen verweist auf die Variante einer, im Gegensatz zu Freuds visuellen Konzept der Urszene, auditiven TraumaKonzeption nach dem Ersten Weltkrieg, die sich auf den erlebten Kriegslärm bezog, aber in der Weimarer Republik und ihrer sich entwickelnden Hörfunkästhetik unterging.

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lauf des Buches zur Struktur bestimmenden Differenz, denn Rögglas Text fokussiert nicht die Medienbilder, sondern die politischen, öffentlichen und massenmedialen Rhetoriken nach den Terroranschlägen. Die Literaturwissenschaftlerin Christine Ivanovic bestimmte das Verfahren der medialen Verschiebung als grundlegende Textstrategie in really ground zero. Als Leitverfahren strukturiere es mittels Techniken der Verdopplung, der Distanzierung und der Relationierung die Text- und Bildebene des Buches und erzeuge permanent eine „bewegliche katastrophe“.63 Ivanovic entlehnt das Konzept der „beweglichen katastrophe“ Rögglas 2005 publizierten Essay das hässliche gespräch. anmerkungen zu einer ästhetik des literarischen gesprächs64, der die Grundlage ihrer Relektüre von really ground zero bildet. Rögglas Essay thematisiert, ausgehend von der Auseinandersetzung mit Hubert Fichtes Techniken des literarischen Gesprächs und im Anschluss an Michel Foucaults Die Ordnung des Diskurses65, die Inszenierungslogiken und medialen Rahmungen eines jeden öffentlichen Gesprächs: „und hält man sich all diese sehr unterschiedlichen formen und gesten, die institutionen und kontexte vor augen, aus denen und mit denen das öffentliche oder veröffentliche gespräch hervorgebracht wurde bzw. in denen es oszillieren kann, wird evident: es kann eigentlich nur misslingen, sofern man mit ihm eine idealisierte form von verständigung verbindet, eine art bürgerliche vorstellung des freien austausches, die so gerne, mit einiger entfernung, um das habermas’sche konzept idealer kommunikation geistert, frei von hegemonie, differenz und machtverhältnis. nein, unterschiedliche interessen, positionen, machtgesten, sprechräume, traditionen, sowie unterschiedliche vorstellungen vom charakter des gesprächs machen uns einen strich

63 Christine Ivanovic: „Bewegliche Katastrophe, stagnierende Bilder. Mediale Verschiebungen in Kathrin Rögglas really ground zero“. In: Kultur & Gespenster: UNTER VIER AUGEN 2 (2006), S. 108-117. 64 Kathrin Röggla: „das hässliche gespräch. anmerkungen zu einer ästhetik des literarischen gesprächs“. In: Akzente 3 (2005), S. 249-260. Vgl. auch die überarbeitete Fassung: dies.: „stottern, stolpern und nachstolpern. zu einer ästhetik des literarischen gesprächs“. In: Kultur & Gespenster 2 (2006), S. 98-107, die im Folgenden als Ausgangstext dient. 65 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970. Frankfurt am Main 1991.

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durch die rechnung und erzeugen permanent missverständnisse, kurzschlüsse, kurz: diese bewegliche katastrophe [...]“66

Nach Röggla können Gespräche nur misslingen und damit zu „hässlichen gesprächen“ und „beweglichen katastrophen“ werden, da das Misslingen im Sinne Niklas Luhmanns Axiom der Unwahrscheinlichkeit aber Notwendigkeit von Kommunikation den kommunikativen Prozessen immer schon eingeschrieben ist und Kommunikation nach dem Habermas’schen Ideal des herrschaftsfreien Diskurses immer scheitert, da dieser die Leugnung von Machtverhältnissen impliziert. Sie interpretiert das Misslingen aber als positiv in dem Sinne, dass das Gespräch im Misslingen selbstreferentiell auf seine Rahmenbedingungen verweist und eine Rückkopplung an die Gesprächssituation herstellt. Nach Ivanovic kommt dem Gespräch und damit verbunden dem Verfahren der literarischen Gesprächstranskription in really ground zero eine signifikante Bedeutung zu. Als zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit changierendes Format impliziert das Gespräch den Wechsel zwischen verschiedenen medialen Rahmungen sowie Inszenierungslogiken und stellt somit par excellence ein Format der medialen Verschiebung, Umschreibung und Überschreibung dar. In der literarischen Transkription von Gesprächen, die really ground zero vorführt, treffen dialogische, dokumentarische und fiktionale Schreibverfahren aufeinander und performieren nach Ivanovic im Gegensatz zu den Medienbildern eine „bewegliche katastrophe“, indem sie die Katastrophe mit- und weitererzählen. really ground zero inszeniert durchgängig das Format des selbstreferentiellen Gesprächs als Recherchemittel und Darstellungsform. Zu diesem Zweck thematisiert, inszeniert und transkribiert der Text unterschiedliche Gesprächsformate wie mündliche Gespräche, Telefongespräche, Fernsehinterviews, Abendunterhaltungen auf einer Dinnerparty sowie akademische Vorträge von Jacques Derrida und Giorgio Agamben. Ein Selbstinterview der Erzählinstanz am Ende des Buches, „und zum schluss, was jetzt? etwa ein interview mit mir selbst? nein, so was kann man nicht mehr machen, das geht doch heute nicht mehr“67, resümiert die Sichtung des sprachlichen Diskursgeflechtes nach dem 11. September:

66 Röggla: stottern, stolpern und nachstolpern, S. 101. 67 Röggla: really ground zero, S. 108.

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„– also der versuch, aus diesem haufen an ideologemen, aufgebrochenem vokabular, kontextverschiebungen, rhetorischen operationen, schrägen übersetzungen, einen überblick zu bekommen? also vom haufen der authentizität zum haufen der begriffsverschiebungen? – das ist das spannungsfeld der schreibenden. was kann man anders, als darin herumzudümpeln.“68

Das Selbstinterview beschreibt mit der Bewegung von „authentizität“ zur „begriffsverschiebung“ noch einmal das zentrale Textverfahren. Doch das Buch führt das Leitverfahren der medialen Verschiebung nicht nur am Sprachmaterial, sondern auch am Bildmaterial vor. Die von der Autorin in New York aufgenommenen Fotografien, die als Schwarz-Weiß-Abbildungen in den Text integriert sind, zeigen u.a. Straßenszenen, Gebäude sowie Demonstrationen und erscheinen willkürlich und oft bezugslos in den Textverlauf montiert. Die Bilder unterliegen aber nach Ivanovic einer eigenen Bildlogik, die auf visuelle Relationierungen mittels Zoomeffekt, film still, Serie, Rahmung, Dimensionierung und Ausschnitt abzielt.69 Im Aufzeigen unterschiedlicher Bildlogiken vollziehen die Fotografien demnach analog zu den Gesprächen eine „bewegliche katastrophe“. Das Leitverfahren der medialen Verschiebung kann über die von Ivanovic analysierten Kategorien des Gesprächs und der Fotografie hinaus auch hinsichtlich der im Text inszenierten Räumlichkeit identifiziert werden. Denn neben dem Hauptschauplatz New York eröffnen sich mit den Inseln fire island und long beach island, die als Ziele eines „one-daygetaway“70 dienen, Nebenschauplätze, die einen räumlichen Perspektivenwechsel ermöglichen. Letztendlich unterliegt das gesamte Buch dem Leitverfahren der medialen Verschiebung, da really ground zero aus journalistisch-literarischen Textformaten hervorging, die im Buch eine Rahmung und Strukturierung erfuhren, wobei der Buchtitel explizit die Überschrift von Rögglas erstem Zeitungsartikel vom 14. September aufgreift. Das Buch und in New York von der Autorin aufgenommene soundfiles dienen wiederum als Ausgangsbasis für Rögglas Radiostück Really Ground Zero –

68 Röggla: really ground zero, S. 109. 69 Vgl. die erhellende Analyse der Fotografien bei Ivanovic: Bewegliche Katastrophe, S. 116. 70 Röggla: really ground zero, S. 20.

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Anweisungen zum 11. September71, das eine Soundcollage aus privaten Tonaufnahmen und Partikeln der Medienberichterstattung darstellt. Ein weiteres Leitverfahren von really ground zero stellt die Kombination von dokumentarischen und fiktionalen beziehungsweise fiktionalisierenden Textverfahren dar, die Röggla in ihrem Essay stottern, stolpern und nachstolpern mit Hinblick auf den 11. September beschreibt: „diese unterwanderung der dokumentarischen form durch fiktive elemente hat mich immer fasziniert, sie öffnet noch einmal einen ganz anderen raum, einen weiteren zwitterzustand, in dem sich zu bewegen zur erstellung einer ästhetik des gesprächs eigentlich unumgänglich ist. denn wie man immer wieder beobachten konnte, bestimmt das imaginäre genauso das reale wie umgekehrt das reale das imaginäre (als deutliches beispiel kann man immer wieder die ereignisse am und um den 11. September nennen, z. b. als bush drehbuchautoren aus hollywood kommen ließ, um sie in seiner ratlosigkeit zu befragen, wie denn der plot weitergehen werde).“72

Mit dem Verfahren dokumentarischen Schreibens schließt Röggla an die Tradition der kritischen Dokumentarliteratur bei Alexander Kluge und Hubert Fichte an. Der Literaturwissenschaftler Stephan Porombka bezeichnet in seinem Aufsatz Really Ground Zero. Die Wiederkehr des Dokumentarischen Röggla als „die symptomatischste und zugleich avancierteste Dokumentaristin der deutschen Literatur an der Jahrtausendwende“73. Ausgehend von den zwei großen Konjunkturen der Dokumentarliteratur um 1920 und 1960 beschreibt er die Wiederkehr dokumentarischer Verfahren in der Literatur seit 1990. Die Dokumentarästhetik der 1920er Jahre, die sich vor dem Hintergrund der Massenpresse entwickelte, besaß ideologische und

71 Really Ground Zero – Anweisungen zum 11. September. BR 2002. Röggla arbeitet seit den 1990er Jahren auch an Radioprojekten, Hörspielen und für die Bühne. Vgl. zur Hörspielversion von really ground zero auch Christine Ivanovic: „,Die Globambifizierung schreitet voran‘. Zum crossfading von Amerikaund Mediendiskurs im neusten Hörspiel“. In: Vogt/Stephan: America on my mind, S. 217-236. 72 Röggla: stottern, stolpern und nachstolpern, S. 106. 73 Stephan Porombka: „Really Ground Zero. Die Wiederkehr des Dokumentarischen“. In: Zemanek/Krones: Literatur der Jahrtausendwende, S. 267-279, hier S. 276.

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agitatorische Funktionen, forcierte aber auch die Synthese von Literatur und Journalismus, wie sie sich exemplarisch in den Arbeiten der Reporterlegende Egon Erwin Kisch zeigt. Dagegen zielte die kritische Dokumentarliteratur der 1960/70er Jahre, zu der u.a. Alexander Kluges Projekt einer kritischen Geschichtsschreibung, Hubert Fichtes ethnologische Studien und Günther Wallrafs investigativer Journalismus zählen, vor allem auf die Herstellung eines kritisches Bewusstseins inmitten einer massenmedial konstruierten Wirklichkeit und auf die Mobilisierung von Gegenöffentlichkeiten. Nach Porombka zeichnet sich die dritte Konjunktur der gegenwärtigen Dokumentarliteratur vor allem durch Selbstreflexivität und Experimentierfreudigkeit aus. Die neue Dokumentarliteratur verweist auf die Fiktionsgehalte und Authentizitätskonstruktionen des dokumentarischen Genres. Sie erprobt semi-dokumentarische Ästhetiken, in denen der dokumentarische Gestus spielerisch erprobt und gleichzeitig gebrochen wird. Really ground zero führt diese Doppelbewegung am Beispiel der literarischen Gesprächstranskriptionen und des integrierten Fotomaterials deutlich vor. Der Einsatz dokumentarischer Schreibverfahren und die intensive Recherche im Vorfeld der Textproduktion verbindet really ground zero weiterhin mit dem Phänomen des New Journalism als Bezeichnung für Texte und Darstellungsstrategien, die zwischen literarischem und journalistischem Schreiben verortet sind.74 Charakteristische Textmerkmale des neuen Journalismusstils sind das ‚Reporter-Ich‘ als homodiegetische Erzählinstanz, die Darstellungsform der Szene, Gesprächstranskriptionen und der häufige Wechsel der Beobachterperspektive. Der Begriff des New Journalism etablierte sich in den 1960/70er Jahren innerhalb einer losen Gruppierung von New Yorker Journalisten und Schriftstellern um die Galionsfigur Tom Wolfe, zu der u.a. Hunter S. Thompson, Norman Mailer und Truman Capote zählten.75 Diese Autoren entwickelten entweder als Journa-

74 Vgl. Joan Kristin Bleicher/Bernhard Pörksen (Hg.): Grenzgänger. Formen des New Journalism. Wiesbaden 2004. Vgl. zum Verhältnis von Literatur und Journalismus weiterhin Stefan Neuhaus/Bernd Blöbaum (Hg.): Literatur und Journalismus. Theorie, Kontexte, Fallstudien. Wiesbaden 2003. 75 Vgl. Hannes Haas: „Fiktion, Fakt & Fake? Geschichte, Merkmale und Protagonisten des New Journalism in den USA“. In: Bleicher/Pörksen: Grenzgänger, S. 43-73.

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listen in Abgrenzung zum konventionellen Informationsjournalismus einen eigenen Reportagestil, der auf literarische Kompositionsverfahren und Darstellungsmittel zurückgriff, oder näherten sich vom Feld der Literatur aus dem Journalismus an, wie beispielsweise Truman Capote in seinem von ihm als nonfiction novel bezeichneten Buch In Cold blood (1966). Der New Journalism ist einer breiteren deutschen Öffentlichkeit eher unbekannt oder erzielt nur anlässlich von Medienskandalen, wie beispielsweise den gefälschten Star-Interviews von Tom Kummer im Magazin der Süddeutschen Zeitung, größere Aufmerksamkeit.76 In der deutschen Traditionslinie werden journalistisch-literarische Texte eher unter der Rubrik Kulturjournalismus, Feuilletonismus oder neuerdings Popjournalismus klassifiziert.77 Dennoch hat der seit den 1970er Jahren etablierte New Journalism, so der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, als „Symbiose aus klassischer journalistischer Recherche und literarischen Schreibtechniken in Kombination mit einem spezifischen Themen- und Autorenprofil“78 auch gegenwärtig nichts von seiner Strahlkraft verloren, liege sein innovatives und provozierendes Potential doch in der Durchkreuzung und Hybridisierung von Gattungen, Schreibverfahren und Texterwartungen sowie in der Problematisierung des Unterschieds zwischen Fiktionalität und Faktizität. Darin besteht auch die Anschlussfähigkeit an die neue Welle der Dokumentarliteratur seit den 1990er Jahren: Beide Verfahren lösen oftmals die Gegenüberstellung von fact und fiction auf, indem sie die Frage nach der Differenz zwischen Fiktion und Faktizität als Frage nach der Differenzproduktion und der Funktion dieser Grenzziehung reformulieren. really ground zero führt die Interdependenzen und Durchkreuzungen von Faktizität und Fiktion zugleich als Thema und Methode vor. Der Text greift den angesichts des globalen Medienereignisses paradox anmutenden Realitätstopos bereits im ersten Satz auf: „jetzt also habe ich ein leben. ein wirkliches.“79 Theweleit interpretiert den Textanfang als Eröffnung des „Register[s] von Wirk- und Unwirklichkeiten, flirrenden Daseinszuständen,

76 Vgl. zum Skandal um Kummer Jens Bergmann/Bernhard Pörksen (Hg.): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung. Köln 2009, S. 196-207. 77 Vgl. Porombka/Schütz: 55 Klassiker des Kulturjournalismus. 78 Bernhard Pörksen: „Einleitung“. In: Bleicher/ders.: Grenzgänger, S. 15-28, hier S. 19. 79 Röggla: really ground zero, S. 6.

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die das schreibende Volk als eine Art Marschgepäck mit sich herumtrug“80, und erklärt somit die 9/11-Literatur zur Kampfzone der Realitäten. Er verweist in diesem Kontext auch auf die literarischen Amerikabilder des Textes, die von der Filmästhetik David Lynchs und den Romanen von Thomas Pynchon, William Gaddis und Don DeLillo beeinflusst sind. Das Selbstinterview am Buchende greift diese Wechselwirkungen noch einmal explizit auf: „– dagegen mein neues licht auf pynchon – seine absurditäten bewegen sich mit höllentempo auf den begriff ‚amerikanischer alltag‘ zu! auch bei gaddis, de lillo zeigt sich mir jetzt mehr das ganz normale alltagsgesicht, mitten aus den texten schaut es straight, nicht schräg heraus, wie vorher angenommen.“81

Damit fungiert Amerika einmal mehr als kulturelle Projektionsfläche, die in really ground zero mit dokumentarischen Realitätseinschüben aufgebrochen wird. Hatte Röggla in stottern, stolpern und nachstolpern von der wechselseitigen Beeinflussung des Imaginären und des Realen gesprochen: „denn wie man immer wieder beobachten konnte, bestimmt das imaginäre genauso das reale wie umgekehrt das reale das imaginäre“82, erweist sich diese Dynamik eindrücklich am Beispiel der Amerikabilder des Textes, die Amerikabilder der Literatur und des Films sind. Zusammenfassend stellt really ground zero ein Hybridgenre dar, das sowohl dem Phänomen des New Journalism als auch dem Phänomen der neuen Dokumentarliteratur zugeordnet werden kann. Der Text führt die sprachlichen Muster und Argumentationsfiguren des öffentlichen 9/11Diskurses in den USA anhand des Mediums des Gesprächs vor und erfüllt damit Rögglas Forderung nach einer Analyse „[...] nicht jenseits des materials, sondern in ihm, in den diskursen, die ihre eigenen verwerfungen haben, ihre eigenen diskontinuitäten, risse“83. Als „Mischung aus Reportage, Medienreflexion und Tagebuch“84 rekonstruiert der Text den Verlauf des

80 Theweleit: Der Knall, S. 106. 81 Röggla: really ground zero, S. 108f. 82 Röggla: stottern, stolpern und nachstolpern, S. 106. 83 Röggla: stottern, stolpern und nachstolpern, S. 107. 84 Richard Kämmerlings: „Leerstellen. Realismus und Terror: Wird der 11. September Literatur?“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Dezember 2001.

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öffentlichen 9/11-Diskurses in den USA, der mit der Phase des Schocks und der kollektiven Trauer in New York einsetzte, die vorschnell durch die religiös gefärbte Kriegs- und Vergeltungsrhetorik der Bush-Administration abgelöst wurde, die wiederum einen kritischen öffentlichen Diskurs von Antikriegsaktivisten auslöste. In der Kombination dokumentarischer und fiktionalisierender Textverfahren entwirft really ground zero ein facettenreiches „Diskursporträt New Yorks“85, das US-amerikanische Sprachregelungen und damit Wirklichkeitskonstruktionen vorführt.

3. „auf allen Kanälen plötzlich Bilder“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als New York-Erzählung mit Medienprotokoll „Ich wollte da nach New York fahren und einfach diesen Gang, den ich da aus der Erinnerung geschrieben habe – ich war da verabredet und wollte am 13. September, ich hatte da einen Flug gebucht, und da wollte ich einfach das zu Ende schreiben in New York [...] Und dann war da dieses Gefühl: jetzt haben diese Bastarde neben allem anderen Schrecken, den die angerichtet haben, die haben jetzt halt dieses Buch versaut! Ich kann das gar nicht mehr weiterschreiben, wie soll das gehen? Dann hab ich ein paar Tage nicht geschrieben und hab nur protokolliert, was ich da sehe, was ich im Fernsehen sehe, die Anrufe nach New York usw.“86

Nur selten erhält man einen derartigen Einblick in die produktionsästhetischen Umstände der Entstehung von Gegenwartsliteratur wie in Ulrich Peltzers Beschreibung seiner Arbeit an der Erzählung Bryant Park87. Peltzer, der seit Dezember 2000 an der New York-Erzählung arbeitet, steht zum Zeitpunkt der Terroranschläge in Berlin kurz vor dem Abschluss der

85 Ivanovic: Bewegliche Katastrophe, S. 111. 86 O-Ton Ulrich Peltzer im Radiofeature von Helmut Böttiger: Der Sound der Metropole. Mit Ulrich Peltzers Romanen unterwegs in Berlin. Sendung vom 28.08. 2007. Manuskript Deutschlandradio Kultur, S. 13f. Download unter www.dradi o.de/dkultur/sendungen/literatur/736432/ am 11.08.2009. 87 Ulrich Peltzer: Bryant Park. Zürich 2002.

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begonnenen Erzählung, die er in New York beenden wollte.88 Dann zerschlagen die Terroranschläge des 11. September seine Reisepläne. Nach einem anfänglichen writer block, der in diesem Fall wohl auch einen writer shock darstellt, entscheidet sich Peltzer, den Schreibprozess wieder aufzunehmen – jedoch unter der Maßgabe, das Ereignis der Anschläge in den Mikrokosmos des Textes aufzunehmen. In einem Interview kommentiert Peltzer diese Entscheidung später folgendermaßen: „Außerdem wollte ich klar machen, dass das Buch nicht in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern dass es sehr konkret an Wirklichkeit gebunden ist. Und wenn so ein Anschlag stattfindet, muss man sich dem literarisch stellen. Man kann sich dann hinterher fragen, ob das gelungen ist. Aber der Text konnte nur weitergehen unter der Bedingung, dass man kenntlich macht, was passiert ist. Ohne Erklärung, ohne Überleitung, ohne Übergang.“89

Als schließlich im Frühjahr 2002 Bryant Park erscheint, bewertet die über Scheitern und Erfolg urteilende Instanz der Literaturkritik das Erzählexperiment einheitlich als gelungen. Volker Weidermann verkündet in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit großer Verve: „Die Bücher zum 11. September sind da: Lauter Katastrophen – bis auf Ulrich Peltzers ‚Bryant Park‘. ‚Bryant Park‘ ist die erste literarische Erzählung des 11. September. Und es ist eine hervorragende Erzählung.“90 Ursula März spricht in der Frankfurter Rundschau von einem „Glücksfall für die Literatur“91. Bryant Park belegt im April 2002 den Platz 1 der SüdwestrundfunkBestenliste und Peltzer erhält 2003 für die Erzählung den Bremer Literaturpreis. Zudem wird die New York-Erzählung in die von Norbert Niemann

88 Peltzer arbeitete von Dezember 2000 bis November 2001 an der Erzählung. Siehe die Datierung „Dezember 2000/November 2001“ am Ende der Erzählung. Peltzer: Bryant Park, S. 158. 89 Ulrich Peltzer im Bespräch mit Klaus Irler: „Der Dinge habhaft werden. Ulrich Peltzer, Träger des Bremer Literaturpreises, über Identität, scheiternde Kunst und Talk-Shows“. In: die tageszeitung vom 28. Januar 2003. 90 Weidermann: Die Wörter sind unter uns. 91 Ursula März: „5 vor 12. Ulrich Peltzer schreibt über New York und gerät in den 11. September – ein Glücksfall für die Literatur“. In: Frankfurter Rundschau vom 20. März 2002.

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und Eberhard Rathgeb herausgegebene Anthologie Inventur. Deutsches Lesebuch 1945-2003 aufgenommen und folglich kanonisiert.92 Bryant Park gilt damit als erstes literarisches Buch über den 11. September, in dem avancierte Erzählkunst und Zeitgenossenschaft eine erfolgreiche Allianz eingehen oder wie Ulrich Rüdenauer im Tagesspiegel über die Erzählung urteilte: „Sie ist erzählerisch auf der Höhe der Zeit.“93 Ulrich Peltzer, dessen vorangegangene Zeit- und Gesellschaftsromane durch komplexe Erzählverfahren und die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Topos der Simultanität von Großstadt und Bewusstsein sowie deren Erzählbarkeit hervortraten,94 hatte seine neue, in New York spielende Erzählung auch hinsichtlich dieser Parameter konzipiert. Bryant Park erzählt den Ablauf eines einzigen Tages in New York vom späten Nachmittag bis zum Abend und verknüpft innerhalb dieses Zeitraums vier verschiedene Handlungs- und Zeitebenen. Die Erzählung, die aus der Perspektive des Protagonisten Stefan Matenaar erzählt wird, setzt mit der atmosphärisch verdichteten Beschreibung des hinter der Public Library gelegenen Titel gebenden Bryant Parks ein: „Von zahllosen Fenstern in rechtwinkligen Mustern durchbrochene Fassaden aus Granit und Sandstein und Mamor, die steil aufragend die Rasenfläche hinter der Public Library an der fünften Avenue umschließen.“95 In der Bibliothek recherchiert der Literaturwissenschaftler und Historiker Stefan Matenaar für ein Forschungsprojekt über die Genealogie von Einwandererfamilien in Neuengland, das als eine Arbeit über die Vorfahren des US-amerikanischen Autors William Gaddis dechiffrierbar ist. Er besucht nachmittags eine Filmvorführung im Bryant Park und tritt danach seinen nächtlichen Nachhauseweg in das East Village an.

92 Vgl. Nobert Niemann/Eberhard Rathgeb: Inventur. Deutsches Lesebuch 19452003. München/Wien 2003, S. 341-344. 93 Ulrich Rüdenauer: „Der Angriff der Gegenwart“. In: Der Tagesspiegel vom 17. März 2002. 94 Vgl. Ulrich Peltzer: Die Sünden der Faulheit. Zürich 1987; ders.: Stefan Martinez. Zürich 1995; ders.: „Alle oder keiner“. Zürich 1999. Zu Peltzers Romanen siehe auch Christian Jäger: Berlin Heinrichplatz. Die Romane von Ulrich Peltzer. Download am 12.03.2010 unter www.westoestlicherdiwan.de/peltzer1.pdf. 95 Peltzer: Bryant Park, S. 7.

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In den in der Erzählgegenwart angesiedelten Handlungsstrang über Stefan Matenaars zunehmend prekären, durch chronische Geldsorgen und eine scheiternde Liebesbeziehung belasteten Alltag brechen immer wieder Erinnerungspartikel aus unterschiedlichen Vergangenheitsschichten ein. Diese lassen sich erst im Verlauf der Erzählung zu zwei kohärenten Handlungssträngen rekonstruieren: zur Geschichte eines gescheiterten Drogendeals in Italien sowie zur Geschichte über Krankheit und Sterben des Vaters. Die beiden im Schriftbild kursivierten Handlungsstränge setzten unvermittelt, ohne Absatz und Interpunktion in der Erzählgegenwart ein. Doch nicht nur die einströmenden Erinnerungen unterbrechen die Chronik des Erzählens, sondern auch die stets an die Grenze zur Überforderung stoßende Wahrnehmung der Metropole bremst den Fortgang der Handlung und führt mitunter zu detaillierten Beschreibungen. Die drei Handlungsstränge durchzieht als verbindendes Element das Motiv des Verlustes, das jedem auf spezifische Weise eingeschrieben ist. Bryant Park zeichnet sich durch einen programmatischen Erzählstil der Überblendungen und Fragmente aus, der eine durch Erinnerungs- und Wahrnehmungsströme fragmentierte Erzählgegenwart erzeugt.96 Dabei bedient sich die Erzählung klassischer Stilmittel moderner Großstadt- und Bewusstseinserzählungen sowie Textverfahren des Nouveau Roman. Im letzten Drittel des Buches erfährt dieses narrative Arrangement jedoch eine Veränderung. Die fragmentierte New Yorker Erzählgegenwart wird durch einen radikalen Schnitt in der Erzählfiktion und einen Schauplatzwechsel unterbrochen: „Als ich gegen siebzehn Uhr aus der Staatsbibliothek nach Hause komme, ist die Stimme Janas auf dem Anrufbeantworter, bestürzt sagt sie, es sei Krieg jetzt, es sei nicht zu fassen. Sofort schalte ich das Radio ein, in dem der DLF läuft, doch ich werde aus den Worten des Moderators nicht klug, er spricht immer nur von der Katastrophe, dem Terror bisher nicht bekannten Ausmaßes, der die Vereinigten Staaten

96 Vgl. dazu auch Deupmann: Zeit und Ereignis in Ulrich Peltzers Bryant Park; ders.: Vom Ereignis 11. September zum Ereignis des Textes; Mergenthaler: Max Goldts und Ulrich Peltzers literarische Auseinandersetzungen mit NineEleven. Vgl. auch Bender: Zum Denkmuster der ‚Zäsur‘, der den fragmentarischen Stil auf der Inhaltsebene dekonstruiert sieht.

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ins Herz getroffen habe, es fallen die Namen der Städte Washington und New York [...]“97

Auch das unvermittelt einsetzende Erlebnisprotokoll des 11.09.2001, das aus der Perspektive eines in Berlin wohnenden Ich-Erzählers namens Ulrich erzählt wird, der als alter ego zu Stefan Martenaar sowie als Autorfiktion interpretierbar ist, betont den Moment des Schocks. Der einsetzende vierte Handlungsstrang fügt sich einerseits in die fragmentarische Konzeption der Erzählung ein, unterscheidet sich andererseits durch seinen semidokumentarischen Charakter, der durch die Analogie zwischen Stefan, der gegen 17 Uhr in New York die Public Library verlässt, und Ulrich, der gegen 17 Uhr aus der Berliner Staatsbibliothek nach Hause kommt, betont wird. Der Berliner Handlungsstrang beschreibt anschaulich das Fernsehen als Leitmedium der Katastrophe: „Das Fernsehgerät steht in der Kammer, die einmal das Außenclo der Wohnung vor ihrer Sanierung war, rausholen, runterbringen, Kabel einstecken, Knopf drücken, und es sind auf allen Kanälen plötzlich Bilder zu sehen, die man nicht glaubt, gigantische Staubwolken, einstürzende Wolkenkratzer, Boeing-Flugzeuge, die in Hochhäuser rasen, in Panik wegrennende Menschen [...]“98

Das Fernsehprotokoll liefert fragmentarische Bildbeschreibungen, die aber unverbunden nebeneinander stehen und keine Narration erzeugen. Erst die sich anschließende Transkription der E-Mailkorrespondenz mit einer Kathrin in New York, erkennbar als Kathrin Röggla, führt zu einer Weiterführung der Handlung: „Als ich endlich den Rechner einschalte und ins Netz schaue, finde ich eine Mail von Kathrin, um vierzehn Uhr eins östlicher Zeit teilt sie mir mit: lieber ulrich, falls du versucht hast, mich zu erreichen. es ist im moment nicht möglich. nur mailen geht. wie du siehst, leben wir. wahnsinn. wir stehen beide unter schock. waren gerade unten und haben die world-tradecenter-towers einstürzen sehen. total surreal. leute schreien und heulen auf der straße. und das pentagon brennt. alles liebe, k.“99

97 Peltzer: Bryant Park, S. 122f. 98 Peltzer: Bryant Park, S. 123. 99 Peltzer: Bryant Park, S. 128.

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Der ersten E-Mail schließen sich weitere an. Den in Bryant Park dokumentierten E-Mail-Wechsel zwischen Ulrich Peltzer und Kathrin Röggla bezeichnete die Rezensentin Ina Hartwig als „kleine[n] Briefroman“ zwischen Berlin und New York.100 Die angesichts der Katastrophe ausgetauschten E-Mails stellen einen Miniaturbriefroman „nach dem Ende der postalischen Epoche“101 und damit einen weiteren Beitrag zur Literaturgeschichte der E-Mail dar. Auch die Covergestaltung von Bryant Park eröffnet eine Korrespondenz zu Rögglas really ground zero. Das farbige Coverfoto zeigt eine Grünfläche, aber nicht „die Rasenfläche hinter der Public Library an der fünften Avenue“102 und damit der Bryant Park dient als Motiv, sondern ein Tennisplatz vor dem Hintergrund verwitterter Backsteinhäuser. Die Aufnahme stammt laut Hinweis des Copyrights von Kathrin Röggla und ist in der Tat als Fotografie in really ground zero zu finden.103 Christine Ivanovic hatte in ihrer Analyse von really ground zero gerade die Fotografie des Tennisplatzes als einzigen ruhigen Punkt inmitten der medialen Verschiebungen identifiziert: „Mit dem Zoomeffekt arbeitet auch der Blick auf die Tennisplätze der New York University, der den Außenraum als Innenraum erscheinen lässt und das offene Terrain einzuschließen scheint. Dies ist vielleicht am ehesten als eine Symbolisierung Amerikas aufzufassen, bildet es doch zugleich eine Art ins Friedliche gewendetes Negativ von Ground Zero.“104

Der Fensterblick aus Rögglas New Yorker Wohnung auf die Tennisplätze erschafft nach Ivanovic demnach ein Bild, in dem der städtische Außen-

100 101

Ina Hartwig: Ich-Krater. Ulrike Vedder: „Brief und Email. Zur Literatur nach dem Ende der postalischen Epoche“. In: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Hrsg. von P. Wiesinger. Bd. 10. Bern u.a. 2003, S. 391-396. Zur E-Mail allgemein siehe Paul Ferdinand Siegert: Die Geschichte der Email. Erfolg und Krise eines Massenmediums. Bielefeld 2008.

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Peltzer: Bryant Park, S. 7. In really ground zero ist das Motiv zugleich auf drei Fotografien dargestellt. Vgl. Röggla: really ground zero, S. 88f.

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Ivanovic: Bewegliche Katastrophe, S. 115f.

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raum als befriedeter Innenraum erscheint und der Tennisplatz zum Gegenbild der mit Ground Zero verbundenen Bilderwelten der Zerstörung wird. Die auf den Tennisrasen aufgetragene Farbmarkierung New York University, die in really ground zero noch zu entziffern ist, ist im Bildausschnitt des Buchcovers von Bryant Park auf New York verkürzt. So eröffnet die Fotografie des Buchcovers als visueller Paratext den für Bryant Park charakteristischen Topos der beschrifteten, zeichendurchsetzten und in diesem Sinne auch erzählbaren Metropole. Zusammenfassend integriert Bryant Park als erster explizit literarischer Text das Medienereignis 11. September in eine Erzählprosa und markiert den Bruch mittels einer Textzäsur.

4. Fazit: Semi-dokumentarische Erlebnisästhetik, E-Mail-Protokolle und Medienamateure Mit Else Buschheuers New York Tagebuch, Kathrin Rögglas really ground zero und Ulrich Peltzers Bryant Park standen drei zeitnahe literarische Bezugnahmen auf das Medienereignis 11. September im Mittelpunkt des ersten Lektürekapitels, die sich durchgängig auf das Motiv des Schocks als unmittelbare Reaktion auf die Terroranschläge beziehen. Die Texte der frühen Phase zeichnen sich durch dominante intermediale Verfahren als Reaktion auf die Medienkonkurrenz und die omnimediale Proliferation des Medienereignisses 11. September aus. Mittels semi-dokumentarischer Verfahren verweisen sie weiterhin auf die mit dem Medienereignis verbundene Diskussion über den Realitätsstatus der Mediengesellschaft. Das aus einem Internet-Tagebuch sowie Blog hervorgegangene New York Tagebuch und das aus Einzelveröffentlichungen im Printmedienbereich kompilierte Buchsample really ground zero stellen in erster Linie intermediale Versuchsanordnungen zwischen Literatur und Journalismus dar. Beiden Texten wurde vor dem Hintergrund der produktionsästhetischen Umstände – Buschheuer und Röggla lebten zum Zeitpunkt der Terroranschläge in New York in der Nachbarschaft des World Trade Center – Unmittelbarkeit und Authentizität zugesprochen. Jedoch zeichnen sich beide Texte auch durch die Reflexion der extremen Schreibsituation aus. Die Texte positionieren sich nicht nur innerhalb einer Übergangszone der Medienkonkurrenz, sondern thematisieren auch eine Wahrnehmungskonkurrenz, die dem priviligierten Sehsinn misstraut. Wenn Buschheuer im New York Tagebuch als erste Wahrnehmung der Terroranschläge von einem

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„Knall“105 im Wortsinn spricht, ist damit ein Begriff aufgerufen, dessen metaphorisches Potential Klaus Theweleit in seinem Buch Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell auslotet. Während Das New York Tagebuch exemplarisch die unterschiedlichen Leistungspotentiale von Blog und Buch verdeutlicht, indem die Leistung des Blogs in der originär dem Onlinejournalismus zugesprochenen medialen Inszenierung von Echtzeit bestand, bedient sich really ground zero dokumentarisch-fiktionalisierender Schreibstrategien sowie Schreibverfahren des New Journalism. Dieser unterläuft als journalistisch-literarisches „Hybridsystem“106 die für die Systeme Literatur und Journalismus konstitutive Differenz zwischen Fiktion und Faktizität. Beide Texte verweisen auf die wechselseitige Beeinflussung von literarischen und journalistischen Schreibverfahren und Darstellungsformen.107 Sie stehen dabei exemplarisch für die Konjunktur literarisch-journalistischer Deutungsmuster unmittelbar nach dem Medienereignis 11. September.108 Jenseits der Tagesaktualität veranschaulicht Das New York Tagebuch als Teilprojekt einer langjährigen Internet-Tagebuchserie mustergültig die medialen Logiken der gegenwärtigen digitalen Medienkultur. Denn Buschheuers Internet-Tagebuch verweist aufgrund seiner eher konventionellen Ästhetik nicht vornehmlich auf den Themenkomplex der Netzliteratur, sondern verdeutlicht die medialen Praktiken der Netzkultur. Ramon Reichert beschreibt in seiner Studie Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, wie die Teilhabe an und Selbstinszenierung in digitalen Medienformaten zunehmend zum kulturellen Imperativ gerät und Medienamateure produziert, deren Subjektkonstitution zunehmend mit den Kommunikationsmodi des Web 2.0 verzahnt ist.109 Dabei impliziert nach

105

Buschheuer: New York Tagebuch, S. 128.

106

Pörksen: Einleitung, S. 24.

107

Vgl. dazu auch Joan Kristin Bleicher: „Intermedialität von Journalismus und Literatur. New Journalism aus literaturwissenschaftlicher Perspektive“. In: dies./Pörksen: Grenzgänger, S. 29-39.

108

Vgl. zu den literarisch-journalistischen Feuilletondebatten auch Payk-Heitmann: ‚Freundschaftsdienste‘ im Nachhall des Terrors.

109

Vgl. Reichert: Amateure im Netz. Zum Begriff des Medienamateurs siehe weiterhin die Website www.medienamateure.de, die ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universität Siegen dokumentiert, dessen Ergebnisse

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Reichert die Netzmetapher des World Wide Webs nicht nur kollaboratives Arbeiten, sondern zugleich auch einen neuen neoliberalen Unternehmertypus, der sich zunehmend als kreatives, flexibles und eigenverantwortliches Selbst entwerfen und ökonomisieren muss.110 Buschheuers Autorinszenierungen auf ihrer Website www.else-buschheuer.de, deren Erfolg paradoxerweise erst mit dem Buch zum Blog einsetzte, sowie ihre verlagsunabhängigen Publikationsstrategien mittels Blog und print on demand sind exemplarisch für das Selbstmanagement der Medienamateure. Die von Stephan Porombka konstatierte Konjunktur einer neuen selbstreflexiven Dokumentarliteratur realisiert sich in den untersuchten Texten mittels dokumentarisch-fiktionalisierender Textstrategien, Medienprotokollen sowie diaristischen Schreibverfahren. Exemplarisch führt really ground zero den Einsatz hybrider Textstrategien am Beispiel von Gesprächstranskriptionen vor und verweist auf die Wechselwirkungen zwischen Medienerzählungen und individuellem sowie kollektivem Sprachgebrauch. Die in really ground zero erprobte Kombination dokumentarischer und fiktionalisierender Textverfahren wird zum markanten Arbeits- und Kompositionsverfahren von Kathrin Röggla. Das Katastrophische stellt fortan neben dem Themenkomplex der Arbeitswelt einen zentralen Schwerpunkt in den Texten, Theater- und Radioproduktionen der österreichischen Autorin dar.111 Dass sich dokumentarische Verfahren in der Literatur angesichts von Extremereignissen wie Terroranschlägen oder Naturkatastrophen als Möglichkeit der Referenznahme sowie Fiktionalisierung erweisen, bezeugt auch

u.a. in Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 111 (2009) publiziert sind. 110

Vgl. Reichert: Amateure im Netz, S. 215.

111

Vgl. Carolin Beutel: „Wir sind an die Erzählung von Katastrophen gewöhnt“. In: Die Berliner Literaturkritik 1 (2010), S. 14f. Siehe zum Überblick über Rögglas Texte, Bühnen- und Radioproduktionen auch die Homepage der Autorin www.kathrin-roeggla.de. Vgl. zu Rögglas Arbeitsverfahren auch Elisabeth Pirker: Wie(der) die Wirklichkeit – Dokumentarische Verfahrensweisen in den Dramen von Kathrin Röggla. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der Universität Wien, eingereicht im Juli 2008. Download am 20.03.2010 unter plic.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/inst.../Diplomarbeit_Pirker.pdf.

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der Bericht Phi Phi Island112 des österreichischen Autors Josef Haslinger, in dem er schildert, wie er und seine Familie Ende 2004 den Tsunami in Thailand überlebten. Das Prinzip des diaristischen Schreibens als dokumentierendes Verfahren lässt sich nicht nur an Else Buschheuers New York Tagebuch ablesen, sondern auch weitere Autoren, u.a. Durs Grünbein, Max Goldt, Rafik Schami oder Walter Kempowski, verfassten Tagebuchaufzeichnungen über die Terroranschläge.113 Durs Grünbein, der bereits in seinen Berliner Aufzeichnungen. Das erste Jahr114 den Millenniumswechsel als literarischer Chronist begleitete, veröffentlichte beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Magazin Literaturen Auszüge aus seinem Tagebuch am und nach dem 11. September 2001.115 Denn die Poetologie des Tagebuchs ermöglicht eine subjektive Auseinandersetzung mit dem Medienereignis 11. September, die zugleich dessen Markierung als zeitgeschichtliche Zäsur sowie deren Überführung in die Kontinuität des diaristischen Prinzips leistet.116 Charakteristisch für die Tagebuchaufzeichnungen sowie für zahlreiche fiktive sowie nicht-fiktive Texte sind weiterhin Proto-

112

Josef Haslinger: Phi Phi Island. Ein Bericht. Frankfurt am Main 2007. Vgl. dazu auch Ulrich Greiner: „Der Entschluss, bis zum Ende zu kämpfen. Josef Haslinger hat den Tsunami überlebt. Sein Bericht ist kein Roman – und dennoch ein literarisches Werk von Rang“. In: Die Zeit vom 31. Mai 2007.

113

Vgl. Max Goldt: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Reinbek bei Hamburg 2002; Walter Kempowski: „Auszüge aus dem Tagebuch 2001“. In: Text + Kritik: Walter Kempowski. Nr. 169 I (2006), S. 3-31, insbesondere S. 12-24; Rafik Schami: Mit fremden Augen. Tagebuch über den 11. September, den Palästinakonflikt und die arabische Welt. Heidelberg 2002.

114

Durs Grünbein: Berliner Aufzeichnungen. Das erste Jahr. Frankfurt am Main

115

Vgl. Durs Grünbeins Tagebuchaufzeichnungen vom 11. bis zum 16. Septem-

2001. ber 2001: „Aus einer Welt, die keine Feuerpause kennt“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. September 2001. Sowie die Aufzeichnungen vom 18. bis zum 21. September: „Der Terror auf seinem Flug durch die Städte“. In: Literaturen 12 (2001), S. 20-20. 116

Vgl. dazu Payk-Heitmann: Der 11. September im (fiktionalen) Tagebuch; Mergenthaler: Max Goldts und Ulrich Peltzers literarische Auseinandersetzungen mit Nine-Eleven.

L ITERATUR ALS E CHTZEIT -I NSZENIERUNG

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kolle der Mediennutzung. Zum einen verweisen Fernsehprotokolle auf das Medienereignis im Sinne eines live broadcasting of history. Zum anderen avancieren vor allem E-Mailprotokolle in der frühen Literatur über 9/11 zu Katastrophendokumenten. Bereits im New York Tagebuch ergeben die montierten E-Mails einen polyphonen Besorgnischor und Bryant Park dokumentiert einen E-Mailwechsel zwischen Berlin und New York. Analog zur E-Mail fungiert die Kommunikation per SMS, die Alban Nikolai Herbst und Barbara Bongartz in ihren kollaborativen Schreibprojekt Inzest oder Die Entstehung der Welt dokumentieren: „16:31 ARABISCHE FLUGZEUGE HABEN DAS WORLD TRADE CENTER ZERSTÖRT. EIN DRITTES FLOG IN 16:32 WOLLEN SIE MICH VERARSCHEN? 16:33 DAS PENTAGON:SPRACHLOS! 16:35 FINDEN SIE DAS KOMISCH? 16:37 NEIN! SCHALTEN SIE DAS RADIO EIN.“117

Ob mittels SMS, E-Mail, Blog, Fernseh- oder Radioprotokoll, die untersuchten Texte thematisieren die Medialisierung des Erzählens und verweisen durch Medienreferenzen und dokumentarische Verfahren auf die Omnipräsenz des Medienereignisses 11. September. Während Else Buschheuer mit dem New York Tagebuch exemplarisch einen frühen Typus des Medienamateurs verkörpert, fokussiert Kathrin Röggla in really ground zero die Wechselwirkungen zwischen realen Katastrophenszenarien, medialen Katastrophenerzählungen und Katastrophengenres. Mit Bryant Park liegt zu Beginn des Jahres 2002 der erste fiktionale Text über das Medienereignis 11. September vor, der durch den Einschub

117

Alban Nikolai Herbst/Barbara Bongartz: „Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romans in Briefen, hg. und für das Publikum lesbar gemacht von Norbert Wehr“. In: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 58 (2002), S. 1-164, hier S. 50f. Vgl. auch Volker Mergenthaler: „,Weiter schreiben‘ nach dem 11. September – Barbara Bongartz’, Alban Nikolai Herbsts und Norbert Wehrs ‚Inzest oder Die Entstehung der Welt‘“. In: Irsigler/ Jürgensen: Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen, S. 29-48 sowie Deupmann: Vom Ereignis 11. September zum Ereignis des Textes.

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einer protokollarischen Handlungsebene auf die Anschläge referiert, diese aber in die fragmentarisch angelegte Komposition des Gesamttextes einfügt und so eine ästhetische Kohärenz erschafft, die auf der Macht und Widerständigkeit der Fiktion beharrt.

Literarische Schauplätze und Amerikabilder

1. New York: „Tattooed City“: Ulrich Peltzers Bryant Park (2002) als semiotische Stadtanalyse und Prekaritätsstudie Als die New Yorker Terroranschläge Ulrich Peltzer in der Endphase der Arbeit an Bryant Park unterbrachen und der Autor daraufhin die Anschläge in die Fiktion aufnahm, veränderte sich die Textdramaturgie der Erzählung. Aber nicht nur das eingefügte semi-dokumentarische Berliner Erlebnisprotokoll resultierte aus der Veränderung, auch die Großstadtdarstellung der New York-Erzählung lässt sich vor diesem Hintergrund neu lesen. Hatte Christof Hamann in seiner Studie Grenzen der Metropole. New York in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur1 die Beziehung zwischen Subjekt und Metropole sowie das Verhältnis zwischen Alter und Neuer Welt als strukturierende Themenfelder der New York-Literatur bestimmt, so lassen sich beide Konstellationen auch in Bryant Park verfolgen. Bereits der Anfang der Erzählung etabliert traditionelle Topoi der modernen literarischen Großstadtdarstellung: „Ist es auch fast so heiß wie am Nachmittag und weiter ganz windstill, hat das Zwielicht der Dämmerung Midtown inzwischen verwandelt, als beträte man eine neue, mit glitzernden Farben nun belebte Kulisse, die sich vor die Massive aus Stein und

1

Christof Hamann: Grenzen der Metropole. New York in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Wiesbaden 2001.

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Beton geschoben hat, ihrer teilnahmslosen Monumentalität eine andere Sprache aus Leuchtschriften und Neonzeichen vorsetzend, Symbolen, die man entziffern kann, ein menschliches, die Distanzen spürbar verringerndes System. Lesend bewegt man sich an den Häusern entlang, unter den Reklamen von Pizzabuden und Juweliergeschäften, die einen einbinden in die Welt, in diese seltsamen Verfahren zu existieren.“2

Während die Häuserfronten am Bryant Park tagsüber als „Massive aus Stein und Beton“ und damit als Teil „eines bizarren Naturgebildes“3 erscheinen, verwandeln sie sich mit Einbruch der Dämmerung in ein Leitsystem lesbarer Oberflächen. Die Textpassage kombiniert den seit der Großstadtliteratur der 1920er Jahre etablierten Topos der Stadt als Steinwüste mit dem Topos der Stadt als Zeichensystem.4 Im Gegensatz zu Walter Benjamins prominenten kulturpessimistischen Ausspruch, dass die Reklame die Schrift aus dem Buch vertreibe,5 stellt in Bryant Park die Reklame als „andere Sprache aus Leuchtschriften und Neonzeichen“ ein Navigationssystem dar, mit dessen Hilfe sich der Protagonist lesend im urbanen Raum bewegen kann. Der Topos der lesbaren Zeichenstadt hatte insbesondere im Strukturalismus der 1970er Jahre Konjunktur: „Der moderne Mensch, der Stadtmensch liest ununterbrochen: er liest zunächst und hauptsächlich Bilder, Gesten, Verhaltensweisen“6, verkündete Roland Barthes. Mit der Transformation

2

Peltzer: Bryant Park, S. 55.

3

Peltzer: Bryant Park, S. 15.

4

Vgl. allgemein zu Großstadttopoi in der Literatur Klaus R. Scherpe: Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne. Reinbek bei Hamburg 1988.

5

Vgl. die Passage in der philosophischen Fragmentsammlung Einbahnstraße: „Die Schrift, die im gedruckten Buche ein Asyl gefunden hatte, wo sie ihr autonomes Dasein führte, wird unerbittlich von Reklamen auf die Straße hinausgezerrt und den brutalen Heteronomien des wirtschaftlichen Chaos unterstellt.“ Walter Benjamin: „Einbahnstraße“. In: ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Tillman Rexroth. Band IV-1. Frankfurt am Main 1991, S. 84-148, hier S. 103.

6

Roland Barthes: „Die Machenschaften des Sinns“. In: ders.: Das semiologische Abenteuer. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt am Main 1994, S. 165-167, hier S. 165.

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des Stadtbewohners zum Dauerleser wurde auch die Stadt zum Text, wie Barthes in seinem 1967 publizierten Aufsatz Stadtplanung und Semiologie ausführt: „Die Stadt ist eine Schrift; jemand, der sich in der Stadt bewegt, daß heißt der Benutzer der Stadt (was wir alle sind) ist eine Art Leser, der je nach seinen Verpflichtungen und seinen Fortbewegungen Fragmente der Äußerungen entnimmt und sie insgeheim aktualisiert.“7 In diesem Sinn führt Bryant Park das Textparadigma der Stadt vor, das die Bewegung durch New York zum lesenden Mänovrieren geraten lässt, das mitunter auch in einem Exzess des Lesens mündet: „Grün und Blau und Rot sind meist die Farben der über den Schaufenstern und an den Fassaden hängenden Schilder und Buchstaben, oft noch die Brüstungen des zweiten Stockwerks einnehmend, wo sie Namen und Gewerbe nennen, Sonderangebote verheißen, den Kunden zum Eintritt überreden wollen. Als ob man wirklich eine Wahl hätte, umschmeichelt von so viel Schrift in so vielen Variationen, kleine neben großen Lettern, verschnörkelte neben blockartigen, vertraute und fremde, selbst einige Worte in Sanskrit und Kyrillisch schimmern bunt auf die Straße hinunter.“8

Doch der in Bryant Park erschriebene und zugleich entzifferte Schriftkörper New Yorks umfasst nicht nur die im Wortsinn lesbaren Reklamezeichen, die unentwegt den zukünftigen Käufer mit „try, und: wholesale price“9 locken, sondern auch die Wege des Protagonisten. Denn der nächtliche Heimweg von Stefan Matenaar ist nicht nur von blinkenden Reklamezeichen gesäumt, sondern führt auch von einer bücher-institutionellen land mark zur anderen. Ausgehend von der Public Library am Bryant Park, wo Stefan Matenaar einen Arbeitstag am Mikrofiche-Lesegerät verbrachte, führt der Weg über den Astor Place vorbei bei Saint Mark’s Books, „einem der besten Buchläden der westlichen Welt“10, bis ins East Village zum Haus Nummer 429 in der Nähe des Tompkins Square Parks. Die Schilde-

7

Roland Barthes: „Semiologie und Stadtplanung“. In: ders.: Das semiologische Abenteuer, S. 199-209, hier S. 206.

8

Peltzer: Bryant Park, S. 56.

9

Peltzer: Bryant Park, S. 59.

10 Peltzer: Bryant Park, S. 114.

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rung des nächtlichen Heimwegs, die der Berliner Handlungsstrang unterbrach, wird mittels einer Überblendung wieder aufgegriffen: „Und du hast die Türme echt einstürzen sehen? Einen, dann sind wir weggerannt. Wo ward ihr? Nicht sehr weit, an der Ecke Houston Street, du kennst doch die Ecke in etwa, wenn man vom Broadway nach rechts auf das Angelica Film Center zu abbiegt [...]“11

Die Ecke Houston Street/Broadway wird zum Relais zwischen einem Telefonat der Figuren Ulrich und Kathrin und dem New Yorker Nachhauseweg und damit zwischen semi-dokumentarischer und fiktionaler Textebene. Zugleich wird sie aber auch zum Ausgangspunkt einer Entscheidung: „in etwa, wenn man vom Broadway nach rechts auf das Angelica Film Center zu abbiegt [...], also am Angelica Film Center mit seinen vier oder fünf Sälen im Keller vorbei bis hin zu einer jener schmalen Straßen, die lotrecht nach Süden führen, wo sie in einer dunstigen Ferne abgeschlossen werden von verschiedenen Ansichten der beiden sich über die Dächer aller anderen Gebäude erhebenden Tower des Welthandels. Trügt meine Erinnerung nicht, stehen da Wasserspeicher oben auf den Häusern längs der Houston Street [...]“12

Die nach rechts abbiegende Wegvariante würde geradewegs auf die Türme des World Trade Center zuführen. Da die Ansicht und die Wegrekonstruktion nach den Anschlägen nur noch in der Erinnerung möglich ist, wie die Textpassage betont, eröffnet die aus der Perspektive der Autorenfigur Ulrich intern fokalisierte Wegbeschreibung einen literarischen Erinnerungsraum. Um zur New Yorker Erzählgegenwart zurückzukehren, erprobt die Erzählung die Konsequenzen, die mit der nach links abbiegenden Wegvariante für Stefan Maartenar verbunden wären:

11 Peltzer: Bryant Park, S. 130, Leerzeile im Original. 12 Peltzer: Bryant Park, S. 130f.

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„böge man indessen nach links in die Houston Street, wie Stefan es tun würde, [...] befände man sich für einige Meter unter dem Neonlicht des Amoco-Zeichens, das zur Tankstelle auf der Ecke gehört, einem rotblauen Oval mit einer stilisierten Fackel in der Mitte.“13

Der Modus des Konjunktivs, der in seiner grammatischen Funktion als Potentialis eine mögliche, aber nicht realisierte Option anzeigt, markiert die gestörte Autonomie der Fiktion, die sich die Erzählung erst langsam wieder zurückerobert. Denn die Schilderung der Wegstrecke erfolgt zuerst weiter im Konjunktiv: „wendete man den Kopf, würde man gegenüber – die Rückwand eines fünfstöckigen Gebäudes einnehmend – das Logo von Donna Karan erblicken, in dessen vier Buchstaben ein Luftbild der Stadt montiert ist, wobei das K ganz ausgefüllt wird von der Freiheitsstatue mit emporgestrecktem Arm, bläulich schimmernd“.14

Das in der Textpassage beschriebene Reklamebild spielt auf Kafkas ambivalentes Bildsymbol der verkannten Fackel als prominenten Topos der deutschsprachigen Amerikana an und eröffnet wieder den Raum der Literatur. Erst mit dem Betreten einer Bar, das aus Stefan Matenaars Perspektive erzählt wird, wechselt die Erzählung wieder in den Indikativ. In der Bar kündigt sich das Ende von Stefans Liebesbeziehung mit der Schauspielerin Sara und damit auch das Ende des New York-Aufenthalts an. Der russische Strukturalist Jurij M. Lotman hatte 1970 in Die Struktur literarischer Texte15 auf die Semantisierung räumlicher Grundoppositionen verwiesen. Lotmans struktural-semiotischem Raummodell folgend ist die Rechts-Links-Opposition mit unterschiedlichen (literarischen) Weltentwürfen verknüpft. Die beiden Varianten des Nachhausewegs führen in diesem Sinn nicht nur verschiedene Zeit- und Erzählebenen vor, sondern die Entscheidung, an der Ecke Houston Street nach rechts oder nach links abzubiegen, avanciert zum Scheidepunkt zwischen einer Welt vor und einer Welt nach dem 11. September.

13 Peltzer: Bryant Park, S. 131. 14 Peltzer: Bryant Park, S. 132. 15 Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. Vierte, unveränderte Auflage. München 1993.

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Die Darstellung New Yorks als Text- und Zeichenstadt wird weiterhin mittels paratextueller Effekte unterstützt. Neben dem Buchcover verweist auch das der Erzählung voran gestellte Gedicht Tattooed City von Charles Simic auf den Topos der Zeichenstadt. „Tattooed City I, who am only an incomprehensible Bit of scribble On some warehouse wall Or some subway entrance. Matchstick figure, Heart pierced by arrow, Scratch of a meter maid On a parked hearse. CRAZY CHARLIE in red spraypaint Crowding for warmth With other unknown divinities In an underpass by night.“16

Der irische Dichter und Nobelpreisträger Seamus Heaney merkte in einem Essay über den serbisch-amerikanischen Lyriker Charles Simic an, dass dieser von seinen Freunden Charlie gerufen werde, und interpretierte Tattooed City als Selbstporträt des Dichters als Graffitikünstler.17 Für Heaney entsteht der genuine Simic-Sound vor allem durch die Bildsprache der Gedichte: „The logic of images or their illogic, the chance directions of language itself, this is what keeps the poems on the move.“18 Tattooed City führt diese Logik der wechselnden Bildwelten am Beispiel der Erzählinstanz vor. Das lyrische Ich vom Anfang der ersten Strophe verwandelt sich im Verlauf des Gedichtes zur Kritzelei an einer Lagerhauswand oder in ei-

16 Peltzer: Bryant Park, Vorsatzblatt. 17 Vgl. Seamus Heaney: „Shorts for Simic“. In: Harvard Review 13 (1997), S. 1420. 18 Heaney: Shorts for Simic, S. 17.

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nem U-Bahneingang, zum Kratzer einer Politesse an einem geparkten Leichenwagen und letztlich zum roten Graffiti-Schriftzug „CRAZY CHARLIE“ in einer Unterführung. Im Depersonalisierungsprozess dieser urbanen Metamorphose löst sich die mittels „I“ markierte Identität im GraffitiZeichen auf. Die Metapher der tätowierten Stadt, die die Bildbereiche des tätowierten Körpers und der mit Graffiti überzogenen Stadt verbindet, eröffnet außerdem einen Bezug zu Jean Baudrillard Essay Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen von 1975 sowie zu Michel de Certeaus Studie Die Kunst des Handelns von 1980.19 Beide Texte setzen die New Yorker Graffiti-Bewegung der 1970er Jahre, die als Ausdruck einer ghettospezifischen Jugendkultur entstand, und das 1973 fertiggestellte World Trade Center, das zum Symbol New Yorks als Global City wurde, zueinander in Beziehung. Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen greift explizit das Bildfeld der tätowierten Stadt auf: „Seltsamerweise machen übrigens die Graffiti die Wände und Flächen der Stadt [...] wieder zu einem Körper, zu einem Körper ohne Ende noch Anfang, gänzlich erogenisiert durch die Schrift, so wie der Körper durch die primitive Inschrift der Tätowierung erogenisiert werden kann. [...] Indem sie die Wände tätowieren, befreien SUPERSEX und SUPERKOOL sie von der Architektur und machen sie wieder zur lebendigen, immer noch sozialen Materie, zum beweglichen Körper der Stadt vor seiner funktionalen und institutionellen Markierung.“20

Die Textpassage imaginiert die mit Graffiti versehene Stadt als einen wilden erotisch-exotischen Stadtkörper. Dieser ist Bestandteil des Stadtdiskurses der 1970er Jahre, der das Aufeinandertreffen von Zivilisation und Wildnis in die Großstadt verlegte und Metaphern wie ‚Großstadtdschungel‘ oder ‚Großstadtpionier‘ hervorbrachte. Kool Killer bezieht sich auf die ‚wilde‘ Seite dieser zivilisatorischen Unterscheidung. Baudrillards Essay feiert Graffiti emphatisch als subversiven, selbstreferentiellen Zeichencode innerhalb eines ansonsten durchkapitalisierten, von massenmedialen Codes

19 Vgl. Jean Baudrillard: „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“. in: ders.: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Aus dem Französischen von HansJoachim Metzger. Berlin 1978, S. 19-38; Michel de Certeau: Die Kunst des Handelns. Berlin 1988. 20 Baudrillard: Kool Killer, S. 34f., Hervorhebung im Original.

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beherrschten urbanen Raumes, in dessen Zentrum sich die Türme des World Trade Center als „scheinbar unverwundbare[n] Megazeichen der 21 Allmacht des Systems“ erheben. Zudem verweist der Essay auf die Herkunft der Graffiti-Namen aus dem Refugium des Comics: „es sind bloß Namen, oft aus Underground-Comics bezogene Spitznamen: DUKE SPIRIT SUPERKOOL KOOL KILLER [...] Diese Terme haben keinerlei Originalität: sie stammen alle aus dem Comic-Strip, wo sie eingeschlossen waren in der Fiktion, doch brechen sie explosiv aus ihr hervor [...] und brechen als leere Signifikanten ein in die Sphäre der erfüllten Zeichen der Stadt, die sie durch ihre bloße Präsenz auflösen.“22

Auch Simics Gedicht Tattooed City verweist auf die Herkunft der GraffitiNamen aus dem Comicgenre. Denn „CRAZY CHARLIE“ ist nicht nur als Anspielung auf den Spitznamen des Autors interpretierbar, sondern auch als Referenz auf die gleichnamige amerikanische Comicstrip-Serie von H.E. Godwin aus dem Jahr 1903.23 In allen sechzehn Episoden des tragischkomischen Funny bricht CRAZY CHARLIE, ein Mann in Sträflingskleidung, zu Beginn aus der Irrenanstalt aus, um am Ende freiwillig oder unfreiwillig ins lunatic asylum zurückzukehren. In Tattooed City ist New York zum lunatic asylum geworden, zum Platz für die „unknown divinities in an underpass by night“. Hatte Baudrillard die Türme des World Trade Center als „scheinbar unverwundbare[n] Megazeichen der Allmacht des Systems“24 beschrieben, denen sich nur der subversive Graffiti-Code entgegenstellt, erklärte der französische Historiker Michel de Certeau die Türme zu den „größten Schriftzeichen der Welt“25. Nach Certeau ermöglichen erst die beiden Türme eine Vogelperspektive über die Stadt, die diese zum Text transformiert:

21 Baudrillard: Kool Killer, S. 35. 22 Baudrillard: Kool Killer, S. 24ff., Hervorhebung im Original. 23 Der Comic ist im Internet verfügbar unter www.barnaclespress.com/lis.php? directory=CrazyCharlie. Download am 05.08.2010. 24 Baudrillard: Kool Killer, S. 35. 25 Certeau: Die Kunst des Handelns, S. 179.

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„Von der 110. Etage des World Trade Center sehe man auf Manhattan. Unter dem vom Wind aufgewirbelten Dunst liegt die Stadt-Insel [...] Sie verwandelt sich in ein Textgewebe, in dem die Extreme des Aufwärtsstrebens und des Verfalls zusammenfallen, die brutalen Gegensätze von Gebäudegenerationen und Stilen [...]“26

Die Vertikalität des World Trade Center als „größte[m] Schriftzeichen der Welt“ kontrastiert Certeau mit der Horizontalität der mit Graffiti übersäten U-Bahnen: „[...] die Transit-Bilder, die gelb-grünen und stahlblauen Kalligraphien, die tonlos die Untergründe der Stadt durchhallen und durchstreifen, das Buchstaben- und Ziffern-‚Gebrodel‘, vollkommene Gesten der Gewalt, mit der Sprühdose gemalt, Shivas in Schriftzeichen, tanzende Graphen, deren flüchtige Erscheinung vom Rattern der U-Bahn begleitet wird: die Graffiti von New York.“27

Sowohl für Baudrillard als auch für Certeau stellt die New Yorker GraffitiBewegung der 1970er Jahre eine subversive Praxis dar, die den Stadtkörper New Yorks vitalisiert und sich dem World Trade Center als Symbol des Finanzkapitalismus entgegengestellt. Diese enthusiastische Interpretation interessiert sich weniger für die Lebenswelten der jugendlichen GraffitiAkteure aus der Bronx, denen beispielsweise Norman Mailer in seiner 1974 erschienenen Reportage The faith of graffiti28 nachgeht, sondern vielmehr für die Anschlussfähigkeit des graffiti writings an poststrukturalistische Texttheoreme. Bryant Park führt die von Simics Gedicht Tattooed City und dessen intertextuellen Bezügen eröffnete Isotopie von Graffiti als subversiven urbanen Zeichensystem in zweifacher Hinsicht fort. Zum einen gehört zu Stefan Matenaars persönlichen Helden die New Yorker Künstlerikone Jean-

26 Certeau: Die Kunst des Handelns, S. 179f. Zur Vogelperspektive des World Trade Center in der Literatur, die das Bildsymbol der Freiheitsstatue ersetzt, siehe den interessanten Aufsatz von Jochen Vogt: „,Soo hoch!‘ Momentaufnahmen vom allmählichen Verschwinden der ,Statue genannt Liberty‘“. In: ders./Stephan: Das Amerika der Autoren, S. 249-278. 27 Certeau: Die Kunst des Handelns, S. 196. 28 Norman Mailer: The faith of graffiti. New York 1974.

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Michel Basquiat, eine „Kunstpostkarte“29 mit einer späten Arbeit Basquiats begleitet ihn bei seinen ständigen Wohnungsumzügen wie eine Reliquie. Basquiat gehörte unter dem Pseudonym SAMO zu der frühen New Yorker Graffiti-Szene der 1970 Jahre und entwickelte in seinen künstlerischen Arbeiten eine malerische Textur, die die Formensprache des Graffitis aufgreift und mit Elementen der Popkultur und des Comics kombiniert.30 Basquiats Œvre mit seinen apokalyptischen Großstadtszenen wurde nach 9/11 beispielsweise in Gordon Bennetts Bilderserie Notes to Basquiat (911) als Referenz herangezogen, ist es doch genuin mit dem Topos New York verbunden. Zum anderen eröffnet Tattooed City eine Logik, in der die GraffitiZeichen zum Zeichenmaterial des Gedichts und damit Literatur und Graffiti zu ununterscheidbaren Zeichensystemen werden. Folglich gilt dann auch für die Literatur als Symbolsystem Baudrillards Aussage über den GraffitiCode: Wenn die subversiven Graffiti-Codes die Stadt „wieder zu einem Körper“31 machen und damit die Integrität des Stadtkörpers wiederherstellen, so hat auch Bryant Park als Literatur Anteil an dem Projekt eines rewriting New Yorks, das Ulrich Baer in der Anthologie 110 Stories. New York writes after September 11 als „New York’s perpetual self-reconstruction through metaphor and language“32 bezeichnete. Bryant Park entwirft New York somit als eine sich über Lesbarkeit und Zeichenhaftigkeit konstituierende Stadt des Imaginären. Dieser globale literarische Entwurf der Stadt beharrt auf der Widerständigkeit und Macht der literarischen Imagination. Jedoch wird die textuelle Inszenierung New Yorks als imaginärer Stadt noch von einer weiteren Stadtinszenierung überlagert. Denn Bryant Park beschreibt nicht nur New York als heterogenes urbanes Zeichensystem, sondern auch als sozioökonomischen Stadtraum. Mit der Charakterisierung des East Village als „aufstrebende[s] Viertel von Erwartungen und Ambitionen, Dauertelefonaten und hypnotischen Tä-

29 Peltzer: Bryant Park, S. 111. 30 Zu Basquiat siehe zum Beispiel den prägnanten Überblick bei Leonhard Emmerling: Jean-Michel Basquiat. 1960 – 1988. Köln u.a. 2007. 31 Baudrillard: Kool Killer, S. 34, Hervorhebung im Original. 32 Ulrich Baer: „Introduction“. In: ders. (Hg.): 110 stories: New York writes after September 11. New York/London 2002, S. 1-9, hier S. 1.

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towierungen“33 beschreibt Bryant Park die Effekte der Gentrifizierung. Der US-amerikanische Stadtsoziologe Neil Smith definierte bereits 1993 in seinem Aufsatz Gentrification in New York City den Begriff der Gentrifizierung, der mittlerweile zum soziologischen Standardvokabular zählt, als „Prozeß, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und Freizeitnutzungen der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert werden.“34 Smith veranschaulicht diesen Prozess am Beispiel des New Yorker Stadtviertels East Village, das in den 1970er Jahren unter der Bezeichnung Lower East Side als verwahrloste und verarmte Wohngegend galt, bis das Viertel in den 1980er Jahren durch eine „Koalition zwischen der Kunst- und Immobilienindustrie“35 aufgewertet wurde. Der Autor Stephan Wackwitz beschreibt pointiert das gentrifizierte East Village der Nullerjahre als Viertel „einer mit der klassischen Boheme Mimikry treibenden Großbourgeoisie von jungen Internetunternehmern, Werbeleuten, Adepten der Modebranche“36 und damit als hot spot einer kapitalkräftigen kreativen Klasse (Richard Florida), die Elendsmimikry als Stilfaktor betreibt und die finanzschwachen Kreativen verdrängt oder in prekäre Arbeitsbedingungen zwingt. Stefan Matenaar streift nicht ohne Grund in Saint Mark’s Books, „einem der besten Buchläden der westlichen Welt“37, an Regalen mit Büchern über „prekäre Beschäftigungsverhältnisse“38 vorbei. Der aus der französischen Arbeitssoziologie stammende Begriff der Prekarisierung bezeichnet einen Prozess, in dem Beschäftigungsverhältnisse prekär werden, d.h. die sozialen und rechtlichen Standards des so genannten gesicherten regulären

33 Peltzer: Bryant Park, S. 66. 34 Neil Smith: „Gentrification in New York City“. In: Häußermann/Siebel: New York, S. 182-204, hier S. 183. 35 Smith: Gentrification, S. 198. 36 Stephan Wackwitz: „Wer hier Probleme bekommt, ist weg. Bericht aus Manhattan. Die Finanzkrise ging von New York aus wie eine ansteckende Krankheit. Auf den Straßen, in den Cafes und Geschäften hier ist sie aber wenig zu spüren. Wie ist das möglich?“ In: die tageszeitung vom 15. September 2009. 37 Peltzer: Bryant Park, S. 114. 38 Peltzer: Bryant Park, S. 115.

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Normalarbeitsverhältnisses unterlaufen.39 Als mit einem Stipendium finanzierter Akademiker ohne Festanstellung zählt Maatenar zur immer größer werdenden Gruppe von Hochschulabsolventen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und damit zum so genannten Hochprekariat. Die Erfahrung instabiler ökonomischer Verhältnisse durchzieht bereits den Handlungsstrang über den Drogendeal in Italien, „natürlich ging es um Geld, darum, sich risikolos für ein paar Monate zu sanieren, den Sommer über bis in den Herbst, bevor sich etwas Neues fände“40, und setzt sich bis in die New Yorker Erzählgegenwart fort. Denn für Stefan Matenaar stellt das Leben im East Village einen ständigen finanziellen Balanceakt dar: „Übernächste Woche ist die Miete fällig, die einem die Haare vom Kopf frisst, denn unbedingt im East Village muss man ja wohnen, als sei ein Apartment fern vom Tompkins Square, in Brooklyn, in Queens, in einer soliden Nachbarschaft der Bronx gleichbedeutend mit der eigenen Bedeutungslosigkeit, bekunde die Unterzeichnung eines Mietvertrages dort ein nicht nur symbolisches Ende (Williamsburg ausgenommen), des Anspruchs, der sie alle am Rotieren hält, Künstler sein, eine ganz eigene Erfahrung. Fürs selbe Geld bekäme man in Berlin eine Wohnung mit sechs oder acht Zimmern [...]“41

Nur das symbolische Kapital des Viertels, sein Label als Kreativmilieu lässt Matenaar im eigentlich für seine finanziellen Verhältnisse zu teurem East Village bleiben. Bryant Park schildert am Beispiel der Figur Stefan Martenaar Formen die Prekarisierung innerhalb einer sich transformierenden Arbeitswelt, in der sich zunehmend unsichere Beschäftigungsverhältnisse verstetigen. Damit enthält Bryant Park auch ein Wissen über das Phänomen der Armut, dessen in der Literatur entworfenen Bilderwelten und Deutungsmustern die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns in Ökonomien der Armut. Soziale Verhältnisse in der Literatur nachgeht. 42

39 Vgl. Robert Castel/Klaus Dörre (Hg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Unter Mitarbeit von Peter Bescherer. Frankfurt am Main/New York 2009. 40 Peltzer: Bryant Park, S. 29, Hervorhebung im Original. 41 Peltzer: Bryant Park, S. 98f. 42 Vgl. Elke Brüns (Hg.): Ökonomien der Armut. Soziale Verhältnisse in der Literatur. München 2008.

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Als New York-Erzählung formuliert Bryant Park aber nicht nur ein facettenreiches Stadtbild, sondern thematisiert auch ‚Amerika‘. Stefan Martenaar besucht am frühen Abend im Bryant Park eine Filmvorführung, bei der John Hustons Filmklassiker Moby Dick von 1956 gezeigt wird: „Weiß man es auch, und kennt das Ende der Fabel seit langem, bannt einen die Geschichte wieder so, als hörte oder läse man sie zum allerersten Mal, seien es die ersten Bilder dieser vergeblichen Jagd, die man zu sehen bekommt, auf einer seitlich von den Schatten des Laubwerks gerahmten riesigen Leinwand, umgeben von Häusern, die in den Himmel ragen, Szenen eines Films in ausgebleichtem Technicolor.“43

Herman Melvilles Roman Moby-Dick; or, The Whale von 1851, auf dem Hustons Film basiert, wurde als Psychogramm der amerikanischen Gesellschaft gedeutet. So interpretierte Winfried Fluck die Figur des Kapitäns Ahab als Sinnbild des in seiner Selbstermächtigung grenzenlosen Individuums, als dessen Gegensatz die Schiffsmannschaft des Wahlfängers Pequod als positive Kollektiv-Utopie fungiert, und sah in dieser Konstellation die Gegenüberstellung der zwei amerikanischen Grundmythen von Freiheit und Integration in die amerikanische Gesellschaft.44 Über die Funktionslogik des Romans in der amerikanischen Literaturgeschichte hinaus ist Ahabs obsessive Suche nach dem weißen Wal längst zu einem wirkmächtigen Narrativ geworden. Dabei lässt sich der Mythos des weißen Wals wie der Wal selbst nicht festmachen, sondern dient als historisch variable ambivalente gesellschaftliche Selbstbeschreibung. So wurde Melvilles Roman beispielsweise als ökologische Apokalypse oder globale Herrschaftsfantasie gelesen, nutze die RAF das Buch als Basis für Geheimcodes und Decknamen sowie diente der Roman als Grundlage zahlreicher Adaptionen in Kunst und Popkultur. In der jüngeren Forschung wurde Moby Dick im Kontext von Geopolitik, Raumerschließung und Verkehrsströmen und damit als Wissensfigur der Globalisierung neu gelesen.45 Nach dem 11. Sep-

43 Peltzer: Bryant Park, S. 97. 44 Vgl. Fluck: Das kulturelle Imaginäre, S. 222-249. 45 Zu solchen Lesarten vgl. Robert Stockhammer: Kartierung der Erde. Macht und Lust in Karten und Literatur. München 2007 sowie Werber: Die Geopolitik der Literatur.

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tember wurde Moby Dick auch als Symbol für die Hegemonie der USA gedeutet und Präsident George W. Bush mit Ahab verglichen. Im Kontext von Bryant Park verweigert der Mythos des weißen Wals eine eindeutige Lesart und evoziert eine Vielzahl angelagerter Bedeutungen. Die Betonung der „vergeblichen Jagd“46 eröffnet zudem einen Bezug zu den Verlustmotiven des Buches. Der mit Moby Dick verbundene Teilmythos der Gemeinschaftsutopie verwirklicht sich dagegen im Erlebnis des Kinoabends. Denn das ausgelassen picknickende Publikum wartet auf dem Rasen vor der aufgestellten Leinwand auf dem Beginn des Films: „Man fühlt sich winzig in diesem Kessel, als persönlich absolut zu vernachlässigendes Wesen, belanglos, indessen man zugleich verspürt, Teil einer größeren Gestalt, Glied eines anderen und mächtigeren Körpers zu sein, in dessen Fülle man vergeht (und das ist schön, und erhebend), die Arme im Nacken verschränkt, Essensgeruch in der Nase, man hört Sektkorken knallen [...]“47

Das Publikum erlöst Stefan Martenaar für einen Augenblick aus der Singularität seiner Existenz. Der Kinoabend erschafft im Zeichen der Kunst ein temporäres Kollektiv, das im Film seinem kollektiv-kulturellen Unbewussten begegnet und dem Katastrophenkollektiv des 11. September gegenübersteht. Der „andere und mächtigere Körper“ steht auch dem Staatskörper des Leviathans als politischer Metapher gegenüber, die im 9/11-Diskurs zirkulierte. Insgesamt inszeniert Bryant Park New York als Stadt des Imaginären, deren durch die Anschläge verwundeter Stadtkörper „umschmeichelt von so viel Schrift“48 gesunden vermag. Die Erzählung bezieht sich somit auf die Deutung des 11. September als kulturelles Trauma, das destabilisierend auf das symbolische kulturelle Feld einwirkte. In der Überblendung der Topoi der Stadt als Text und der Stadt als sozioökonomischen Raum und in der Kombination von poststrukturalistischer Stadttheorie und literarischen Pekaritätsstudien buchstabiert der Text den wirkmächtigen Topos von New Yorks glitz & gloom neu aus.

46 Peltzer: Bryant Park, S. 97. 47 Peltzer: Bryant Park, S. 83f. 48 Peltzer: Bryant Park, S. 56.

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2. London: „Immer die Gegenseite des eigenen Lebens“: Enträumlichungsstrategien in Katharina Hackers Die Habenichtse (2006) Die Zeitrechnung in Katharina Hackers Roman Die Habenichtse49 beginnt mit dem 11. September als Auftakt, aber das Datum markiert in erster Linie private Veränderungen im Leben der Romanfiguren. Die Grafikerin Isabelle und der Anwalt Jakob treffen sich in Berlin auf einer Party, auf der die Fernsehbilder der Anschläge über dem Parkett verflimmern: „Der Fernseher thronte auf einem niedrigen braunen Regal, über das Parkett flackerten die Schatten der in sich zusammenstürzenden Türme, der Menschen, die sich von den Fassaden lösten und in den Tod sprangen. Gläser und Teller für mindestens dreißig Gäste standen auf dem Eßstisch, aber die meisten waren nicht gekommen.“50

Das Medienereignis 11. September wird in dieser Fernsehszene nicht als Schock wahrgenommen, sondern als Hintergrundphänomen. Für Jakob beginnt mit dem 11. September 2001 eine private Erfolgsgeschichte. Er trifft Isabelle, die er aus Studienzeiten kennt, wieder und wird anstelle seines Anwaltskollegen Robert, der bei den Anschlägen im World Trade Center stirbt, in eine renommierte Londoner Anwaltskanzlei versetzt. Die Chiffre 11. September bedeutet für ihn nur eine „Scheidelinie zwischen einem phantasierten, unbeschwerteren Vorher und dem ängstlichen, aggressiven Gejammer“51 und damit eine medial inszenierte Zäsur vor dem Hintergrund des eigenen aufstrebenden Lebens. Das Wiedersehen mit Isabelle führt zur Ehe und das Berliner Paar zieht Anfang 2003 nach London. In der britischen Hauptstadt werden Isabelle und Jakob, so die Literaturkritikerin Meike Fessmann, mit „Szenen nackter Existenzkämpfe von unbehausten Metropolenbewohnern des 21. Jahrhunderts“52 konfrontiert. Denn dem saturierten deutschen Paar stehen der brutale Kleinkriminelle Jim und seine

49 Katharina Hacker: Die Habenichtse. Frankfurt am Main 2006. 50 Hacker: Die Habenichtse, S. 9. 51 Hacker: Die Habenichtse, S. 93. 52 Meike Fessmann: „Unerbitterliche Ziellosigkeit. Katharina Hackers Roman ‚Die Habenichtse‘“. In: Süddeutsche Zeitung vom 5. April 2006.

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drogensüchtige Freundin Mae sowie die vernachlässigten Kinder Sara und Dave als Repräsentanten einer Londoner ‚Unterschicht‘ gegenüber. Die drei Paare, die miteinander in vielfachen Korrespondenz- und Kontrastbeziehungen stehen, dominieren die Figurenkonstellation des Romans. Auch für das englische Geschwisterpaar Sara und Dave ist der 11. September 2001 in erster Linie ein privates Datum. Es zieht mit seinen Eltern in eine neue Wohnung im Nord-Londoner Stadtteil Kentish Town. Daves Kommentar „– Alles wird anders [...]“53 bezieht sich nicht auf die weltpolitische Lage, sondern auf die neue Wohnsituation. So führt bereits der Romanbeginn „– Alles wird anders, verkündete Dave, als der Umzugswagen klappernd davonfuhr [...]“54 die Beschwörungsformel Es wird nichts mehr so sein, wie es war als Phrase vor. Die Romanfiguren eröffnen unterschiedliche soziale Milieus, die als Parallelwelten in der Londoner Lady Margarete Road aufeinandertreffen. Das mit Erbstücken eingerichtete Haus von Isabelle und Jakob grenzt an das Reihenhaus, in dem die Geschwister mit dem alkoholkranken Vater und der passiven Mutter wohnen und in dem sie Gewalt und Vernachlässigung ausgesetzt sind. Mit der Lady Margarete Road als dominierendem Handlungsort liegt eine partielle Stadtkonstitution Londons vor. Die Habenichtse stellt mit der unterschiedliche soziale Milieus vorführenden Straße nicht die Zeichenhaftigkeit Londons aus, sondern entwirft London als eine Stadt des Realen. Der Roman knüpft an die im 19. Jahrhundert vorherrschende literarische Tradition der Darstellung Londons als Armutsschauplatz55 an und überführt den Topos der sozialen Ungleichheit in die Gegenwart. Nach Wilhelm Amann veranschaulicht Die Habenichtse die Mechanismen der sozialen Exklusion, indem der Roman „im literarischen Modell die Reichweite soziologischer Entwürfe“56 erprobt: „Die Lady Margret Road in Ken-

53 Hacker: Die Habenichtse, S. 7. 54 Hacker: Die Habenichtse, S. 7. 55 Vgl. Tilman Fischer: „Englische Gespenster. Zu den Armutsdarstellungen in deutschsprachigen Englandreisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts“. In: Brüns: Ökonomien der Armut, S. 105-126. 56 Wilhelm Amann: „‚Global Flows – Local Culture‘? Katharina Hackers Die Habenichtse“. In: ders./Georg Mein/Rolf Parr (Hg.): Globalisierung und Gegenwartsliteratur. Konstellationen – Konzepte – Perspektiven. Heidelberg 2010, S. 209-222, hier S. 218.

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sington, in der sich die Wege von Jakob und Isabelle und Sara und Jim kreuzen, gehört zu den Orten des Globalen, insofern hier eine mobile Elite auf diejenigen trifft, die aus Mangel an ökonomischem und kulturellem Kapital mehr oder weniger an einen Ort gekettet bleiben.“57 Das Aufeinandertreffen des deutschen Mittelschichtpaars mit den Vertretern der Londoner ‚Unterschicht‘ gestaltet sich nach den Mustern der subtilen Ausgrenzung. Wenn die kleinwüchsige, in ihrer Entwicklung zurückgebliebene Sara zum Opfer familialer Gewalt wird, hört Isabelle zwar Lärm aus der Nachbarwohnung, ignoriert ihn aber. Anstatt sich über die Familienverhältnisse im Nebenhaus Gedanken zu machen oder gar zu intervenieren, nutzt sie die verwahrlost aussehende Sara als Inspiration für die Illustration eines Kinderbuches oder schaltet das Radio ein, wenn der Lärmpegel aus dem Nachbarhaus zunimmt. Doch nicht nur die Erscheinungsformen der Gewalt im unmittelbaren sozialen Umfeld, sondern auch die Berichterstattung über die globalen Krisenherde können Isabelle in ihrer sozialen Indifferenz und Selbstbezogenheit nicht erreichen. Wenn der Rundfunksprecher vom Beginn des Irakkrieges mit britischer Beteiligung berichtet,58 stellt dieser für Isabelle analog zu den New Yorker Terroranschlägen in erster Linie einen Medienkrieg jenseits ihrer Alltagswirklichkeit dar: „Letztlich war alle Aufregung ausgeblieben. Von den Straßen verschwanden die Demonstranten, der Krieg aus den Schlagzeilen. Die chemischen Waffen waren aus der Wüste verschwunden und vermutlich von vornherein inexistent gewesen. Der Krieg führte sich, ferngerückt, noch fort [...] Die BBC-Stimmen sprachen die Namen Basra und Nassaryia geläufig aus, von pocket resistance war die Rede, dann wechselte das Vokabular.“59

Als Isabelle einmal den mit Müll übersäten Garten der Nachbarsfamilie betritt, erscheint ihr dieser als deterritorialisiertes Gebiet: „Es könnte überall sein, dachte sie, in Bosnien, in Bagdad, es war immer die Gegenseite ihres eigenen Lebens.“60 Die Überblendung des sozial Differenten mit ver-

57 Amann: Global Flows, S. 218. 58 Vgl. Hacker: Die Habenichtse, S. 151. 59 Hacker: Die Habenichtse, S. 162f., Hervorhebung im Original. 60 Hacker: Die Habenichtse, S. 229f.

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gangenen und gegenwärtigen Kriegsschauplätzen verdeutlicht nicht nur Isabelles soziale Exklusionsmechanismen, sondern auch ihre Unfähigkeit, sich als Teil eines über ihre unmittelbar persönlichen Belange hinausgehenden soziopolitischen Kontextes zu begreifen. Die Unfähigkeit, Interdependenzen zwischen sich und anderen wahrzunehmen und bestenfalls für diese auch Verantwortung zu übernehmen, symbolisiert im Roman Isabelles Gesicht. Claudia Benthien analysierte in ihrer Studie Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse die Symbolik der Hautoberfläche und merkte zum Motiv der Haut in der Literatur an: „Literatur fungiert als ein Sprachrohr des Unbewussten, indem sie die Haut als Fläche der Identitätsproblematik und als ‚Medium des Elementarkontaktes‘ [...] thematisiert.“61 Der Roman führt das Motiv der Haut als basale Matrix der Kontaktaufnahme und Kontaktabwehr an Isabelles Gesicht vor, das dem Dorian-Gray-Effekt zu unterliegen scheint – es altert nicht, sondern erscheint unveränderlich jung. Erst am Romanende, nachdem Isabelle sich schmerzhaft mit der „Gegenseite ihres eigenen Lebens“62 auseinandersetzen musste, beschreibt Jakob eine Veränderung in ihrem Gesicht: „Ihr Gesicht war fremd und traurig, aber da waren all die Jahre, die er auf sie gewartet hatte, darauf, ihr Gesicht wiederzusehen, und hier war es, die glatte Stirn und der Leberfleck auf der linken Wange, das klare, ovale Gesicht, unsicher, verstört.“63 Aber auch Jakob zeigt kein Interesse für die Verhältnisse im Nebenhaus. Das Nachbarskind Sara, das er ein „Bucklicht Männlein“64 nennt, befremdet ihn ausschließlich. Die willkürlich erscheinende Figur des bucklichten Männleins symbolisiert in Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert65 das Verdrängte, Abgespaltene am eigenen Leben, das so lange in Erscheinung tritt, bis es integriert wird. Diese Wiederholungsstruktur will Jakob durch seine Ehe und seine Arbeit bekämpfen. Doch die Ehe im neu eingerichteten viktorianischen Reihenhaus changiert zwischen Ver-

61 Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 281. 62 Hacker: Die Habenichtse, S. 229f. 63 Hacker: Die Habenichtse, S. 308f. 64 Hacker: Die Habenichtse, S. 116. 65 Walter Benjamin: Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Fassung letzter Hand. Mit einem Nachwort von Theodor W. Adorno. Frankfurt am Main 1987.

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trautheit, traditionellen Rollenmustern, er legt ihr diskret Haushaltsgeld in eine Schale und sie sortiert seine Hemden nach Farben, und Fremdheit: „Wie einen Stich spürte er Gewohnheit, Liebe. Aber auch Unsicherheit, dachte er, weil die Gewohnheit nur einen Teil des Territoriums bedeckte, anderes nur zeitweilig überspülte, dann wieder freigeben mußte, weil etwas unberechenbar blieb.“66 So bleibt auch die Paarbeziehung deterritorialisiertes Terrain und die Sehnsucht nach existentiellen Erfahrungen treibt Isabelle in die Nähe des unberechenbaren Dealers Jim, derweil Jakob sich von seinem älteren homosexuellen Vorgesetzten Bentham angezogen fühlt. Doch auch im Berufsalltag ist Jakob mit der mit dem bucklichten Männlein assoziierten Wiederholung des Verdrängten konfrontiert. Als Anwalt, der sich auf Restitutionsansprüche nach der Vereinigung Deutschlands spezialisiert hat, befasst er sich mit Zwangsenteignungen im NSStaat. Für ihn ist Gerechtigkeit nur in Form von Recht und Geschichte nur als Eigentumsgeschichte fassbar: „Wenigstens Dinge sollten an ihren Ort zurückkehren, dachte er weiter, Häuser zu ihren Besitzern, Grundstücke zu ihren Eignern, die Turbulenzen, Ungerechtigkeiten konnten noch ausgeglichen werden, weil Menschen nicht nur Menschen (allzu kurzfristig und fahrlässig und ausgesetzt, hilflos nackt selbst unter der Schutzschicht funktionierender Gesetze), sondern auch Rechtssubjekte waren. Gerechtigkeit, dachte er, gab es nur, wo sie sich materialisieren konnte, in Grundbucheinträgen, Verkaufsverträgen, notariellen Beglaubigungen, ein dünner Faden, den man aufnehmen und verfolgen konnte.“67

Diese Auffassung klammert die traumatische Gewalt der Vergangenheit aus. Erst die Biographie Benthams, der als Kind mit seinen Eltern Ende der 1930er Jahren aus Frankfurt nach London emigrierte, lässt Jakob eine Verlustgeschichte jüdischen Lebens und damit ein verlorenes kulturelles Erbe jenseits materialisierbarer und restituierbarer Eigentumsverluste erahnen. Für Jakob wiederum stellt die alte Bundesrepublik einen Erinnerungsraum der Kindheit und Jugend dar. Er erinnert sich an seine Reaktion auf die Vereinigung Deutschlands 1990: „Er fühlte sich, als zöge man ihm den Bo-

66 Hacker: Die Habenichtse, S. 115. 67 Hacker: Die Habenichtse, S. 115f.

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den unter den Füßen weg, sein Land, die Bundesrepublik, verschwand, so daß er auswanderte, ohne es zu wollen, ohne sich vom Fleck zu rühren.“68 Mit der Thematisierung der NS-Vergangenheit und der Etablierung der alten Bundesrepublik als Erinnerungsraum nimmt der Roman Anschluss an die Literatur der Wendezeit, in der ein gesamtdeutscher Erinnerungshorizont neu ausgehandelt wurde. Elke Brüns konstatierte in ihrer Studie Nach dem Mauerfall. Eine Literaturgeschichte der Entgrenzung hinsichtlich der Literatur nach 1989: „Entlang der historischen Achse wird eine Entwicklung deutlich, in der sich zwei Richtungen am Ende des Jahrtausends gegenüberstehen: eine Literatur der Alterität, des Verworfenen und Desymbolisierten und eine Literatur der Archivierung und des kulturellen Gedächtnisses im Zeichen des Pop.“69 Die Habenichtse führt diese literarischen Strategien weiter und kombiniert sie. Der Roman aktiviert die epochalen Zäsuren 1945 und 1989 als bis in die Gegenwart fortwirkende Geschichtsdaten. Thematisiert der Roman somit einerseits die Fortdauer der traumatischen Gewalt der NS-Zeit, so porträtiert der Roman andererseits auch die zwischen 1970 und 1980 in der alten Bundesrepublik Geborenen. Die Generation Golf70 agiert im Roman die mit der deutschen Vereinigung verbundenen soziokulturellen Entgrenzungen unbewusst als eine bis ins Erwachsenenalter andauernde Adoleszenz aus. Dem Fokus auf die „Wohlstandskinder der Kohlära“71 entspricht auch die Ausklammerung Ostdeutschlands im Roman. Denn für Isabelle, Jakob und ihre Freunde besteht das neue Deutschland nur aus der ‚Baustelle Berlin‘ und dem Berliner Umland als Ziel gelegentlicher Ausflüge. Dieser westdeutschen Binnenperspektive wird mit Andras, einem Kollegen aus Isabelles Grafikbüro, eine Figur entgegengesetzt, deren Biographie in die osteuropäischen Umbrüche von 1989 eingebunden ist. Als jüdischer Exil-Ungar aus Westberlin muss sich Andras nach dem Mauerfall zwischen der Rückkehr nach Budapest oder einem Einrichten im neuen Berlin entscheiden.

68 Hacker: Die Habenichtse, S. 18. 69 Elke Brüns: Nach dem Mauerfall. Eine Literaturgeschichte der Entgrenzung. München 2006, S. 29f. 70 So der Titel von Florian Illies bekanntem Buch: Generation Golf. München 2000. 71 Krekeler: Es ist uns was passiert.

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Zusammenfassend zeichnet Die Habenichtse das Psychogramm einer Post9/11-Gesellschaft, die von seelischer Verwahrlosung, sozialer Erosion und politischen Bedrohungsszenarien geprägt ist. Von der Literaturkritik als „hartes, die Konturen ausleuchtendes Porträt“ und „zeitkritischer Roman“ gelobt,72 wurde Die Habenichtse im Jahr 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Mittels eines realistischen, multiperspektivischen Erzählverfahrens konstruiert der Roman die komplexe Gegenwart nach dem 11. September im Mikrokosmos menschlicher Beziehungen. Die Habenichtse erzählt, so die Literaturkritikerin Ursula März, von „ideeller Armut und materieller Armut“73 und damit von verschiedenen Formen des Mangels. Das defizitäre Moment tritt auch in den Raumkonstruktionen des Textes zutage: der Sozialraum der menschlichen Beziehungen erscheint gestört, die melancholischen Erinnerungsräume von Kindheit und Jugend verweisen auf die Unwiederbringlichkeit der Vergangenheit, Isabelles Gesicht bleibt nahezu unbeschrieben. Indem Die Habenichtse Anschluss an Themen der Wendeliteratur nimmt, mit dem 11. September und dem Irakkrieg auf den zeitgeschichtlichen Kontext verweist und sich zudem als kritischer Sozialroman positioniert, hat der Roman, wie der Rezensent Friedmar Apel schrieb, „die Höhe der besten europäischen Tradition einer sozial engagierten und geschichtsbewußten Romankunst erreicht.“74

3. New York, Marfa, Los Angeles: „Jeder betritt Amerika in seinen Träumen zuerst“: Thomas Hettches Woraus wir gemacht sind (2006) als transatlantische Traumdeutung Im Juni 2005 veröffentlicht Thomas Hettche zusammen mit drei weiteren Autoren ein poetologisches Manifest. Die Gruppe fordert, „die zwar unbequeme, aber aufregende Gegenwart zum zentralen Ort des Erzählens und

72 Vgl. Verena Auffermann: „Schlimme brave Welt. Katharina Hackers überzeugender Zeitroman ‚Die Habenichtse‘“. In: Die Zeit vom 16. März 2006. 73 Ursula März: „Wand an Wand mit Sara“. In: Frankfurter Rundschau vom 15. März 2006. 74 Friedmar Apel: „Nichts wird gut. Unerbitterlich: Katharina Hackers Roman ihrer Generation“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. März 2006.

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des Erzählten werden zu lassen und sie so zu transzendieren“75, und bestimmt postmodernes Erzählen anti-intuitiv als „verkappte Äußerungsform des Moralisten“76. Das Plädoyer für eine neue gegenwartsbezogene Ethik und Ästhetik des Romans mündet in der Ausrufung eines „Relevanten Realismus“.77 Mit dem Erscheinen von Hettches Roman Woraus wir gemacht sind78 liegt 2006 ein erster Testfall des „Relevanten Realismus“ vor. Die postmoderne „Collage aus amerikanischen Mythen und literarischen Genres“79, so die Literaturkritikerin Verena Auffermann, löst die Forderung nach innovativer Form und kritischer Zeitgenossenschaft ein, thematisiert sie doch die ambivalente kulturelle Strahlkraft Amerikas vor dem Hintergrund der Krise der transatlantischen Beziehungen nach dem 11. September. Woraus wir gemacht sind erzählt die Geschichte des deutschen Biographen Niklas Kalf, der im Jahr 2002 mit seiner schwangeren Frau Liz nach New York reist, um über das Leben des jüdischen Emigranten und Physikers Eugen Meerkaz zu recherchieren. Als Liz am Vorabend zum ersten Jahrestag des 11. September aus dem New Yorker Hotelzimmer entführt wird, begibt sich Niklas Kalf auf eine Reise durch die reale und imaginäre Topographie der Vereinigten Staaten im Vorfeld des Irakkrieges, um das Lebensgeheimnis von Meerkaz zu lösen und seine Frau wiederzufinden. Der Roman spielt souverän mit Genre-Versatzstücken aus Kriminalliteratur, Thriller, Roadmovie, Western und Science-Fiction. Mit der Figur der minderjährigen New Yorker Mörderin Daphne Abdela bezieht sich Woraus wir gemacht sind, wie bereits Hettches 2001 erschienener Kriminalroman Der Fall Arbogast80, auf einen authentischen Kriminalfall. Doch im Gegensatz zu der handlungstragenden Funktion des Kriminalfalls der 1950er Jah-

75 Thomas Hettche/Martin R. Dean/Matthias Politycki/Michael Schindhelm: „Was soll der Roman?“ In: Die Zeit vom 23. Juni 2005. 76 Hettche et al.: Was soll der Roman. 77 Hettche et al.: Was soll der Roman. 78 Thomas Hettche: Woraus wir gemacht sind. Köln 2006. 79 Verena Auffermann: „Der Stoff, aus dem der Westen ist. Wie Thomas Hettche in Kaltwalztechnik eine Collage aus amerikanischen Mythen und literarischen Genres anfertigt und daraus Romanfiguren stanzt“. In: Literaturen 9 (2006), S. 50-52. 80 Thomas Hettche: Der Fall Arbogast. Köln 2001.

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re in Der Fall Arbogast ist Daphne Abdela nur eine Nebenfigur, und der Roman unterläuft das Krimigenre. Ebenso verliert der begonnene Entführungsplot im Verlauf des Romans an Dynamik. Der Hybridität des Buches, das zwischen den Genres Thriller, Krimi und Reiseroman changiert, entsprechen auf der inhaltlichen Ebene die im Roman aufgereihten Amerikabilder. Denn Woraus wir gemacht sind zitiert und collagiert ein breites Arsenal an amerikanischen Selbst- und Fremdbildern aus Literatur, Film und Populärkultur, das der Rezensent Ulrich Greiner als „phantasmagorische[n] Reigen der Bilder“81 bezeichnete. Hettches Buch führt als Reiseroman die Raumbezogenheit der literarischen Amerikabilder vor. Als Amerikareisender, der die Vereinigten Staaten von der Ostküste bis zur Westküste durchquert, setzt sich Kalf mit amerikanischen Mythen und europäischen Zuschreibungen an die Neue Welt auseinander. Bereits der Romanbeginn mit Niklas und Liz’ Ankunft in New York zitiert nicht nur eine prominente Szene deutscher Amerika-Literatur, in der sich New York als Portal zur anschließenden Amerika-Exploration tradierte, sondern etabliert auch einen Vergleich: „[...] und dann war auch schon das Eiland Manhattan, wie es bei Brecht heißt, hinter den hohen Mauern seiner Türme atemberaubend schnell emporgewachsen, so unermesslich hoch und abweisend fremd wie nur je die Aurelianische Mauer um Rom.“82

Der Vergleich der New Yorker Hochhausarchitektur mit der antiken römischen Stadtmauer und somit die Analogie zwischen dem Römischen Reich und den Vereinigten Staaten evoziert den Begriff des Imperiums, während die intertextuelle Referenz auf Bertolt Brechts Gedicht Vom Armen B.B.83 auf New York als Stadt des Imaginären verweist. Die Herr-

81 Ulrich Greiner: „Im Abgrund der Bilder. Kleine Verteidigung des neuen Romans von Thomas Hettche gegen seine großen Kritiker“. In: Die Zeit vom 5. Oktober 2006. 82 Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 13. 83 Bertolt Brecht: „Vom Armen B.B.“ In: ders.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band 3: Gedichte 1. Frankfurt am Main 2005, S. 119f. Bei Brecht heißt es: „Wir sind gesessen ein leichtes Geschlechte/In Häusern, die für unzerstörbar galten/(So haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands/Manhattan/Und die dünnen Antennen, die das Atlantische Meer/unterhalten.“

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schaftsfigur des Imperiums gewann insbesondere angesichts der hegemonialen Politik der USA nach den Anschlägen des 11. September an Konjunktur und wurde kontrovers diskutiert.84 In Woraus wir gemacht sind strukturiert die Figur des Imperiums u.a. die Raumkonstruktion des Romans, indem sie die Dichotomie von Zentrum und Peripherie etabliert. Kalf verlässt New York als das Zentrum des Imperiums und reist nach Marfa, einem kleinen Wüstenort an der texanischmexikanischen Grenze. Der texanischen Provinzstadt, die durch eine von Donald Judd initiierte internationale Kunstszene belebt wird, hatte Hettche bereits einen Essay gewidmet.85 Als ehemaliger Siedlungsort an einer Eisenbahnstrecke ist Marfa mit dem amerikanischen Nationalmythos der Grenze verbunden, den der Historiker Frederick Jackson Turner 1893 in seinem einflussreichen Essay The Significance of the Frontier in American History etablierte.86 Nach Turner bildete sich die amerikanische Identität erst in der bis 1880 andauernden westlichen Grenzverschiebung innerhalb der Besiedlungsgeschichte der Vereinigten Staaten aus: „The frontier is the line of most rapid and effective Americanization. The wilderness masters the colonist. It finds him a European in dress, industries, tools, modes of travels, and thought. It takes him from the railroad car and puts him in the birch canoe. It strips off the garment of civilization and arrays him in hunting shirt and the moccasin. […] Little by little he transforms the wilderness, but the outcome is not the old Europe, not simply the development of Germanic germs, any more than the first phenomenon was a case of reversion to the Germanic mark. The fact is, that here is a new product that is American.“87

84 Vgl. zum Beispiel Peter Bender: Weltmacht Amerika. Das neue Rom. Stuttgart 2003; Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft. Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin 2005; Ralph Bollmann: Lob des Imperiums. Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens. Berlin 2006. 85 Vgl. Thomas Hettche: „Marfa, TX“. In: ders.: Fahrtenbuch. 1993-2007. Köln 2007, S. 152-168. 86 Frederick Jackson Turner: „The Significance of the Frontier in American History“. In: Rereading Frederick Jackson Turner. „The significane of the frontier in American History“ and Other Essays. With Commentary by John Mack Faragher. New Haven 1998, S. 31-60. 87 Turner: The Significance of the Frontier, S. 33f.

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Die Grenze markiert Turner zufolge das Aufeinandertreffen von Zivilisation und Wildnis und muss im Prozess der Landnahme als Amerikanisierung überschritten werden, womit das Konzept der Grenze einen expansiven Charakter erhält. Die Anglistin Aleida Assmann beschreibt den Frontier-Mythos als einen fortwirkenden Bestandteil des Selbstverständnisses der Vereinigten Staaten, der beispielsweise in der hegemonialen USamerikanischen Politik des 21. Jahrhunderts zu beobachten sei.88 Kalf durchläuft in Marfa wie in einer literarischen Versuchsanordnung zum Frontier-Mythos einen Entfremdungsprozess: „Ich bin nicht mehr jung, dachte er plötzlich. Sein ganzes Leben in Deutschland schien ihm unendlich fern. Mit heißem Neid erkannte er, daß er auch hier hätte geboren werden können, im Zentrum der Welt.“89 Sein Entfremdungsprozess führt allerdings nicht zur Amerikanisierung, die Kalf als ein in der ehemaligen Bundesrepublik Geborener längst durchlief, sondern führt zu Reflexionen über die zeitgeschichtlichen Veränderungen im Verhältnis zwischen Neuer und Alter Welt: „Wir sind die ersten, überlegte er, die es nicht mehr hierherzieht. All die Emigranten haben hier noch ihr Glück gesucht, im Herzen des Imperiums. Doch der Sog ist vorüber, dachte Kalf [...]“.90 Dass das spannungsvolle Verhältnis zwischen Amerika und Europa seit dem 11. September nicht zuletzt in der US-amerikanischen Außenpolitik begründet ist, verdeutlicht eine Szene, in der Kalf, noch im New Yorker Hotelzimmer, George W. Bushs Ansprache zum ersten Jahrestag des 11. September im Fernsehen verfolgt: „Der Redetext wurde über zwei Teleprompter beidseits des Pults eingespielt. Keinen Moment ließ Bush die Delegierten aus den Augen, sein Blick schweifte wie der eines wachsamen Tieres von links nach rechts und wieder zurück. Wie die gelben Augen eines Wolfes, dachte Kalf [...] ‚We must stand up for our security, and for the permanent rights and the hopes of mankind. By heritage and by choice, the United States of America will make that stand.‘ Der Präsident machte eine Pause und zog

88 Vgl. Aleida Assmann: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. 2., neubearbeitete Auflage. Berlin 2008, S. 168. 89 Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 98. 90 Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 124.

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seinen kleinen Mund zusammen wie zu einem gehauchten Kuß. Krieg umgab ihn wie Unsterblichkeit.“91

Die dokumentarische Montage von Redeauszügen und der Vergleich mit einem Wolf kritisieren die Figur des amerikanischen Präsidenten. Denn der Tiervergleich evoziert die prominente Passage aus Thomas Hobbes staatstheoretischer Schrift Leviathan, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, die im Kontext von Bushs Doppelfunktion als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte lesbar ist. Auf Hobbes politisches Vokabular bezieht sich der 9/11-Diskurs wiederholt, beispielsweise wenn Horst Bredekamp die mediale Urszene des 11. September als „Anti-Leviathan“92 bezeichnet oder wenn im Kontext neuer Sicherheitsbestimmungen über das Verhältnis zwischen Staat und bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechten diskutiert wird. Die Kritik an der fiktionalisierten Präsidentenfigur Bush ist als Kritik der „Imperialen Präsidentschaft“ in den USA nach 9/11 interpretierbar, deren Folgen für die amerikanische Demokratie der Politologe Bernd Greiner in seiner Studie 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen nachzeichnet.93 Der auf den US-amerikanischen Historiker Arthur M. Schlesinger Jr. zurückgehende Begriff der Imperialen Präsidentschaft bezeichnet die systematische Machtüberschreitung der Exekutive, wie sie sich beispielsweise in der Legitimierung der Folter seitens der Bush-Administration zeigte. Von Marfa reist Kalf an die amerikanische Westküste nach Pacific Palisades. Der Stadtteil auf der nördlichen Hügelkette Los Angeles wurde während des Zweiten Weltkrieges zum legendären Treffpunkt der deutschen Exilantenszene, zum ,Weimar unter Palmen‘.94 In Pacific Palisades besucht Kalf die Witwe von Eugen Meerkaz, die in der Villa 520 Paseo Miramar lebt. Mit der Adresse der Villa wird ein Kulturdenkmal und Erinnerungsort der deutschen Emigration und Exilliteratur während der Zeit des Nationalsozialismus aufgerufen, denn die sich hinter der Anschrift verbergende Villa Aurora war ab 1943 das Wohnhaus von Lion und Marta Feuchtwanger

91 Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 26ff. 92 Bredekamp: Thomas Hobbes, S. 158. 93 Vgl. zum Konzept der Imperialen Präsidentschaft Bernd Greiner: 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen, S. 131. 94 Vgl. Silke Schulenburg (Hg.): Pacific Palisades. Wege deutschsprachiger Schriftsteller ins kalifornische Exil 1932-1941. Hamburg 2006.

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und berühmter Treffpunk exilierter Künstler und Intellektueller. Seit 1995 fungiert die Villa Aurora als Künstlerresidenz zur Förderung des deutschamerikanischen Kulturaustausches, auch Hettche hielt sich 2002 als Stipendiat in der Kulturinstitution auf. Kalfs Reise endet schließlich in downtown Los Angeles, das Hettche in einem Essay als „Ort, an dem Los Angeles tatsächlich Amerika ist“95 charakterisierte. In einem ehemaligen Stummfilmkino als Referenz auf den Mythos Hollywood findet Kalf seine Frau und das inzwischen geborene Kind wieder. Mit der Geburt des Kindes am Ende des Buches wird der Topos der Natalität, des Anfangs und der positiven Zukunftsoffenheit aufgerufen, den Hannah Arendt als eine weitere berühmte Exilierte in ihren Studien untersuchte und der kulturhistorisch mit dem Mythos Amerika verbunden ist. Angesichts der aufgezeigten Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa symbolisiert das Kind einen Neubeginn der transatlantischen Beziehungen. Zusammenfassend thematisiert Woraus wir gemacht als Amerikaroman der Nullerjahre die Geschichte des deutsch-amerikanischen Verhältnisses vor dem Hintergrund des 11. September. Dafür lässt der Roman thesenartig verschiedene Stationen der transatlantischen Beziehung Revue passieren: den Frontier-Mythos aus der Besiedlungsgeschichte der Vereinigten Staaten als auch europäische Einwanderer integrierenden Nationalmythos, das amerikanische Exil als Zufluchtsort während des Zweiten Weltkrieges und den seit dem US-amerikanischen war on terror verstärkt diskutierten RomUSA-Vergleich. Die Herrschaftsfigur des Imperiums, die ein zyklisches Geschichtsverständnis von Aufschwung und Niedergang sowie die Dynamik von Machtfülle und Machtüberdehnung impliziert, lässt die Metropolen New York und Los Angeles als Städte des Allegorischen erscheinen, die auf der Vergänglichkeit der nicht statischen Machtfülle des Imperiums 96 basieren. Neben dem Leitmotiv des Imperiums dominiert im Roman ebenfalls das Motiv des Traums. Dieses erstreckt sich von der Ankunftsszene, in der New York als „Jetblase aus Traum und Halbschlaf“97 beschrieben wird, über diverse Traumszenen98, Traummetaphern99, den Topos

95 Thomas Hettche: „Los Angeles“. In: ders.: Fahrtenbuch, S. 169-178, hier S. 176. 96 Vgl. dazu Reinhäckel: Literarische Schauplätze deutscher 9/11-Romane. 97 Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 11. 98 Vgl. Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 155f.,160, 234, 282. 99 Vgl. Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 27, 66.

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des American Dream als Streben nach subjektivem Glück in einer egalitären Gesellschaft, die Traumfabrik Hollywood bis hin zu europäischen Amerikabildern als Traum- und Wunschprojektionen und somit Amerika als „Vorlage aller Träume“100, aus denen zu erwachen auch schmerzhaft sein kann. Als „Liebeserklärung an das verwirrende, das vielfältige und wandlungsfähige Amerika“101, so Roman Bucheli in einer Rezension, zeigt Woraus wir gemacht sind die Vielschichtigkeit europäischer Amerikabilder, die Interdependenzen zwischen Neuer und Alter Welt und leistet dadurch auch ein Stück transatlantische Traumdeutung.

4. „dieses seltsam fragmentierte stadtbild“: Kathrin Rögglas disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film (2006) als urbane „katastrophengrammatik“ Kathrin Rögglas Doppelessay disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film102 knüpft mit dem Motiv der Katastrophe an den von der Autorin bereits in really ground zero am Beispiel des 11. September verhandelten Themenkomplex der medialen Katastrophenerzählung an. Zeichnete really ground zero die Sprachmechanismen der USamerikanischen Medienberichterstattung nach den New Yorker Terroranschlägen von 2001 nach, so untersucht der Doppelessay in der für Röggla typischen Kleinschreibung den gegenwärtigen Zusammenhang zwischen dem Städtischen und dem Katastrophischen sowie dessen Darstellung in verschiedenen Katastrophengenres. Dabei rückt nicht eine singuläre Katastrophe wie der 11. September in den Vordergrund, sondern die Vielzahl der gegenwärtig mit dem Städtischen verbundenen manifesten und latenten Katastrophenerzählungen: Neben den Topos der zerstörten Stadt tritt die gegenwärtig stattfindende grundlegende Transformation des soziosymbolischen Stadtraums.

100 101

Hettche: Woraus wir gemacht sind, S. 153. Roman Bucheli: „Auf eigene Faust und Rechnung. ‚Woraus wir gemacht sind‘ – Thomas Hettches Roman ist auch eine Liebeserklärung an Amerika“. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. September 2006.

102

Kathrin Röggla: disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film. Wien/Graz 2006.

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Der erste Essay geisterstädte, geisterfilme liefert ein Bekenntnis zur Katastrophenforschung: „es ist so. mich faszinieren katastrophen. also in filmen, katastrophenfilmen, aber auch in der berichterstattung über real sich vollziehende katastrophen vorzugsweise auf nordamerikanischem oder europäischem gebiet.“103 Damit ist die Programmatik des Doppelessays umrissen, der allerdings die Katastrophe nur zum Faszinosum erklärt, um sie anschließend zum Forschungsgegenstand zu erheben und nach den Katastrophendiskursen im Film und in den Medienerzählungen sowie deren gesellschaftspolitischen Implikationen zu fragen. Zum Ausgangspunkt für die Überlegungen wird das Verhältnis zwischen Stadt und Katastrophe, wie es der Film entwirft. So beginnt der Essay mit einem establishing shot über Los Angeles, aber nicht Hollywoods berühmter Buchstaben-Schriftzug gerät in den Blick, sondern die Infrastruktur der Stadt: „die erdölförderungsanlage in der nähe des flughafens. die raffinerieren hinter ihm. der wasserspeicher in jenem dicht besiedelten seitental. die trinkwasseraufbereitungsanlage, die großen bürotürme in der innenstadt, der küstenabbruch im westen, das u-bahn-system. der staudamm, der nur 50 kilometer entfernt liegt. die brücke. und natürlich shoppingmalls, flughäfen, bahnhöfe.“104

Die städtische Infrastruktur bildet den neuralgischen Punkt aller realen und fiktiven Katastrophenszenarien: Nirgendwo sonst offenbart sich die Gefährdung des urbanen Lebens deutlicher als in den Knotenpunkten der Verkehrs- und Versorgungsströme. Besonders der Katastrophenfilm imaginiert die Zerstörung der städtischen Organisationsstrukturen und stellt damit ein Genre dar, in dem, so der Essay weiter, sich die Katastrophe vor allem unter zwei Vorzeichen vollzieht. Zum einen wird die Stadt durch einen Angriff von außen zerstört, zum zweiten stellt die bedrohte Stadt ein homogenes Gebilde dar. Beide Arrangements lassen, so Röggla, den Katastrophenfilm als nahezu nostalgisches Genre erscheinen und erklären die Faszination cineastischer Zerstörungsphantasien. Denn in der Realität sei oft das Gegenteil der Fall:

103

Röggla: disaster awareness fair, S. 7.

104

Röggla: disaster awareness fair, S. 7.

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„die stadt scheint heute mehr als zusammenhang von ausschluss-systemen beschreibbar und erlebbar zu sein denn als zusammenhang des sozial heterogenen, wie traditionell, besonders im europäischen kontext, gerne beschworen wird.“105

An die Stelle der Stadt als integrierende Gesamtstruktur tritt zunehmend „dieses seltsam fragmentierte und segregierte stadtbild“106, wie es nicht nur in Global Cities zu finden ist. geisterstädte, geisterfilme begründet die Sehnsucht nach den komplexitätsreduzierenden Stadtdarstellungen des Katastrophenfilms mit der gegenwärtigen Erfahrung, dass das Städtische einen Raum darstelle, in dem die soziale Katastrophe längst Einzug gehalten habe und sich chronisch vollziehe. Im Anschluss an den state of art der Stadtsoziologie charakterisiert der Essay das Katastrophische des Städtischen im neoliberalen Zeitalter als Phänomen sozialer und räumlicher Segregation, als wachsende Armut, als zunehmende Überwachung und Ökonomisierung des öffentlichen Raums sowie als Ausbreitung eines (un)sichtbaren Sicherheitsregimes. Weiterhin dient der Hurrikan Katrina, der im Jahr 2005 weite Teile der US-amerikanischen Golfküste zerstörte, der Autorin als Beispiel für die Verschränkung von Naturkatastrophe und sozialer Katastrophe. Denn großen Teilen der Bevölkerung von New Orleans habe einfach das Geld gefehlt, um die Stadt im Katastrophenfall zu verlassen.107 Ausgehend von Los Angeles als Paradebeispiel der kritischen Stadtsoziologie schlägt der Essay einen Bogen zu europäischen und deutschen Städten, in denen sich analoge Entwicklungen vollziehen. Ob in Form der shrinking cities in Ostdeutschland, der „disneyfizierung der innenstädte mit ihrer fassadenkultur und wohnzimmermobilierung des öffentlichen raums“108 oder der zunehmenden öffentlichen Überwachung: grundlegende urbane Transformationsprozesse haben nach Röggla längst auch die Städte in Deutschland und Europa erreicht. Katastrophen, Katastrophenfiktionen und Katastrophenantizipationen konstituieren den gesellschaftlichen Bedrohungshorizont. Die Wahrscheinlichkeit, ob ein Katastrophenszenario eintritt oder nicht, wird mittels des Risikos-Begriffs angegeben. Das Risiko-Dispositiv verweist, so Röggla mit

105

Röggla: disaster awareness fair, S. 12.

106

Röggla: disaster awareness fair, S. 15.

107

Vgl. Röggla: disaster awareness fair, S. 20

108

Röggla: disaster awareness fair, S. 17.

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Bezug auf Niklas Luhmann und Ulrich Beck, auf die zunehmenden gesellschaftlichen Operationen, Gefahren in Risiko-Angaben umzuwandeln: „denn werden nicht überall stochastik und statistik zur hilfe genommen, tabellen und graphiken erstellt, wahrscheinlichkeiten berechnet, restrisikoabschätzungen vorgenommen? gibt es nicht zahlreiche wochenmagazine, die nichts anderes mehr abdrucken? und ist es nicht dieses präventivdenken, das uns von allen seiten umgibt, dieses sich immer an einer vermeintlich schon sicheren realität vorwärts tastende, sie vorwegnehmende?“109

Der Textausschnitt beschreibt das Epochengefühl nach dem 11. September, in dem „präventivdenken“ im Sinne von Gefahrenabwehr und Gefahrenminimierung einen neuen Stellenwert erfuhr. Die gegenwärtigen Bedrohungsszenarien, ob in Form antizipierter Terroranschläge, Naturkatastrophen oder Epidemien, kombinieren Diagramme, Algorithmen und Kalkulationen mit der Wirkkraft medialer Krisenerzählungen. Auch das Verhältnis von Stadt und Katastrophe scheint sich insofern verändert zu haben, dass die Katastrophe zur Matrix jeglicher Medienerzählung und die Stadt zur permanenten Katastrophe wurde. Aber nicht der Topos der Stadt als sozialer Katastrophe beschließt den Essay, sondern ein Plädoyer für das Städtische, dessen Heterogenität der des Literarischen entspricht: „nur die vielzahl läßt einen verstehen, was das städtische sein könnte, nur das diskontinuierliche führt einen zu einem paradoxen zusammenhang. ein zusammenhang unterschiedlicher intensitäten, geschwindigkeiten, geschichten, sozialer realitäten, widersprüche – also der ort der literatur, und somit in doppelter hinsicht der ort meiner existenz.“110

Der Entwurf einer sich überlagernden Definition des Städtischen und des Literarischen erinnert an really ground zero als „Diskursporträt New Yorks“111 .

109

Röggla: disaster awareness fair, S. 24f.

110

Röggla: disaster awareness fair, S. 29f.

111

Ivanovic: Bewegliche Katastrophe, S. 111.

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Der zweite Essay, die rückkehr der körperfresser, beschreibt die Wirkung von medialen Katastrophenerzählungen, die Gefühle der Realität und Gemeinschaft stimulieren: „das geile am schrecken einer katastrophe ist natürlich immer ein paar meter von dieser entfernt. in sicherer entfernung lässt es sich eben besser hochpitchen. und so schien mir das geile am schrecken einer katastrophe in deutschland im september 2001 größer gewesen zu sein als in der stadt new york, obwohl es auch dort ganz ordentlich grassierte. doch letztendlich ist die geographische nähe eher nebensächlich geworden. denn das wirklich erstaunliche an dieser geschichte ist ja, dass alle dabei gewesen sind. an diesem ereignis haben alle teilgenommen, ob sie wollten oder nicht. und meist wollten sie. und da ist es auch schon, das kollektiv, nach dem man so verzweifelt ausschau gehalten hat, das man so vermisst hat in den jahren unaufhaltsamer individualisierung, die nur noch von den überidentifizierungen in privatwirtschaftlichen strukturen konterkariert wurde [...]“112

Das temporäre, medial-voyeuristische Katastrophenkollektiv mit seinem Psychohaushalt aus Angst und Angstlust, Neugier und Verdrängung erscheint Röggla als gesellschaftlicher Reflex auf die Katastrophenberichterstattung der Mediengesellschaft. Besonders die Rezeption des Medienereignisses 11. September ordnet sie in diesen Kollektivmechanismus ein, der zudem noch vom räumlichen Paradox der Ver- und Entortung profitiert. Weiterhin erzeugen mediale Katastrophenerzählungen für die Autorin zwei gefährdete Positionen: Sie führen einerseits zu Kollektiven, die leicht manipulierbar sind, wie Röggla am Beispiel der amerikanischen Patriotisierung in really ground zero beschreibt. Andererseits kann als Effekt von medialen Katastrophenerzählungen der entgegengesetzte Fall eintreten und das Individuum aus der aktuell vorherrschenden Definition des Humanen herausfallen113 – eine Problematik, die beispielsweise das Gefangenlager Guantánamo verdeutlichte. Um den entweder kollektivierenden oder fragmentierenden Sozialeffekten der medialen Katastrophenerzählungen nicht ausgeliefert zu sein, schließt die rückkehr der körperfresser mit der Forderung, „die katastrophengrammatik [zu] lernen, weil sie sowieso gesprochen

112

Röggla: disaster awareness fair, S. 37.

113

Vgl. Röggla: disaster awareness fair, S. 41.

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wird“114. Rögglas kritischer Doppelessay analysiert die Permanenz medialer Bedrohungsszenarien und Katastrophenerzählungen und verweist bereits mit der Marktmetapher des Titels auf die Aufmerksamkeitsökonomie der Massenmedien, die Katastrophenerzählungen marktkonform zirkulieren lassen, während andere Katastrophen sich sichtbar vollziehen, aber von diesen nicht die Rede ist, da sie zu wenig Aufmerksamkeitskapital besitzen.

5. Astroland: „meine 9/11-Geschichte“: Thomas Pletzingers Bestattung eines Hundes (2008) als Ethnographie einer Krise Mit Bestattung eines Hundes115 legt der Autor und Übersetzer Thomas Pletzinger im Jahr 2008 einen ebenso fulminanten wie temporeichen und welthaltigen Debütroman vor, für den der Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet wird. Die Stelle von „Johnsons Katze Erinnerung“116, der berühmten Metapher für die Eigengesetzlichkeit des Erinnerns aus den Jahrestagen117, die nur einen von zahlreichen intertextuellen Bezügen darstellt, nimmt im Roman ein dreibeiniger schwarzer Hund ein. Als Erinnerungstier gemäß dem Motto Memory is a dog that bites when you least expect it begleitet er die Romanfiguren.

114

Röggla: disaster awareness fair, S. 50.

115

Thomas Pletzinger: Bestattung eines Hundes. Köln 2008. Siehe zum Roman die begeisterten Kritiken von Richard Kämmerlings: „Mit dem Marsmädchen in Astroland. Dein Name sei Mandelkern: Thomas Pletzingers Debüt“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. März 2008 und Wolfgang Höbel: „Unser Mann in Lugano. Der Schriftsteller Thomas Pletzinger mischt in seinem rasanten Debütroman ‚Bestattung eines Hundes‘ gewitzte Anspielungen mit viel Action“. In: Der Spiegel vom 7. April 2008, S. 166. Siehe auch die Homepage des Autors www.thomaspletzinger.de.

116 117

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 157. Vgl. Uwe Johnson: Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cressphal. Frankfurt am Main 1983, S. 598. Im Tagebucheintrag vom 2. Februar 1968 heißt es: „,Die Katze Erinnerung, wie du sagst.‘ – ‚Ja. Unabhängig, unbestechlich, ungehorsam. Und doch ein wohltuender Gesell, wenn sie sich zeigt, selbst wenn sie sich unerreichbar hält.‘“

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Die Erinnerungsthematik umfasst auch die Terroranschläge vom 11. September. Der Roman erzählt die viertägige Reise von Daniel Mandelkern. Mandelkern, nach dem Studium der Ethnologie als freier Kulturjournalist in Hamburg tätig, wird von seiner Frau und Vorgesetzten Elisabeth im August 2005 an den Luganer See geschickt. Dort soll er ein Interview mit dem Kinderbuchautor Dirk Svensson führen. Als telling name verweist Mandelkern auf die Amygdala, die als Teil des limbischen Systems u.a. für Fluchtimpulse verantwortlich ist. Denn Mandelkerns journalistische Dienstreise ist zugleich eine Flucht aus der durch die Vermischung des Arbeits- und Liebesverhältnisses zerrütteten Ehe. Als studierter Ethnologe schreibt er zwar in journalistischen Artikeln „über Matrilinearität und Männerkindbett“118, weist aber im Privatleben den Kinderwunsch seiner Frau zurück. Als Ehe- und Reiseroman führt Bestattung eines Hundes auch die Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an die Generation der Mittdreißiger vor, die versucht, sich in der transformierenden Arbeitswelt zu verorten. Charakteristisch für Mandelkern ist, dass er weder als Privatperson noch als Kulturjournalist seine ethnologische Perspektive ablegen kann. Die déformation professionnelle führt dazu, dass er seinen journalistischen Arbeitsauftrag als „teilnehmende Beobachtung“119 versteht. Wenn Mandelkern zu Beginn seiner Reise auf dem Hamburger Flughafen anmerkt: „Ich halte die Hand mit dem Stift und schreibe, ich notiere mich (Daniel Mandelkern). Ich verschweige wenig, ich notiere fast alles (Flughafenhallen, Zeitungen, Zigarettenpreise, schwarze Schäferhunde mit drei Beinen).“120, dann verfahren die homodiegetischen Aufzeichnungen nach dem ethnographischen Verfahren der Dichten Beschreibung, das auf Clifford Geertz berühmten Essay Thick Description: Towards an Interpretive Theory of Culture121 zurückgeht.

118

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 15.

119

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 100.

120

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 20.

121

Clifford Geertz: „Thick Description: Towards an Interpretive Theory of Culture“. In: ders.: The Interpretation of Culture: Selected Essays. New York 1973, S. 3-30 (Deutsche Übersetzung: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1983).

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Als Mandelkern im Haus des Kinderbuchautors am Luganer See ankommt, führt er zwar ein Interview mit Svensson, aber es gelingt ihm nicht, das von Elisabeth geforderte „Porträt von 16 000 Zeichen“122 zu verfassen. Anstatt sich mit der Auftragsarbeit zu befassen, schreibt er weiter an seinen persönlichen Aufzeichnungen, die zur Ethnographie einer persönlichen Krise geraten. Die Aufzeichnungen enthalten u.a. die First-Contact-Szene mit Elisabeth, eine Liste ihrer Vorgängerinnen, Reiseerinnerungen und Verwandtschaftsverhältnisse, Auszüge aus Mandelkerns noch nicht abgeschlossener ethnologischer Dissertation, Interviews mit Svensson und dessen Gästen, Eigentumsverzeichnisse, Kochrezepte und Fragelisten. In der Heterogenität des Materials stellen Mandelkerns Aufzeichnungen mit Clifford Geertz gesprochen ein „blurred genre“ dar.123 Dann entdeckt Mandelkern im Haus das von Svensson verfasste Manuskript Astroland, über dessen heimlicher Lektüre er seinen Schreibauftrag gänzlich aus den Augen verliert. Im Gegensatz zu den fragmentarischen ethnographischen Notizen Mandelkerns erzählt Astroland in sieben Teilkapiteln aus der homodiegetischen Erzählperspektive Svenssons den unglücklichen Verlauf einer Dreiecksgeschichte. Dirk Svensson, sein Schulfreund Felix Baumeister und die Finnin Tuuli Koveroin lernen sich beim sozialen Dienst in den Armenvierteln Brasiliens kennen. Sie erleben eine kurze glückliche Zeit als ménage a trois und reisen durch Brasilien. Am Ende der Reise nehmen sie an einem illegalen Hahnenkampf teil, der die Konkurrenzsituation der beiden Schulfreunde symbolisiert. Mandelkern liest die Schilderung des brasilianischen Hahnenkampfes mit dem Blick eines Ethnologen: „Ich frage mich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Ich bin Ethnologe, und Svensson erzählt ausgerechnet vom Hahnenkampf? Ich erinnere mich an Clifford Geertz’ Deep Play: ‚Die Funktion des Hahnenkampfes, wenn man es so ausdrücken mag, ist

122

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 25.

123

Vgl. den berühmten Essay „Blurred Genres. The Refiguration of Social Thougt“ von Clifford Geertz, in dem dieser für die Gattungshybridität ethnologischer Schriften und damit für die Vermischung literarischer und wissenschaftlicher Erzählstrategien plädiert. In: ders.: Local Knowledge. Further Essays in Interpretative Anthropology. New York 1983, S. 19-35.

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eine interpretierende: es handelt sich um eine balinesische Lesart balinesischer Erfahrungen, eine Geschichte, die man einander über sich selbst erzählt.‘“124

Mandelkern allerdings weiß in seiner Krise nicht mehr, welche Geschichten er über sich selbst erzählen könnte, ihm verschwimmen über der Lektüre von Astroland die Grenzen zwischen seiner Identität und Svensson, Schrift und Leben, Vergangenheit und Gegenwart: „Ich bin Ethnologe und Literaturwissenschaftler, ich habe gelernt, Text und Leben voneinander zu trennen (ich habe das Gelernte vergessen).“125 Im Verlauf der Handlung wird Mandelkern zum unzuverlässigen Erzähler, der die Gegenwart aus der Perspektive seiner Liebeskrise und vor dem Hintergrund der in Astroland geschilderten unglücklichen Dreiecksbeziehung interpretiert. Das Motiv der Dreiecksbeziehung kehrt im Roman in der Figur des dreibeinigen schwarzen Hundes Lua und im Vergleich der drei Liebenden mit der Figur der „borromäischen Ringe“126 wieder. In der Psychoanalyse Jacques Lacans stellen die borromäischen Ringe eine topologische Figur dar, die aus drei miteinander verbundenen Ringen besteht. Diese verkörpern die Triade der drei psychischen Ordnungen des nicht vermittelbaren Realen, des zeichenvermittelten Symbolischen und des bildhaften Imaginären.127 Wird ein Ring aus dem Verbund gelöst, sind die verbleibenden zwei Ringe unverbunden und alle Ringe fallen auseinander. Analog zur Zerfallsstruktur der borromäischen Ringe scheitert die Dreiecksbeziehung in New York, als Felix und Tuuli eine konventionelle Paarbeziehung eingehen und Svensson als freigesetzter Dritter zurückbleibt, den an die gemeinsame Zeit nur noch der dreibeinige schwarze Hund Lua erinnert. Das Motiv des 11. September bildet ein Erzählscharnier zwischen dem Manuskript und Mandelkerns Aufzeichnungen. Astroland erzählt in einem New York-Kapitel Svenssons persönliche Liebeskrise vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September 2001. Anlässlich eines Gesprächs zwischen Svensson und der Künstlerin Kiki Kaufman, die er im desorientierten Zustand auf den Straßen New Yorks kennenlernte, schildert Svens-

124

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 235.

125

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 279.

126

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 295.

127

Vgl. den Eintrag zum Borromäischen Knoten in Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Wien 2002, S. 64f.

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son seine Erlebnisse an diesem Tag. Obwohl er auch über die brennenden Twin Towers und städtische Fluchtszenen berichtet, eignet sich seine Erzählung eine persönliche Perspektive an: „Meine 9/11-Geschichte handelt nicht von dieser Stadt, sage ich, nicht von diesem Tag und nicht von Terrorismus und Kolonialismus und Symbolen und Konsequenzen. Meine Geschichte, sage ich zu Kiki Kaufman, handelt von Tuuli und Felix und mir.“128 Im Gegensatz zu Svenssons subjektiver Perspektive schildert Kiki Kaufman, wie sie am 11.09.2001 aus Chicago nach New York gefahren sei, nachdem sie von den Anschlägen erfahren habe: „Sie sei zu spät gekommen und habe nur noch die Folgen fotografieren können, nicht die Ursachen, aber die seien ohne Weltreise im Grunde sowieso nicht abzulichten. Das sei die erste Verschiebung der Realität gewesen. Die Kameras und Kamerawagen und Kameramänner habe sie abgelichtet, die ihrerseits Trümmer und Splitter und Staub gefilmt und fotografiert hätten, sie habe Bilder von den Kameras an Ground Zero gemacht, Bilder eines deutschen Fotografen in Brooklyn, eines italienischen Kamerateams in Lower Manhattan, von französischen Touristen mit Digitalkameras, Fotojournalisten mit Spiegelreflexkameras, Kindern mit Einwegkameras und Künstlern mit Hasselblads.“129

Die Textpassage veranschaulicht die Konsonanz des Medienereignisses 11. September, wie sie Stephan Weichert in seiner Studie Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen als typisches Merkmal ritueller Medienereignisse beschreibt, sowie die damit verbundenen unterschiedlichen Realitätslevel beziehungsweise Abbildungsebenen. Als Reaktion auf den WTC Bildkomplex beginnt Kiki Kaufmann, Ölbilder nach eigenen Fotomotiven zu malen und damit die Fotografie als Authentifizierungsstrategie mit der Malerei als Fiktionalisierungsstrategie zu kombinieren. Die dokumentarisch-fiktionalen Verfahren der zeitnahen literarischen Reaktionen auf den 11. September werden somit in das Medium der Bildenden Kunst verschoben. Anlässlich der Manuskriptlektüre notiert Mandelkern auch seine Erinnerungen an den 11.09.2001. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt als Promotionsstudent an der Universität Berkeley auf und wollte am Tag der Anschläge einen Vortrag über „Authenticiy in Do-

128

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 78.

129

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 125.

154 | T RAUMATISCHE T EXTUREN

cumentary Film“130 halten, der dann jedoch abgesagt wurde – eine Anspielung auf die medientheoretischen Debatten nach 9/11. Stattdessen verfolgte er fassungslos den ganzen Tag die Fernsehberichterstattung.131 Für ihn und seine damalige Freundin Anne bedeuten die Terroranschläge in erster Linie eine Erschütterung ihres Weltbildes: „Wir hatten gedacht, dass wir die Dinge verstünden: dass unsere Welt ein schwer verständliches, aber dennoch irgendwie strukturiertes Durcheinander sei aus Fernsehen und Büchern und Filmen und Zeitungen und Musik. Dass dieses Durcheinander aus Kunst, Medien und berührten Körpern, aus geschlagenen Wunden sich letztlich zu einem vollständigen Bild zusammenfügen würde.“132

Die Textpassage verweist mit dem Motiv des zerstörten postmodernen Weltbildes auf die Deutung des 11. September als kulturelles Trauma in Sinne einer provozierten Destabilisierung des kulturellen symbolischen Feldes. Am Ende des Aufenthalts bei Svensson am Luganer See gelangt Mandelkern zur Einsicht, dass „[t]eilnehmende Beobachtung [...] der reflektierte Blick auf die anderen und deshalb auf sich selbst [ist]“133 , und findet seine „eigene Geschichte“134 und damit einen biographischen Selbstentwurf. Er reist mit der Erkenntnis ab, dass frei nach Clifford Geertz Begegnungen mit dem Papier und dem Leben zwei verschiedene Dinge sind, und sendet seine Aufzeichnungen, sieben Postkarten und das gestohlene Manuskript Astroland anstelle des Autorenporträts an Elisabeth. Durch die Adressatenstruktur und die Konstruktion des Romans als Postsendung wird der Text damit zum Liebesbrief in Romanform. Bestattung eines Hundes ist somit auch ein Roman über das Verhältnis von journalistischen, wissenschaftlichen und persönlichen Schreiben. Die literarische Raumkonstruktion des Romans wird durch den Gegensatz zwischen dem abgelegenen Haus am Luganer See als Ort der Erzählgegenwart und den internationalen Schauplätzen im Astroland-Manuskript

130

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 234.

131

Vgl. Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 233f.

132

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 233.

133

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 231.

134

Pletzinger: Bestattung eines Hundes, S. 344.

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strukturiert. Das New York-Kapitel des Manuskripts entzieht sich einer stereotypen Stadt- und damit auch Amerikabildkonstruktion durch den Rückgriff auf das titelgebende Astroland – dem legendären Vergnügungspark auf Coney Island. Mit dem Schauplatz Astroland, als dessen deutsches Pendant in der Romanhandlung der Europapark Rust fungiert, bezieht sich Bestattung eines Hundes auf den Vergnügungspark als permanentem Ort des Spektakels und der Entgrenzung und damit nach Michel Foucault auf die Heterotopie des Festes und der Ewigkeit.135 Insgesamt vollzieht sich mit Bestattung eines Hundes die Ablösung vom expliziten Motiv des 11. September und der transatlantischen Krise. Die Fokussierung auf den Erinnerungsort New York wird durch Handlungsorte in Südamerika und Europa ergänzt, der 11. September dient als zeitgeschichtlicher Hintergrund einer persönlichen Lebensgeschichte, die televisuellen Medienbilder werden künstlerischen Transformationen unterzogen. Das Motiv der borromäischen Ringe, das als Symbol für die Dreiecksbeziehung fungiert, kann abschließend als Struktur des gesamten Romans interpretiert werden: Während der Roman das Reale als Trauma (die Terroranschläge, mehrere Todesfälle) nur umkreist, tritt das Symbolische in Form der schriftlichen Aufzeichnungen Mandelkerns und Svenssons hervor, die durch An- und Abwesenheit strukturiert sind, und das Imaginäre verkörpern die künstlerischen Auseinandersetzungen und Bilder Kiki Kaufmans. Dem Roman gelingt im Modus des Ästhetischen damit eine Balance der Triade.

6. Fazit: Textstadt New York, Imperium und Sozialkatastrophe Die untersuchten Texte aus dem Zeitraum 2001 bis 2008 weisen hinsichtlich der literarischen Raumkonstruktionen drei Tendenzen auf: die zeitnahe Fokussierung auf den singulären Katastrophen-Schauplatz New York, die Thematisierung der Stadt als konfliktiven Sozialraum sowie die Formulierung eines kritischen Amerikabildes nach dem 11. September. Indem Bryant Park New York als verletzten Stadt- und Textkörper inszeniert, schließt

135

Vgl. den Aufsatz von Michel Foucault: „Andere Räume“. In: Karlheinz Brack (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. 6., durchgesehene Auflage. Leipzig 1998, S. 34-46.

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die Erzählung an den Topos von wounded New York an, zielt aber mittels der Metapher der tattooed city auf eine symbolische Restitution der Metropole. Damit korrespondiert die Erzählung mit der US-amerikanischen Literatur nach dem 11. September, die sich als Ausdruck der lokalen und nationalen Betroffenheit sowohl auf den Topos der verletzten Stadt bezieht als auch komplementär New Yorks urbane Vitalität und kulturellen Selbstheilungskräfte anruft. Diese Dynamik veranschaulicht besonders eindrücklich die Anthologie 110 Stories. New York writes after September 11136 aus dem Jahr 2002, für die der prominente Comic-Künstler Art Spiegelman das Cover gestaltete. Auf der Cover-Zeichnung schwebt das vollständig mit einem schwarzen Tuch verhüllte World Trade Center über der stilisierten New Yorker Skyline und erscheint wie halb aus surrealistischen Bilderwelten und halb aus einem imaginierten Verhüllungsprojekt der Künstler Christo und JeanneClaude entsprungen. Spiegelman griff das Motiv der schwarzen Türme in seinem späteren 9/11-Comic In the Shadow of no towers wieder auf.137 Die Anthologie folgt der Bildsemantik des zugleich an- und abwesenden Hochhauses und enthält in Anlehnung an die Anzahl der Stockwerke des World Trade Centers 110 kurze Texte verschiedener Genres von New Yorker Autoren und Künstlern. Der Herausgeber und Literaturwissenschaftler Ulrich Baer versteht das ‚Texthochhaus‘ als literarische Trauerarbeit, Erinnerungsmedium und Anrufung der Imaginationskräfte der Literatur und somit auch als Gegengewicht zum ideologischen Diskurs der Bush-Administration. Dabei betont er besonders die Kraft der Literatur, die Stadt mit Worten wieder zu erschreiben.138 Auch weitere Autoren wie Don DeLillo, Jonathan Safran Foer und Siri Hustvedt inszenieren in ihren Romanen den Schauplatz New York und die Biographien seiner durch die Anschläge physisch

136

Ulrich Baer (Hg.): 110 stories: New York writes after September 11. New

137

Vgl. zum Motiv der schwarzen Türme, das den Austritt aus dem Bild bei

York/London 2002. gleichzeitiger Referenz vollzieht, Ole Fram: „Dreierlei Schwarz. Art Spiegelmans und Elein Fleiss’ Interpretationen des 11. September ’01“. In: Lorenz: Narrative des Entsetzens, S. 169-182. 138

Vgl. Baer: Introduction.

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und psychisch verletzten Bewohner.139 Aber auch europäische 9/11-Romane greifen auf den Topos New York zurück, der immer zugleich auch ein Amerikabild impliziert. Nach Kristiaan Versluys ist daher vor allem „the great New York novel“140 als Genre für die englisch- und französischsprachige 9/11-Literatur repräsentativ. Bryant Park reiht sich somit in das Projekt einer künstlerischen Restitution der Stadt und in das New YorkGenre ein, setzt aber mit den Themen Gentrifizierung und Prekarisierung einen eigenen Schwerpunkt. Die Verschiebung von der singulären Katastrophe der New Yorker Terroranschläge zur permanenten Katastrophe in Form sozialer Ungleichheit, Segregation und Fragmentierung – und damit die Überlagerung der Stadt als Schauplatz medial proliferierter Krisenereignisse mit der Stadt als Schauplatz sozialer Katastrophen – ist ebenso in Hackers Die Habenichtse und Rögglas disaster awareness fair zu beobachten. So beschreibt Die Habenichtse London als Global City und Rögglas Essay komprimiert stadtsoziologische Krisenbefunde. Die neuen Themen verweisen auf die zunehmende Sensibilisierung für sozioökonomische Realitäten und eine steigende gesellschaftliche Risikowahrnehmung. Angesichts des Aspekts, dass der gegenwärtige Terrorismus auch eine Folge der Ungleichzeitigkeiten der ökonomischen Globalisierung ist, fokussieren die Texte die sozioökonomischen Konditionen in der Binnenperspektive. Zeichnete sich die erste Phase der literarischen Bezugnahmen auf das Medienereignis 11. September durch die Dominanz semi-dokumentarischer Textverfahren aus, so setzt sich diese Tendenz auch nach 2002 fort, indem sich der Fokus auf die weltpolitischen Folgen von 9/11 verschiebt. Mit Roger Willemsens Reisebericht Afghanische Reise141 und Willemsens Interviewband Hier spricht Guantánamo. Interviews mit Ex-Häftlingen142 aus dem Jahr 2006 setzt sich die Linie der neuen Dokumentarliteratur fort. Die

139

Vgl. Jonathan Safran Foer: Extremely loud & incredibly close. Boston, Mass. u.a. 2005; Don DeLillo: Falling Man. New York 2007; Siri Hustvedt: The Sorrows of an American. New York 2008.

140

Kristiaan Versluys: „9/11 as an European Event: the Novels“. In: European Review 1 (2007), S. 65-79, hier S. 65.

141

Roger Willemsen: Afghanische Reise. Frankfurt am Main 2006.

142

Roger Willemsen: Hier spricht Guantánamo. Interviews mit Ex-Häftlingen. Frankfurt am Main 2006.

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beiden Bücher thematisieren mit Afghanistan und Guantánamo zwei Orte, die symptomatisch die dichotome Raumordnung nach 9/11 markieren. Auch hinsichtlich der Semantiken des literarischen Amerikabilds zeichnet sich eine Entwicklung ab: Evoziert Bryant Park mit dem Mythos von Moby Dick das traditionelle, zwischen Gesellschaftsutopie und Hybris changierende europäische Amerikabild, reflektiert Woraus wir gemacht sind anlässlich der transatlantischen Krise die wechselseitigen Projektionen und Interdependenzen von nationalen Fremd- und Selbstbildern. Der Amerikaroman lässt mit den Zuschreibungen der USA als Einwandererland, als Zufluchtsexil während des Zweiten Weltkrieges und als Traumfabrik Hollywood wichtige Stationen der deutsch-amerikanischen Beziehungen Revue passieren, um angesichts des Irakkrieges die Herrschaftsfigur des Imperiums, die für die USA mit dem Ende des Kalten Krieges an Wirkkraft verlor, zu reaktualiseren und zu kritisieren. Diese markiert die Differenz zu deutschen und europäischen Vorstellungen über angemessenes politisches Handeln. Auch Jakob Arjounis ebenfalls 2006 publizierter Roman Chez Max143 bezieht sich auf den Begriff des Imperiums. Allerdings entwirft die im Jahr 2064 angesiedelte Dystopie eine euroasiatische Weltherrschaft, in der die USA als Folge des verlorenen Irakkrieges zum rückschrittlichen Agrarland werden. Generell entwirft die deutschsprachige Gegenwartsliteratur nach dem 11. September ein kritisches Amerikabild, dessen Abgrenzungstendenzen Bestandteil eines übergeordneten Diskurses über die Neupositionierung eines vereinigten Deutschlands und eines nach 1989 transformierten Europas gegenüber den Vereinigten Staaten sind.144 Die Phase der kritischen Amerikabilder wird von Thomas Pletzingers auf drei Kontinenten spielenden Roman Bestattung eines Hundes beendet, der die Konzentration auf das spannungsvolle Verhältnis zwischen Deutschland und den USA hinter sich lässt und persönliche Lebensgeschichten erzählt, welche die Medienerzählungen und Interpretationen des 11. September überlagern. Mit Hans Ulrich

143

Jakob Arjouni: Chez Max. Zürich 2006.

144

Vgl. dazu auch Agnes C. Müller: „Gefährliche Liebschaften. Zum Amerikabild in der deutschen Gegenwartsliteratur nach dem 11. September 2001“. In: Vogt/Stephan: Das Amerika der Autoren, S. 393-406; Stephan: Vom Antiamerikanismus zum Systemkonflikt.

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Gumbrechts California Graffiti. Bilder vom westlichen Ende der Welt145 und Stephan Wackwitz’ Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert146 erscheinen im Jahr 2010, nach der Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten, die als symbolischer Neustart für die transatlantischen Beziehungen interpretiert wurde, zwei Essaybände über die Vereinigten Staaten beziehungsweise New York, die eine spielerische Leichtigkeit zurückgewinnen. Während der Wahlamerikaner Gumbrecht eine facettenreiches Bild des American Way of Live nachzeichnet, huldigt Wackwitz der Kulturgeschichte einer der Lebensadern New Yorks.

145

Hans Ulrich Gumbrecht: California Graffiti. Bilder vom westlichen Ende der

146

Stephan Wackwitz: Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert.

Welt. München 2010. Frankfurt am Main 2010.

Terrorismus-Narrative seit 2001

1. „Liebe in Zeiten der Diskursanalyse, eines verschlissenen Alltags, prekärer Verhältnisse“: Ulrich Peltzers Teil der Lösung (2007) als kritischer Gegenwartsroman Nachdem Ulrich Peltzer mit Bryant Park eine New York-Erzählung und eine der ersten Literarisierungen des Medienereignisses 11. September vorlegte, erscheint 2007 mit seinem Buch Teil der Lösung1 ein Berlin-Roman. Dieser greift bereits in Bryant Park etablierte Themen auf: Wiederum stehen die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen der urbanen Lebensund Arbeitswelten im Neoliberalismus sowie die Erzählbarkeit der urbanen, mediatisierten Milieus im Mittelpunkt. Darüber hinaus formuliert der Roman die im Jahr 2007, in dem sich die Ereignisse des Deutschen Herbstes zum dreißigsten Mal jähren, durchaus provokante Frage nach verschiedenen historischen und gegenwärtigen Spielarten der Politisierung. Diesen geht der Roman sowohl retrospektiv am Beispiel des italienischen Linksterrorismus der 1970er Jahre als auch am Beispiel gegenwärtiger kapitalimusund globalisierungskritischer Protestformen der ‚Generation Attac‘ nach. Teil der Lösung liegt eine Poetik des avancierten zeitgenössischen Romans zugrunde, wie sie Peltzer 2006 in seinem Essay Erzählen ohne Grenzen. Über denkbare Plots, flüchtige Subjekte und die Raumstruktur des

1

Ulrich Peltzer: Teil der Lösung. Zürich 2007.

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zeitgenössischen Romans2 formulierte. Der Essay entwirft einerseits eine Poetik zeitgenössischer Literatur, die sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen und Diskursen auseinandersetzt, und stellt andererseits zugleich auch einen Werkstattbericht über die Arbeit an Teil der Lösung dar. Erzählen ohne Grenzen fordert ein zeitgenössisches Erzählen: „von den Rändern her, von peripheren Figuren, die keinen angestammten Platz haben im Gefüge einer sich durchkapitalisierenden Welt, einer Welt der Rechenhaftigkeit und des Zeittakts, despotischer Signifikanten und politischer Instabilität, einer Welt des Tausches und nie zu befriedigenden Begehrens.“3

Als Textverfahren für diese Art von Literatur schlägt der Essay die „Einebnung von erzählerischer Distanz [...], eine enthierachisierte Unmittelbarkeit der Rezeption [...] auf einem von diversen Codes und Sprachregelungen durchzogenen Territorium – dessen inhaltliche Grenzen nicht trennscharf bestimmt werden können“4 vor. Teil der Lösung führt als fulminanter politischer Gegenwartsroman über die Lebensrealitäten des postakademischen Hochprekariats und den Stadtwandel im Berlin der Nullerjahre dieses Schreibprogramm vor und zeichnet ein komplexes Gegenwartspanorama. Der Literaturkritiker Helmut Böttiger bezeichnete den Roman in der Süddeutschen Zeitung als „Großstadt-Movie mit Thrillerelementen und einem für deutsche Texte ungewöhnlichen Drive, zwischen Don DeLillo und zeitlosen Schwarzweißfilmen wechselnd“5. Teil der Lösung stellt dem nobilitierenden Vergleich mit dem Großmeister der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur eine eigene Autoren-Genealogie zur Seite, die im Rahmen eines Gesprächs über Literatur entworfen wird. Christian Eich, freier Journalist Mitte Dreißig, Prototyp des prekären Kultur- und Medienschaffenden, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Filmkritiken, Rei-

2

Ulrich Peltzer: „Erzählen ohne Grenzen. Über denkbare Plots, flüchtige Subjekte und die Raumstruktur des zeitgenössischen Romans“. In: Sprache im technischen Zeitalter 44 (2006), S. 294-312.

3

Peltzer: Erzählen ohne Grenzen, S. 295.

4

Peltzer: Erzählen ohne Grenzen, S. 311.

5

Helmut Böttiger: „Ein Lied für die Tauben. Ein großer Roman aus unseren Zeiten: Ulrich Peltzers: ‚Teil der Lösung‘“. In: Süddeutsche Zeitung vom 15. September 2007.

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seführern über das Berliner Umland und Gastrotipps finanziert, aber eigentlich an einem Roman schreibt, erzählt Nele, Studentin der Literaturwissenschaft, Anfang Zwanzig, von seinem Großstadtroman in progress: „Als Christian ihr gestand, dass er (Und daneben?) einen Roman schreibe (Wie alle, oder?), wurde sie hartnäckig und fragte nach, um was es geht, welche Form, seit wann? Um mich nicht, antwortete er, und die Sprache, na ja, es handele sich um Stimmen, Stimmen aus allen Bereichen, oben, unten, die in wechselnden Tonlagen ein Alltagspanorama, Alltäglichkeit in allen ihren Facetten, entwerfen würden, wobei sich die einzelnen Geschichten durchaus überschneiden könnten, also, die überschnitten sich auch, weil sie ab und zu eine Sache, einen Gegenstand, aus verschiedenen Blickwinkeln aufrollten, zwei Stimmen, die von demselben Ereignis berichteten, Verkehrsunfall, Wohnungsräumung, was wisse er, eine Begegnung auf der Straße.“6

Im weiteren Verlauf des Gesprächs bringt Christian seinen intendierten Stil auf die Formel: „,Als hätte Dos Passos vorher Kafka gelesen.‘“7 Liest man Christians Auskunft als Selbstbeschreibung des Romans und damit als metafiktionalen Kommentar, ergeben sich daraus mehrere Interpretationsansätze. Die Referenz auf Kafka etabliert u.a. den Topos des Gesetzes, der im Roman vor allem auf der figuralen Ebene in Gestalt von Politaktivisten an der Grenze zur Illegalität sowie sie verfolgender Staatsschützer wiederkehrt. Der Hinweis auf Dos Passos führt zu dessen stilbildendem Collageroman Manhattan Transfer von 1925. Auch Teil der Lösung bedient sich Textverfahren der Montage und des filmischen Schreibens und verweist somit auf die Traditionslinie literarischer Metropolendarstellungen in der deutschen und US-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Aber Teil der Lösung bezieht sich nicht nur souverän auf diese literarische Traditionslinie, sondern schreibt als Großstadtroman der Nullerjahre, als ein ‚Berlin Alexanderplatz‘ des 21. Jahrhunderts, der sich auf der Höhe des aktuellen state of the art der kritischen Stadtsoziologie und der literarischen Darstellungsformen bewegt, innovativ am Genre des Großstadtromans mit. Denn Teil der Lösung ist auch ein Roman über das Ende des Urbanen und über das Ende der Arbeit. Mit der Beschreibung der Symptome des ge-

6

Peltzer: Teil der Lösung, S. 260.

7

Peltzer: Teil der Lösung, S. 261.

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genwärtig diagnostizierten Endes des Urbanen im Sinne zunehmender Stadtsegregation und des Endes der Arbeit im Sinne des Endes von Normalarbeitsverhältnissen und kohärenten Berufsbiographien konstatiert der Roman einen tiefgreifenden Gesellschaftswandel.8 Dieser wird im Text anhand der Berliner Stadttopographie dargestellt. Der Aufzählung der „despotische[n] Signifikanten“9 der Markenlabels in einem Shopping-Center an der Friedrichstraße: „Moschino, Louis Vuitton, Commes des Garçons, Yohji Yamamoto, Dries van Noten, Etro, Celine, Strenesse, Donna Karan“10 steht eine Beschreibung der ausfransenden Stadtränder gegenüber: „Baumärkte, Lebensmittelmärkte, Gartencenter, Tankstellen, Drive-ins von McDonald’s und Burger King, schäbige Bürogebäude, Baracken, in denen Autowerkstätten waren, Unfallbegutachter, mehrere Lackierereien, Media-Markt und Metro, eine Firma für Pressluftflaschen und Generatoren, Brennstoffe, Heizöl, Lastwagenreifen, Pit-Stop, und dazwischen immer wieder Grundstücksmauern, geschlossene Tore, Häuser mit vernagelten Fenstern, die die breite Ausfallstraße Richtung Südosten säumten.“11

Der Gegensatz zwischen den innerstädtischen Shopping Malls und den ausfransenden, aufgelassenen Stadträndern verkündet vom Ende des Urbanen als einer auf räumlichen Einschluss und soziale Integration ausgerichteten Kategorie. Vom Städtischen als Ausschlusssystem erzählt bereits die Eröffnungsszene des Romans, die im Sony Center am Potsdamer Platz und da-

8

Zur frei zirkulierenden Kategorie des Urbanen, die nicht mehr an die Stadt gebunden ist, vgl. Thomas Wegmann: „Stadt, Rand, Schluss? Zur Topologie und Ästhetik von Zentrum und Peripherie“. In: LiLi – Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik: Im Dickicht der Städte II: Literatur, Kunst und Film 149 (2008), S. 7-33. Wegmann geht in seinem Aufsatz auch auf Teil der Lösung ein. Zum Ende der bekannten Arbeitswelt vgl. den Ausstellungskatalog: Arbeit. Sinn und Sorge. Begleitbuch zur Ausstellung „Arbeit. Sinn und Sorge“ des Deutschen Hygiene-Museums im Programm „Arbeit in Zukunft“ der Kulturstiftung des Bundes, 25. Juni 2009 bis 11. April 2010. Hrsg. für das Deutsche Hygiene-Museum von Daniel Tyradellis und Nicola Lepp. Berlin/Zürich 2009.

9

Peltzer: Erzählen ohne Grenzen, S. 295.

10 Peltzer: Teil der Lösung, S. 287. 11 Peltzer: Teil der Lösung, S. 302.

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mit im innerstädtischen Zentrum privatisierter Konsumzonen spielt. In einer Performance protestieren als Clowns verkleidete Politaktivisten gegen die Überwachung des Stadtraums. Dabei wird das Sony Center auf der textuellen Ebene durch die montagehafte Multiperspektivität einer Überwachungskamera dargestellt: „Zerteilter Raum – ein großes Puzzle, das sich auf fünf mal fünf Feldern beständig neu figuriert, wechselnde Perspektiven ohne Anfang und Ende, von links oben nach rechts unten in einer computergesteuerten Serie von Brennweiten und Ausschnitten.“12 Die wechselnden Überwachungsbilder der Einkaufspiazza entsprechen als postpanoptische Bildsequenzen den flexiblen Kontrollmodulationen, die der französische Philosoph Gilles Deleuze in seinem 1990 erschienen Essay Postskriptum über die Kontrollgesellschaften13 als zentrales Charakteristikum dieser Gesellschaftsformation beschrieb. Im Anschluss an Michel Foucaults Konzept der Disziplinargesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts beschreibt Deleuze das Paradigma der Kontrollgesellschaft als Gesellschaftsformation des 20. Jahrhunderts. Nach Deleuze zeichnen sich Kontrollgesellschaften zum einen durch die Internalisierung der autoritären Institutionen der Disziplinargesellschaft sowie durch die Streuung von Kontrolle und zum anderen durch das alles regulierende Paradigma des Unternehmens aus. Dabei wird auch das Subjekt selbst zur Ware und einer alles durchdringenden Verwertungslogik unterworfen. Die Eröffnungsszene des Romans führt mit dem Sony Center die von Deleuze beschriebenen Kontroll- und Konsumlogiken vor, werden doch die Performer letztendlich vom privaten Sicherheitsdienst des Geländes verwiesen Weiterhin stellt Teil der Lösung die Effekte des Neoliberalismus am Beispiel von Christians prekärem Alltag dar. Das Krisenhafte der Existenz wird sichtbar in der Darstellung des Lebens in untervermieteten Wohnungen, der Suche nach bezahlbaren Wohnraum, des Arbeitsalltags im Gemeinschaftsbüro, mit dessen Miete Christian chronisch im Verzug ist. Zum Sinnbild der Prekarität, der Unsicherheit und Unplanbarkeit der Lebensund Arbeitsverhältnisse, wird die Szene des Kassensturzes14, die Auflistung von Soll und Haben, die hard facts der Kontoauszüge, deren Sprache Ste-

12 Peltzer: Teil der Lösung, S. 9. 13 Gilles Deleuze: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“. In: ders.: Unterhandlungen 1972-1990. Frankfurt am Main 1993, S. 254-262. 14 Vgl. Peltzer: Teil der Lösung, S. 59, 160.

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fan Weigl in seinem Hörspiel Stripped. Ein Leben in Kontoauszügen15 in Szene setzte. Mit der Darstellung prekärer Arbeitsverhältnisse schreibt sich Teil der Lösung in den literarischen Diskurs über veränderte Arbeitswelten ein und zählt damit auch zur Neuen Literatur der Arbeit.16 Die Prekarität setzt sich im Roman bis in eine Filmrezension Christians über eine Proustverfilmung der belgischen Regisseurin Chantal Ackerman fort: „Er skizzierte eine Gliederung, die um die Begriffe Obsession, Gefangenschaft, Verrat kreiste, und fing zu formulieren an [...] Also? Ein Dreiklang: Liebe in Zeiten der Diskursanalyse, eines verschlissenen Alltags, prekärer Verhältnisse. Nicht übel. Und dann? Glaubt man den Bildern des Kinos der letzten zehn Jahre, von Laetitia Masson bis Wong Kar-Wei, sind ihre Insignien (der Liebe) Mobiltelefone und flackerndes Neonlicht [...] So geht’s. Im nächsten Satz Fluchtlinien unterbringen, Begehren und Gegenwart. Fluchtlinien der Gegenwart, die das Begehren durchkreuzen und mit sich fortreißen.“17

Die Textpassage führt nicht nur den Schreibprozess vor, sondern ist auch als indirekter metafiktionaler Kommentar interpretierbar. Denn mit der sich entwickelnden Liebesgeschichte zwischen Christian und Nele steht eine „Liebe in Zeiten der Diskursanalyse, eines verschlissenen Alltags, prekärer Verhältnisse“ im Mittelpunkt des Romans. Die Liebesgeschichte gerät zum Schnittpunkt „einzelne[r] Geschichten“18, wobei sich Neles und Christians politische back stories erst am Romanende überkreuzen werden. Denn Nele gehört zu der Gruppe linker Politaktivisten, die als Clowns verkleidet im

15 Vgl. Stefan Weigl: Stripped. Ein Leben in Kontoauszügen. Produktion Westdeutscher Rundfunk 2004. Vgl. zur Idee und Konzeption des Hörspiels auch Stefan Weigl: „Armut – es kommt darauf an, was man draus macht“. In: Brüns: Ökonomien der Armut, S. 221-228. 16 Vgl. zur Neuen Literatur der Arbeit Alexander Preisinger: „Ökonomie als Poetologie. Der literarische Realismus des Neuen Kapitalismus“. In: Literaturkritik: Schwerpunkt Literatur und Ökonomie 5 (2009). Download unter www.literatur kritik.de/public/rezension.php?rez_id=13089 am 01.06.2009. Vgl. weiterhin Susanne Heimburger: Kapitalistischer Geist und literarische Kritik: Arbeitswelten in deutschsprachigen Gegenwartstexten. München 2010. 17 Peltzer: Teil der Lösung, S. 242f., Hervorhebung im Original. 18 Peltzer: Teil der Lösung, S. 260.

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Sony Center gegen die Überwachung des öffentlichen Raums demonstrieren, Fahrscheinautomaten an einer U-Bahnstation beschädigen, die Schaufenster einer an Abschiebeflügen beteiligten Fluglinie zerkratzen und im Verlauf der Aktionen immer mehr an den Rand der Legalität und damit in das Visier des Staatsschutzes geraten, der sie als neue Terrorismusgefahr labelt und mittels Onlineüberwachung aufspürt. Christian dagegen, desillusioniert über die Konformität der Gegenwart, recherchiert über die Roten Brigaden, eine italienische Terrororganisation, die in den 1970er Jahren politisch motivierte Anschläge verübte. Unter der Ära Mitterands fanden ehemalige Mitglieder der Roten Brigaden Asyl in Frankreich und richteten sich in einem bürgerlichen Leben ein, aus dem sie erneut in den Untergrund fliehen mussten, als Italien unter der Regierung Silvio Berlusconis ihre Auslieferung forderte. Christian nimmt über Mittelsmänner Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern der Terrororganisation auf, denn er möchte ein Interview mit ihnen führen, interessiert ihn doch die unverhoffte Wiederkehr eines politischen Moments in einem saturierten Leben: „Mit fünfzig oder sechzig die Radikalität der eigenen Jugend um die Ohren gehauen zu bekommen, wie es einem sonst im Leben nicht widerfährt, das müsste ein Thema sein, Gefrierschnitt durch die Biographie.“19 Anhand der Figuren Christian und Nele erzählt Teil der Lösung zwei verschiedene Terrorismus-Narrative: die Bewertung des zurückliegenden Linksterrorismus der 1970er Jahre wird mit Formen des gegenwärtigen politischen Protests und der Frage, ab wann, von wem und mit welchen Folgen dieser sprachpolitisch als Terrorismus bezeichnet wird, konfrontiert. Damit ist Teil der Lösung auch ein Roman über politischen Protest in Zeiten bedrohter bürgerlicher Grund- und Freiheitsrechte, eines medialisierten Alltags mit Onlineüberwachung, des digitalen gläsernen Menschen.20 Als Strategien gegen die Logiken des Präventionsstaates und der Kontrollgesellschaft fungieren im Roman, um einen Begriff aus Christians Filmrezension aufzugreifen, theoretische und topographische „Fluchtli-

19 Peltzer: Teil der Lösung, S. 237. 20 Zur Kritik an staatlichen Überwachungslogiken in Teil der Lösung vgl. auch Heribert Prantl: „Festrede zum Literaturpreis für Ulrich Peltzer, dem 36. Stadtschreiber von Bergen-Enkheim“. Download unter www.berger-markt.de/page ID_8458821.html am 12.01.2010.

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nien“21. Hatte Peltzer in seinem poetologischen Essay Erzählen ohne Grenzen auf die „Beziehungen, die sich auftun zwischen einer theoretischen Durchdringung der Gegenwart und konkreter ästhetischer Praxis“22 verwiesen, so zeichnet sich Teil der Lösung durch das Inandergreifen eines Theoriehintergrunds und avancierter Erzählkunst aus. Trotz aller Anschaulichkeit und Detailliertheit durchziehen den Berlin-Roman implizite und explizite theoretische Fluchtlinien, die sich über Michel Foucault, Paul Virilio und Jacques Derrida erstrecken. Der intellektuelle Schutzpatron des Romans aber ist Gilles Deleuze, der Kafka-Exeget und Philosoph der Intensitäten und Instabilitäten, auf den der Begriff der Fluchtlinien zurückgeht.23 Folgerichtig führt eine der letzten Romanszenen zum letzten Pariser Wohnhaus des Philosophen. Die Metropole an der Seine wird zum Ort, an dem sich die theoretischen und topographischen Fluchtlinien des Romans überschneiden. Denn gegen Ende der Handlung fährt Christian für das Interview mit ehemaligen Mitgliedern der Roten Brigaden nach Paris und nimmt Nele, von deren Aktionen er noch nicht weiß, mit. Während Christian an einem geheimen Ort das Interview führt, besucht Nele eine Basquiat-Retrospektive – eine intertextuelle Referenz an Bryant Park –, als sie eine Kurzmitteilung von einem Berliner Freund erhält. Er teilt ihr mit, dass der Staatsschutz die Gruppe verhaftet hat und sie fernbleiben soll. Bestürzt, mit Fluchtgedanken spielend, irrt Nele durch die Straßen von Paris, unsicher, ob sie zum verabredeten Treffpunkt mit Christian in einem Café erscheinen und sich ihm anvertrauen soll. Die Erzählung endet im Pariser Einwandererbezirk Belleville, wo eine schwarze Frau vor einem Geschäft als „eine Begegnung auf der Straße“24, die multiperspektivisch jeweils aus Neles und Christians Perspektive beschrieben wird, die Überschneidung beider Geschichten und Tageserlebnisse ankündigt, denn das Aufeinandertreffen im Café, das Ergebnis des Interviews und Neles Gespräch mit Christian bleiben als unerzähltes Ende offen. Insgesamt ist Teil der Lösung ein politischer Gegenwartsroman mit komplexer Erzählstruktur, dessen Stil bereits ein Teil der Lösung ist, wie Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeine Zeitung pointiert anmerk-

21 Peltzer: Teil der Lösung, S. 243. 22 Ulrich Peltzer: Erzählen ohne Grenzen, S. 296. 23 Vgl. Michaela Ott: Gilles Deleuze zur Einführung. Hamburg 2005. 24 Peltzer: Teil der Lösung, S. 260.

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te.25 Ein Roman, bei dem, um es noch einmal mit Christians Literaturverständnis zu sagen, „der Groove, die Länge der Sätze, ihre Syntax“26 stimmt und der sich, so Peltzer in Erzählen ohne Grenzen, die Suche nach „Motiven der Dissidenz und Nichtkonformität“27 bewahrt.

2. „Steht auf. Bildet Barrikaden. Versammelt euch“: Michael Kumpfmüllers Nachricht an alle (2008) als Variation einer Politformel Mit der Figur des Innenministers einer westeuropäischen Demokratie rückt in Michael Kumpfmüllers Roman Nachricht an alle28 ein politischer Funktionsträger in den Mittelpunkt, der als Verkörperung des verschärften staatlichen Sicherheitsdiskurses seit dem 11. September gilt. Dass die Figur des Innenministers als Personifizierung der Gemengelage staatlicher Sicherheitsmaßnahmen, kollektiver Sicherheitsfiktionen und grassierender Sicherheitsparanoia Konjunktur hat, bewies auch Bernadette La Hengsts und Till Müller-Klugs Audio-Collage Der innere Innenminister mit O-Tönen von Wolfgang Schäuble aus dem gleichen Jahr.29 Nachdem Kumpfmüller im doku-fiktionalen Roman Durst (2003) die Geschichte einer jungen Mutter erzählte, die ihre zwei kleinen Söhne verdursten ließ, und mit dem Topos der Kindsmörderin ein gesellschaftliches Tabu aufgriff, zielt Nachricht an alle mit der Schilderung des Berufsfelds der Politik auf das gesellschaftliche Zentrum. Für die Beschreibung des Po-

25 Vgl. Andreas Platthaus: „Was in Flüchtenden um drei Uhr zwanzig vor sich geht. Jede Gesellschaft hat die Feinde, die sie verdient: Ulrich Peltzer hat mit ‚Teil der Lösung‘ weit mehr geschrieben als einen Liebesroman aus prekären Zeiten: In der Subjektivität dieser Momentaufnahme der Berliner Extremistenszene liegt die politische Provokation seines Schreibens“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Dezember 2007. 26 Peltzer: Teil der Lösung, S. 131. 27 Peltzer: Erzählen ohne Grenzen, S. 308. 28 Michael Kumpfmüller: Nachricht an alle. Köln 2008. Hier zitiert nach der Lizenzsausgabe des Fischer-Verlags, Frankfurt am Main 2009. 29 Vgl. Bernadette La Hengst/Till Müller-Klug: Der innere Innenminister. Autorenproduktion 2008. Erstausstrahlung WDR 2008. Auch Aufführung als Theaterproduktion in den sophiensaelen Berlin 2009.

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litikermilieus wurde bereits das Roman-Manuskript im Jahr 2007 mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Nachricht an alle stellt als Politikerroman keinen Schlüsselroman dar: Die Figur des Innenministers ist fiktiv, auch wenn einige Romanpassagen auf Aussagen und Biographeme von Otto Schily, Wolfgang Schäuble und Nicolas Sarkozy anspielen. Vielmehr liefert der Roman nach Aussage des Autors „eine Arbeitsplatzbeschreibung von Politik und irgendwie auch eine Bestandsaufnahme unserer gesellschaftlichen Situation“30. Denn Kumpfmüllers Interesse gilt dem Habitus und den Handlungsmustern der politischen Sphäre. Dabei versteht der Autor seinen Roman als Antipoden zu Wolfgang Koeppens Politikerroman Das Treibhaus von 1953.31 Denn nicht der bei Koeppen inszenierte Gegensatz von Macht und Geist, sondern, so Kumpfmüller, die „Komödie des Standhaltens“32 interessiere ihn und damit Arbeitsroutinen, Entscheidungsspielräume, Parteizwänge und Kabinettssitzungen. Den Romanauftakt bildet eine Verlustszene: Im Prolog At the Bottom of Everything erhält der Innenminister Selden eine SMS, die ihm seine Tochter Anisha aus einem abstürzenden Flugzeug sendet: „Es hat eine Explosion gegeben. Es ist entsetzlich. Wir stürzen ab.“33 Er zweifelt anfänglich über die Echtheit der Nachricht, die jedoch durch erste Fernsehbilder der Absturzstelle verifiziert wird, derweil die Absturzursache zunächst unklar bleibt. Das Motiv der Abschieds-SMS erinnert an die bei den New Yorker Terroranschlägen verschickten Kurznachrichten. In der Ungewissheit über die Todesursache seiner Tochter beginnt Selden über die weltpolitische Lage zu grübeln:

30 Michael Kumpfmüller im Gespräch mit Joachim Scholl. Vgl. Scholl: „Kumpfmüller: ‚Nachricht an alle‘ ist kein Schlüsselroman. Schriftsteller sieht sich zwischen 68ern und ‚Generation Golf‘“. Radiofeuilleton vom Deutschlandradio Kultur vom 05.03.2008. Download des Gesprächsmanuskripts am 27.04. 2010 unter www.dradio.de/kultur/sendung/thema/749195/. 31 Vgl. Scholl: Kumpfmüller. 32 Michael Kumpfmüller im Gespräch mit Jörg Magenau. Siehe Magenau: „Berufspolitiker als Romanfigur. Michael Kumpfmüller gewinnt Alfred-DöblinPreis“. Sendung vom Deutschlandradio Kultur vom 13.05.2007. Download des Gesprächsmanuskripts am 12.04.2010 unter http://www.dradio.de/dkultur/send ungen/fazit/624775/. 33 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 10, Hervorhebung im Original.

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„Sie lebten seit Jahren mit einer Flut aus Horrornachrichten. Alles schien mit allem zusammenzuhängen, eine weltumspannende Geschichte des Grauens und der Empörung. Es gab Leute, die Hass predigten, es gab Leute, die Bomben bauten, und wieder andere, die diese Bomben zündeten und sich und andere in die Luft sprengten, auf belebten Märkten, auf schnurgeraden Straßen weit draußen in einer menschenleeren Landschaft aus Staub und Schotter, irgendwo an der Peripherie, aber immer häufiger auch in den Metropolen, wo es enge U-Bahn-Schächte gab, ein feingesponnenes Netz aus Wegen, Busse mit Pendlern, Flugzeuge, die im Minutentakt starteten und landeten, Fußballstadien mit Zehntausenden von Menschen, für deren Sicherheit zu sorgen kaum möglich war.“34

Seldens Zeitanalyse schildert das durch politische Angst und Terrorismusgefahr gekennzeichnete Epochengefühl nach dem 11. September. Allerdings stellt sich heraus, dass die Ursache für den Flugzeugabsturz nicht ein Terroranschlag, sondern ein Triebwerkschaden war. Der ehemalige Jurist Selden, der als Angehöriger der 1968er Generation den ‚Marsch durch die Institutionen‘ durchlief und nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere als politischer hard liner gilt, kehrt nach einer kurzen Auszeit zum politischen Tagesgeschäft zurück und verabschiedet ein neues Sicherheitsgesetz: „Über das neue Sicherheitspaket, das auf Punkt drei der Tagesordnung stand, schien es keine Diskussionen mehr zu geben. Als zuständiger Minister erklärte er noch einmal die geplanten Punkte, Videoüberwachung öffentlicher Plätze, Speicherung von Telefonaten, Verschärfung der Abschiebepraxis.“35

Doch anstelle der antizipierten terroristischen Bedrohung brechen im Landesinneren soziale Unruhen aus, die an die Unruhen in den Pariser Banlieues von 2005 erinnern. In den Vorstädten zünden junge unzufriedene Migranten Autos an, zudem treten die Gewerkschaften in einen Dauerstreik, und es kommt zu gewaltsamen Studentenprotesten. Zwar werden auch einige „so genannte Hassprediger“36 verhaftet, aber die Gefahr scheint von bekannten Zuständen auszugehen:

34 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 23. 35 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 41. 36 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 213.

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„Offenbar hatten sie sich getäuscht, sie hatten in die falsche Richtung geschaut. Die Gefahr kommt von draußen, jemand bringt sie mit, sie wird importiert, hatten sie gedacht, und jetzt machten sie die Erfahrung, dass sie von innen kam, obwohl das Personal in den Augen von Selden dasselbe war.“37

Die Gefährdung der inneren Sicherheit geht demnach von bekannten Ursachen aus: der sozialen Erosion und der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung. Eine Staatskrise kündigt sich an, die von Selden ein umfangreiches Krisenmanagement verlangt. Doch nicht nur die Trauer um den Tod seiner Tochter und die Staatskrise belasten den Minister, zudem wird eine berufliche Intrige gegen ihn eingefädelt. Politische Gegner aus der eigenen Fraktion versuchen, ihn zu diffamieren und als Sündenbock für die Staatskrise zu opfern. Allerdings tritt Selden nicht wie erwartet zurück, sondern gewinnt nach einem überlebten Attentatsversuch, bei dem ihn ein psychisch krankes Mädchen niederstach, seine Popularität zurück. Auch die innenpolitische Lage stabilisiert sich und die Erinnerungen an das Aufbegehren werden, so beobachtet Selden, marktkonform eingespeist: „Nach einer Weile würde der Markt reagieren: Es würde T-Shirts geben, Spielzeugautos, die auf Knopfdruck in Flammen aufgingen, Devotionalien der vergangenen Schlacht, aber alles mit diesem musealen Blick: damals, als wir noch verrückt und rebellisch waren und die Feuerwehr mit Steinen bewarfen.“38 Die Bewegung des Flugzeugabsturzes vom Romanbeginn kehrt als gesellschaftliche Oben-Unten-Dichotomie leitmotivisch wieder. Der Figur des Innenministers als Verkörperung der ‚oberen‘ staatlichen Ordnung steht eine heterogene Gruppe von Unzufriedenen, politischen Aktivisten und Aufbegehrenden gegenüber, die sich als Widerstand von ‚unten‘ versteht. Die Figur der junge, aufstrebenden Journalistin Hannah, die sowohl über das Zentrum der Macht als auch über „Geschichte[n] vom äußersten Rand“39 recherchiert, fungiert als Vermittlungsinstanz zwischen dem gesellschaftlichen Oben und Unten. Sie versucht, die zunehmend misslingende Kommunikation zwischen der politischen Elite und ‚abgehängten‘ Bevölkerungsschichten durch ihre journalistische Arbeit zu verbessern, die sie als ordnungstiftend betrachtet: „Sie liebte klassische Strukturen, für die sie

37 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 115. 38 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 259. 39 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 35.

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in antiken Dramen Vorbilder fand, Grundrisse von Häusern, die ebenmäßige Struktur von gehärtetem Stahl unter dem Mikroskop, alle möglichen Kristalle, Schnee und Zucker, elementare Ordnung, auch wenn die Oberfläche mehr oder weniger chaotisch erschien.“40 Als eine weitere vermittelnde Instanz fungieren drei Chöre, die in jeweils eigenen Kapiteln zwischen die drei Romanteile geschaltet sind. Sie geben in einem polyphonen Monolog die Stimmen verschiedener Bevölkerungsgruppen wieder und kommentieren das Geschehen – und greifen damit die Tradition des antiken Chors im Drama auf, der als theatrales Element eine Konjunktur im Gegenwartstheater erlebt. Der Chor verweist aber auch auf das Moment des kollektiven Sprechens und der politischen Sprache, das als zentrales Motiv den Roman durchzieht. Während Innenminister Selden auf der Devise „Politik ist Sprache. Sprache ist Politik. Der eine redet, der andere zündet Autos an. So kann man sich natürlich nicht verständigen.“41 beharrt und Gewalt als „Sprache der Straße“42 ablehnt, versucht die Journalistin Hannah, die Sprache der Aufständischen in den Vorstädten zu verstehen: „White Riot, hatte einer gesagt, aber als sie nachfragte, kam nur dieses Gerede über das System, seine verwundbaren Stellen, das Schienennetz, öffentliche Plätze. Sie mochte ihre Sprache nicht. Sie redeten wie amerikanische Comicfiguren, mit viel Womm und Wumm und Zack, Peng, alles mit einem gewissen Sinn für die Stimmung, aber leeres Getöse, im Grunde Kindergarten, Tarnung hin oder her.“43

Hannahs Kommunikation mit den Aufständischen scheitert, da ihr deren Sprache trotz einiger Partikel politischen Vokabulars wie eine Sprache ohne Referenzen vorkommt, wie der Vergleich mit der Comic-Sprache impliziert. Der Roman setzt die Comic-Referenz auf der Figurenebene mit einer Gruppe von drei Studenten fort, die sich nach Walt Disneys Comic-Figuren Tick, Trick und Track nennen. Sie verstehen sich eher als Künstler denn als Politaktivisten und versehen die Vorstädte mit Graffiti-Botschaften: „Ihre Arbeit war die Schrift. Sie hinterließen Botschaften. Sie redeten nicht bloß,

40 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 124 41 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 112. 42 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 112. 43 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 122.

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sie wehrten sich. STEHT AUF. BILDET BARRIKADEN. VERSAMMELT EUCH.“44 Doch diese Botschaften erscheinen nur noch wie eine längst in den Mainstream integrierte Nachahmung des einst subversiven Graffiti-Codes. Eine neue Generation des politischen Protests verkörpert dagegen der Einzelgänger Rubber, der im Internet „ellenlange Texte über den Terror der Globalisierung, Anmerkungen zu Strategie und Taktik der allgemeinen Empörung“45 verfasst. Er recherchiert und sammelt Informationen im Netz, dokumentiert die gesellschaftlichen Zustände und beobachtet nach seinem Gelegenheitsjob im Hafen die Lage in der Stadt: „War er fertig, stromerte er durch die Stadt und suchte nach den entzündeten Stellen. Er war erstaunt, was es alles gab, die vielen Anlaufstellen, in muffigen Kellern oder Souterrains dämmrige Suppenküchen, Schuldnerberatungen, weiter draußen die Obdachlosenasyle, alles sehr eng, mit lumpigen Gestalten, die ihn aus weißgestrichenen Stockbetten anstarrten. Er klopfte bei lokalen Arbeitsloseninitiativen an, fragte nach der Stimmung, setzte sich in die Wartesäle von Ämtern und hörte zu, wie die Leute redeten, was sie hofften, wie gedemütigt sie sich fühlten, bleiche, gesichtslose Monster, die mit Glotze und Fastfood zufrieden waren, hin und wieder ein Gesicht, das noch glühte, Enttäuschte, die noch immer an etwas glaubten, Gestrandete, die entschlossen waren, sich nicht abzufinden.“46

Hatte der Innenminister über die Bedrohung der urbanen Infrastruktur durch Terroranschläge nachgedacht, so beobachtet Rubber die Bedrohung des Städtischen durch die zunehmende soziale Ungleichheit. Die organische Metapher der „entzündeten Stellen“ verweist im Kontext des Zitats auf den Bildbereich des Gesellschaftskörpers und impliziert damit die Metapher der Armut als dessen Krankheit. Doch Rubber kritisiert gerade diese soziale Metaphorik: „Im Grunde mochte er den Gedanken nicht: dass die Gesellschaft ein Körper war, ein Organismus, der zuckte, ebenso robust wie verletzlich, etwas, das auch sterblich war, die alte Metapher der Krankheit, die da mit dranhing.“47 Nachricht an alle problematisiert somit die gän-

44 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 46, Hervorgebung im Original. 45 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 49. 46 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 195f. 47 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 196f.

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gigen Metaphern und Figurationen des Sozialen und stellt die Frage, wie sich zukünftig von Armut erzählen läßt. Der Roman führt eindrücklich vor, welche Folgen das Fehlen einer präzisen und vermittelnden Sprache, um über Armut und soziale Ungleichheit ohne Stereotype und Klischees zu sprechen, haben kann. Denn parallel zu den agitatorischen Reden und Protest-Schriften kommt es seitens der Aufständischen immer mehr zu Gewaltakten und Brandstiftungen: „Eine Mülltonne kann brennen, ein Wagen auch. Unsere Sprache ist das Feuer. Jetzt, in dieser Stunde, beginnen wir sie zu sprechen.“48 Dass die Revoltierenden die Brandstiftungen als Sprache auffassen, verweist auf die Unfähigkeit einer politischen Symbolisierung und Artikulation. Im Umstand, dass Feuer aber eben nur metaphorisch eine Sprache ist und in der Realität die öffentliche Ordnung hochgradig gefährdet, liegt die Brisanz dieser Passage. Überall im Land entladen sich die sozialen Spannungen in Brandherden, die Selden täglich von seinem Beraterstab aufgezählt bekommt: „Das meiste waren Geschichten vom Feuer. Geschäfte hatten gebrannt, Kleinwagen und Limousinen. Keller mit altem Krempel. Ausstellungsräume von großen Autohäusern. Ein geparkter Wohnwagen aus Holland mit schlafenden Kindern darin. Es wurden Brandbeschleuniger eingesetzt. Jemand feuerte Silvesterraketen ab. Überall kleine Tupfen Licht in der großen Dunkelheit, weißer und schwarzer Rauch, der durch die Straßen zog, der Gestank vom brennenden Müll. Ascheregen.“49

Mit den landesweiten Brandstiftungen ist auch das Motiv des Brandopfers verbunden. Eine junge Schauspielschülerin mit Migrationshintergrund verbrennt sich öffentlich ohne jegliche politische Botschaft, die Studenten Tick, Trick und Track täuschen bei einer Performance eine Selbstverbrennung vor. Das Element des Feuers fungiert somit im Kontext des Romans als ein politisch Unbewusstes, das noch nicht artikuliert ist. Mit dem Motiv des Brandopfers korrespondiert auch die Theorie des Sündenbocks von René Girard, auf die Nachricht an alle verweist und deren Struktur der politischen Intrige gegen Selden zugrunde liegt.50

48 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 107. 49 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 161. 50 Vgl. René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Frankfurt am Main 1994. Vgl. Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 56, 230.

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Der Romantitel Nachricht an alle eröffnet über den Handlungsrahmen des Textes – Selden nennt die letzte SMS seiner Tochter eine „Nachricht an alle“51, weil sie nicht an ihn persönlich adressiert ist – Bezüge zu historischen Tiefenschichten. So verweist der Titel auf Lenins Funkspruch An Alle! aus der Oktoberrevolution 1917. Diese berühmte Formel griff der ostdeutsche Pfarrer Oskar Brüsewitz bei seiner öffentlichen Selbstverbrennung am 18. August 1976 in Zeitz auf, bei der er ein selbst gebasteltes Plakat mit der Aufschrift Funkspruch an alle: Die Kirche in der DDR klagt den Sozialismus an! mit sich trug.52 „Nachricht an alle“ stellt daher eine politischrhetorische Formel mit variabler Botschaft und variablen Adressaten je nach historischem Kontext dar. Kumpfmüller Roman buchstabiert die Formel beispielsweise als ‚Terrorismus als Nachricht an alle‘ aus, aber bietet auch noch weitere mögliche Varianten an. Nachricht an alle zeichnet jedoch nicht nur das Bild einer durch Terrorismus, Katastrophen und gesellschaftliche Spaltung gefährdeten Gesellschaft, sondern verlängert diese Prognosen in die Zukunft. Als Vertreter einer konsensuellen demokratischen Politik macht sich Selden über die Zukunft des Staates keine Illusionen: „Ich stelle mich darauf ein, dass es ungemütlich wird, sagte Selden. Das meiste konnte man sich ausrechnen, alles, was wuchs oder sich beschleunigte, der Anteil der Alten, die Staatsverschuldung, der Kapitalfluss, während anderes einfach verschwand, Tiere und Pflanzen, Gletscher, die gute alte Erwerbsarbeit, alles wofür es früher noch Übergangsrituale gab und nicht diesen Brei aus Jung und Alt.“53

Auch Rubber, der nach dem Ende der sozialen Unruhen eine Stelle in einem Ministerium angeboten bekommt und damit Seldens Karriere in der nächsten Generation verkörpert, prognostiziert eine ähnliche Zukunft und entwirft eine von Klimakriegen und verschwundener Staatlichkeit charakterisierte Dystopie:

51 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 13. 52 Vgl. Helmut Müller-Enbergs/Wolfgang Stock/Marco Wiesner: Das Fanal. Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz aus Rippicha und die evangelische Kirche. Münster 1999. 53 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 339.

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„Sein Thema war der Terror, das Leben in hundert Jahren, das die reinste Hölle war. Viel war verschwunden, der Staat und seine Institutionen, Landschaften, Wälder, die globalen Märkte, die vertrauten Räume. Alles war geschrumpft, alles war lokal. In manchen Gegenden gab es noch Geld, in anderen hatte sich Tauschwirtschaft durchgesetzt. Es gab Jäger und Sammler, marodierende Banden, die Gebiete von mehreren hundert Quadratkilometern kontrollierten, Flüchtlingsströme, die sich mal dahin und mal dahin bewegten. Das Wasser war knapp. Die Ärmsten der Armen töteten ihre Kinder, töteten ihre Nachbarn, die letzten Hunde und Katzen in der versteppten Landschaft.“54

Die Journalistin Hannah hält sich dagegen an die Gegenwart, in der ihr jedoch zunehmend die Verarmung in ihrem Stadtviertel auffällt: „[...] leerstehende Geschäfte, Büroräume, die seit Jahren nicht vermietet waren, dazu allerlei Volk, Bettler und Punks der dritten Generation, verstrubbelte Pärchen mit Hunden, Alte, Arbeitslose, die herumstromerten, vereinzelt Geschäftsleute, Männer in Anzügen, Mütter mit Kinderwagen, in denen dicke bleiche Maden an ihrer Cola nuckelten. Kam es ihr nur so vor, oder wurden die Leute immer verwahrloster? Etwas Lumpiges ging von ihnen aus, je weiter vom Zentrum entfernt, desto mehr. [...] Alles war billig, dachte sie, zugleich meinte sie zu spüren, wie wütend sie waren, Leute, die von morgens bis abends Schnäppchen hinterherjagten, gefälschter Designerware, gammligen Lebensmitteln, von deren Zubereitung sie allenfalls rudimentäre Kenntnisse hatten. [...] War es das, woraus es hinaus lief? Wie in einem Roman von Balzac oder Zola, Victor Hugo? War das die Krise, die ihnen bevorstand, von den lächerlichen Krawallen mal abgesehen?“55

Mit der Referenz auf die drei großen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts, die in ihren Sozialromanen die Verelendung breiter Bevölkerungsmassen schildern, projiziert die Textpassage die das 19. Jahrhundert dominierende soziale Frage als ungelöste Problematik in die nahe Zukunft und verweist nochmals auf eine fehlende zeitgenössische ArmutsSemantik. Diese führt der Text auch mittels der Sprache der Protagonisten vor, wenn von „Mütter[n] mit Kinderwagen, in denen dicke bleiche Maden an ihrer Cola nuckelten“ und „bleiche[n], gesichtslose[n] Monster[n], die

54 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 345. 55 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 361f.

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mit Glotze und Fastfood zufrieden waren“56 die Rede ist. Denn einerseits rufen diese Beschreibungen Stereotype eines größtenteils fernsehgesteuerten Unterschichtsdiskurses auf, andererseits ist mit den Begriffen Monster und Made eine den Gesellschaftskörper bedrohliche Morphologie verbunden und damit wiederum die Metapher des organischen Gesellschaftskörpers aufgerufen. Die Zukunft wird am Romanende noch einmal aufgegriffen. Der Epilog Linger On setzt nach einem Zeitsprung an und schildert die Welt aus der Sicht von Selden und Hannahs gemeinsamen Sohn und somit aus der Perspektive der nächsten Generation. Der Sohn besucht seinen über achtzigjährigen Vater, der es in seiner politischen Laufbahn noch bis zum Premier schaffte, in einem „Politikerpark“57. Die Welt scheint noch zu funktionieren, wenn auch unter den prognostizierten Verschlechterungen: Sicherheitszonen zerschneiden das Land und das Fernsehen dokumentiert in einer Show das Aussterben der Tiere. Nachricht an alle synthetisiert die gesellschaftlichen Krisenerfahrungen der westlichen Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts: die Bedrohung der Weltsicherheit durch Terrorismus, die Kontingenz von Katastrophen, die zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen in den wohlhabenden Industrienationen und die zunehmende soziale Segregation. Den Roman durchzieht dabei die Leitfrage, inwieweit die Politik noch in der Lage ist, die Tektonik der Gesellschaft auszubalancieren. Mit dem Motiv der Brandstiftungen und mit der Figur des Attentäters werden zugleich die dysfunktionalen Ränder des Regierens markiert, wobei die destruktiven Effekte einer fehlenden oder ungenügenden politischen Sprache durch das Motiv des Feuers symbolisiert werden. Der Roman fragt nach den Mythen und den Mechanismen der konsensuellen Politik, dabei verweist er mit der Figur des Innenministers Selden auch auf die Generation 1968. Dass die gesellschaftliche Tektonik mehr durch die soziale Spaltung als durch den Terrorismus bedroht zu sein scheint, erweist sich für die Leser der Post9/11-Ära je nach Standpunkt als eine überraschende oder nicht überraschende Wendung des Romans.

56 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 196. 57 Kumpfmüller: Nachricht an alle, S. 369.

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3. „Gespräche über den Deutschen Herbst“: Bernhard Schlinks Das Wochenende (2008) als letzter RAF-Roman Als im Jahr 2008 Bernhard Schlinks RAF-Roman Das Wochenende58 erscheint, hat die Historisierung der Roten Armee Fraktion längst eingesetzt. Die Selbstauflösung der RAF liegt zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre, das Epochenjahr 1968 vierzig Jahre zurück. Aber die Debatte über die vorzeitige Begnadigung des RAF-Terroristen Christian Klar, in die sich auch Angehörige der Opfer einmischen, verdeutlicht das Fortwirken der zurückliegenden Gewalt. Der Autor und Jurist Schlink stellt in Das Wochenende die Frage nach der moralischen Schuld, die der Tätergeneration der RAF auch nach der Ableistung ihrer juristischen Strafe verbleibt. Als literarische Auseinandersetzung mit der Generation 1968 und dem „Mythos RAF“59 reiht sich der Roman sowohl in die nach erinnerungskulturellen JahrestagsAlgorithmen gelenkte publizistische Konjunktur dieser Themen im Jubiläumsjahr 2008 als auch in die über dreißigjährige künstlerische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Herbst ein.60 Christoph Jürgensen benennt in einem ebenfalls im Jahr 2008 erschienenen Überblick drei Ursachen für den anhaltenden literarischen RAFDiskurs: die mit dem Mauerfall 1989 einsetzende Etablierung des Erinnerungsraums BRD, die Ikonisierung der RAF im Zeichen der Popkultur unter dem Stichwort ‚Prada Meinhof‘ und ‚terrorist-chicque‘ sowie die seit

58 Bernhard Schlink: Das Wochenende. Zürich 2008. 59 Wolfgang Kraushaar: „Mythos RAF. Im Spannungsfeld von terroristischer Herausforderung und populistischer Bedrohungsphantasie“. In: ders. (Hg.): Die RAF. Entmythologisierung einer terroristischen Organisation. Bonn 2008, S. 1549. 60 Zur erinnerungskulturellen Dimension des Jahrestagsfetischismus vgl. den Essay von Hans Ulrich Gumbrecht: „Jahrestage. Rückwärts in die Zukunft. Die Gegenwart wird immer breiter: 20 Jahre Mauerfall, 60 Jahre Bundesrepublik, 100 Jahre Borussia Dortmund: Niemand kann sich den Terminen des GedenkKalenders entziehen. Doch die ‚Memoria-Kultur‘ verstellt den Blick auf die Zukunft“. In: Literaturen 5 (2009), S. 14f. Zum Überblick über die künstlerischen Auseinandersetzungen mit der RAF vgl. Inge Stephan/Alexandra Tacke (Hg.): NachBilder der RAF. Köln/Weimar/Wien 2008.

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den Anschlägen vom 11. September 2001 gestiegene gesellschaftliche Sensibilität für das Phänomen Terrorismus.61 Von den drei Gründen für die Fortführung des literarischen RAF-Diskurses führt Das Wochenende den Erinnerungsraum BRD und den 11. September vor. In der Romanhandlung verbringt der ehemalige RAF-Terrorist Jörg das erste Wochenende nach vierundzwanzigjähriger Haft zusammen mit seiner Schwester und dem alten Freundeskreis in einem einsamen Landhaus in Brandenburg. Die drei gemeinsam erlebten Tage, die den Romanaufbau strukturieren, werden, so der Rezensent Ansgar Warner, „zu einem Wechselbad der Gefühle zwischen fürsorglicher Belagerung und Peergroup-Purgatorium“62. Denn Das Wochenende inszeniert ein moralisches Tribunal, in dem die Generation 1968 über ihre eigene Vergangenheit urteilt. Die inzwischen gesellschaftlich etablierten Freunde, u.a. ein Journalist, ein Rechtsanwalt, eine Bischöfin und ein Geschäftsmann, setzen sich mit den Gesellschaftsutopien ihrer Jugend auseinander und halten Gericht über ihr früheres Ich. Jörg Magenau verwies in seiner Rezension des Romans auf die Korrespondenz mit Christa Wolfs 1989 publizierten Roman Sommerstück.63 In Wolfs Schlüsselroman ziehen sich resignierte DDR-Intellektuelle Ende der 1970er Jahre in eine Landidylle in der Uckermark zurück, um Abschied von den sozialistischen Gesellschaftsutopien zu nehmen. Das Wochenende liefert die westdeutsche Version dieser literarischen Versuchsanordnung: Die Generation 1968 nimmt Abschied von den Parolen ihrer Protestbewegung. Der multiperspektivisch erzählte Roman bezieht sein Konfliktpotential in erster Linie aus der Figurenkonstellation und der Figurenrede. Dem ehemaligen Terroristen Jörg stehen mit seinem Sohn Ferdinand und seinem Bewunderer Marko zugleich ein Ankläger und ein Sympathisant gegen-

61 Vgl. Christoph Jürgensen: „Geliebter Feind. Literarische (Re-)Konstruktionen des ‚Deutschen Herbstes‘ 1977“. In: Petersen/Riou: Zeichen des Krieges. Band III: Terror, S. 221-258. Siehe zur RAF-Literatur ebenfalls Stephan/Tacke: NachBilder der RAF. 62 Ansgar Warner: „Episoden an der Heimatfront“. In: die tageszeitung vom 15. März 2008. 63 Vgl. Jörg Magenau: „Sommerstück, später. Wenn Politik nur noch ein Lebensgefühl ist: Bernhard Schlinks Roman ‚Das Wochenende‘“. In: Der Tagesspiegel vom 29. Februar 2008. Vgl. auch Christa Wolf: Sommerstück. Frankfurt am Main 1989.

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über. Während Marko den ehemaligen Terroristen zur Ikone einer neuen Widerstandsbewegung aufbauen will – „Seit vier Jahren war Marko an Jörg dran, um ihn, den Terroristen, der sich nicht von der RAF distanziert hatte, zum geistigen Kopf eines neuen Terrorismus aufzubauen.“64–, wiederholt sich der Generationenkonflikt der 1968er in den Anklagen des Sohnes, der dem Vater die Gewalttaten der Vergangenheit vorwirft: „,Du bist zur Wahrheit und zur Trauer so unfähig, wie die Nazis es waren. Du bist keinen Deut besser – nicht, als du Leute ermordest hat, die dir nichts getan haben, und nicht, als du danach nicht begriffen hast, was du getan hast. Ihr habt euch über eure Elterngeneration aufgeregt, die Mörder-Generation, aber ihr seid genauso geworden. Du hättest wissen können, was es heißt, Kind von Mördern zu sein, und bist Mörder-Vater geworden, mein Mörder-Vater.‘“65

Mit dieser Geschichtsdeutung greift der Roman die These vom Linksfaschismus auf, die 2008 im Feuilleton u.a. mit Bezug auf Götz Alys Buch Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück diskutiert wurde.66 Analog zur Person Christian Klars, die offensichtlich als zeitgeschichtliche Vorlage für die Figur Jörg diente, hat sich der Ex-Terrorist Jörg nicht von seiner gewaltsamen Vergangenheit distanziert, vielmehr kann er sich nicht distanzieren: „Jörg war in seine Wahrnehmungen und Vorstellungen eingesperrt. Er trug seine Zelle mit sich, vermutlich schon lange, bevor er in eine Zelle gesteckt wurde.“67 Als zum Ende der Handlung Jörg berichtet, dass er unheilbar an Krebs erkrankt sei, wird die Zellmetaphorik wieder aufgegriffen. Mit der Krankheit korrespondiert auch die Metapher vom Terrorismus als Krankheit der Gesellschaft, die der Roman wiederholt äußert: „Margarete hatte auch bei den Gesprächen über die RAF und den deutschen Herbst und die Begnadigung von Terroristen, die Christiane und ihre Freunde führten, wieder und wieder das Gefühl eines kranken Themas, bei dem über eine Krankheit ge-

64 Schlink: Das Wochenende, S. 97. 65 Schlink: Das Wochenende, S. 159. 66 Vgl. Götz Aly: Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück. Frankfurt am Main 2008. 67 Schlink: Das Wochenende, S. 207.

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sprochen wurde, die damals die Terroristen befallen hatte und nun auch die Sprechenden befiel.“68

Die Krankheitsmetapher enthistorisiert die Vergangenheit, indem sie komplexe historische Prozesse in organische Körper-Metaphern überführt. Eine Leerstelle innerhalb des Figurenensembles stellt Jan, ein Anwalt aus dem Freundeskreis, dar, der vor vielen Jahren Selbstmord beging. Er wird zum phantasmatischen Bezugpunkt der Lehrerin Ilse. Sie beginnt während des Wochenendes, heimlich eine Erzählung über ihn zu schreiben. In der kursivierten Binnenerzählung hat Jan seinen Selbstmord in Frankreich nur vorgetäuscht, um in den terroristischen Untergrund abzutauchen. Das Ende der Binnenerzählung verschränkt den heroischen Tod des letzten RAF-Terroristen und die New Yorker Terroranschläge: Jan hat am Morgen des 11. September 2001 einen Termin im Restaurant Windows on the World im Nordturm des World Trade Center und springt aus dem brennenden Turm: „Er muß springen. Auch der Tisch wird warm, gleich wird er heiß, wird er brennen, an manchen Stellen des Bodens züngeln Flammen. Jan weiß, dass er nicht schreien und fuchteln und strampeln wird [...] Jan springt und breitet die Arme aus.“69 An das imaginierte Ende des letzten RAF-Terroristen in der Binnenerzählung schließt eine Radioansprache des Bundespräsidenten in der Erzählgegenwart an, zu der sich die Freunde vor dem Radio versammeln: „Dann redete der Bundespräsident. Er sprach vom deutschen Terrorismus in den siebziger bis neunziger Jahren, von den Tätern und den Opfern, von der Herausforderung und der Bewährung des freiheitlichen Rechtsstaates, von der Verpflichtung auf die Achtung und den Schutz der Menschenwürde. Diese Verpflichtung lasse der Staat denen, die ihn und die Bürger und Bürgerinnen angreifen, stark begegnen. [...] Noch drei Terroristen seien in den Gefängnissen eingesessen. Er habe alle drei begnadigt. Er habe ein Zeichen setzten wollen, daß der deutsche Terrorismus und die Spannungen und Risse in der Gesellschaft, mit denen er einherging, vorbei seien. Vor uns stünden neue Bedrohungen, auch terroristische, denen wir befriedet und versöhnt begegnen wollten.“70

68 Schlink: Das Wochenende, S. 88. 69 Schlink: Das Wochenende, S. 196, Hervorhebung im Original. 70 Schlink: Das Wochenende, S. 210f.

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Das verkündete Ende des „deutschen Terrorismus“ sowie das angekündigte Zeitalter neuer terroristischer Bedrohungen und der zuvor in der Binnenerzählung phantasierte Tod des letzten RAF-Terroristen bei den New Yorker Terroranschlägen von 2001 verbinden den RAF-Diskurs mit dem 9/11Diskurs, indem die New Yorker Terroranschläge als endgültiges Ende des Linksterrorismus der 1970er Jahren interpretiert werden. Damit verweist Das Wochenende hinsichtlich des Terrorismus-Topos auf den von Seiten der Politikwissenschaft diagnostizierten Paradigmenwechsel vom Alten zum Neuen Terrorismus: die Ablösung des überwiegend national agierenden Linksterrorismus der 1970er Jahren durch einen neuen globalen, religiös-fundamentalistisch motivierten Terrorismus.71 Allerdings bleibt das Motiv des Neuen Terrorismus im Roman äußerst vage, wie auch das Motiv der RAF durch die Krankheitsmetaphorik tendenziell enthistorisiert wird. Denn nicht der vordergründig beschriebene Terrorismus-Paradigmenwechsel, sondern der biographische Wandel der Alt-68er stellt die eigentliche thematische Zäsur des Romans dar. Das Wochenende ist demnach eher als Altersporträt der 1968er Generation denn als eine Auseinandersetzung mit dem Wandel des Terrorismus interpretierbar. Folglich urteilte Jörg Magenau über die Versuchsanordnung eines westdeutschen Sommerstücks: „nur hier, in der Spätphase der Biographie und in ländlicher Abgeschiedenheit, kann Terrorismus so ausschließlich retrospektiv als Selbsterfahrungsproblematik erscheinen.“72

71 Zum Paradigmenwechsel innerhalb des Terrorismus vgl. Schneckener: Transnationaler Terrorismus; Hess: Von der RAF zu Al-Qaida. 72 Jörg Magenau: „Nachrichten, Notfälle, Neuanfänge. Über Terrorismus und Literatur“. Radiosendung vom Deutschlandradio Kultur vom 11.03.2008. Manuskript, S. 8. Download unter www.dradio.de/dkultur/sendungen/literatur/749003 am 12.03.2008. Vgl. ebenfalls die Kritik bei Thorsten Dörting: „Wochenend’ und Bullenschwein. Rotwein, Regen, rote Träume. In Bernhard Schlinks ‚Das Wochenende‘ treffen ehemalige 68er für drei Tage auf ihre alten Gefährten: einen begnadigten RAF-Terroristen. Wer Häppchen-Histotainment á la Guido Knopp mag, wird auch dieses Buch schätzen“. In: Spiegel Online vom 28.02. 2008. Download unter www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,537727,00html am 01.03.2008.

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4. „Etwas gewissermaßen Überlebendes“: Sherko Fatahs Das dunkle Schiff (2008) und die Figur des Märtyrers Diente das Motiv des Neuen Terrorismus in Bernhard Schlinks Das Wochenende nur als Vordergrundmotiv eines in erster Linie auf die biographischen Zäsuren der 1968er Generation abzielenden Romans, steht es dagegen in Sherko Fatahs 2008 erschienenen Roman Das dunkle Schiff73 im Mittelpunkt. Die Handlung setzt mit einer Kindheitsszene aus den 1980er Jahren ein: Kerim beobachtet im irakisch-iranischen Grenzgebiet eine Gruppe alter Frauen, die zum Kräutersammeln in die Berge zieht. Die Idylle des Sommertages wird durch die Ankunft eines Militärhelikopters gestört, der die Frauen zu sich an Bord nimmt. Mit dem Wunsch, auch im Helikopter mitfliegen zu dürfen, läuft das Kind in Richtung des Landeplatzes: „Und tatsächlich kam die Maschine erneut heran, das Donnern wurde laut und lauter, bis er sich die Ohren zuhielt. Den Kopf im Nacken sah er die Frauen. Da fielen sie, eine nach der anderen stürzte aus der Luke, mit gebreiteten Armen glänzten sie auf im Licht, und wie um sie aufzuhalten, riss an ihren Gewändern der Wind.“74

Der Vater, der ebenfalls Zeuge des Überfalls wird, verbietet seinem Sohn, über das Ereignis zu sprechen. Das aus Kerims Perspektive geschilderte Verbrechen an der kurdischen Minderheit unter dem Regime Saddam Husseins markiert nicht nur das abrupte Ende der Kindheit, sondern auch den Abbruch der mit ihr verbundenen magisch-mythischen Wahrnehmung. Die Szene fungiert darüber hinaus als dem Roman eingeschriebene Urszene der politischen Gewalt, die, weil sie nicht symbolisiert wird, sich fortan reproduziert. So schildert der weitere Romanverlauf, wie sich der heranwachsende Kerim unaufhaltsam als Zeuge, Täter und Opfer in Szenarien der Gewalt verstrickt. Der deutsch-irakische Autor Sherko Fatah, 1964 in Ostberlin geboren und ab 1975 in Westberlin aufgewachsen, thematisierte bereits in seinem Debütroman Im Grenzland (2001), in der Erzählung Donnie (2002) sowie im Roman Onkelchen (2004) das Leben im iranisch-irakischen Grenzge-

73 Sherko Fatah: Das dunkle Schiff. Salzburg/Wien 2008. 74 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 7.

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biet.75 Fatah ist mit dem Sujet vertraut, da sein Vater aus dem Nordirak stammt und er selbst sich wiederholt für längere Zeit in der Grenzregion aufhielt. Auch sein vierter Roman, Das dunkle Schiff, für den der Autor im Nordirak recherchierte, spielt in dieser Gegend. Die Hauptfigur Kerim wächst als Angehöriger der kurdischen Minderheit im Nordirak unter der Diktatur Saddam Husseins auf, als deren Symbol eine Horde wilder Hunde fungiert.76 Als Kerims Vater, der ein kleines Gasthaus an einer Überlandstraße nach Bagdad betreibt, vor seinen Augen von zwei Geheimdienstagenten überfahren wird, muss der Junge dessen Arbeit im Gasthaus verrichten, um die Familie zu versorgen. Unterdessen ändern sich die politischen Umstände: das Hussein-Regime wird von den US-geführten Koalitionstruppen gestürzt und ein neuer Bürgerkrieg destabilisiert das Land. Kerims Leben ändert sich abrupt, als er auf einer Autofahrt von islamistischen „Gotteskriegern“77 entführt wird. Im Lager der Terroristen in den nordirakischen Bergen wird Kerim zum Selbstmordattentäter geschult. Der ehemals dicke Koch verwandelt sich durch militärischen Drill und religiöse Indoktrination zum asketischen Gotteskrieger. Als solcher muss er zusammen mit anderen rekrutierten Jugendlichen in einer „Bluthaus“78 genannten Lehmhütte Hundekadaver als Sprengbomben präparieren. Bevor jedoch die Reihe an Kerim kommt, durch ein Selbstmordattentat zum Märtyrer zu werden, gelingt ihm die Flucht nach Hause. Doch aus Angst vor der Rache der Gotteskrieger und aus Unfähigkeit, sich nach dem Aufenthalt im Terrorlager wieder in das alltägliche Leben einzufinden, beschließt er, den Irak zu verlassen. Ausgerüstet mit einem Bündel Dollarnoten, das er von den Gotteskriegern stahl, tritt er eine lebensgefährliche Flucht zu seinem in Berlin lebenden Onkel Tarik an. Als blinder Passagier im Containerraum eines Frachtschiffs reist er über das Mittelmeer nach Europa. Nach der Ankunft in Berlin lebt Kerim zunächst im Asylantenheim; als sein Asylantrag bewilligt wird, zieht er zu seinem Onkel. Doch Kerim bleibt in Berlin ein Fremder, es gelingt ihm nicht, in der neuen Umgebung heimisch zu werden. Er vereinsamt in der Anonymität der Groß-

75 Vgl. Sherko Fatah: Im Grenzland. Salzburg/Wien 2001, ders.: Donnie. Salzburg/Wien 2002, ders.: Onkelchen. Salzburg/Wien 2004. 76 Vgl. Fatah: Das dunkle Schiff, S. 50, 54. 77 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 86. 78 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 358.

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stadt und verliert den Bezug zu seiner irakischen Heimat. In der zunehmenden Isolation versucht er, Orientierung im Glauben zu finden, kann diesen jedoch nicht mehr von seinen Erlebnissen bei den Gotteskriegern trennen und wendet sich wieder dem religiösen Fundamentalismus zu, bis ihn eines Tages unvermittelt die Gewalt seines vergangenen Lebens einholt. Das dunkle Schiff thematisiert mit der Figur des Gotteskriegers den Typus des islamistischen Selbstmordattentäters, der, so Sigrid Weigel in ihrem Aufsatz Schauplätze, Figuren, Umformungen. Zu Kontinuitäten und Unterscheidungen von Märtyrerkulturen, mit den New Yorker Terroranschlägen von 2001 spektakulär auf die politische Agenda zurückkehrte,79 wie auch die von den Attentätern hinterlassenen „Geistlichen Anleitungen“80 belegen. Nach Weigel bezieht die Figur des Märtyrers ihre Brisanz aus der Verbindung von Bildsymbolen, Imaginationen und Affektkulturen. Darüber hinaus verdeutliche die Figur des Märtyrers exemplarisch die auch in der Moderne andauernden kulturellen Muster des Zusammenhangs zwischen dem Heiligen und der Gewalt sowie zwischen Opfer und Verehrung. Die Figur des islamistischen Selbstmordattentäters, der sich als Märtyrer versteht, trete im christlich-säkularen Europa als Wiedergänger auf, der Europa mit seiner eigenen christlichen Märtyrertradition konfrontiere. Während allerdings im Mittelpunkt der christlichen Märtyrerkultur das Leiden in der Nachfolge Christi und die Ausstellung dieses Leidens stehen, zeichne sich, so Weigel, die aktuelle Figur des religiös motivierten Selbstmordattentäters durch den Einsatz des Körpers als todbringender Waffe aus. Dabei werde der Selbstmordattentäter häufig durch soziale Verhältnisse, die ihn auf das nackte Leben (Agamben) reduzieren, determiniert, so dass der Opfertod als eine metaphysische Erhöhung erscheine: „Im Martyrium oder im Sterben auf den Status der Kreatur bzw. des Animalischen zurückgeworfen, schlägt die Reduktion des menschlichen Lebens auf das bloße Fleisch um in eine Sakralisierung des getöteten oder zerstörten Leibes.“81 Im Verbund mit einer Jenseitsökonomie transformiere die aktuelle Figur des Selbstmordatten-

79 Vgl. Weigel: Märtyrerkulturen, S. 11. 80 Hans G. Kippenberg/Tilman Seidensticker (Hg.): Terror im Dienste Gottes. Die „Geistliche Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001. Frankfurt am Main/New York 2004. 81 Weigel: Märtyrerkulturen, S. 14.

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täters Schwäche in Stärke und stelle damit eine „negative Gegenfigur zum Souverän“82 dar. Der Roman schildert die Märtyrer-Operationen einer kleinen Gruppe islamistischer Fundamentalisten in den Bergen Nordiraks, die gegen USamerikanische Kampftruppen und die mit ihnen kooperierende Bevölkerung kämpfen. Dabei leistet der Roman eine Art literarischer Mikroanalyse der Mechanismen und Muster der Märtyrerproduktion. Er beschreibt das karge und entbehrungsreiche Leben der Terroristen in provisorischen Hütten und Berghöhlen, die militärische Ausbildung mit Gewehr und Sprengstoff durch den ehemaligen Afghanistankämpfer Mukhtar, die Kerim zusammen mit einer Gruppe gleichaltriger Kriegswaisen durchläuft, sowie die religiöse Indoktrination durch einen charismatischen, nur als „Lehrer“83 bezeichneten Anführer, der über den Wertezerfall der westlichen Welt und die Stärke des Islam doziert. Die literarische Darstellung der Ausbildungsszenen im Berglager korrespondiert dabei mit den Körpertechniken, Indoktrinationsmechanismen sowie Lehrer-Schüler- beziehungsweise Vater-SohnBeziehungen, die der Ethnologe Thomas Hauschild in einem Aufsatz über al-Qaida als wesentliche Elemente der Märtyrerproduktion beschreibt.84 In der Romanhandlung allerdings bilden die von Kerim und den anderen Jugendlichen nach dem Ende der Ausbildung im Terrorlager ausgeführten Märtyrer-Operationen eine Leerstelle. Erst im Berliner Exil lassen willkürlich einsetzende Erinnerungsrückblicke das traumatische Ausmaß der von Kerim erlebten Gewaltszenen erahnen. Ein Gespräch zwischen Kerim und seinem Onkel Tarik, der ihn auffordert, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in Deutschland neu anzufangen, dient dabei als Schlüsselszene zu Kerims Vergangenheit bei den Gotteskriegern: „,Ich werde dich nicht drängen, es mir zu erzählen. Auch ich begnüge mich damit, froh zu sein, dass du hier bist. Du hast für dein Alter viel erlebt. Aber was auch immer du von dort mitgebracht hast, was immer du noch auf dem Schiff bei dir hattest, du musst es jetzt vergessen und etwas Neues beginnen.‘ ‚Ich habe nichts mitge-

82 Weigel: Märtyrerkulturen, S. 14f. 83 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 80. 84 Vgl. Thomas Hauschild: „Auf den Spuren von al-Qa’ida“. In: ders.: Ritual und Gewalt. Ethnologische Studien an europäischen und mediterranen Gesellschaften. Frankfurt am Main 2008, S. 151-184.

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bracht‘, erwiderte Kerim mit schwacher Stimme. Er starrte in die Richtung seines Onkels. Vor seinen Augen erstand klar und deutlich die Straße nach Diyala, dort, wo sie auf einem Marktplatz endete.“85

Die auf das Motiv des scheiternden Neuanfangs und der nicht symbolisierten Gewalt verweisende Gesprächsszene geht unmittelbar in eine erzählerische Rückblende über Kerims erste Märtyrer-Operation über. Er filmte in der nordirakischen Stadt Diyala mit einer Videokamera, wie sich der junge Kriegswaise Hamid mit einem Sprengstoffgürtel auf dem Marktplatz tötet. In einem späteren Stützpunkt lernt Kerim, aus dem Bildmaterial verschiedener Anschläge und Überfälle kurze Propagandafilme für das Internet zu schneiden: „Als es wieder Strom gab, saß er mit Rashid am Computer und bearbeitete die Bilder von der Tötung der Dorfleute. Da der Clip dazu bestimmt war, unter den Feinden und allen, die bereit waren, es durch Verrat zu werden, Furcht und Schrecken zu verbreiten, durften sie nur Längen herausschneiden. Wieder und wieder sah er deshalb Mukhtar die Reihe der gefesselten Knienden abschreiten, immer aufs Neue griff er einem nach dem anderen von hinten unter das Kinn, riss den Kopf in die Höhe und durchtrennte die Kehle. Sie regelten die Laute des Entsetzens, das gurgelnde Würgen der Sterbenden, das Blubbern und Pfeifen ihres im Blut erstickenden Atems herunter [...]“86

Die Textpassage führt die Herstellung von Bildern als „Primärwaffen“ vor, zu der Horst Bredekamp anmerkte: „Unter den Bedingungen des asymmetrischen Krieges haben sich die Bilder [...] zu Primärwaffen entwickelt. Über die Massenmedien und das Internet eingesetzt, dienen sie dazu, Konflikte über die Augen zu entgrenzen und mentale Prozesse in Gang zu setzen, die auf unmittelbarere Weise als zuvor den Waffengang selbst zu steuern oder gar zu ersetzen vermögen.“87 Die von Kerim bearbeiteten Gewalt-

85 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 356. 86 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 416f. 87 Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Ardorno-Vorlesungen 2007. Berlin 2010, S. 14.

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videos verstören als „Traumabilder“88 auch ihn als Produzenten, indem sie als verdrängte Erinnerungen zurückkehren. Das dunkle Schiff thematisiert mittels der zitierten Textpassage auch den Zusammenhang zwischen Bilderkrieg und Märtyrerkultur. Führt Sigrid Weigel die kulturelle Dynamik des Bilderkrieges auf die Kopplung der Reproduzierbarkeits- und Distributionsmöglichkeiten der neuen digitalen Medien mit Bildern archaischer Gewalt zurück,89 sieht sie in dieser Interaktion ein Merkmal der neuen Märtyrerkultur, die wirkmächtige Affekte mit Hilfe neuer Technologien global verbreitet. Wenn Weigel die Figur des Märtyrers weiterhin als „Medium kultureller Serienproduktion“90 bezeichnet, verweist dies zum einen auf den christlichen Ursprung der Märtyrerkultur als „Imitatio-Kultur“91 und damit auf den Aspekt der personellen Serialisierung als „Genealogie des Sterbens“92, zum anderen aber auch auf die massenmediale Reproduktion der Märtyrerbilder. Fatahs Roman beschreibt beide Aspekte dieser Serialität: Neben den im Internet zirkulierenden Propagandavideos schildert der Text auch die Rekrutierung einer neuer Märtyrergeneration. Am Beispiel Amirs, eines Berliner Jugendlichen mit Migrationshintergrund, den Kerim in einem Internetcafé kennenlernt, erzählt das Buch einen sich in Deutschland vollziehenden Radikalisierungsprozess. Anfangs nur Gewaltvideos im Netz konsumierend, sucht Amir schließlich Kontakt zu militanten islamistischen Randgruppen. Er lernt dabei, so die Romankonstruktion, die Gotteskrieger kennen, vor denen Kerim aus dem Irak flüchtete. Diese rekrutieren mittlerweile auch in Berlin Selbstmordattentäter und bilden Amir zum so genannten home grown terrorist aus. Auf der textuellen Ebene wird das Nachfolgemodell durch den Wechsel der Erzählperspektive verdeutlicht. Wurde die Romanhandlung bisher aus der personalen Erzählperspektive Kerims geschildert, erfolgt ein Wechsel zu Amirs Erzählperspektive, die seinen Veränderungsprozess vermittelt: „Je mehr er sich unterwarf, je schwächer er sich werden ließ, desto rascher wich jener Druck, der ihn immer begleitet hatte. Die kleinen Dinge seines Lebens, das er

88 Görling: Traumabilder. 89 Vgl. Weigel: Märtyrerkulturen, S. 21. 90 Weigel: Märtyrerkulturen, S. 20. 91 Weigel: Märtyrerkulturen, S. 21. 92 Weigel: Märtyrerkulturen, S. 20.

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kaum noch gespürt hatte, bekamen Bedeutung: Der Monat, der Tag, die Stunde, das Essen, die Waschungen und mit wem er Zeit verbrachte, alles wurde Teil einer großen Geschichte und umso gewichtiger, als diese nicht sehr lang und nur auf das Ende, das auch ihm irgendwann bevorstehende Opfer hin vor ihm entwickelt wurde.“93

Als Initiation muss Amir in einem Abrisshaus bei der Tötung eines Verräters zusehen. Nach dieser rituellen Aufnahme erhält er den Auftrag, Kerim für seinen Verrat zu töten. Dieser war bei einem Moscheebesuch von den Gotteskriegern erkannt worden. Amir lauert Kerim in einem dunklen Park auf und ersticht ihn. In der das Buch abschließenden Sterbeszene erinnert sich der langsam verblutende Kerim an die Worte seines Lehrers bei den Gotteskriegern. Dieser hatte Kerim über den Dschihad und über die Terroranschläge vom 11. September 2001 erzählt: „Oh ja, ich habe es gesehen im fernen New York. Ich habe dort lange in einer Blindenschule gearbeitet. Es war ein wunderschöner Tag, die Kinder und ich, wir waren auf der Straße, als es geschah, sie blickten ins Sonnenlicht, und ich wischte ihnen den Rotz von den Nasen. Dann habe ich ihnen erklären müssen, was vorgeht. Und während ich sprach und sprach, habe ich selbst verstanden, was ich sah: Meine Ahnung einer Vorahnung, mein verborgenster Schmerz, meine leiseste, nicht einmal in Verzweiflung geflüsterte Frage – all das war groß geworden im mir, hatte mich längst ausgefüllt, war gewachsen, um mich schließlich zu verlassen und dort, dort vor meinen Augen Gestalt zu werden. Der uralte, kleine Gedanke war Tat geworden, das kaum vernehmbare Wort, ersterbend leise hingemurmelt für jeden von uns, es hatte schließlich das Ohr erreicht [...] Ich habe die gigantischen Zwillingstürme einstürzen sehen [...]“94

Die Analepse der Sterbeszene illustriert zum einen die gleichnishafte und opake Rhetorik des charismatischen islamistischen Lehrers, zum anderen korrespondiert das Motiv der einstürzenden Zwillingstürme mit dem Motiv der aus dem Helikopter zu Boden stürzenden kurdischen Frauen des Prologs. Beide Textpassagen sind Bestandteil der von Doris Bachmann-Me-

93 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 425. 94 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 438f.

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dick analysierten „katastrophischen Absturzszenarien“95 der Literatur und illustrieren das „Fallen als eine prekäre Bewegungsform des 21. Jahrhunderts“96. Dem Motiv der vertikalen Fallbewegung steht Kerims horizontale Flucht- und Reisebewegung nach Europa gegenüber. Nachdem er von Schmugglern in eine türkische Hafenstadt gebracht wurde, versteckt er sich im Laderaum eines Containerschiffs. Im Versteck trifft er auf Toni, einen afrikanischen Flüchtling, der sich ebenfalls als blinder Passagier an Bord aufhält und exemplarisch das Schicksal der aus Afrika nach Europa aufbrechenden boats people und damit ein weiteres Migrationsschicksal repräsentiert. Aber die Schiffsmannschaft entdeckt die beiden Männer und setzt sie auf einem provisorischen Floß auf dem offenen Meer aus. Sie treiben an die Küste einer menschenleeren kleinen Insel vor der griechischen Küste, auf der die grausame Parodie einer Robinsonade einsetzt: Die Gestrandeten verhungern fast auf der Insel, bis ein vorbeifahrendes Fischerboot Kerim mitnimmt, Toni aber wegen seiner Hautfarbe zurücklässt. Das Schiffskapitel etabliert den mythischen Bildraum des Meeres, das als bedrohlich entgrenzende Oberfläche, als „dunkle[s] Wasser“97, erscheint. Die Erfahrung des existenziellen Ausgeliefertseins auf dem Containerschiff und auf dem Floß verfolgt den Nichtschwimmer Kerim bis in seine Berliner Träume: „Das ihn verschlingende, in seiner Tiefe dunkle Wasser, seine eigene Halt- und Atemlosigkeit, seine Furcht – das alles fasste er nie in die richtigen Worte. Manchmal aber erwachte er des Nachts im Heim mit dem sicheren Gefühl, soeben im Schlaf ertrunken zu sein.“98

Analog zu den nicht symbolisierten Gewalterfahrungen aus dem Irak kehrt auch das verdrängte Gefühl der Hilflosigkeit im anderen Schauplatz des Traumes zurück. Der mythische Bildraum des Meeres setzt sich im Schauplatz Berlin fort, den der Roman mit dem klassischen Topos der Großstadt als Häusermeer inszeniert. Auch in der Großstadt und ihren Menschen-

95 Doris Bachmann-Medick: „Fort-Schritte, Gedanken-Gänge, Ab-Stürze: Bewegungshorizonte und Subjektverortung in literarischen Beispielen“. In: Hallet/Neumann: Raum und Bewegung in der Literatur, S. 257-279, hier S. 275. 96 Bachmann-Medick: Fort-Schritte, S. 271. 97 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 227. 98 Fatah: Das dunkle Schiff, S. 281.

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strömen fühlt sich Kerim verloren und verspürt, „etwas gewissermaßen Überlebendes darzustellen“99. Bezeichnenderweise beginnt eine kurze, aber scheiternde Liebesbeziehung mit der deutschen Studentin Sonja auf einem zugefrorenen See, als Kerim in das Eis einbricht und sie ihn rettet. Dem mythischen Bildraum des Meeres mit seinen entgrenzenden und verschlingenden Qualitäten ist die im Prolog beschriebenen irakische Berglandschaft, eine „Landschaft wie eine geöffnete Hand“100, entgegengesetzt, die mit Sicherheit und Halt konnotiert ist. Zum Bildraum des mythischen Meeres ebenso zugehörig ist das polysemantische „dunkle Schiff“ des Romantitels: Es verweist auf das Containerschiff der Flucht, ist mit Hans Blumenberg gesprochen eine zentrale „Daseinsmetapher“101, fungiert als Transportmetapher für die fortwährende unsymbolisierte Gewalt und wird somit zur Leitmetapher einer prekären Existenz. Das dunkle Schiff unternimmt mit der Figur des islamistischen Selbstmordattentäters, der sich als religiöser Märtyrer versteht, auch den „Versuch, den Kopf des Feindes zu entern“102 , und gehört neben Christoph Peters’ Roman Ein Zimmer im Haus des Krieges103 zu den wenigen deutschsprachigen literarischen Auseinandersetzungen mit dem Motiv des islamistischen Gotteskriegers. Mit dem Topos der Gotteskrieger leistet Fatahs Roman auch einen Beitrag zur Dekonstruktion stereotyper Feindbilder, wie der Autor anmerkt:

99

Fatah: Das dunkle Schiff, S. 273.

100

Fatah: Das dunkle Schiff, S. 6.

101

Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am Main 1997.

102

So der Titel der Sammelrezension von Frauke Meyer-Gosau über bis 2006 erschienene Terror-Romane: „Versuch den Kopf des Feindes zu entern. John Updike, Christoph Peters, Chris Cleave, Marlene Steeruwitz, Yasmina Khadra und Abraham B. Jehoschua erkunden, wie nah die literarische Phantasie dem islamistischen Gotteskrieger kommen kann – sechs Romane über den Terrorismus.“ In: Literaturen 09 (2006), S. 54-61.

103

Christoph Peters: Ein Zimmer im Haus des Krieges. Berlin 2006. Der Roman über einen deutschen Konvertiten, der zum Selbstmordattentäter wird, spielt allerdings Anfang der 1990er Jahre in Ägypten.

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„Natürlich wäre es leicht gewesen, die als Idioten darzustellen, Extremisten, Fanatiker, die keine Ahnung haben von nichts und die für die falsche Sache kämpfen. Wenn die Sache so einfach wäre, wäre es nicht so ein Problem. Was mich interessiert hat, war, das am Extremismus dieser Färbung darzustellen, was für uns interessant wäre, was auch in Teilen das eigene Unbehagen der westlichen Welt an sich selbst widerspiegelt.“104

Darüber hinaus ist Das dunkle Schiff mit der Darstellung transitorischer Räume, die sich vom Terrorcamp über das Containerschiff bis zum Asylantenheim erstrecken, auch eine Migrationsodyssee des 21. Jahrhunderts. Tom Holert und Mark Terkessidis haben in ihrer Studie Fliehkraft. Gesellschaft in Bewegung – Von Migranten und Touristen105 auf den sich in der ökonomischen Globalisierung etablierenden Zusammenhang zwischen der Figur des Migranten und der Figur des Touristen verwiesen. Die mit dieser Mobilitätsdichotomie verbundenen Umstände bringt im Roman ein Bewohner des Berliner Asylantenheims auf den Punkt, wenn er über die Deutschen sagt: „,Sie leben seit sechzig Jahren in Frieden [...] Alles, was sie kennen, ist Tourismus.‘“106 Insgesamt eröffnet das Das dunkle Schiff als politischer Roman, wie der Literaturkritiker Jörg Magenau anmerkt, das Themenspektrum „Migration, Exil, und das Verhältnis von westlicher und orientalischer Welt“107 , in dem er ein durch Krieg und Migration beschädigtes Leben erzählt. Zugleich ist Fatahs Buch auch ein Reise- und Migrationsroman im Zeitalter der ökonomischen Globalisierung, der mittels einer literaturimmanenten Ästhetik die Kontaktlinien, Fremdheitszonen und Zwischenräume zwischen der westlichen und arabischen Kultur darstellt und damit einen nach dem 11. September immer wieder eingeforderten Dialog zwischen Orient und Okzident installiert. Denn das Meer und das Schiff sind nicht zuletzt auch genuine Symbole der Literatur und Dichtung, wie Durs Grünbein in seinem Essay

104

Sherko Fatah in Jörg Magenau: Über Terrorismus und Literatur, S. 4.

105

Tom Holert/Mark Terkessidis: Fliehkraft. Gesellschaft in Bewegung – Von Migranten und Touristen. Köln 2006.

106

Fatah: Das dunkle Schiff, S. 270.

107

Jörg Magenau: „Gotteskrieger sind einsam. Beklemmend eindrucksvoll: ‚Das dunkle Schiff‘ von Sherko Fatah“. In: Der Tagesspiegel vom 2. März 2008.

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Die Bars von Atlantis108 ausführt – allerdings im Bewusstsein, dass „Reisen [...] ein Vorgeschmack auf die Hölle“109 sein kann, die manchmal die Form eines Containerschiffs besitzt.

5. „Embedded Poet“: Tinte, Blut und Öl: Symbolisierungsverfahren in Thomas Lehrs September Fata Morgana (2010) Mit Thomas Lehrs September Fata Morgana110 erscheint im August 2010 ein Roman, dessen Handlung explizit das Motiv der New Yorker Terroranschläge aufgreift und dabei erstmals eine fiktionale deutsche Opferperspektive einführt. Hatte Else Buschheuer unmittelbar nach den Anschlägen die mediale Verwertung ihres New Yorker Internet-Tagebuchs durch die deutsche Boulevardpresse mit der Bemerkung kommentiert, dass sie als Anwohnerin für die Medien die Funktion fehlender deutscher Opfer einnehme,111 so erzählt Lehrs Roman die Verlust- und Trauergeschichte eines in den USA lebenden Deutschen. Die Romanfigur Martin Lechner, ein aus Bremen stammender Germanist und Goethe-Experte, der seit den 1970er Jahren in den USA lebt und mit einer Amerikanerin verheiratet war, verliert die gemeinsame Tochter Sabrina und seine geschiedenen Frau Amanda bei den Anschlägen auf das World Trade Center. Die Romanhandlung, die den Zeitraum September 2001 bis September 2004 umfasst, spannt einen Bogen von den New Yorker Terroranschlägen zum Irakkrieg. Parallel zu Martins Verlust- und Trauergeschichte erzählt der Roman über den irakischen Arzt Tarik, dessen Tochter Muna im September 2004 bei einem Bombenattentat auf einem Markt in Bagdad stirbt. September Fata Morgana zwingt die Leser zur Doppelwahrnehmung zweier Lebensgeschichten: einer akademischen Mittelschichtexistenz in der Global City New York und einem prekären Leben im Bagdad des Irakkrieges. Der Roman verschränkt damit zwei Biographien innerhalb der dichotomen Raumordnung nach 9/11 und eröffnet einen Dialog zwischen der

108

Durs Grünbein: Die Bars von Atlantis. Eine Erkundung in vierzehn Tauchgängen. Frankfurt am Main 2009.

109

Grünbein: Die Bars von Atlantis, S. 7.

110

Thomas Lehr: September Fata Morgana. München 2010.

111

Vgl. Buschheuer: New York Tagebuch, S. 205.

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westlichen und der islamisch geprägten Welt. Das Verhältnis von Okzident und Orient thematisiert der Roman, wie der Titel September Fata Morgana signalisiert, mittels zahlreicher Spiegelmetaphern und Korrespondenzbeziehungen auf thematischer und figuraler Ebene. So setzt die Erzählperspektive des irakischen Arztes Tarik mit einer Spiegelmetapher ein: „Schnippe an das Glas es genügt um auf die andere Seite zu kommen die feine Spiegelfläche löst sich auf und findet umgekehrt wieder zusammen wie aus tanzenden Scherben im Inneren des Gegenblicks der langsam zu sich kommt“112

Der Spiegel dient im Zitat nicht als visuelles Wahrnehmungs- und Verdopplungsmedium, sondern als Portal oder Passage und damit als Medium der Überschreitung. Generell haftet allen Spiegelmetaphern des Romans analog zur Fata Morgana etwas Flirrendes an. Denn sie zielen nicht auf gelingende Identifikationsprozesse ab, sondern vielmehr auf eine anhaltende, so die Rezensentin Judith von Sternburg, „west-östliche Spieglung“113. Die Verschränkung der westlichen und östlichen Perspektive realisiert der Roman mittels intertextueller Verfahren und stilistischer Kombinationen. So schließt der Text mit zahlreichen intertextuellen Verweisen an die orientalische Literatur und an die Tradition des west-östlichen Dialogs im Medium der Literatur an. Die intertextuellen Bezüge werden insbesondere durch Referenzen auf Goethes West-östlichen Divan, die orientalische Geschichtensammlung Tausendundeine Nacht, die mystische Liebeslyrik des persischen Dichters Hafis und die irakische Gegenwartslyrik geleistet. In stilistischer Hinsicht verbindet September Fata Morgana, so Helmut Böttiger, „die moderne, assoziativ wechselnde westliche Perspektive mit dem rhapsodisch-märchenhaften orientalischen Erzählen“114 .

112

Lehr: September, S. 22.

113

Judith von Sternburg: „Das Paradies, nicht zu wissen, was kommt“. In: Frankfurter Rundschau vom 15. September 2010.

114

Helmut Böttiger: „Babel. Thomas Lehrs erstaunlicher Roman ‚September‘ überspannt Orient und Okzident“. In: Süddeutsche Zeitung vom 16. August 2010.

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Diese Verschränkung verschiedener Erzählmodi wird durch das besondere Merkmal des Textes, keine Interpunktion aufzuweisen, unterstützt. Als Texteffekt verstärkt die fehlende Interpunktion den Fokus auf das Sprachmaterial und auf die poetische Funktion der Sprache. Der Textfluss wird durch die vier Erzählstimmen von Martin, Tarik, Muna und Sabrina strukturiert, die in jeweils den Figuren zugeordneten Unterkapiteln erzählen, wobei sich in den intern fokalisierten Erzählsträngen innere Monologe, Bewusstseinsströme, Erinnerungen und lyrische Passagen vermischen. Die Polyphonie der vier Stimmen wird durch ein dominantes Symbolisierungsverfahren strukturiert. Bereits die Titel der drei Hauptkapitel installieren mit den drei literarischen Symbolen Schiff, Turm und Paradies eine komplexe Symbolebene und eröffnen ein dichtes Verweissystem. Im Kontext des Romans werden die literarischen Symbole zusätzlich zu ihren kanonisierten Bedeutungen in immer neuen Kontexten resemantisiert.115 Das erste Romankapitel Das Schiff führt die Romanfiguren ein und endet mit den Anschlägen auf das World Trade Center. Das Schiff fungiert für die amerikanische Studentin Sabrina und die irakische Studentin Muna als Symbol der beginnenden Lebensreise, des Aufbruchs und der Jugend. Für Muna, die im totalitärem Regime unter Saddam Hussein aufwächst, kommt dem Schiff zusätzlich ein utopisches Moment zu: „ich wünsche mir ein Schiff unser Schiff Schwester wie die Arche Noah oder das große Segelschiff von Utnapischtim das der Sintflut entrann der Feuerwelle der Gewalt entrinnen mit allen verstümmelten unterernährten ausgemergelten todkranken Kindern die wir auf weißen sauberen kühlen Betten hinauffliegen in das Land das es noch nirgendwo gegeben hat oder etwa doch“116

Die Textpassage verbindet das biblische Motiv der Arche Noah aus der Genesis mit dem es prästrukturierenden Motiv der Sintflut aus dem 11. Buch des altsumerischen Gilgamesch-Epos, einem der ältesten literarischen

115

Vgl. zu den literarischen Symbolen das Metzler Lexikon Literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer und Joachim Jacob. Stuttgart/Weimar 2008.

116

Lehr: September, S. 63.

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Texte der Welt. Der Bezug auf das Gilgamesch-Epos evoziert die Kulturlandschaft Mesopotamiens, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, als Sitz der alten sumerischen und assyrischen Hochkulturen. Diese zeichneten sich durch zivilisatorische Höchstleistungen wie die Erfindung der Keilschrift und architektonische Meisterwerke wie das siebenstufige Zikkurat Etemenanki, das Ischtar-Tor und die Hängenden Gärten der Semiramis in Babylon, die als eines der sieben antiken Weltwunder galten, aus. In der Erzählgegenwart, dem Irak unter Saddam Hussein, mangelt es dagegen aufgrund des nach dem Zweiten Golfkrieg verhängten UN-Embargos an den lebensnotwendigsten Dingen wie medizinischer Grundversorgung, so dass Muna die Rettungsphantasie eines Schiffs als fliegender Ambulanz entwirft. Das Schiff kehrt im Roman weiterhin in zahlreichen Kontexten wieder, zum Beispiel als Flugzeugträger, auf dem der US-amerikanische Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 das vermeintliche Ende der Kampfhandlungen und die Einnahme Bagdads verkündete,117 als amerikanischer Mythos der Mayflower118 und als „Resolute Desk“119, dem Präsidentenschreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Schiffsplanken eines britischen Polarschiffs gezimmert wurde. Der Zukunftsoffenheit der Töchter sind die bereits fortgeschrittenen Biographien der Väter entgegengesetzt, die diese im Rückblick erzählen. Martins Lebensgeschichte gewährt mit den Stationen von Scheidung, Alkoholismus und Midlife-Crisis Einblick in die Befindlichkeiten der amerikanischen Mittelschicht. Die Biographie des irakischen Arztes Tarik eröffnet hingegen einen Blick auf die Geschichte des Iraks seit den 1970er Jahren. Tarik, der 1967 nach seinem Einsatz im Sechs-Tage-Krieg nach Paris geht, um Medizin zu studieren, kehrt 1974 als junger Arzt in sein Heimatland zurück, voller Hoffnung auf Veränderungen durch das Erleben der 1968er Studentenbewegung: „es würde sich rezivilisieren weil es die älteste der Zivilisationen schon in sich trug und das Rad und die Schrift erfunden hatte“120. Er erlebt den Aufstieg Saddam Husseins, die Verfestigung dessen totalitären Regimes, den Ersten und Zweiten Golfkrieg sowie die prekären

117

Vgl. Lehr: September, S. 360.

118

Vgl. Lehr: September, S. 38.

119

Lehr: September, S. 317.

120

Lehr: September, S. 52.

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Lebensbedingungen unter dem UN-Embargo. Tarik und seine Familie, seine Frau Farida, die Töchter Jasmin und Muna sowie der Sohn Sami, leiden wie der Rest der Zivilbevölkerung unter dem Terror des Regimes, der Gleichschaltung, Indoktrinierung und Propaganda, der einzig im geschützten Familien- und Freundeskreis mit zynischen Humor begegnet werden kann, obwohl selbst auf Witze-Erzählen die Todesstrafe droht. Tariks Lebensgeschichte und Munas Schilderungen des Schulalltags beschreiben detailliert die Alltagsrealität im Irak und offenbaren die grausamen Absurditäten des Hussein-Regimes. Das Schiffskapitel endet mit dem Medienereignis 11. September, das zuerst aus Tariks Perspektive geschildert wird, der sich in Bagdad auf dem Nachhauseweg befindet: „ich sehe durch die Scheiben eines Restaurants in der Jordan-Straße von links nach rechts zuckende Schrift wild gestikulierende TV-Reporter die Feuer- und Trümmerwolke die aus den Wolkenkratzern hervorquillt wie blühendes Mark aus den Stängeln einer Blume hinter dem Glas eines Bildschirms auf der Theke eines Restaurants am Nisur-Platz ein Wolkenkratzer ein zweiter brennender Turm ich sehe durch das Fenster wie in den geöffneten Schädel eines Irren es ist das World Trade Center beide Türme brennen und ich wende mich ab für eine Sekunde als könnte ich es ausblenden“121

Die zweifache Rahmung von Tariks Blick durch das Restaurantfenster und den Fernsehapparat betont die visuellen Perspektivierungen und Produktionsprozesse der 9/11-Bilder. Die Beschreibung der Fernsehbilder verweist mittels des Vergleichs der brennenden Twin Tower mit dem Stengel einer gebrochenen Blume auf rhetorische Eigenheiten der lokalen Rezeption des globalen Medienereignisses in Bagdad und damit auch auf das Paradox der räumlichen Ver- und Entortung von Medienereignissen, während der Vergleich der Fernsehbilder mit dem „geöffneten Schädel eines Irren“ die sofortige moralische Verurteilung der Tat impliziert. An Tariks Beschreibung der Medienbilder schließen sich Martins nachträgliche Erinnerungen an den 11. September 2001 an. Er verbringt den Tag

121

Lehr: September, S. 138f.

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am Schreibtisch in seinem Haus in Amherst, einer Kleinstadt 150 Meilen nördlich von New York, in der er an der University of Massachusetts lehrt. Erst am Nachmittag erfährt er durch einen Telefonanruf von Seymour, dem neuen amerikanischen Ehemann seiner Exfrau, von den Anschlägen und davon, dass sich Sabrina und Amanda in den Türmen aufhielten, und schaltet daraufhin den Fernseher ein: „DER FERNSEHAPPARAT ich bin da es ist da ich (werde es niemals berühren können ich) stehe auf dem gläsernen fliegenden Teppich zweihundert Meter hoch in der Luft über Downtown Manhattan vor dem Oberkörper eines CNN-Reporters“122

Die in Präsens verfasste Erinnerungspassage verweist auf die latente Fortdauer des Schocks und der Sprachlosigkeit angesichts der Fernsehbilder, die im Zitat eine Leerstelle darstellen, und auf die nur der „FERNSEHAPPARAT“ als Metonymie verweist. Auf der textuellen Ebene wird Martins Schockreaktion durch die fragmentierte Syntax, die Absatzgestaltung und das Fehlen einer Bildbeschreibung realisiert. Die Evidenz bezeugenden Bilder kann Martin erst nach der Überblendung der Perspektive des CNNReporters, der im Hubschrauber über Manhattan fliegt, mit dem Bild eines „gläsernen fliegenden Teppich[s]“ ertragen: „es wird nur Zeit sich zu spalten mein Bruder etwas von uns muss über den Dingen stehen über dem gläsernen Teppich über dem zerkochten zerrissenen zerstörten Herz es wird jetzt unerbittlich klar der in der Höhe des 80. Stockwerks aus einem klaffenden Schlitz qualmende Nordturm

122

Lehr: September, S. 141, Hervorhebung und Leerzeile im Original.

200 | T RAUMATISCHE T EXTUREN

BREAKING NEWS AMERICA UNDER ATTACK TERRORISTS CRASH HIJACKED AIRLINES

CNN

INTO WORLD TRADE CENTER; PENTAGON

LIVE“123

Paradoxerweise ermöglicht der Schutzschirm des Phantastischen mit dem Bild des fliegenden Teppichs die Anerkennung des Realitätsprinzips und die Referenz auf den brennenden Nordturm. Jedoch die abermals fragmentierte Syntax, die Dissoziationsmetapher der Spaltung und die montierten Headlines der Nachrichtenmedien erzeugen auch innerhalb dieser Textpassage keine kohärente Narration und verweisen so auf die Andauer des Schocks und der gestörten sprachlichen Symbolisierung. An die Fernsehszene schließen sich die von Martin wiedergegebenen Erlebnisse Seymours an, der in New York durch die Medienberichterstattung vom Einschlag des ersten Flugzeuges in den Nordturm des World Trade Center erfährt und zum Gebäude eilt. „er war nur etwa 400 Meter entfernt horizontal er war noch eine Minute entfernt vom Zusammenbruch der ersten Turms er hatte Dutzende Male versucht Amanda zu erreichen er stand unversehens in einer ungeheuerlichen Säule wirbelnden Papiers vor der Siegesparade des Terrors durch deren Schneetreiben hindurch die Fassaden der Türme glänzten aus denen Menschen fielen wie Tränen“124

Die Wiedergabe einer anderen Perspektive ermöglicht Martin eine Distanzierung und damit Sprachgewinnung, die angesichts der Metaphernfülle der Textpassage deutlich wird. Zudem ergänzt Seymours Augenzeugenperspektive die mediale Zuschauerperspektive von Martin. Trotz der realen Anwesenheit in Manhattan zu Füßen der Türme und der Medienberichterstattung leiden beide Männer jedoch an der Virtualität des Todes. Denn für sie stellen die Medienikonen des 11. September zugleich die entindividualisierten Todesbilder von Amanda und Sabrina dar, die keine auf den Körper bezogene Symbolisierung des Todes aufweisen.125

123

Lehr: September, S. 142, Hervorhebung und Leerzeile im Original.

124

Lehr: September, S. 143.

125

Vgl. zu Todesbilder Birgit Richard: Todesbilder, Kunst, Subkultur und Medien. München 1995.

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Das zweite Romankapitel Die Türme setzt ein Jahr später ein. Martin ist aus Amherst nach New York gezogen und durchläuft einen individuellen Trauerprozess, der in den kollektiven US-amerikanischen Trauerprozess eingebunden ist, der zunehmend durch die Regierung gelenkt in Patriotismus und den Wunsch nach Vergeltung umschlägt. Auch für Martin stellt die im Oktober 2001 einsetzende Bombardierung Afghanistans und der anschließende Sturz des Talibanregimes zunächst eine unvermeidbare Reaktion dar: „mich trösteten die Bomben nicht im Geringsten ich wollte nur eine erbarmungslose (nein: effektive) Verbrecherjagd“126. Dann aber kann er sich dem psychosozialen Prozess, Trauer in Aggression umzuwandeln, wie ihn Butler in ihrem politischen Essay Gefährdetes Leben beschrieb, entziehen: „aber man hat kein Recht auf Hass es gibt kein Recht es ist nur so leicht so natürlich so widerlich menschlich mache eine Milliarde Muslime für einige hunderte Wahnsinnige verantwortlich ich habe es nicht vor und ich kann doch nicht verhindern ganze Länder zu verachten wegen ihrer Rückständigkeit ihrer Aggressivität ihrer wirtschaftlichen Erbärmlichkeit ihrer Unfähigkeit für die Gesundheit die Bildung und den Wohlstand ihrer Bewohner ausreichend zu sorgen tagelang dann wieder die Angst der Überdruss die Müdigkeit das drückende schlechte Gewissen der Ölfresser-Nationen [...] die alte arabische Kultur interessierte mich wenig als ich anfing über Goethe und Marianne zu lesen nur die Architektur und die rätselhafte Schrift die ich schon immer hatte entziffern wollen und einige Gedichte vielleicht oder die Märchen aus Tausendundeiner Nacht die Sabrina so gerne las WESHALB HASSEN SIE UNS SIE die hasserfüllten Terroristen WIR die zivilisierte Menschheit das einfache Bild auf allen Kanälen aber wie sieht das zutreffende aus“127

Martin versucht, die politischen Hintergründe der Terroranschläge zu verstehen, beginnt Fragen nach dem Verhältnis zwischen westlicher und islamisch geprägter Welt zu stellen, nach Geschichte, Politik und Wirtschaft.

126

Lehr: September, S. 184.

127

Lehr: September, S. 200f., Hervorhebung im Original.

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Um eine komplexe Antwort zu finden, die „das einfache Bild auf allen Kanälen“ und damit die in der Textpassage aufgestellte Dichotomie von „SIE“ und „WIR“ übertrifft, legt er in der Folge ein nahezu faustisches Wissenwollen an den Tag. Als Germanist und Goethe-Forscher nimmt er sich sein Forschungsobjekt Goethe zum Vorbild, dessen Interesse für Politik, Geschichte und den Islam für ihn an neuer Aktualität gewinnt. Insbesondere Goethes autobiographischer Prosatext Kampagne in Frankreich, der dessen Teilnahme am preußisch-österreichischen Kriegszug gegen das republikanische Frankreich schildert, erscheint Martin als Indiz, dass Goethe in Hinblick auf das „Verhältnis von Literatur und Krieg“128 auch in der Gegenwart einen aktuellen Bezugspunkt darstellt. So bezeichnet er Goethe als „embedded poet“129, einer Abwandlung von embedded journalist als Bezeichnung für einen in die Militäreinheit integrierten Kriegsberichterstatter. Martin beginnt, im Netz und in der Public Library am Bryant Park über „die Auseinandersetzung der arabischen Welt oder vielmehr islamischen Länder mit dem Abendland [...] im gerade verstrichenen Jahrtausend“130 zu recherchieren, über die Attentäter vom 11. September, über die Geschichte Afghanistans und über die Ölindustrie. Zudem führt er mit Seymour lange Gespräche über die weltpolitische Lage, die Züge eines transatlantischen Dialogs annehmen, in dem unterschiedliche Politikverständnisse und Mentalitäten aufeinandertreffen. Zunehmend gelingt es Martin, neben seiner persönlichen Trauer die Anschläge vom 11. September auch in eine Geschichte von Kriegen und Konflikten einzuordnen. Zum Symbol dieses Politik-Komplexes wird der Turm: „wir spielen SCHACH mein Freund das alte orientalische Spiel der Türme (in deren tiefem Inneren wir hilflos stecken) Türme befehligt von KÖNIGEN PRÄSIDENTEN KANZLERN ANFÜHRERN“131

128

Lehr: September, S. 413.

129

Lehr: September, S. 413.

130

Lehr: September, S. 206f., Hervorhebung im Original.

131

Lehr: September, S. 201, Hervorhebung im Original.

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Der Turm wird zum Symbol für politische Machtstrategien, die das Einzelindividuum nicht mehr überblicken kann, aber in deren Konsequenzen und Handlungsketten es unvermeidlich eingebunden ist, ob nun in den USA, im Irak oder andernorts. Damit wird dem nach dem 11. September oft plakativ angeführten Kampf der Kulturen132 der politische Machtdiskurs entgegengesetzt. Der Turm tritt im Roman weiterhin in verschiedenen Kontexten auf: als Turm zu Babel, der die Stadt Babylon als mythische Großstadtfiguration evoziert, die entscheidend den New York Topos prägte, als die Türme des World Trade Center und als die historische Stadt Babylon, deren Fundamente Muna auf einer Reise mit ihren Eltern besichtigt133. Die Mechanismen politischer Macht veranschaulicht zudem das Unterkapitel „Embedded President“134 , das die Anbahnung des Irakkrieges schildert und ein kritisches literarisches Porträt über George W. Bush, den „PRESIDENT OF WAR“135 darstellt, das zuweilen Züge einer Geschichtssatire annimmt. Das dritte Romankapitel Das Paradies erzählt kontrastierend zum Titel über den Irakkrieg, die „OPERATION IRAQI FREEDOM“136. Es verschränkt die mediale Zuschauerperspektive Martins mit Tariks und Munas Erleben der Kriegsrealität in Bagdad. Für Martin stellt der Irakkrieg einen technologisch hochgerüsteten Fernsehkrieg in Echtzeit dar: „Krieg als Fortsetzung des Computerspiels mit verheerenden Mitteln ein blitzartiges Zerfleischen der Angriffs- und Verteidigungsorgane des Gegners durchdacht von intellektuell wirkenden und auch tatsächlich promovierten jungenhaften Generälen digitalen Technikern des Todes die in Qatar in einer Wüsten-Zeltstadt ihr Central Command unterhielten“137

Die literarische Darstellung des Irakkrieges in September Fata Morgana thematisiert die Medialisierung des modernen Krieges, in dem Medien

132

Vgl. Samuel Hungtinton: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Berlin 1998.

133

Vgl. Lehr: September, S. 261.

134

Lehr: September, S. 315.

135

Lehr: September, S. 323, Hervorhebung im Original.

136

Lehr: September, S. 351, Hervorhebung im Original.

137

Lehr: September, S. 352.

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zeitgleich der Kriegsführung und Kriegsberichterstattung dienen.138 Der Roman stellt damit die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Krieg, die die Frage nach der Medienkonkurrenz der Berichterstattung evoziert, für die der Roman den Begriff „embedded poet“ vorschlägt und mittels einer konsequenten Semantisierung der Form eine eigene Antwort findet. Tariks Familie zieht sich zu Beginn des Irakkrieges zusammen mit Verwandten in ihren alten Familiensitz am Rand von Bagdad zurück. Tarik und Muna schildern die irakische Perspektive des Krieges, sie verfolgen zwar auch die Medienberichterstattung, aber erleiden auch die realen Auswirkungen des Angriffs auf Bagdad: „wir wiegten uns mit geschlossenen Augen stundenlang im Dunkeln wir krallten uns am Flimmern der Bildschirme fest während die Hauswände bebten“139. Den Kriegsalltag verdeutlicht auch eine Passage über Muna und ihre zwei Cousinen, mit denen sie das Zimmer teilt: „wir kramten das Fitness-Video eines amerikanischen Super-Modells aus das in Manhattan aufgenommen worden war einige Sequenzen spielten vor einem roten Wassertank auf dem Dach und man sah all die Hochhäuser in ihrer maßlosen Staffelung und dazwischen immer wieder die beiden noch unversehrten Türme des World Trade Centers wir drei knapp zwanzigjährige Frauen versuchten in dem engen Zimmer dessen Tür wir verrammelten wenigstens einige der platzsparenden Übungen nachzumachen um nicht vollkommen steif und ungelenk zu Tode gebombt zu werden“140

Die groteske Szene der irakischen Studentinnen, die als momentane Ablenkung und minimale Freiheit hinter verschlossener Tür ein Sportvideo aus Manhattan ansehen, während amerikanische Bomben auf Bagdad fallen, evoziert metonymisch den Ausnahmezustand des Krieges. Tariks Familie übersteht die Zeit der Bombardierung letztlich unverletzt und begrüßt den Sturz Saddam Husseins: „niemand konnte es fassen wie schnell dieser ganze ungeheuerliche Apparat zerfiel der jahrzehntelang wie eine Bleiplatte

138

Vgl. zum Komplex Literatur und Krieg Christa Karpenstein-Eßbach: Orte der Grausamkeit. Die Neuen Kriege in der Literatur. München 2011.

139

Lehr: September, S. 371.

140

Lehr: September, S. 371.

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auf uns gelegen und das Blut aus unserem Körper gepresst hatte“141. Muna verfolgt im Fernsehen den Sturz „der Saddam-Statue auf dem Paradiesplatz“142 am 9. April 2003 und die Verhaftung Saddam Husseins am 13. Dezember 2003 in der Nähe von Tigris. Die Nachrichtenbilder beider Ereignisse zählen zu den Schlüsselbildern des Irakkrieges und lagerten sich im WTC Bildkomplex an. September Fata Morgana überführt die Medienbilder in eine Romanhandlung. Mit dem Motiv des Irakkrieges, den die von den USA angeführten Koalitionstruppen im März 2003 begonnen, und der offiziell erst im August 2010 mit dem Abzug der US-amerikanischen Kampftruppen zu Ende ging, thematisiert September Fata Morgana die anhaltenden und ergebnisoffenen weltpolitischen Folgen des 11. September. Denn trotz des schnellen Sturzes des Hussein-Regimes und der Wahl einer irakischen Regierung nach dem Ende der Besatzungszeit ist die politische Lage im Irak nach wie vor instabil, die gewaltvolle Vergangenheit von drei nacheinander folgenden Kriegen und einer jahrzehntelangen Diktatur kollektiv noch lange nicht verarbeitet. Vielmehr herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, bestimmen Gewaltkriminalität, Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen und permanente Bedrohung durch Selbstmordattentäter und Bombenanschläge das Leben im Irak. September Fata Morgana beschreibt, wie nach dem Ende der HusseinÄra und mit dem Beginn der Besatzungszeit sich die Lebensbedingungen von Tariks Familie immer mehr verschlechtern. Muna muss ihr begonnenes Studium der Archäologie und Alten Geschichte abbrechen, da es wegen der täglichen Anschläge und Entführungen für sie zu gefährlich ist, sich in Bagdad frei zu bewegen. Sie kann sich fortan nur noch zuhause aufhalten und im Haushalt helfen. Währenddessen radikalisiert sich der Bruder Sami, nachdem er einen Überfall überlebte, bei dem ein Nachbar vor seinen Augen erschossen wurde. Er schaut sich Gewaltvideos von al-Qaida im Netz an und gerät in fundamentalistische Kreise. Als er sich mit der ethnisch motivierten Ermordung von Munas Freund Nabil schuldig macht, hat der Krieg endgültig die familialen Nahräume erreicht. Schließlich wird noch Tariks Arztpraxis von Plünderern ausgeraubt und verwüstet und Tarik bilanziert verzweifelt die politische Lage:

141

Lehr: September, S. 371.

142

Lehr: September, S. 374.

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„der ganze Auswurf von Gewalt den wir jetzt täglich sehen scheint mir so nur wie ein Sichtbarwerden ein vulkanisches Durchbrechen des unterirdischen Hasses dessen Lava seit drei Jahrzehnten unter der Kruste brodelt aber so leicht ist es nicht im Moment scheint alles doch um so viel schlimmer geworden zu sein als es war es ist nur leicht zu sehen [...] dass jedes Land innerlich verrottet das seine Gefängnisse zu Kerkern und seine Wärter zu Folterknechten macht die orangefarbenen Overalls von Guantánamo jener mit Elektroschockkabeln verdrahtete Kapuzenmann auf der Kiste die nackten Menschenpyramiden von Abu-Ghraib werden sich ins Mark der so genannten freien Welt graben wie das Emblem der brennenden Türme“143

Tariks Reflexionen beziehen sich mit der Medienikone des brennenden World Trade Center und den Protestikonen des ‚Kapuzenmanns‘ und der Gefangenen aus Guantánamo auf die neuen Politiken der Bilder und den Bilderkrieg seit 2001. Die zurückliegenden, auch im Wortsinn unterirdischen politischen Gewaltaten im Irak werden mit den explizit sichtbaren Gewaltbildern des Irakkrieges kontrastiert. Weiterhin erwächst seine Verbitterung aus der Erfahrung, dass nach dem lange ersehnten Ende des Hussein-Regimes der Westen die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllt und die Lebensumstände im Nachkriegsirak immer prekärer werden. Tarik, der für sich selbst einen „poetischen Atheismus“144 proklamiert, ist seit seinem Auslandsstudium ein Anhänger der westlichen politischen Ideale. Deshalb ist er umso mehr vom Westen enttäuscht, als dieser seine eigenen Ideale von Demokratie und Menschenrechten im Krieg gegen den Terror, exemplarisch mit dem Folterskandal von Abu Ghraib und dem Gefangenlager Guantánamo, verrät. Als Metapher für die nicht gelingende staatliche Stabilisierung des Iraks führt der Roman als Anspielung auf Hobbes Leviathan ein Chamäleon ein, das sich Tarik imaginiert:

143

Lehr: September, S. 381.

144

Lehr: September, S. 436.

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„wo war ich stehengeblieben beim Riesen oder Leviathan der natürlich zersprungen ist zerborsten in Stücke gebombt es bleibt also das bunt schillernde hoch verletzliche Innere des Staates übrig das keinen Panzer mehr hat also ein Chamäleon ohne Schutz“145

War das Romankapitel über den Irakkrieg mit dem Paradies-Motiv überschrieben, findet sich dieses in unterschiedlichen Kontexten als Garten, Erinnerungsmetapher und theologische Vokabel wieder. Als Garten Eden stellt das Paradies mit Michel Foucault einen Gegenort dar: „Aber das älteste Beispiel einer Heterotopie dürfte der Garten sein, eine jahrtausendealte Schöpfung, die im Orient ohne Zweifel magische Bedeutung besaß. [...] Bedenkt man nun, dass die Orientteppiche ursprünglich Abbildungen von Gärten waren – also buchstäblich ‚Wintergärten‘ –, wird auch die Bedeutung der legendären fliegenden Teppiche verständlich, der Teppiche, die durch die Welt flogen. Der Garten ist ein Teppich, auf dem die ganze Welt zu symbolischer Vollkommenheit gelangt, und zugleich ist er ein Garten, der sich durch den Raum bewegen kann. [...] Der Garten ist seit der frühesten Antike ein Ort der Utopie.“146

Als Heterotopie verbindet der paradiesische Garten auch in September Fata Morgana unterschiedliche Zeitschichten und Räume. Der Paradies-Topos verweist beispielsweise auf den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris als Standort des Garten Eden, wie er in der Bibel (Genesis 2,14) überliefert und beispielsweise auf der mittelalterlichen Ebstorfer Weltkarte illustriert wird. In der realen Topographie des Iraks liegt am Zusammenfluss beider Flüsse der Ort Al-Quran, der 75 Kilometer von Bagdad entfernt ist. Ein eingemauerter Garten am Flußufer mit einem als Adam’s Tree bezeichneten Baum wurde zu Zeiten, in denen es noch möglich war, als Tourist den Irak zu bereisen, den ausländischen Besuchern vorgeführt. Gegenwärtig sind Reisen in den Irak kaum möglich, da die Sicherheitslage außerhalb der in-

145

Lehr: September, S. 393.

146 Michel Foucault: Die Heterotopien. Les hétérotopies. Der utopische Körper. Le corps utopique. Zwei Radiovorträge. France Culture, 7. und 21. Dezember 1966. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Michael Bischhoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt am Main 2005, S. 14f.

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nerstädtischen Zone von Bagdad zu gefährlich ist – und damit auch das Paradies in der Kriegszone liegt. Der paradiesische Garten erscheint weiterhin als Sehnsuchtsort eines friedlichen Zusammenlebens im Motiv der Hängenden Gärten, die sich Muna imaginiert,147 in Form eines Bagdader Dachgartens mit Gingko- und Feigenbäumen,148 des New Yorker Central Parks,149 in dem Martin und Seymour joggen, und als Vision eines Früchtestilllebens aus Afghanistan150. Martin dagegen verbindet den Begriff des Paradieses mit den Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit: „das PARADIES (sagt es den Mördern überschreibt die so genannten Heiligen Bücher schreit es in die Welt) ist nichts als eine einzige Szene in der Vergangenheit die man immer wieder betreten kann ohne zu wissen dass man hier schon tausendmal war und ohne zu wissen was kommt“151

Der Vergleich des Paradieses mit einer „Szene der Vergangenheit“ proklamiert eine individuelle, säkularisierte Vorstellung vom Paradies, die den ideologischen Aufladungen, insbesondere im Kontext fundamentalistischer Selbstmordattentate, gegenübersteht. Vor dem Hintergrund seines Verlustes werden die Erinnerungen an Amanda und Sabrina für Martin zum zeitlosen paradiesischem Ort. Neben den erwähnten Symbolen strukturieren weiterhin die fluiden Bildfelder von Blut, Tinte und Öl den Roman. Das Blut steht im Bezug zur geschilderten Gewalt des Staatsterrors, des Terrorismus und des Krieges, gilt es doch als klassisches Symbol für Gewalt, Sterben und Opferbereit-

147

Vgl. Lehr: September, S.164.

148

Vgl. Lehr: September, S. 211.

149

Vgl. Lehr: September, S. 272.

150

Vgl. Lehr: September, S. 252.

151

Lehr: September, S. 159, Hervorhebung im Original.

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schaft.152 Der Konnex von Blut und Tinte markiert in der christlichen als auch in der sunnitischen und schiitischen Märtyrerkultur den Zusammenhang zwischen textueller und ritueller Kohärenz. Die durch Blutvergießen erzeugte rituelle Kohärenz wird durch textuelle Kohärenz in Form von Hagiographien und Märtyrernarrativen überliefert, die wiederum zur rituellen Kohärenz und damit zur Märtyrerreproduktion führt.153 In September Fata Morgana tritt der Konnex von Blut und Tinte im Märtyrerkomplex am Beispiel der Selbstmordattentäter des 11. September hervor, über deren hinterlassene Aufzeichnungen Martin recherchiert. Allerdings wird diese Gewaltdynamik in der islamischen Kultur abgelehnt, wie die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth anhand eines Ausspruches des schiitischen Imams Ja’far al-Sadiq aus dem achten Jahrhundert zeigt: „Am jüngsten Tag wird Gott der Erhabene die Menschen an einem einzigen Ort versammeln und die Wagen aufrichten, um das Blut der Märtyrer und die Tinte der Gelehrten gegeneinander zu wiegen. Dann wird die Tinte der Gelehrten schwerer wiegen als das Blut der Märtyrer.“154

Die angesprochene Opposition von Blut und Tinte im Sinne von Opfer, Gewalt und Krieg versus Schrift, Wissen und Poesie ist im Roman in vielen Konstellationen zu finden. So stehen bereits die beiden Vaterfiguren Martin und Tarik in Beziehung zu beiden Bildbereichen. Als Philologe steht Martin in Bezug zur Tinte, interessiert sich aber als Goetheforscher nicht nur für philologische Fragen, sondern betreibt auch biographische Recherchen zu Goethes Frauen und damit über Gefühlswelt, Emotion und Passion, als

152

Vgl. Lehr: September, S. 134, 175 und den Eintrag „Blut“ im Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 53f.

153

Vgl. Angelika Neuwirth: „Blut und Tinte – Opfer und Schrift: Biblische und koranische Erinnerungsfiguren im vorderorientalischen Märtyrerdiskurs“. In: Andreas Kraß/Thomas Frank (Hg.): Blut und Tinte: Politik, Erotik und Poetik des Martyriums. Frankfurt am Main 2008, S. 25-58 und Weigel: Märtyrerkulturen.

154

Neuwirth: Blut und Tinte, S. 25.

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deren Symbol das Blut auch fungiert. Als Arzt interessiert sich Tarik nur für Blut im medizinischen Kontext. Im Zusammenhang einer Erinnerung über die politischen Ideen und marxistischen Lektüren seiner Studentenjahre lehnt er Blut als Symbol ab: „ich glaube nicht genügend an die Möglichkeit große Menschenmengen direkt ins Paradies auf Erden zu steuern und all diese Gedankenflüge über die Völker und ihre Bestimmung auf Erden erschienen mir wie Räusche wie Bluträusche der Macht ich konnte eigentlich und kann bis heute nur ganz klar ganz im Detail (das Atom das Herz der Kreislauf die Freundschaft der Bau von Arztpraxen und Kliniken) oder ganz dichterisch (das Universum die Liebe) denken obwohl ich mich bemühe und lerne“155

Als Medium des symbolischen Ausdrucks setzt Tarik nicht auf Märtyrerblut, sondern auf Tintenströme. Die Bücher- und Literaturliebe verbindet ihn mit seiner Ehefrau Farida, die er in Bagdad „vor den Buchauslagen in der von Papier und Binderleim Blattgold Tinte Dichterwahn Philosophenweisheiten überspülten verwinkelten Gasse des Suk as-Saray“156 kennenlernte. Als seine schiitische Frau mit der ältesten Tochter Jasmin an einer Pilgerreise nach Kerbela teilnimmt, lehnt er dies als nicht praktizierender Sunnit ab: „ich hasse diese Wundenseligkeit dieses unnötige Blut (überall im Land fehlen Konserven) diesen Märtyrer-Kult ich bin Arzt“157. Aber er gesteht seiner Frau diese Form der für sie wichtigen religiösen Bewegung zu, die für diese eine Art Heilung darstellt. Das durch die Tinte eröffnete Bildfeld beinhaltet auch die Lyrik, der im Roman eine zentrale Rolle zukommt. So studiert Sabrina zwar am MIT in Boston Naturwissenschaften, schreibt nebenbei aber Gedichte. Muna imaginiert sich als Dinarasad, der Schwester von Scherezad aus Tausendundeine Nacht, während Tarik polemische Gedichte gegen das Regime verfasst. Martin beschäftigt sich professionell mit Hafis und Goethes Dichtungen. Zudem sind in den Roman zahlreiche Gedichte integriert, u.a. von Goethe, Hafis, Friedrich Rückert und Walt Whitman. Auch die interne Fokalisation

155

Lehr: September, S. 73.

156

Lehr: September, S. 71f.

157

Lehr: September, S. 389.

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der vier Stimmen enthält lyrische Passagen, die vor allem der sprachlichen Selbstexploration und dem individuellen Ausdruck dienen. In einer von Sabrina intern fokalisierten Textpassage thematisiert der Roman das Genuine der Lyrik: „Traumfelder[n] der Sprache auf denen die Wörter ganz neu zu behandeln sind zu begrüßen wie Unbekannte jedes und noch das Verbrauchteste und Vertrauteste als Neuankömmling der zu allem fähig ist und berührt werden will und lange gewogen“158

Das dominante Symbolisierungsverfahren des Romans korrespondiert mit lyrischen Verfahren, die Symbole des Schiffs und des Gartens gelten auch als Symbole der Poesie und der schöpferischen Inspiration. Dem poetischen Sprachgebrauch ist der hegemoniale Sprachdiskurs der Macht entgegengesetzt, der auf der graphischen Ebene durch Großschreibung gekennzeichnet ist. Das Verhältnis von poetischer und politischer, hegemonialer Sprache stellt damit ein zentrales Thema des Romans dar. Der Bildbereich des Öls tritt zum einen auf der figuralen Ebene auf: Jasmin arbeitet als Chemikerin in der irakischen Ölindustrie, Seymour im amerikanischen Ölbusiness. Zum anderen thematisiert der Text den Konnex von Öl und Blut als Zusammenhang von Außenpolitik und Wirtschaftsinteressen, wenn Martin sich mit Seymour über den Rohstoff unterhält: „ohne das Öl sagte ich trotzig ohne die Droge Nummer Eins in den Motoren Tanks Synthesekesseln der Industrieländer wären doch nie solche Ströme von Blut geflossen diese brennende und sengende Vermischung von totem prähistorischem in Jahrmillionen versaftetem Leben dieser grünschwarzen penetranten energetischen Kadaverbrühe mit dem sprudelnden Wein verletzlicher lebendiger menschlicher Körper das bliebe doch der eingeborene Fluch der auf den arabischen Ländern laste“159

158

Lehr: September, S. 337.

159

Lehr: September, S. 230.

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Im Gegensatz zur traditionellen Bedeutung des literarischen Symbol Öls als Symbol der Fürsorge und göttlichen Gnade (Ölsalbung)160 thematisiert der Roman Öl als umkämpften Rohstoff. Die Bildfelder von Tinte, Blut und Öl und die dominanten Schiff-, Turm- und Paradies-Symbole bilden ein vielschichtiges literarisches Verweissystem, das komplexe Bezüge eröffnet, indem es zugleich auf individuelle, kollektive, gegenwärtige und historische Semantiken verweist. Als Gegenwartsroman über den 11. September und über den Irakkrieg und somit über Trauma, Gewalt und Krieg zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedient sich September Fata Morgana einer genuin literarischen Sprache, die „Politik in Literatur“161 umwandelt. Mit der Kritik an der fiktionalisierten Präsidentenfigur George W. Bush und am Irakkrieg positioniert sich September Fata Morgana als politischer Roman, dessen literarische Sprache konträr zur Sprache politischer und journalistischer Diskurse steht. Der Roman, dessen Material herausragend recherchiert und in einer intensiven poetischen Sprache erzählt ist, entwirft eine indirekte Programmatik eines embedded poeticism als informiertes, literarisch-ästhetisiertes Erzählen über die Gegenwart. Dass Thomas Lehr das Konzept des „embedded poet“ als Einbettung des Autors in die Zeitgeschichte ernst nimmt, beweist auch ein Interview anlässlich der Tötung Osama Bin Ladens, in dem er die Ergreifung des Terroristenführers als Plot für einen Roman seines berühmten amerikanischen Autorenkollegen Thomas Pynchon vorschlägt.162

6. Fazit: RAF, islamistische Märtyrerkultur und soziale Ungleichheiten: Die Wiederkehr des politischen Romans Wenn Werner Jung im Jahr 2004 hinsichtlich des Verhältnisses von Literatur und Terrorismus einen eklatanten Bruch zwischen der Traditionslinie der literarischen Auseinandersetzung mit der RAF und den seiner Auffas-

160 161

Vgl. den Eintrag „Öl“ im Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 256. Jörg Magenau: „Manhattan, Bagdad, Berlin“. In: die tageszeitung vom 6. Oktober 2010.

162

Vgl. Daniel Haas: „Es ist gut, wenn starke Symbole fallen. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Thomas Lehr“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 2011.

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sung nach ästhetisch gescheiterten literarischen Bezugnahmen auf den 11. September 2001 diagnostizierte,163 so lässt sich das Fehlen ‚klassischer‘ Terrorismus-Narrative in den frühen 9/11-Texten auch noch anders als im Sinne eines ästhetischen Scheiterns interpretieren. Denn es stellt sich die Frage, ob das Genre der RAF-Literatur für die zeitnahe Literatur über den 11. September überhaupt den Bezugswert besaß, den Jung anführt. Wie Inge Stephan und Alexandra Tacke in NachBilder der RAF ausführen, tritt 1989 mit der Vereinigung Deutschlands ein Generationswechsel in der Auseinandersetzung mit der RAF ein: die größtenteils politisch und biographisch motivierte Auseinandersetzung der 1968er Generation mit der RAF – auf Literatur aus dieser Phase bezieht sich Jung –, wird von der Generation 89 und der Ikonisierung der RAF im Zeichen der Popkultur abgelöst.164 Demnach bot die entpolitisierte RAF-Popliteratur als aktuelle Ausprägung des literarischen RAF-Diskurses keinen Anknüpfungspunkt für die literarische Bezugnahme auf die auch als Ende der Spaßgesellschaft bewerteten New Yorker Terroranschläge.165 So bezogen sich die zeitnahen 9/11-Texte vor allem auf die kulturelle Wirkmächtigkeit des Medienereignisses als „Aufmerksamkeitsterror 2001“166 und brachten mittels intermedialer und fiktional-dokumentarischer Textverfahren neue Ästhetiken hervor. Erst ab 2007/2008 setzt mit Vehemenz eine diskursive Verknüpfung von gegenwärtigem islamistischen Terrorismus und zurückliegendem RAFTerrorismus ein. Obwohl der Linksterrorismus der 1970er Jahre und der neue globale islamistische Terrorismus seit 2001 ereignisgeschichtlich nicht vergleichbar sind, können doch, so Stephan und Tacke, in Bezug auf beide Phänomene Analogien hinsichtlich der Bildpolitik und den Rhetoriken des Ausnahmezustands konstatiert werden.167 Besonders im Topos der ‚Inneren Sicherheit‘ überschneiden sich RAF- und al-Qaida-Diskurs. Diese Überschneidung und Überkreuzung ist besonders im Jahr 2007 offensicht-

163

Vgl. Jung: Terror und Literatur.

164

Vgl. Inge Stephan/Alexandra Tacke: „Einleitung“. In: dies.: NachBilder der

165

Vgl. zu Popliteratur und Terror auch Niels Werber: „Die Prada-Meinhof-

RAF, S. 7-23, hier S. 18. Bande. Die Popkultur liebt das Spiel mit Emblemen des Terrors. Wird das jetzt anders?“ In: Literaturen 12 (2001), S. 28-31. 166

Weichert: Aufmerksamkeitsterror 2001.

167

Vgl. Stephan/Tacke: Einleitung, S. 13, FN 28.

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lich, als einerseits mit der Verhaftung der so genannten Sauerlandgruppe ein Fall von homegrown terrorism medienwirksam publik wird und andererseits zum 30. Jahrestag des Beginns des Deutschen Herbstes eine Publikations- und Debattenwelle beginnt.168 Die 2008 einsetzende erinnerungskulturelle Konjunktur anlässlich des Epochenjahrs 1968 und der 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes ein Jahr zuvor aktivieren im zunehmenden Maß den Vergleich zwischen Altem und Neuem Terrorismus. Den Paradigmenwechsel beschreibt der Soziologe Henner Hess so: „Wenn wir heute – die neue Herausforderung des gegenwärtigen Terrorismus vor Augen – auf die Zeit der RAF, der Roten Brigaden, der Weathermen usw. zurückblicken, liegt es fast nahe, nostalgische Gefühle zu entwickeln. Der damalige Terrorismus war provinziell, auch wenn er sich mit weltpolitischen und weltrevolutionären Floskeln schmückte. [...] Der heutige islamistische Terrorismus ist eine globale Erscheinung, verständlich nur als Reaktion auf die fortschreitende Globalisierung. Seine Ideale sind voraufklärerisch, ein Rückfall in religiösen Fundamentalismus. Diese Ideologie legitimiert Blutbäder und Selbstmordattentate mit Paradiesverheißung.“169

Weiterhin kann der Umstand, dass der Neue Terrorismus erst nach einem halben Jahrzehnt in den Fokus der deutschen Gegenwartsliteratur rückt, auch mit psychosozialen Verdrängungsdynamiken erklärt werden. So merkt der Ethnologe Thomas Hauschild zum Schock der Intellektuellen nach dem 11. September und zur langsamen Kontextualisierung des Ereignisses im Bereich des Politischen an: „Vielleicht hat es damit zu tun, dass islamistische Terroristen mit ihren Taten auch eine Erinnerung an die terroristische Kehrseite unserer eigenen Tradition der politischen Kritik wecken. Seit den 1980er Jahren ist es einer großen Koalition des Vergessens gelungen, die nordamerikanische Untergrundarmee Weathermen, die deutschen und japanischen Roten-Armee-Fraktionen, die italienischen Brigate Rosse und die französischen Aktionisten samt ihren jeweiligen nahöstlichen Genossen und Patrons in das Unbewusste der westlichen Kultur zu verbannen. Sie tragen nun die

168

Jesko Bender arbeitet diesen Zusammenhang heraus. Vgl. Bender: Zum

169

Hess: Von der RAF zu Al-Qaida, S. 109, Hervorhebung im Original.

Denkmuster der ‚Zäsur‘.

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‚Marke der Verdrängung‘ – verzerrt, als Karikaturen und Schreckbilder tauchen sie aus dem Untergrund der westlichen Kulturindustrie auf [...]“170

Hauschild zufolge verdrängte die westliche Kultur die erlebte politische Gewalt in Markteffekte des Populären. In diesen Kontext wäre auch das verspätete Terrorismus-Motiv in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 2001 einzuordnen, denn die aus den Mechanismen der kulturellen Verdrängung resultierende Ikonisierung des Terrorismus im Zeichen der Popästhetik bot keinen Anschluss für die Verarbeitung der politischen Gewalt vom 11. September. So kann erst ab 2007/2008 die Wiederkehr des Terrorismus-Motivs und damit verbunden auch die des politischen Romans in der deutschen Gegenwartsliteratur beobachtet werden. Ulrich Peltzers Teil der Lösung kontrastiert einen retrospektiven Blick auf den italienischen Linksterrorismus der 1970er Jahre mit gegenwärtigen globalisierungskritischen Protestformen und zeichnet ein Bild des modernen Überwachungsstaates. Bernhard Schlinks Das Wochenende thematisiert die gealterte Tätergeneration der RAF und imaginiert den Tod des letzten RAF-Terroristen bei den New Yorker Terroranschlägen. Michael Kumpfmüllers Politikerroman Nachricht an alle erzählt über eine westeuropäische Demokratie im Krisenzustand, deren gesellschaftliche Tektonik nicht von befürchteten Terroranschlägen, sondern von sozialen Unruhen erschüttert wird. Sherko Fatahs Roman Das dunkle Schiff eröffnet ein Themenspektrum, das das Motiv des islamistischen Selbstmordattentäters, Migration sowie die Problematik des Kulturkontakts umfasst. Teil der Lösung, Das Wochenende, Nachricht an alle und Das dunkle Schiff zählen somit zu einer neuen politischen Literatur, die Terrorismus-Narrative in komplexe Gesellschaftsanalysen einbettet. In dieser neuen politischen Literatur der Nullerjahre zeichnen sich fünf thematische Tendenzen ab: der Paradigmenwechsel zwischen Altem und Neuem Terrorismus, der mit den Ungleichzeitigkeiten der ökonomischen Globalisierung verbundene islamistische Terrorismus sowie die islamistische Märtyrerkultur, das Motiv der sozialen Ungleichheit im nationalen Kontext, ein sprachkritischer Metadiskurs, der Terrorismus als diskursive Sprachregelung erfasst, sowie die Darstellung der Neuen Kriege seit 2001.

170

Thomas Hauschild: „Einleitung“. In: ders.: Ritual und Gewalt, S. 7-35, hier S. 9f.

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Ein Jahr vor dem zehnten Jahrestag der New Yorker Terrorranschläge kehrt mit Thomas Lehrs September Fata Morgana das literarische Motiv des 11. September in die deutsche Gegenwartsliteratur zurück. Am Beispiel des Romans realisiert sich die seitens der Literaturkritik nach den New Yorker Terroranschlägen immer wieder eingeforderte „ästhetische Inkubationszeit“171 als produktionsästhetisches Moment. Lehr recherchierte seit 2004 für das neue Buch und sammelte drei Jahre lang Material über den 11. September und den Irakkrieg, bevor er mit dem zweieinhalbjährigen Schreibprozess begann.172 Der zeitliche Abstand von nahezu einem Jahrzehnt führt zu einer komplexen literarisch-ästhetischen Verdichtung und einer genuin literarischen Sprache, der aber nicht entgegensteht, dass der Roman eindrücklich über die New Yorker Terroranschläge, die Gewalt im Irak unter Saddam Hussein und den Irakkrieg erzählt und damit die Möglichkeiten einer poetischen und zugleich gegenwartsbezogenen Sprache vorführt.

171

Köhler: Ground zero, S. 237.

172

Vgl. Thomas Lehr im Gespräch mit Jürgen König. In König: „,Ein doppelt kritischer Blick‘. 9/11, der Schock und die Hilflosigkeit: Thomas Lehr über sein Buch ‚September. Fata Morgana‘“. Radiofeuilleton im Deutschlandradio vom 18.08.2010. Manuskriptdownload unter www.dradio.de/dkultur/sendun gen/thema/1251128 am 01.09.2010.

Zehn Jahre 9/11: Ein Schlussbild

Anlässlich des neunten Jahrestages des 11. September erlangte eine Nachricht, die zu anderen Zeiten eher die Randspalten der Tagespresse gefüllt hätte, größte öffentliche Aufmerksamkeit: Die Ankündigung des fundamentalistischen US-amerikanischen Pastors Terry Jones, am 9.11.2009 in der Kleinstadt Gainesville im US-Bundesstaat Florida öffentlich einen Koran zu verbrennen, rief weltweit Empörung hervor.1 Die Aktion wurde schließlich nach zahlreichen Protesten abgesagt. Interessanter als die leicht durchschaubare Aufmerksamkeitsökonomie, der sich Jones bediente, waren die Kommentare in der Presse. In einer Karikatur der Süddeutschen Zeitung war zu sehen, wie ein mit ‚Pastor Jones‘ betiteltes Flugzeug auf die Twin Tower des World Trade Center zufliegt, die aus aufeinander gestapelten Koran-Ausgaben bestehen.2 Das Titelblatt der tageszeitung zeigte eine Fotomontage, auf der die Buchrücken von Bibel und Koran auf die brennenden Türme des World Trade Center montiert waren.3 Symbolisieren beide Pressebilder die angekündigte Koran-Verbrennung als Angriff auf den Islam, indem sie die Bildsprache der als Angriff auf den Westen kanonisierten 9/11-Medienbilder verfremden, so produzieren die Fotomontage und die Karikatur als Nebeneffekt zugleich auch ein einfaches, aber eindrückliches Bild: die Türme sind zu Büchern geworden.

1

Vgl. Karim El-Gawhary: „Einfach wegschauen. Provokation: Pastor Terry Jones sucht mit seinem ‚Burn a Koran Day‘ nach Aufmerksamkeit. Mitmachen muss keiner“. In: die tageszeitung vom 10. September 2010.

2

Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11./12. September 2010.

3

Vgl. die tageszeitung vom 11./12. September 2010.

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Die Buchwerdung der Twin Towers kann als Ausdruck der kulturellen Bedeutungsproduktion interpretiert werden, die in dem seit den Terroranschlägen vergangenen Jahrzehnt geleistet wurde, um das kulturelle Trauma des 11. September zu verarbeiten. Wenn hinsichtlich der politischen Erzählungen nicht nur von einer Verarbeitung des kulturellen Traumas, sondern auch von der Weitergabe der traumatischen Gewalterfahrungen zu sprechen ist, die Medienerzählungen vor allem aktuelle Deutungsangebote lieferten und gemeinschaftsstiftende Funktion besaßen, leisteten die literarischen Erzählungen dagegen eine eigenen künstlerisch-ästhetischen Aspekten unterliegende Vertextung des 11. September. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie standen somit die literarischen Bezugnahmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur auf den 11. september und folgendes, wie Kathrin Röggla ihre noch im Dezember 2001 veröffentlichte literarisch-journalistische Textsammlung betitelte. Somit gerieten die literarischen Erzählungen über ein Jahrzehnt in den Blick, das ausgehend vom Medien- und Terrorereignis 11. September als ein Jahrzehnt der Unsicherheit galt, in dem die politische Angst in die Öffentlichkeit zurückkehrte. Der so genannte Krieg gegen den Terror, die transatlantische Krise im Vorfeld des Irakkrieges, der Folterskandal von Abu Ghraib mit seinen schockierenden Bildern, das Gefangenlager auf Guantánamo, die Wiederkehr der Folter, Debatten um die innere und äußere Sicherheit sowie Spannungen zwischen der westlichen und der arabischen Welt sind markante Stichworte des zurückliegenden Jahrzehnts. Dieses fand seine abschließende zeithistorische Datierung mit der Atomkatastrophe von Fukushima, den pan-arabischen Revolutionen und dem Tod Osama Bin Ladens. Zentraler Ausgangspunkt für die untersuchte Literatur war der 11. September als transnationales und konfliktives Medienereignis. Dieses konstituierte sich wie alle Medienereignisse durch Prozesse der Narrativierung, Ikonisierung und Topisierung, um als Ereignis in Erscheinung zu treten. Zur narrativen Dimension des Medienereignisses 11. September zählen der Krisenplot über die weltverändernde Wirkung der Anschläge, der Diskurs über die gestörten transatlantischen Beziehungen seit 2001 und das kulturelle Deutungsmuster des Traumas; während sich die visuelle Dimension im WTC Bildkomplex als fluides visuelles Tableau unterschiedlicher Bilder, Bildsorten und Bildästhetiken sowie im instrumentellen Bildgebrauch des Bilderkrieges realisierte. Die Prozesse der Topisierung wurden im Kontext der Studie in erster Linie nicht als die Herausbildung rhetorischer Ge-

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meinplätze verstanden, sondern im Wortsinn als Konstruktion räumlicher Strukturen betrachtet und mit New York als Global City und der dichotomen Weltordnung nach 9/11 in Zusammenhang gebracht. Die dem Medienereignis 11. September zugrunde liegenden Selektions- und Semantisierungsprozesse verdeutlichen, dass die untersuchten Texte sich auf ein hochgradig medial vorstrukturiertes Ereignis beziehen. Denn wie Christoph Deupmann ausführte, handelt es sich bei der 9/11- Literatur um eine überaus informierte Literatur, die zwischen Faktizität und Fiktion changiert.4 Als Ergebnis der Textinterpretation der ausgewählten Romane, Erzählungen und Essays aus dem Zeitraum 2001-2010 lassen sich folgende Merkmale der 9/11-Literatur festhalten: Die untersuchte Literatur durchläuft eine Entwicklung von semi-dokumentarischen Hybridtexten mit dominaten intermedialen Verfahren hin zu konventionellen fiktionalen Genres mit dominanten intertextuellen Verfahren. Der zunehmende Fiktionalisierungsprozess wird im Folgenden anhand eines dreiphasigen Verlaufsmodells beschrieben. Die deutsche 9/11-Literatur setzt sich als Bestandteil einer national perspektivierten künstlerischen Verarbeitung des transnationalen Medienereignisses 11. September kritisch mit Amerika und den transatlantischen Beziehungen auseinander. Dabei zielt die Kritik mit der Herrschaftsfigur des Imperiums und dem Konzept der Imperialen Präsidentschaft explizit auf die Ebene der politischen Entscheidungsträger und damit auf den Krieg gegen den Terrorismus und den Irakkrieg. Weiterhin überrascht die Literatur nach dem 11. September durch einen thematischen Twist vom Narrativ der politischen Unsicherheit zum Narrativ der sozialen Unsicherheit. Das kulturelle Trauma als dominantes Deutungsmuster im 9/11-Diskurs korrespondiert in der Literatur u.a. mit Darstellungen des verwundeten New Yorker Stadtkörpers und realisiert sich nicht dominant, wie erwartbar, in Erinnerungsdiskursen. Die literarischen Texte der ersten Phase (Zeitraum 2001-2002) thematisieren sowohl den Schock und die Inkommensurabilität der New Yorker Terroranschläge als auch die Dynamik der Medienberichterstattung. Sie zeichnen sich durch intermediale, diaristische, literarisch-journalistische und semi-dokumentarische Textverfahren aus sowie oszillieren als hybride Genres zwischen journalistischer Referentialität und literarischer Fiktionalität. So weist Else Buschheuers Literaturblog Das New York Tagebuch

4

Vgl. Deupmann: Vom Ereignis des 11. September zum Ereignis des Textes.

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aufgrund der Echtzeit-Berichterstattung Nähe zum Bürger- und Onlinejournalismus auf, während Kathrin Rögglas auf Recherchen und dokumentarisch-fiktionalen Strategien basierendes Textsample really ground zero dem New Journalism zugeordnet werden kann. Beide Texte verweisen damit sowohl auf die Intermedialität von Journalismus und Literatur als auch auf intermediale Verfahren der Medienkombination und des Medienwechsels. Generell partizipiert die 9/11-Literatur der ersten Phase einerseits durch ihre ausgestellte Intermedialität und ihre semi-dokumentarischen Verfahren5 an der Teilhabe und Zeugenschaft suggerierenden „Erlebnisästhetik“6 des Medienereignisses als live broadcasting of history, distanziert sich aber andererseits durch Medien- und Sprachkritik von dieser. Diese Ambivalenz führt zur grundsätzlichen Frage nach der Realität der Massenmedien7. Die Texte führen den durch das Medienereignis 11. September ausgelösten Metadiskurs über den Konstruktcharakter der Realität fort und eröffnen mit Klaus Theweleit „Register von Wirk- und Unwirklichkeiten“8. Mit der Thematisierung des Realitäts-Topos sind die Texte auch Indiz für die sich seit den 1990er Jahren abzeichnende Konjunktur einer neuen Dokumentarliteratur. Diese stellt angesichts der nicht abbrechenden Naturkatastrophen, Terroranschläge und men made disaster im 21. Jahrhundert einen Modus der literarischen Darstellung und Intervention dar, der die massenmediale Proliferation von Krisenerzählungen als Ausgangspunkt für kritische Betrachtungen nimmt, wie Kathrin Röggla exemplarisch in ihrer 2010 erschienen Erzählprosa die alarmbereiten9 vorführt. Rögglas Text verdichtet mediale Katastrophenszenarien, die an diesen beteiligten Akteure, Profiteure und Berichterstatter zu einer großen Bestandsaufnahme über die Katastrophennarrative unserer Gegenwart. Die literarisch-journalistischen Texte der ersten Phase lassen sich zudem als Ausdruck der gestörten Literarisierung und Symbolisierung ange-

5

Nach Stephan Porombka trat die Dokumentarliteratur seit den 1990er Jahren in ein selbstreflexives, spielerisches Stadium, deshalb die Bezeichnung semi-dokumentarisch. Vgl. Porombka: Die Wiederkehr des Dokumentarischen.

6

Fahlenbrach/Viehoff: Ikonen der Medienkultur, S. 47.

7

So der Titel von Niklas Luhmanns berühmter Studie: Die Realität der Massen-

8

Theweleit: Der Knall, S. 106.

9

Kathrin Röggla: die alarmbereiten. Frankfurt am Main 2010.

medien. 4. Auflage. Wiesbaden 2009.

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sichts eines zum kulturellen Trauma erklärten konfliktiven Medienereignisses interpretieren. Das Deutungsmuster des kulturellen Traumas war mit dem Medienereignis 11. September besonders kompatibel, da es mit der bei Sigmund Freud angelegten Medialität der Urszene und vor dem Hintergrund der Omnipräsenz von Trauma-Narrativen in der wound culture an die wirkmächtigen Bilder und Narrative des Medienereignisses anschloss. Die Doppelfigur des Traumas als identitätskonstituierendes Individual- und Kollektiv-Phänomen war anschlussfähig für die Affektstimulanzen und Vergemeinschaftungseffekte des Medienereignisses. Der Begriff des Traumas und dessen semantische Reserven, die sich in zahlreichen kulturellen Rhetoriken zeigen (kollektives Trauma der amerikanischen Nation, Einbruch des Realen für das mediale Zuschauerkollektiv, der verletzte New Yorker Stadtkörper) bildeten den Interessenschwerpunkt der Studie. Daher bezieht sich der Titel Traumatische Texturen eher auf eine kulturwissenschaftliche Lesart im Sinne eines verletzten kulturellen Gewebes als auf eine textanalytische Ebene, in der das Trauma-Narrativ u.a. mit der Metapher des verwundeten Stadtkörpers (Bryant Park) sowie dem System einer fragmentierten Syntax (September Fata Morgana) korrespondiert. Seit der zweiten Phase der literarischen Bezugnahmen (Zeitraum 20022008), in der sich die Texte thematisch mit dem Epochengefühl der Post9/11-Ära und den weltpolitischen Folgen der Anschläge wie dem Irakkrieg und der transatlantischen Krise befassen, dominieren fiktionale Erzählungen und intertextuelle Verfahren. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand stellt sich eine Fiktionalisierung und literarische Symbolisierung der New Yorker Terroranschläge ein, die bereits 2002 mit Ulrich Peltzers New York-Erzählung Bryant Park einsetzt. Bryant Park kommt dabei eine Scharnierfunktion zwischen der ersten und der zweiten Phase der literarischen Bezugnahmen zu, deshalb stand der Text im Mittelpunkt zweier Interpretationen. Als erster literarischer Text integriert Bryant Park die Terroranschläge in die Fiktion, markiert aber zugleich den Übergang von dokumentarischen zu fiktionalisierenden und fiktionalen Schreibverfahren. Die literarischen Texte der zweiten Phase treten mit der Fiktionalisierung der Anschläge aus der intermedialen Erlebnisästhetik und Tagesaktualität der ersten Phase heraus. Vor dem Hintergrund der angespannten transatlantischen Beziehungen infolge der US-amerikanischen Hegemonialpolitik und eines breiten Arsenals kultureller Amerikabilder verhandelt die Literatur über ein neues Amerikabild nach 2001. Dabei lassen sich drei Tenden-

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zen beobachten: die Symbolisierung der transatlantischen Beziehung als scheiternde Paarbeziehung, wie sie Agnes C. Müller in ihrem Aufsatz Gefährliche Liebschaften. Zum Amerikabild in der deutschen Gegenwartsliteratur nach dem 11. September 200110 am Beispiel von Gregor Hens’ Transfer Lounge und Susanne Riedels Eine Frau aus Amerika beschreibt; die Thematisierung der USA als letzter verbliebener Supermacht anhand der Herrschaftsfigur des Imperiums wie in Thomas Hettches Roman Woraus wir gemacht sind sowie die Einführung fiktionalisierter Präsidentenfiguren in Woraus wir gemacht sind und September Fata Morgana, mit der Kritik am Konzept der Imperialen Präsidentschaft und damit an der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik verbunden ist. Weiterhin erfährt der Topos der kulturellen Zäsur eine Relativierung, indem beispielsweise Katharina Hackers Die Habenichtse Anschluss an die historischen Zäsuren 1945 und 1989 sucht. Folglich eröffnet sich ein Themenspektrum, das über die Singularität der Anschläge und deren Folgen hinausgeht. So greift Bryant Park mit dem Thema der sozialen Unsicherheit die „Soziale Frage zu Beginn des 21. Jahrhunderts“11 auf. Katharina Hackers Die Habenichtse, Kathrin Rögglas disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film, Ulrich Peltzers Teil der Lösung sowie Michael Kumpfmüllers Nachricht an alle führen diese Frage auf je spezifische Weise weiter. Dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur nach der Verlautbarung der weltpolitischen Formel Es wird nichts mehr so sein, wie es war zuallererst den sozioökonomischen Wandel beschreibt, verwundert als Forschungsergebnis nur auf den ersten Blick. Denn wenn die Literatur nicht, wie vom Literaturkritiker Richard Kämmerlings gefordert, New Journalism in Afghanistan oder im Irak betreibt oder zumindest über die Kriegsgebiete recherchiert,12 wendet sie sich in vielen Fällen den naheliegenden Unsicherheitszonen zu – und diese sind in erster Linie sozioökonomischer und nicht geopolitischer Natur. Der sozioökonomische

10 Agnes C. Müller: „Gefährliche Liebschaften. Zum Amerikabild in der deutschen Gegenwartsliteratur nach dem 11. September 2001“. In: Vogt/Stephan: Das Amerika der Autoren, S. 393-406. 11 So der Untertitel des Sammelbandes von Castel/Dörre: Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. 12 Vgl. Richard Kämmerlings: „Am Tellerrand gescheitert“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Januar 2008.

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Wandel und die politischen Transformationen seit dem 11. September erscheinen nur auf den ersten Blick als unverbundene Themenfelder, sind sie doch über das Paradigma der Unsicherheit verbunden und damit Bestandteile einer Gesellschaft, die momentan ihre Justierung zwischen „Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos“13 neu aushandelt. Die literarische Thematisierung der Gewalt des Politischen und das Motiv des Terrorismus setzen mit Vehemenz in der dritten Phase (Zeitraum 2007-2010) ein, in der sich die Konjunktur des politischen Romans abzeichnet. Diese Konjunktur steht in Beziehung zu der in den Jahren 2007/ 2008 verstärkten Auseinandersetzung mit dem Epochenjahr 1968 und dem Deutschen Herbst. Im Vergleich zur US-amerikanischen Literatur setzt sich die deutschsprachige Gegenwartsliteratur daher mit Verzögerung mit dem Motiv des Terrorismus auseinander. Zumal wird dieses im europäischen Erfahrungsraum kontextualisiert, zum Beispiel durch die Bezugnahme auf die RAF in Bernhard Schlinks Das Wochenende oder auf die Roten Brigaden in Ulrich Peltzers Teil der Lösung. Doch die Literatur verfährt nicht nur retrospektiv, sondern thematisiert mit Michael Kumpfmüllers Politikerroman Nachricht an alle staatliche Sicherheitsstrategien und Politikermilieus nach dem 11. September oder erzählt wie Sherko Fatahs Irakroman Das dunkle Schiff über politischreligiöses Märtyrertum, islamistische Selbstmordattentäter und damit über eine zentrale Figur des Neuen Terrorismus. Das dunkle Schiff überwindet erstmals die vorherrschende deutsche beziehungsweise europäische Perspektive auf die weltpolitischen Folgen des 11. September. Dieser Ausrichtung schließt sich Thomas Lehrs USA-Irak-Roman September Fata Morgana an, der auf das explizite Motiv des 11. September zurückkommt, um über die Beziehungen zwischen der westlichen und der islamisch geprägten Welt zu erzählen. Der Roman transformiert mittels einer intensiven poetischen Sprache Politik, Zeitgeschichte und Medienbilder in Literatur. Damit veranschaulicht er den Prozess der Literarisierung des Medienereignisses 11. September, den die Literatur seit der ersten Phase der literarischen Bezugnahmen durchlief. Weiterhin bezieht sich die 9/11-Literatur wiederholt auf Thomas Hobbes politische Metapher des Leviathans. Die Referenz auf den Staatskörper des Leviathans als traditionelle Figuration des Politischen thematisiert die Gefährdung der Staatlichkeit im Zeitalter der Neuen

13 Vgl. Münkler: Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos.

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Kriege. Zugleich fragte Michael Kumpfmüller Nachricht an alle aber auch nach neuen Figurationen des Sozialen, die die drohende soziale Erosion jenseits überholter Klischees und Stereotypen verkörpern. Dass die dritte Phase der literarischen Auseinandersetzungen mit der Gewalt des Politischen nach Nine Eleven noch nicht abgeschlossen ist, zeigt sich an der Andauer der Literaturproduktion zum Terrorismus-KriegsKomplex. Mit Dirk Kurbjuweits Die Kriegsbraut (2010), Ingo Niermanns und Alexander Wallaschs Deutscher Sohn (2010) sowie Katharina Hackers Die Erdbeeren von Antons Mutter (2010) erschienen drei neue Romane über den Afghanistankrieg.14 Ihre Analyse könnte die These, dass Krieg in der deutschen Gegenwartsliteratur kaum eine Rolle spiele, die Richard Kämmerlings in seinem Buch Das kurze Glück der Gegenwart. Deutschsprachige Literatur seit ’8915 aufstellte, widerlegen. „Nine/Eleven ist das Hintergrundgeräusch in unzähligen amerikanischen, aber auch deutschen Gegenwartsromanen“16, äußerte die Literaturkritikerin Sigrid Löffler im Jahr 2008. Auch die vorliegende Studie konstatiert einen Entwicklungsprozess: Diente das Motiv des 11. September in der Literatur unmittelbar nach den Terroranschlägen als expliziter produktionsästhetischer Referenzpunkt und Erzählanlass, so transformierte es sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand in ein latentes Narrativ, an das sich weitere Themenfelder anlagerten. Die von Löffler angeführte deutsche und US-amerikanische Gegenwartsliteratur unterscheidet sich hinsichtlich der Thematisierung des 11. September vor allem durch den unterschiedlichen

14 Vgl. Dirk Kurbjuweit: Die Kriegsbraut. Berlin 2011; Ingo Niermann/Alexander Wallasch: Deutscher Sohn. Berlin 2010; Katharina Hacker: Die Erdbeeren von Antons Mutter. Frankfurt am Main 2010. Siehe auch Erhard Schütz: „Die Alleingelassenen. Der deutsche Kriegseinsatz in Afghanistan findet langsam, aber nachdrücklich seine Verarbeitung in der Literatur“. In: Der Freitag vom 30. März 2011; Moritz Baßler: „Ah, es ist Ladies Day. Frauen in der Hauptrolle: Dirk Kurbjuweit stellt deutsche Soldatinnen in den Mittelpunkt seines realistischen Afghanistanromans ‚Die Kriegsbraut‘. In: die tageszeitung vom 18. März 2011. 15 Richard Kämmerlings: Das kurze Glück der Gegenwart. Deutschsprachige Literatur seit ’89. Stuttgart 2011. 16 Sigrid Löffler: „Literaturen, Literaturkritik und Leser um 2000“. In: Zemanek/ Krones: Literatur der Jahrtausendwende, S. 435-445, hier S. 436.

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Grad der nationalen Betroffenheit. Während sich die US-amerikanische Literatur angesichts eines zum nationalen Trauma ausgerufenen Ereignisses in erster Linie als Trauer-, Erinnerungs- sowie Vergemeinschaftungsmedium formierte,17 reflektiert die deutschsprachige Gegenwartsliteratur verstärkt die Modalitäten des Medienereignisses und die mit dem Beginn des Irakkrieges einsetzende Krise der transatlantischen Beziehungen. Hatte Wilfried Barner 2006 in der Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart noch von den historischen Chiffren 1989 und 2001 als Eckpfeiler der deutschen Gegenwartsliteratur gesprochen,18 liegt mit der nach dem 11. September entstandenen Literatur, die Gegenstand dieser Studie war, die Literatur des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts vor. Diese zeichnet sich ausgehend vom Medienereignis 11. September, das Anlass für Reflexionen über die Macht der Bilder, über massenmediale Realitätskonstruktionen und die mit diesen verbundenen Herrschaftsstrategien und Kriege war, durch die Etablierung neuer Themenfelder wie die Transformation des Sozialen, der Arbeitswelten und der urbanen Milieus aus. An den kulturellen Deutungen des zurückliegenden Jahrzehnts ist die Literatur, wenn sie sich als Gegenwartsliteratur im Sinne von Zeitgenossenschaft versteht, beteiligt und wird sich vermutlich auch zukünftig zunehmend mit Extremereignissen sowie deren massenmedialer Proliferation und weiteren Globalisierungseffekten auseinandersetzen müssen.

17 Vgl. Däwes: Repräsentation der Krise in der U.S.-amerikansichen 9/11-novel. 18 Vgl. Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. Hrsg. von Wilfried Barner. Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage. München 2006, S. 925.

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Werber, Niels: „Die Prada-Meinhof-Bande. Die Popkultur liebt das Spiel mit Emblemen des Terrors. Wird das jetzt anders?“ In: Literaturen 12 (2001), S. 28-31. Winkel, Anne: Der 11. September und die Angst. Perspektiven in Medien, Literatur und Film. Marburg: Tectum 2010. Wind Meyhoff, Karsten: „Kontrafaktische Kartierungen. Verschwörungstheorie und der 11. September“. In: Sandra Poppe/Thorsten Schüller/ Sascha Seiler (Hg.): 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien. Bielefeld: transcript 2009, S. 61-79. Windt, Karin: „Das Trauma als Narrativ und kulturelles Deutungsmuster“. In: TRN-Newsletter. Special Issue 2006. Hamburg Institute for Social Research. Januar 2006. Unter http:www.traumaresearch.net/special2006 /windt.htm abgerufen am 19.01.2010. Wirth, Uwe: „Intermedialität“. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Hrsg. von Thomas Anz. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart/ Weimar: Metzler 2007, S. 254-264. Wirth, Uwe: „Neue Medien im Buch. Schreibszenen und Konvertierungskonzepte um 2000“. In: Corina Caduff/Ulrike Vedder (Hg.): Chiffre 2000 – Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. München: Fink 2005, S. 171-184. Wolff, Reinhard: „Der zeichnende Provokateur. Die Angst davor, zu sterben, dürfe nicht so stark werden, dass man aufhöre zu leben, sagt der dänische Karikaturist Kurt Westergaard“. In: die tageszeitung vom 4. Januar 2010. Zaunschirm, Thomas: „Die arabischen Brüder von Joseph Beuys“. In: Neue Zürcher Zeitung vom 19. September 2001. Zemanek, Evi: „Trauerspielereien: Der 11. September aus kindlicher Perspektive. Jonathan Safran Foers Extremely Loud and Incredibly Close.“ In: dies./Susanne Krones (Hg.): Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000. Bielefeld: transcript 2008, S. 27-41. Zemanek, Evi/Susanne Krones (Hg.): Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000. Bielefeld: transcript 2008.



Lettre Eva Erdmann Vom Klein-Sein Perspektiven der Kindheit in Literatur und Film Juni 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-89942-583-3

Annette Gilbert (Hg.) Wiederaufgelegt Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern Juni 2012, ca. 380 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1991-1

Ursula Hennigfeld (Hg.) Nicht nur Paris Metropolitane und urbane Räume in der französischsprachigen Literatur der Gegenwart Februar 2012, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1750-4

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Roger Lüdeke (Hg.) Kommunikation im Populären Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen Oktober 2011, 350 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1833-4

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Lettre Christine Bähr Der flexible Mensch auf der Bühne Sozialdramatik und Zeitdiagnose im Theater der Jahrtausendwende Februar 2012, ca. 364 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1557-9

Markus Fauser (Hg.) Medialität der Kunst Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne Mai 2011, 290 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1559-3

Evi Fountoulakis, Boris Previsic (Hg.) Der Gast als Fremder Narrative Alterität in der Literatur März 2011, 274 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1466-4

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Astrid Henning Die erlesene Nation Eine Frage der Identität – Heinrich Heine im Schulunterricht in der frühen DDR Oktober 2011, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1860-0

Christoph Kleinschmidt Intermaterialität Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus Februar 2012, ca. 310 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1967-6

Tabea Kretschmann »Höllenmaschine/Wunschapparat« Analysen ausgewählter Neubearbeitungen von Dantes »Divina Commedia« April 2012, ca. 244 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1582-1

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Csongor Lörincz (Hg.) Ereignis Literatur Institutionelle Dispositive der Performativität von Texten Dezember 2011, 498 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1894-5

Takemitsu Morikawa Japanizität aus dem Geist der europäischen Romantik Der Schriftsteller Mori Ogai und die Reorganisierung des japanischen ›Selbstbildes‹ in der Weltgesellschaft um 1900 August 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1893-8

Franziska Sick (Hg.) Raum und Objekt im Werk von Samuel Beckett Februar 2011, 244 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1515-9

Norbert Wichard Erzähltes Wohnen Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter Februar 2012, ca. 340 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1899-0

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