Deutsch sprechen in Frankreich: Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem [1. Aufl.] 9783839420171

Wie wird die deutsche Sprache in Frankreich gefördert? Matthias Lahr-Kurten geht der Vielzahl von Praktiken nach, in der

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Deutsch sprechen in Frankreich: Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem [1. Aufl.]
 9783839420171

Table of contents :
Inhalt
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungs- und Begriffsverzeichnis
1 Partnersprache Deutsch
2 Die Analysekategorien: Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ
2.1 Der Weg zur Praxistheorie: Die Entwicklung sozialtheoretischer Theoriebildung
2.2 Die Praxistheorie nach SCHATZKI und RECKWITZ
3 Vorgehensweise und Methodik
4 Die deutsche Sprache im französischen Bildungssystem
4.1 Diskurse als Legitimation der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem
4.2 Grundlegende Praktiken und Ordnungen der Sprachförderung: Die Vermittlung des Deutschen
4.3 Communities of Practice der Sprachförderung
4.4 Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems
5 Komposition der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem
6 „Was bleibet aber“? Ein Fazit
7 Nicht sprachlos bleiben! Ein Plädoyer
Literaturverzeichnis
Danksagung

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Matthias Lahr-Kurten Deutsch sprechen in Frankreich

Kultur und soziale Praxis

Matthias Lahr-Kurten (Dr. phil.) lehrt Sozialgeographie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Geographie, Kultur- und Sozialtheorien sowie die deutsch-französischen Beziehungen.

Matthias Lahr-Kurten

Deutsch sprechen in Frankreich Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem

Der Druck dieses Buches wurde dankenswerterweise finanziell von der Johannes Gutenberg-Universität unterstützt. Das vorliegende Buch basiert auf der Doktorarbeit »›Amic’allemand‹: Deutsche Sprache in Frankreich« aus dem Jahr 2011.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Clemens Körber Lektorat & Satz: Katrin Viviane Kurten Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2017-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

„Dass wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.“ KARL JASPERS

Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 9 Abkürzungs- und Begriffsverzeichnis | 13 1 Partnersprache Deutsch | 17 2 Die Analysekategorien: Theorie sozialer Praktiken nach S CHATZKI und R ECKWITZ | 33

2.1 Der Weg zur Praxistheorie: Die Entwicklung sozialtheoretischer Theoriebildung | 33 2.2 Die Praxistheorie nach SCHATZKI und RECKWITZ | 47 3 Vorgehensweise und Methodik | 59 4 Die deutsche Sprache im französischen Bildungssystem | 71

4.1 Diskurse als Legitimation der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem | 85 4.2 Grundlegende Praktiken und Ordnungen der Sprachförderung: Die Vermittlung des Deutschen | 102 4.3 Communities of Practice der Sprachförderung | 163 4.4 Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems | 205 5 Komposition der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem | 297 6 „Was bleibet aber“? Ein Fazit | 307 7 Nicht sprachlos bleiben! Ein Plädoyer | 311

Literaturverzeichnis | 313 Danksagung | 331

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Aktions- und Organisations-Komponente einer Praktik und deren Elemente | 49 Abbildung 2: Anteile der zweiten Fremdsprache in der quatrième (8. Klasse) | 73 Abbildung 3: Das französische Bildungssystem | 76 Abbildung 4: Die académies und départements des französischen Bildungssystems | 78 Abbildung 5: Alterspyramide der Deutschlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008 | 79 Abbildung 6: Alterspyramide der Spanischlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008 | 80 Abbildung 7: Alterspyramide der Englischlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008 | 81 Abbildung 8: Aktuelle Situation der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sowie durch Diskurse legitimierte Praktiken zu deren Verbesserung | 88 Abbildung 9: Stand Deutschlands bei der Sprachenmesse „Expolangues“ 2008 in Paris | 130 Abbildung 10: Fokussierung der älteren Auflage der Informationsbroschüre auf Schule | 134 Abbildung 11: Fokussierung der neueren Auflage der Informationsbroschüre auf Freizeit und Leichtigkeit beim Erlernen von Deutsch | 134 Abbildung 12: „Universität Bonn“ betiteltes Bild der Seite „Deutschland, ein Land, wo es sich gut studieren lässt“ der neueren Auflage der Informationsbroschüre | 135 Abbildung 13: Deckblätter der älteren (links) und der neueren (rechts) Auflage der Informationsbroschüre | 135 Abbildung 14: Stärkerer visueller Fokus auf Zahlen in der älteren Auflage der Informationsbroschüre | 136 Abbildung 15: Fokus auf konkrete Orte in der neueren Auflage der Informationsbroschüre | 137

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Abbildung 16: Poster der ersten Werbekampagne aus dem Jahr 2004/2005 | 144 Abbildung 17: „Zahnspangenkinder“ in der neueren Auflage der Informationsbroschüre | 145 Abbildung 18: Vergabe der certifications an die Schüler einer troisième | 155 Abbildung 19: Grundlegende Praktiken und Ordnungen der Vermittlung des Deutschen in Frankreich | 162 Abbildung 20: „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich | 184 Abbildung 21: „Auf dem Segler“ von Caspar David Friedrich | 185 Abbildung 22: Wesentliche Praktiken und Ordnungen der Communities of Practice der Sprachförderung | 203 Abbildung 23: Räumliche Distanz der Entscheidungsträger des französischen Bildungssystems am Beispiel des collège in Fours | 218 Abbildung 24: Die Entscheidungsträger auf den verschiedenen „Ebenen“ der Ordnung des französischen Bildungssystems | 219 Abbildung 25: Französische Akteure des Deutschen innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems | 224 Abbildung 26: Teilnehmer an den Sitzungen der „Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache“ (StADaF) | 225 Abbildung 27: Deutsche und französische Akteure des Deutschen in Frankreich | 240 Abbildung 28: Anteile Deutsch bzw. Spanisch lernender Schüler im Sekundarbereich nach académies 2004 | 270 Abbildung 29: Zentrale Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems | 293 Abbildung 30: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Erster Schritt | 299 Abbildung 31: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Zweiter Schritt | 302 Abbildung 32: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Dritter Schritt | 305

A BBILDUNGS-

UND

T ABELLENVERZEICHNIS | 11

Tabelle 1: Prozentanteile der Fremdsprachen Englisch, Spanisch, Deutsch und Italienisch im französischen Bildungssystem zwischen 1995 und 2009 | 84 Tabelle 2: Deutschlehrermangel in ausgewählten académies | 264

Abkürzungs- und Begriffsverzeichnis

AbiBac  doppelter Schulabschluss, der gleichzeitig das deutsche Abitur und das französische baccalauréat (bac) umfasst académie Schulverwaltungseinheit; zumeist, aber nicht immer deckungsgleich mit einer région, was dazu führt, dass es bei 22 régions in Frankreich 26 académies gibt ADEAF  Association de Développement de l’Enseignement de l’Allemand en France; Deutschlehrerverband agrégation  uf das CAPES aufbauender concours zur Besetzung der Stellen der höchsten Kategorie der Sekundarschullehrer (professeur agrégé) Bevollmächtigter  „Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ cabinet  Gruppe von engen Mitarbeitern und Beratern eines Ministers (oder Premierministers), bei denen es sich in Abgrenzung zu den Ministerialbeamten um politische Posten handelt CAMIF Coopérative des Adhérents de la Mutuelle des Instituteurs de la France; Kooperative, die zunächst Lehrern vorbehalten war und diesen v. a. Einrichtungsgegenstände zu günstigen Konditionen anbot CAPES  Certificat d’aptitude au professorat de l’enseignement du second degré; bescheinigt die Befähigung, an einer Sekundarschule unterrichten zu können (vergleichbar mit dem deutschen Staatsexamen) carte des langues räumliche Verteilung der in den Schulen Frankreichs erlernbaren Fremdsprachen CE2 Cours élémentaire 2; dritte Jahrgangsstufe der école primaire certifications von den Lehrern ausgestellte offizielle Sprachdiplome, die den jeweiligen Stand der Sprachkenntnisse eines Schülers bescheinigen;als indirekte Folge der Vereinbarungen anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages vom deutsch-französischen Ministerrat am 26. Oktober 2004 beschlossen und 2006 erstmals durchgeführt

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cinquième  zweite Jahrgangsstufe im collège (entspricht der 7. Klassenstufe in Deutschland) classes à niveaux mélangés  Klassen, die Schüler zumeist zweier Klassenstufen umfassen classes bilangues Klassen, in denen beide Fremdsprachen gemeinsam ab der sixième begonnen werden (entspricht der 6. Klassenstufe in Deutschland) classes CAMIF Klassen, in denen sich sehr viele Lehrerkinder befinden collège Mittelschule concours Wettbewerbsprüfungen; es werden lediglich so viele Bewerber eingestellt bzw. aufgenommen, wie Stellen zu besetzen sind, sodass die Leistungen relativ sind, da lediglich die besten Bewerber Stellen erhalten conseils de classe „Klassenräte“; bestehend aus den Lehrern einer Klasse, einem Vertreter der Schulleitung, Schülervertretern sowie Elternvertretern; kommen einmal im Trimester zusammen, um mit den zuvor eingereichten Durchschnittsnoten und den sonstigen Einschätzungen und Kommentaren der Lehrer die Schulzeugnisse festzulegen continuité des apprentissages das lückenlose und kontinuierliche Lernen einer Sprache DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst déconcentration Bezeichnung für die französische Dezentralisierungspolitik im Bildungsbereich département  territoriale Verwaltungseinheit innerhalb einer académie/ région Deutsch-Französischer Tag 22. Januar; „Gedenktag“ der deutsch-französischen Beziehungen, wurde anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2003 ins Leben gerufen DFJW Deutsch-Französisches Jugendwerk DGESCO Direction générale de l’enseignement scolaire; eine der zentralen Abteilungen im französischen Bildungsministerium DREIC  Direction des relations européennes et internationales et de la coopération; Abteilung im französischen Bildungsministerium école primaire Grundschule EFA Échanges Franco-Allemands

A BKÜRZUNGS-

UND

B EGRIFFSVERZEICHNIS | 15

Élysée-Vertrag „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ vom 22. Januar 1963 Europäischer Referenzrahmen  „Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen“; erstellt im Auftrag des Europarates, seit 1971 vorangetriebener Prozess der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Bildung FAFA Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe IA-DSDEN  Inspecteur d’académie – Directeur des services départementaux de l’Éducation Nationale; „Verwaltungs-inspecteur“; Stellvertreter des recteur im département; Verantwortlicher für die Struktur und das Budget IA-IPR d’allemand  Inspecteur d’académie – Inspecteur pédagogique regional d’allemand; „regionaler Deutsch-inspecteur“; betraut mit der Fachaufsicht des Faches Deutsch innerhalb einer académie IDIF „Initiative Deutsch in Frankreich“ IGEN d’allemand  Inspecteur général de l’Éducation Nationale d’allemand; „nationaler Deutsch-inspecteur“; betraut mit der Koordinierung und Definition der Fachaufsicht des Faches Deutsch in Frankreich inspection académique  Die Direktion (sowie das Gebäude) der Vertretung des Bildungsministers in einem département LOLF  Loi organique relative aux lois de finances; das „‚Organgesetz‘ Nr. 2001-692 über die Haushaltsgesetze“ trat schrittweise bis Ende 2005 in Kraft und hat eine Reformierung der öffentlichen Verwaltung zum Ziel, ersetzt die Haushaltsordnung aus dem Jahr 1959 LV1 Langue vivante 1; erste Fremdsprache LV2 Langue vivante 2; zweite Fremdsprache lycée Oberschule PASCH  „Schulen: Partner der Zukunft“; Initiative des Auswärtigen Amtes und diverser Mittlerorganisationen mit dem Ziel eines Ausbaus der Schulzusammenarbeit, im Februar 2008 gestartet und umfasst im Schuljahr 2010/2011 ca. 1500 Schulen weltweit (davon 33 in Frankreich) plan de relance Plan zur Förderung der deutschen Sprache in Frankreich sowie zur Förderung des Französischen in Deutschland

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première zweite Jahrgangsstufe im lycée (entspricht der 11. Klassenstufe in Deutschland) professeur agrégé  höchste Kategorie der Sekundarschullehrer; Lehrdeputat von 15 Stunden professeur certifié Sekundarschullehrer; Lehrdeputat von 18 Stunden quatrième dritte Jahrgangsstufe im collège (entspricht der 8. Klassenstufe in Deutschland) recteur  politisch eingesetzter Vertreter des Bildungsministers in einer académie rectorat  ie Direktion (sowie das Gebäude) der Vertretung des Bildungsministers in einer académie, welcher der recteur vorsteht région französische Region; territoriale Verwaltungseinheit seconde rste Jahrgangsstufe im lycée (entspricht der 10. Klassenstufe in Deutschland) sections européennes  n diesen 1992 geschaffenen Klassen wird verstärkter Sprachunterricht in einer europäischen Sprache angeboten und ein Sachfach in der Schwerpunktsprache unterrichtet sixième rste Jahrgangsstufe im collège (entspricht der 6. Klassenstufe in Deutschland) StADaF „Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache“ terminale ritte Jahrgangsstufe im lycée (entspricht der 12. Klassenstufe in Deutschland) troisième vierte Jahrgangsstufe im collège (entspricht der 9. Klassenstufe in Deutschland) TZR Professeur titulaire en zone de remplacement; Vertretungslehrer vacataire Hilfslehrer, der nicht bezahlt wird, wenn er abwesend ist, und nur für eine bestimmte Anzahl – meistens 200 Stunden – eingestellt wird

1 Partnersprache Deutsch

Die Lage der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem1 ist gegenwärtig als prekär zu bezeichnen. Der Anteil Deutsch lernender Schüler ist seit den 1970er-Jahren deutlich gesunken (von etwa 30 % auf ca. 15 %). Dieser Rückgang ist angesichts der unangefochtenen ersten Fremdsprache Englisch vor allem auf die Entwicklung bei der Wahl der zweiten Fremdsprache zurückzuführen: Wählten Anfang der 1970er-Jahre jeweils knapp 40 % der Schüler entweder Deutsch oder Spanisch, so entschieden sich im Jahr 2005 nur noch ca. 12 % für Deutsch, während über 70 % der Schüler Spanisch wählten. Angesichts knapper Bildungsbudgets existiert derzeit die Tendenz, das Angebot auf die erste Fremdsprache Englisch und die zweite Fremdsprache Spanisch zu reduzieren und somit den beschriebenen Trend weiter zu verstärken.

1

In der vorliegenden Arbeit wird einheitlich vom „französischen Bildungssystem“ gesprochen. Dem Verfasser ist durchaus bewusst, dass sich der französische Begriff der éducation nicht einfach mit „Bildung“ übersetzen lässt, da dieser Terminus „auf eine spezifisch deutsch geprägte Konzeption der Entwicklung von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen“ (BAASNER 2006: 25) verweist. Allerdings ist auch die Übersetzung mit dem Begriff „Erziehung“ nicht treffend. Dass keine naheliegende Übersetzung existiert, zeigt auch die Verwendung beider Begriffe durch die interviewten Experten. Gegen eine Beibehaltung des französischen Begriffs éducation sprachen Gründe der Lesbarkeit, sodass mit BAASNER (2006: 25), BAASNER, MANAC’H & VON SCHUMANN (2008: 172) und SCHMIDT et al. (2006: 217) im Folgenden vom „französischen Bildungssystem“ gesprochen wird.

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Allerdings gibt es auch viele Akteure, die versuchen, gegen diesen Trend etwas zu unternehmen: Im Jahr 2003 erklärten der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages2, dass die „Partnersprache“ entschlossen gefördert werden solle. Dies führte Ende 2004 zu einem „Aktionsplan für die Partnersprache“ mit konkreten Maßnahmen, die sowohl die deutsche Sprache in Frankreich als auch die sich ebenfalls in einer Krise befindende französische Sprache in Deutschland fördern sollen. Die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich ist folglich eingebettet in die Aussöhnungspolitik der ehemaligen Feinde in zwei Weltkriegen und wird als ein grundlegender Faktor dieser Annäherung gesehen.3 Der seit Langem sinkende Anteil Deutsch lernender Schüler in Frankreich wird daher auch als Infragestellung des Ansatzes der Aussöhnung und der deutsch-französischen Zusammenarbeit gedeutet. Der Bedeutungsverlust der deutschen Sprache in Frankreich ist jedoch kein singuläres Phänomen. Die Bedeutungen von (National-)Sprachen unterliegen permanent Veränderungen. Dies wird immer dann besonders deutlich, wenn sich gewohnte Ordnungen im Alltag wandeln. Als Beispiel hierfür kann die steigende Bedeutung der spanischen und der chinesischen Sprache angeführt werden: In den letzten Jahren waren etwa Berichte über chinesische Kindermädchen in den USA zu lesen, welche die nächste Generation der wohlhabenderen US-Amerikaner auf das „pazifische Jahrhundert“ vorbereiten sollen, indem sie ihr Chinesisch beibringen.4 Zugleich wächst ebenfalls in den USA die Bedeutung der spanischen Sprache, da kein Präsidentschaftskandidat ohne die Unterstützung der Hispanics die

2

Das „Élysée-Vertrag“ genannte Abkommen ist der am 22. Januar 1963 vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle und dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnete „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland o. J.).

3

So heißt es im Élysée-Vertrag: „Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die deutsch-französische Zusammenarbeit zukommt“ (ebd.).

4

HORNIG 2005

1 P ARTNERSPRACHE D EUTSCH | 19

Wahl gewinnen kann; daher werben die Kandidaten in spanischsprachigen Reden um deren Stimmen.5 Die Bedeutung von Sprachen ist folglich Veränderungen unterworfen, d. h. Sprachen besitzen keine feststehende ontologische Wertigkeit. Vielmehr ist die ihnen zugewiesene Bedeutung als sozial konstruiert anzusehen und verändert sich somit. Die Gesamtheit der Sprachen wird üblicherweise als System beschrieben,6 was auf die Tatsache verweist, dass Sprachen miteinander in Beziehung stehen: Aufgrund des Aufwandes, eine (Fremd-) Sprache zu erlernen, begnügen sich die meisten Menschen mit dem Erlernen von einer oder zwei Sprachen. Das gehäufte Lernen einer bestimmten Sprache hat wiederum den systemischen Effekt, dass andere Sprachen weniger oft gelernt werden – und Sprachen somit in Konkurrenz zueinander treten.7 Sprachen sind jedoch keine neutralen Kommunikationsmedien, sondern vielmehr höchst politische Elemente des Sozialen, da sie schon

5

Barack Obama adressierte verschiedene spanischsprachige Werbespots an die Hispanics: Im Mai 2008 startete Obama mit „Mensaje a Puerto Rico“ [„Botschaft an Puerto Rico“] eine Folge verschiedener Spots (O’KEEFE 2008), die er bis kurz vor der Präsidentschaftswahl fortsetzte und mit „El Sueño Americano“ [„Der amerikanische Traum“] im Oktober 2008 abschloss (HAUSSAMEN 2008). John McCain kritisierte Obama in einem spanischsprachigen Werbespot für dessen Immigrationspolitik (RUTENBERG 2008), worauf dieser seinerseits mit einem entsprechenden spanischsprachigen Spot reagierte (New York Times 2008). Der erste US-Wahlkampf, der mittels der spanischen Sprache intensiv auf Hispanics abzielte, war die Kampagne zur Präsidentschaftswahl 2000 zwischen Al Gore und George W. Bush (HEGSTROM 1999).

6

Die gängigste Art und Weise, die Wertigkeit von Sprachen darzustellen, sind diverse Formen von Sprachenhierarchien – wie bspw. nach Anzahl der Muttersprachler und Fremdsprachler (z. B. COULMAS 1992: 86; GRADDOL 1997: 8), gemäß dem auf Sprachgemeinschaften umgerechneten Bruttosozialprodukt bzw. Handelsvolumen (GRADDOL 1997: 28f.) oder aber nach dem sozio-politischen Status (ebd.: 12). Viele Darstellungen verweisen auf den Konzentrationsprozess innerhalb des Sprachsystems hin zu den großen bzw. zentralen Sprachen, der zu einem Sprachensterben am unteren Ende bzw. an der Peripherie führt (ebd.: 59; DE SWAAN

7

Ebd.: 17

2001: 2ff.).

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sehr lange als Macht- und Wirtschaftsfaktor angesehen und von verschiedenen Akteuren als solche eingesetzt werden. Bereits der spanische Humanist Antonio de Nebrija wies 1492 seine Königin Isabella I. darauf hin, dass die „Sprache zu jeder Zeit ein Instrument der Herrschaft“ gewesen sei, sodass die spanische Sprache8 verbreitet werden müsse.9 Frankreich verfolgte ab dem 16. Jahrhundert eine entsprechende Politik, indem die Sprache des Herrscherhauses zur alleinigen offiziellen Sprache im gesamten Land erklärt und nur diese Sprache an den Schulen unterrichtet wurde.10 Aus wirtschaftlicher Sicht setzte z. B. die Hanse „die eigene Sprache […] bewusst als Instrument zur Sicherung ihres Handelsmonopols ein“.11 Der deutsche Gesandte in China, Arthur von Rex, betonte bereits 1907 die „wirtschaftliche Bedeutung […] einer größeren Ausbreitung der deutschen Sprache in China“12 und verwies auf die „immer wieder beschworene Formel […] ‚Der Handel folgt der Sprache‘“.13 Achtzig Jahre später äußerte sich der Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt BARTHOLD WITTE nicht anders: „Wer Deutsch spricht, kauft auch eher deutsch“.14 Vor allem seit dem Entstehen der modernen Nationalstaaten und im Zuge des Imperialismus versuchten die Großmächte, ihre Interessen mittels der weltweiten Verbreitung „ihrer“ Sprache zu fördern. Folgende Aussage des deutschen Historikers VON TREITSCHKE zeugt davon, welche Rolle der Verbreitung der eigenen Sprache beim „rigorosen Wettlauf um Territorien, Bodenschätze, Handelsmärkte und Kapitalinvestitionen“15 des Imperialismus beigemessen wurde: „Die Zukunft Deutschlands wird im Wesentlichen davon abhängen, wie viel Menschen dermaleinst deutsch sprechen werden“.16

8

Genauer gesagt die kastilische Sprache, die außerhalb Spaniens als „Spanisch“

9

SCHULZE 2004: 55

gilt. 10 BAUMANN 2003: 12; CHRIST 2000: 104 11 STARK 2000: 25f. 12 VON REX 1907, zit. nach REINBOTHE 1992: 101 13 REINBOTHE 1992: 99 14 WITTE 1987: 7 15 BÖTTCHER 2002: 199 16 VON TREITSCHKE 1906, zit. nach REINBOTHE 1992: 103f.

1 P ARTNERSPRACHE D EUTSCH | 21

Doch nicht nur zu dieser Zeit wurden von den „Sprachmutterländern“17 staatliche Institutionen gegründet, um die Verbreitung der eigenen Sprache zu fördern.18 Auch heute wenden Staaten, „die es sich leisten können, […] oft hunderte Mio. oder bis zu mehreren Mrd. € für die auswärtige Förderung ihrer Sprache, meist zugleich auch ihrer Kultur auf“.19 Mehr noch scheint es, als sei nach dem Ende des Kalten Krieges neue Bewegung in den Kampf um die Bedeutungszuweisung hinsichtlich der Wertigkeit von Sprachen gekommen: Neue staatliche Institutionen wurden gegründet – als Beispiele sind v. a. diejenigen zu nennen, welche die spanische und chinesische Sprache verbreiten.20 Vor allem die „Sprachmutterländer“ versuchen also, die zugeschriebene Wertigkeit der eigenen Sprache im Sprachensystem zu erhöhen – und ihr somit innerhalb der „Sprachenhierarchie“ zu einer höheren Position zu verhelfen. Hiervon versprechen sie sich verschiedene Vorteile – v. a. machtpolitische und wirtschaftliche.21 Vor diesem Hintergrund sind auch die Bemühungen zur Förderung der deutschen Sprache einzuordnen: Aus wissenschaftlicher Sicht wird die Sprachförderungspolitik Deutschlands insgesamt als „bislang vernachlässigtes Politikfeld“22 bezeichnet. Wird die Sprachförderungspolitik untersucht, ist es laut AMMON23 angesichts der üblichen Praktik, externe Sprachverbreitungspolitik24 aus der Sicht der „Sprachmutterländer“ zu untersu-

17 AMMON 2006: 85 18 1883 wurde als erste Institution dieser Art die französische Alliance Française gegründet. 1889 folgte die italienische Società Dante Alighieri und 1925 die Deutsche Akademie als Vorläufer des Goethe-Instituts (ebd.: 79). 19 Ebd.: 80 20 Im Jahr 1991 wurde das spanische Instituto Cervantes gegründet (Instituto Cervantes 2010), 2004 das chinesische Konfuzius-Institut (Confucius Institute 2009). 21 AMMON 2006: 80 22 ANDREI 2006: 11 23 Der deutsche Linguist ULRICH AMMON dürfte der bekannteste Forscher zur Sprachverbreitungspolitik des Deutschen sein. 24 „Sprachverbreitungspolitik“ und „Sprachförderung“ sind Synonyme, wobei letzterer Terminus „von Soziolinguisten als verharmlosend empfunden“ wird (ANDREI 2006: 15).

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chen, erforderlich, auch die Sicht des „Zielstaates“, den jeweiligen Kontext vor Ort, mit zu berücksichtigen.25 In der vorliegenden Doktorarbeit wird daher die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich untersucht.26 In der Geographie hat die Auseinandersetzung mit Sprachen Tradition: Bereits seit RATZELS Feststellung, dass „Sprache […] ein wertvolles Mittel der Völkerunterscheidung“27 sei, wurden in der Geographie Sprachen bzw. Dialekte28 kartiert. Auch wenn die Geographie dieser lediglich beschreibenden Phase entwachsen ist, arbeiten einige Geographen und Geographinnen noch immer mit diesem Mittel der Kartierung von Sprachgruppen.29

25 AMMON 2006: 80 26 Auf die Förderung der französischen „Partnersprache“ in Deutschland wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Zwar wäre dies ebenfalls eine interessante Untersuchung, würde aber den Rahmen dieser Dissertation sprengen. 27 RATZEL 1975: 593 28 Die Unterscheidung zwischen „Sprache“ und „Dialekt“ ist eine äußerst schwierige. BRITAIN (2004: 268) stellt fest, dass „es dem Begriff ‚Dialekt‘ vielleicht mehr als jedem anderen im Feld [der Soziolinguistik] an definitorischem Konsens mangelt“ [„The term ‚dialect‘ […] lacks definitional consensus perhaps more than any other in the field“]. Der Linguist WEINREICH (1945: 13) grenzt Sprache und Dialekt bezeichnenderweise folgendermaßen ab: „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und Flotte“ [„A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot“]. Diese Äußerung unterstreicht den Zusammenhang von (National-) Sprache und Staat. 29 Hierbei ist festzustellen, dass sich der Fokus von einer großräumigen Betrachtungsweise zunehmend auf die „Sprachräume“ von Minoritäten verschoben hat (KRAAS 1992, 2001; KREUTZMANN 1995; ABEL 2009). Dieser Bereich einer Sprachengeographie wird laut WITHERS (2000: 433) oft auch als „Geolinguistik“ bezeichnet. Allerdings hält der Soziolinguist TRUDGILL diese Bezeichnung für unangemessen, da es weniger um Linguistik als um Geographie gehe – und mit WITHERS (ebd.) oft auch um „Sprachengeographie als Teil der politischen Identität linguistischer Minoritäten“ [„geography of languages as part of the political identity of linguistic minorities“]. Hierunter fallen daher auch Untersuchungen zu Regionalismen innerhalb von Nationalstaaten (z. B. GONZÁLES 2003). Geolinguistik bezeichne laut TRUDGILL (2004: 3) folglich eher Arbeiten der Soziolinguistik, die sich beispielsweise mit der „geographischen Diffusion von Worten oder Aussprachen von einem Gebiet in ein anderes“ beschäftigen

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Problematisch ist hierbei, dass mit diesem kartierenden Ansatz oft eine „Vorstellung der Welt als Mosaik von Kulturen“30 verbunden ist, wobei Letztere über das kulturelle Element Sprache identifiziert werden können; dieser Vorstellung liegt eine „Idee von Kultur zugrunde, die Kulturen ‚essentialisiert‘, diese also als wesenhafte Entitäten betrachtet“.31 Damit werden Kulturen „im Inneren“ homogenisiert und als homogene Entitäten räumlich voneinander abgegrenzt und einander gegenübergestellt, wie es etwa HUNTINGTON macht, um verschiedene Kulturen zu identifizieren und von einem „Clash of Civilizations“ sprechen zu können.32 Solch eine Konzeptualisierung von Kultur und Sprache erschwert jedoch „das Verständnis für die komplexen kulturellen Praktiken von Menschen“33, weswegen schon JACKSON 1989 forderte, dass eine „wiederbelebte Kulturgeographie über das Kartieren von Sprachen und die Geographie von Dialekten hinausgehen muss“34. JACKSONS Ausführung ist bereits vom Cultural Turn geprägt, dessen geographische Vertreter seit den späten

[„the geographical diffusion of words or pronunciations from one area to another“]. 30 GLASZE & MEYER 2009: 190 31 Ebd. 32 HUNTINGTON (1993, 1997) baut auf eine lange (geographische) Tradition im Rahmen des Konzepts der „Kultur-‚Erdteile‘ [auf], welches das Weltbild vieler Geographen bis heute prägt“ (BÖGE 1997: 334). „Das Relikt, besser gesagt die Ruine des Konzepts der ‚natürlichen‘ Räume ist demnach in 80 Jahren [seit der ersten kartographischen Darstellung durch BANSE 1912] nicht zusammengebrochen, sie wurde nur teilweise in neuer Terminologie und mit veränderter Schwerpunktsetzung modernisiert“ (ebd.). Auf „der Grundlage des gleichen Kulturkonstrukts [können jedoch] sowohl KOLB’SCHE ‚Friedensgeographie‘ als auch HUNTINGTON’SCHE Kriegsrhethorik“ funktionieren (WOLKERSDORFER 2001: 150). Dies mag auch daran liegen, dass KOLB sich im Gegensatz zu HUNTINGTON einer kartographischen Darstellung verweigert, denn laut GÜNZEL (2005: 5) bergen Karten als visuelle Umsetzung gedanklicher Kategorisierungen die Gefahr, die Wirklichkeit selbst zu konstituieren, obwohl sie vorgeben, ihr gegenüber sekundär zu sein. 33 GLASZE & MEYER 2009: 190 34 „[…] a revitalized cultural geography must go beyond the mapping of languages and the geography of dialect“ (JACKSON 1989: 169).

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1980er-Jahren „die Humangeographie zu revolutionieren und unser Verständnis ‚des Sozialen‘ und ‚des Kulturellen‘ zu hinterfragen“35 begannen. BERNDT und PÜTZ konstatierten im Jahr 2007, dass im Gegensatz zur angloamerikanischen Geographie in der deutschsprachigen Geographie bei diesem Ansatz einer „Neuen Kulturgeographie […] auch nach zwei Jahrzehnten Cultural Turn von einem Durchbruch nicht die Rede sein kann“, sodass „poststrukturalistische, konstruktivistische, praxistheoretische oder diskurstheoretische Perspektiven bei uns allenfalls punktuell Gehör“ finden.36 Gerade in der deutschsprachigen Geographie und vor allem im für die vorliegende Arbeit besonders relevanten Teilbereich der Politischen Geographie lässt sich nichtsdestoweniger feststellen, dass die diskurstheoretische Perspektive bis in die jüngste Vergangenheit deutlich erfolgreicher war als die praxistheoretische. So ist es nicht verwunderlich, dass die einzigen relevanten geographischen Arbeiten, die sich aus einer konstruktivistischen und poststrukturalistischen Perspektive mit (National-)Sprachen beschäftigen, diskurstheoretisch gerahmt sind.37 Der größere Erfolg diskurstheoretischer Ansätze im Vergleich zu praxistheoretischen liegt nicht zuletzt an der „Beschaffenheit“ des Cultural Turn: Mit BACHMANN-MEDICK müsse man genau genommen von cultural turns, also von einer Abfolge mehrerer aufeinanderfolgender und auch parallel stattfindender turns38, sprechen.39 Der erste dieser turns war der linguistic turn, dessen zentrale Beachtung von Sprache ab den späten

35 BERNDT & PÜTZ 2007: 7 36 Ebd.: 8f. 37 Bei diesen erfreulichen Ausnahmen handelt es sich um die sehr anschaulichen Arbeiten von GLASZE (2007, 2008). Mit Abstrichen ließe sich auch KOLOSSOV (2003) hierzu zählen. 38 BACHMANN-MEDICK (2007: 17) begründet die Wahl des englischen Begriffs „turn“ gegenüber dem deutschen Terminus „Wende“ damit, dass es sich „niemals um vollständige, umfassende und unumkehrbare Kehrtwenden […] im Sinne einer kopernikanischen Wende“ handelt, weswegen sie den „weniger epochalen englischen Begriff turn“ benutzt. 39 Ebd.: 7f.

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1960er-Jahren ermöglichte, Wirklichkeit als konstruiert wahrzunehmen.40 Hauptargument der Vertreter des linguistic turn ist, dass es keine Wirklichkeit „unterhalb von Sprache“ gibt, die es zu finden gelte (wie dies noch Anliegen des Positivismus war). Vielmehr setzte sich gegen Ende der 1960er-Jahre die Ansicht durch, dass es keine Realität gibt, „die nicht von Sprache durchzogen und die nicht schon sprachlich geprägt wäre“.41 Sprache dient also nicht zur Beschreibung einer unabhängig von menschlicher Erkenntnis existierenden Wirklichkeit, sondern Sprache selbst ist grundlegend für die Konstruktion von Wirklichkeit. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten zahlreiche weitere turns die Bedeutung des linguistic turn „abgewandelt“ und ihn „geradezu vervollständigt“ haben,42 ist Sprache nach wie vor auch für die Geographie ein zentrales Element. So untersuchen Geographen beispielsweise, wie Räume durch Kommunikation konstruiert werden.43 Auch das in den letzten beiden Jahrzehnten höchst erfolgreiche geographische Teilgebiet der critical geopolitics war von Anfang an vom zunächst rein sprachlich gedachten Konzept des Diskurses dominiert.44 Diese Fokussierung auf einen textorientierten Diskursbegriff der critical geopolitics wird in den letzten Jahren zunehmend kritisiert. So konstatiert etwa MÜLLER „ernste Bedenken […], dass das Konzept des Diskurses zu eng ist, um ‚die kleinen Dinge‘ zu fassen“45, sowie eine „wachsende Unzufriedenheit mit seinem Wert als Instrument sozialer Untersuchung“46. Einer dieser Bedenkenträger ist THRIFT. Bezug nehmend auf Ó TUATHAILS

40 Die Untersuchung von Wirklichkeit als sprachliche Strukturierung im Rahmen des linguistic turn legte damit den Grundstein für den Cultural Turn sowie für das gegenwärtig die Sozial- und Kulturwissenschaften dominierende Paradigma des Konstruktivismus (BACHMANN-MEDICK 2007: 43f.). 41 Ebd.: 35 42 Ebd.: 44 43 WARDENGA 2002: 10f. 44 MÜLLER 2008: 323 45 „[…] serious concerns have surfaced that the concept of discourse is too narrow to grasp ‚the little things‘“ (ebd.: 324). 46 „[…] the growing dissatisfaction with its value as an instrument of social inquiry“ (ebd.: 322).

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„Definition“ der geopolitics als „new field of discourse“47, führt THRIFT aus, dass „diejenigen, die im Bereich der geopolitics arbeiten, diese Definition vielleicht ein bisschen zu wörtlich genommen haben und die Welt als diskursive Konstruktion produzieren“48. Dies habe „problematische Konsequenzen, um zu verstehen, wie (und daher warum) Geomacht tatsächlich praktiziert wird“ und „eine Menge der ‚kleinen Dinge‘ auslässt“.49 Geopolitische Untersuchungen würden sich zu sehr auf Repräsentationen beschränken und müssten sich, so THRIFTS Appell, „mehr auf tatsächliche Praktiken“ einlassen.50 Die Forderung, einen verengten textorientierten Diskursbegriff zu überwinden, stellt daher ein zweites Forschungsdesiderat dar, sodass bisher folgende Forschungsdesiderate formuliert wurden: Erstens die Forderung, bei der Untersuchung externer Sprachverbreitungspolitik die Sicht des „Zielstaates“, den Kontext vor Ort, mit zu berücksichtigen;51 zweitens die Überwindung eines verengten textorientierten Diskursbegriffes, indem „mehr auf tatsächliche Praktiken“52 fokussiert wird. Ausgehend von diesen Forschungsdesideraten werden in der vorliegenden Arbeit die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im Kontext des „Zielstaates“ Frankreich untersucht. Die Arbeit konzentriert sich hierbei auf den schulischen Bereich: Dieser Sektor ist quantitativ der mit Abstand bedeutendste des Deutschlernens – in Frankreich eigneten sich im Jahr 2005 über 85 % der Deutsch Lernenden diese Sprache in der Schule an.53 Wie bereits einleitend geschildert, sank

47 Ó TUATHAIL 1997: 39 48 „[…] those working in geopolitics have, perhaps, taken this definition a little too literally, producing the world as discursive construction“ (THRIFT 2000: 380). 49 „[…] problematic consequences for understanding how (and therefore why) geopower is actually practiced. […] leaves out a lot of the ‚little things‘“ (ebd.: 380; Hervorhebung im Original). 50 „I hoped to have outlined a parallel agenda for critical geopolitics, […] one which is less taken in by representation and more attuned to actual practices“ (ebd.: 385). 51 AMMON 2006: 80 52 „[…] more attuned to actual practices“ (THRIFT 2000: 385). 53 Damit entspricht der Anteil der schulischen „Deutschlerner“ nahezu exakt dem globalen Niveau: Von den weltweit ca. 16,7 Mio. Deutsch lernenden Menschen

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der Anteil der Deutsch lernenden Schüler seit den 1970er-Jahren dramatisch. In dieser Zeit geriet Deutsch auch in der schulischen Sprachenhierarchie immer mehr unter Druck, da im Gegenzug immer mehr Schüler Spanisch wählten. In den letzten vier Jahren ist jedoch ein leichter Aufwärtstrend des Deutschen festzustellen, der häufig mit der Umsetzung des „Aktionsplans für die Partnersprache“ begründet wird, dessen Grundstein der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder 2003 anlässlich des 40. Jubiläums des Élysée-Vertrages legten. In der vorliegenden Arbeit wird der gesamte Bereich der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem von der Politik bis hin zum Unterricht untersucht. Folgende Fragestellung wird hierbei beantwortet: Von der Politik bis zum Unterricht: Wie wird die Förderung der deutschen Sprache im Zielstaat Frankreich praktiziert?

In dieser Arbeit gilt es folglich – in Anlehnung an den Gedanken THRIFTS – zu verstehen, wie die Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem tatsächlich praktiziert wird. Aus der leitenden Fragestellung ergeben sich weitere Fragen, wie beispielsweise: Inwiefern lassen sich bei der Förderung des Deutschen in Frankreich Praktiken und Ordnungen erkennen? Welche Akteure und Communities sind auszumachen, die die Tätigkeiten der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich ausführen? Inwiefern beeinflussen die Gegebenheiten des französischen Bildungssystems die Förderung der deutschen Sprache?

erlernten 14,5 Mio. und damit knapp 87 % diese Sprache in der Schule. Frankreich war 2005 trotz stark fallender Tendenz in den zwei Jahrzehnten zuvor mit ca. einer Million Deutsch lernender Schüler eines der bedeutendsten Länder hierunter (StADaF 2005: 5ff.).

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F ORSCHUNGSSTAND Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich durch die Untersuchung der Förderung des Deutschen in Frankreich mit dem Feld der Auswärtigen Sprachpolitik, die wiederum einen Teilbereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik darstellt.54 Im Jahr 2001 veranstaltete das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) eine Tagung zum Thema „Auswärtige Kulturpolitik – Ein Stiefkind der Forschung?“, im Jahr 2005 sah sich der Autor des Handbuchs „Kultur und Außenpolitik“, MAASS, bemüßigt, die „Hochschulen [zu ermuntern], sich stärker als bisher in der Lehre wie in der Forschung mit der ‚Dritten Säule‘ der deutschen Außenpolitik zu befassen“55 – in der Neuauflage von 2009 konstatiert MAASS: „Die Zahl der Wissenschaftler, die sich in Forschungsarbeiten mit Fragen Auswärtiger Kulturpolitik beschäftigen, ist immer noch gering“56. Und im Jahr 2006 schrieb die Politikwissenschaftlerin ANDREI in ihrer Dissertation über „Die auswärtige Sprachpolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Staaten Mittel- und Südosteuropas und in der Europäischen Union“ immer noch von einem wissenschaftlich „bislang vernachlässigten Politikfeld“57. Im Bereich der Auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands in Frankreich gilt die Dissertation der Romanistin ZNINED-BRAND (1999) nach wie vor als Referenz. Wie nahezu alle Arbeiten über die Kulturpolitik stützt sich die empirische Analyse – von einigen Interviews abgesehen – vor allem auf Schriftstücke.58

54 Die externe Sprachverbreitungspolitik (oder politisch korrekter: die Sprachförderung) – die das Ziel verfolgt, im Ausland neue Sprecher zu gewinnen – muss genau genommen noch von der Sprachkorpuspolitik unterschieden werden. Die Sprachkorpuspolitik bezieht „sich auf die Sprache selbst, ihre Regeln und ihre Stellung innerhalb eines Staates“ (ANDREI 2006: 14f.). 55 MAASS 2005: 21 56 Ebd. 2009: 21 57 ANDREI 2006: 11 58 Neben der Dissertation von SATTLER (2007), in welcher sie die Kulturpolitik Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens weltweit untersucht, sind auch zahlreiche Abschlussarbeiten zu nennen wie z. B. WIELAND 2000, WALTER 2005 und WETZEL 2007. Eine Ausnahme bildet hier lediglich die Diplomarbeit

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Auf dem Gebiet der Sprachpolitik sind vor allem die Arbeiten von PHILLIPSON (1992) und AMMON (1991, 1998, 2000) sowie der Sammelband von MAURAIS und MORRIS (2001) zu nennen. Diese Untersuchungen bieten einen interessanten Überblick auf der Makro-Ebene, allerdings keinen tiefer gehenden Einblick dahingehend, wie Sprachpolitik tatsächlich praktiziert wird, da ihre Herangehensweise textorientiert ist. Auch die relevanteste Arbeit, die sich direkt mit der Auswärtigen Sprachpolitik Deutschlands auseinandersetzt (ANDREI 2006), überprüft mittels Kongruenztests Hypothesen. Sie trägt durch diesen quantitativen Ansatz ebenfalls nicht zum Verständnis von Praktiken der Sprachpolitik bei. In der vorliegenden Arbeit wird ein anderer wissenschaftstheoretischer Zugang gewählt, der mithilfe der Methoden qualitativer Experteninterviews und teilnehmender Beobachtungen umgesetzt wird – und damit eher ein Verstehen dessen ermöglichen soll, wie Sprachpolitik tatsächlich praktiziert wird. In der Geographie ist diese Dissertation im Spannungsfeld von Neuer Kulturgeographie und Politischer Geographie zu verorten. Hier hat bereits GLASZE (2007, v. a. 2008) mit seiner Analyse der diskursiven Konstitution der Frankophonie eine sehr eingehende Untersuchung vorgenommen, der er den erweiterten Diskurs-Begriff der Theorie von LACLAU und MOUFFE zugrunde legt. In der Politischen Geographie besteht für die vorliegende Arbeit außerdem Anschlussfähigkeit an eine Diskussion um den Staat im Alltag: PAINTER (2006) hinterfragt die binäre Trennung zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat und plädiert für eine Untersuchung der „alltäglichen Praktiken, durch die etwas, das wir als ‚den Staat‘ bezeichnen, im Alltag gegenwärtig wird“59. In der Folge bezieht sich PAINTER dann aber auf das auf Mikhail Bakhtins Werk rekurrierende „concept of prosaics“60. Die vorliegende Dissertation folgt PAINTER beim ersten Schritt, Praktiken zum Untersuchungsgegenstand zu machen, schlägt dann aber eine andere Richtung ein, indem sie zur Untersuchung der „Staats“-Praktiken auf die Theorie sozialer Praktiken zurückgreift, wie sie durch die Arbeit des Soziologen RECKWITZ und des Sozialphilosophen SCHATZKI im Entstehen begrif-

von DENSCHEILMANN (2005), für die sie mit den Leitern der DeutschFranzösischen Häuser qualitative Interviews führte. 59 „[…] mundane practices through which something which we label ‚the state‘ becomes present in everyday life“ (PAINTER 2006: 753). 60 Ebd.: 755

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fen ist. Der Import der Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ in die Geographie und deren empirische Umsetzung rückt die vorliegende Doktorarbeit in den Kontext der Neuen Kulturgeographie: Sowohl die Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ als auch die Neue Kulturgeographie teilen das erkenntnistheoretische Verständnis von Kulturtheorien, welche den Cultural Turn vollzogen haben. In der Geographie liegen bereits verschiedene empirische Arbeiten vor, die sich mit Theorien sozialer Praktiken im weitesten Sinne auseinandersetzen. Hier lassen sich unterschiedliche Strömungen differenzieren: Erstens diejenige, die BOURDIEUS Konzeption von Praktiken folgt, zweitens jene auf GIDDENS Theorie der Strukturation Bezug nehmende und schließlich die auf SCHATZKI und RECKWITZ rekurrierende. Wie in Kapitel 2 noch darzustellen sein wird, ist der grundlegende Unterschied zwischen diesen drei theoretischen Ansätzen, dass sowohl BOURDIEU als auch GIDDENS in ihrer jeweiligen Theorie Praktiken als Trittbrett für andere Konzeptionen (z. B. Habitus, Kapital, Feld, verschiedene Formen von Ressourcen) benutzen, dabei aber eine grundlegende Klärung des Begriffs der Praktiken selbst vermissen lassen. SCHATZKI und RECKWITZ zeigen in ihrem Ansatz hingegen, dass eine Theorie, die eine detailliert ausgearbeitete Konzeption von Praktiken besitzt, keine darauf aufbauenden Konzepte benötigt, um das Soziale verstehen zu können.61 Die meisten geographischen Arbeiten, die sich eingehend mit Praktiken beschäftigen, beziehen sich auf die Strömung im Gefolge von BOURDIEU. Im deutschsprachigen Kontext sind hier etwa DIRKSMEIER 2009, DÖRFLER, GRAEFE und MÜLLER-MAHN 2003, DRILLING 2004, JANOSCHKA 2009, LIPPUNER 2005 sowie ROTHFUSS 2006 zu nennen. Die zweite, auf GIDDENS rekurrierende Strömung wurde im deutschsprachigen Raum v. a. durch die Arbeiten von WERLEN (z. B. 1995) bekannt. WERLENS Interpretation von GIDDENS wurde jedoch von BOECKLER (2005) dahingehend kritisiert, dass sie GIDDENS „Strukturationstheorie

61 Auch wenn SCHATZKI in späteren Publikationen noch das Konzept der Ordnungen einarbeitet, ist dieses kein auf Praktiken aufbauendes Konzept, sondern lediglich ein den Praktiken zur Seite gestelltes. Es soll helfen, den geographisch höchst relevanten Punkt der Materialität besser zu berücksichtigen; siehe Kapitel 2.2.

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handlungstheoretisch revidier[e]“62. Ein anderer Zugang zu GIDDENS Theorie ist in der britischen Geographie auszumachen: Nach Arbeiten anderer Geographen (z. B. GREGSON 1987) war es vor allem THRIFT, der diese früheren Untersuchungen kritisch beleuchtete (THRIFT 1993), um schließlich einige der zentralen Argumente in seine non-representational theory zu integrieren (THRIFT 1996, 2008). Auch der von SCHATZKI und RECKWITZ ausgearbeitete Theorieansatz wurde in der Geographie schon verwendet. Als empirische Beispiele lassen sich Arbeiten zu Praktiken im Kontext von migrantengeführten Lebensmittelgeschäften (EVERTS 2008, 2009) bzw. weitere Arbeiten zu konsumgeographischen Praktiken nennen (EVERTS & JACKSON 2009, JACKSON et al. 2006, WARDE 2005). Die Produktion von kulturellen Zuschreibungen im Rahmen von Praktiken wurde von BOECKLER (2005) und PÜTZ (2004) erforscht, des Weiteren gab es Untersuchungen zu Heimwerken (SHOVE et al. 2007, WATSON 2008, WATSON & SHOVE 2008), Nordic Walking (SHOVE & PANTZAR 2005), Abfallbeseitigung (GREGSON, METCALFE & CREWE 2009) sowie städtischer Gestaltung (BRZENCZEK & WIEGANDT 2009). Auf theoretischer Ebene befassten sich KAZIG und WEICHHART (2009), ROTHFUSS (2009) sowie SIMONSEN (2007) mit praktikenbezogenen Aspekten von Materialität, kultureller Differenz sowie Emotionalität. All diese Arbeiten nehmen zwar auf die Theorie sozialer Praktiken entweder nach RECKWITZ oder SCHATZKI Bezug, benutzen die Praxistheorie allerdings nicht konsequent und sind folglich nicht in der Lage, die Vorzüge dieser theoretischen Perspektive auszuschöpfen.63 Daher steht nach wie vor

62 BOECKLER 2005: 70 63 Die Vorteile der Praxistheorie liegen vor allem darin, dass sie eine umfassende Theorie des Sozialen darstellt, ohne einerseits auf vorgängige soziale Strukturen zurückzugreifen oder aber andererseits auf die Idee autonomer Subjekte. Diese vermittelnde Position zwischen individualistischen Theorien und „holistischen“ Sozialtheorien – die nichtsdestoweniger die Untersuchung vielfältiger Themen wie politischer Auseinandersetzungen oder die Konstitution von Individuen ermöglicht – wird durch die Fokussierung auf die überindividuellen Muster der Praktiken und Ordnungen ermöglicht. Dieses eher beschreibende AnalyseVokabular der Praxistheorie soll eine „Intellektualisierung des Sozialen“ vermeiden und beansprucht, dadurch dem Sozialen näherzukommen (RECKWITZ

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eine Arbeit aus, die auf der Grundlage umfassender Empirie diese Theorie konzeptionell konsequent anwendet und ihre Vorzüge in Wert setzt. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, diese Lücke zu schließen.



2003: 289). Die Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ wird umfassend im folgenden Kapitel 2 vorgestellt.

2 Die Analysekategorien: Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und R ECKWITZ

In der vorliegenden Arbeit wird die Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem aus praxistheoretischer Perspektive untersucht. Der Blickwinkel der Theorie sozialer Praktiken wurde gewählt, da er mithilfe seiner Analysekategorien einige grundlegende Aspekte dieses Themenfeldes „überhaupt erst einmal darstellbar“64 macht.

2.1 D ER W EG ZUR P RAXISTHEORIE : D IE E NTWICKLUNG SOZIALTHEORETISCHER T HEORIEBILDUNG Doch was ist überhaupt die „Praxistheorie“65? Welches sind die Eigenheiten der „praxeologischen“ Perspektive? Eine ausreichende Klärung – und somit ein Verständnis der dieser Arbeit zugrunde liegenden Analysekategorien – kann nur erfolgen, indem die Pfadabhängigkeit der Praxistheorie nachgezeichnet wird. Dies umfasst daher eine Verortung der Praxistheorie im Feld der Handlungstheorien, die im sozialtheoretischen Kontext von anderen „welt-erklärenden“ Theorien abgegrenzt werden.

64 DE CERTEAU 1988: 11 65 Im Folgenden werden die Begriffe „Praxistheorie“, „Praxeologie“ sowie „Theorie sozialer Praktiken“ synonym verwendet.

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2.1.1 Handlungstheorien extern: Die äußere Abgrenzung der Handlungstheorien Handlungstheorien ist gemein, dass für sie menschliches Verhalten (d. h. alle möglichen menschlichen Aktionen66) durch einen subjektiven Sinn zu Handeln wird. So definiert MAX WEBER Handeln als „ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder inneres Tun, Unterlassen oder Dulden) […], wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“67. Das Interesse des Soziologen WEBER für das Handeln liegt darin begründet, dass Handeln als gesellschaftskonstituierend angesehen wird: Durch das Handeln kommt soziale Ordnung zustande. Doch es gibt auch andere Ansätze: Die Theoriengruppe der Handlungstheorien kann, einer Einteilung des Soziologen RECKWITZ zufolge, von zwei anderen großen Theoriefraktionen abgegrenzt werden – dem Naturalismus und dem Textualismus. Als Abgrenzungskriterium bietet sich der Status des Sinnkonzepts an: Vereinfachend lässt sich sagen, dass der für Handlungstheorien zentrale Begriff des Sinns – erst er macht Verhalten zu Handeln – vom Naturalismus vernachlässigt wird, während der Textualismus ihn auf einer Meta-Ebene und eben nicht im Subjekt verortet. Naturalistische Konzeptionen68 kommen also ganz ohne den Begriff des Sinns aus bzw. meinen, die Sinn-Dimension auf Nicht-Sinnhaftes reduzieren zu können, und versuchen, die Handlungstheorien „gewissermaßen ‚von unten‘ zu unterlaufen“.69 Textualistische Ansätze70 benutzen dagegen zwar das Konzept des Sinns bzw. der Bedeutung, rechnen „diese Sinnelemente jedoch

66 MIEBACH 2006: 20 67 WEBER 1972: 1 68 Die naturalistische Denktradition besitzt – ausgehend vom französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts (D’HOLBACH, HELVETIUS) über den Darwinismus und Funktionalismus des 19. Jahrhunderts, den Behaviourismus und die Soziobiologie des 20. Jahrhunderts bis zur Neurophysiologie des 21. Jahrhunderts – eine lange Tradition (RECKWITZ 2004a: 304). 69 Ebd.: 304 70 Hierbei handelt es sich vor allem um LUHMANNS Theorie autopoietischer kommunikativer Systeme (Systemtheorie) und um FOUCAULTS Diskursanalyse. Die Vorstellung eines objektiven Geistes bei HEGEL und HERDER kann hier jedoch als theoriehistorischer Vorläufer gesehen werden (ebd.: 304).

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nicht als mentale Eigenschaften zu, sondern einer emergenten Ebene des Sozialen und Kulturellen, etwa in Form von Zeichen und Diskursen“71. Diese Verortung des Sozialen jenseits von „Körper und subjektivem Geist“ stellt somit den Versuch dar, die Handlungstheorien „‚von oben‘ zu übersteigen“.72 2.1.2 Handlungstheorien intern: Die Entwicklung der Handlungstheorien Allgemein lässt sich feststellen, dass Menschen „Wirklichkeit“ unterschiedlich wahrnehmen und diese daher auch in verschiedenen Konzepten ausdrücken können. Diese Konzepte beeinflussen wiederum die subjektive Wahrnehmung. Wenn Konzepte besonders wirkmächtig sind (aufgrund ihrer Plausibilität oder aber der „Macht“ des Deutenden), dann kann es im Extrem – wie etwa beim Beispiel des Kapitalismus – dazu kommen, dass das Konzept derart handlungsleitend wird, dass die Welt sich mehr und mehr dem Konzept, dem Modell von der Welt annähert. Oder in den Worten THRIFTS: „The model of the world becomes the world of the model“.73 Auch Handlungstheorien sind als solch ein Versuch der Erfassung einer Wirklichkeit anzusehen, die sich schon vorher „auf eine spezifische Art und Weise“74 selbst verstanden hat. Handlungstheorien bilden somit „keine ontologischen Wesenheiten ab, sondern sind vielmehr kontingente Vokabulare“, die selbst eine Wirklichkeit konstituieren.75 Daher sind Handlungstheorien nicht – wie die äußere Abgrenzung gegenüber dem Naturalismus einerseits und dem Textualismus andererseits (s. Kapitel 2.1.1) suggerieren könnte – als homogene Gruppe zu verstehen. Vielmehr haben sich die Konzeptionen – und somit das Verständnis – der Sozialwelt und damit auch die einzelnen Handlungstheorien verändert. Nach RECKWITZ lassen sich in der Entwicklung der Handlungstheorien drei Brüche erkennen: Der erste Bruch findet ihm zufolge in der Entwick-

71 RECKWITZ 2004a: 305 72 Ebd.: 304 73 THRIFT 2000: 694 74 RECKWITZ 2004a: 303 75 Ebd.

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lung vom zweckorientierten homo oeconomicus zum normorientierten homo sociologicus statt. Der zweite Bruch – vom homo sociologicus zu einem „kulturtheoretischen, wissensorientierten Verständnis menschlichen Handelns“76 – sei zwar noch nicht vollständig vollzogen, lasse sich aber eindeutig bestimmen. Der dritte Bruch der „Verschiebung innerhalb der Kulturtheorien von den mentalistischen zu den praxistheoretischen Beschreibungsformen“ erscheine „in seinen Konturen uneindeutiger […], eher als theoretische Möglichkeit“.77 Die ersten beiden Brüche modifizieren jeweils das Muster der Handlungserklärung. Beide Male wird neu definiert, was Handlung (und damit soziale Ordnung) konstituiert: Sah das Modell des homo oeconomicus Zwecke und Interessen als wesentlich78 an, waren es beim Modell des homo sociologicus Normen und Werte; für die Kulturtheorien sind Wissensordnungen und kulturelle Codes grundlegend.79 Allen diesen Ansätzen ist gemein, dass sie dem Mentalen die essentielle Rolle bei der Konstruktion sozialer Ordnung zuschreiben. Der dritte Bruch erfolgt innerhalb der wissensorientierten Kulturtheorien: Die Praxistheorie geht über die übrigen Kulturtheorien hinaus, indem sie die in der westlichen Aufklärung fußende Dichotomie von Körper und Geist hinterfragt.80 Der Praxistheorie zufolge ist es unzulässig, ein theoretisches Wissen zu essentialisieren, das vom Geiste kommend dann vom Körper umgesetzt wird. Vielmehr ist dieses Wissen in den Praktiken selbst zu verorten. Individuen sind „Träger“ dieser Praktiken und stellen „kompetente Körper“ dar,81 die in der Lage sind, diese Praktik auszuüben. Eine

76 RECKWITZ 2004a: 306 77 Ebd. 78 In der vorliegenden Arbeit stellt der Begriff „wesentlich“ lediglich ein Synonym zu „grundlegend“ dar und bezeichnet somit „das Wichtigste“ bzw. „den größten Anteil betreffend“. „Wesentlich“ verweist folglich nicht auf „das Wirkliche“ bzw. „das Wesen betreffend“, sondern wird aus Gründen sprachlicher Variation in erstgenanntem Verständnis genutzt. 79 RECKWITZ 2004a: 306 80 Eigentlich könnte man noch bis zum Protestantismus zurückgehen, der „das Wort der Bibel über das Ritual der Liturgie stellte“ und somit zum Aufkommen der Aufklärung beitrug (VON DER DUNK 2004: 18). 81 RECKWITZ 2003: 290f.

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Praktik kann einführend als „know-how-abhängige und von einem praktischen ‚Verstehen‘ zusammengehaltene Verhaltensroutine“82 definiert werden. Der Begriff der Routine weist darauf hin, dass der größte Teil der Praktiken nur teilbewusst, in einem routinisierten Ablauf, geschieht. Nur wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt oder der Ablauf geändert werden soll, übt das Individuum die Praktik bewusst aus.83 Dennoch sei an dieser Stelle schon angemerkt, dass der Begriff der Routine in der Praxistheorie nicht im Sinne MAX WEBERS verstanden wird, welcher das routinehafte Handeln in Praktiken dem zweckrationalen Handeln gegenüberstellt. In der praxistheoretischen Perspektive umfassen Praktiken vielmehr die Gesamtheit des Handelns. Hierauf wird in Kapitel 2.1.2.3 ausführlicher eingegangen. Um die Vorzüge der Praxistheorie deutlicher erkennen zu können, ist es nötig, sich die Pfadabhängigkeit ihrer Entwicklung vor Augen zu führen: Welches waren Forschungsdesiderate, die nach und nach erkannt sowie theoretisch angegangen wurden und schließlich auch in die Praxistheorie einflossen? Welche „blinden Flecke“ entstanden durch diese Neuausrichtung? Gingen die Perspektivverschiebungen der neuen Theorien nicht weit genug, um grundlegende Probleme der „Vorgänger“ zu hinterfragen? Nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Veränderungen auf dem Pfad zur Praxistheorie ist diese in ihrer Abgrenzung zu anderen Handlungstheorien – und deren Mängeln – zu verstehen. Daher macht es Sinn, nach dem vorangegangenen knappen Überblick die Entwicklung innerhalb des Feldes der Handlungstheorien genauer zu betrachten. Zu diesem Zweck wird auf die von RECKWITZ als „Brüche“ bezeichneten paradigmatischen Verschiebungen fokussiert, um die grundlegenden Veränderungen zu identifizieren. 2.1.2.1 Erster Bruch – vom homo oeconomicus zum homo sociologicus Das Modell des homo oeconomicus wurde im Kontext der utilitaristischen Sozialphilosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Denkern wie DAVID HUME und ADAM SMITH entwickelt und v. a. im Laufe des 20. Jahrhunderts in der neoklassischen Ökonomie und den soziologischen bzw. politikwissenschaftlichen Rational-Choice-Theorien weiter systematisiert.

82 RECKWITZ 2003: 289 83 GIDDENS 1988: 95

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Grundanliegen dieses Modells ist die Erklärung individuellen Handelns, welches die utilitaristische Schule in individuellen Zwecken und Überzeugungen begründet sieht. Vor allem EMILE DURKHEIM und TALCOTT PARSONS zweifelten jedoch an der Erklärungskraft des utilitaristischen Modells des homo oeconomicus: Ihnen zufolge ist die Erklärung individuellen Handelns unzureichend, es müsse vielmehr die soziale Ordnung des Handelns, also wie das Handeln intersubjektiv koordiniert wird, erklärt werden. Der somit veränderte Forschungsgegenstand bringt zwangsläufig eine Verschiebung der Perspektive mit sich – die Vertreter der neokantianischen Schule finden die Antwort auf das neue Problem mit einem Rückgriff auf KANT: Gemeinsam mit KANT gehen sie von der Existenz einer den individuellen Neigungen vorgeschalteten Ebene allgemeiner Sollens-Regeln aus. Sie verorten diese Ebene jedoch nicht wie KANT im vernünftigen transzendentalen Subjekt, sondern mittels Normen im übersubjektiven sozialen Kollektiv.84 2.1.2.2 Zweiter Bruch – vom homo sociologicus zu den Kulturtheorien Das Resultat der Kritik an der Konzentration des homo oeconomicus auf die individuellen Handlungsakte war also das Modell des homo sociologicus, welches bestrebt ist, die kollektiven Handlungsmuster und damit letztlich die soziale Ordnung zu erklären. In diesem Punkt stimmen die Vertreter der Kulturtheorien dem Modell des homo sociologicus zu, während sie sich in der Summe jedoch vom homo sociologicus abgrenzen, indem sie die wesentlichen kollektiven Kriterien des Handelns anders verstehen: Kollektive Handlungskriterien sind im weitesten Sinne Regeln. Während das Paradigma des homo sociologicus Normen, also „regulative Regeln“ als die zu untersuchenden Regeln ansieht, legen die Kulturtheorien ihren Fokus auf „konstitutive Regeln“. Der Unterschied zwischen regulativen und konstitutiven Regeln ist hierbei grundlegend: Während regulative Regeln eine bereits existierende Tätigkeit bestimmen, wäre diese Tätigkeit ohne konstitutive Regeln gar nicht vorhanden.85 Damit ist die Perspektivverschiebung des zweiten Bruchs vom Paradigma des homo sociologicus zu den Kulturtheorien nicht

84 RECKWITZ 2004a: 311 85 SEARLE 1969: 146

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lediglich ein Schwenk auf ein anderes, paralleles Problem. Die vom Modell des homo sociologicus untersuchten regulativen Regeln (Normen) haben gegenüber den konstitutiven Regeln der Kulturtheorien eine abgeleitete, untergeordnete Bedeutung.86 Während der homo oeconomicus individuelle Interessen erklären will, geht der homo sociologicus einen Schritt weiter und fragt danach, wie die reibungslose Koordination der Handlungen verschiedener Individuen gelingt. Die Kulturtheorien erweitern dies in einem nächsten Schritt, indem sie die viel grundlegendere Frage stellen, wie Akteure überhaupt handlungsfähig werden können. Dementsprechend beantworten Kulturtheorien die Frage nach sozialer Ordnung nicht mehr mit Normen bzw. normativen Strukturen, sondern mit der Wahrnehmung oder allgemein kognitiven Strukturen des Wissens. Laut HERITAGE werfen die Kulturtheorien ein „kognitives Ordnungsproblem auf, das Vorrang hat vor der gängigeren HOBBES’SCHEN Formulierung“87 des homo sociologicus. Die Kulturtheorien verorten die grundlegenden konstitutiven Regeln der sozialen Welt folglich in Wissensordnungen: Akteure werden dadurch handlungsfähig, dass sie die Welt überhaupt erst als geordnet wahrnehmen. Wie sie dies machen, versuchen die verschiedenen kulturtheoretischen Ansätze auf unterschiedliche Art und Weise zu erklären.88 Auch GIDDENS ist mit seiner Strukturationstheorie in diesem kulturtheoretischen Rahmen zu verorten, da er die Frage, wie soziale Ordnung zustande kommt, anders beantwortet als der dem Modell des homo sociologicus zuzuordnende PARSONS: „The ‚problem of order‘ is seen by Parsons [...] largely as a problem of compliance: of how individuals come to adhere to the normative demands of the social groups of which they are members. [...] The true locus of the ‚problem of order‘ (however) is [...] of how continuity of form is achieved in the day-to-day conduct of social activity.“89

86 RECKWITZ 2004a: 313ff. 87 „[T]hese considerations [die der Kulturtheorien zugrunde liegenden] generate a cognitive ‚problem of order‘ [...] which is prior to the more familiar Hobbesian formulation [des homo sociologicus]“ (HERITAGE 1984: 77). 88 Hierauf wird in Kapitel 2.1.2.3 ausführlicher eingegangen. 89 GIDDENS 1979: 216f.; Hervorhebungen im Original

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Das „Ordnungsproblem“ hat sich also im Übergang von den normorientierten Handlungstheorien im Gefolge des Modells des homo sociologicus zu den Kulturtheorien verschoben, indem die Kulturtheorien danach fragen, wie „gleichförmiges“ Handeln überhaupt erst möglich ist. Dieser Gedanke der Gleichförmigkeit des Handelns wird später in der Praxistheorie eine zentrale Rolle spielen. Doch bleiben wir zunächst bei den Kulturtheorien und resümieren kurz deren wesentlichen Fortschritt. Die Modelle des homo oeconomicus und des homo sociologicus bleiben mit ihrer Ausrichtung auf die Frage der Interessen und „den möglichen sozialen Folgen der Diversität individueller Neigungen und Interessen“90 insgesamt im vertragstheoretischen Denken verhaftet. Auch wenn der homo sociologicus einen Schritt weitergeht, lässt er sich die Antwortmöglichkeit doch „letztlich vom homo oeconomicus vorgeben“91. Während der homo sociologicus quasi die regulativen Regeln des Spiels des homo oeconomicus untersucht, nehmen die Kulturtheorien dessen konstitutive Regeln in den Fokus: Sie fragen nach den kognitiven Wissensordnungen, die dieses Spiel erst ermöglichen. Wichtig ist hierbei, die „Kollektivität dieser sinnhaften Ordnungen und ihrer symbolischen Organisation der Wirklichkeit“92 hervorzuheben, welche die Voraussetzungen offenlegt, unter denen normorientiertes Handeln (homo sociologicus) und zweckorientiertes Handeln (homo oeconomicus) erst möglich werden. Die Organisation der Wirklichkeit mittels Symbolen zu denken, veranlasst CASSIRER, vom animal symbolicum93 zu sprechen. Mit diesem Begriff grenzt er sich vom gängigen Terminus des animal rationale ab94 und hinterfragt so nicht zuletzt auch die Ratio als das wesentliche Merkmal des Menschen. Dieser Gedanke schlägt eine Brücke zur Praxistheorie, welche die seit der Aufklärung etablierte Priorität des Geistes über den Körper überwindet. Schließlich betont CAS-

90 RECKWITZ 2004a: 306 91 Ebd.: 311 92 Ebd. 2003: 288 93 CASSIRER 2006: 32 94 „The great thinkers […] have defined man as an animal rationale […]. Reason is a very inadequate term with which to comprehend the forms of man’s cultural life in all their richness and variety. But all these forms are symbolic forms. Hence, instead of defining man as an animal rationale, we should define him as an animal symbolicum“ (ebd.: 31; Hervorhebungen im Original).

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SIRER das „Tun“ als den „Mittelpunkt, von dem für den Menschen die geistige Organisation der Wirklichkeit ihren Ausgang nimmt“95: Die „Ordnung des Wissens“96 ist bei CASSIRER somit aktive „Gestaltung“97. Dies ist auch der zentrale Gedanke der Praxistheorie.

2.1.2.3 Dritter Bruch – oder: Endlich Praxistheorie Kulturtheorien sind darauf ausgerichtet, kognitive Wissensordnungen zu untersuchen, um herauszufinden, wie Akteure überhaupt handlungsfähig werden können. Dies ist die Grundlage sozialer Ordnung.98 Wie bereits erwähnt, sind Kulturtheorien keine homogene Theoriengruppe – vielmehr speisen sie sich aus sehr vielfältigen Quellen99, die in den Cultural Turn gemündet sind.100 Idealtypisch lassen sich im kulturtheoretischen Feld mit RECKWITZ „die Optionen des Mentalismus, des Textualismus und der Theorie sozialer Praktiken“101 voneinander abgrenzen. Diese drei kulturtheoretischen Idealtypen102 unterscheiden sich in ihrem Verständnis dessen, „was

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CASSIRER 2010: 183

96

Ebd. 1990: 144

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SANDKÜHLER 2003

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Alternativ werden Kulturtheorien daher auch als sozialkonstruktivistische

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RECKWITZ (2003: 287) nennt hier Strukturalismus, Semiotik, Poststruktura-

Theorien bezeichnet. lismus, Phänomenologie, Hermeneutik, Pragmatismus und radikalen Konstruktivismus. 100 Hier müsste exakter davon gesprochen werden, dass sie in den interpretive turn gemündet sind, der „einen massiven ‚culture shift‘ im Feld der Sozialwissenschaften“ einleitete (BACHMANN-MEDICK 2007: 78). Der interpretive turn markiert nach dem linguistic turn eine Neufokussierung, die beginnt, die „Sprachenge des linguistic turn“ aufzubrechen, indem von diesem vernachlässigte Dimensionen beleuchtet werden (ebd.: 36, Hervorhebung im Original). Der interpretive turn überspannt als „impulsgebende Neuorientierung […] alle anderen gleichzeitigen oder nachfolgenden Spielarten des so genannten ‚Cultural Turn‘“ (ebd.: 58). 101 RECKWITZ 2003: 288 102 Da die Praxistheorie – wie wir später sehen werden – auch einen Idealtyp darstellt, der in der hier beschriebenen Homogenität nicht zu finden ist, sei an dieser Stelle nur kurz darauf verwiesen, dass ein Idealtyp „durch einseitige

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die fraglichen Sinnsysteme und Wissensordnungen ausmacht und wie sie wirken“103. Für den Mentalismus ist Kultur ein „geistiges, ideelles Phänomen. Der Ort der kulturellen Symbolsysteme ist […] metaphorisch gesprochen ‚im Kopf‘ der Handelnden, und die ‚kleinste Einheit‘ des Sozialen, die es in der Kulturanalyse herauszuarbeiten gilt, sind kognitiv-geistige Schemata“ – seien es nun Klassifikationssysteme oder Weltbilder. Die sehr einflussreichen Varianten des Mentalismus reichen von der klassischen neukantianischen Kulturtheorie nach WEBER über den klassischen Strukturalismus nach DE SAUSSURES Semiologie bis zur Phänomenologie nach HUSSERL104, weswegen man den Mentalismus auch als die „traditionellste Form der modernen Kulturtheorien“105 bezeichnen kann. Die verschiedenen Zweige des Mentalismus favorisieren die Interpretation von Sozialem und Kultur als „reine ‚Repräsentationssysteme‘“.106 Der sich seit den späten 1960er-Jahren entwickelnde Textualismus steht dem Mentalismus fast diametral gegenüber: „Wenn für den Mentalismus Kultur im ‚Innern‘ des Mentalen verborgen war, so bietet es sich für den Textualismus genau umgekehrt im Außen der Diskurse, der Texte, der Symbole, der kommunikativen Sequenzen öffentlich dar“.107 Der Textualismus begründet die Konzentration auf textuelle Äußerungen also damit, dass diese selbst durch die sinnhaften Wissensordnungen und ihre kulturellen Codes strukturiert sind. Zu dem textualistischen Feld, das sich im Kon-

Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen“ zustande kommt (WEBER 1988: 191; WEBER führte den Begriff des Idealtyps ein). RITSERT (1996: 41) fasst dies kurz in den Verfahren der Abstraktion, Pointierung und Idealisierung zusammen. 103 RECKWITZ 2003: 288 104 HUSSERLS Phänomenologie befindet sich durch ihren subjektiven Ansatz zwar im „diametralen Gegensatz zum ‚objektivistischen‘ Strukturalismus“, verortet das Kulturelle/Soziale aber auch mental, „in der Intentionalität“ (RECKWITZ 2003: 288). 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd.: 288f.

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text des Poststrukturalismus, der radikalen Hermeneutik und einer radikalkonstruktivistischen Systemtheorie entwickelt hat, lassen sich FOUCAULTS poststrukturalistische Diskurstheorie (v. a. im Frühwerk „Die Archäologie des Wissens“ von 1969), semiotische Analysen wie teilweise bei BARTHES, GEERTZ’ radikalhermeneutischer Ansatz einer „culture as text“ sowie LUHMANNS Kommunikationssequenzen „in der Umwelt“ von psychischen Systemen zählen.108 Bei der Praxistheorie handelt es sich schließlich um den jüngsten der drei kulturtheoretischen Zweige. Sie ist wie die anderen kulturtheoretischen Theoriegruppen „eher ein Bündel an Theorien mit ‚Familienähnlichkeit‘“109, um den von WITTGENSTEIN geprägten Begriff zur Klassifikation verschiedener Gruppierungen mit unscharfen Abgrenzungen zu benutzen. In der vorliegenden Arbeit verweist der Begriff „Praxistheorie“ auf die Theorie sozialer Praktiken nach RECKWITZ und SCHATZKI. Diese beiden haben durch eine ähnliche Vorgehensweise sowie durch RECKWITZ’ Bezugnahme auf SCHATZKI eine miteinander kompatible Praxistheorie ausgearbeitet. Die Vorgehensweise ist deshalb als ähnlich zu bezeichnen, da beide keine gänzlich neue Theorie erdacht haben, sondern auf eine Vielzahl verschiedener Autoren zurückgreifen.110 RECKWITZ und SCHATZKI haben v. a. bei diesen Autoren die zunehmende Benutzung eines Vokabulars festgestellt, das sie als „praxistheoretisch“ kennzeichnen, und es sich daher in den letzten 15 Jahren zur Aufgabe gemacht, den „erkennbaren, sich

108 RECKWITZ 2003: 288f. 109 Ebd.: 283f. 110 Hiermit sind Autoren gemeint wie etwa BOURDIEU, BUTLER, DE CERTEAU, FOUCAULT, GARFINKEL, GEERTZ, GIDDENS, HEIDEGGER, TAYLOR und WITTGENSTEIN. RECKWITZ (2003: 282f.) benennt z. B. konkret GARFINKELS Ethnomethodologie, BOURDIEUS Theorie der Praxis, WITTGENSTEINS Sprachphilosophie, DE CERTEAUS Analyse der „Kunst des Handelns“, GIDDENS’ Strukturierungstheorie, BUTLERS Theorie der Performativität sowie Ansätze aus den science studies wie etwa von LATOUR. Teilweise greifen RECKWITZ und SCHATZKI auch auf Denker zurück, deren Gesamtwerk im Widerspruch zur praxistheoretischen Ontologie zu stehen scheint, die jedoch ein Konzept ausgearbeitet haben, das im praxistheoretischen Denken gewinnbringend berücksichtigt werden kann – wie dies etwa bei FOUCAULTS Konzept der „Praktiken des Selbst“ der Fall ist.

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verdichtenden theoretischen Knotenpunkt“111 der Praxistheorie innerhalb des heterogenen Netzwerks kulturtheoretischer Ansätze herauszuarbeiten. Hierbei erkennt RECKWITZ, wie bereits erwähnt, eine „Verschiebung innerhalb der Kulturtheorien von den mentalistischen zu den praxistheoretischen Beschreibungsformen“112. Diese sozialwissenschaftliche Tendenz zu einem praxistheoretischen Vokabular hat SCHATZKI bereits 2001 im damals noch eher programmatisch betitelten Sammelband „The Practice Turn in Contemporary Theory“ wie folgt zusammengefasst: „Thinkers once spoke of ‚structures‘, ‚systems‘, ‚meaning‘, ‚life world‘, ‚events‘, and ‚actions‘ when naming the primary generic social thing. Today many theorists would accord ‚practices‘ a comparable honor.“

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Auch wenn es vielleicht noch zu früh ist, um mit SCHATZKI et al. von einem practice turn zu sprechen114, ist doch offensichtlich, dass mittlerweile in vielen Sozial- und Kulturwissenschaften zunehmend auf praxistheoretische Vokabulare zurückgegriffen wird. Die Praxistheorie unterscheidet sich von Mentalismus und Textualismus durch die Verortung des Sozialen, des Kulturellen: „Der ‚Ort‘ des Sozialen ist damit nicht der (kollektive) ‚Geist‘ [Mentalismus] und auch nicht ein Konglomerat von Texten und Symbolen [Textualismus], sondern es sind die ‚sozialen Praktiken‘, know-how-abhängige und von einem praktischen ‚Verstehen‘ zusammengehaltene Verhaltensroutinen“115. Grundlegend muss festgehalten werden, dass in der Praxistheorie alles Handeln in Praktiken stattfindet. Damit liegt dem Handeln, wie bereits angedeutet,

111 RECKWITZ 2006: 706 112 Ebd. 2004a: 306 113 SCHATZKI 2001: 1 114 SCHATZKI et al. 2001; gemäß BACHMANN-MEDICK konstituiert erst der „konzeptuelle Sprung“ vom „Erkenntnisobjekt“ zum „Erkenntnismedium“ einen turn. Dieser wird von der „Transformation von zunächst beschreibenden Begriffen in operative Begriffe“ (2007: 26) begleitet oder, wie BACHELARD (1974: 133f.) es ausdrückt, von einem „epistemologischen Bruch“ bzw. „der Einführung und Verbreitung eines neuen erkenntnisleitenden Vokabulars, das neuartige analytische Perspektiven eröffnet“ (RECKWITZ 2000: 644). 115 Ebd. 2003: 289

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nicht die klassische Zweiteilung WEBERS zugrunde, bei der das Routinehandeln in Praktiken vom zweckrationalen Handeln unterschieden wird116. Vielmehr besteht die soziale Welt aus einem dichten Geflecht an Praktiken, die in Kapitel 2.2 ausführlicher definiert werden. Beispiele für Praktiken sind „Praktiken des Regierens, Praktiken des Organisierens, Praktiken der Partnerschaft, Praktiken der Verhandlungen, Praktiken des Selbst etc.“ 117. Die veränderte Annäherung an das Problem der Verortung des Sozialen118 führt auch zu einem anderen Verständnis von Handeln, Subjekt bzw. Akteur und, wie bereits erwähnt, vor allem des Sozialen, indem die Sozialwelt als aus Praktiken bestehend angesehen wird. Handeln ist somit „nicht als ein Konglomerat diskreter, intentionaler Einzelhandlungen zu denken, sondern als ein routinisierter Strom der Reproduktion typisierter Praktiken“119. An dieser Stelle muss deutlich gemacht werden, dass die Praxistheorie andere Aspekte des Handelns wie Intentionalität, Normativität und symbolische Schemata nicht komplett negiert. Die Praxeologie betont vielmehr, „dass Intentionalität, Normativität und Schemata in ihrem Status jedoch grundsätzlich modifiziert werden, wenn man davon ausgeht, dass Handeln im Rahmen von Praktiken zuallererst als wissensbasierte Tätigkeiten begriffen werden kann“120. Zur Erinnerung soll noch einmal betont werden, dass die Praxistheorie wie der Mentalismus und der Textualismus zu den wissensorientierten Kulturtheorien zählt, soziale Ordnung also auf sinnhaften Wissensordnungen basiert. Die ausgeführte unterschiedliche Verortung des Sozialen innerhalb der drei kulturtheoretischen Idealtypen hat jedoch wesentliche Implikationen: Sie führt nicht zuletzt dazu, dass die Praxistheorie dem Mentalismus und dem Textualismus (sowie auch den Modellen des homo

116 RECKWITZ 2009: 173 117 Ebd. 2003: 289 118 Bei dieser Frage handelt es sich immerhin um die „zentrale Frage, die die Soziologie seit ihrer Gründung am Ende des 19. Jahrhunderts umgetrieben hat“ (ebd.: 286). 119 RECKWITZ 2003: 294. Hier sei nur am Rande erwähnt, dass die Praxistheorie mit der Routinisierung des Handelns „auf eigentümliche Weise“ „eine komplette ‚Umkehrung‘“ der WEBER’SCHEN Handlungstheorie betreibt (ebd.). 120 Ebd.: 291f.

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oeconomicus und homo sociologicus) „eine ‚Intellektualisierung‘ des sozialen Lebens“121 vorwirft. Dieser „konzeptuelle ‚Intellektualismus‘“122 besteht in der Tendenz von Mentalismus und Textualismus, Wissen getrennt von seiner Anwendung zu betrachten und somit zu theoretisieren. Zahlreiche andere Sozialtheorien fallen nach SCHATZKI dem „wissenschaftlichen Drang zum Opfer [...], vereinfachende, diagrammatische Modelle des sozialen Lebens zu konstruieren. Damit vernachlässigen sie jedoch Schlüsseldimensionen der sozialen Existenz“.123 Als ein Beispiel für eine solche Darstellung des sozialen Lebens kann WERLENS Modell des Handelns herangezogen werden, das in geradezu mechanizistischer Art zeigt, wie das Soziale intellektualisiert wird, indem das Wissen essentialisiert und dem Handeln vorangestellt wird.124 Wissen kann aus praxeologischer Perspektive jedoch nicht als Essenz analytisch herausdestilliert und praxisenthoben betrachtet werden, sondern muss im Kontext der Anwendung, der Praktik gesehen werden. Die Praxistheorie betont daher die „Implizitheit dieses Wissens“, das nicht als „ein ‚theoretisches Denken‘ der Praxis zeitlich vorausgeht, sondern als Bestandteil der Praktik zu begreifen ist“.125

121 RECKWITZ 2003: 289 122 Ebd. 123 „In addition, both individualist and socialist analyses fall prey to the scientific urge to build simplifying, diagrammatic models of social life. They thereby neglect key dimensions of social existence“ (SCHATZKI 2002: xii). 124 An dieser Stelle wird auf eine Abbildung von WERLENS Modell des Handelns verzichtet, um zu vermeiden, dass dieses Modell aufgrund der Wirkmächtigkeit bildlicher Darstellungen einen allzu prägenden Eindruck hinterlässt. Der interessierte Leser wird um Verständnis für diese Vorgehensweise gebeten und sei auf WERLEN (2007: 593) verwiesen. Mit diesem beispielhaften Heranziehen des WERLEN’SCHEN Modells des Handelns soll jedoch WERLENS Leistung keineswegs geschmälert werden. Sein Eintreten für das „Betreiben einer raumorientierten Handlungswissenschaft“ anstelle einer „handlungsorientierten Raumwissenschaft“(WERLEN 2004: 310) hat zumindest in der deutschsprachigen Geographie wesentlich dazu beigetragen, den wissenschaftlichen Fokus in Richtung von Praktiken verschieben zu können. 125 RECKWITZ 2003: 292

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Bisher wurde aufgezeigt, wovon sich die Praxistheorie abgrenzt, also gewissermaßen die negative Beschreibung der Praxistheorie. In der Folge wird die Praxistheorie positiv, von innen heraus beschrieben und ihre wesentlichen Begrifflichkeiten vorgestellt.

2.2 D IE P RAXISTHEORIE UND R ECKWITZ

NACH

S CHATZKI

„Aber es gibt kein solches Substrat; es gibt kein ‚Sein‘ hinter dem Thun, Wirken, Werden; ‚der Thäter‘ ist zum Thun bloß hinzugedichtet – das Thun ist alles.“ NIETZSCHE 1906: 327

Eine Praktik wurde einführend mithilfe von RECKWITZ als „know-howabhängige und von einem praktischen ‚Verstehen‘ zusammengehaltene Verhaltensroutine“126 definiert. Damit lässt sich die Praxistheorie, wie gesehen, im Feld der wissensorientierten Kulturtheorien verorten. Soll eine Praktik detaillierter gefasst werden, ist folgende grundlegende Definition von SCHATZKI hilfreich: „Eine Praktik ist ein Aktivitäten-‚Bündel‘, d. h. ein organisierter Zusammenhang körperlicher Taten und Äußerungen.“127

Damit sind die zwei grundlegenden Komponenten einer Praktik benannt: Aktion und Organisation.128 Die Aktions-Komponente einer Praktik wiederum besteht primär aus körperlichen Taten und Äußerungen. Hierbei stellt SCHATZKI heraus, dass sowohl Taten als auch Äußerungen körperlich seien, „um zu betonen, dass dies Dinge sind, die Menschen mit ihren Körpern

126 RECKWITZ 2003: 289 127 „A practice is a ‚bundle‘ of activities, that is to say, an organized nexus of bodily doings and sayings“ (SCHATZKI 2002: 71). 128 Ebd. 2006: 1864

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tun“129. Die scheinbare Ambivalenz der Betonung des Körperlichen von Äußerungen bei deren gleichzeitiger Abgrenzung von körperlichen Taten ist von SCHATZKI durchaus intendiert: Zwar seien auch verbale Äußerungen körperliche Taten, allerdings sage „aus Gründen, die bisher niemand umfassend verstanden hat“, eine verbale Äußerung „etwas in einer Weise“, wie es körperliche Taten nur selten schaffen.130 Daher unterscheidet SCHATZKI „zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Taten“131, zwischen körperlichen Taten und Äußerungen. Gleichzeitig betont SCHATZKI aber, dass es „ein Fehler [sei], einem von beiden Typen Priorität einzuräumen“132. Hier verweist er darauf, dass im Gefolge „des linguistic turn in den letzten Jahrzehnten einige Theoretiker […] die Bedeutung des Diskurses für das Soziale“ überbewertet hätten.133 Körperliche Taten und Äußerungen sind in SCHATZKIS Begrifflichkeit die kleinsten Elemente der Aktions-Komponente von Praktiken. Taten und Äußerungen können wiederum zu Projekten zusammengefasst werden. Deren Abgrenzung ist ebenso kontingent wie die Abgrenzung einzelner Praktiken, die je nach Betrachtung unterschiedlich vorgenommen werden kann. Ziele vervollständigen die Aktions-Komponente. Wichtig ist zu betonen, dass es sich hierbei um eine analytische Trennung handelt, die ebenso lediglich dem besseren Verständnis dient wie die grafische Abbildung der Komponenten und Elemente einer Praktik (s. Abbildung 1) – eine grafische Abbildung seines Vokabulars hat SCHATZKI selbst nie vorgenommen.

129 „I label them ‚bodily‘ to emphasize that they are things people do with their bodies“ (SCHATZKI 2002: 72). 130 „For deep reasons, however, which it is safe to say no one has yet fully fathomed, on most occasions uttering words says something in a way that squatting (on one’s heels, for instance) only rarely – and with the help of special arrangements – does“ (ebd.: 76f.). 131 „This difference is the difference between discursive and nondiscursive actions“ (ebd.: 77). 132 „It seems to me an error to grant priority to either type“ (ebd.). 133 „I asseverate this because the formidability of the linguistic turn in recent decades has led some theorists to overvalue the significance of discourse in social life“ (ebd.).

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Abbildung 1: Aktions- und Organisations-Komponente einer Praktik und deren Elemente134

 Quelle: eigener Entwurf nach SCHATZKI 2002

Um diese Begrifflichkeiten zu verdeutlichen, wird auf das Beispiel der Praktik des Day-Trading zurückgegriffen. Day-Trader (Tageshändler) sind private Wertpapierhändler, die im Unterschied zu den Market-Makern (Marktmachern) keine langfristigen Anlagen tätigen, sondern durch eine Vielzahl kurzfristiger Käufe und Verkäufe in der Summe einen ausreichenden Gewinn erwirtschaften wollen. Ihr Name als Day-Trader kommt dadurch zustande, dass sie am Ende des Börsentages üblicherweise ihre Wertpapiere verkauft und nur noch Geld in ihrem Depot haben.135 In der

134 Lediglich aus Gründen der Darstellbarkeit berühren sich verschiedene Elemente der Organisations-Komponente nur punktuell. Sie sind alle miteinander verwoben und ausschließlich analytisch zu trennen. 135 HADELER & ARENTZEN 2000: 682f. u. 2061

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Praktik des Day-Trading können nun Ziele erkannt werden wie Gewinn erwirtschaften oder aber beruflichen Erfolg erzielen, um daraus Anerkennung zu gewinnen bzw. das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Als ein Projekt könnte z. B. das Verfolgen eines Wertpapier-Index wie etwa des Standard & Poor’s Future Index oder die Diskussion einer Strategie mit einem Kollegen abgegrenzt werden. Einzelne körperliche Taten innerhalb des Projekts des Verfolgens des Index könnten dann beispielsweise das Schauen auf den Bildschirm oder aber das Bewegen des Mauszeigers sein, beispielhaft könnte Fluchen als eine Äußerung genannt werden (etwa wenn der Index rapide sinkt).136 Die Organisations-Komponente einer Praktik besteht aus vier Teilelementen, die eng miteinander verwoben sind. Diese Elemente sind nicht als Bestandteile einer vorgängigen, vor der Praktik bereits existierenden „Struktur“ zu verstehen; sie entfalten sich vielmehr erst in der Aktion der Praktik, die sie aber zugleich organisieren.137 Die Organisations-Komponente stellt gleichzeitig das für die Kulturtheorien zentrale Wissen dar, das in der Praxistheorie folglich ein praktikenimmanentes Verstehen ist. Dieses ist nicht „‚praxisenthoben‘ als Bestandteil von Personen, sondern immer nur in Zuordnung zu einer Praktik zu verstehen“138. Folglich ist es wichtig hervorzuheben, dass die Elemente der Organisations-Komponente der Praktik zugeschrieben werden und nicht dem Subjekt. Analytisch unterscheidet SCHATZKI praktisches Verstehen, grundlegendes Verstehen, Regeln sowie teleoaffektive Strukturen139: Das praktische Verstehen umfasst einerseits das Wissen, was eine Praktik umfasst, und das Know-how, diese auszuführen – der Day-Trader weiß, was zur Praktik des Day-Trading dazugehört. Andererseits beinhaltet praktisches Verstehen aber auch die Fähigkeit, Praktiken zu erkennen, also die sozial grundlegen-

136 SCHATZKI 2002: 162ff. 137 Dieser Gedanke verweist auf den Poststrukturalismus, dessen Bedeutung für die Praxistheorie im weiteren Verlauf dieses Kapitels ausführlicher beleuchtet wird. 138 RECKWITZ 2003: 292; Hervorhebungen im Original 139 „Practical understandings“, „general understandings“, „rules“ sowie „teleoaffective structures“ (SCHATZKI 2002: 77).

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de Intelligibilität.140 Grundlegendes Verstehen ist abstrakter und umfasst etwa Dinge wie religiöse Überzeugungen oder Gemeinschaftsgefühl. Auch wenn Day-Trader sehr starke Individualisten sind, besitzen sie doch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, wenn sie z. B. als Mitarbeiter einer Firma in einem Großraumbüro in der gleichen Praktik engagiert sind. Regeln umfassen selbst- oder fremdauferlegte Vorgaben – dies kann sowohl eigene Beschränkungen umfassen, beispielsweise wie viel Verlust ein Day-Trader an einem Tag hinnehmen will, um sich nicht finanziell zu ruinieren, jedoch auch Vorgaben der Firma oder aber gesetzliche Regelungen. Teleoaffektive Strukturen verschränken die Aktions- und Organisations-Komponente einer Praktik über den teleologischen Aspekt vorhandener Ziele, umfassen aber auch affektive Elemente, wie z. B. Emotionen, Stimmungen etc. So kann die Praktik des Day-Trading etwa durch Emotionen wie Gier oder Furcht gekennzeichnet sein.141 Die Praxistheorie weist die zentrale Rolle den Praktiken zu: Die soziale Welt besteht primär aus Praktiken, und auch das Subjekt tritt aus dieser Perspektive erst als Effekt von Praktiken in Erscheinung: In der praxistheoretischen Ontologie kommt der Akteur erst dann als Akteur zustande, wenn er sich in einer Praktik engagiert. GIDDENS hat diesen Gedanken aus einer praktikenzentrierten Perspektive142 folgendermaßen formuliert: „Human social activities [...] are recursive. That is to say, they are not brought into being by social actors but continually recreated by them via the very means whereby 143

they express themselves as actors.“

140 Das praktische Verstehen ermöglicht es dem Beobachter z. B., eine Ansammlung von Körpern, die sich auf einer ebenen Fläche bewegen und dabei ein rundes Artefakt fortbewegen, als Praktik des Fußballspielens zu identifizieren. 141 SCHATZKI 2002: 162ff. 142 Eine zentrale Aussage GIDDENS’ ist der Versuch der Vermittlung zwischen individualistischen und holistischen Ansätzen in den Sozialwissenschaften, die er mittels der Untersuchung sozialer Praktiken erreichen will: „The basic domain of study of social sciences […] is neither the experience of the individual actor, nor the existence of any form of societal totality, but social practices ordered across space and time“ (GIDDENS 1986: 2). 143 GIDDENS 1986: 2; Hervorhebung im Original

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Ein „kompetenter Körper“144 engagiert sich also in einer Praktik – die sich ihrerseits im Zuge dieser Performanz im raumzeitlichen Kontext entfaltet – und wird dadurch zum Akteur.145 Das Individuum (als individuelle Steigerung des uniformen Akteurs) ist aus praxistheoretischer Perspektive folglich als der „einzigartige Kreuzungspunkt von Praktiken“146 zu verstehen. Die Praxistheorie dezentriert also das Subjekt, um auf die Praktiken zu fokussieren. Doch wie ist diese Zentrierung von Praktiken zu denken? Die Antwort verweist auf eine zentrale praxistheoretische Problematik: das Spannungsfeld zwischen Einzigartigkeit einer Praktik und Gleichförmigkeit von Praktiken. Dies ist jedoch nichts anderes als die grundlegende sozialund kulturtheoretische Frage, wie Gleichförmigkeit und damit soziale Ordnung gedacht werden kann. Die bereits angeführte Definition des Handelns im Rahmen der Praxistheorie als „routinisierter Strom der Reproduktion typisierter Praktiken“147 betont nach Ansicht des Verfassers zu stark die Routine, die Gleichförmigkeit von Praktiken. Denn neben dieser scheinbaren Geschlossenheit von Praktiken ist auch deren Offenheit für Veränderung ein zentrales Element der Praxistheorie. Diese scheinbare Ambivalenz erklärt auch, dass so divergente Theoretiker wie BOURDIEU einerseits (der die Routinehaftigkeit in den Mittelpunkt rückt) und BUTLER andererseits (die mit ihrem Begriff der Subversion bzw. des Widerstands der Routine scheinbar diametral gegenübersteht) unter dem gemeinsamen Schirm der Praxistheorie gefasst werden können.148 BOURDIEUS und BUTLERS Standpunkte sind aus dieser Perspektive unzulässige theoretische Verallgemeinerungen ihrer jeweiligen empirischen Forschungsobjekte: Während BOURDIEU konservative Milieus unter-

144 RECKWITZ 2003: 290 145 Hierbei ist es wesentlich, auf die Unmöglichkeit einer identischen Wiederholung von Praktiken hinzuweisen. Dieser Gedanke von DERRIDA verweist auf einen poststrukturalistischen Bezug der Praxistheorien, den bereits GIDDENS zentral beachtete, wie BOECKLER sehr schön darlegt (2005: 62ff.). Auf dieses Spannungsfeld von Offenheit und Geschlossenheit, in dem sich Praktiken entfalten, wird in der Folge noch ausführlicher eingegangen. 146 „[…] the individual is the unique crossing point of practices“ (RECKWITZ 2002: 256). 147 RECKWITZ 2003: 294 148 Ebd. 2004b: 49ff.

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sucht – das traditionelle, kabylische Algerien der 1960er-Jahre149 und das französische (Klein-)Bürgertum150 –, stützt sich BUTLER, die scheinbar ohne Bezug zu konkreten Milieus arbeitet, auf ästhetische AvantgardeBewegungen in den USA und Europa Anfang des 20. Jahrhunderts, deren Kennzeichen die Erneuerung und Veränderung ist.151 Das praxeologische Spannungsfeld zwischen Offenheit und Geschlossenheit lässt sich befriedigend nur mithilfe des Poststrukturalismus beleuchten: Während der Begründer der Sprechakttheorie AUSTIN davon ausgeht, dass Zeichen und Worte „richtig“ wiederholt werden können, stellt DERRIDA diese Möglichkeit (zwischen einer gelungenen Anwendung und einer misslungenen Verwendung unterscheiden zu können) grundlegend infrage. DERRIDA sagt vielmehr, dass jede Zeichenverwendung wie jeder performative Akt – hier der Bezug zu unseren Praktiken – zwangsläufig eine Zitation ohne Original sein müsse, eine „‚resignifizierende‘ Einbettung in einen neuen Kontext, die das Zeichen selbst nicht unverändert lässt“152. DERRIDAS Idee der „Zitation ohne Regel“ wird für uns interessant, wenn wir danach fragen, inwiefern man eine Praktik, die durch ihren veränderten Kontext und Zeitrahmen trotz ihrer Wiederholung unter veränderten Umständen stattfindet, „richtig“ erfüllen kann. Wie soll diese Praktik aussehen? Der Akteur wird – und man behalte hier DERRIDAS Gedanken im Hinterkopf – eine Praktik ausführen, von der er glaubt, dass dies die richtige und von ihm erwartete Praktik sei. Damit bemüht sich der Akteur, die von ihm angenommene „richtige“ Praktik seinen Kompetenzen entsprechend (also u. a. dem praktischen Verstehen) möglichst detailgetreu umzusetzen. Dieses Bemühen kann man in Anlehnung an MITCHELLS „culture wars“153 – die kontinuierlichen Kriege um Bedeutungszuweisungen und den damit zusammenhängenden materiellen Konsequenzen – „culture effort“

149 BOURDIEU 1976 150 Ebd. 1982 151 BUTLER 1999: 61ff. 152 RECKWITZ 2006: 710 153 MITCHELL 2000: xvi

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nennen: die viel alltäglicheren Versuche, einem vermuteten Idealtyp gerecht zu werden und diesen damit zu reproduzieren.154 Die Praktik wird also performativ reproduziert und im Rahmen dieser Wiederholung unweigerlich verändert. Dieser poststrukturalistische Gedanke von „‚differenzierender Wiederholung‘ (DELEUZE)“155, von Iterabilität, ermöglicht es der Praxistheorie erst, von „Stabilität und Reproduktion [zu sprechen], ohne damit den Strukturen eine generative Kraft zuweisen zu müssen und in einen Strukturalismus zu verfallen“156, wie BOECKLER eindrucksvoll am Beispiel des praxistheoretischen Pioniers GIDDENS zeigt: Für GIDDENS existiert „Struktur […] lediglich in der Ausübung von Praktiken und als Erinnerungsspuren, die das Handeln kompetenter Menschen orientieren“157. Dies ist aber eben nur möglich, wenn Strukturen bzw. Erinnerungsspuren poststrukturalistisch verstanden werden, d. h. „die Struktur in ihrer Abwesenheit anwesend ist“158. Das „Abwesende“ verweist hierbei auf die nicht existente vorgängige Struktur, da „Struktur“, wie GIDDENS ausführt, lediglich in der Performanz von Praktiken „anwesend“ sein kann. Diese Performanz weist ein Maß an Geschlossenheit auf, das es ermöglicht, diese Praktik selbst auszuüben, aber die Praktik auch als solche zu erkennen. Dabei ist die Praktik gleichzeitig gekennzeichnet durch Offenheit für Veränderung, da eine identische Wiederholung unmöglich ist. Dies ist der Gedanke der différance, die es erst ermöglicht, eine strukturierende „Erinnerungsspur“ zu denken, ohne in einen Strukturalismus zu verfallen. Solch ein Rückfall wäre gegeben, wenn die Erinnerungsspur die Form eines essentialisierten bzw. „substantiellen Wissen[s]“ annimmt, das seinerseits wiederum als Substanz dem Handeln vorausgeht und das Handeln anleitet.159 Wissen wird also nicht als essentialisiertes Wissen im Geist verortet,

154 Die Idee für diesen Begriff stammt von Jonathan Everts; er äußerte diese während einer gemeinsamen Diskussion darüber, wie Praktiken gedacht werden können bzw. müssen. 155 MOEBIUS 2008: 62 156 BOECKLER 2005: 71 157 „Structure exists, […] only in its instantiations in such practices and as memory traces orienting the conduct of knowledgeable human agents“ (GIDDENS 1986:

17).

158 „The structure is present in its absence“ (CRAIB 1992: 28). 159 BOECKLER 2005: 70

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das den Körper zu Handlungen antreibt, sondern als praktikenimmanentes Verstehen gedacht. Das Wissen ist in der Praxistheorie somit praktikenimmanent, ebenso wie der die Praktik performativ hervorbringende Akteur damit selbst erst zum Akteur wird. Dieses in seiner Abwesenheit immanent Werdende, das nur durch den poststrukturalistischen Gedanken der différance ermöglicht wird, ist ein Kerngedanke der Praxistheorie. Zum einen, auf Praktiken bezogen, kann damit lediglich von einer vorübergehenden, fragilen, flüchtigen, ephemeren Stabilität gesprochen werden. Zum anderen bedeutet dies auch, dass „die Kontexte oder Strukturen selbst höchst instabil und dezentriert sind, da sie jederzeit durch die Andersheit in der Wiederholung ‚gefährdet‘ werden“160. Die Verortung des für die Kulturtheorien zentralen Wissens als praktikenimmanentes Verstehen ermöglicht es der Praxistheorie, zwei lange Zeit die Sozialtheorien dominierende Dichotomien zu überwinden: erstens die Dichotomie zwischen Geist und Körper, zweitens diejenige zwischen Subjekt und Objekt. Klassischerweise wurde hierbei dem Geist und dem Subjekt die Priorität gegenüber dem Körper und dem Objekt zugeschrieben. Die Neuausrichtung, welche die Praxistheorie damit vornimmt, führt nicht zuletzt zu einer relativen Aufwertung von Materialität. SCHATZKI publizierte im Jahr 2002 sein Buch „The Site of the Social“ mit der Begründung, dass sein bisheriges Werk „die Rolle der Materialität im Sozialleben ignoriert“161 habe. Diesen materiellen Aspekt fokussiert SCHATZKI nun mittels des Konzepts der Ordnungen. Diese Ordnungen nehmen in der Praxistheorie, so wie sie die Grundlage für vorliegende Arbeit bildet, eine zentrale Rolle ein – das Soziale wird nunmehr als „ein Netz aus Praktiken und Ordnungen“162 angesehen. SCHATZKI definiert Ordnungen wie folgt: „Social orders are the ensembles of entities, through and amid which social life transpires – the arrangements of people, artifacts, organisms, and things that characterize human coexistence. All social life is marked by social orders. In such orders,

160 MOEBIUS 2008: 62 161 „This book was born of the realization that the concluding chapter of my previous book slighted the role of materiality in social life“ (SCHATZKI 2002: ix). 162 „ […] the site of the social […] is a mesh of practices and orders“ (ebd.: xii).

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moreover, entities relate, enjoy meaning (and identity), and are positioned with respect to one another. All social life exhibits, as a result, relatedness, meaning, and mutual positioning.“

163

In SCHATZKIS Definition von Ordnungen164 scheint der materielle Aspekt zu dominieren. Dies ist nach Erachten des Verfassers vor allem der gewollten Betonung des Materiellen geschuldet, die SCHATZKI mit dieser Publikation verfolgte. SCHATZKI wird in der vorliegenden Arbeit dahingehend interpretiert, dass Ordnungen nicht immer materiell sein müssen. Nur mit einem solchen Verständnis von Ordnungen ist letztendlich das Soziale als „Netz aus Praktiken und Ordnungen“ zu denken, ohne in einen Strukturalismus zurückzufallen. Man denke etwa an Aspekte von Macht, die im Sinne FOUCAULTS nie essentialisiert werden dürfen, sondern vielmehr „in actu“ existieren und dementsprechend als „Wirkungsweise gewisser Handlungen“ betrachtet werden müssten.165 Genau dies ist innerhalb der Praxistheorie mit den grundlegenden Konzepten der Praktiken und Ordnungen möglich. Ordnungen sind innerhalb der Praxistheorie keineswegs essentialisierend gedacht. Vielmehr führt SCHATZKI den zuvor ausgeführten poststrukturalistischen Gedanken innerhalb der Praxistheorie konsequent fort, indem er unterstreicht, dass „Beziehungen, Positionen und Bedeutungen genau wie die Arrangements, deren Gesichtspunkte sie sind, labile Phänomene sind, von denen nur vorübergehende Fixierungen möglich sind“166. Die derart verstandenen Praktiken und Ordnungen „ermöglichen und beschränken einander“ zugleich.167 Will man das Soziale aus praxistheoretischer Perspektive verstehen, so müssen die miteinander verwobenen Praktiken und Ordnungen betrachtet werden. Bevor dies am Beispiel der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bil-

163 SCHATZKI 2002: 38 164 SCHATZKI verwendet Ordnungen und Arrangements synonym (2002: 18ff.). In der Folge wird dennoch lediglich der Begriff der Ordnungen benutzt. 165 FOUCAULT 1987: 253f. 166 „Relations, positions, and meanings, like the arrangements of which they are aspects, are labile phenomena, only transitory fixations of which can be assured“ (SCHATZKI 2002: 24). 167 „Practices and orders also enable and constrain one another“ (ebd. : 117).

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dungssystem (s. Kapitel 4) vorgenommen wird, soll das Zusammenwirken von Praktiken und Ordnungen an einem kurzen Beispiel – einem Staat und seiner Grenze – dargestellt werden. Außerdem wird anhand dessen aufgezeigt, wie sich mit SCHATZKIS Begriff der Ordnungen die verschiedenen Versuche von Sozialwissenschaftlern fassen lassen, die „Effekte“ von Praktiken zu konzeptualisieren. Bereits 1991 plädierte MITCHELL dafür, die „machtvollen, metaphysischen Effekte von Praktiken“168 in stärkerem Maße als solche zu untersuchen. Dieses Plädoyer – das auch als ein Plädoyer für eine Theorie sozialer Praktiken gelesen werden kann – belegt er mit dem Beispiel der Grenze eines Staates: „The state needs to be analyzed as such a structural effect. That is to say, it should be examined not as an actual structure, but as the powerful, metaphysical effect of practices that make such structures appear to exist. In fact the nation state is arguably the paramount structural effect of the modern social world. […] One characteristic of the modern state, for example, is the frontier. By establishing a territorial boundary and exercising absolute control over movement across it, state practices define and help constitute a national entity. Setting up and policing a frontier involves a variety of fairly modern social practices – continuous barbed-wire fencing, passports, immigration laws, inspections, currency control and so on. These mundane arrangements […] manufacture an almost transcendental entity, the nation state. This entity comes to seem much more than the sum of the everyday activities that constitute it, appearing as a structure containing and giving order and meaning to people’s lives.“

169

Die Grenze eines Staates wird laut MITCHELL also durch in Praktiken hergestellte Artefakte gebildet (wie Grenzzäune, Pässe oder unterschiedliche Währungen), aber auch in Praktiken wie z. B. der Passkontrolle immer wieder reproduziert. Somit kommen die Grenze und der Staat insgesamt erst durch Praktiken zustande. Der Staat als „Effekt“ von Praktiken ist mit SCHATZKI wiederum als Ordnung zu denken.170 Diese Ordnungen bestehen

168 MITCHELL 1991: 94 169 Ebd. 170 Auch BOECKLER erkennt bereits den Mangel, der sich aus der alleinigen Fokussierung SCHATZKIS auf Praktiken ergibt, und versucht diesen Mangel

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aus nicht nur materiellen „Beziehungen, Positionen und Bedeutungen“ von „Entitäten“, „von denen nur vorübergehende Fixierungen möglich sind“.171 Vielmehr wird diese Entität – in unserem Beispiel der Staat – durch die Zuschreibungen bedeutungsvoller, „als die Summe der alltäglichen Aktivitäten“ zunächst vermuten lässt, sodass sie dem „Leben der Leute Ordnung und Bedeutung gibt“172 und somit wiederum Praktiken „ermöglich[t] und beschränk[t]“173. Durch die Betrachtung von Ordnungen als Möglichkeit, die sozialwissenschaftlichen Konzepte der „Effekte“ von Praktiken zu denken, könnte der Eindruck entstehen, dass Ordnungen aus Praktiken resultieren. Vielmehr ist jedoch zu betonen, dass das Soziale ein „Netz aus Praktiken und Ordnungen“174 darstellt, bei dem Praktiken und Ordnungen „einander zugleich ermöglichen und beschränken“175.

mit seinem Konzept der „repräsentationalen Effekte“ zu beheben: „Es existiert die kontinuierliche Folge von Praktiken, alles weitere sind repräsentationale Effekte von Praktiken“ (BOECKLER 2005: 64; Hervorhebung im Original). Diese „repräsentationalen Effekte“ sind in SCHATZKIS Vokabular als (immaterielle) Ordnungen zu denken. 171 SCHATZKI 2002: 24 172 MITCHELL 1991: 94 173 SCHATZKI 2002: 117 174 Ebd.: xii 175 Ebd.: 117

3 Vorgehensweise und Methodik

„Of course, this study is never complete. We start in the middle of things. […] Action had already started; it will continue when we will no longer be around. […] we miss most of what had happened. […] Even if we work diligently, things don’t get better because, after a few months, we are sunk in a flood of data […]. How to make sense of this mess […]? How frustrating this whole business of studying is. […] And that is excellent because there is no better way.“ LATOUR 2005: 123

Die externe Sprachverbreitungspolitik Deutschlands bzw. die Sprachförderung des Deutschen wird in der vorliegenden Arbeit im „Zielstaat“ Frankreich untersucht. Konkreter bedeutet dies, dass die Förderung der deutschen Sprache und die damit verbundenen Fragen nach Praktiken, Ordnungen, Akteuren und Communities anhand des französischen Bildungssystems beleuchtet und beantwortet werden. Der schulische Bereich stellt in Frankreich mit über 85 % aller Deutsch Lernenden den quantitativ bedeutendsten Bereich dar. Hierbei ist festzustellen, dass der Anteil der Deutsch Lernenden seit den 1970er-Jahren deutlich gesunken ist. Im Jahr 2003 wurde – um diesem Trend entgegenzuwirken – ein „Aktionsplan für die Partnersprache“ auf den Weg gebracht und Ende 2004 mit einer Laufzeit bis 2010 verkündet, sodass der Zeitpunkt der Untersuchung günstig erscheint.176

176 Die Situation und die Entwicklung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem werden in Kapitel 4 ausführlich beleuchtet.

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Die Elemente der Methodik werden grundlegend in Abgleich mit der leitenden Fragestellung und der zugrunde gelegten Theorie gewählt. Hierbei „stehen Datensammlung, Analyse und die Theorie in einer wechselseitigen Beziehung zueinander“177 und kreisen in einem „zirkulären bzw. spiralförmigen […] Forschungsprozess“178 um die zentrale Fragestellung. Als zirkulär wird der Forschungsprozess wegen des Wechselspiels von Aufenthalten im „Feld“ und von Reflektion bzw. Interpretation des gewonnenen Materials bezeichnet.179 Die vorliegende Arbeit basiert auf methodischen Elementen ethnographischer bzw. qualitativer Sozialforschung, und es ergibt sich insgesamt ein Methoden-Mix aus Interviews, teilnehmenden Beobachtungen sowie Dokumentenanalysen. In einer explorativen Phase wurde der Kontakt sowie der Zugang zum „Feld“ etabliert: Während eines Besuchs der Sprachenmesse „Expolangues“ in Paris im Februar 2008 konnten erste Kontakte zu Akteuren hergestellt sowie weitere Akteure identifiziert werden. Im Mai 2008 folgte im Rahmen eines mehrtägigen Aufenthalts an verschiedenen Orten in Frankreich die Kontaktaufnahme zu weiteren, zentralen Akteuren und die Vorbereitung längerer Aufenthalte.180 Im Rahmen dieser Aufenthalte wurden 60 Interviews mit Experten sowie im Rahmen der teilnehmenden Beobachtungen zahlreiche weitere Gespräche geführt. Hierbei kennzeichnet der Begriff „Experte“ jemanden, der „in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“181. Dennoch ist „Experte“ kein absoluter, sondern „ein relationaler Status“182: Nicht jeder Interviewpartner kann für alle Aspekte der Förderung der deutschen Sprache im Detail als Experte angesehen werden. Dies

177 STRAUSS & CORBIN 1996: 7f. 178 HITZLER 2002: 15f. 179 Ebd. 180 In der Folge wurden zwischen September 2008 und April 2009 zwei jeweils einmonatige Forschungsaufenthalte in Paris sowie drei jeweils einwöchige Aufenthalte in Berlin durchgeführt, sodass deren Gesamtdauer inklusive der explorativen Phase etwas mehr als drei Monate betrug. 181 MEUSER & NAGEL 2005: 73 182 Ebd.

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führte etwa zu der Situation, dass einer der Experten in einem der letzten Interviews um die Erklärung eines Sachverhaltes bat, der nicht im Fokus seines Expertenwissens lag – in diesem Moment hatte der Verfasser der vorliegenden Arbeit ihm gegenüber aufgrund seiner Recherchen „einen privilegierten Zugang zu Informationen“183 und wurde von ihm in dieser Beziehung als Experte angesehen. Im Rahmen der Interviews wurde versucht, den Experten, die stets über Zeitmangel klagten, das Gefühl zu vermitteln, dass genügend Zeit zur Verfügung stehe und in den nächsten Monaten ein weiterer Termin vereinbart werden könnte, falls die Zeit nicht reiche. In der Interviewsituation war es stets das Ziel, bewusst zeitliche Entspanntheit sowohl verbal als auch mittels Körpersprache zu vermitteln, wobei gleichzeitig betont wurde, dass für den Forschungsansatz detaillierte Ausführungen nötig seien. Um den Zeitdruck weiter zu vermindern, wurde versucht, die Interviews am Arbeitsort der Experten zu organisieren, sodass diese nicht versucht waren, z. B. einen Interviewtermin in Paris mit anderen Terminen vor Ort zu kombinieren. Diese Interview-Ordnung scheint erfolgreich gewesen zu sein: Das durchschnittliche Interview dauerte ca. zwei Stunden (die Interviews variierten hierbei zwischen einer halben und über fünf Stunden). Vielleicht trug die gewohnte Umgebung auch dazu bei, dass die Experten während des Interviews entspannter waren. Allen Experten wurde zugesichert, dass die Interviews anonymisiert würden. Insgesamt erfolgten 60 Experten-Interviews in dreizehn verschiedenen Städten (davon elf in Frankreich und zwei in Deutschland) in deutscher und französischer Sprache, von denen 49 Interviews aufgezeichnet wurden. Von den nicht aufgenommenen Interviews konnten entweder währenddessen oder im Anschluss daran Notizen angefertigt werden. Zusätzlich wurden zu allen Interviews Protokolle erstellt, in denen der Kontext des Interviews sowie Beobachtungen festgehalten wurden. Drei der Interviews fanden am Telefon statt: Mit zwei der drei Experten bestand zu diesem Zeitpunkt bereits intensiver Kontakt, sodass unter diesen Umständen der Gewinn an Gelassenheit aufgrund geringeren Zeitdrucks das Einbüßen einer Interviewsituation von Angesicht zu Angesicht überwog. In leitfadengestützten, aber sehr offen gestalteten Interviews mit den Experten wurden vor allem ihre tägliche Arbeit, ihr persönlicher Hintergrund, das Feld der Akteure sowie die Situation der deutschen Sprache

183 Ebd.

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im französischen Bildungssystem thematisiert. Mit einigen Akteuren bestand darüber hinaus E-Mail-Kontakt, der es ermöglichte, z. B. Detailfragen zum französischen Bildungssystem zu klären. Eine Übersicht der Experten der verwendeten Interviews und deren jeweilige Position wurde in einer Tabelle zusammengestellt. Da sich bereits nach ersten Gesprächen in der explorativen Phase zeigte, dass die Anonymisierung eine Notwendigkeit sein würde, um den Interviewpartnern offene Aussagen zu ermöglichen, ist diese Tabelle lediglich in der nicht einsehbaren Originalarbeit angeführt.184 Darüber hinaus wurde mithilfe teilnehmender Beobachtungen185 so weit wie möglich versucht, die Interview-Ebene zu verlassen und „näher am Gegenstand zu sein, mehr die Innenperspektive [zu] erheben“186 bzw. zu erleben. Die Abgrenzung dieser Methode zur Ethnographie wird häufig anhand des Kriteriums einer ausgedehnten Periode teilnehmender Beobachtung gesehen.187 Dennoch scheint es hier angebracht, zumindest von „shortterm ethnographies“188 zu sprechen, wie sie in der Geographie des Öfteren angewandt werden.189 Auch die Kriterien, die ATKINSON und HAMMERSLEY

184 Die wissenschaftliche Redlichkeit gebietet es, dass die Anonymität der Experten gewahrt bleiben kann. Sollte die aufgrund der Anonymisierung notwendige Verwendung von Kürzeln wie „IP12“ den Lesefluss beeinflussen, bittet der Verfasser der vorliegenden Arbeit, dies zu entschuldigen. 185 ATKINSON und HAMMERSLEY (1994: 248f.) diskutieren den Begriff der teilnehmenden Beobachtung und halten trotz massiver Kritik vor allem von ethnographischer Seite schließlich an dem Begriff fest. Sie konstatieren, dass diese Kritik vielmehr auf die typische Einnahme einer Oppositionshaltung gegenüber jeglichem Mainstream durch Ethnographen zurückzuführen sei, die geradezu einer der „Schöpfungsmythen der Ethnographie selbst“ geworden ist [„creation myths of ethnography itself“]. Dennoch sollte die Position des Forschers natürlich möglichst offengelegt werden. Hierzu wird diesbezüglich im Rahmen der Vorstellung der Veranstaltungen, an denen der Verfasser der vorliegenden Arbeit teilnahm, ein knapper Überblick gegeben. 186 MAYRING 2002: 80 187 JACKSON 1985: 169 188 THRIFT & DEWSBURY 2000: 424 189 CLOKE et al. 2004: 170

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an den Begriff der Ethnographie anlegen, erfüllt die vorliegende Arbeit.190 Unter der Prämisse, dass „ethnographische Studien vor allem die Perspektive der Teilnehmer, ihre Wissensbestände und -formen, ihre Interaktionen, Praktiken und Diskurse“191 untersuchen, scheint diese Methode angesichts der leitenden Fragestellung und der zugrunde gelegten Theorie vorliegender Arbeit sehr passend. Teilnehmende Beobachtung und Interviews ergänzen sich im Rahmen der Ethnographie, da diese untersucht, „was Menschen sagen, was sie tun und warum, und was sie zu tun gesehen werden“192. Gerade im Kontext der vorliegenden Arbeit ist die Möglichkeit teilnehmender Beobachtungen limitiert: Viele der Akteure arbeiten an Orten, zu denen der Zugang stark restriktiv ist – wie etwa der Deutschen Botschaft, dem französischen Bildungsministerium oder dem Auswärtigen Amt. Dennoch ergaben sich Möglichkeiten, viele Akteure im Rahmen verschiedener Veranstaltungen anzutreffen. Insgesamt konnte an neun größeren Veranstaltungen teilgenommen werden, die zwischen einem halben Tag bis hin zu vier Tagen dauerten.193 Im Rahmen dieser Veranstaltun-

190 „[…] ethnography usually refers to forms of social research having a substantial number of the following features: a strong emphasis on exploring the nature of particular social phenomena, rather than setting out to test hypotheses about them; a tendency to work primarily with ‚unstructured‘ data, that is, data that have not been coded at the point of data collection in terms of a closed set of analytic categories; investigation of a small number of cases, perhaps just one case, in detail; analysis of data that involves explicit interpretation of the meanings and functions of human actions, the product of which mainly takes the form of verbal descriptions and explanations, with quantification and statistical analysis playing a subordinate role at most” (ATKINSON & HAMMERSLEY

1994: 248).

191 LÜDERS 2007: 390 192 […] both what people say they do and why, and what they are seen to do” (CLOKE et al. 2004: 169; Hervorhebungen im Original). 193 Hierzu zählte ein zweitägiges Kolloquium im Goethe-Institut in Paris, ein eintägiger Deutschlehrertag in Lille, zwei Sitzungen der Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (StADaF) in der Deutschen Botschaft in Paris, eine Veranstaltung zur Gründung des Zweigvereins der Gesellschaft für deutsche Sprache an der Sorbonne in Paris, eine Diskussion der Leiterin eines Deutsch-Französischen Hauses mit mehreren inspecteurs, die mehrtägige

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gen hielten zwei der Interviewpartner Vorträge, deren Inhalte ebenfalls in die Arbeit einflossen und an den jeweiligen Stellen entsprechend gekennzeichnet sind. Schließlich wurden auch Dokumente analysiert, die von den Akteuren als zentral eingestuft wurden. Hierzu zählt der sogenannte „IDIFBericht“194, der – im Auftrag von Akteuren der deutschen Sprache – von einem Soziologen verfasst wurde. Er führte im Zeitraum von April bis Juli 2008 mit zwölf regionalen Deutsch-inspecteurs195, also Akteuren des Deutschen, qualitative, leitfadengestützte Interviews. Der IDIF-Bericht weist viele wörtlich transkribierte Zitate dieser Akteure auf, zu denen der Verfas-

Sprachenmesse „Expolangues“ sowie zwei Umtrünke im Anschluss an offizielle Veranstaltungen. Bei allen Veranstaltungen war die wissenschaftliche Tätigkeit des Verfassers dieser Arbeit lediglich den interviewten Experten und einigen weiteren Personen bekannt. Eine Ausnahme stellt eine Sitzung der StADaF dar, zu deren Beginn der Verfasser von dem Kulturreferenten der Deutschen Botschaft im Plenum vorgestellt wurde. Dennoch kann keinesfalls von der Position eines Außenseiters gesprochen werden, da selbst einige der interviewten Experten sich nicht sicher waren, ob der Verfasser dieser Arbeit zu ihrer Community zu zählen sei oder nicht (s. Exkurs „Meine Positionierung in Bezug zur Community of Practice der Förderung des Deutschen“ auf Seite 171). Für einen Dritten könnte der Verfasser im Rahmen dieser Veranstaltungen auch durchaus als Teil der Community angesehen werden, da er sehr aktiv mit Akteuren der deutschen Sprache interagierte, wohingegen andere „Teilnehmer“ – wie z. B. viele Deutschlehrer während des Kolloquiums – eine stark von „Beobachten“ geprägte Position einnahmen. Der Verfasser selbst sah sich demgegenüber jedoch stets als erforschender Außenseiter, der verstehen wollte, was „im Feld“ vor sich ging. 194 IDIF steht für „Initiative Deutsch in Frankreich“. 195 In dieser Arbeit werden der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber die französischen Abkürzungen „IA-IPR d’allemand“, „IGEN d’allemand“ sowie „IA-DSDEN“

durch die Bezeichnungen „regionaler

Deutsch-

inspecteur“, „nationaler Deutsch-inspecteur“ sowie „Verwaltungs-inspecteur“ ersetzt. Dies umfasst konsequenterweise auch die Zitate der Akteure, in denen die ersetzten Bezeichnungen nicht in eckige Klammern gesetzt werden, da dies etwaigen Ergänzungen vorbehalten ist. Ausführlicher wird auf diese Akteure in Kapitel 4.4 eingegangen.

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ser der vorliegenden Arbeit nur sehr schwer Zugang bekam. An einigen Stellen wird deshalb auf diese Zitate zurückgegriffen, da sie dem Verfasser dieser Dissertation an anderer Stelle geschilderte Sachverhalte auf den Punkt bringen. Dies scheint auch deshalb angebracht, da der Soziologe im Zuge seiner Untersuchung für die Akteure des Deutschen selbst zu einem Experten wurde196 und der IDIF-Bericht von den nationalen und den regionalen Deutsch-inspecteurs „allgemeine Zustimmung“ (IP18) erhielt. Auch Zitate aus dem IDIF-Bericht sind entsprechend gekennzeichnet („IDIF 2008“). Auswertung der Interviews und Feldnotizen Ein Interview stellt immer eine „besondere Interaktion und Kommunikation, unverwechselbar und einmalig in Inhalt und Form“197 dar. Angesichts der leitenden Fragestellung der vorliegenden Arbeit geht es jedoch nicht um eine „Einzelfallanalyse“, sondern gerade vor dem kulturtheoretischen Hintergrund der Praxistheorie darum, das „Überindividuell-Gemeinsame“, also „gemeinsam geteilte Wissensbestände“, herauszuarbeiten.198 Hierzu wird das Material mithilfe des Verfahrens der „Extraktion“ qualitativ analysiert, wie GLÄSER und LAUDEL diesen Prozess (im Gegensatz zur Kodierung) nennen: „Der Kern [der qualitativen Textanalyse] ist die Extraktion, das heißt die Entnahme der benötigten Informationen aus dem Text. Das geschieht mittels eines Suchrasters, das ausgehend von den theoretischen Vorüberlegungen konstruiert wird“.199 Die relevanten Informationen werden folglich extrahiert und den Kategorien des Suchrasters zugeordnet. Dieses Kategoriensystem ist offen für Veränderung, „wenn im Text Informationen auftauchen, die relevant sind, aber nicht in das Kategoriensystem passen. Die Dimensionen existierender Kategorien können verändert werden, und es können neue Kategorien konstruiert werden.“200 Damit

196 Wenn man den Soziologen im Zuge des IDIF-Berichts noch nicht als Akteur des Deutschen ansah, ist er zumindest mittlerweile als solcher zu betrachten, da er sowohl Deutschlehrer als auch Eltern über die „Vorteile des Deutschlernens“ (IP18) informiert. 197 MEUSER & NAGEL 1991: 451 198 Ebd.: 452 199 GLÄSER & LAUDEL 2009: 200 200 GLÄSER & LAUDEL 2009: 201

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grenzen sich GLÄSER und LAUDEL vom „‚Kodieren‘ von Texten“ ab, da das „Kodieren [den Text] indiziert, um ihn auswerten zu können. Es macht also Text und Index zum gemeinsamen Gegenstand der Auswertung.“201 Somit ist die Extraktion gegenüber der „Kodierung“ offener für Veränderungen, die im zirkulären Prozess zwischen Empirie und Theorie bereits angelegt sind. Für das Verfahren wurde neben zahlreichen konzeptionellen Skizzen auf das Softwareprogramm MAXQDA zurückgegriffen. Im Verlauf der Untersuchung wurden folglich mithilfe des theoriegeleiteten Suchrasters Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich ermittelt. Das Vorgehen ähnelte hierbei in Ansätzen dem „offenen Codieren“202 der Grounded Theory: Es wurden wiederkehrende „Phänomene“ identifiziert und in einem „expandierenden Verfahren“203 nach und nach verdichtet, um wesentliche Praktiken und Ordnungen zu erkennen. Der Unterschied zur Grounded Theory ist hierbei, dass keine neue Theorie generiert werden sollte, sondern die Verdichtung von den vorangenommenen praxistheoretischen Konzepten der Praktiken und Ordnungen geleitet war. Wie in allen Schritten des Forschungsprozesses ist der Forscher Teil dieses Prozesses. Bei dem Verfahren der Kategorisierung spielen insbesondere seine Interpretationen eine Rolle. Vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Wirklichkeitsverständnisses sind diese Konzepte als Interpretation dessen zu verstehen, wie die Akteure Wirklichkeit interpretieren und für sich sinnhaft konstituieren. GIDDENS nennt dies bekanntermaßen „doppelte Hermeneutik“204. LATOUR verweist auf einen damit verbundenen Aspekt, der mit der Darstellungsform dieser Interpretationen zusammenhängt: Es gebe „keine In-formation, sondern nur Trans-formation“205. Darstellungsform Im empirischen Teil vorliegender Arbeit wird der Versuch einer „dichten Beschreibung“ unternommen. Ihren Ursprung findet diese bekanntermaßen

201 Ebd.: 199 202 BÖHM 2007: 477 203 Ebd.: 477f. 204 GIDDENS 1988: 338 205 LATOUR 2007: 257

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bei CLIFFORD GEERTZ206; die dichte Beschreibung stellt aber auch einen der zentralen Grundsätze der Praxistheorien dar: Sowohl „posthumanistische Praxistheorien wie die Actor-Network-Theorie“207 (ANT) als auch die Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ lehnen eine „‚Intellektualisierung‘ des sozialen Lebens“208 ab. So schreibt LATOUR, dass ein „ANT-Grundsatz, wenn es denn einen gibt“, sei: „Ein Text ist dicht“.209 Das bedeutet, dass einem solchen Text weder „eine Erklärung hinzuzufügen“ noch sie „in einen Rahmen zu stellen ist“,210 wenn – und dies ist entscheidend! – ein solcher theoretischer Rahmen Empirie erklären soll. Die vorliegende Arbeit hat den Anspruch, die Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem verstehbar zu machen. Sie lehnt es aber ab, eine Erklärung für diese Praktiken zu liefern,211 da „die Akteure

206 GEERTZ (1973: 20) nennt als wesentliche Charakteristiken der „dichten“ bzw. „ethnographischen Beschreibung“, dass sie erstens „interpretativ“ ist, dass sie zweitens das Soziale interpretiert und dass das Interpretieren schließlich drittens in das „Fixieren“ des in „flüchtigen Ereignissen“ stattfindenden Sozialen in nachvollziehbaren Begrifflichkeiten mündet. Aufgrund der Kriterien, die ATKINSON und HAMMERSLEY (1994: 248) an Ethnographie anlegen, liegt der ethnographischen Beschreibung folglich auch eine Sammlung „unstrukturierter Daten“ zugrunde. Dies führt zu der typischen Situation, die LATOUR (2005: 123) treffend beschreibt: „Even if we work diligently, things don’t get better because, after a few months, we are sunk in a flood of data […]. How does one make sense of this mess, as it piles up on our desks and fills countless disks with data?“ Das Einteilen in Daten, die sinnvoll sind, um das wissenschaftliche Argument voranzutreiben, und Daten, die aussortiert werden, erfolgt in großen Teilen erst nach der Datensammlung und ist folglich ein typisches Vorgehen sozialwissenschaftlicher Forschung, die mit einem offenen Set analytischer Kategorien das Soziale beschreiben will und daher nicht lediglich mit geschlossenen Fragebögen arbeitet. 207 BOECKLER 2005: 64 208 RECKWITZ 2003: 289 209 LATOUR 2007: 256 210 Ebd.: 255 211 Der Leser möge die in dieser Eindeutigkeit mittlerweile unzulässig überspitzt gezeichnete Dichotomie von „Erklären“ und „Verstehen“ verzeihen. Der Verfasser zeichnet sie nur deshalb so deutlich, um die Konturen der angestrebten

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selbst alles machen, einschließlich ihres eigenen Rahmens, ihrer eigenen Theorien, ihrer eigenen Kontexte, ihrer eigenen Metaphysiken, sogar ihrer eigenen Ontologien“212. Daher sei eine „Beschreibung, wenn sie eine Erklärung benötigt, keine gute Beschreibung“213. Zudem ist die vorliegende Beschreibung fundamental konstruktivistisch, da sie „nicht bloß ein transparentes Fenster ist, das ohne Deformation irgendeine Information über Ihre Forschung transportiert. ‚Es gibt keine Information, nur Trans-formation.‘“214 Diese Arbeit kann also mit DELEUZE – „Wir haben Unrecht, an die Wahrheit zu glauben, es gibt nur Interpretationen“215 – keine objektive Wahrheit transportieren, sie kann nur eine Interpretation darstellen. Diese Interpretation ist trotz des Versuchs, sich auf die Interpretationen der Akteure „vor Ort“ zu stützen, zu weiten Teilen die

praxistheoretischen, dichten Beschreibung klarer hervortreten zu lassen. Im Rahmen einer seit dem 19. Jahrhundert in verschiedenen Phasen andauernden Kontroverse um „Erklären“ und „Verstehen“ gab es zwei grundlegende Positionen: Einerseits „naturalistische und monistische“ („vom Logischen Empirismus, über die ‚Kausalisten‘ bis hin zum Materialismus“), andererseits „geisteswissenschaftlich-handlungstheoretische“ Positionen („vom Neukantianismus und -hegelianismus bis zur postwittgensteinschen Handlungsphilosophie“; Reckwitz 2000: 105). Während die naturalistische Position eine „Einheitlichkeit von ‚Erklärungen‘ für alle Wissenschaften behauptet“ (ebd.: 98), argumentiert die handlungstheoretische Position „für eine spezifische Beschreibungsform“ menschlicher Handlungen (RECKWITZ 2000: 105; Hervorhebung im Original). Daher ist ein „plausibel erscheinendes ‚Erklären‘ von Handeln – dies ist der heute von kaum einem Sozialtheoretiker bestrittene Stand der Debatte – nur über ein ‚Verstehen‘ des Sinnzusammenhangs möglich, in den es eingebettet wird“ (ebd.: 106). Diese Betonung eines verstehenden Ansatzes scheint dem Verfasser dieser Arbeit wichtig, um nicht unter dem Deckmantel eines praxistheoretischen Vokabulars in die von den Autoren der Praxistheorie kritisierte „Intellektualisierung des Sozialen“ zu verfallen und Erklärungen liefern zu wollen. 212 LATOUR 2007: 253 213 Ebd.: 254 214 Ebd.: 257 215 „Nous avons tort de croire à la vérité, il n’y a que des interpretations” (DELEUZE

1964: 112).

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Interpretation des Verfassers der vorliegenden Arbeit. Dennoch ist erstens die Interpretation der „Gegebenheiten vor Ort“ in einem Text bereits eine Trans-formation – sei es im Interview, sei es hier in geschriebener Form als Interpretation zweiten Grades (Interpretation der Interpretationen). Zweitens ist die Einteilung in Praktiken kontingent, da diese durch den Verfasser vorgenommen wurde – sie ist nicht die einzig mögliche, aber die im Rahmen der erarbeiteten Informationen die ihm am sinnvollsten erscheinende Anordnung. Dieser Praktiken-Einteilung liegt das ebenfalls transformierende – aber, wie in Kapitel 2.2 gezeigt, nicht intellektualisierende, sondern eher beschreibende – Analyse-Vokabular der Praxistheorie zugrunde. Die vorliegende Doktorarbeit stellt eine interpretative „Trans-formation“ der erlebten Situationen und der während Interviews, Beobachtungen und aus Dokumenten gesammelten Informationen in einen vom Forscher verfassten Text dar. Die Bedeutung der Interpretation, das Dazwischen-gestellt-Sein des Forschers, (s)eines Ichs zwischen der Lebenswirklichkeit der Akteure „vor Ort“ und diesem Text, wird in der vorliegenden Arbeit durch die Verwendung der ersten Person Singular sichtbar gemacht. Um meine Interpretationen nachvollziehbar zu machen, aber auch um der Lebenswirklichkeit der Akteure im Sinne einer „dichten Beschreibung“ möglichst nahe zu kommen, wird die Auswertung nicht ausschließlich paraphrasierend vorgenommen, sondern greift auf teilweise ausführliche Zitate zurück. Dies wird durch den großen analytischen Wert der Aussagen meiner Interviewpartner ermöglicht, der auf das hohe Reflexionsniveau der Experten zurückzuführen ist. Somit ist sehr oft keine weitere „Erklärung“ notwendig, diese würde aber auch dem hier vorgestellten Ansatz zumindest in Teilen zuwiderlaufen. Um die anvisierte „Praxeographie“216 der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zu erreichen, wird folglich in starkem Maße auf Texte zurückgegriffen. Diese Vorgehensweise entspricht jedoch der Herangehensweise von SCHATZKI in seinen Ausführungen zur Anwendung der Praxistheorie.217

216 Auch wenn mein einziger Zugang zu den Praktiken deren „Träger“ (RECKWITZ

2003: 291), die Akteure, darstellen, ist das Ziel doch eine Beschreibung

der Praktiken im Sinne der Praxistheorie, folglich eine Praxeographie (in Anlehnung an RECKWITZ’ Formulierung der Praxistheorie als Praxeologie; ebd.: 286). 217 SCHATZKI 2002: 157ff.

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Die französischen „Originalzitate“ der Akteure wurden von mir ins Deutsche übersetzt, sodass ich ein weiteres Mal den Text des Interviews in den Text dieser Arbeit trans-formiert habe. In Anlehnung an das Sprichwort „traduttore, traditore“218 ist eine wortgetreue und zugleich lesbare Übersetzung nicht in allen Fällen möglich. Ich habe dennoch versucht, diesen Spagat so gut wie möglich zu leisten. Um diese Übersetzungsarbeit nachvollziehbar zu gestalten, wurden die französischen Zitate in der Originalarbeit in Form von Endnoten angehangen. Da hieraus jedoch eine grundlegende Unterscheidung zwischen deutschen und französischen Interviewpartnern möglich würde, sind diese aus Gründen einer möglichst umfassenden Anonymisierung lediglich in der nicht einsehbaren Originalarbeit angeführt. Aus demselben Grund wurden deutsche Zitate etwas geglättet, d. h. soweit ohne größere Änderungen möglich von typisch deutschen Wörtern bereinigt (z. B. „’ne“, „halt“ oder „gucken“). Im Rahmen der Zitate sind Worte, die besonders betont wurden, kursiv geschrieben. Schließlich wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit und aufgrund der Überzahl männlicher Akteure für allgemeine Personenbezeichnungen die maskuline Form gewählt. Um die bereits angesprochene Anonymisierung soweit wie irgend möglich zu gewährleisten, werden auch einzelne Akteure in der männlichen Form dargestellt.

218 Dies bedeutet, dass der „Übersetzer“ (ital.: traduttore) immer auch „Verräter“ (ital.: traditore) sein muss.

4 Die deutsche Sprache im französischen Bildungssystem

„Es scheint, als werde Perfektion nicht dann erreicht, wenn nichts mehr hinzuzufügen ist, sondern dann, wenn nichts mehr weggelassen werden kann.“219 DE SAINT-ÉXUPÉRY

1939: 60

Die Basis der angestrebten „dichten Beschreibung“ bildet die Situation der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem. Wie bereits einleitend erwähnt, ist diese Situation gegenwärtig als prekär zu bezeichnen. Auch wenn der Ratschlag von IP1 etwas überzogen scheint – als er erfuhr, dass ich eine Doktorarbeit zu diesem Thema schreibe, riet er mir: „Nimm ein Blatt Papier, drück ein paar Tränen drauf und gib ab; das sollte reichen“ –, ist er nicht der Einzige, der die gegenwärtige Situation als dramatisch wahrnimmt. IP2 spricht etwa von einem „Wettlauf gegen die Zeit“: „Wir haben zwei, drei Jahre, um die Herausforderung zu meistern“. Die Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sehen sich „gezwungen“, innovativer als die Förderer anderer Sprachen zu sein, „ansonsten verschwinden wir“. Das übergeordnete Ziel der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem stellt die Steigerung der Anzahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler dar. Dieses Ziel

219 „Il semble que la perfection soit atteinte non quand il n’y a plus rien à ajouter, mais quand il n’y a plus rien à retrancher.“

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wird überwiegend in Prozentanteilen angegeben.220 Eine Betrachtung der Entwicklung dieses Anteils zeigt einen langen Abwärtstrend mit einem Zwischenhoch nach dem Zweiten Weltkrieg: Deutsch war 1915 mit 53 % noch die bedeutendste Fremdsprache im französischen Bildungssystem vor Englisch mit 40 %.221 Nach dem Ersten Weltkrieg folgte ein Boykott der deutschen Sprache in wissenschaftlichen Vereinigungen,222 da viele Wissenschaftler den Krieg unterstützt und legitimiert hatten – wie etwa im Aufruf „An die Kulturwelt!“ aus dem Jahr 1914.223 Die Folge war ein drastischer Rückgang des Interesses an der deutschen Sprache, zudem beeinflusst durch die Vorkommnisse des Zweiten Weltkriegs: 1930 lernten noch 30 % der Schüler Deutsch, 1950 nur noch 20 %.224 Die Aussöhnungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg – mit Unterzeichnung des Élysée-Vertrages 1963 als einem wichtigen Ereignis – steigerte das Interesse an der deutschen Sprache wieder. Anfang der 1980er-Jahre waren in absoluten Zahlen so viele Schüler wie niemals zuvor in der Praktik des Deutsch-Lernens engagiert.225 Hier spielt jedoch der enorme Zuwachs der Schülerzahlen durch die demographische Entwicklung, die Réforme Haby mit der Einführung des collège226 sowie die Ausweitung der zweiten Fremdsprache eine entscheidende Rolle. Seitdem ging der Anteil der deutschen Sprache an den schulischen Fremdsprachen jedoch kontinuierlich zurück: 2006 lernten nur noch 15,2 % der Schüler Deutsch. Als erste Fremdsprache war Englisch nach dem Zweiten Weltkrieg die häufigste Wahl und wurde mit der Zeit

220 Dies macht einen Vergleich vor allem über längere Zeiträume hinweg problematisch, da sich u. a. die Anzahl der erlernten Fremdsprachen erhöht hat. Außerdem werden diese früher gelernt und können nach einer Weile wieder abgewählt werden, was sich auch auf die Statistiken auswirkt. 221 HANNEQUART 2009: 6 222 Eine der acht vom Boykott betroffenen Disziplinen war die Geographie (REINBOTHE 2006: 445). 223 VON UNGERN-STERNBERG & VON UNGERN-STERNBERG 1996: 13 224 HANNEQUART 2009: 6 225 Während der Anteil der Deutsch lernenden Schüler bereits in den 1970erJahren zu sinken begann, stieg deren absolute Zahl aufgrund einer stark wachsenden Schülerzahl zunächst weiter an. 226 s. Exkurs „Die Réforme Haby und das heutige französische Bildungssystem“ auf Seite 75

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immer dominierender (Anfang des 21. Jahrhunderts entschieden sich über 90 % der Schüler für Englisch als erste Fremdsprache227). Der Rückgang der deutschen Sprache ist zu großen Teilen auf die Verminderung ihres Anteils als zweite Fremdsprache zurückzuführen: Erreichte das Deutsche bei der Wahl der zweiten Fremdsprache im Schuljahr 1972/73 mit knapp 40 % seinen Höhepunkt, sank der Anteil seither stetig. Demgegenüber konnte vor allem das Spanische seinen Anteil drastisch steigern (s. Abbildung 2). Lagen Spanisch und Deutsch 1971 als zweite Fremdsprache noch gleichauf bei 36 %, hatte sich der Anteil des Deutschen bis 2005 auf ein Drittel dessen – also 12,3 % – reduziert, während sich der Anteil des Spanischen auf 70,7 % nahezu verdoppelte.228 Abbildung 2: Anteile der zweiten Fremdsprache in der quatrième (8. Klasse)

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale 2000: 3

Diese Abwärtstendenz des Anteils der deutschen Sprache sowohl an der ersten Fremdsprache als auch an der zweiten Fremdsprache führte dazu,

227 HANNEQUART 2009: 6 228 Ebd. 2003: 30; ebd. 2009: 7

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dass im Schuljahr 1989/90 erstmals insgesamt mehr Schüler Spanisch lernten als Deutsch, sodass Deutsch in der Sprachenhierarchie in der Schule vom zweiten auf den dritten Rang abrutschte.229 Dieses Zurückfallen auf den dritten Platz ist angesichts von zwei Pflicht-Fremdsprachen in Frankreich von Bedeutung: Bei der Wahl der ersten Fremdsprache dominiert Englisch und wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit weiter steigender Tendenz zu über 90 % gewählt; bei der Wahl der zweiten Fremdsprache entscheiden sich mittlerweile mehr als 70 % der Schüler für Spanisch. Somit weisen Englisch und Spanisch zurzeit – im Gegensatz zu Deutsch – eine ganz klare Ausrichtung auf: Die Schüler, die im Verlauf ihrer schulischen Laufbahn Englisch lernen, tun dies zu über 90 % als erste Fremdsprache; jene Schüler, die irgendwann Spanisch lernen, wählen Spanisch zu über 95 % als zweite Fremdsprache. Währenddessen entscheiden sich Schüler, die Deutsch lernen, etwa zu je 50 % für dieses Fach als erste sowie als zweite Fremdsprache.230 Dies bedeutet in Zeiten knapper Bildungsbudgets ein Problem, da eine Tendenz besteht, das Angebot auf die erste Fremdsprache Englisch und die zweite Fremdsprache Spanisch zu reduzieren und damit den hier skizzierten Trend weiter zu verstärken. Diese Problematik wird in Kapitel 4.4 ausführlich besprochen.

229 Ministère de l’Éducation Nationale 1996: 1 230 Ebd. 2000: 6

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Die Réforme Haby und das heutige französische Bildungssystem

Die Réforme Haby aus dem Jahr 1975 ist nach dem damaligen Bildungsminister René Haby benannt. Sie brachte die 1959 zu Beginn der Fünften Republik begonnenen Reformen im Bildungssystem zu einem vorläufigen Ende und ist daher der Inbegriff dieser grundlegenden Reform, die das „gesamte Schulwesen neu regelte“231. Die Réforme Haby schuf das französische Bildungssystem, wie es sich im Wesentlichen bis heute darstellt (s. Abbildung 3). Wesentlicher Bestandteil dieser Reformen war die 1963 begonnene Heraufsetzung des Pflichtschulalters auf 16 Jahre sowie die Einführung des collège (Gesamtschule) als ausschließlicher Schulform.232 Ziel dieser gaullistischen Reformen war die Steigerung der Chancengleichheit sowie „eine bessere Anpassung der Pflichtschule an die Wirtschaftsentwicklung“233. In der Folge führte dies zu einer gesteigerten Integration des lycée (Gymnasium) in die schulische Laufbahn: Gab es hier traditionell die petites classes (kleine Klassen) des Bürgertums, die bereits die école maternelle bzw. die école primaire (Vor- und Grundschule) in den Räumlichkeiten des lycée absolvierten, wandelte sich das lycée nun in der schulischen Laufbahn zur auf die Universität vorbereitenden Oberstufe.234 Diese Entstehungsgeschichte erklärt, weshalb in Frankreich das die sixième bis troisième (Klassen 6–9) umfassende collège und das aus den Klassen seconde bis terminale (Klassen 10–12) bestehende lycée auch materiell getrennte Schulen sind. Ein weiteres Element der Reformen, das die soziale Chancengleichheit erhöhen sollte, war die Einführung der carte scolaire, der zufolge Schüler „obligatorisch den Schulen des ihrem Wohngebiet entsprechenden Schulbezirks“235 zugeordnet

231 DOLL & TAUBERT 2006d: 822 232 Ebd. 233 Ebd. 2006b: 216 234 Ebd. 2006c: 594 235 Ebd. 2006a: 145

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wurden. Durch die schrittweise Integration „paralleler Schulen“236 in das collège gibt es in diesem nach wie vor „Gymnasiallehrer“ neben „Realschullehrern“, die „trotz unterschiedlicher Lehrverpflichtung und unterschiedlichem Verdienst im Allgemeinen denselben Unterricht erteilen“.237 Abbildung 3: Das französische Bildungssystem

 Quelle: verändert nach SCHMIDT et al. 2006: 217

236 LEYENBERGER 2006: 35 237 DOLL & TAUBERT 2006b: 218

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Heute ist die Anzahl der zu lernenden Fremdsprachen auf zwei Sprachen festgelegt, dagegen wird der Beginn des Fremdsprachenerwerbs immer weiter vorgezogen. Doch auch wenn gegenwärtig die Schüler am Ende der école primaire bereits erste Sprachkenntnisse erworben haben sollen und auch die continuité238 möglich sein soll, wird die erste Fremdsprache bei Eintritt in die sixième (6. Klasse), die zweite vor Eintritt in die quatrième (8. Klasse) gewählt. Da in der école primaire Englisch zunehmend unangefochten die erste Fremdsprache darstellt und sich die Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem aufgrund des Zeitpunktes der Sprachwahl auf das collège konzentrieren, wird auch in der vorliegenden Arbeit das collège im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die territoriale Organisation des französischen Bildungssystems unterscheidet sich von anderen Bereichen dadurch, dass es im Bildungsbereich keine régions, sondern sogenannte académies gibt. Diese „Schulverwaltungseinheiten“239 sind zumeist, aber nicht immer, deckungsgleich mit den régions, was dazu führt, dass es bei 22 régions in Frankreich 26 académies gibt (s. Abbildung 4).240 Die académies existieren bereits seit 1808, haben aber besonders im Zuge der französischen Dezentralisierungspolitik seit den 1980er-Jahren an Bedeutung gewonnen.241

238 Die continuité des apprentissages, das lückenlose und kontinuierliche Lernen einer Sprache, stellt eines der normativen Grundprinzipien der Praktik der Sprachenplanung im französischen Bildungssystem dar (IP14). Diese Praktik wird in Kapitel 4.4.4 ausführlich thematisiert. 239 DOLL 2006: 15 240 Die académies sind im Gegensatz zu den régions immer nach dem Sitz der ihnen vorstehenden recteurs benannt. Die unterschiedliche Anzahl zwischen régions und académies ergibt sich daraus, dass die région Île-de-France aus den académies Paris, Créteil und Versailles besteht, die région Provence – Alpes – Côte d’Azur aus den académies Aix-Marseille und Nice sowie die région Rhône-Alpes aus den académies Grenoble und Lyon (Ministère de l’Éducation Nationale 2005a: 103). 241 Diese Thematik wird ausführlich in Kapitel 4.4 beleuchtet.

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Abbildung 4: Die académies und départements des französischen Bildungssystems

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale 2005a: 103

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Der langanhaltende Abwärtstrend des Anteils der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler hat verschiedene Auswirkungen – eine besonders gravierende Konsequenz betrifft die Alterspyramide der Deutschlehrer: Von den knapp 10.000 Deutschlehrern ist im Schuljahr 2007/2008 die Hälfte mindestens 51 Jahre alt. Bei einem tatsächlichen Renteneintrittsalter von 58 Jahren242 wird etwa ein Drittel der Deutschlehrer innerhalb von fünf Jahren in Rente gehen (s. Abbildung 5). Abbildung 5: Alterspyramide der Deutschlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008

 Quelle: DEPP 2008

Der Vergleich mit der Alterspyramide der Spanischlehrer zeigt, dass jene der Deutschlehrer keineswegs typisch ist. Von den mehr als 14.000 Spanischlehrern ist die Hälfte höchstens 38 Jahre alt – der Medianwert liegt also um 13 Jahre unter dem der Deutschlehrer (s. Abbildung 6).

242 Das gesetzliche Renteneintrittsalter zum Bezug der vollen Rente liegt zum Untersuchungszeitpunkt in Frankreich bei 60 Jahren.

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Abbildung 6: Alterspyramide der Spanischlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008

 Quelle: DEPP 2008

Damit bilden die Alterspyramiden der Spanisch- und der Deutschlehrer die Entwicklung der beiden Fächer im französischen Bildungssystem der letzten Jahrzehnte ab: Der Boom des Spanischen hat dazu geführt, dass immer mehr Spanischlehrer eingestellt wurden, während aus den rückläufigen Lernerzahlen des Deutschen hingegen folgte, dass jedes Jahr weniger Deutschlehrer neu beschäftigt wurden. Darüber hinaus sind die Alterspyramiden auch Zeugnisse der demographischen Entwicklung und der Réforme Haby: Während der im Zuge des drastischen Anstiegs der Schülerzahlen gegen Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre erfolgende Lehrerzuwachs in der Alterspyramide der Spanischlehrer als Nebenmaximum der heute 50- bis 60-jährigen Lehrer deutlich zu erkennen ist, verstärkt dieser Effekt bei den Deutschlehrern lediglich die Dominanz dieser Altersgruppe243. Infolge der kritischen Haushaltssituation des französischen Staates sowie der gesunkenen Anzahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens enga243 Aufgrund des starken Anstiegs der Schülerzahlen wurden in Frankreich zwischen 1966 und 1975 mehr als 2.500 neue collèges gebaut (LEYENBERGER 2006: 37).

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gierten Schüler gehen gegenwärtig jährlich wesentlich mehr Deutschlehrer in Rente, als neu eingestellt werden: Zurzeit werden jedes Jahr mehr als 600 Lehrer pensioniert, während nur etwa 100 neu beschäftigt werden. Dies bedeutet, dass sich die Zahl der Deutschlehrer jährlich um etwa fünf Prozent reduziert. Die Alterspyramide der Englischlehrer scheint nahezu eine Kombination der Alterspyramiden der Spanisch- und der Deutschlehrer zu sein (s. Abbildung 7): Die mehr als 44.000 Englischlehrer besitzen wie die Deutschlehrer die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge bei älteren Lehrern; ihre Alterspyramide bildet aber wie die der Spanischlehrer ein breites Nebenmaximum in den Jahrgängen mittleren Alters. Englisch besitzt schon länger als Spanisch eine sehr hohe Nachfrage, weswegen sich der Anstieg der Schülerzahlen stark in den heute älteren Jahrgängen niederschlägt. Das breite Nebenmaximum zeigt, dass Englisch auf sehr hohem Niveau seinen Anteil weiter steigern konnte, wenn auch relativ weniger stark als Spanisch. Abbildung 7: Alterspyramide der Englischlehrer in Frankreich im Schuljahr 2007/2008

 Quelle: DEPP 2008

Der prozentuale Anteil der in Praktiken des Sprachen-Lernens engagierten Schüler sowie die Alterspyramiden sind Artefakte, Resultate der Praktik des Operationalisierens, die in Kapitel 4.3.5 noch ausführlich betrachtet

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wird. Die Statistiken sind, wie LATOUR sagen würde, keine „In-formation“, sondern „Trans-formation“244; sie sind die Übersetzung des Alltags der Deutschlehrer: Die sinkende Zahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler führt dazu, dass die Deutschklassen immer kleiner werden oder in einigen Jahrgängen keine Deutschklasse mehr zustande kommt. Da die Lehrer in Frankreich zumeist nur ein einziges Fach unterrichten und das collège nur die vier Jahrgänge von sixième bis troisième umfasst, können gegenwärtig insbesondere die Deutschlehrer am collège – der Nachfrageschwund ist stärker in den jüngeren Jahrgängen zu spüren als in den älteren – ihr Lehrdeputat nicht an einem einzigen collège erfüllen. Dies hat immer häufiger zur Folge, dass die Deutschlehrer zusätzlich an einem zweiten oder sogar an einem dritten collège arbeiten müssen. Wie in Kapitel 4.2.1 ausführlich beschrieben wird, hat diese Änderung der mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verwobenen Ordnung weitreichende Konsequenzen. Eine naheliegende Konsequenz ist die negative Veränderung der mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verbundenen teleoaffektiven Strukturen: Aufgrund der immer häufiger üblichen Ordnung eines auf mehrere Schulen verteilten Arbeitsortes im Rahmen der Praktik des DeutschUnterrichtens „sind die Deutschlehrer besorgt“ (IP3). Sie haben „Angst, ihre Stelle zu verlieren“ (IP4), da sie nicht wissen, ob sich im folgenden Schuljahr genügend Schüler für die Praktik des Deutsch-Lernens interessieren werden. Nicht zuletzt aus geographischer Perspektive hochinteressant sind die Argumentationen, mit denen zahlreiche Akteure der Förderung des Deutschen in Frankreich die sinkenden Zahlen der in der Praktik des DeutschLernens engagierten Schüler erklären: Häufig bringen sie die Sprachen Deutsch und Spanisch mit dem jeweiligen „Sprachraum“ (IP5) in Verbindung und erklären letztendlich die bessere Situation des Spanischen im französischen Bildungssystem mittels Raumsemantiken – Spanisch sei dort aufgrund der spanischen und lateinamerikanischen Kultur wesentlich positiver besetzt als das Deutsche (z.B. IP18). Dies wird in Kapitel 4.2.3 eingehend beschrieben. Zusammenfassend kann für einen ersten Überblick folgende Situation festgestellt werden: Die Zahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens enga-

244 LATOUR 2007: 257

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gierten Schüler ist während der letzten Jahrzehnte stark gesunken. Diese Statistik stellt eine Trans-formation des Alltags der Deutschlehrer dar, welcher von schrumpfenden Klassengrößen und immer häufiger von einer veränderten, mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verflochtenen Ordnung – das Unterrichten an mehreren collèges – geprägt ist. Diese veränderte Ordnung erlebt nicht jeder Deutschlehrer selbst. Allerdings wirkt sich die Angst, dass es im nächsten Schuljahr die eigene Person betreffen könnte, spürbar auf die Gesamtheit der in der Praktik des DeutschUnterrichtens engagierten Lehrer aus und verändert daher die teleoaffektiven Strukturen dieser Praktik zum Negativen. Viele Akteure der Förderung des Deutschen erklären sich den rapiden Rückgang der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem mittels der mit den Sprachen Deutsch und Spanisch in Bezug gesetzten Raumsemantiken. Aus dieser Situation heraus erfolgte als politische Konsequenz im Umfeld des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages am 12. November 2004 die Verlautbarung eines „Aktionsplans für die Partnersprache“ oder, wie er von den Akteuren kurz genannt wird, eines plan de relance (Wiederbelebungsplan).245 Als ein zentrales Element des plan de relance erwiesen sich die sogenannten classes bilangues. Dies sind Klassen, die nicht – wie normalerweise üblich – die erste Fremdsprache im collège ab der sixième (6. Klasse) und die zweite Fremdsprache ab der quatrième (8. Klasse) lernen; vielmehr werden beide Fremdsprachen gemeinsam ab der sixième begonnen.246 Zentral ist, dass diese classes bilangues bis auf sehr wenige Ausnahmen zunächst auf das Sprachenpaar Deutsch/Englisch beschränkt sind, sodass es sich um eine „positive Diskriminierung“ des Deutschen handelt, wie u. a. IP3 erklärt. Ein Schüler, der sich in einer Praktik

245 Der plan de relance umfasst sowohl die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich als auch die Förderung des Französischen in Deutschland. Er wurde am 12. November 2004 durch den französischen Bildungsminister François Fillon und den „Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ Peter Müller angekündigt (DGESCO 2008). 246 Die classes bilangues existierten bereits vor dem plan de relance. Im Rahmen des plan de relance sollte deren Zahl jedoch innerhalb von fünf Jahren um 50 % erhöht werden. Diese Vorgabe wurde sehr schnell und bei Weitem übertroffen.

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des Sprachen-Lernens mit der speziellen Ordnung der classes bilangues engagiert, kann dies somit normalerweise nur in der Sprachenkombination Deutsch und Englisch. Des Weiteren wurde im Jahr 2004 das erste Mal eine Werbekampagne für die deutsche Sprache in Frankreich lanciert, um das Image des Deutschen und Deutschlands zu verbessern. Doch der Effekt von Werbekampagnen „lässt sich schwer belegen“ (IP6) – daher war die Schaffung der classes bilangues „das Entscheidende“, um „sehr schnelle Fortschritte“, sprich eine Trendwende, einzuleiten (IP6): Im collège stiegen ab 2004 die Zahlen so stark an, dass ab 2007 die weiterhin sinkenden Zahlen im lycée überkompensiert wurden247; die Zahlen der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler stiegen damit zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an (s. Tabelle 1). Tabelle 1: Prozentanteile der Fremdsprachen Englisch, Spanisch, Deutsch und Italienisch im französischen Bildungssystem zwischen 1995 und 2009 

Jahr 1995 2000 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

Englisch 93,0 95,3 k. A. k. A. 96,9 97,2 97,4 97,5 97,8 98,0

Spanisch 28,9 34,2 k. A. k. A. 38,9 39,6 39,7 39,4 39,7 41,1

Deutsch 22,9 18,5 16,9 16,1 15,7 15,5 15,2 15,3 15,4 15,5

Italienisch k. A. 3,8 k. A. k. A. 4,3 4,4 4,3 4,3 4,2 4,2

Quelle: DEPP 2007, 2009, 2010

Lernten 2006 lediglich 15,2 % aller französischen Schüler in weiterführenden Schulen Deutsch, so wuchs in den Folgejahren dieser Anteil leicht an und erreichte zum Untersuchungszeitpunkt im Schuljahr 2008/2009 bereits 15,4 %. Wie etwa IP1 sagt: „Wichtig ist daran die Entwicklung“. Einige Akteure der Förderung des Deutschen betonen diese positive Entwicklung,

247 DEPP 2007

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um den negativen Veränderungen der teleoaffektiven Strukturen u. a. der Praktik des Deutsch-Unterrichtens entgegenzuwirken. Dies geschieht nicht zuletzt im Rahmen von Praktiken, die das Gemeinschaftsgefühl stärken sollen (s. Kapitel 4.3.3).

4.1 D ISKURSE ALS L EGITIMATION DER P RAKTIKEN DER F ÖRDERUNG DER DEUTSCHEN S PRACHE IM FRANZÖSISCHEN B ILDUNGSSYSTEM In diesem Kapitel wird der grundlegenden Frage nachgegangen, wie die argumentative Legitimation der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich248 praxistheoretisch gedacht werden kann. Die in Kapitel 4 dargestellte Situation legt nahe, die dort als bedeutsam identifizierten Elemente der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem für einen ersten Überblick in folgende Kategorien zu gliedern:249 • •

die Praktik des Operationalisierens, d. h. die Transformation des Alltags der Lehrer in Zahlen bzw. in Statistiken; die weit gefasste Praktik des Deutsch-Unterrichtens, welche den Alltag der Lehrer beinhaltet; dieser ist immer öfter durch kleinere Klassen und eines auf mehrere Schulen verteilten Arbeitsortes gekennzeichnet (also durch eine veränderte, mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verwobene Ordnung);

248 In der vorliegenden Arbeit wird aus sprachlichen Gründen gelegentlich anstatt von „der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem“ von „der Förderung des Deutschen in Frankreich“ gesprochen. Dies ist lediglich Gründen der besseren Lesbarkeit geschuldet – weder „das Deutsche“ noch „Frankreich“ ist hier „allumfassend“ zu verstehen. 249 Die aufgezeigten Kategorien sind nicht als klar voneinander abgegrenzt zu verstehen, und ihre Auswahl deckt nicht das komplette Spektrum der Praktiken der Förderung des Deutschen ab; dennoch kann mit ihrer Hilfe ein erster Überblick über wesentliche Elemente der Praktiken der Förderung dargestellt werden.

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die teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens, d. h. die als Drucksituation empfundene Situation des Deutschen kann z. B. zu Angst, Ohnmachtsempfinden und Verzweiflung bei den Deutschlehrern führen; Raumsemantiken (also Ordnungen), die zurate gezogen werden, um die sinkenden Zahlen der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler zu erklären.

Denkt man in diesen Kategorien, so lassen sich verschiedene Praktiken erkennen, mittels derer versucht wird, die „Ausgangssituation“250 der deutschen Sprache in Frankreich zu verbessern. Bevor die einzelnen Praktiken ausgiebig untersucht werden, wird von obigem Überblick ausgehend eine erste Untersuchung dieser Praktiken vorgenommen, um deren Legitimation näher beleuchten zu können. Das übergeordnete Ziel der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem ist die Steigerung der Zahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler. Im Mittelpunkt steht also eine Verbesserung der mittels der Praktik des Operationalisierens erfassten Statistiken – so wird es z. B. auch im plan de relance formuliert.251

250 Mit LATOURS (2005: 123) Gedanken, dass die Handlung in dem Moment bereits begonnen hat, in dem ich als Forscher „das Feld“ betrete, und sie auch nach meinem Verlassen des Felds weitergehen wird, lässt sich schwerlich von einer „Ausgangssituation“ mit einem absoluten Nullpunkt sprechen. Dennoch verwende ich diesen Ausdruck hier, um damit die Situation zu bezeichnen, wie sie mir von den Akteuren als „Ausgangssituation“ vermittelt wurde. Hierbei handelt es sich um eine Konstruktion, der kein konkreterer Zeitpunkt als „vor der Einführung des plan de relance“ zuzuordnen ist. Ich verwende diesen relativen Ausdruck einer Konstruktion durch die Akteure, da ich mir von diesem eine bessere Nachvollziehbarkeit für den an dieser Stelle vorgestellten ersten Überblick verspreche. 251 Der plan de relance spaltet das zuvor im Rahmen eines Treffens deutscher und französischer Regierungsvertreter in Poitiers erklärte Ziel einer Steigerung der Anzahl Deutsch lernender Schüler in Frankreich um 50 % innerhalb von zehn Jahren in verschiedene konkretere Maßnahmen auf (z. B. die erwähnte Steigerung der Zahl der classes bilangues in der sixième um 50 % innerhalb von fünf

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Diese quantitative Steigerung konnte v. a. aufgrund der classes bilangues erreicht werden – jedoch nur teilweise, da die Zahlen im collège seit 2004 steigen, im lycée dagegen weiter sinken.252 Ein Effekt, den die classes bilangues haben, ist, dass sie oft die Alltagssituation der Lehrer verbessern und somit die weit gefasste Praktik des Deutsch-Unterrichtens. Denn diese haben mit den classes bilangues wieder größere Klassen und sind dadurch als Lehrer besser angesehen. Dieser Umstand entlastet viele Lehrer emotional, führt also zu einer positiven Veränderung der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens. Dennoch ist eine Praktik auszumachen, mit deren Hilfe einige Akteure versuchen, das Gemeinschaftsgefühl der Akteure der deutschen Sprache zu verbessern und somit deren Ohnmachtsgefühl und der Isolation der Deutschlehrer an deren Schulen entgegenzuwirken: die Praktik des Doing Community, die eingehender in Kapitel 4.3.3 beschrieben wird. Die Praktik des Werbens wiederum, deren Effekte schwer nachzuweisen sind, arbeitet häufig auf eine Verbesserung des in der Einschätzung der Akteure komparativen raumsemantischen Nachteils des „deutschsprachigen Sprachraums“ (v. a. Deutschlands) gegenüber dem „spanischsprachigen Sprachraum“ (IP5) hin. Nicht nur bei der Praktik des Doing Community, sondern in allen Bereichen kann ergänzend zu der hier vorgenommenen kategorialen Perspektive eine Gruppen-Perspektive eingenommen werden. Die Betrachtung, wer in welchen Praktiken engagiert ist, scheint die Beschreibung der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem weiter verdichten zu können: So bezeichnet IP6 die Praktik des Werbens als „unser Hauptspielfeld“ und meint damit die deutschen Akteure, während Maßnahmen auf der „strukturellen Seite“ – auch aus einfachen territorialjuristischen Gründen – den französischen Akteuren der Förderung des Deutschen vorbehalten sind. Diese Community of Practice-Perspektive

Jahren – der plan de relance hat eine Laufzeit von fünf Jahren; Auswärtiges Amt 2003b; DGESCO 2008). In Poitiers wurde damit nach der grundlegenden gemeinsamen Erklärung durch den französischen Präsidenten Jacques Chirac sowie Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages, dass die „Partnersprache“ zu fördern sei, zum ersten Mal eine konkrete Zahl genannt. Die Praktik des Operationalisierens wird in Kapitel 4.3.5 noch detaillierter beschrieben. 252 DEPP 2007

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wird in Kapitel 4.3 ausgiebiger beleuchtet. In Kapitel 4.4 hingegen wird der angesprochene territoriale Aspekt zusammen mit der Frage, inwiefern scales – also die Frage nach z. B. lokaler, regionaler oder nationaler Maßstabsebene – ein hilfreiches Konzept zur Beschreibung der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sein kann, detailliert thematisiert. Im Folgenden wird jedoch zunächst auf einen anderen Aspekt der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem fokussiert: Offensichtlich werden die genannten Praktiken, welche die eingangs beschriebene Situation des Deutschen in Frankreich verbessern sollen, mittels verschiedener Diskurse legitimiert (s. Abbildung 8). Diese legitimierenden Diskurse werden nun im nächsten Abschnitt beschrieben und praxistheoretisch eingeordnet. Abbildung 8: Aktuelle Situation der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sowie durch Diskurse legitimierte Praktiken zu deren Verbesserung



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Praktiken legitimierende Diskurse aus praxistheoretischer Sicht253 Die Untersuchung der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache führt relativ früh auf die Spur von „Diskursen“254, welche der Legitimation dieser Praktiken dienen. Aus der Perspektive der Praxistheorie können die vorgestellten Diskurse als Ordnungen gedacht werden: Ordnungen sind – wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben – gekennzeichnet von „Beziehungen, Positionen und Bedeutungen, [die] genau wie die Arrangements, deren

253 Es sei vorangestellt, dass man diese theoretische Diskussion wesentlich ausführlicher anlegen könnte. Da jedoch die empirische Umsetzung der Praxistheorie im Fokus der vorliegenden Arbeit steht, wird diese Diskussion so knapp wie möglich gehalten. 254 Die Bezeichnung „Diskurs“ ist hier lediglich in einer klassisch FOUCAULT’SCHEN

Interpretation angebracht: FOUCAULT fordert, Diskurse „als

Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (FOUCAULT 1973: 74) und verharrt damit v. a. auf der sprachlichen Ebene. Demgegenüber verwenden z. B. LACLAU und MOUFFE einen darüber hinausgehenden Diskurs-Begriff, der die artikulierende Verwobenheit von Wörtern und Handlungen in den Vordergrund stellt (LACLAU 2005: 106). Überdies ist in ihrer Konzeption das Soziale gekennzeichnet durch den Prozess der Bedeutungszuschreibung, weshalb für LACLAU und MOUFFE der gesamte „social space as discursive“ anzusehen ist (1987: 82). SCHATZKI schätzt den Ansatz von LACLAU und MOUFFE offensichtlich sehr, da er sich in seinem Werk intensiv mit diesem auseinandersetzt, kritisiert ihn aber letztlich aufgrund der vermeintlichen Fixierung auf Sprache (2002: 50). Die Relation seiner Praxistheorie zu dem Ansatz von LACLAU und MOUFFE wird auch durch die Zuordnung dieses Ansatzes zu einer von ihm erstellten Kategorie der „arrangement theories“ deutlich; in jener sieht er z. B. auch die ANT nach LATOUR

und CALLON. Dieser stellt er eine Kategorie von „practice theories“ ge-

genüber, der er etwa BOURDIEU, GIDDENS und CHARLES TAYLOR zuordnet (SCHATZKI 2002: xii). Damit betont er nochmals seinen Ansatz, der sowohl Arrangements bzw. Ordnungen als auch Praktiken berücksichtigt.

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Gesichtspunkte sie sind, labile Phänomene sind, von denen nur vorübergehende Fixierungen möglich sind“.255 Die Äußerungen, die in einen Diskurs eingehen, werden im Rahmen von Praktiken getätigt. Diskurse als Ordnungen kommen durch die Zuschreibung von Bedeutung – wiederum im Rahmen von Praktiken – zustande und werden durch diese bedeutungsvoller als die Summe der einzelnen Äußerungen.256 Man denke hier an das in Kapitel 2.2 angeführte Beispiel des Staates als Ordnung, die mittels verschiedener Praktiken hergestellt wird. Der Staat wie auch der Diskurs werden durch die Bedeutungszuschreibung in die Lage versetzt, dem „Leben der Leute Ordnung und Bedeutung zu geben“257, indem diese Ordnungen wiederum Praktiken „ermöglichen und beschränken“258. Diskurse stellen also aus praxistheoretischer Sicht eine Form von Ordnungen dar, die mit Praktiken verwoben sind, sodass Praktiken und Ordnungen „einander zugleich ermöglichen und beschränken“259. Die vorgestellten Diskurse sollen die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache legitimieren und diese damit befördern.

255 „Relations, positions, and meanings, like the arrangements of which they are aspects, are labile phenomena, only transitory fixations of which can be assured“ (SCHATZKI 2002: 24). 256 Diese höhere Bedeutung erlangen Diskurse durch den Verweis auf verschiedene Äußerungen, die in der Zuschreibung jenem Diskurs zugeordnet werden. Zentrale Äußerungen werden häufiger reproduziert und im Rahmen dieser Reproduktion gleichzeitig verfestigt, aber auch immer wieder verändert und weiterentwickelt; auf der anderen Seite gibt es auch periphere Äußerungen, die dem Diskurs zugeordnet werden können. Bei der Bezugnahme müssen nicht mehr alle Äußerungen der Argumentationskette aufgegriffen werden, da die Beteiligten zumeist wissen, um welchen Diskurs es sich handelt. Einzelne Äußerungen können hierbei jedoch gleichzeitig verschiedenen Diskursen zugerechnet werden. 257 „This entity comes to seem much more than the sum of the everyday activities that constitute it, appearing as a structure containing and giving order and meaning to people’s lives“ (MITCHELL 1991: 94). 258 „Practices and orders also enable and constrain one another“ (SCHATZKI 2002: 117). 259 Ebd.

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Zahlreiche Gespräche und Interviews mit Akteuren der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem bezogen sich immer wieder auf einige, sich dadurch als zentral herauskristallisierende „Diskurse“, die von den Akteuren als Legitimation dieser Förderung verstanden wurden. In einer nicht den Anspruch der Vollständigkeit erhebenden Auswahl werden im Folgenden fünf Diskurse vorgestellt: Der ArbeitsmarktDiskurs, der Verständnis-Diskurs, der Mehrsprachigkeits-Diskurs, der Innovations-Diskurs sowie der Imageträger-Diskurs. 4.1.1 Der Arbeitsmarkt-Diskurs Eine der in den Interviews am häufigsten genannten Argumentationslinien ist der Arbeitsmarkt-Diskurs, demzufolge es auf dem französischen Arbeitsmarkt eine beträchtliche Anzahl an Jobs gibt, die nicht adäquat besetzt werden können, da es nicht genügend Bewerber mit Deutschkenntnissen gebe. IP7 führt dies folgendermaßen aus: „Dass es Zehntausende von Jobs gibt, die nicht besetzt werden können, weil sie einfach nicht die Leute haben, die diese Sprachkenntnisse mitbringen. Also nach […] den Erhebungen der Handelskammer sind das mehrere Zehntausend Plätze jedes Jahr.“

Es gibt also „einen Deutschbedarf z. B. in der Industrie in Frankreich. Die Firmenchefs suchen Leute, die Deutsch sprechen, das ist ein reeller Bedarf“ (IP12). Dieser Bedarf wird mit der Intensität des Warenaustauschs zwischen Deutschland und Frankreich begründet. Stellvertretend für viele Akteure des Deutschen in Frankreich spricht z. B. IP2 von Deutschland als dem „ersten wirtschaftlichen […] Partner Frankreichs“, während IP6 argumentiert, dass „immerhin jeder sechste Arbeitsplatz in Frankreich, glaube ich, hängt irgendwie am deutsch-französischen Handel indirekt“. Für IP8 ist dies ein pro-deutsches Argument, mit dem man die Raumsemantiken zugunsten Spaniens in Frankreich aufwiegen kann: „Das hat jetzt nichts mit dem Herzen des Deutsch-Französischen oder mit der Wichtigkeit der deutsch-französischen Beziehungen für ein funktionierendes Europa zu tun, das ist ein Arbeitsmarktargument. Und das müssen wir gerade gegenüber Franzosen sehr viel stärker einsetzen, die mit Deutschland, was weit weg ist, wo es kalt

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ist, wo man schlecht isst, wo es keine, nicht so viele Strände gibt, wo man lieber nach Spanien fährt, wo es warm ist, wo es Musik gibt und die Sprache leichter lernen kann, da muss man eben stärker damit argumentieren.“

Der Vergleich mit Spanien wird nicht nur eingesetzt, um für rationale Argumente zu plädieren, da die in der Wahrnehmung vieler Akteure eher emotionalen Raumsemantiken eindeutig für Spanien und somit für die Praktik des Spanisch-Lernens sprächen. In den Augen zahlreicher Akteure der Förderung des Deutschen ist das Deutsche hingegen rational die bessere Wahl, sodass auch innerhalb der rationalen Argumente und Diskurse, wie etwa dem Arbeitsmarkt-Diskurs, der Vergleich zu Spanisch und dem „spanischsprachigen Sprachraum“ (IP5) gezogen wird. IP7 erläutert z. B.: „Wenn man sich anschaut, die Zahl der französischen Unternehmen in Deutschland und der deutschen Unternehmen in Frankreich im Vergleich zu Spanisch sprechenden, das heißt also, diese Sage, ganz Lateinamerika spricht doch Spanisch – aber was ist da tatsächlich an wirtschaftlichem Austausch? Zero, das können Sie vergessen. Das ist volumenmäßig und in der konkreten Ausprägung von tatsächlich auch den Angeboten an Arbeitsplätzen ist das in keiner Weise vergleichbar.“

IP8 grenzte in seinen Ausführungen, wie gesehen, den ArbeitsmarktDiskurs gegen die „Wichtigkeit der deutsch-französischen Beziehungen für ein funktionierendes Europa“ ab. Genau dies ist der als nächstes zu betrachtende Diskurs. 4.1.2 Der Verständnis-Diskurs Im Rahmen des Verständnis-Diskurses argumentieren die Akteure des Deutschen, dass Sprache ein zentrales Element der deutsch-französischen Beziehungen sei, da es die Grundlage des Verständnisses in „dem DeutschFranzösischen“ (IP8) darstelle. Die Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache in Frankreich erklärt IP2 folgendermaßen: „Man muss Deutsch lernen in Frankreich, […] v. a. weil ich glaube, dass der ÉlyséeVertrag, diese Annäherung zwischen den beiden Ländern, auch über die Kenntnis des anderen führt. Und ich glaube, dass es falsch ist zu denken, dass die privilegierte deutsch-französische Beziehung an der Kenntnis des anderen sparen könnte, am

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Verständnis des anderen. Und das führt auch […] über die Kenntnis der Sprache des anderen und kultureller Elemente.“

Auch laut IP8 ist die Sprache der „Kernwunsch des Élysée-Vertrages“. Darüber hinaus sei sie immer noch „das Kerndefizit der engen, guten, beispielhaften und vorbildhaften deutsch-französischen Beziehung“. IP8 führt weiter aus: „Und die Kernidee ist natürlich ‚Wie kann man sich im Deutsch-Französischen verstehen, wie kann man die Sonderbeziehung leben und erleben, wenn man sich über den Umweg einer Drittsprache verständigen muss?‘ […] Die Sonderbeziehung im Deutsch-Französischen […] ist natürlich immer dann zum Ausdruck gebracht und wird gelebt, wenn man die Partnersprache auch wirklich aktiv beherrscht. Dann bringt man die Kultur ein, dann versteht man die Nuancen, nur dann kann man es überhaupt wagen, so ganz besondere Herausforderungen anzugehen, wie ein gemeinsames Geschichtsbuch260, wo es natürlich auf die Nuancen in den Sprachen ankommt. Da kann man nicht mit Übersetzungen arbeiten, da muss man in der jeweiligen Sprache zu Hause sein.“

Daher ist nach IP8 auch die Sprache der „Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis“: „Wie will man sich selbst oder wie will man im Rahmen des Deutsch-Französischen den Partner kennen, erkennen, verstehen, wenn man

260 Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages wurde das Projekt eines deutsch-französischen Geschichtsbuches zum Einsatz im französischen lycée und in der deutschen Oberstufe beschlossen. Hierzu soll pro Jahrgang ein Band erscheinen, der sich inhaltlich an den Lehrplänen der 16 Bundesländer sowie am französischen Lehrplan orientiert. Das Innovative dieses Schulbuches liegt in der didaktischen Aufbereitung, welche die unterschiedlichen französischen und deutschen Praktiken des Unterrichtens reflektierend zusammenführt (CHRIST 2009: 4f.). 2006 erschien der erste, in Frankreich für die terminale konzipierte Band, 2008 der zweite, für die première angefertigte Band (Ministère des Affaires Étrangères 2008). Der letzte Band soll zum Beginn des Schuljahres 2011/2012 vorliegen (Senatskanzlei Berlin 2010).

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die Sprache nicht kann?“ IP9 spannt diesen Gedanken weiter und verbindet Sprache mit Kultur und „dem Interkulturellen“261: „Man redet ja viel über Interkulturelles und dass ein deutscher und ein französischer Manager nicht zusammenarbeiten können, weil die in unterschiedlichen Kulturen, auch Unternehmenskulturen, groß geworden sind, die eben anders funktionieren. Und da ist Sprache dann eigentlich auch eher wieder so ein Vehikel zur Annäherung an die Kultur, die es erlaubt zu verstehen, wie der Partner funktioniert.“

Die Bedeutung des Erwerbs der Partnersprache wird jedoch über die Relevanz für die deutsch-französischen Beziehungen hinaus mit dem Gewicht des „deutsch-französischen Tandems“ (IP5) für die Europäische Union und deren Entwicklung begründet. IP7 erklärt beispielsweise: „Diese enge oder hohe politische Koordinierung, die wir erreichen und die tatsächlich für Europa unabdingbar ist, wenn sich da die deutschen und französischen Regierungen streiten, ist Europa blockiert. […] Wir können auch durch Dritte blockiert werden, Polen oder denken Sie an das Baltikum und was wir da neulich hatten, wo wir mit den Russen über Kreuz lagen. Aber wenn die beiden [die deutsche und die französische Regierung] sich blockieren, dann ist wirklich Schluss, und dann ist auch niemand mehr da, der so viel Gewicht in die Waagschale werfen kann, um diese Blockade auszuräumen, so. […] Weil es eine Notwendigkeit ist, die auch in Zukunft nicht entfallen wird, […] dass man tatsächlich auf der politischen Ebene Ruhe behält und weiterarbeiten kann beim großen europäischen Projekt, ist es notwendig, dass wir uns gegenseitig verstehen. Und verstehen heißt eben auch, dass wir in der Lage sind, die Sprache des anderen zu sprechen.“

Die Legitimation der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem mittels der Betonung ihrer Bedeutung für die deutsch-französischen Beziehungen und in einem zweiten Schritt die Betonung der Wichtigkeit dieser Beziehungen für Europa wird häufig angeführt. So spricht IP2 davon, dass „die deutsch-französische Beziehung im Herzen des europäischen Projekts liegt“. IP8 bezeichnet sie als „einen Motor, eine Basis, ein Fundament der engen Zusammenarbeit in Europa“ und bringt

261 Auf den Aspekt „des Interkulturellen“ wird in Kapitel 4.4.2 ausführlicher eingegangen.

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deren Bedeutung stellvertretend für weitere Aussagen dieser Art schließlich auf den Punkt: „Also viele sagen, das Deutsch-Französische ist nicht alles, aber ohne das Deutsch-Französische ist alles nichts in Europa“. 4.1.3 Der Mehrsprachigkeits-Diskurs Die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich werden von den Akteuren in einem weiteren Diskurs dadurch legitimiert, dass die deutsche Sprache in Frankreich ein wichtiger Verteidiger der Mehrsprachigkeit bzw. der sprachlichen Vielfalt sei. IP2 argumentiert beispielsweise stellvertretend für weitere Akteure: „Deutsch ist die einzige Sprache, die Trägerin eines echten Projekts der Vielfalt und eines Projekts der Mehrsprachigkeit ist. Das heißt, wenn Deutsch in Frankreich an Boden verliert, ist es die Vielfalt, die an Boden verliert.“

In dieser Argumentation wird der Mehrsprachigkeit die Einförmigkeit gegenübergestellt, die v. a. durch das Englische repräsentiert ist. Für IP4 ist das Projekt der Mehrsprachigkeit ein Grund, Deutsch zu lernen: „Im Namen der Mehrsprachigkeit: Ich verteidige Deutsch, aber ich verteidige auch alle anderen Sprachen, da ich diese Gleichförmigkeit eines darüber hinaus gebrochenen Englisch ekelhaft finde.“

Im Rahmen des französischen Bildungssystems, das zwei Fremdsprachen verpflichtend vorsieht, wird von den Akteuren des Deutschen die Grenzlinie der Dichotomie zwischen „Gleichförmigkeit“ und „Mehrsprachigkeit“ zwischen Englisch und Spanisch auf der einen Seite sowie den restlichen Sprachen auf der anderen Seite konstruiert. So spricht etwa IP1 davon, dass das Deutsche und damit „die Mehrsprachigkeit zurückgedrängt wird, […] weil bei uns ist das Problem, dass viel zu viel Englisch und Spanisch gelernt wird.“ IP2 führt folgendermaßen aus, warum Spanisch und Englisch nicht das Projekt der Mehrsprachigkeit verteidigen können: „Die Situation in Frankreich ist die, dass ein Sprachenpaar den gesamten Bildungsraum dominiert: Das ist das Paar Englisch/Spanisch. Folglich kann Spanisch nicht mehr Träger eines Vielfalt-Ansatzes sein. Das ist kein Problem mit der Sprache

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Spanisch, sondern mit seinem Status im Schulsystem, der Tatsache, dass nahezu spontan 80 % der Schüler Spanisch als zweite Fremdsprache wählen, die dazu führt, dass es nicht mehr die Rolle eines Verteidigers der Vielfalt spielen kann. Das heißt also nicht, dass Spanisch an sich gegen die Vielfalt wäre. Es liegt an der politischen, soziolinguistischen Situation des Spanischen, wie eben auch des Englischen. Englisch kann [auch] nicht die Rolle der Vielfalt spielen. Das ist nichts gegen Englisch oder gegen Spanisch, […] aber man müsste auch Platz für andere Sprachen im Bildungssystem haben.“

Die Positionierung des Deutschen als Verteidiger der Mehrsprachigkeit aufseiten der weniger häufig gewählten Sprachen ist auch als Versuch zu sehen, das Deutsche aus dem Fokus der Kritik zu nehmen. In diesen war es aufgrund seiner mit dem Élysée-Vertrag begründeten Privilegierung, der bereits erwähnten „positiven Diskriminierung“ (IP3), geraten. IP10 verweist darauf, dass „es auch solche Absprachen mit anderen Ländern [gibt], aber nicht so hoch abgesegnet, […] also in einem Staatsvertrag. Und das spielt eine wesentliche Rolle, und insofern haben wir eine Sonderstellung und mit diesem Pfund versuchen wir immer wieder zu wuchern.“ Vielversprechender sei es allerdings zu sagen, „man fördert die Sprache, die etwas schwächelt, und das kommt eher an in Frankreich, dass man sozusagen den Schwächeren hilft, aber das wird einem nicht abgenommen, dass Deutsch schwach ist. Mit Deutsch verbindet man nicht Schwäche, das ist immer so etwas Problematisches“. Da Deutsch aber schwächele, hätten „die anderen Länder“ (IP10) nichts dagegen: „Sie sagen: ‚Das darf dann aber nicht auf Kosten der anderen gehen‘, aber es geht nun mal auf Kosten der anderen, weil es gibt im Angebot zwar 14 Fremdsprachen, aber […] wir haben zwei Fremdsprachen zur Pflicht. […] Wenn man eine Sprache fördert, […] dann kann es nur auf Kosten buchstäblich der anderen Sprachen gehen – was man dem einen gibt, wird dem anderen abgenommen. Das ist mathematisch.“

Der Verweis, dass es „buchstäblich“ auf Kosten der anderen Sprachen geht, ist damit zu erklären, dass es „um Marktanteile“ geht: „Es geht um Markt, es gibt Marktanteile und es geht darum, sich Marktanteile zu sichern, auch Stellen zu halten“ (IP10). Daher ist die Privilegierung der deutschen Sprache – auch wenn sie sich auf den Élysée-Vertrag berufen kann – gerade in Frankreich problematisch, in dem das „Egalitätsprinzip“ gerne betont wird

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(IP9). IP10 schlägt daher vor, nicht nur Deutsch zu fördern, damit Deutsch aufgrund dieser Privilegierung nicht stigmatisiert wird: „Man müsste das meiner Meinung nach anders machen: Nicht nur Deutsch fördern, sondern Arabisch oder Chinesisch, ich glaube Spanisch bedarf nicht der Förderung, die legen ja immer wieder zu, Italienisch übrigens mittlerweile auch. Man muss die Sprachen fördern, europäische Sprachen wie Deutsch und dann auch Arabisch, Chinesisch, die Sprachen der Zukunft. Und wenn man sagt: ‚Das sind noch schwach ausgebildete Sprachen im System, die muss man fördern‘, ich glaube, das wäre viel besser, und dass Deutsch nicht als ‚Lieblingssprache‘ im Mittelpunkt steht. Ich sehe das, die Kollegen schießen sich alle auf Deutsch ein.“

Man müsse also „gesamtpolitisch argumentieren, für Vielfalt plädieren“ (IP10). Im Rahmen des Mehrsprachigkeits-Diskurses wird Deutsch also offensichtlich aufseiten der „kleineren“ Sprachen zu positionieren versucht, um dann sprachliche Vielfalt einzufordern. IP9 erläutert den Hintergrund solch einer Strategie: „Also was wir ja machen, ist, dass wir […] nicht sagen: ‚Wir wollen Deutsch verkaufen‘, sondern ‚Wir wollen eine Vielfalt von Sprachen in Europa erhalten‘. […] Das ist natürlich ein gemeines Argument auch im Deutsch-Zusammenhang, weil Deutsch dann natürlich automatisch auf die Bühne gerät. Man wird nicht gerade mit Rätoromanisch anfangen, sondern sozusagen bei Vielfalt von Sprache spielt das quantitative Argument natürlich auch eine Rolle.“

Die Akteure erwarten also von der Positionierung des Deutschen als größte der kleineren Sprachen und der Beförderung des Mehrsprachigkeits-Diskurses eine positive Wirkung für die deutsche Sprache in Frankreich. Diese positive Wirkung ist nicht zuletzt deshalb zu erwarten, da dieser Diskurs im größeren Kontext der kulturellen Vielfalt zu verorten ist. So treiben nicht zuletzt die Akteure der französischen Sprache den Diskurs um sprachliche Vielfalt voran, um ihre eigene Sprache zu fördern.262 So erklärt IP6 die Förderung der französischen Sprache folgendermaßen:

262 Welche Rolle die Förderung der sprachlichen Vielfalt als ein Aspekt der Förderung der kulturellen Vielfalt gerade in Frankreich hat, haben GLASZE und MEYER (2009: 195) deutlich gezeigt. Sie analysieren, wie „die französische

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„Also denen [den Franzosen] ist irgendwie klar, dass Französisch letztlich in Europa und der Welt immer mehr vom Verschwinden bedroht ist. Und ich glaube, die französische Politik hat irgendwie erkannt: ‚Wenn wir Französisch retten wollen, dann können wir das nicht, indem wir uns in Brüssel auf Dauer stur stellen und da Sprachenregime einfordern. Das ist auch ein Element, aber darauf können wir es nicht reduzieren und da alleine für das Französische kämpfen, wir müssen das in einen größeren Kontext stellen. Wir müssen sagen, wir müssen für den Erhalt der sprachlichen Vielfalt, zuallererst in Europa und dann auf der Welt, kämpfen.‘ Und dort gehe ich wieder vollkommen einig mit dieser durchaus zunächst mal sehr französischen Interessenlage, da treffen wir uns nämlich wieder. Wenn wir, Franzosen und Deutsche, es nicht schaffen, bei unseren Sprachräumen im Kampf um die Sprachenvielfalt in Europa, in unseren Ländern, eine ausreichend kritische Masse von Lernern der Partnersprache, bei dieser Qualität der Beziehungen, zu schaffen, wie soll denn dann der Ansatz von Vielsprachigkeit in Europa überhaupt ernsthaft eine Chance haben?“

IP6 weist aber gleichzeitig darauf hin, dass „es eben nicht geht, dass man es auf eine dauerhafte Privilegierung oder einseitige Privilegierung des Deutschen oder des Französischen hinauslaufen lässt“. Vielmehr sei es „über

Regierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts international zu der treibenden Kraft hinter dem Konzept der ‚kulturellen Vielfalt‘ wurde“. Die Verabschiedung der „UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ im Jahr 2005 (Deutsche UNESCO-Kommission 2010) wurde daher vielfach als „diplomatischer Sieg für Frankreich beurteilt“ (GLASZE & MEYER 2009: 195). GLASZE und MEYER weisen auch darauf hin, dass die Verteidigung der kulturellen Vielfalt im internationalen Kontext innenpolitisch nicht zu einer Respektierung der sprachlichen Vielfalt führen muss: So hat Frankreich bis heute nicht die europäische Charta zum Schutz der Regionalsprachen unterzeichnet. Ich denke, genau dies zeigt aber die Verwobenheit der „Verteidigung“ der eigenen „Kultur“ im internationalen Kontext mit der Homogenisierung innerhalb Frankreichs durch die französische Sprache. Diese Hegemonie des Französischen innerhalb der Republik speist sich immer noch aus dem in Kapitel 1 angeführten machtpolitischen Gedanken Nebrijas, dass Sprache ein Instrument der Herrschaft sei. Wie diese Machtstellung in bzw. mittels der politischen Organisation der Frankophonie international „verteidigt“ wird, zeigt GLASZE (2008) sehr anschaulich.

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den Selbstzweck hinaus auf eine andere Ebene zu heben, in diesen Kontext ‚Vielsprachigkeit in Europa‘“. 4.1.4 Der Innovations-Diskurs Einen weiteren Argumentationsstrang stellt der Innovations-Diskurs dar. Hier wird wie beim Mehrsprachigkeits-Diskurs argumentativ versucht, das Deutsche nicht in konkurrierender Isolation, sondern vielmehr innerhalb der Gemeinschaft der Sprachen zu positionieren: Hauptargument ist, dass Deutsch als unter Druck stehende Sprache immer neue Innovationen finden müsse, um weiterhin interessant zu bleiben, da diese Innovationen nach einer Weile von den anderen Sprachen übernommen werden. Damit kämen die Innovationen im Fach Deutsch dem gesamten Sprachenbereich des französischen Bildungssystems zugute. IP2 spricht beispielsweise von der „Falle zu sagen, man verteidigt Deutsch, als ob es eine vom Aussterben bedrohte Spezies sei, gegen die anderen Sprachen. Das ist die tödliche Falle.“ Vielmehr müsse man die entscheidenden Personen im administrativen Bereich, ohne die auch eine politisch gewollte Förderung des Deutschen nicht funktionieren kann (s. Kapitel 4.4), mit dem Argument überzeugen, dass die Förderung des Deutschen dem gesamten Bildungssystem förderlich ist: „Ich treffe niemals einen Schulleiter, einen Verantwortlichen für das département und sage: ‚Es muss etwas für das Deutsche getan werden, weil der Minister das so entschieden hat‘. Das hat keine Chance zu wirken. Er wird dann sagen: ‚Ja, natürlich …‘. Daher versuche ich ihm zu zeigen, dass man absolut daran interessiert sein sollte, es für das Bildungssystem selbst zu machen. […] Meine Absicht ist also zu sagen: ‚Das dient der Erneuerung der Gesamtheit der Sprachen. Und diese Erneuerung muss allen Sprachen zugutekommen: Dem Englischen, aber auch allen anderen Sprachen danach.‘ Das ist meine Absicht, das ist nicht einfach, weil die Deutschlehrer das nicht immer verstehen. Die Deutschlehrer wollen, dass wir nur Deutsch verteidigen und andere Sprachen fast verbieten. Sie träumen vom Pflicht-Deutsch, was die tödliche Falle wäre.“

Damit Deutsch dem Sprachenerwerb im französischen Bildungssystem dienlich sein kann, ist es jedoch wichtig, dass Deutsch etwas anzubieten hat, dem Bildungssystem Innovationen bereitstellen kann: „Daher versu-

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chen wir, auf pädagogischem Gebiet Fuß zu fassen, Boden zu gewinnen“ (IP2). IP3 spricht davon, dass „das Deutsche vor acht, zehn Jahren eine kulturelle Revolution vorgenommen hat. […] Das Deutsche behält in der öffentlichen Meinung zum Teil das Image eines Faches der Vergangenheit, mit traditionellen Methoden. Das ist das Image. In der Tat hat das Deutsche aber, ich würde sagen seit acht Jahren, seine Unterrichtsmethoden vollkommen überdacht und ist nun ohne jeden Zweifel ein führendes Fach unter den Sprachen. Vor allem gibt es eine ganze Reihe von Regelungen, die zuerst in Deutsch umgesetzt wurden, bevor sie von allen anderen Sprachen übernommen wurden“. Als Beispiele für solche Regelungen können etwa die certifications oder die classes bilangues genannt werden.263 Diese Vorreiterrolle des Deutschen erklärt auch IP4: „Es ist wahr, dass jedes Mal, wenn es in Deutsch eine interessante Innovation gibt, ist sie derart interessant, dass danach die anderen [Sprachen] dazukommen wollen. Die Idee der [classes] bilangues findet mittlerweile jeder attraktiv, die certifications hat jeder, das Englische, das Spanische. Das kommt eben auch daher, dass wir, denke ich, dass es unsere Stärke ist, dass wir im Deutschen sehr oft Innovator sind.“

Daher ist zu verstehen, dass IP2 – wie beschrieben – die entscheidenden Personen im administrativen Bereich davon zu überzeugen versucht, die Förderung des Deutschen nicht einfach als Umsetzung politischer Vorgaben anzusehen, sondern vielmehr als einen „Trumpf“ für das gesamte Bildungssystem: „Meine Absicht ist, dass sie selbst [die entscheidenden Personen im administrativen Bereich] gegenüber Deutsch den Eindruck haben müssen, dass sie nicht nur einen politischen Diskurs umsetzen, sondern dass sie dem Bildungssystem helfen. Dass sie, indem sie den classes bilangues Englisch/Deutsch helfen und sie schützen, dass dies ein Trumpf für das Bildungssystem ist, weil das die allgemeinen Kompetenzen

263 Die classes bilangues wurden in Kapitel 4 bereits angesprochen. Bei den certifications handelt es sich um von den Lehrern ausgestellte offizielle Sprachdiplome, die – in Anlehnung an den Europäischen Referenzrahmen – den Schülern den jeweiligen Stand der Sprachkenntnisse bescheinigen. Im Rahmen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens (s. Kapitel 4.2.1) wird hierauf detaillierter eingegangen.

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der Schüler entwickelt; weil wir Innovationen im Bildungssystem schaffen, die dem Ministerium helfen, seine Absicht voranzutreiben, die da lautet: ‚Wir wollen, dass die Schüler bessere Kompetenzen in Englisch haben‘. Das pädagogische Argument ist für mich eine Art, den politischen Diskurs von den Entscheidern in der Administration akzeptiert zu bekommen.“

Deutsch hat ohne Zweifel eine gute Position, wenn damit argumentiert werden kann, dass die Förderung des sehr innovativen Faches Deutsch dem Bildungssystem insgesamt weiterhilft. Hieraus entsteht natürlich eine Problematik, die IP11 stellvertretend formuliert: „Wir müssen immer was Neues finden, um eine Nasenlänge voraus zu sein“. Wie in den folgenden Kapiteln zu sehen sein wird, gibt es allerdings einige Entwicklungen, die solche Innovationen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens immer mehr erschweren. Dieser noch detaillierter zu beschreibende Umstand unterstreicht den Ausdruck der „Herausforderung“, den IP3 in diesem Kontext benutzt: „Für uns in Deutsch ist das immer die Herausforderung: Wir müssen immer eine Länge Vorsprung haben, damit wir noch mehr Neuerungen einführen als die anderen“. Einen Teilaspekt dieser zunehmend schwierigen Situation beschreibt der letzte vorgestellte Diskurs, der Imageträger-Diskurs. 4.1.5 Der Imageträger-Diskurs Der Imageträger-Diskurs ist im Gegensatz zu den anderen Diskursen lediglich von einer Interessengruppe, den Lehrern, formuliert worden. Seine Argumentationskette greift die Tatsache auf, dass immer mehr Deutschlehrer an zwei oder gar drei Schulen arbeiten müssen, um ihr Lehrdeputat zu erfüllen. Dies führe dazu, dass den negativen Images – von Deutsch, vom Deutsch-Unterricht oder von Deutschland – nicht mehr in der Schule begegnet werden könne. IP1 erklärt dies folgendermaßen: „Die Gefahr ist, dass das Deutsche weniger präsent ist, weil die Lehrer weniger präsent sind in den Schulen. Und das große Risiko besteht auf der Ebene der Images. […] Es ist oft der Deutschlehrer, der die deutsche Kultur bekannt macht. […] Und wenn der Deutschlehrer in der Schule weniger präsent ist, und damit das Deutsche, verschwindet alles, was nicht dem Klischee entspricht. Und das Hauptklischee des Deutschen ist: Es ist hart, es ist hässlich und die Deutschen sind Nazis. […] Folglich, wenn der Deutschlehrer verschwindet, weil er immer seltener kommt oder weil

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er an zwei Schulen arbeiten muss, dann ist das Deutsche sehr, sehr, sehr schlecht dran. […] Das große Problem ist, gegen die Vorurteile über die Sprache wie auch über die Deutschen zu kämpfen. Unser großes Problem ist es, präsent zu sein, um zu vermeiden, dass irgendein Unsinn gesagt oder getan wird.“

Die Argumentation des Imageträger-Diskurses lässt sich praxistheoretisch wie folgt formulieren: Die veränderte, mit der Praktik des DeutschUnterrichtens verwobene Ordnung des Unterrichtens an mehreren collèges führe folglich dazu, dass der Deutschlehrer und die von ihm getragene Praktik des Deutsch-Unterrichtens, aber auch das Projekt des Feierns des Deutsch-Französischen Tages264 im Rahmen der Praktik des Werbens weniger präsent seien. Dadurch können den v. a. über die Medien vermittelten Klischees nicht in ausreichendem Maße „zeitgemäße“ (IP1) Images entgegengesetzt werden. Auf die Problematik der Ordnungen der Images der Sprache Deutsch, des Deutsch-Unterrichts sowie der Raumsemantiken Deutschlands wird in Kapitel 4.2.3 ausführlicher eingegangen.

4.2 G RUNDLEGENDE P RAKTIKEN UND O RDNUNGEN DER S PRACHFÖRDERUNG : D IE V ERMITTLUNG DES D EUTSCHEN „Don’t break it down first into neat little pots.“ LATOUR 2005: 141

Die eingangs in Kapitel 4 sowie in Kapitel 4.1 für einen ersten Überblick vorgenommene Einteilung in verschiedene Kategorien (s. Abbildung 8) wird in der Folge wieder etwas aufgebrochen werden, um mit der detaillierten Beschreibung zu beginnen. Hierbei wird das in Kapitel 2.2 erarbeitete Vokabular von Praktiken und Ordnungen genutzt: Den Anfang der Betrachtung bilden die beiden für die Vermittlung des Deutschen zentralen

264 Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2003 wurde der 22. Januar zum „Deutsch-Französischen Tag“ erklärt. An diesem Tag sollen die deutsch-französischen Beziehungen dargestellt werden, das Werben für die „Partnersprache“ ist eines der zentralen Anliegen.

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Praktiken (Praktik des Deutsch-Unterrichtens sowie Praktik des DeutschLernens). Es wird in diesem Zusammenhang der Frage nachgegangen, inwiefern die Ordnungen der Images des Deutschen und der Raumsemantiken Deutschlands – nicht zuletzt im Vergleich zu Spanisch und dem „spanischsprachigen Sprachraum“ (IP5) – mit diesen Praktiken in Verbindung stehen. Genau jene Verbindung steht anschließend im Fokus der Beschreibung der Praktik des Werbens: Diese Praktik kann auch als eine Vermittlung „des Deutschen“ angesehen werden, da es im Rahmen verschiedener Projekte dieser Praktik das Ziel ist, die Ordnungen der Images und der Raumsemantiken positiv zu beeinflussen. 4.2.1 Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens ist im Kontext dieser Arbeit weit gefasst: Neben Projekten des unmittelbaren Unterrichts ist hierunter z. B. auch das Projekt des Sich-Fortbildens zu verstehen.265 Laut IP2 hat sich die Praktik des Deutsch-Unterrichtens mit der Zeit deutlich gewandelt: „Unsere Methoden haben sich enorm geändert, […] das ist nicht mehr das Gleiche. Die Lehrer unterrichten anders.“

Dieser Wandel vollzog sich von einem „nicht immer sehr kommunikativen, eher literarischen“ Unterricht (IP12) zu einem stark an kommunikativen Kompetenzen orientierten und aktivierenden Unterricht: Traditionell gebe es laut IP5 „in Frankreich [eine] allgemein schwächere Sprechtradition im französischen Fremdsprachenunterricht“. Hierbei war gerade „das Deutsche spezifisch beladen mit Grammatikfragen und passiven Kenntnissen: Da soll man eben deutsche Literatur lesen können und nicht unbedingt Alltagsdeutsch“ lernen. IP13 erklärt diesen Umstand so, dass die Lehrer, „nach-

265 Eine pädagogischen Ansprüchen angemessene Betrachtung der Praktik des Deutsch-Unterrichtens im französischen Bildungssystem würde den Rahmen dieser Doktorarbeit sprengen, deren Fokus auf der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem liegt. Daher werden in diesem Kapitel lediglich die für die Förderung relevanten Aspekte thematisiert; es besteht kein Anspruch auf eine pädagogisch vollständige Beschreibung des DeutschUnterrichtens.

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dem es keine Eliteklassen266 mehr waren, zu didaktisieren beginnen mussten; vorher haben sie einfach übersetzt, riesenlange Texte gelesen und Goethe gelesen etc.“. IP6 führt ein Beispiel dieser traditionellen Praktik des Deutsch-Unterrichtens an: „Ich habe da Vorführungen auch erlebt bei meinen Besuchen in Schulen. Da wurde dann, wenn man da kam, voller Stolz ein Theaterstück oder eine Lesung organisiert, wo die also Rilke, Goethe, Schiller rezitierten – fehlerfrei. Und dann ging man hinterher, als das Ganze zu Ende war, auf den Schüler zu und sagt: ‚Mensch Du, das hast Du ja toll gemacht. Wie hast Du denn so gut Deutsch gelernt? Das macht Dir doch bestimmt Spaß?!‘ Dann guckt der einen mit so großen Augen an und hat kein Wort verstanden von dem, was man zu ihm sagte. Da muss sich gewaltig was ändern.“

Wie bereits in Kapitel 4.1.4 beschrieben, spricht beispielsweise IP3 davon, dass „das Deutsche […] eine kulturelle Revolution vorgenommen hat“, indem es innerhalb der letzten „acht Jahren seine Unterrichtsmethoden vollkommen überdacht [hat] und nun ohne jeden Zweifel unter allen Sprachen ein führendes Fach unter den Sprachen“ sei. Selbstverständlich hat nicht jeder Lehrer seine Praktiken derart drastisch geändert, denn „natürlich gibt es in jeder Lehrergeneration Menschen, die nicht so engagiert sind oder die sich nicht so verändert haben, aber die Tendenz ist eher doch positiv“ (IP14). Allerdings erklärt IP14: „Heute sagt man: ‚Deutschlehrer sind gut ausgebildet, sind innovativ, handeln, haben moderne Unterrichtsmethoden, haben moderne Evaluierungsmethoden‘“. Als Beispiel für innovative Methoden können die certifications angeführt werden. Diese certifications bescheinigen den Schülern den jeweiligen Stand ihrer Sprachkenntnisse für die vier zentralen Kompetenzen Leseund Hörverständnis, Schreiben und Sprechen.267 Das Innovative daran ist, dass durch die Anlehnung der certifications an den Europäischen Referenzrahmen die Lehrer in die Lage versetzt werden, Lernfortschritte zu beurtei-

266 Das Argument der Eliteklassen bzw. der Klassen der „guten Schüler“ wird in Kapitel 4.2.2 vertieft. 267 HALBERSTADT 2007: 3

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len.268 Folglich werden kommunikative Kompetenzen positiv bewertet, und nicht immer in einer negativen Art und Weise „zu große[r] Wert auf die Korrektheit der Sprache“ gelegt (IP15). IP7 erklärt den Effekt der certifications folgendermaßen: „Und da konnte ich also bei diesem Lehrer quasi abfragen, was ihn absolut begeisterte, war: ‚Es ist das erste‘, das war O-Ton, ‚das erste Mal‘, sagt er, ‚dass wir in die Lage versetzt werden, endlich mal die erworbenen Fähigkeiten positiv zu bewerten und nicht mehr nur gezwungen sind, jeden Fehler anzustreichen. Also wenn du einen Fehler machst, hast du von 20 Punkten nur noch 19, wenn du drei Fehler hast, dann nur noch 18, und dann also die Punkte runterrechnen zu müssen, bis man dann irgendwo die Kinder komplett frustriert hat, weil sie sich wie Idioten vorkommen.‘“

Bei den certifications handelt es sich gleichzeitig um ein Projekt269, aber auch um im Rahmen dieses Projekts hergestellte Artefakte. Die certifications sind von den Lehrern ausgehändigte offizielle „Deutsche Sprachdiplome der Kultusministerkonferenz“270 und werden damit „nicht vom fran-

268 Der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen“ liegt seit dem Jahr 2000 in einer „endgültigen“ Version vor, ist jedoch zugleich nur der „jüngste Stand“ eines seit 1971 vorangetriebenen Prozesses der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Bildung. Der Europäische Referenzrahmen wurde im Auftrag des Europarates erstellt und soll für ganz Europa „eine gemeinsame Basis für die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, curricuralen Richtlinien, Prüfungen, Lehrwerken usw.“ (Goethe-Institut 2001) darstellen. Die certifications sind im Bereich des Beurteilens verortet. Hier definiert der Referenzrahmen Kompetenzniveaus, um Lernfortschritte beurteilen und in sechs Kategorien (je zwei Kategorien für die aufsteigenden Niveaus von A zu C) einordnen zu können (ebd.). 269 Das Projekt des Ausstellens der certifications wird in der Folge der Praktik des Werbens zugerechnet (s. Kapitel 4.2.4). An dieser Stelle wird das Projekt dennoch bereits in Grundzügen dargestellt, da es der weiteren Argumentation dient. 270 Die certifications wurden als indirekte Folge der Vereinbarungen anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages vom deutsch-französischen Ministerrat am 26. Oktober 2004 beschlossen und 2006 erstmals ausgestellt (HALBERSTADT 2006: 3).

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zösischen Schulsystem, sondern von der deutschen Regierung erteilt“ (IP3). Damit stellt dieses Sprachdiplom als kostenlose und freiwillige Leistung der Schüler und der Lehrer – zusätzlich zu den regulären Prüfungen – ein prestigeträchtiges Artefakt der Praktik des Deutsch-Unterrichtens und der Praktik des Deutsch-Lernens dar. Die Lehrer werden für das Projekt des Ausstellens der certifications von anderen Akteuren der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem fortgebildet. Auch deshalb spielt das Projekt des Sich-Fortbildens im Rahmen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens eine große Rolle. Gerade in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut oder aber dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, z. B. im Kontext von Austauschmaßnahmen für Lehrer, „gibt es dann schon ein Fortbildungsnetzwerk, was andere Sprachen nicht haben. Und das ist schon positiv“ (IP14). Dennoch kann ein umfassendes Bild der Praktik des DeutschUnterrichtens nicht derart positiv gezeichnet bleiben. Es ergibt sich vielmehr ein zweigeteilter Eindruck: Auf der einen Seite stehen massive positive Veränderungen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens, auf der anderen Seite existiert hingegen ein immenser Druck, der die Veränderungen erst ermöglichte, diese zugleich aber auch wiederum gefährdet. Laut IP14 sind „Deutschlehrer natürlich deswegen vielleicht innovativer, zum Teil, weil sie sich bedroht gefühlt haben und sich sagen: ‚Wir müssen was machen‘“. Dieser zwiespältige Charakter des Engagements der Lehrer in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens wird von vielen Akteuren unterstrichen. So beschreibt IP4: „Vor Ort gibt es Leute, die sind [pfeift] motiviert, aber das werden Sie sehen: Da die Deutschlehrer wirklich Angst haben, ihre Stelle zu verlieren, sind sie motiviert, motivierter als die anderen.“ Diese „Angst“ bedeutet eine negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens, welche wiederum ein Effekt der deutlich rückläufigen Entwicklung des Anteils der sich in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierenden Schüler ist: Laut eines regionalen Deutschinspecteur „sagen sich die Deutschlehrer jedes Jahr: ‚Werde ich nächstes Jahr genug Schüler haben?‘ Ein Englisch- oder ein Spanischlehrer muss sich diese Frage nicht stellen, weil er nicht dieses Problem hat“ (IDIF 2008: 36). Auch IP14 spricht davon, dass „die meisten Deutschlehrer, die machen mehr als viele andere Lehrer, setzen sich für Deutsch ein und sind äußerst dynamisch – das ist ein militantes Engagement der französischen Deutsch-

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lehrer. Und trotzdem sind dann auch viele entmutigt, weil sie trotz ihrer Bemühungen nicht immer so viele Schüler haben wie sie möchten.“ Im französischen Bildungssystem besitzt ein Lehrer je nach Qualifikation ein Lehrdeputat von „15 oder 18 Stunden vor Schülern“271 (IP1). Problematisch hieran ist, dass sie dabei in der Regel nur ein einziges Fach unterrichten. Die zurückgehenden Schülerzahlen im Fach Deutsch können also nicht durch eine Erhöhung des Lehrdeputats eines Zweitfachs ausgeglichen werden. Vielmehr führt der Rückgang der Schülerzahlen zu einer drastischen Zunahme der Fälle, in denen die Lehrer ihr Lehrdeputat nicht an einer einzigen Schule erfüllen können und somit an zwei oder sogar drei Schulen arbeiten müssen. Diese bereits erwähnte veränderte Ordnung ist eng mit den negativen Veränderungen der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verwoben, da die Lehrer aufgrund der Konzentration auf ein Unterrichtsfach eine Drucksituation empfinden: „Das Problem ist, dass es eine richtige Identifikation mit seinem Fach gibt, da man [als Lehrer] in Frankreich nur ein Fach hat“ (IP1).272 IP1 erklärt die Problematik dieser Identifikation für einen Deutschlehrer in Frankreich so: „Folglich ist für die meisten Lehrer die Trennung zwischen Lehrer und Mensch zwangsläufig fast unmöglich. Das ist auch mit der Sprache so: Wenn die Leute weniger Deutsch wählen, dann weil sie uns weniger lieb haben. So wird das oft empfunden.“

271 Während die als professeurs certifiés bezeichneten Sekundarschullehrer lediglich das zum Unterrichten an Sekundarschulen notwendige CAPES absolviert haben, mussten die professeurs agrégés eine weitere Prüfung ablegen. Die certifiés haben ein Lehrdeputat von 18 Stunden (DOLL & TAUBERT 2006f: 145f.), während die agrégés dagegen bei einem höheren Gehalt nur 15 Stunden halten müssen (ebd. 2006e: 48). 272 Versteht man Identität im Sinne der Theorie der Identitätskonstruktion von KEUPP et al. (2002: 224), dann ist diese Aussage nicht verwunderlich: Hierbei lassen sich verschiedene Teilidentitäten unterscheiden, von denen eine als dominant angesehen wird (ebd.). Auch wenn diese wechseln kann, ist v. a. in Industrieländern die berufliche Tätigkeit sehr oft die dominante Teilidentität. Im Übrigen scheint die Theorie von KEUPP et al. mit ihrem tätigkeitsfokussierten Ansatz sehr gut mit der in der vorliegenden Arbeit genutzten Theorie sozialer Praktiken kombinierbar.

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Nicht zuletzt diese Identifikation der Lehrer mit ihrem Fach hat in Frankreich angesichts der Konkurrenz zwischen Spanisch und Deutsch bei der Wahl zur zweiten Fremdsprache Auswirkungen auf das Verhältnis v. a. zwischen Deutsch- und Spanischlehrern, wie IP1 weiter ausführt: „Der Spanischkollege hat den Eindruck, dass du das gegen ihn persönlich machst: Das heißt, er hat vollgestopfte Klassen, hat aber trotzdem Angst, dass du ihm Schüler abnimmst. Daher ist es sehr selten, dass man sich mit den Kollegen anderer Sprachen dauerhaft und gut versteht.“

Die Situation wird also nicht nüchtern-distanziert betrachtet, da das Fach eng mit der eigenen Identität verwoben scheint. So ist auch die folgende Aussage von IP6 zu verstehen, der sich darüber wundert, dass „die Spanischlehrer […] erhebliche Klassenstärken zu unterrichten hatten und das schon fast gar nicht mehr durchführbar war, weil die Klassen so stark wurden. Also die hätten sich eigentlich freuen müssen, hätten immer noch eine vollkommen ausreichende Zahl von Spanischschülern gehabt und zu ungleich günstigeren Unterrichtsbedingungen.“ IP3 beziffert den Unterschied zwischen Deutsch- und Spanischklassen: „Wir haben etwa halb so viele Schüler in einer Klasse wie in Spanisch“. In mehreren Gesprächen mit Deutschlehrern wurde mir von regelrechten Anfeindungen vonseiten der Spanischlehrer berichtet, die erbost waren und den Deutschlehrern vorwarfen, dass es ohne die Deutschklasse zwei Spanischklassen gäbe und sie weniger zu korrigieren hätten – aber die Deutschlehrer seien nun einmal politisch protegiert. Auch IP1 berichtet mir hiervon, beendet den Satz aber nicht, da er weiß, dass mir bereits bekannt ist, wie dieser Satz enden würde: „Dann sagt dir jemand [zumeist ein Spanischlehrer]: ‚Klar, Du hast 14 Schüler, klar, aber Du bist ja … [protegiert].‘ Siehst Du, es ist wahr, dass das doch wichtig ist“. IP1 führt neben der Anzahl der Schüler den Aspekt der „guten Schüler“ an, der zu einer Ausgrenzung der Deutschlehrer führt: „Denn du bist immer, immer, immer isoliert: Weil man sagt, dass du nur die guten Schüler hast und außerdem nicht viele. […] Du bist scheinbar immer etwas disqualifiziert, immer ein bisschen ausgestoßen“. IP15 kennzeichnet die Situation des Deutschlehrers wie folgt: „Viele Lehrer sind alleine an ihrer Schule. Und das ist fast unerträglich, weil sie keine Stütze haben, keine Hilfe haben. Vom Fachlichen her gesehen und auch bei

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ihren Schwierigkeiten – ‚Auseinandersetzung‘ ist zu stark: In der Diskussion mit dem Schulleiter über Geld, das sie für das Fach bekommen, oder um sich durchzusetzen, dass vielleicht eine Stunde mehr für Deutsch verwendet wird, oder sich dagegen zu wehren, dass eine abgeknapst, abgezogen wird und so weiter.“

Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens ist nach jahrzehntelangem Abwärtstrend der Zahlen der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler v. a. in den letzten Jahren durch eine deutliche Verschlechterung der mit ihr verwobenen Ordnung und der teleoaffektiven Strukturen gekennzeichnet. Die Ordnung verändert sich immer häufiger dahingehend, dass die Praktik des Deutsch-Unterrichtens an mehreren Schulen ausgeübt werden muss. Demgegenüber sind die teleoaffektiven Strukturen der Praktik des DeutschUnterrichtens von der Angst vor einer derart veränderten Ordnung geprägt, von fehlender Anerkennung vonseiten der Schüler sowie von der Isolierung von der restlichen Lehrergemeinschaft, da die Deutschlehrer sich „disqualifiziert“ und „alleine“ in einer „fast unerträglich[en]“ Situation befinden.273 Ein regionaler Deutsch-inspecteur erklärt im IDIF-Bericht (2008: 35) die Ordnung und die damit verwobenen teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens folgendermaßen: „Der Deutschlehrer, der in seiner Schule ganz allein ist, der an zwei oder drei Schulen arbeitet, der jeden Tag das Auto nimmt etc., das hält der nicht durch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Deutschlehrer 41 Jahre lang, sein ganzes Leben, an drei Schulen arbeitet. Er will auch Kinder. […] Die Deutschlehrerinnen leben zwei, drei Jahre von ihrem Ehemann getrennt […], machen dann ein oder zwei Jahre, dann hören sie auf oder haben Lust, noch ein Kind zu haben. Das ist normal, auch ein Familienleben zu haben. Deutsch ist ja gut und schön, aber man wird sich nicht scheiden lassen oder sich in eine familiäre oder persönliche Situation begeben, nur weil man einfach so alles für Deutsch macht. Es gibt also auch eine menschliche Variable, die dazu führt, dass die Deutschlehrer sich oft isoliert fühlen.“

273 Der Aspekt der isolierenden Abgrenzung, besonders gegenüber den Spanischlehrern, wird in den Kapiteln 4.3.1 und 4.3.3 ausführlicher behandelt, die Problematik der Sprachplanung vonseiten der Schulleitung hingegen in Kapitel 4.4.4.

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Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der geschilderten hohen Bedeutung des Faches für die individuelle Identität der Lehrer ist leichter zu verstehen, was mir ein junger Lehrer am Rande einer Veranstaltung schilderte. Am 11. Dezember 2008 ist in meinem Feldtagebuch vermerkt: „Ein junger Lehrer berichtet mir, dass er zu einer Fortbildung musste, was im französischen Bildungssystem normal sei. Während dieser Fortbildung gab es einen Punkt, an dem alle Lehrer anfingen, sich über ihre Alltagssituation zu beschweren. An diesem Punkt ist die ganze Veranstaltung gekippt und am Ende war jeder so 274

deprimiert, dass man jemanden gebraucht hätte, der Prozac

verteilt. Klingt witzig,

aber dieser Lehrer empfand es als so schlimm, dass er versuchte, an keiner weiteren Fortbildung teilnehmen zu müssen. Musste er aber. Also ging er wieder hin und wieder gab es diesen Punkt, an dem die Veranstaltung kippte. Er sagte mir, dass er den Eindruck hatte, dass es aber nicht so schlimm war, [dass] die Lehrer damit besser umgehen können, da sie sich daran gewöhnen.“

Nach der Einführung der classes bilangues – die, wie bereits in Kapitel 4 erwähnt, ein zentrales Element des plan de relance sind – hat sich die Situation etwas verbessert: So korrigiert IP3 seine zahlenmäßige Einschätzung, Deutschklassen „haben etwa halb so viele Schüler in einer Klasse wie in Spanisch“, indem er fortfährt: „Hatten. Jetzt hängt das von den Klassen ab.“ Und auch IP1, der die Deutschlehrer als „immer etwas disqualifiziert“ bezeichnete, sieht die classes bilangues in diesem Sinne positiv: „Es gibt eine Sache mit den [classes] bilangues: Du hast größere Gruppen, das requalifiziert dich irgendwo“. Doch wie bereits dargelegt, sind die classes bilangues eine Innovation zunächst im Fach Deutsch, besser gesagt, „zu 95 % ist es die Kombination Englisch/Deutsch“ (IP10). Diese Innovation wollen natürlich auch die anderen Fächer, nicht zuletzt das Spanische, einführen. Da die Zunahme der Deutsch lernenden Schüler jedoch v. a. auf die classes bilangues zurückgeführt wird, läge in der von den anderen Sprachen geforderten Verallgemeinerung eine beträchtliche Gefahr für diesen Anstieg. IP10 beschreibt dies wie folgt: „Wenn man das jetzt allgemein einführen würde, würde es nicht dem Deutschen zugute kommen, dann würde man die gängigste Kombination Englisch/Spanisch auf

274 Prozac ist ein Antidepressivum.

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der Ebene der sixième finden. Also langfristig, aber nicht kurzfristig, weil das natürlich mit einem Mehraufwand an Stellen verbunden ist, wenn man die zweite Fremdsprache vorzieht. […] Für Deutsch kann man schnell reagieren, weil nicht alle Deutschlehrer ausgelastet sind, insofern könnte man da also ohne Weiteres mitziehen. Aber unsere Spanischkollegen sagen: ‚Wir haben nicht die Lehrer‘.“

Während diese Sichtweise sehr sachlich formuliert ist, bedient sich IP2 eines drastischeren Vokabulars in der Einschätzung einer möglichen Verallgemeinerung der classes bilangues: „Das wird Deutsch verschwinden lassen. Das wird Deutsch verschwinden lassen. Außer in einigen außergewöhnlichen Fällen […], aber in vielen Fällen haben wir die Lernerzahlen in Deutsch erhöht, weil es die einzige Sprache war, die die classes bilangues angeboten hat. Die Familien hatten keine Wahl: Entweder machte ihr Kind Deutsch mit der [classe] bilangue oder es machte zwei Jahre später Spanisch. Wenn man aber die Wahl anbietet zwischen Englisch/Deutsch und Englisch/Spanisch, gibt es keinen Grund, warum die Familien nicht wieder Englisch/Spanisch wählen werden.“

Der Erfolg dieser Innovation, die zuerst im Fach Deutsch erprobt wurde und sich dort offensichtlich bewährt hat, bleibt natürlich auch den anderen Sprachen nicht verborgen, die daher auf eine Verallgemeinerung drängen. Damit ist gerade in dem Moment, in dem die classes bilangues nach Jahrzehnten des Abwärtstrends eine Trendumkehr bewirkt haben, die Grundlage des positiven Effektes dieser Innovation unmittelbar bedroht. Dies führt dazu, dass sich die teleoaffektiven Strukturen der Praktik des DeutschUnterrichtens zunächst nicht verbessern, da sich auch die Drucksituation vonseiten anderer Sprachenlehrer nicht entspannt – vielleicht auch gerade aufgrund der „positiven Diskriminierung“ (IP3) des Deutschen und seiner erfolgreichen Innovation.275 Allerdings führt diese negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens offensichtlich auch zu deutlich höheren Zahlen der freiwillig durch die Lehrer ausgestellten certifications in Deutsch im Vergleich zu Spanisch und Englisch – trotz eines niedrigeren

275 Die Problematik der classes bilangues wird in Kapitel 4.3.5 weiter vertieft, aber dennoch durchgängig eine zentrale Thematik der gesamten Arbeit sein.

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Anteils Deutsch lernender Schüler. Ähnlich verhält es sich auch mit den Zahlen des Projekts des Schüleraustausches276: „In allen académies belaufen sich die deutsch-französischen Austausche nichtsdestoweniger auf 70– 80 % der Gesamtaustausche einer académie“ (IP3). IP14 führt dieses Engagement der Deutschlehrer im Rahmen des Projekts des Schüleraustausches derart aus: „Das ist schon Engagement, ich meine, das machen die anderen Sprachlehrer nicht. Zum Beispiel in der académie bei uns, wir haben ja im nationalen Durchschnitt ungefähr 15 % der Schüler, und unsere Lehrer machen 70 % der Austauschmaßnahmen mit Schülern. Das zeigt schon, wie militant, wie viel sie sich engagieren, und das ist ihr Privatleben, dafür bekommen sie keine Kompensation, weder finanziell noch organisatorisch. […] Den Austausch machen die Lehrer, und die bekommen dafür Subventionen. Das wird natürlich gefördert. Aber ohne dieses persönliche Engagement der Lehrer gäbe es keinen Austausch. Und die machen es mit ihren privaten Mitteln zum Teil, mit ihren privaten Telefonen, sie haben den Partner zuhause im Gästezimmer, wenn sie eins haben. Das muss man sehen, das ist Engagement.“

IP14 erläutert somit, dass es zwar im Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen ein sehr gutes Netzwerk gibt, in dessen Rahmen sich das Projekt des Schüleraustausches bewerkstelligen und fördern lässt, betont aber auch, dass das persönliche Engagement die tragende Rolle spielt. Genau dieses Engagement ist jedoch v. a. aufgrund der Veränderung der mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verwobenen Ordnung, d. h. der Situation, dass die Lehrer zunehmend an mehreren Schulen arbeiten müssen, gefährdet. So führt IP1 aus: „Wenn ein Lehrer auf mehrere Schulen verteilt ist, dann kann er sich auch nicht so sehr einsetzen. Das geht nicht, wenn man 20, 30, 40 Kilometer zwischen zwei Schulen hat, immer so viel an beiden Schulen zu tun.“

276 Das Projekt des Schüleraustausches wird ebenfalls der Praktik des Werbens zugerechnet (s. Kapitel 4.2.4), an dieser Stelle jedoch bereits kurz erwähnt, da es der weiteren Argumentation dienlich ist.

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Problematisch ist hier nicht zuletzt, dass in der Regel keine Absprachen stattfinden, sodass ein Lehrer an mehreren Tagen zwischen den Schulen pendelt. IP4 benennt konkrete Beispiele für das durch die veränderte Ordnung bedrohte Engagement der Deutschlehrer: „Es ist schwierig, sich voll zu engagieren, wenn man an mehreren Schulen ist. […] Es ist schwierig, sich voll in den Schüleraustauschen zu engagieren, in seiner eigenen Fortbildung, wenn man schwierige Arbeitsbedingungen hat.“

Viele Akteure der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich sehen nicht zuletzt das Projekt des Schüleraustausches oder aber das Projekt des Sich-Fortbildens als gefährdet an. Für das Projekt des Sich-Fortbildens stellt außerdem die Situation des „alten Lehrerkollegiums“ (IP15), also die bereits beschriebene Alterspyramide der Deutschlehrer, ein Problem dar, wie IP14 erklärt: „Es gibt, es gab ein Zurückgehen bei den Austauschmaßnahmen für ein Jahr. Wir haben zwei Kategorien Lehrer, die da sehr zögernd anscheinend mit umgehen: Erst mal die sehr jungen Lehrer, die oft dann ja auch schon Kleinkinder haben, Familie, die nicht einfach ein Jahr weggehen können, und das geht [lacht leicht] ja dann ziemlich lange mit den Kindern. Und dann die älteren Lehrer, die nicht sehr weit vom Ruhestand sind, sind auch nicht mehr so bereit, für ein Jahr dann wegzugehen. Und das ist bei uns eine Frage der Alterspyramide, die da eine Rolle spielt, dass viele Lehrer in den nächsten zehn Jahren in Ruhestand gehen werden.“

IP14 spricht davon, dass man im Rahmen des Projekts des Sich-Fortbildens aus seiner Sicht dann „mehr Glück wahrscheinlich bei kürzeren Maßnahmen“ haben wird.277 Insgesamt ist die Praktik des Deutsch-Unterrichtens vom Druck gekennzeichnet, dem das gesamte Schulfach Deutsch ausgesetzt ist, der aber auch ganz konkret im Alltag für die in der Praktik des DeutschUnterrichtens engagierten Lehrer zu spüren ist: Positiv ist dieser Druck, wenn er zu „militantem Engagement“ (IP14) in der Praktik und ihren Projekten oder zu einer erhöhten Anzahl an Innovationen bzw. Verbesserungen

277 Dies hängt auch mit der Budgetsituation im französischen Bildungssystem zusammen, welche in Kapitel 4.4 ausführlicher besprochen wird.

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der Praktik selbst führt. Negativ wird dieser Druck hingegen, wenn die teleoaffektiven Strukturen über einen zu langen Zeitraum durch Angst, Entmutigung oder das Gefühl der Isolation gekennzeichnet sind, ohne dass sich die Praktik des Deutsch-Unterrichtens wieder spürbar verbessert. Nicht zuletzt betrifft eine solche Verbesserung auch die mit dieser Praktik verwobene Ordnung, d. h. die Praktik des Deutsch-Unterrichtens an einer einzigen Schule durchführen zu können. Dies unterstreicht auch IP3: „Es muss sichtbar werden“. 4.2.2 Die Praktik des Deutsch-Lernens Die Praktik des Deutsch-Lernens278 ist im Kontext der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sehr eng mit der Praktik des Fremdsprachen-Wählens verwoben. In den letzten Jahrzehnten hat sich dieses Geflecht deutlich verändert, wie IP2 ausführt: „Früher war das schulische Niveau entscheidend, d. h. ist er [der Schüler] gut, ist er nicht gut? Nur die Guten durften Deutsch machen, bei den anderen hieß es: ‚Das lohnt nicht die Mühe, das ist zu schwierig.‘ Was sich dann abspielte, ist etwas anderes: Man hat seine Kinder nicht Deutsch machen lassen, weil sie gut sind, sondern damit sie in die guten Klassen kommen, um zu vermeiden, dass sie in den schwachen Klassen sind. Selbst wenn mein Kind nicht sehr gut ist, werde ich Deutsch wählen, um sicher zu sein, dass es in einer guten Klasse ist. Das war die zweite Phase. Die dritte Phase jetzt ist anders: Es gibt keine Auswahl mehr, aber die [classes] bilangues, das sind nun die Familien, die wissen, dass es wichtig ist, Sprachen zu lernen, die ihre Kinder in die [classes] bilangues stecken. Andere sagen sich: ‚Das ist mehr Arbeit in den [classes] bilangues, also werde ich es vermeiden. Warum zwei Sprachen machen? Es gibt Englisch, also mache Englisch.‘ Es ist ein eher soziokulturell geprägtes Milieu, das sich der Bedeutung, mehrere Sprachen zu haben, bewusst ist – ganz unabhängig von den Sprachen übrigens –, das seine Kinder die classes bilangues machen lässt. […] Infolgedessen gibt es eine starke Korrelati-

278 Die Praktik des Deutsch-Lernens überlagert sich zwar teilweise mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens, ist aber dennoch nicht deckungsgleich. So umfasst die Praktik des Deutsch-Unterrichtens beispielsweise das Projekt des Sich-Fortbildens, während die Praktik des Deutsch-Lernens etwa das Projekt des Hausaufgaben-Erledigens beinhaltet.

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on zwischen dem soziokulturellen Milieu und den Ergebnissen der Schüler. Insge279

samt sind es dann die sogenannten classes CAMIF

, d. h. die Lehrerkinder sind in

diesen Klassen. Nicht wegen Deutsch. Daher wird man mehrheitlich wieder Spanisch machen, wenn Spanisch in den classes bilangues angeboten wird. Was diese Familien wollen, ist nicht, dass ihre Kinder Deutsch machen, sondern dass sie zwei Sprachen lernen.“

In der „ersten Phase“, wie es IP2 nennt, wurde also zunächst entschieden, wer Deutsch lernen durfte – „die guten Schüler machten Deutsch, die anderen machten Englisch“ (IP2). Dies etablierte die „gute Klasse“ (IP1), in denen – wie in Kapitel 4.2.1 beschrieben – aufgrund der guten Schüler ein anspruchsvoller Unterricht gemacht werden konnte, d. h. es wurde „einfach übersetzt, riesenlange Texte gelesen und Goethe gelesen etc.“ (IP13). Später, in der „zweiten Phase“ (IP2), gab es die Wahlfreiheit, was dazu führte, dass die Eltern ihre Kinder in diese Klassen geben wollten – die aufgrund der bis dahin gängigen Praktik das Image „guter Klassen“ besaßen – und daher Deutsch wählten. Das Resultat war oft das Aufeinandertreffen von Schülern, denen eine intrinsische Motivation fehlte, und eines anspruchsvollen, grammatik- und textlastigen Deutschunterrichts. Als Konsequenz gab es laut eines regionalen Deutsch-inspecteur nicht selten „vom Deutsch Traumatisierte“ (IDIF 2008: 47): „Es gab ganze Generationen von Schülern, die von den Deutschlehrern massakriert wurden“ (ebd.). Diese „Generation von Eltern, die verschreckt wurden in den Schulen durch einen äußerst rigiden Sprachunterricht, der ihnen keine Freude bereitet hat“ (IP7), wollte ihren Kindern nicht unbedingt das antun, was sie selbst erleiden musste. In der Folge wurde Deutsch zunehmend seltener gewählt. Das Aufkommen der classes bilangues brachte in der dritten Phase erneut eine Konzentration der guten, motivierten Schüler in diesen Klassen mit sich: „Das hat erneut, sehr oft, zu oft, selbst wenn wir das nicht wollen, die gute

279 CAMIF (Coopérative des Adhérents de la Mutuelle des Instituteurs de la France) ist eine Kooperative, die zunächst Lehrern vorbehalten war und diesen anfangs Einrichtungsgegenstände, später u. a. auch Kleidung zu günstigen Konditionen anbot (ANDREANI 2009). Dies ging laut IP18 so weit, dass man die Lehrer durch bei CAMIF erworbenes Mobiliar und Kleidung als solche erkennen konnte. Der Ausdruck classes CAMIF als Klassen, in denen sich sehr viele Lehrerkinder befinden, ist eine Folge dieser starken Verbindung.

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Klasse in einer Schule als Konsequenz. Folglich bleibt es eine Minderheit, eine Elite“ (IP1). IP2 gibt hier ein ergänzendes Bild für die Praktik des Spanisch-Lernens wieder: „Die Spanischkollegen sind nicht verrückt, sie sind nicht gegen das Deutsche. Das sind keine Feinde. Ihr Problem ist folgendes: In Frankreich war das Lernen des Spanischen wie auch des Italienischen den schwachen Schülern vorbehalten, weil das Spanische eine romanische Sprache wie das Französische ist. Daher denkt man ‚Ach ja, das geht von allein‘, was falsch ist. Aber es war als schwache Sprache angesehen, und unsere Spanischkollegen haben große Schwierigkeiten, weil ihre Klassen sehr lange Zeit sehr, sehr schwach waren. Die Situation hat sich geändert. Jetzt gibt es sehr gute Schüler, die Spanisch machen wollen, was dem Spanischen den Status einer normalen Sprache gibt. Da wird gearbeitet, es gibt anspruchsvolle Dinge im Spanischen. Und ihre Sorge ist, dass wir mit den classes bilangues Englisch/Deutsch wieder alle guten Schüler an uns ziehen. Und ich verstehe sie. Ihre Sorge ist nicht, dass sie sagen: ‚Wir sind gegen das Deutsche‘. Das beunruhigt sie nicht, dass wir zwei oder drei Prozent mehr haben könnten, sie haben so großen Vorsprung. Aber sie sagen: ‚Achtung, wir wollen nicht, dass alle guten Schüler aus den Spanischklassen gezogen werden.‘ Das ist das ganze Problem.“

Auch aufgrund dieser Konstellation ist das Verhältnis zwischen den in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens und den in der Praktik des SpanischUnterrichtens engagierten Lehrern nicht immer einfach. Kapitel 4.3.1 wird diesen Aspekt näher beleuchten. Die Praktik des Fremdsprachen-Wählens hat sich im Laufe der Zeit auch durch die Einführung einer zweiten Pflichtfremdsprache sowie durch den vorgezogenen Beginn der Praktik des Fremdsprachen-Lernens verändert: Auf der einen Seite führten allgemeine gesellschaftliche Veränderungen zu einer größeren Eigenentscheidung der Schüler bei der Sprachwahl; auf der anderen Seite wurde mit dem Unterrichten der Fremdsprachen immer früher begonnen. Dies hat zur Folge, dass gegenwärtig die erste Fremdsprache eher von den Eltern, die zweite eher von den Schülern gewählt wird. IP6 beschreibt die Situation des Deutschen in diesem Kontext wie folgt: „Bei Deutsch als erste Fremdsprache war man natürlich der sehr starken Konkurrenz zum Englischen auch ausgesetzt, das war sehr, sehr klar. Das war durchaus so, dass

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zumindest, sagen wir, bürgerliche Eliten schon gerne Deutsch gewählt hätten und das auch als nützlich erachteten, aber in der Abwägung dann sich im Zweifel für Englisch entschieden haben. Bei der zweiten Fremdsprache war der Befund eben, dass wir festgestellt haben, da kommen wir sehr, sehr stark mit dem Spanischen in Bedrängnis. Weil da schon der Lustfaktor eine größere Rolle spielt, die Kinder auch zwei Jahre älter sind und bei der Entscheidung schon sehr viel stärker mitwirken als bei der ersten Fremdsprache, wo das doch sehr stark von den Eltern vorgegeben wird. Also dass wir jeweils bei den jeweiligen Fremdsprachen jeweils an zweiter Stelle waren, im Ergebnis aber dann Gefahr liefen, bei beiden Sprachwahlen auf der Strecke zu bleiben.“

Durch die Schaffung der classes bilangues sei es gelungen, „diese Konkurrenzsituation zu Englisch aufzuheben“ (IP6). Allerdings umfasst der Bereich der classes bilangues nur einen Teil – allerdings einen schnell wachsenden280 – der in der Praktik des Deutsch-Lernens und DeutschUnterrichtens Engagierten. Die deutsche Sprache ist folglich im französischen Bildungssystem gegenwärtig in einer schwierigen Situation: Die erste Fremdsprache wird tendenziell von den Eltern entschieden, und hier wird Englisch offensichtlich als die deutlich wichtigere Sprache angesehen. So sagt IP5 etwa, „über Englisch brauchen wir eigentlich nicht sprechen“, das sei „selbstverständlich“; bereits „Allègre281 [hat] gesagt, was alle denken: ‚Englisch sollte nicht mehr als Fremdsprache angesehen werden‘“(IP12). Vor dem Hintergrund, dass Deutsch als schwieriges Fach gilt, dürfe man „nicht unterschätzen, dass die Frage ‚Braucht mein Kind die Sprache und wie sehr nutzt oder schadet die Sprache den schulischen Karrieren?‘ für Eltern eine große Rolle spielt“ (IP5). Dennoch gebe es nach wie vor in Frankreich „einen Prozentsatz der Bevölkerung, wo sowieso die Eltern entscheiden. Das sind die Eltern – das gibt es vielleicht hier mehr als in Deutschland wegen des ganzen selektiven Ausbildungs- und Bildungssystems – das sind eben die Eltern, die Ambitionen für ihre Kinder haben“. Und dieser Bevöl-

280 Haben im Jahr 2003 mit ca. 20.000 Schülern etwa zwei Prozent aller Deutsch lernenden Schüler dies in einer classe bilangue gemacht, so waren es 2009 bereits ca. 70.000 Schüler bzw. etwa neun Prozent (NICODÈME 2009). 281 Claude Allègre war von 1997 bis 2000 französischer Minister für Bildung, Forschung und Technologie (Ministère de l’Éducation Nationale 2008a).

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kerungsteil sei „ein gewisser Prozentsatz, den man immer hatte fürs Deutsche“ (IP16). Hier handelt es sich um das bereits von IP6 angesprochene bürgerliche Milieu. IP7 berichtet auch von einer Veranstaltung, auf der jemand das Deutsche in Frankreich als „bourgeoise Vaseline“ bezeichnet habe. Dagegen folgt die Entscheidung der Schüler, die vor allem die zweite Fremdsprache selbst wählen, laut IP6 anderen Kriterien: „Ich sehe das bei so Wahlentscheidungen: Bei den Kindern ist es natürlich immer, man orientiert sich auch am besten Freund, an der besten Freundin: ‚Was macht der?‘ Und wenn sie einen tollen, motivierten, jungen Lehrer haben, der sie einfach, warum auch immer, anspricht – der muss noch nicht mal einen supertollen Unterricht machen, aber der spricht sie irgendwie an – dann wählt der eine und dann macht der andere da mit, weil er nicht bei dem Langweiler da ran will.“

Die Lehrer sind laut IP6 also ein wesentlicher Faktor in der Praktik des Fremdsprachen-Wählens. IP16 verbindet dies mit dem bereits angesprochenen Aspekt der Alterspyramide der Deutschlehrer: „Was ein ganz großes Problem für mich für das Deutsche ist – das ist wieder eine heikle Frage, aber ich sage es trotzdem –, das sind die Deutschlehrer. Und zwar nicht, weil sie jetzt individuell schlecht sind, sondern durch die Stagnation bzw. den Rückgang des Deutschen ist natürlich bei den Deutschlehrern eine Alterspyramide, die genau diametral entgegengesetzt zu der spanischen ist: Es gibt keine alten Spanischlehrer oder fast nicht, weil man ja früher in Frankreich kein Spanisch unterrichtet hat, und es gibt wenige junge Deutschlehrer, weil die Verwaltung gesagt hat: ‚Es 282

will ja gar keiner Deutsch machen, also nehmen wir auch in die CAPES

keine

Leute mehr für Deutsch.‘ Und das macht, was die Attraktivität für die Schüler angeht, glaube ich, einen großen Unterschied aus.“

282 Das CAPES (certificat d’aptitude au professorat de l’enseignement du second degré) bescheinigt die Befähigung, an einer Sekundarschule unterrichten zu können. Es ist in etwa mit dem deutschen Staatsexamen vergleichbar (DOLL & TAUBERT 2006f: 143). Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass das CAPES als Zertifikat im Anschluss an einen erfolgreich bestandenen gleichnamigen concours, eine „Wettbewerbsprüfung“ (DOLL & TAUBERT 2006g: 232), verliehen wird und die erfolgreichen Bewerber unmittelbar als Beamte eingestellt werden.

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Folglich ist das „alte Lehrerkollegium“ der Deutschlehrer offensichtlich sehr bedeutend für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens und damit für die Praktik des Deutsch-Lernens insgesamt. Dies ist v. a. deshalb der Fall, da die Spanischlehrer „häufig viel, viel jünger [sind] als die Deutschlehrer“ (IP7). Die Bedeutung dieses Faktors wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass v. a. im collège in der Regel nur noch ein Lehrer an einer Schule Deutsch unterrichtet.283 Da Deutsch nicht genug Nachfrage besitzt, um mehr als einen Lehrer pro collège zu beschäftigen, ist die im collège stattfindende Wahl der zweiten Fremdsprache nicht zuletzt eine Lehrerwahl – und hier steht dem durchschnittlich alten Deutschlehrer ein junger Spanischlehrer gegenüber. Ein älterer Lehrer ist dann häufig „nicht aktiv genug […], weil er am Ende seiner Karriere ist und müde ist, was man auch verstehen kann“ (IP14). Daher ist laut eines regionalen Deutschinspecteur „die Schwierigkeit für einen Deutschlehrer, dass es oft an ihm hängt, d. h. wenn der Deutschlehrer nicht gut ist oder nur das Minimum macht oder oft fehlt – Deutschlehrer sind Menschen wie alle anderen, es gibt den gleichen Anteil an Leuten, die ihre Arbeit ein bisschen weniger gut machen –, in diesem Fall ist es zu Ende und wir schließen“ (IDIF 2008:34). Ein regionaler Deutsch-inspecteur beschreibt im IDIF-Bericht (ebd.: 39f.) die Rolle des Lehrers für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens überraschend deutlich: „Manchmal können wir auch wegen des Lehrers des collège die Familien nicht überzeugen, Deutsch zu machen, wenn es danach nicht gut läuft. Es gibt die Strategie, einen schlechten Deutschlehrer gehen zu lassen und sich zu sagen: ‚Wenn er weg ist, werden wir versuchen, Deutsch wieder aufzumachen.‘“

Einen sehr großen Einfluss auf die Praktik des Fremdsprachen-Wählens und damit auf die Praktik des Deutsch-Lernens insgesamt haben nicht zuletzt die Ordnungen der Images der deutschen und der spanischen Sprache, wie IP10 ausführt:

283 Im lycée gibt es oft noch mehr als einen Deutschlehrer. Allerdings sank zum Zeitpunkt meiner Feldforschung im Schuljahr 2008/2009 die Nachfrage hier weiterhin drastisch, während sie im collège seit 2004 wieder anstieg.

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„Wir haben ja eine Konsumgesellschaft mittlerweile, und das Konsumverhalten macht vor den Schulen nicht Halt. Das heißt, die Schüler entscheiden sich für die Sprachen, die am meisten nachgefragt werden, von denen sie sich auch erhoffen, sie würden ihnen keine Schwierigkeiten bereiten. Und da hat Deutsch aufgrund seines Images – ob es jetzt richtig oder falsch ist, mag ich nicht so beurteilen – aber die schlechteren Karten im Vergleich zu Spanisch.“

Aufgrund dieser zentralen Rolle der Ordnungen des Images des Deutschen und des Spanischen sowie der damit verwobenen Raumsemantiken werden diese nun genauer betrachtet. 4.2.3 Ordnungen: Images der deutschen Sprache und des Deutsch-Unterrichts sowie Raumsemantiken Deutschlands Mehrere Ordnungen sind wesentliche Faktoren für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens und daher auch sehr bedeutend für die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich. IP3 beschreibt entsprechend, dass es „die Images sind, die mentalen Repräsentationen, die man im Kopf hat, die einen diese oder jene Sprache wählen lassen“. Diese Images sind diejenigen der deutschen Sprache, des Deutsch-Unterrichts284 sowie die Raumsemantiken Deutschlands. Das Deutsche hat laut IP12 „ein Image-Problem bei den Jugendlichen“. Das Image des Deutschen resultiert jedoch als eine Konsequenz aus vergangenen Praktiken: Aufgrund der Eliteklassen, die eine spezielle Ordnung der Praktik des Deutsch-Unterrichtens darstellen, konnte diese Praktik in einer besonderen, sehr anspruchsvollen Art und Weise durchgeführt werden; sie war eher an Grammatik und Schriftsprache orientiert als an gesprochener Sprache. Dies hat uns bereits sehr eindrücklich das angeführte Beispiel des Schülers gezeigt, der deutsche Dichter fehlerfrei rezitieren konnte, dann aber von einer alltäglichen Frage durch IP6 „kein Wort verstanden“ hat (s. Kapitel 4.2.1). Die Praktik des Fremdsprachen-Wählens wird folglich von Ordnungen beeinflusst, die eine Konsequenz anderer Praktiken darstellen.

284 Der Deutsch-Unterricht ist der Überlappungsbereich der Praktik des DeutschUnterrichtens und der Praktik des Deutsch-Lernens.

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Daher sind die Akteure der Förderung der deutschen Sprache mittels der von IP3 als „kulturelle Revolution“ beschriebenen radikalen Veränderungen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens „dabei, ein Image wiederzugewinnen“, das positiv besetzt ist. Dennoch behält das Deutsche „in der öffentlichen Meinung zum Teil das Image eines Fachs der Vergangenheit, mit traditionellen Methoden“ (IP3). Demzufolge haben die Akteure des Deutschen „die Schwierigkeit, das Publikum zu überzeugen, dass Deutsch eine interessante Sprache ist“ (IP14). Die deutsche Sprache ist somit dem Problem ausgesetzt, dass das „Hauptklischee des Deutschen [ist], dass es hart ist, dass es hässlich ist“ (IP1) und der Deutsch-Unterricht als „sehr grammatisch, sehr anspruchsvoll [gilt], bei dem man nicht besteht“ (IP2). Daher hat Deutsch „ein bisschen das Image von Latein“ (IP17), mit dem „ein gewisses Bildungsideal, […] eine gewisse Strenge, ein gewisser Anspruch“ (IP12) verbunden ist. Spanisch gilt demgegenüber „als hip, schick, einfach“ (IP7) und hat das Image „einer relativen Mühelosigkeit für einen Franzosen oder zumindest einer mutmaßlichen Mühelosigkeit, scheint einfacher zu lernen“ (IP12). Nach Meinung vieler Akteure der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich sind die Ordnungen der Images der deutschen Sprache und des Deutsch-Unterrichts nicht von den Raumsemantiken Deutschlands – und denen der spanischsprachigen Länder – zu trennen. Am deutlichsten bringt dies IP18 auf den Punkt: „Warum Spanisch? Das ist Salsa, das ist Tapas, das ist Fun, das sind die Ferien, das ist die Sonne, das ist Südamerika, das ist ein Mythos. Das Spanische ist ein Mythos. Das ist kein Kultur-Mythos, das ist ein Erlebnis-Mythos. Und dagegen kann Deutsch als Mythos nicht standhalten.“

Dieses Zitat erklärt auch, wieso IP7 von Spanisch „als hip“ spricht. Noch deutlicher wird das positive Image des Spanischen und der spanischsprachigen Länder aber erst durch die Betrachtung der Beschreibungen der Akteure der auf Deutschland bezogenen Raumsemantiken. Wiederum fasst IP18 seine Beobachtungen zusammen: „Der Durchschnittsfranzose denkt, Deutschland sieht aus wie die Ruhr. So wie er sich die Ruhr vorstellt, d. h. so wie Lille aussah vor 50 Jahren, so sieht die Ruhr heute aus. Es regnet immer, die Deutschen sind traurige Menschen, sie lachen nie,

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sie haben keinen Humor usw. Und in diesen Vorurteilen leben die Leute und dann kommt so ein Präsident wie Sarkozy und fragt: ‚Wer fährt schon in den Urlaub nach Deutschland?‘ Mit solchen Bildern leben die Franzosen. Also Deutsch hat keine Anziehungskraft mehr.“

Die Ordnungen der Images und Raumsemantiken sind nicht nur miteinander verwoben, sondern weisen einen engen Bezug zu teleoaffektiven Strukturen auf, die für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens relevant sind. Diese Bedeutung erklärt IP3 allgemein derart: „Die Sprachwahl, das ist emotional. […] Wenn ich Deutsch gemacht habe, dann weil ich eine positive mentale Repräsentation hatte. Eine Zuneigung für eine Sprache, für ein Land, für die Leute.“

Speziell die Images der deutschen und der spanischen Sprache sowie die jeweiligen Raumsemantiken sind laut IP12 mit den für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens wichtigen teleoaffektiven Strukturen wie folgt verflochten: „Spanien hat ein Image – ich wollte schon ‚ein bisschen frivol‘ sagen –, auf jeden Fall ein Image, das zugleich künstlerisch, musikalisch ist, von Ferien, von Sonne etc. Das führt also dazu, dass die Jugendlichen oft eher Spanisch als Deutsch wählen; Deutsch ist eher als ziemlich männliche Sprache konnotiert, als schwere Sprache – was nicht ganz falsch ist, das muss man schon sagen, für einen Franzosen. Das Land [Deutschland] hat ein eher strenges Image, sicherlich bewundert, aber zugleich gefürchtet und nicht unbedingt geliebt, von den Jugendlichen, die eher eine Seite bevorzugen, die mehr Latino ist, witziger ist, eher ‚Fun‘ ist oder eher ‚sexy‘“.

Für die Generation, aus der sich die Akteure der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich mehrheitlich rekrutieren, ist das Image des jeweils anderen Landes – und v. a. die für die Praktik des Fremdsprachen-Wählens bedeutsamen teleoaffektiven Strukturen – vom „Aussöhnungsgedanken“ (IP5) zwischen den Erzfeinden und dem Beginn einer intensiven Beziehung zum Partnerland dominiert. Stellvertretend beschreibt IP6 sein Interesse für Frankreich:

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„Es ist so ein bisschen diese emotionale Ebene aus der Zeit der Aussöhnungsjahre und dieser – über ein, zwei Generationen hinweg – ganz hohe moralische Anspruch. Weil ich gehöre noch zu so einer Generation, für die irgendwie klar war, als ich das erste Mal ohne Eltern in den Urlaub gefahren bin, ich wollte nach Frankreich, es lag da nichts näher. Und das ist heute anders.“

Mit diesem „Ansatz, Versöhnung und Ähnliches, damit locken Sie heute niemanden mehr hinter dem Ofen vor, nicht in der jungen Generation“; „das ist ja schon totale Normalität, […] wen interessiert das noch?“ (IP7). Die Tatsache, dass es keine derartige positive Motivation mehr gibt, die „Partnersprache“ zu lernen, stellt einen Teil des bereits angesprochenen „Image-Problems bei den Jugendlichen“ dar. Darüber hinaus gibt es offensichtlich einen weiteren Faktor, der viele Schüler abzuhalten scheint, sich in der Praktik des Deutsch-Lernens engagieren zu wollen. So wird das Image des Deutschen „immer noch sehr stark vom Geschichtsunterricht beeinflusst und es geht immer um Krieg, Zweiter Weltkrieg, natürlich Hitler und so weiter“ (IP1). IP1 nennt, wie bereits erwähnt, als „das Hauptklischee des Deutschen: Es ist hart, es ist hässlich und die Deutschen sind Nazis“. Wesentlich für die (Re-)Produktion dieses Images sind filmbezogene Praktiken. Ein regionaler Deutsch-inspecteur beschreibt im IDIF-Bericht (2008: 51) die Bedeutung des Mediums Film für das Image des Deutschen folgendermaßen: „Auf jeden Fall baden wir in diesem Image. […] Das war immer das Bild des Nazis, in den Filmen wird immer dieses Image transportiert. Ich bin froh, dass es im neuesten Indiana Jones die Sowjets sind.

285

In den Filmen sind die Rollen der Bösen, in

den James Bond, das sind irgendwo Deutsche, entweder Nazis oder Ostdeutsche. Davon bleibt immer etwas hängen. Den bösen Deutschen, den besetzt man immer im Film der Vergangenheit.“

Dieses nicht zuletzt über das Medium Film, also über das Projekt der Rollenbesetzung im Rahmen der Praktik des Filme-Produzierens und des Fil-

285 „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ aus dem Jahr 2008; sowohl in „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) als auch in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ (1989) muss sich Indiana Jones gegen Nazis behaupten.

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me-Schauens, transportierte Image des Deutschen ist wirkmächtig: So berichtet IP13 von einem Kollegen, der unter Spanisch-Schülern eine Umfrage durchgeführt habe, um herauszufinden, warum sie sich in der Praktik des Fremdsprachen-Wählens nicht für Deutsch entschieden hätten. Mehrere Schüler hätten geantwortet, sie wollen nicht „die Sprache der Bösewichte“ lernen. Ein besonders bedeutender Film für die Etablierung des Bildes der Deutschen als Nazis ist in Frankreich nach wie vor „La Grande Vadrouille“ (dt.: „Die große Sause“) aus dem Jahr 1966. Der oben zitierte regionale Deutsch-inspecteur berichtet im IDIF-Bericht (2008: 51), dass dieser Film genutzt wird, um die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zu kritisieren: „Fünf Eltern lehnen das Deutsche ab. Wir werden sie nicht zwingen. Das müssen wir akzeptieren, wir Germanisten, man hält uns immer wieder den Krieg vor mit 286

dem Satz: ‚Nous ssafons lés moyens té fous faire …‘

. Gut, diese Art von Dingen

holt man hervor, wir haben große Probleme. […] Das kommt immer wieder, ich weiß nicht, was man da machen kann. Die Jugendlichen und deren Eltern haben das gar nicht gekannt, das kommt aber immer wieder, und das spüren wir die ganze Zeit. Wir sind nach dem Krieg geboren, aber man wird uns das immer vorhalten. Wir haben keine Lust, dass das wieder anfängt, und das kommt immer wieder und das ist etwas Irrationales. Deswegen sage ich zu den Kollegen: ‚Wir können das Deutsche an der Schule nicht aufzwingen, weil das wäre immer: Nous ssafons lés moyens té fous …‘. Gut, ich glaube wir haben alles gesagt.“

286 ‚Wir haben die Mittel, Euch dazu [zum Reden] zu bringen‘, mit einem starken deutschen Akzent ausgesprochen: Anleihe aus dem Film „La Grande Vadrouille“ (dt.: „Die große Sause“) aus dem Jahr 1966 mit Louis de Funès und André Bourvil. Mit mehr als 17 Mio. Kinobesuchern bis ins Jahr 2008 (seitdem: „Bienvenu chez les Ch’tis“; dt.: „Willkommen bei den Sch’tis“) der größte Erfolg eines französischen Films und bis 1997 (seitdem: „Titanic“) eines Films überhaupt in Frankreich (IMDB 2010a, 2010b, 2010c). Der Film kann als ein „Kristallisationskern des französischen kollektiven Gedächtnisses“ (FRANÇOIS & SCHULZE 2005: 8) angesehen und damit als ein französischer „Erinnerungsort“ bezeichnet werden.

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Neben der Reproduktion durch filmbezogene Praktiken wird dieses Image auch durch die Praktiken des nationalen Gedenkens in Frankreich fortgeschrieben. IP1 erklärt dies folgendermaßen: „Gerade gestern war der Tag der Deportierten in Frankreich, im Januar haben wir den Tag der Konzentrationslager direkt nach dem 22. Januar [dem Deutsch287

Französischen Tag]

, dann hast du den 8. Mai, der Sieg [Zweiter Weltkrieg], du

hast den 11. November, noch ein Sieg [Erster Weltkrieg]. […] Im Kalender Frankreichs hast du ständig Dinge, die auf den Zweiten Weltkrieg verweisen. Und leider kommt das gegenwärtige Deutschland ein bisschen zu kurz.“

Auch IP19 spricht davon, dass er erst über seine Kinder erfahren habe, auf welche Art und Weise – und wann – in Frankreich das Image von Deutschland und den Deutschen geprägt wird. In der Schule würden die schulfreien Tage am 8. Mai sowie am 11. November von den Lehrern thematisiert, sodass die Kinder lernten, dass es zwei Kriege gab – in der Wahrnehmung der Kinder jeder thematisierte Krieg –, bei denen die Deutschen die Gegner, die Bösen waren. Daher tragen auch die Praktiken des nationalen Gedenkens offensichtlich zur Herausbildung des klischeehaften Images Deutschlands in Frankreich bei. IP14 verweist darauf, dass „viel vom Image ab[hängt], von dem wie Deutschland sich darstellt, wie Deutsch dargestellt wird“. Daher ist eine große Gruppe von Akteuren der Förderung des Deutschen in Frankreich in der Praktik des Werbens engagiert, die darauf ausgerichtet ist, die Ordnungen der Images und Raumsemantiken positiv zu beeinflussen. 4.2.4 Die Praktik des Werbens Die Praktik des Werbens ist laut IP6 einer von zwei komplementären Ansätzen, die deutsche Sprache im französischen Bildungssystem zu fördern:

287 Der 27. Januar – in Deutschland seit 1996 der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und seit 2006 internationaler Holocaustgedenktag – ist in Frankreich seit 2004 der „Journée de la mémoire de l’Holocauste et de la prévention des crimes contre l’humanité“, der Tag des Gedenkens an den Holocaust und der Prävention von Verbrechen gegen die Menschheit.

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„Dann sind so die Erkenntnisse gereift, dass man auf zwei Wegen versuchen muss, das Ganze anzugehen. Das eine war eben, auf der Angebotsseite, eine gewisse Privilegierung des Deutschen oder Favorisierung des Deutschen herbeizuführen – im Strukturellen, im Bildungssystem angelegt –, und auf der anderen Seite eben, […] auf der Nachfrageseite für zusätzlich Stimulanz zu sorgen. Und da gab es ja dann Werbekampagnen, die dann aufgelegt wurden, also erstmals, bis dahin, glaube ich, in der gesamten Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik noch nicht da gewesen, auch Sprachkampagnen im Fernsehen, Werbespots im Fernsehen und im jungen Radio.“

Die Praktik des Werbens ist darauf ausgerichtet, die im vorigen Abschnitt beschriebenen Ordnungen der Images der deutschen Sprache, des DeutschUnterrichts sowie der Raumsemantiken Deutschlands positiv zu beeinflussen. Sie sind laut IP12 also ein „Versuch zu sagen: ‚Gut, Deutsch leidet an einem strengen Image, strikt usw. Gut. Versuchen wir, das ein bisschen sympathisch zu machen‘“. Diese positive Veränderung des Images der deutschen Sprache ist den Akteuren der Förderung des Deutschen wichtig, weil – wie bereits erläutert – „die Sprachwahl mit sozialen Repräsentationen verbunden ist“. Es sei jedoch „entsetzlich schwer, die sozialen Repräsentationen zu ändern“ (IP12). Auch wenn somit das Ziel der Praktik des Werbens klar zu sein scheint, ist der Weg dorthin nicht eindeutig: Ein Teil der Akteure favorisiert die Verwendung von rationalen Argumenten, während ein anderer, scheinbar zunehmend großer Teil der Akteure bei der Praktik des Werbens auf Emotionen abzielen möchte. IP8 plädiert beispielsweise – in Anlehnung an den Arbeitsmarkt-Diskurs (s. Kapitel 4.1.1) – für das „Arbeitsmarkt-Argument“: „Und das müssen wir gerade gegenüber Franzosen sehr viel stärker einsetzen, die mit Deutschland, was weit weg ist, wo es kalt ist, wo man schlecht isst, wo es keine, nicht so viele Strände gibt, wo man lieber nach Spanien fährt, wo es warm ist, wo es Musik gibt und die Sprache leichter lernen kann, da muss man eben stärker damit argumentieren.“

Aus der hier beschriebenen Sichtweise heraus werden Raumsemantiken mit Emotionen konnotiert, denen man aus deutscher Perspektive am besten mit

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rationalen Argumenten begegne, die für das Deutsche sprächen. Dies kritisiert IP10 stellvertretend folgendermaßen: „Die Leute glauben immer, die Menschen rational angehen zu müssen, mit Zahlen, also Bruttoinlandsprodukt, Exporte. Aber wenn sich jemand im frühen Alter für eine Sprache entscheidet … Mittlerweile sind das auch die Kinder, das sind nicht wie vor 50 Jahren die Eltern, die das entschieden haben, da konnte man das noch rational gestalten. Mittlerweile läuft das über die Medien, die Leute werden immer unterschwellig angesprochen, über Musik, womöglich über Werte, über Bilder. Man hat es ja mit diesem Strohfeuer von ‚Tokio Hotel‘ gesehen: Plötzlich haben sich Schüler, die mit Deutschland nichts, Entschuldigung, salopp gesprochen, am Hut hatten, für Deutsch begeistert. Das lief nicht über Bruttoinlandsprodukt, Exportfreundschaft mit Deutschland, das lief viel über diese Gruppe ‚Tokio Hotel‘ […]. Mittlerweile singen die ja mehr in Englisch. Und das ist interessant: Um Zugang zu dieser Gruppe zu haben, musste man Deutsch können, oder musste man Deutsch lernen oder zumindest hören können und das hat eine Rolle gespielt für die Attraktivität. Man sieht, worüber das geht: Es geht nicht über das Rationale, es geht über das Emotionale, über das Ästhetische. Und alle, die für Deutsch werben, werben immer mit Mercedes, BMW, Bruttoinlandsprodukt. Ich habe nichts dagegen, ich sage nur, die Leute, die sich für eine Sprache entscheiden, entscheiden sich nach ganz anderen Mustern.“

Die Emotionalität bevorzugt IP10 auch deswegen, da er der Meinung ist, dass rationale Argumentationen in ihrer Komplexität nicht vermittelbar seien und von der Zielgruppe nicht aufgenommen würden: „Die Leute haben ja sowieso sehr primitive Vorstellungen, was Sprachen anbelangt, sehr primitive, kein differenziertes Bild. Und wir argumentieren ja hier sehr differenziert. Aber ich denke immer an die Eltern, die wir da ansprechen sollen. Diese differenzierte, sehr intelligente und auch zukunftsweisende Argumentation kommt buchstäblich bei den Leuten im doppelten Sinne nicht an – ‚ankommen‘ heißt ja ‚nicht vermittelbar‘ und ‚wird nicht positiv aufgenommen‘, das ist die doppelte Bedeutung von ‚Ankommen‘ im Deutschen.“

IP16 löst dieses diametral gegeneinander positionierte Paar Ratio vs. Emotio etwas auf, indem er argumentiert, dass es auf die Zielgruppe ankomme:

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„Die ganzen Sachargumente, die man haben kann, erster Wirtschaftspartner und so, das geht eigentlich nur für die ambitionierten Leute und wo die Eltern stark die Entscheidung der Schüler beeinflussen. Da, wo die Eltern weniger ambitioniert sind und sich weniger einmischen bei der Wahl der Schüler, ist es eigentlich recht logisch, dass sozusagen die natürliche Wahl eben nicht aufs Deutsche fällt. Umso wichtiger sind dann eben so Sachen wie DeutschMobil, wo plötzlich der Affekt wieder eine Rolle spielt und das Ganze eben sympathischer wird und man es auch irgendwie nah erleben kann.“

Das von IP16 erwähnte DeutschMobil ist eines der zentralen Projekte im Rahmen der Praktik des Werbens. Weitere sind das Projekt des Feierns des Deutsch-Französischen Tages, das Projekt des Verteilens von Informationsbroschüren, das Projekt der Werbekampagnen, das Projekt des Schüleraustausches, das Projekt des Ausstellens der certifications sowie das Projekt des Bedeutung-Zuweisens zu den classes bilangues Deutsch/Englisch. Diese werden in der Folge beschrieben, wobei jedoch zunächst auf das die Praktik des Werbens limitierende Problem der begrenzten finanziellen Mittel eingegangen wird. Begrenzte finanzielle Mittel Ein immer wieder als Problem angesprochenes Thema im Bereich der Praktik des Werbens (aber auch für Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich insgesamt) sind die begrenzten finanziellen Mittel. Daher ist es für die in der Praktik des Werbens engagierten Akteure wichtig, „dass wir möglichst viele Synergien auch erzeugen […], aus finanziellen Gründen“ (IP6). Ein typisches Beispiel hierfür stellt der Ausstellungsstand auf der Sprachenmesse „Expolangues“ im Jahr 2006 dar, als Deutschland Ehrengast war. IP6 beschreibt die Präsenz auf dieser Messe folgendermaßen: „Und dann waren wir eben Gastland auf der Expolangues, ganz wichtiges Forum, wo wir eben auch mit beschränkten, sehr beschränkten finanziellen Mitteln, aber wirklich einem sehr, sehr effizienten und effektiven Gemeinschaftsstand dann, einen sehr guten Auftritt hatten. Das Ganze konnten wir dann schon in den Kontext der Fußballweltmeisterschaft stellen.“

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So wurde für diese Sprachenmesse „auch vom Corporate Design her […] zum ersten Mal so ein richtiger Gemeinschaftsstand“ arrangiert.288 Abbildung 9 zeigt diesen Teilaspekt der mit der Praktik des Werbens verwobenen Ordnung. „Unser Logo, das war dann auch diese Initiative ‚Deutschland – Land der Ideen‘“. Außerdem konnte „der Fußballglobus von André Heller, der da an sechs Stationen im Ausland präsentiert wurde, […] unterm Eiffelturm auch am Trocadero“ platziert werden (IP6). Der finanzielle Spielraum ist also sehr begrenzt und stellt „bei öffentlichen Verwaltungen doch sehr schnell wieder die Grenze“ (IP6) dar. Außerdem gilt es zu bedenken, dass aus dem „Teil des Haushaltes des Auswärtigen Amtes, der für die Werbung für die deutsche Sprache ist“, wiederum nur ein Bruchteil für die Förderung in Frankreich verwendet werden könne (IP6).

288 Seit 2006 ist Deutschland mit einem Gemeinschaftsstand auf der „Expolangues“ präsent. Er vereinigt unter dem Dach „Allemagne“ [„Deutschland“] Einzelstände von verschiedenen deutschen Institutionen (z. B. Deutsche Zentrale für Tourismus, Deutsch-Französisches Jugendwerk, Goethe-Institut etc.) bzw. Projekten (z. B. DeutschMobil).

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Abbildung 9: Stand Deutschlands bei der Sprachenmesse „Expolangues“ 2008 in Paris



Das Projekt des Feierns des Deutsch-Französischen Tages Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2003 wurde der 22. Januar zum „Deutsch-Französischen Tag“ erklärt. An diesem Tag sollen die deutsch-französischen Beziehungen dargestellt werden, das Werben für die „Partnersprache“ ist eines der zentralen Anliegen. IP6 beschreibt diesen Tag wie folgt: „Der Deutsch-Französische Tag, der ist jetzt eben auch einer dieser wichtigen strukturellen Pfeiler, die da gesetzt wurden, denn das hat uns eben die Chance gegeben, jedes Jahr wieder aufs Neue für Deutsch zu werben in den Schulen, für Deutschland

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zu werben. […] Und das ist schon eine sehr, sehr gute Chance, weil der Tag insbesondere in Frankreich sehr günstig liegt, nämlich kurz vor dem strategisch wichtigen Zeitpunkt der Sprachfestlegung für die erste oder zweite Fremdsprache [d. h. der Praktik des Fremdsprachen-Wählens] – im Februar, März ist da die entscheidende Phase und das ist natürlich eigentlich Ende Januar noch mal ein idealer Anlass, dafür zu werben.“

Das Projekt des Feierns des Deutsch-Französischen Tages wird dennoch oft nicht in der gewünschten Form realisiert. Auch wenn die „Grundidee […] viel weiter reichend“ war, d. h. dass die „Schulen als solches disziplinübergreifend“ diesen Tag begehen, „passiert oft nicht viel“ (IP6). Dies liegt daran, dass andere Lehrer in „ihren“ Fächern nicht auf diese Thematik eingehen, indem z. B. „auch im Chemieunterricht einfach mal drüber gesprochen wurde, was gab es da eigentlich für Nobelpreisträger aus dem naturwissenschaftlichen Bereich aus Deutschland“ (IP6). Damit bleibt es zumeist ein Projekt der Deutschlehrer. Für diese ist es aber v. a. dann, wie bereits beschrieben, „schwierig, sich voll zu engagieren, wenn man an mehreren Schulen ist […], wenn man schwierige Arbeitsbedingungen hat“ (IP4), also wenn eine veränderte, mit der Praktik des DeutschUnterrichtens verwobene Ordnung vorliegt. Eine sehr interessante Idee hatte diesbezüglich IP19, der für den Deutsch-Französischen Tag in Frankreich lebende Deutsche an Schulen vermittelte, damit diese dort von ihrer Herkunftsregion in Deutschland oder von einem aktuellen Aspekt Deutschlands erzählten. IP19 berichtet, dass dies für viele Kinder das erste Mal gewesen sei, dass sie persönlich einem Deutschen begegnet sind. Gerade angesichts der Sozialisation durch die beschriebenen Praktiken des nationalen Gedenkens sowie filmbezogener Praktiken scheint dies ein wichtiger Aspekt zu sein. Die von IP19 initiierte Aktion ist in dieser einen académie offensichtlich ein Erfolg: Sowohl die Deutschen als auch sehr viele Schüler und Lehrer hätten sich nach dieser „Sympathiekampagne für die Partnersprache Deutsch“ bei IP19 bedankt.

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Das Projekt des Verteilens von Informationsbroschüren Das Artefakt der Informationsbroschüre „L’allemand, passeport pour l’Europe“289 wird seit 2005 jedes Jahr in einer Auflage von 1,6 Mio. Exemplaren an den Schulen verteilt, „auch wenn dort nicht Deutsch unterrichtet wird, aber dort wo eben eine Sprache gewählt werden soll“ (IP1). Sie wird anlässlich des Deutsch-Französischen Tages kurz vor der Praktik des Fremdsprachen-Wählens verteilt, um diese im Sinne der deutschen Sprache zu beeinflussen. Die Broschüre betone laut IP8 „richtigerweise Basisinformationen, die viele Lehrer nicht mehr haben und Jugendliche auch schon gar nicht“, wie etwa das Arbeitsmarkt-Argument und ist damit sehr stark auf rationale Argumente ausgerichtet. Auch IP7 ist der Meinung, dass „sie sehr rational aufgebaut und sagen wir mal im grafischen Ansatz nicht mehr empfängeradäquat ausgerichtet ist“. Daher wurde die neueste, fünfte Auflage der Broschüre von 2009 „komplett überarbeitet“ (IP7). Der Anspruch hierbei war, „sie ein bisschen moderner zu gestalten, ein bisschen aufzulockern, ein bisschen attraktiver zu machen […], auch so ein bisschen stärker die Lust am Ganzen zu wecken“ (IP7). Gleichzeitig wurde sie in „L’allemand, passeport pour l’avenir“290 umbenannt. Sie betont gegenüber der älteren Auflage291 sehr viel stärker das Emotionale, blendet jedoch rationale Argumente nicht aus. Ohne eine eingehende Inhalts- und Bildanalyse vornehmen zu wollen, soll mit einem Vergleich der beiden Auflagen zweierlei gezeigt werden: erstens die Verschiebung des Fokus hin zu mehr Emotionalität und zweitens die deutlich gesteigerte Nutzung von Raumsemantiken im Projekt des Verteilens von Informationsbroschüren als Beispiel der Praktik des Werbens. Folgende Aspekte sind bei einem Vergleich der beiden Auflagen auffällig: •

In der älteren Auflage thematisieren Fotos zentral die Schule (s. Abbildung 10), in der neueren Auflage steht Freizeit und Leichtigkeit im Mittelpunkt (s. Abbildung 11) – selbst bei den wenigen lernzentrierten Fo-

289 „Deutsch – Pass für Europa“ 290 „Deutschland – Pass für die Zukunft“ 291 Die Auflagen der Informationsbroschüre wurden seit 2005 bis zur Komplettüberarbeitung im Jahr 2009 jeweils lediglich minimal verändert (nur das Deckblatt). Daher wird der Einfachheit halber in der Folge von „der älteren Auflage“ und „der neueren Auflage“ gesprochen.

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• •





tos (insgesamt sind in der neueren Auflage zwei von 20 Fotos lernzentriert: Ein Foto des Lernens auf einer Wiese der Universität Bonn – s. Abbildung 12 – sowie ein Foto der Bibliothek der FU Berlin, das die ästhetische Leichtigkeit der Architektur betont). In der älteren Auflage wird jede eindeutige Verortung vermieden (z. B. ein nicht näher verortetes Klassenzimmer; s. Abbildung 10), die neuere Auflage ist ganz zentral um große Foto-Seiten aufgebaut, die den Deutschland-Bezug in den Mittelpunkt stellen und jeden Ort benennen (s. Abbildungen 12, 13, 15). In der älteren Auflage lauten die einzelnen Kapitel der Informationsbroschüre „Schule“, „Studium“, „Wirtschaft“ und „Kultur“, die neuere Auflage besitzt ein aktiveres Vokabular: „Lernen“, „Entdecken“ sowie „Erfolgreich Sein“ (s. Abbildungen 10, 11). In der neueren Auflage werden Zahlen bei der Gestaltung dezenter eingesetzt (s. Abbildungen 11, 14). Die ältere Auflage besitzt das in Frankreich nicht unumstrittene „Europa“ im Titel, die neuere Auflage spricht von „Zukunft“ (s. Abbildung 13). Die neuere Auflage wirbt nicht mehr mit jeder einzelnen Institution, sondern mit der „Dachmarke“, welche die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich und der französischen Sprache in Deutschland zusammenführt (s. Abbildung 13). Die ältere Auflage besitzt ein DIN-A6-Format, während die neuere Auflage mit einem nahezu quadratisches Format (13 x 12,5 cm) meiner Meinung nach weniger normiert wirkt.

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Abbildung 10: Fokussierung der älteren Auflage der Informationsbroschüre auf Schule

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2008: 2f.

Abbildung 11: Fokussierung der neueren Auflage der Informationsbroschüre auf Freizeit und Leichtigkeit beim Erlernen von Deutsch



 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 12f.

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Abbildung 12: „Universität Bonn“ betiteltes Bild der Seite „Deutschland, ein Land, wo es sich gut studieren lässt“ der neueren Auflage der Informationsbroschüre

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 11

Abbildung 13: Deckblätter der älteren (links) und der neueren (rechts) Auflage der Informationsbroschüre

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2008: 1; Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 1

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Abbildung 14: Stärkerer visueller Fokus auf Zahlen in der älteren Auflage der Informationsbroschüre

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2008: 10f.

Wichtig für die Wirkung der Informationsbroschüre ist laut IP9 aber auch, dass „vor allen Dingen das französische Ministerium mitmacht, […] dass das nicht nur [das] Goethe[-Institut] oder die deutschen Partner machen“. Denn „wenn es erst mal vom [französischen Bildungs-]Ministerium unterstützt ist, dann hat es natürlich eine andere Dignität, als wenn man nur so ein abstraktes Werbeblättchen auf den Tisch legt“. Dieser Aspekt der Interaktion der verschiedenen deutschen und französischen Akteure der deutschen Sprache wird eingehender in Kapitel 4.4 beleuchtet.

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Abbildung 15: Fokus auf konkrete Orte in der neueren Auflage der Informationsbroschüre

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 2

Das Projekt des DeutschMobils Während die Informationsbroschüre primär auf Eltern abzielt, basiert das DeutschMobil v. a. auf dem Ansatz, die Schüler direkt zu erreichen. Dahinter steht die Überzeugung, dass es „keine Frage von Argumenten“ sei (IP19). Diese wären zwar „immer noch gültig“, doch die Frage der Sprachwahl sei dennoch „auf der emotionalen Ebene“ verortet. Das DeutschMobil besteht seit 2001 und ist auf Initiative vor allem des damaligen Leiters des Heidelberg-Hauses in Montpellier, Kurt Brenner, zustande gekommen. IP6 beschreibt dies wie folgt:

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„Der Herr Brenner mit seiner Chuzpe und seiner unverbrauchten, direkten, zupackenden Art, der war da genau der Richtige, der für die Zivilgesellschaft da bei Mercedes-Benz oder damals Daimler-Chrysler an die Tür geklopft und gesagt hat: ‚Hier, ich habe eine Idee. Wir müssen zu den Leuten! Wir müssen hier, wir wollen für Deutsch was tun und dann müssen wir die Leute erreichen. Die Leute erreichen wir, wenn wir zu denen hinkommen, hinkommen tun wir nur, wenn wir einen fahrbaren Untersatz haben. Also, ich brauch Autos von Euch.‘ Daimler-Chrysler, die kostet das nicht viel, am Anfang waren es vier Autos, jetzt haben wir, glaube ich, zwölf oder so laufen, die haben die zusätzlich vom Band rollen lassen, das war für die ein Klacks, ein schöner Imagegewinn, [die] Robert Bosch[-Stiftung] hat das mitgemacht, für die war ja Frankreich auch immer ein Schwerpunkt in der Zusammenarbeit, in der Stiftungsarbeit, und so konnte so eine Idee Wirklichkeit werden.“

Das DeutschMobil ist ein Transporter von Mercedes-Benz, der von einer zumeist weiblichen Deutschen gefahren wird, die gerade ihr Hochschulstudium abgeschlossen hat. Die DeutschMobile sind an die académie-Grenzen gebunden, d. h. ein DeutschMobil ist immer nur innerhalb einer académie einsetzbar; nach anfänglich vier DeutschMobilen gibt es gegenwärtig 13 DeutschMobile. Die DeutschMobil-Lektorinnen üben dieses Projekt in der Regel ein Schuljahr lang aus, zu dessen Beginn sie in einem mehrtägigen Einführungskurs das nötige praktische Verstehen292 vermittelt bekommen. In der Folge besuchen sie auf Einladung durch den jeweiligen Schulleiter écoles primaires und collèges, um für die deutsche Sprache zu werben. Das Projekt des DeutschMobils zielt hierbei auf die Aktivierung der Schüler ab: Auf spielerische und motivierende bzw. anregende Art und Weise wird nach einer kurzen Einführung auf Französisch über die Dauer einer Unterrichtsstunde hinweg und mittels der konsequenten Benutzung der deutschen

292 In der vorliegenden Arbeit wird auch bei weit gefassten Projekten von den in Kapitel 2.2 definierten einzelnen Elementen der Organisationskomponente einer Praktik gesprochen, wie z. B. praktisches Verstehen. Die in diesem Kapitel vorgestellten Projekte werden aus Gründen der Übersichtlichkeit und der argumentativen Stringenz nicht als jeweils eigene Praktik ausgewiesen, sondern unter der weit gefassten Praktik des Werbens subsummiert. Meiner Meinung nach ist dies ebenso durchaus im Sinne der Praxistheorie, wie es mir auch möglich erscheint, bei weit gefassten Projekten von deren Zielen zu sprechen.

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Sprache sowie der Verwendung sogenannter transparenter Wörter293 durch die Lektorin gezeigt, dass die deutsche Sprache nicht so schwer ist, wie es scheint. Auf diese Art und Weise stellen sich schnell erste Erfolge ein, sodass zumeist die erste Begeisterung für die deutsche Sprache entfacht ist. IP6 beschreibt den Erfolg einer solchen Stunde: „Die [Schüler] gehen da mit einem Selbstbewusstsein weg aus diesen Spielunterrichtsstunden und sagen: ‚Heute habe ich Deutsch gelernt.‘ Gehen voller Stolz nach Hause: ‚Mama, ich möchte jetzt Deutsch weitermachen, ich habe heute Deutsch gelernt, ich kann schon was.‘ Und dann sagen sie erst mal zu Hause: ‚Mama‘, ‚Danke‘, ‚Bitte‘. Ist schon gut.“

Allerdings sehen viele Akteure dieses Projekt auch kritisch, da jene kurzfristig herbeigeführte Begeisterung für Deutsch genauso schnell vorbei sein könne, „weil ich morgen junge, nette Portugiesen treffen kann und ich Lust habe, Portugiesisch zu lernen“ (IP2). Hier findet sich erneut das Zweifeln an einem stark auf Emotionen aufbauenden Ansatz des Werbens wieder. IP2 spricht beispielsweise davon, dass er „sehr skeptisch ist“, auch wenn er mit seiner Einschätzung, dieses Projekt mit Tupperware-Werbeabenden zu vergleichen, Unrecht gehabt habe. Für IP2 kann das DeutschMobil nicht der „zentrale Pfeiler einer Sprachwerbung sein“, weil „ich denke, dass wir andere Argumente haben“. Auch IP6, der dem DeutschMobil eher positiv gegenübersteht schränkt ein: „Sagen wir, die Erfolgsquoten, die DeutschMobil ja immer sehr schön auch in den Bilanzen darstellt, die sollte man gar nicht zu strikt hinterfragen. Eine kritische Frage muss DeutschMobil sich natürlich gefallen lassen: Wenn es denn so einfach wäre und wenn diese Quoten dann auch nachprüfbar, nachhaltig sich einstellen würden, dann könnte man eine ganz einfache Rechnung aufmachen und könnte sagen: ‚Wir brauchen 50 DeutschMobile und versuchen einfach, vergesst alle Werbekampagnen, vergesst alles andere, wenn das das Rezept ist, da wissen wir, das funktioniert und dann machen wir in jeder académie zwei DeutschMobile und schauen, dass wir flächendeckend alle Schulen im Jahr abfahren, und dann haben

293 Transparente Wörter sind Wörter, die in beiden Sprachen gleich geschrieben werden und die gleiche Bedeutung besitzen. Als Beispiele können „Berlin, Paris, Banane, Tomate, Tante, Olive“ angeführt werden (JACOB 2007: 102).

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wir es.‘ So einfach ist es dann auch wieder nicht. […] Dann wird sicher nicht so hundertprozentig nachgehalten, ob das, was dann da angegeben wird, ob das dann tatsächlich auch mit der Sprachwahl letztlich übereinstimmt.“

IP16 ist einer derjenigen, die vom DeutschMobil überzeugt sind. Auch wenn es auf die „Persönlichkeiten“ ankomme, es also „an dem Talent, an der Vorbildung, an der Ausstattung und so weiter der Lektoren, die dann diese DeutschMobile betreiben“, liege, hält er viel von diesem Ansatz. Allerdings kritisiert er die Förderungs-Praktiken der Akteure deutscher Nationalität in Frankreich als ein „Potpourri an Einzelinitiativen“, das zu wenig langfristig und nachhaltig angelegt sei: „Und dieses ‚In zehn Jahren gibt es das überall‘ oder ‚Wir haben jetzt drei DeutschMobile und wir werden im Endeffekt in jeder französischen région drei haben müssen‘, das finde ich, das fehlt.“

Für IP16 wäre die „Lösung zum Beispiel, dass wir einen netten, dynamischen, jungen Deutschlehrer haben und jede Menge DeutschMobile“. Hier gibt es zwei Probleme: erstens die Frage der Finanzierung der DeutschMobile, die bereits problematisch ist,294 sowie zweitens die gegenwärtige Alterspyramide der Deutschlehrer. Wieso ein höherer Anteil junger Deutsch-

294 Die DeutschMobile werden von verschiedenen Trägern mitfinanziert: Hier ist vor allem der Hauptförderer, die Robert Bosch-Stiftung, zu nennen. Diese finanziert die DeutschMobile mit, „weil sie das gut findet und weil es ihr nicht gelingt, jemanden beim Staat zu finden, der sagt: ‚Wir übernehmen das‘, und hat daher wirklich eine Ausnahme gemacht“, da sie normalerweise lediglich eine Anschubfinanzierung leiste (IP16). IP16 führt weiter aus, dass die Robert Bosch-Stiftung „zumindest in der Ausweitung gekappt“ hat, sodass weitere drei DeutschMobile vom DAAD mitgetragen werden. Wichtig sind unter den verschiedenen Trägern vor allem noch einige Gebietskörperschaften – d. h. départements oder régions –, die an der Finanzierung einzelner DeutschMobile beteiligt sind. Dies hat zur Folge, dass – wie erwähnt – die DeutschMobile „nicht über ihre région-Grenze hinausfahren dürfen und nicht in ganz Frankreich rumfahren können, weil sie eben örtlich gebunden sind über die Frage ‚Wer hat hier was mitfinanziert?‘“ (IP7).

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lehrer in Bezug auf das Projekt des DeutschMobils vorteilhaft wäre, erklärt IP6: „Also auf der einen Seite gibt es in der Schule den, sagen wir mal, etwas grauen Deutschlehrer, der nun gerade nicht zur Begeisterung hinriss und attraktiv war für die Sprachwahl. Und dann eben, in der Regel sind das junge Lektoren oder Lektorinnen, die gerade von der Uni kommen, Mitzwanzigerinnen, die natürlich Deutsch ganz anders besetzen als der sechzigjährige, graue Lehrer, der am Schicksal des Deutschunterrichts in Frankreich im Allgemeinen und an seiner Schule im Besonderen schon gebrochen ist. Weil, gut, es wurde über Jahrzehnte immer nur alles schlechter und er ist in einem Jammertal und soll dann aber Schüler motivieren, dieses Fach zu wählen. Geht nicht, kann nicht funktionieren. Und die Schwierigkeit bei DeutschMobil ist natürlich, dass man damit auch ein Versprechen gibt den Schülern, das möglicherweise nach der Wahl in der Realität nicht eingelöst wird, wenn man dann genau auf diesen Deutschlehrer, diese Deutschlehrerin trifft.“

Der verbreitete Zweifel am Projekt des DeutschMobils belegt, dass viele Akteure Emotionen weniger schwer gewichten als Argumente, die ihnen nachhaltiger erscheinen. So ist es laut IP6 für die Kinder beim DeutschMobil „unterschiedslos, ob da einer kommt und sagt: ‚Du sollst Chinesisch lernen‘, ‚Spanisch‘ oder ‚Deutsch‘. Für die ist wichtig, dass sie da begeistert werden.“ Daher findet er auch die vom DeutschMobil angebotenen Elternabende wichtig: „Deswegen auch wichtig diese Elternabende, die sie auch machen. Denn, sagen wir mal, ohne das überbewerten zu wollen, also die nackten Fakten, die muss man schon immer wieder auch transportieren, weil wir schon erlebt haben, dass Leute wirklich überrascht waren, dass man sagt: ‚Also jede sechste Stelle hängt damit zusammen.‘ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Franzose von Deutsch profitieren kann, ist viermal so hoch wie bei Spanisch, wenn man es misst am Handelsaustausch, da ist Spanien und die gesamte lateinamerikanische Welt zusammengefasst. Also das ist schon immer wichtig, dass man diese Fakten auch in einer verständlichen Form präsentiert, weil es gibt dann schon viel zu denken.“

Das Projekt des DeutschMobils ist damit zielgruppenspezifisch ausgerichtet, indem es bei den Schülern Emotionen wecken und den Eltern Argu-

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mente liefern soll, warum es für die Kinder gut sei, in Frankreich Deutsch zu lernen. Das Projekt der Werbekampagnen Trotz der eingangs beschriebenen Situation, dass für die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich relativ wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, werden gelegentlich große Werbekampagnen lanciert, die unter den Akteuren des Deutschen sehr umstritten sind. IP6 beschreibt den Beginn der ersten Werbekampagne295 im Jahr 2004/2005 folgendermaßen: „Wir waren da natürlich sehr einfallsreich und haben, also im Auswärtigen Amt in der Kulturabteilung wurden einfach Mittel gebündelt. Es war nicht so, dass plötzlich mehr Mittel da waren, das kann man so nicht sagen, sondern man hat sie einfach umgeleitet. In der weltweiten Kulturarbeit hat man dann einfach mal diesen Schwerpunkt gesetzt und hat Mittel dann konzentriert auf Frankreich. Man hat das so gestaltet, dass das für den Rest dann schon verträglich war, aber eben, dass man da ein bisschen was rausschneiden konnte. Und dann haben wir mit einer Werbeagentur zusammengearbeitet, Scholz & Friends, die in Baden-Württemberg Werbung ge296

macht hatten.

Die haben das dann auch zu Konditionen gemacht, die sie Kunden

in der freien Wirtschaft wahrscheinlich so nie gegeben hätten, aber für die war das auch mal einfach ein spannendes Feld, gerade um sich da auch mal zu testen. Die haben in der Regel eben so Firmenkampagnen gemacht oder jetzt so diese Länderkampagne in Baden-Württemberg. Aber doch mit einem ganz anderen Hintergrund, so in diesem schulischen Milieu da was zu machen, fanden sie auch schon spannend.“

IP6 deutet mit der Aussage – dass für die beauftragte Werbeagentur diese Kampagne „ein spannendes Feld“ sei und dass sie „sich da auch mal […] testen“ wollte – an, dass die Agentur in diesem konkreten Projekt wenig

295 Die erste Werbekampagne fand 2004/2005 statt, eine zweite in den Jahren 2008/2009. 296 Scholz & Friends konzipierten die Kampagne des Bundeslandes BadenWürttemberg, die seit 1999 dessen Image verbessern soll. Der Slogan der Kampagne lautet „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ (Scholz & Friends 2010).

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Erfahrung hat. Dies scheint neben dem Gewinn einer weiteren Referenz mit Renommee ein Anreiz für Scholz & Friends zu sein, die Kampagne zu günstigen Konditionen anzubieten. IP9 sieht das Engagement dieser Agentur allerdings kritisch: „Das war das erste Mal, dass in Frankreich, und da sind sie dann natürlich auch sehr stolz beim Auswärtigen Amt, das erste Mal gezielt mit einem Werbebudget eine Sprache wie ein Produkt beworben wurde. Und das haben dann diese Scholz & Friends gemacht, die Baden-Württemberg, die Werbung gemacht haben, und da sind ganz viele Fehler gemacht worden. Ein Fehler war ganz bestimmt der, dass ein deutsches Werbeunternehmen beauftragt wurde, in Frankreich eine Kampagne zu machen, was man nicht machen soll. Ist also ein richtiger interkultureller Hammer. Auch wenn die gut sind, aber sie sind eben in Deutschland gut, weil sie da ihre Klientel kennen.“

Aus dieser Perspektive betrachtet, liegt das Problem nicht in mangelndem praktischen Verstehen des Projekts der Werbekampagnen vonseiten der Werbefirma Scholz & Friends – wie bei einer Werbeagentur auch nicht anders zu erwarten. Vielmehr sieht IP9 dies in einem mangelnden grundlegenden Verstehen begründet, das auch in das Projekt der Werbekampagnen einfließt, da dieses Projekt sich an die französische Öffentlichkeit richtet, Scholz & Friends aber ein deutsches Unternehmen ist.297 Viele Akteure der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich äußerten ihre Unzufriedenheit mit der ersten Werbekampagne aus dem Jahr 2004/2005. Einige von ihnen fühlen sich sogar ästhetisch von der Kampagne abgestoßen, die „sehr, sehr stark auf Großporträts junger Leute abgestellt hat“ (IP6), welche mehrere Akteure einfach als „die berühmten Zahnspangenkinder“ (z. B. IP19) bezeichnen. Außerdem führt etwa IP19 an: „Ich weiß aus meinem Umfeld, dass viele Lehrer sie nicht toll finden, sich dafür schämen“. Abbildung 16 zeigt ein Poster dieser Werbekampagne, dem ich in Abbildung 17 „Zahnspangenkinder“ aus der neueren Auflage der Informationsbroschüre gegenüberstelle: Während auf dem Poster Nähe auch durch die „ungeschminkte Nahaufnahme“ hergestellt wird, liegt der neue-

297 Ausführlicher wird auf die Thematik der „Interkulturalität“ im Exkurs „Interkulturalität aus Sicht der Akteure der deutschen Sprache in Frankreich“ auf Seite 232 eingegangen.

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ren Auflage der Informationsbroschüre offensichtlich ein „reinerer“ Ansatz von Nähe zugrunde. Abbildung 16: Poster der ersten Werbekampagne aus dem Jahr 2004/2005

 Quelle: Goethe-Institut et al. 2004

Auch IP6 spricht davon, dass die erste Werbekampagne schon in der Phase des Entwurfs „sehr umstritten“ war: Es „gab ja verschiedene Ansätze, man hat sich zu dem entschieden, die Werbeagentur konnte das gut begründen“, obwohl „mich das auf den ersten Blick dann auch nicht so vom Hocker gehauen hat, als ich das gesehen habe und dachte: ‚Das ist das Produkt‘“. Für die umstrittene Entscheidung können zumindest zwei Gründe angegeben werden. Erstens vertrauen die Akteure der deutschen Sprache den vermeintlichen Experten im Projekt der Werbekampagnen, denn wie IP9 stellvertretend für die Akteure des Deutschen formuliert: „Das ist natürlich auch das Problem, wir sind natürlich alle keine Spezialisten in den Gebieten, also Werbung ist ja ein Spezialistengeschäft. Und dann sitzen da solche Fuzzis wie wir da um den Tisch rum und sagen: ‚Hach, wir müssten mal so eine Werbekampagne machen.‘“

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Abbildung 17: „Zahnspangenkinder“ in der neueren Auflage der Informationsbroschüre

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 2

Der zweite Grund für diese Entscheidung könnte im grundlegenden Verstehen liegen, da die Akteure des Deutschen scheinbar annehmen, dass ihr grundlegendes Verstehen sich von dem der Zielgruppe unterscheide: Laut IP9 waren „die Zielgruppe picklige Jugendliche mit Zahnspangen zwischen 13 und 15 im Bravo-Alter, und so war die Kampagne aufgebaut“. Ziel war es hierbei, die Ordnung des Images des Deutschen in Frankreich positiv zu beeinflussen, wie IP6 ausführt: „Dieses deutsch-französische Paar, das ja sehr in die Jahre gekommen war und sehr, sagen wir mal, grau und sehr technokratisch dann angesehen wurde und mit Politik in erster Linie in Verbindung gebracht wird, da hat man eben schon mal damit gebrochen: Also es sind jetzt junge Gesichter, deutsch-französisch mal ganz anders, mit diesen kleinen Liebesgeschichten, die ja in der Regel dahinter standen, ein bisschen in Sprechblasen. Dann hat parallel dazu die Deutsche Zentrale für Tourismus das untermalt, und in der Zeit haben wir wieder sehr profitiert von dem sehr positiven und bei Jugendlichen sehr positiv besetzten Image von Berlin. Da gibt es ja auch den Werbefilm, den Bayer damals noch gesponsert hat. Das ist ein etwa dreieinhalbminütiger, wenn ich mich recht erinnere, Videoclip, auch ohne Worte,

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wo sich dann erschließt, dass eine junge Deutsche ihrer französischen Freundin Berlin zeigt. Also ein unwahrscheinlich temporeicher Film und der eben auch für den Einsatz an Schulen gedacht war, wo also Berlin als unwahrscheinlich interessante, lebende, pulsierende Stadt gezeigt wurde, während eben die klassische Deutschlandwerbung, das Deutschlandbild der Franzosen eben, sehr stark auf Literatur, also klassische Literatur im schulischen Bereich, auf Ludwig-Schlösser und sowas [ausgerichtet war].“

Während bei dieser ersten großen Werbekampagne die Ordnungen der Raumsemantiken als Untermalung für das eigentliche Anliegen dienen, das Image der deutschen Sprache zu verbessern, haben sich in der Zwischenzeit die Stimmen gehäuft, die der Meinung sind, dass das Image der deutschen Sprache immer nur über eine Attraktivitätssteigerung der Raumsemantiken Deutschlands aufzubessern sei. Wesentlich hierfür war der Untersuchungsbericht von IP18 („IDIF-Bericht“298). Dieser führte für die Akteure des Deutschen in zwölf académies qualitative Interviews mit regionalen Deutsch-inspecteurs durch, um herauszufinden, wie man das Deutsche vor allem in der école primaire am besten fördern könne. Aufgrund des Verlaufs der Interviews stellten die Ergebnisse des IDIF-Berichts jedoch einen allgemeinen Zustandsbericht der deutschen Sprache v. a. im Bereich des collège dar. Als eine zentrale Empfehlung der regionalen Deutschinspecteurs gibt der IDIF-Bericht (2008: 91) Folgendes an: „Die einzige für die deutsche Sprache akzeptable Werbekommunikation ist diejenige, die die Attraktivität Deutschlands vermittelt. Die Lust an der Sprache führt über das Image des Landes. Grundsätzlich zu vermeiden sind jedoch kontraproduktive Aktionen (traditionelle Werbung für die Sprache)“ (Hervorhebung im Original).

Viele Akteure nehmen diese Botschaft auf und geben sie in den Interviews auch wieder. So verweisen etwa IP9 und IP20 direkt auf diesen Bericht; IP20 kommt hierbei jedoch relativ schnell wieder von Raumsemantiken auf ökonomische Gedanken, indem er ausführt:

298 IDIF steht für „Initiative Deutsch in Frankreich“. Der IDIF-Bericht wurde den nationalen und regionalen Deutsch-inspecteurs vorgestellt und hat „allgemeine Zustimmung erhalten“ (IP18).

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„Das ist wieder mal die Erkenntnis: ‚Wenn Ihr oder wir zusammen Deutschwerbung machen, dann muss es eigentlich mehr Deutschlandwerbung sein.‘ Und, das ist sicher simpel, aber auch genauso wahr. Sprachwerbung alleine läuft ins Leere, das ist klar. Das muss immer zu tun haben mit allem, was in der Sprache mitschwingt, und das ist natürlich dann das Interesse wecken für das Land oder die Länder, wo diese Sprache gesprochen wird, für diese Märkte. Es kommen dann sehr schnell praktische, rationale Aspekte dazu, aber eigentlich wirklich alles, was da mitschwingt an Kultur, an Gastronomie, an Lebensgefühl und eben auch wirklich an mehr oder weniger attraktiven Produkten.“

Eher als die Deutung der Empfehlung aus dem IDIF-Bericht durch IP20 scheint die Interpretation von IP9 diesem Rat zu entsprechen, indem er erklärt: „Man muss gar nicht für die deutsche Sprache so werben, sondern man muss für Deutschland mit positiven Bildern werben. Genauso wie Spanien in Deutschland und Frankreich mit positiven Bildern und Jux und Fiesta und Sonne für Spanien wirbt und man dann Lust hat, Spanisch zu lernen oder dahin zu fahren und Spanisch zu lernen.“

Diesen Ansatz, die Sprache über die Raumsemantiken zu bewerben, beherrschen die Spanier laut IP6 sehr gut, wie er am Beispiel der Präsenz der Spanier bei der bereits erwähnten Sprachenmesse „Expolangues“ in Paris beschreibt: „Die Spanier haben da quasi das Hallendrittel belegt, und wenn Sie da in die Broschüren schauen, da finden Sie Sprachbroschüren, da blättern Sie die ersten zehn Seiten, da meinen Sie, Sie müssten hier einen Urlaub buchen. Und das ist im Prinzip auch so, das ist nämlich die Sprachreise, da werden Sie erst mal zehn Seiten lang mit Strand, Sonne und spanischer, positiv besetzter spanischer Folklore eingenommen, und dann sagen Sie auf Seite elf: ‚Mensch, und hier kann ich auch noch die Sprache lernen, toll‘; und dann ganz hinten irgendwo kommen dann versteckt die exorbitanten Preise, aber, sind Sie dann im Zweifel auch bereit zu bezahlen. Also das machen die schon sehr, sehr gut. Und ich meine, da können wir von den Rahmenbedingungen her nicht dagegen setzen, wir können nicht so tun, als lägen wir am Mittelmeer, aber wir können eben mit Berlin unter anderem, das ist schon ein Pfund bei der Jugend.“

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Wie bereits in Kapitel 4.2.3 gesehen, kann gerade bei der Jugend nicht mehr mit dem Aussöhnungsgedanken effektiv geworben werden, weil „diese Aussöhnung […] für die Kids […] von überhaupt keinem Interesse mehr [ist], weil die in diesen Kategorien, in diesem Verständnis gar nicht mehr denken können“ (IP7). Daher locke man damit „heute niemanden mehr hinter dem Ofen vor, nicht in der jungen Generation“ (IP7). Berlin erweist sich im Kontext der Nutzung von Raumsemantiken für die Praktik des Werbens im Rahmen der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich als sehr attraktiv und scheint nun ein „Pfund bei der Jugend“ darzustellen (IP6). In Zeiten einer zunehmend globalisierten Welt ist dies wichtig, um das Interesse der Franzosen für Deutschland zu gewinnen, wie IP8 beschreibt: „Fehlendes Interesse! Die Leute reisen nach Südamerika, die reisen nach Südostasien, die gehen zu Fuß zum Nordpol, um es jetzt zu überzeichnen, aber nach Frankreich zu gehen ist eben für viele nicht mehr interessant. Und noch uninteressanter ist es für einen Franzosen nach Deutschland zu gehen, mit Ausnahme von Berlin: Das ist ein Pfund, mit dem man noch stärker wuchern müsste, auch im Rahmen von Werbekampagnen für die deutsche Sprache.“

Sofort schränkt IP8 jedoch wieder ein, dass das Werben mit Berlin aufgrund des deutschen Föderalismus auch problematische Seiten besitze: „Das denke ich, könnte man einfach stärker einsetzen, wobei das natürlich bei uns, im Rahmen des Föderalismus, auch ein Problem aufwirft. Dann kommen die Länder und sagen: ‚Wir sind 16 Länder, nicht bloß ein Bundesland Berlin, wir wollen auch werben.‘“

Den Akteuren des Deutschen in Frankreich ist somit offensichtlich bewusst, dass für die deutsche Sprache am besten mit der Attraktivität Deutschlands, also mit Raumsemantiken, geworben werden sollte. Dennoch wird am Beispiel der zweiten Werbekampagne aus dem Jahr 2008/2009 deutlich, dass wesentliche bekannte Kritikpunkte nicht berücksichtigt wurden. Ein grundlegender Kritikpunkt war hierbei zunächst, dass trotz der für „öffentliche Verwaltungen“ hohen Summen bisher nie die nötige Breitenwirkung erreicht wurde. IP16 führt etwa für die bereits beschriebene erste Werbekampagne aus:

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„Wenn man eine solche Agentur und so eine große Kampagne startet, dann kann nicht einmal, weiß ich nicht, drei Wochen in der Metro an zwei Stationen ein Plakat sein, sondern dann muss man in jeder Metrostation vier Wochen lang diese Plakate sehen. Also das heißt dann, ich habe das Gefühl, dass die deutsche Politik das zwar machen will, das ist neu, die wollen sich für die deutsche Sprache, die deutsche Kultur einsetzen, sie sind überzeugt, dass das nicht über Strukturen kommt, das ist ja die Mode heutzutage, man muss die Subventionen für Strukturen streichen und muss für Projekte Gelder geben, aber selbst für diese Projekte ist es dann doch noch, also im Vergleich zu einer Werbekampagne, wenn hier ein neues Parfum annonciert wird oder ein neues Produkt, ist es dann doch letztlich relativ lächerlich.“

Selbst die beschränkten finanziellen Mittel, die für diese erste Werbekampagne im Jahr 2004/2005 genutzt werden konnten, sind laut IP7 „nicht ständig darzustellen“, d. h. „wir müssen mit den Ressourcen – mit den absolut begrenzten Mitteln, die wir haben – arbeiten und leben, die uns zur Verfügung stehen und die nicht beliebig ausgebaut werden können.“ Für die zweite Werbekampagne zeichnete sich daher im Laufe der Planung ab, dass aufgrund der Kosten die Werbespots dieser Kampagne auf ARTE gezeigt werden sollten. Dies kommentiert IP9 folgendermaßen: „ARTE zeigt das dann natürlich. Aber wer schaut ARTE? Leute, die sich sowieso schon für das Deutsch-Französische oder das Europäische interessieren. Also das ist schon eine vorgewarnte … Wo es aber eigentlich gezeigt werden müsste, ist auf TF1 oder da, wo hohe Sendezahlen sind für Leute, die eigentlich ‚Star Academy‘ schauen wollen.“

Insgesamt ist das Projekt der Werbekampagnen bei sehr vielen Akteuren nicht hoch angesehen. Einige der Akteure äußern sich aufgrund ihrer Position eher vorsichtig, wie etwa IP14, der davon spricht, dass „eine Werbekampagne für Deutsch auch gut [ist] und, und bringt vielleicht was, äh … [lacht].“ Andere werden deutlicher, wie zum Beispiel IP2: „Ich erscheine Ihnen sehr rückwärtsgewandt, aber ich glaube absolut nicht an diese Werbekampagnen, ich glaube da nicht dran: Das ist teuer, das bringt überhaupt nichts, das überzeugt niemanden, das überzeugt niemanden. Und das, was ich an Werbung gesehen habe, das schien mir eher traurig.“

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IP16 schätzt den Sinn der Werbekampagnen wie folgt ein: „Ich persönlich habe auch so ein bisschen den Eindruck, dass man mit diesen Kampagnen eben hauptsächlich Gelder an die Werbeagenturen gibt“. IP17 sorgt sich, ob man hier nicht wie beim DeutschMobil Versprechen gibt, die nicht gehalten werden können: „Wenn ich sehe, dass man große, große Kampagnen macht und dass man viel ausgibt, da frage ich mich in der Tat: Wird das tatsächlich weiterverfolgt, wenn man parallel dazu Deutsch-Sektionen schließt?“

Neben der Frage der Breitenwirkung üben gegen Ende der Planungsphase der zweiten Werbekampagne wesentliche Akteure des Projekts der Werbekampagnen Selbstkritik, was den Aspekt des Zeitmanagements angeht. So führt IP20 aus: „Das sag ich ganz offen: […] Es wäre besser gewesen, sagen wir mal, wenn man sich mehr Zeit gelassen hätte.“ Sie erklärt, dass „wir doch irgendwie unter Produktionsdruck stehen. Es war ja so, also es hat eine Sprachenkampagne gegeben, die alte, es war klar, es muss was Neues geben.“ Aufgrund dieses Zeitdrucks sei „auch noch nicht geklärt [gewesen]: ‚Bei wem werben wir?‘ – das können sein die Schüler, das können sein die Eltern – […] und ‚Was für eine Werbung ist es?‘ – wollen wir einfach nur Sympathie für Deutschland machen oder nicht?“ (IP9). Laut IP20 verließ man sich auf den Fernsehsender ARTE: „Das sind die Spezialisten, also die müssten im Grunde genommen wissen, was Deutsche und Franzosen anspricht, sie sind Medienspezialisten und insofern müssten die eigentlich diejenigen sein, die was anbieten können. Aber es waren natürlich auch die einzigen, die gefragt wurden, also da gab es keine offene Ausschreibung.“

IP20 nimmt also an, dass die „Spezialisten“ von ARTE sowohl die nötigen Kenntnisse besitzen, um das Projekt der Werbekampagnen im Sinne der Akteure des Deutschen auszuführen, als auch das Verstehen hierzu: Das praktische Verstehen besäßen sie als „Medienspezialisten“, während ihnen IP20 das grundlegende Verstehen als Mitarbeiter einer deutschfranzösischen Institution zuschreibt und offensichtlich erwartet, dass dies einen „interkulturellen Hammer“ (IP9) wie bei der ersten Werbekampagne ausschließt.

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Das Endergebnis, die zweite Werbekampagne, ist Anfang 2009 auf ARTE gezeigt worden. Sie besteht aus mehreren, jeweils ca. 10- bis 15sekündigen Spots, in denen lediglich ein deutscher Satz eingeblendet wird und verschiedene Franzosen aus dem Off zu hören sind, die rätseln, was dieser Satz bedeuten könnte. Während des Spots ist ein Sekundenzeiger zu hören, der offensichtlich die Atmosphäre einer Quiz-Show simulieren und den Fernsehzuschauer vermutlich dazu animieren soll, mitzuraten. Am Ende wird der Satz aufgelöst. Die zweite Werbekampagne bewirbt damit ohne jede Raumsemantik allein die Sprache. Folglich ist also die von vielen – und nicht zuletzt auch von entscheidend an der Planung der Werbekampagnen mitwirkenden – Akteuren wiedergegebene Erkenntnis, dass die deutsche Sprache nicht direkt, sondern über Raumsemantiken, über die Attraktivität Deutschlands beworben werden soll, nicht in das Projekt der Werbekampagne eingeflossen. Dies verwundert zum einen aufgrund des Widerspruchs und der verbalen Äußerungen zentraler Akteure, die zeigen, dass ihnen die u. a. im IDIFBericht als wesentlich formulierte Erkenntnis bewusst ist. Zum anderen erstaunt dies umso mehr, da eben jener IDIF-Bericht vom zentralen Akteur IP11 in einer StADaF-Sitzung299 als „Schatzkästchen“ bezeichnet wurde, „aus dem wir noch lange schöpfen werden“. Vermutlich hatte der Autor des Berichts, IP18, recht, der diese Bemerkung in einem späteren Interview kommentierte: „Damit ist der Bericht tot“. Wenn die wesentlichen Akteure also offensichtlich das praktische Verstehen besitzen und zumindest verbal reproduzieren, wieso nutzen sie es nicht, um das Projekt der Werbekampagnen zu verbessern? Ein wesentlicher Grund scheint der Konflikt zwischen verschiedenen Praktiken unterschiedlicher Akteure innerhalb der Gesamtheit der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache zu sein – bzw. genauer gesagt der Konflikt zwischen den verschiedenen Zielen dieser Praktiken und dem übergeordneten Ziel der Praktiken der Förderung, mehr Schüler für die Praktik des

299 Die StADaF ist die „Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache“, die es als Institution nicht nur in Frankreich gibt. In Frankreich ist sie jedoch besonders groß, sodass es vorkommen kann, dass auf den etwa alle drei Monate stattfindenden Sitzungen mehr als 30 Akteure zusammenkommen, während es in anderen Ländern weniger als fünf Akteure sind. Auf die StADaF-Sitzungen wird in Kapitel 4.4.2 ausführlicher eingegangen.

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Deutsch-Lernens zu gewinnen. Diese Thematik wird eingehend in Kapitel 4.3 erörtert. Zusammenfassend ist zur Praktik des Werbens zu sagen, dass die Ordnungen der Images der deutschen Sprache sowie der Raumsemantiken Deutschlands positiv beeinflusst werden sollen. Hierzu wird zunehmend auf emotionale Elemente gesetzt – bei den Informationsbroschüren ebenso wie bei den DeutschMobilen und den Werbekampagnen –, da die Akteure des Deutschen annehmen, die Sprachwahl funktioniere „über das Emotionale“ (IP10). Dennoch spricht IP16 mit Bezug auf die Werbekampagnen davon, dass „das noch lange nicht [heißt], weil diese Entscheidung emotional ist, wird die Werberwelt schon die Lösung finden.“ Er betont vielmehr, dass „das Emotionale, das ist glaube ich im Wesentlichen eigenes Erleben“. Dieses eigene Erleben können verschiedenste Projekte sein, die mit der deutschen Sprache oder Deutschland zu tun haben: „Also wenn die Städtepartnerschaft und die Schulpartnerschaft intensiv genug sind, dass ich selbst einen Austauschpartner habe oder mein großer Bruder oder ich weiß nicht, oder der Nachbar in der Straße, wenn ich selbst Fan von ‚Tokio Hotel‘ bin und selbst mal bei so einem Konzert gewesen bin, wenn das DeutschMobil das richtig gut gemacht hat und ich Spaß dran gehabt habe, dann sind das einfach Faktoren, […] die eine Rolle spielen“ (IP16).

Das Projekt des Schüleraustausches Ein sehr wichtiges Projekt für das eigene Erleben stellt das Projekt des Schüleraustausches dar. IP12 beschreibt dessen Effekt folgendermaßen: „Die Franzosen haben ein Bild von Deutschland: ‚Das ist ein Land, wo es kalt ist, man weiß nicht zu leben etc.‘; folglich: der Horror. Wenn man ihnen sagt: ‚Wartet mal, man isst gut in Deutschland, die Deutschen sind eleganter als die Franzosen, man weiß zu leben usw.‘, dann schaut man dich an und glaubt dir nicht. Was aber die Einstellungen oft ändert, das sind die Austausche. Die Schüler, die man mitnimmt, da gibt es diejenigen, die dir sagen: ‚Aber das ist ja fabelhaft in Deutschland, das ist toll.‘ Das habe ich erlebt, ich war Deutschlehrer und da habe ich Schüler wirklich aus dem Süden

300

mitgenommen.“

300 Im Süden Frankreichs ist der Anteil der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler deutlich niedriger als im Norden Frankreichs. Auf die re-

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Ein Problem des positiven Effektes der Schüleraustausche ist, dass lediglich Schüler am Projekt des Schüleraustausches teilnehmen können, die bereits in der Praktik des Deutsch-Lernens engagiert sind, d. h. die sich im Rahmen der Praktik des Fremdsprachen-Wählens bereits für Deutsch entschieden haben. Dennoch sollte der positive Effekt des Projekts des Schüleraustausches nicht vernachlässigt werden, da Schüler, die hieran teilgenommen und positive Erfahrungen gemacht haben, dies auch ihren Freunden und Familien weitererzählen. Insgesamt scheint es jedoch erstaunlich, wie wenig mit diesem Projekt geworben wird. Wie bereits beschrieben, „belaufen sich in allen académies die deutsch-französischen Austausche auf 70–80 % der Gesamtaustausche einer académie“, was gerade vor dem Hintergrund, dass weniger als zehn Prozent des Sprachunterrichts Deutsch-Unterricht darstellt, äußerst beachtlich ist.301 Daher spricht auch IP14 davon, dass man dies besser kommunizieren müsse: Diese Zusammenarbeit „zwischen den beiden Ländern muss sehr, sehr gut dargestellt werden“, da sie nicht selbstverständlich sei. Dass die Schüler „mit Deutsch nach Deutschland gehen können“ heiße „nicht unbedingt, dass man mit Englisch nach England gehen kann in der Schulzeit oder mit Spanisch nach Spanien, weil es nicht die gleichen Austauschmaßnahmen gibt“. Das Projekt des Ausstellens der certifications Das Projekt des Ausstellens der certifications wurde bereits als eine der Innovationen im Rahmen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens erwähnt. Dennoch ordne ich dieses Projekt der Praktik des Werbens zu, da z. B. IP2 die Bedeutung des Projekts des Ausstellens der certifications folgendermaßen beschreibt:

gionale Ungleichverteilung dieses Anteils wird in Kapitel 4.4.5 ausführlich eingegangen. 301 Zwar lernen 15,4 % (2008/2009) der Schüler Deutsch – da jedoch jeder Schüler im Schnitt knapp zwei Fremdsprachen lernt, liegt die Gesamtsumme der erlernten Fremdsprachen bei ca. 180 % , sodass die 15,4 % nahezu zu halbieren sind und der Deutsch-Unterricht somit weniger als zehn Prozent des Sprachunterrichts ausmacht.

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„Das hängt v. a. mit dem Image zusammen, das die Leute vom Deutsch-Unterricht haben. Ein sehr grammatiklastiger, sehr anspruchsvoller Unterricht, bei dem man keinen Erfolg hat. […] Es reicht nicht, die Praktiken zu ändern. Unsere Methoden haben sich enorm geändert, […] das ist nicht mehr das Gleiche. Die Lehrer unterrichten anders. Das Problem ist, dass die Leute immer noch [so] denken, weil das natürlich nicht sofort geht. Also für mich ist die Rolle der certifications, das ist nicht, den Schülern ein Papier zu geben, ihr Niveau ist mir vollkommen egal, sondern vielmehr der öffentlichen Meinung zu zeigen: ‚Seht her, wir haben uns geändert. Unsere Schüler können reden, können verstehen.‘ […] Und die ganze Kampagne, die wir in der Öffentlichkeit um die certifications machen, hat dieses Ziel: Den Leuten zeigen, dass sich das Unterrichten geändert hat.“

Die certifications wurden daher vor allem zu Anfang des Öfteren öffentlichkeitswirksam ausgestellt, wie etwa an die in der Praktik des DeutschLernens engagierten Schüler einer troisième in Abbildung 18: Diese erhalten in Gegenwart des recteur302 sowie des regionalen Deutsch-inspecteur der académie Versailles und des Kulturreferenten der Deutschen Botschaft im Mai 2006 ihre certifications. Das Artefakt der certifications dient also erstens dem öffentlichkeitswirksamen Bewerben der veränderten Praktik des Deutsch-Unterrichtens. Doch wie bereits erwähnt, verändert das Projekt des Ausstellens der certifications zweitens auch die Praktik des Deutsch-Unterrichtens, da es ein Mittel ist, um „endlich mal die erworbenen Fähigkeiten positiv zu bewerten“ und nicht über die Fehler die „Punkte runterrechnen zu müssen, bis man dann irgendwo die Kinder komplett frustriert hat, weil sie sich wie Idioten vorkommen“ (IP7). Auch die Veränderung des Artefakts der Schulbücher hat einen solchen doppelten Effekt. IP17 spricht davon, dass man die Deutsch-Schulbücher nicht zuletzt deswegen überarbeitet habe, um die Ordnung des Images der deutschen Sprache zu verbessern:

302 Der recteur ist der Vertreter des Bildungsministers in einer académie.

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Abbildung 18: Vergabe der certifications an die Schüler einer troisième

 Quelle: HALBERSTADT 2007:2 „Man sieht in den Schulbüchern, das ist viel weniger auf das Geschriebene als auf das Orale ausgerichtet. Das soll auch einen Einfluss darauf haben, wie Deutsch wahrgenommen wird. Das war auch eine Absicht: Die Schulbücher des Deutschen zu entstauben, die traditionell mittels sehr harter Texte funktionierten.“

Aber neben der Verbesserung des Images des Deutsch-Unterrichts und des Images der deutschen Sprache haben die überarbeiteten Schulbücher natürlich auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Praktik des DeutschUnterrichtens, da diese ein wichtiges Instrument im Unterricht darstellen. Das Projekt des Bedeutung-Zuweisens zu den classes bilangues Deutsch/Englisch Die classes bilangues werden von den Akteuren als der zentrale Grund angesehen, der zum steigenden Anteil von in der Praktik des DeutschLernens engagierten Schülern geführt hat. Diese Maßnahme basiert jedoch, wie gesehen, auf einer „positive[n] Diskriminierung“ (IP3): Die classes

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bilangues kombinieren de facto nahezu immer Deutsch und Englisch, andere Sprachkombinationen werden in der Regel nicht angeboten, sodass „die classes bilangues […] zu 95 % die Kombination Englisch/Deutsch“ darstellen (IP10). Anfang 2008 erklärte der Bildungsminister allerdings, dass die classes bilangues „jetzt verallgemeinert werden sollen“ (IP1), was viele Akteure als große Bedrohung für den Aufschwung der deutschen Sprache in Frankreich ansehen. IP12 bringt diese Besorgnis auf den Punkt: „Folglich ist die Katastrophe programmiert“. Diese Gefahr sieht auch IP2, der aber von zwei Bedingungen spricht, die diese „Katastrophe“ vermeiden könnten. Die eine sei, schon in den écoles primaires mehr Schüler für das Deutsche zu gewinnen, welche dann nach dem Prinzip der continuité diese Sprache auch im collège fortsetzen können. Dies wird jedoch aufgrund der zunehmenden Tendenz, Englisch als alleinige Fremdsprache in der école primaire anzubieten, zunehmend schwierig303 – da diese „Schüler [...] immer weniger“ werden, sodass die Aufgabe, Schüler für die Praktik des Deutsch-Lernens zu gewinnen, zunehmend auf den Beginn des collège verschoben wird. Daher ist die zweite Bedingung für IP2 „unerlässlich“: „Die andere Bedingung ist, […] sehr, sehr schnell den Lehrern, den Schulleitern, den Eltern und den Schülern klarzumachen, dass wenn sie Deutsch und Englisch machen, dann bietet das etwas anderes, […] zu sagen: ‚Englisch und Deutsch sind nicht zwei Sprachen, das sind tatsächlich drei Sprachen; es ist nicht 1 + 1 = 2, sondern 1 + 1 = 3.‘“

IP2 und vielen anderen Akteuren geht es also vor allem um diesen „Mehrwert“ (IP4) der classes bilangues Deutsch und Englisch. Genauer gesagt: Es geht um die Bedeutungszuweisung, dass diese spezielle Kombination der classes bilangues im Vergleich zu anderen Kombinationen einen Mehrwert besitze:

303 Dies liegt vor allem daran, dass die Grundschullehrer eine Klasse in mehreren Fächern unterrichten. Lehrer, die Deutsch beherrschen, sehen sich im Falle eines Engagements in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens der Gefahr ausgesetzt, dass sie als Experten für Deutsch angesehen werden und folglich diese Praktik auch für andere Klassen übernehmen müssen – und somit nicht mehr Klassen-, sondern Deutschlehrer wären (IP25).

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„Jetzt, da es [die classes bilangues] den anderen Sprachen offen stehen wird, ist es nötig, dass wir beweisen können, dass die Kombination Englisch/Deutsch leistungsfähiger ist als die Kombination von Englisch mit anderen Sprachen“ (IP4).

Dies bezeichnet IP2 wiederholt als „Herausforderung“. Außerdem bestehe ein großer Zeitdruck – es sei ein „Wettlauf gegen die Zeit“, „wir haben zwei, drei Jahre, um die Herausforderung zu meistern“. Die Voraussetzungen, damit die classes bilangues diesen Mehrwert vorweisen können, erklärt IP2: „Die Hauptsache ist, das wir [den classes bilangues] einen eigenen Korpus, eine besondere Sichtbarkeit geben, dass wir zeigen, dass weil sie [die Schüler] Englisch gemacht haben, sind sie besser in Deutsch, weil sie Deutsch gemacht haben, sind sie besser in Englisch. […] Es gibt zwei Seiten: Man muss die pädagogische Seite verbessern, um die Zusammenarbeit zu verbessern, und außerdem muss man es die 304

Eltern und die Akteure des Systems, die Schulleiter, die Verwaltungs-inspecteurs

,

das Ministerium wissen lassen.“

Die Akteure des Deutschen wollen also die Zusammenarbeit der Akteure des Deutschen und des Englischen im Rahmen der classes bilangues derart verbessern, dass diese spezielle Kombination tatsächlich einen Mehrwert aufweist. Dieser Mehrwert ist nach Expertenmeinung nicht per se gegeben, auch wenn viele Akteure dies über den Verweis auf die beiden „germanischen“ (IP3) Sprachen so darzustellen versuchen. Obwohl es viele transparente Wörter zwischen Deutsch und Englisch gibt,305 ist andererseits „die Grammatik von Deutsch und Englisch nicht so nah“ (IP14). IP14 folgert:

304 Der „Verwaltungs-inspecteur“ (IA-DSDEN) ist „praktisch der Stellvertreter des recteur im département“. Sie sind „die Verantwortlichen für die Struktur und das Budget der Erziehung“ (IP14). Auf ihre Rolle bei der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem wird in Kapitel 4.4.1 ausführlicher eingegangen. 305 Transparente Wörter sind jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der Sprachen Deutsch und Englisch. Diese gibt es aufgrund der Verbreitung des Französischen als Sprache des europäischen Adels auch zwischen Französisch und Englisch sowie aufgrund der Ähnlichkeit der romanischen Sprachen z. B. zwischen Französisch und anderen Sprachen wie etwa Spanisch.

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„Aber wenn man sagt, dass es eine spezifische Didaktik der [classes] bilangues Deutsch/Englisch gibt, dann würde ich sagen, dann wird es Propaganda“. Der spezielle Mehrwert für die Kombination der classes bilangues Deutsch/Englisch muss also erarbeitet werden. Die Akteure der deutschen Sprache sind auch hier wieder gefordert, innovativer zu sein und „eine Nasenlänge voraus [zu] sein“ (IP11). In diesem speziellen Fall muss es jedoch in Absprache mit den Akteuren des Englischen geschehen, da „es im Interesse des Deutschen [ist], sich als germanische Sprache an das Englische zu binden, das Träger ist“ (IP12). Englisch kann diese Rolle als „Träger“ einnehmen, da es – wie bereits ausgeführt – als notwendigerweise zu erlernende Sprache angesehen wird. Ende 2008 fand im Goethe-Institut Paris ein Kolloquium306 statt, das beide Anliegen vorantrieb: das Erarbeiten des didaktischen Mehrwerts sowie das Bekanntmachen des Ansatzes der classes bilangues Deutsch/ Englisch. IP14 resümiert dieses Kolloquium: „Das war eine Mischung zwischen Propaganda für die [classes] bilangues und didaktischen Prinzipien.“ Auch IP2 spricht davon, dass „das kein pädagogisches Kolloquium ist, sondern ein politisches Kolloquium“. Zum einen sollen die „Komplementaritäten umgesetzt werden, […] damit die Pädagogik des Deutschen sich absetzt“ (IP14). Zum anderen sei es wichtig, dass man diesen „besonderen Charakter sichtbar macht, sichtbar in den Evaluierungen, in den Dokumenten, die man den Eltern gibt, in der täglichen Arbeit mit den Lehrern, der täglichen Arbeit mit den Schülern. Das muss bekannt werden. Und zwar schnell“ (IP2). Ein Problem bei der Sichtbarmachung der Besonderheit der classes bilangues Deutsch/Englisch ist mit der bereits betrachteten Praktik des Deutsch-Lernens verbunden, wie IP4 beschreibt: „Es gibt noch keine eindeutigen Statistiken hierzu, weil das Problem ist, dass die Schüler der classes bilangues nicht irgendwelche Schüler sind. Das sind in der Regel Schüler, sagen wir, eines sozial begünstigten Milieus, deren Eltern auf dem Laufenden sind und für Sprachen sind, für die Mehrsprachigkeit. Folglich wissen wir im

306 Das Kolloquium „Le défi des classes bilangues allemand-anglais“ („Die Herausforderung der classes bilangues Deutsch/Englisch“) am 28. und 29. November 2008

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Grund genommen, dass sie besser sind, aber wir wissen nicht, ob sie besser sind, weil die Kombination [Deutsch/Englisch] gut funktioniert oder weil das einfach schon bessere Schüler sind als andere.“

Der besondere Charakter muss also noch erarbeitet werden, aber es gibt „Arbeitsgruppen, die damit beginnen, um zu zeigen, dass das [die classes bilangues Englisch/Deutsch] in der Tat leistungsfähig ist“ (IP4). Die Adressaten dieser Überzeugungsarbeit sind einerseits die Eltern, andererseits die „Akteure des Systems“ (IP2). Den Eltern muss man die noch weiter zu erarbeitenden Vorzüge der classes bilangues Deutsch/Englisch näherbringen, da sie ihre Kinder nicht wegen Deutsch die classes bilangues belegen lassen: „Was die Familien wollen, ist nicht, dass ihre Kinder Deutsch machen, sondern dass sie zwei Sprachen machen. Daher tun wir gut daran, sehr schnell dafür zu sorgen, dass […] die classes bilangues Deutsch/Englisch etwas Besonderes sind und dieses Projekt bekanntzumachen“ (IP2).

Denn wie bereits beschrieben, ist IP2 der Meinung, dass bei einer Wahlmöglichkeit „es keinen Grund [gibt], warum die Familien nicht wieder Englisch/Spanisch wählen werden“. Daher „haben wir sehr wenig Zeit, um zu reüssieren“. Die Akteure des Systems sind dagegen verschiedenste „administrative Entscheider“, deren Rolle IP2 wie folgt beschreibt: „Man muss den Leuten aus der Verwaltung Argumente liefern. Es gibt die Politik und dann gibt es die Verwaltung. […] Sie [die Leute aus der Verwaltung] selbst müssen gegenüber Deutsch den Eindruck haben, dass sie nicht nur einen politischen Diskurs umsetzen, sondern dass sie dem Bildungssystem helfen. Dass sie, indem sie den classes bilangues Englisch/Deutsch helfen und sie schützen, dass dies ein Trumpf für das Bildungssystem ist, weil das die allgemeinen Kompetenzen der Schüler entwickelt; weil wir Innovationen im Bildungssystem schaffen, die dem Ministerium helfen, seine Absicht voranzutreiben, die da lautet: ‚Wir wollen, dass die Schüler bessere Kompetenzen in Englisch haben.‘ Das pädagogische Argument ist für mich eine Art, den politischen Diskurs von den Entscheidern in der Administration akzeptiert zu bekommen.“

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Die Argumentation von IP2 knüpft an dieser Stelle also an den InnovationsDiskurs an (s. Kapitel 4.1.4). Er grenzt hierbei „die Verwaltung“ von „der Politik“ ab und betont folglich verschiedene Gruppierungen, die im Bereich der Förderung der deutschen Sprache von Bedeutung sind. Auf die Rolle dieser verschiedenen Gruppierungen, die in unterschiedlichen Praktiken engagiert sind, wird ausführlich im folgenden Kapitel 4.3 eingegangen. Auch in der neueren Auflage der Informationsbroschüre „L’allemand, passeport pour l’avenir“ wird versucht, den classes bilangues Deutsch/ Englisch den beschriebenen Mehrwert zuzuweisen: „Gleichzeitig Deutsch und Englisch ab der sixième zu lernen, ist ein Trumpf für Ihr Kind. Die Verwandtschaft dieser beiden Sprachen erleichtert und fördert das reziproke Lernen. Es gibt zahlreiche classes bilangues Englisch/Deutsch. Erkundigen Sie sich direkt bei den Schulleitern.“307 Mit dem Verweis, die Schulleiter direkt anzusprechen, sollen diese scheinbar mit einer möglichst hohen Nachfrage konfrontiert werden. Die Problematik der Rolle der Schulleiter im Rahmen der Förderung der deutschen Sprache wird in Kapitel 4.4 detaillierter dargestellt. Auch IP18, der mittlerweile Multiplikatoren und Interessierte in Vorträgen von den „Vorteilen vom Deutschlernen für zukünftige Grundschüler und collège-Schüler“ überzeugen möchte, baut seine Präsentation zentral auf der Grundlage dieses Arguments auf. Am Anfang stellt er die Frage „Welche andere europäische Sprache soll ich zusätzlich zu Englisch für meine Kinder wählen?“, um ihnen „ihr Studium zu erleichtern“ und damit sie „zahlreiche berufliche Möglichkeiten“ besitzen. Die Antwort lautet am Ende der Ausführungen: „Englisch + Deutsch, die Sieger-Kombination“, denn „German is good for my English!“ und „German is good for my future!“ Das Projekt des Bedeutungs-Zuweisens zu den classes bilangues Deutsch/Englisch soll dieser speziellen Kombination also das Image der besten unter den möglichen classes bilangues verleihen. So soll verhindert werden, dass die vor allem aufgrund der classes bilangues ansteigenden

307 „Apprendre en même temps l’allemand et l’anglais dès la sixième est un atout pour votre enfant. La parenté de ces deux langues facilite et renforce leur apprentissage réciproque. Il existe de nombreuses classes bilangues anglaisallemand. Renseignez-vous directement auprès des chefs d’établissement“ (Ministère de l’Éducation Nationale et al. 2009: 6).

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Zahlen Deutsch lernender Schüler wieder drastisch einbrechen und die sich abzeichnende Trendwende nach wenigen Jahren bereits wieder gestoppt wird, wenn die classes bilangues verallgemeinert werden. 4.2.5 Grundlegende Praktiken und Ordnungen der Sprachförderung in der Zusammenschau Mit der Betrachtung der für die Vermittlung der deutschen Sprache zentralen Praktik des Deutsch-Unterrichtens sowie der Praktik des DeutschLernens wurde die detaillierte Beschreibung der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem begonnen. Abbildung 19 skizziert den Zusammenhang der grundlegenden Praktiken und Ordnungen der Vermittlung des Deutschen in Frankreich. Bei der Praktik des Deutsch-Unterrichtens ist vor allem die Veränderung der mit dieser verwobenen Ordnung bedeutend: Die gängige Konzentration auf ein einziges Schulfach führt für die Deutschlehrer zu einer veränderten Geographie des Unterrichtens sowie zu identitätsbezogenen Problemen. Diese beiden Faktoren beeinflussen die teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens negativ. Die Praktik des Deutsch-Lernens hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich verändert. Zunächst gab es in einer ersten Phase die ehemaligen Eliteklassen für gute Schüler, die ihrem Niveau entsprechend sehr grammatiklastig und textbezogen unterrichtet werden konnten. Im Zuge der eingeführten Wahlfreiheit entwickelten sich hieraus Klassen, die von den Eltern strategisch genutzt wurden, um ihre Kinder in guten Klassen unterzubringen. Da sich die Didaktik jedoch nicht geändert hatte, wurden in dieser Zeit ganze Schülergenerationen „massakriert“ (IDIF 2008: 47). In der Folge wurde Deutsch weniger oft gewählt, da die Elterngenerationen ihren eigenen Kindern dieses Fach und dessen Didaktik ersparen wollten. Mit dem Aufkommen der classes bilangues Deutsch/Englisch sind diese zur einzigen Möglichkeit geworden, zwei Sprachen gleichzeitig bereits ab der sixième zu lernen. Da diese vor allem von guten Schülern gewählt wird, entstehen wieder „gute Klassen“. Dennoch wird von den Akteuren befürchtet, dass die erwartete Öffnung der classes bilangues für andere Sprachenkombinationen einer „Katastrophe“ (IP12) für das Fach Deutsch gleichkommt: Die sich durch die Einführung der classes bilangues Deutsch/Englisch abzeichnende Trendwende mit einem Wiederanstieg der

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Anzahl Deutsch lernender Schüler könnte bereits nach wenigen Jahren wieder gestoppt sein und die Schülerzahlen somit wieder drastisch einbrechen. Abbildung 19: Grundlegende Praktiken und Ordnungen der Vermittlung des Deutschen in Frankreich

 Als ein wesentlicher Grund hierfür werden von den Akteuren die Ordnungen der Images der deutschen Sprache, des Deutsch-Unterrichts sowie der Raumsemantiken Deutschlands angeführt. Die deutsche Sprache ist ebenso wie der Deutsch-Unterricht nicht zuletzt als Effekt vergangener Praktiken negativ konnotiert. Dies lässt sich auch für die Raumsemantiken Deutschlands feststellen: Neben dem komparativen Nachteil gegenüber dem „Erlebnis-Mythos“ des „spanischsprachigen Sprachraums“ werden die Raumsemantiken Deutschlands im Rahmen filmbezogener Praktiken sowie

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Praktiken des nationalen Gedenkens stark mit den beiden Weltkriegen, vor allem aber dem Zweiten Weltkrieg, in Verbindung gebracht. Daher versuchen die Akteure im Rahmen der Praktik des Werbens, diese Ordnungen positiv zu beeinflussen. Hierbei sind einige Akteure von der Wirksamkeit rationaler Argumente überzeugt, während andere die Emotionalität – die bei der Praktik des Fremdsprachen-Wählens der Schüler eine große Rolle spielt – mehr in den Vordergrund stellen wollen. Auch zunächst als Innovationen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens vorgestellte Projekte – das Projekt des Ausstellens der certifications sowie die classes bilangues – sind der Praktik des Werbens zuzuordnen, da diese primär der Öffentlichkeit zeigen sollen, dass sich die Praktik des Deutsch-Unterrichtens geändert hat. Insgesamt zielen die verschiedenen Projekte der Praktik des Werbens also auf die Ordnungen der Images und Raumsemantiken ab und haben zum Ziel, diese positiv zu verändern. Im Rahmen der Betrachtung der Praktik des Werbens wurde auch deutlich, dass das praktische Verstehen für eine Verbesserung v. a. des Projekts der Werbekampagnen zwar durchaus vorhanden ist. Als Begründung dafür, dass dieses Projekt nicht entsprechend umgesetzt wird, wurde auf den Konflikt zwischen den Zielen verschiedener Praktiken verwiesen. Dies wird auch eine leitende Frage im nächsten Teilkapitel sein, in welchem die Beschreibung der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich unter Rückgriff auf das Konzept der Communities of Practice fortgeführt wird.

4.3 C OMMUNITIES OF P RACTICE DER S PRACHFÖRDERUNG Mithilfe des Konzepts der Communities of Practice können weitere bedeutende Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich identifiziert werden, die anschließend näher beleuchtet werden. Des Weiteren werden auch Praktiken betrachtet, die direkt auf den CommunityAspekt im Feld der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich abzielen. Schließlich wird auch die in Kapitel 4.2 aufgeworfene Problematik von miteinander in Konflikt stehenden Zielen mittels des Community of Practice-Konzepts analysiert und beantwortet.

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Das Konzept der Communities of Practice Die Sozialanthropologin LAVE und der Lerntheoretiker WENGER prägten im Jahr 1991 den Begriff der Communities of Practice.308 Sie wollten damit den Fokus auf Gemeinschaften legen, die gemeinsam in einer Praktik engagiert sind und diese durch Interaktion weiterentwickeln können. LAVE und WENGER nennen drei zentrale Elemente einer solchen Community of Practice. Das gemeinsame Interessengebiet (shared domain of interest), die Gemeinschaft (community) sowie die Eigenschaft der Mitglieder dieser Community, Ausübende (practitioner) der jeweiligen Praktik zu sein.309 Genauer ausgeführt bedeutet dies: •

• •

Das gemeinsame Interessengebiet „definiert die Identität der Community“310 und bildet somit den Grund für deren Existenz, ihren „raison d’être“311. Die Community bildet den Rahmen des gemeinsamen Lernens,312 für das Interaktion als wesentliches Charakteristikum angesehen wird.313 Die Mitglieder der Community üben das gemeinsame Interessengebiet aus und sind in der Praktik aktiv engagiert; dies unterscheidet eine Community of Practice von einer Community of Interest.314 So könnte zum Beispiel eine Gruppe von Filmfans, die mittels einer Website interagieren, in Bezug zur Praktik des Filme-Produzierens eine Community of Interest bilden; in Bezug auf die Praktik des Filme-Schauens könnte sie aber durchaus als Community of Practice angesehen werden. Die Community wird also durch die Praktik definiert.

Den Begriff der Praktik präzisieren LAVE und WENGER weit weniger ausführlich als etwa SCHATZKI im Kontext der Praxistheorie. So ist für WENGER et al. eine Praktik „ein Set sozial definierter Wege, Dinge auf

308 LAVE & WENGER 1991 309 WENGER et al. 2002: 24ff. 310 „It defines the identity of the community“ (WENGER et al. 2002: 31). 311 Ebd. 312 Ebd.: 28 313 WENGER 2006 314 WENGER et al. 2002: 42

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einem spezifischen Gebiet zu tun“315. Dies widerspricht jedoch nicht dem Praktikenverständnis nach SCHATZKI, sodass in der Folge das Community of Practice-Konzept konsequent mit einem praxistheoretischen PraktikenBegriff gedacht wird, was eine Integration des Konzepts in die Praxistheorie ermöglicht. Das Konzept der Communities of Practice ist insofern hilfreich, da es wesentlich zur Identifizierung von Praktiken beitragen kann. Außerdem ist das Konzept nützlich, da laut DUGUID Communities of Practice die „sozialen Orte, […] den Ort des kontinuierlichen Ringens um ‚Kontinuität und Verdrängung‘“316 darstellen. Die Wortwahl des „kontinuierlichen Ringens um ‚Kontinuität und Verdrängung‘“ scheint im Bereich der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem nach den bisherigen Beobachtungen durchaus angebracht. Allerdings muss das Konzept der Communities of Practice neben dem zugrunde gelegten Praktiken-Begriff noch in einem zweiten Punkt modifiziert werden – und zwar bezüglich der Frage nach Interaktion. In der Folge wird gezeigt, dass man durchaus von einer Community of Practice der Deutschlehrer sprechen kann. Diese Community ist jedoch aufgrund ihrer Akteurszahl von etwa 10.000 Lehrern nicht als interaktionistisch zu verstehen. Wie in diesem Kapitel gezeigt wird, werden die einzelnen identifizierten Communities of Practice als Teil einer umfassenden Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich gesehen, die folglich auch nicht als interaktionistisch angesehen werden kann. Der Aspekt des interaktionistischen Lernens war für LAVE und WENGER aufgrund ihres Forschungsfokus und ihres fachlichen Hintergrunds bedeutend, spielt aber in der vorliegenden Arbeit eine weniger große Rolle. Um das Konzept der Community of Practice für das Feld der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich nutzbar zu machen, wird es daher modifiziert. Hierfür bietet sich das Konzept der Imagined Community im Sinne ANDERSONS an: „Vorgestellt ist [eine solche Community] deswegen, weil die Mitglieder […] die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines

315 „It denotes a set of socially defined ways of doing things in a specific domain“ (WENGER et al. 2002: 38). 316 „Communities of practice represent the social loci […], the site of a continuous power struggle over ‚continuity and displacement‘“ (DUGUID 2008: 4).

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jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“.317 Außerdem wird eine Imagined Community „als ‚kameradschaftlicher‘ Verbund von Gleichen verstanden“318. Aus praxistheoretischer Perspektive ist solch ein „Verbund von Gleichen“ damit zu begründen, dass sich die Akteure in der gleichen Praktik engagieren, die – wie bereits in Kapitel 4.2.1 beschrieben – als deren Beruf zugleich einen zentralen Aspekt ihrer Identität darstellt.319 Einführend soll nun näher betrachtet werden, inwiefern von einer Community of Practice der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem gesprochen werden kann. 4.3.1 Community of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich? Betrachtet man die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem aus der Perspektive des Konzepts der Communities of Practice, so lässt sich zunächst feststellen, dass die in diesen Praktiken engagierten Akteure das erste sowie das dritte Kriterium einer Community of Practice erfüllen: Sie besitzen das gemeinsame Interessengebiet der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich (erstes zentrales Element) und sind auch Ausübende dieser Praktik (drittes grundlegendes

317 ANDERSON 2005: 15; im Bereich der Förderung des Deutschen in Frankreich kann es durchaus Communities of Practice geben, die als interaktionistisch beschrieben werden können. Dies ist jedoch zumindest bei der Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens, also der Community der Deutschlehrer, eindeutig nicht der Fall. Für einige andere Communities kann dies nicht immer eindeutig beantwortet werden. Daher scheint es sinnvoller, von Imagined Communities auszugehen, die in einigen Fällen auch interaktionistisch arbeiten. 318 Ebd.: 16 319 Dies ist aber ebenso wenig wie bei ANDERSON als das Ende jeglicher Individualität zu verstehen. Die „Gleichheit“ ist lediglich für das Engagement in einer gleichen Praktik zu verstehen – selbst wenn zwei Akteure eine Praktik gleich ausführen wollten, ist das Ausführen dieser Praktik, wie bereits in Kapitel 2.2 gezeigt, nie absolut identisch möglich. Außerdem wird jeder der beiden Akteure in einer „einzigartigen“ Kombination von Praktiken engagiert sein, welche die Grundlage der Individualität darstellt.

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Element). Dies ist zugegebenermaßen nicht verwunderlich, da ich meine Interviewpartner aufgrund ihres Expertenwissens exakt wegen dieser Kriterien auswählte. Das zweite fundamentale Element einer Community of Practice, das grundlegende Verstehen eines Gemeinschaftsgefühls, kann allerdings nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Auf die Idee, den Gemeinschaftsaspekt der in den Praktiken der Förderung des Deutschen engagierten Akteure stärker zu berücksichtigen, kam ich durch folgende Aussage von IP21: „Man hat ein bisschen den Eindruck, Teil einer Gemeinschaft zu sein, während das bei Kollegen, die mit anderen Ländern [als Deutschland] arbeiten, absolut nicht der Fall ist. […] Auf jeden Fall hat man – im Geiste, imaginär – das Gefühl, ein bisschen eine eigene Welt zu bilden.“

Zunächst bestätigt IP21 also, dass das grundlegende Verstehen eines Gemeinschaftsgefühls nicht als selbstverständlich angesehen werden kann. Die Beobachtung, dass dies jedoch im Feld der Akteure des Deutschen so sei, machte vieles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt bei meinen Recherchen im Rahmen der Förderung des Deutschen gelernt hatte und lediglich vage fassen konnte, begreifbar: Mithilfe des Community of Practice-Konzepts konnte ich diese Dinge neu überdenken und begrifflich fassen. Wenn von einem praxistheoretischen Community of Practice-Konzept die Rede ist, dann bedeutet dies auch, dass eine Imagined Community eine Ordnung darstellt, die mit Praktiken verflochten ist. Auch wenn dies bei der Praktik des Doing Community am deutlichsten wird (s. Kapitel 4.3.3), tragen viele nicht dezidiert als Teile der Praktik des Doing Community bezeichnete Elemente ebenfalls dazu bei, dass die Community als solche wahrgenommen wird. Diese Grundidee lässt sich mit DEVAULTS Beispiel der Familie illustrieren, die für sie erst durch gemeinschaftliche Praktiken zustande kommt: „A ‚family‘ is not a naturally occurring collection of individuals; its reality is constructed from day to day through activities like eating together“.320

320 DEVAULT 1991: 39

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Welches sind nun im Kontext der vorliegenden Arbeit Praktiken, die die Community of Practice der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem konstituieren? Eine Praktik, auf welche die Akteure des Deutschen wiederholt explizit und implizit verweisen, ist das gemeinsame Verteidigen der deutschen Sprache. IP22 beschreibt dies wie folgt: „Mir scheint, dass die Welt der Leute, die sich ums Deutsche und das Unterrichten des Deutschen dreht, dass die mehr, vielleicht mehr zusammengeschweißt sind, weil sie etwas zu verteidigen haben. Beim Englischen, beim Spanischen ist das doch weniger der Fall.“

Praxistheoretisch kann die Verteidigung des Deutschen als ein übergeordnetes Ziel der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich angesehen werden.321 Interessanterweise scheint die Position als Ausübender von Praktiken der Förderung des Deutschen jedoch eine weitere Legitimation zu benötigen: Ein Akteur der deutschen Sprache sollte nicht nur in den Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem engagiert sein, sondern die Praktik des DeutschSprechens selbst beherrschen. IP22 führt hierzu aus: „Ich war fast immer die Einzige, die nicht deutschsprachig war. Und das ist manchmal schwierig, das ist unangenehm, weil ich mich oft in Sitzungen begeben habe. O.K., es gibt die Übersetzung, aber ich habe mich oft als illegitim betrachtet. […] Es gibt übrigens Franzosen, die mich das haben spüren lassen, […] z. B. die erste Person, mit der ich hier gearbeitet habe.“

Während die Praktik des Deutsch-Sprechens als ein Element der Zugehörigkeit zur Community of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich angesehen werden kann, verweist der Begriff der „Verteidigung“ darüber hinaus auf eine Abgrenzung. Für diese Abgrenzung ist ein konstitutives Anderes außerhalb der Community of Practice der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich nötig. Auf dieses konstituierende Andere verweist z. B. IP3:

321 Sehr oft wird das übergeordnete Ziel der Verteidigung des Deutschen an den Prozentanteilen Deutsch lernender Schüler festgemacht, sodass Letzteres lediglich die quantitative Transformation dieses Ziels darstellt.

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„Diese Politik zugunsten des Deutschen beruht auf dem Prinzip der positiven Diskriminierung. Und damit sind die anderen Sprachen nicht einverstanden. Sie sagen: ‚Warum die und nicht wir?‘ Das ist eben der Vorteil der deutsch-französischen Politik. […] Auf uns wird mit dem Finger gezeigt. Das schafft Ressentiments, Eifersüchteleien und das ist nicht immer einfach.“

Auch IP21 spricht davon, dass „man uns oft mit ein bisschen Neid, […] manchmal aber auch ein bisschen Gereiztheit“ betrachtet, die zu der „Notwendigkeit einer großen Gemeinschaft“ führe, „gerade da wir uns verteidigen“. In Anlehnung an BILLIG, der sogenannte „deiktische322 Wörter“ – wie z. B. „ich“, „Du“, „wir“, „hier“ oder „jetzt“ – als grundlegend für die Konstruktion von Nationalismus auf einer alltäglichen Ebene ansieht,323 kann das von IP3 und IP21 benutzte „uns“ als alltägliche Konstruktion bzw. (Re-)Produktion der Community of Practice der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich betrachtet werden. Während BILLIGS „kleine Worte [...] wesentliche Komponenten dieser routinehaften Deixis“324 darstellen, sind sie in der Terminologie der Praxistheorie als Äußerungen zu verstehen. Äußerungen stellen, wie in Kapitel 2.2 gesehen, gemeinsam mit Taten die kleinsten Elemente von Praktiken dar. Im Kontext der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich werden in zahlreichen Äußerungen die Grenzen dieser Community of Practice reproduziert, auf die von außen „mit dem Finger gezeigt“ wird. Das konstituierende Andere sind in diesem Fall v. a. die Spanischlehrer, wie z. B. IP22 erklärt: „Als wir den plan de relance des Deutschen fertig hatten, hat das bei den Spanischlehrern eine Art Feindseligkeit provoziert; es wurden Flugblätter gegen den plan de relance verteilt, […] und ich erinnere mich besonders an eines gegen das Deutsche, gegen die Anstrengungen, die für das Deutsche unternommen wurden, die ich total

322 „Deixis“ ist die verweisende Funktion von Wörtern: „Durch die Deixis kann innerhalb des unmittelbaren Sprechzeitraumes verwiesen werden auf dessen konstituierende Elemente, den Sprechort (deutsch ‚hier‘), auf die Sprechzeit (deutsch ‚jetzt‘) sowie Gegenstände und Objekte im Interaktionsraum (deutsch ‚dieser‘, ‚dieser hier‘, ‚dieser da‘, ‚der‘ usw.)“ (EHLICH 2007: 12). 323 BILLIG 1995: 106 324 „The little words – mostly overlooked – are crucial components in this routine deixis“ (ebd.: 11).

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ungerecht fand. Das fand ich wirklich nicht sehr sportlich, denn das Spanische ist nicht durch das Deutsche bedroht.“

Auch hier sind wieder deiktische Äußerungen festzustellen, welche die Community of Practice (re-)produzieren: „wir“ als die Akteure der Förderung des Deutschen auf der einen Seite, „die Spanischlehrer“ als das konstituierende Andere außerhalb dieser Community of Practice. Es lassen sich sogar Praktiken feststellen, die außerhalb der Community ausgeübt werden und damit zur Konstitution der Community of Practice der Förderung des Deutschen beitragen: Die Spanischlehrer verteilen Flugblätter gegen die Förderung des Deutschen. Wie bereits in Kapitel 4.2.1 erläutert, wird diese Abgrenzung der Community of Practice der Förderung des Deutschen von den Spanischlehrern dadurch erleichtert, dass Lehrer in Frankreich in der Regel nur ein Fach unterrichten. Die ebenfalls zuvor erwähnte Tatsache, dass die Wahl im schulischen Fremdsprachensystem – nachdem Englisch als notwendige Fremdsprache angesehen wird – bei der zweiten Fremdsprache sehr oft zwischen Spanisch und Deutsch stattfindet, vereinfacht diese Grenzziehung. Grenzziehungen sind jedoch nicht immer so eindeutig, wie es zwischen der Community of Practice der Förderung des Deutschen und den Spanischlehrern scheinbar der Fall ist. Dies wird im Folgenden zunächst am Beispiel meiner eigenen Positionierung relativ zur Community of Practice der Förderung des Deutschen gezeigt, bevor schließlich die Homogenität dieser Community of Practice hinterfragt und aufgebrochen wird.

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Meine Positionierung in Bezug zur Community of Practice der Förderung des Deutschen

Meine eigene Position gegenüber der Community of Practice der Förderung des Deutschen schien nicht immer ganz klar, wie IP23 ausführt: „Ich glaube, das ist genau das Problem, weil – ich spreche jetzt mal für uns Aktivisten hier in Frankreich –, dass wir zum Teil auch nicht wissen, ja genau, wo im Prinzip wir Dich einordnen sollen. Bist Du jetzt jemand von uns oder bist Du jetzt jemand von außerhalb, dem man nicht alles erzählen kann?“

Diese Äußerungen zeigen die Schwierigkeit, die IP23 hat, mich dem „uns“ oder dem „außerhalb“ zuzuschreiben. Das Abgleichen meiner eigenen Position mit dem Community of Practice-Konzept zeigt, dass ich durch meine Doktorarbeit das gleiche Interessengebiet wie die Akteure des Deutschen besitze (erstes Kriterium einer Community of Practice). Meine Aufenthalte und die Teilnahme an verschiedenen Messen, Kolloquien, Tagungen etc. führten zu einer zunehmend intensiven Interaktion mit den verschiedenen Akteuren der Förderung des Deutschen, die mit fortschreitender Aufenthaltsdauer vor Ort sowie dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Bekanntschaften und Freundschaften als eine Inklusion in die Community of Practice der Förderung der deutschen Sprache angesehen werden könnte (das zweite grundlegende Element einer Community of Practice). Die Frage, ob ich selbst aktiv die deutsche Sprache verteidige, muss mit dem Verweis auf die vorliegende Arbeit beantwortet werden: Die Tatsache, dass ich über die Situation der deutschen Sprache in Frankreich eine zu publizierende wissenschaftliche Arbeit verfasse, kann nicht als bedeutungslos angesehen werden. Zumindest in der Wahrnehmung der Akteure vor Ort schien dies ein Beitrag zur Verteidigung der deutschen Sprache zu sein. Schließlich war offensichtlich mein Deutsch-Sein, das nicht zuletzt die Beherrschung der im Zentrum der Bemühungen der Praktiken der Förderung stehenden deutschen Sprache beinhaltet, für die Akzeptanz als zumindest in

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der Nähe der Community of Practice Befindlicher wesentlich.325 Als Beleg für die Inklusion in die Community of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich könnte z. B. die Reaktion eines Akteurs gesehen werden, der auf meine Bitte um eine Einschätzung einer meiner Interpretationen sagte: „Das bleibt aber unter uns!“ In diesem Kontext ist ebenfalls erwähnenswert, dass mir ein regionaler Deutsch-inspecteur während eines Interviews einen Job als (Aus hilfs-)Deutschlehrer in Frankreich anbot.

Es wäre nicht zutreffend, die Community of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich als homogen anzusehen. Vielmehr ist sie eine Community of Communities of Practice, wie IP21 erklärt: „Es gibt eine Community in jeder …, also die Leute, die im Deutsch-Französischen arbeiten, sind zahlreich – in mehreren Ministerien, in mehreren Institutionen, mehreren Organisationen etc. Die kennen sich im Allgemeinen, also, es gibt also die, und dann gibt es eine Community von Communities, d. h. zwischen den beiden Ländern hat sich eine Verbindung herausgebildet, das ist ein Netzwerk, eine Art Netzwerk.“

Die Grenzen dieser großen Community of Communities, des „DeutschFranzösischen“, sind nicht immer klar zu definieren. Manchmal, in einer engen Abgrenzung, scheint es sich lediglich um die Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem zu handeln, es kann aber weiter gefasst auch die Akteure der Förderung der französischen Sprache im deutschen Bildungssystem umfassen; in einer noch weiteren Abgrenzung umfasst „das Deutsch-Französische“ in beiden Ländern in kulturellen und bildungspolitischen Praktiken engagierte Akteure.

325 Mein „Deutsch-Sein“ erschwerte mir möglicherweise andererseits auch den Zugang zu Akteuren der Förderung des Spanischen in Frankreich: Meine Versuche, mit diesen Interviews zu führen, blieben meiner Meinung nach aus diesem Grund gänzlich erfolglos – obwohl ich aus meiner Sicht keine „interkulturellen Fehler“ beging (s. Exkurs „Interkulturalität aus Sicht der Akteure der deutschen Sprache in Frankreich“ auf Seite 232) und außerdem nicht von einer Arbeit über die deutsche Sprache, sondern über Fremdsprachen insgesamt im französischen Bildungssystem sprach.

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In der vorliegenden Arbeit wird – sofern nicht explizit von den Akteuren „das Deutsch-Französische“ angesprochen wird – von der Community of Communities of Practice der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem die Rede sein. Im Zentrum stehen also immer die Praktiken, welche den Existenzgrund, den raison d’être der Community of Practice darstellen. Durch die zentrale Fokussierung auf Praktiken hat das Konzept der Community of Practice gegenüber einer von institutionellen Grenzen ausgehenden Perspektive einen wesentlichen Vorteil: Communities of Practice können, wie BROWN und DUGUID feststellen, quer zu institutionellen Grenzen liegen, da sie „emergent sind, d. h. ihre Gestalt und Mitgliedschaft entsteht im Prozess der Aktivität“.326 Den raison d’être der Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens der Deutschlehrer stellt damit die zentrale Praktik des DeutschUnterrichtens dar, der Existenzgrund der Community of Practice des Werbens liegt in der Praktik des Werbens etc. Diese Communities of Practice besitzen aufgrund ihrer jeweiligen Praktiken Ziele, die sich von den Zielen anderer Communities of Practice innerhalb der Förderung des Deutschen in Frankreich unterscheiden. Inwiefern die jeweiligen Ziele der einzelnen Communities of Practice mit dem übergeordneten Ziel der Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich in Konflikt treten können, wird eine zentrale Frage dieses Kapitels sein. Wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben, ist das Individuum praxistheoretisch als der „einzigartige Kreuzungspunkt von Praktiken“327 zu verstehen. Das bedeutet, dass ein Individuum verschiedenen Communities of Practice angehören kann, die ihre jeweiligen Praktiken als Existenzgrund besitzen. IP3 beschreibt diese relationale Zugehörigkeit aus seiner Sicht, nachdem ich ihn auf die Abgrenzung mittels Taten wie etwa das Mit-dem-Fingerauf-die-Deutschlehrer-Zeigen v. a. durch die Spanischlehrer anspreche: „Nichtsdestoweniger haben wir Deutschlehrer eine wichtige Rolle inmitten der anderen Sprachen, denn wir haben gerade oft eine Pionier-Funktion, wofür wir auch

326 „And significantly, communities are emergent. That is to say their shape and membership emerges in the process of activity“ (BROWN & DUGUID 1991: 49). 327 „[…] the individual is the unique crossing point of practices” (RECKWITZ 2002: 256).

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anerkannt sind. Folglich, in der Gruppe der lebenden Sprachen sind wir dennoch sehr präsent und wir haben einen Platz und verorten uns perfekt in dieser intellektuellen Community. Auch wenn es Konkurrenz zwischen Sprachen gibt. Das hindert einen nicht. Ich, ich fühle mich als Lehrer der lebenden Sprachen und gleichzeitig als inspecteur der lebenden Sprachen. Vielleicht ein bisschen mehr als Deutschlehrer, das hängt von den Umständen ab. […] Es ist offensichtlich, dass ich vor Deutschlehrern Deutschlehrer bin. Wenn ich ein Publikum aller Sprachen hätte, würde ich mich nicht als Deutschlehrer vorstellen. Es hängt also von den Umständen ab. Ich würde auch nicht die gleiche Rede halten. […] Das macht keinen Sinn. […] Aber das ist eine wirkliche intellektuelle Community. Und dann ist da noch das Ministerium, das ist meine Funktion.“

IP3 positioniert sich also „von den Umständen“ abhängig erstens in der Community of Practice der Deutschlehrer, zweitens in der Community of Practice der Sprachlehrer allgemein und drittens in der Community of Practice der Ministerialbeamten.328 Alle drei Communities of Practice gehören zwar der gleichen Institution an: dem französischen Bildungsministerium. IP3 zieht jedoch die Grenze der jeweiligen Community of Practice nicht in Bezug zur Institution, sondern offensichtlich an den Praktiken orientiert. Dies wird am deutlichsten, wenn er bei der Abgrenzung seiner CommunityZugehörigkeit davon spricht, dass „da noch das Ministerium“ ist: Hier grenzt er offensichtlich die Verwaltungs-Praktiken seines Berufs als inspecteur von den eher pädagogischen Praktiken dieses Berufs ab. Der Aspekt der Verwaltungs-Praktiken im Kontext der Praktiken der Förderung des

328 Eine solche relationale Positionierung klingt zunächst nicht neu: So weist ESCHER darauf hin, dass er je nach Kontext bzw. je nach Gegenüber – sein Sohn, wissenschaftliche Kollegen, sein Lehrer – eine andere Begründung für die Praktik des Reisens gebe (ESCHER 1997: 23). Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Imagined Communities in Anlehnung an ANDERSON sehr oft nicht relational gelesen werden, sondern vielmehr als klar voneinander abgrenzbare, v. a. an nationalen Grenzen festgemachte Communities, ist der relationale Gedanke aber doch keineswegs selbstverständlich. Diese Diskussion könnte von der Beschäftigung der Diaspora-Forschung mit dem Gedanken des Transnationalismus profitieren, bei dem nationale Zugehörigkeiten von „Flexibilität“ geprägt sind und als „strategisches Element“ betrachtet werden können (ESCHER 2006: 61).

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Deutschen in Frankreich findet im Folgenden in Kapitel 4.4 ausführliche Behandlung. Wie an früherer Stelle bereits angedeutet, wird das Konzept der Communities of Practice im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zuletzt dazu genutzt, Praktiken im Bereich der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich ausfindig zu machen. Einen ersten Ansatz für die Suche nach unterschiedlichen Communities und deren zentrale Praktiken bietet folgende Aussage von IP22, in der er zwei Communities of Practice voneinander abgrenzt: „Das Problem ist, es ist gut, einen plan de relance zu schreiben, aber danach muss getan werden, was im plan de relance geschrieben ist. So. Das ist das Problem. Die Dinge zu tun. […] Ich will jetzt nicht sagen, dass ich gleich lache, aber ich sage mir, die Leute, die nur auf der Ebene des plan de relance sind und die denken, wenn der plan de relance geschrieben ist, ‚Geschafft‘ [klatscht in die Hände], ‚Alles ist getan‘. Das ist unseriös. Danach muss getan werden, danach muss getan werden.“

Auf der Basis dieser Aussage ist es möglich, die Community of Practice derer, die „nur auf der Ebene des plan de relance sind“, von denen abzugrenzen, die Dinge „tun“. Die Akteure, welche in die Erstellung des plan de relance involviert sind, werden auf „der politischen Ebene“ (IP21) verortet; als ein „Gegenpol“ zu diesen wird die Community of Practice der Lehrer „vor Ort“ wahrgenommen, wie beispielhaft IP21 erläutert: „Zwischen vor Ort, den Lehrern, und der politischen Ebene kann es zu Spannungen kommen. Was wir gestern z. B. gehört haben, d. h. es gibt einen politischen Diskurs, schöne Worte, schöne Ideen, schöne Verlautbarungen und dann vor Ort … [zieht die Luft ein].“

Die von der „politischen Ebene“ verkündeten „schönen Verlautbarungen“ – z. B. die Ankündigung des plan de relance – helfen aber allein nicht weiter, da es wichtig ist, diese Dinge zu konkretisieren, „die Dinge zu tun“. Als vermittelnde Instanz kann eine operationalisierende Community of Practice gesehen werden, welche die Verlautbarung, das „Wort“ in die „Tat“ übersetzt, wie IP6 erklärt: „Das war auch ganz wichtig zu sagen: ‚Hier steht das Wort von der Erklärung des 40. Jahrestages [des Élysée-Vertrages] und wir haben das Schritt für Schritt abgear-

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beitet.‘ Ja, es gab das Kolloquium in Sèvres

329

, dann hatten wir darauf aufbauend

den plan de relance mit Werbemaßnahmen, und der plan de relance als solcher ist eben auch nicht nur Wort, sondern wird umgesetzt durch die classes bilangues, durch die Anerkennung der Abschlüsse, durch die Zertifizierung der Sprachkenntnisse. […] Ich hatte da so eine Welle erwischt, wo wirklich vom Wort bis dann schon ins Kleinteilige die Tat gefolgt ist.“

Es scheint folglich möglich, drei Communities of Practice auszumachen: Erstens eine Community of Practice des Politischen, zweitens eine Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens der Lehrer „vor Ort“ sowie drittens die Akteure des Deutschen einer vermittelnden Community of Practice des Operationalisierens. Während die Community of Practice des Politischen von den Akteuren des Deutschen mit dem „Wort“, der Verlautbarung konnotiert ist, wird die Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens in die Nähe der „Tat“ gerückt, was auch eine gewisse „kognitive Distanz“330 zum Ausdruck bringt. Diese kognitive Distanz wird von der vermittelnden Community of Practice des Operationalisierens durch eine Übersetzungsarbeit überbrückt: Das „Wort“, die „schönen Verlautbarungen“ werden auf dieser Ebene in konkrete Maßnahmen übertragen, die „vor Ort“ in die Tat umgesetzt werden können. Zusätzlich werden die „Taten“ der 10.000 Lehrer „vor Ort“ jedoch in regelmäßigen Abständen in ihrer Komplexität reduziert, in Statistiken übersetzt und mittels interner oder öffentlicher Berichte aufgezeigt, welche Konsequenzen die umgesetzten Verlautbarungen nach sich gezogen haben. Bevor auf diese beiden identifizierten Praktiken näher eingegangen wird, werden zunächst zwei Praktiken betrachtet, die direkt auf den Community-Aspekt des Feldes der Praktiken der Förderung des

329 In Sèvres fand am 6. und 7. Oktober 2003 das Deutsch-Französische Seminar über die Partnersprachen statt. Das Treffen trieb die Umsetzung der Erklärung des französischen Präsidenten Chirac und des deutschen Bundeskanzlers Schröder anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2003 voran. 330 Der Begriff der „kognitiven Distanz“ wird durchaus von Autoren verwendet, die das Konzept der Communities of Practice benutzen (s. z. B. NOTEBOOM 2008; COHENDET & SIMON 2008).

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Deutschen in Frankreich abzielen: Die Praktik des Rekrutierens v. a. neuer Schüler sowie die Praktik des Doing Community. 4.3.2 Die Praktik des Rekrutierens Das übergeordnete Ziel der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem ist die Steigerung der Zahl der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler. Dies bedeutet aus der Perspektive einer Community of Practice vor allem, Schüler für diese Praktiken zu „rekrutieren“. So ist etwa die bereits beschriebene Praktik des Werbens zentral darauf ausgerichtet, Schüler für die Community of Practice des Deutsch-Lernens anzuwerben. Während die Orientierung an den abstrakten Zahlen der Prozentwerte eine gewisse Konstanz suggerieren könnte, wird aus der Community of Practice-Perspektive deutlich, dass es sich um verschiedene Jahrgänge von Schülern handelt, die immer wieder neu rekrutiert werden müssen – die Community ist folglich „nicht in Stein gemeißelt und nicht für die Ewigkeit“ (IP6). Laut IP12 habe etwa das Goethe-Institut den Fehler begangen zu denken, „Frankreich sei nun gut“, als es „in China oder in Indien [Institute] öffnete“ und die Anzahl der Goethe-Institute in Frankreich reduzierte: Für die global denkenden Verantwortlichen wäre „Marseille nur ein Name auf einer Karte“ gewesen – dies sei jedoch ein „permanenter Kampf, das ist überhaupt nicht stabilisiert“ (IP12). Anders formuliert: Die Konstanz der Zahlen habe wohl darüber hinweggetäuscht, dass man „immer wieder neu anfangen“ (IP12) müsse. Viele Akteure der Förderung des Deutschen verbinden die Praktik des Rekrutierens im französischen Bildungssystem mit dem weiteren Kontext der deutsch-französischen Zusammenarbeit insgesamt. So habe etwa das wachsende Interesse an anderen Weltregionen dazu geführt, „dass man [Deutsche und Franzosen] sich vielleicht in manchen Dingen fremder geworden ist: […] Also, die das nach dem Krieg betrieben haben, das sind alte und immer älter werdende Leute und da fehlt es ein bisschen an Nachwuchs, das ist ein echtes Problem“ (IP8). Im Kontext der Förderung der deutschen Sprache wird dies mit der Frage rückgebunden, wie man Schüler heutzutage motivieren könnte, sich für Deutsch und Deutschland zu interessieren und sich in der Praktik des Deutsch-Lernens zu engagieren. Denn, wie bereits erwähnt, locke man mit dem „Aussöhnungsgedanken“ „nie-

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manden mehr hinter dem Ofen vor, nicht in der jungen Generation“; die „institutionalisierten deutsch-französischen Beziehungen, das ist teilweise ein wenig in die Jahre gekommen […] weil wir da Leute haben, die unheimlich viel getan haben, die auch brillant waren, aber leider inzwischen teilweise auch die Spitze ihrer Schaffenskraft überschritten haben“ (IP7). Die Praktik des Rekrutierens ist folglich bei Weitem nicht auf das Rekrutieren neuer Schüler beschränkt, sondern umfasst nicht zuletzt auch das Gewinnen zukünftiger Deutschlehrer, wie noch ausgeführt werden wird. Jedoch ist die Anzahl der Schüler wichtig, da es „um Marktanteile [geht], darum, sich Marktanteile zu sichern, auch Stellen zu halten“ (IP10). Sinkende Zahlen von in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schülern bedeuten zunächst einmal, dass „die Verwaltung [sagt]: ‚Es will ja gar keiner Deutsch machen, also nehmen wir auch in die CAPES keine Leute mehr für Deutsch‘“ (IP16), d. h. die Zahl neu eingestellter Deutschlehrer wurde drastisch reduziert. Dadurch entwickelte sich die Alterspyramide der Deutschlehrer, wie in Kapitel 4 dargestellt, dementsprechend, dass sie im Rahmen der Praktik des Fremdsprachen-Wählens – nicht zuletzt aufgrund der Fixierung auf einen Deutschlehrer pro collège – oft als ein großes Problem, „was die Attraktivität für die Schüler angeht“ (IP16), gesehen wird. Geringe Erfolge der Praktik des Rekrutierens neuer Schüler führen also zu einer Reduzierung des Angebots neuer Deutschlehrerstellen, was wiederum Auswirkungen auf die Praktik des Rekrutierens hat. Neben dieser Reduzierung des Angebots neuer Deutschlehrerstellen sieht IP5 jedoch auch aufseiten der Nachfrage an Deutschlehrerstellen ein Problem, das somit ebenso in den Bereich der Praktik des Rekrutierens (neuer Deutsch-Studierender) fällt: „Weil niemand mehr Deutsch studiert: Die Lehramtsstudienzahlen gehen insgesamt sehr stark zurück und vor allem auch für Deutsch. […] Was das aber bedeutet mittelfristig für den Spracherwerb des Deutschen in Frankreich, das ist ja eine mittlere Katastrophe: Weil wir versuchen jetzt gerade die Leute zu motivieren, die Sprache zu lernen, und wenn sie aber nachher nicht mehr das Angebot haben, weil es keine Lehrer mehr gibt, geht ja alles, was wir machen, also sozusagen auf der Nachfrageseite, ins Leere. […] Als Darcos331 angetreten ist, hat er noch darüber geklagt, dass so viele Deutschlehrer da seien, viel zu viele. Und im Mittelfristigen haben wir

331 Xavier Darcos war von 2007 bis 2009 französischer Bildungsminister.

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genau das gegenseitige Phänomen, dass wir einen Mangel haben an Deutschlehrern. […] Letztendlich ging das ja so als Parole aus dem Bildungsministerium: ‚Nur ein toter Deutschlehrer ist ein guter Deutschlehrer‘. Und das war natürlich ein klares Signal, wir haben so und so viel tausend Deutschlehrer zu viel in der Republik, da wusste man: ‚Wir brauchen jetzt nicht Deutsch zu studieren‘. Ich meine, diese Phänomene haben wir immer wieder, also über Jahrzehnte, betrachtet: Es gibt zu viele, dann studiert es keiner, dann sind wirklich auch Leute arbeitslos, dann studiert es keiner mehr, dann fehlen sie – diese Zyklen gibt es immer wieder. Aber ja, mal schauen, dass zumindest die deutsche Sprache attraktiv genug bleibt, dass man auch genug Leute findet, also nicht nur, die sie lernen in der Schule, sondern auch die sie lehren wollen.“

Deutsch ist vom allgemeinen Mangel an Lehrkräften in Frankreich besonders betroffen, da hier eine überalterte Lehrerschaft auf die Angebotsausweitung durch die classes bilangues trifft, während offiziell verkündet wird, es gebe zu viele Deutschlehrer. Auch wenn IP5 die Situation mit dem Verweis auf die Zyklen von Angebot und Nachfrage relativiert (dieser Planungsaspekt administrativer Praktiken wird in Kapitel 4.4.4 ausführlicher beschrieben), scheint die Situation der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem aufgrund der Gleichzeitigkeit verschiedener Entwicklungen prekär. Ein spezielles Problem des Deutschen liegt in der besonderen, mit der Praktik des Deutsch-Lernens verwobenen Ordnung begründet – den „Eliteklassen“ (IP13), wie IP2 ausführt: „Das ist das Problem der ‚guten Klassen‘, d. h. diejenigen, die Deutsch machen, sind überall gut“. Außerdem führe das Angebot deutsch-französischer integrierter Studiengänge dazu, dass man ein Fach auf Deutsch und Französisch mit einem deutschen und französischen Abschluss studiere, aber „man nicht studiert, um Deutschlehrer zu werden“ (IP2). Wie gesehen, sind auch die negativen Veränderungen der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des DeutschUnterrichtens neben dem kommunizierten Überangebot an Deutschlehrern ein Faktor, der das Rekrutieren neuer Deutschlehrer erschwert. Diese Änderungen der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des DeutschUnterrichtens sollen jedoch nicht zuletzt durch die Praktik des Doing Community aufgefangen werden – welche im Folgenden nun genauer betrachtet wird.

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4.3.3 Die Praktik des Doing Community Wie bereits dargestellt, führt die sinkende Anzahl Deutsch lernender Schüler zu einer Veränderung der mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verwobenen Ordnung: War früher ein Deutschlehrer an einer einzigen Schule tätig, so ist es heute zunehmend der Fall, dass er sein Lehrdeputat nur durch das Unterrichten an zwei oder sogar drei collèges erfüllen kann. Diese veränderte Ordnung hat auch Community-bezogene Auswirkungen, wie IP1 beschreibt: „Das bedeutet, dass die Kollegen ihn [den Deutschlehrer] viel seltener sehen. Das heißt, wenn du willst, dass er oft nur vier Regruppierungen von Schülern hat – weil man die [Schüler, welche die classes bilangues belegen] nicht alle in die gleiche 332

Klasse steckt, was bedeutet, dass der Lehrer nicht in allen conseils de classe

anwesend sein kann, dass er nicht mehr die gleichen Schüler wie viele andere Kollegen hat, sondern nur noch mit einigen Kollegen. Er hat nicht einmal die gleiche Gruppe Schüler wie die anderen Lehrer, denn die Englischlehrer [der classes bilangues Englisch/Deutsch] haben nicht die gleiche Gruppe. Die anderen Lehrer haben nicht die gleiche Klasse wie er. Folglich sieht er sich bei vielen Dingen komplett isoliert. Und darüber hinaus fährt er zwei, drei Mal die Woche in ein anderes collège, er hat vielleicht keine Zeit, vor Ort zu essen, am anderen collège ist er vielleicht auch ganz allein, da muss er auch was organisieren [wie einen Schüleraustausch oder den Deutsch-Französischen Tag]. Folglich verbringt er seine Zeit mit Fahrten zwischen den Schulen, er ist weniger sichtbar, weniger bekannt, er hat weniger Gemeinsamkeiten mit seinen Kollegen und daher sieht er sich sehr schnell

332 Die conseils de classe [„Klassenräte“] bestehen aus den Lehrern einer Klasse, einem Vertreter der Schulleitung, Schülervertretern sowie Elternvertretern. Sie kommen einmal im Trimester zusammen, um mit den zuvor eingereichten Durchschnittsnoten und den sonstigen Einschätzungen und Kommentaren der Lehrer die Schulzeugnisse festzulegen. In einem conseil de classe wird unter Leitung des Klassenlehrers zunächst über die Klasse allgemein gesprochen, dann können Schüler und Eltern Fragen stellen, abschließend wird über jeden Schüler einzeln diskutiert. Da die Schüler für die Praktik des Deutsch-Lernens in der speziellen Ordnung der classes bilangues regruppiert werden, haben v. a. die Deutschlehrer Probleme, bei allen conseils de classe, die ihre Schüler betreffen, anwesend zu sein (IP1).

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wirklich isoliert. Auch wenn er versucht, sich zu engagieren, klappt das weniger gut, weil es weniger Gemeinsamkeiten gibt. Schließlich hat er weniger Präsenz an der Schule, und besonders in Frankreich ist es so, dass du, wenn du nicht mit deinen Kollegen isst, nicht existierst.“

Da die Deutschlehrer aufgrund der veränderten Ordnung immer häufiger nicht an der gemeinschaftskonstituierenden Praktik des Mittagessens teilnehmen können, werden sie zunehmend oft nicht mehr als Teil der Community of Practice des Unterrichtens der Lehrer einer Schule wahrgenommen und sind folglich immer öfter isoliert. Wie beschrieben, führt das Unterrichten eines einzigen Faches in Frankreich zu einer sehr starken Identifizierung mit diesem Fach und damit verbunden auch zu einer starken Abgrenzung von den Lehrern anderer Fächer – wie am Beispiel der Deutschlehrer gegenüber jenen der in der Praktik des Spanisch-Unterrichtens Engagierten zu sehen ist. Die Isolation wurde bereits im Kontext der Praktik des Deutsch-Unterrichtens (s. Kapitel 4.2.1) als eine wesentliche Quelle der negativen Veränderung der teleoaffektiven Strukturen dieser Praktik dargestellt. Diese Verschlechterung der teleoaffektiven Strukturen kann einerseits zu einem militanten Engagement führen, das beispielsweise anhand des großen freiwilligen Engagements im Projekt des Ausstellens der certifications oder im Projekt des Schüleraustausches abzulesen ist. Andererseits kann eine über einen längeren Zeitraum andauernde negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen dieses Engagement auch gefährden. Daher stellt ein Ziel der Community of Practice des DeutschUnterrichtens die Re-Etablierung der Ordnung dar, die es einem Lehrer ermöglicht, die Praktik des Deutsch-Unterrichtens an einem einzigen Ort durchzuführen. Dieses Ziel ist sehr eng mit dem übergeordneten Ziel der Steigerung des Anteils der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler verknüpft: Lediglich ein Ansteigen der Deutschlernerzahlen würde dazu führen, dass die Lehrer ihr Lehrdeputat an einer einzigen Schule erfüllen können. Bis es aber auf diese Art „sichtbar“ (IP3) sein wird, versuchen verschiedene Akteure der Förderung des Deutschen, die Moral v. a. der in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens Engagierten zu heben, indem sie die positiven Aspekte der Entwicklung der letzten Jahre hervorheben. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil einer „gemeinschaftlichen Kommunikation“, wie es IP3 ausdrückt, deren Zweck er folgendermaßen ausführt:

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„Weil die [Deutschlehrer] ganz allein vor Ort in ihrem collège oder ihrem lycée, denen ist das nicht immer bewusst, man muss ihnen diese Informationen bringen. Denn für einen Deutschlehrer ist das Leben nicht immer einfach. Daher haben sie die Tendenz, z. B. gehen in ihrem lycée die Schülerzahlen weiter zurück, ein bisschen, und sie denken sich, dass es für das ganze Fach so aussieht. Daher müssen die lycée-Lehrer erfahren, dass im collège die Schülerzahlen steigen. Um ein vereinigendes Image des Faches zu liefern, wo jeder nur eine individuelle Perspektive hat.“

IP3 ist also einer jener Akteure, welche die positiven Entwicklungen des Faches herausstellen: „Jedes Mal, wenn ich Deutschlehrer treffe, ist das eine Botschaft, die ich systematisch verbreite“. Als Begründung hierfür nennt er die negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens – die Beunruhigung der Deutschlehrer. Diese wurde bereits im Rahmen der Darstellung dieser Praktik mithilfe der Ausführungen von IP13 beschrieben, der davon sprach, dass während des Projekts des Sich-Fortbildens „alle Lehrer anfingen, sich über ihre Alltagssituation zu beschweren“ und die „ganze Veranstaltung gekippt sei“, sodass am Ende jeder „so deprimiert“ gewesen sei, „dass man jemanden gebraucht hätte, der Prozac verteilt“. Wenn auch weniger drastisch, so schildert auch IP3, dass diese Beunruhigung eine Veränderung der Praktiken der Förderung des Deutschen mit sich bringe: „Denn wenn Sie ein Treffen mit Deutschlehrern über irgendein Thema haben, können Sie dieses Thema erst nach 20 Minuten angehen, die Sie mit diesen Fragen verbracht haben. Denn die Deutschlehrer sind beunruhigt, sie sind beunruhigt. Denn in der Tat ist ihr Alltag nicht immer einfach. Die collège-Lehrer sind oft, bedauerlicherweise immer häufiger, mindestens an zwei collèges. Weil sie kein komplettes Lehrdeputat an einem collège haben. Das ist nicht einfach. Wie wird sich nun ein collège-Deutschlehrer in einer solchen Situation fühlen? ‚Vorher hatte ich ein komplettes Lehrdeputat, jetzt habe ich nur noch eins an zwei Schulen.‘ Folglich wird er also das Image eines im Rückgang befindlichen Faches bestätigt sehen. Daher muss man Gegen-Images liefern.“

Ein wesentlicher Ort, an dem diese Botschaft transportiert wird, ist der Deutschlehrertag. Dieser ist „das einzige Forum, wo sie [die Deutschlehrer] alle zusammenkommen können, […] ein Forum der Begegnung vor allem“ (IP15). Auch das Projekt des Deutschlehrertages hat sich mit der Situation

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des Deutschen in Frankreich verändert: Nachdem das Anliegen der Deutschlehrertage „am Anfang“ war, „neuen Wind in den Unterricht reinzubringen“, geht es mittlerweile – „als es dann um Stellen ging und um das Deutsche und um die Schülerzahlen“ – vor allem darum, „die Lehrer zu motivieren und zu bestärken“ (IP15). Während eines regionalen Deutschlehrertages333 in Lille konnte ich die Vermittlung dieser Botschaft beobachten: IP3 hielt einen sehr stark auf Statistiken zurückgreifenden Vortrag zur Situation der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem. Am Ende seiner Präsentation zeigte er dann jedoch zwei Bilder von Caspar David Friedrich – „Das Eismeer“ und „Auf dem Segler“334 –, während er Folgendes sagte: „Voilà, [er muss neu beginnen, da das Publikum – etwa 70 Deutschlehrer – angesichts des Bildes ‚Das Eismeer‘ (s. Abbildung 20) sehr unruhig geworden ist], voilà, zum Schluss wollte ich Ihnen sagen, dass wenn wir es geschafft haben, den Untergang abzuwenden, der uns vorhergesagt wurde – das Eismeer –, um einen Blick zu neuen Ufern zu haben [nun zeigt er das Bild ‚Auf dem Segler‘ (s. Abbildung 21), und zahlreiche ‚Ahs‘ und ‚Ohs‘ sind zu vernehmen, als die Lehrer seine Botschaft verstehen], ist das natürlich dank Ihrer Arbeit, Ihres Engagements, denn man kann nicht oft genug sagen, wie sehr sich die Deutschlehrer für ihre Disziplin engagieren. Und überall, wo ich hingehe, sehe ich das, und das wollte ich Ihnen unbedingt sagen: Wir wissen, dass wir in jedem Fall auf Ihr Engagement zählen können, denn auch wir sind wirklich entschlossen, vorwärts zu gehen und den Blick nach vorne zu richten. Bravo [stürmischer Applaus des Publikums].“

333 Ein nationaler Deutschlehrertag in Paris wechselt sich jährlich mit mehreren regionalen Deutschlehrertagen ab. 334 Die Bilder wurden in der Präsentation farbig dargestellt; aus bildrechtlichen Gründen müssen sie in der vorliegenden Publikation jedoch schwarzweiß und relativ klein abgebildet werden.

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Abbildung 20: „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich

 Quelle: Präsentation IP3

Auch diese Botschaft, die Etablierung einer „gemeinschaftlichen Kommunikation“, funktioniert mittels deiktischer Äußerungen: Der Untergang war „uns“ vorhergesagt, womit IP3 die gesamte Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich evoziert. Dieser Untergang wurde aber durch „Ihr“ Engagement, das Engagement der Deutschlehrer, abgewendet, das „wir“ – der Rest der Community of Communities of Practice – nicht genug anerkennen können. IP3 nimmt die Deutschlehrer aber gleichzeitig mit Blick auf die Zukunft in die Pflicht, indem er davon spricht, dass „wir“ auf „Ihr“ Engagement zählen können. Der stürmische Applaus am Ende seiner Abschlussrede zeigt, dass es ihm zumindest kurzfristig gelungen ist, die Moral zu steigern. Auf meine Bitte während eines später folgenden Interviews, die vermittelte Botschaft noch einmal zu resümieren, erklärt IP3 diese wie folgt:

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Abbildung 21: „Auf dem Segler“ von Caspar David Friedrich

 Quelle: Präsentation IP3 „Sie wollen, dass ich sie resümiere? [überlegt kurz] Erste Botschaft: Die Deutschlehrer sind die ersten Repräsentanten ihrer Disziplin gegenüber der öffentlichen Meinung. Sie sind es, die ein möglichst erneuertes Image ihrer Disziplin verbreiten, die ersten im Kontakt mit den mentalen Repräsentationen. Denn für mich ist die Sprachenwahl der Markt der mentalen Repräsentationen. Also müssen die Deutschlehrer über die Situation ihrer Disziplin informiert werden, um ordnungsgemäß zu informieren, und nicht mit einem Image hausieren zu gehen, ein Image zu verbreiten, ein falsches Image, das immer noch zumeist im Kopf der Deutschlehrer ein Image einer im Niedergang befindlichen Disziplin ist. Also kämpfe ich gegen dieses Image einer Disziplin im Niedergang. Das ist das Wesentliche der Botschaft. Folglich, ‚Vor allem Ihr Deutschlehrer‘, das wollte ich ihnen sagen, ‚Seid Euch wohl bewusst, dass sich die Dinge ändern, dass es dem Deutschen besser geht und dass es vor allem dieses Image ist, das Ihr zeigen sollt. Es gibt Dinge, die funktionieren, die

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Notwendigkeit zu zeigen, dass Deutsch ein innovatives Fach ist, mit den certifications, mit den [classes] bilangues etc.‘ Das sind Vorteile für das Image des Faches, die die Deutschlehrer immer im Kopf haben sollen, um ihre Sprache zu fördern. Das ist das Wesentliche der Botschaft.“

Die Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens – die Deutschlehrer – zu motivieren, ist also nicht zuletzt wichtig, da diese wesentliche Multiplikatoren darstellen. Daher ist es von großer Bedeutung, dass die Deutschlehrer selbst ein positiveres Image des Deutschen besitzen. Diese Botschaft mit den Bildern Caspar David Friedrichs zu transportieren, sei „etwas überzogen“ (IP3) gewesen, aber es hat offensichtlich den angestrebten Zweck erfüllt. Die hier nachgezeichnete Situation stellt keinen Einzelfall dar: Während einer StADaF-Sitzung appelliert der deutsche Botschafter in Paris an die anwesenden Akteure, das Engagement aufrechtzuerhalten, da es sich bei der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich um einen „uphill battle“ handele. Hier wird zum wiederholten Mal auf die positive Entwicklung der letzten Jahre verwiesen, für welche die Zahl „15,4“ zum Symbol geworden ist: Diese Zahl steht für den leichten Aufwärtstrend des Anteils der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler von 15,2 % (2006) auf 15,4 % (2008). Während meiner Interviews war dies die erste Zahl, die ich lernte, da sie wieder und wieder am Anfang nahezu jeden Interviews von meinem Interviewpartner als Beleg genannt wurde, dass es wieder bergauf gehe. IP1 unterstreicht diese Zahl etwa mit der Aussage: „Wichtig ist daran die Entwicklung“. Die Zahl „15,4“ ist aber auch ein Ergebnis der Praktik des Operationalisierens der Community of Practice des Operationalisierens. Diese wurde zu Beginn dieses Kapitels gemeinsam mit der Community of Practice des Politischen identifiziert. Die für beide Communities of Practice kennzeichnenden Praktiken werden in den nächsten beiden Kapiteln genauer betrachtet. 4.3.4 Die Politische Praktik Die Politische Praktik wird, wie bereits ausgeführt, mit „Worten“ konnotiert und in einer großen kognitiven Distanz zu den mit „Taten“ verbundenen Praktiken „vor Ort“ positioniert. Eine exemplarische Meinung zur Politischen Praktik liefert IP17:

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„Ich denke, es gibt eine sehr große Heuchelei der Ministerien und der politisch Verantwortlichen, die alle angeblich sehr interessiert am Deutsch-Französischen sind, aber mit budgetären Imperativen konfrontiert sind. […] Im Endeffekt zieht man es vor, da zu sparen. Und da finde ich den politischen Diskurs ein bisschen …, na, wenn man die Verlautbarungen des Bildungsministers hört, pfff … Ich weiß nicht, in welchem Maße [leicht lachend] er sich da bewusst ist oder auch nicht, dass zwischen dem, was er sagt, und dem, was seine Regierung macht bzw. sein Ministerium, da gibt es eine unglaubliche Differenz.“

Auf der einen Seite äußern viele Akteure ihre Empörung, dass „ein schöner Text mit zwei schönen Unterschriften [plan de relance] nicht reicht“ (IP22). Auf der anderen Seite sehen zahlreiche Akteure auch, dass dieses „Plakative“, dieses geradezu „Zynische“ „zum Spiel gehört“ (IP12) – sie weisen folglich das praktische Verstehen auf, die Politische Praktik zu erkennen. IP6 grenzt die Community of Practice des Politischen folgendermaßen ab: „Der politische Bereich ist der, wo Politiker miteinander reden, also das heißt wirklich gewählte, in Funktionen gewählte Politiker. […] Und da müssen eben Entscheidungen getroffen werden.“

Demgegenüber benennt IP6 einen „administrativen Bereich“, der sich auch noch einmal vielfältig unterteile. Der im „administrativen Bereich“ positionierbare IP10 grenzt die Ziele der Praktiken dieses Bereichs von dem Ziel der Politischen Praktik ab: „Die Politik hat einen anderen Gesichtspunkt und arbeitet unter anderen Vorzeichen als ich.“ Dies führt er folgendermaßen aus: „Die Politik hat gesagt: ‚Das machen wir‘, und oft sagen wir der Politik: ‚Also das ist vielleicht etwas übertrieben, das ist unrealistisch‘. […] Die Politik braucht ja, sie ist ja plakativ, sie muss Ergebnisse, und greifbare Ergebnisse, vorweisen, und da habe ich auch Verständnis dafür. Das ist oft, dass viel Blendung dazugehört, und es geht um den kurzfristigen Erfolg.“

In der Politischen Praktik steht folglich das Plakative, der kurzfristige Erfolg eher im Mittelpunkt als bei der Praktik des „administrativen Be-

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reichs“.335 Folglich ist „das dann nicht mehr ihr Problem, ob die Sachen umgesetzt werden oder nicht“ (IP22). IP7 benennt die Regeln der Politischen Praktik sehr deutlich: „Das ist eben das große Problem: Diese hochrangige politische Unterstützung, die bekommen Sie im Regelfall immer für etwas Neues, weil so funktioniert es eben auf der Ebene. Man braucht etwas, womit erzeuge ich einen News-Wert? Womit kann ich etwas verkaufen? Was ist auch meinen Wählern vermittelbar? Zu sagen: ‚Und hier führen wir jetzt im fünften Jahr etwas erfolgreich fort‘ – da ist der News-Wert minimal.“

Aufgrund dieser Regeln und des Ziels der Politischen Praktik, stets wieder einen neuen News-Wert erzeugen zu müssen, sind einige Zeiträume besonders geeignet, die deutsche Sprache im französischen Bildungssystem zu fördern. So spricht IP7 davon, dass „durch das [40.] Jubiläum des ÉlyséeVertrages bis hin zur politischen Führungsebene ein sehr viel offeneres Ohr bestand, als es vielleicht im Moment der Fall ist.“ IP8 nennt den 40. Jahrestag ein „Zeitfenster“, das zu einer „sehr intensiven Zeit“ sowie zu „Auftrieb, Motivation und Energie“ geführt habe, „wo man in einer Zeit von zwei, drei Jahren so viel gemacht hat wie sonst in fünf, sechs, sieben, acht Jahren.“ Aufgrund der beschriebenen Regeln der Politischen Praktik ist laut IP6 nach „der großen Euphorie“ des „politisch inszenierten“ Jahrestages der „News-Wert“ stark gesunken, „dann sind sie aus der Öffentlichkeit verschwunden, dann kocht es sehr schnell wieder runter“. Daher wurde es für die Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem „umso schwieriger“, „je weiter man sich wieder von dem 40. Jahrestag entfernt hat“. Das Jubiläum des Élysée-Vertrages, welches ebenfalls eine Ordnung darstellt, hat wesentliche – einplanbare – Auswirkungen auf die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich. Daher blickt IP6 auch schon wieder nach vorne:

335 Diesem administrativen Bereich ist zunächst die im nächsten Kapitel beschriebene Praktik des Operationalisierens zuzuordnen. Ausführlicher werden die administrativen Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems in Kapitel 4.4 beschrieben.

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„Ich denke auch, dass wir jetzt sechs Jahre nach dem [40. Jubiläum des] ÉlyséeVertrag[es] wieder so ein bisschen in der Etappe angekommen sind. Und wir schreiten ja jetzt auf den 50. Jahrestag wieder zu und den im Blick denken wir, da wird wieder so ein neuer Ansatz, so eine neue Welle, ein neuer Impuls mit Sicherheit nochmal kommen.“

Die „politisch nicht ganz so aktive Zeit bis zum 50. Jahrestag“ gilt es folglich „zu überbrücken“, das „Niveau zu halten“ (IP8), denn die Akteure der Förderung der deutschen Sprache sind „überzeugt davon, dass sich zum 50. Jahrestag da nochmal so ein günstiges politisches Fenster öffnen wird“ (IP6). Laut IP8 ist man dafür in einigen Bereichen auch schon vorbereitet: „Es gab also damals im Vorfeld des 40. Jahrestages verschiedene […] Besprechungen, wo wir eine ungeheure große Fülle von Ideen gesammelt haben. Die habe ich meinem Nachfolger da gelassen und gesagt: ‚Hier, das ist von mir, übergib das deinem Nachfolger, damit es der Nachnachfolger am 50. Jahrestag wieder rausziehen kann und schauen kann, was haben wir denn da noch für Ideen, die damals nicht verwirklicht worden sind, die vielleicht nicht mehr aktuell sind, aber wir müssen ja nicht das Rad nochmal neu erfinden, da kann man noch ein bisschen draus schöpfen‘.“

Weitere Aspekte der Politischen Praktik werden aus der nun folgenden Beschreibung der Praktik des Operationalisierens deutlich. 4.3.5 Die Praktik des Operationalisierens Verschiedene Artefakte der Praktik des Operationalisierens sind bereits seit der einführenden Beschreibung der Situation der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem (Kapitel 4) immer wieder in der vorliegenden Arbeit benutzt worden: Sowohl die Prozentanteile der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler als auch die Alterspyramiden der Deutsch- bzw. der Spanischlehrer stellen eine „Trans-formation“ dar, indem sie einzelne Aspekte der alltäglichen Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich in Tabellen und Abbildungen übersetzen. Die Praktik des Operationalisierens besteht folglich zum Teil aus „Aufgaben, die unerheblich erscheinen können, […] die aber unerlässlich sind, damit es weitergeht“ (IP4). So ist etwa das Ermitteln von „Ansprechpart-

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nern in den écoles primaires vor Ort“ eine solche „Fiddelarbeit“, an der ein Akteur seit zwei Monaten arbeitet. Diese ist aber nötig, damit eine „Werbekampagne nicht irgendwo verpufft“. Ein ähnliches Beispiel stellt jene Arbeit dar, die „reelle Situation der Beschäftigung der Deutschlehrer“ zu untersuchen, über die „sehr, sehr wenig bekannt“ ist (IP22). So liegt zwar das Wissen vor, dass viele Deutschlehrer an zwei oder drei collèges arbeiten müssen und dass die Aussage des Bildungsministers, es gäbe 500 Deutschlehrer ohne Schüler, nicht zutreffend ist. Allerdings gab es zum Zeitpunkt meines Interviews mit IP22 noch keine Trans-formation dieses Wissens über die mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verflochtene Ordnung in eine frankreichweite Statistik.336 Neben solchen statistischen Abstraktionen, die zumeist Situationen an einzelnen Orten für verschiedene académies oder ganz Frankreich zusammenfassen, umfasst die Praktik des Operationalisierens auch direkte Übersetzungsarbeiten zwischen der Community of Practice des DeutschUnterrichtens und der Community of Practice des Politischen. Diese vermittelnde Praktik der Community of Practice des Operationalisierens wird nun beispielhaft anhand der Rekonstruktion des Zustandekommens des plan de relance beschrieben. Laut IP6 war die Situation des Deutschen in Frankreich derart, „dass man so Ende der 90er-Jahre, Anfang des neuen Jahrtausends irgendwie immer stärker diesen Befund erstellte ‚Hier geht es gründlich in die Hosen und man muss da eben gegensteuern‘“. Insgesamt sei hierbei auch die Auffassung verbreitet gewesen „‚Es müsste da eigentlich etwas getan werden, und wenn man was macht, dann muss man mal ein bisschen größer ansetzen.‘“ Die Situation, welche durch die „Erklärung zum 40. Jahrestag“ des Élysée-Vertrages entstand, beschreibt IP6 wie folgt:

336 Der Ausdruck „frankreichweite Statistik“ verweist auf zwei Problembereiche: „Frankreichweit“ bedeutet natürlich eine gewisse Nivellierung regionaler Unterschiede, welche in Kapitel 4.4.5 ausführlich beschrieben werden. „Statistiken“ verweisen wiederum auf einen besonderen Aspekt der „Transformation“: Zahlen müssen nicht die Summe eines quantitativen Elements der Gegebenheiten vor Ort sein, sondern sie können aus verschiedenen Motiven „falsch“ sein. Dies wird eingehender in Kapitel 4.4.4 beleuchtet.

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„Dann war es wirklich so, dass man sagen kann, da haben dann die Administrationen in beiden Ländern quasi ihre politischen Spitzen beim Wort genommen. Also wir haben gesagt: ‚O.K., wir haben jetzt hier die Vorlage von der Politik und jetzt gehen wir da rein und sagen, das wollen wir machen‘, und haben uns dann auf das berufen, was Politiker selbst vorgegeben haben. Gut, es ist natürlich auch immer die Administration, die dann diese Erklärungen entwirft, aber insofern war das dann wieder der Zirkelfluss, dass wir gesagt haben: ‚Es war politisch initiiert, und jetzt wollen wir aber wirklich mal den Worten auch Taten folgen lassen.‘“

Die in der Praktik des Operationalisierens engagierten Akteure haben oft „die typische dienende Funktion des Beamten inne“, was laut IP7 bedeute, „sie machen keine Politik, sondern beraten die politisch gewählten Vertreter, die dazu berufen sind, solche politischen Vorgaben zu machen“. Dies führt jedoch zu der von IP6 als „Zirkelfluss“ beschriebenen Situation, dass in der Praktik des Operationalisierens die Verlautbarungen entworfen werden, die dann später – nach einer politisch legitimierten Bekanntgabe im Rahmen der Politischen Praktik – in der Praktik des Operationalisierens in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Dieser „Zirkelfluss“ beginnt sogar noch früher, indem die in der Praktik des Operationalisierens engagierten Akteure „sich natürlich vorher darüber abgestimmt haben, über welche Themen sich unsere Chefs eigentlich mal austauschen müssten“ (IP7). Im Vorfeld des plan de relance wurde der in der Praktik des Operationalisierens erstellte Befund, es müsse etwas zur Förderung des Deutschen in Frankreich getan werden, den obersten „Chefs“ angetragen: Auf „einem deutsch-französischen Gipfel, wie sie damals noch hießen, die einmal jährlich stattfanden, da war der Auftrag erteilt worden, mal so einen Runden Tisch ‚Sprachen‘ zu machen“ (IP6). Dieser Runde Tisch bereitete dann den Weg für die Erklärung zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages, welche in der Folge zum für die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zentralen plan de relance führte. Dieser wurde wieder in der Praktik des Operationalisierens ausgearbeitet, wie sich IP6 erinnert: „Also mit [IP22] zusammen haben wir einfach versucht, ein politisches Papier in diesen plan de relance dort zu gießen und eben die Punkte festzulegen, die sinnvoll waren, aber auch realistisch waren. Also das war so ein bisschen die Schwierigkeit, es war immer die Frage ‚Überzeugung und Glaubwürdigkeit‘: Man musste einerseits

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die Ziele schon auch relativ hoch stecken und musste sie aber auch so formulieren, dass man irgendwie nicht unglaubwürdig wurde. Und das haben wir da versucht.“

In der Zwischenzeit hatte es ein weiteres Treffen in Poitiers gegeben, in dessen Abschlusserklärung erstmals konkrete Zahlen genannt wurden: Dieses Treffen war eine Folge der gemeinsamen Erklärung des französischen Präsidenten Chirac sowie des deutschen Bundeskanzlers Schröder anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages, in der sie eine „Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ gefordert hatten, „um das Entstehen neuer Verbindungen, insbesondere zwischen Bundesländern und französischen Regionen“337, zu ermöglichen. Im Oktober 2003 kam es als Folge dieser Forderung zu jenem Treffen in Poitiers,338 das den sogenannten „Poitiers-Prozess“339 begründete. In der Abschlusserklärung dieses Treffens wird u. a. gefordert: „Die Rolle der Partnersprache muss aktiv ausgebaut werden. Wir wollen den Trend eines abnehmenden Interesses an der Partnersprache umkehren und den Anteil derjenigen, die die Partnersprache erlernen, substanziell erhöhen. Wir halten es in diesem Zusammenhang für realistisch, innerhalb von 10 Jahren die Erhöhung um 50 % anzustreben.“340

337 Auswärtiges Amt 2003a 338 Hierbei handelt es sich um das deutsch-französische Treffen zwischen Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer und Regionalratspräsidenten der französischen régions mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Premierminister Jean-Pierre Raffarin am 27. und 28. Oktober 2003 in Poitiers (Auswärtiges Amt 2003b). 339 Der Poitiers-Prozess wurde in Poitiers mit dem Beschluss „einer ganzen Reihe von konkreten Projekten dezentraler Zusammenarbeit“, also zwischen Bundesländern und régions, begonnen. „Knapp 2 Jahre später wurde [er] seitens der deutschen Bundesländer ganz offiziell für beendet erklärt“ (BAASNER 2008). Mittels der Festlegung auf ein quantitatives Ziel der Erhöhung des Anteils Deutsch lernender Schüler, das im plan de relance weiter konkretisiert wurde, hatte dieses Treffen dennoch Auswirkungen, die über das offizielle Ende des Poitiers-Prozesses hinausreichen. 340 Auswärtiges Amt 2003b

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Dies kann angesichts des langanhaltenden Abwärtstrends als ein Beispiel für die Ausführungen von IP10 angesehen werden, die Politik sei „plakativ“ und müsse „greifbare Ergebnisse vorweisen“, bei der oft „viel Blendung“ dazugehöre, da es „um den kurzfristigen Erfolg“ gehe. Deswegen müsse man „der Politik [oft sagen]: ‚Also das ist vielleicht etwas übertrieben, das ist unrealistisch‘“. Laut IP21 ist es für die Praktik des Operationalisierens „ideal, wenn pädagogische Bedürfnisse und der politische Wille sich zunächst abstimmen. Aber gelegentlich dominiert der politische Wille und wir versuchen anschließend natürlich, das realistischst Mögliche zu machen“. In der Folge entwarfen vor allem IP6 und IP22 den plan de relance, involvierten dabei jedoch „je nach Bedarf permanent“ (IP6) andere Akteure wie die zuständigen Ministerien oder Akteure, die für Fortbildungen o. ä. angefragt werden mussten. Wesentliche Elemente des plan de relance umfassen: • • •

• • • • • •

das Projekt des Verteilens der Informationsbroschüre, das Projekt des Ausstellens der certifications (zunächst: am Ende des collège), die Förderung des Projekts des Schüleraustausches für Inhaber der genannten certifications im Programm „Heinrich Heine“ (drei- bis sechswöchiger Aufenthalt in Deutschland), die Anerkennung eines Auslandsjahres in Deutschland in der seconde, die Einführung des AbiBac341 in allen académies, der Erhalt der Praktik des Deutsch-Unterrichtens in der Gesamtheit des Territoriums der académies, die Steigerung des Anteils der in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schüler in der école primaire um 20 % in fünf Jahren, die continuité der Praktik des Deutsch-Lernens im collège überall dort, wo Deutsch in der école primaire angeboten wird, sowie die Steigerung des Anteils der in der Praktik des Deutsch-Lernens mit der speziellen Ordnung der classes bilangues Deutsch/Englisch engagierten Schüler um 50 % in fünf Jahren.342

341 Das AbiBac ist ein doppelter Schulabschluss, der gleichzeitig das deutsche Abitur und das französische baccalauréat umfasst. 342 DGESCO 2008

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Wie bereits beschrieben, wird die Änderung der mit der Praktik des Deutsch-Lernens verwobenen Ordnung der classes bilangues gegenwärtig als wichtigste Maßnahme zur Förderung der deutschen Sprache in Frankreich angesehen. IP12 formuliert den aktuellen Aufwärtstrend als „Effekt der classes bilangues. Das ist nicht der Effekt ‚Tokio Hotel‘, auch wenn Ihnen das viele sagen.“ Den beschriebenen „Zirkelfluss“ des Zustandekommens des plan de relance mit seiner zentralen Maßnahme der classes bilangues und deren Auswirkungen beschreibt IP10 kurz: „Über diese verwaltungstechnische Maßnahme, die natürlich sprachpolitisch durchdacht war, haben wir also das Deutsche etwas fördern können.“ Während die Zielvorgabe für die classes bilangues sehr früh übererfüllt wurde und sie damit zum wesentlichen Träger des leichten Aufwärtstrends werden konnten, gibt es noch eine allgemeinere Zielvorgabe: „Wir haben Programme im Bildungsministerium, […] und in diesen Programmen gibt es quantitative Indikatoren zum Deutschunterricht mit Zielen. […] Dieses Ziel korrespondiert mit dem plan de relance, der 2005 begonnen hat und 2010 endet, es gibt also ein Ziel 2010“ (IP22).343 Dieses Ziel wird allerdings nicht erreicht. Daher wurde zum Zeitpunkt meiner Untersuchung an einem plan de relance B gearbeitet. IP22 beschreibt den Stand der Dinge folgendermaßen: „Ich denke, das wird eine Verlängerung. Es gibt Maßnahmen, die nach 2010 nicht mehr im plan de relance auftauchen werden, da es Fortsetzungen des nun auslaufenden Plans sind. Was mich etwas in Verlegenheit bringt, denn wir zerbrechen uns ein bisschen den Kopf, um neue Dinge zu finden, weil wir einen neuen plan de relance machen müssen. An die Machbarkeit der Dinge zu denken, aber auch an deren Effektivität zu denken: ‚Ist es wirklich das, was uns erlaubt, mehr Deutsch-Schüler zu haben?‘ Denn darum geht es im Endeffekt. Das vergisst man manchmal.“

Ein Grund, weshalb die Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem manchmal das übergeordnete Ziel aus den Augen verlieren, kann auch in den divergierenden Zielen der unterschiedlichen Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich begründet liegen. Darauf wird in Kapitel 4.3.7 näher eingegangen. Zu-

343 Auf diesen für die Praktiken des „administrativen Bereichs“ wesentlichen Aspekt wird ausführlich in Kapitel 4.4 eingegangen.

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nächst wird jedoch beschrieben, wie mittels der Etablierung von Ordnungen nicht zuletzt die Community of Practice des Politischen enger an die Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen gebunden werden soll. 4.3.6 Die Etablierung von mit den Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich verwobenen Ordnungen Die Akteure der Förderung des Deutschen in Frankreich können, wie im letzten Abschnitt dargestellt, über den „Zirkelfluss“ zwischen der Praktik des Operationalisierens und der Politischen Praktik versuchen, politisch legitimierte Entscheidungen zu erreichen, welche der Förderung dienlich sind. Neben dieser auf Praktiken fokussierten Strategie existiert allerdings auch ein Ansatz, der auf die mit den Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich verflochtenen Ordnungen abzielt. Diese mit den Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich verwobenen Ordnungen bilden laut IP24 ein „Strukturen-Gewebe, das uns auf eine gewisse Art und Weise zwingt“, sich zu engagieren: Auch wenn „wir es gerne und mit Vergnügen machen, [...] das Engagement [ist] keine Voraussetzung, sondern vom Posten induziert“ (IP24). Es gebe folglich einen „primären Effekt der Struktur“ (IP21). Diese Ordnungen wurden und werden weiterhin etabliert, um die Praktiken der deutsch-französischen Zusammenarbeit insgesamt, aber eben auch die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zu erleichtern. Dies hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die Community of Practice des Politischen, wie nun gezeigt wird. Viele Akteure sprechen immer wieder von dem „dichten institutionellen Geflecht“ (IP5) der deutsch-französischen Beziehungen. In dieses Geflecht aus Praktiken und Ordnungen werde „selbst jemand wie Sarkozy [...] reingeholt“ (IP5) – „der primär seine eigenen Interessen verfolgt“ (IP12) – und für „die deutsch-französische Sache“ (IP17) gewonnen. IP6 erklärt dies am Beispiel von Schröder und Chirac: „Das Deutsch-Französische lebt auf der politischen Ebene natürlich sehr, sehr stark von der Chemie zwischen dem Präsidenten in Frankreich und dem Kanzler oder der Kanzlerin in Deutschland. Das ist ganz fraglos so. Da gab es ja die verschiedensten Konstellationen. Was ich ganz interessant fand, meine Einschätzung ist, dass es

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unabhängig vom Ausgangspunkt am Ende von solchen Amtszeiten eigentlich zwangsläufig zu einem sehr engen Verhältnis führt, was auch wieder letztlich für die Kraft des Deutsch-Französischen spricht. Also selbst wenn am Anfang, war ja auch zur Regierungszeit von Schröder so, dass der sehr stark auch diese angloamerikanische Linie versucht hat zu verstärken, und am Ende war das wirklich eine, ob man da von Freundschaft reden kann, weiß ich nicht, aber es war eine sehr, sehr intensive Partnerschaft mit Chirac.“

Laut IP6 ist diese Vertraulichkeit zu einem großen Teil durch die mit der Politischen Praktik verwobenen Ordnungen bedingt: „Also ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, dass eben über die engen Beziehungen und engen und häufigen Kontakte über den EU-Rahmen hinaus im DeutschFranzösischen man eben einfach zusätzliche Foren noch mal hat: Also den deutschfranzösischen Ministerrat und dann in sehr kurzen Abständen diese sogenannten Blaesheim-Treffen

344

, die führen einfach zu einer Vertraulichkeit, die sich so leicht

mit anderen dann doch nicht einstellt. Ich meine, auf europäischer Ebene haben sie ja auch sehr häufige, sehr strukturierte Treffen und die kennen sich gut, die meisten, aber im Deutsch-Französischen kommen noch mal zusätzliche [Treffen hinzu].“

Diese Blaesheim-Treffen führen dazu, dass „man sich im Sechs- bis AchtWochen-Rhythmus in ganz kleinem Kreise sieht, das ist die Kanzlerin und der [französische] Präsident und die Außenminister“. Dort werden dann „alle Themen, die auf der politischen Agenda stehen, zwanglos, ohne Öffentlichkeit, ohne Druck diskutiert und vorabgestimmt“ (IP6). Dieses „institutionell sich regelmäßig treffen unter vier Augen oder im kleinen Kreis“ sei ein „wichtiger Faktor“ (IP5) für die deutsch-französischen Beziehungen und somit auch für die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem. In allen Bereichen führe „es zwangsläufig zu einer sehr engen persönlichen Zusammenarbeit auch und da entstehen

344 Die Blaesheim-Treffen „hat man eingeführt nach den ernüchternden Erfahrungen des Gipfels von Nizza damals, wo man eben festgestellt hat, der Gipfel insgesamt ist eigentlich ziemlich [zieht Luft ein], ziemlich in die Hose gegangen und unter anderem auch vermutlich deshalb, weil Deutsche und Franzosen im Vorfeld sich nicht in dem erforderlichen Maße vielleicht abgestimmt haben“ (IP6).

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auch wirklich enge Arbeitsbeziehungen, die der Sache wirklich förderlich sind“ (IP6). Dies beschreibt IP5 auch für die Beziehung des französischen Bildungsministers Xavier Darcos und des „Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit“345 Klaus Wowereit: „Dieser persönliche Kontakt, in dem Fall Wowereit/Darcos, der hat dann auch eben sehr dazu geführt, dass da auch eine Vertrauensbasis entstanden ist. Also Darcos ist jemand, […] der so ein bisschen distanziert ist, ein großer Intellektueller, aber jetzt nicht so der Herzlichste. Und dennoch ist zwischen Wowereit und Darcos inzwischen ein sehr vertrauensvolles Verhältnis entstanden. Und wenn der Wowereit Herrn Darcos bittet, dies oder jenes zu tun, dann wird er sich auch mit diesem Thema beschäftigen. Und das ist eben auch dieses Persönliche dann wieder im Institutionellen, dass man nicht, sagen wir, auf der Mitarbeiterebene versucht, die einzufangen, sondern dass eben auch dieses Gewinnende von Persönlichkeiten innerhalb der Institution dann eine große Rolle spielen kann.“

Natürlich kann es „außergewöhnlicherweise“ vorkommen, „dass man da überhaupt nicht zusammenkommt auf einer persönlichen Ebene“ (IP6). So zweifeln vor allem angesichts der Politischen Praktik des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy viele Akteure der Förderung des Deutschen in Frankreich an dem Zustand der deutsch-französischen Beziehungen und bezeichnen diese etwa als „nicht sehr, sehr gut, […] wir sind gerade wirklich in einem Loch“ (IP22). Dieses „Loch“ wird zum einen, wie bereits beschrieben, mit dem zeitlichen Abstand zu den Jahrestagen des ÉlyséeVertrages begründet – man sei „in der Etappe angekommen“ (IP8). Zum anderen wird aber eben auch registriert, dass „die Stimmung an der Spitze noch nicht gut genug ist“ (IP5), um Initiativen im Bereich „des DeutschFranzösischen“ anzustoßen. Hier wird dann aber immer sogleich darauf verwiesen, dass es noch besser werde bzw. schon besser geworden sei. So spricht IP5 mit Verweis auf die in seinen Augen gescheiterte „Mittelmeerunion“ davon, dass „diese Form der Diplomatie abgenommen hat auf französischer Seite: Ohne oder gegen Deutschland Politik machen zu wollen,

345 Im Folgenden wird die von den Akteuren des Deutschen verwendete und weniger sperrige Bezeichnung „der Bevollmächtigte“ benutzt.

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das stellt man heute weniger fest.“ IP5 benutzt in diesem Kontext den Begriff der „Grundsicherung“, den er wie folgt erklärt: „Dieses enge Netzwerk verhindert, dass es große Ausschläge nach unten gibt. Also so etwas wie die deutsch-polnische Eiszeit durch die Brüder Kaczinksi kann es mit Frankreich nicht geben, selbst wenn es einen Präsidenten gibt, der von Deutschland nichts hält oder eine Kanzlerin oder einen Kanzler, kann einfach dieses dichte institutionelle Geflecht nicht zerreißen. Das kann jahrelang weiterarbeiten, ohne großartige Ergebnisse zu produzieren, wird aber diese Grundsicherung gewährleisten, ohne dass es politische Unterstützung von oben bekommt.“

Diese Grundsicherung kommt durch mit den Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich verwobene Ordnungen zustande, wobei die „etablierte Dichte der Beziehungen auf anderen Ebenen“ dazu führe, dass selbst bei einem weniger starken politischen Willen die Akteure auf „anderen Ebenen“ eine „Eigendynamik besitzen und überzeugt sind, weiterzumachen“ (IP24). Dieser „politische Wille“ wird in Kapitel 4.4.3 detaillierter beleuchtet. Die angeführte Eigendynamik beschreibt IP21, indem er ein genaueres Bild der Treffen im Bereich der Politischen Praktik zeichnet und dabei die diese Treffen vorbereitenden Zusammenkünfte im Rahmen der Praktik des Operationalisierens mit berücksichtigt: „Was die deutsch-französische Zusammenarbeit charakterisiert, sind die sehr zahlreichen Treffen. Die anderen Kooperationen [Frankreichs], mit Polen, mit Finnland etc., das ist schwankend: Von Zeit zu Zeit gibt es ein Projekt, man macht das Projekt und vielleicht setzt man es dann fort. Zwischen Frankreich und Deutschland gibt es wirklich regelmäßige Treffen – jährlich, halbjährlich etc. Und bei jedem Treffen [lachend] werden neue Projekte geboren, die wiederum neue Treffen nach sich ziehen. Die großen Treffen kennen Sie: Das sind natürlich die deutsch-französischen Ministerräte, die zweimal im Jahr stattfinden, die seit 2003 die deutschfranzösischen Gipfel ersetzt haben. Das ist auf der politischen Ebene. Auf der politischen Ebene gibt es auch viele bilaterale Treffen, zwischen den Ministern, mit der besonderen Institution des Bevollmächtigten in Deutschland, den es nur für Frankreich gibt. All diese politischen Treffen werden von regelmäßigen Treffen auf der eher technischen Ebene vorbereitet. Da gibt es zwei, drei große Instanzen, die deutsch-französischen Expertenkommissionen. Das sind vor allem eine für die

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Zusammenarbeit im allgemeinbildenden Schulwesen, die sich einmal im Jahr trifft, und eine für die berufliche Bildung, die sich auch einmal im Jahr trifft.“

Somit sind die Akteure der Förderung des Deutschen laut IP9 „dicht an den Entscheidern“. Den bereits beschriebenen „Zirkelfluss“ führt er folgendermaßen aus und hebt dabei die Bedeutung der etablierten Ordnung der Treffen der Politischen Praktik hervor: „Das ist ja der Vorteil dieser deutsch-französischen Gipfel [deutsch-französische Ministerräte], die alle Halbjahre stattfinden: Da muss man sich alle Halbjahre, wenn die sich treffen, muss ja irgendwas verlautbart werden. Und das ist doch eigentlich was ziemlich Tolles, dass die das einfach machen müssen. Das heißt, die Ministerien müssen sich zwingen, irgendetwas zu tun, und manchmal wird dann auch das Thema Sprache oder Sprachenpolitik auch mit auf den deutsch-französischen Gipfel gesetzt. Und dann ist unsere Stunde gekommen und wir dürfen die Vorschläge, zumindest die wir da erarbeitet haben, da anbringen. Und dann sind sie erst mal auf der obersten Ebene, aber bis sie ganz runterkommen, das ist ja nicht so, dass der Zentralismus automatisch dazu führt, dass … […] Bis eine Entscheidung von ganz oben bis dahin kommt und dann auch noch auf dem Terrain umgesetzt wird, dauert sehr, sehr lange.“

Die Problematik der Umsetzung politischer Entscheidungen, die wie der plan de relance „ganz oben“ nach dem Prinzip des „Zirkelflusses“ zwischen „politischer“ und „technischer Ebene“ (IP21) getroffen wurden, „auf dem Terrain“ bzw. „vor Ort“, wird in Kapitel 4.4 ausführlich beleuchtet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich mit einem „dichten institutionellen Geflecht“ verbunden sind und von diesen etablierten Ordnungen gestützt werden. Diese gewährleisten eine gewisse „Grundsicherung“ des Engagements in den Praktiken der Förderung. Die Akteure des Deutschen kennzeichnen die dadurch entstehenden „Arbeitsbeziehungen“ als Basis für eine auch „sehr enge persönliche Zusammenarbeit“ (IP6). Dem solchermaßen charakterisierten Geflecht von Praktiken und Ordnungen schreiben viele Akteure des Deutschen die Kraft zu, etwaige Ausreißer der Community of Practice des Politischen für „die deutsch-französische Sache“ (IP17) zu gewinnen und somit z. B. auch Sarkozy in die Community of Communities

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of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich „reinzuholen“ (IP5). 4.3.7 Unterschiedliche Praktiken, divergierende Ziele Von den Akteuren der Förderung des Deutschen wird das Ziel, „mehr Schüler“ (IP22) dazu zu bringen, sich in der Praktik des Deutsch-Lernens zu engagieren, als das übergeordnete Ziel der Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich bezeichnet. Wie etwa IP12 erklärt, „engagieren wir uns alle auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Abteilungen für die gleiche Sache“. Dennoch wurde bereits mehrfach deutlich, dass die einzelnen Communities of Practice durch ihre eigenen, diese Communities of Practice begründenden Praktiken definiert werden. Mit diesen unterschiedlichen Praktiken sind jedoch jeweils eigene Ziele verbunden, die mit dem übergeordneten Ziel in Konflikt stehen können. Im Folgenden werden beispielhaft die verschiedenen Ziele unterschiedlicher Praktiken einander gegenübergestellt. Die Ziele der in der Praktik des Werbens Engagierten werden wesentlich von der mit dieser Praktik verwobenen Ordnung beeinflusst: Das Engagement der in dieser Praktik Engagierten wird zeitlich gerahmt, da die zumeist deutschen Akteure oft „Entsandte“ sind, die in der Regel nach drei bis fünf Jahren wieder in ein anderes Land entsendet werden.346 Das bedeutet, dass sie „operative, schnelle Ergebnisse“ haben wollen, um „auf ihrem Karriereblättchen fünf gute Punkte [zu] haben und was vorweisen“ zu können (IP9). Diesen Aspekt führt auch IP14 aus: „[Das sind] Partner, die oft wechseln, in einer Karriere sind, die also verschiedene Positionen dann haben, und wo man nicht unbedingt die grundlegende Kenntnis hat von der Situation oder von dem, was wirklich passiert. Und denen es gar nicht so darum geht, so tief einzuwirken, sondern praktisch Maßnahmen zu treffen, die man sieht irgendwie, die sichtbar sind.“

346 Auf diese Problematik wird in Kapitel 4.4.2 noch ausführlicher eingegangen. Hier wird lediglich der Teilaspekt der divergierenden Ziele verschiedener Praktiken beleuchtet.

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Naheliegend für solche Maßnahmen, die nicht „tief einwirken“ – sondern bei denen vor allem „sichtbar“ wird, dass der betreffende Akteur etwas unternimmt –, ist die Praktik des Werbens. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass deren Effekte nicht evaluierbar sind, wie IP9 anschaulich beschreibt: „Der Wowereit will, wenn er da seine fünf Jahre abgerissen hat, zum Schluss sagen: ‚Ich habe das und das und das gemacht‘. Und von da aus hat sein Mann beim Land, Druck und muss was vorantreiben. Und dann sagt der: ‚Machen wir doch mal eine Werbekampagne‘. Kommt doch immer gut, kann man immerhin später sagen: ‚Da haben wir eine Werbekampagne gemacht‘; kann man nicht evaluieren, da muss Geld zusammengebracht werden, man kann das vorzeigen und so weiter.“

Aufgrund des begrenzteren zeitlichen Rahmens seien Entsandte häufig „ungeduldig, während wir etwas gelassener sind“ (IP9). Hier wird eine Grenzziehung zwischen verschiedenen Communities of Practice deutlich, die nicht zuletzt in der Einschätzung der Praktik des Werbens erkennbar wird. Auf der einen Seite versuchen die in der Praktik des Werbens Engagierten, diese Praktik zu legitimieren, räumen aber auch gelegentlich Probleme der Evaluierung der Effekte dieser Praktik ein oder sprechen davon, dass „es besser gewesen [wäre], wenn man sich wirklich Zeit gelassen hätte“ (IP20). Auf der anderen Seite gibt es zum Teil diplomatische Aussagen – etwa, dass „eine Werbekampagne für Deutsch auch gut ist und bringt vielleicht was, äh … [lacht]“ (IP14) –, teilweise aber auch, wie bereits gesehen, deutlich negative Einschätzungen der Praktik des Werbens: „Ich glaube absolut nicht an diese Werbekampagnen, ich glaube da nicht dran: Das ist teuer, das bringt überhaupt nichts, das überzeugt niemanden, das überzeugt niemanden. Und das, was ich an Werbung gesehen habe, das schien mir eher traurig“ (IP2). IP9 bringt diese Kritik an der Praktik des Werbens auf den Punkt: „Der [Mann beim Land, s. o.] kommt schon mal, wenn er da seine Werbekampagne machen will, damit Wowi sagen kann, er hat eine Werbekampagne gemacht, mit diesem Geld, das er nicht hat.“ Neben dem geschilderten Beispiel des abweichenden Ziels der Community of Practice des Werbens kann es aber auch problematisch sein, dass Akteure in unterschiedlichen Praktiken engagiert sind. Dies ist selbstverständlich, da dies die Grundlage von Individualität darstellt, kann aber auch zu Konflikten zwischen den Zielen der unterschiedlichen Praktiken führen. IP18 nennt als ein Beispiel hierfür den Bevollmächtigten: Im Rahmen der

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Praktik des Werbens wollte sich Wowereit dafür einsetzen, dass die Spots für die Sprache nicht nur auf ARTE gezeigt werden, sondern in den großen Kanälen des Staatsfernsehens. Dies kommentiert IP18, indem er sagt, Wowereit sei eine Hoffnung der SPD und werde das nicht für das DeutschFranzösische aufs Spiel setzen. Das höhere persönliche Engagement des Vorgängers von Wowereit, Peter Müller, erklärt sich IP18 folgendermaßen: Müller sei Ministerpräsident im relativ marginalen Saarland gewesen und habe hierin eine Möglichkeit gesehen, etwas mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Folglich können die Ziele z. B. der Politischen Praktik und der Praktik des Werbens je nach Konstellation mit dem übergeordneten Ziel der Praktiken der Förderung des Deutschen konform sein, sie können aber auch miteinander in Konflikt stehen. 4.3.8 Communities of Practice der Sprachförderung in der Zusammenschau Die Betrachtung der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem mithilfe des Konzepts der Communities of Practice verdichtet die mit den für die Vermittlung der deutschen Sprache zentralen Praktiken und Ordnungen begonnene Beschreibung auf mehreren Wegen. Abbildung 22 skizziert die hierbei wesentlichen Praktiken und Ordnungen. Erstens ermöglicht es diese Perspektive zunächst, das von den Akteuren formulierte grundlegende Verstehen des Gemeinschaftsgefühls konzeptionell zu fassen, indem das Feld der Akteure als Community of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich begriffen wird. Es wurde deutlich, dass exakter von einer Community of Communities of Practice gesprochen werden muss, bei der die Akteure der einzelnen Communities of Practice in jeweils unterschiedlichen Praktiken engagiert sind, welche diese Communities of Practice definieren.

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Abbildung 22: Wesentliche Praktiken und Ordnungen der Communities of Practice der Sprachförderung

 Zweitens können aufgrund dieser Gruppierung um eine zentrale Praktik durch die Communities of Practice-Perspektive weitere zentrale Praktiken erkannt und beschrieben werden. Hierzu zählen die Politische Praktik sowie die Praktik des Operationalisierens. Zwar besitzen diese beiden Praktiken jeweils eigene Ziele und Regeln, dennoch sind sie auch in einem „Zirkelfluss“ eng miteinander verflochten, wenn Verlautbarungen entworfen, politisch legitimiert und in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Gerade die Community of Practice des Operationalisierens ist von dieser Verflechtung gekennzeichnet, da sie im Rahmen der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich eine vermittelnde Stellung zwischen der Community of Practice des Politischen und der Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens einnimmt und somit die große kognitive Distanz zwischen diesen beiden Communities of Practice überbrückt: Im Rahmen der Praktik des Operationalisierens übersetzt sie einerseits abstrakte Verlautbarungen in konkret umsetzbare Maßnahmen und transformiert ande-

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rerseits den komplexen Alltag der Deutschlehrer in abstrahierende Statistiken, die einen Abgleich mit den Zielsetzungen ermöglichen und den Erfolg der Politischen Praktik messbar machen. Drittens ermöglicht die Perspektive der Communities of Practice die Identifizierung von Praktiken, die direkt den Community-Aspekt der Communities of Practice betreffen. Zum einen wird deutlich, dass Prozentzahlen eine Konstanz suggerieren können, die eine auf Communities of Practice fokussierte Perspektive hinterfragt und somit die Betrachtung der Praktik des Rekrutierens v. a. neuer Schüler nötig macht. Die Praktik des Rekrutierens verweist darauf, dass permanent Akteure für das Engagement in den Praktiken der Community of Communities der Förderung des Deutschen in Frankreich gewonnen bzw. angeworben werden müssen. Zum anderen gestattet die Perspektive der Communities of Practice den Blick auf Praktiken, die die Community erst konstruieren: Sei es über die Abgrenzung gegenüber einem konstituierenden Anderen im Rahmen von Praktiken oder mittels der aktiven Förderung des grundlegenden Verstehens des Gemeinschaftsgefühls im Rahmen der Praktik des Doing Community. Diese Praktik soll das Engagement der Akteure des Deutschen, allen voran der Deutschlehrer, aufrechterhalten und die negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen abfedern – wie z. B. die zunehmende Isolation aufgrund der Veränderung der mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verflochtenen Ordnung des Unterrichtens an mehreren collèges. Viertens ist sowohl im weiteren Feld der deutsch-französischen Beziehungen als auch im engeren Bereich der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich ein „dichtes institutionelles Geflecht“ zu erkennen, welches Ordnungen darstellt. Diese Ordnungen sind mit den Praktiken eng verwoben und gewährleisten eine gewisse „Grundsicherung“ des Engagements in den Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich. Aus einer auf Communities of Practice fokussierten Perspektive ist die Etablierung solcher Ordnungen deshalb interessant, weil ihnen von den Akteuren des Deutschen die Kraft zugeschrieben wird, etwaige Ausreißer v. a. aus der Community of Practice des Politischen in die Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich „reinzuholen“, sie für „die deutsch-französische Sache“ zu gewinnen. Schließlich macht die Perspektive der Communities of Practice deutlich, dass die verschiedenen Communities of Practice innerhalb der gesamten Community of Communities of Practice ihre jeweils eigenen Ziele besit-

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zen, die auch in Konflikt mit dem übergeordneten Ziel stehen können. Dies wurde am Beispiel der Entsandten deutlich, die aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer in Frankreich weniger „geduldig“ sind als die langfristig dort arbeitenden Akteure; daher seien sie eher auf „operative, schnelle Ergebnisse“ aus, um etwas auf „ihrem Karriereblättchen“ vorweisen zu können, und engagierten sich v. a. in sichtbaren Maßnahmen wie etwa der nur unzureichend evaluierbaren Praktik des Werbens. Es kann allerdings auch geschehen, dass ein einzelner Akteur in verschiedenen Praktiken engagiert ist, deren Ziele miteinander in Konflikt stehen. Als Beispiel wurde der Bevollmächtigte angeführt, der neben den Praktiken der Förderung des Deutschen auch in der Politischen Praktik engagiert ist. Hier wurde von den Akteuren des Deutschen angezweifelt, dass der Bevollmächtigte, Klaus Wowereit, seine politische Karriere dem Engagement für „das DeutschFranzösische“ hintenanstellen würde. Das übergeordnete Ziel, mehr Schüler für die Praktik des DeutschLernens zu gewinnen, wird jedoch auch aufgrund der Gegebenheiten, der Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems, nicht in gewünschtem Maße erreicht. Dies wird unter Zuhilfenahme des Konzepts der scales im folgenden Kapitel genauer in den Blick genommen.

4.4 P RAKTIKEN

UND O RDNUNGEN DES FRANZÖSISCHEN B ILDUNGSSYSTEMS

Das Nichterreichen des im Rahmen binationaler Erklärungen vorgegebenen übergeordneten Zieles, deutlich mehr Schüler für die Praktik des DeutschLernens zu gewinnen, erklärt IP22 folgendermaßen: „Wir haben die Mittel umgesetzt, um das Ziel zu erreichen. Wir haben ein paar Erfolge, aber das Endziel, das da lautet: mehr Schüler, erreichen wir nicht, weil wir haufenweise anderweitige Hindernisse haben.“

Viele dieser Hindernisse haben im weitesten Sinne mit den Gegebenheiten des französischen Bildungssystems zu tun. Daher gilt es in der Folge, die Praktiken und Ordnungen, die das „Gewebe“ des französischen Bildungssystems bilden, in den Blick zu nehmen und in Bezug zu setzen zu den bisher geschilderten Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in

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Frankreich. In den Beschreibungen der Akteure des Deutschen spielen, wie bereits gesehen, häufig „Ebenen“ wie „national“, „vor Ort“, „die politische Ebene“ etc. eine große Rolle. Dieser Aspekt wird mithilfe des Konzepts der scales347 berücksichtigt, das einführend praxistheoretisch gefasst wird. In der Folge wird die Beschreibung der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich aus einem ausgesprochen geographischen Blickwinkel heraus vervollständigt. Das Konzept der scales Das Konzept der scales wird wiederholt als eines der grundlegenden Konzepte der Geographie bezeichnet.348 Neben der Ausprägung als Maßstab in Karten wurden scales bis in die 1970er-Jahre v. a. methodologisch betrachtet, wenn es darum ging, im Zuge des Forschungsdesigns die „Ebene“ der zu erforschenden Prozesse mit der Forschungs-„Ebene“ in Einklang zu bringen.349 In der Folge hat sich besonders seit dem grundlegenden Text von TAYLOR aus dem Jahr 1982 in der Geographie auch eine theoretische Diskussion um die soziale Konstruiertheit bzw. den ontologischen Status von scales entsponnen. Diese Diskussion hat nicht zuletzt durch die Thematisierung der Prozesse der Globalisierung – und der Fokussierung auf „Globales“, „Lokales“ und „Regionales“ v. a. seit ROBERTSONS Begriff der „Glokalisierung“350 – seit den 1990er-Jahren an Intensität gewonnen. Trotz der Intensität der Diskussion kann nach wie vor nicht davon gesprochen werden, dass eine Einigkeit dahingehend herrscht, wie scales konzeptionell zu fassen seien. HOWITT bezeichnete im Jahr 2003 scales als „verstörendes und sogar chaotisches Konzept“.351 In der Folge konstatierten JONES, WOODWARD und MARSTON, dass „nach über 20 Jahren des Theoretisierens über scale nach wie vor Uneinigkeit darüber herrscht, was scale

347 Scale(s) lässt sich am ehesten mit „Maßstab“ bzw. „Maßstabsebene(n)“ übersetzen. 348 Z. B. HOWITT 1998: 50; HARVEY 1996: 41 349 MOORE 2008: 204; MARSTON, WOODWARD & JONES 2009: 665 350 ROBERTSON 1995 351 „[…] scale remains a troubling and even chaotic concept“ (HOWITT 2003: 138).

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ist, und sogar darüber, ob es existiert“.352 Selbst konstruktivistisch argumentierende Geographen würden über das trojanische Pferd scale oft Essentialismen in ihre Argumentation importieren, sodass am Ende ein „unbehagliches Amalgam von konstruktivistischer Sprache und essentialistischer Argumentation“ stehe.353 Außerdem sei die Gefahr eines „Raumfetischismus“354 gegeben, wenn scale als einer räumlichen Kategorie kausale Kraft zugeschrieben werde. Diesen Gedanken führte AGNEW bereits 1993 folgendermaßen aus: „One can start out using spatial concepts as shorthand for complex sociological processes but slip easily into substituting the spatial concepts for the more complex argument.“

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Dieses Substituieren führe außerdem oft zu „prokrustischer356 Forschung, die komplexe räumliche [Praktiken] an die engen Abgrenzungen einer Handvoll konzeptionell vorgegebener scales wie das Lokale, Nationale oder Globale“357 anpassen will.

352 „[…] after over 20 years of scale theorizing in geography, disagreement remains about what it is and, even, whether it exists“ (JONES, WOODWARD & MARSTON 2007: 265). 353 „[…] uneasy amalgam of constructivist language and essentialist argumentation“ (BRUBAKER & COOPER 2000: 6). 354 „[…] spatial fetishism […]“ (SAYER 1985: 53). 355 AGNEW 1993: 258, Hervorhebung im Original 356 Hiermit ist Forschung gemeint, die etwas in ein unangemessenes Schema presst. Prokrustes ist ein Charakter der griechischen Mythologie, der arglose Wanderer zu sich einlud. Waren diese zu lang für sein Bett, hieb Prokrustes ihnen die Beine ab; waren sie dagegen zu kurz, fesselte und streckte er sie (KÖHLMEIER 2009: 506). 357 „Too often this leads to procrustean research that attempts to fit complex spatial politics within the narrow confines of a handful of conceptually given scales such as the local, national or global“ (MOORE 2008: 211). Ich habe „politics“ mit „Praktiken“ übersetzt, da nach KRELL (2004: 24) innerhalb der Dreiteilung von „policy“, „polity“ und „politics“ – die im Englischen das Äquivalent des deutschen Begriffs „Politik“ darstellt – mit „politics“ der „Prozess“ verstanden wird, die „Konflikte und Kompromisse um politische Inhalte

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Zumindest weitestgehende Einigkeit – auch wenn es sogar hier Ausnahmen gibt – herrscht darüber, dass es sich bei scales um eine soziale Konstruktion handelt. So ist auch THRIFT zu verstehen, wenn er davon spricht: „There is no such thing as scale“.358 In der sozial-konstruktivistischen Sichtweise „bilden räumliche scales keine festen Plattformen für soziale Aktivität und Prozesse, die nach oben oder unten Verknüpfungen zu anderen hierarchischen Ebenen herstellen, sondern sind vielmehr Resultate dieser Aktivitäten und Prozesse, zu denen sie wiederum beitragen“.359 MARSTON, WOODWARD und JONES resümieren das Kernproblem des umstrittenen Konzepts folgendermaßen: „Scale ist […] an ein Kontinuum von global zu lokal gebunden, das die problematische Perspektive unterstützt, soziale Prozesse könnten von den konkreten Orten losgelöst werden, an denen Menschen und Objekte sich befinden und soziale Praktiken stattfinden“.360 Als Lösung plädieren MARSTON, WOODWARD und JONES für eine „flache Ontologie, die dem Drang widersteht, Prozesse derart zu konzeptualisieren, dass sie auf über diesen konkreten Orten schwebenden scales stattfinden“.361 Hierbei nennen sie dezidiert SCHATZKI als einen Vertreter solch einer flachen Ontologie,362 versuchen aber in der Folge, eine eigene flache Ontologie zu entwerfen. In der vorliegenden Arbeit wird demge-

(policies), die in einem vorgegebenen (auch veränderbaren) Rahmen von Institutionen und Verfahrensregeln (polity) ausgetragen bzw. ausgehandelt werden“. 358 THRIFT 2002: 40 359 „In this view, spatial scales do not […] rest as fixed platforms for social activity and processes that connect up or down to other hierarchical levels, but are instead outcomes of those activities and processes, to which they in turn contribute” (MARSTON, WOODWARD & JONES 2009: 665; Hervorhebung im Original). 360 „Scale is […] tied to a global-to-local continuum that underwrites the problematic view that social processes can be detached from the grounded sites where people and objects concretely reside and social practices take place“ (ebd.: 665f.). 361 „[…] a flat ontology that resists conceptualizing processes as operating at scales, that hover above these sites“ (MARSTON, WOODWARD & JONES 2009: 666; Hervorhebung im Original). 362 JONES, WOODWARD & MARSTON 2007: 265

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genüber das Konzept der scales mit der Terminologie nach SCHATZKI in Einklang gebracht. In der praxistheoretischen Terminologie sind scales als Ordnungen zu denken. Ich verstehe scales daher als immaterielle Ordnungen, die mit Praktiken verwoben sind. Dies bedeutet erstens, dass scales durch Praktiken zustande kommen, gleichzeitig aber auch Praktiken „ermöglichen und beschränken“363. So sind MARSTON, WOODWARD und JONES aus praxistheoretischer Perspektive zu verstehen, wenn sie davon sprechen, dass „scales […] Resultate dieser Aktivitäten und Prozesse [sind], zu denen sie wiederum beitragen“.364 Zweitens weisen scales damit als Ordnungen „Beziehungen, Positionen und Bedeutungen“ auf, welche wie die gesamte Ordnung „labile Phänomene sind, von denen nur vorübergehende Fixierungen möglich sind“365. In der vorliegenden Arbeit wird besonders der Aspekt der relativen Position der deutschen Akteure in Bezug zur Ordnung des französischen Bildungssystems von Bedeutung sein. Hierbei ist das Anliegen LATOURS zentral, diese Ordnungen nicht mit „absoluten scales“ abzugleichen, sondern das Ordnen den Akteuren zu überlassen, da es „von wenig Nutzen ist, die Errungenschaften der Akteure zu respektieren, wenn wir ihnen letztlich eines ihrer wichtigsten Privilegien verweigern, namentlich jenes, dass sie diejenigen sind, die relative scales definieren“:366 „If there is one thing you cannot do in the actor’s stead it is to decide where they stand on a scale going from small to big, because at every turn of their many attempts of justifying their behaviour they may suddenly mobilize the whole of hu-

363 SCHATZKI 2002: 117 364 „[…] scales […] are […] outcomes of those activities and processes, to which they in turn contribute“ (MARSTON, WOODWARD & JONES 2009: 665; Hervorhebung im Original). 365 „Relations, positions, and meanings, like the arrangements of which they are aspects, are labile phenomena, only transitory fixations of which can be assured“ (SCHATZKI 2002: 24). 366 „It is of little use to respect the actors’ achievements if in the end we deny them one of their most important privileges, namely that they are the ones defining relative scale. It is not the analyst’s job to impose an absolute one“ (LATOUR 2005: 184).

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manity, France, capitalism, and reason while, a minute later, they might settle for a local compromise. Faced with such sudden shifts in scale, the only possible solution for the analyst is to take the shifting itself as her data and to see through which practical means ‚absolute measure‘ is made to spread.“367

Folglich kann es nicht Aufgabe des Forschers sein, „absolute scales“ ausmachen zu wollen, da dies letztlich ein aktives „ineinanderschachtelndes hierarchisches Ordnen des Raums“368 durch den Forscher bedeute, sodass er im Rahmen diverser Forschungs-Praktiken die von den Akteuren beschriebene Ordnung verändern würde. Auch wenn Forschungs-Praktiken im Sinne LATOURS immer eine Art der „Trans-formation“ und nicht der „Information“ sind, sollte zumindest diese „Trans-formation“ vermieden werden. Aus diesem Grund wird in der Folge auf Aussagen der Akteure zurückgegriffen, um die Ordnung des französischen Bildungssystems zu beschreiben. 4.4.1 Die Ordnung des französischen Bildungssystems Im Folgenden wird die Ordnung des französischen Bildungssystems nicht in seiner Gänze beschrieben,369 sondern es werden vielmehr lediglich die von den Akteuren als relevant erachteten Aspekte der Förderung der deutschen Sprache thematisiert. Fundamental für die Ordnung des französischen Bildungssystems ist das zentralistische, „jakobinische“ Grundverständnis, wie IP21 erklärt: „In Frankreich haben wir dieses pyramidale, jakobinische System. Der [Bildungs-] Minister sagt also: ‚Wir brauchen bis zum Jahr 2010 zwanzig Prozent mehr Schüler in sections européennes370.‘ Das sagt er den recteurs und jeder recteur sagt danach

367 Ebd.: 184f.; Hervorhebung im Original 368 „[…] nested hierarchical ordering of space“ (HOWITT 2002: 205). 369 Dieses Unterfangen würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, wie der geläufige Ausdruck des „Mammuts Éducation Nationale“ (IP20) erahnen lässt. 370 In diesen 1992 geschaffenen Klassen wird verstärkter Sprachunterricht in einer europäischen Sprache angeboten: Im collège bedeutet dies ab der quatrième zwei Stunden zusätzlich zum Erlernen der Sprache und „der Kultur“ des Lan-

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seinen inspecteurs: ‚Wir brauchen …‘, jeder inspecteur sagt das den Schulleitern, das geht dann also so herunter, und beim Heruntergehen verliert sich das manchmal ein kleines bisschen.“

Auf den von IP21 angesprochenen Aspekt des Sich-Verlierens verweist auch IP12, indem er von einer „Art Verwässerung der von der Zentralmacht kommenden Direktiven“ spricht. Gleichzeitig unterstreicht IP12 aber, dass die „recteurs nichtsdestoweniger nicht gerade wenig Macht behalten“. Der wesentliche Faktor sei hier die Dezentralisierungspolitik, die im Bereich des Bildungssystems als déconcentration bezeichnet wird:371 „Das ist kompliziert, weil … Das [Bildungs-]Ministerium hatte früher, genauer die direction générale de l’enseignement scolaire372, die ein Budget von ca. 40 Mrd. € hat, war sehr mächtig, da das Budget direkt vom Ministerium kam. Die Lehrer wurden vom Ministerium bezahlt, jeder Lehrer in Frankreich wurde vom Ministerium bezahlt. Sie haben das dezentralisiert oder vielmehr dekonzentriert auf die Ebene der rectorats [= académies]. Jetzt sind es die recteurs, die darüber verfügen. Die recteurs haben also die Direktiven der Zentrale, des Ministeriums, und sie haben das Geld. Was machen sie? Sie machen ihre Politik. Natürlich in einem republikanischen Geist, aber die Politik ist nicht von einem rectorat zum nächsten die gleiche, das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass die mehr und mehr delegieren, es gibt eine Tendenz, zu den Schulen zu delegieren.“

Die Akteure des Deutschen nennen mir weitere Entscheidungsträger, welche sie zwischen den recteurs und den Schulleitern positionieren und die jeweils für ein département zuständig sind. Hierbei handelt es sich um die Verwaltungs-inspecteurs, die nicht mit den bereits erwähnten inspecteurs – den regionalen Deutsch-inspecteurs – zu verwechseln sind: Die regionalen

des. Im lycée hingegen wird in den sections européennes ein Sachfach in der Schwerpunktsprache unterrichtet (CIEP 2008). 371 „Was man die déconcentration nannte, also die Dezentralisierung für die régions, die déconcentration für das Bildungsministerium, was bedeutet, dass nun nicht gerade wenig Verantwortlichkeiten auf der Ebene der rectorats [académie] bzw. der régions sind“ (IP12). 372 Die direction générale de l’enseignement scolaire wird üblicherweise kurz als DGESCO bezeichnet.

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Deutsch-inspecteurs sind Akteure der Förderung der deutschen Sprache, da ihre Funktion „die Pädagogik“ ist, wie mir IP14 erläutert. Sie vertreten in der gesamten académie den recteur in der Fachaufsicht des Faches Deutsch – daher auch der exakte Titel inspecteur d’académie – inspecteur pédagogique régional (IA-IPR) d’allemand. Der Verwaltungs-inspecteur „ist [dagegen] directeur des services départementaux de l’Éducation Nationale (IA-DSDEN), praktisch der Stellvertreter des recteur im département“ (IP14). Da laut IP9 nun auch noch die „ganzen Schulen budgetisiert werden sollen“ und es außerdem, wie IP20 erläutert, „gerade hier in Frankreich natürlich immer ein Thema ist, wie positionieren sich die Lehrer gegenüber der Bildungspolitik, gegenüber dem Ministerium, dem sie ja eigentlich angehören“, führt das zu einer Situation, die IP1 folgendermaßen zusammenfasst: „Zurzeit ist es so, dass fast jeder, sei er recteur bei der académie, Verwaltungsinspecteur beim département, Schulleiter an seinem collège, an seinem lycée oder auch auch an seiner école primaire oder sogar Grundschullehrer in seiner Klasse, eine eigene Vorstellung vom Deutsch, der deutschen Sprache, hat und dass der nach dieser Vorstellung seine, also ich übertreibe natürlich, aber seine Zone beeinflusst.“

Ich vermute, dass IP1 hier nur deshalb von einer Übertreibung spricht, da er die angeführte Aussage im Rahmen einer öffentlichen Rede trifft. Meine Einschätzung, dass es sich bei der Aussage von IP1 jedoch nicht um eine Übertreibung handelt, basiert auf weiteren Aussagen anderer Akteure des Deutschen. Diese beschreiben, dass aufgrund der déconcentration die Befugnisse der Zentralmacht beschnitten worden seien und es dadurch laut IP12 zu „politischen Spielchen“ komme und Sprachpolitik „auf allen Ebenen der Hierarchie, des Bildungssystems, vom Ministerium bis in die Schule“, stattfinde (IP3). IP22 betont resümierend die Rolle der einzelnen Akteure in der Ordnung des französischen Bildungssystems: „Es kann in der Tat von einer Person an einem Ort abhängen, die die Möglichkeit hat, entweder etwas zu entwickeln oder aber das Deutsche komplett auszutrocknen.“

Insgesamt kann man also sagen, das „System funktioniert nicht auf Knopfdruck“, wie IP3 ausführt:

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„Wenn der recteur sagt: ‚Die Anzahl der Deutsch-Sektionen, die Anzahl der [classes] bilangues muss erhöht werden‘, wird das gemacht und dann müssen die Verwaltungs-inspecteurs, […] die Schulleiter gehorchen. Voilà. Aber das ist vor Ort immer komplizierter, als man es hier sagen kann. Offensichtlich, offensichtlich.“

Folglich handelt es sich alles in allem um ein „komplexes Ensemble mit Machtspielchen“ (IP21). Außerdem verweist die Aussage, es sei „komplizierter, als man es hier sagen kann“, auf den Kontext des Interviews: Der innerhalb der Ordnung des Bildungssystems positionierte und im Bildungsministerium beschäftigte IP3 „kann“ dieses nicht für eine zu publizierende Doktorarbeit schonungslos kritisieren. Hier ist es hilfreich, auf eine Aussage von IP2 zurückzugreifen, der sich zunächst offener äußert: „Die recteurs gehorchen dem Ministerium in der Regel, weil das Politiker sind. Schließlich werden sie durch einen politischen Akt eingesetzt und sie können von einem Tag auf den anderen entlassen werden, die recteurs. Die Verwaltungsinspecteurs stehen unter der Autorität des recteur, aber das sind Verwalter, die riskieren nichts. Es gibt also nicht diesen Druck, sie sind weniger empfänglich für politische Diskurse.“

IP2 sieht also innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems eine Grenze zwischen einem politischen und einem administrativen Bereich. Dieser Aspekt der Ordnung führe dazu, dass die Verwaltungsinspecteurs „engagiert, aber weniger, kollektiv gesehen, weniger engagiert sind als die recteurs“. Der ebenfalls im Bildungsministerium beschäftigte IP2 wurde also in Anbetracht seiner Position schon sehr deutlich, mildert seine Aussage schließlich jedoch etwas ab. IP15 ergänzt diese Ausführungen zu den recteurs und den Verwaltungs-inspecteurs um einen interessanten Aspekt und benutzt hierzu konkrete Beispiele: „Die Sprachenpolitik legt der recteur fest. Inwiefern der Verwaltungs-inspecteur noch eine Selbstständigkeit hat, das hängt auch von ihm ab: Normalerweise, also ich habe es jetzt gesehen, die neuen Verwaltungs-inspecteurs in Gap und in Digne

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,

373 Gap und Digne liegen beide in der académie Aix-Marseille. Gap ist der Sitz der inspection académique – also des Verwaltungs-inspecteur – des départe-

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die kommen neu an, die freuen sich wahrscheinlich über ihre Stelle und die werden da dem recteur nichts in die Wege legen, sondern im Gegenteil mit ihm mitmachen. Schwierigkeiten bereitet eher, das ist auch hier der Fall, ein Verwaltungs-inspecteur, der schon vor dem recteur hier ist. Das ist das eine, bzw. was auch schwierig ist, wenn der recteur, was ich auch schon von einigen gehört habe, wenn der recteur neu ist, zum ersten Mal recteur ist, zum ersten Mal das macht und noch nicht so Präsenz zeigt und noch nicht so Durchsetzungskraft hat, der hat dann auch wieder Probleme, seine Sachen umzusetzen. Falls er denn Deutsch fördern wollte. Falls er das tun wollte.“

Hier wird ein interessanter „machtbezogener“ Aspekt angesprochen: Die Position, die ein Akteur innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems innehat, kann durch eine größere Erfahrung in den Praktiken, in denen sich Akteure durch das Einnehmen dieser Position engagieren, deutlich modifiziert werden. Dieser Aspekt wurde mir auch bezüglich anderer Positionen im Bereich der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem beschrieben.374 Die Bedeutung des Individuums ist ein Gesichtspunkt, den viele Akteure der Förderung des Deutschen besonders betonen: Dem Individuum kann gerade im Zuge der zuvor erwähnten Freiheiten, „seine Zone“ zu beeinflussen, eine wichtige Rolle zufallen. So spricht etwa IP12 davon, dass „die Institutionen wichtig sind, aber die Institutionen leben auch dank der Leute, die dort drin sind, also dank ihres Engagements“. Dies ergänzt IP22: „Das Gewicht der Individuen ist sehr wichtig, eigentlich auf allen Ebenen. Dieselbe Struktur – je nachdem ob es Leute gibt, die bereit sind, sich wirklich zu engagieren, oder Leute, die ihre Arbeit machen wie, die Beamte sind –, in derselben Struktur kann das die Dinge komplett ändern.“

ment Hautes-Alpes, Digne jener der inspection académique des département Alpes-de-Haute-Provence (s. Abbildung 4 auf Seite 78). 374 So beschreibt mir z. B. ein nationaler Deutsch-inspecteur: „Man hat eine Legitimität, wenn man die Kollegen, die man dann betreuen muss, die wissen: ‚Das war ein guter Lehrer, der kann gut Deutsch.‘ Das spielt auch eine große Rolle, v. a. für eine Sprache“ (IP10).

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Das individuell unterschiedliche Engagement in Praktiken begründen viele Akteure mit dem Verweis auf teleoaffektive Strukturen: So seien es „die persönlichen Lebensläufe, die das affektiv stärkere Engagement erklären“ (IP21). Dies wird häufig mit einem in der Vergangenheit liegenden Engagement in Praktiken erklärt, etwa dass die betreffende Person „in Deutschland gelebt hat“ (IP21) oder sich „die Mühe gemacht hat, gut Deutsch zu lernen“, sodass sie sich als „Botschafter der deutschen Kultur“ (IP16) sieht. Teleoaffektive Strukturen vergangener Praktiken führen also oft zum Engagement in damit verwobenen Praktiken, die aber auch erst hierdurch miteinander verflochten werden. So gibt es einige Akteure, die in Deutschland gelebt haben und dort in Praktiken der Förderung der französischen Sprache engagiert waren. In diesem Rahmen haben sie sich auch in der Praktik des Deutsch-Sprechens engagiert. Aufgrund der Ordnung des französischen Bildungssystems mussten sie nach einer gewissen Zeit wieder nach Frankreich zurückkehren. Dort fanden sie für sich die Möglichkeit, sich in Praktiken der Förderung der deutschen Sprache zu engagieren, was wiederum die Verwobenheit der Ordnungen „des Deutsch-Französischen“ reproduziert. Vor dem bereits erwähnten Hintergrund der Bedeutung der berufsbezogenen Praktiken für die individuelle Identität ist folgende Aussage zu verstehen, in der IP16 die persönliche Involviertheit im Bereich der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache erklärt: „Man kann sich in der Kulturarbeit natürlich gut mit seinem Produkt identifizieren, also man identifiziert sich mit dem Produkt und ist sozusagen selbst Teil des Produkts. Das ist schon enorm was anderes, als wenn man ein Auto verkauft, zunächst mal ist das so ein Stück man selbst. Das ist wirklich Identität.“

Im französischen Bildungssystem führe die Bedeutung der persönlichen Involviertheit dazu, dass „man sehr gut sieht, wenn ein Verwaltungsinspecteur Germanist ist oder überzeugt ist, dass sich Deutsch dann entwickelt; während bei einem Verwaltungs-inspecteur, der findet, dass das ganz schön kompliziert ist und dass es viel einfacher ist, überall Englisch zu unterrichten, naja, das Deutsche … [zieht die Luft ein]“ (IP21). Für die académies „ist es wahr, dass es recteurs gibt, die glaube ich Deutschland nicht kennen, die nicht machen, was man ihnen zu tun sagt – gut, sie sind alle da, wenn der Minister einlädt und sagt: ‚Das und das muss für Deutsch

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getan werden‘, und sie machen es –, aber ich denke in der Tat, dass diejenigen, die eine persönliche Überzeugung haben, ohne Zweifel mehr machen“ (IP12). So gibt es „solche und solche recteurs, es gibt da solche und solche Verwaltungs-inspecteurs, Ebene drunter, es gibt da solche und solche regionalen Deutsch-inspecteurs“ (IP20). Die Betonung der Bedeutung des Individuums für die Förderung des Deutschen kann so weit gehen, dass geradezu Helden geschaffen werden: In vielen Gesprächen fallen immer wieder die Namen „de Gaudemar“ und „Chaix“, und die jeweiligen Interviewpartner geraten nicht selten ins Schwärmen. Vor allem diese beiden hätten sich u. a. in ihren jeweiligen académies – die sie zwischenzeitlich wechselten – um die deutsche Sprache verdient gemacht, wie IP22 ausführt: „De Gaudemar, der zunächst mal eine internationale Ader hat. Er war recteur in Toulouse, er war recteur in Strasbourg, danach war er für fünf Jahre Chef der DGESCO und danach ist er wieder recteur in Aix-Marseille geworden. Das war jemand, den die internationalen Beziehungen begeistert haben und der sich stark in die internationalen Beziehungen involviert hat. Er war es, der den plan de relance wirklich angefangen hat, er hat 2003 das erste Treffen initiiert.“

Der Unterschied zu seinem Nachfolger bei der DGESCO liegt darin, dass der Nachfolger „also er, er ist dem Deutschen eher geneigt, er hat eine Ader für Deutsch, da er am deutsch-französischen Geschichtsbuch mitgewirkt hat [als beratender Historiker], aber ich muss aufpassen, Sie bringen mich dazu, Dinge zu sagen [lacht kurz], für ihn endet das Deutsch-Französische aber weitestgehend dort [lacht kurz etwas angespannt]. Er ist momentan für den Punkt der relance des Deutschen in Frankreich nicht wirklich empfänglich“ (IP22). Die Bedeutung, die einzelnen Individuen von den Akteuren des Deutschen zugeschrieben wird, ist so groß, dass sogar davon gesprochen wird, es gebe „sehr starke regionale Unterschiede [...], die auch wieder natürlich personenbedingt sind“ (IP20).375 Insgesamt liefern die Ausführungen zur Rolle der Individuen im Rahmen ihrer Position innerhalb der Ordnung des

375 Auf regionale Unterschiede der Förderung des Deutschen wird in Kapitel 4.4.5 eingegangen.

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französischen Bildungssystems weitere Argumente, die Aussage von IP1 nicht als übertrieben anzusehen, dass „jeder seine Zone beeinflusst“ und es „in der Tat von einer Person an einem Ort abhängen“ kann, ob sich die deutsche Sprache positiv entwickelt oder „austrocknet“ (IP22). Diese starke Bedeutung von Individuen ist natürlich nur aufgrund der mit der déconcentration einhergehenden wachsenden Autonomie der für die jeweilige Zone zuständigen Entscheidungsträger möglich. Die Freiheiten, welche sich einige Entscheidungsträger gegenüber ihren Vorgesetzten herausnehmen, werden nicht zuletzt durch einen interessanten räumlichen Aspekt der Ordnung des französischen Bildungssystems ermöglicht: Die einzelnen Entscheidungsträger besitzen immer eine räumliche Distanz zu ihren Vorgesetzten. Dies erleichtert scheinbar die Freiheit, die eigene Zone zu beeinflussen. Am willkürlich ausgewählten Beispiel des collège in Fours wird nun der häufigste Fall beschrieben, nämlich das Arbeiten der jeweiligen Entscheidungsträger an unterschiedlichen Orten: Der Schulleiter des collège „Champ de la Porte“ arbeitet in Fours, der Verwaltungs-inspecteur des zuständigen département in Nevers, der recteur in Dijon und schließlich der Bildungsminister in Paris (s. Abbildung 23). Selbst in den selteneren Fällen, wenn zwei Entscheidungsträger im selben Ort tätig sind, wird die Autonomie dadurch erleichtert, dass sie in räumlich getrennten Gebäuden arbeiten: So sind etwa in den Hauptstädten der académies die inspections académiques, in denen die Verwaltungsinspecteurs arbeiten, von den rectorats der recteurs getrennt. Dies erleichtert eine „gewisse Unabhängigkeit, die stark von den Persönlichkeiten abhängt“ (IP1).

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Abbildung 23: Räumliche Distanz der Entscheidungsträger des französischen Bildungssystems am Beispiel des collège in Fours

Kartographie: K. Schmidt-Hellerau



Wie gesehen, argumentieren viele Akteure mit verschiedenen hierarchisch angeordneten „Ebenen“, auf denen die einzelnen Entscheidungsträger ihre „Zone“ beeinflussen (s. Abbildung 24).376 Innerhalb der derart gezeichneten 376 Auch wenn die hierarchische Charakterisierung der Ordnung des französischen Bildungssystems die gängigste Anordnung durch die Akteure des Deutschen ist, gibt es abweichende Anordnungen: So wird z. B. – wie bereits beschrieben – die „politische Ebene“ von den Gegebenheiten „vor Ort“ getrennt, diese Dichotomie aber durchaus nicht immer klar als „oben“ und „unten“ bezeichnet. Zwar wird die politische Ebene sehr oft mit dem „Oben“ konnotiert,

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Ordnung des französischen Bildungssystems wird die Autonomie der Entscheidungsträger von einzelnen Akteuren mit dem Bild der „Kette“ beschrieben: Hier seien einzelne „Kettenglieder nicht immer so engagiert, wie andere es möglicherweise sind“ (IP3). Abbildung 24: Die Entscheidungsträger auf den verschiedenen „Ebenen“ der Ordnung des französischen Bildungssystems



jedoch hierbei das „Unten“ als konkrete Ebene sehr selten genannt. Gelegentlich beziehen sich die Akteure für die Beschreibung von Prozessen wie des „Heruntergehens“ in der Ordnung auf die Dichotomie Oben–Unten. Ansonsten wird das „Unten“ aber selten benutzt und vielmehr von „vor Ort“ gesprochen. Hierbei kann „vor Ort“ auf verschiedenen „Ebenen“ angesiedelt sein: Es kann die „Lehrer vor Ort“ bzw. die „Schulen vor Ort“ im Gegensatz zu den zentralen Entscheidungsträgern im Bildungsministerium oder der académies bezeichnen. Allerdings wird es gelegentlich auch für die „académies vor Ort“ im Gegensatz zu zentralen Vorgaben aus Paris verwendet. Die Dezentralität der Bezeichnung „vor Ort“ wird also relativ und nicht absolut benutzt.

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Bevor die für die Förderung des Deutschen zentrale Praktik der Sprachenplanung (vgl. Kapitel 4.4.4) und deren Verwobenheit mit der vorgestellten Ordnung des französischen Bildungssystems betrachtet wird, werden im folgenden Abschnitt zunächst die Positionen der Akteure des Deutschen in Bezug zu dieser Ordnung beleuchtet. 4.4.2 Die Position der Akteure der Förderung der deutschen Sprache relativ zur Ordnung des französischen Bildungssystems Bei der Beschreibung der Ordnung des französischen Bildungssystems wurden von den Akteuren, die in Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich engagiert sind, lediglich die regionalen Deutschinspecteurs erwähnt. Wie gesehen, wurden diese jedoch nicht als wesentliche Entscheidungsträger innerhalb dieser Ordnung bezeichnet. Welche Rolle spielen nun die Akteure des Deutschen, d. h. welche Position besitzen sie in Bezug zur in Kapitel 4.4.1 beschriebenen Ordnung des französischen Bildungssystems? Für die Rolle der bereits erwähnten regionalen Deutsch-inspecteurs ist grundlegend, dass diese laut IP21 „im Wesentlichen eine pädagogische Rolle besitzen, sie sind folglich nicht auf der politischen oder administrativen Entscheidungsebene“. Die Position der regionalen Deutsch-inspecteurs wurde erst im Zuge der déconcentration geschaffen und hing anfangs noch stärker von den nationalen Deutsch-inspecteurs ab. Der Hauptunterschied zwischen regionalen und nationalen Deutsch-inspecteurs liegt zunächst offensichtlich in der territorialen Zuständigkeit: Die 28 regionalen Deutschinspecteurs sind zumeist jeweils für eine académie zuständig,377 den drei nationalen Deutsch-inspecteurs hingegen unterliegt die Koordinierung der Pädagogik des Deutschen im gesamten Territorium Frankreichs. Darüber hinaus gibt es jedoch auch inhaltliche Unterschiede: So führen die regionalen Deutsch-inspecteurs den größten Teil der Unterrichtsbesuche durch, um zu überprüfen, dass „was [die Deutschlehrer] machen dem entspricht, was in den Lehrplänen steht“ (IP14). Dadurch, dass die nationalen Deutsch-

377 Es kann mehrere regionale Deutsch-inspecteurs in einer académie geben, aber auch einen regionalen Deutsch-inspecteur, der für mehrere académies zuständig ist.

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inspecteurs dies nur noch in besonderen Fällen machen, haben sie laut IP10 „gleich Null“ Einfluss auf den Schulalltag. Die nationalen Deutschinspecteurs verfügen insgesamt über mehr Freiräume als die regionalen Deutsch-inspecteurs. Sie „sind Leute, die das System eigentlich ausleuchten, bewerten und dem Minister über Gutachten und Berichte den Sachstand nennen, benennen, bewerten und ihm auch Vorschläge machen“. Insgesamt fungieren die nationalen Deutsch-inspecteurs wie die regionalen Deutsch-inspecteurs „als Experten, überhaupt nicht als Entscheider“ (IP10): „Wir werden oft gefragt, wir sagen unsere Meinung. Aber ich erwarte nicht von der Politik … Mir reicht es, wenn ich angehört werde, man kann nicht erwarten, dass man erhört wird – angehört ja, erhört nicht unbedingt. Das ist dann eine Entscheidung der Politik, und ich kenne Kollegen, die sich daran stören. Mich stört das überhaupt nicht, weil es nicht meine Aufgabe ist, Politik zu gestalten. Ich agiere im Vorfeld, ich gebe Entscheidungshilfen. Ob die davon Gebrauch machen oder nicht, ich habe dann meine Arbeit getan. Sehen Sie, was ich meine? Ich kenne den Sachverhalt, ich bin seit 28 Jahren in der Fachaufsicht, ich kenne mich sehr gut aus, und die Politik hat einen anderen Gesichtspunkt und arbeitet unter anderen Vorzeichen als ich.“

IP10 grenzt, wie bereits in Kapitel 4.3.4 kurz erwähnt, die Praktik des Operationalisierens und hier im Speziellen das Projekt des Ausleuchtens, Bewertens und Beratens von der Politischen Praktik ab. Damit unterscheiden sich auch deren Ziele, wie IP10 bei der weiterführenden Beschreibung seiner Tätigkeit deutlich macht: „Die Politik hat gesagt: ‚Das machen wir‘, und oft sagen wir der Politik: ‚Also das ist vielleicht etwas übertrieben, das ist unrealistisch‘. Und die Politik nimmt das zur Kenntnis, aber hält sich nicht unbedingt daran, wofür ich volles Verständnis habe, das ist Sache der Politik. Nur die Politik kann natürlich dann nicht den Experten vorwerfen, sie wären daran schuld, wenn es scheitert. Wir haben sie oft gewarnt und das machen wir immer schriftlich und können darauf zurückgreifen, falls wir zur Verantwortung gezogen werden, und sagen: ‚Wir haben Sie ja davor gewarnt‘. Und ich akzeptiere auch von der Politik, dass sie manchmal Sachen in die Wege leiten, von denen wir als Experten wissen, dass sie unrealistisch sind. Aber die Politik sagt, die Politik braucht ja, sie ist ja plakativ, sie muss Ergebnisse, und greifbare Ergebnisse vorweisen, und da habe ich auch Verständnis dafür. Das ist oft, dass viel Blen-

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dung dazugehört, und es geht um den kurzfristigen Erfolg. Aber das stört mich nicht, denn wenn wir einen Bericht abgeben, sagen wir immer: ‚Kurzfristig, mittelfristig, langfristig‘, also das gehört zum Geschäft und das ist ganz normal.“

Neben den regionalen und den nationalen Deutsch-inspecteurs sind Akteure des Deutschen nicht zuletzt in verschiedenen Abteilungen des Bildungsministeriums zu finden.378 Dort haben sie jedoch Positionen inne, die „sehr hierarchisiert“ sind, d. h. in denen sie „gegenüber [ihren] Vorgesetzten rechenschaftspflichtig sind“ und „keine eigene Autonomie, keine eigene Unterschrift“ besitzen, wie IP4 beschreibt. Seine Position ist die eines „Ausblicks von einer zentralen Administration, die konkrete Arbeit danach, die Umsetzung vor Ort, geschieht auf der Ebene der académies“. Sein Kollege (IP22) ergänzt, dass diese Position nicht ganz einfach sei: „Wir sind keine Leute, die sich entmutigen lassen [lacht kurz]. Doch, manchmal hat man trotzdem Momente der Verzagtheit. Aber wir versuchen es dennoch, sind uns aber trotzdem bewusst, dass wir nicht viel Macht haben. Wir haben zugleich, wenn Sie so wollen, sehr wenig Macht, und gleichzeitig, wenn wir nichts machen, passiert gar nichts mehr. […] Wir haben eine Art Rolle, […] wir haben die Macht der Initiative. Und wir sind ein bisschen, wie soll man sagen, der Ausguck, wir haben ein bisschen diese Rolle. Wenn was nicht stimmt, dann schlagen wir Alarm.“

Indem IP22 von „Verzagtheit“ spricht, zeigt er, dass auch die Praktik des Operationalisierens, in der er engagiert ist, negative teleoaffektive Strukturen aufweist. Diese basieren nicht zuletzt auf der mit dieser Praktik verwobenen Ordnung des französischen Bildungssystems, innerhalb derer er eine Position einnimmt, die ihn mit „sehr wenig Macht“ ausstattet. Dennoch habe er die „Macht der Initiative“, die er dazu nutzen müsse „ohne Unterlass anzutreiben, Anmerkungen zu machen, versuchen zu alarmieren“. Neben den regionalen und den nationalen Deutsch-inspecteurs sowie den in verschiedenen Abteilungen des Bildungsministeriums positionierten Akteuren des Deutschen sind schließlich innerhalb des französischen Bildungssystems noch die Deutschlehrer zu nennen. Die negativen teleoaffek-

378 Neben der bereits erwähnten DGESCO (direction générale de l’enseignement scolaire)     DREIC (direction des relations européennes et internationales et de la coopération).

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tiven Strukturen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens liefern einen Hinweis auf die Position, welche sie innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems einnehmen: Die von Druck, Angst und Isolation geprägten teleoaffektiven Strukturen (s. Kapitel 4.2.1) resultieren zum Teil auch aus ihrer Position, die es ihnen z. B. nicht erlaubt, sich für ein Engagement in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens an nur einem Ort zu entscheiden. Sie werden daher von den Akteuren des Deutschen nicht als Entscheidungsträger gesehen. Somit sind die Akteure des Deutschen, die innerhalb des französischen Bildungssystems positioniert sind, d. h. die französischen Akteure des Deutschen379, in der Ordnung dieses Systems außerhalb der „Kette“ der Entscheidungsträger anzusiedeln (s. Abbildung 25). In Bezug zur Ordnung des französischen Bildungssystems ist auch die Position der deutschen Akteure zu bestimmen. Wichtigste Plattform der Koordination dieser Akteure ist die bereits erwähnte StADaF, die Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache. Mittels der StADaF wird im Folgenden die Position der deutschen Akteure des Deutschen näher beschrieben.

379 Der Ausdruck „französische Akteure des Deutschen“ bezeichnet die Position und nicht die Nationalität dieser Akteure. Während die französischen Akteure innerhalb des französischen Bildungssystems verortet sind, sind die deutschen Akteure nicht innerhalb dieser Ordnung positioniert (diese Abgrenzung kann nicht über die Nationalität erfolgen, da auf französischer Seite auch Deutsche arbeiten, während auf deutscher Seite ebenso Franzosen beschäftigt sind).

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Abbildung 25: Französische Akteure des Deutschen innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems

 Zu den Sitzungen der StADaF lädt der Kulturreferent der Deutschen Botschaft in Paris drei- bis viermal pro Jahr ein. Etwa 30 Vertreter deutscher, französischer und deutsch-französischer Institutionen bilden dann dieses „Gesprächsforum“ (IP20).380 IP20 strukturiert die Teilnehmer der für Interessierte prinzipiell offenen StADaF in Ringen um das zentrale „Quartett“ von „Goethe-Institute, Deutsch-Französische Häuser, DeutschFranzösisches Jugendwerk [DFJW] und die [Deutsche] Botschaft“ (s. Ab380 Der Termin dieser StADaF-Sitzungen wird normalerweise auf einen Mittwochnachmittag gelegt, weil dann auch „die Schulleute besser dazukommen“ (IP20). Hierzu zählen neben dem Deutschlehrerverband ADEAF auch Vertreter deutscher Schulen im Pariser Raum. In Sitzungen von etwa drei Stunden Dauer werden dann einige Tagesordnungspunkte besprochen, wobei „schon Mühe besteht, da durchzukommen“ (IP20).

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bildung 26). „Dann kommt natürlich sehr schnell auch die französische Seite“ in einem „zweiten Ring“ mit den Vertretern der DREIC und der DGESCO des französischen Bildungsministeriums und „natürlich auch die Deutschlehrer“. Im „dritten Ring“ folgen dann andere, nicht immer primär mit Sprache beschäftigte Vereinigungen wie etwa „die FAFA, die EFA381, das Deutsche Sozialwerk in Frankreich“ (IP20). Abbildung 26: Teilnehmer an den Sitzungen der „Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache“ (StADaF)

 Die StADaF ist ein Abbild der „dezentralen“ (IP20) Organisationsstruktur der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die über Mittlerorganisationen praktiziert wird. Diese Ordnung kennzeichnet IP6 folgendermaßen: „Dadurch, dass wir so organisiert sind, wie wir organisiert sind in der Auswärtigen Kulturpolitik, eben durch Ausführungen über die Mittlerorganisationen, ist klar, dass wir nicht die großen Operateure sind. […] Deswegen glaube ich, ist es mühsam, wie

381 FAFA steht für Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe und EFA für die Échanges Franco-Allemands.

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wir organisiert sind, mitunter mühsam, aber im Ergebnis, wenn wir es schaffen […], dass da alle an einem Strang ziehen und da unter einem Dach zusammenzuführen sind, dann profitieren wir da sehr von der Komplementarität des Systems, weil eben jeder einen anderen Schwerpunkt und in diesem Schwerpunkt eine unglaubliche Expertise hat.“

Das übergeordnete Ziel der StADaF, „das, was wahrscheinlich alle eint, ist, was wir machen können, damit dem Deutschen in Frankreich in welcher Form auch immer geholfen wird“ (IP9). Hierbei sind, wie IP6 beschreibt, verschiedene Schwerpunkte auszumachen, die praxistheoretisch als unterschiedliche Praktiken mit je eigenen Zielen begriffen werden können. Diese unterschiedlichen Praktiken sind wiederum mit differierenden Ordnungen verwoben. Als Beispiel für abweichende Ordnungen kann die grundlegende Unterscheidung zwischen „Entsandten“ und „Ortskräften“ (IP9) bezeichnet werden. Wie bereits in Kapitel 4.3.7 beschrieben, verändert die zeitliche Ordnung als Entsandter die Praktiken sowie deren Ziele. In einigen Bereichen der Förderung des Deutschen arbeiten Entsandte für drei bis fünf Jahre in Frankreich, in anderen sind festangestellte Ortskräfte die Regel, die bisweilen bereits seit 40 Jahren hier tätig sind. Die Ordnung der Entsandten ist in der Deutschen Botschaft sowie in Teilen des Goethe-Instituts und des Deutsch-Französischen Jugendwerks üblich. Sie hat Auswirkungen auf die Praktiken, in denen Entsandte engagiert sind, wie IP20 ausführt: „Als Entsandter arbeitet man eigentlich mit einem Erbe und, sagen wir mal, mit gespeicherter Erfahrung, Vorläufen, die auch irgendwo gespeichert sind und die trotzdem erst mal fremd sind, die erarbeitet werden müssen. Und die, die lange da sind, arbeiten im Grunde genommen mit ihrem eigenen Speicher.“

IP20 beschreibt damit das Engagement in der Praktik als „Weitermachen an einer Sache, die schon vorher begonnen hat, die nach einem weiter geht“. Damit bleibe „bei drei Jahren Durchschnittszeit nicht allzu viel Zeit: Man muss sich erst einarbeiten und orientieren, dann ist die Zeitspanne fürs Arbeiten, sagen wir mal ein Jahr, und dann sind natürlich schon so ein bisschen die Weichen gestellt für einen kommenden Posten, der wieder etwas ganz anderes sein kann. Also das ist einfach unsere Struktur, das ist so. Wir sollen ja auch nicht Wurzeln schlagen, sondern neutrale Beobachter

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von außen bleiben. Aber gut, es ist sicher nichts, was der Kontinuität so sehr zugutekommt.“ Auch wenn IP20 die Dauer in der Folge relativiert – „das eine Jahr ist jetzt etwas sehr holzschnittartig, es ist Gott sei Dank doch ein bisschen länger“ –, wird klar, dass die Entsandten „operative, schnelle Ergebnisse“ wollen und „ungeduldig [sind], während wir etwas gelassener sind“ (IP9). Um ihre Karriere zu fördern, sind Entsandte daher nach Meinung vieler Akteure eher in Praktiken engagiert, die vor allem „sichtbar sind“ (IP14), zu denen v. a. die umstrittene Praktik des Werbens gehört. Außerdem agieren die Entsandten dabei gelegentlich – sogar nach eigenem Ermessen – etwas schnell (IP20), was unterstreicht, dass die abweichende Ordnung die Praktiken und damit deren Ziele verändert. Ein weiteres Beispiel unterschiedlicher Ordnungen und mit diesen verflochtenen abweichenden Praktiken kann anhand der Goethe-Institute und der Deutsch-Französischen Häuser skizziert werden: Erstens haben die Goethe-Institute laut IP9 als öffentlich finanzierte Einrichtung „ein planwirtschaftliches Verfahren gehabt“. Die Deutsch-Französischen Häuser demgegenüber hätten „natürlich auch auf Subventionen geschielt, weil wir ohne Subventionen auch nicht leben können. Aber wir wussten eben auch, wenn wir kein Geld haben, können wir auch nichts machen. Dann müssen wir uns drum kümmern, dass wir zusätzliche Partner für Sponsoring oder Mäzenatentum bekommen.“ Daraus resultiere zweitens eine andere Personaldecke, was dazu führe, dass im Goethe-Institut für verschiedene Bereiche der Infrastruktur Spezialisten angestellt sind, während in DeutschFranzösischen Häusern nicht selten der Leiter selbst den PC repariert bzw. „wir uns nicht zu schade waren, abends die Mülleimer rauszustellen und so was. Also das höre ich noch vom Goethe-Institut Lyon zum Beispiel: ‚Ich musste die Post heute Abend selber zur Post bringen!‘ Das ist bei uns, also das ist einfach nur um zu sagen, das war bei uns nie eine Überlegung. Wenn keiner da ist, geht man eben die Post wegbringen“ (IP9). Drittens führe die starke Ausrichtung der Deutsch-Französischen Häuser, Partner für Projekte zu gewinnen, dazu, dass der „Typus Mensch“ (IP20) ein anderer sei: So wird auf der einen Seite etwa ein Leiter eines DeutschFranzösischen Hauses als Mann „mit Chuzpe und seiner unverbrauchten, direkten, zupackenden Art“ (IP6) beschrieben, dem das Partnerschaftliche wichtig sei. Auf der anderen Seite werden die „Goethe-Institut-Leute“, die oft lange Zeit im Sprachenbereich in der Praktik des Unterrichtens engagiert waren, wie folgt beschrieben (IP20): „Dieser Lehrertypus […] hat

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unter Umständen auch […] so ein bisschen Sendungsbewusstsein, was Belehrendes, […] natürlich schon auch ein Quäntchen an Kolonialisierung, sag ich mal [lacht kurz]. ‚Wir kommen von außen und geben vor.‘“ Dies unterstützt auch IP12, indem er ausführt, dass das stark reduzierte Netz der Goethe-Institute „recht wirksam ist, aber wirksamer sein könnte, wenn es mehr mit den anderen Akteuren arbeiten würde“. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen und divergierenden Ordnungen, Praktiken und Ziele stellt die StADaF „immer den Versuch eines funktionierenden Netzwerks“ dar (IP20). Dies ist aber aufgrund eines gewissen „institutionellen Egoismus“ eine große Herausforderung, denn „es bleibt, das ist klar, immer dieser kleine Rest von Konkurrenz, und das verdichtet sich jetzt wieder ein bisschen“ (IP20).382 Es wird versucht, die in verschiedenen Praktiken engagierten Akteure sowohl auf das übergeordnete Ziel einzuschwören als auch gleichzeitig mittels der Praktik des Doing Community die Akteure nicht nur zu motivieren, sondern die Ordnung einer

382 Hier spricht IP20 die Problematik an, dass Projektanträge der DeutschFranzösischen Häuser auf Geheiß des Auswärtigen Amtes in Zukunft nicht mehr über die Deutsche Botschaft geprüft werden, sondern durch das GoetheInstitut: „Und das wird von den [Deutsch-Französischen] Häusern erst mal aufgefasst als gewisse Besserstellung und eine gewisse Abhängigkeit, so ein gewisses Juniorverhältnis.“ Hier stellen „sich uns Botschaftsleuten oft Fragezeichen: ‚Ist das praktikabel?‘, aber aus Berliner Sicht ist das praktikabel“. Aus Sicht einer rationellen Rentabilitätsrechnung mag dies stimmen, allerdings sind die Häuser laut IP9 auch aufgrund einer Vorgeschichte „etwas sensibel“: „Dann gab es Vereinnahmungsversuche, wo dann auch mal die Frau Limbach [die damalige Präsidentin des Goethe-Instituts] damals, haben Sie vielleicht gelesen, dann mal gesagt hat: ‚Ja, das DeutschMobil war eine Einrichtung, eine Initiative des Goethe-Instituts‘ und so was, das haben wir dann natürlich nicht so gerne gehört.“ Dieses Thema wird als derart schwerwiegend gesehen, weil das DeutschMobil „ist schon das wichtigste Projekt, wo die Häuser überhaupt in Frankreich Profil – und nicht nur in Frankreich, sondern über das FranceMobil dann auch in Deutschland – Profil bekommen haben und wo das Auswärtige Amt wahrscheinlich das erste Mal gesehen hat, dass die Häuser in der Tat was auf die Beine stellen können“. Folglich sind die DeutschFranzösischen Häuser „für die Goethe-Institute schon ein Dorn im Auge“, „eine kleine Konkurrenz“ (IP9).

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Community of Practice zu etablieren: So beschwört der neue Botschafter, wie erwähnt, bei seiner Vorstellung in einer StADaF-Sitzung Ende 2008 das gemeinsame übergeordnete Ziel, mehr Deutsch lernende Schüler zu rekrutieren, indem er von einem „uphill battle“ spricht und damit auf den langsam steigenden Anteil Deutsch lernender Schüler verweist.383 Auch wenn IP20 konstatiert, dass „der gute Wille bei allen da ist und ab und zu gibt es dann eben auch mal geglückte Projekte der Zusammenarbeit“, wird die Zusammenarbeit auch mittels der Etablierung einer weiteren Ordnung gestärkt. So versucht das Auswärtige Amt, die zentralen Akteure der Goethe-Institute und der Deutsch-Französischen Häuser einander näherzubringen, indem die beiden „etwas miteinander machen“, wie IP9 es nennt. Dazu wurden Projektgelder bereitgestellt, „und wenn man dann Projektgelder hat, dann muss man die relativ schnell ausgeben und steht unter Zugzwang und muss sich auch koordinieren wie verrückt, und deswegen kommt es zu diesem häufigeren Sehen und auch Muss-Treffen.“ Diese führten zum Projekt der bereits erwähnten Arbeitsgruppe „IDIF – Initiative Deutsch in Frankreich“, in welcher die zentralen Akteure der StADaF mitarbeiten: Deutsche Botschaft, Goethe-Institute, DeutschFranzösische Häuser, Deutsch-Französisches Jugendwerk sowie Akteure der Abteilungen DGESCO und DREIC des französischen Bildungsministeriums; außerdem nimmt laut IP18 gelegentlich ein nationaler Deutschinspecteur teil. IP9 beschreibt IDIF als „so einen kleinen deutschfranzösischen Think-Tank für Deutsch an der Schule“ (IP9).384 Insgesamt kann die StADaF als ein „Informationsaustauschinstrument“ (IP9) bezeichnet werden, das immer wieder „so Aha-Erlebnisse“ (IP20) kreiert, wenn klar wird, dass verschiedene Institutionen „überschneidend arbeiten“ (IP9). In der Ordnung der StADaF besitzt die Deutsche Botschaft eine „Koordinierungsfunktion, aber sicher nicht Anordnungsfunktion oder -position“ (IP20). Der Deutschen Botschaft kommt also nur die Rolle eines „Mediators“ (IP7) zu. Sie kann „in diesem System nicht diese Rolle spie-

383 Der neue Botschafter war bereits einige Jahre zuvor deutscher Botschafter in Paris. Dies scheint mir aufgrund der bereits an anderer Stelle betonten Legitimation der praktischen Erfahrung bedeutsam. 384 Auf Ergebnisse des IDIF-Projekts wird noch ausführlicher in Kapitel 4.4.5 eingegangen.

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len, weil die anderen wollen das dann auch nicht, der DAAD oder die Goethe-Institute oder das DFJW oder wer immer da ist“ (IP16). Ein wesentlicher Faktor, die mithilfe der Beschreibung der StADaF zueinander positionierten deutschen Akteure in Bezug zur Ordnung des französischen Bildungssystems zu setzen, ist offensichtlich ihre territoriale Rückbindung. Diese führt dazu, dass sie auf französischem Territorium keine Befugnisse besitzen. IP14 beschreibt dies folgendermaßen: „Ich glaube, wo man aufpassen muss, [ist,] dass wir im Bildungssystem unsere Regeln haben, unsere Kompetenzen, und dass wir mit Partnern arbeiten wollen. Ich meine, es kann nicht dazu gehen, dass eben Partner eine Rolle übernehmen, die sie normalerweise nicht haben. Partner sind immer dazu da – auch vor allem, wenn sie nicht im institutionellen Bereich verankert sind, sondern Partner sind im Rahmen […] von ausländischen Kulturinstituten oder von Vereinen –, Hilfestellung zu leisten.“

Daher könne man sich nicht „als Kritiker oder als Zensoren des Schulsystems selber gebären“, denn „es gibt Kompetenzen […], und auf die muss man Rücksicht nehmen“.385 Dieser Situation ist man sich auf deutscher Seite durchaus bewusst (IP7): „Also die Förderung des Deutschen in Frankreich, ich glaube, wenn wir Deutschen uns da allein bemühen würden und müssten, wäre die Wirkung gleich Null, realistisch betrachtet. Die Wirkung wird dadurch erzielt, dass wir einen sehr engen Kontakt mit dem Bildungsministerium pflegen und dass wir eben da auch die politische Rückendeckung des Ministeriums haben.“

Daher können die deutschen Akteure „nirgendwo eine leitende Funktion, aber eben eine beratende Funktion, analysierende Funktion, ja, auch wer-

385 Hier sei nur am Rande erwähnt, dass durch solche alltäglichen PositionsZuweisungen die Ordnungen der beiden Staaten Frankreich und Deutschland reproduziert werden. Ähnlich argumentierte MITCHELL (1991: 94), der am Beispiel der Staatsgrenze zeigte, wie die Ordnung des Staates durch alltägliche Praktiken zustande kommen und dann durch die Zuschreibung bedeutungsvoller werden, als die alltäglichen Aktivitäten zunächst vermuten lassen (s. Kapitel 2.2).

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bende Funktion“ einnehmen, wie IP20 für die Deutsche Botschaft beschreibt. Andererseits setzen gerade die französischen Akteure des Deutschen teilweise große Hoffnungen auf die diplomatische Macht der „Botschaftskollegen, die regelmäßig vorstellig werden im französischen Bildungsministerium, auch im Élysée-Palast oder im Matignon [= Sitz des französischen Premierministers]“ (IP10). IP4 konstatiert diesbezüglich: „Sie sind sehr wichtig, weil sie nicht dazugehören. Sie haben eine Autonomie, die sehr wichtig ist, eine Möglichkeit, Kritik zu äußern, die wir nicht zwangsläufig haben. Also ist es sehr wichtig, dass sie kritisch und fordernd sind. […] Ihre Position ist […] politisch und strategisch wichtig. Sie haben auch eine gewisse Freiheit, um einen Einfluss zu haben. Den müssen sie nutzen. Das ist wichtig für uns. […] Das funktioniert. Es kann irritierend sein, es ist nicht immer willkommen, aber es funktioniert. Es ist alles eine Frage der Dosierung, von Diplomatie, aber es funktioniert.“

Mit dem Hinweis, dass diese Rolle „irritierend“ sein kann, spielt IP4 auf die Problematik des „interkulturellen“ Kontaktes an, da auch IP12 über den Kulturreferenten aussagt, „er hat vielleicht eine etwas direkte Seite, die gewisse französische Partner überraschen kann“. Mit dem Verweis auf „die Schwierigkeit der interkulturellen Arbeit im Deutsch-Französischen“ führt er aus, dass gerade Entsandte hier mehr Probleme haben können: „Es ist klar, dass jemand, der Deutschland gut kennt, jemand, der Frankreich gut kennt, arbeitet meiner Meinung nach besser als jemand, der ankommt und noch nicht sehr gut die Mentalität des anderen Landes kennt, um die Dinge etwas verkürzt zu sagen. Das ist aber in der Tat ziemlich kompliziert.“

In nachfolgendem Exkurs wird das von IP12 als „Schwierigkeit der interkulturellen Arbeit im Deutsch-Französischen“ angeführte Thema der „Interkulturalität“ beleuchtet. Es scheint mir wichtig, sich bei dieser von vielen Akteuren immer wieder angesprochenen und für sie offensichtlich bedeutenden Thematik nicht mit einem Essentialismus zufriedenzugeben, son-

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dern zu versuchen, sie aus Sicht der Akteure des Deutschen in Frankreich zu beleuchten.386

Interkulturalität aus Sicht der Akteure der deutschen Sprache in Frankreich

Eines der Hauptprobleme der deutsch-französischen Beziehungen liegt nach Aussage vieler Akteure in der unerwarteten Fremdheit, wie es IP5 aus der Sicht eines Deutschen beschreibt: „Die Franzosen sind uns fremder, als wir meinen, und deshalb haben wir auch häufig Probleme mit den Franzosen, weil wir überrascht sind von der Fremdheit. Das sieht man auch sehr häufig bei Unternehmenszusammenschlüssen oder Kooperationen, EADS ist ein gutes Beispiel. Es gibt aber viele weitere Beispiele, dass man denkt: ‚Naja, die sind so wie wir, sind ja unsere Nachbarn und 60 Jahre lang Krieg und überhaupt, Karl der Große und so‘. Und in Wirklichkeit sind da aber andere Kulturen, und damit rechnet man nicht. Wenn man nach China geht, weiß man, dass die andere Kulturen haben, oder nach Japan. Da gibt es große Bücher und Seminare dazu, wie benehme ich mich in Japan und ich weiß nicht was, und bei den Franzosen meinen wir, die sind so wie wir, und tappt dann in die Falle.“

Diese Fremdheit äußert sich nach Meinung der Akteure auf zwei Ebenen: Zum einen hinsichtlich Unterschieden, die sich „auf den ersten Blick“ (IP12) erkennen lassen, und zum anderen bei Differenzen, die erst beim „zweiten Blick“ (IP9) augenscheinlich werden. Wiederum IP5

386 Wie etwa EVERTS (2008: 201) am Beispiel von „Multikulturalität“ zeigt, sind „theoretische Vorannahmen“ in der konkreten Situation oft wenig hilfreich, vielmehr sei es besser, „der Alltäglichkeit zu folgen“. Dies bedeutet für den Kontext der vorliegenden Arbeit, dass es darum geht, die Thematik der „Interkulturalität“ aus Sicht der Akteure der deutschen Sprache in Frankreich zu füllen.

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nennt Beispiele für unterschiedliche Praktiken, die auf den ersten Blick offensichtlich sind: „Die kulturelle Fremdheit der beiden Nachbarn ist für Europa relativ hoch, also da grenzen wirklich zwei Kulturräume aneinander, man kann wirklich sogar sagen, der germanische und der romanische Kulturraum, was sich in alltäglichen Kleinigkeiten niederschlägt. Also ich bin 1980 das erste Mal im Rahmen eines Jugendaustausches nach Belgien gekommen, 20, 25 km jenseits der deutschbelgischen Grenze, genau zwischen Liège [Lüttich] und Aachen, kleiner Ort, und ich dachte, das ist so eine Mischregion. Aber in Wirklichkeit war das Dorf französisch: Man hat französische Chansons gehört, man hat englische Namen französisch ausgesprochen, man hat die Betten mit Laken gemacht und nicht mit Zudecken, es gab französisches Essen, es war also komplett französisch – also Schnitt und andere Welt, und das hat mich damals ziemlich überrascht.“

Allerdings sind „die deutsche und die französische Gesellschaft auch auf den zweiten Blick zwei Gesellschaften, die ziemlich unterschiedlich funktionieren“, wie IP9 betont. Ähnlich argumentiert IP12: „Es gibt bedeutende Unterschiede, die man aber nicht auf den ersten Blick sieht. […] Es ist richtig, dass man manchmal ‚Dummheiten‘ macht, ohne zu verstehen, dass man etwas tut, was man nicht tun sollte.“

Diese „Dummheiten“ greift auch IP4 auf: „Das ist ganz blöd, das ist ganz blöd. Das kann in der Unwissenheit des Systems des anderen liegen, manchmal in der Art, etwas zu präsentieren, die dem deutschen Partner nicht direkt zugänglich ist, weil wir zu ethnozentriert sind, zu franko-französisch. […] Das ist ein interkulturelles Problem, ganz einfach, weil man sich das nicht bewusst macht. Weil man ethnozentriert ist und weil man die Dinge auf eine französische Art und Weise für ein französisches Publikum präsentiert, während es das aber nicht ist.“

IP5 bezeichnet das „dichte institutionelle Geflecht“ des „DeutschFranzösischen“ als eine Möglichkeit, die Unterschiede zu beschreiben, indem „wir für die Fremdheit der beiden Länder, der beiden Nachbarn eben dieses dichte Instrumentarium haben, um uns die Unterschiede wie in so einem Laboratorium anzuschauen“.

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Hier lassen sich weitere Beispiele für Differenzen erkennen, die erst auf den zweiten Blick auffallen und v. a. mit unterschiedlichem grundlegendem Verstehen erklärt werden: erstens eine in Frankreich notwendige „Rücksichtnahme auf Hierarchien“ (IP20), da „es eine Art Respekt vor der Hierarchie in Frankreich gibt, der sehr groß ist“ (IP12). Zweitens gibt es „auf französischer Seite eine Tendenz, auf den letzten Drücker zu arbeiten, zu improvisieren“ (IP12). Drittens „können auf französischer Seite einige den deutschen Partnern ihre etwas harte, ihre zu direkte Seite vorwerfen; Frankreich ist ja doch ein Land des Impliziten, Deutschland mehr des Expliziten, einer direkteren Art“. Viertens existiert eine unterschiedliche Bedeutung persönlicher Kontakte, d. h. während man in Deutschland ohne diese „relativ gut“ weiterkommt, „geht das einfach in Frankreich nicht“, da „in Frankreich eben vieles über persönliche Kontakte läuft“, ansonsten „läuft es sich tot“ (IP16). Fünftens ist schließlich der bereits erwähnte „interkulturelle Hammer“ zu nennen, „ein deutsches Werbeunternehmen [zu] beauftrag[en], in Frankreich eine Kampagne zu machen“ – „auch wenn die gut sind, aber sie sind eben in Deutschland gut, weil sie da ihre Klientel kennen“ (IP9). Diese Beispiele unterschiedlichen grundlegenden Verstehens haben Auswirkungen auf verschiedene Praktiken, wie IP12 folgendermaßen erklärt: „Wenn man das kennt, hat man kein Problem damit, wenn man es aber nicht kennt, sehr wohl, weil man nicht wirklich versteht, was geschieht; man versteht nicht, warum das, was man macht, nicht funktioniert.“

„Das Deutsch-Französische“ (IP5) biete mit seinem „Instrumentarium“ jedoch nicht nur die Möglichkeit, „Probleme [zu] beschreiben“, sondern „auf allen Ebenen gibt es in beiden Ländern Leute, die sich speziell mit dem Nachbarland beschäftigen, die die Sprache sprechen und Dolmetscher auch sind, nicht nur für die Sprache, sondern auch für die Kultur“, sodass man „dann auch Lösungen finden kann“. Einer der solchermaßen als „Dolmetscher“ charakterisierten Akteure benutzt selbst das Bild des „Fährmanns“, der sich vermittelnd zwischen den beiden „Kulturen“ bewegt (IP18). Die „Fährmänner“ besitzen also offensichtlich das grundlegende Verstehen, um die Situation einzuordnen. Deren Arbeit liegt darin, anderen aufgrund ihrer „interkulturellen Kompetenzen“

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(IP4) Dinge zu „erklären“ (IP10) und näherzubringen. Als ein Beispiel, das einer Erklärung bedurfte, nennt IP4 „die unterschiedliche Autonomie französischer und deutscher Schüler“: „Vor kurzem kamen 2000 Gymnasiasten aus Nordrhein-Westfalen für die Nuit Blanche in Paris387 nach Frankreich. Und es ist klar, dass die deutschen Schüler viel mehr Autonomie, viel mehr Freiheit haben als die französischen Schüler. Das hat die französische Regierung folglich sehr beunruhigt, dass diese Schüler hierherkommen und ganz alleine abends durch Paris spazieren. Während das für die Deutschen recht klar war und gar kein Problem darstellte. Wenn die Franzosen also nicht wissen, dass die deutschen Schüler mehr Freiheit haben, mehr Autonomie haben, unabhängiger sind, dann sagen sie sich, dann können sie sich sagen: ‚Die Deutschen sind sich der Gefahren gar nicht bewusst!‘, und die Deutschen ganz im Gegenteil: ‚Die Franzosen sind so empfindlich, das ist unmöglich!‘. Voilà. In der Tat ist das eine Unkenntnis der beiden Systeme und der Realitäten jedes Landes.“

Das nötige grundlegende Verstehen, die „interkulturellen Kompetenzen“, erwirbt man sich laut IP4 v. a. durch die Praktik eines langen Aufenthalts im jeweils anderen Land. IP4 behauptet von sich, dass „ich sofort besser verstehe, wo es hängen kann, warum ein deutscher Partner so reagiert“, „als jemand, der noch nie einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hat, während ich schon recht lange darin bade“. Wiederholt bezeichnen sich verschiedene Akteure als „nicht mehr ganz französisch, aber auch nicht deutsch“ (IP4) oder mit einem Augenzwinkern als „vielleicht zu ‚germanisiert‘“ (IP12). Doch nicht nur in der „Arbeit mit seinem Feld nach draußen“ – wie im beschriebenen Beispiel der deutschen Schüler in Frankreich – sind „Fährmänner“ nötig, sondern auch in den deutsch-französischen Gremien. IP6 beschreibt eine solche Arbeit des Übersetzens wie folgt: „Das war zum Beispiel auch eine ganz wichtige Funktion für uns an der Botschaft, in den deutsch-französischen Gremien, da sitzen dann die, diese Exper-

387 Die Nuit Blanche (d. h. „Weiße Nacht“, also eine Nacht, in der man nicht schläft) ist ein bekanntes Kunst- und Kulturfestival in Paris, das seit 2002 jährlich stattfindet.

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tenkommissionen, auch für die schulische Zusammenarbeit und so, dass man dann doch auch auf deutscher Seite mal als deutscher Diplomat erklären konnte und um Verständnis für bestimmte Beschränkungen der französischen Kollegen werben konnte, ja, zu sagen: ‚Also, das müsst ihr einfach verstehen, die können das nicht so einfach umsetzen oder durchsetzen, wie ihr euch das wünscht, weil es diese und jene Schranken gibt im französischen System.‘ Ich denke, das war auch so ein bisschen unsere Funktion auch in diesen Gremien wieder. Das hat eben auch sehr, sehr gut funktioniert.“

Gerade aufgrund der beschriebenen Ordnung der Entsandten sind nicht zuletzt auch in der StADaF „Fährmänner“ von Bedeutung. Dies liegt daran, dass „bei den deutschen Partnern, die nicht immer das französische System sehr genau kennen, denn bei der Botschaft wechselt das alle drei, vier Jahre, bei Goethe[-Instituten] ist es genauso, die Verantwortlichen wechseln, und es ist nicht immer eine detaillierte Kenntnis der Funktionsweise der Schulen, der rectorats, des Ministeriums vorhanden“ (IP12). Hier ist hilfreich, dass an den StADaF-Sitzungen „Deutsche aus Deutschland, Deutsche der Botschaft in Frankreich und Franzosen aus Frankreich“ teilnehmen und die „Deutschen der Deutschen Botschaft schon weniger deutsch als die Deutschen waren“ (IP4). Außerdem haben sich viele der Franzosen in der StADaF mittels langer Aufenthalte in Deutschland das grundlegende Verstehen erworben und sind nun „nicht mehr ganz französisch, aber auch nicht deutsch“ (IP4). Insgesamt ist die StADaF ein Forum, in dem „das Interkulturelle eine Rolle spielt“, da „wir gemeinsam entdeckte Defizite auch gemeinsam beheben können, und zwar so, dass ich als Deutscher mich eindenke in die französischen Voraussetzungen und dabei mithelfe, wie man trotz dieser Voraussetzungen vielleicht zu dem gemeinsam gesteckten Ziel […] kommen kann“ (IP9).388



388 Angesichts dieser Beschreibungen kann die StADaF in Anlehnung an ESCHER (1999: 175) als ein geographischer Raum gesehen werden, der „ein transkulturelles Verstehen ermöglicht“. Denn „interkulturelle Kommunikation und/oder interkulturelles Handeln bedarf Orten, um ein Verständnis der Kulturen zu ermöglichen“ (ESCHER, LAHR & PETERMANN 2007: 40). An dem Ort der Deutschen Botschaft in Paris wird durch die Praktiken etablierenden Taten und Äu-

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Außerhalb Frankreichs gibt es weitere deutsche Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem: Hier sind vor allem das Auswärtige Amt sowie der Bevollmächtigte zu nennen. Das Auswärtige Amt muss laut IP7 „schauen, mit wem sie arbeiten können – für sie beeinflussbar sind nur die, die sie unmittelbar, wo sie Geld reinschießen; das ist in dem Fall dann Goethe[-Institut], das ist deren Transmissionsriemen, […] das die Kooperation auch mit den Multiplikatoren sucht, angefangen von den inspecteurs bis hin insbesondere zu den Lehrerschulungen“. Da das Auswärtige Amt für die Auswärtige Bildungs- und Kulturpolitik Deutschlands zuständig ist, die Länder jedoch für die inländische, wurde laut IP7 im Zuge des Élysée-Vertrages auch „eine Bund-Ländervereinbarung geschlossen, in der das Amt dieses Bevollmächtigten“ geschaffen wurde. Damit wurde eine Position kreiert, jemand, „der auf Bundesebene autoritativ in dem Bereich was sagen kann“ (IP7) und der als dem französischen Bildungsminister ebenbürtig angesehen wird. Die Position dieses Bevollmächtigten ermöglicht ihrerseits in begrenztem Maße weitere Praktiken, wie IP5 am Beispiel der Problematik des damals geplanten dritten Bandes des deutsch-französischen Geschichtsbuchs ausführt: „Also der französische Verlag ‚Nathan‘ ist so enttäuscht von den Verkaufszahlen für den zweiten Band, dass sie überlegen, dieses Projekt zumindest in dieser Form nicht weiter zu betreiben, das ist seit einem Dreivierteljahr unser großes Problem. […] Da spielt eben das Politische sozusagen dann eine Rolle, dass man sagt: ‚O.K., wir müssen das jetzt auf diese Ebene heben, damit da vielleicht was passiert‘, weil nämlich der für das Geschichtsbuchprojekt Verantwortliche des Bildungsministeriums nicht die Macht hat, Druck auszuüben auf den Verlag. Und wenn das jemand könnte, dann wäre das der [französische Bildungs-]Minister. […] So, und wir müssen sicher sein, dass [der französische Bildungsminister] Darcos weiß, dass da Probleme in seinem Lager sind, weil die französische Administration, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten, hat ein Interesse daran, ihrem Minister gegenüber zu sagen: ‚Es läuft alles irgendwie‘. Und wir haben ein Interesse daran, das Thema eskalieren zu lassen, weil sonst da nie etwas deblockiert wird. Das sage ich denen

ßerungen ein Raum konstruiert (PETERMANN 2007: 16f.), in dem die Akteure des Deutschen aus dem „Gehäuse von Annahmen und Praktiken heraustreten, das [sie] sich aus kulturellen Selbstverständlichkeiten gezimmert und mit dem Anstrich der Eigengeltung versehen“ haben (MATTHES 1992: 97).

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auch so, d. h. Darcos sollte am Deutsch-Französischen Tag nach Berlin kommen, soll eine gemeinsame Veranstaltung mitmachen. Da hatten wir Wowereit vorbereitet, das [deutsch-]französische Geschichtsbuch anzusprechen. Das haben wir den Franzosen gesagt, d. h. sie mussten Darcos vorbereiten, das deutsch-französische Geschichtsbuch anzusprechen. Darcos ist nicht gekommen wegen Unruhen in Frankreich, das Gespräch ist nicht zustande gekommen, war natürlich für uns schlecht. Dann haben wir ein Schreiben geschrieben an Darcos, was nie so stark ist wie ein direktes Gespräch, weil was alles mit dem Brief passieren kann, der muss den nie sehen.“

Ein Grund hierfür ist oft das System der cabinets in Frankreich, in dem zwischen Ministerialbeamten und Ministern noch deren jeweiliges cabinet geschaltet ist.389 Auf die cabinets besitzt die deutsche Seite wenig Einfluss, sodass hier eventuell Vorlagen enden können und nicht bis zum Minister gelangen. Ein kleines Problem stellt laut IP5 die niedrige Hierarchie des Büros des Bevollmächtigten dar: „Wir sind kein Ministerium, sondern nur ein Büro, und in jedem Ministerium gibt es eben viele hierarchische Ebenen, mit denen man spielen kann […], und wir haben relativ wenig Zwischenmöglichkeiten in dem Fall, weil es gibt einen Politiker, den Bevollmächtigten, und danach gibt es nur noch sein Büro, das sind wir. Wir haben keine Staatssekretäre z. B. und keine höhere administrative Ebene, sodass, also ich sag mal, für den [französischen] Botschafter bin ich eigentlich zu niedrig und der Bevollmächtigte ist zu hoch, wenn man so will.“

Diese asymmetrische Hierarchisierung kann zum Problem werden, da es wegen des oben geschilderten Systems der cabinets „für uns notwendig ist, auch möglichst direkte Kontakte in die cabinets zu unterhalten und dazu noch in die [Französische] Botschaft, und da muss man aber vorsichtig sein, dass man niemanden übergeht, sondern transparent informiert, […] dass man nicht hinter dem Rücken des Partners auf eine andere Ebene geht

389 Während das Kabinett im Deutschen „die Gesamtheit der Mitglieder einer Regierung“ bezeichnet, umfasst das cabinet eine „Gruppe von engen Mitarbeitern und Beratern eines Ministers (oder Premierministers)“, bei denen es sich in Abgrenzung zu den Ministerialbeamten um politische Posten handelt (BAASNER, MANAC’H & VON SCHUMANN 2008: 19).

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oder die [Französische] Botschaft aus Versehen vergisst, weil man nicht wusste, dass die da auch involviert sein kann“ (IP5). Das Beispiel zeigt neben dem bereits beschriebenen Zirkelfluss zwischen der Politischen Praktik und der Praktik des Operationalisierens zweierlei: Erstens wird die Position der deutschen Akteure des Deutschen außerhalb der „Kette“ der Entscheidungsträger erneut verdeutlicht. Zweitens werden „Ebenen“ im Rahmen von Praktiken genutzt, mit denen „man spielen kann“. Dies ist ein Beispiel für scales, die als Ordnungen Praktiken „ermöglichen und beschränken“390. Insgesamt lassen sich die Positionen der Akteure des Deutschen folgendermaßen kennzeichnen (s. Abbildung 27): Die französischen Akteure des Deutschen sind zwar innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems, hierbei jedoch außerhalb der „Kette“ der Entscheidungsträger positioniert. Die deutschen Akteure des Deutschen befinden sich aufgrund ihrer territorialen Rückbindung außerhalb des französischen Bildungssystems und nehmen somit auch keine Position von Entscheidungsträgern ein. Folgende Aussage von IP3 fasst angesichts der Positionierung der Akteure des Deutschen außerhalb der „Kette“ der Entscheidungsträger ihre Situation treffend zusammen: „Wir machen alles, was nötig ist – jedenfalls alles, was wir können, damit die Dinge weitergehen“.

390 SCHATZKI 2002: 117

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Abbildung 27: Deutsche und französische Akteure des Deutschen in Frankreich



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4.4.3 Das Projekt des politischen Anstoßens Die Beschreibung der Ordnung des französischen Bildungssystems sowie der Position der Akteure des Deutschen in Bezug zu dieser Ordnung hat gezeigt, dass die Akteure des Deutschen keine Positionen von Entscheidungsträgern einnehmen. Mit diesem Wissen wird nun die Rolle des Projekts des politischen Anstoßens für die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich aufgezeigt. Das Projekt des politischen Anstoßens ist als Teil der Politischen Praktik in zwei bisher skizzierten Spannungsfeldern zu verorten: erstens zwischen zunehmend autonomen „Zonen“ der Entscheidungsträger auf verschiedenen „Ebenen“ und dem immer noch existierenden zentralistischen Rahmen sowie zweitens zwischen der Unabhängigkeit der in der Politischen Praktik Engagierten und dem Versuch, die Politiker „für die deutsch-französische Sache“ zu gewinnen. Die Bedeutung des Projekts des politischen Anstoßens in diesen Spannungsfeldern beschreibt IP12 folgendermaßen: „Auch wenn man in Paris eine Entscheidung fällt, der plan de relance ist eine solche, […] übersetzt sich das nicht zwangsläufig vor Ort, weil in der Tat der recteur Macht hat, die Schulleiter, das sind die proviseurs im lycée, die principaux im collège, Macht haben. Das erklärt also, dass die in Paris getroffenen Entscheidungen nicht in gleicher Weise, überall, manchmal überhaupt nicht und manchmal sehr gut umgesetzt werden. […] Also eine Art Zersplittern der Zentralmacht, Schwierigkeit der Zentralmacht, sich durchzusetzen. […] Der Anstoß [für den plan de relance] kam aus dem Élysée, alles geht in Frankreich von da aus, nach wie vor, wir sind trotz allem ein sehr zentralisiertes System geblieben.“

Kennzeichnend für das Projekt des politischen Anstoßens ist der „politische Wille“, dessen fundamentale Bedeutung für die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem sehr viele Akteure hervorheben. So führt etwa IP22 aus: „Was grundlegend ist, ist der politische Wille. Auf der einen Seite der politische Wille, auf der anderen Seite die dynamischen Leute vor Ort. Wenn man nicht beide Enden gleichzeitig in der Hand hält, hat man Probleme.“

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Die Dynamik der „Leute vor Ort“ soll, wie gesehen, nicht zuletzt durch die Praktik des Doing Community erhalten werden. Der politische Wille muss im Rahmen des Projekts des politischen Anstoßens praktiziert werden und „Impulse von oben“ (IP8) geben. Dies wird trotz der zunehmenden Autonomie der Entscheidungsträger in „ihren Zonen“ als unabdingbar erachtet: Erstens wird in diesem Kontext darauf verwiesen, dass „wir trotz allem ein sehr zentralisiertes System geblieben“ sind (IP12); zweitens ist dies vor dem Hintergrund des „Respekt[s] vor der Hierarchie in Frankreich [zu sehen], der sehr groß ist“ (IP12). Das Projekt des politischen Anstoßens soll auch der Gefahr des Ausfallens eines „Kettengliedes“ (IP12), des Ausscherens eines Entscheidungsträgers, innerhalb der Ordnung des französischen Bildungsministeriums entgegenwirken, wie IP6 erklärt: „Und dieser Gefahr waren sich alle, insbesondere auch die französischen Kollegen im Bildungsministerium, sehr, sehr bewusst, und deswegen hat man versucht, verschiedene Instrumente zu schaffen – Treffen der recteurs, wo also die recteurs, dass man versucht hat, diese Kette immer zu speisen. Also die recteurs wurden versammelt und hörten aus, from the horse’s mouth, wirklich aus erster Hand, wirklich von ihrem vorgesetzten Minister, was politisch angesagt ist und dass sie doch gefälligst einen Deutsch-Französischen Tag zu begehen hätten und und und, und diesen plan [de relance] umzusetzen hätten. Dann hat das Bildungsministerium, das war der Vorteil der zentralen Steuerung, immer aus Anlass des Deutsch-Französischen Tages Anweisungen herausgegeben, denen prinzipiell alle unterworfen waren. […] Oder: ‚Hier ist die Erklärung Chirac/Schröder [im Vorfeld des plan de relance], da steht es genau drin, das soll gefördert werden‘, ‚Hier ist das Protokoll des recteursTreffen, wo in den operativen Schlussfolgerungen drin steht, dies und dies und dies zu machen‘. Also, das war ganz wichtig und hat in vielen Fällen geholfen, in anderen Fällen, wenn die recteurs dann da eine andere Linie verfolgen und da starr sind, ist es auch schwierig geworden.“

Der politische Wille äußert sich also zunächst im Anstoßen von Initiativen wie etwa der „Erklärung Chirac/Schröder“ anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages. An diesen politischen Willen wird dann im Rahmen verschiedener Treffen, d. h. etablierter Ordnungen, erinnert. Hierbei spielen die recteurs – die, wie bereits kurz erwähnt, als „die wichtige Ebene“ (IP15) angesehen werden – eine bedeutende Rolle:

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„Die recteurs sind ja der Treibriemen sozusagen, […] sie müssen das umsetzen, und da sind es die recteurs, wo Sprachenpolitik sehr wichtig ist und da umgesetzt wird, da werden entscheidende Beschlüsse oder Wege gefunden, um das umzusetzen.“

Ein Kennzeichen der Ordnung des französischen Bildungssystems ist in diesem Zusammenhang, dass „die französischen recteurs durch den Bildungsminister zitiert werden, das ist deren Dienstpflicht zur Teilnahme“. Dies erleichtert in diesem Kontext das Projekt des politischen Anstoßens. Am wirkmächtigsten wird das Projekt des politischen Anstoßens von den Akteuren allerdings dann angesehen, wenn der Impuls von „ganz oben“ (IP5) kommt, wie IP8 ausführt: „Da kommt es eben doch schon sehr darauf an, was zumindest in dieser Funktion jemand ganz oben tut und will und macht. Ansonsten kann man schon sagen, dass die Staats- und Regierungschefs, also jetzt aktuell Sarkozy und Merkel, das habe ich am Anfang, als ich den Posten antrat, nicht so geglaubt und auch nicht für möglich gehalten. Das macht schon viel aus, das spielt eine große Rolle, ob von oben Impulse kommen, ob das von oben als prioritär erachtet und entsprechend nach vorne gebracht wird und mit einer hohen politischen Unterstützung versehen wird oder ob das nicht der Fall ist. Denn wenn das nicht der Fall ist, werden die Ideen, wenn sie nach oben kommen, irgendwann dann doch abgeblockt oder nicht weiter befördert. Dagegen, wenn sie von oben unterstützt werden oder sogar von oben eingespeist werden, kann man ganz viel machen und kommt sehr weit, auch in den deutschfranzösischen Beziehungen im Bereich Kultur und Bildung. Das ist also eine Lektion, die ich auch gelernt habe und die ich am Anfang nicht, das habe ich nicht geglaubt am Anfang.“

Die Rolle der „Ebene“ „ganz oben“ wird folglich nicht zuletzt für den bereits erwähnten „Zirkelfluss“ zwischen der Politischen Praktik und der Praktik des Operationalisierens als bedeutend angesehen. Ist der „politische Wille“ nicht vorhanden, wird dieser Zirkelfluss „abgeblockt“. Besonders in der gegenwärtigen Situation wird die Bedeutung des Projekts des politischen Anstoßens von „ganz oben“ sehr deutlich, da Sarkozy weniger Impulse gibt als sein Vorgänger Chirac und gleichzeitig mehr Einfluss auf alle Ministerien auszuüben scheint:

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„Jetzt ist das natürlich besonders schwierig mit Sarkozy, weil eben außer dem Élysée sowieso nichts existiert. Also das macht das sicher bei der jetzigen Regierung besonders schwer. Also selbst wenn, ich glaube das nicht, also selbst wenn Darcos jetzt was tun wollte für das Deutsche, ich glaube, dass kein Ministerium zurzeit irgendwas machen kann ohne Élysée“ (IP16).

Wie bereits in Kapitel 4.3.6 erwähnt, besteht zwar die Hoffnung, dass Sarkozy mittels der etablierten Ordnung für „die deutsch-französische Sache“ (IP21) gewonnen und in die Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich „reingeholt“ (IP5) werden kann. Zum Zeitpunkt des Interviews im Oktober 2008 sprach jedoch z. B. IP12 davon, dass „wir keinen Freund Deutschlands im Élysée haben. Der Präsident verfolgt primär seine eigenen Interessen, vielleicht mehr als seine Vorgänger.“ Auch die Autonomie des Bildungsministers wurde als sehr gering wahrgenommen: „Die politische Ebene beginnt momentan im Élysée und endet im Élysée, Monsieur Darcos setzt die Politik um“ (IP22). Schließlich wird auch die Bedeutung einer im cabinet des Premierministers geschaffenen Stelle, die von einem Deutschen besetzt wird – wiederum die Etablierung einer Ordnung, die „das Deutsch-Französische“ fördern soll –, gegenwärtig als vernachlässigbar angesehen.391 Daher resümiert IP16 die Situation für den politischen Bereich folgendermaßen: „Also ich bin der festen Überzeugung, dass zurzeit auf der oberen Ebene, derer, die im Bildungsministerium oder vielleicht als Bildungsberater im Matignon oder im

391 Auch der deutsche Akteur auf dieser Position hat lediglich diplomatischen Einfluss, da er als Deutscher „keine Funktion in der französischen Verwaltung“ hat (IP16). Allerdings kann dieser Einfluss variieren, je nachdem, „wer diese Person ausgewählt hat und ob man eben weiß, ob diese Person irgendwie mit Fillon [dem französischen Premierminister] zu viel lauten Kontakt hat oder nicht“. Das heißt, „wenn man den direkten Draht zu dem Minister hat, dann wissen die Leute in der Verwaltung: ,Wenn ich jetzt mit der Person rede, dann kann das irgendwie Konsequenzen haben, und entsprechend reagieren die dann darauf“ (IP16). Auch wenn die Rolle dieses deutschen Akteurs insgesamt relativ gering sein dürfte, ist sie momentan laut IP16 noch unwesentlicher, denn „das ist jetzt schon das Zeichen dafür, wie sehr der nach außen auftritt, dass mir selber schon wieder der Name nicht einfällt“.

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Élysée irgendwas zu sagen haben, dass es niemand gibt, der sich wirklich ernsthaft fürs Deutsche einsetzt, also davon bin ich fest überzeugt.“

Aufgrund dieser Lage erachten die Akteure des Deutschen vor allem gegenwärtig die „Grundsicherung“ durch den plan de relance als besonders wichtig, „insofern wichtig, weil damit immer wieder dokumentiert wird, dass wirklich der politische Wille einfach existiert“ (IP7). IP3 verweist darauf, dass es „im Rahmen der deutsch-französischen Vereinbarungen vor allem einen plan de relance des Deutschen in Frankreich und des Französischen in Deutschland gibt, der uns verpflichtet“. Wie bereits erwähnt, basiert der plan de relance und damit die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich auf dem Élysée-Vertrag von 1963, also einem „Staatsvertrag“, wie IP10 ausführt: „Ja, das ist eine Sonderstellung des Deutschen. Das ist kein Privileg, das hat etwas mit diesem Vertrag zu tun, und gäbe es diesen Vertrag nicht, könnte man diese Förderung der deutschen Sprache eigentlich nicht so legitimieren. Denn es werden vielleicht andere Sprachen gefördert in Frankreich, aber nicht so gezielt wie Deutsch, eben weil es diesen Vertrag gibt und diesen Artikel in diesem Vertrag gibt, der sich ausdrücklich auf die Förderung der jeweiligen Partnersprache beruft.“

Während der Élysée-Vertrag und der auf diesem basierende plan de relance als Artefakte des Projekts des politischen Anstoßens die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich politisch legitimieren, kreieren sie auch über die „Förderung der jeweiligen Partnersprache“ eine Verbindung zur Förderung der französischen Sprache in Deutschland. Damit kommt der auf den ersten Blick für die Förderung des Deutschen in Frankreich irrelevanten Förderung des Französischen in Deutschland eine wichtige Rolle zu. Der im Staatsvertrag bekundete politische Wille ist in Deutschland jedoch aufgrund der Ordnung des deutschen Bildungssystems nicht leicht umsetzbar. Es besteht „die Schwierigkeit, dass wir eben sehr schwer nur gegenüber dem zentralistischen, französischen System in unserem föderalen System tatsächlich Zusagen machen können, weil die Umsetzung an der Basis letztlich die Länder entscheiden“ (IP7). Der im Bereich der Bildungspolitik verortbaren Sprachförderung steht in Deutschland somit v. a. die Landespolitik entgegen. IP7 skizziert diese Problematik folgendermaßen:

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„Bei uns ist es dann tatsächlich eben die ideologische Aufspaltung zwischen den verschiedenen Bundesländern. Traditionell ist Bildung eben einer der Bereiche, wo sie auch im politischen Ränkespiel in Deutschland eines der Hauptschlachtfelder haben, wo man Unterschiede demonstrieren kann, die man in vielen Feldern sonst nicht mehr demonstrieren kann. Und das wirkt sich dann nicht immer unbedingt positiv aus, wenn man jetzt mit einem ganz spezifischen Ziel wie dem Ziel ‚Förderung der Partnersprache‘ ganz geradlinig irgendwelche Entwicklungen gerne anstoßen möchte.“

Diese Problematik führt dazu, dass „in Deutschland der plan de relance des Französischen sehr große Schwierigkeiten hat zu existieren, was dazu führt, dass die französischen Partner wütend sind“ (IP12). Folglich gibt es innenpolitisch in beiden Ländern Probleme, die Partnersprache zu fördern, da „der politische Wille und das, was dann praktisch bei rauskommt, immer zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sind, auf deutscher Seite wie auf französischer Seite“ (IP7). Der Unterschied zwischen dem politischen Willen und dem praktischen Resultat wurde bereits im Rahmen der Praktik des Operationalisierens und der Politischen Praktik thematisiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Ziele der Politischen Praktik oft „unrealistisch“ seien, zur Politik gehöre „viel Blendung dazu“ (IP10) und sie wird mit dem „Plakativen“ (u. a. IP12) konnotiert. Die in der Praktik des Operationalisierens engagierten Akteure müssen auch hier wieder v. a. der Community of Practice des DeutschUnterrichtens vermitteln, dass die „schönen Worte trotz alledem absolut unverzichtbar sind, denn dank dieser schönen Worte und dieses Willens macht das Deutsche wieder kleine Fortschritte in Frankreich“ (IP21). Folglich ist der politische Wille und damit das Projekt des politischen Anstoßens der Politischen Praktik absolut unverzichtbar, wie IP21 ausführt: „Das ist eine andere Logik. Eine sehr politische Logik, was im Schulbereich beispielsweise vor allem die Lehrer nicht verstehen. Sie werfen einem deutschfranzösischen Projekt vor, politisch zu sein und nicht nah genug an der Situation vor Ort. Wenn es aber diese politische Ambition und diesen politischen Willen nicht gäbe, wären viele Projekte nie geboren worden. Das deutsch-französische Geschichtsbuch oder das AbiBac. Ideal ist, wenn die pädagogischen Bedürfnisse und der politische Wille sich zunächst verständigen und dann im Einklang liegen. Aber manchmal dominiert der politische Wille, zunächst, und dann versuchen wir, das

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realistischst mögliche Projekt zu machen. Man muss aber dennoch zugeben, dass der politische Impuls absolut unverzichtbar ist, damit alles geschieht, was derzeit geschieht. […] Dieser politische Voluntarismus hat seine Grenzen, hat seine Fehler, aber er ist absolut notwendig.“

Der plan de relance wird von vielen französischen Akteuren nicht zuletzt als Ausdruck des „politischen Willens Deutschlands“ gedeutet, „Deutsch im Ausland zu fördern“. Dies ist „für uns ein extrem wichtiges Element in der Politik des Deutschen in Frankreich“ (IP3): Es stelle eine „Kulturrevolution“ dar, dass „Deutschland seit etwa zehn Jahren, ich würde sagen, seit 2003, in seiner Auswärtigen Kulturpolitik die Förderung der deutschen Sprache nicht mehr verleugnet“. Folglich verortet IP3 den Zeitpunkt dieser „Kulturrevolution“ in der Phase des Entstehens des plan de relance. Auch wenn dies „eine Entwicklung ist, die im Lauf der 90er-Jahre aufkam“, hatte „die deutsche Regierung [bis 2003] akzeptiert, dass z. B. Deutsch in Frankreich nur noch zweite Fremdsprache war, d. h. dass 40 % aller französischen Deutschschüler verschwinden. Das wurde geschrieben, die Direktorin des Goethe-Instituts zu dieser Zeit hat das geschrieben, v. a. in Artikeln in Le Monde, das war akzeptierte Politik“ (IP3). In Frankreich wurden infolge einer grundlegenden Reform der Verwaltung der Finanzen – dem „berühmten LOLF392“ – die Ziele des plan de relance in Programmen verankert, d. h. „wir haben Programme im Bildungsministerium, es gibt ein Programm für den Grundschulbereich und ein Programm für die weiterführenden Schulen, und in diesen Programmen gibt es quantitative Indikatoren zum Deutschunterricht mit Zielen. […] Dieses Ziel korrespondiert mit dem plan de relance, der 2005 begonnen hat

392 Das LOLF ist das loi organique relative aux lois de finances [das „‚Organgesetz‘ Nr. 2001-692 über die Haushaltsgesetze“ (Französische Botschaft 2002: 1)] und ersetzt die Haushaltsordnung aus dem Jahr 1959, die auch als „Frankreichs ‚Finanzverfassung‘“ bezeichnet wird (ebd.). Das Gesetz trat schrittweise bis Ende 2005 in Kraft und hat zum Ziel, die „öffentliche Verwaltung ergebnis- und leistungsorientiert zu reformieren“ (ebd.). Dies soll dadurch erreicht werden, dass der Staatshaushalt nicht mehr nach Haushaltsmittelarten und Ministerien strukturiert ist, sondern nach Aufgaben und Programmen, die außerdem stärkerer parlamentarischer Kontrolle unterliegen (ebd.; Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie 2006).

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und 2010 endet, es gibt also ein Ziel 2010“ (IP22). Aufgrund der quantitativen Ziele der Programme hat es Auswirkungen auf das von der Zentralverwaltung in Paris zugewiesene Budget des recteur, wenn die programmierten Ziele in seiner académie nicht erreicht werden, wie IP10 erklärt: „Es gibt bestimmte Vorgaben, […] und je nachdem welche Ergebnisse sie haben in Relation zu den Vorgaben, bleibt die Finanzierung gesichert oder wird sie zum Teil gestrichen, das ist neu.“

Es bleibt jedoch die Frage, inwiefern diese Einbußen den auch finanziellen Mehraufwand rechtfertigen, der für das Deutsche betrieben werden müsste, um zumindest teilweise unrealistisch scheinende Ziele zu erreichen.393 Dennoch ist es den Akteuren des Deutschen sehr wichtig, dass diese Ziele existieren. Hierbei spielen auch die bereits erwähnten Treffen der recteurs, aber auch die Treffen der recteurs mit den Kultusministern eine wichtige Rolle, wie IP3 ausführt: „Für uns ist das wichtig, dass es auf nationaler und binationaler Ebene diese Treffen z. B. mit den recteurs und den Kultusministern gibt, weil wenn es sie nicht gäbe, würde das heißen: ‚All das vergessen wir‘. Für die Entwicklung des Deutschen in Frankreich, für uns, ist das essentiell. Das ist vielleicht nicht von einer außergewöhnlichen Effektivität, aber es wäre kontraproduktiv und ineffezient, wenn es sie nicht gäbe. Das heißt, man erinnert daran, wie es in der LOLF festgehalten ist, dass es ein Regierungsziel von beiden Seiten ist, Deutsch in Frankreich und Französisch in Deutschland zu fördern. Wenn dieses Ziel gestrichen würde, dann ginge es uns nicht gut, weil es einen Haufen Leute in der Institution gibt, die Deutsch oder Deutschland nicht sonderlich lieben. Die gibt es, die gibt es und die warten nur auf eine Sache: dass das gestoppt wird und sie dann tun können, was sie wollen. Deswegen hängen wir schrecklich daran, für uns ist das sehr wichtig. Auch wenn das manchmal nur eine Fassade ist, da lassen wir uns nicht täuschen. Aber es ist besser, dass es das gibt, als dass man sagt: ‚O.K., wir stoppen das‘.“

Die Bedeutung des Projekts des politischen Anstoßens liegt folglich sowohl in der Erinnerung an Vorgaben in Artefakten – wie dem plan de relance oder den Programmen im Zuge des LOLF – als auch natürlich in der Pro-

393 Dieser Punkt wird in Kapitel 4.4.4 ausführlicher beleuchtet.

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duktion dieser Artefakte. Entscheidend ist ihr Charakter als schriftliche Fixierung des politischen Willens, d. h. die politische Legitimation weist diesen Artefakten eine Bedeutung zu, die sie zu Ordnungen werden lässt. Diese Ordnungen werden von den Akteuren des Deutschen als wesentlich für die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich angesehen: Einerseits ermöglichen die Ordnungen Praktiken, die als „positive Diskriminierung“ der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem angesehen werden. Andererseits beschränken diese Ordnungen die Praktiken der verschiedenen Entscheidungsträger des Bildungssystems, indem sie nicht „tun können, was sie wollen“ (IP3). Die Ordnungen sind jedoch zeitlich begrenzt und viele Akteure befürchten gegenwärtig, dass sie nicht verlängert werden könnten. „Das ist etwas Positives, dass das verankert ist. Wenn wir aber weitermachen wie bisher, werden wir das Ziel nicht erreichen. Und anschließend fürchte ich, dass nach 2010 diese Indikatoren verschwinden“ (IP22).

Im Projekt des politischen Anstoßens muss der politische Wille folglich im „Zirkelfluss“ zwischen der Politischen Praktik und der Praktik des Operationalisierens erneuert werden, um etwa die Ordnung des plan de relance mittels eines „plan de relance B“ (IP3) fortzuschreiben. Gerade für das Projekt des politischen Anstoßens im Rahmen der Förderung des Deutschen in Frankreich spielen die deutschen Akteure eine bedeutende Rolle. IP2 beschreibt dies wie folgt: „Sobald uns die Politiker fallen lassen, wenn Deutschland seine Bemühungen einstellt, [kurze Pause] Druck auf das Ministerium auszuüben, und das Ministerium sagt: ‚Das ist nicht mehr wichtig‘, dann werden wir meiner Meinung nach ein Problem haben.“

Die Bemühungen der deutschen Akteure sind zwar aufgrund ihrer Position außerhalb des französischen Bildungssystems diplomatischer Art. Wie gesehen, wird die durch „Autonomie“ gekennzeichnete Position jedoch auch als „politisch und strategisch wichtig“ angesehen, da diese „gewisse Freiheit“ auch einen „Einfluss“ ermöglicht, der „nicht immer willkommen“, aber „wichtig für uns“ ist, da dieser „Einfluss“ mit der „Möglichkeit, Kritik zu äußern“, verbunden sein kann (IP4). Eine zweite Möglichkeit, den poli-

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tischen Willen von deutscher Seite zu bekräftigen, beschreibt IP6, indem er auf die Entstehung des plan de relance zurückschaut: „Ich würde so weit gehen zu sagen, das Entscheidende war, dass unsere Bemühungen auf der Nachfrageseite, deutlich Flagge zu zeigen, erheblich dazu beigetragen haben, dass auf der Angebotsseite strukturell die Franzosen sich überhaupt motiviert sahen, irgendetwas zu tun. […] Das hätte man mit Sicherheit nicht in dem Maße gemacht, wenn wir uns da vornehm zurückgehalten hätten und gesagt hätten: ‚Das ist letztendlich ein Problem des französischen Bildungssystems, ja, und wir engagieren uns da überhaupt nicht.‘“

Hiermit verweist IP6 auf das Projekt der Werbekampagnen, dem er trotz aller – auch von ihm geäußerten – Kritik durchaus etwas Positives abgewinnen kann. Insgesamt bekräftigt also der politische Wille der deutschen Akteure des Deutschen das gemeinsame Engagement für die „Förderung der jeweiligen Partnersprache“, das z. B. von IP3 als wesentlich erachtet wird: „Ohne diese deutsch-französische Verbindung wäre das nicht mehr viel. […] Das stellt die Grundlage dar. Wir existieren auch durch uns selbst, aber das ist nicht dasselbe.“

Während auch IP6 die Bedeutung des politischen Willens, aber ebenfalls der permanenten Erinnerung an diesen betont – „Man [kann] Dinge tatsächlich bewegen, wenn man sie politisch will und wenn man dann auch nachhält.“ – relativiert IP7 den politischen Willen, indem er ausführt: „Wenn man dann wieder das runterbricht sozusagen auf wirklich das, was vor Ort geschieht, wo leider so viele Knüppel im Weg liegen, die – wenn der politische Wille fehlen würde – gar keiner erst aufgreifen würde, um sie auszuräumen, aber selbst wenn der politische Wille besteht, es nicht immer gelingt, sie auszuräumen.“

Dies erinnert an das Zitat von IP22, die auf „haufenweise anderweitige Hindernisse“ verweist, um zu begründen, wieso das übergeordnete Ziel – „das da lautet: mehr Schüler“ – nicht erreicht wird. Weitere dieser Hindernisse werden im Folgenden in der Praktik der Sprachenplanung näher beleuchtet.

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4.4.4 Die Praktik der Sprachenplanung Die zunehmende Autonomie der einzelnen Entscheidungsträger, das „Zersplittern der Zentralmacht, [die] Schwierigkeit der Zentralmacht, sich durchzusetzen“ (IP12), im Rahmen der déconcentration ist der wesentliche Faktor, der die Umsetzung des politisch Angestoßenen erschwert. Wie bereits beschrieben, führte die déconcentration der Ordnung des französischen Bildungssystems dazu, dass „in der Tat der recteur Macht hat, die Schulleiter, das sind die proviseurs im lycée, die principaux im collège, Macht haben“ (IP12). Die daraus resultierende komplexe Praktik der Sprachenplanung wird nun eingehender beleuchtet. Als ein grundlegendes Charakteristikum der Praktik der Sprachenplanung nennen sehr viele Akteure des Deutschen „budgetäre Imperative“ (IP17), welche diese Praktik stark beeinflussen: „Man muss auch sehen, dass das Bildungsministerium Budgetprobleme hat und dass man nicht in einer Phase ist, in der man das öffentliche Bildungssystem enorm unterstützt“ (IP17). Im Rahmen der déconcentration wurde das Budget „auf die Ebene der rectorats [= académies] [verlagert]. Jetzt sind es die recteurs, die darüber verfügen. Die recteurs haben also die Direktiven der Zentrale, des Ministeriums, und sie haben das Geld. Was machen sie? Sie machen ihre Politik.“ (IP12). Die recteurs sind folglich zunächst maßgeblich für die sogenannte pilotage académique, die rahmende Steuerung für die gesamte académie, die auch den Bereich der Praktik der Sprachenplanung betrifft. IP14 beschreibt dies folgendermaßen: „Der recteur bestimmt die Sprachenpolitik in der académie, das ist klar. Die regionalen Deutsch-inspecteurs können ihn beraten, es gibt Gremien dafür, die das statistisch bearbeiten und so weiter, aber die Entscheidung natürlich, welche Sprachen, sagen wir, gestützt werden, hängt vom recteur ab. Aber er hat ja auch Weisungen vom [französischen Bildungs-]Ministerium, die abhängen von den bilateralen Übereinkünften mit Deutschland, z. B. seit 2004 [plan de relance]. Also ist er nicht total unabhängig von dem Ganzen. Jetzt ist nur die Frage: Welche Maßnahmen werden getroffen? Das hängt vom recteur ab.“

Der recteur ist also einerseits eingebunden in die nationalen und binationalen Vorgaben (wie etwa den plan de relance von 2004), an die er aufgrund

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der etablierten Ordnung, wie gesehen, regelmäßig erinnert wird. Über den Fortschritt in Bezug auf die vorgegebenen Ziele hat er Rechenschaft abzulegen. Andererseits ist er die entscheidende Instanz, welche die Sprachenpolitik der académie definiert, d. h. er ist der Entscheidungsträger, während die in der Praktik des Operationalisierens Engagierten Statistiken liefern und z. B. die regionalen Deutsch-inspecteurs ihn beraten. Laut IP14 hat sich die Praktik der Sprachenplanung gegenüber früher grundlegend geändert: „Was man früher machte, war eher, den Tendenzen zu folgen, die es bei den Eltern, bei der Schülerschaft gab, eben die Sprachen da zu haben, wo Nachfrage bestand für die und die Sprachen. Und heute sind wir bei der Überlegung, dass man versucht, das zu steuern in gewisser Weise, weil wir schon sehen, dass natürlich gerade in Frankreich immer mehr Leute sich auf sehr wenige Sprachen beschränken. Und diese Wahl, die v. a. auf Englisch und Spanisch trifft, ist nicht zufriedenstellend für die Schulpolitik allgemein, für Sprachenpolitik allgemein, und es geht jetzt darum zu finden, wie man … Von einer Nachfragepolitik geht man über zu einer Angebotspolitik, mit einer bestimmten Steuerung. Und darum geht es ja eben, die carte des 394

langues

zu beeinflussen.“

Bei diesem Wechsel hin zu einer Angebotspolitik gelte es zu berücksichtigen, dass „letzten Endes die Entscheidung bei den Eltern und bei den Schülern liegt, welche Sprache sie lernen wollen, und da kann man nicht vorschreiben, […] welche Sprachen gelernt werden sollen. Gleichzeitig gibt es aber auch Methoden und Möglichkeiten, um Einfluss zu nehmen“ (IP14). Die carte des langues zu beeinflussen, bedeutet folglich, mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Angebot und Nachfrage in ein angesteuertes Gleichgewicht zu überführen. Zwar ist die Praktik der Sprachenplanung für die académies zunächst von der rahmenden pilotage académique geprägt, die aus „Aktivitäten [besteht], die jetzt in allen académies von jedem recteur praktisch dann so, was er machen kann, was er machen möchte, in dem Bereich initiiert werden“ (IP14). Allerdings werden die Optionen des recteur davon beeinflusst, „was er für ein Budget hat“ sowie „welche Personen auch in dem Bereich

394 Die carte des langues ist die räumliche Verteilung der in den Schulen Frankreichs erlernbaren Fremdsprachen.

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z. B. die Sprache am Leben erhalten können: Welche Lehrer, welche kompetenten Lehrer, welche Schulleiter sind in der Lage, das aufrecht zu erhalten?“ (IP14). Die Praktik der Sprachenplanung kann folglich nicht lediglich unter Berücksichtigung der académies betrachtet werden, denn „es wird ja sogar kompliziert innerhalb einer académie“ (IP10): Die „nationale Politik muss akademisch neu interpretiert werden, weil die Gegebenheiten ganz anders sind […], und was akademisch wahr ist, ist nicht im département wahr […], und was im département wahr ist, ist nicht in allen Schulen wahr“ (IP18). Insgesamt liege „zwischen Politik und Realität ein großes Feld. […] Von außen gesehen ist das ein riesiges Durcheinander: Die einen sagen was, die anderen tun es nicht. Das ist falsch. Die tun, was sie können, im Rahmen einer gesamten Richtung machen sie das, was sie können, und manchmal sieht es so aus, als wäre es gerade das Gegenteil von der Richtung, weil sie eben nicht anders können“ (IP18). Diese Komplexität der Praktik der Sprachenplanung – IP18 spricht von einer „Lawine“ – wird, ausgehend vom Beispiel der classes bilangues, nun detaillierter betrachtet. Die classes bilangues wurden bereits wiederholt als eine der wesentlichen Maßnahmen des plan de relance genannt. Im Rahmen der Praktik der Sprachenplanung stellen sie eines der zentralen Elemente dar, mit denen die recteurs Deutsch fördern können, wie IP14 erläutert: „Und da kann man sagen, dass praktisch seit 2003, 2004 es vor allem eine Initiative gab, um Deutsch zu fördern im Mittelschulbereich, also im collège-Bereich, mit den [classes] bilangues, die in vielen académies gestartet wurden, zu verschiedenen Zeitpunkten.“

Die classes bilangues existierten bereits in relativ geringem Maße vor dem plan de relance, wurden aber im plan de relance als eine zentrale Maßnahme gekennzeichnet. Aufgrund des Deutschlehrerüberangebots zu Beginn der Maßnahme ließen sie sich relativ schnell umsetzen und hatten – in den einzelnen académies zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Umfang eingeführt – einen überwältigenden Erfolg. Es scheint jedoch, als habe diese Maßnahme nicht zuletzt auch deshalb solch einen positiven Effekt, da sie auch sehr oft als Begründung von den Schulleitern und den Verwaltungs-inspecteurs gesehen wird, die beiden Deutschklassen

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der ersten und zweiten Fremdsprache zusammenzulegen und damit Deutsch als zweite Fremdsprache aufzulösen. Dies erklärt IP1 wie folgt: „Das Problem ist, dass viele Schulleiter mit den classes bilangues gesagt haben: ‚Vorher hatten Sie zehn Schüler in der LV1

395

, zehn Schüler in der LV2‘, also zehn

Schüler ab der sixième, zehn Schüler ab der quatrième, das machte also 20 Schüler insgesamt bzw. 19 Stunden Unterricht, weil er für die LV1 vier Stunden in der sixième hatte plus drei Stunden jeweils in der cinquième, quatrième, troisième sowie für die LV2 jeweils drei Stunden in der quatrième und der troisième. Das macht also 19 Stunden an dieser Schule. Der Lehrer war also zwangsläufig an einem einzigen collège. […] Jetzt mit den [classes] bilangues hast du Schulleiter und Verwaltungsinspecteurs, die entscheiden, das sind diejenigen, die finanziell die Fäden in der Hand halten, und die Verwaltungs-inspecteurs sind diejenigen, die die Stunden für die Stellen vergeben und die sagen: ‚Warten Sie mal, jetzt haben Sie 25 Schüler in Ihrer classe bilangue in der sixième, d. h. folglich, dass alle Schüler, die Deutsch wählen werden, bereits Deutsch gewählt haben‘. Man schafft also die LV2 ab und hat nur noch die [classe] bilangue. Und wenn du jetzt rechnest, hat der Kollege, der vorher mit LV1 und LV2 19 Stunden hatte und dem man jetzt sagt: ‚Sie haben nur 396

noch die [classe] bilangue‘, und die [classe] bilangue sind im besten Fall

drei

Stunden in der sixième, drei Stunden in der cinquième, drei Stunden in der quatrième, drei Stunden in der troisième, vier mal drei [Stunden], also zwölf [Stunden]. Das heißt, er muss noch zwei Klassen woanders unterrichten.“

Die unter dem Einfluss restriktiver „budgetärer Imperative“ stehende Praktik der Sprachenplanung verstärkt also mittels der Etablierung der Ordnung der classes bilangues den Trend, dass die mit der Praktik des DeutschUnterrichtens verwobene Ordnung sich verändert und die Deutschlehrer an mehreren collèges unterrichten müssen. Außerdem konterkariert das Ersetzen der ersten und der zweiten Fremdsprache an einer Schule durch eine

395 LV1 steht für langue vivante 1, also die erste Fremdsprache, LV2 für die zweite Fremdsprache. 396 Die classes bilangues haben sehr viele Ausprägungen, was die Stundenverteilung zwischen Deutsch und Englisch anbelangt. Oft nimmt Deutsch – entgegen der Intention, zwei Sprachen gleichberechtigt anzubieten – die Rolle einer „zweiten Fremdsprache“ ein, die dann auch mit weniger Stunden als die „erste Fremdsprache“ Englisch unterrichtet wird.

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classe bilangue offensichtlich das Ziel der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich, „das da lautet: mehr Schüler“ (IP22). Wenn mit der Konstanz einer abstrakten Zahl argumentiert wird, dass alle Schüler, die beabsichtigen Deutsch zu wählen, dies bereits getan haben, dann untergräbt dies ganz grundlegend die Möglichkeit, mehr Schüler anzuwerben, und läuft dem aus der Praktik des Rekrutierens bekannten Ansatz entgegen, man müsse „immer wieder neu anfangen“ (IP12). Schließlich führt die zunehmende Tendenz zur classe bilangue dazu, dass diese noch wichtiger für die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich wird; die Gefährdung der Förderung des Deutschen durch die bereits angesprochene erwartete Verallgemeinerung der classes bilangues steigt dadurch aber ebenfalls deutlich. Aus der Beispielrechnung von IP1 zur ersten und zweiten Fremdsprache in einem collège lässt sich ein weiteres Element der Praktik der Sprachenplanung herauslesen: Während ein Lehrer maximal 18 Stunden Lehrdeputat besitzt, fallen in einem collège mit erster und zweiter Fremdsprache 19 Stunden an, d. h. dass „gegenwärtig das Lehrdeputat nicht einmal ausreicht, um den regulären Unterricht der Schüler zu gewährleisten“ (IP1). Dies bedeutet, „dass die Lehrer gezwungen sind, Überstunden zu leisten, um den regulären Unterricht der Schüler zu sichern“. Dies betrifft laut IP1 alle Fächer und hat zur Folge, dass „die Schulleiter gezwungen sind, sogar künstlich Stunden zu schaffen, indem sie Stellen streichen. Und da die Lehrer, die in Rente gehen, mehrheitlich Deutschlehrer sind, ist es für sie weniger schwierig weiterzugeben: ‚O.K., so, der Lehrer geht in Rente, also streichen wir die Stelle.‘“ Nach Meinung von IP1 erleichtert gerade die mit der Praktik des Deutsch-Unterrichtens verflochtene Ordnung des Unterrichtens an mehreren collèges die Streichung von Stellen im Fach Deutsch: Diese veränderte Ordnung führe besonders im ländlichen Raum, „wenn man 20, 30, 40 Kilometer zwischen zwei Schulen hat“, dazu, dass die Deutschlehrer „immer weniger sichtbar“ seien. Diese sinkende Präsenz führe nicht nur zu einem Herausfallen aus der Community of Practice des Unterrichtens der Lehrer einer Schule, sondern im Rahmen der „Sparpolitik, sie nennen das Reform, also Sparpolitik [dazu, dass] viele, viele Lehrerstellen einfach gestrichen werden. Und hauptsächlich in Deutsch, weil das eben nicht so schmerzhaft ist für einen Schulleiter zu sagen: ‚Gut, so, jetzt streiche ich die Stelle‘, weil

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der Deutschlehrer einfach nicht mehr da ist. Wenn ein Lehrer noch da ist, in anderen Fächern, das tun die [Schulleiter] eher ungern“ (IP1). Dem vermehrten Rationalisieren zulasten des Faches Deutsch aufgrund von Zwängen des (Zeit-)Budgets läuft eine Tendenz entgegen, welche durch die zunehmende Autonomie der Schulleiter ermöglicht wird, bei der das Alter der Deutschlehrer jedoch oft ein Hemmschuh ist, wie IP14 erläutert: „Viele Schuldirektoren wollen Deutsch haben. Sie wissen das auch, dass Deutsch als Präsenz in ihrem Sprachenangebot, dass es ein Argument für ihre Schule ist. Und es gibt keine Schuldirektoren, die Deutsch nicht wollen. Das ist keine Ausnahme, dass ist sogar ein Engagement vielleicht von vielen Schuldirektoren, die was für Deutsch machen. Manchmal bedauern sie es […], einen Lehrer zu haben, der nicht aktiv genug ist, um Deutsch stützen zu können, z. B. weil er am Ende seiner Karriere ist und müde ist, was man auch verstehen kann. Und er möchte sozusagen, ‚Endlich möchte ich einen Deutschlehrer haben, der wieder …‘.“

Ein weiteres, nicht zuletzt auch budgetbezogenes Element der Praktik der Sprachenplanung ist die „Unsicherheit“ der Statistiken, wie es der IDIFBericht (2008: 12) bezeichnet. Es wird darauf verwiesen, dass im Bereich der Erhebung und der Präsentation „Zweifel an der Exaktheit der Zahlen der Schüler in Deutsch“ aufkommen, die oft „mit der Sorgfalt, der Präzision von zwei Nachkommastellen angekündigt“ würden. Die Zahlen würden nicht zuletzt „oft von den regionalen Deutsch-inspecteurs selbst in Zweifel gezogen“ (ebd.: 12f.). IP9 formuliert diesen Punkt wie folgt: „Diese statistischen Erhebungen, die ja jeweils von den einzelnen Schulbehörden oder académie-Bereichen gemacht werden, unterliegen eben keiner einheitlichen Erfassungsmethode, sondern jeder buttert da so ein bisschen rein, wie er das eben für richtig hält und wie er da möglichst gut da steht. Insofern sind die Statistiken nicht verlässlich, nicht, schlicht und einfach, also jedenfalls das, was wir sehen, also sind jedenfalls in einem ganz großen Schwankungsbereich verbunden. Und dass das Ministerium, also das französische Bildungsministerium, das nicht schafft, das zu vereinheitlichen, ist eigentlich skandalös.“

Vergegenwärtigt man sich die Verankerung von quantitativen Zielvorgaben in den Programmen im Zuge des LOLF, die bei Nichterreichen eine

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Budgetkürzung nach sich ziehen, dann wird klar, dass bei der Anfertigung der Statistiken neben Problemen der Vergleichbarkeit von einer académie zur anderen durchaus auch Anreize existieren, die Zahlen positiv zu gestalten. So werden im IDIF-Bericht verschiedene regionale Deutschinspecteurs zitiert, die ausführen, dass „alles davon abhängt, was man der pädagogischen Autorität gemeldet hat“, und dass es durchaus vorkommt, dass man Schüler „zweimal zählt“ (IDIF 2008: 13). Ein Grundprinzip der Praktik der Sprachenplanung sollte auch immer die continuité sein, d. h. die carte des langues dermaßen zu planen, dass ein lückenloses und kontinuierliches Lernen einer Sprache durch die einzelnen Klassenstufen hindurch möglich ist. Die für die continuité notwendige „Kohärenz der Strukturen“ (IP14) ist allerdings nicht immer gegeben. So berichtet z. B. IP14 von einer académie, in der nach einem Wechsel des recteur die Ordnung der classes bilangues abgeschafft und dafür vermehrt die sogenannten cinquièmes LV2397 eingesetzt wurden, um Deutsch zu fördern. Dies führte jedoch zu einer Situation, in der es „sehr viele Startmöglichkeiten [gab], was nicht unbedingt sehr einfach herauszufinden ist für die Eltern“: „Man kann […] Deutsch anfangen in der CE2398 als erste Fremdsprache, in der [classe] bilangue, wenn sie so praktiziert wird, in der cinquième [als vorgezogene zweite Fremdsprache] und in der quatrième“ (IP14) als normale, nicht vorgezogene zweite Fremdsprache. Daher gebe es eine „gewisse Inkohärenz“ (IP14), die nicht nur erstens dem „Egalitätsprinzip in Frankreich“ widerspreche – „d. h. dass man an jeder Stelle in Frankreich das Gleiche lernen kann und sollte, aber das geschieht nicht“ (IP9) –, sondern zweitens eben auch das Prinzip der continuité infrage stellt: „Im Prinzip gibt es die continuité, aber in der Tat gibt es oft keine continuité. Eltern, die wissen, dass es schwer sein wird, ihre Kinder im collège Deutsch lernen zu lassen, werden nicht versucht sein, sie in der école primaire damit beginnen zu lassen“ (IP22).

397 Die cinquièmes LV2 werden in dieser académie für Deutsch angeboten: Statt mit der zweiten Fremdsprache (LV2) erst in der quatrième zu beginnen, kann mit Deutsch bereits in der cinquième angefangen kann. 398 CE2 (Cours élémentaire 2) ist die dritte Klassenstufe der école primaire.

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Einen Spezialfall der continuité stellen diejenigen classes bilangues dar, deren Jahrgänge bereits im lycée angekommen sind. Da es im lycée bisher keine classes bilangues gab, müssen die Schüler bei Eintritt in das lycée eine erste und eine zweite Fremdsprache wählen, was die Logik der classes bilangues ad absurdum führt. Diejenigen Schüler, die hierbei nun im lycée Deutsch als zweite Fremdsprache wählen, sind dann „wirklich mit anderen Schülern zusammen in der Klasse, die nur zwei Jahre – und nicht vier Jahre – Deutsch hatten“ (IP1), wenn letztere im collège Deutsch als zweite Fremdsprache hatten. Auch wenn dieses Problem mit dem plan de relance B gelöst werden sollte, dürfte es bis zu diesem Zeitpunkt das Image des Deutsch-Unterrichts und die Frage der continuité der Praktik des DeutschLernens zweifelsohne nicht gerade positiv beeinflusst haben. Dies wiegt umso schwerer, da die continuité eines der Hauptargumente der Akteure des Deutschen ist, da man „eine deutsch-französische Karriere praktisch vom ersten Tag an einbetten kann in ein vorhandenes Angebot“: „Man kann sagen: ‚Von der Wiege bis zur Bahre [lacht kurz leicht] haben sie hier ein durchgehendes Angebot‘“ (IP6). Die continuité der Praktik des Deutsch-Lernens scheint zum Zeitpunkt meiner Untersuchung vor allem jedoch aus einem weiteren Grund gefährdet: „Jetzt kommt die nächste Lawine der Unmöglichkeiten: Es gibt keine Lehrer mehr“ (IP18). Natürlich ist die Aussage, dass es keine Lehrer mehr gibt, übertrieben. Andererseits wäre es untertrieben, die Situation der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich nicht als „besonders heikel“ (IP3) zu bezeichnen. IP3 beschreibt, wie es aus einer Situation des Lehrerüberschusses zu einer Situation des Lehrermangels kommen konnte: „Aus der Tatsache heraus, dass die Zahlen der Deutschlerner die letzten 15, 20 Jahre stetig gesunken sind, kam es zu einem Lehrerüberschuss. Es gab zu viele Lehrer im Verhältnis zu den Schülerzahlen. Obwohl man die Schülerzahl pro Klasse reduziert hat, weswegen wir in etwa halb so viele Schüler hatten wie im Spanischen – mittlerweile hängt das von der Klasse ab [die classes bilangues weisen eine deutlich höhere Schülerzahl auf]. Es gab also zu viele Lehrer, und das waren verbeamtete Lehrer. Agrégés, certifiés, Leute, die man nicht entlassen kann. Folglich hat man nicht mehr eingestellt, man hat viel weniger junge Lehrer eingestellt. Daher sind in der Alterspyramide der Deutschlehrer die höheren Altersklassen sehr viel stärker vertreten als in anderen Fächern. […] Die Einstellungen wurden also reduziert, sodass wir in die Enge getrieben sind zwischen zwei Phänomenen: Einer Verengung

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der Einstellungen Junger sowie einem Ausscheiden in die Rente und einem Stellenabbau, der ohne Zweifel proportional viel stärker ist als in anderen Fächern. Folglich reduziert sich die Zahl von zwei Seiten, und jetzt, ab dieser rentrée [Beginn des Schuljahres 2008/2009] sind wir wirklich in der Situation, dass es keinen Überschuss mehr gibt, sondern im Gegenteil einen Mangel. Jetzt muss man einstellen. Also haben wir das Ministerium alarmiert, wir nationalen Deutsch-inspecteurs, und haben ihnen gesagt: ‚Achtung, bei den Einstellungs-concours brauchen wir mehr für das Deutsche‘. Ob wir gehört werden, werden wir bald wissen, im Februar, März.“

Die Deutschlehrer haben also lange Zeit das Budget des Bildungsministeriums belastet, da sich die Nachfrage auf andere Sprachen konzentrierte, die verbeamteten Deutschlehrer jedoch nicht entlassen werden konnten. Umso schwerer wog es, dass es im Deutschen überdurchschnittlich viele agrégés gibt, die der höchsten Besoldungsstufe für Lehrer entsprechen (IP3). Außerdem besitzen die agrégés ein Lehrdeputat von lediglich 15 Stunden, während alle anderen Kollegen 18 Stunden unterrichten müssen. Dies machte in Zeiten des Überschusses relativ wenig aus, könnte nun aber aufgrund des Lehrermangels zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die angesprochenen Steigerungen der Neueinstellungen stellen eher einen Tropfen auf den heißen Stein dar: Zwar wurde den nationalen Deutschinspecteurs aufgrund der „heiklen“ (IP3) Situation eine Bevorzugung gegenüber den anderen Fächern versprochen, allerdings liegt diese Bevorzugung darin, dass IP3 nicht – wie in anderen Fächern – mit bis zu 20 % weniger Stellen, sondern mit 1–2 % Stellen mehr rechnet. Allerdings waren somit bei 106 Stellen im CAPES sowie einigen über interne und externe agrégations gewonnene Stellen zunächst maximal drei zusätzliche Stellen zu erwarten, während etwa 600 Lehrer in Rente gehen.399 Auch wenn in der Folge – allerdings mit Verzögerung – wieder deutlich mehr Stellen geschaffen werden,400 verschärft sich die Situation

399 Auch wenn IP3 die agrégations hier mitzählt, wird laut IP1 von diesen „nur ein Teil […] wirklich Lehrer an Sekundarschulen“. 400 Im CAPES für das darauf folgende Schuljahr 2009/2010 gab es in keinem Fach Änderungen (Ministère de l’Éducation Nationale 2008b, 2009). Für das Schuljahr 2010/2011 wurden für das Fach Deutsch 19 Lehrer mehr eingestellt (125 statt 106), während für Spanisch 50 Lehrer weniger (315 statt 365) und für Englisch 42 Lehrer weniger (900 statt 942) eingestellt wurden (ebd.

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weiterhin deutlich, da nach wie vor „höchstens ein Drittel der Stellen, die frei werden“ (IP1), wieder besetzt werden. Vor dem Hintergrund des massiven Lehrermangels und der bereits erwähnten „Unsicherheit“ der Zahlen werden auch die nationalen Prozentanteile Deutsch lernender Schüler von einigen Akteuren infrage gestellt. So berichtet mir etwa IP18, dass bei der Verkündung des nationalen Anteils von 15,5 % für das Schuljahr 2009/2010 im Januar 2010 die „im Saal anwesenden nationalen und regionalen Deutsch-inspecteurs gegrinst“ hätten. Ein regionaler Deutsch-inspecteur habe ihm sogar gesagt, „man könnte mit den bestehenden Lehrern nicht einmal mehr zwölf Prozent lehren“. In diesem Kontext spricht IP18 auch von einer „politique d’affichage“, einer Politik des Plakativen bzw. einer Politik der Bekanntgabe, die laut IP1 eine „richtige Politik des Handelns“ ersetze. Auch IP17 spricht, wie bereits erwähnt, in Bezug auf den Bildungsminister davon, „dass zwischen dem, was er sagt, und dem, was seine Regierung macht bzw. sein Ministerium, da gibt es eine unglaubliche Differenz“. Er sieht eine „sehr große Heuchelei bei den Ministerien und den politisch Verantwortlichen, die alle angeblich sehr interessiert am Deutsch-Französischen sind, aber mit budgetären Imperativen konfrontiert sind.“ Die Betrachtung der Politischen Praktik hat zwar gezeigt, dass „das Plakative“ ein Kennzeichen dieser Praktik ist. Dennoch schienen bisher eher übertriebene Zielvorgaben von zukünftig Angestrebtem damit gemeint als das Benutzen unsicherer Statistiken, d. h. „Trans-formationen“ vergangener Gegebenheiten. Unter dem Stichwort „Strategische Unklarheit“ setzt der IDIF-Bericht (2008: 14) diese Politik des Plakativen in einen größeren Bezug: „Zum Zeitpunkt, zu dem das Französische in Europa einen Rückgang erlebt, der mit dem des Deutschen in Frankreich vergleichbar ist, ist es verführerisch, eine Politik der ‚Sprachenvielfalt‘ darzustellen – gleichgültig, ob sie effektiv durchführbar sein wird –, um den Erhalt des Französischen in den europäischen Ländern zu verhandeln.“

2010a). Für das Schuljahr 2011/2012 sind im Fach Deutsch weitere 50 Lehrerstellen eingeplant (175 statt 125), während in Spanisch 63 Stellen und in Englisch 110 Stellen weniger eingestellt werden (Ministère de l’Éducation Nationale 2010b).

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An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass der IDIF-Bericht den nationalen und den regionalen Deutsch-inspecteurs vorgestellt wurde und „allgemeine Zustimmung erhalten“ (IP18) hat. Vor dem Hintergrund des Lehrermangels fasst IP18 zusammen: „Es gibt jetzt einen dramatischen Lehrermangel, und jede ernsthafte relance ist damit in ihrer Verwirklichung begrenzt und bleibt eher symbolisch“.401 IP18 bezeichnet dies auch als „politische Plakatierung von einem guten Willen, der aber zum Schutz der französischen Sprache dient und nichts weiter. Das ist ein Tauschobjekt.“ Die Aussage von IP3, dass die nationalen Deutsch-inspecteurs das Bildungsministerium alarmiert hätten, um mehr Neueinstellungen für Deutsch zu erreichen, verdeutlicht erneut die Position der Akteure des Deutschen innerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems: Die nationalen Deutsch-inspecteurs informieren die Zuständigen im Ministerium, die vor dem Hintergrund der angespannten budgetären Situation die Entscheidungen treffen, wie viele Lehrer in die Community of Practice des DeutschUnterrichtens rekrutiert werden. Angesichts der Situation der „sehr stark reduzierten Anzahl an Deutschlehrerstellen im concours in den letzten Jahren“ fragt sich IP17, „ob nach einer Weile diese Logik nicht zu einer Rechtfertigung der Tatsache führt, dass man Klassen schließt, weil man danach sowieso keine Lehrer mehr hat, da man nicht genug rekrutiert hat. Das ist also eine Spirale“. IP6 sieht die Gefahr der „Abwärtsspirale“ hingegen auf der Nachfrageseite: „Das ist diese Abwärtsspirale, die dann natürlich dazu führt, dass das Fach nicht mehr studiert wird oder dass keiner mehr Deutschlehrer werden will. Dann haben Sie das Problem möglicherweise sehr schnell von der anderen Seite, dass Sie praktisch eine Nachfrage, zumindest kurzzeitig einen Nachfrageüberhang haben, und haben gar nicht die richtigen Lehrer.“

401 Hier ist ein weiteres Mal auf GLASZE und MEYER (2009: 195) zu verweisen. Die Ausführungen von IP18 scheinen zu bestätigen, dass die Verteidigung der „kulturellen Vielfalt“ im internationalen Kontext innenpolitisch nicht zu einer Respektierung der sprachlichen Vielfalt führen muss.

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Der Ausdruck der „richtigen Lehrer“ verweist auf ein Element der Praktik der Sprachenplanung, das für die Praktiken der Förderung des Deutschen ein großes Problem darstellt: In Frankreich existieren sogenannte TZR402, Vertretungslehrer, die im Bereich der gesamten académie eingesetzt werden können. Wie IP3 ausführt, „haben wir Probleme mit den Vertretungen, weil alle TZR bereits Stellen für das ganze Jahr vertreten. Wenn jetzt also ein Lehrer zu vertreten ist … [zieht die Luft ein]“. Wenn es keine regulären Lehrer und keine TZR mehr gibt, werden sogenannte (enseignants) vacataires, Hilfslehrer, eingestellt. IP1 beschreibt deren Funktion folgendermaßen: „Das große Problem ist, dass zurzeit vacataires, […] also Leute, die nicht bezahlt werden, wenn sie abwesend sind, und auch nur für eine bestimmte Anzahl, meistens 200 Stunden, eingestellt werden“. Diese vacataires sind weit verbreitet. IP1 beziffert dies: „Zum Beispiel in Grenoble sind es zurzeit 50 vacataires, die wirklich für das ganze Jahr eingestellt wurden, in Lyon ungefähr 25 und so weiter“. Zum Zeitpunkt der Interviews im Schuljahr 2008/2009 waren zunächst keine konkreten Zahlen zur Situation des Lehrermangels zu erhalten. Die Aussagen von IP1 basieren auf einer eigeninitiativ durchgeführten Recherche, während das Bildungsministerium zu diesem Zeitpunkt über die Situation keine Zahlen besaß, wie IP22 ausführt: „Wir kennen die reelle Situation der Beschäftigung der Deutschlehrer sehr, sehr schlecht. Letztes [Schul-]Jahr hat unser [Bildungs-]Minister gesagt – was übrigens natürlich die Deutsche Botschaft reagieren ließ – hat gesagt, dass, wenn ich mich richtig erinnere, 500 Deutschlehrer ohne Beschäftigung seien. Dieses Jahr, und bereits letztes Jahr, aber dieses Jahr ist es noch schlimmer, sagen uns die regionalen Deutsch-inspecteurs: ‚Wir müssen zunehmend vacataires einstellen‘, das sind keine Lehrer. Mehr und mehr. Folglich stimmt da doch was nicht: Auf der einen Seite sagt man uns, es gebe zu viele Lehrer, auf der anderen Seite, es gebe nicht genug.“

Während der Bildungsminister von 500 Deutschlehrern ohne Schüler spricht, sehen die regionalen Deutsch-inspecteurs, dass zunehmend vacataires eingestellt werden müssen, um die Nachfrage zu befriedigen. Verschiedene Akteure der Förderung der deutschen Sprache unternehmen daher Initiativen, um einen besseren Überblick über die Situation zu be-

402 TZR bedeutet professeur titulaire en zone de remplacement.

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kommen. IP22 spricht etwa davon, „eine kleine Studie zu machen, […] um herauszufinden, wie die Situation der Lehrer in ihren académies ist: Wie viele vacataires beschäftigt werden, wie viele Lehrer an mehreren Schulen arbeiten etc.“. Im Rahmen des Deutschlehrertages 2009 präsentierte IP3 Zahlen zur Problematik des Lehrermangels für acht académies im Schuljahr 2008/2009 (s. Tabelle 2). Hier zeigt sich ein sehr differenziertes Bild, bei dem in einigen académies mit lediglich vier oder fünf sehr wenige vacataires eingesetzt werden, in anderen dagegen mit ca. 50 sehr viele. Diese Unterschiede sind vor dem Hintergrund ähnlicher Zahlen regulärer Lehrer erstaunlich und auch nicht mit Regelmäßigkeiten regional unterschiedlicher Anteile Deutsch lernender Schüler erklärbar.403 Angesichts der bereits erkannten Unsicherheit von Statistiken in diesem Bereich muss zudem die Frage gestellt werden, inwiefern diese Zahlen belastbar sind – kann eine hohe Zahl an vacataires doch von den Akteuren des Deutschen als Argument angebracht werden, mehr Lehrer einzustellen, was das Budget wiederum stärker belasten würde. Seit Erhebung dieser Zahlen aus dem Schuljahr 2008/2009 sind wiederum knapp 1000 Deutschlehrer mehr in Rente gegangen, als neu eingestellt wurden. Dies bedeutet bei 26 académies im Schnitt knapp 40 Deutschlehrer. Betrachtet man die in Tabelle 2 angeführten Zahlen, lässt sich die Dynamik der Situation erkennen und es wird klar, warum IP3 diese „für uns in Deutsch“ als „besonders heikel“ ansieht.

403 Der Anteil Deutsch lernender Schüler nimmt grob von Nordosten nach Südwesten ab. Dennoch weisen bei nahezu gleicher Lehrerzahl die benachbarten académies Bordeaux und Poitiers mit vier bzw. 58 die niedrigste respektive die höchste Anzahl an vacataires auf. Auf regionale Aspekte der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich wird ausführlich in Kapitel 4.4.5 eingegangen.

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Tabelle 2: Deutschlehrermangel in ausgewählten académies académie

Anzahl reguläre Deutschlehrer

Anzahl TZR

Anzahl vacataires

Amiens

320

31

15

Besançon

271

18

5

Bordeaux

214

59

4

Nantes

332

37

42

Paris

310

45

k. A.

Poitiers

232

31

58

Strasbourg

1094

111

16

Toulouse

224

30

13

Summe

2997

362

153



Quelle: IP3

Das Hauptproblem bei den vacataires wird von den Akteuren des Deutschen jedoch darin gesehen, dass sie – wie bereits IP22 ausführte – „keine Lehrer sind“. Dies bedeutet, dass die vacataires keine Ausbildung als Lehrer haben und nicht wie diese „aus- und weitergebildet werden. […] Der vacataire hat z. B. einen deutschen Vater oder kommt aus Tschechien, hat aber immerhin auch Deutsch gelernt und ist so Deutschlehrer geworden“, d. h. es werden „Leute eingestellt, die (ein bisschen) Deutsch können“ (IP1). Am Beispiel der vacataires tritt zutage, dass der die Praktik der Sprachenplanung beeinflussende „budgetäre Imperativ“ mit dem Streben der Akteure des Deutschen in Konflikt steht, über sichtbare Qualitätsverbesserungen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens mehr Schüler für Deutsch zu gewinnen. Während verschiedene Innovationen – und deren Öffentlichmachung im Rahmen verschiedener Projekte der Praktik des Werbens – dazu beigetragen haben, dass die Akteure des Deutschen „dabei sind, ein Image wiederzugewinnen“ (IP3), unterläuft der Lehrermangel dieses Bestreben. IP3 beschreibt vor diesem Hintergrund die Bedeutung des Lehrermangels für das Fach Deutsch:

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„Dieser Lehrermangel […] ist nicht nur dem Deutsch eigen, aber für uns in Deutsch ist das noch schlimmer. Weil wir versuchen, die Sprache zu fördern, wir versuchen Familien zu überzeugen, ihre Kinder Deutsch lernen zu lassen, und nachher, nachdem wir sie gewonnen haben, sind wir nicht in der Lage, unsere Versprechen zu halten. Folglich können wir als fragile Disziplin uns das nicht erlauben. Englisch kann sich das erlauben. Das ist nicht schlimm, die werden immer das gleiche Publikum haben. Wir können das nicht.“

Neben der abstrakten Anzahl ausgeschriebener Lehrerstellen bestehen laut IP14 auch Schwierigkeiten, diese Stellen mit guten Bewerbern zu besetzen. IP1 spricht sogar davon, dass „wir keine Deutschlehrer mehr finden“. Dies verweist möglicherweise auf die bereits erwähnte Problematik der Nachfragezyklen, welche durch die öffentliche Aussage des Bildungsministers, es gebe 500 Deutschlehrer zu viel, bestärkt worden sein dürfte.404 Der Aspekt des Lehrermangels beeinflusst die Qualität der Praktik des Deutsch-Unterrichtens auch über das Projekt des Sich-Fortbildens. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass die in den Augen der Akteure des Deutschen drastisch gestiegene Qualität der Praktik des DeutschUnterrichtens auch auf der „Qualität in dem Sinne von Ausbildungsmaßnahmen [basiert], vervollständigt durch das Goethe-Institut, durch das Deutsch-Französische Jugendwerk und all den Maßnahmen, die wir haben, gibt es dann schon ein Fortbildungsnetzwerk, das andere Sprachen nicht haben“ (IP14). Ein zentrales Element hierbei sind Fortbildungsmöglichkeiten für französische Deutschlehrer in Deutschland. Die Deutschlehrer können jedoch aufgrund des Lehrermangels immer häufiger nicht daran teilnehmen, da sie nicht vertreten werden können. Darüber hinaus sind auch

404 Tatsächlich hat sich die Zahl der beim CAPES anwesenden Bewerber im Fach Deutsch zwischen 2004 und 2010 nahezu halbiert, während die Zahl der jährlich zu besetzenden Stellen von 106 auf 125 erhöht wurde. Erhielt 2004 etwa jeder sechste anwesende Bewerber eine Stelle, war es 2010 bereits etwa jeder dritte. Im Fach Spanisch blieb diese Relation in diesem Zeitraum relativ unverändert – hier erhält nach wie vor etwa jeder sechste anwesende Bewerber eine Stelle. Da die Stellen an die besten Bewerber vergeben werden, dürfte im Fach Spanisch somit eine größere Auswahl sehr guter Bewerber bestehen (Ministère de l’Éducation Nationale 2008c; ebd. 2010a).

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die Fortbildungsangebote von den Budgetproblemen des Bildungsministeriums betroffen, wie IP17 schildert: „Es ist schon ziemlich unglaublich, an einer Sitzung über die Lehrermobilität teilzunehmen, bei der die erste Ankündigung ist, dass man das ehrgeizigste Programm der Mobilität abschafft, das einem französischen Lehrer ermöglicht, Französisch zu unterrichten, das deutsche System kennenzulernen, in Deutschland zu leben [ein Programm, das Lehrern erlaubt, für den Zeitraum eines Jahres die Stelle mit einem deutschen Kollegen zu tauschen]. Ich denke, das ist für einen Lehrer bereichernder als ein Kurzaufenthalt von 15 Tagen, drei Wochen. Und die Tendenz geht da hin. Ich denke, man sieht mehr und mehr, dass es einen Willen gibt zu sparen, keine zu teuren Austausche zu machen, keine zu kompliziert zu organisierenden, weil man auch in der Administration Stellen streicht und die Verwaltungen zunehmend weniger Zeit haben, diese Programme zu betreuen. Und auch da fragt man sich wieder: ‚Gibt es nicht eine gewisse Form der Heuchelei, die Mobilität fördern zu wollen, aber nicht die Instrumente bereitzustellen, die erlauben, sie zu finanzieren?‘“

Schließlich gibt es in einigen académies den Ansatz, Deutsch nicht mehr flächendeckend anzubieten, sondern in einigen Zentren, den sogenannten pôles. Auch wenn es „von académie zu académie, sogar von département zu département unterschiedlich ist, was man darunter versteht und ob man sich überhaupt Gedanken zur carte des langues gemacht hat“, sind pôles allgemein als „Zentren für Deutsch“ zu verstehen (IP1). Im Idealfall besteht ein pôle aus einem lycée, dem collèges zuarbeiten, und die collèges werden wiederum von écoles primaires mit Deutschschülern versorgt (IP3). IP6 erklärt den Ansatz der pôles folgendermaßen: „Da gab es ja auch verschiedene Ansätze, viele haben gesagt: ‚Es ist unmöglich, in der académie, im académie-Bereich flächendeckend das Angebot aufrecht zu erhalten. Also wir gehen lieber andere Wege, wir sagen, wir schaffen pôles, und dort wird schwerpunktmäßig unterrichtet. Nur so hat es überhaupt eine Chance, denn wenn wir es flächendeckend anbieten, dann schrumpft das flächendeckend unter ein kritisches Niveau, dann haben wir es nirgends mehr.‘ Und also da weiß ich auch nicht, was da der günstigste Weg ist, ich glaube, das ist tatsächlich auch von académie zu académie wahrscheinlich unterschiedlich, welche Methode da die bessere ist.“

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Auch hier wird wieder mit den regionalen Gegebenheiten verschiedener académies argumentiert. Ein Argument für die Einrichtung solcher pôles ist die Gewährleistung der bereits angesprochenen continuité, wie IP6 ausführt: „Das ist so ein Punkt, der bei der Methode ganz wichtig war, und da haben wir eben in der académie Rennes, die haben sich eben für diese Methode der pôle-Bildung entschieden, weil sie genau diesen Punkt ausschließen wollten, dass eben eine hohe Diskontinuität entsteht, dass also jemand bei der Wahl in der école primaire nicht weiß, ob er es später weitermachen kann. […] Also wer heute in der [école] primaire anfängt, in einem pôle, der weiß auch, dass er bis zum Bac weitermachen kann. Also das ist auch ein Weg.“

Jedoch wird des Öfteren kritisiert, dass ohne ein Angebot und die entsprechende Information eine Nachfrage nicht entstehen wird. Neben den bereits erwähnten Faktoren der Sprachwahl – „Ist der Lehrer nett? Was machen die Klassenkameraden?“ – kommt nun noch der Faktor dazu „Wie weit sind die Schulen entfernt?“ (IP5). Aus dieser Perspektive ist davon auszugehen, dass eine Konzentration auf pôles die Nachfrage weiter reduzieren wird. IP5 erklärt dies am Beispiel der Sprachenwahl in Deutschland: „Wenn eine Fremdsprache gar nicht angeboten wird, kann man sie natürlich auch nicht wählen. Und ich sage auch, wenn man in Deutschland flächendeckend Spanisch und Italienisch anbieten würde, würden die Französischlerner-Zahlen dramatisch zurückgehen, aber häufig hat man gar nicht die Wahl. […] Da haben wir tolle Zahlen immer noch in Französisch, aber sie beruhen eben auf der Tatsache, dass es gar keine Alternativen gibt.“

Insgesamt wird die Praktik der Sprachenplanung von den Akteuren des Deutschen als „Gemeinschaftsarbeit“ gekennzeichnet, bei der es tendenziell von einem „Kettenglied“ abhängen kann, wenn sich die Zahlen Deutsch lernender Schüler nicht wie erhofft entwickeln. IP3 beschreibt dies folgendermaßen: „Insgesamt gibt es eine Politik, die zugunsten des Deutschen angestoßen wurde und die angefangen hat, Früchte zu tragen. Hierbei spielen offensichtlich die Lehrer eine große Rolle. Aber ein Lehrer kann die Schülerzahlen nicht steigern, wenn er nicht

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die Unterstützung seines Schulleiters hat. Und wenn das ein collège ist, bedeutet dies, dass der Schulleiter die Unterstützung der école primaire benötigt. Folglich ist es eine Gemeinschaftsarbeit. Das ist vor Ort, und dann gibt es auf der Ebene der académie die regionalen Deutsch-inspecteurs, aber die regionalen Deutschinspecteurs können nichts machen, wenn der recteur ihnen nicht eine gewisse Macht gibt, keine Macht delegiert.“

Auch IP18 betont die Bedeutung des Deutschlehrers und der Gemeinschaftsarbeit: „Sie wissen auch, dass in den meisten collèges nur noch ein Lehrer ist, und wenn der schlecht ist, ist es sowieso aus mit Deutsch. Es hängt also nur noch von der Qualität der Lehrer ab, dass Deutsch in gewissen collèges überhaupt noch überlebt. […] Wenn jetzt aber der Deutschlehrer nicht gut ist, dann fliegt das auf. Sie müssen alle Kräfte zusammen haben: die Eltern, eine äußere Nachfrage, die Druck auf die Eltern und auf das ganze Gebiet ausübt, den Verwaltungs-inspecteur, den regionalen Deutsch-inspecteur haben sie sowieso, das Rektorat, das noch die Stunden gibt, der Schulleiter, und dann ist es wunderbar. Dann gehen Sie bis zur section européenne, im lycée.“

Mit dem Ausdruck einer äußeren Nachfrage verweist er auf ein Beispiel einer großen deutschen Firma, die „in die Schulen geht und sagt: ‚Wir brauchen Leute, die Deutsch reden‘“. Dies ist jedoch offensichtlich eine Ausnahme. Den Praktiken der Förderung der deutschen Sprache stehen im Bereich der Praktik der Sprachenplanung oft budgetäre Hindernisse entgegen, die dazu führen, dass die Entscheidungsträger „in den Schulverwaltungen bei den académies, also die sagen: ‚Naja, was kostet das denn alles‘ und ‚Im Grund kommen die Schüler heutzutage mit Englisch wunderbar durch und Spanisch ist einfacher und dabei belassen wir es mal‘“ (IP16). 4.4.5 Regionale Unterschiede der Sprachförderung Bei der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem gibt es deutliche regionale Unterschiede. Im Rahmen der Praktik der Sprachenplanung wurde bereits erwähnt, dass „die Sprachenpolitik […] immer mehr verlagert wird in die académies und nicht mehr alles in Paris ent-

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schieden wird. Also muss man praktisch in allen académies sehen, was gemacht wird, was gemacht werden kann, es gibt verschiedene Akzente dabei, und das ist eben die subtilere“ Sprachenpolitik (IP14). Und da die „Politik [...] nicht von einem rectorat [= académie] zum nächsten die gleiche“ ist (IP12), existieren also „fast so viele Konstellationen wie académies“ (IP10). Wie bereits angedeutet, ist zunächst eine deutliche regionale Ungleichverteilung des Anteils von in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schülern festzustellen. Abbildung 28 zeigt die als Artefakte aus der Praktik des Operationalisierens resultierende „Trans-formation“ des Erfolgs der Praktik des Rekrutierens der Sprachen Deutsch und Spanisch in der Gegenüberstellung. Da das Englische in der Regel die erste Fremdsprache darstellt und zwei Fremdsprachen gelernt werden müssen, stellen die Karten annähernd eine Verteilung der zweiten gewählten Fremdsprache dar. Hierbei lässt sich zunächst erkennen, dass der Anteil der Deutsch lernenden Schüler von Südwesten nach Nordosten zunimmt, während es für das Spanische genau umgekehrt ist. In der Praktik des Deutsch-Lernens waren im Sekundarbereich im Jahr 2004 bei einem nationalen Durchschnitt von 15,7 % in der académie Strasbourg 74 % und in der académie Nancy-Metz 42 % der Schüler engagiert. Im gesamten Süden – den académies Bordeaux, Toulouse, Montpellier, Aix-Marseille, Nice [Nizza] und Corse [Korsika] – erreicht der Anteil der Deutsch lernenden Schüler dagegen nicht mehr als sieben Prozent. Spanisch wurde bei einem nationalen Durchschnitt von 38,9 % vor allem im Südwesten gelernt, während der Anteil Spanisch lernender Schüler nach Nordosten deutlich abnimmt. In den académies Reims und Besançon ist der Anteil der Deutsch und Spanisch lernenden Schüler mit jeweils 25–28 % etwa gleich hoch. Dennoch ist auffällig, dass die niedrigsten regionalen Anteile des Spanischen deutlich höher liegen als die niedrigsten regionalen Anteile des Deutschen.405 Außerdem gilt für den Sekundarbereich in abgeschwächter Form das, was IP12 für den Grundschulbereich folgendermaßen formuliert: „Wenn wir Elsass nicht hätten, hätten wir lächerliche Zahlen“.

405 Ministère de l’Éducation Nationale 2005b: 4

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Abbildung 28: Anteile Deutsch bzw. Spanisch lernender Schüler im Sekundarbereich nach académies 2004

 Quelle: Ministère de l’Éducation Nationale 2005b: 4

Auch wenn Italienisch im nationalen Durchschnitt von lediglich 4,3 % der Schüler gewählt wird, ist Italienisch im Südosten bedeutender als Deutsch: In der académie Corse lernen 28 %, in der académie Nice 23 % und in den académies Grenoble und Aix-Marseille je etwa 15 % der Schüler diese Sprache.406 Die Akteure des Deutschen erklären diese regionalen Unterschiede mit der Nähe zu den jeweiligen Nachbarländern. So wird laut IP10 „im Grenzlandbereich die Sprache des Nachbarn – die braucht man nicht zu fördern, die wird nachgefragt, weil das mit Arbeitsaussichten, also mit Berufsaussichten verbunden ist“. Daraus folgt, dass die „Grenzregionen […] eine unmittelbare Affinität haben“ (IP7). IP12 spricht von einem „Europa der Regionen, der Nachbarschaften“ und führt dies für die Verteilung der verschiedene Sprachen lernenden Schüler in Frankreich folgendermaßen aus: „Es ist klar, dass der Südwesten stark nach Spanien orientiert ist, wegen eines ganzen Haufens an Gründen: Es gibt spanische Communities, die in Frankreich ansässig geworden sind. Es gab eine starke spanische Emigration, zuerst wirtschaftlich, dann im spanischen Bürgerkrieg politisch und nach dem Krieg wieder wirtschaftlich. Es

406 Ministère de l’Éducation Nationale 2005b: 5

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gibt also persönliche, familiäre Beziehungen, es gibt starke Beziehungen zwischen dem Languedoc-Roussillon und Katalonien, zwischen Toulouse, also der région Midi-Pyrénées und Aragonien, zwischen Bordeaux und dem spanischen Baskenland. Auf der italienischen Seite ist es genauso: O.K., alle lernen Englisch, aber die zweite Sprache ist das Italienische, mit recht großem Abstand. Denn Italien ist die dritte europäische Wirtschaftsmacht, das vergisst man leicht. Und es gibt viele italienische Touristen, auch hier gibt es persönliche Beziehungen, eine wirtschaftliche Migration, eine politische unter Mussolini, aber eben auch familiäre Beziehungen. Zwischen der Lombardei und dem französischen Alpenraum gibt es enorm viele Familien, die Leute kennen sich, es gibt persönliche Beziehungen. Also all das ist bedeutend, und offensichtlich hier, der Osten ist nach Deutschland gerichtet, das ist prägnant. Und der Norden nach Belgien und auch nach England. Das sieht man nicht allzu deutlich, aber es gibt Beziehungen, die Normandie hat ziemlich enge Beziehungen mit England, oder die Bretagne. Aus offensichtlichen Gründen.“

Der in Deutschland tätige IP5 formuliert das Problem der räumlichen Nähe zu Spanien folgendermaßen: „Ich sage immer: ‚Der Vorteil, den Deutschland mit der Sprachenpolitik für das Französische gegenüber Frankreich [mit der Förderung des Deutschen] hat, ist, dass wir keine gemeinsame Grenzen mit Spanien haben.‘ […] Wenn wir auch eine gemeinsame Grenze mit Spanien hätten, würden die Leute bei uns auch mehr Spanisch lernen als Französisch. Wir haben eben die gemeinsame Grenze mit Polen, aber das ist keine wirkliche Konkurrenz für das Französische.“

Die in Kapitel 4.2.3 beschriebenen Ordnungen der Images und Raumsemantiken, die als zentral für die Sprachwahl angesehen werden, scheinen nach Meinung der Akteure der deutschen Sprache folglich geographisch differenziert. Diese geographische Differenzierung schlage sich in unterschiedlichen Anteilen der die jeweilige Sprache studierenden Schüler nieder. Derart ist auch IP14 zu verstehen, wenn er davon spricht, dass die „Spanischlehrer ihre Schüler haben, im nationalen Schnitt [entfallen] über 70 % der zweiten Fremdsprache [auf Spanisch]. Sie träumen manchmal davon, in die erste Fremdsprache überzugehen, was sie in den südlichen académies schaffen.“

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In Anlehnung an diese regionalen Unterschiede werten die Akteure des Deutschen die verschiedenen académies als unterschiedlich schwierige Kontexte, in denen sich v. a. die recteurs zu bewähren haben (IP21): „Natürlich gibt es lokale Bedingungen: Es ist schwieriger, Deutsch in Toulouse zu fördern als, sogar als z. B. in Lyon; aus geographischen, historischen Gründen oder wegen Communities mit Wirtschaftsinteressen etc. Trotz alledem ist die Idee, wenn man z. B. sagt: ‚Wir brauchen 50 % mehr classes bilangues in fünf Jahren‘, heißt das in Frankreich, 50 % mehr überall. Folglich muss danach normalerweise jeder recteur diese Weisung umsetzen, diese Anweisung, in seiner eigenen académie, auch wenn es offensichtlich für gewisse schwieriger ist als für andere“.

So spricht auch IP12 davon, dass die beiden bereits erwähnten recteurs, Chaix in der académie Strasbourg und de Gaudemar in der académie AixMarseille, Erfolg hatten, indem sie beide einen Anstieg der Zahlen der Deutsch lernenden Schüler bewirken konnten: „Der eine in einem einfachen Kontext, naja ‚einfach‘, Deutsch im Elsass ist kompliziert, aber es ist dennoch die vorherrschende Sprache, während [Aix-]Marseille sehr schwierig ist, weil es Spanisch und Italienisch gibt“. Die besondere Rolle des Elsass als „leichter Kontext“ wird auch deutlich, wenn IP21 erklärt, dass aufgrund des Engagements des recteur Morvan – der Anglizist war – „von seiner académie [Lyon] die Bewegung des Einrichtens von [classes] bilangues ausgegangen ist; er war es, der dieses Instrument eingeführt hat“. Auf meine Nachfrage hin, ob es nicht im Elsass zuerst eingerichtet wurde, führt er aus: „Gut, das Elsass ist ein Sonderfall, ob es die recteurs nun wollen oder nicht. Es gibt eine Geschichte, gut, das Elsass ist ein Sonderfall. Es stimmt, dass das Modell der [classes] bilangues … Aber die Ausdehnung auf andere académies ist von der académie Lyon ausgegangen, weil wir einen recteur hatten, Monsieur Morvan, der wirklich sehr engagiert war.“

Diese Sonderstellung des Elsass wird jedoch nicht rein positiv bewertet, wie IP2 erklärt: „Das Problem ist, dass im Elsass Deutsch verpflichtend ist, d. h. im Elsass sind wir in der Situation, in der wir in anderen académies vor 40 Jahren waren. Tatsächlich

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haben wir Schüler und Lehrer, die nicht besonders motiviert sind, Deutsch zu machen. Das ist absolut gefährlich, d. h. wie kann man die Zahl dieser unmotivierten Schüler senken? Abgesehen von den Schülern gibt es ein zweites Problem: Ich rede von den Lehrern, d. h. die Lehrer müssen im Elsass nicht kämpfen, um Schüler zu haben. Im Gegensatz zu anderen régions. Wenn in anderen régions, anderen académies die Lehrer nicht gut sind, haben sie keine Schüler. Im Elsass ist das kein Problem. Es gibt sehr, sehr gute Lehrer im Elsass, aber auch den Lehrer, der sich sagt, dass es normal ist, eine gewisse Selbstverständlichkeit ist, Schüler zu haben, und die ihre Praktiken nicht erneuern müssen. Daher unterscheidet sich die Aufgabe der regionalen Deutsch-inspecteurs [im Elsass] ein bisschen von der Mission der regionalen Deutsch-inspecteurs in anderen académies, sei es nun Lyon, Paris, Rennes, das ist ein bisschen die Problematik.“

Das Elsass wird folglich als „Sonderfall“ angesehen. Hier entspricht die Praktik des Deutsch-Unterrichtens nicht immer jener im restlichen Frankreich, da der Innovationsdruck im Elsass nicht so hoch ist wie in den anderen académies. IP27 widerspricht hier jedoch IP2, der von Deutsch als „verpflichtend“ im Elsass spricht: „In dieser Hinsicht hat das Elsass keine Sonderstellung – das französische Schulsystem kennt keine Ausnahmen und das Elsass ist ein Teil des Landes, auch wenn hier die Sprache eine andere Auslegung als in Lyon oder Brest hat.“

Dennoch hat das Elsass einen sehr hohen Anteil Deutsch lernender Schüler, was einen im Vergleich zu anderen académies niedrigeren Innovationsdruck zu bewirken scheint. Außerdem hängt es im Elsass weniger oft vom Lehrer ab, ob Schüler Deutsch wählen, nicht zuletzt deshalb, da durch die höheren Zahlen Deutsch lernender Schüler im Schnitt mehr Lehrer an einem collège oder lycée arbeiten als in anderen académies. Eine Praktik, welche die Ordnung der regional unterschiedlichen Verteilung von in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierten Schülern durchaus beeinflusst, stellt die Praktik des Punkte-Sammelns der Angestellten im öffentlichen Dienst dar. Im Karriereverlauf lassen sich im öffentlichen Dienst Punkte sammeln, mit deren Hilfe sich die Beamten versetzen lassen können. Hierbei ist v. a. ein Drang nach Süden zu erkennen, wie auch IP10 ausführt:

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„Ja, das sind die älteren Lehrer, weil in Frankreich, das wissen Sie vielleicht nicht, wenn man versetzt werden möchte, geht es nach Punkten, und wenn man im Amt ergraut ist, kann man Punkte sammeln. Und wenn man älter wird, möchte man nach Süden, oder in Großstädte und so. Also das spielt eine Rolle und die jüngeren Lehrer sind in allen Industriegebieten und Schwerpunkt-, also Brennpunktzonen, da sind die jüngeren Lehrer, und die älteren Lehrer sind in ruhigeren Gefilden.“

Im Jahr 2003 stellten etwa sechs Prozent aller Lehrer im Sekundarbereich einen Antrag auf Versetzung, von denen etwa die Hälfte realisiert wurde. Es existieren vor allem Anträge auf Versetzung aus den nördlichen académies in die académies des Südens, aber auch des Westens. Dadurch unterscheidet sich der Anteil „älterer“ Lehrer deutlich je nach académie: Während das Bildungsministerium in der académie Amiens im Jahr 2003 knapp neun Prozent als „ältere“ Lehrer bezeichnet, sind es in der académie Bordeaux über 74 %.407 Durch die Praktik des Punkte-Sammelns befinden sich folglich tendenziell vor allem im Süden die älteren Lehrer. Angesichts der Alterspyramide der Deutschlehrer unterrichten also primär in denjenigen académies die im Schnitt ältesten Deutschlehrer, in denen der Anteil der Deutsch lernenden Schüler besonders niedrig ist. Dies bestätigt IP15 für die académie Nice, indem er von einem „alten Lehrerkollegium“ spricht und ausführt, dass es „in Nizza sehr deutlich ist, dass sehr viele ältere Leute da sind“. IP26 beziffert den „Altersdurchschnitt bei Deutschlehrern gerade in südlichen régions, also in Bordeaux liegt er schon bei über 57 Jahren“.408 Folglich scheinen verschiedene Praktiken und Ordnungen die Förderung des Deutschen gerade in den südfranzösischen académies zu erschweren: Aufgrund der Praktik des Punkte-Sammelns sind die Deutschlehrer in den südlichen académies im Schnitt noch älter als die bereits „alten“ Deutschlehrer im nationalen Durchschnitt. Auch wenn IP10 davon spricht, dass „wir ältere Lehrer haben, die wirklich sehr engagiert“ sind, scheint trotz des immer wieder angeführten „militanten Engagements“ (IP14) der

407 Ministère de l’Éducation Nationale 2005a: 99f. 408 Zur Erinnerung: Der nationale Median der Deutschlehrer lag im Schulahr 2007/2008 bei 51 Jahren. Das nationale arithmetische Mittel, das mathematisch von den Extremwerten – also in diesem Fall den jungen Lehrern – verzerrt wird, lag hingegen bei 47 Jahren.

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Deutschlehrer auch konstatiert werden zu können, dass das Engagement mit dem Alter kollektiv gesehen bei den Lehrern abnimmt – so auch beim Deutschen. IP14 erläuterte, wie bereits angeführt, dass man solche Fälle „auch verstehen kann“, „weil er [der Deutschlehrer] am Ende seiner Karriere ist und müde ist“. Ältere Lehrkräfte weisen außerdem im Vergleich zu jüngeren Lehrern eine geringere Bereitschaft auf, sich im Projekt des SichFortbildens zu engagieren, was problematisch sein kann, um über Qualitäts- und daraus resultierenden Imageverbesserungen der Praktik des Deutsch-Unterrichtens den Erfolg in der Praktik des Rekrutierens zu steigern. Aufgrund sinkender Zahlen Deutsch lernender Schüler und der Reaktion auf die Einführung der classes bilangues im Rahmen der Praktik der Sprachenplanung, die zweite Fremdsprache zu streichen, müssen die Deutschlehrer, wie gesehen, zunehmend häufig an mehreren collèges arbeiten. Dies führt erstens wiederum zu einem sinkenden Engagement in Projekten der Praktik des Deutsch-Unterrichtens und der Praktik des Werbens (wie dem Projekt des Schüleraustausches oder dem Projekt des Feierns des Deutsch-Französischen Tages). Zweitens stellt die Praktik der Fremdsprachen-Wahl für das Fach Deutsch durch die Konzentration auf einen Lehrer immer öfter eine Personen- und keine Sprachwahl dar. Gerade für die südlichen académies existiert also das Problem, dass der „sechzigjährige, graue Lehrer, der am Schicksal des Deutschunterrichts in Frankreich im Allgemeinen und an seiner Schule im Besonderen schon gebrochen ist […], Schüler motivieren [soll], dieses Fach zu wählen. Geht nicht, kann nicht funktionieren“ (IP6). Dennoch scheint es im Rahmen der Praktik der Sprachenplanung im Zuge dieser Entwicklung zu einer Fokussierung auf das Sprachenpaar Englisch und Spanisch gekommen zu sein, die zwar das Budget entlastet, aber dazu führt, dass Deutsch nicht mehr flächendeckend angeboten wird. Laut IP17 gibt es „nicht gerade wenig Anrufe aus der académie Bordeaux, der académie Toulouse, die mir sagen: ‚Bei uns ist es schwer, Schulen zu finden, die Deutsch anbieten‘“. Zusammenfassend lässt sich für die südlichen académies festhalten, dass die für ganz Frankreich als „heikel“ (IP3) charakterisierte Situation hier in besonderem Maße zutrifft. Doch auch in nördlicheren académies kann der Anteil der Deutsch lernenden Schüler sehr gering sein: Die académie Dijon weist laut IDIFBericht sehr stark schwankende Anteile Deutsch lernender Schüler in den einzelnen départements auf: Während dieser Wert im département Yonne mit elf Prozent angegeben wird, liegt er im département Saône-et-Loire bei

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0,1 % (IDIF 2008: 13). IP18 begründet den extrem niedrigen Wert folgendermaßen: „Zum Beispiel die Saône-et-Loire, das ist nördlich von Lyon, gehört zur académie Dijon, sie hat 0,1 [%] Schüler Deutsch – warum? Maquis! Die ganzen Dörfer wollen nicht, also auf den Grundschulen, es gibt ganze Dörfer, wo die Bürgermeister sagen: ‚Nein, ich kann es nicht verteidigen, dass hier Deutsch gelehrt wird.‘ […] Die akademische Politik ist beispielsweise in dem département Saône-et-Loire nicht durchführbar, weil alle Bürgermeister dagegen sind.“

IP18 erklärt maquis, was sowohl für den Buschwald der Mittelmeerländer, symbolisch aber auch für die französische Widerstandsbewegung im Zweiten Weltkrieg steht, wie folgt und führt dessen Konsequenzen weiter aus: „Man ging in maquis, um sich zu verstecken, und dann wurde natürlich ein Widerstand daraus. Das war also maquis. Also in der Haute Saône gab es einen großen maquis, auch in den Alpen. Und die Erinnerung an die Morde der Widerständler, die dann niedergeschossen wurden usw., gibt es einen Riesenhass, und dann gibt es natürlich diese Monumente, wo man dann jeden 8. Mai hingeht und Kränze niederlegt und da Fahnen schwenkt und dann natürlich Marseillaise singt. Und dann, in gewissen Dörfern, können die Bürgermeister es überhaupt nicht verantworten, dass da eine Deutschklasse eröffnet wird, denn da laufen die Eltern Amok, denn sie haben einen Vater, sie haben einen Onkel, sie haben einen Großvater, der eben umgekommen ist, das gibt es so sporadisch. Alle inspecteurs sagen [auf die Frage, ob der Krieg noch eine Rolle spiele]: ‚Nein, bei uns nicht‘, ‚Alles in Ordnung?‘, ‚Ja, ja‘, und dann kommt aber trotzdem, hier und da kommt was raus.“

Der bereits ausgeführte negative Aspekt des Images des Deutschen, der stark auf den Zweiten Weltkrieg rekurriert, wird hier wiederum deutlich. Wie in obigem Zitat schreibt IP18 im IDIF-Bericht (2008: 50), dass auf die Frage nach „der Vergangenheit, dem Krieg, die erste Reaktion [des befragten regionalen Deutsch-inspecteur] ist, die Frage mit einer Handbewegung wegzufegen und eine Ausnahme anzuführen, die die Regel bestätige.“ Im Kontext solcher „Ausnahmen“ erwähnt ein regionaler Deutsch-inspecteur etwa, dass einmal eine DeutschMobil-Lektorin „ein Problem in einer Klasse im [département] Loire hatte, wo sie sich alleine mit einer Klasse wiedergefunden hat, die ihr den Hitlergruß gemacht hat. Sie ist komplett trau-

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matisiert wiedergekommen.“ Des Weiteren führt IP18 aus, dass „mehrere Male die Erinnerung eines Falles einen weiteren oder sogar einen dritten Fall nach sich zog“. Der soeben zitierte regionale Deutsch-inspecteur erwähnt zum Beispiel, dass er „auch Wind von einer [Fremdsprachen]Assistentin bekommen hat, die solch ein Problem in einem collège hatte, an einem Tag, als die Schüler aufgewühlt waren“ (IDIF 2008: 52). Der regionale Deutsch-inspecteur der académie Toulouse berichtet laut IP18 von einem Zwischenfall auf einer Veranstaltung am DeutschFranzösischen Tag: „Im Januar 2005 war ich an einem Deutsch-Französischen Tag in Cahors [département Lot] und wurde von einer Journalistin eines lokalen Radiosenders interviewt: ‚Herr inspecteur, glauben Sie wirklich, am Tag, an dem man Auschwitz gedenkt, dass es sich noch lohnt, dass man Deutsch macht?‘“ (IDIF 2008: 51)409.

Ein weiterer regionaler Deutsch-inspecteur wundert sich laut IDIF-Bericht (ebd.: 52) darüber, wie man „erklären könne, dass die Kinder meiner Generation in der sixième vier oder fünf Deutsch-Klassen hatten und das war doch viel näher an der Befreiung“ im Zweiten Weltkrieg. Welche Rolle spielen die bereits beschriebenen Ordnungen der Images und Raumsemantiken bei der regionalen Ungleichverteilung der Praktik des Fremdsprachen-Wählens? Hierüber lässt sich nur spekulieren. Angesichts der Aussage von IP18, „pro inspecteur“ seien „zwei, drei“ solcher Geschichten „rausgekommen“, scheint es – trotz lokaler Besonderheiten wie dem Beispiel des département Saône-et-Loire – keine Ungleichverteilung dieses Images zu geben, welche die graduelle Abnahme der Deutsch lernenden Schüler von Nordost nach Südwest erklären könnte. Daher scheint dies eine von IP18 augestellte Hypothese zu unterstützen: Das „Argument“ des Zweiten Weltkrieges sei die letzte „willkommene Zuflucht“ „gegenüber dem rationellen Insistieren des Germanisten, der überzeugende Argumente auflistet, während die Entscheidung, seine Kinder kein Deutsch machen zu

409 Offensichtlich verwechselte die Journalistin den Deutsch-Französischen Tag am 22. Januar mit dem seit 2004 am 27. Januar begangenen „Journée de la mémoire de l’Holocauste et de la prévention des crimes contre l’humanité“, dem Tag des Gedenkens an den Holocaust und der Prävention von Verbrechen gegen die Menschheit.

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lassen, bereits gefallen ist“ (IDIF 2008: 50). „Wenn die Logik triumphieren sollte und die Leute wissen, dass sie kein Gegenargument mehr haben, dann kommen sie mit dem Hammerargument: ‚Kein Deutsch, denn das war ja die Sprache der Nazis‘“ (IP18). Dementsprechend begründen die Akteure des Deutschen die regionalen Unterschiede vor allem mit der Nähe zu den jeweiligen Nachbarländern. Diese „Affinitäten“ sehen sie als die Grundlage für die Entscheidung in der Praktik des Fremdsprachen-Wählens. Wenn die Germanisten nun versuchen, mehr Eltern von Deutsch zu überzeugen, dann scheint die Entscheidung bereits gefallen – und hier kann laut der Hypothese von IP18 nun das „letzte Argument“ angebracht werden: „Ich kann das nur so interpretieren: Es ist das letzte Argument, wenn diese ganze Fülle der emotionalen deutschen Argumente auf den Tisch gelegt wird, die gleich rational wie emotional sind, dann sagen die Leute irgendwann mal: ‚Schluss damit, mein Sohn macht Spanisch/Englisch‘. Und wenn sie dann immer noch nicht rauskommen, dann sagen sie: ‚... und überhaupt ist es die Sprache der Nazis‘. Das ist eine irrationale Reaktion gegen das irrationale Kämpfen der Deutschen, so: ‚Sie wollen uns schon wieder was aufbürden, wir hatten sie ja schon vor 50 Jahren‘, so ungefähr.“

Die Förderung des Deutschen wird somit in den Augen von IP18 als „irrational“ wahrgenommen, da es eine „positive Diskriminierung“ erfordert, um die Gegebenheiten des Sprach-Marktes, auf dem Englisch und Spanisch mit Abstand am häufigsten nachgefragt werden, auszuhebeln. Auf diesem Markt versuchen die Akteure des Deutschen aber – wie bereits gesehen – auch über die Praktik des Werbens, die Ordnungen der Images und Raumsemantiken des Deutschen zu verbessern. Eine Initiative der Akteure der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem ist in diesem Kontext die bereits erwähnte „Initiative Deutsch in Frankreich – IDIF“, für die zur Förderung der deutschen Sprache im Grundschulbereich zunächst eine „Erhebung“ durchgeführt werden sollte, um im Anschluss daran gezielt „Sprachwerbung“ (IP20) betreiben zu können. Wie beschrieben, stellte der IDIF-Bericht aufgrund des Interviewverlaufs eher einen allgemeinen Zustandsbericht der deutschen Sprache in Frankreich dar. Außerdem wurde mit den qualitativen Interviews in nahezu der Hälfte aller académies ein „einigermaßen repräsentatives“ Bild der

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verschiedenen Situationen „vor Ort“ geschaffen – „unsere Realität vor Ort, ich muss mich ja nicht dauernd mit der Schulpolitik des Ministeriums rumschlagen, das ist eine Pariser Perspektive“ (IP9). Das Resultat erläutert IP9 wie folgt: „Die regionalen Deutsch-inspecteurs […] meinen, dass keine Werbekampagne nötig sei. Weil die sagen: ‚Das hilft nichts‘, die wollen alle eher, was natürlich viel mühseliger ist, die wollen alle maßgeschneiderte Sachen machen, […] da muss man eben wirklich gezielt schauen, was man eigentlich will und wen man wo abholt und wie die Situation eben an der, die geographische Situation ist, ob man eben im Elsass oder in Lothringen sitzt oder eher wie wir schon eher in der Mitte von Frankreich oder an der französisch-spanischen oder französisch-italienischen Grenze, alles ganz unterschiedlich.“

Wie bisher ausgeführt, gibt es sehr große Unterschiede zwischen den verschiedenen académies. Allerdings untergräbt der IDIF-Bericht dieses Bild der Unterschiede und zeichnet jenseits davon Parallelen, mit denen jede académie konfrontiert sei: „Die Unterschiede zwischen den académies (Präsenz oder Nähe einer anderen Sprache, Bedeutung des Privatschulbereichs

410

) sind weniger gewichtig als die

410 Privatschulen sind in Frankreich zum allergrößten Teil katholische Einrichtungen. Etwa 16 % der Schüler werden in diesem Bereich unterrichtet. Des Weiteren werden diese Schulen in Frankreich in nicht unerheblichem Maße staatlich unterstützt (DOLL & TAUBERT 2006h: 358f.) Laut IDIF-Bericht entscheiden sich die Eltern eher aus „regionalen Traditionen“ [„une logique de traditions régionales“] bzw. je nach „Reputation der Schulen“ [„réputation spécifique des établissements“] für eine private oder staatliche Schule, was zu einem „regelmäßigen Zapping“ [„un ‚zapping‘ régulier“] führen kann, wenn das Kind von der école primaire in das collège oder von dort in das lycée wechselt und dabei von einer privaten in eine staatliche Schule – oder andersherum. Der Anteil privater Schulen ist besonders hoch in „den beiden académies des Westens“ [„les deux académies de l’ouest“], d. h. der académie Rennes und der académie Nantes, wo er in einigen Gegenden die Zahlen des staatlichen Sektors übertrifft.

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Vielfalt der Gegensätze der französischen Gesellschaft, mit der jede académie gleichermaßen umgehen muss“ (IDIF 2008: 91).

Als Gegensätze innerhalb einer académie benennt der IDIF-Bericht folgende Elemente: •











Die „Verschiedenheit der départements“ (IDIF 2008: 91), der eine „Regionalpolitik gegenübersteht, die versucht einheitlich zu sein“ (ebd: 7). Als Beispiel wird hier die académie Nantes genannt: Das département „Sarthe ist ein typisches Gebiet der Peripherie der Ile-de-France, Mayenne ist bereits bretonisch, Loire-Atlantique ist nur das Umland von Nantes, Maine-et-Loire ein Hinterland ohne wirkliche Einheit, die Vendée ein atlantisches département“ (ebd.). Die „demographische und politische Vormacht des regionalen Zentrums“ (ebd.): „Überall lassen kleine ‚Mini-Paris‘ ihre région als wasserköpfiges Gebilde erscheinen, in dem die Klein- und Mittelstädte nicht mit ihrer Metropole rivalisieren können und in eine Art kuschende Ländlichkeit zurückgeworfen sind“ (ebd.). Unterschiede zwischen den „Lebensstilen“ von „‚Landratten‘ und ‚Stadtratten‘“: „Aus den sozialen Pfadabhängigkeiten ländlicher und städtischer Bevölkerungen ergeben sich starke Unterschiede zwischen den Profilen der Schüler und dem Ehrgeiz ihrer Eltern“, woraus „unterschiedliche Lebensstile und schulische Verhaltensweisen“ resultieren (ebd.). Unterschiede zwischen „Innenstadt und den ‚Vierteln‘“: Jede académie habe „problematische Zonen“, die sich „lediglich in der Intensität der Probleme, der Zahl oder der Größe“ (ebd.: 7f.) unterscheiden. „Größenunterschiede von Schulen und Klassen“: Diese Unterschiede „decken sich nur teilweise mit der Bevölkerungsdichte der Gebiete. Alle académies behalten in unterschiedlicher Anzahl das Prinzip der classes à niveaux mélangés411 bei“ (ebd.: 8). Unterschiede zwischen „Oben und Unten“: „Verschiedene Erfolgshorizonte – je nachdem, ob man auf der sozialen Leiter oben oder unten steht –, beeinflussen die Pädagogik […] und die Wahl der Fächer (folg-

411 Die classes à niveaux mélangés sind Klassen, die Schüler (zumeist) zweier Klassenstufen umfassen.

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lich auch der Sprachen) stark. Die Zäsur zwischen Oben und Unten trennt verschiedene schulische und elterliche Verhaltensweisen sowie unterschiedliche soziale Nachfragen: auf der einen Seite der Horizont der Reproduktion, […] auf der anderen Seite der Horizont des Fortschritts“, der Karriere (ebd.). Die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich finden also in einem Kontext statt, der zunächst als von „fast so vielen Konstellationen wie académies“ geprägt beschrieben wird; diese weisen wiederum laut IDIF-Bericht jedoch innerhalb einer académie Parallelen auf. 4.4.6 Die Praktik des Skalierens Wie im bisherigen Verlauf des Kapitels 4.4 dargelegt wurde, benutzen viele Akteure scales, um Praktiken und Ordnungen zu beschreiben. Demgegenüber zeichnet sich jedoch auch eine Praktik ab, in deren Rahmen durch den Bezug auf eine vermeintlich höhere Bedeutung Praktiken und Ordnungen legitimiert werden sollen.412 Hierunter fallen verschiedene Versuche der Legitimierung der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich sowie aktive Positionierungen der einzelnen Akteure in Bezug zu Institutionen des französischen Bildungsministeriums. Dabei ist, wie gezeigt wird, der Bezug nicht immer dezidiert räumlich, oder aber es existiert ein Raumbezug, der allerdings nicht hierarchisch interpretiert werden muss. Nichtsdestoweniger bezeichne ich diese Praktik als Praktik des Skalierens. Als ein erstes Beispiel einer hierarchischen Anordnung betont IP6 im Kontext der Praktik der Sprachenplanung und des Projekts des politischen Anstoßens der Politischen Praktik, es gelte „immer wieder zu verdeutlichen, das ist politischer Wille und es gibt irgendwo eine Ebene, […] so eine Ratio, die über das Betriebswirtschaftlich-Schulische hinausgeht. Das ist eben diese politische Metaebene, die das uns jetzt abverlangt, auch uns einzuordnen und da mitzumachen“. Die „politische Metaebene“ ordnet IP6 also über dem „Betriebswirtschaftlich-Schulischen“ ein, d. h. die binationale Vorgabe des plan de relance stellt er über das Budgetdenken im Rahmen der Praktik der Sprachenplanung. Diese Argumentation legitimiert und

412 Eine Dichotomisierung zwischen einer rein deskriptiven Verwendung und einer argumentativen Benutzung ist allerdings nicht eindeutig möglich.

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fordert die Förderung des Deutschen, der wie gesehen oft „budgetäre Imperative“ entgegenstehen. Ähnlich argumentiert IP1 angesichts der beschriebenen „Schwierigkeit der Zentralmacht, sich durchzusetzen“ (IP12), indem er im Rahmen eines öffentlichen Vortrags vor überwiegend deutschen Akteuren national rigide Vorgaben fordert: „Also wir denken, dass das größte Problem zurzeit ist, dass wir zwar eine Éducation Nationale haben, also sollte eigentlich national, auf nationaler Ebene alles entschieden werden und dann eben durchgeführt werden. Das ist aber nicht der Fall, und wir sind der Meinung, dass die Maßnahmen, die da entschieden werden, wirklich durchgesetzt werden sollten.“

Wie bereits beschrieben, behindert die Praktik der Sprachenplanung und die mit ihr verwobene Ordnung der Autonomie der zahlreichen Entscheidungsträger – von denen jeder „seine Zone beeinflusst“ (IP1) – die Durchsetzung der zentralen binationalen Vorgaben des plan de relance. IP1 fordert nun die Höherbewertung der nationalen Instanz, indem er national rigide Vorgaben und die Einschränkung der Autonomie einfordert. Als Beispiel einer regional unterschiedlichen und in seinen Augen zum Nachteil des Deutschen gereichenden Umsetzung einer (bi-)nationalen Vorgabe führt IP1 die classes bilangues an: „Wo die [classes] bilangues zum Beispiel wirklich konsequent eingeführt wurden, lernen jetzt viel mehr Schüler Deutsch. Man sieht, dass es also wirklich funktioniert. Wieso macht das nicht der recteur in der Nachbar-académie zum Beispiel? Wir sind immer noch in Frankreich, immer noch in der Éducation Nationale, die so furchtbar zentralisiert ist – warum klappt es nicht?“

Aus der Position von IP1 als Akteur des Deutschen heraus ist verständlich, dass er den nationalen Vorgaben eine höhere Bedeutung zugewiesen sehen möchte. Damit fordert er die letztliche Zuständigkeit derjenigen „Ebene“ ein, die dem plan de relance am nächsten steht – der „nationalen Ebene“. Würde das Deutsche entgegen der tatsächlichen Situation von der déconcentration profitieren, wäre es nicht überraschend, wenn IP1 auf der Autonomie der Entscheidungsträger gegenüber nationalen Vorgaben beharren würde.

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Wie bereits in Kapitel 4.1 beschrieben, legitimieren die Akteure des Deutschen die Praktiken der Förderung mittels verschiedener, praxistheoretisch als Ordnungen zu verstehender Diskurse. Auch im Rahmen dieser diskursiven Legitimationen ist die Praktik des Skalierens zu erkennen: Es wurde gezeigt, dass die Diskurse in den Kontext „des DeutschFranzösischen“ eingebettet werden, was wiederum als zentral für Europa beschrieben wird. So spricht, wie bereits angeführt, IP8 davon, dass „viele sagen, das Deutsch-Französische ist nicht alles, aber ohne das DeutschFranzösische ist alles nichts in Europa.“ IP7 beschreibt unter Bezug auf den Arbeitsmarkt- und den Verständnis-Diskurs die Bedeutung „des DeutschFranzösischen“ für Europa, indem er ausführt: „Diese enge oder hohe politische Koordinierung, die wir erreichen und die tatsächlich für Europa unabdingbar ist – wenn sich da die deutschen und französischen Regierungen streiten, ist Europa blockiert. […] Also angefangen von ganz praktischen Dingen, wie dass es Zehntausende von Jobs gibt, die nicht besetzt werden können, weil sie einfach nicht die Leute haben, die diese Sprachkenntnisse mitbringen. […] Bis hin eben zu der Frage, dass man tatsächlich auf der politischen Ebene Ruhe behält und weiterarbeiten kann beim großen europäischen Projekt, ist es notwendig, dass wir uns gegenseitig verstehen. Und verstehen heißt eben auch, dass wir in der Lage sind, die Sprache des anderen zu sprechen.“

Auch IP2 verwendet das Sprachenargument des Verständnis-Diskurses und verknüpft es mit dem in Frankreich bedeutenden Diskurs der kulturellen Vielfalt, in dessen Kontext er den für die Förderung der deutschen Sprache bedeutenden Mehrsprachigkeits-Diskurs verortet: „Wir sind in Europa, es gibt in Europa einen Willen, die europäischen Sprachen zu verteidigen, die deutsch-französische Beziehung ist im Herzen des europäischen Projekts. Und mein persönliches Empfinden, meine Überzeugung ist, dass es an Frankreich und Deutschland ist, ihren Sprachen gegenseitig zu helfen. Nicht aus Sorge um eine Besonderheit heraus oder wegen einer Intervention, sondern weil es ein europäisches Projekt ist. Wenn Deutschland nicht das Deutsche in Europa verteidigt, wenn Frankreich nicht das Französische verteidigt, dann ist das gut, aber dann ist es auch mit der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Europa vorbei.“

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Die Förderung des Deutschen wird in den beiden Äußerungen von IP7 und IP2 mit einer Bedeutung für das Deutsch-Französische begründet, das wiederum wesentlich für Europa sei. Hierbei ist zwar von „auf der politischen Ebene da“ die Rede bzw. von der „deutsch-französischen Beziehung im Herzen des europäischen Projekts“. Diese „Ebenen“ sind aber nicht unbedingt als hierarchisch anzusehen. IP6 verknüpft den Mehrsprachigkeits-Diskurs über das Deutsch-Französische mit Europa: „Das Ganze wird eingebettet, um es auch über den Selbstzweck hinaus auf eine andere Ebene zu heben, in diesen Kontext ‚Vielsprachigkeit in Europa‘. Das ist, glaube ich, auch die politische raison der Franzosen jetzt. Also denen ist irgendwie klar, dass Französisch letztlich in Europa und der Welt immer mehr vom Verschwinden bedroht ist. Und ich glaube, die französische Politik hat irgendwie erkannt: ‚Wenn wir Französisch retten wollen, dann können wir das nicht, indem wir uns in Brüssel auf Dauer stur stellen und da Sprachenregime einfordern. Das ist auch ein Element, aber darauf können wir es nicht reduzieren und da alleine für das Französische kämpfen, wir müssen das in einen größeren Kontext stellen. Wir müssen sagen, wir müssen für den Erhalt der sprachlichen Vielfalt, zuallererst in Europa und dann auf der Welt, kämpfen.‘ Und dort gehe ich wieder vollkommen einig mit dieser durchaus zunächst mal sehr französischen Interessenlage, da treffen wir uns nämlich wieder. Wenn wir, Franzosen und Deutsche, es nicht schaffen, bei unseren Sprachräumen im Kampf um die Sprachenvielfalt in Europa, in unseren Ländern eine ausreichend kritische Masse von Lernern der Partnersprache, bei dieser Qualität der Beziehungen, zu schaffen, wie soll denn dann der Ansatz von Vielsprachigkeit in Europa überhaupt ernsthaft eine Chance haben?“

IP6 hebt folglich die besondere Bedeutung der Förderung der „Partnersprache“ hervor: Diese rechtfertige für eine begrenzte Zeit die „Privilegierung des Deutschen oder des Französischen“; dauerhaft würde eine solche Bevorzugung „zum ausschließlichen Selbstzweck degenerieren“. Vielmehr legitimiert IP6 die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich mittels des Verweises ihrer Bedeutung für die „Sprachenvielfalt in Europa“: „Und deswegen lohnt es sich ganz besonders für Deutsche und Franzosen, das Miteinander für die jeweils andere Sprache mal vorzumachen, wie man so etwas machen kann.“ Er spricht zwar davon, es „auf eine andere Ebene zu heben“, allerdings wird nicht klar, ob er eine höhere Bedeutung aufgrund der „Vielsprachigkeit“ ausdrücken will oder ob „Europa“ und schließlich

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die „Welt“ für ihn hierarchisch höhere „Ebenen“ darstellen. Er könnte die höhere Bedeutung auch lediglich im größeren Territorium begründet sehen. Des Weiteren spricht IP6 von den „Partnersprachen“ und verweist auch auf die gegenseitige Förderung, von der bereits IP2 sprach, indem „es an Frankreich und Deutschland ist, ihren Sprachen gegenseitig zu helfen“. Diesen Gedanken führt IP12 aus: „Ich denke deshalb dermaßen, dass das Deutsch-Französische wichtig ist, weil unsere beiden Länder sich auf sprachlicher Ebene nicht ohne den anderen aus der Affäre ziehen können. Deutsch in Frankreich zu verteidigen und Französisch in Deutschland zu verteidigen, das ist verbunden. Wir sichern nicht das Überleben unserer Sprachen – und ich spreche wirklich von Überleben, weil wir ansonsten regionale Sprachen werden, ein bisschen wie Baskisch oder Korsisch. Aber dafür ist eine Zusammenarbeit nötig. Ich kann mir Europa mit drei Sprachen vorstellen: Natürlich Englisch, aber ich denke an die beiden anderen, das können, nicht zwangsweise, aber das können die trotz allem dominierenden Arbeitssprachen sein, Deutsch und Französisch. Und ich denke, wenn wir das schaffen, dann haben wir auch auf weltweiter Ebene eine relativ gesicherte Zukunft. Für das Französische ist die Francophonie sicher nicht ausreichend, und für das Deutsche reicht es auch nicht, in drei oder vier zentraleuropäischen Staaten gesprochen zu werden. Auch wenn es das bevölkerungsstärkste Land ist, noch. Gut, all das führt dazu, dass ich glaube, dass wir uns da nicht ohne den anderen aus der Affäre ziehen, auf Gedeih und Verderb. […] Ich glaube, dass die weitsichtigsten Geister sehr gut wissen, was ich gerade sagte, dass sich das Deutsche und das Französische nur gemeinsam retten werden. Davon bin ich jedenfalls überzeugt. Und wenn es dem Deutschen in Frankreich schlecht geht, ist das natürlich schlecht für die Position des Deutschen in Europa und folglich auch in der Welt. Und wenn es dem Französischen in Deutschland schlecht geht, ist es das Gleiche. Wenn das Französische in Deutschland gut vertreten ist, erleichtert das seine Rolle auf internationaler Ebene. Und noch einmal: Unsere beiden Länder sind die beiden dominanten Länder in Europa, bevölkerungsmäßig, Deutschland mit 82 Mio. Einwohnern, Frankreich 65, wenn man die DOM mitzählt. Was bei dem einen passiert, ist für den anderen wichtig. Es gibt vielleicht das Plakative bei den Franzosen, natürlich gibt es eine plakative Seite, aber gleichzeitig auch eine aufrichtige Seite: Zum Beispiel gibt es einen Deutschbedarf, z. B. in der Industrie in Frankreich. Die Firmenchefs suchen Leute, die Deutsch sprechen, das ist ein reeller Bedarf.“

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IP12 spannt einen weiten Bogen, indem er die Förderung der Partnersprache im jeweils anderen Land als zentral für die Stellung dieser Sprache in Europa und letztlich „auf weltweiter Ebene“ darstellt. Und für diese Stellung sei bedeutend, wie sich die Förderung der Partnersprache im jeweils anderen Land gestaltet. Er spricht auch wiederholt davon, dass „unsere beiden Länder auf Gedeih und Verderb verbunden sind“, und benutzt schließlich den Begriff der „Schicksalsgemeinschaft“. Neben der Praktik des Skalierens im Rahmen der Diskurse, welche die Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem legitimieren soll, lässt sich diese auch im Rahmen der Positionierung der eigenen Person in Bezug auf territorial zuständige Institutionen feststellen. Dies soll offensichtlich den geäußerten Positionen mehr Gewicht verleihen oder sie, ganz im Gegenteil, als persönliche Meinung kennzeichnen. Die Akteure der Förderung der deutschen Sprache gehen in der Regel davon aus, dass sie im Rahmen der für die vorliegende Arbeit geführten Interviews ihre Institution vertreten. So bittet etwa IP3 darum, die für die Arbeit genutzten Ausführungen noch einmal gegenlesen und „glätten“ zu dürfen und begründet: „Wenn ich spreche und es produziert, verlegt, veröffentlicht wird, dann artikuliert sich durch meine Stimme auch die Institution“. Andererseits werden persönliche Anmerkungen des Öfteren als solche gekennzeichnet: Formulierungen wie „ich persönlich denke“ o. ä. kommen in nahezu allen Interviews vor. Allerdings positionieren sich die Akteure im Rahmen solcher Formulierungen gelegentlich auch ganz gezielt und nehmen damit eine Praktik des Skalierens vor, wie IP4 beispielhaft ausführt: „Meine Position ist eher, wie ich gesagt habe, die von jemandem, der im DeutschFranzösischen ist, und da positioniere ich mich nicht unbedingt innerhalb von … Also, ich bin, ich spreche ein bisschen von oberhalb. Nicht unbedingt so sehr wie das Bildungsministerium, das ist noch weiter oben, wissend, wie es auf beiden Seiten läuft. Das ist einfach eine Perspektive mit ein bisschen mehr Abstand. Das ist mit mehr Abstand und die ganzen Erfahrungen und Perspektiven verbindend. Das ist nicht der Franzose des Bildungsministeriums der DGESCO, das ist der Akteur des Deutsch-Französischen, sagen wir mal. Voilà. Das heißt, wenn Sie so wollen, ein institutioneller Diskurs, und das hier ist ein institutioneller Diskurs, und ein Diskurs meiner Funktion bei der DGESCO, und dann gibt es persönlichere Fragen und eine persönliche Sicht, was das Deutsch-Französische ist und was zu tun ist.“

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Dieser Akteur positioniert sich folglich aufgrund seiner früheren Erfahrung in Praktiken der Förderung der französischen Sprache in Deutschland und seiner aktuellen Erfahrung in Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich anders als der „typische“ französische Akteur auf derselben Position. Das vergangene Engagement in Praktiken hat dazu geführt, dass er ähnliche Praktiken in einem anderen Kontext seiner Meinung nach anders bewertet, als dies jemand ohne diese Erfahrung täte. Praxistheoretisch kann man formulieren: Die früheren Praktiken haben sein praktisches Verstehen derart beeinflusst, dass dies Auswirkungen auf diese Praktiken in einem anderen Kontext hat. Der gleiche Akteur bedauert zu einem anderen Zeitpunkt, dass er wegen seiner Position als in Praktiken des Operationalisierens engagierter Akteur angesehen wird, obwohl ihm in seinen Augen seine Erfahrungen in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens auch eine pädagogische Einschätzung erlauben würden. IP4 positioniert sich also im Rahmen seiner Äußerungen innerhalb der eingangs als hierarchisch beschriebenen und dann durch die bedeutende Autonomie modifizierten Ordnung des französischen Bildungssystems. Demgegenüber positioniert sich IP3 folgendermaßen, indem er seine Tätigkeiten als nationaler Deutschinspecteur beschreibt: „Als nationaler inspecteur der lebenden Sprachen mit Spezialisierung Deutsch bin ich mit der Koordinierung der Disziplin auf nationaler Ebene beauftragt, die Entwicklung der Disziplin zu verfolgen und zu definieren, mit meinen Kollegen, den nationalen und den regionalen Deutsch-inspecteurs, was die Politik des Deutschen in Frankreich sein kann. Natürlich in Verbindung mit dem Ministerium, das ist klar, im Rahmen der Institution.“

Unter der Koordinierung „auf nationaler Ebene“ versteht IP3 offensichtlich aber auch das Engagement in der Praktik des Doing Community: Er war es, der – wie in Kapitel 4.3.3 beschrieben – seinen quantitativen Vortrag mit einem Appell an die Lehrer beendete, in ihrem Engagement nicht nachzulassen, und der „systematisch“ die Botschaft verbreitet, dass es mit der deutschen Sprache in Frankreich wieder bergauf geht. Dies beschreibt er, wie gesehen, wie folgt: „Weil die [Deutschlehrer] ganz allein vor Ort in ihrem collège oder ihrem lycée, denen ist das nicht immer bewusst, man muss ihnen diese Informationen bringen.

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Denn für einen Deutschlehrer ist das Leben nicht immer einfach. Daher haben sie die Tendenz, z. B. gehen in ihrem lycée die Schülerzahlen weiter zurück, ein bisschen, und sie denken sich, dass es für das ganze Fach so aussieht. Daher müssen die lycée-Lehrer erfahren, dass im collège die Schülerzahlen steigen. Um ein vereinigendes Image des Faches zu liefern, wo jeder nur eine individuelle Perspektive hat.“

Da IP3 davon spricht, dass er „systematisch“ diese Botschaft verbreite, ist er einer der wesentlichen Akteure, die für die gemeinschaftliche Kommunikation sorgen: Die Lehrer sind „vor Ort“ und haben eine beschränkte Perspektive, er hingegen ist einer derjenigen, die mehr Informationen besitzen und den Lehrern „diese Information“ bringen. IP3 positioniert sich also nicht nur über den Inhalt im Rahmen der Praktik des Doing Community als verbindendes Element, sondern auch über den territorialen Bezug der Dichotomie von „nationaler Ebene“ und dem dezentralen „vor Ort“, da die Lehrer vor Ort eine beschränkte Perspektive besitzen, während IP3 „auf nationaler Ebene“ mit der „Koordination der Disziplin“ beauftragt ist. Im Rahmen der Erläuterung eines Projekts, des Projekts des Trojanischen Pferdes, bedient sich auch IP2 der Praktik des Skalierens. Dieses Projekt beschreibt er angesichts der bisher beschriebenen Praktiken und Ordnungen im Bereich der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem folgendermaßen: „Wir stehen vor einer Wahl: Entweder führen wir die Logik des Protokolls von Saarbrücken [= plan de relance] fort, d. h. Deutsch flächendeckend für alle, die quantitative Logik. Oder aber wir sagen: ‚Gut, wir schaffen Parcours, die allen offen stehen‘, keine soziale Auslese, offen für alle, für die wir ein sehr hohes Niveau kultureller, sprachlicher Fähigkeiten gewährleisten, sowie eine fast verpflichtende Mobilitätserfahrung von mindestens drei, vier Monaten in einer deutschen Schule. Die erlaubt, danach einen integrierten Studiengang an der Universität zu belegen. Damit wir in unseren beiden Ländern, oder zumindest in Frankreich, einen bedeutenden Anteil an Leuten haben, die eine wirklich sehr gute Kenntnis der deutschen Sprache und Kultur besitzen. Das ist eine Wahl. Momentan verfolgen wir beides gleichzeitig. Das Problem ist, dass ich diesen Diskurs nicht draußen halten kann, weil ich 8000 Deutschlehrer habe. Und dann gibt es den politischen Diskurs. Ich kann nicht gegen den politischen Diskurs sein, der sagt: ‚Wir brauchen Deutsch flächendeckend‘.“

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IP2 definiert folglich zwei Wahlmöglichkeiten: Die eine, das Quantitative, sei die Logik des plan de relance, der zufolge das Ziel lautet, mehr Schüler für die Praktik des Deutsch-Lernens zu gewinnen. Die Option der Quantität setzt IP2 mit einem flächendeckenden Angebot an Deutsch gleich. Die andere Möglichkeit, das Qualitative, bestünde in einem allen offen stehenden Parcours der Exzellenz. Auch wenn die Akteure des Deutschen seiner Meinung nach momentan beide Wege beschreiten, stünden sie doch vor der Wahl zwischen Quantität und Qualität. Dies könne er jedoch nicht öffentlich sagen, da er „8000 Deutschlehrer habe“. Er führt weiter aus: „Mein Vorschlag ist, zu sagen: ‚Wir müssen weitermachen, das Quantitative, aber intern einen eventuellen Rückzug ins Qualitative vorbereiten.‘ […] Was ich momentan zu machen versuche, ist, zu sagen: ‚Wir bleiben in der Logik der Politik, wir machen also Deutsch flächendeckend‘, aber allen zu sagen: ‚Achtung, es ist nicht das Quantitative, das zählt, sondern das Qualitative. Und lasst uns nachdenken, was wir machen wollen […], damit wir gewappnet sind, falls wir den Kurs ändern müssen, damit wir nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden.‘ Das ist eine Art Trojanisches Pferd, einen eventuellen strategischen Rückzug vorzubereiten. Aber ich bin nicht sicher, dass die Politik das akzeptiert, dass Deutschland akzeptiert […] und dass die Lehrer akzeptieren, da ihr Leben da mit drin hängt.“

Damit erklärt IP2, ein doppeltes Spiel zu spielen – öffentlich die Position einer quantitativen Strategie zu vertreten, intern jedoch einen „eventuellen Rückzug ins Qualitative vor[zu]bereiten“. Dieses doppelte Spiel bzw. die Frage, warum IP2 seine Meinung nicht öffentlich vertreten kann, wird zumindest teilweise durch seine Position erklärt: IP2 befindet sich institutionell in einer Position, die ihn verpflichtet, die „quantitative“ Logik zu verfolgen. Diese Position ist des Weiteren durch die politischen Diskurse, die Abkommen mit Deutschland, die Existenz einer sehr großen Zahl (verbeamteter) Deutschlehrer gekennzeichnet. Andererseits erkennt IP2 die Vielzahl der Probleme, die Deutsch sehr stark unter Druck setzen – betriebswirtschaftlich rationalisierendes Denken in einem zunehmend auf ökonomische Kriterien ausgerichteten Bildungssystem; die Nachfrage, die sich immer mehr auf Englisch und Spanisch zu fokussieren scheint; persönliche Abneigungen aus verschiedensten Gründen gegen das privilegierte Deutsch und/oder Deutschland; die Abwärtsspirale durch zunehmenden Lehrermangel; Ermüdungserscheinungen des (auch älter werdenden) Leh-

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rerkollegiums etc. –, und sucht nach einem Ausweg. Diesen Ausweg erkennt er im Verfolgen eines Ansatzes, der zentral auf „Qualität“ basiert. Konkret bestehe dieser „Exzellenz-Parcours [in] Exzellenzzentren für das AbiBac, […] PASCH413, das ist alles für mich so ein bisschen der Exzellenz-Parcours, der entsteht, […] Nischen, wo man experimentiert, wo man arbeitet, wo man mitteilt, dass das gut funktioniert“. Dennoch stellt sich die Frage, wieso dieses Projekt des Trojanischen Pferdes, dieser „eventuelle Rückzug ins Qualitative“ IP2 nötig erscheint. Er führt als Grund an: „Sobald uns die Politiker fallen lassen, wenn Deutschland seine Bemühungen einstellt, [kurze Pause] Druck auf das [französische Bildungs-]Ministerium auszuüben, und das Ministerium sagt: ‚Das ist nicht mehr wichtig‘, dann werden wir meiner Meinung nach ein Problem haben. Folglich, wenn wir diese Exzellenz-Parcours nicht konstruiert haben, werden wir, für mich sind das fundamentale Säulen. Aber das kann ich nicht offen sagen, weil, das kann eine langfristige Strategie sein, aber das kann nicht der Diskurs sein, den ich halte. Folglich muss das Terrain für die eventuelle Zukunft vorbereitet sein, die Exzellenz-Säulen – ohne den Kampf für die Vielfalt zu verlieren, überall dort, wo sie noch haltbar ist. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass dies mit Qualität verbunden ist, sich aber – falls die Politik es so entscheidet – auf Rückzüge vorzubereiten. Weil wenn wir diese Säulen nicht konstruieren, werden wir an dem Tag, an dem es einen politischen Rückzieher gibt, alles verloren haben. […] Das ist ein bisschen die Herausforderung, aber ich kann das nicht in der Öffentlichkeit, offen sagen. [Pause] Nicht in dieser Art. Ich kann von Exzellenzzentren sprechen, zeigen, dass es wie im Sport Leistungssport gibt und auch eine breite sportliche Basis, das kann ich sagen, aber das übernehme ich, das

413 „PASCH“ steht für die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ des Auswärtigen Amtes und diverser Mittlerorganisationen. Das formulierte Ziel eines „Ausbaus der Schulzusammenarbeit“ wird in zwei „Säulen“ untergliedert: „in der Spitze“ („Ausbau des Netzes von Deutschen Auslandsschulen und Schulen, die das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz anbieten [DSD-Schulen]“) sowie „in der Breite“ („stärkere Verankerung von Deutsch als Fremdsprache in den nationalen Bildungssystemen der Gastländer“). Die Initiative wurde im Februar 2008 gestartet und umfasst im Schuljahr 2010/2011 ca. 1500 Schulen weltweit (davon 33 in Frankreich). Der Deutsche Bundestag stellte 2008 und 2009 jeweils ca. 50 Mio. € zur Verfügung (Auswärtiges Amt o. J.).

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sind Phrasen. […] Das ist der Diskurs, den ich in der Öffentlichkeit halte. Aber in der Tat ist es nicht so, mein Esprit ist, dass ich bereits solide Säulen für die Zukunft baue.“

Somit spricht IP2 also den bereits in Kapitel 4.4.3 beschriebenen politischen Willen an: IP3 hatte in diesem Kontext geäußert, dass ohne den politischen Willen, „ohne diese deutsch-französische Verbindung nicht mehr viel wäre. […] Das stellt die Grundlage dar. Wir existieren auch durch uns selbst, aber das ist nicht dasselbe“. IP2 präsentiert diesbezüglich eine Möglichkeit der Absicherung, indem offiziell die Strategie des Quantitativen verfolgt, „intern“ aber die Strategie des Qualitativen vorbereitet wird. Interessant ist nicht zuletzt seine Positionierung. In den zitierten Passagen verweist er dreimal darauf, dass er dies nicht öffentlich sagen könne, woraufhin ich ihn darauf hinweise, dass meine Doktorarbeit natürlich publiziert werden wird, er folglich seine Aussagen in gewisser Weise doch in der Öffentlichkeit tätigt. Daraufhin erklärt er: „Aber ich habe es in Frageform gesagt. Das ist eine Frage: Liegt die Zukunft des Deutschen in den Pfeilern, den Exzellenzzentren, oder ist es eher das Quantitative? Oder ist es beides? Liegt die Zukunft darin, sich auf die Exzellenzpfeiler zurückzuziehen? Das ist eine Frage. Da liegt mir daran, weil das bedeutet: Wir haben nicht das Recht, wir pädagogischen Verantwortlichen, eine noch unsichere Zukunft nicht einzukalkulieren. Wir müssen alle Alternativen einkalkulieren. Daher ist das nicht widersprüchlich.“

Eventuell hat IP2 nicht zuletzt aufgrund meiner Zusicherung, dass die Interviews anonymisiert werden, einen Weg gesehen, sein Projekt publik zu machen, ohne seine Dienstpflicht zu verletzen. Die so vorgenommene Positionierung lässt sich der Praktik des Skalierens zurechnen. Bezüglich dieses von IP2 gezeichneten Projekts des Trojanischen Pferdes lässt sich noch eine weitere interessante Feststellung treffen: Das von IP2 als notwendig erachtete Projekt einer qualitativen Absicherung steht in Widerspruch zur kulturellen Vielfalt, die gerade in Frankreich – v. a. in Form von Äußerungen und Diskursen – einen hohen Stellenwert besitzt und auch von IP2 als bedeutend angesehen wird. Diesen Widerspruch führt er folgendermaßen aus:

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„Ich sagte, dass der Kampf für das Französische in Deutschland und für das Deutsche in Frankreich der Kampf für die Vielfalt sei. Das ist es, was mir nicht behagt, das kann man nicht aufgeben. An dem Tag, an dem man den Kampf für die Vielfalt beiseitegeschoben hat, wird man auf diesen Exzellenz-Säulen verharren müssen. Aber man kann diesen Kampf nicht aufgeben. Das sind so ein bisschen die Vorposten der sprachlichen Vielfalt in Frankreich. Ich kämpfe für das Deutsche in der Hoffnung, dass dies dem Arabischen, dem Portugiesischen, dem Italienischen, dem Russischen und anderen Sprachen förderlich ist. Das kann ich nicht aufgeben.“

4.4.7 Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems in der Zusammenschau Mithilfe des Konzepts der als Ordnungen praxistheoretisch gerahmten scales wurde die Beschreibung der Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich weiter verdichtet, indem die Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems betrachtet wurden. Diese sind in Abbildung 29 skizziert. Zunächst erfolgte die Betrachtung der Ordnung des französischen Bildungssystems. Die einführende Beschreibung einer Ordnung mit hierarchisch angeordneten „Ebenen“, bei der die Anweisungen sich „beim Heruntergehen […] manchmal ein kleines bisschen“ verlieren, wurde im Verlauf weiterer Ausführungen komplexer. Hierbei wurde deutlich, dass im Zuge der im Bildungssystem als déconcentration bezeichneten Dezentralisierungspolitik in Frankreich das nationale Bildungsministerium Schwierigkeiten hat, seine Vorgaben durchzusetzen. Auf den „Ebenen“ der académies, der départements und der Schulen identifizierten die Akteure des Deutschen eine „Kette“ von Entscheidungsträgern, die jeweils in „ihrer Zone“ eine gewisse Autonomie besitzen. Zusätzlich wurden die Beziehungen zwischen den Entscheidungsträgern noch durch den Verweis auf die Erfahrung in den jeweiligen Praktiken sowie die Bedeutung von räumlicher Distanz komplexer. All dies ergab zusammen ein Bild, das nicht einer klaren Hierarchie mit dem Befolgen der Anweisungen von „oben“ auf „unteren“ Ebenen entsprach. Vielmehr schien das Bild eines vorgegebenen Rahmens, den die jeweiligen Entscheidungsträger für „ihr“ Territorium ausgestalten, treffender. Die Ordnung des französischen Bildungssystems kann folglich nicht mit einem Blick auf ein Organigramm erklärt werden,

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da die Gegebenheiten „vor Ort immer komplizierter sind“. Dennoch kann nicht von einer Auflösung dieser Ordnung die Rede sein. Abbildung 29: Zentrale Praktiken und Ordnungen des französischen Bildungssystems

 Die Betrachtung der Positionen, welche die Akteure des Deutschen in Bezug zu der beschriebenen Ordnung des französischen Bildungssystems einnehmen, offenbarte, dass die Akteure des Deutschen keine Positionen von Entscheidungsträgern einnehmen. Während sich die deutschen Akteure des Deutschen aufgrund ihrer territorialen Rückbindung außerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems befinden, sind die französischen Akteure des Deutschen zwar innerhalb dieser Ordnung positioniert, hierbei jedoch außerhalb der identifizierten „Kette“ der Entscheidungsträger. Zwar führt die Positionierung der deutschen Akteure außerhalb der Ordnung des französischen Bildungssystems dazu, dass sie nirgends eine „leitende“ Funktion einnehmen können, sondern lediglich in „beratenden […], analysierenden […] und werbenden“ (IP20) Praktiken engagiert sind. Nichtsdestoweniger wird den deutschen Akteuren gerade aufgrund der

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Positionierung außerhalb des französischen Bildungssystems eine Autonomie zugeschrieben, die sie nutzen können, indem sie wohldosierten diplomatischen Druck ausüben. Der Ausdruck der „Dosierung“ verweist auf den Aspekt der Interkulturalität, dem im Kontext der Förderung des Deutschen in Frankreich von den Akteuren eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Im Rahmen des Projekts des politischen Anstoßens, das einen Teil der Politischen Praktik darstellt, wird die Produktion von Artefakten wie dem plan de relance initiiert. Diese Artefakte stellen Ordnungen dar, die Praktiken „ermöglichen und beschränken“: Einerseits ermöglichen diese Ordnungen Praktiken, die als „positive Diskriminierung“ das Deutsche fördern können, wie etwa die Etablierung der mit der Praktik des DeutschUnterrichtens verwobenen Ordnung der classes bilangues. Andererseits beschränken die Artefakte bzw. Ordnungen jedoch die Praktiken der verschiedenen Entscheidungsträger, indem diese trotz ihrer weitgehenden Autonomie nicht „tun können, was sie wollen“ (IP3). Dennoch sind diese Ordnungen zeitlich begrenzt – der plan de relance z. B. hat eine Laufzeit von zunächst fünf Jahren. In diesem Kontext scheint es den Akteuren des Deutschen wichtig, Sarkozy in die Ordnung der Community of Communities of Practice „reinzuholen“ und für „die deutsch-französische Sache“ zu gewinnen, damit dieser sich im Projekt des politischen Anstoßens engagieren kann, und im Zirkelfluss zwischen Politischer Praktik und der Praktik des Operationalisierens zeitlich befristete Ordnungen – wie der plan de relance – erneuert werden können. Die Betrachtung der Praktik der Sprachenplanung beleuchtete die Autonomie, aber auch das gemeinsame Engagement der verschiedenen Entscheidungsträger in dieser Praktik. Es wurde deutlich, dass sowohl die recteurs als auch die Verwaltungs-inspecteurs und die Schulleiter eine wichtige Rolle in der Praktik der Sprachenplanung einnehmen. Während die recteurs mittels der pilotage académique hierbei den Rahmen vorgeben – und ihrerseits selbst mit (bi-)nationalen Vorgaben konfrontiert sind –, besitzen die Verwaltungs-inspecteurs und die Schulleiter offensichtlich genug Freiheiten für dessen Ausgestaltung. Da die Praktik der Sprachenplanung sehr stark von „budgetären Imperativen“ geprägt ist, sind die Entscheidungsträger gezwungen zu sparen, was nicht zuletzt aufgrund der Altersstruktur der Deutschlehrer sehr oft zu Stellenstreichungen im Fach Deutsch führt. Das Resultat ist mittlerweile ein Lehrermangel in diesem Fach, der Auswirkungen auf die angestrebte öffentlichkeitswirksame Ver-

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besserung der Qualität der Praktik des Deutsch-Unterrichtens hat, da dem Lehrermangel mit einer wachsenden Anzahl nicht oder nur unzureichend ausgebildeter Hilfslehrer begegnet wird. Jedoch sind angesichts der Kopplung eines Teils des Budgets der académies an die Zielvorgaben des plan de relance über die Programme des LOLF durchaus auch Anreize gegeben, gute Zahlen vorzuweisen. Vereinzelt bemerken Akteure vor diesem Hintergrund, dass auch Frankreich ein Interesse daran hat, einen Aufwärtstrend des Deutschen in Frankreich nachzuweisen. Daher sei vor allem eine „Politik des Plakativen“ auszumachen, die eine Politik des Handelns ersetze und als „Tauschobjekt“ für die Förderung des Französischen nicht zuletzt in Deutschland diene. Die Akteure des Deutschen erklären regional unterschiedliche Anteile Deutsch lernender Schüler mit der jeweiligen räumlichen Nähe zu den entsprechenden Nachbarländern. Artefakte der Praktik des Operationalisierens weisen neben der allgemeinen Dominanz des Englischen auch in der Tat von Südwest nach Nordost ansteigende Anteile in der Praktik des Deutsch-Lernens engagierter Schüler auf, während die Anteile Spanisch lernender Schüler entgegengesetzt verlaufen. Im Südosten hingegen werden relativ hohe Anteile Italienisch lernender Schüler verzeichnet. Diese Unterschiede werden in Äußerungen der Akteure des Deutschen mit leichten bzw. schwierigen Kontexten der Förderung der deutschen Sprache konnotiert. Die Betrachtung der Praktik des Punkte-Sammelns von verbeamteten Lehrern zeigte, dass gerade in den südlichen académies, in denen die geringsten Anteile Deutsch lernender Schüler zu verzeichnen sind, die ältesten Deutschlehrer unterrichten. Dies könnte angesichts der zunehmenden Bedeutung des Lehrers im Rahmen der Praktik des FremdsprachenWählens durchaus eine Rolle für die Förderung des Deutschen in diesen académies spielen. Es gibt aber auch Ausnahmen dieser regionalen Verteilungen, wie etwa das département Saône-et-Loire, das einen extrem niedrigen Anteil Deutsch lernender Schüler aufweist. Diese Ausnahme wird mit der Geschichte des französischen Widerstands erklärt. Es wurde deutlich, dass die Images des Deutschen und die Raumsemantiken Deutschlands nach wie vor eine Rolle spielen. Der IDIF-Bericht schließlich unterläuft das Bild von Unterschieden zwischen in sich homogenen académies, indem er zwischen den académies Parallelen der internen Differenzierung aufzeigt. Abschließend wurde deutlich, dass die Akteure des Deutschen mithilfe der Praktik des Skalierens die Praktiken der Förderung des Deutschen zu

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legitimieren versuchen: Sei es die höhere Bedeutung, die sie der „politischen Metaebene“ gegenüber dem „Betriebswirtschaftlich-Schulischen“ zuschreiben oder die Einforderung rigider nationaler Vorgaben; die Rechtfertigung mittels der Verortung der Förderung des Deutschen im DeutschFranzösischen und der Betonung dessen wiederum für Europa; oder aber die Positionierung der eigenen Person in Bezug auf territorial zuständige Institutionen – sowohl diese hervorhebend oder aber sich im Gegenteil von dieser öffentlichen Funktion abgrenzend, wie im Projekt des Trojanischen Pferdes.

5 Komposition der Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem

Die vorliegende Arbeit basiert auf einem konstruktivistischen Wirklichkeitsverständnis, das die zugrunde liegende Empirie, die Datensammlung und -analyse und nicht zuletzt die Konstruktion dieses Textes geprägt hat. Hierbei ist wichtig zu betonen, dass der „Konstruktivismus sich nicht auf die Dekonstruktion bestehender Ordnungen [beschränkt]. Immer geht es auch um die Konstruktion alternativer Ordnungen – weswegen LATOUR […] gerne den Begriff ‚Kompositionismus‘ in das theoretische Vokabular einführen würde“414. Die praxistheoretische Fundierung der Arbeit macht die Konzepte der Praktiken und Ordnungen verfügbar. Mithilfe dieser Konzepte können die wesentlichen Elemente identifiziert werden, um die Frage zu beantworten, wie die Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem praktiziert wird. Diese Elemente bilden die Bausteine einer Komposition, die in der vorliegenden Arbeit in Form einer dichten Beschreibung aufgebaut werden. Das Fundament bildet die Situation der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem, die lange Zeit von einem deutlichen Rückgang des Anteils Deutsch lernender Schüler geprägt war. Im Jahr 2004 wurde daher der auf dem Élysée-Vertrag basierende plan de relance verkündet, welcher die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zum Ziel hat und sie über die gleichzeitige Förderung der französischen Sprache in Deutschland in einen binationalen Kontext einbettet. 414 BOECKLER 2005: 39

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Die Förderung der deutschen Sprache wird von den Akteuren des Deutschen sehr oft mittels Diskursen legitimiert, die praxistheoretisch als Ordnungen zu fassen sind. Hierbei wurden fünf Diskurse abgegrenzt, welche die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich nicht zuletzt über den Verweis auf ihre Bedeutung für das Deutsch-Französische und somit für Europa legitimieren sollen: Der Arbeitsmarkt-Diskurs, der VerständnisDiskurs, der Mehrsprachigkeits-Diskurs, der Innovations-Diskurs sowie der Imageträger-Diskurs. Als grundlegend für die Förderung des Deutschen in Frankreich können folgende Praktiken und Ordnungen identifiziert werden: Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens ist vor allem von einer Veränderung der mit dieser Praktik verwobenen Ordnung eines auf mehrere Schulen verteilten Arbeitsortes geprägt, die sowohl eine veränderte Geographie des Unterrichtens als- auch identitätsbezogene Probleme mit sich bringt. Dies führt wiederum zu einer negativen Veränderung der teleoaffektiven Strukturen dieser Praktik, da viele Lehrer Angst haben, ihre Stelle zu verlieren, und sich isoliert fühlen. Auch die Praktik des Deutsch-Lernens ist von starken Veränderungen geprägt: Früher waren die Deutschklassen „Eliteklassen“, die nach der Einführung der Wahlfreiheit von den Eltern strategisch als Möglichkeit, ihre Kinder in guten Klassen unterzubringen, genutzt wurden, was zu „vom Deutsch Traumatisierten“ führte. Aus den im Zuge des plan de relance stark geförderten classes bilangues scheinen mittlerweile wieder „gute Klassen“ zu resultieren. Die classes bilangues bringen eine Trendwende der Zahlen der in dieser Praktik engagierten Schüler mit sich. Allerdings wird von den Akteuren des Deutschen aufgrund einer Öffnung der Ordnung der classes bilangues für alle Fächer das Ende dieser Trendwende befürchtet. Als ein wesentlicher Grund hierfür werden die Ordnungen der Images des Deutsch-Unterrichts, der deutschen Sprache sowie die Raumsemantiken Deutschlands angesehen, die im Vergleich zu den Images und Raumsemantiken des Spanischen von den Akteuren als benachteiligt angesehen werden. Außerdem sind vor allem auf den Zweiten Weltkrieg rekurrierende filmbezogene Praktiken sowie Praktiken des nationalen Gedenkens für die Förderung des Deutschen hinderlich. Als Folge versuchen die Akteure mittels verschiedener Projekte im Rahmen der Praktik des Werbens, diese Ordnungen positiv zu beeinflussen.

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Im Sinne einer Überblick verschaffenden Komposition der wesentlichen Elemente der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem wird der Versuch unternommen, die grundlegenden Praktiken und Ordnungen in einer Abbildung zusammenzuführen. Hierfür bilden die Praktiken und Ordnungen des zentralen Bereichs der Vermittlung des Deutschen die Grundlage (s. Abbildung 30). Abbildung 30: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Erster Schritt



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Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens und die Praktik des DeutschLernens überschneiden sich im Deutsch-Unterricht. Des Weiteren ist die Praktik des Werbens mit diesen beiden Praktiken verknüpft, zielt ihrerseits jedoch zentral auf die Ordnungen der Images und Raumsemantiken des Deutschen. Die Beschreibung grundlegender Praktiken und Ordnungen wurde in einem zweiten Schritt – geleitet von der Frage, welche Akteure und Communities im Rahmen der Förderung des Deutschen in Frankreich auszumachen sind – weiter verdichtet. Durch die ergänzende Perspektive des Konzepts der Communities of Practice kann das von den Akteuren formulierte grundlegende Verstehen eines Gemeinschaftsgefühls konzeptionell gefasst werden. Es wird deutlich, dass genauer von einer Community of Communities of Practice gesprochen werden muss. Über das Kennzeichen der Gruppierung um eine zentrale Praktik werden mithilfe des Konzepts der Communities of Practice die Politische Praktik sowie die Praktik des Operationalisierens erkannt. Auch wenn die beiden Praktiken ihre je eigenen Ziele und Regeln besitzen, sind sie über einen „Zirkelfluss“ miteinander verflochten, wenn Verlautbarungen entworfen, politisch legitimiert und in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Die Umsetzung politischer Verlautbarungen in konkrete Maßnahmen konstituiert ebenso wie die Übersetzung des komplexen Alltags der Deutschlehrer in abstrahierende Statistiken die vermittelnde Stellung der Community of Practice des Operationalisierens. Sie überbrückt eine große kognitive Distanz zwischen der Community of Practice des Politischen und der Community of Practice des Deutsch-Unterrichtens. Durch die Perspektive von Communities of Practice wird deutlich, dass die Konstanz, welche abstrahierende Statistiken suggerieren, vielmehr das Resultat einer fortwährenden Praktik des Rekrutierens darstellt. Außerdem kann mittels des Konzepts der Communities of Practice die Praktik des Doing Community beschrieben werden, die aktiv das grundlegende Verstehen des Gemeinschaftsgefühls fördert, um dem Gefühl der Isolation entgegenzuwirken und damit die negative Veränderung der teleoaffektiven Strukturen, v. a. der Praktik des Deutsch-Unterrichtens, abzufedern. Es sind außerdem Ordnungen zu erkennen, welche den für die Förderung des Deutschen in Frankreich relevanten Teil eines „dichten institutionellen Geflechts“ des Deutsch-Französischen darstellen. Diese Ordnungen sind eng mit den Praktiken der Förderung des Deutschen verflochten und

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gewährleisten eine gewisse „Grundsicherung“ des Engagements in diesen Praktiken. Von den Akteuren wird jenen Ordnungen die Kraft zugeschrieben, etwaige Ausreißer in die Community of Communities der Förderung des Deutschen in Frankreich einzubeziehen und sie somit für das DeutschFranzösische zu gewinnen. Die Perspektive der Communities of Practice zeigt schließlich, dass die Ziele einzelner Communities of Practice scheinbar in Konflikt mit dem übergeordneten Ziel stehen können. Am Beispiel der Entsandten wird deutlich, dass auch eine andere zeitliche Ordnung die Praktiken und ihre Ziele beeinflussen kann. Ebenso können die Ziele der verschiedenen Praktiken, in denen ein einzelner Akteur engagiert ist, miteinander in Konflikt stehen. Das stark abstrahierende Bild einer Übersicht über die wesentlichen Praktiken und Ordnungen kann also weiter gezeichnet werden (s. Abbildung 31): Die Ordnung der gesamten Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich bildet mit den bereits etablierten Ordnungen der Images und Raumsemantiken des Deutschen bzw. Deutschlands die Grundlage. Innerhalb der Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen weisen die in der Politischen Praktik und die in der Praktik des Deutsch-Unterrichtens Engagierten die größte kognitive Distanz auf. Diese soll im Rahmen der Praktik des Operationalisierens überbrückt werden. Das Ziel der Praktik des Rekrutierens ist, die Community of Communities of Practice zu erweitern, indem neue Mitglieder angeworben werden. Daher ist diese Praktik eng mit der Praktik des Werbens verknüpft. Mithilfe des Konzepts der scales wird deutlich, dass die einführende Beschreibung des französischen Bildungssystems einer Ordnung mit hierarchisch geordneten „Ebenen“ bei genauerer Betrachtung deutlich komplexer wird: Die Politik der déconcentration wird von den Akteuren als Grund gesehen, weshalb mittlerweile eine „Kette“ von Entscheidungsträgern auszumachen sei, die jeweils in ihrer „Zone“ eine gewisse Autonomie besitzen. Außerdem tragen unterschiedliche Erfahrungen in den jeweiligen Praktiken sowie räumliche Distanz zwischen den Entscheidungsträgern dazu bei, dass man nicht von einer klaren Hierarchie mit dem Befolgen der Anweisungen von „oben“ auf „unteren Ebenen“ sprechen kann. Vielmehr scheint das Bild eines vorgegebenen Rahmens angebracht, den die jeweiligen Entscheidungsträger für ihre „Zone“ ausgestalten. Dies bedeutet

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gleichwohl keine Auflösung der Ordnung des französischen Bildungssystems, sondern zeigt lediglich, dass sie komplizierter ist, als der Blick auf ein Organigramm (s. Abbildung 24 auf Seite 219) vermuten ließe. Abbildung 31: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Zweiter Schritt

 Die Akteure des Deutschen nehmen unterschiedliche Positionen in Bezug zur Ordnung des französischen Bildungssystems ein: Die deutschen Akteure befinden sich aufgrund ihrer territorialen Rückbindung außerhalb dieser Ordnung. Die französischen Akteure sind zwar innerhalb des französischen Bildungssystems verortet, nehmen hier jedoch keine Positionen von wesentlichen Entscheidungsträgern ein. Auch wenn die Deutschen außerhalb des französischen Bildungssystems positioniert sind, kommt ihnen nach Meinung der französischen Akteure gerade aufgrund dieser Autonomie die Rolle zu, diplomatischen Druck auszuüben. In diesem Kontext spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, die von den Akteuren der Thematik der „Interkulturalität“ zugeordnet werden.

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Im Rahmen des Projekts des politischen Anstoßens der Politischen Praktik wird die Produktion von Artefakten bzw. die Etablierung von Ordnungen wie dem plan de relance initiiert. Diese Ordnungen sind wiederum mit Praktiken verwoben, die sie gleichzeitig ermöglichen und beschränken: Während einerseits durch eine auf dem plan de relance basierende „positive Diskriminierung“ z. B. die Ordnung der classes bilangues etabliert werden kann, wird andererseits verhindert, dass die Entscheidungsträger „tun können, was sie wollen“ (IP3). Allerdings ist die Ordnung des plan de relance zeitlich begrenzt, sodass diese mittels des Projekts des politischen Anstoßens erneuert werden muss. In der Praktik der Sprachenplanung sind die verschiedenen Entscheidungsträger trotz ihrer Autonomie gemeinsam engagiert. Die Praktik ist von „budgetären Imperativen“ geprägt, was zu überdurchschnittlich vielen Stellenstreichungen im Fach Deutsch führt. Hieraus resultiert mittlerweile ein Lehrermangel, der den Bestrebungen der Akteure, die Qualität der Praktik des Deutsch-Unterrichtens öffentlichkeitswirksam zu verbessern, entgegenläuft, da dem Lehrermangel mit nur unzureichend ausgebildeten Hilfslehrern begegnet wird. In Frankreich sind deutliche regionale Unterschiede des Anteils Deutsch lernender Schüler zwischen den einzelnen académies zu erkennen, welche die Akteure des Deutschen mit der jeweiligen Nähe zu den einzelnen Nachbarländern erklären. Außerdem führt die Praktik des PunkteSammelns zu einer Konzentration älterer Deutschlehrer v. a. in den südlichen académies, in denen sehr wenige Schüler in der Praktik des DeutschLernens engagiert sind. Am Beispiel des département Saône-et-Loire wird deutlich, dass hier der extrem niedrige Anteil Deutsch lernender Schüler mit der Bedeutung des Zweiten Weltkriegs und daraus resultierender Images des Deutschen sowie Raumsemantiken Deutschlands – also Ordnungen – erklärt wird. Im Rahmen der Praktik des Skalierens verorten die Akteure die Förderung des Deutschen im Kontext der deutsch-französischen Beziehungen, um sie dann mit dem Verweis der Bedeutung dieser Beziehungen für Europa zu legitimieren und begründen. Die Praktik des Skalierens umfasst aber auch aktive Positionierungen der einzelnen Interviewpartner in Bezug zu Institutionen der Ordnung des französischen Bildungssystems, welche den eigenen Äußerungen zumeist eine höhere Bedeutung verleihen sollten. Insgesamt ging es im Zuge dieser Praktik folglich immer um die Legitima-

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tion von Praktiken und Ordnungen durch die Bezugnahme auf eine vermeintlich höhere Bedeutung. Die Komposition der bildhaften Übersicht über die zentralen Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich kann somit vervollständigt werden (s. Abbildung 32): Vor dem etablierten Hintergrund der Ordnung der Images und Raumsemantiken des Deutschen bzw. Deutschlands sowie der Ordnung der Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen kann die Ordnung des französischen Bildungssystems hinzugefügt werden. Hierbei wird deutlich, dass nicht alle Positionen der Akteure des Deutschen innerhalb dieser Ordnung verortet werden können. Außerdem sind die Positionen der Akteure des Deutschen in der Abbildung deckungsgleich mit der Ordnung der Community of Communities of Practice des Deutschen in Frankreich. Das Projekt des politischen Anstoßens ist Teil der bereits etablierten Politischen Praktik. Hingegen findet die Praktik der Sprachenplanung außerhalb der Ordnung der Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen in Frankreich statt, da die Akteure des Deutschen keine Positionen der in dieser Praktik engagierten Entscheidungsträger innehaben. Die Praktik des Skalierens stellt des Weiteren den argumentativen Versuch dar, Praktiken und Ordnungen durch den Bezug auf eine vermeintlich höhere Bedeutung zu legitimieren. Diese finden zumeist im Rahmen der eingangs erwähnten, die Praktiken des Deutschen legitimierenden Diskurse statt, können aber auch lediglich die eigene Position als Akteur betreffen.

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Abbildung 32: Komposition von Praktiken und Ordnungen der Förderung des Deutschen in Frankreich – Dritter Schritt

 Die Komposition der Arbeit ist derart konzipiert, dass die vorgenommene Gliederung der Praktiken und Ordnungen ein sich verdichtendes Verstehen ermöglicht. Ziel war es aber auch, der dichten Beschreibung einen Spannungsbogen zu verleihen, indem ihr zusätzlich eine gewisse Chronologie zugrunde gelegt wurde. So bildete die Einführung des plan de relance als Reaktion auf den anhaltenden Rückgang des Anteils Deutsch lernender Schüler den Beginn. Zu dieser Zeit gab es einen Lehrerüberschuss, der sich später – kurz vor dem Auslaufen des plan de relance – in einen Lehrermangel umkehrte. Hier ist auch das Projekt des Trojanischen Pferdes zeitlich zu verorten, demzufolge die Akteure des Deutschen vor einer Wahl stehen zwischen dem der quantitativen Logik folgenden Versuch, Deutsch flächendeckend anzubieten, und der qualitativen Logik einer Konzentration auf Exzellenzzentren. In jedem Fall wird diese Wahl grundlegende Auswirkungen auf die Geographie der deutschen Sprache in Frankreich haben.

6 „Was bleibet aber“? Ein Fazit

„Das Beste, was Sie als Doktorand tun können, besteht darin, einem bestimmten Sachverhalt einen Text hinzuzufügen – der von Ihren Betreuern gelesen wird, vielleicht von einigen Ihrer Informanten und drei oder vier Ihrer DoktorandenKollegen. Eine Lösung dafür, die Arbeit zu beenden, besteht darin, einen ‚Rahmen‘, eine ‚Erklärung‘ hinzuzufügen; eine andere besteht darin, das letzte Wort im letzten Kapitel Ihrer verdammten Dissertation zu schreiben.“ LATOUR 2007: 256f.

Die vorliegende Dissertation verfolgt einen Ansatz, der ohne eine intellektualisierende Erklärung die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich verstehen möchte. Daher wird mit der Theorie sozialer Praktiken nach SCHATZKI und RECKWITZ ein eher beschreibendes Analyse-Vokabular gewählt. Die konsequente Anwendung dieser Perspektive offenbart im Kontext der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zahlreiche Praktiken und Ordnungen: Die Praktik des Deutsch-Unterrichtens, die Praktik des Deutsch-Lernens sowie die Ordnungen der Images und Raumsemantiken des Deutschen bzw. Deutschlands benutze ich als grundlegende Bausteine für die Komposition des Gesamtbildes der Förderung des Deutschen in Frankreich. Mithilfe des Konzepts der Communities of Practice verdichte ich die begonnene Anordnung. Die Akteure des Deutschen können als Teil der Ordnung einer Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen begriffen werden, die eng mit der Praktik des Rekrutierens

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sowie der Praktik des Doing Community verwoben ist. Des Weiteren werden über die Community of Practice des Politischen sowie der Community of Practice des Operationalisierens die entsprechenden Praktiken erkannt und in das Gesamtbild eingefügt. Außerdem zeigt die Perspektive auf Akteure und Communities of Practice, wie unterschiedliche Ziele von Praktiken miteinander in Konflikt stehen können und wie mittels der Etablierung von Ordnungen Akteure für die Community of Communities of Practice der Förderung des Deutschen gewonnen werden sollen. Der Rückgriff auf das Konzept der scales betont die Konstruiertheit von „Ebenen“ und die Vorteile einer flachen Ontologie, die Essentialismen vermeidet. Aus diesem Verständnis heraus wird z. B. „Interkulturalität“ mittels der Beschreibungen der Akteure des Deutschen für den Kontext der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich konkretisiert. Vor allem wird jedoch deutlich, dass der Blick auf ein hierarchisierendes Organigramm der Ordnung des französischen Bildungssystems wenig über dessen Komplexität von miteinander verflochtenen Praktiken und Ordnungen aussagt. Die Praktik der Sprachenplanung und deren Verwobenheit mit der Ordnung des französischen Bildungssystems zeugen von dieser Komplexität. Insbesondere die Positionierung der Akteure des Deutschen außerhalb der Ordnung der Entscheidungsträger zeigt die Bedeutung des Projekts des politischen Anstoßens für die Förderung des Deutschen in Frankreich. Das Konzept der scales verweist auf die Bedeutung der Betrachtung der Praktiken und Ordnungen an konkreten Orten, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit unter Bezug auf Unterschiede, aber auch Parallelen zwischen den einzelnen académies beleuchtet wird. Das Beispiel des département Saône-et-Loire verdeutlicht, dass eine Regelmäßigkeit der geographischen Verteilung nicht angenommen werden sollte, sondern immer die konkreten Orte betrachtet werden müssen. Die Konstruiertheit skalierender Einteilungen wird schließlich durch die kritische Betrachtung der Praktik des Skalierens noch einmal betont. Die Praktiken der Förderung des Deutschen in Frankreich werden nicht zuletzt in diesem Kontext mittels der Ordnungen verschiedener Diskurse legitimiert und begründet, in deren Kontext die Praktik des Skalierens eine zentrale Bedeutung einnimmt. Insgesamt eignet sich die Perspektive der Praxistheorie folglich sehr gut, um die Geographien der Förderung der deutschen Sprache in Frankreich zu verstehen. Hierbei ermöglicht dieser Ansatz die Einlösung der beiden eingangs formulierten Forschungsdesiderate: Erstens wurde bei der

6 „W AS BLEIBET

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Untersuchung der Sprachförderung der Zielstaat zentral berücksichtigt. Es wurde deutlich, dass die deutschen Akteure im französischen Bildungssystem aufgrund der territorial-juristischen Rückbindung lediglich eine die französischen Partner „beratende“ Rolle einnehmen können – und dies auch nur, wenn Letztere es wünschen. Zweitens wurde mithilfe der konsequenten Anwendung der Praxistheorie die Engführung auf Repräsentationen, die ein textorientierter Diskursbegriff mit sich bringt, überwunden und THRIFTS Appell, sich „mehr auf tatsächliche Praktiken“415 einzulassen, eingelöst. Die Praxistheorie erlaubt folglich eine „more-than-representational“Perspektive, welche das Politische noch im Blick behält, indem sie eine Betrachtung von Machtgeometrien zulässt – und zwar in einem Sinne, wie auch FOUCAULT Macht verstand: „Macht existiert nur in actu“416. Für eine solche Perspektive eignet sich die flache Ontologie der Praxistheorie besonders, da sie Essentialismen vermeidet und vielmehr nach der konkreten Situiertheit von Praktiken und Ordnungen fragt. In der vorliegenden Arbeit wurde die Praxistheorie durch das Konzept der Communities of Practice erweitert. Diese Perspektive kann gerade in der Sozialgeographie den Blick dafür schärfen, in welchen Praktiken die für die Sozialgeographie nach wie vor zentralen Akteure engagiert sind, ohne dabei die kulturtheoretische Produktion des Sozialen aus dem Blick zu verlieren. Praktiken sind nicht von ihren „Trägern“ zu trennen, eine „Praxeographie“ ist somit ohne ethnographische Methoden undenkbar. Aufgrund des Fokus auf die sich an konkreten Orten entfaltende Performativität sozialer Praktiken, die mit Ordnungen verwoben sind, bietet sich die Praxistheorie gerade für geographische Forschung an. Sie stellt eine zeitgemäße Theorie dar, die eine „Konzeption politischer Auseinandersetzungen, der Konstitution von Identitäten sowie des Sozialen insgesamt leistet, ohne auf die Idee vorgängig gegebener sozialer Strukturen oder die Idee autonomer Subjekte zurückzugreifen“.417 Diese Formulierung benutzen GLASZE und MATTISSEK zur Beschreibung der „Hegemonie- und Diskurstheorie von LACLAU und MOUFFE“, deren „Theorie des Politischen

415 „I hoped to have outlined a parallel agenda for critical geopolitics, […] one which is less taken in by representation and more attuned to actual practices“ (THRIFT 2000: 385). 416 FOUCAULT 1987: 254 417 GLASZE & MATTISSEK 2009: 155

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und des Sozialen“ SCHATZKI an zahlreichen Stellen diskutiert, um sie schließlich aufgrund der vermeintlichen Fixierung auf Sprache zu kritisieren. Ich denke jedoch, dass eine „more-than-representational“-Perspektive die Errungenschaften der diskurstheoretischen und nicht zuletzt der diesbezüglichen methodologischen Diskussion nicht verwerfen sollte. In meinen Augen stellt damit die Zusammenführung der jeweiligen Vorteile der Praxistheorie und der Diskurstheorie ein Forschungsdesiderat dar, da in einer zunehmend medialen Welt die in „neuen“ und „alten“ Medien vermittelten Repräsentationen bedeutend sind, aber dennoch ihre Produktion im Rahmen von Praktiken nicht vernachlässigt werden darf.

7 Nicht sprachlos bleiben! Ein Plädoyer

Ich möchte diese Arbeit bewusst normativ beschließen. In der vorliegenden Arbeit war von Fällen zu lesen, die zeigen, dass die Akteure der Förderung des Deutschen gelegentlich mit negativen Images des Deutschen und Deutschlands konfrontiert wurden. Dennoch will ich – nicht zuletzt aufgrund zahlreicher eigener positiver Erfahrungen – mit folgendem Zitat eines regionalen Deutsch-inspecteur aus dem IDIF-Bericht (2008: 52f.) glauben, dass es sich hierbei um eine „Randerscheinung“ handelt: „Ich denke aber auch an eine Schulleiterin, die uns sagte, dass ihr Vater den Krieg mitgemacht hat. Und dieser sagte, dass er eben deswegen wollte, dass seine Kinder die Sprache seiner Feinde lernten, damit sie nicht mehr seine Feinde seien. Und sie sagt: ‚Ich habe die Sprache der Feinde meines Vaters gelernt und meine Kinder haben die Sprache meiner Freunde gelernt‘, weil sie sich dadurch mit Deutschen angefreundet hat. Ich denke also, die Dinge entwickeln sich, aber ich denke auch, dass es immer noch alte, primäre Ausbrüche gibt, die wirklich ein menschlicher Herdentrieb sind, das ist die hässliche Seite des Menschen. […] Es ist nicht alles blitzblank, aber es ist dennoch eine Randerscheinung.“

In der vorliegenden Arbeit wurde im Sinne des Konzepts der Communities of Practice argumentiert, es gelte „immer wieder neu anzufangen“ (IP12), da sich immer neue Akteure in der somit als überindividuell zu verstehenden Praktik engagieren. Daher ist es auch wichtig, dass sich Deutsche und Franzosen „immer wieder neu“ begegnen, um die deutsch-französische Freundschaft „immer wieder neu“ zu knüpfen. Hierbei ist es jedoch wichtig – gerade nach einer langen und intensiven Beschäftigung im Bereich des

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Deutsch-Französischen –, den Blick nicht zu sehr zu verengen, wie IP6 in meinen Augen sehr schön feststellt: „Letztlich muss man natürlich auch anerkennen, wenn es trotz aller Maßnahmen nicht gelingt, das Interesse zu wecken, dann muss man das auch irgendwo akzeptieren. Ich denke, das, was gemacht wurde, das ist sehr weitreichend, von beiden Seiten, Angebots- und Nachfrageseite. Und wenn es nicht gelingt, dann muss man das anerkennen. Dann muss man eben schauen, dass man das Deutsch-Französische über die Austausche wach hält. Und wenn das im Zweifel dazu führt, dass ein deutscher und ein französischer Jugendlicher auf Englisch miteinander kommunizieren, wenn es nicht anders geht, würde ich sagen, wäre auch das eine zumindest sinnvolle Form, dass man das aufrecht erhält.“

Bei allem Verständnis für das Argument, beim Erlernen der Sprache lerne man auch etwas über die jeweilige Gesellschaft, sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass das In-Austausch-Treten das Zentrale ist – und hierfür ist es wichtig, miteinander zu reden. Da ein alleiniger Austausch lediglich mit den Menschen, deren Sprache man spricht, dazu führen würde, dass zu wenig kommuniziert würde, muss auf eine Drittsprache zurückgegriffen werden, will man dem „Anderen“ nicht sprachlos gegenüber stehen. Denn: Das Erlernen von Sprachen sollte nicht zu Grenzziehungen führen, sondern diese vielmehr überwinden und hinterfragen. Frei nach WITTGENSTEIN – „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“418 – könnte man also sagen: „Dort, wo mein Sprechen endet, sind die Grenzen meiner Welt“. Daher gilt es, nicht sprachlos zu bleiben!

418 WITTGENSTEIN 2003: 118

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ZNINED-BRAND, V. (1999): Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik. Eine vergleichende Analyse. Frankfurt am Main.

Danksagung

In der vorliegenden Arbeit ist von Akteuren die Rede, ohne deren Engagement die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich nicht denkbar wäre. Aber auch diese Arbeit selbst wäre ohne viele Personen nicht denkbar gewesen – daher bin ich am Ende eines langen Weges zahlreichen Menschen zu Dank verpflichtet (auch wenn ich dies eher als Kür denn als Pflicht sehe): Zunächst und vor allem sind hier „die Erforschten“ zu nennen, die viel treffender als meine „Lehrer“ bezeichnet werden müssten. Von ihnen habe ich aufgrund ihrer Bereitschaft, mir ihr Wissen darzulegen, und ihrer Geduld bei zahlreichen Nachfragen meinerseits sowie ihrer sehr sympathischen Art gelernt, dass eine Sprache vor allem von den Menschen lebt, die sie personifizieren. Merci mille fois! Professor Dr. Anton Escher habe ich es zu verdanken, den manchmal steinigen Weg der Promotion eingeschlagen zu haben; doch am Ende stelle ich fest, dass ich vieles gelernt habe und dass sich der Weg gelohnt hat. Herzlichen Dank – sowohl für die Betreuung meiner Doktorarbeit als auch für das Vertrauen in meine Person! Auch wenn Dr. Georg Glasze mittlerweile Professor geworden ist und somit noch mehr Arbeit erledigen muss als zu Zeiten meiner Diplomarbeit, hat sich an seiner zuverlässigen, schnellen und intensiven Betreuung nichts geändert. Vielen Dank! Bei Professor Peter Jackson möchte ich mich dafür bedanken, dass er mir durch seine Einladung einen Aufenthalt als Gastforscher am Department of Geography der University of Sheffield ermöglicht hat. Den dadurch ermöglichten Austausch weiß ich sehr zu schätzen. Thank you very much!

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Dr. Sandra Petermann danke ich herzlichst für ihren Freundschaftsdienst eines atemberaubend schnellen Korrekturlesens und zahlreiche anregende Anmerkungen und Diskussionen. Dr. Jonathan Everts’ Freundschaft, seine ansteckende Lust an wissenschaftlichen Diskussionen sowie sein stets offenes Ohr weiß ich sehr zu schätzen. Dankeschön! Clemens Körber danke ich sehr für die Umsetzung der Cover-Idee, die er mir abnahm, obwohl ich ihm doch eigentlich nur eine technische Frage gestellt hatte … Vielen Dank! Schließlich möchte ich all jenen danken, die hier zwar nicht namentlich erwähnt werden, die aber auch in zahlreichen und manchmal unbedeutend scheinenden Gesprächen und Diskussionen dazu beigetragen haben, meine Gedanken voranzubringen. Von diesem Austausch lebt Wissenschaft und ohne ihn hätte meine Arbeit nicht in dieser Form entstehen können. Last but not least danke ich Katrin Viviane Kurten dafür, dass sie diesen Weg mit mir zusammen gegangen ist und dabei den einen oder anderen Stein aus dem Wege geräumt hat – nicht zuletzt durch ihr wie immer sehr gründliches Lektorat. Vielen, vielen Dank! Bien amicalement, Matthias

Kultur und soziale Praxis Isolde Charim, Gertraud Auer Borea (Hg.) Lebensmodell Diaspora Über moderne Nomaden März 2012, 280 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1872-3

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Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Anıl Al-Rebholz Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei Intellektuelle Diskurse, oppositionelle Gruppen und Soziale Bewegungen seit 1980 September 2012, ca. 408 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1770-2

Bettina Fredrich verorten – verkörpern – verunsichern Eine Geschlechtergeografie der Schweizer Sicherheitsund Friedenspolitik Juni 2012, 302 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2063-4

Eran Gündüz Multikulturalismus auf Türkisch? Debatten um Staatsbürgerschaft, Nation und Minderheiten im Europäisierungsprozess Oktober 2012, ca. 285 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2109-9

Andrea Nachtigall Gendering 9/11 Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des »War on Terror« Juli 2012, 478 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2111-2

Ewa Palenga-Möllenbeck Pendelmigration aus Oberschlesien Lebensgeschichten in einer transnationalen Region Europas Oktober 2012, ca. 390 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2133-4

Johanna Rolshoven, Maria Maierhofer (Hg.) Das Figurativ der Vagabondage Kulturanalysen mobiler Lebensweisen Oktober 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2057-3

Minna-Kristiina Ruokonen-Engler »Unsichtbare« Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen. Eine biographieanalytische Studie Juni 2012, 408 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1876-1

Ariane Sadjed »Shopping for Freedom« in der Islamischen Republik Widerstand und Konformismus im Konsumverhalten der iranischen Mittelschicht Juli 2012, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1982-9

Adelheid Schumann (Hg.) Interkulturelle Kommunikation in der Hochschule Zur Integration internationaler Studierender und Förderung Interkultureller Kompetenz Juli 2012, 262 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1925-6

Irini Siouti Transnationale Biographien Eine biographieanalytische Studie über Transmigrationsprozesse bei der Nachfolgegeneration griechischer Arbeitsmigranten September 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2006-1

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