Transatlantische Wechselwirkungen: Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945 [1 ed.] 9783428535729, 9783428135721

Stefan Scheil geht in »Transatlantische Wechselwirkungen« der Frage nach, inwieweit die nach 1945 und noch einmal nach 1

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Transatlantische Wechselwirkungen: Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945 [1 ed.]
 9783428535729, 9783428135721

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STEFAN SCHEIL

Transatlantische Wechselwirkungen Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945

Duncker & Humblot

STEFAN SCHEIL Transatlantische Wechselwirkungen

Transatlantische Wechselwirkungen Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945

Von Stefan Scheil

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Scheil.indd 3

25.11.2011 13:52:45

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagbild: Deutsche Kriegsgefangene in Fort Benning werden mit westlicher Demokratie vertraut gemacht. (© ullstein bild) Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13572-1 (Print) ISBN 978-3-428-53572-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83572-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Florian

„Wen wundert es noch, daß sich die Wilden willig unterdrücken lassen, wenn sie lernen, daß sowieso schon alles seit Urzeiten den Engländern gehört. Sag mal Toliné: gehört der Mond auch den Engländern?“ „Noch nicht, aber bald“, sagte der Junge ernst.“

Jules Verne1

„Man muß eine Elite schaffen, die ganz auf Amerika eingestellt ist. Diese Elite darf andererseits nicht so beschaffen sein, daß sie im deutschen Volk selber kein Vertrauen mehr genießt und als bestochen gilt.“ Max Horkheimer2 „Wir Deutsche verlieren bei dieser Operation – weiter nichts als Ost- und Westpreußen, Schlesien, Teile von Brandenburg und Sachsen, ganz Böhmen, Mähren und das übrige Österreich außer Tirol (wovon ein Teil dem italienischen ‚Nationalitätsprinzip‘ zufällt) – und unsere nationale Existenz in den Kauf!“ Karl Marx3

Aus: Die Kinder des Kapitäns Grant, Frankfurt 1966, S. 205. Aus dem Memorandum on the Elimination of German Chauvinism aus dem August 1942, MHA IX, 172, 32, hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 121. 3 Aus: Karl Marx: Herr Vogt (1860), Moskau 1941, S. 130 f. 1 2

Vorwort Dies ist eine Studie über die Bildungspolitik, die Elitenbildung und die Entstehung von Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik nach 1945. Daß sie von einem Historiker ausgearbeitet wurde, der vorwiegend über die internationalen Beziehungen vor 1945 publiziert hat, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Tatsächlich kam mir der Gedanke zu diesem Projekt während der Arbeit an „Churchill, Hitler und der Antisemitismus“, meiner 2008 erschienenen Studie über die internationale Politik der unmittelbaren Vorkriegszeit und das Innenleben der Netzwerke der erklärten Gegner des Nationalsozialismus. Dort ging es sowohl um die deutsche Diktatur als auch um ihre politischen Feinde, vorwiegend in den Jahren 1938 / 39, aber nicht nur in diesem Zeitraum.1 Im Rahmen der Recherche traten etliche Namen und Vorgänge in Erscheinung, die mir aus anderen Zusammenhängen bekannt waren, und auch Fakten aus der Nachkriegszeit, die mir eher neu waren. Es deuteten sich letztlich Kontinuitäten politischer und gesellschaftlicher Konflikte an, die aus den dreißiger Jahren über 1945 hinausreichten. Daher bot es sich an, diese Kontinuitäten mit den Methoden des Diplomatiehistorikers näher zu untersuchen, unter dem Aspekt, Bildungspolitik und Elitenbildung als Ausdruck von Machtverhältnissen zu begreifen, und damit für den hier vorliegenden Fall der neudeutschen Elitenbildung letztlich als Teil der bewußten Siegessicherung, also als abschließende Kriegshandlung. Aus dieser Annahme ergibt sich zugleich die Perspektive der Darstellung, die den Versuch unternimmt, den Vorgang in allen Teilen des besiegten Kriegsgegners zu untersuchen, territorial gesehen also innerhalb der deutschen Vorkriegsgrenzen. Insofern ist dies nicht nur eine Studie über die Bundesrepublik Deutschland, wenn auch Westdeutschland den bei weitem größten Raum einnimmt. Damit wird insofern etwas Neuland betreten, als die deutsche Zeitgeschichte, so weit diese Frage thematisiert wird, sich in der Regel auf die beiden 1990 vereinigten Nachfolgestaaten DDR und BRD begrenzt.2 Auch dies stellte angesichts der politischen Teilung beider Staaten jahrzehntelang keine Selbstverständlichkeit dar, während eine Forschungsperspektive, die den deutschen Staat von 1939 für die Zeit nach 1945 als Ganzes im Blick behielt, erst recht ungewöhnlich erschien. Das besetzte und geteilte Deutschland des Kalten Krieges blieb für die zeitgeschichtliche Forschung in gewisser Weise eine „unbekannte Größe“, eine Beobachtung, die Ernst Nolte mit Blick auf das vorhandene Wissen über Deutschland 1 Stefan Scheil: Churchill, Hitler und der Antisemitismus – Die deutsche Diktatur, ihre politischen Gegner und die europäische Krise der Jahre 1938 / 39, Berlin 2009. 2 Vgl. Bauerkämper, Zeitgeschichte, passim; sowie Jarausch, Teile, passim. Zur Kritik an dieser Festsetzung vgl. unten das Kapitel „Nationalfragen“.

10

Vorwort

bereits für die Zeit vor 1939 formuliert hat, so daß „die ‚Teilung Deutschlands‘ nach 1945 nicht als etwas Neues und Überraschendes, sondern als die prononcierteste Gestalt des ‚Unbekanntseins‘ Deutschlands“ begreifbar wurde.3 Die dafür zeitgenössisch geprägten Begriffe einer „Reorientation“ oder „Reeducation“4 des Besiegten sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend von dem zugleich neutraleren wie weiteren Begriff der „cultural diplomacy“ abgelöst worden. „Reeducation“ war als Begriff auf Seiten der westlichen Alliierten bereits in der Frühphase des Zweiten Weltkriegs entwickelt worden. Zu den ersten, die ihn verwendeten, gehörte mit Henry Wickham Steed auch eine Person aus der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges, die als ein führender Teil des Winston Churchill tragenden „Focus“-Netzwerks an seiner politischen und publizistischen Vorbereitung beteiligt gewesen war.5 Steed repräsentierte vor 1939 den anti-nationalsozialistischen Kurs seiner Lobbygruppe, agierte aber sogar bereits während des Ersten Weltkriegs als „Foreign Editor“ der Londoner „Times“, als Verantwortlicher für die außenpolitischen Stellungnahmen der regierungsnahen Zeitung und als Mitdelegierter bei den Friedensverhandlungen von Versailles. Er schrieb sich selbst eine führende Rolle bei der Zerschlagung Österreich-Ungarns zu und nahm ganz allgemein eine sehr kritische Haltung gegen die Möglichkeit deutscher oder besser „pangermanischer“ Großmachtpolitik ein, deren negative Seiten er zwischen 1914 und 1939 allerdings auch durch die Produktion von Gerüchten und gefälschten Dokumenten aufzeigen wollte, die teilweise bis auf den Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten gelangten.6 Das letzte Ziel bestand für Steed, ähnlich wie für Churchill, darin, die Deutschen endgültig von der Idee abzubringen, eine souveräne Größe auf dem internationalen Parkett sein zu können. Für Churchill bestand die Lösung in einer Teilung Deutschlands, wie sie vor 1866 bestanden hatte. Dies formulierte er in zahlreichen Gesprächen gegenüber seinen Mitarbeitern und alliierten Politikern. In einem 1940 veröffentlichten Text über „die fünfte Waffe“, womit die Propaganda in Zeiten des Krieges gemeint war, nahm dagegen bei Steed die Re-Education eine zentrale Rolle ein: „Ein langer Prozeß der Re-Education unter irgendeiner Form von Überwachung wird nötig sein, um bei den Deutschen diese Ansichten auszurotten und sie durch andere zu ersetzen, Vgl. Nolte, Deutschland, S. 53. Eine scharfe inhaltliche Trennung zwischen beiden Begriffen läßt sich kaum ziehen. In zeitlicher Abfolge setzte sich schließlich Reorientation gegenüber Reeducation durch, doch „die große Linie der Politik blieb die gleiche“. Vgl. Kellermann, Reorientierungsprogramm, S. 86 f. bzw. S. 95. Beobachtungen wie die von Hermann Schnell, es sei territorial getrennt in der Bundesrepublik von Reeducation, in Österreich aber von Reorientation gesprochen worden, entsprechen eher den intellektuellen Abnabelungsversuchen des „Österreichbewußtseins“ als der Quellenlage. Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 37. 5 Henry Wickham Steed (1871 – 1956), Journalist, Politiker und Historiker. 6 Diese auch bei anderen Personen zu beobachtende Kontinuität gehörte mit zu den Entstehungsursachen dieser Studie. Zu Steeds Aktivitäten und seiner Rolle bei der Verbreitung gefälschter Dokumente zwischen 1914 und 1939 vgl. Scheil, Krise, Kap. IV / A bzw. Kap. VIII / B. 3 4

Vorwort

11

die bisher die aufgeklärten Deutschen vergeblich ihren Landsleuten nahezubringen versucht haben.“7

Gegenüber einem solchen, aus dem unmittelbaren Bereich der Kriegsführung abgeleiteten Reeducation-Begriff wirkt der Topos der „cultural diplomacy“ erheblich konzilianter und realistischer. Er trägt den begrenzten Möglichkeiten einer Einflußnahme auch durch grobe Eingriffe des Siegers in die Bildungswelten des Besiegten Rechnung und betont die Notwendigkeit einer kontinuierlichen, aber nichtsdestoweniger bewußten und interessengeleiteten Einwirkung auf die früheren Gegner bis hin zur Bildung neuer Eliten bei ihnen. Um die Differenzen und die Schritte zwischen Reeducation, Reorientation und Cultural Diplomacy aufzuzeigen, soll im folgenden zunächst keine Wertung der Inhalte von Bildungspolitik im Rahmen von Reorientation oder „Cultural Diplomacy“ vorgenommen werden. Es geht darum, die Inhalte selbst, die Zusammenhänge und die gewollten Strukturen festzustellen und dabei stets die Interessenlagen der Nachkriegszeit innerhalb des Untersuchungszeitraums im Blick zu behalten, der in etwa bis 1965 reicht. Nach und nach wurde in diesem Rahmen der Inhalt der Disziplinen Zeitgeschichte und insbesondere der Politikwissenschaft zu einem herausgehobenen Thema. Beide Disziplinen vertreten für die Jahre zwischen 1919 und 1945 überwiegend ein Geschichtsbild, das sich bei meinen Forschungsarbeiten zu Ausbruch und Eskalation des Zweiten Weltkriegs als lückenhaft und unzutreffend erwiesen hat. Die Politikwissenschaft tut dies erklärtermaßen im normativen, also letztlich politischen Rahmen. Seither interessiert und bewegt mich die Frage, wie diese Lücken entstehen konnten und warum es so schwer ist, sie im Rahmen von wissenschaftlichem Diskurs zu schließen. Die folgenden Seiten versuchen auch hierauf eine gewisse Antwort zu geben. Obwohl die Thematik der Reeducation, der transatlantischen Beziehungen und der entstehenden Bildungspolitik im einzelnen bereits oft abgehandelt wurde, stellt die hier vorgebrachte Kombination insofern ein Novum dar. Bildungsfragen, auch Fragen der Elitenbildung, sind letztlich Gebiete, auf denen Machtverhältnisse zum Ausdruck kommen, vielleicht sogar nachhaltiger als auf vielen anderen Politikfeldern. Kaum jemand würde bestreiten, daß die Abhängigkeit der persönlichen intellektuellen Entwicklung durch „Schulen“ oder einzelne Hochschullehrer, die solche Schulen geprägt haben, im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften einigermaßen ausgeprägt ist. Die nachfolgende Studie geht davon aus, daß diese Abhängigkeit sich auch durch staatliche Einflußnahme entwikkeln kann und entwickelt hat, ohne von einer simplen direkten inhaltlichen Beeinflussung auszugehen. Inwieweit jedoch inhaltliche Entscheidungen dennoch im Hinblick auf das Geschichtsbild tatsächlich der Macht und nicht dem besseren Argument oder dem echten demokratischen Vorteil gefolgt sind, dies etwas deutlicher als bisher zu klären, dazu soll diese Studie dienen. Stefan Scheil 7

Vgl. Steed, Propaganda, S. 150, hier zit. n. Liddell, Education, S. 104.

Inhaltsverzeichnis I. Der Ruf – eine Art Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

2. Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

3. Wissenschaft und Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Selbstbehauptungs- und Verzichtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Nationalfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Ein Volk in zwei Nationen und drei Staaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

2. Die Politikwissenschaft und das viergeteilte Deutsche Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Nationale Gegenschläge und Legitimationswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

4. Politologie für Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Plänen und Netzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Sozialforschung mit Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Behemoth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3. Emigration als Ort von Netzwerkproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

4. Vom Schulbuch zum geschulten Re-Educationdenken – West . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

5. Umerziehung – die Vor- und Frühgeschichte in der sowjetischen Zone . . . . . . . . .

91

V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

1. Kultusminister im Spannungsfeld der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Mutmaßungen über den Stand der deutschen Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Die Zook-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I). Gründungskonferenzen und Austauschprogramme in der frühen BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Der Übergang von der Militärregierung zum Hochkommissariat . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Die Konferenz von Waldleiningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Zwischenetappe: Die Berliner Tagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Konferenz von Königstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

14

Inhaltsverzeichnis 5. Endstation im Institut für Sozialforschung. Die vierte Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . 132 6. Die Freie Universität Berlin und die Deutsche Hochschule für Politik . . . . . . . . . . 141

VII. Transatlantische Austauschwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Das Konzept der ‚Cultural Diplomacy‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Die Hermann B. Wells-Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Das Fulbright-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4. Die Atlantik-Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Englische Affären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Der Gründungsskandal der neuen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Die gescheiterte Heilung der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Historiker zwischen Revisionismus und Geheimdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) „Linksfaschismus“ und politische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Streit um das Bild des Judentums in der Bildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4. Maßnahmen der Kultusministerkonferenz als Folge der Hakenkreuzaffären . . . . 224 IX. Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 X. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Kurzbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Politikwissenschaftliche Lehrstühle im Jahr 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Daten und Ereignisse in der Bildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Archivmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Gedruckte Quellen, Handbücher und Dokumenteneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 4. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5. Zeitgenössische politische und historische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 6. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Abkürzungsverzeichnis AAD

Akademischer Austauschdienst

AAPSS

American Academy of Political and Social Science

ACE

American Council on Education

ACG

American Council on Germany

ADL

Anti-Defamation League

AJC

American Jewish Committee

AMJECO

American Jewish Congress

BfH

Bundeszentrale für Heimatdienst

BFS

Board of Foreign Scholarships

BpB

Bundeszentrale für politische Bildung (bis 1963 BfH)

CCC

Council for Cultural Cooperation

DAWF

Deutsche Auslandswissenschaftliche Fakultät

DHfP

Deutsche Hochschule für Politik

HEV

Hessisches Ministerium für Erziehung und Volksbildung

HfP

Hochschule für Politik

HICOG

High Commissioner of Germany

HIPF

Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung (Frankfurt a.M.)

ICD

Information Control Division

IFA

Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten

IISB

Internationales Institut für Sozialwissenschaft und Politik

INFA

Institut für Auslandsbeziehungen

IRC

Interdivisional Reorientation Committee

IVLP

International Visitor Leadership Program

KBB

Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung

KKF

Kongreß für Kulturelle Freiheit

KMK

Kultusministerkonferenz

KPP

Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien

MHA

Max Horkheimer Archiv

OMGUS

Office of Military Government, U.S.

OSI

Otto-Suhr-Institut

16

Abkürzungsverzeichnis

OSS

Office of Strategic Services

PWD

Psychological Warfare Division

SSAS

Salzburg Seminar in American Studies

VFWP

Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft von der Politk

VfZ

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

WRK

Westdeutsche Rektorenkonferenz

I. Der RUF – eine Art Prolog Im Jahr 1947 verboten die amerikanischen Militärbehörden das weitere Erscheinen einer der damals erfolgreichsten deutschen Zeitungen, den RUF. Die Ausgabe mit der Nummer siebzehn durfte nicht mehr von der bisherigen Redaktion verantwortet werden. Als Grund für den Stop des Blattes mit einer Auflage von etwa einhunderttausend Exemplaren wurde dessen „Nihilismus“ angegeben, was mehr als nur andeutungsweise ein starker Vorwurf war, genoß doch die Bezeichnung des Nationalsozialismus als „Revolution des Nihilismus“ zu dieser Zeit beachtliche Popularität. Die Militärbehörden dürften sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben, denn in den RUF hatten sie einiges investiert. Er galt als „eine der wichtigsten Institutionen innerhalb des Reeducation Programms“, publiziert in enger Zusammenarbeit des amerikanischen Kriegsministeriums, des Außenministeriums und des Office of War Information.1 So ist sein Schicksal auch im Rahmen dieser Studie von Interesse, denn der RUF, sein Anfang und sein Ende, beleuchten sowohl die Strategien wie die inhaltlichen Vorgaben, mit denen die Siegermächte darauf hinarbeiteten, im Nachkriegsdeutschland einen bestimmten intellektuellen Diskurs entweder zu fördern oder notfalls zu erzeugen. Die Geschichte des RUF begann, als mit dem Eintreffen der „ersten deutschen Kriegsgefangenen Anfang 1943 in den Vereinigten Staaten“ der US-Armee der Gedanke kam, „die Gefangenschaft dieser deutschen Soldaten dazu zu nutzen, sie in den Prinzipien der Demokratie zu unterrichten“.2 Über diese Idee wurden unter den Verantwortlichen des amerikanischen Kriegsministeriums seit Ende März 1943 Gespräche geführt, denn die Zahl der inhaftierten Deutschen war in kürzester Zeit rapide gestiegen und sollte auch weiterhin steigen: Während im Januar 1943 erst 990 Kriegsgefangene gezählt wurden, waren es im Juni bereits 35.000 und im Dezember fast 125.000.3 Mit der Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Nordafrika war der Krieg für eine große Anzahl deutscher Soldaten vorbei. Den genannten Gesprächen folgte im April 1943 zunächst eine Denkschrift – verfasst von John McCloy (Assistant Secretary of War) –, in der von einem „Umerziehungsprogramm für deutsche Kriegsgefangene“ die Rede war. Ein Programm, so ging aus der Schrift hervor, das

Vgl. McCracken, Program, S. 150. Vgl. Vaillant, Ruf, S. 3. 3 Unter dem Eindruck dieser Zahlen begann im Winter 1943 / 44 in England das systematische Training amerikanischer Offiziere für ihre künftige Rolle als Besatzung in Deutschland. Vgl. Clark, Planning, S. 214. 1 2

I. Der RUF – eine Art Prolog

18

„es sich zum Ziel setzen müsse, diesen (Gefangenen) die Geschichte der Vereinigten Staaten und die Zusammenhänge der Demokratie beizubringen und ihnen zu zeigen, daß das Volk der Vereinigten Staaten aus der Vermischung mehrerer Völker hervorgegangen sei.“4

Derartige Schulungen wollte McCloy nicht als Gesten der Sympathie gegenüber den Gefangenen verstanden wissen. Er plädierte unter der Flagge der Effizienz und ging davon aus, daß die in den Vereinigten Staaten gefangengehaltenen Soldaten eines Tages die deutschen Angelegenheiten mitbestimmen würden. Deshalb sei es klug, „sie so schnell wie möglich zu Verbündeten zu machen, die von den Vorzügen der amerikanischen Demokratie überzeugt“ sein würden. Allerdings kam es erst ein Jahr nach den ersten Gesprächen und Überlegungen zu praktischen Schritten in diese Richtung. Als aktueller Grund wurde zu diesem Zeitpunkt dann angegeben, daß inzwischen „in vielen Lagern die Nationalsozialisten den Ton“ angeben würden.5 Schließlich war sogar von Morden in den Lagern die Rede, und so verlangte die in diesem Sinn informierte „amerikanische Öffentlichkeit“ das Einschreiten der Behörden. Im August 1944 wurde beschlossen, ein spezielles Lager mit sorgfältig ausgewählten Kriegsgefangenen einzurichten, die später an der „Umerziehung“ des besetzten Deutschland mitwirken sollten. Für dieses Lager, das am 31. Oktober 1944 in einem ehemaligen zivilen Internierungslager für 150 Personen in Van Etten (New York) eingerichtet und am 1. März 1945 nach Fort Philip Kearney (Rhode Island) verlegt wurde, war ein detailliertes Konzept ausgearbeitet worden. Dazu gehörte unter anderem die Aufgabe, „eine Zeitschrift mit dem Namen ‚DER RUF‘ herauszugeben, die in allen Gefangenenlagern verteilt werden sollte“. Hierfür war es erforderlich, Inhaftierte zu finden, die zum einen das Vertrauen der amerikanischen Stellen hatten, zum anderen aber auch die gewünschten intellektuellen Voraussetzungen mitbrachten. Man begegnet an dieser Stelle einem Phänomen, das die Umerziehungs- und Bildungspolitik in der späteren Bundesrepublik und ihren Vorläuferländern in ihrer Frühphase geprägt hat. Es handelt sich um das Phänomen der Scheintransparenz. Denn diese ersten amerikanischen Gründungen wie der RUF, sowie „die Tätigkeit von Fort Van Etten“ wurden von der Redaktionsmannschaft des RUF rückblickend ganz anders dargestellt. So war im letzten RUF Nr. 16 beispielsweise nicht von „Umerziehung“ die Rede, „sondern nur noch von ‚Erziehung‘.“ Bei den Lesern des RUF sollte und konnte der Eindruck entstehen, daß dieses so umrissene Programm der Zeitschrift vor allem aus der Eigeninitiative der deutschen Kriegsgefangenen entstanden war, während die amerikanischen Offiziere sozusagen nur technische Hilfestellung geleistet hätten.6 Dieser Auffassung entsprechend, schilderte der RUF die Geschichte seiner Gründung wie folgt:

4 5 6

Ebd. Vaillant, Ruf, S. 3. Ebd. Vaillant, Ruf, S. 4. Ebd. Vaillant, Ruf, S. 7.

I. Der RUF – eine Art Prolog

19

„Die Redaktion bildete sich aus aktiven demokratischen Kriegsgefangenen verschiedener geistiger und politischer Prägung, die sich bereits seit längerem mit dem Plan einer gemeinsamen Kriegsgefangenenzeitung beschäftigt hatten. Im Laufe des Dezembers 1944 endlich wurden sie von der PW-Special Projects Division des Provost Marshal General in einem kleinen Camp bei Van Etten im Norden des Staates New York zusammengezogen.7

Falls die Redaktion gedacht hatte, mit solchen Fehldarstellungen die Gunst der Besatzungsmacht zurückzugewinnen, erwies sich das als Illusion. Heft Nummer 16 blieb das letzte Heft. Tatsächlich wurde die Zusammensetzung der Gruppe, die als „Arbeitsgemeinschaft DER RUF“ firmierte, ebenso von den amerikanischen Behörden festgelegt, wie die Absicht zur Gründung der Zeitschrift von den Behörden ausgegangen war. Die Redaktion konnte und mußte sich damit trösten, „zusammen mit den amerikanischen Offizieren allgemeine Leitlinien für die Publikation“ festgelegt zu haben.8 Zu diesem Zweck sei laut Herausgeber Curt Vinz von den Amerikanern nur vorgeschlagen worden, daß „die verschiedenen Gruppen untereinander diskutieren und sich auf eine Kompromißlösung einigen sollten; sie hätten jedoch nicht direkt in die Diskussion eingegriffen“. Am Ende hatten sich diejenigen durchsetzen können, die dem RUF „eine möglichst große Resonanz unter den Gefangenen verschaffen (wollten), was implizierte, daß er keine zu starke politische Färbung haben durfte“. Eine vom RUF nachträglich formulierte Definition der anfänglichen Ziele zeigt, daß sich die „deutschen Redakteure“ bei der Bestimmung des Programms und der Aufgaben dann „genau die Ziele des amerikanischen Umerziehungsprogramms zu eigen gemacht“ hatten, angeblich „ohne […] gezwungen worden“ zu sein. Die Ruf-Redaktion ließ wissen: „Sein eigentliches Ziel war die Wiedererweckung echten demokratischen Denkens in den deutschen Kriegsgefangenen, um Kräfte für den Wiederaufbau einer dauerhaften deutschen Demokratie nach der Niederlage des Nationalsozialismus zu sammeln. Die demokratischen Grundsätze und konstitutionellen Einrichtungen Amerikas boten, vor allem in ihrer historischen Entwicklung, Möglichkeiten des Vergleichs und anregende staatstheoretische Ideen.“9

Zur Verwirklichung dieses Ziels sei den deutschen Redakteuren „die größtmögliche Freiheit“ gelassen worden, so stellte es die Redaktion später dar. Von Anfang an hätten die mit der Kontrolle des RUF beauftragten amerikanischen Offiziere – Capt. W. Schönstedt (Journalist und Romanautor) und Capt. R. Pestalozzi – Wert darauf gelegt, daß die Redaktionsmitglieder ihre publizistischen Ideen selbständig entwikkelten. Tatsächlich aber war der RUF den üblichen strengen Kontrollen und Grundsätzen unterworfen. Über bestimmte Dinge durfte nicht geschrieben werden, so etwa wenn sie theoretisch geeignet waren, Unfrieden zwischen den Alliierten zu stiften. Jede Ausgabe war einzeln genehmigungspflichtig.

7 8 9

Der Ruf. Nr. 16, 1946. Vgl. Vaillant, Ruf, S. 8. Der Ruf. Nr. 16, 1946.

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Zu den Machern des RUF zählten mit Alfred Andersch und Hans Werner Richter auch Intellektuelle, die das geistige Leben in der späteren Bundesrepublik in anderen Funktionen mit prägen sollten. 1946 / 47 gaben sie den RUF mit einer amerikanischen Lizenz in allen vier Besatzungszonen heraus. Diese „Unabhängigen Blätter der jungen Generation“, so ihr Untertitel, waren ein Organ, das bald Mißtrauen auf allen Seiten weckte. Hier sind wir nun bereits mitten in unserem Thema. Denn so wohlvorbereitet, wie er von der US-Armee konzipiert und so demokratisch der RUF auch ausgefallen war, tat er doch unerhörtes. Der RUF forderte nämlich demokratische Rechte für Deutsche, Respekt für Deutsche und kämpfte gegen Klittereien, die künftig den geschichtspolitischen Diskurs prägen sollten: „Mitten in der härtesten Besatzungsdiktatur und unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erhoben hier junge Deutsche ihre Stimme und forderten Gerechtigkeit und Wahrheit und Freiheit. Sie machten das allgemeine heuchlerische Phrasengedresch von Umerziehung und Besatzungsdemokratie nicht mit und verlangten mit Nachdruck (wobei sie keine publizistischen Glacehandschuhe anzogen) nicht nur Gedanken-, sondern auch Bewegungsfreiheit. Sie brandmarkten die Politik der Sieger als vorgestrig, als kolonialistisch und als menschenunwürdig, kurz: als uneuropäisch. Zugleich aber erteilten sie, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, den Revisionisten unter ihren Landsleuten ebenso deutliche Abfuhren. Und sie wiesen warnend auf die zukünftige Ost-West-Entwicklung hin, auf die Teilung Deutschlands und den endgültigen Verlust der Oder-Neiße-Gebiete. Aber die, an deren Adresse diese Warnrufe gerichtet waren, hielten sich die Ohren zu. Sie ärgerten sich, sie fühlten sich gestört – und es kam zum Zwist mit den ‚Ruf‘-Herausgebern Andersch / Richter.“10

Der RUF bekannte sich nicht zur Kollektivschuld, er stand den Maßnahmen der Militärregierung kritisch gegenüber und grenzte sich von der politischen Linie der Alliierten ab, aber auch vom orthodoxen Marxismus. Er stellte sich unter anderem hinter die früheren deutschen Soldaten, die ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, um das Land in einem Krieg zu verteidigen, den nicht sie begonnen hatten und der nach dem Willen der Alliierten zu keinem Zeitpunkt mit einem Kompromiß hätte zu Ende gehen können. Dank oder Respekt dafür sollten sie letztlich nur wenig erhalten. In den öffentlichen Diskursen der Nachkriegszeit überwogen schnell die allgemeinen Schuldzuweisungen, sowohl die der Sieger als auch die innerdeutschen. Es war auch nicht Alfred Andersch, dem als Deserteur selbst erkennbar die Qualifikation fehlte,11 sondern Hans Werner Richter, der im RUF einen Tonfall formulierte, der zusammen mit dem RUF im Jahr 1947 eigentlich schon aus dem bundesrepublikanischen Diskurs verschwinden sollte: „Ich fühle mich als Deutscher, ich bin Deutscher, ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Aber ich bin nicht verantwortlich für Hitlers Verbrechen und für den Chauvinismus verZit. n. Neunzig, Lesebuch, S. 45. Zuvor hatte er sich noch 1943 von seiner nach NS-Terminologie halbjüdischen Frau scheiden lassen, um in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen zu werden. In US-Gefangenschaft berief er sich dann auf die Desertion und diese Ehe, ohne die Scheidung zu erwähnen. Vgl. Hinz, Literatur, S. 29 bzw. S. 88 f. 10 11

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gangener Zeiten. Und die jungen, heimkehrenden Soldaten sind es ebensowenig, ganz gleich, ob sie an den Nationalsozialismus geglaubt haben oder nicht. Ich bin auch nicht bereit, die imperialistischen Ansprüche der Siegermächte kritiklos hinzunehmen.“12

Unter solchen Voraussetzungen mußte die Redaktion in Konflikt mit den Siegermächten kommen, als deren „imperialistische Ansprüche“ vertraglich festgeschrieben werden sollten. Für den März 1947 hatten die Außenminister der Siegermächte eine Friedenskonferenz in Moskau angesetzt, auf der dies geschehen sollte. Der RUF forderte zu Beginn des Jahres, Deutschland müßte dort vertreten sein, forderte also das Recht zur sofortigen Wahl einer bevollmächtigten gesamtdeutschen Regierung. Dies stand quer zu den Absichten der Großmächte und bildete den Hintergrund einer ersten Verwarnung, die am 8. März 1947 ausgesprochen wurde. Beanstandet wurden allerdings nicht diese politischen Forderungen, sondern der Abdruck eines Leserbriefs, in dem behauptet worden war, der fast zwei Jahre nach Kriegsende immer noch andauernde Hunger der deutschen Bevölkerung sei von den Alliierten „wohlüberlegt“, was sicher nicht ganz unrichtig war.13 Auch eine Satire auf die Beschilderung eines Wasserhahns, auf dem in englisch ein drastisches Trinkverbot zu lesen war, auf deutsch aber „Trinkwasser“ stand, erzeugte Ärger. Schließlich fand eine weitere Satire auf die Umerziehungs- und Hochschulpolitik die besondere Aufmerksamkeit der Militärregierung. Der Autor karikierte unter dem Titel „Unmaßgebliche Vorschläge zu einem umfassenden Austauschplan zwecks Rettung der deutschen Kultur“ das Re-education Programm. Für das nächste Heft wurden erhebliche Änderungen vorgenommen, nicht als Entschluß der Redaktion, sondern auf Druck des Verlags.14 Es erschien ein Leitartikel, der ganz im Umerziehungssinn „Bekenntnisse eines jungen Deutschen“ ablegte: „Ich bekenne mich zur Sühne, die ich mit meinem Volk für unser aller Schuld tragen will.“15 Hiermit wurde nicht nur Schuld von einem bekannt, der persönlich keine Verantwortung hatte, sondern über die Forderung nach Schuld und Sühne auch das ganze Volk mit beansprucht. Das drehte die bisherige Linie des Blatts erheblich in Richtung der Besatzungsvorgaben, aber noch nicht genug zum Überleben der Redaktion in der bisherigen Zusammensetzung. Heft 16 brachte wieder einen strittigen Artikel. Friedrich Stampfer, der jetzt in New York residierende frühere Chefredakteur des sozialdemokratischen Parteiblatts „Vorwärts“, forderte das RückZit. n. Schütz, Zensur, S. 183 f. Es wurden zu keinem Zeitpunkt mehr als 1550 Kalorien pro Normalverbraucher ausgegeben, stellte ein Bericht General Clays am 1. November 1947 fest, beklagte die daraus entstehenden Folgen der physischen und geistigen Austrocknung der Bevölkerung und plädierte für mehr Nahrungsmittelimporte. Vgl. Clay, Papers, I, S. 468. Der Tiefststand lag teilweise erheblich darunter, und erreichte im Sommer 1945 teilweise nur 775 Kalorien, wie im badischen Karlsruhe. Die von den Alliierten willkürlich verursachte Hungersnot führte dazu, daß jüngere Deutsche bis 1947 „am Rande des Hungerschwindels existierten“. Vgl. Hohls, Fragen, S. 241, Interview Wehler. 14 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 126 ff. 15 Vgl. Der Ruf, Nr. 15, 15. März 1947. 12 13

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kehrrecht für die Vertriebenen. Diese Forderung aufzustellen, war nach den Richtlinien vom 31. Januar 1946 zur Handhabung von Informationen über Flüchtlinge und Vertriebene verboten.16 Es konnte auch als Verstoß gegen den Abschnitt 2c der Richtlinie für alle Lizenzträger im Deutschen Nachrichtenwesen aufgefaßt werden, der die Verbreitung von Nachrichten untersagte, die „Mißtrauen und Feindseligkeiten des deutschen Volkes gegen eine der Besatzungsmächte“ erregen könnten.17 Solchen „Nihilismus“ wollte die Militärregierung nicht dulden: Die Nummer 17 vom April 1947 wurde nicht mehr genehmigt, Andersch und Richter verloren die Lizenz: „Die Entlassung der Herausgeber im März des Jahres 1947 ist ein wichtiger Einschnitt in der deutschen Nachkriegspublizistik. Die entschlossensten Schreiber verloren ihr Sprachrohr, ihre Stimme verlor an Kraft.“18 Die Kulturpolitik der Siegermächte bediente sich ganz zwanglos undemokratischer Mittel. Erich Kuby übernahm die Redaktion des RUF. Er tat dies als ein Mitarbeiter der amerikanischen Information Control Division (ICD), die als Nachfolgerin der Psychological Warfare Division (PWD) allerhand Projekte betrieb, um die deutsche Medienlandschaft nach dem zunächst von McCloy angeordneten totalen Stopp neu zu füllen.19 General Robert Alexis McClure führte im Rahmen der ICD auf diesem Weg die psychologische Kriegsführung fort, die er bereits vor 1945 betrieben hatte. Im Juli 1946 zog er bereits eine positive, aber angestrengte Bilanz: „Wir kontrollieren jetzt 37 Zeitungen, 6 Radiostationen, 314 Theater, 642 Kinos, 101 Magazine, 237 Verlage, 7384 Buchhändler und Drucker, führen 15 Meinungsumfragen im Mo16 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 133. An diesem Punkt wurde ständig weiter gearbeitet. Der London Council of Foreign Ministers verabschiedete am 5. November 1947 die Vorgabe, die „schnelle Auslöschung aller Bezugnahmen oder Unterscheidungen, die zwischen Migranten und ursprünglichen Einwohnern differenzieren“ zu betreiben, und verstand darunter auch ausdrücklich Vertriebene und Evakuierte. Vgl. Clay, Papers, I, S. 490. 17 Ein vergleichbares Lizenzwesen gab es auch in Österreich, wenn es dort auch recht frühzeitig vorkam, daß deutschnationale Parteigänger oder in Konflikt mit dem NS-Regime geratene NSDAP-Mitglieder als lizenzwürdig befunden wurden. Was die Wahrung der politischen Linie anging, so brachte sich hier wie in der Bundesrepublik die Besatzungsmacht mit steten Geldzahlungen bis weit in die 50er Jahre in Erinnerung. Vgl. Rathkolb, Republik, S. 229 ff. bzw. 246 f. Abweichungen von der vorgegebenen Linie zogen hier wie in Westdeutschland das Verbot nach sich. So wurde etwa das sozialistische „Linzer Tagblatt“ nach einem Artikel über „das deutsche Volk in Österreich“ per Verfügung des US-Hochkommissars zeitweise eingestellt. Vgl. Fellner, Problem, S. 224 f. 18 Vgl. Neunzig, Lesebuch, S. 45. Vgl. auch Schütz, Zensur, S.183 – 84. 19 Vgl. Dunner, Control, S. 291. Dabei spielten deutschstämmige, meist rassisch verfolgte Mitarbeiter der PWD und spätere Erfolgsautoren wie Hans Habe (d.i. Janos Bekessy), Benno Frank als Leiter in der Rundfunkpropaganda, Martin Herz als Verfasser der meisten an die Zivilbevölkerung verteilten Flugblätter, sowie der sehr aktive Saul K. Padover eine Rolle. Padover war gebürtiger Wiener, allerdings bereits 1920 in die USA ausgewandert. Er gehörte zu jenen, die den NS-Auslandsaktivitäten in den USA seit 1933 entgegentraten. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 133, bzw. Füssl, Kulturaustausch, S. 105. Hans Habe leitete zuvor eine „Pychological Warfare School“ in Camp Shape, an der mit Stefan Heym (d.i. Helmut Flieg) ein weiterer emigrierter, späterer deutscher Erfolgsautor mitarbeitete, der 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Vgl. Gienow-Hecht, Transmission, S. 18 f.

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nat durch, publizieren eine Zeitung mit 1,5 Millionen Auflage,20 3 Nachrichtenmagazine, betreiben die Deutsche Nachrichtenagentur (DANA) und 20 Büchereien. … Die Aufgabe ist gewaltig.“21

Unter diesen Umständen ließen sich auch die späteren Schwierigkeiten mit dem RUF verschmerzen.22 Die Möglichkeiten zur Prägung des deutschen Alltags durch die Kontrolle der Medien waren umfassend. Immer wieder wurden sie demonstrativ genutzt, was teilweise auch bei jüdischen Remigranten auf Kritik stieß. Hans Lamm etwa, der 1938 ins Exil gegangene und 1945 zunächst auf einer Mission für die zionistische American Jewish Conference zurückgekehrte langjährige Präsident der israelitischen Kultusgemeinde in München, kritisierte in diesem Zusammenhang das Radioprogramm und die Nürnberger Prozesse, an deren Durchführung er mitwirkte: „Ich schaltete mein Radio ein und hörte mir jiddische Lieder an, die von München und Nürnberg gesendet wurden. Einige mögen in dem, was man ‚poetische Gerechtigkeit‘ nennt, Genugtuung empfinden, wenn sie hören, daß die Bürger von München (der ehemaligen ‚Hauptstadt der Bewegung‘) und Nürnberg (der damaligen ‚Stadt der Reichsparteitage‘) jiddischen Liedern ausgesetzt werden. Warum ist das ‚poetische Gerechtigkeit‘? In den meisten Fällen (nicht in dem gerade zitierten) ist es nichts anderes als ziemlich billige Rache. Tatsächlich frage ich mich sehr oft, ob Hass und Vergeltung dazu geeignet sind, jenen kostbaren Balancezustand, den man Gerechtigkeit nennt, wieder herzustellen.“23

Er sei zufällig ein „Rädchen im riesigen Getriebe von Nürnberg“, aber ob dort Gerechtigkeit entstehen würde, müßte er ernsthaft in Zweifel ziehen. Lamm lehnte auch die Kollektivschuldthese ab, auf der diese ganzen Maßnahmen direkt oder indirekt beruhten, aber er äußerte sich in diesem Sinn doch eher privat und forderte außerdem, wenn schon nicht eine Schuldzuweisung, so doch eine „Kollektiv20 Gemeint ist die Neue Zeitung in München, vgl. Dunner, Control, S. 283. Aus ihrer Redaktion gingen schließlich 16 deutsche Chefredakteure und über 30 Redakteure deutscher Zeitungen hervor. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 148. Die Art und Weise der Finanzierung der Neuen Zeitung über Jahre hinweg blieb ein „highly secret matter“, deren Abwicklung man dem Emigranten und jetzigen Amerikaner Hans Habe anvertraut hatte. HICOG wolle nicht „the role of a policy-issuing or policy-controlling agency“ einnehmen, aber „as an American citizen, he (Habe) ought to know by himself what kind of line to take“. Vgl. Berghahn, Kulturkriege, S. 98 f. 21 Zit. n. Colonel Alfred H. Paddock: Major General Robert Alexis McClure – Forgotten Father of US Army Special Warfare, in: http: // www.psywarrior.com / mcclure.html. Die DANA war eine Schöpfung der amerikanischen Psychological Warfare Division. Vgl. Dunner, Control, S. 284. 22 Eine Art Nachklang bildete im Mai 1947 ein Briefwechsel zwischen Erich Kuby und Hans Lamm, dem Vertreter der American Jewish Conference, die im April 1947 an einer Konferenz der jüdischen Gemeinden der Westzonen beteiligt war. Lamm forderte die moralische Gesamtverantwortung der Deutschen ein, während Kuby die „Wiedergutmachung“ in eher technischem Sinn auf Entschädigungszahlungen begrenzt wissen wollte. Vgl. Vaillant, Ruf, S. 160. 23 Lamm in einem Rundbrief an Freunde vom 18. November 1946, hier zit. n. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 90.

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Reue“, was faktisch kaum zu unterscheiden war. Im Alltag arbeitete er persönlich mit Telford Taylor zusammen, dem Hauptankläger der meisten Nürnberger Nachfolgeprozesse, wie auch mit dessen Stellvertreter Robert Kempner. Zugleich spielte Lamm eine energische und bedeutende Rolle in der personellen und inhaltlichen Kontrolle der neu entstandenen Lizenzpresse in der US-amerikanischen Zone, wie ein zeitgenössischer Korrespondent festhielt: „Der größte Teil der Männer in der amerikanischen lizenzierten Presse wurde von Mr. Lamm, ehemals in München, jetzt beim amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg ‚gemacht‘. Mr. Lamm regiert nach altem Rezept: er hält für die von ihm gemanagten Zuckerbrot und Peitsche bereit. Wer sich als gehorsamer Zögling erweist, der wird von Zeit zu Zeit mit einem Care-Paket oder mit Zigaretten beschenkt. Doch wehe er vergisst, daß er von Mr. Lamm ‚gemacht‘ worden ist. Er wird nach Nürnberg zitiert, wo Mr. Lamm ihn zurechtstutzt oder, wenn der Angeklagte zu bocken beginnt, mit Meldung beim zuständigen Nachrichtenoffizier bedroht. Wird die Meldung von ihm gemacht, dann hat der betreffende Journalist aufgehört, ein solcher zu sein. Mr. Lamm zieht die Fäden, ohne durch ein besonderes Amt als der maßgebende erkennbar zu sein. Wie eine Souffleuse eine Stimme zu haben, ohne anderen als den Akteuren doch sichtbar zu sein – solch eine Tugend aber wird gerade innerhalb eines Systems geschätzt, das auf der Anonymität seiner eigentlichen Beherrscher beruht.“24

So korrespondierte auch bei Lamm die Ablehnung von billiger Rache mit einem klaren Machtanspruch, der im Rahmen jener Scheintransparenz ausgeübt wurde, der man noch an vielen anderen Stellen während der Prägung von Eliten und Bildung in Deutschland begegnen kann.25 Der als unabhängig proklamierte Journalismus der Nachkriegszeit war über lange Jahre so ziemlich alles, nur nicht unabhängig.26 Schwierigkeiten für die Besatzungsmacht waren unter diesen Umständen eher durch die trotz allem vorhandenen Möglichkeiten der Deutschen zu erwarten, sich abseits der so strukturierten Medienlandschaft tatsächlich unabhängig zu informieren. So ließ es sich nur schwer verhindern, daß auch Deutsche zu Stars and Stripes griffen, der Zeitung für die US-Streitkräfte, daß sie den deutschsprachigen schweizerischen Rundfunk hörten oder sich über die schweizerische Weltwoche eine gedruckte Meinung und Information besorgten, die nicht durch alliierte Zensur beeinträchtigt wurde.27 Jedwede unabhängige Information war den Besatzungsbehörden Zit. n. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 68 f. Im Rahmen von Bildung und Umerziehung war Lamm als ein Gründungsmitglied des am 5. November 1947 gegründeten American German Youth Club tätig, dessen Aufgabe es war, „nicht nationalistisch oder militaristisch aktiven oder vorbelasteten Jugendlichen“ im Alter bis zu fünfundzwanzig Jahren eine Anleitung und „ein Hilfsmittel in dem Prozess der demokratischen Neuorientierung und Umerziehung“ zu sein. Vgl. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 83 ff. 26 Lizenznehmer von Presseorganen mussten u. a. das US-„Screening-Center“ in Bad Orb durchlaufen haben. Vgl. Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 138 f. 27 Unter Verweis auf solche Möglichkeiten und den sich in Westdeutschland weiter ausbreitetenden Hunger erklärte der Emigrant und jetzige Besatzungsoffizier Hans Speier die „Reeducation“ für fast unmöglich. Vgl. Speier, Journal, S. 63, Eintrag vom 20. März 1946. Andere 24 25

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suspekt, auch 1947 noch. Der Rückgriff auf die beim RUF angewandte radikale Methode des Lizenzentzugs sei geschehen, um die Besiegten zur Demokratie zu erziehen, lautete dennoch die spätere Erklärung durchgehend, auch was die Geschichte des RUF betraf. In seiner „Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1948“ schreibt Hermann Glaser: „Eine so krasse Fehlentscheidung wie beim ‚Ruf‘ gehörte freilich zu den Ausnahmen westalliierter Kulturpolitik. Die für die Neuordnung von Presse, Verlagswesen, Erziehung und Theater eingesetzten Offiziere waren meist gebildete, freiheitlich gesonnene, mit deutscher Geschichte und deutschem Geistesleben gut vertraute Persönlichkeiten.“ 28

Ob dieser Einschätzung zugestimmt werden kann, wird im folgenden geklärt werden. Vieles spricht dagegen. Daß der RUF in seiner bisherigen Form verboten werden mußte und Andersch wie Richter ihre Lizenz verloren, gehört lediglich insofern zu den Ausnahmen, als die Auswahl und das Verhalten der verantwortlichen Redakteure in diesem Fall nicht mit den politischen Vorgaben übereinstimmten.29 Für die Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland war dies ungewöhnlich. Überwiegend fügten sich die betroffenen Deutschen den aufgestellten Regeln und brachten es mit zunehmendem Abstand sogar fertig, die Existenz dieser Regeln zu vergessen.30 Langzeitfolgen bestanden unter anderem darin, daß solche Regeln auch im Bereich politischer Bildung gelegentlich verschwiegen wurden, so etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung, die kurz nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik im Jahr 1991 eine Darstellung der eben angesprochenen Verhältnisse veröffentlichte, in der die Autoren lediglich wissen ließen: „Schon 1945 begann eine angesichts der existentiellen Not in Deutschland überraschende und in ihrer Quantität phänomenale Zeitschriftenblüte“.31 Daß keine einzige Ausgabe unzensiert erscheinen und keine Gründung ohne Billigung und Wohlwollen der Alliierten erfolgte, die den Markt gezielt mit Produkten dieser Art fluteten, blieb unerwähnt. Die Tendenz des „Ruf“ wurde bei der Bundeszentrale in eine des sozialistischen MainBesatzungsoffiziere waren dagegen von der Zensurmöglichkeit überzeugt. Vgl. Dunner, Control, S. 284. 28 Zit. n. Glaser, Kulturgeschichte, S. 133. 29 Ein gutes Beispiel für die subtile Wirksamkeit der Inhaltsvorgaben sind etwa die Frankfurter Hefte, die seit 1946 erschienen, veröffentlicht unter „Military Government Information Control License Nr. US-W-2010“, und die auf intellektuell hohem Niveau an den zentralen Vorgaben entlangschrieben, besonders dem stets betonten Aufruf zum Kollektivschuldeingeständnis und dem Verzicht auf jede scharfe Anklage gegen alliierte Willkür. Dafür wurden dann auch Beiträge wie der von Clemens Münster geduldet, der im November 1946 den „Aufbau der geistigen Bildung“ skizzierte, ohne die vielerorts proklamierte Notwendigkeit der Erziehung zur Demokratie eigens zu erwähnen. 30 Typisch für das schließlich übriggebliebene Geschichtsbild sind in diesem Zusammenhang Bemerkungen wie die von Waldemar Krönig über Lagerzeitungen wie den RUF: „Die POWs, nicht an Berichterstattung freier Presse gewöhnt (sic), und sehr im Zweifel, ob dies eine leidlich objektive Information oder nur Indoktrination von der anderen Seite war, mußten erst den Umgang mit den Publikationen lernen.“ Vgl. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 38. 31 Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 161.

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I. Der RUF – eine Art Prolog

streams umgewandelt. So habe die Zeitschrift eine Fortdauer des Kapitalismus in Deutschland nicht hinnehmen wollen, was sie der „Erkenntnis“ (sic) verdankt habe, daß „der Nationalsozialismus die letzte Zuflucht des Kapitalismus vor nicht mehr lösbaren Problemen gewesen sei“.32 Auf diese Weise gingen denn die Interpretationen aus dem Reservoir des Marxismus-Leninismus als Gewißheiten in den Kanon bundesrepublikanischer politischer Bildung ein. Die Macher des Ruf dagegen stellten jedoch auch ganz andere unbequeme Fragen und durchbrachen zentrale Diskursregeln der Nachkriegszeit, zu denen die Anerkennung der deutschen Kollektivschuld an einem in der geschichtspolitischen Darstellung nach 1945 regelmäßig aus allen politischen Zusammenhängen gelösten Krieg gehörte, oder das Schweigen über das menschenrechtswidrige Imperialgehabe der Besatzer. Regeln, die nach Willen der Siegermächte in Deutschland in Zukunft einzuhalten seien. Der RUF zielte auf die Formulierung einer demokratischen und selbstbewußten politischen Willensbildung in Deutschland für ganz Deutschland einschließlich jener Teile, die nach dem alliierten Völkermordprogramm von Jalta und Potsdam von Deutschen zu entvölkern waren. Eine solche Willensbildung unmöglich werden zu lassen, geriet mit zum Anliegen der hier im folgenden von ihren Anfängen bis Mitte der sechziger Jahre untersuchten Bildungspolitik in ihren transatlantischen Wechselwirkungen.

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Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 162.

II. Einleitung, Methode, Forschungsstand „Das Paradox der emigrierten Politikwissenschaftler ist, daß sie alle erst in Amerika zu Politikwissenschaftlern geworden sind.“ Gerald Stourzh1

1. Fragestellungen Im Rahmen des hier skizzierten Projekts wird die Frage untersucht werden, inwieweit die nach 1945 und noch einmal nach 1960 eingetretenen Veränderungen der deutschen Schul- und Hochschullandschaft den verschiedenen persönlichen und institutionellen Kontakten zu verdanken sind, die sich bis zu diesem Jahr in einem transatlantischen Personen-, Wissens- und Methodentransfer niederschlugen. Zugleich wird die stete außenpolitische Spannung mit im Blickfeld stehen, unter der sich das deutsche Bildungssystem entwickeln mußte. Dabei übernahm das deutsche Bildungswesen zahlreiche Erkenntnisse aus den Vereinigten Staaten. Dies betraf im Prinzip alle Ebenen von Bildung und Erziehung vom „Kindergarten bis zur Universität“,2 wobei im Rahmen dieser Studie die Veränderungen der Hochschullandschaft im Mittelpunkt stehen, insbesondere die Wandlungen in den Sozialwissenschaften. Die vor allem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Maßnahmen zur Bildung einer völlig neuen, auf die intellektuelle wie wirtschaftliche Westbindung3 Deutschlands ausgerichteten Elite, verstanden die deutschen Hochschulen als wesentliches Instrument zur Prägung dieser neuen Eliten. Eine entscheidende Rolle wurde von Seiten der Besatzungsbehörden dabei der Etablierung neuer ideologischer Leitwis-

Zit. n. Stourzh, Emigration, S. 70. So der frühe Rückblick von Henry Pilgert aus dem Jahr 1952. Vgl. Pilgert, System, S. 116. 3 Diese Westbindung wurde in der zeitgeschichtlichen Forschung lange mit dem Begriff der „Amerikanisierung“ beschrieben, dem aber inzwischen vorgeworfen wurde, „eine einseitige und einlinige Überformung durch die westliche Hegemonialmacht zu suggerieren“. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 16. Inzwischen wurde er daher durch den Begriff der „Westernisierung“ abgelöst, der wegen der Unmöglichkeit der Wortbildung regelmäßig in Anführungszeichen oder gleich in der anglisierten Form als „Westernization“ geschrieben wird und somit am eigenen Beispiel gut symbolisiert, was gemeint ist. Da dieser Prozeß im Rahmen dieser Studie unter dem Aspekt seiner politischen Zielsetzung betrachtet wird, trifft „Westbindung“ in diesem Fall inhaltlich besser zu. 1 2

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

senschaften an den deutschen Universitäten zugewiesen, eine Rolle, die von der neu definierten Soziologie und besonders durch die neugeschaffene Politikwissenschaft und Zeitgeschichte übernommen werden sollte. Beide Fachkomplexe sollten nach diesen Vorstellungen einen Einfluß auf alle Studiengänge entwickeln, ganz besonders aber auf die Ausbildung von Schul- und Hochschullehrern. Ergänzt und überlagert wurden diese Absichten von den neugeschaffenen Reise- und Austauschprogrammen, die einer größeren Anzahl von ausgewählten vielversprechenden Personen aus wichtigen Berufen und Fachrichtungen im Rahmen von Studienaufenthalten in den Vereinigten Staaten ein westlich geprägtes, gemeinsames Elitenbewußtsein vermitteln sollten. Die Umsetzung dieser Pläne geschah über Gastvorträge, durch Stipendien der Rockefeller- und der Ford-Stiftung, mittels Gründung von Instituten aus Stiftungsmitteln4 und über eine ganze Reihe von Austauschprogrammen, von denen das Fulbright-Programm das bekannteste ist.5 Daneben spielten internationale Korrespondenz und Netzwerke eine Rolle, insbesondere auch durch Remigration von Forschern, die seit 1933 Deutschland verlassen hatten und dann während und nach dem Krieg an teilweise führender Stelle an der US-amerikanischen Machtentfaltung beteiligt waren, soweit dort die Dienste von Politik- und Sozialwissenschaftlern benötigt wurden. Diese Projekte unterlagen deshalb in der Regel direkter politischer, nicht selten auch direkter geheimdienstlicher Einflußnahme. Zugleich veränderten aber die bewahrenden Tendenzen innerhalb der deutschen Universitätslandschaft diesen Wissensbestand in typischer Weise, bis der Generationenwechsel seit Beginn der 1960er Jahre eine weitere Richtungsänderung mit sich brachte, bei der sowohl westliche Beeinflussung als auch eine Wiederbelebung der innenpolitischen Konfliktstellungen der 1930er Jahre eine Mischung eingingen und in Deutschland eine besondere Radikalität prodzuierten. In der neueren Forschung wird bereits das große Interesse der Besatzungsmächte an verschiedenen Fächern konstatiert. Insbesondere die Fächer Soziologie und Politikwissenschaft wurden von ihnen mit Blick auf die Förderung der westdeutschen Demokratie besonders gewürdigt. Die Militärregierungen der Westzonen organisierten den ersten Soziologentag, Besatzungsoffiziere hielten die ersten Vorlesungen. Stärker noch wurde dieses Interesse in der Politikwissenschaft sichtbar, die als Fach überhaupt erst neu durchgesetzt werden mußte, aber im Rahmen dieses Durchset4 Der Ausbau der Freien Universität Berlin wäre ohne Stiftungsmittel nicht möglich gewesen. Auch das Salzburg Seminar in American Studies, das als ständige Institution „Europäern mit akademischer Ausbildung eine gründliche wissenschaftliche Einführung in bestimmte Fragen Amerikas“ geben sollte, fußte auf Mitteln u. a. der Rockefeller-Stiftung. Vgl. INFA, Austausch, S. 117. Das Seminar stellte für viele Besucher den Auftakt oder die Vertiefung von Austauscherfahrungen dar. Ein Fünftel aller dortigen Teilnehmer aus Österreich und der Bundesrepublik wäre laut Oliver Schmidt früher oder später den Eintrag ins ‚Who’s Who in Germany‘ wert gewesen. Vgl. Schmidt, Programs, S. 411 ff. 5 Auf zahlreiche Institutionen und Programme, die sich dem deutsch-amerikanischen Austausch widmeten, kann hier nicht oder nur flüchtig eingegangen werden. Das Handbuch für diese Fragen listete 1958 und 1965 jeweils 175 Institutionen und Programme auf. Vg. INFA, Austausch, passim.

1. Fragestellungen

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zungsprozesses eine Veränderung erlebte. Im Rahmen dieser Studie sollen dieser Prozeß und seine Auswirkungen auf die Bildungspolitik bis etwa 1965 in einer an intellektuellen und beruflichen Werdegängen orientierten, biographischen Perspektive näher beleuchtet werden. Es wird angestrebt, in diesem Rahmen den Umfang der Vernetzung von Emigration, Besatzungspolitik und Wissenschaft aufzuzeigen. Das Jahr 1965 stellt insofern eine Zäsur dar, als in diesem Jahr der Deutsche Bildungsrat gegründet wurde und mit den Bildungsprogrammen der Großen Koalition sowie der sich entwickelnden Studentenbewegung eine neue Situation entstand, auf die zugleich die maßgebenden Personen der unmittelbaren Nachkriegsära schon aus Altersgründen kaum noch Einfluß nehmen konnten. Die Fragen nach Interessenlagen und biographischem Hintergrund von Entscheidungen in der Bildungspolitik werden in den letzten Jahren zunehmend konkreter gestellt. Dabei ergänzen sich zwei Trends. Zum einen erfreut sich der biographische Zugriff generell aus methodischen Gründen einer neuen Beliebtheit, zum anderen schafft der zeitliche Abstand zu den Ereignissen erst die Möglichkeit zu wirklichen Biographien. Lebensläufe gelten als soweit abgeschlossen, daß politische Biographien bzw. Werkbiographien auch von noch Lebenden möglich werden, wie etwa die von Stephan Schlak über Wilhelm Hennis (2008) oder die von Ulrike Quadbeck über Karl Dietrich Bracher (2008). Gleichzeitig stehen Nachlässe zur Verfügung, die aufgrund des zeitlichen Abstands für die Forschung geöffnet sind und Biographien wie die von Simone Ladwig-Winters über Ernst Fraenkel (2009) oder Frank Bajohr über Erik Blumenfeld (2010) möglich werden ließen. Deutlich früher kam die Umerziehungsforschung den Problemen insbesondere der amerikanischen Re-Orientation-Programme näher. James Tent „Mission on the Rhine“ (1984), Oliver Schmidt „Civil Empire by co-optation“ (1999), Jessica Gienow-Hecht „Transmission Impossible“ (1999), Karl-Heinz Füssl „Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert (2004) und der von Arnd Bauerkämper und Konrad Jarausch herausgegebene Band „Demokratiewunder“ (2005) warfen einen detaillierteren Blick auf die Austauschversuche, kamen allerdings zu relativ unterschiedlichen Bewertungen hinsichtlich des Erfolgs dieser Programme.6 Oliver Schmidt widmete dabei den Aktivitäten der großen amerikanischen Stiftungen und deren nicht immer transparenter Verbindung zu US-amerikanischen Regierungsaktivitäten viel Raum und berührte damit eine Fragestellung, die bis Ende der 1990er Jahre noch weitgehend unbekannt war.7 Frances Stonor Saunders machte daraus eine Art Geheimdienstgeschichte der US-Kulturdiplomatie „Wer die Zeche zahlt… – Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg“ (2001). Volker Berghahn, „Transatlanti-

6 Den größten Erfolg unterstellte Karl-Heinz Füssl, der in diesem Zusammenhang von den neuen „Funktionseliten“ spricht, die die Stabilität der bundesrepublikanischen Demokratie eher garantiert hätten als die Bevölkerung. Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 279. 7 In den Absichtserklärungen und Berichten der US-Behörden wurde die Zusammenarbeit mit privaten Institutionen generell als wünschenswert bezeichnet, ohne daß Art und Umfang immer ersichtlich gewesen wären. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 13.

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

sche Kulturkriege – Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus“ (2004), vertiefte diese Fragestellung weiter und Tim B. Müllers Studie über „Krieger und Gelehrte – Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ (2010) setzte dies, mit Blick auf die Verbindungslinien von einflußreichen deutschen Intellektuellen mit US-Geheimdiensten und unter anderem der Rockefeller-Stiftung, fort. Der vielzitierte militärisch-industrielle Komplex der Vereinigten Staaten wurde im Zusammenhang mit den transatlantischen deutsch-amerikanischen Beziehungen stetig von einem regierungsamtlich-stiftungsrechtlichen Komplex unterstützt, dies kann als ein Fazit dieser Veröffentlichungen gelten. Die vorliegende Arbeit wird sich hauptsächlich auf das Verhältnis von persönlichen Netzwerken, und den Bildungszielen, sowie den Methoden von US-amerikanischer „Cultural Diplomacy“ konzentrieren. Dabei steht deren Herkunft aus den Kreisen der deutschen, vorwiegend deutsch-jüdischen Emigration mit im Blickfeld. Es wird angenommen, daß die gemeinsame Erfahrung von Verfolgung, Emigration und schließlicher Etablierung in hochrangigen Funktionen der amerikanischen Besatzungsbehörden im weiteren Sinn die Planungsansätze und die tatsächlich erfolgten Re-orientierungsmaßnahmen bedeutend beeinflußt hat. Die Rückverfolgung solcher Netzwerke anhand der Positionswechsel vieler Personen aus der Emigration in amerikanische Universitäten, in Armee und Geheimdienste, US-Verwaltungsbehörden, erneut deutsche Hochschulstellen, transatlantische Nichtregierungsnetzwerke und internationale Organisationen wie der UNESCO kann dies sichtbar werden lassen. Zugleich wird die Beeinflussung der deutschen Partner durch diese Austauschprogramme hinterfragt, die sich ebenfalls auf Inhalte wie Methoden ihrer Tätigkeit in Bildung und Forschung oder Politik ausgewirkt haben kann. Zu einer der Kernfragen der bundesdeutschen Bildungspolitik und der staatlichen Identität der Republik gehört die Haltung zu und die Bewältigung der nationalsozialistischen Ära. Krieg und Niederlage von 1945 sind die Grundtatsachen, ohne die keine der oben skizzierten Entwicklungen hätte stattfinden können. Dennoch verliefen diese Entwicklungen nicht in einem stetigen Prozeß, sondern nach verbreitetem Eindruck in einzelnen Schüben. Es gab daher bereits etliche Anstrengungen, den gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik beispielsweise in Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik zeitlich genauer zu fassen. Peter Steinbach datierte die Wende in das Jahr 1958 und führte sie auf den Ulmer Einsatzgruppenprozeß zurück. Hans-Peter Schwarz sah das Jahr 1960 als das Jahr, in dem sich alles schlagartig verändert habe, erarbeitete jedoch seine Darstellung des „Epochenwechsels“ in der Ära Adenauer dennoch über den Zeitraum von 1957 – 1963.8 Eine enge Verbindung zur Bildungspolitik und zu deren Basis in Universität und Austausch, die durch die oben skizzierten alliierten Maßnahmen gelegt worden war, wird in der Literatur jedoch regelmäßig nicht hergestellt.

8 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer – Epochenwechsel 1957 – 1963, Herausgegeben von Karl Dietrich Bracher.

1. Fragestellungen

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An der Tatsache eines kulturellen Umbruchs und deutlichen Bewußtseinswandels in der Bundesrepublik um das Jahr 1960 herum gibt es kaum Zweifel. „Die Öffentlichkeit wird wach“, schrieb der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hendrik van Dam, am 11. Juli 1958 in der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“.9 Er tat dies mit Blick auf die Prozeßwelle über die nationalsozialistische Zeit, die seit 1957 über das Land rollte, ohne daß die Ursache dafür genau festzustellen gewesen wäre, wie das Bundesjustizministerium später erklärte.10 Auch anderen fiel diese Welle der Veränderung auf, ohne eine Erklärung zu haben. Sie wiesen dessen ungeachtet jedoch einen Zusammenhang mit etwaiger außenpolitischer Einflußnahme ausdrücklich zurück.11 Die 1958 erfolgte Gründung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen muß in jedem Fall wohl weniger als Ursache denn als Folge der gestiegenen Interesses an solchen Prozessen verstanden werden. Regelmäßig abgestritten wurde dagegen, wie gesagt, das Interesse des Auslands an solchen Prozessen. Eine zeitgenössische Ausnahme bildete Caspar von Schrenck-Notzing, der entschieden das Gegenteil annahm und von einer „Charakterwäsche“ sprach, die vor und in diesem Zeitraum vor allem von den Vereinigten Staaten ausgegangen sei und als Basis für die Interpretation der Ereignisse um 1960 genommen werden müsse.12 Man könnte das Interesse an der Dokumentation und Verfolgung von Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus für eine juristische Selbstverständlichkeit halten, der eine Zeitlang nur der Schock der Kriegsniederlage, die aufgrund mangelnder historischer Aufarbeitung noch schlechte Beweislage und die organisatorischen Probleme im Weg gestanden hätten. Nun aber seien diese Hindernisse mehr als ein Jahrzehnt nach den Ereignissen seit 1957 / 58 überwunden worden, wofür darüber hinaus keine besondere Erklärung nötig sei. Rechtsfriede sei nur durch Verfolgung und Bestrafung von Tätern zu erzielen, dieses Prinzip habe sich durchgesetzt. Schon das bloße „Fortwirken der alten Nationalsozialisten (sei) ein Grundverbrechen an der inneren Verfassung der Bundesrepublik“, schrieb Karl Jaspers und meinte damit auch das „Fortwirken“ bereits derjenigen, die nicht direkt eines Verbrechens beschuldigt wurden. So ist in der Tat oft argumentiert worden, doch hat diese Argumentation einen erheblichen Schwachpunkt, da sie einmal von einem einseitigen Geschichtsbild ausgeht, das den Nationalsozialismus aus den politisch-historischen Zusammenhängen seiner Entstehung löst, zum anderen, da sie den allgemeinen Burgfrieden in Bezug auf Kriegsverbrechen ignoriert, der nach 1945 in gewisser Weise herrschte. Die Bundesrepublik Deutschland verzichtete im Rahmen dieses Burgfriedens nicht nur teilweise auf die Entfernung der Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 254. Vgl. Bundesjustizministerium, Verfolgung, S. 52. 11 Vgl. Henkys, Gewaltverbrechen, S. 213, bzw. Rückerl, NS-Verbrechen, S. 156. 12 Caspar Schrenck-Notzing: Charakterwäsche – Die amerikanische Besatzung Deutschlands und ihre Folgen, Stuttgart 1965 (zuletzt Graz 2010). 9

10

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

Leben, sondern gleichzeitig auf die durchaus ebenfalls wenigstens begrenzt mögliche Aufarbeitung der Massenverbrechen an Deutschen, die zwischen 1939 und 1949 durch Staatsangehörige anderer Länder begangen wurden. Jene Täter, die ihre Taten zu dieser Zeit, insbesondere während der Zusammenbruchszeit 1944 – 1946 begangen hatten, wurden und werden von der bundesdeutschen Justiz kaum verfolgt, wobei es um Millionen von Delikten geht. Dies kann und muß hier nicht weiter ausgeführt werden, doch scheint diese Anmerkung wichtig zu sein, um die Eigentümlichkeiten der bundesdeutschen Nachkriegswissenschaft auch im Hinblick auf die politische und historische Bewertung der NS-Zeit und deren gesellschaftspolitische Überwindung zu verstehen. Das zentrale Axiom in diesem Bereich lautete, Einfluß und Taten des Auslands auf die innerdeutsche Entwicklung seien überwiegend auszublenden, sie seien in jedem Fall nicht wesentlich für den Ablauf des Geschehens gewesen. Dies hatte bereits zu den Grundsätzen des Nürnberger Gerichtshofs gehört und wurde auf historischer wie politik- und sozialwissenschaftlicher Ebene weiter tradiert. Allgemein gesprochen, besteht ein Zusammenhang zwischen der Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der transatlantischen Elitenbildung mit den Bewältigungsstrategien im Hinblick auf den Nationalsozialismus. 2. Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung „Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie wichtig die deutschen Universitäten für die Festlegung des ganzen Geistes der deutschen Erziehung und der jungen Männer und Frauen, die in die Welt hinaus gehen, sind. Die Standards, die die Universitäten einnehmen und anwenden, sickern zu den Schulen durch, welche sie mit Studenten versorgen und haben so einen tiefgehenden Effekt auf das ganze System; die meisten Männer und Frauen durchlaufen es, welche in späteren Jahren die Führer ihres Landes in den meisten Lebensbereichen sein werden: schließlich durch ihre akademische und kulturelle Arbeit üben sie einen tiefgehenden Einfluß auf die ganze Kultur des Landes aus. welche sie an vielen Punkten berühren. … Wir glauben, daß es die britischen Universitäten sind, die darin die Hauptrolle zu spielen haben, die deutschen Universitäten in die intellektuelle und moralische Welt des Westens zu führen.“ Ernest Bevin13

Die transatlantischen Beziehungen der Nachkriegszeit zielten von amerikanischer Seite aus auf die Schaffung einer neuen deutschen Elite, die demokratisch geprägt und auf die Westbindung Deutschlands ausgerichtet sein sollte. Dies brachte eine Umformung mit sich, die sich zugleich auf übergeordnete Maßstäbe des „Westens“ stützen sollte, aber dennoch auf die Schaffung einer „nationalen“ Elite im engeren Sinn ausgerichtet sein sollte und auch ausgerichtet war. Bei genauem Hinsehen las13 Schreiben des damaligen britischen Außenministers an den Chairman des Committee of the Vice-Chancellors and Principals, hier zit. n. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 89 f.

2. Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung

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sen sich in diesem Vorgang allerdings bereits Elemente jener Elitenbildung feststellen, die Jahrzehnte später um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert in vielen Ländern die nationalen Eliten in transnationale Eliten umwandelte, insbesondere im Wissenschafts- und Bildungsbereich. Dieser Vorgang bedeutete eine Verschiebung von Einfluß, weg von der nationalen Bildungselite und hin zu einer naturwissenschaftlich geprägten, transnational organisierten, nach eigenem Anspruch verbindlich urteilenden Wissenselite, die eine Verbindung mit ebenfalls transnational organisierten Wirtschaftseliten eingegangen ist, was, so darf man wohl sagen, in dieser Kombination den Einfluß der eigentlich politischen Elite in manchen Bereichen fast vollständig verdrängt hat. Hochkomplexe Gesetze etwa werden von standardisiertem Fachwissen nach transnationalen Maßstäben vorformuliert und im nationalen Politikbereich häufig nur noch – in vielen Bereichen aufgrund der Rechtslage zwangsweise – umgesetzt. Die Verlagerung von Entscheidungsprozessen in transnationale Organisationen wie der Europäischen Union, der OSZE oder der UNO mitsamt ihren wirtschafts- und finanzordnenden Neben- und Unterorganisationen geht einher mit der Bildung von weltweit kommunizierenden Wirtschaftseliten, die sich der Kontrolle durch den klassischen Parlamentarismus oder das Gegengewicht nationaler Verbände und / oder Gewerkschaften in hohem Maß entziehen. Im Zeitalter des „Regimes von PISA, McKinsey & Co.“ kommen die Maßstäbe gerade im Bildungs- und Sozialwissenschaftsbereich nicht mehr aus den national verfassten Ländern. Sie werden von außen gesetzt und kontrolliert, im Rahmen von Unternehmungen wie PISA-, VERA- oder Bologna-Evaluationen. Dabei wird die Rolle von Bildung als Kulturgut, als Wert an sich und als Ausdruck nationaler Identität zu Gunsten eines technischen Wissensbegriffs von Bildung zurückgedrängt, was eine weitere grundsätzliche Entkernung der traditionell verfaßten Nationalkultur mit sich bringt.14 In gewisser Weise läßt sich der deutsche Elitentransfer nach 1945 als ein Beispiel für einen solchen Vorgang begreifen, der sich in diesem Fall allerdings als Folge eines massiven politischen Willens siegreicher Kriegsparteien darstellt und damit als Ausdruck von Machtverhältnissen, wenn auch von Machtverhältnissen, in denen die Mächtigen nicht nur die platte materielle Überlegenheit ausspielten, sondern mit dem Anspruch des intellektuell objektiv Besserwissenden auftraten. So sind die Konsequenzen von solchen Machtverhältnissen für die Situation der „Unterworfenen“ des Globalisierungsprozesses mit den damaligen nicht ganz unvergleichbar, insbesondere, was das Verhalten der Führungskräfte und Entscheidungseliten angeht: „Die Führungskräfte sind immer auf der sicheren Seite, wenn sie dem von außen kommenden Rat Folge leisten und ihrer eigenen praktischen Erfahrung abschwören. Das heißt allerdings keineswegs, daß dann alles zum Besten bestellt wäre. Die Probleme nehmen eher zu, als daß sie weniger würden. Das liegt allein schon daran, daß mit dem Blick von außen der Waffenstillstand des Status quo beendet worden ist und nun Probleme und Konflikte gese-

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Vgl. Münch, Eliten, S. 90.

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand hen werden, die vorher unter dem Teppich einer eingeschliffenen Praxis verborgen blieben. Nun ist jedoch ein Faß geöffnet, das sich nicht mehr schließen läßt. Natürlich hat jede Praxis auch ihre Schattenseiten, doch vor der Öffnung des Fasses war das kein Thema. Jetzt ist plötzlich das Bewußtsein dafür geschärft, daß alles auch ganz anders gemacht werden könnte. Was immer in dieser Situation eingeführt wird, wird nicht einfach so hingenommen, weil es eben die gelebte Praxis ist, sondern nur unter Vorbehalt und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die unvermeidlich auftretenden unerwünschten Nebenwirkungen erkennbar werden und deshalb opponiert wird. Organisationen laufen unter dieser Bedingung der totalen Enttraditionalisierung Gefahr, im Chaos der zunehmend beschleunigten Reform der Reform zu versinken. Daß dies tatsächlich jedoch nur in Maßen geschieht, ist zwei entgegenwirkenden Kräften zu verdanken: einerseits der Beharrungskraft der traditionellen Praxis …, andererseits der vom instrumentellen Wert zu unterscheidenden konstruktiven Umgestaltung der sozialen Realität durch die angewandten theoretischen Modelle.“15

Richard Münch schreibt dies mit Blick auf eine Betriebsprüfung durch Unternehmensberater, aber diese Zeilen lassen sich ohne weiteres auch als Ansatz zu einer Kurzgeschichte des bundesdeutschen Forschungs- und Bildungswesens nach 1945 lesen. Der innerdeutsche Konsens über die Bildungsinhalte und Strukturen, auch derjenige, der vor dem Nationalsozialismus existierte und ihn überstanden hatte, wurde von den mit Truppenunterstützung einmarschierenden und agierenden Bildungs- und Wissenschaftsberatern radikal aufgekündigt. Der modische und jederzeit anrufbare Maßstab dessen, was gut und zukunftsfähig ist, kommt seit dieser Zeit in Deutschland immer wieder von außen, die Reformen finden in immer kürzeren Abständen statt. Andererseits dürfen auch in diesem Bereich die Beharrungskräfte nicht unterschätzt werden, die im hier untersuchten Zeitraum bis in die Mitte der sechziger Jahre immer wieder einen Weg fanden, sich auszudrücken.16 In den Diskurs über die Zeitgeschichte dieser Jahre, die im wesentlichen mit der „Ära Adenauer“ des gleichnamigen Bundeskanzlers zusammenfallen, haben diese Beharrungskräfte in der Regel unter der wenig zutreffenden Bezeichnung „restaurative Tendenzen“ ihre Berücksichtigung gefunden. So weit zu beobachten, fand die Ära Adenauer weder als beabsichtigte noch als faktische Restauration von vergangenen Zuständen statt, sondern stand intellektuellen, gesellschaftlichen und politischen Neuerungen unter den geänderten Vorzeichen weit offen. Die handelnden Personen gingen allerdings von der Annahme aus, eine Bewahrung und Weiterentwicklung der auf deutschem Boden selbst entwickelten demokratischen Traditionen auf allen Feldern sei aus eigener Kraft sowohl möglich wie legitim. Die 1933 erfolgte Bildung einer „Regierung Hitler“ war demnach auf bestimmbare, sowie der üblichen politischen Kontingenz unterworfene Rahmenbedingungen zurückzuführen und drückte keine grundsätzliche Fehlentwicklung des deutschen gesellschaftlichen Le-

Zit. n. Münch, Eliten, S. 115. Auf bemerkenswerte Unterschiede zwischen Deutschland und Japan hat in diesem Zusammenhang Beate Rosenzweig hingewiesen. Unter anderem führte Japan die Einheitsschule nach amerikanischem Muster ein, gegen die sich deutsche Bildungspolitiker erfolgreich zur Wehr setzen konnten. Vgl. Rosenzweig, Schulreformpolitik, passim. 15 16

2. Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung

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bens aus, die nur mittels „Westernization“ zu überwinden war. An eben dieser Stelle verliefen die Konfliktlinien. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa der Streit um Golo Manns Frankfurter Professur als Politikwissenschaftler, die unter anderem gerade deswegen verhindert wurde, weil Mann regelmäßig in diesem Sinn von der „NaziÄra“ als einer politischen Episode sprach, die bei aller herzlichen Verachtung, die Mann für sie hatte, für ihn kein Punkt war, um den sich die deutsche oder die Weltgeschichte drehen könnte. Schließlich stellte sich jedoch im Bildungsbereich und später mit Blick auf die Ära Adenauer insgesamt – unter Begünstigung durch Umstände, die im folgenden beschrieben werden sollen – die von Richard Münch beschriebene „konstruktive Umgestaltung der sozialen Realität“ ein, die in gewisser Weise immer ein Selbstläufer und Besitzer eigener Beharrungskräfte wird, denen erneut Maßstäbe von außen entgegentreten. Zu diesen Mechanismen gehört besonders auf dem Feld der Elitenbildung die Erwartung in die besondere Bedeutung einzelner Persönlichkeiten als Muliplikatoren neuer Meinungen. Diese Bedeutung ergibt sich aus der Ansicht, daß die Lebensverhältnisse von Menschen nicht von ihrer Existenz als Individuum unter anderen Individuen geprägt werden, sondern von deren Existenz als Teile von kleineren Netzwerken und Cliquen. Ein einzelnes Individuum würde sich durch einen Wechsel seiner Meinung gegenüber der Umwelt zunächst isolieren, neigt also zur Beharrung auf dieser Meinung. Wechselt aber der Meinungsführer eines Netzwerks oder einer Clique seine Meinung, werden dies tendenziell die Angehörigen dieser Gruppen ebenfalls tun.17 Der Vorteil eines völligen Mentalitätswechsels durch Elitenwechsel ist also nicht nur ein quantitativer, sondern ein qualitativer. Der Elitenwechsel kann sogar als Notwendigkeit für eine „Reorientierung“ gesehen werden. In diesem Sinn zielten die Reorientierungsprogramme der Nachkriegszeit auf einen Elitenwechsel zu einem bestimmten Zweck, trafen jedoch bei den verantwortlichen Personen sowohl auf Beharrungskräfte wie auf revolutionäre Absichten, die beide auf Motive abseits der eigentlichen Reorientierungszwecke zurückgingen. Der intellektuelle Gegensatz beispielsweise zwischen Arnold Bergstraesser und Herbert Marcuse, die beide als Emigranten mit jüdischem Hintergrund, als Funktionäre innerhalb der Geheimdiensttätigkeit der amerikanischen Kriegsführung und schließlich als einflußreiche akademische Remigranten in der intellektuellen Führung der Nachkriegsbundesrepublik auftauchten und doch deutlich entgegengesetzte Positionen vertraten, beruhte auf solchen, ganz persönlichen Beharrungskräften.18 Die personelle und institutionelle Vorgeschichte der Bildungsreformen und politischen Bewegungen der Nachkriegszeit ist dabei insofern noch nicht umfassend

Vgl. Noelle-Neumann, Erinnerungen, S. 213. Derartige Beharrungskräfte äußerten sich an merkwürdigen Stellen. So fand Marcuse offenbar eine erneute Abspaltung Österreichs von übrigen Deutschland unsinnig und entwikkelte bei seiner Mitarbeit an den Handbüchern für die kommende Besatzungspolitik zusammen mit dem österreichischen Emigranten Robert Neumann entsprechende Pläne für eine fortdauernde Vereinigung. Vgl. Rathkolb, Beginn, S. 14. 17 18

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

erforscht worden, als sie lange Zeit vorwiegend als innerdeutsches Binnenphänomen und Teil allgemeiner Entwicklungen aufgefasst wurden, jedenfalls ein unmittelbares politisches Interesse anderer Staaten an diesen Reformen häufig nicht angenommen wurde. Dabei wurde beispielsweise auf das 1959 vorgelegte Gutachten des „Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen“ verwiesen, in dem Kernelemente der späteren Reformen wie die angestrebte größere soziale Durchlässigkeit, die Einrichtung von Förderstufen und andere Dinge gefordert wurden. Grundlegend für den Hochschulbereich war die fast zeitgleich 1960 vom drei Jahre zuvor eingerichteten Wissenschaftsrat vorgelegte Expertise zum „Ausbau der Universitäten und technischen Hochschulen“. In der Folge konnten zwischen 1961 und 1966 etwa sechzehntausend neue Stellen für wissenschaftliches Personal geschaffen werden. Auch zahlreiche Universitäten wurden in diesem Zeitraum neu gegründet, oder vorhandene Universitäten um zusätzliche Fachbereiche erweitert. Die oben anhand der Beispiele Bergstraesser und Marcuse angesprochenen Rückkehrer prägten besonders das Fach Politikwissenschaft und besonders die Entstehung des Nachkriegszentrums der politischen Wissenschaft in Berlin. In die damalige „Frontstadt“ kehrten Franz L. Neumann, Sigmund Neumann,19 Ernst Fraenkel, Ossip Flechtheim, Rudolf Gurland und Richard Löwenthal zurück, die politisch der Sozialdemokratie bzw. dem Kommunismus der Weimarer Ära zuzurechnen waren, Deutschland aber teilweise auch wegen ihrer Verfolgung als Juden verlassen hatten. Dies ging nicht ohne den Einfluß des amerikanischen Außenministeriums, das etwa den zögernden Ernst Fraenkel zunächst eher zur Rückkehr nach Deutschland nötigen mußte. Fraenkel hatte trotz Rassengesetzgebung nach 1933 noch einige Jahre als Anwalt in Deutschland arbeiten können und emigrierte erst 1938. Nach einigen beruflichen Mühen gelang ihm wie so vielen anderen später der Sprung in die Sozialwissenschaften und in den amerikanischen Kriegsdienst. Dort arbeitete er nach 1945 zunächst in Korea, gedachte dort zu bleiben und versuchte eine Rückkehr nach Deutschland zu vermeiden. Später hatte sich Fraenkel an seine neue Rolle gewöhnt und nahm die weitere Förderung durch das Ministerium eher mit Genugtuung zur Kenntnis: „Vertraulich: … Meine Rückkehr nach Berlin erfolgt nicht gegen, sondern mit dem ausdrücklichen Willen der Deutschland-Abteilung des State Department, die sich auf das lebhafteste dafür eingesetzt hat, daß ich meine Tätigkeit in Berlin so bald wie möglich wieder aufnehme. Daß dabei auch einige sehr freundliche Worte über meine bisherige Berliner Tätigkeit gefallen sind, sei nur am Rande erwähnt. Immerhin glaube ich doch, daß diese Ermunterung im Gesamtrahmen der Universitäts- und Institutsentwicklung nicht ganz gleichgültig ist.“20

19 Sigmund Neumann laut Fraenkel „früherer Deutscher“ und später Dozent am Welseley College Mass. Vgl. BA-KO N 1274 / 30, Schreiben Fraenkel an Krummacher vom 15. November 1958. 20 BA-KO N 1274 / 30, Schreiben Fraenkel an Heinz Kreuzer vom 15. März 1959.

3. Wissenschaft und Besatzung

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In der Tat blieb die stete politische und finanzielle Ermunterung der Freien Universität Berlin ein amerikanisches Anliegen und übte auch entscheidenden Einfluß auf die Besetzung bestimmter Stellen aus. In Süd- und Westdeutschland lehrten die liberal und / oder christlich orientierten Bergstraesser, Voegelin, Hermens, Brüning, Kaufmann, Gerhard Leibholz und Grabowsky.21 „Für die entscheidende Gründungsphase der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik um 1950 ist anzunehmen, daß das Engagement der Emigranten maßgeblich dazu beigetragen hat, den Widerstand der restaurativen Universitäten gegen das neue Fach zu brechen. Sie brachten aufgrund ihrer hohen Integration (sic) in die amerikanische Disziplin gründliche und entschiedene Vorstellungen über den Gegenstand und die Methoden des Faches mit, so daß sie die Politikwissenschaft als autonomes, sich sachlich und methodisch abgrenzendes Wissenschaftsgebiet begründen und gegenüber den traditionellen Fakultäten verteidigen konnten.“22

Im Rahmen dieser Durchsetzung, die wir im Detail kennenlernen werden, spielten allerdings durchdachte Maßnahmen der Besatzungsmacht die Hauptrolle, die die Initiative ergriff und fortführte und den Remigranten erst ermöglichte, die hier beschriebene Rolle zu spielen. Ein besonderes Gewicht gewannen die Remigranten als Inhaber der neu eingerichteten Lehrstühle, von denen acht: Bergstraesser / Freiburg, Brüning / Hermens in Köln, Fraenkel / Gurland in Berlin, Landshut in Hamburg, Morstein-Marx in Speyer23 und Voegelin in München die Gründungsprofessoren wurden. Daneben erhielten Remigranten bis in die sechziger Jahre hinein zahlreiche Anstellungen als Gastprofessoren und wirkten durch Vortragsaktivitäten, „wodurch ein Netz von deutsch-amerikanischen Wissenschaftsbeziehungen entstanden ist“.24 Die Anfänge dieser Netzwerkbildung finden sich in der Besatzungszeit nach 1945.

3. Wissenschaft und Besatzung „Die Deutschen, auch die deutschen Intellektuellen, waren eher passive Objekte von Entwicklungen, die sich außerhalb des Rahmens ihrer Einflußmöglichkeiten abspielten. Ihnen blieb ein mehr oder minder freiwilliger Mit- und Nachvollzug von Ereignissen, die sich lange zuvor in New York, Washington, London, Paris oder Moskau angebahnt hatten. Diese spezifische Form intellektueller Passivität

So jedenfalls die Einteilung von Ulrike Quadbeck. Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 56. Zit. n. Quadbeck, Anfänge, S. 57. 23 Fritz Morstein-Marx: 1922 Promotion, Jurist im öffentlichen Dienst der Stadt Hamburg, 1933 entlassen und emigriert, 1934 Lehrauftrag in Princeton, bis 1939 Lehrauftrag in Harvard, 1939 – 42 am Queens College in New York; während des Krieges Berater im Bureau of the Budget des Präsidenten, seit 1945 im Stab ebendort; daneben 1944 – 1962 Lehraufträge in Washington und New York; ab 1962 Professor für vergleichende Politikwissenschaft in Speyer. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 80. 24 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 57. 21 22

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand wurde selbst durch die zunehmende transatlantische Verknüpfung seit 1947 bis tief in die fünfziger Jahre hinein kaum eliminiert.“ Michael Hochgeschwender25

Im folgenden sollen jene Fächer im Blickpunkt stehen, deren Entstehung von den Alliierten besonders gefördert oder installiert wurden und die in den Bildungsreformen der sechziger Jahre eine besondere Rolle spielten. Zur vieldiskutierten Frage, ob es dabei einen „Oktroi“ gegeben habe oder nicht – und wenn einen Oktroi, durch wen? – bietet dabei das Beispiel des Verhältnisses zwischen Großbritannien und der neuen deutschen Soziologie erste Hinweise. Auch hier stand ein Reiseund Austauschprogramm am Anfang. So bot nach Kriegsende die britische Besatzungsmacht in ihrer Zone ein „Dozenten-Scheme“ an, das Lehraufenthalte deutscher Akademiker an englischen Universitäten ermöglichen sollte und umgekehrt auch englische Gastdozenturen an deutschen Universitäten vorsah. Unter den englischen Dozenten, die dieses Angebot wahrnahmen, befand sich unter anderem Bertrand Russell.26 Diese Personalentscheidung stand für Russell am Ende einer langen Entwicklung. Vor fast einem halben Jahrhundert war er wegen seiner pazifistischen Überzeugungen aus dem Londoner Club der Coefficients verwiesen worden, und weil er dessen Kriegskurs gegen Deutschland nicht mittragen wollte. Seit 1902 wurde bei den Coefficients über den angeblich notwendigen Krieg gegen Deutschland gesprochen, der mit wirtschaftlichen Erwägungen, demographischen Überwältigungsphantasien angesichts der deutschen Geburtenrate und einem angeblich unüberbrückbaren deutsch-englischen Gegensatz begründet wurde. Zu den Clubmitgliedern gehörte unter anderem der zur Zeit der englischen Kriegserklärung tatsächlich amtierende Außenminister Edward Grey.27 Nun gaben Russell nach 1945 seine Dozenturen in den vielerorts immer noch zerstörten deutschen Universitätsstädten die Gelegenheit, über die Richtigkeit seiner damaligen Ansichten zu reflektieren oder jedenfalls darüber, daß demokratische Strukturen im Fall Englands das Führen einer Kriegspolitik keineswegs verhindert hatten. Das galt für die Jahre vor 1914 und ganz sicher auch für die Jahre vor 1939. Strukturen an den englischen Universitäten, die nun als Vorbild für den deutschen Neuaufbau hätten dienen können, waren dagegen bestenfalls eine Idealvorstellung, keine Realität. Ein Zusammenhang von sozialwissenschaftlichen Fächern und Demokratie bestand dort nicht. Darauf weist beispielsweise die Soziologin Uta Gerhardt in einer Studie über die Fundierung der sozialwissenschaftlichen Fächer in England hin, im Zusammenhang mit der Frühgeschichte „moderner“ Sozialwissenschaften in Deutschland: „Da Politische Wissenschaft und Moderne Geschichte in Deutschland – wenn man von einem demokratischen Verständnis ausging – nicht gelehrt wurden, war für diese Fächer der britische Sachverstand besonders gefragt. – Allerdings gab es nur wenig Wissenschaftler im englischen Universitätssystem, die überhaupt sozialwissenschaftliche Fächer lehr-

25 26 27

Zit. n. Hochgeschwender, Kongreß, S. 157. Vgl. Gehrhardt, Demokratie, S. 126. Vgl. Scheil, Krise, S. 118 f.

3. Wissenschaft und Besatzung

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ten. … Professuren für Soziologie gab es an den englischen Universitäten überhaupt nicht.“28

Für den von der englischen Besatzungsmacht in Deutschland behaupteten Bedarf an angeblich „demokratischen“ Wissenschaften gab es in Großbritannien kein Vorbild. Die englische Gesellschaft kam ohne die Beratung oder Prägung selbsternannter Leitwissenschaften ideologischen Charakters zu ihrer politischen Struktur. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen der westlichen Demokratie und der Entwicklung von Sozialwissenschaften, wie er in den Umerziehungsdebatten nach 1945 häufig hergestellt wurde, gab es solchen Beobachtungen zufolge selbst in den Vorbildstaaten nicht. Der weitere Verlauf der Entwicklung nach 1945 veranschaulicht dies zudem. Auch wenn Sozialwissenschaften in den westlichen Industriegesellschaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts in diesen Gesellschaften überall etabliert sind, führt dies nicht notwendig zur Offenen Gesellschaft oder zur parlamentarischen Demokratie. Statt dessen kann die Sozialwissenschaft die Entstehung von herrschaftlichen anonymen Bürokratien begünstigen, deren Entscheidungen von der jeweiligen Regierung umgesetzt werden und gegen die es auf formal demokratischem Weg, also etwa durch Wahlen oder Debatten, an denen die Bevölkerung theoretisch gleichberechtigt teilnehmen könnte, keine Korrekturmöglichkeit gibt. Im Kern läuft die hier im Fall der Soziologie für die unmittelbare Nachkriegszeit skizzierte Problematik auf die Frage hinaus, ob es sich hier wie auch in anderen Sozialwissenschaften, beispielsweise beim Fach Politikwissenschaft, um ein fremdimportiertes Legitimationsvehikel gehandelt hat, das auf politischer Ebene die Maßnahmen der alliierten Besatzungsherrschaft rechtfertigen und sichern sollte. Zu diesen Maßnahmen gehörte eine langfristige Schwächung eines möglichen deutschen Widerstands gegen die nach 1945 aufgetretene Willkür und die von den Alliierten begangenen Besatzungsverbrechen, eine Schwächung auch dann, wenn ein solcher Widerstand demokratisch verfasst sein würde. Insofern wäre die Entwicklung von Politik- und Sozialwissenschaften keine rein wissenschaftliche Innovation gewesen, die emigrierte Akademiker von ihrem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten mitgebracht hätten, sondern zugleich eine politische Operation zu bestimmten Zwecken jenseits des akademischen Feldes. Daß die europäisch-amerikanischen Wechselwirkungen innerhalb der Sozialwissenschaften nach 1945 innerhalb des ohnehin regelmäßig stattfindenden Wissenschaftsaustauschs inhaltlich ein Novum darstellte, räumten auch seine Initiatoren gelegentlich ein, so etwa Franz Neumann. Elitenforscher und -kritiker wie Robert Michels oder Vilfredo Pareto hatten zwar den Weg in die Vereinigten Staaten schon vor 1933 gefunden. Auch die Wiener Schule des logischen Positivismus, den die Frankfurter Schule im Nachkriegsdeutschland später energisch bekämpfen sollte, wickelte ihren Aufstieg zur phasenweise leitenden Denkschule unabhängig von den politischen Veränderungen in der 28 Zit. n. Gerhardt, Demokratie, S. 126. Letzter Satz bei Gerhardt in der entsprechenden Anmerkung.

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

Weimarer Republik und Österreich ab. Für Soziologie und Politikwissenschaft, wie sie nach 1945 in Deutschland Einzug hielten, galt dies nicht. Ihre Vertreter brachten Skeptizismus aufgrund politischer Erfahrungen mit, beispielsweise aus der eigenen Emigration, politischen Willen zur „Praxis“ – und sollten den politischen Willen einer Siegermacht vollziehen, während sie häufig erst im Rahmen der Emigration zu Politik und Sozialwissenschaftlern geworden waren und deren Willen im Rahmen der politischen Bildung mit formulierten.29 Als Gegenposition zu dieser Feststellung ist etwa die Auffassung skizziert worden, daß die Politikwissenschaft in der Tat die gesellschaftliche Stabilität der für alle gleichermaßen wünschenswerten demokratischen Ordnung fördern sollte. Das Bewußtsein für die Notwendigkeit dieser Ordnung sollte verbreitet werden, Studenten sollten die Universität nach ihrem Abschluß als Multiplikatoren in dieser Hinsicht verlassen. Allerdings hätte diese Absicht eine eigene Rechtfertigung besessen, nicht als Neuimport, sondern als Wiederbelebung dessen, „was unterdrückt, verlernt, vergessen worden ist“, um also den Anschluß an ein eigenes Kulturerbe zurückzugewinnen.30 Für eine solche Absicht spricht unter anderem die aktive Beteiligung deutscher Politiker an diesem Prozeß der Wissenschaftsentwicklung, wie der Sozialdemokraten Otto Suhr und Adolf Grimme in Berlin beziehungsweise Niedersachsen, oder des Christdemokraten Erwin Stein in Hessen. Naturgemäß suchten sie aus eigenem Entschluß Wege zur Überwindung nationalsozialistischer Einstellungen in Deutschland und akzeptierten zu diesem Zweck entsprechende Anregungen von alliierter Seite.31 Insofern handelte es sich bei ihren Aktivitäten auch um eigene politische Initiativen. Ob sich allerdings sagen läßt, die amerikanischen Anregungen wären ohne diese Resonanz bald „im Sand verlaufen“,32 ist dann wieder eine eigene Frage, die im Rahmen dieser Untersuchung möglichst beantwortet werden soll. Generell wird es einer konstruktiven Besatzungspolitik jedoch immer gelingen, Persönlichkeiten unter den Besetzten für sich zu gewinnen, zumal wenn die Kampfhandlungen vorbei sind, die Besatzung offenkundig zeitlos unbegrenzt dauern wird und es keinen militärischen Widerstand in Form von Untergrundbewegungen mehr gibt. Personen wie Stein, Grimme oder Suhr wären demnach letztlich austauschbar gewesen, jedenfalls theoretisch betrachtet.

29 Vgl. Neumann, Aufsätze, S. 420 f. Es scheint, daß Neumann seine Doppelrolle als intellektueller Wissenschaftler und hochrangiger amerikanischer Regierungs- und Geheimdienstmitarbeiter in seinen Reden und Veröffentlichungen an keiner Stelle zum Thema machte. Zu den deutschen Juristen, die nach der Emigration Politikwissenschaftler wurden, dann aber an amerikanischen Universitäten blieben und doch im Rahmen von Gastaufenthalten und Besatzungspolitik entscheidend auf die Gestaltung von Politikwissenschaft in Deutschland Einfluß nahmen, gehörten: Arnold Brecht, Hans Ernst (John) Fried, Karl Loewenstein, Hans Morgenthau, Gerhart Niemeyer und Hans Simons. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 78. 30 Vgl. Fraenkel, Vorwort zu Bungenstab, Umerziehung, S. 11. 31 In diesem Sinn argumentiert Arno Mohr. Vgl. Mohr, Durchsetzung, S. 63. Die gleichen Personenbeispiele bei Ulrike Quadbeck. Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 55. 32 Vgl. Mohr, Durchsetzung, S. 63.

3. Wissenschaft und Besatzung

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Einen weiteren Aspekt dieser Fragestellung stellt die mögliche Absicht dar, die hinter einem Oktroi der Siegermächte gelegen haben könnte. Es wäre möglich, daß die alliierten Hauptsieger den Besiegten von 1945 ihren jeweiligen Apparat von Sozialwissenschaften mit Absicht aufgenötigt haben, um ihn politikblind und politikunfähig werden zu lassen. Manche Äußerungen etwa des hessischen CDU-Kultusministers Erwin Stein im Rahmen der ersten Konferenzen zur Einrichtung des Fachs Politikwissenschaft wirken in einem Ausmaß weltfremd und irreal, daß dieser Gedanke auf den ersten Blick nicht unplausibel erscheint. Wir werden darauf zurückkommen. Politikwissenschaftler Hans-Joachim Arndt, der Ende der 1970er Jahre im Rahmen einer umfangreichen Skizze eine „Politologie für Deutsche“ erarbeitete, diskutierte diese Frage, wies aber die Ansicht einer bewußten alliierten Lähmung des politischen Willens in Deutschland 1979 mit dem Hauptargument zurück, daß „US-Amerikaner und Sowjetrussen ihre Systemansätze auch auf sich anwenden, sogar als offizielle Selbstdarstellung – mindestens im Diamat33 des Sowjetmarxismus und in einem Großteil des Faches Political Science der Vereinigten Staaten.“34

Zum anderen, so Arndt weiter, würde es auch dort, in beiden Systemen immer wieder „Verächter“ des stromlinienförmigen und kategorisch an den Dingen vorbeianalysierenden wissenschaftlichen Scheinbetriebs geben. Nun ist letzteres eine erfreuliche Erscheinung, die auf den zähen Charakter von Intelligenz und moralischer Integrität der Menschheit verweist, der immer über die gerade erreichte Norm hinausführt, aber es spricht nicht gegen die mögliche Absicht von hegemonialen Siegermächten, den Besiegten auf gewisse Weise intellektuell politikunfähig werden zu lassen. In der Tat zielten die Planungen für eine Etablierung marxistischer oder liberaler Akademikerwelten in Deutschland ja auch ganz bewußt darauf, eine zuvor von den Siegermächten aus ihrer jeweiligen Perspektive als korrekturbedürftig wahrgenommene Akademikerrealität in Deutschland abzuschaffen. Damit richteten sie sich im weiteren darauf, eine ganz bestimmte deutsche Politik künftig unmöglich werden zu lassen, nämlich eine, die sich auf den vor 1945 existierenden deutschen Staat als eines Staates berufen könnte, der legitime politische Interessen verfolgte, unter anderem das elementare Ziel des Selbsterhalts. Beiden etablierten Systemen ist es deshalb gemeinsamer Inhalt gewesen, zentrale Themen den deutschen Selbsterhalt betreffend aus der politischen Wissenschaft oder dem dialektischen Materialismus auszuklammern. In beiden Systemen standen die 1945 bis 1949 geschaffenen Tatsachen nicht zur theoretischen Diskussion, sie hätten auch kaum zum Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung in Bezug auf ihre Berechtigung werden können. Dies hatte weitreichende Folgen, für die zeitgeschichtliche Forschung ohnehin, aber eben auch für die intellektuelle Auseinandersetzung über das künftig wünschenswerte politische System. Man konnte dabei eine

33 34

Dialektischer Materialismus. Zit. n. Arndt, Versuch, S. 109.

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

stete Entfernung der akademischen Debatten von ihren erklärten intellektuellen Quellen beobachten. So brachte auch die Berufung auf Marx und die Renaissance marxistischen Denkens in der Bundesrepublik der 1960er Jahre keineswegs mit sich, daß künftig in marxscher Weise der Stand der Dinge in Deutschland analysiert worden wäre. Faktisch löste ein ambitioniertes, aber wesentlich auf psychologischen Mutmaßungen basierendes Bild über die Gesellschaft und deren notwendige Revolutionierung einen bedeutenden Teil des akademischen Diskurses von der Frage nach der realen deutschlandpolitischen Situation, nach deren historischen Bedingungen und den daraus zu ziehenden möglichen Konsequenzen.

4. Selbstbehauptungs- und Verzichtswissenschaften „Das amerikanische ‚social studies‘-Programm war gegen eine politische Erziehung gerichtet, die den jungen Menschen zu einem den Staat bejahenden und patriotisch gesinnten Bürger und Untertan formen wollte.“ Arno Mohr35

Über die Geschichte der Fächer Politikwissenschaft und Soziologie wird seit den 1990er Jahren verstärkt geforscht. Das Fach habe überrascht registriert, tatsächlich eine Geschichte zu haben, ist in Bezug auf die Politikwissenschaft zu hören. Bemerkenswert an den Anläufen zur Erforschung dieser Geschichte ist die Tatsache, daß sie überwiegend von Politikwissenschaftlern stammen. Das Fach beschreibt sich gewissermaßen selbst und vertraut dabei seinen eigenen, in der Nachkriegszeit entwickelten Kategorien, was zu spezifischen Beschränkungen und inhaltlichen Verzerrungen führt. Kontinuitäten werden konstruiert und Inhalte als absolut gesetzt, die so erst in der Nachkriegszeit entstanden sind. Der Politikwissenschaftler Rainer Eisfeld etwa vertrat in „Ausgebürgert und doch Angebräunt“ die These, daß es sich bei der „Deutschen Hochschule für Politik“ (DHfP) in der Weimarer Ära nicht um ein lupenrein demokratisches Unternehmen gehandelt habe. Auffassungen innerhalb der DHfP, die diese Einschätzung rechtfertigen, gingen seiner Meinung nach auf den Einfluß Ernst Jaeckhs zurück, des Gründers und ersten Präsidenten der DHfP, der in der Tat als Leitsatz der neuen Hochschule ein Zitat von Friedrich List ausgegeben hatte: „Im Hintergrund aller meiner Pläne liegt Deutschland!“.36 Tatsächlich sei an der DHfP ein national-oppositionelles Wissenschaftsprogramm entwickelt worden, das unter anderem den Begriff des ganzheitlichen Volks und den Primat der Außenpolitik vorausgesetzt habe, kritisiert Eisfeld.37 Hierbei nimmt er bereits im Ansatz eine Position ein, die sich zunächst einmal buchstäblich als grundgesetzwidrig kennzeichnen läßt, denn die Annahme eines „ganzheitlichen Volks“ und die Förderung von dessen Wohl ist im bundes35 36 37

Zit. n. Mohr, Politikwissenschaft, S. 21. Vgl. Jaeckh, Politik, S. 183. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 16.

4. Selbstbehauptungs- und Verzichtswissenschaften

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deutschen Grundgesetz und war in der Weimarer Verfassung als die Basis für sämtliche Bestimmungen und den Verfassungstext selbst eingeschrieben. Kategorisch gesehen etwas weniger gewichtig, aber ebenso bezeichnend, ist Eisfelds Kritik am „Primat der Außenpolitik“ der DHfP, die ahistorisch wie apolitisch angelegt ist. In der nationalstaatlich-spätimperialistischen Welt nach 1919 bestand der Primat der Außenpolitik noch ganz eindeutig und mußte an einer Hochschule für Politik als solcher berücksichtigt werden. Die DHfP arbeitete daran, die damals neue deutsche Republik politikfähig in der Auseinandersetzung mit dieser wirklichen Welt werden zu lassen, wozu auch ein weiterer, von Eisfeld monierter Punkt gehörte: die Möglichkeit, eigentlich die Selbstverständlichkeit einer deutschen Hegemonie in Mitteleuropa. Lediglich das Versailler Vertragssystem mit seinen zahlreichen negativen Vorgaben beschränkte und verhinderte diese Hegemonie, die sich aus den wirtschaftlichen und demographischen Verhältnissen ansonsten praktisch mit Notwendigkeit ergab. Damit konnte sie auch ein selbstverständliches Politikziel einer demokratisch fundierten deutschen Regierung werden, die deshalb keineswegs die Absicht haben mußte, eine solche Hegemonie in Imperialismus und Verletzung der Interessen anderer Staaten und Völker abgleiten zu lassen. In diesem Punkt beschäftigte sich die DHfP mit der wissenschaftlichen Erfassung der politischen Wirklichkeit. Dieser Zusammenhang ist mit Blick auf die Nachkriegspolitikwissenschaft interessant, weil Eisfeld selbst unter wünschenswerter Politikwissenschaft ausdrücklich jene Ansätze versteht, die genau das verhindern: „Eine ‚Demokratiewissenschaft‘, dazu geeignet, wirksame normative Barrieren gegen das ‚nationale‘ Politikwissenschaftsprogramm zu errichten, hätte sich einerseits an Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und politischer Teilhabe, andererseits an territorialer Selbstbeschränkung, Hegemonieverzicht und friedlicher Konfliktlösung als materialen Eigenwerten orientieren müssen. Ein solches Konzept vertraten eine Reihe jüngerer Dozenten der DHfP (darunter Eckart Kehr und Franz L. Neumann), von den Kollegiums- (Fakultäts-)Mitgliedern der Periode 1927 – 1932 jedoch nur Hermann Heller, Hajo Holborn und Sigmund Neumann.“38

Wir werden einigen dieser Namen später wiederbegegnen, da sie die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik beeinflußt haben. Erkennbar wird jedoch schon hier, daß Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft für den Professor der Politikwissenschaft Rainer Eisfeld in erster Linie eine deutsche Verzichtswissenschaft ist, die zudem mit reichlich unklaren Begriffen operiert. Was z. B. heißt „Orientierung an Gleichheit“? Die Weimarer Republik wäre erfreut gewesen, hätte sie auf manchen Politikfeldern die „Gleichheit“ mit anderen Staaten erreichen können, und sie scheiterte nicht zuletzt daran, daß sie es nicht konnte. Was heißt „territoriale Selbstbeschränkung“ eines demokratischen Staates, wenn es Bevölkerungsteile gibt, die ihm anzugehören wünschen, aber gegen ihren demokratisch geäußerten Willen von anderen Staaten willkürlich daran gehindert wurden? Kann die selbstbeschränkende Akzeptanz einer solchen politischen Handlungsweise wirklich als 38

Zit. n. Eisfeld, Angebräunt, S. 16.

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II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

Ausdruck einer „friedlichen Konfliktlösung“ verstanden werden? Schließlich: Wie kann ein regionaler „Hegemonieverzicht“ in einem weltpolitischem Umfeld umgesetzt werden, das von Hegemonialansprüchen völlig durchsetzt war und ist? Manche Mitarbeiter der DHfP sprachen in der Tat seit Ende der 1920er Jahre davon, daß nur noch eine Diktatur die damals kritische deutsche Lage retten könnte, die unter anderem durch Hegemonialpolitik anderer Staaten entstanden war. Auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss hatte an der DHfP gelehrt und bereits ihren Gründungszweck damit beschrieben, daß die Politik eines Deutschland, das „Gegenstand des Willens fremder Mächte“ war, nur einen Inhalt kennen könnte, „den Kampf der nationalen Befreiung“. Die „Reinigung eines für einen weiten Kreis von Männern und Frauen verbindlichen politischen und nationalen Gefühls“ für einen solchen Kampf sollte die DHfP liefern.39 Weil sie ähnliche Fragen nach den Willens- und Machtverhältnissen der internationalen Politik stellten und zu beantworten versuchten, gelten Eisfeld manche Politikwissenschaftler der DHfP als „angebräunt“, darunter Adolf Grabowsky und Arnold Bergstraesser. Gegen diese Wortwahl spricht manches. Die Nationalsozialisten zwangen beide Politologen dazu, ihren Lehrstuhl und schließlich auch Deutschland nach 1933 wegen der Rassenpolitik des Regimes zu verlassen, die sie als jüdisch bzw. als Mischlinge einstufte. Beide kehrten früh zurück, Bergstraesser 1950 auf eine Gastprofessur in Frankfurt, um 1954 eine ordentliche Professur in Freiburg zu erhalten. Grabowsky kam 1950 nach Marburg und ging 1952 als beamteter Professor nach Gießen.40 Beide verkörpern insofern eine Kontinuität der Politikwissenschaft von Weimar bis Bonn, zusammen mit Politikern wie Theodor Heuss und Heinrich Brüning, die nach 1945 ebenfalls Professuren für Politikwissenschaft erhielten. Brüning ging 1933 ins Exil und hatte als früherer Reichskanzler Zugang zu den entscheidenden Politikern in Großbritannien wie in den USA, einschließlich des Präsidenten Franklin Roosevelt. Dies gab ihm Gelegenheit zur Einsicht darin, daß von wesentlichen politischen Kräften dieser Länder auf einen Krieg zur Zerstörung jener oben geschilderten politischen Optionen Deutschlands hingearbeitet wurde, die einem demokratischen ebenso wie einem diktatorischen deutschen Staat offenstanden, so lange er in etwa den damaligen territorialen Umfang hatte und sich als souveränes und gegenüber anderen Großstaaten wie den beiden Westmächten gleichberechtigtes Unternehmen begriff.41 Die bundesdeutsche Politikwissenschaft der Nachkriegszeit lehnt diese Option ab und rechtfertigt indirekt die Zerschlagung ihrer Vorläufertradition nach 1945, ohne Vgl. Heuss, Denkschrift, S. 33 f. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 15. 41 Insbesondere erlebte Brüning einige drastische Auftritte Winston Churchills mit: „Aus seinen Reden und aus allem, was ich nach meiner Rückkehr gehört hatte, erkannte ich, daß ich die Admiralität und die Gruppe um Churchill nicht daran hindern konnte, den Krieg um jeden Preis zu befürworten.“ Notiz Brünings über ‚Eindrücke in England‘, März 1939, zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 233. Eine umfangreichere Darstellung von Brünings Eindrücken in: Scheil, Krise, Kap. VIII, C, Heinrich Brüning gegen den Krieg. 39 40

4. Selbstbehauptungs- und Verzichtswissenschaften

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ein adäquates Bild von außenpolitischer Ursache und Wirkung zu entwickeln. Die Ursachen liegen für ihre Autoren praktisch nur in Deutschland, was in zahlreichen Beispielen zum Ausdruck kommt. Eisfeld etwa führt eine Unterscheidung zwischen „nationaler“, antirepublikanischer Politikwissenschaft, „funktionaler“, verfassungstreuer Politikwissenschaft und „demokratischer“, offenbar für Außenpolitik unbrauchbarer Politikwissenschaft ein.42 Aus einigen der Äußerungen Bergstraessers und Grabowskys der Jahre um 1933 konstruiert er dann eine Zustimmung zu nationalistischen Positionen und zu manchen der frühen Maßnahmen des NS-Regimes, etwa dem Rückzug von den Genfer Abrüstungsverhandlungen oder dem Austritt aus dem Völkerbund.43 Den politischen Hintergrund dieser Schritte, die nicht nur die Ermächtigung aus Reihen der Zentrumsfraktion, sondern teilweise sogar die Zustimmung der SPD-Fraktion des deutschen Parlaments fanden, blendet Eisfeld aus.44 Er setzt eine grundsätzliche Zustimmung voraus, wo politisch ohne jeden Zweifel trennende Abgründe vorhanden waren, abgesehen von jenem Feld, das der bundesdeutschen Politikwissenschaft besonders suspekt ist: Die Orientierung auf Staat und Staatsvolk als politischen Kategorien war sowohl der sozialdemokratischen wie der nationalsozialistischen Politik des Jahres 1933 geläufig, trotz völlig andersgelagerter Vorstellungen über den inneren Aufbau eines Staates als Demokratie oder Führerdiktatur und Einparteienstaat. In diesen Kategorien dachten Politikund Sozialwissenschaften nach 1945 zusehends weniger, und das hatte weitreichende, aber nicht immer ganz offensichtliche Folgen.

Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 22 f. Bergstraesser gab 1944 zusammen mit George N. Shuster eine deutsche Geschichte heraus „Germany, A Short History“. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 24. George Shuster war auch eine der Kontaktpersonen Brünings, bei dem er sich über die deutschen Zionisten beschwerte, die die Weimarer Republik ruiniert hätten. Brüning hatte auch Kontakt zu Arnold Brecht. George Shuster war als Universitätsdirektor Mitglied im Planungsausschuß des State Department, der im Mai 1945 sein ‚Long-Range Policy Statement for German Reeducation‘ vorlegte. Vgl. Heinemann, Bildungspolitik, S. 71 f. Zur Zusammensetzung des „General Advisory Committee“ für die amerikanische Kulturpolitik, in dem Shuster ebenso wie George Zook Mitglied war, vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 111 f. 44 Die SPD-Fraktion stimmte Hitlers Regierungserklärung zur Rüstungsfrage am 17. Mai 1933 zu. Zu den Hintergründen dieser Entscheidung vgl. Behring, Außenpolitik, S. 73 ff. 42 43

III. Nationalfragen 1. Ein Volk in zwei Nationen und drei Staaten? „Nehmen sie bitte zur Kenntnis, daß ich nicht gewillt bin, zu diesem Zeitpunkt zu sagen, wir beabsichtigen nicht, die deutsche Nation zu zerstören. Solange es in Deutschland das Wort „Reich“ gibt als Inbegriff der Nationalität, wird es immer mit dem gegenwärtigen Begriff des Nationalgefühls in Verbindung gebracht werden. Wenn wir das einsehen, müssen wir danach streben, eben dieses Wort ‚Reich‘ und alles, wofür es steht, auszumerzen.“ Franklin Delano Roosevelt1

Wenn hier im folgenden von der deutschen Hochschullandschaft nach 1945 gesprochen werden wird, dann wird damit weiterhin im Prinzip die Hochschullandschaft ‚ganz Deutschlands‘ im eingangs skizzierten Rahmen gemeint sein. Weiter unten wird näher erläutert werden, wie dieser Begriff verstanden werden soll, der seit 1945 noch problematischer ist als zuvor. Ungeachtet dieser Begriffsbestimmung wird der Schwerpunkt der Darstellung auf den Hochschulen und den Universitätslehrern der Bundesrepublik Deutschland liegen, denn transatlantische Wechselwirkungen zwischen den Hochschulen in den Vereinigten Staaten und Deutschland gab es naturgemäß vorwiegend in den westlichen Besatzungszonen. Dies betrifft sowohl die heutige Bundesrepublik Deutschland als auch die Bundesrepublik Österreich. Österreich muß hier erwähnt werden, da beabsichtigt ist, die historische und systematische Entwicklung der deutschen Politik- und Sozialwissenschaften zumindest im Ansatz als Ganzes zu betrachten und dazu gehört aus der Perspektive des Jahres 1945 auch die spätere Bundesrepublik Österreich. Sie war völkerrechtlich anerkanntermaßen Teil jenes Staates, dem von Seiten der beiden Westmächte England und Frankreich am 3. September 1939 der Krieg erklärt worden war, Geburtsort des damaligen Staatschefs und Bestandteil des Gegenstandes „Deutschland“, über den in den Konferenzen von Jalta und Potsdam verhandelt wurde. Österreich wurde zudem frühzeitig zum Gegenstand vergleichbarer Nachkriegsplanungen wie im übrigen Deutschland. Das für dortige Zwecke entworfene Modell des Elitenaustauschs und das damit verbundene Ziel einer Reform idealerweise der gesamten Gesellschaft wurde auf die künftige Alpenrepublik übertragen und führte zu ganz ähnlichen Entnazifizierungsregeln. In deren Geltungsbereich wurde ebenso wie auf dem 1 Roosevelt am 1. April 1944 zu den Stabschefs, hier zit. n. Bavendamm, Krieg, S. 221. Eine ähnliche Formulierung gebrauchte Roosevelt bei der Konferenz in Teheran, wo er sofort auf den Widerspruch Stalins traf, es genüge nicht, nur das Wort „Reich“ auszumerzen. Vgl. Fischer, Deutschlandpolitik, S. 70.

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Gebiet der späteren Bundesrepublik jede Form des „Nationalismus“ mit einbezogen, worunter im Fall Österreich der sogenannte Austrofaschismus zu verstehen war. Konsequenterweise sollten also die Anhänger vieler österreichischer Regierungen vor 1938 ebenfalls aus dem öffentlichen Leben und den Ämtern entfernt werden, was sich in der Praxis ebenso wie in den westdeutschen Besatzungszonen als schwierig erwies.2 Österreich gehört zu einer deutschen Geschichte dieses Zeitraums und daher wurde, wie wir sehen werden, nicht zufällig gerade dieser eigentlich selbstverständliche Zusammenhang zum Gegenstand von intellektuellen Auseinandersetzungen. Eine dieser Auseinandersetzungen fand typischerweise zwischen dem Historiker Karl Dietrich Erdmann und dem Politikwissenschaftler Gerald Stourzh statt, nachdem Erdmann 1985 seine These von „einem Volk in zwei Nationen“ und – damals – „drei Staaten“ veröffentlicht hatte, die er 1989 / 90 wiederholte. Die demokratischen Revolutionen im realsozialistischen Mittel- und Osteuropa, die schließlich dazu führten, daß künftig höchstens von einem Volk in zwei Nationen und Staaten gesprochen werden konnte, setzten einen dramatischen Rahmen für die Debatte um diese Thesen.3 Politikwissenschaftler Stourzh sah seine Konzepte des Österreichbewußtseins bedroht und widersprach, um seine politische Normsetzung zu verteidigen: „Die Erinnerung an die unglücklichen Erfahrungen Österreichs in seiner Selbststilisierung als ‚zweiter deutscher Staat‘ in den Dreißigerjahren – wenngleich im damaligen Kontext erklärlich – sind in Österreich noch zu wach, um dieser Vorstellung nicht entschieden entgegenzutreten.“4 Dies bedeutete schwerlich etwas anderes, als daß die genannten Erinnerungen nach der Einschätzung von Stourzh im Jahr 1990 wach genug waren, um in Österreich eine aus seiner Sicht unerwünschte politische Reaktion hervorzurufen, etwa eine ähnliche wie in der Deutschen Demokratischen Republik, wo zeitgleich unter dem Ruf „Wir sind ein Volk“ eine Politik der deutschen Einigung erzwungen wurde, die den geschichtspolitischen Wünschen der bundesrepublikanischen Elite überwiegend nicht entsprach. Die Bildungspolitik der DDR bereitete diese Entwicklung über lange Jahre ungewollt vor, ungewollt allerdings lediglich insofern, als man sich die Einigung der Teilstaaten unter sozialistischen Vorzeichen vorgestellt hatte, während sie in der Bundesrepublik ganz aus dem Blick geraten war. In der Demokratischen Republik wurde zuvor an das „progressive nationale pädagogische Erbe angeknüpft“, während in der Bundesrepublik „im Bereich des früheren Nationalbewußtseins ein ‚Leerraum‘ bleibt“.5 Das mußte 2 In der Praxis der Militärverwaltung wurde das Problem Austrofaschismus kaum beachtet. Vgl. Rathkolb, Beginn, S. 14. 3 Vgl. Erdmann, Überlegungen, Passim. An seiner Einschätzung hielt Erdmann ausdrücklich auch während der Umwälzungen des Jahres 1989 fest, so etwa in einem Vortrag am 29. November 1989. Vgl. Erdmann, Bundesrepublik, passim, und Stourzh, Österreichbewußtsein, S. 12. 4 Zit. n. Stourzh, Österreichbewußtsein, S. 12. 5 So Wilhelm Rößler im Jahr 1981. Vgl. Heinemann, Bildungspolitik, S. 19, Vorwort Wilhelm Rößler.

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III. Nationalfragen

der Deutschen Demokratischen Republik schon deshalb leichter fallen, weil die dortige Staatsideologie zwar ebenso wie in den Westzonen und in Österreich durch die Streitkräfte fremder Staaten zur Herrschaft gebracht worden war, ihre eigene Grundlage aber tatsächlich auf ihre Herkunft aus Deutschland zurückführen konnte. Die staatlich-offiziell vorgewiesenen Begründer des Sozialismus kamen nicht aus dem Bereich auswärtiger Sprache und Tradition, wie George Washington oder Thomas Jefferson, sondern wurden mit Karl Marx und Friedrich Engels von zwei deutschen Intellektuellen gestellt. Das wurde auch von der Siegermacht Sowjetunion und in der sonstigen sozialistischen Welt demonstrativ anerkannt, bei jeder großen Kundgebung der kommunistischen Partei, ob in Ostberlin, Moskau oder Peking. Sozialdemokrat Otto Grothewohl konnte von einem Zusammentreffen mit Marschall Georgi Schukow berichten, dem Kommandeur der sowjetischen Streitkräfte auf deutschem Boden, der einen persönlichen Wunsch geäußert hatte: „Wir sollten in ihm nicht nur einen Vertreter einer Siegermacht sehen, sondern in erster Linie einen Freund des deutschen Volkes, vor allem der deutschen Arbeiterklasse, der er helfen wolle. Karl Marx und Friedrich Engels, denen die internationale Arbeiterklasse unendlich viel verdanke, seien Deutsche gewesen. Und mit allen Deutschen, die diese großen Söhne ihres Vaterlandes verehren, fühle er sich aufs engste verbunden.“6

Ein vergleichbarer Argumentationsgang eines westlichen Besatzungsoffiziers war schlichtweg undenkbar. Die deutsche politisch-ideologische Tradition enthielt nichts, was im Gedankengebäude der westlichen Demokratien einen zentralen Platz eingenommen hätte. Die Feststellung, daß dies im Fall der UdSSR ganz anders gelagert war, änderte natürlich nichts an den Machtverhältnissen und dem Moskauer Entscheidungsmonopol, wohl aber an der langfristigen Entwicklung des Selbstverständnisses in der DDR.7 Der Sozialismus beendete – offiziell – keine deutschen Sonderwege, aus denen die Deutschen nie selbst auf den richtigen Weg zurückgefunden hätten, sondern kehrte an seinen Ursprung zurück, als „das objektive Ergebnis der deutschen Geschichte in ihrem gesamten Verlauf, von ihren Anfängen an“.8 Von dieser Basis aus griff es sich zumindest rhetorisch mit leichter Hand nach einem großen Erbe inklusive gesamtdeutschem Anspruch: „Die sozialistische Nationalkultur der Deutschen Demokratischen Republik schließt die sorgsame Pflege und Aneignung aller humanistischen progressiven Kulturleistungen der Vergangenheit ein. Die sozialistische Kultur der Deutschen Demokratischen Republik ist dem reichen Erbe verpflichtet, das in der gesamten Geschichte des deutschen Volkes geHier zit.n. Nolte, Deutschland, S. 206. Die Schwankungen auf diesem Weg innerhalb der DDR bis hin zur bewußten Bastion deutscher Identität zeichnete Wolfgang Venohr in seiner just im späteren Revolutionsjahr 1989 erschienenen Schrift über „Die roten Preußen“ und den „wundersamen Aufstieg der DDR“ kenntnisreich nach, einem passagenweise geradezu prophetischen Text, der insbesondere den Gegensatz zwischen „deutscher“ DDR und bewußt „verwestlichter“ BRD treffend zusammenfaßte, der sich nach 1989 / 90 in ungezählten Klagen über die fehlende „innere Einheit“ niederschlagen sollte. Vgl. Venohr, Rote Preußen, passim. 8 Vgl. Heinemann, Pädagogik, S. 35. 6 7

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schaffen wurde. Alles Große und Edle, Humanistische und Revolutionäre wird in der Deutschen Demokratischen Republik in Ehren bewahrt und weitergeführt, indem es zu den Aufgaben der Gegenwart in eine lebendige Beziehung gesetzt wird.“9

Solchermaßen als Hort des Großen und Edlen bezeichnet, forderte das Volk schließlich 1989 ebenso selbstverständlich seine staatliche Einheit, wie westlich geprägte westdeutsche Intellektuelle im Zeichen von Sonderwegsbewußtsein und angeblicher Kollektivschuld als Konsequenz seine fortdauernde Teilung forderten. Hätte es ein vergleichbares handlungsfähiges Vereinigungspotential, wenn auch ideologisch wiederum anders begründet, in Österreich prinzipiell nicht gegeben, hätte eine fehlende Reaktion von politikwissenschaftlicher Seite auch folgenlos ausbleiben können.10 Es gibt Indizien dafür, daß ein solches Potential jedoch auch in den 1980er Jahren trotz aller gegenteiligen Bemühungen vorhanden war und in den Debatten über die politische Entwicklung in Europa nicht zu Unrecht permanent eine Rolle spielte. Italiens Außenminister Andreotti warnte 1984 undiplomatisch laut vor „Pangermanismus“ und pochte zwar offiziell nur auf die Fortdauer der Teilung von BRD und DDR, nahm allerdings Süd-Tirolfeiern auf italienischem Staatsgebiet mit Österreichbezug zum Anlaß für dieses Vorgehen.11 Bis 1986 habe die „Gefahr“ eines neuen Anschlusses in der Luft gelegen und nicht nur auswärtige, sondern auch österreichische juristische, diplomatische und politische Eliten irritiert, konstatiert Oliver Rathkolb.12 In dieser Frage verstand sich der oben erwähnte Politikwissenschaftler Gerald Stourzh demnach als Kontrolleur und Teil eines Frühwarnsystems, das sich gegen politische Bewegungen richtete, die als Folge von Neigungen gewachsener kulturell-ethnischer Strukturen aufkommen könnten. Dabei verzichtete er nicht darauf, auch auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen und auf Gemeinsamkeiten Österreichs mit der Schweiz.

9 Aus dem Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, hier zit. n. Heinemann, Pädagogik, S. 34. 10 Die bilateralen Beziehungen zwischen der DDR und Österreich sind von der Zeitgeschichte nur selten thematisiert worden. Selbst der von Oliver Rathkolb herausgegebene, umfangreiche Sammelband zum Thema „Internationale Perzeptionen Österreichs“ in den Jahren 1955 – 1990 enthält zwar Beiträge für fast ganz Europa und reicht dann bis nach Indien, aber keinen Beitrag zur DDR, sondern schlägt um dieses Thema einen durch die CSSR, Polen und Schweden skizzierten Bogen. Vgl. Rathkolb, Perzeptionen, passim. Eine „erste umfassend aktengestützte Darstellung der Beziehungen zwischen Österreich und der DDR“ erarbeitet derzeit Maximilian Graf im Rahmen eines Dissertationsprojekts. Vgl. Maximilian Graf: Ein verdrängtes bilaterales Verhältnis – Österreich und die DDR 1949 – 1989 / 90, Abstract des Dissertations-Projekts auf http: // www.osteuropaforum.at / fileadmin / user_upload / wiss_plattform_osteuropa / Fotos_in_Gebrauch / Kolloqium_WS2010_11 / Abstract_Graf.pdf, zuletzt eingesehen am 2. Februar 2011. 11 Vgl. Der Spiegel, 39 / 1984, 21. September 1984: „Lieber zweimal Deutschland als einmal?“. 12 Vgl. Rathkolb, Republik, S. 265 f.

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III. Nationalfragen

Dies mochte in manchen Punkten zutreffen, berücksichtigte aber weder die innerhalb des von ihm unbezweifelt als „Deutschland“ anerkannten Gebiets vorhandenen gesellschaftlichen Unterschiede, noch den wesentlichen Punkt: die Trennungsursache. Die Schweiz entfernte sich aus eigenem Antrieb aus dem früheren deutschen Staatsverband, im Rahmen eines längeren politisch-gesellschaftlichen Prozesses, der von militärischen Auseinandersetzungen begleitet wurde, ähnlich etwa dem Unabhängigkeitsprozeß der Niederlande. Die Trennung Österreichs vom übrigen Deutschland dagegen wurde jeweils lediglich auf dem Schlachtfeld entschieden und danach von den Siegern bestimmt, dies galt für das Jahr 1866 ebenso wie 1918 / 19 und es wiederholte sich auch nach 1945. Hier fehlte offenkundig die Eigenständigkeit der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung hin zur Trennung. Im Gegenteil trat das unbesetzte und unabhängige Österreich wenigstens 1866 und 1918 / 19 ganz entschieden und aus eigenem Antrieb mit dem Anspruch auf, Teil des deutschen Staatsverbands zu sein, 1866 sogar mit dem weitergehenden Anspruch, dessen politisch führender Teil zu bleiben. Das 1919 von „Deutsch-Österreichs“ – wie der Staat sich bewußt nannte – Bundeskanzler Renner geprägte Wort von der „zweiten deutschen Teilung“ fasste diesen Sachverhalt aus der Perspektive des Weltkriegsendes ebenfalls treffend zusammen. Es darf daher – mit Politikwissenschaftler Stourzh – zumindest bezweifelt werden, ob das nach 1945 mühsam künstlich geschaffene „Österreichbewußtsein“ bei einem fehlenden internationalen Verbot der Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland seine Prüfung bestanden hätte.13 Der Opfermythos Österreichs ermöglichte im Prinzip, insofern nicht unähnlich dem ungebrochenen Bewußtsein in der Deutschen Demokratischen Republik, auch eine ganz andere Entwicklung und eine unbefangene Rückkehr in einen deutschen Staatsverband. Im Fall einer anderen Beschlußfassung in Jalta oder Potsdam, die das ebenfalls in vier Besatzungszonen aufgeteilte und dort ausdrücklich als schuldig bezeichnete „österreichische Volk“ in einer größeren Nähe zu den vier anderen Besatzungszonen belassen hätte, wäre dieses Bewußtsein mangels politischem Interesse ohnehin nicht geschaffen worden und kaum aus eigenem Antrieb entstanden. An dieser letzten Feststellung zweifelten jedenfalls die Besatzungsmächte nicht, wie einzelne Maßnahmen plastisch zeigen. So wurde beispielsweise selbst der Begriff „Deutschunterricht“ in Österreichs Schulen verboten. Statt dessen sollte von Unterricht in der „Unterrichtssprache“ gesprochen werden.14 Auch im Fall Öster13 Die Mahnung von Thomas Nipperdey in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus Anlaß des fünfzigjährigen Jahrestags des Anschlusses von 1938, „die älteren Bundesdeutschen sollten aufhören, über die schnelle Verabschiedung der Österreicher aus der deutschen Geschichte den Kopf zu schütteln“, erscheint deshalb ahistorisch. Die lange Dauer und die Substanz historischer Entwicklungsprozesse kommt unter anderem gerade in diesem Kopfschütteln des geschichtsbewußten Normalbürgers gegenüber den offiziös proklamierten Geschichtsbildern zum Ausdruck. Vgl. Thomas Nipperdey, Das Ende des großdeutschen Traumes, in: FAZ, 12. März 1988.

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reichs gehörte zusätzlich die Abschaffung des Reichsbegriffs als eines Teils des Alltags zu den Zielen der Besatzung. Gerald Stourzh erwähnt etwa den Fall der Österreichischen Volkspartei, der 1945 von Seiten der französischen Besatzungsmacht bedeutet wurde, den Begriff Reich aus den Bezeichnungen ihrer Parteiorganisation zu tilgen, andernfalls würde er offiziell verboten werden. Am nächsten Tag war die Tilgung vollzogen, womit – so Stourzh – die Geschichte Österreichs endgültig von einer Reichsgeschichte zu einer Republikgeschichte geworden sei, auch rückwirkend für die Zeit ab 1918.15 Kurze Zeit später ließen die Alliierten mit feinem Sinn für Symbolik und trotz gegenteiliger Rechtslage16 die in Nürnberg gelagerten Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation nach Wien bringen. Das stand keineswegs im Widerspruch zum geplanten Österreichbewußtsein, sondern setzte im Rahmen dieser Neuschöpfung die Trennung des Reichsbegriffs von der deutschen Nation in origineller Weise fort. Da Österreich nicht mehr als Teil Deutschlands zu betrachten sein sollte, aber die Reichssysmbole verwaltete, waren sowohl „Reich“ wie „Österreich“ in einen Gegensatz zum neukonstruierten „Deutschland in den Grenzen von 1937“ gebracht. Konkreter Ausdruck dessen wurden im Jahr 1962 die Tausendjahrfeiern zur Kaiserkrönung Otto des Großen, die in Österreich abgehalten wurden, in der Bundesrepublik aber nicht. Eine Anfrage der Bundesregierung auf höchster Ebene bei Hochkommissar McCloy in Sachen Rückgabe der Reichskleinodien wurde im Jahr 1950 abschlägig beschieden.17 Die Geschichte des so geförderten Österreichbewußtseins als eines Produkts von Politikwissenschaft auf nachhaltige Anregung der Siegermächte von 1945 wird daher hier als einer der symptomatischen Aspekte der Elitenkonstruktion in der Nachkriegszeit gelegentlich mit zur Sprache kommen.18 Wenigstens teilweise mit einbezogen werden soll die Entwicklung in der späteren DDR, da die dortige Reaktion auf den Oktroi marxistischer Gesellschaftslehren durch die sowjetische Besatzungsmacht einen erhellenden Kontrast auf die entsprechenden Reaktionen im Westen liefern kann, dies jedenfalls ist die Annahme. Inter14 Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 40. Als interessanter Kontrast scheute die Benennung des „Staatsamts für Volksaufklärung“ gleichzeitig nicht die Kontinuitäten aus dem Goebbelsschen Ministerium für „Volksaufklärung und Propaganda“. 15 Vgl. Stourzh, Österreichbewußtsein, S. 27 f. 16 Deutsche Juristen beriefen sich auf das Nürnberger Verwahrungsprinzip von 1423, das die dortige Aufbewahrung vorgesehen hatte, das aber bereits früher verletzt worden war, auch von den Habsburgern, die während des Einmarschs napoleonischer Truppen im Jahr 1800 die Kleinodien von ihrem damals aktuellen Verwahrungsort Aachen nach Wien brachten und nach Aufgabe der Kaiserkrone dort behielten. Vgl. Pape, Brüder, S. 174. 17 Vgl. Pape, Brüder, S. 174. 18 Eine umfassendere Untersuchung der Schaffung des Österreichbewußtseins im Rahmen von Bildungspolitik in der Frühphase stößt bereits insofern auf Hindernisse, als umfangreiche Aktenbestände „skartiert“ wurden, will sagen: „ohne Angabe von Gründen einfach nicht mehr vorhanden“ sind. Dazu zählen unter anderem die Akten der Ministerbüros der ersten drei Unterrichtsminister der Nachkriegszeit. Vgl. Fleck, Erfindung, S. 18.

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III. Nationalfragen

essanterweise verlagerte sich nicht nur Österreich, sondern auch die DDR in rapider Geschwindigkeit aus dem Bewußtsein bundesrepublikanischer Politikwissenschaft an einen außerdeutschen Ort, eine Verschiebung, die durch den politisch-intellektuellen Kulturbetrieb ganz allgemein gefördert, jedenfalls nicht verhindert wurde, obwohl die Willkür der Teilung in diesem Fall offensichtlicher war und durch den Mauerbau im Jahr 1961 noch offensichtlicher werden sollte. Es mußte trotzdem schon 1959 ein Autor aus der DDR wie Uwe Johnson sein, der mit „Mutmaßungen über Jakob“ etwas schuf, was es bis dahin nach Ansicht des Kulturbetriebs nicht gab, den „gesamtdeutschen Roman“, der zwar vom Ansatz her ein kleinstdeutscher Roman war, aber von Verleger Siegfried Unseld mit den emphatischen Worten vorgestellt wurde: „Zum ersten Mal wird in einem Roman das brennendste Thema für uns Deutsche, die Spaltung unseres Landes, aufgenommen und literarisch bewältigt.“19

Damit wurde Johnson, der sicherheitshalber mit Erscheinen seines Romans aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte, vorübergehend zum Teil der entstehenden Frankfurter „Suhrkamp-Kultur“, die sich als ein tragendes Element der von der Frankfurter Schule angestoßenen kulturellen Entwicklung in der Bundesrepublik erwies. Allerdings gehörte das Thema der deutschen Spaltung zu jenen Dingen, die als Folge dieser Entwicklung scheinbar nebensächlich und im öffentlichen Raum nicht länger diskursfähig wurden. Die proklamierte Absicht der politischen Bildung in diesem Entwicklungsprozeß war es erklärtermaßen, die Bürger zur Wahrnehmung der demokratischen Rechte zu ermutigen und sie intellektuell in die Lage zu dieser Wahrnehmung zu versetzen. Politikwissenschaft führte nach eigenem Anspruch zu politischer Bildung der Staatsbürger, nicht nur auf abstrakte Prinzipien oder Staatslehren gerichtet, sondern auf konkrete Politik. Die Umerziehungspolitik und damit die Berechtigung des Fachbereichs Politikwissenschaft gingen dabei von der Annahme einer fehlenden Beziehung der Deutschen zur Demokratie aus. Daß der Import von Demokratie eine Folge des Jahres 1945 und der Befreiung der Deutschen von ihren Irrtümern gewesen sei, gehörte zu den Grundannahmen der Re-orientierungspolitik. Tatsächlich scheinen die Verhältnisse aus dem Kaiserreich massiv dagegen zu sprechen, daß die Deutschen zur Demokratie erzogen werden mußten, soweit dem Wort eine verfassungsrechtliche Bedeutung zukam. Das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag konnte bei seiner Einführung im Jahr 1871 als das demokratischste in ganz Europa gelten. Es war frei und allgemein, es zeigte lediglich bei der Gleichheit der Stimmgewichtung Mängel, die auf der Einteilung der Wahlkreise beruhten. Andererseits bot es Gelegenheit für den leidenschaftlichen und offenen Austausch politischer Gegensätze, es ließ Raum für deutsche, polnische, elsässische und dänische Regio19 Zit. n. Michalzik, Unseld, S. 109. Auch der spätere Erfinder der bundesrepublikanischen Suhrkamp-Kultur, Siegfried Unseld verdankte seinen ersten Schritt als Autor indirekt einer amerikanischen Zensurmaßnahme, da er 1947 vom Aegis-Verlag als Ersatzautor für einen kurzfristig verbotenen Aufsatz eingesetzt wurde. Ebd. Michalzik, Unseld, S. 50.

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nalparteien, denen der Sprung in das deutsche Parlament regelmäßig gelang. Selbst aus der damaligen Perspektive verfassungsfeindliche Parteien, wie die damals noch orthodox-marxistische Sozialdemokratie, stellten in jedem unter diesem Wahlrecht gewählten Reichstag eine stetig wachsende Fraktion. Wahlbeteiligungen von mehr als neunzig Prozent waren die Regel. Daß dies zur vollständigen Demokratie durch Erweiterung der Rechte des Parlaments führen würde, galt während der Kriegsjahre 1914 – 18 in Deutschland in allen Parteien als extrem wahrscheinlich, wenn es auch nicht von allen begrüßt wurde. Freie Wahl ist ein formales Kriterium, aber zentral für die Entwicklung von Demokratie. Um Demokratie in vollem Sinn zu ermöglichen, müssen noch Elemente wie das einer unabhängigen Justiz, wirtschaftliche Freiheit, freie Presse, Streikrecht und manches andere mehr hinzutreten. All dies gab es im Deutschland der wilhelminischen Zeit in mehr oder weniger starker Verwirklichung, aber zumindest im Grundsatz. So ist es nicht überraschend, wenn die deutsche Politikwissenschaft zu dieser Zeit eine innovative Funktion hatte und unter anderem amerikanische Kollegen stark beeinflußte, wenn auch nicht jenen amerikanischen Kollegen Woodrow Wilson, der als Professor für Politikwissenschaft zum Präsidenten der Vereinigten Staaten avancierte und sowohl den innerdeutschen wie den internationalen Beziehungen eine grundlegende Reform aufzwingen wollte, die an der Realität weitgehend scheiterte. Vor diesem Hintergrund sind die Versuche kritisch zu betrachten, nach 1945 die Demokratie in Deutschland als etwas neu zu erfinden, was es zuvor nicht gegeben habe. 2. Die Politikwissenschaft und das viergeteilte Deutsche Reich „Der Bundeskanzler teilt mit, daß der Präsident des Deutschen Bundestages anläßlich der 90. Wiederkehr des Reichsgründungstages eine Rede halten wolle. Der Bundesminister des Inneren habe angeregt, daß auch die Bundesregierung aus diesem Anlaß einen Gedenkaufruf erlasse. Der Bundeskanzler hält dies nicht für erforderlich. Das Kabinett stimmt dieser Auffassung zu.“ Dialog im Bundeskabinett20

Als der juristische Rahmen, in dem die politikwissenschaftlich begründeten und verbreiteten demokratischen Rechte durch die Bürger wahrgenommen werden sollten, wurde von Seiten der Politikwissenschaft und Sozialwissenschaft das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland betrachtet. Dieser Rahmen umfasste zwar lediglich die Bürger der früheren drei Besatzungszonen in Westdeutschland, wurde 20 Sitzungsprotokoll der 135. Sitzung des Bundeskabinetts am 11. Januar 1961 zur Vorbereitung der Bundestagssitzung vom 18. Januar 1961, hier zit. n. Kabinettsprotokolle, Bd. 14, S. 62. In seiner Rede am 18. Januar erwähnte Bundespräsident Eugen Gerstenmaier dann doch den Jahrestag der Gründung des Reichs, das „bis zum heutigen Tag nicht aufgehört hat zu bestehen“.

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aber bald als repräsentativ für das ganze Deutschland eingestuft, zumal die Bundesrepublik nach eigenem Selbstverständnis einen juristischen Alleinvertretungsanspruch als Vertreter der Kontinuität des Deutschen Reichs erhob, der sich angeblich begrifflich auf alle Deutschen bezog, verstanden als Abstammungsgemeinschaft. Diese Form der Selbstverständlichkeit drängte schnell eine ganz andere Selbstverständlichkeit in den Hintergrund. Nicht in der Lage, für die nationale Katastrophe der Jahre 1939 bis 1945 einen eigenen Begriff zu entwickeln, verloren die Politikwissenschaft wie die Politik die Staatlichkeit der eigenen Nation als Einheit aus dem Blick und ließen sie zu einem westdeutsch-kleindeutschen Objekt schrumpfen. Realpolitisch gesehen mochte es in der Tat anachronistisch sein, in den Kategorien der ersten Strophe des Deutschlandliedes zu denken und damit an ein Deutschland zwischen „Maas und Memel, Etsch und Belt“. Dennoch bezeichneten diese Worte den geographischen Rahmen, in dem deutsche Politik über Jahrhunderte und bis 1945 gedacht und ausgeführt worden war.21 Deutsche Politikwissenschaft konnte dies kaum ignorieren, wollte sie vollständig und in sich widerspruchsfrei argumentieren. Entsprechend schwierig gestaltete sich das Verhältnis der bundesdeutschen Politikwissenschaft zum Deutschen Reich als Staat. Die sich zwischen 1945 und 1990 langsam faktisch herauskristallisierende Vierteilung des deutschen Staatsgebietes in die Vertreibungsgebiete, die Deutsche Demokratische Republik, die Bundesrepublik Österreich und die Bundesrepublik Deutschland wurde als solche kaum in die Analyse mit einbezogen, obwohl zumindest das westdeutsche Verfassungsrecht einige Hinweise in diese Richtung enthielt. In den drei Teilen, in denen noch deutschsprachige Identitäten zugelassen waren, wurden sie auf je spezifische Weise neu konstruiert, wobei schließlich das Österreichbewußtsein der Alpenrepublik und das Klassenbewußtsein der DDR sich als Ausdruck einer abgeschlossenen Überwindung der nationalsozialistischen Regierungszeit begriffen, während der bundesrepublikanische Verfassungspatriotismus sie im Rahmen von Vergangenheitsbewältigung auf eigentümliche Weise ins Zentrum rückte.22 Diese „Aufteilung des Großdeutschen Reiches in drei Nachfolgestaaten“ hätte die Chance zu einer vergleichenden Analyse geboten, wenn die Teilung als zunächst künstlich und die Aus21 Die Bildungspolitik hatte in den ersten Jahren nach 1945 ein stetes Problem mit der Darstellung „Deutschlands“ in Erdkunde- und Geschichtsbüchern. So verweigerte die Militärregierung 1948 einem Erdkundebuch die Zulassung, weil die Ostgebiete als Teil Deutschlands gekennzeichnet worden waren, nach Ansicht der Behörde aber zu Polen gehörten. Andererseits verweigerte das bayerische Kultusministerium 1950 einem anderen Erdkundebuch die Zulassung, weil die Vertreibungsgebiete nicht genug berücksichtigt worden waren. Vgl. Müller, Schulpolitik, S. 255. Schließlich bildete sich die Praxis heraus, Deutschland in den Grenzen von 1937 zu zeichnen und die Vertreibungsgebiete als polnisch und sowjetisch „verwaltet“ zu bezeichnen. Die Bundeszentrale für politische Bildung setzte auch hier den Maßstab und ließ bis 1962 an den Schulen 2,2 Millionen „Karten des geteilten Deutschland“ verteilen, also Deutschlands in den Grenzen von 1937. Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 90. 22 Karl Dietrich Erdmann sprach vor diesem Hintergrund von einem „dreigeteilten Deutschland“. Vgl. Botz, Kontroversen, S. 195.

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gangslage in den drei kommenden Teilstaaten zunächst als „identisch“ erkannt worden wäre. Wie es scheint, wurde der Versuch einer solchen vergleichenden Analyse allerdings lediglich mit Blick auf Teilgebiete wie den Antisemitismus und den Umgang in den drei Teilstaaten mit diesem Phänomen unternommen. Gesellschaftliche, personelle und institutionelle Wandlungen wurden dagegen nicht systematisch verglichen.23 Karl Dietrich Erdmann arbeitete offenbar als einziger seit 1985 ernsthaft an einem solchen Projekt, das er aber nicht zum Abschluß bringen konnte.24 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ging und geht bemerkenswerterweise davon aus, das Deutsche Reich bestehe in den Grenzen von 1937 weiter, als handlungsunfähiges, aber noch existierendes Völkerrechtssubjekt. Demgegenüber konnte es sich der historischen und völkerrechtlichen Betrachtung unmittelbar aufdrängen, daß das Deutsche Reich am 31. August 1939 unzweifelhaft über völkerrechtlich anerkannte Grenzen verfügt hatte, anerkannt auch von den kommenden Kriegsgegnern. Diesem Deutschen Reich hatten Frankreich und England ebenso unzweifelhaft den Krieg erklärt und nicht einem Deutschen Reich in den nach 1945 oft genannten Grenzen vom 31. Dezember 1937.25 Andererseits hatte weiterhin unzweifelhaft niemals ein Repräsentant und keine Institution eben dieses Deutschen Reichs der Reduzierung seines Territoriums zugestimmt. Wo war es also geblieben? Die Alliierten ließen diese Frage offen. Sie setzten Landkarten dieses Reiches stillschweigend auf die Liste der auszusondernden Literatur26 und übernahmen am 5. Juni 1945 durch eigene Erklärung und unter sorgfältiger Nennung ihrer völkerrechtlichen, staatlichen Eigenbezeichnungen die Regierungsgewalt in einem völkerrechtlich nicht existenten Gebilde namens „Deutschland“.27 Es folgte die Errichtung von Besatzungsstatuten in der heutigen Bundesrepublik und der heutigen Bundesrepublik Österreich, sowie die Vergabe von Verwaltungsrechten an Polen und die Sowjetunion, schließlich die de facto Ermächtigung zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei auf der Konferenz von Potsdam. Dabei wurde die Problematik der nach dem Münchener Abkommen zum Deutschen Reich gehörenden Gebiete in den Potsdamer Erklärungen nicht näher erörtert. Der berühmt gewordene Dialog zwischen den Staats- und Regierungschefs Churchill, Truman und Stalin, worüber man eigentlich spreche, überliefert die Willkür der Ansätze und die Un23 Als durchaus nachvollziehbare Begründung kann der große Aufwand gelten, der dafür notwendig wäre. Vgl. Bergmann, Erbe, S. 13. 24 Vgl. Bergmann, Erbe, S. 39. 25 Wir nennen den 31. August 1939 als Stichtag, da am 1. September 1939 von deutscher Seite einseitig der Zusammenschluß der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich proklamiert wurde. Dies fand keine allgemeine völkerrechtliche Anerkennung mehr, so daß die Kriegserklärungen vom 3. September 1939 dem Deutschen Reich in seinen Grenzen vom 31. August galten. 26 Vgl. http: // www.polunbi.de / bibliothek / 1948-nslit-u.html. 27 Vgl. Erklärung zur „Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten in Deutschland“, Hohlfeld, Dokumente, VI, S. 2 – 8. Darin enthalten die Absicht, „später die Grenzen Deutschlands, oder irgendeines Gebietes, das gegenwärtig einen Teil deutschen Gebietes bildet“ festzulegen. Ebd., S. 3.

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klarheiten, die über den Verhandlungsgegenstand Deutschland im Sommer 1945 noch herrschten: „Churchill warf ein, da das Wort ‚Deutschland‘ schon wiederholt gefallen sei, wünsche er zu wissen, wie es definiert werde. Wenn damit Vorkriegsdeutschland gemeint sei, stimme er zu. Stalin antwortete: ‚Deutschland ist, was es durch den Krieg geworden ist. Ein anderes Deutschland gibt es nicht. Österreich gehört nicht zu Deutschland.‘ Ich schlug vor, das Deutschland von 1937 ins Auge zu fassen. Darauf Stalin: ‚Abzüglich dessen, was Deutschland 1945 verloren hat‘. Deutschland, entgegnete ich, habe 1945 alles verloren. Der Marschall wies auf das Sudetenland hin, das Deutschland der Tschechoslowakei entrissen habe, und fragte, ob dieses Gebiet als Teil Deutschlands zu betrachten sei. Ich wiederholte, ich hätte das Deutschland von 1937 im Auge. Stalin meinte, unter einem formalen Gesichtspunkt könne man von einem solchen Deutschland sprechen.“28

Die vom amerikanischen Präsidenten Truman vorgeschlagene Sprachregelung schlug sich im Abschlußdokument der Konferenz von Potsdam nieder. Dies sollte es zwar nie zu völkerrechtlicher Verbindlichkeit bringen, die Konferenz sprach vieles jedoch direkt oder indirekt an und befaßte sich daher noch mit dem Deutschen Reich als Ganzes, ohne es jemals zu nennen. Sie traf zwar keine völkerrechtlich verbindlichen, wohl aber auf politisch-gesellschaftlicher Ebene äußerst radikale Maßnahmen zu dessen Auflösung. In keiner der Erklärungen der Sieger bei oder nach der Kapitulation von 1945 war allerdings vom Ende des Deutschen Reiches die Rede.29 Das konnte auch kaum anders sein, verfolgte die Potsdamer Konferenz doch noch den Gedanken einer nachfolgenden Friedenskonferenz mit dem Abschluß eines Friedensvertrags, so daß aus naheliegenden, eigentlich zwingenden Gründen das Völkerrechtssubjekt, gegen das Krieg geführt worden war und mit dem nun Frieden geschlossen werden sollte, zu dieser Zeit und zu jedem Zeitpunkt dazwischen noch existieren mußte. Die mehrfachen Urteile des bundesdeutschen Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage der Weiterexistenz des Deutschen Reichs stellen einen komplexen Versuch dar, die unübersichtliche Lage anhand den vom Grundgesetz vorgegebenen Linien in rechtlichen Kategorien zu erfassen. Das kann hier nicht näher erörtert werden. Wir begnügen uns mit der Feststellung, daß eine solche Erörterung die Aufgabe von politischer Wissenschaft und Zeitgeschichte gewesen wäre und das BunZit. n. Truman, Memoiren, I, S. 346. Vgl. auch Arndt, Versuch, S. 28. Es scheint bisher keine Gesamtuntersuchung darüber zu geben, inwieweit der Besatzungs- und Verwaltungsalltag zwischen 1945 und 1949 von solchen Fragen geprägt war. Tatsächlich ist in alliierten Briefwechseln und Verwaltungspapieren zu dieser Zeit gelegentlich vom „Reich und seinen Institutionen“ als etwas Bestehendem die Rede. Auch die Erklärung über die Auflösung des Staates Preußen aus dem Jahr 1947 bestätigt diese Haltung, denn sie wäre unnötig gewesen, wäre die Auflösung des Reichs seit 1945 als vollständig betrachtet worden. 28 29

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desverfassungsgericht nach seinem Auftrag und seinem Selbstverständnis keine Instanz zur Feststellung zeitgeschichtlicher Fakten ist. Es hat daher nicht festgestellt, das Deutsche Reich würde tatsächlich weiterbestehen. Es hat sich gemäß seinem Auftrag lediglich innerhalb des Grundgesetzes bewegt, dessen Text ausgelegt und dabei festgestellt, das Grundgesetz würde von der Weiterexistenz des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 ausgehen. Die entsprechenden Passagen im 1973 ergangenen Urteil des Gerichts über den Grundlagenvertrag halten dies ausdrücklich fest: „Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält.“30

Diese Differenz zwischen der Auslegung der Grundannahmen des Grundgesetzes anhand eines Gerichtsurteils und einer vollständigen Analyse des Vorgangs unter historischen, völkerrechtlichen und politikwissenschaftlichen Aspekten, ist ein bedeutender Unterschied, der festgehalten werden muß. Dies gilt gerade bei der Beurteilung der politikwissenschaftlichen Aussagen zu diesem Komplex. Die bundesdeutsche Politikwissenschaft sprach in Gestalt von Karl Dietrich Bracher beispielsweise vom Jahr 1945 als dem „Ende der staatlichen Existenz“ und kam in diesem Punkt zu verfassungswidrigen Aussagen: „Mit dem Hitler-Regime war auch der souveräne deutsche Staat ausgelöscht. Daß es sich nur um eine vorübergehende Suspendierung handelte, war damals nicht abzusehen. Das ist eine spätere Konstruktion der Kontinuitätslehre.“31 Hier stellt sich Bracher gegen die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, repräsentiert damit allerdings, wie zu sehen ist, die grundsätzliche Einstellung der Politik- und Sozialwissenschaften gegenüber diesen Dingen. 3. Nationale Gegenschläge und Legitimationswissenschaften „Deutschland – das ‚Ganze Deutschland‘, nicht die Bundesrepublik – ist seit 1945 Feld der Auseinandersetzung zwischen zwei Mächten oder Mächtegruppen, von denen die Geschichte noch nicht ausgemacht hat, ob es sich um Hegemonialstaaten einer pluralen Staatenwelt oder Revolutionsparteien eines Weltbürgerkrieges handelt.“ Hans-Joachim Arndt32

Politikwissenschaft mußte nach ihrem eigenen Verständnis nach den Auswirkungen der oben angesprochenen – von ihr sachlich zutreffend festzustellenden und 30 Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Grundlagenvertrag, hier zit. n. http: // servat. unbe.ch / dfr / bv036001.html#Rn078. 31 Vgl. Bracher, Diktatur, S. 504 f. 32 Zit. n. Arndt, Versuch, S. 107.

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darzustellenden – alliierten Maßnahmen auf das Politikverständnis der Bürger der Bundesrepublik fragen. Die alliierte Forderung nach der – dann nicht vollzogenen – bedingungslosen deutschen Kapitulation der deutschen Regierung, verbunden mit der tatsächlich vollständigen Besetzung des Territoriums des Kriegsgegners, bei gleichzeitiger öffentlicher Erklärung eines Annexionsverzichts durch die Alliierten, bei ebenfalls gleichzeitiger faktischer Vollziehung von Annexionen in bedeutendem Umfang hatte eine präzedenzlose Situation geschaffen. Sie mußte eigentlich Gegenstand höchsten wissenschaftlichen Interesses werden, auch mit Blick auf die künftige politische Bildung in Deutschland. Das hatte ganz praktische Gründe. Keiner der oben zitierten Staats- und Regierungschefs der „Großen Drei“ Siegermächte besaß aus seinem Amt heraus die verfassungsmäßige Kompetenz zur beliebigen Verfügung über Grenzen und Existenz anderer Länder. Sozial- und Politikwissenschaft mußte demnach die Frage stellen, wie es möglich war, daß trotz der „Checks and Balances“ demokratischer Verfassungen, die ja künftig ein zentrales Element bundesdeutscher politischer Bildung sein sollten, in Potsdam und Jalta Entscheidungen in einer völkerrechtlichen Qualität vollzogen wurden, die einen vormodernen Eroberer als Konferenzteilnehmer ohne weiteres vertragen hätte.33 Wie konnte eine Herrschaftsform wie die amerikanische, die wegen des Fehlens völkerrechtlicher Verträge für ihre Herrschaft in Deutschland keiner parlamentarischen Kontrolle durch den Kongreß unterlag, sich glaubwürdig auf demokratische Prinzipien berufen?34 Auf welche Weise war die Bildung zur Demokratiefähigkeit in einem Land möglich, dessen Einwohner auf ganz undemokratische Weise und auf Dauer eines Teils ihrer elementaren Menschenrechte entledigt wurden? Die folgerichtige und wenigstens halbwegs konsequent hergeleitete Antwort, daß dies gar nicht möglich war, gab im Jahr 1959 William S. Schlamm. Schlamm war

33 Die „Gewaltenteilung“ wurde formal zum Kernelement deutschen Demokratieverständnisses, zahlte dafür aber einen Preis bis hin zu apolitischen Konsequenzen. Alfred Grosser erntete 1960 auf der Konferenz zur Lage der Politikwissenschaft in Europa amüsiertes Gelächter mit der Feststellung, nach den Maßstäben deutscher Politikwissenschaft und des Bundesverfassungsgerichts gesehen, gäbe es in England z. B. gar keine Demokratie. Gleichzeitig stellte er fest, echte Forschungsleistungen in Bezug auf die Tätigkeit von Lobbygruppen oder die Internationalen Beziehungen der Bundesrepublik seien bis zu diesem Zeitpunkt von der deutschen Politikwissenschaft nicht geleistet worden. Es fehle an freiem Denken, die Abhängigkeit von den jeweiligen Geldgebern sei zu groß, und es würden ja auch wirklich bei unerwünschten Fragestellungen die Mittel gekürzt. Vgl. Konferenz, S. 66 f. Darauf, daß diese Wertschätzung demokratischer Formalien am Kern der Sache vorbeigeht, hatte schon Alexis de Tocqueville in seinem Klassiker über die Demokratie in Amerika. Vgl. Tocqueville, Demokratie, S. 364, Hauptgründe der Erhaltung der demokratischen Republik. 34 Ausdruck des so entstandenen Rechtsvakuums war beispielsweise die Auskunft des amerikanischen Verteidigungsministeriums im Jahr 1948, die Vereinigten Staaten hätten „wegen des internationalen Charakters der Verfahren“ keine Verantwortung für die nach 1946 in Nürnberg durchgeführten Folgeprozesse gegen die deutsche Staats-, Wirtschafts- und Militärführung. Vgl. Kranzbühler, Nürnberg, S. 25.

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ein früherer Redakteur der Berliner Weltbühne, einst Kommunist jüdischer Herkunft mit erkennbar trotzkistischen Neigungen und nach wachsender Distanz zum Kommunismus schließlich im amerikanischen Exil ins Lager des Konservativismus gewechselt. Seine Schrift über „Die Grenzen des Wunders“ in der Bundesrepublik war ebenfalls eines jener Produkte, das von Washingtoner Regierungskreisen über den „Kongreß für kulturelle Freiheit“ mit Diskretion gefördert wurde und geriet zum Buch des Jahres, das sich in wenigen Wochen über dreißigtausendmal verkaufte35 und dann bis zum Jahresende über einhunderttausendmal, bevor die Hakenkreuzinszenierungen der Jahreswende 1959 / 60 ganz andere Dinge ins Gespräch brachten. Schlamm forderte in seiner Schrift unter anderem den sofortigen Friedensschluß der Vereinigten Staaten mit der Bundesrepublik, und zwar durch Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland als „einzig legitimem Nachfolger jenes Deutschen Reiches, mit dem die Vereinigten Staaten von 1941 bis 1945 Krieg führten“.36 Dieser Friedensschluß sollte zunächst ein einseitiger sein, zu dessen Beitritt die anderen Alliierten lediglich eingeladen werden sollten, und er sollte die Bundesrepublik als Souverän über das Gebiet anerkennen, „das von der ganzen Welt – einschließlich der Sowjetunion – am Tage vor Hitlers Machtergreifung als deutsches Gebiet anerkannt war“.37 Genauere Fragen der Grenzziehung etwa mit Polen seien dann von der Bundesrepublik selbst bilateral zu verhandeln. Dies sollte nicht nur die Bundesrepublik zu einem souveränen, wirklich demokratischen Staat werden lassen, in dem der „defätistische“ Sprachgebrauch von „Wiedervereinigung“38 aus der Mode kommen sollte, da die östlich der BRD liegenden deutschen Gebiete dann eindeutig nur als ein derzeit besetzter Teil dieser BRD zu werten seien. Zugleich wollte Schlamm auch die USA aus dem Dickicht an unverbindlichen Erklärungen und Versprechungen herauslösen, in dem sie sich als Besatzungsmacht verirrt hatten. Gleichzeitig nahm Schlamm als früherer Mitkämpfer Senator Joseph McCarthys lebhaft am inneramerikanischen Diskurs teil. Eine englischsprachige Ausgabe des Buchs erschien fast parallel und seine inneramerikanischen Feindbilder waren hier, wie in der deutschen Ausgabe Walter Lippmann, George Kennan und Senator Fulbright. Interessant ist an dieser Stelle, daß selbst Schlamm trotz der Bereitschaft zu sehr weitreichenden Überlegungen und zahlreicher treffender Beobachtungen und Prognosen über den deutschen Alltag39 nicht imstande war, einen stichhaltigen Begriff Vgl. Der Spiegel, 32 / 1959, 8. August 1959. Vgl. Schlamm, Bericht, S. 246. 37 Vgl. Schlamm, Bericht, S. 246 f. 38 Vgl. Schlamm, Bericht, S. 253. 39 So hatte er unter anderem darauf hingewiesen, daß das antisemitische Potential sich in Deutschland nahe Null bewege und daß die Strafbarkeit jedweder NS-Äußerung ohne Vorliegen von Taten die Sache wie bei jeder abwegigen Idee eher reizvoller werden lasse. Auch fügte er eine Generalabrechnung mit dem fehlenden Niveau der deutschen Presse ein, was eine direkte Folge der amerikanischen Lizensierungspolitik sei, die – wie Schlamm richtig schrieb – durch Subvention der Druckkosten für die Lizenzpresse seitens der Besatzungsmacht in der 35 36

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von „ganz Deutschland“ zu entwerfen, der einer konsequenten völkerrechtlichen Prüfung standgehalten hätte. Der von ihm als Stichtag vorgeschlagene Antritt der nationalsozialistisch-konservativen Regierung im Jahr 1933 stellte kein völkerrechtlich bemerkenswertes Datum dar. Seine Verwendung würde statt dessen einen erneuten Bruch mit den selbstverständlichsten völkerrechtlichen Gewohnheiten bedeuten. Wenn der vorgeschlagene Friedensvertrag den deutsch-amerikanischen Krieg beenden sollte, der im Jahr 1941 begonnen hatte, dann mußte er zwangsläufig Regelungen über das Gebiet treffen, das am Tag vor der Kriegserklärung durch die USA als deutsches Staatsgebiet anerkannt worden war – also eben jenes Territorium vom 31. August 1939, das auch die anderen Kriegsgegner als Deutschland anerkannt hatten. Dazu sah sich Schlamm nicht imstande. Deutschland blieb somit auch bei ihm ein Phantom und Ernst Nolte konnte noch 1974 zutreffend schreiben, daß „zugespitzt gesagt“, „Deutschland in der Literatur über den Kalten Krieg nicht vorkommt“.40 Schlamm löste das Problem letztlich allzu billig, in dem er die Legalität der Zustände in der DDR und den Besatzungsgebieten bestritt, die Legalität der in der BRD und Österreich geschaffenen Zustände aber voraussetzte, also lediglich auf Kosten des Ostens einen Beitrag zum Kalten Krieg lieferte, „ganz Deutschland“ aber nicht erfaßte. Der Widerspruch zwischen Besatzungsentscheidungen und den allgemeinen Menschenrechtserklärungen, zwischen faktischer Willkür und völkerrechtlichen Standards blieb eine Sache, an der sich Intellektuelle, Politikwissenschaftler, Zeitgeschichtsforscher und die politische Bildung verhoben. Es mußte eine Elite geprägt werden, die diesen Widerspruch nicht mehr sah und die „Wiedervereinigung“ von BRD und DDR nicht mehr als defätistischen Begriff, sondern als geradezu utopisches Ziel ansah. Die Politik der frühen Bundesrepublik Deutschland bildete allerdings erstaunlich schnell einen Konsens, der zumindest Österreich, aber auch die Sudetengebiete aus dem Zuständigkeitsbereich der Bundespolitik ausklammerte. Zunächst gab es zwar durchaus prominente Stimmen, die unter ganz Deutschland mehr als nur die Grenzen von 1937 verstanden wissen wollten. Zu ihnen gehörte mit Jakob Kaiser beispielsweise ein bedeutendes Gründungsmitglied der CDU und Minister für Gesamtdeutsche Fragen, aber auch mancher Bundestagsabgeordnete von Bayernpartei und Deutscher Partei äußerte sich in dieser Richtung.41 Kanzler Adenauer wollte sich Praxis weit über ihr offizielles Ende bis 1956 aufrechterhalten worden sei. Vgl. Schlamm, Bericht, S. 126 ff. 40 Vgl. Nolte, Deutschland, S. 46. 41 Der Abgeordnete Alfred Loritz von der Wirtschaftlichen Aufbau Vereinigung (WAV) forderte in der Debatte zu Adenauers Regierungserklärung am 22. September 1949 Böhmen und Mähren als Teil Deutschlands zu betrachten. Vgl. Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 1949, Protokoll der 6. Sitzung am 24. 9. 1949. Als früherer Widerständler gegen das NS-Regime war Loritz für einige Jahre eine bekannte, aber wenig seriöse Figur der bundesdeutschen Politik. 1955 wurde er schließlich wegen Unkorrektheiten bei der Einreichung von Wahlvorschlägen angeklagt und 1959 verurteilt. Er floh und erhielt politisches Asyl in Österreich. Vgl. http: // www.georg-elser-arbeitskreis.de / texts / ge-loritz.htm zuletzt eingesehen am 7. Februar 2011.

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von solchen Erwägungen allerdings nicht sein Konzept der kompromißlosen Westbindung der zur Bundesrepublik mutierten drei Westzonen verderben lassen. In seiner ersten Regierungserklärung sagte er zur Österreichfrage einfach nichts, was immerhin keine Anerkennung der gegenwärtigen Zustände enthielt. Angesichts von Widerspruch im Plenum mußte er später doch Stellung nehmen und erinnerte in einer Entgegnung zunächst an das „Mißtrauen gegen uns Deutsche im Ausland“ und dann mit einer Gegenfrage recht deutlich an die machtpolitischen Verhältnisse: „Hat es denn einen Zweck und ist es überhaupt von Österreich gewünscht, daß wir hier von Österreich zu sprechen?“42 Auch Carlo Schmid und schließlich Kurt Schumacher für die SPD sprachen in diesem Sinn, der allerdings an wenigstens einem Punkt zur unmittelbaren öffentlichen politischen Bankrotterklärung führen mußte: an der Frage der Sudetendeutschen. So, wie sich der Konsens schließlich ausbilden sollte, existierten sie politisch gar nicht mehr, waren sie doch im Koordinatensystem „Österreich 1938“ und „Deutschland in den Grenzen von 1937“ nirgendwo unterzubringen. Dessen ungeachtet formulierte Adenauer: „In Köln hat eine Versammlung vertriebener Sudetendeutscher stattgefunden. … jeder von uns wird … mit ihnen übereinstimmen, wenn sie verlangen, in ihre freie Heimat (sic) zurückkehren zu können. Lassen Sie mich ausdrücklich betonen: Das hat mit Plänen, mit Gedanken und Gedankengängen, wie sie früher bei den Altdeutschen und später bei den Nationalsozialisten bestanden haben, gar nichts zu tun. Das ist lediglich ein Ausdruck der Liebe zur Heimatscholle, weiter nichts.“43

Noch deutlicher konnte ein absolutes politisches Desinteresse kaum formuliert werden. Die Rückkehr der Sudetendeutschen in eine irgendwann und irgendwie wieder „frei“ gewordene Heimat war demnach keine Angelegenheit, die von der Bundesregierung gefördert oder gefordert werden würde. Sie war eine apolitische Frage der „Liebe“, nicht eine des internationalen Rechts oder der Menschenrechte. Im kleinen Kreis des Kabinetts wurde dieser Punkt teilweise lebhaft debattiert. Nach einigem Insistieren von Minister Seebohm begründete Adenauer diese Position darüber hinaus noch mit einer Portion Geschichtsklitterei: „Österreich, Böhmen und Mähren sind doch nicht im Deutschen Reich gewesen. Wir geben doch nicht Österreich, Böhmen und Mähren preis, Gebiete, die seit Jahrhunderten (sic) nicht zu uns gehört haben. Ich habe den Eindruck, man kann in diesen Dingen nicht deutlich genug sprechen. Es ist keine Realpolitik, Worte wie Österreich, Böhmen und Mähren in den Mund zu nehmen. Wir machen uns damit nur lächerlich, wenn wir eine Diskussion darüber zulassen.“44

Hier mochte in Adenauer der im wilhelminischen Kaiserreich geprägte rheinländische Provinzpolitiker zum Ausdruck kommen. Von einem Zwischenspiel in der napoeleonischen Ära abgesehen, hatte die deutsche Teilung von 1866 gerade

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Zit. n. Rathkolb, Perzeptionen, S. 182. Zit. n. Rathkolb, Perzeptionen, S. 182. Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 1949, Protokoll der 6. Sitzung am 24. 9. 1949.

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zehn Jahre vor seiner Geburt zum ersten Mal nach neunhundert Jahren Österreich, Böhmen und Mähren aus dem deutschen Staatsverband herausgelöst. Daraus eine „jahrhundertelang“ gegebene Tatsache werden zu lassen, stellte eine erstaunliche Form von historischem Kurzzeitgedächtnis dar, spiegelte aber den kompromißlosem Pragmatismus, mit dem Adenauer nach 1945 jene Politik trieb, die er für die einzig mögliche hielt. Damit legte er die Grundlage für einen Dauerkonflikt mit Seebohm, der im Jahr darauf Vorstandsmitglied der Sudetendeutschen Landsmannschaft wurde und an seinen Positionen festhielt. Es blieben auch die Fragen, inwiefern die Absage an „Worte wie Österreich, Böhmen und Mähren“ und die freiwillige Beschränkung der politischen Rhetorik in der Bundesrepublik Deutschland auf die völkerrechtlich unbegründete und politisch dennoch ebenso utopische Zielsetzung der Grenzen von 1937 eine „Realpolitik“ darstellte und ob Bildungspolitik und / oder Sozialwissenschaft diesen selbsternannten Pragmatismus hinterfragen wollten, oder ihn sanktionieren würden. Auch Österreichs erster Nachkriegskanzler Karl Renner akzeptierte Realpolitik als das Unvermeidliche und wollte selbst „Gedanken“ vermieden wissen, setzte aber doch die Akzente ganz anders: „Die drei Weltmächte haben sich geeinigt, das selbständige Österreich wiederherzustellen, alle übrigen Staaten der Welt bis auf kleine Ausnahmen haben sich diesen Weltmächten angeschlossen und uns bleibt nichts übrig, als selbst auf den Gedanken eines Anschlusses zu verzichten. Das mag so manchem hart werden, aber andererseits, nach dem was geschehen ist, nach dieser furchtbaren Katastrophe, ist die einmal vollzogene Tatsache für uns alle zugleich eine erlösende und befreiende Tatsache.“45

Ein derart proklamiertes Vernunftösterreichertum traf sich mit realpolitischen Zwängen und ergänzte sich später in der Praxis mit der Entwicklung des ideologischen Überbaus Österreich wie der Bundesrepublik Deutschland. Das oben angesprochene Problem, also die Frage nach der Glaubwürdigkeit demokratischer Entscheidungsfindung angesichts von Pragmatismus dieser Art blieb dennoch zunächst ein Thema, das auch von bundesdeutscher Seite durchaus offensiv angesprochen wurde, sowohl mit Blick auf die in der sowjetischen Zone proklamierte DDR als auch auf die Vertreibungsgebiete, verbunden mit einer grundsätzlichen Horizonterweiterung der politischen Wahrnehmung. So stellte die Kultusministerkonferenz im Dezember 1956 in ihren „Empfehlungen zur Ostkunde“ einleitend fest, daß „das deutsche Geistesleben und Bildungswesen von den politischen und kulturellen Gegebenheiten des europäischen Ostens bis vor kurzem kaum Kenntnis genommen (hat), ja selbst den eigenen Osten und Südosten in verhängnisvoller Weise aus dem Blickfeld verloren hat.“46

45 So Renner am 30. April 1945 im Wiener Kanzleramt in einer Rede zu Beamten, hier zit. n. Rathkolb, Republik, S. 21. Etliche weitere Stimmen aus allen politischen Lagern und auch erste Entwürfe der Besatzungspolitik gingen bis weit in den Krieg hinein davon aus, daß Österreich Teil eines deutschen Nachfolgestaats werden würde. Vgl. Fellner, Problem, S. 218 f. 46 Zit. n. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 10.

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Dementsprechend seien Studien- und Bildungspläne auszurichten: „Der deutsche Osten muß den Deutschen, besonders der Jugend, bekannt und vertraut sein. Seine Leistung ist im deutschen Geschichtsbewußtsein zu verankern. Die Deutschen sollen ein inneres Verhältnis zu den Vertreibungsgebieten als zur Heimat eines Teiles ihres Volkes haben.“ 47

Zur Umsetzung dieser Absicht wurde noch im Jahr 1956 ein umfangreiches Programm skizziert, das beispielsweise die „Revision“ des deutschen Geschichtsbewußtseins in Bezug auf den Raum forderte, in dem sich die deutsche Geschichte abgespielt habe, nämlich eine Erweiterung dieses Raums in Richtung Osten, unter Ablösung der bisherigen Fixierung auf die „germanisch-romanische Völkergemeinschaft“. In diesem Rahmen sollte keineswegs einem platten Revisionismus das Wort geredet, sondern die Kenntnis Osteuropas gefördert werden, unter anderem verstärkt auf die Lehre und die Kenntnis osteuropäischer Sprachen Wert gelegt werden. Russisch etwa dürfe nicht nur als Ausweichsprache für „Schüler aus der SBZ auftreten“, sondern sei bei wissenschaftlichen Prüfungen für das Lehramt als Prüfungsfach zuzulassen.48 Solche Vorhaben blieben weitgehend illusorisch. Das ein Jahr später im Rahmen der Bundeszentrale für Heimatdienst eingerichtete „Ost-Kolleg“ konzentrierte sich bereits ganz passiv auf die Bekämpfung von kommunistischen Ideologismen und sowjetischem Einfluß in der Bundesrepublik. Bereits der Name wurde sorgfältig unter dem Gesichtspunkt gewählt, keinerlei Anstoß zu erregen, also nicht von „Ostpolitik“ zu sprechen, weil das als „revisionistisch“ gelten könnte, aber auch nicht von „Ostforschung“, weil der Begriff aus der NS-Zeit diskreditiert sei.49 Der Begriff des „Ostens“ enthielt im Zeitalter der Westbindung zunehmend nichts deutsches mehr, er wurde kommunistisch, sowjetzonal, allgemein fremd und weit entfernt konnotiert. So wurden im Ostkolleg Vorträge über den Nahen Osten und den Islam gehalten. Über Vorgänge in den polnisch oder sowjetisch „verwalteten“ Teilen Deutschlands, die jeder Schüler jeden Tag auf der Landkarte sah und in denen noch mehrere Millionen Menschen lebten, die in den 60er und 70er Jahren als anerkannte Deutsche in die Bundesrepublik ausreisten, erfuhr man beim Ostkolleg praktisch nichts.50 Statt – wie ursprünglich formuliert – ein BewußtZit. n. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 10. Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 13 bzw. S. 15. 49 Vgl. BA-KO B 168 / 722, Protokoll der Direktoriumssitzung des Ostkollegs am 22. November 1957 unter Teilnahme des Bundesinnenministers Schröder, S. 2 f. In der Tat schickte man aus Moskau den später vielfach als Autor zu Themen der Zeitgeschichte in Erscheinung getretenen Funktionär Lew Besymenskij auf die Reise, der sich in einem unangemeldeten Gespräch im Ostkolleg am 26. November 1959 nach möglichen nationalsozialistischen Hintergründen einzelner Ostkolleg-Mitarbeiter erkundigte. Vgl. BA-KO B 168 / 722, Vermerk Dr. Gertler vom 1. Dezember. 50 Hier soll kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, da das Ostkolleg nur am Rand ein Thema dieser Studie ist, aber dies ist der Eindruck, der sich aus den Vortragsankündigungen und den Protokollen der Direktoriumssitzungen bis in die 60er Jahre ergibt. Allgemein gesprochen, hatte die Arbeit des Ostkollegs einen Anteil daran, den Osten als Begriff zu entpolitisieren und zu entfremden. 47 48

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III. Nationalfragen

sein für den deutschen Osten im Rahmen eines gesamtdeutschen Bewußtseins zu entwickeln, machte sich auch die Politikwissenschaft daran, die Weichen mit Hilfe von Axiomen einfachster Art historisch unzutreffend anders zu stellen. Karl Dietrich Bracher beispielsweise setzte in diesem Bereich eine Norm mit der doppelten Feststellung: „Auch der nationalistische Gegenschlag der vom Dritten Reich unterdrückten Völker, nämlich die Vertreibungen im Jahr 1945 – auch dafür zeichnet Hitler verantwortlich –, ist kein Beweis für die Qualität und Eignung des nationalstaatlichen Prinzips, des nationalstaatlichen Denkens: zuviel ist zerstört worden.“51

Brachers 1969 erschienenes und auch von der Bundeszentrale für politische Bildung vertriebenes Buch über „Die Deutsche Diktatur“ ist ein bedeutendes Zeugnis für die bewußte Ablehnung des – deutschen – Nationalbegriffs durch die Politikwissenschaft überhaupt und zugleich für das Fehlen einer wissenschaftlichen Begründung dieser Haltung. Damit folgte Bracher zwar dem Ansatz der politischen Bildung der BpB, die „neben der staatsbürgerlichen Erziehung den europäischen Gedanken zu fördern und zu vertiefen“ hatte – und den deutschen Nationalgedanken damit höchstens indirekt mit einbezog.52 Das führte jedoch zu Widersprüchen, da andererseits das Nationale als Kategorie zur Analyse politischer und historischer Vorgänge selbstverständlich in Gebrauch war, auch bei Bracher. In diesen eben zitierten Passagen konstatiert er zunächst den „nationalistischen Gegenschlag“ der deutschen Kriegsgegner als eine – argumentativ potentiell positiv im Sinn des Nationalen als Faktum zu verwendende – Tatsache, die sich in einer Art physikalischem Zusammenhang als „Gegenschlag“ kausal ableiten läßt, also geradezu zwingend politische Realität wird. Damit müßte er Gegenstand und bei Bestätigung des Sachverhalts auch Voraussetzung weiterer politikwissenschaftlicher Untersuchungen werden, beispielsweise einer zeitgeschichtlich-politikwissenschaftlichen Studie darüber, inwiefern der Nationalsozialismus selbst als „nationalistischer Gegenschlag“ aus Anlaß der Außenpolitik anderer Mächte interpretiert werden müßte. Nation ist an dieser Stelle für Bracher für die Politik gegen den Nationalsozialismus die selbstverständliche Kategorie realen politischen Handelns. Dann jedoch weist er das politische Prinzip nationalstaatlicher Orientierung für Deutschland und ganz allgemein mit der nicht weiter ausgeführten Einschätzung zurück, es sei „zuviel zerstört worden“. Was genau zerstört wurde und wovon zuviel, das bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Ob nicht tatsächlich die gemeinsame nationale Erfahrung einer von Bombenkrieg, alliierter Hungerpolitik, Besatzung, Teilung und Vertreibung begleiteten militärischen Niederlage gerade ein gemeinsames Nationalgefühl Zit. n. Bracher, Diktatur, S. 537. Vgl. BA KO, B 136 / 5893, Fiche 4, Schreiben des Bundesministers des Inneren an die Kabinettskollegen vom 12. Juni 1953. In diesem Schreiben werden Beratungen über eine Publikationsreihe europafördernder Veröffentlichungen angekündigt, die das Ergebnis brachten, daß bei dieser Aktion „Ausländer, insbesondere auch die Vertreter der Alliierten Kommission nicht geladen werden“, ausdrücklich auch die UNESCO nicht. 51 52

4. Politologie für Deutsche

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und das Bewußtsein eines gemeinsamen Schicksals eher begünstigen müßte, mit welchen Folgen und wie ausgestaltet auch immer, diesen Punkt kann Bracher nicht oder nur negativ beantworten. Das führt ihn zu dem Punkt, das Nationalgefühl der bundesrepublikanischen Deutschen per Definition in der gemeinsamen Ansicht zu postulieren, das deutsche Nationalgefühl habe sich überlebt. Die Bundesrepublik müsse in überstaatlichen Organisationen und Identitäten leben, also gewissermaßen ein Nationalgefühl der permanenten freiwilligen Überwindung der Nation entwikkeln. Dies führt zu einem kategorischen Widerspruch, nicht nur zwischen Strukturanalyse und offener Situation, wie es etwa Hans Rothfels mit Blick auf Brachers Methoden kritisch anmerkte,53 sondern innerhalb der Strukturanalyse selbst. Die politischen Rechte und die Identität der Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik kommen weder gedanklich noch sprachlich vor. Für die deutschen Opfer von Vertreibung und Völkermord hat Bracher lediglich den unzutreffenden Verweis auf eine ausschließliche Verantwortung Hitlers bereit. Auch dies machte Schule und gehört zum Kanon politikwissenschaftlicher Äußerungen zu diesem Komplex bis heute. Der historische Nachweis der Vorgeschichte dieser Vertreibungen, die lange vor Hitler begann und sich im Vorfeld des Krieges von 1939 verstärkte, ist dabei noch nicht einmal das stärkste Argument gegen Brachers Ausführungen. Unmittelbar mußte es sich dem Politikwissenschaftler aufdrängen, daß die Sieger von 1945 durch gar nichts gezwungen oder gar legitimiert waren, diese Vertreibungen in Gang zu setzen und es sich demnach um ein politisches Verbrechen in reinster Form handelte, begangen aus Willkür. Bracher griff dies nicht auf. Die Verantwortung für alle Vorgänge trug Hitler und Hitler lebte nicht mehr. Damit waren für Bracher die Verantwortungsfragen abgehakt und die politischen Folgefragen ebenso. Die Politikwissenschaft und ihre Sparte Zeitgeschichtsschreibung gerieten unter diesen Voraussetzungen zur Legitimationswissenschaft machtpolitischer Nachkriegsentscheidungen, zugespitzt formuliert: zur Kapitulationswissenschaft.

4. Politologie für Deutsche Auch der Heidelberger Professor für Politikwissenschaft Hans-Joachim Arndt, der sich Ende der 1970er Jahre daran machte, eine nachhaltige Kritik der Entstehung des Fachs Politikwissenschaft seit 1945 zu formulieren und darüber hinaus den „Versuch einer Politologie für Deutsche“ startete, drang nur ansatzweise zu ihr vor. Immerhin forderte er, die Wissenschaftlichkeit der deutschen Politikwissenschaft müßte auf einem Bewußtsein der ganz besonderen deutschen ‚Lage‘ beruhen: 53 „Man kann in einzelnen methodischen Fragen anderer Meinung sein, wie z. B. insbesondere doch einen gewissen Widerspruch zwischen der Strukturanalyse und der auf die offenen Situationen hinführenden empirischen Untersuchung des Historikers als nicht geschlichtet ansehen, und wird gleichwohl dem Buch seinen hohen Rang nicht abstreiten wollen.“ Vgl. BA-KO N 1213 / 1, Nachlaß Rothfels, Gutachten von Rothfels betreffend Karl Dietrich Bracher als Politikwissenschaftler und Historiker vom 1. Juli 1958.

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III. Nationalfragen „Unser Ansatz geht von vornherein von einer solchen Lage aus als der Situation einer konkreten Gruppe – eben ‚der Deutschen‘ –, deren ‚Existenz unter der Besonderheit ihrer Umstände‘ weder normativ noch konstitutionell voll zu legitimieren ist. Damit ist auch ‚ihre Politik‘ weder normativ noch konstitutionell voll zu begreifen, sondern eben ‚bloß historisch‘. – Weil Anlaß und Anliegen unserer Untersuchung weniger die deutsche Lage als vielmehr das Vorbei-Greifen an dieser Lage durch die Kategorien und Standards der in der Bundesrepublik etablierten Politikwissenschaft und ihrer etablierten Kritik ist, beschränken wir uns im wesentlichen auf die Deutschen der Bundesrepublik.“54

Insofern blieb Arndt im Bewußtsein, daß die Beschränkung auf die Bundesrepublik in der Tat eine wesentliche Einschränkung bedeutete. Die Definition der Deutschen geriet ihm unter diesen Umständen zu einem Problem, das er durch „Mitgliedschaftsstatus, Zugehörigkeitsmerkmale, kategoriale Behandlung durch andere“ erst einmal bewußt behelfsmäßig zu lösen versuchte.55 Die oben diskutierte Frage nach der Weiterexistenz des Deutschen Reichs umging er an dieser Stelle mit dem Verweis auf Politikwissenschaftler und Historiker, die seiner Ansicht dieses Reich als Staat mehrheitlich für untergegangen erklärt hätten.56 Zugleich verwies Arndt auf die Juristen, die es im Gegensatz dazu mehrheitlich für weiter existent erklärt hätten. Eine eigene Entscheidung zu dieser Frage traf Arndt nicht, stellte aber zutreffend fest: „Hier sei nur vermerkt, daß, hätte die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik ihre Aufgabe als konkrete Lagewissenschaft sehr ernst genommen, sie allein schon hierdurch in ein ernstes Dilemma hätte geraten müssen.“57

Tatsächlich offenbart sich auch an dieser Frage der Charakter der Politikwissenschaft als einer Legitimationswissenschaft alliierter Nachkriegsentscheidungen, die im höchsten Maß politisch im Sinn von willkürlich waren. Sie setzten dabei als Norm bald den bundesrepublikanischen Staat durch. Ein echtes Dilemma der Politikwissenschaft ergab sich daraus insofern, als die konsequente wissenschaftliche Ausrichtung auf die historische „Lage“ zu einem Widerspruch gegen diese Vorgaben hätte führen müssen. Dazu zeigten sich die bundesdeutschen Politikwissenschaftler nicht bereit oder imstande. Sie akzeptierten die normative Kraft des Faktischen und gaben dies, soweit diese Frage überhaupt diskutiert wurde, als Realismus aus. Es gab Ausnahmen, von denen hier zwei erwähnt werden sollen. Wie bei anderen Gelegenheiten setzte sich auch hier Michael Freund vom Trend ab, der prinzipielle Bedenkenträger gegenüber den Politikwissenschaften auf den unten geschilderten Gründungskonferenzen. Er widmete dieser Frage 1954 aus Anlass der Zit. n. Arndt, Versuch, S. 64. Vgl. Arndt, Versuch, S. 65. 56 Arndt nennt als Beispiele Reimer Hansen: Das Ende des Dritten Reiches, S. 210 ff., Eschenburg: Die deutsche Frage (1959), Mehnert: Der deutsche Standort (1969), Tudyka: Das geteilte Deutschland, Abendroth: Die gegenwärtige völkerrechtliche Stellung Deutschlands, in: Antagonistische Gesellschaft (1967). 57 Zit. n. Arndt, Versuch, S. 67. 54 55

4. Politologie für Deutsche

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Berliner Konferenz der Außenminister der vier Siegermächte einen Aufsatz. Darin konstatierte er mit Blick auf den deutschen Staat ausdrücklich, daß nicht nur „die Staatsrechtler – fast einheitlich – sagen, daß es nicht untergegangen sei“, sondern „die alliierten Mächte selbst sich in großen Konferenzen auf den Standpunkt gestellt (hatten), daß es das Deutsche Reich noch gebe.“58 Dennoch geriet sein Gedankengang im folgenden subtil bis zur Verdeckung des eigentlichen Inhalts und konnte passagenweise sogar als Plädoyer für eine gegenteilige Auffassung verstanden werden.59 Den Grund für seinen eigenwilligen Gedankengang erläuterte Freund wie folgt: „Alle geschichtlichen und juristischen Vorstellungen scheitern an der tausendjährigen Zerstörung, die das ‚Dritte Reich‘ herbeigeführt hat. Es ist auch schwer zu leugnen, daß dem gesunden Menschenverstand die Fiktionen der Juristen über den Fortbestand eines tatsächlich untergegangenen Reichs etwas schwer eingehen. Die Weltgeschichte nimmt von den juristischen Konzeptionen wenig Notiz.“60

Diese Argumentation, wonach die Weltgeschichte auf geschriebenes Recht keine Rücksicht nehme, hatte vor damals nicht allzu langer Zeit einmal zu den Standards Hitlerscher Weltsicht gehört und seit dem frühen 19. Jahrhundert in Gestalt von Heinrich von Kleists: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht / Fragt euch nach den Gründen nicht“ keinen sonderlich positiven Einfluß auf die politische Willensbildung in Deutschland ausgeübt. Obwohl in der Sache nicht ganz falsch, wie die alliierte Kapitulationswillkür gerade in Deutschland wieder plastisch vor Augen stellte, führte diese Geringschätzung von Recht zu einer Beschränkung der politischen Sicht. So verstellte sie hier den Blick darauf, daß es ein „Drittes Reich“ juristisch nie gegeben hatte und trug wohl auch zu einer gewissen Vergessenheit darüber bei, wer eigentlich 1939 wem den Krieg erklärt hatte und wer darauf bestanden hatte, den Krieg bis zur „tausendjährigen Zerstörung“ weiterzuführen. „Politikwissenschaftlich“ präzise formuliert war dies nicht. Die Frage sei jedoch nicht so sehr die juristische, ob das Reich völkerrechtlich noch bestehe, fuhr Freund fort, sondern „ob wir wollen, daß es noch fortbesteht.“ An diesem Willen baute Freund eine Argumentation auf, die sehr wohl die Möglichkeit offen ließ, der deutsche Staat sei untergegangen, die aber auch das Gegenteil für vertretbar hielt. Beides sei möglich, auch wenn die in Jalta und Potsdam geschaffenen Tatsachen noch so gewaltig sein sollten: „Niemand verbietet uns aber, das eine oder das andere zu wollen. Für ein Volk aber ist es nicht wenig, wenn es das Bewußtsein haben darf, es sei da und könne sein neues Leben auf altes Recht und auf eine als Sein empfundene Geschichte gründen. … Wir sollten nicht so schnell sein, für tot zu erklären, was einmal in unserer Geschichte gelebt hat. Vgl. Freund, Lebt Deutschland?, S. 72. Bei Historiker Reimer Hansen blieb der Eindruck hängen, Freund würde für den 8. / 9. Mai 1945 als Tag des Untergangs plädieren. Vgl. Hansen, Ende, S. 222. 60 Zit. n. Freund, Lebt Deutschland?, S. 72. 58 59

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III. Nationalfragen Wir müssen daher wollen, daß Deutschland immer gelebt hat. Denn die Toten kehren nicht wieder.“61

Dieser Appell an Emotion und Bewußtsein baute auf einem Patriotismus auf, den die Sozialwissenschaften und die Bildungspolitik mehrheitlich seit ihrer Einführung zusehends abbauten. Er war daher zeitgebunden und argumentativ zu unpräzise, um dem ganz anderen Bild vom „schuldigen“ Sonderwegsdeutschland widerstehen zu können. Der bloße sentimental fundierte Wille, an ein weiterbestehendes Reich zu glauben, lieferte der deutschen Politik wenig Fundament für eine entschiedene Auseinandersetzung mit dem ganz konkreten völkerrechtlichen Anlauf der Siegermächte, die in Bezug auf Deutschland getroffenen Entscheidungen ohne Abkommen oder Gegenleistung stillschweigend in einen verbindlichen Dauerzustand zu überführen. Eine ganz eigene Antwort auf diese politisch wie intellektuell schwebende Situation gab in den frühen 1970er Jahren Ernst Nolte, in „Deutschland und der Kalte Krieg“. Unter dem Eindruck der Brandtschen Ostpolitik und der dabei geschlossenen Verträge sah er die vagen Aussichten auf eine „Wiederherstellung des Deutschen Reichs“ endgültig aufgegeben und zog die radikale Schlußfolgerung, Deutschland hätte die Ära der Staatlichkeit überwunden – und dies nicht zu seinem Schaden: „In dem Augenblick, wo der Verzicht auf die frühere Realität Deutschlands ausgesprochen ist, kann die Totalität der deutschen Geschichte einschließlich des Dritten Reiches von nationalpädagogischen Zwängen und Ängsten frei werden. Damit wird die Bundesrepublik zur Stätte der Möglichkeit der Wahrheit und insofern auch des Daseins Deutschlands – freilich einer schwierigen Wahrheit und eines gar nicht mehr staatlich fixierten Deutschland, dessen Definition erstmals so umfassend ist, daß sie niemanden und nichts ausstößt, sofern die Selbstbezeichnung ‚deutsch‘ gegeben war: Weder Friedrich Barbarossa noch Heinrich den Löwen, weder Karl V. noch Luther, weder Metternich noch Marx, weder Friedrich Ebert noch Adolf Hitler, weder die Bundesrepublik noch die DDR. Und darin würde sich nichts weniger als eine nationalistische Nabelschau durch die Vergegenwärtigung des Vergangenen vollziehen, denn nichts antizipiert so sehr eine künftige Einheit der Welt im Spannungsreichtum ihrer verschiedenen Staaten, Ideologien und Interessen, wie die so verstandene deutsche Geschichte.“62

Man wird in diesem Versuch, die Abschaffung des Deutschen Reichs zu konstatieren und dann über jede Nachfolgestaatlichkeit hinaus sofort zur deutschen Geschichte als Spiegel von Menschheitsfragen vorzustoßen, den Ausdruck des gleichen Problems erkennen, das die Mehrheit der Politikwissenschaft durch ihre Beschränkung auf die vage Verwaltung des bundesrepublikanischen Status quo zu lösen versuchte. Allerdings forderte Nolte explizit, deutsche Geschichte als Ganzes ins Zentrum eines vergleichenden Geschichtsbilds zu rücken und hielt damit deutlichen Abstand von der Fixierung der Politikwissenschaft auf die erste Hälfte des 61 62

Zit. n. Freund, Lebt Deutschland?, S. 76. Zit. Nolte, Deutschland, S. 602 f.

4. Politologie für Deutsche

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zwanzigsten Jahrhunderts. Auch leitete er aus der Vergangenheit keine moralischen und politischen Verpflichtungen ab, sondern die Möglichkeit zu sehen und zu begreifen. Die anscheinend radikal prägende Erfahrung des faktischen Endes der deutschen Staatlichkeit im Jahr 1945 ließ jedoch zu dieser Zeit offenbar keine Hoffnung mehr für seine politische Zukunft, aber eben auch keine intellektuelle Kraft, diese deutsche Lage als Lage eines erbeuteten Gebietes zu beschreiben, ohne den Beutestatus zu legitimieren. Die Sieger spendeten zugleich Hoffnung, im Fall der Übernahme ihrer Deutungsmuster den toten Punkt überwinden zu können. Dies geschah in den drei in staatlicher Form überlebenden Teilen des ehemaligen Kriegsgegners in jeweils unterschiedlicher Form. Während Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik sich auf verschiedene Weise jeweils gegen die nationalsozialistische Vergangenheit als eine eigene positionierten, entwickelte die Bundesrepublik Österreich im Lauf der 1950er Jahre eine Deutung als Opfer dieser Vergangenheit und Inhaber einer völlig eigenen Geschichte. Der vierte Teil Deutschlands jenseits von Oder und Neisse und östlich des bayrischen Walds geriet zum Vertreibungs- und damit Völkermordgebiet. Auf diesen Gesamtkomplex fand die Politikwissenschaft keine Antwort. Nun betrifft diese Frage die Nahtstelle zwischen Politik und Wissenschaft, auch im Bereich der Prägung neuer Eliten. Man könnte es gerade für die zentrale Aufgabe einer an wissenschaftlichen Prinzipien orientierten, unabhängigen Fachwissenschaft halten, diese Prinzipien durch eine Zeit der politischen Unmöglichkeiten aufrecht zu erhalten. Dazu mußten solche Fragen wie die nach der Existenz „Deutschlands“ oder des „Deutschen Reichs“ der Natur nach gehören, ganz unabhängig davon, welche juristisch feine Position die Regierung der Bundesrepublik zu diesen Fragen nun jeweils aktuell einnahm oder welche Art der stillschweigenden Entsorgung dieser Fragen von Seiten der Siegermächte versucht wurde. Tatsächlich betrachtete sich die bundesdeutsche Politikwissenschaft als Fachberater der Regierungspolitik und deren „politischer Bildung“ und setzte sich daher von diesen Prinzipien ab. Politikwissenschaft geriet vielfach zum Instrument der Bundespolitik und damit verkürzte sich die Perspektive des Faches, wofür man gar nicht den Verweis auf völkerrechtliche Selbstverständlichkeiten der staatlichen Kontinuität benötigt. Das hatte Konsequenzen für die Themenwahl der Politikwissenschaft auch im kleineren, konkreten Rahmen. Hans-Joachim Arndt sprach von einer „Zurückhaltung der systematischen Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik, voran die Politische Wissenschaft, … überhaupt Schlüsselereignisse aufzugreifen und zu untersuchen, die in den vergangenen dreißig Jahren die ‚Deutsche Lage‘ schlagartig zu erhellen geeignet waren.“63 Er nannte als Beispiele das Verrats-Geschehen in der und um die Bundesrepublik, so etwa den Fall Otto John,64 den Aufstand in der Zit. n. Arndt, Versuch, S. 95, Hervorhebung im Original. Auf den wir noch zu sprechen kommen werden, da er in der Tat die Hintergründe der politischen Beeinflussung der deutschen Verhältnisse beispielhaft beleuchtet. 63 64

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III. Nationalfragen

DDR am 17. Juni 1953, den die Bundesrepublik zwar zum Feiertag erklärte, den die Politikwissenschaft aber ignorierte, oder den Mauerbau im August 1961. Die politikwissenschaftliche Praxis der ersten dreißig Jahre Bundesrepublik wich den Fragen der praktischen Politik oft aus, was nichts daran änderte, daß die Politikwissenschaft selbst ihre Gründung einer politischen Entscheidung verdankte.

IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Plänen und Netzwerken 1. Sozialforschung mit Einschränkung Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 rief augenblicklich Widerstand hervor, nicht nur in Deutschland und auch nicht nur Widerstand im engeren politischen Sinn. Im März des Jahres folgten in den USA die ersten Veranstaltungen, auf denen zum Boykott deutscher Waren aufgerufen wurde und bereits im April 1933 warb Joseph Proskauer,1 der spätere Präsident des American Jewish Committee (AJC) dafür, nichtjüdischen Liberalen die Führung einer Anti-Nationalsozialistischen Bewegung anzuvertrauen.2 Der aktuelle AJC-Präsident Cyrus Adler3 sah Möglichkeiten an anderer Stelle und sorgte dafür, daß von der Verteidigung zum Angriff übergegangen werden konnte. Auf seine Initiative hin förderte das AJC künftig stärker die wissenschaftliche Widerlegung der nationalsozialistischen Rassenlehre.4 Diese Widerlegung der Rassenlehre wurde im Prinzip vorwiegend durch nicht-jüdische Wissenschaftler ausgeführt, doch kam später während des Krieges eine Kooperation des AJC mit den deutsch-jüdischen Emigranten des Frankfurter Instituts für Sozialforschung hinzu, unter anderem mit Max Horkheimer und Theodor Adorno. Der Kontakt entstand im Jahr 1942.5 Parallel dazu wurde eine Studie der emigrierten Frankfurter Sozialwissenschaftler erstellt, die das American Jewish Labor Committee finanziert hatte. Sie belegte einen tiefverwurzelten Antisemitismus in der amerikanischen Arbeiterschaft und mußte letztlich unveröffentlicht bleiben.6 Der Sponsor wollte dies nicht gedruckt sehen. 1 Joseph Meyer Proskauer (1877 – 1971), wegen des Nationalsozialismus bald nach 1933 Mitglied des AJC geworden, 1943 – 1949 Präsident des AJC. Proskauer änderte nach seiner Wahl, die er mit einer gemeinsam von ihm, Irving Lehman, Samuel Rosenman und George Z. Medaline entworfenen Wahlplattform für freie Zuwanderung nach Palästina – aber gegen einen jüdischen Staat – gewonnen hatte, 1947 offiziell den bisherigen Kurs des AJC und agitierte für einen jüdischen Staat. 2 Vgl. Cohen, Committee, S. 175. 3 Cyrus Adler (1863 – 1940). 1888 Gründungsmitglied der „Jewish Publication Society of America“, 1906 Gründungsmitglied des AJC, seit 1929 bis 1940 sein Präsident. 4 Ähnliche Ansätze hatte es bereits seit den 1920er Jahren gegeben, als das AJC dem „intelligenteren“ Antisemitismus von Housten Stewart Chamberlain und Werner Sombart mit Veröffentlichungen wie Joseph Jacobys ‚Jewish Contributions to Civilization‘ begegnete. Vgl. Cohen, Committee, S. 35. 5 Vgl. Wiggershaus, Schule, S. 394 ff. 6 Vgl. Greffrath, Zerstörung, S. 210 f., sowie Wiggershaus, Schule, S. 409 ff.

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken

Im weiteren trat das AJC an Horkheimer heran und trug ihm auf, eine wissenschaftliche Abteilung zu eröffnen, die in großem Stil ein Antisemitismus-Projekt zur Durchleuchtung des Phänomens konzipieren sollte. Dabei entstand eine ganze Reihe jener bekannten Arbeiten wie die Theodor Adornos über „autoritäre Persönlichkeiten“ oder Paul Massings7 „Auftakt zur Vernichtung“, also über die Frühgeschichte des politischen Antisemitismus in Deutschland. Sie konnten später nach Kriegsende nach Deutschland transferiert werden und übten dort mit steigendem Erfolg eine Dominanz darüber aus, was in der deutschen Bundesrepublik als intellektuell zu gelten habe und was nicht, und wo bereits „antisemitische Vorurteile“ zu wirken begannen. Hier legten sich die Mitarbeiter schließlich fest, einen wesentlichen Punkt auszusparen. Sowohl Massing wie Adorno wiesen darauf hin, „nicht alle Vorwürfe gegen Juden seien wahnhaft, sondern einige hätten auch bestimmte jüdische Züge zur Grundlage, die entweder wirklich zu beanstanden seien, oder zumindest geeignet wären, feindselige Reaktionen zu provozieren.“8 Solche Dinge seien historisch gewachsene Fakten, nicht zuletzt provoziert durch die repressive christliche Umwelt, aber sie seien real. In dem schließlich beschlossenen Forschungsprogramm kam diese Frage jedoch nicht vor, so wenig wie eine andere von Adorno für nötig gehaltene Untersuchung über die „Psychologie der Juden“, die möglicherweise eine korrekte Wahrnehmung ihrer nichtjüdischen Umwelt verhinderte. Mit der Grundsatzentscheidung, solche Aspekte nicht zu untersuchen, löste man den Antisemitismus weitgehend aus der politischen Realität und machte ihn von vornherein zu einem irrationalen Phänomen, das mit dem real existierenden Judentum nichts zu tun hatte. Dies schränkte die Wissenschaftlichkeit der nachfolgenden Arbeiten bewußt ein und hatte weitreichende Wirkungen für den ganzen Bereich geschichtswissenschaftlicher Studien, beispielsweise auch über den Nationalsozialismus. Er wurde in der Folge gleichfalls vorwiegend als irrationaler militaristisch-antisemitischer Ausbruch gedeutet, während zentrale Aspekte wie seine Wirtschafts- und Sozialpolitik, oder die nachweisbaren Aktionen seiner Außenpolitik vor diesem Hintergrund aus unbewiesenen Annahmen über Persönlichkeitsstrukturen wenig Beachtung fanden. Aus der Zusammenarbeit zwischen dem AJC und dem Frankfurter Institut resultierte später die Doppelfunktion Horkheimers als Berater des American Jewish Committee über die Verhältnisse in Deutschland und als Direktor des Instituts für Sozialforschung, auf deren Konsequenzen wir noch eingehen werden. Sie waren gerade im Bereich der politischen Wissenschaften beachtlich.

7 Paul Massing, seit 1928 Kommunist und vor 1933 engster Freund des späteren kommunistischen Renegaten Karl August Wittfogel. Vgl. Ulmen, Wittfogel, S. 160. 8 Adorno-Horkheimer, Memorandum re: Manual for distribution among Jews, 30. 10. 1944, zit. n. Wiggershaus, Schule, S. 407 f.

2. Behemoth

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2. Behemoth Besonders einflußreich unter den in Kriegszeiten entstandenen Analysen über das nationalsozialistische Deutschland geriet Franz Neumanns im Dezember 1941 fertiggestelltes Werk „Behemoth“. Mit dem Titel griff Neumann bewußt ein Thema aus der jüdischen Mythologie auf, die den Behemoth als Gegenspieler des Leviathan im Buch Hiob erwähnt. Diese beide monströsen Erscheinungen entstehen vor dem Ende der Zeiten, bekämpfen sich gegenseitig und zerstören sich nach einer Version dieser Geschichte auch gegenseitig. Eine andere Variante will wissen, daß sie am Ende von Gott selbst zerstört werden. Als Begriffe der politischen Analyse wurden Leviathan und Behemoth bereits von Thomas Hobbes verwendet, wobei dessen „Leviathan“ als Begriff für den Staat selbst bekannt wurde, während sein anderes Buch „Behemoth – oder The Long Parliament“ in Vergessenheit geriet und erst 1889 in einer Ausgabe von Ferdinand Tönnies herausgegeben wurde.9 Es ist eine Darstellung der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts als einer Zeit der absoluten Gesetzlosigkeit. Neumanns Behemoth erschien Anfang 1942 in der Londoner „Left Book Club Edition“, unter dem ausdrücklichen Vermerk, nicht für den Verkauf in der Öffentlichkeit bestimmt zu sein. Möglicherweise fürchtete man, im Fall einer breiter zugänglichen Veröffentlichung nebenbei eine neue Vorlage für nationalsozialistische Gegenpropaganda geliefert zu haben. Jedenfalls schien über die biblischen Implikationen hinaus eine besondere Form der Gesetzlosigkeit in Neumanns Augen kennzeichnend für den Nationalsozialismus zu sein. Die drei für ihn entscheidenden Fragen beantwortet er nach einer ausgiebigen, manchmal etwas abstrusen,10 aber durchaus originellen Beschreibung der deutschen Geschichte und der Vorgeschichte des Nationalsozialismus11 wie folgt: Hat Deutschland eine politische Philosophie? Nein. Ist Deutschland ein Staat? Eher nicht. Vgl. Neumann, Behemoth, S. 375. So geriet etwa die Darstellung der Vorgeschichte des Antisemitismus im 19. Jahrhundert etwas wunderlich. Es seien in Deutschland „unter liberalen Slogans“ jüdische Häuser und Synagogen zerstört worden. Der Antisemitismus sei seit den Freiheitskriegen eine „politische Kraft“ gewesen, die in der Bismarck-Ära eine „Volksbewegung“ geworden sei. Tatsächlich versuchte Bismarck die Antisemiten in Berlin kurzzeitig politisch zu benutzen, mußte aber feststellen, daß sie eben keine politische Massenbasis hatten und vor dem Ersten Weltkrieg trotz gelegentlicher Wahlerfolge ingesamt eine Randerscheinung blieben. Vgl. Scheil, Antisemitismus, passim. Auch Max Stirner reihte Neumann sowohl unter die Anarchisten als auch unter die Antisemiten ein, was wie viele andere Aussagen auf eine nicht ganz durchdachte Gedankenführung deutet. Vgl. Neumann, Behemoth, S. 95. 11 Neumann deutet den Nationalsozialismus als Wiederkehr der Verhältnisse in Renaissance und Früher Neuzeit. Faschistische Systeme und Gründungsversuche habe es in Rom schon 1347 gegeben und ein deutscher Rechtsgelehrter wie Arnold Clapmar habe 1605 in De arcanis rerum publicarum bereits nationalsozialistische Propagandatechniken vorweggenommen. Vgl. Neumann, Behemoth, S. 380. 9

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken

Was sind angesichts der dortigen Verhältnisse die zu erwartenden Trends? Diese letzte Frage erlaubte keine einfache Antwort. Neumann sah mehrere konkurrierende Machtzentren in Partei, Bürokratie, Militär und Wirtschaft, die jeweils direkte und durch kein Gesetz wirklich beschränkte Herrschaft über die Bevölkerung auszuüben versuchten. Diese Situation schätzte er als instabil ein, ohne eine weitere Entwicklung vorhersagen zu wollen. Es gebe einen starken Widerspruch, oder besser gesagt, mehrere Widersprüche in der proklamierten, vorgeblich egalitären Volksgemeinschaft. Sie würde tatsächlich nur wenige egalitäre Elemente beinhalten und statt dessen beispielsweise scharfe Gegensätze zwischen den wertschöpfenden Ingenieuren und Arbeitern einerseits, dem Regierungsapparat und der Wirtschaftsführung andererseits produzieren. Das NS-Regime habe deshalb kaum eine andere Regierungsmethode zur Auswahl, als die Regierten zu vereinzeln und zugleich zu korrumpieren. Was die Zukunft betraf und die Aussichten auf eine deutsche Niederlage, sowie die Politik für ihre Herbeiführung und diejenige nach einer solchen Niederlage, so erteilte Neumann trotz oder wegen seines vorherigen Ausflugs in die Geschichte abschließend jedem Mystizismus eine Absage. Es gäbe keine spezifische Neigung der Deutschen zu „Aggression und Imperialismus“. Beides habe bestimmbare politische Gründe in der Struktur der Industrie, dem Einparteiensystem, der Armee und der Bürokratie.12 Dazu geselle sich eine unaufhebbare Abhängigkeit Deutschlands von Zustrom aus Rohstoffen und Nahrungsmitteln von außerhalb Europas. Siegreich oder nicht, unter allen Umständen sei in seinen Augen eines sicher: „Deutschland wird enorme Zufuhren an Rohstoffen benötigen, um seine Industriemaschine am Laufen zu halten und je größer die Industriemaschine, desto mehr wird sie benötigen, und desto dringender wird der Bedarf an Handelsaustausch mit der Welt ausfallen.“13

Dies baute ein einfach und mechanisch strukturiertes Wirtschaftsszenario auf, das in manchen Elementen an die simplen Vorstellungen der deutschen Industrie- und Landwirtschaftsministerien erinnerte, die zu dieser Zeit entwickelt wurden, und die in einer auf Deutschland als künftig einzigem industriellen Produzenten zugeschnittenen europäischen Wirtschaftsordnung die Lösung dieser angeblichen Zwangslage erblicken wollten. Insofern kann dies als zeittypische und bald überholte Argumentation gelten. Als wichtiger für die Nachkriegszeit erwiesen sich die allgemeinen Schlußfolgerungen, die Neumann zog. Hatte die Titelwahl nahegelegt, man habe es beim nationalsozialistischen Staat mit der Repräsentation einer mythischen Monstergestalt zu tun, der die Feindschaft Gottes sicher und deren Niederlage prophezeit sei, so fielen Neumanns Schlußfolgerungen vor diesem Hintergrund betrachtet insgesamt moderat und rational aus. Wer die deutsche Niederlage wolle, müsse diese Niederlage planen, meinte er, nicht nur als eine militärische und ökonomische AkVgl. Neumann, Behemoth, S. 388. Zit. n. Neumann, Behemoth, S. 271. Der Nicht-Ökonom Neumann berief sich zur Begründung auf damals aktuelle Zahlen von Cleona Lewis / John C. McClelland: Nazi Europe and World Trade, Washington 1941. 12 13

2. Behemoth

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tion, sondern ebenso auf psychologischer Ebene.14 Dafür sei die Erkenntnis wichtig, daß die Deutschen von 1941 nicht mehr wie 1918 an die demokratische Ideologie glaubten – und zwar zu Recht, wie man seinen Ausführungen entnehmen konnte. Die deutsche Revolution von 1918 sei aus diesem Glauben an die Demokratie hervorgegangen, der dann betrogen worden sei: „Die Idee der Selbstbestimmung der Völker wurde nicht von der deutschen Republik betrogen, sondern von den Westmächten. … Der Völkerbund brach zusammen, aber nicht durch Fehler des demokratischen Deutschland. … Politische Demokratie allein wird vom deutschen Volk nicht akzeptiert werden, so viel hat die marxistische und nationalsozialistische Kritik an Liberalismus und Demokratie erreicht. Der Deutsche weiß, daß sich hinter politischer Demokratie ökonomische Ungerechtigkeit verbergen kann. Psychologische Kriegsführung gegen Deutschland kann daher nicht erfolgreich sein, wenn sie den bloßen Status quo als Ziel verfolgt.“15

Daraus folgten für Neumann zwei Forderungen: Dauernder Frieden könne mit der Zustimmung der Deutschen rechnen, die mehrheitlich Frieden und Freiheit, Recht und Gleichheit wollten, zugleich die SS und das Lagersystem aber ablehnten, wenn ein Rückfall ins Chaos der Weltwirtschaftskrise danach ausbleiben würde. Die psychologische Kriegsführung müsse zweitens letztlich den Mythos der nationalsozialistischen Effizienz brechen, indem die Westmächte sich als gleichwertig oder sogar überlegen effizient erweisen müßten, ohne die innere Demokratie dabei einzuschränken. Die Untersuchung mündete also in eine klare Forderung nach innen. In der Tat erwiesen sich die Demokratien dieses Krieges zwischen 1941 und 1945 letztlich als effektiver als der Nationalsozialismus, dem es zeitgleich nicht gelang, die Kreativität deutscher Ingenieure und die Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte optimal zur Geltung und zur Deckung zu bringen. Der Mythos vom „starken Mann“, der die Dinge notfalls vorwärts bringe, während in der parlamentarischen Demokratie alles zerredet werde, hielt sich nach 1945 dennoch eine Weile in der deutschen Gesellschaft. Die Erfolge nationalsozialistischer Wirtschafts- und Rüstungspolitik zwischen 1933 und 1939 waren augenscheinlich zu groß gewesen, um eine andere Bewertung zuzulassen. Sie wurden von der NS-Führung auch zu Abschreckungszwecken lautstark betont. Spiegelbildlich dazu bildete der Mythos des angeblich hochgerüsteten und effektiv-bedrohlichen NS-Staates, der eine weitgehend abgerüstete Staatenwelt angegriffen habe, einen zentralen Bestandteil der mythologischen Geschichtsdeutung der Alliierten, trotz Neumanns Empfehlung in Behemoth.16 Tatsächlich konnte der NS-Staat in keiner Phase seiner Existenz über Vgl. dazu auch Marquardt-Bigman, Analysen, S. 87 f. Zit. n. Neumann, Behemoth, S. 388. 16 Neumanns weiterhin in Diensten der amerikanischen Regierung stehender Kollege Herbert Marcuse transportierte diesen Mythos 1958 in „Soviet Marxism“ und bezeichnete das NS-Rüstungschaos dort als eine der „effizientesten Leistungen der modernen Zivilisation“. Die Langlebigkeit solcher Legenden wird auch daran deutlich, daß ein Autor wie Tim B. Müller dies kritiklos übernimmt und Marcuse „unbestrittene Sachkenntnis“ attestiert. Vgl. Marcuse, Marxism, S. 249 f. bzw. Müller, Denksysteme, S. 483 f. 14 15

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Streitkräfte oder wirtschaftliche Möglichkeiten verfügen, die denen der feindlichen Staatenwelt ebenbürtig gewesen wären. Es herrschte in den Stäben und politischen Entscheidungszentren des Westens daher über den Ausgang des Krieges von Anfang an nur wenig Zweifel, mit einer gewissen Ausnahme der Monate Mai und Juni 1940, als der von niemandem – auch von der NS-Führung nicht – erwartete, rätselhafte Kollaps der französischen Republik jede vorherige Kalkulation in Frage stellte und den Weg zum Weltkrieg eigentlich erst öffnete. Auch Neumann stellte viele Fragen in dieser Richtung nicht und auch seine Analyse kam zu vielen objektiv unrichtigen Beobachtungen, wie etwa jener einer unbremsbaren Dynamik der nationalsozialistischen Politik, die immer zum Krieg und schließlich wahrscheinlich zur Welteroberung streben würde. Dies stellte eine unpolitische und ahistorische Verkürzung des Laufs der Dinge dar. Jener Kontinentalstaat, die UdSSR, der nach einem Eoberungsfeldzug in Richtung Europa strebte, über die entsprechenden Rüstungsmassen verfügte und in seinem Staatssymbol in lässiger Geste die Weltkugel vollständig für sich in Anspruch nahm, kam in Neumanns Analyse des Behemoth fast nicht vor. Die Sowjetunion entstand aus ganz anderen Traditionen und verfolgte mit einem unterschiedlichen ideologischen Ansatz just die Entfaltung jener Möglichkeiten und Absichten, die Neumann dem NSStaat unterstellte. Daß Neumann dies nicht erwähnte, könnte ein Ausdruck intellektueller Blindheit sein, könnte aber auch eine Begründung darin finden, daß sein Name ein halbes Jahrhundert später nach der Öffnung von russischen Archiven auf den Listen sowjetischer Spione in den USA auftauchte.17 Offenbar spielte Franz L. Neumann, der Emigrant, Geheimdienstmitarbeiter zweier Seiten und wesentlicher Begründer der deutschen Politikwissenschaft ein kompliziertes Spiel. Die systematische Verharmlosung des Sowjetsystems nicht nur durch ihn mußte allerdings ohnehin eine naheliegende Folge der offenbaren Tatsache sein, daß es den Emigranten wie Neumann vorwiegend um eine Bekämpfung des antisemitischen NS-Staates ging, der zwar weder willkürlicher, noch totalitärer, aggressiver oder besser (oder auch nur vergleichbar) gerüstet war wie die Sowjetunion, der ihnen aber seinerseits ganz persönlich aufgrund ihrer jüdischen Abstammung und ihrer linksintellektuellpolitischen Prägung den Krieg erklärt hatte. Diese Beschränkung Neumanns auf eine Anklage des NS-Staats hatte deshalb auch pragmatische Gründe, die aus Neumanns Arbeit in den Vereinigten Staaten herrührten. So kreisten auch Neumanns Überlegungen und Stellungnahmen als Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdiensts und Autor des Behemoth um die Frage, wie man Deutschland dauerhaft schwächen könnte.18 In dieses Ziel fügte sich die Konstruktion eines bisher vorhandenen aggressiven deutschen Sonderwegs bestens

17 Vgl. Müller, Denksysteme, S. 68 ff. Da offenbar nicht sein kann, was nicht sein darf, unterstellt Müller indirekt, Neumann sei vielleicht ohne sein Wissen abgeschöpft worden, habe aber jedenfalls keine Sicherheitsinteressen der USA verletzt. 18 So in einem Entwurf „How to weaken Germany“, in: NA, RG 226, E 74, b 2, f: Germany-Peace, vgl. Marquardt-Bigman, Analysen, S. 193.

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ein, das auf der anderen Seite von der etwa durch Ernst Fraenkel propagierten Deutung des NS-Staats als Doppelstaat (Dual State) und der USA als „Weltmacht wider Willen“ ergänzt wurde.19 Fraenkels „Doppelstaat“ deutete, Neumann nicht ganz unähnlich, die deutschen Verhältnisse in marxistischer Terminologie als Ausdruck der Existenznöte des deutschen Kapitalismus: „Der Doppelstaat ist der ideologische Überbau über einen Kapitalismus, der von der Politik lebt, weil er ohne Politik nicht mehr zu existieren vermag.“20

Daher mußte dieser Staat angeblich rüsten, um den Kapitalismus am Leben zu halten und sich schließlich auf einen – von Fraenkel ausdrücklich als beliebig bezeichneten – „Feind“ stürzen, um die „Missionswürde des Proletariats“ zu befriedigen. In diesem von tiefgehender kategorischer Ahnungslosigkeit über die Verhältnisse skizzierten Gesamtbild erschien schließlich eine quasi vom deutschen Sonderweg erzwungene Welteroberung der USA als unvermeidlicher und legitimer Gang der Weltgeschichte. Man muß dies nicht als bewußte Manipulation geschichtlicher Ereignisse deuten. Viele Emigranten dachten offenbar tatsächlich so, zumal nachdem der aus Europa mitgebrachte Marxismus durch die Erfahrungen im amerikanischen Exil eine Brechung erfahren hatte. Mit der eindrucksvollen Erfahrung, in einem letztlich marxistischen Milieu im Rahmen des Krieges der USA gegen das nationalsozialistische Deutschland eine politische Mission zu übernehmen, unter Einsatz von Mitteln des potentesten kapitalistischen Staates des Planeten, schien sich das persönliche Erleben einer historischen Gesetzmäßigkeit zu verbinden. Eine wirkliche Absage an den Marxismus war damit nicht verbunden. Fraenkel befürwortete das amerikanische System und stellte dem deutschen Publikum trotzdem noch 1967 in einem Vortrag über das Verhältnis zwischen Universität und Demokratie als die „politisch verantwortlichen Führer der großen Nationen“ des Jahres 1917 neben US-Präsident Woodrow Wilson ganz gleichberechtigt auch „Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin“ als Beispiel für „politische Elite“ vor. Das einzige große Land, das für ihn 1917 keine Elite besessen hatte, war – wenig überraschend – Deutschland. Dessen damaliger Kanzler Georg Michaelis hatte Fraenkels negatives Beispiel abzugeben.21 Diese Gedankenwelt führte bei Fraenkel und Kollegen während des Krieges zu zahlreicher und übergroßer Skepsis gegenüber der Bereitschaft der Deutschen, sich einem demokratischen Regierungssystem anzupassen.22 Es gibt 19 Als Schlagwort wurde die „Weltmacht wider Willen“ ergänzt durch Geir Lundestads Wortschöpfung: Empire by Invitation. Eine erste Fassung des Dual State aus dem Jahr 1937 ist in Fraenkels „Materialien“ enthalten. Vgl. Fraenkel, Materialien, S. 225 – 239. 20 Zit. n. Fraenkel, Materialien, S. 238. 21 Vgl. Fraenkel, Materialien, S. 356. 22 Vgl. Marquardt-Bigman, Analysen, S. 202 bzw. S. 90. Hajo Holborn und Franz Neumann äußerten beispielsweise starke Skepsis gegenüber einem vom US-Politologen James K. Pollock verfassten Memorandum, das den Deutschen die Schaffung einer Art verbesserten Weimarer Republik ohne weiteres zutraute. Pollock wurde nach 1945 dennoch Berater von General Clay und einer der höchsten Repräsentanten der Besatzungsbehörden. Später leitete er

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in diesem Zusammenhang auch Beispiele der bewußten Unterdrückung von Forschungsarbeiten, die zu anderen Ergebnissen gekommen waren, gerade durch Ernst Fraenkel. Andererseits gab es an der Nahtstelle von amerikanischer Diplomatie und Sozialwissenschaften auch immer Stimmen, die zum Zweck der Befriedung und Kontrolle Deutschlands und Japans weniger auf psychologische Mutmaßungen oder die Verbreitung friedfertiger Ideologien setzten, sondern auf Schritte wie etwa die Zerschlagung von Monopolen oder die Kontrolle von Schlüsselindustrien. Ein Beispiel dafür bildet etwa die 1944 vom Präsidenten der sozialwissenschaftlich orientierten Brookings Institution, Harold G. Moulton verantwortete Studie über „The Control of Germany and Japan“. Sie empfahl im wesentlichen eine Wiederherstellung der deutschen Wirtschaft in vollkommener Unabhängigkeit, konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt, und dies geschah sehr wahrscheinlich unter Billigung der Vorstandsmitglieder der Brookings Institution, unter denen sich mit Dean G. Acheson, Edward R. Stettinius oder John Winant einige Personen befanden, die als aktuelle (Stettinius) oder kommende (Acheson) US-Außenminister sowie aktuelle Botschafter (Winant in London) ein gewisses Gewicht mitbringen konnten. Die Produktionstätigkeit rüstungstauglicher Industrien in Deutschland sollte allerdings überwacht werden. Moulton widmete der Friedensstiftung durch „geistige Wiedergenesung“ als möglichem Einwand gegen die empfohlene Strategie lediglich zwölf eher spöttische Zeilen.23 So entstanden dennoch eigentümliche Leerstellen im Forschungsspektrum der Politikwissenschaften. Zu der besonderen Lage Deutschlands und der Bundesrepublik im allgemeinen und zu konkreten politischen Vorgängen im besonderen hatte die Politikwissenschaft im hier untersuchten Zeitraum fast nichts zu sagen: Währungsreform, Wiederaufbau, Lastenausgleich, Familien-, Gesundheits- oder Innenpolitik, die Re-education selbst oder gar die Frühgeschichte des Fachs Politikwissenschaft in Deutschland wurden kaum zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung, aber auch der Nationalsozialismus wurde abseits seiner allgemeinen Beschreibung im Rahmen der Totalitarismustheorie kaum zum Gegenstand von politikwissenschaftlicher Betrachtung in seiner Theorie und Praxis. Hier betrat der Nicht-Politikwissenschaftler Ernst Nolte mit seiner Habilitationsschrift über den „Faschismus in seiner Epoche“ echtes Neuland und konnte Maßstäbe setzen. Die neu eingesetzten Professoren auf den ersten Lehrstühlen für Politikwissenschaft blockierten praktisch die Forschung in diesem Bereich und verhinderten die Entwicklung eines Geschichtsbilds, das den komplexen Vorgängen gerecht worden wäre. So lud beispielsweise das Landespersonalamt Hessen im Jahr 1961 zur „Hochschulwoche für Staatswissenschaftliche Fortbildung für Angehörige des Höheren lange Jahre die Franz Lieber Foundation, eine gemeinnützige amerikanische Stiftung zur Förderung des Studiums der politischen Wissenschaften mit einer Außenstelle in Bad Godesberg. Vgl. INFA, Austausch, S. 158. 23 Vgl. Moulton, Control, S. 105.

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Dienstes“ vom 24. – 30. September des Jahres in Bad Wildungen. Thema sollte die „Deutsche Zeitgeschichte“ sein, als Vortragende war ein Ensemble der profiliertesten deutschen Lehrstuhlinhaber und Publizisten gewonnen worden.24 Den Vortrag über „Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg – von außen gesehen“ hielt schließlich Ernst Fraenkel. Geplant war aber nicht nur die Abhaltung eines Seminars, sondern dessen Multiplikation durch Drucklegung der Vorträge in fünfstelliger Auflage. Fraenkel lieferte sein druckfertiges Manuskript im Februar 1962 ab. Er empfahl als einzige (sic) Literaturangabe seine eigene Schrift „USA – Weltmacht wider Willen“.25 Letzteres ist deshalb um so bemerkenswerter, als die zuständige Oberregierungsrätin Kriebel noch einmal mit Schreiben vom 22. Februar wegen weiterer Literaturangaben nachfragte und von Fraenkel zur Antwort bekam: „Mit den Literaturangaben über amerikanische Außenpolitik während der Kriegszeit ist es ein schwieriges Problem. Wo soll man anfangen, wo soll man aufhören? Die amerikanische Literatur ist insofern vorsichtig zu behandeln, als nationalsozialistische Kreise nicht faul waren, amerikanische Anti-Roosevelt-Literatur zu übersetzen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Deutsche Spezialliteratur über diese Vorgänge ist mir unbekannt (sic) mit Ausnahme eines recht guten Artikels in der Zeitschrift ‚Außenpolitik‘ über Hitler und Amerika.“26

Hier wurde also mit dem Verweis auf möglichen Nebennutzen für nationalsozialistische Kreise selbst amerikanische Literatur ausgeblendet, wenn sie ein differenziertes Bild amerikanischer Außenpolitik zeichnete.27 Zu der grundsätzlichen Ironie der Reorientation, die der deutschen Bevölkerung eine angebliche Aggressionsneigung austreiben sollte und just von einem Land wie den USA betrieben wurde, das zweimal in fünfundzwanzig Jahren von sich aus den Konflikt mit Deutschland gesucht hatte, sollte gar nicht erst vorgestoßen werden. Das zeitgeschichtliche Bild der USA und der Rooseveltschen Kriegspolitik sollte in Deutschland aus dem Eindruck eines moralisch guten und monolithisch geschlossenen amerikanischen 24 Prof. Ernst Schütte – Unsere Demokratie und das Erbe der nationalsozialistischen Diktatur; Prof. Paul Kluke – Die Ära Bismarcks und der Einfluß der Bismarckschen Außen- und Innenpolitik bis zum 1. Weltkrieg; Prof. Wilhelm Mommsen – Die Entwicklung der politischen Parteien in Deutschland; Prof. Theodor Eschenburg – Die improvisierte Demokratie der Weimarer Republik; Prof. Alfred Grosser – Die Bonner Demokratie; Prof. Hans Herzfeld – Das Problem des deutschen Heeres 1919 – 1945; Prof. Karl Dietrich Bracher – Die Auflösung der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus; Prof. Ferdinand Hermens – Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg – von außen gesehen¸ Prof. Friedrich Glum – Zusammenbruch und neuer Anfang 1945; Prof. Walter Hofer – Betrachtungen zur Problematik des modernen Geschichtsdenkens. Vgl. BA-KO N 1274 / 44. 25 BA-KO N 1274 / 44, Schreiben von Fraenkel an Oberregierungsrätin Dr. S. Kriebel vom 5. 2. 1962. 26 BA-KO N 1274 / 44, Fraenkel an Kriebel vom 26. 2. 1962. 27 Am gleichen Tag gab Fraenkel den Auftrag an Dr. Steffani weiter, die vom Landespersonalamt – also Kriebel – gewünschte Literaturliste vorzubereiten und dabei „insbesondere den Aufsatz über „Hitler und Amerika in der Außenpolitik sowie meine Schrift ‚USA – Weltmacht wider Willen‘ nicht zu übersehen“. BA-KO N 1274 / 44, Fraenkel an Steffani vom 26. 2. 1962. Geplante Auflage des Vortragsdrucks 10.000 – 15.000 Exemplare. Vgl. BA-KO N 1274 / 44, Fraenkel an Kriebel vom 14. 2. 1962.

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Blocks bestehen, obwohl Roosevelt im Rahmen seiner Politik geradezu beispielhaft ganz grundsätzliche innenpolitische Konflikte erzeugt hatte, als er den durch die Verfassung gezogenen Rahmen seiner politischen Macht bis an die Grenzen – und darüber hinaus – ausreizte. Auf diese immer möglichen Gefahren auch einer formal demokratischen Verfassung und deren Bewältigung im Rahmen der amerikanischen Innenpolitik hinzuweisen, hätte dem deutschen Publikum nicht nur ein angemessen differenziertes Bild der amerikanischen Politikwirklichkeit geliefert, sondern es gemäß dem Bildungsauftrag einer „Staatswissenschaftlichen Fortbildung“ auch zu Wachsamkeit und Mitarbeit bewegen können. Dies war jedoch offenbar nicht das Ziel der Fortbildung. Zumindest Fraenkels Ziel bestand in der kritiklosen Übernahme einer von ihm erarbeiteten Deutung, in der die amerikanische Welteroberung alternativlos und gut erschien. Fraenkel hatte dies konsequenterweise im anliegenden Manuskript vollzogen, das aus seinem Vortrag in Bad Wildungen hervorgegangen war. Die Vereinigten Staaten konnten in dieser Interpretation gar nicht anders, als ihre Interessen und die Interessen der Zivilisation in Afrika, Asien und Europa legitim zu vertreten – einerseits notwendig, weil die Interessen der USA deckungsgleich mit denen der Zivilisation seien, zugleich aber „wider Willen“, also nicht als kalkulierte Machtpolitik. Die USA als „Weltmacht wider Willen“ ist die zentrale Botschaft Fraenkels, die ein Hinterfragen ihrer offensiven Kriegspolitik erschwert, während eine unkontrollierbar offensive Kriegspolitik des deutschen Staats als gegebene Tatsache verbreitet wurde. Zurück zu Franz Neumann. Er nahm in der Entwicklung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik später eine Schlüsselrolle ein, die sich bereits bei der Abfassung des Behemoth andeutete.28 Die Liste der Personen und Institutionen geriet lang und prominent, bei denen er sich im Dezember 1941 für die Unterstützung in dieser Sache bedankte. Viele der hier genannten Personen und Institutionen arbeiteten vor und nach 1945 daran, die von Neumann geforderte deutsche Niederlage auf psychologischem Feld abzurunden. Das zu dieser Zeit an der Universität Columbia angesiedelte Institut für Sozialforschung stellte den Kern seiner Mitstreiter. Max Horkheimer, Frederick Pollock, Herbert Marcuse hatten das Manuskript gelesen, Otto Kirchheimer Kommentare zu rechtlichen Aspekten gegeben, A.R.L. Gurland lieh sein Wissen über die deutsche Industrie, D. V. Glass beriet zu Bevölkerungsaspekten, O. K. Flechtheim steuerte Wissen zum Kapitel über die Weimarer Republik bei, zu deren Rechtssystem auch E. J. Gumbel kompetente Auskunft gab. Gumbel hatte 1924 als Heidelberger Universitätsdozent einen großen Skandal durch Andeutungen über die in „Unehre“ gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs ausgelöst und mit Veröffentlichungen über die seiner Meinung nach fehlende juristische Verfolgung rechtsradikaler Verbrechen nachgelegt. Schließlich wurde ihm im Sommer 1932 die Lehrbefugnis entzogen und er verließ Deutschland. Ein Jahr später bürgerten ihn die Nationalsozialisten aus und nach Jahren als Dozent in 28 Zu dieser Schlüsselrolle gehörte auch seine Funktion als Mentor von Raul Hilberg und dessen Deutung der Ermordung der europäischen Juden als eines bürokratischen Prozesses. Vgl. Wildt, Generation, S. 857.

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Paris und Lyon ging er 1940 schließlich in die USA und lehrte zur Zeit der Abfassung des Behemoth an der New School for Social Research.29 Einen Teil des Manuskripts über „Germanys New Order“ hatte Neumann ohnehin als Gutachten für das American Jewish Committee verfasst, genauer für dessen „Research Institute on Peace and Post-War Problems“. Professor Robert McIver hatte das Schlußkapitel gelesen und wertvolle Anregungen gegeben. Schließlich sorgte Professor Alfred E. Cohn vom Rockefeller Institute for Medical Research für einen Druckkostenzuschuß. So haben wir hier im Behemoth insgesamt eine konzertierte politische Aktion vorliegen, die zudem enge Kontakte zu amerikanischen Regierungsinstitutionen und -kreisen vorweisen konnte. Neumann war so gut wie zahlreiche andere Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung ein Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes, den Präsident Roosevelt am 11. Juli 1941 zunächst unter der Bezeichnung „Coordinator of Information“ (COI) ins Leben gerufen hatte und der von William Donovan geleitet wurde. Aus dem COI wurde bald im Jahr 1942 das Office of Strategic Services (OSS), ebenfalls von Donovan geleitet und dieses OSS leistete sich unter anderem eine Abteilung namens „Research and Analysis Branch“ (R&A), die William Langer unterstand und der auch Neumann zuarbeitete, ebenso wie andere deutsche Emigranten, darunter Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer, John Herz30 und Felix Gilbert.31 Die amerikanische Regierung machte sich zu Kriegszeiten das Wissen dieser Emigranten zu eigen, die überwiegend wegen ihrer jüdischen Wurzeln Deutschland als Folge der antisemitischen Politik des NS-Regimes verlassen hatten und nach 1945 entweder dorthin zurückkehrten oder auf die Gestaltung der bundesdeutschen Politik und Hochschullandschaft von den USA aus Einfluß nahmen. Es ist nicht zuviel gesagt, daß in dem Emigrantennetzwerk zu jener Zeit jene Netzwerke entstanden, die nach der militärischen Besetzung Deutschlands im Jahr 1945 und in den Folgejahren die intellektuelle Eroberung und Umgestaltung von dessen westlichen Besatzungszonen möglich machten. Über diese Zusammenhänge existiert inzwischen eine Reihe von Forschungsstudien.32 Allerdings beruhen diese Studien auf der Freigabe von ehemals geheimen Vgl. Wildt, Generation, S. 83 f. Gumbel starb 1966 in New York. Eigentlich Hans Hermann Herz, 1938 in die USA emigiriert und als John H. Herz eingebürgert. Veröffentlichte 1938 im selben Verlag wie Hermann Rauschning unter dem Pseudonym „Eduard Bristler“ eine Kampfschrift über „Die Völkerrechtslehre des Nationalsozialismus“. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 132. 31 Vgl. dazu auch Marquardt-Bigman, Analysen, S. 7 f. Als Besatzungsoffiziere kehrten auch Emigranten wie der Historiker Walter L. Dorn und Werner T. Angress zurück. Dorn hatte in der Kriegszeit für das OSS gearbeitet, u. a. als erster Direktor der Research & Analysis Branch. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 26 und S. 64, sowie Dorn, Inspektionsreisen, passim und Füssl, Umerziehung, S. 39. Dorn erwies sich als lebhafter Kritiker des Versuchs, Professoren an deutschen Universitäten nach einem Entnazifizierungsverfahren wieder zuzulassen. Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 98 f. 32 Etwa die Bände von Alfons Söllner, Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration, oder die von ihm herausgegebene Aufstellung: Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Siehe auch Barry M. Katz: Foreign Intelligence. 29 30

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Quellen und Berichten, Jahrzehnte nach Kriegsende. Als Neumann, Marcuse und die zahlreichen anderen Personen mit ähnlicher Biographie in den fünfziger Jahren nach Deutschland zurückkehrten, um sich gegenseitig als „academic stars“ feiern zu lassen, da war dies keineswegs eine Angelegenheit, die in irgendeiner Form Transparenz ausstrahlte. Die deutsche Öffentlichkeit akzeptierte diesen intellektuellen Anspruch notgedrungen in verbreiteter Unkenntnis.

3. Emigration als Ort von Netzwerkproduktion Nach 1933 führte die steigende Zahl von wissenschaftlichen Emigranten aus Deutschland zu ersten Hilfsmaßnahmen für die von sozialem Absturz bedrohten Akademiker. Zugleich entstanden Schicksalsgemeinschaften, die zu Netzwerken werden sollten und dies später in erstaunlichem Ausmaß blieben. Diesen Zusammenhang zu konstatieren, scheint der Sachlage angemessen, auch wenn sich kaum im Detail nachweisen läßt, inwiefern die intellektuelle Entwicklung und der innere Zusammenhalt durch die gemeinsame Emigrationserfahrung vieler durch die NSRassengesetzgebung betroffener Wissenschaftler geprägt wurden, oder ob bereits vor der Emigration „(sub-)kulturelle Gemeinsamkeiten“ vorhanden waren, „deren sie sich, weil sie keine Juden mehr sein wollten, vielleicht gar nicht bewußt waren“.33 Es ist nicht unmöglich, daß beides zusammentraf. Zweifellos schuf die Verfolgungserfahrung ein besonderes Gemeinsamkeitserleben, wie auch der hohe Anteil an Personen mit jüdischem Hintergrund in Politik- und Sozialwissenschaften, sowie unter den von der Ausgrenzung nach 1933 schnell betroffenen Juristen sich als Ausdruck von Gemeinsamkeiten deuten läßt. Christian Flecks Einschätzung, wie auch immer man diese Fragen beantworten wolle, es mache Sinn, sie wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, dürfte zutreffend sein. Gerald Stourzh nennt in seinem Aufsatz über die deutschsprachige Emigration in den Vereinigten Staaten einige Namen von emigrierten deutschen Historikern, denen ein „Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars“34 oder die Rockefeller-Stiftung Hilfe verschiedener Art angedeihen ließ: Hans Baron, Fritz Epstein, Felix Gilbert, Hajo Holborn, Ernst Kantorowicz, Arthur Rosenberg, Hans Rosenberg35 und Veit Valentin. Damit sei die Reihe der Emigranten keineswegs erschöpft, so Stourzh, der außerdem noch Dietrich Gerhard und Hans Rothfels hinzufügt.36 Dazu müssen seiner Ansicht nach noch eine ganze Reihe jüngerer Wissenschaftler der Jahrgänge 1915 bis 1927 gezählt werden, die „aus den Jahren ihrer

Vgl. Fleck, Erfindung, S. 110. Vgl. dazu die von Stephen Duggan verfasste Geschichte dieses Komitees, S. 204 ff. Eine wesentliche Rolle bei der Gründung des Komitees nahmen Felix Warburg und Alfred E. Cohn ein. Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 94. 35 Autor u. a. von: The Rise of the Junkers, in: American History Review 1943 / 44. 36 Vgl. Stourzh, Emigration, S. 65. 33 34

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Kindheit und Jugend, durch Muttersprache und Elternhaus mit Europa verbunden sind, deren Mehrzahl wahrscheinlich nicht eine freiwillige Auswanderung angetreten hätte und deren wissenschaftliches Werk in seiner Themenwahl deutlich die geistige Verbundenheit mit Europa, insbesondere mit der deutschen und österreichischen Geschichte, anzeigt“.37 In der Tat hat diese illustre Runde an Namen in den Jahrzehnten nach 1945 die Geschichtsschreibung mitgeprägt, zumal die Zeitgeschichtsschreibung: Robert A. Kann, Hans Gatzke, Klemens von Klemperer, Theodor von Laue, Walter M. Simon, Peter Gay, Arthur Haas, Fritz Stern, Klaus Epstein, Arno Mayer und Gerhard L. Weinberg. Solche Namenslisten haben natürlich nur begrenzte Aussagekraft. Stourzh hat in seinem Aufsatz selbst bereits einleitend bemerkt, wie schwierig, ja eigentlich unmöglich eine Einordnung der intellektuellen Geschichte und des Einflusses dieser im engeren oder weiteren Sinn ‚emigrierten‘ Wissenschaftler ist. Er zitiert zustimmend Franz L. Neumann, der 1953 gewissermaßen in eigener Sache geschrieben hatte: „Es ist fast unmöglich, den Beitrag des deutschen Exils zu den Sozial- und Politikwissenschaften zu bewerten. Die Natur des Nazi-Regimes führte zur Emigration von Wissenschaftlern von grundsätzlich unterschiedlicher Ausrichtung, sowohl politisch wie theoretisch.“38

Ein Abbild dieser Gemeinsamkeiten und Differenzen gibt der zweite Teil von Stourzh’ Betrachtung, der den Politikwissenschaftlern gilt.39 Von diesen „Politikwissenschaftlern“ unterscheidet er nicht ganz akkurat (Fraenkel z. B. war eigentlich ebenfalls Jurist) die Juristen, Soziologen, Nationalökonomen und Spezialisten für ‚International Relations‘, die erst in den USA zu Politikwissenschaftlern geworden seien: John H. Herz (Pseudonym: Bristler), Erich Hula, Otto Kirchheimer, Karl Loewenstein (den wir als Vertreter der Militärregierung bei der Gründung der Politikwissenschaft kennenlernen werden), Hans J. Morgenthau, Robert Neumann, Franz L. Neumann, Ernst Jaeckh, Richard Behrendt. Als Vertreter der Political Science kamen nur Ossip Flechtheim und Egon Ranshofen-Wertheimer vor.40 Stourzh rechnet die Forschungsleistungen der emigrierten Wissenschaftler hauptsächlich den drei Themenkomplexen ‚Comparative Government‘, ‚International ReVgl. Stourzh, Emigration, S. 66. Franz L. Neumann, „The Social Sciences“, in: The Cultural Migration – The European Scholar in America, hrsg. v. Franz L. Neumann, Henri Peye, Erwin Panofsky, Wolfgang Köhler und Paul Tillich, Philadelphia 1953, S. 23, hier zit. n. Stourzh, Emigration, S. 62. (Weglassung im Original). 39 Ernst Jaeckh, Arnold Wolfers, Hans Simons, Sigmund Neumann, Max Horkheimer, Theodor Adorno, Herbert Marcuse, Franz L. Neumann, Arthur Rosenberg, Ernst Fraenkel, Franz Neumann, Hans J. Morgenthau. 40 Keine Unterstützung des Hilfskomitees erhielten: Arnold Brecht, Ernst Karl Winter oder Hans Kelsen. Keine Angaben: Hannah Arendt, Walter Gurian, Eric Voegelin. In seiner Bibliographie der Emigration geht Stourzh auf weitere betroffene Personen ein: Henry Kissinger, Arnold Bergstraesser, Friedrich Engel-Janosi, Fritz T. Epstein, John Fried, Felix Gilbert, Robert Kempner, Gerhard Masur, Fritz Morstein Marx. 37 38

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lations‘ und ‚Political Theory‘ zu.41 Aufgrund der antisemitischen Politik des NSRegimes stellten unter den Emigranten diejenigen, die nach Auffassung des Regimes als Juden zu gelten hatten, buchstäblich zwangsläufig einen Großteil. Soweit sich vor 1933 unter ihnen allenfalls vage Gemeinsamkeiten der Herkunft gefunden hatten, solche des oft nicht mehr praktizierten Glaubens oder ähnlich ausgerichteter, meist im weiteren Sinn ‚Links‘ ausgerichteter, politischer Interessen, machte die gemeinsame Emigrationserfahrung aus ihnen eine stärker verbundene Gruppe. Zur Verfolgung als Motiv gesellte sich noch die neue Prägung als Politikwissenschaftler, die bei allen zu gleicher Zeit und in ähnlicher Atmosphäre erfolgte. Dieser Zusammenhang zwischen Verfolgung und Verbindung war ein Effekt, der vielfach zu beobachten war. Arnold Bergstraesser etwa hatte als Kriegsfreiwilliger von 1914, Verwundeter und Träger des Eisernen Kreuzes durchaus nationalrevolutionäre Sympathien für den Nationalsozialismus besessen.42 Er verlor aber dennoch im Jahr 1936 wegen seiner jüdischen Großmutter seine Heidelberger Professur und mußte ins Exil gehen – wo er dann 1941 / 42 vom FBI verhaftet wurde und für einige Monate im Internierungslager landete, eben wegen seiner ursprünglichen Ansichten, oder besser gesagt, wegen der Art und Weise, wie sie von anderen Emigranten wie Emil Gumbel dargestellt wurden.43 Golo Mann verstieg sich soweit, Bergstraesser im Jahr 1942 „einen moralisch schuldigen akademischen Wegbereiter der Katastrophe“ zu nennen.44 Die Irrungen und Wirrungen der Zeit trafen die Emigration auf eigentümliche Weise. Zweifellos resultiert ein Teil der ursprünglichen Entfremdung zwischen den Sozialwissenschaften und den in Deutschland angetroffenen Verhältnissen aus diesen ganz unterschiedlichen Erfahrungen. Eine Ausnahme bildete hier der Kreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, dessen personelle Zusammensetzung sich bei den Ortswechseln von Frankfurt an die New Yorker Columbia Universität und zurück im Kern nicht änderte. Hier war und blieb zugleich die im näheren oder weiteren Sinn „jüdische Herkunft“ ein allen wesentlichen Personen gemeinsames Merkmal, was an den erheblichen Differenzen in der Sache nichts änderte. Die Analysen der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland und die Ansichten über die wünschenswerte Konsequenz, die in Bildungsarbeit und Vergangenheitsbewältigung aus diesen Zustände zu ziehen seien, wichen unter den Institutsmitgliedern erheblich voneinander ab. Die intellektuellen Beziehungen zwischen Personen wie Max Horkheimer, Theodor Adorno und Herbert Marcuse erreichten beispielsweise einen Grad der Inkompatibilität, der den Begriff „Frankfurter 41 Vgl. Stourzh, Emigration, S. 71. Bemerkenswerterweise, aber nicht untypischerweise werden im Aufsatz von Stourzh keine politischen Hintergründe des Hilfskomitees genannt oder die Einflußnahme der amerikanischen Regierung oder gesellschaftlicher Kreise angesprochen. 42 Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 143 f. 43 Vgl. Krohn, Fall, passim, bzw. Mohr, Politikwissenschaft, S. 144. Wie Bergstraesser stand auch Eric Voegelin als „national“ in der Kritik der übrigen Emigration und konnte erst mit gewisser Verzögerung wieder eine Professur in der Bundesrepublik übernehmen. Vgl. Bleek, Politikwissenschaft, S. 279. 44 Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 125.

4. Vom Schulbuch zum geschulten Re-Educationdenken – West

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Schule“ als einen vom Eindruck der späteren Wirkung erzeugten Einheitsbegriff zeigt, dem zeitgenössisch keine wirkliche Einheit als „Schule“ entsprochen hat. Insofern symbolisiert gerade die Frankfurter Schule die Gleichzeitigkeit von inneren intellektuellen Gegensätzen und äußerlich als Einheit wahrgenommener Wirkung.

4. Vom Schulbuch zum geschulten Re-Educationdenken – West „Man sieht, daß im Gegensatz zu der sehr vagen Formulierung im Potsdamer Abkommen die Thesen des Alliierten Oberbefehlshabers und der Militärregierung wesentlich konkreter sind und viele Elemente der bald einsetzenden internationalen Schulbuchrevision enthalten. Insofern kann man ohne Übertreibung sagen, daß in diesen Anweisungen der sogenannten ‚re-education‘ ein Keim der späteren Schulbucharbeit steckt.“ Otto-Ernst Schüddekopf45

Die Basis für den Neustart der bundesdeutschen Schulausbildung wurde bereits 1944 gelegt. John W. Taylor, der spätere Leiter der Erziehungsabteilung von OMGUS, entwarf das Programm im Jahr 1944 im Rahmen der Education & Religious Affair Branch des US Group Control Council. Aus 250 Schulbüchern der Weimarer Zeit stellte man eine zwanzig Bände umfassende Schulbuchkollektion zusammen, die im Winter 1944 / 45 in Bonn und Aachen in einer Auflage von 40000 Exemplaren gedruckt und mit den vorrückenden Truppen verteilt wurde. Bis zur Wiedereröffnung der Schulen in der amerikanischen Besatzungszone im Oktober 1945 lagen dann bereits 5,5 Millionen dieser Notschulbücher im Druck vor.46 In Österreich wurde zunächst der gesamte Bestand an Büchern in Volks-, Haupt, Sonder- und Mittelschulen abtransportiert und eingestampft.47 Aber auch in anderen Teilen des besetzten Kriegsgegners überließ man so wenig wie möglich dem Zufall und besorgte im Lauf des Jahres 1946 das nötige Papier für weitere Auflagen durch die umfassende Vernichtung der sogenannten „Literatur nationalsozialistischen und militaristischen Charakters“, die an einhundert Sammelstellen abzuliefern war und eingestampft wurde.48 Zu erkennen waren diese Eigenschaften bei Schulbüchern an der besonderen Erwähnung „all jener Irrtümer über Rasse und Volkstum, über Germanen- und Christentum, über das Heroische in der Geschichte, über die Alleinherrschaft des Staatlichen selbst in der Kultur und nun gar über die letzten Zeiten vor dem Nationalsozialismus, die alle zugunsten der

45 Zit. n. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 17. Gemeint sind die Anweisungen von 1945, wonach kein Schulbuch: 1. Militarismus glorifizieren, 2. Pro-Nationalsozialistisch argumentieren, 3. rassisch oder religiös diskriminieren, 4. die Beziehungen zwischen den ‚Vereinten Nationen‘ stören und 5. in irgendeinem Aspekt kriegsvorbereitend nutzbar sein durfte. 46 Vgl. Müller, Schulpolitik, S. 250 f. 47 Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 38. 48 Vgl. Müller, Schulpolitik, S. 250.

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken Partei und ihres Führers ins Dunkle gefärbt werden mußten. Das alles waren Geschichtsfälschungen, deren Beseitigung eine Pflicht der Wahrhaftigkeit ist.“49

Geschichtsbücher gab es unter den jetzt neugedruckten Schulbüchern zunächst einmal gar nicht.50 Denn die Präsentation entsprechender Inhalte stellte eine große Herausforderung für die amerikanischen Behörden dar, die selbst noch aus einem Land der Rassentrennung und der rassistischen Einwanderungsgesetzgebung kamen, die im Rahmen der eigenen Streitkräfte und deren Besatzungspolitik selbst Rassentrennung praktizierten51 und das Heroische in der Geschichte selbstverständlich hoch schätzten, wenn es ein Heroentum US-amerikanisch-demokratischer Prägung war. Auch hier zeigte sich in den Deutschlandplänen der Einfluß eines gerade in den USA selbst nicht selbstverständlichen Reformdenkens, das diese Dinge in den besiegten Ländern zu diskreditieren suchte, aber im eigenen Land zu dieser Zeit selbst – noch – eine Minderheitenposition einnahm.52 Befragungen aus der Perspektive dieser Minderheitenposition heraus ergaben für die unmittelbare Nachkriegszeit unter wenigstens der Hälfte der deutschen Jugendlichen „unmißverständlich“ nationalsozialistische Ansichten, zu denen die Befrager aus ihrer Sicht folgende Stellungnahmen rechneten: „Diese Elemente weisen die Theorie der Kollektivschuld zurück, führen die Ursprünge des Krieges auf das Fehlen von Lebensraum zurück (oder auf die Juden, die Briten oder die Polen), schreiben die Niederlage dem Verrat zu, erwarten eine baldige Rückkehr zum Nationalsozialismus, polemisieren gegen die Sowjetunion und bleiben ohne Mitgefühl gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus.“53

Auch diesen Haltungen sollte durch die Herausbildung neuer Jugendorganisationen und einer neuen „Leader“-Schicht ein Ende bereitet werden. In der britischen Zone wurde zu diesem Zweck ein begrenztes Austauschprogramm in Gang gesetzt, 49 So Walter Goetz über „neuen Geschichtsunterricht“ in der „Neuen Zeitung“ vom 7. November 1947. Von den amerikanischen Zensurbehörden ging zugleich eine deutliche Tendenz aus, die deutsche Geschichte zu verkürzen. Erwähnungen etwa der Schlacht im Teutoburger Wald wurden vorzugsweise ganz gestrichen. Karl der Große, der ganz ähnliche Teile Deutschlands beherrscht hatte wie die US-Behörden, sollte trotz seiner Residenzstadt Aachen im Schulbuch nicht als deutscher Herrscher erscheinen. Vgl. Braun, Bildungspolitik, S. 99 f. 50 Vgl. Liddell, Education, S. 120. 51 Afro-Amerikaner wurden in der Logistik, Weiße bei den Kampftruppen eingesetzt. Die Militärregierung beschäftigte im Hauptquartier keinen farbigen Offizier. Für diese und weitere Beispiele vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 107. 52 Das mochte im Rückblick anders aussehen. Hildegard Hamm-Brücher, seit 1945 Redakteur der „Neuen Zeitung“ und später ebenfalls im Rahmen eines akademischen Austauschprogramms mit einem USA-Aufenthalt ausgestattet, bedauerte im Jahr 1960 die Zurückhaltung bei der Übernahme amerikanischer Vorgaben in Schul- und Bildungswesen: „Wie viele Umwege, Irrtümer, ideologiebefrachtete Schulkämpfe und Fehlinvestitionen hätten wir uns ersparen können, wenn sich die Schul- und Reformvorschläge der Alliierten, die ja im wesentlichen den Reformprogrammen der fortschrittlichen Parteien entsprachen, bereits in den ersten Nachkriegsjahren durchgesetzt hätten.“ Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 95. 53 Zit. n. Kellermann, Status, S. 3.

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das führende Mitglieder englischer Jugendorganisationen nach Deutschland brachte und zu einem völligen Neuaufbau an Jugendorganisationen führen sollte, bei dem jedes einzelne Mitglied eine Überprüfung durch die Besatzungsbehörden zu durchlaufen hatte und das alle irgendwie vor 1945 aktiven Mitglieder in der Regel ausschloß.54 Am Ende gelang die Umsetzung der neuen Grundsätze für die Schulbücher nur im Ansatz, obwohl die alliierten Behörden über die oben geschilderten ersten Ansätze hinaus weitere Anstrengungen unternahmen, um die bisher in Deutschland vorhandene Literatur und Sachbücher durch andere zu ersetzen.55 Die Vorarbeiten für diese Tätigkeit reichten in Großbritannien ebenfalls bis in die Kriegszeit zurück, wo die britische Historical Association bereits während des Krieges mit der Ausarbeitung eines Programms zur Schulbuchrevision in Deutschland begann, das dann „für die UNESCO und auch die britisch-deutsche Schulbucharbeit von großer Bedeutung“ wurde.56 Dennoch blieben die Erfolge dieser Programme bis in die sechziger Jahre begrenzt. Im Umfeld der Hakenkreuzaffären der Jahre 1959 und 1960, über die weiter unten noch ausführlich zu berichten sein wird, wurde deshalb im Januar 1960 auch das Thema Schulbuch angesprochen. In den deutschen Schulbüchern hatten Formulierungen an Verbreitung gewonnen, die von einer bedingungslosen Verurteilung des Nationalsozialismus zu einer eher neutralen Betrachtung beitragen konnten und damit zu einer Verunsicherung der Schüler, die nicht gewünscht sei. Dies wurde auf einem Treffen im Rahmen eines Arbeitsessens angesprochen, das für den Direktor und den Pressechef der Anti-Defamation-League unter Beteiligung des Bundespresseamtes, des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Inneren gegeben wurde. Die Besucher aus den USA betonten, nicht wegen der damals aktuellen Kölner Aufregungen um die Hakenkreuze an deutschen Synagogen und Hauswänden gekommen zu sein, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen. Der Generalsekretär der Ständigen Konferenz der Kultusminister, Kurt Frey57, repräsentierte auf diesem Treffen die Kultusministerkonferenz (KMK) und erläuterte den anwesenden Teilnehmern, was an den gegenwärtigen Schulbüchern zu kritisieren sei, die zu viel Wert auf Wissensvermittlung legen und im Bereich Geschichte einen klar erkennbaren Zug zu „Verharmlosung“ in sich tra-

Eine entsprechende Direktive erging am 6. März 1946. Vgl. Kellermann, Status, S. 20. Henry Pilgert nennt für die amerikanische Zone etwa 130 Schulbuchtitel, die alle Klassenstufen abdeckten und zwischen 1947 und 1951 mit der Unterstützung und in „enger Zusammenarbeit“ mit den amerikanischen Stellen neu verfasst wurden. Dazu kamen mehr als siebzig Filme aller Art. Vgl. Pilgert, System, S. 118 ff. 56 Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 12. Einen Bericht über die Ausarbeitung des Plans gibt Edward Dance in: History the Betrayer. Auch die Kommission zur Überarbeitung der deutsch-polnischen Schulbücher firmierte im Rahmen des Georg-Eckert-Instituts als Unternehmen der UNESCO. Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 269 f. 57 Kurt Frey (geb. 1913 in Kiel) Jurist, nach Kriegsgefangenschaft Geschäftsführer des Studentenwerks Kiel, 1950 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Studentenwerke, Vorstandsmitglied im World University Service, 1953 Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission, seit 1955 erster Generalsekretär der KMK. 54 55

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken

gen würden. Als Beispiel für Verharmlosung nannte Frey die Entwicklung folgender Formulierungen: 1946: „Am 1. 9. überfiel Hitler Polen“. 1952: „Am 1. 9. griff Hitler Polen an“.58 1957: „Am 1. 9. erklärte Hitler Polen den Krieg“.59 Konferenzen wie diese und das immer dichter geknöpfte Netz der internationalen Schulbucharbeit, an dem auch Kurt Frey in einer weiteren Funktion als Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission mitwirkte, stoppten diesen vermuteten Trend. Ein halbes Jahrhundert nach dieser Konferenz läßt sich wohl in keinem bundesdeutschen Schulbuch und in keiner Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung eine andere Floskel finden als die von Frey hier aus dem Jahr 1946 zitierte, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern drastisch – und inhaltlich unzutreffend – wertet. Der Begriff „Überfall“ ist zur Bezeichnung eines militärischen Angriffs nach einer monatelangen Krise, auf ein Land, das mit der militärischen Vorbereitung vor dem späteren Kriegsgegner Deutschland begonnen hatte und dessen diplomatische Vertreter sich am Tag vor dem Kriegsbeginn siegesssicher gaben, durchaus ungeeignet. An der Popularität dieser Sprachregelung läßt sich ablesen, wie sehr die Vereinheitlichung solcher Sprachregelungen im letzten halben Jahrhundert zugenommen hat und welche Folgen dies auch für die Bewußtseinsprägung der mit diesen so bearbeiteten Lehrmitteln ausgebildeten Schüler- und Studentengenerationen hat, jedenfalls in Teilbereichen.60 Einfache Floskeln wirkten dabei nachhaltiger als andere, offenkundig zur „Meinungsbildung“ eingebrachte Randbemerkungen, gegen die gerade die Schülergenerationen nach 1945 zunächst eine starke Abneigung entwickelten, ob nun unter den Nachwirkungen nationalsozialistischer Prägung oder als Reaktion auf die entgegengerichteten Willkürmaßnahmen der Entnazifizierung.61 Befürchtungen gegenüber einem möglichen wahrheitswidrigen Trend wur58 In diesem Wortlaut korrekt und auch auf das Fehlen einer vorherigen Kriegserklärung hinweisend die Mau / Krausnicksche Veröffentlichung der BfH von 1953. Im Rahmen der Darstellung der diplomatischen Gespräche vor dem deutschen Angriff wurde der Leser dort auch von den später so häufig gedruckten Ausflüchten der britischen und polnischen Botschafter verschont, sie hätten am frühen Morgen des 31. August 1939 vor dem Angriff angeblich die 16-Punkte-Kompromißvorschläge der deutschen Regierung akustisch / sprachlich nicht verstehen können. Insofern begünstigte die Veröffentlichung beim Leser noch die Bildung einer eigenen Meinung. Vgl. Mau, Geschichte, S. 135 f. 59 Zit. n. BA-KO B 168 / 368, Vermerk vom 18. 1. 1960. 60 Ganz beispielhaft hier auch die aktuelle Veröffentlichungen der BfP zum Thema Kriegsausbruch 1939. Heinrich August Winkler widmet der letzten Vorkriegsdiplomatie kein Wort und formuliert trendgemäß den „deutschen Überfall auf Polen“. Vgl. Winkler, Weg, II, S. 71. 61 Eine von dem später einflußreichen Historiker Andreas Hillgruber im Auftrag der hessischen Landeszentrale für Heimatdienst durchgeführte Veranstaltung mit 18- und 19-jährigen Studenten ergab eine übersensible Aufmerksamkeit für und eine Ablehnung jeder Art von Indoktrination durch die Studenten. Besonders auf Walther Hofers in sämtlichen Schulen präsente und polemisch kommentierte Dokumentensammlung „Der Nationalsozialismus“ werde sehr

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den bereits zu Beginn des internationalen Schulbuchabgleichs geäußert, auch von seinen entschiedenen Befürwortern wie Edward Dance: „Sicher können die Versuche, fair zu Fremden zu sein, eine Tendenz beinhalten, unfair zum eigenen Land zu sein. Abkommen können scheitern, weil sie sich nur auf Nebensächlichkeiten einigen, die fundamentalen Gegensätze aber ausklammern; oder sie sind erfolgreich und schaffen eine generelle Uniformität, wo der freie Gedanke essentiell sein müßte. Kritiker sind nicht weniger zum Irrtum fähig als Autoren; Kritik an Büchern ist genau so zum Transport von Vorurteilen fähig wie die Bücher selbst. Aktivität im Bereich der TextbuchReform kann wie viele andere bewunderungswürdige Tätigkeiten als Mittel der Propaganda oder des bloßen Prestigegewinns genutzt werden.“62

Trotz solcher Bedenken etablierte sich nach 1945 zunächst in zahllosen internationalen Konferenzen ein von der UNESCO eingefordertes und zunehmend dichteres Netz an internationalem Schulbuchabgleich, der im Fall Deutschlands durch das Braunschweiger Schulbuchinstitut der UNESCO organisiert wurde, das spätere Georg-Eckert-Institut. Eine UNESCO-Konferenz in Brüssel versammelte im Sommer 1950 sechzig Teilnehmer aus fünfundzwanzig Ländern und legte den Grundstein für den internationalen Abgleich.63 Die deutsche Teilnahme war damals keine leichte Angelegenheit. Man rechnete von UNESCO-Seite mit deutschem Widerstand gegen diesen erneuten Eingriff in die kulturelle Autonomie. Also wurden Anstrengungen unternommen sollte, ihn als von Deutschland geäußerten Wunsch dastehen zu lassen, der „von einzelnen Persönlichkeiten oder privaten Institutionen ausging“: „Man wollte auf freiwillige, ausschließlich den erzieherischen Ideen der UNESCO verpflichtete Bestrebungen hinweisen können, die das Verständnis für die ‚Multiplikationsaufgabe‘ und die Möglichkeiten ihrer wirksamen Durchführung erkennen ließen. Das entscheidende Moment daran war, daß diese Bestrebungen den Eindruck erwecken sollten, auf spontaner Zustimmung breiter Kreise zu beruhen und demnach das Echo der Bevölkerung auf die Anreize der UNESCO zu sein. Das hatte den Zweck, den Weg zur deutschen Mitgliedschaft zu ebnen, genauer zur Mitgliedschaft Westdeutschlands, sobald eine Regierung den Antrag stellen konnte – ‚den Weg ebnen‘ hieß aber zuerst, eine unverdächtige deutsche Bereitschaft zur Mitarbeit nachzuweisen.“64

kritisch reagiert. Hillgruber führte dies auf den Einfluß ähnlicher Haltungen unter den Erwachsenen zurück, die aber die Studenten immer noch mit besserem historischen Wissen versorgen würden, als sie es im „wohlbekannten Neven-Dumont Fernsehprogramm“ hätten bekommen können. Vgl. Stahl, Education, S. 73 f., Bericht Hillgrubers über die Veranstaltung am 11. / 12. Dezember 1959. Hofers Buch wurde dennoch immer wieder neu aufgelegt und Schülern wie Studenten zu Kauf wie Lektüre aufgenötigt. Die Auflage erreichte bis 1973 633.000 Stück. 62 Zit. n. Dance, Betrayer, S. 149. 63 Über das Georg-Eckert-Institut wurden auch die österreichischen Geschichtsbücher in die Umarbeitung mit einbezogen; die Alpenrepublik hatte zwei Delegierte zur Konferenz geschickt. Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 106. 64 So Manfred Regnerys Zusammenfassung der Begebenheit unter Berufung auf ein Rundschreiben Walter Hallsteins vom 28. April 1950. Zit. n. Regnery, Kulturpolitik, S. 138.

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Walter Hallstein bemühte sich als Vorsitzender des Gründungsausschusses für den deutschen Ausschuß für Unescoarbeit, diese Anstrengungen unauffällig zu unterstützen und als Vorteil für das internationale Ansehen der Bundesrepublik zu deuten. Die Detailverhandlungen über die UNESCO-Tätigkeit hatte auch im Jahr 1950 keineswegs die deutsche Bundesregierung zu führen, sondern sie wurden von der UNESCO mit HICOG abgewickelt, wo man sich schließlich auf zunächst je ein UNESCO-Büro in jeder Westzone verständigte. Den Zweck der Tätigkeit in Deutschland hatte ein erster vorbereitender Report 1948 so beschrieben: „Wir unternehmen eine Arbeit in Deutschland, nicht für Deutschland. Wir versuchen, die Deutschen auf die Demokratie hin zu orientieren und sie von dem Isolationismus und dem Nationalismus in allen Formen abzuwenden.“65

Allgemein gesprochen, mündete der internationale Abgleich der Schulbuchinhalte unter UNESCO-Ägide bei solchen Vorzeichen zumindest im Bereich der deutschen Zeitgeschichte schließlich in eine Tendenz zu ahistorischen Behauptungen und zur Übernahme der Perspektive der Nachbarstaaten. Insofern überlagerte der Wunsch zur Distanzierung von der neueren Zeitgeschichte hier mit Blick auf Deutschland zunehmend den Willen zum Ausgleich, sowohl in den Schulbüchern selbst als in den ergänzenden Unterrichtsmaterialien für die Lehrer.66 Ein erster Rückblick Georg Eckerts auf das bisher Erreichte aus dem Jahr 1960 legte vor allem Wert auf die „persönlichen Beziehungen und Freundschaften“, die während der Analyse und Neuschaffung von Schulbüchern entstanden seien, im Rahmen der vielen Treffen beim Council of Europe, der UNESCO oder am Braunschweiger Institut selbst. Wachsende Solidarität in Europa sei das Ziel dieser Arbeit, die selbst Teil des europäischen Lebens sei.67 Zweimal kam damals beispielsweise die deutsche Ausgabe des eingangs erwähnten „Ruf“ auf eine Konferenz zu sprechen, die im September 1946 in Genf stattgefunden hatte. Es war eine jene zahlreichen Veranstaltungen, die den Gründungen der Vorläufer jener Organisationen vorangingen, die später die europäische Union anstoßen sollten. Man habe dort erkannt, daß „nicht nur allein Deutschland, sondern 65 Bericht des Generaldirektors über die Aktivitäten im Jahr 1948, UNESCO-Publikation Nr. 225, S. 18, hier zit. n. Regnery, Kulturpolitik, S. 140. 66 Beispiele sind etwa die 2007 unter dem Titel „Geschichte verstehen – Zukunft gestalten“ veröffentlichten Unterrichtsmaterialien zu den deutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren 1933 – 1945, die neben zahlreichen kritikwürdigen Auslassungen und sachlichen Fehlern auch durch umfangreiche Einbeziehung der polnisch-sowjetischen Beziehungen eine vollständige Übernahme der polnischen Perspektive vollziehen. Vgl. Hartmann, Geschichte, passim. 67 Vgl. Eckert: The Changing Picture of European History, in: Stahl, Education, S. 118 – 121. Manfred Regnery konstatierte just 1960 als Beginn der Zeit des Übergangs, als die Arbeit der UNESCO ihre „ideelle Zielsetzung“ verloren habe und das neue Ideal in der Erkenntnis des von ihm angenommenen Sachzwangs bestanden hätte, daß „alle Völker, Gesellschaften und Kulturen“ notwendig gemeinsam zu lernen hätten. Als Präsident der deutschen UNESCO-Kommission fungierte zu dieser Zeit Arnold Bergstraesser. Vgl. Regnery, Kulturpolitik, S. 65.

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ganz Europa und die Welt umerzogen werden müssen.“68 Dieser Gedanke wurde in Deutschland ganz besonders gern aufgegriffen, konnte er doch gedanklich die deutsche Isolation überwinden und aus dem Schuldigen ein Vorbild werden lassen. Der Ruf nannte Namen einer europäischen intellektuellen Elite, die diese Umerziehung umsetzen sollte: Karl Jaspers, Denis de Rougemont und Jean Guéhenno.69 Der Einfluß des Europagedankens auf die Gestaltung von Forschung und Bildung in Westeuropa ist erheblich gewesen. Auch hier ist natürlich die Beobachtung richtig, daß die Absichtserklärungen und die begleitenden Maßnahmen, wie internationale Gespräche, bilaterale Übereinkommen in Form von „Thesen“, die dann künftig bei der Gestaltung etwa von Schulbüchern zu berücksichtigen seien und anderes mehr,70 zunächst auf schwer beeinflussbare Gewohnheiten von Lehrern und Autoren stießen.71 Es gab zahlreiche andere Prägungen, auf denen die tradierten Geschichtsbilder auch in Schulen noch weitergegeben und an Universitäten durch Forschungen bestätigt wurden. Doch ist es kaum zu bezweifeln, daß die zahlreichen Unternehmungen, die ein „europäisches Geschichtsbild“ und im weiteren ein „westliches Geschichtsbild“ herstellen sollten, langfristig Erfolg hatten. Kehren wir aber zunächst zu den Anfängen des transatlantischen Bildungs- und Elitentransfers zurück.

5. Umerziehung – die Vor- und Frühgeschichte in der sowjetischen Zone Die Umerziehungsmaßnahmen im sowjetischen Machtbereich begannen, ganz ähnlich wie im Westen, bereits in den Kriegsgefangenenlagern. Angesichts der Verhältnisse in den sowjetischen Lagern, die durch Zwangsarbeit, Hunger und Krankheit schließlich zum Tod einer Unzahl deutscher Kriegsgefangener führten,72 stand

68 Stephen Spender, Auf der Suche nach Europas Bestimmung, in: Der Ruf, Nr. 14, S. 5, 1. März 1947. 69 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 87. 70 Schüddekopf gibt für den Zeitraum bis 1965 insgesamt 146 Konferenzen an, davon 83 bilaterale. Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 27. 71 Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 75 ff. Schüddekopf beklagt diese Tendenz und verweist in zahlreichen Beispielen auf die Chancen einer europäischen Geschichtssschreibung. Er fordert ein Eingreifen des CCC des Europarats (S. 79) und schildert die Tagungen des Europarats in Calw (1953), der UNESCO in Paris (1956), Tokio (1958), Hamburg (1960), Goslar (1962), die alle das Ziel einer vereinheitlichten Neubildung des Geschichtsbilds verfolgten. Als Beispiel für Korrekturbedarf nennt Schüddekopf etwa das deutsche Bild vom „treulosen Italien“, dessen – objektiv vertragsbrüchiger – Seitenwechsel in beiden Weltkriegen von deutscher Seite einer „falschen Beurteilung“ unterliege. (S. 87). 72 Die genauen Zahlen sind umstritten. Die Maschke-Kommission ermittelte Mitte der 1960er Jahre die Zahl von 1.094.000 Millionen in der UdSSR gestorbenen Kriegsgefangenen. Mit einer anderen Methode kam Rüdiger Overmans 1999 zu einer Zahl von 363.000 erwiesenermaßen als Kriegsgefangene verstorbenen deutschen Soldaten, zu denen allerdings nach sei-

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken

diese Arbeit, die überwiegend den deutschstämmigen Mitgliedern der kommunistischen Partei übertragen wurde, von vornherein unter einem schlechten Stern. Unter den Verhältnissen des Krieges und nach den Erfahrungen, die der gewöhnliche deutsche Soldat mit der Roten Armee gemacht hatte, mußte eine Umerziehung zu sozialistischem Denken für den Großteil der Gefangenen ausscheiden. Daraus – und aus dem Ausbleiben der in Deutschland erwarteten Revolutionsunruhen – zog das Nationalkomitee Freies Deutschland den Schluß, es sei die Bildung einer sozialistischen Elite nötig. Das konnte trotz vorherigen Versuchen im Lager Krasnogorsk im wesentlichen erst nach Kriegsende geschehen, da die Zustände vorher kaum das bloße Überleben gestatteten. Erst nach Kriegsende besserten sich die Verhältnisse in den Lagern. Sowjetische Forderungen und nötige Schulung mußten aber auch zu dieser Zeit irgendwie kombiniert werden, wie Wilhelm Pieck Ende Mai 1945 an Walter Ulbricht schrieb: „Ein großer Teil der Kriegsgefangenen wird doch für längere Zeit in der SU bleiben und hier mit dem Wesen der sozialistischen Arbeit und der Sowjetunion aufs engste vertraut gemacht werden müssen und gleichzeitig im Prozeß der Produktionsarbeit ihre antifaschistische Umschulung erhalten. Natürlich sollen aus beiden Kursen der Schule und auch aus den Lagern die geeigneten Kader für Vorbereitung auf die Arbeit im Lande genommen werden, die zu einer Spezialschule geschickt werden, die anstelle der jetzigen Schule 40 treten soll.“73

Wie im Westen auch, fand der akademische Austausch also zunächst im Rahmen von Kriegsgefangenschaft statt und es sollte der Aufenthalt im Land der Hegemonialmacht eine Art prägenden Beispielcharakter haben. Die älteren Funktionäre hatten solche Aufenthalte bereits hinter sich und konnten diese Erfahrungen weitergeben, wie etwa der am 27. April 1945 in Berlin aus dem Gefängnis befreite Erich Honecker, der 1930 / 31 in Moskau Schulungen erhalten hatte und jetzt bald in der Jugendbildung eingesetzt werden sollte. Im unmittelbaren Schul- und Bildungsbereich glichen auch die programmatischen Ansätze des NKFD in vielfacher Hinsicht denen der Umerziehungsprogramme in den drei Westzonen, jedenfalls formal. Bei einer minimalen Änderung der Wortwahl bei der „herrschenden Klasse“ hätte das im Februar 1945 beschlossene Grundsatzprogramm des Nationalkomitees dort problemlos übernommen werden können. Es nannte als Hauptforderungen: – Erziehung der jungen Generation im neues Geiste einer kämpferischen Demokratie – Beseitigung des Bildungsmonopols des herrschenden Klasse und Verwirklichung des Rechts auf Bildung für alle Kinder des Volkes – Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus des Volkes, Wissenschaftlichkeit der Bildung der Kinder nem Ergebnis noch 1.536.000 Millionen in der UdSSR als entweder vor der Registrierung in Gefangenschaft oder sonst getötete „Verschollene“ zuzurechnen sind. Vgl. Overmans, Verluste, S. 288. 73 Pieck an Ulbricht, 22. Mai 1945, hier zit. n. Füssl, Umerziehung, S. 195.

5. Umerziehung in der sowjetischen Zone

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– Schaffung eines einheitlichen Schulsystems vom Kindergarten bis zur Hochschule – Klare Trennung von Kirche und Schule, Weltlichkeit des Unterrichts – Schaffung eines demokratischen Lehrkörpers als der wichtigsten Garantie für eine wirkliche Demokratisierung.74

Daß der überall vielgebrauchte Demokratiebegriff in der sowjetischen Zone einen etwas anderen Inhalt hatte als in den Westzonen, ließ sich dem Dokument nicht entnehmen. Der gemeinsame Nenner dieses Wortgebrauchs bestand in jedem Fall in der totalen Ablehnung des bisherigen deutschen Schulsystems, in dem Anspruch es wissenschaftlich besser zu wissen und in dem weiteren pragmatischen Anspruch, Demokrat könne nur genannt werden, wer die faktisch undemokratischen Maßnahmen der jeweiligen Besatzungsmacht akzeptierte. An diesem Punkt blieben die neuen Bildungspolitiker hellwach, denn das Bekenntnis zur Demokratie durfte in keinem Fall dazu führen, einen Einspruch gegen die neuen Verhältnisse zu wagen. Geschah dies doch, dann war der Demokrat als Simulant enttarnt, was gar nicht so selten vorkam, wie ein schließlich im Jahr 1949 veröffentlichter Bildungsbericht beklagte, der noch in Zusammenarbeit verschiedener Stellen in London, Paris und Warschau entstanden war: „Diese jungen Deutschen aus dem ‚Jungvolk‘, jetzt zwischen achtzehn und zwanzig, neigen dazu, den Begriff ‚Demokratie‘ als Bemäntelung für extrem nationalistische Ansichten zu verwenden. So meinen sie, es sei undemokratisch, fähige Personen nur wegen ihrer politischen Ansichten von ihren Posten zu entfernen, oder sie wenden sich gegen Fragen nach dem Wahlverhalten von 1933, weil die demokratische Abstimmung schließlich geheim sei. Sie glauben sogar, es sei undemokratisch, daß selbst Studenten weder die Militärregierung noch die eigene Hochschulverwaltung kritisieren dürfen.“75

Bis zur Einsicht der deutschen Jugend, daß zunächst einmal alles demokratisch war und widerspruchslos so genannt werden mußte, was im Bildungsbereich oder anderswo von oben her vorgeschrieben wurde, war es also noch ein weiter Weg und dies in der ganzen späteren Bundesrepublik. Langfristig gewann in der sowjetisch besetzten Zone allerdings ein Trend die Oberhand, der die Demokratie mit einem gewissen Nationalbewußtsein verbunden wissen wollte. In diesem Sinn sollte nach dem im russischen Exil entwickelten Konzept insbesondere die Darstellung der Geschichte geprägt werden, die aber gleichzeitig erziehen sollte: „zu aktiver Teilnahme am Leben des Volkes und zu echtem Nationalbewußtsein, das begründet ist in dem Stolz auf die großen Leistungen des deutschen Volkes, die dem Fortschritt der Menschheit dienten, aber frei ist von nationalistischer Engstirnigkeit und rassischer Überheblichkeit“.76 Hier klang im Sommer aus dem russischen Exil ein Ton an, der langfristig umgesetzt werden sollte und sich deutlich und nachhaltig von den immer 74 Vgl. Nachlaß des späteren Volksbildungsministers Fritz Rücker, hier zit. n. Füssl, Umerziehung, S. 193. 75 Zit. n. Liddell, Education, S. 20. 76 Vgl. Füssl, Umerziehung, S. 194.

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IV. Der Zweite Weltkrieg als Vater von Netzwerken

breiter in die Gesellschaft hineingestreuten Kollektivschuldthesen der Westmächte unterschied. Interessanterweise unterschied er sich auch von den Thesen des kommunistischen Exils im Westen, das ebenfalls deutlich zur Kollektivschuldthese neigte. Diese Differenz machte es möglich, daß nach 1945 auch ein Nationalbolschewist wie Ernst Niekisch nach seiner Befreiung aus einem Jahrzehnt politischer Haft in Deutschland in der sowjetischen Zone einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft erhalten konnte.

V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag Wer wird künftig deinen Kleinen lehren Speere werfen und die Götter ehren, Wenn der finstere Orkus dich verschlingt? Friedrich Schiller

Die Geschichte der deutschen Bildungspolitik und der veröffentlichten Meinung nach 1945 beginnt vielfach in amerikanischen Gefangenenlagern. Wie eingangs am Beispiel des RUF geschildert, wurde dort Ausschau nach talentierten jungen Deutschen gehalten, deren Entwicklung sich aus Sicht der amerikanischen Behörden positiv gestalten würde. Einmal als Talent erkannt, zog dieser Status Privilegien nach sich, die allerdings auch ihren Preis hatten. Wer sich in den bevorzugten Umerziehungs- und Ausbildungslagern halten wollte, mußte sich der Kritik enthalten. Andernfalls wurde er in ein anderes Lager verlegt, wodurch eine Kette „gestufter“ Lager entstand. Wer in Fort Kearney oder in Fort Getty eine der Lageruniversitäten besuchte, genoß die Vorzüge des dortigen Lebens, die auch aus materiellen Vorteilen bestanden und eben aus der Aussicht, bei der Gestaltung Nachkriegsdeutschlands eine Rolle zu spielen. Die Behandlung schuf daher mit die Voraussetzungen dafür, daß die so geförderten Gefangenen beim Antritt ihrer Rückreise nach Deutschland daran erinnert werden konnten, daß „sie moralisch dazu verpflichtet seien, ihre Schuld den Vereinigten Staaten gegenüber durch ihre Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten und eine aktive Beteiligung am Aufbau eines demokratischen Deutschlands zu begleichen.“1

Die Leitung des Umerziehungsprogramms scheint auf die Wirkung dieser moralischen Schuld und auf die Einsicht der Umerzogenen in die Überlegenheit des amerikanischen politischen Systems und der amerikanischen Lebensweise vertraut zu haben. Förmliche Verpflichtungserklärungen der Ausgebildeten wurden offenbar nicht in Betracht gezogen. Sie durften nach Deutschland zurückkehren, um dort nach der verordneten Stunde Null einen Neustart des deutschen Lebens in Gang zu setzen. Dort konnten sie unter anderem auf Insassen amerikanischer Gefangenenlager auf deutschem Boden treffen, in denen teilweise ebenfalls „Lagerhochschulen“ eingerichtet worden waren. Auch hier bot die Tätigkeit an einer solchen Hochschule oder der Besuch ihrer Lehrgänge die Möglichkeit für einen schnellen Berufsstart, wenn das intellektuelle Profil des Betreffenden eine weitere aktive Tätigkeit in 1

Vgl. McCracken, Program, S. 121, hier zit. n. Vaillant, Ruf, S. 44.

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V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag

Richtung der Umerziehungspolitik erwarten ließ. Dabei spielten dann teilweise selbst die Fragen nach der persönlichen NS-Vergangenheit keine entscheidende Rolle mehr. Eines der prominenten Beispiele dafür wurde der Historiker Fritz Fischer, der als SA-Mitglied (seit 1933) und NSDAP-Mitglied (seit 1937) während des Krieges eine akademische Karriere machen konnte, die ihn nach den Regeln der Entnazifizierung eigentlich von jeder Lehrtätigkeit nach 1945 ausgeschlossen hätte, ebenso wie von der Aufnahme in die bald einsetzenden akademischen Reiseprogramme in die USA. Dessen ungeachtet konnte Fischer nach US-Kriegsgefangenschaft und Lehrtätigkeit als Dozent an einer Lagerhochschule bereits im Frühjahr 1947 seine Lehrtätigkeit an der Universität Hamburg wieder aufnehmen.2 Ausschlaggebend dafür war offenkundig Fischers völlig ausgetauschtes Verhalten, das er gegenüber Konrad Jarausch einmal als Folge eines Saulus-Paulus „Bekehrungserlebnisses“ in amerikanischer Gefangenschaft bezeichnet haben soll.3 Die Lageruniversität und mehrere spätere Aufenthalte in den USA verursachten und vertieften diese Einstellung Fischers dann derart, daß er in den frühen 1960er Jahren zu einem der prominentesten deutschen Historiker und zum Gegenstand eines öffentlich ausgetragenen Historikerstreits wurde, der kaum weniger zur intellektuellen Gründungsgeschichte der Bundesrepublik gehört als die Hakenkreuzaffären der Jahre 1959 / 60. Fischers Deutung des Ersten Weltkriegs als deutschem „Griff nach der Weltmacht“ stellte den Ersten Weltkrieg in eine Kontinuität zum Zweiten, bzw. zu dem Geschichtsbild, das sich die Siegermächte über beide Kriege machten und wünschten. Hintergrund des öffentlichen Streits waren daher sowohl Fischers Thesen über die Vorgänge, die zur deutschen Politik vor und im Krieg geführt hatten, als auch die Begründung seiner Weltmacht- und Sonderwegsthesen als Folge einer jahrhundertelangen Fehlentwicklung hin zu autoritärem Denken in Deutschland. Fischer repräsentierte nach seinem Bekehrungserlebnis vollkommen jenes Denken, das die Umerziehungspolitik als wünschenswerte Folge der Erfahrung von Niederlage, Kriegsgefangenschaft, veränderter Bildung und Stunde Null betrachtete.4 Die Demokratie Nachkriegsdeutschlands ist längere Zeit vor dem Hintergrund betrachtet worden, daß es eine Stunde Null nicht gegeben habe. Daß dies nicht der Fall war, schien eine neue Kenntnis zu sein, die an Attraktivität gewonnen hatte, nachdem die „Erlebnisgeneration“ nicht mehr den Maßstab setzen konnte und statt dessen die nachdrängende Historiker- und Politologengeneration immer mehr personelle und inhaltliche Kontinuitäten entdeckte, die den Umbruch 1945 und danach überstanden hatten. Erst in den letzten Jahren ist ein gegenläufiger Trend der ForVgl. Große Kracht, Fischer, S. 240 f. Vgl. Konrad Jarausch im Spiegel-Gespräch, 30. März 2004. 4 Der Zusammenhang mit der Kriegsgefangenschaft und der Lageruniversität ist bei Fischer unmittelbar gegeben. In einer auf den 15. April 1957 datierten „Zusammenfassenden Betrachtung zum Gang meiner Arbeit“ gab er an, „erstmals in der Kriegsgefangenschaft“ eine Konzeption zur Erforschung des „Zusammenhangs von Abwehr der Demokratie und Kriegszielpolitik“ entwickelt zu haben. Vgl. BA N 1422 / 64, hier zit. n. Große Kracht, Fischer, S. 247. 2 3

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schung zu beobachten, da nach den Kontinuitäten jetzt die tatsächliche Dimension dieses Umbruchs und das Ausmaß seiner Planung ins Blickfeld geraten. Symptomatisch für diesen Trend sind etwa Veröffentlichungen wie „Die lange Stunde Null“, in denen die Lenkung des sozialen Wandels in Deutschland durch amerikanische Planung im Detail nachgezeichnet wird.5 Auf diese Weise nähert sich die Forschung dem an, was die damals lebenden Deutschen erfahren haben. 1945 ging in Deutschland kein „Eiserner Vorhang“ nieder, der lediglich die Kommunikation oder die Reisen zwischen den Besatzungszonen oder entlang der späteren Grenze zwischen BRD und DDR unmöglich gemacht hätte. 1945 verwandelte sich ganz Deutschland vorübergehend in eine Zone absoluter Stille und Bewegungsunfähigkeit, die dann im Lauf von einigen Jahren unter Abbruch und teilweise physischer Zerstörung von Kulturgut,6 wie etwa Büchern, ganz kontrolliert wieder mit Sinn, Lärm und Leben gefüllt wurde, Sinn, Lärm und Leben in bestimmter Ausrichtung.7 Die Stunde Null war kein deutsches Konzept zur Beschreibung der Ereignisse, sie war ein amerikanisches Konzept zur Herbeiführung von Ereignissen.8 Zu den nachhaltigen Steuerungsmechanismen, die sie möglich machten gehörten der soziale Wandel, neue Medien, neue Bildungsinstitutionen und schließlich auch neue Eliten. An diesem letzten Punkt löst sich der Widerspruch zwischen den Kontinuitätsthesen und der „Stunde Null“ auf. Der Transfer der deutschen Elite mußte zwangsläufig einige Zeit in Anspruch nehmen, in der Realität mehr als eine ganze Bildungsgeneration. Tatsächlich erzwangen die Verhältnisse vor Ort den alltäglichen Rückgriff auf Personen und Methoden, die sich als beharrende Elemente gegen die angedachten Reformen erwiesen. Als eines dieser Elemente zeigten sich manche der Kultusminister der Länder, aber auch andere traditionelle Erfahrungsräume, darunter das Familienleben.

1. Kultusminister im Spannungsfeld der Politik Die 1945 neugeschaffenen Unterrichtsverwaltungen befürchteten „mit Recht“,9 daß unter dem Druck der Besatzungsmächte und angesichts der sehr verschiedenVgl. Braun, Wandel, passim. Einen Sonderfall des Abbruchs bildeten die Vertreibungsgebiete, in denen zunächst auch eine vollkommene Stille geherrscht hatte, aus der in die vier westlichen Besatzungszonen nur Gerüchte drangen. Dort war der bald einsetzende physische Abbruch vollständig. 7 Die Universitäten gerieten zwar unter die spezielle Kontrolle von Universitätsoffizieren, wurden aber vergleichsweise schnell wieder in Betrieb genommen: „Das Ausland ist perplex ob der Tatsache, daß ein Jahr nach einem total verlorenen Krieg fast alle deutschen Hochschulen wieder in vollem Betrieb stehen.“ Zit. n. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 120. 8 Dazu gehörte auch das Verbot der Kenntnisnahme der gesamten Auslandspresse. Kein deutscher Herausgeber in der US-Besatzungszone könne sich die New York Times, oder irgendeine andere in England oder den USA gedruckte Zeitung besorgen, oder irgend ein anderes Exemplar der Auslandspresse, meldete Joseph Dunner auch noch für das Jahr 1948. Vgl. Dunner, Control, S. 284. 5 6

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artigen Wünsche der Eltern ein Konflikt drohte. Seine Lösung konnte zunächst nur innerhalb der Besatzungszonen der späteren Bundesrepublik Deutschland angegangen werden, wobei die Kultusminister der amerikanischen Zone bereits im Dezember 1945 zum ersten Mal in Stuttgart zu einer Besprechung zusammenkamen und eine Vernetzung der geplanten Maßnahmen anfangs nur zwischen der englischen und der amerikanischen Zone zustande kam.10 Im August 1946 wurde erstmals ein Plan für regelmäßige Tagungen der Kultusminister der amerikanischen Zone aufgestellt und im Sommer 1947 begannen Verhandlungen über eine Konferenz der Kultusminister der vier Besatzungszonen, aus denen Jahrzehnte später die Bundesrepublik Deutschland werden sollte. Tatsächlich fand im Februar 1948 in Stuttgart-Hohenheim eine Konferenz aller Kultusminister dieser vier Zonen statt, die aufgrund der inhaltlichen Differenzen der Mächte und der außenpolitischen Veränderungen die einzige blieb, bei denen die sowjetische Zone mit vertreten war. Über diese inhaltlichen Differenzen und die genaue Haltung der Besatzungsmächte zu einzelnen Fragen schwieg sich der 1952 erschienene Bericht der Kultusminister „Zur Entwicklung des Erziehungs- und Bildungswesens“ aus. Es blieb unklar, wer welche Position vertreten hatte und den – nach eigenem Anspruch mit entscheidenden – Standpunkt der Alliierten schien es nicht gegeben zu haben: „Es wurden Empfehlungen formuliert und Pläne für den Neuaufbau des Schulwesens diskutiert, die zum Teil an gewisse Leitsätze der Reichsschulkonferenz von 1920 erinnerten. Da man Wert darauf legte, alle diese Pläne in echt demokratischer Weise mit Lehrern, Eltern und weiten Kreisen der Bevölkerung zu erörtern, dauerte es ziemlich lange, bis sie festere Formen annahmen.“11

Hinter dem vagen „man“ und dem leicht ironischen Verweis auf die „echt demokratische Weise“ des Vorgehens verbarg sich eine zweifellos mit Erfolg betriebene Politik des Schaffens von Tatsachen durch die deutschen Verantwortlichen auf den unteren Ebenen des Bildungswesens und wenigstens teilweise auch auf der Ministerebene. Die von amerikanischer Seite herausgearbeiteten utopischen Pläne für ein neues deutsches Schulwesen wurden auch in den Vereinigten Staaten nicht von einer Mehrheit der Erziehungswissenschaftler vertreten, sondern von einer „linken Minderheit“.12 So kam es besonders in Bayern zu harten Auseinandersetzungen der Besatzungsbehörden mit dem Kultusministerium unter der Leitung von Alois Hundhammer, über dessen fintenreiche Verschleppungstaktik die Behörden so empört waren, daß an seine Amtsenthebung gedacht wurde. Dies unterblieb zwar, aber die Militärregierung rächte sich durch Verhinderung von geplanten Auslandsreisen Hundhammers nach Italien, Holland und die USA.13 Gerade auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung im Frühjahr 1948 erhielt Hundhammer dann überraschend Vgl. Ständige Konferenz, Entwicklung, S. 17. Vgl. Ständige Konferenz, Entwicklung, S. 18. 11 Zit. n. Ständige Konferenz, Entwicklung, S. 18. 12 Vgl. Böck, Wiederaufbau, S. 19. 13 Vgl. Müller, Schulpolitik, S. 168. 9

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Unterstützung durch den Bericht einer amerikanischen Kommission, die im Februar 1948 unter dem Vorsitz von Senator Francis Case durch die amerikanische Besatzungszone reiste und die amerikanische Erziehungspolitik in einem Schlußbericht scharf kritisierte. Es sei verfehlt und verrate einen „Mangel an Einsicht“, „den Deutschen gewisse rein organisatorische Gesichtspunkte aufzuzwingen, obwohl einige davon selbst unter Amerikanern strittig sind“: „Warum (sollten) amerikanische Behörden darauf bestehen, daß die Deutschen gegen ihr besseres Wissen gezwungen werden sollten, Reformen anzunehmen, die viele amerikanische Behörden sich nicht leisten können. Und das zu einer Zeit, wo die Deutschen so ungeheuer arm sind und von der Mildtätigkeit der amerikanischen Steuerzahler leben müssen.“14

Diese Argumentation zielte scheinbar mehr auf den Geldbeutel als auf den Inhalt von Bildung, aber es gab in der von den amerikanischen Behörden geforderten Freiheit der Lehrmittel einen Berührungspunkt von beidem, der zu scharfen Schnitten führte. So wurde am 4. August 1948 der weitere Privatverkauf von Schulbüchern verboten und alle bayrischen Schulbücher von der Militärregierung für beschlagnahmt erklärt, um direkt an die Schulen abgegeben werden zu können.15 Unbeeindruckt von solchen Auseinandersetzungen vollzog sich bis Mitte der 1950er Jahre eine Neustrukturierung der Erziehung und Schulbildung mit dem Ziel, die Erziehung der kommenden Länder der Europäischen Gemeinschaft zu vereinheitlichen und auf Stützung der Nordatlantischen Verbindung auszurichten. Aus Sicht der realsozialistischen Kritik handelte es sich um „Gleichschaltung“ zu manipulativen Zwecken, woran sicher soviel richtig war, daß die politische Absicht offenkundig war.16 Die Beratungen über die Schritte in diese Richtung fanden auf vielen Ebenen statt. Bestimmungen über den Inhalt von Lehrmitteln aller Art, auch solchen an Universitäten, wurden Gegenstand von Kulturabkommen wie dem deutsch-französischen von 1954 und dem deutsch-britischen.17 Wesentliche Entscheidungen auch im Schulbuchbereich Geschichte wurden im Rahmen der UNESCO beraten, was nichts daran änderte, daß mit John McCloy und Georg Eckert namhafte Personen beteiligt waren, die sowohl Funktionen außerhalb als auch innerhalb Deutschlands ausübten.18 Aus einer ersten deutsch-britischen GeZit. n. Müller, Schulpolitik, S. 169. Vgl. Müller, Schulpolitik, S. 172. 16 Vgl. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 23. 17 Daß diese Abkommen im „Widerspruch zu dem grundsätzlichen Prinzip der Freiheit der historischen Wissenschaft“ standen, räumten auch ihre Befürworter wie Otto-Ernst Schüddekopf ein. Das deutsch-englische Abkommen von 1950 zwischen der Historical Association und der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände erbrachte zudem das Ergebnis, daß die ausgearbeiteten Empfehlungen für die Umgestaltung der Lehrmittel schließlich nur in Deutschland umgesetzt wurden. Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 28 f. bzw. S. 44. 18 Ganz im Gegenteil gehörte die Einrichtung von UNESCO-Instituten zusammen mit der Förderung von Politikwissenschaft zu den Programmpunkten des Hochkommissars McCloy und HICOG insgesamt. Vgl. Pilgert, System, S. 81. 14 15

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schichtslehrertagung im Jahr 1949 hervorgegangen, der im Jahr 1951 eine multilaterale Tagung unter Beteiligung von französischen, englischen und amerikanischen Geschichtslehrern mit dem Gründungsbeschluß für ein Institut für „internationale Schulbuchverbesserung“ folgte, entstand 1953 ein Institut als Unternehmen des Niedersächsischen Kultusministeriums und als „Mittelpunkt aller Bestrebungen zur Verbesserung der Schulbücher vor allem im Fach Geschichte für die Bundesrepublik Deutschland“.19 Mit dem Namen Georg Eckert verbindet sich heute vor allem diese inzwischen „Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung“ genannte Institution, deren Aufgaben stetig erweitert wurden. 1965 schließlich erhielt es vom Europarat den Auftrag, als „Europäisches Schulbuchzentrum“ die Revision der Geschichts- und Geographielehrbücher zu besorgen.20 Nun sind Schulbücher nicht das zentrale Thema dieser Untersuchung, aber es ist augenscheinlich, daß eine derartige zentrale Revision der Schulbildung auch längerfristige Auswirkungen auf die Forschung in der politischen Wissenschaft und den Sozialwissenschaften haben konnte. Spätestens würde dies der Fall sein, nachdem eine derart ausgerichtete Schülergeneration sich als Politikwissenschaftler versuchen würde, aber auch bereits in der Entstehungsphase mit der Beeinflussung der forschenden Fragestellungen anhand des politischen „erkenntnisleitenden Interesses“. Dies führte zu Konflikten mit der andersgelagerten Interessenlage der Bildungspolitik des Realen Sozialismus, deren Analyse die vielfältige internationale Verschachtelung des Braunschweiger Instituts hervorhob und seine politische Aufgabe betonte. Georg Eckert selbst prägte demnach die deutsche Bildungspolitik als – Vorstandsmitglied des Verbands der Geschichtslehrer – Mitbegründer des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ (1954) und Leiter der Erziehungsabteilung des Kuratoriums – Mitherausgeber des „Archivs für Sozialgeschichte“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (seit 1961) – Mitglied des „Bamberger Kreises“, der sich mit der Geschichte Ostdeutschlands befaßte – Vorstandsmitglied des Deutschen Rates für die Europäische Bewegung, später Ehrenpräsident (neben Adenauer, Gerstenmaier, Meerkatz) – Vorsitzender des Ausschusses für Fragen der Schulbuchverbesserung der westdeutschen UNESCO-Kommission, sowie späterer – Präsident der deutschen UNESCO-Kommission und Mitglied des Viererrats für Erziehung im Europarat – Träger des Europapreises für Europäische Leistung (1958).21 19 Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 68 f. An der Revision etwa der deutsch-polnischen Schulbücher wurde von politikwissenschaftlicher Seite unter anderem Karl Dietrich Bracher beteiligt. Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 268 f. 20 Vgl. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 26.

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Wer sich auf der Netzseite des Instituts für Schulbuchforschung über diese Hintergründe informieren will, findet kaum etwas, obwohl diese Zusammenstellung in der Sache durchaus zutreffend ist. Das vom Georg-Eckert-Institut dort präsentierte Gesetz über die Gründung des Instituts datiert aus dem Jahr 1975, eine frühere Existenz des Instituts wird weder auf dieser Seite noch an anderer Stelle erwähnt. Die offizielle Selbstdarstellung auf der entsprechenden Seite erwähnt beispielsweise den Europarat oder dessen Auftrag an das Institut mit keinem Wort, sondern beruft sich auf den Völkerbund und die UNESCO, deren Arbeit an Schulbüchern nach den Weltkriegen das Entstehen von Feindbildern habe verhindern sollen. Georg Eckert in Person habe als Vorsitzender der UNESCO-Kommission daran mitgearbeitet, das Institut sei ein Jahr nach seinem Tod 1975 entstanden.22 So kann Geschichte bereits im eigenen Haus verlorengehen, wie sie ja auch in den Handreichungen des Instituts hin und wieder verlorenging. Das kann an der „friedenspädagogischen und völkerverständigenden Zielsetzung“ liegen, die an sich ein hehres Ziel darstellt, das aber auch durch Beschweigen und Fehlinformation angesteuert und verfehlt werden kann. Die Verhältnisse des Jahres 2009 mußten am Georg-Eckert-Institut nicht immer herrschen. Auch deswegen muß das Institut hier erwähnt werden. In der Schriftenreihe des Instituts publizierten Theodor Schieder, Gerhard Ritter, Gotthold Rhode, Karl Dietrich Bracher oder Ernst Nolte. Ein guter Teil der Historikerelite der Bundesrepublik des hier betrachteten Zeitraums war dort versammelt. Nichts könnte allerdings unzutreffender sein, als dem Institut unter Verweis auf seine Beziehungen zum Institut für Zeitgeschichte oder dem Institut für Osteuropakunde ein Festhalten „am Lehrbild des traditionellen deutschen Historismus“ zu attestieren.23 Soweit solche Tendenzen auftauchten, stellten sie einen Verstoß gegen die erklärte Gesamtrichtung des Instituts dar, die nicht historistisch fundiert war, sondern normativ die gewünschten Eindrücke in die vergangene Geschichte hineinschrieb und dann in die Schulbücher zu übertragen hatte. Geschichte in deutschen Schulbüchern sollte die damals aktuellen europäischen und demokratischen Zielsetzungen verfestigen und als wünschenswerte Ziele des Geschichtsprozesses darstellen. Was sich diesen Prozessen in der Vergangenheit entgegengestellt hatte war zu verdammen oder zu verschweigen. Was sie begünstigt hatte, war zu finden oder zu kreieren. Dazu gehörte beispielsweise die Erfindung Österreichs und die Bildung eines Österreichbewußtseins. Auch dies wurde in den Empfehlungen zur Schulbuchgestaltung international teilweise direkt vereinbart. Zwar umgingen die bundesdeutsch-österreichischen Empfehlungen von 1957 die Frage der staatlichen Tren21 Vgl. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 26. Es ist angesichts dieser Attacken aus der DDR auf die westliche Schulbuchpolitik schwer nachvollziehbar, warum der sowjetische Kollege Professor Mitropolsky dem Braunschweiger Institut „fehlende politische Auswertung der Tatsachen“ und gar „Objektivität“ vorgeworfen haben soll. Vgl. Heinemann, Bildungspolitik, S. 160. 22 http: // www.gei.de / de / das-institut / geschichte.html, eingesehen am 4. Februar 2010. 23 Vgl. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 42.

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nung und stellten noch die gemeinsame kulturelle Entwicklung heraus. Wiener Musikleben um 1800 und Weimarer Klassik sollten in Schulbüchern betont als Teil einer gemeinsamen kulturellen Entwicklung dargestellt werden, die ja damals auch in einem gemeinsamen staatlichen Rahmen stattgefunden hatte. Die französisch-österreichischen Empfehlungen von 1960 widersprachen diesem Punkt jedoch direkt und schrieben für Zeit nach 1789 fest: „Ganz besonders müssen von diesem Zeitpunkt an die Begriffe ‚österreichisch‘ und ‚deutsch‘ im Bereich der kulturellen Entwicklung deutlich unterschieden werden.“24

Das entsprach der weiteren Entwicklung in Österreich, wo die mühsame Arbeit am Österreichbewußtsein von den Verantwortlichen zusehends ausdrücklich eingefordert wurde, gerade gegenüber den offensichtlichen, weil historisch stimmigen Betrachtungen im Hinblick auf die deutsche Geschichte, von der Österreich einen objektiv untrennbaren Teil darstellte und die zu diesem Zeitpunkt noch aus der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich zu hören waren. Bildungsfachmann Novotny legte Widerspruch ein: „Die Grundhaltung unserer Lehrbücher, unser österreichisches Geschichtsbewußtsein, muß Österreich als sein Recht ebenso in Anspruch nehmen dürfen, wie dies andere Länder für ihre Lehrbücher tun.“25

So geriet auch die Zugehörigkeit Österreichs zum deutschen Staatsverband in die Reihe jener Themen, die in den Geschichtsbüchern zunehmend ausgespart wurden. Allerdings betraf dies auch andere Sachverhalte. „Österreichs Zeitgeschichte“ im Geschichtsunterricht sollte staatstragend sein, dazu beschloß im innerdeutschen Wendejahr 1960 eine Konferenz des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht einige Details. Unter dem Motto, keinesfalls „die unentschiedenen Schlachten der eigenen Jugend jetzt vor der heutigen Jugend nochmals auszutragen“, wurden Konflikte um den Ständestaat und den innerösterreichischen Anti-Parlamentarismus in den Jahren 1933 / 34 verharmlost und ein neugegründetes „Institut für Zeitgeschichte“ in Wien stellte das Material dafür zur Verfügung. Der an diesen Vorgängen beteiligte sozialdemokratische Bildungspolitiker Herrmann Schnell konstatierte die Folge: „In den 70er Jahren (wurde) nicht selten der Vorwurf erhoben, daß die österreichischen Geschichtsbücher eher der Koalitionsgewinnung als der historischen Wahrheit entsprechen.“26 Diese Koalitionsbildung anhand aktueller Bedürfnisse prägte auch die entstehenden Netzwerke der zurückkehrenden Emigranten.

24 Französisch-österreichische Schulbuchempfehlungen, These VI, hier zit. n. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 47. 25 A. Novotny: Erwiderung auf die deutschen Gutachten über österreichische Lehrbücher, in: Int. Jahrbuch, Bd. VII, 1959 / 50, S. 237, hier zit. n. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 58. 26 Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 109.

2. Mutmaßungen über den Stand der deutschen Bildung

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2. Mutmaßungen über den Stand der deutschen Bildung Vor der Planung von Bildungsreformen stand die Einschätzung der gegenwärtigen Verhältnisse der Erziehungsarbeit in Deutschland durch die Alliierten. Die Ansichten unter den amerikanischen Funktionären, die sich mit der Umgestaltung der deutschen Bildungs- und Hochschullandschaft befassten, fielen zu diesem Punkt keineswegs einheitlich aus. Das galt insbesondere für Amerikaner, die den Stand der Dinge aus einer sachlichen Perspektive als Lehrer oder Hochschullehrer betrachteten und daher mit einigem Abstand urteilten. Harvardprofessor William Ernest Hocking vertrat beispielsweise die Ansicht, daß die deutschen Bildungsstandards zu den höchsten in der Welt gehörten, ja vielleicht sogar den Gipfel des bisher Erreichten darstellten. Wer aus den USA nach Deutschland gehe und sich dort dem Erziehungswesen widmen würde, der konnte seiner Ansicht nach etwas lernen, nicht nur als Lernen aus der Lehrerfahrung heraus, sondern als Übernahme von etwas Besserem.27 Dies war ein durchaus ungewöhnlicher Standpunkt, denn die von der US-Militärregierung entwickelten Pläne für einen deutsch-amerikanischen Bildungsaustausch gingen ansonsten durchgehend davon aus, daß es die Lehrer an deutschen Universitäten und Schulen seien, die von einem internationalen Austausch zu profitieren hätten. Harold Zink, der dies als Mitglied dieser Militärregierung aus der Rückschau beschrieb, sprach von Jahrzehnten der Isolation der deutschen Bildung. Während des Zweiten Weltkriegs habe es keine Möglichkeit des Kontakts mit dem Ausland gegeben, vor Kriegsausbruch sei es wegen den Kontrollen und Regelungen des NS-Regimes nur wenig besser gewesen und die ursprünglich vorhandenen Kontakte während der Weimarer Ära seien durch die Inflation behindert worden. Erst die in der Nachkriegszeit aufgelegten Programme hätten dies geändert, wobei das französische Programm wesentlich intensiver angelegt gewesen sei als das amerikanische.28 Diese ganze Argumentation beruhte implizit darauf, die deutsche Situation als einseitige Isolation und Mangel zu betrachten, die fehlenden Kontakte der amerikanischen Erziehungswissenschaft nach Deutschland vor 1945 aber als gegebene und stillschweigend angemessene Tatsache.29 Die deutschen Bildungsstandards, wie hoch sie auch im einzelnen eingeschätzt worden waren, sollten sich an amerikanischen Maßstäben orientieren. Auch wenn Zink in diesem Zusammenhang von Mittelmäßigkeit und Arroganz der amerikanischen Kontaktpersonen 27 Vgl. Hocking, Experiment, passim. W. E. Hocking 1873 – 1966, Philosoph und Schüler unter anderem von Dilthey, Husserl und Windelband. 28 Zink gibt für das Jahr 1951 die Zahl von 344 Einreisen deutscher Lehrer in die USA und 228 in andere europäische Länder an. Vgl. Zink, Germany S. 212. 29 Ergänzt wurden diese Austauschprogramme durch die Gründung von „Education Service Centers“ in Augsburg, Berlin, Bremen, Bremerhaven, Bruchsal, Essen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Jugenheim, Kaiserslautern, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Koblenz, Mannheim, München, Nürnberg, Regensburg, Stuttgart, Weilburg und Wiesbaden. Vgl. Zink, Germany, S. 214.

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schrieb, stellte er diesen Punkt nicht in Frage. Im nachhinein ist die Vielfalt der verschiedenen Programme erstaunlich, mit denen amerikanische Stellen Einfluß auf die deutsche Entscheidungsfindung gewinnen wollten. Neben den speziell auf den Bildungssektor gerichteten Anstrengungen gab es auch breiter angelegte Programme, die eine ganze Vielzahl von deutschen Entscheidungsträgern und wichtigen Personen umfassen sollten.30 Sie begannen unmittelbar nach Kriegsende und wurden 1949 auf alle westlichen Besatzungszonen ausgedehnt. Für das Jahr 1951 wurden folgende Personen erfasst: Educational personnel 169 Community leaders 156 Information specialists 20 Religious leaders 30 Women leaders 62 Public health and welfare specialists 101 Political leaders 228 Labor leaders 166 Lega experts 30 Food and agriculture 83 Journalists, radio-broadcasters, publishers etc. 85.31 Diese reinen Zahlen sagen über die Wichtigkeit der ausgesuchten Personen zunächst nichts aus. Wer die Geschichte der frühen Bundesrepublik und ihrer wichtigen Personen untersucht, wird jedoch häufig auf Personen treffen, die mindestens eines dieser amerikanischen Programme durchlaufen hatten, meistens mehrere. Nun zählt die mehr oder weniger freundliche Entführung von jungen Eliten besiegter Länder zu den ganz traditionellen Herrschaftstechniken von Siegermächten. „Kein Sieger glaubt an den Zufall“, wie Friedrich Nietzsche richtig feststellte. Sieger pflegen von ihrem Wert und ihrem Recht überzeugt zu sein und davon, daß die Unterworfenen durch den Anblick der Heimat des Siegers entweder dauerhaft eingeschüchtert werden oder aber sogar dessen überlegenen Rechtsanspruch anerkennen würden. Mit dieser Sichtweise wurden nicht nur auf deutschem Boden gelegentlich schlechte Erfahrungen gemacht. Das galt etwa für das Römische Reich mit einem jungen römischen Offizier germanischer Herkunft, der nach Jahren römischer Bildung und Erziehung in seine Heimat zurückkehrte und dort als Arminius, der Cherusker, der erfolgreiche Organisator einer antirömischen Erhebung wurde. Doch dies blieb die Ausnahme. Einem Staatsgebilde wie den USA, das 1945 nicht nur als Sieger aus einem großen Krieg hervorgegangen war, sondern sich durch stetes Sen30 31

Vgl. Zink, Germany, S. 223. Vgl. Zink, Germany, S. 224.

3. Die Zook-Kommission

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dungsbewußtsein auszeichnete und sich bis in die Bezeichnung für seine hohen Amtsträger als Senatoren und den Ort ihrer Tätigkeit, dem Capitol, erkennbar am römischen Vorbild orientierte, konnten römische Erziehungsmethoden als Erfolgsmodell vertraut bleiben. Sie mußten nicht im Aufstand enden und hatten dies auch zu Zeiten des römischen Vorbilds meist nicht getan. Sie konnten statt dessen zu Entwicklungen wie in Vorderasien führen, wo König Attalos III. sein pergamenisches Reich im Jahr 138 v. Chr. an Rom vererbte, da er angesichts der kulturellen und wirtschaftlichen Überwölbung durch die römische Welt eine weitere eigene Herrschaftsausübung offenbar als sinnlos und unzeitgemäß empfand.32 Diese Haltung sollte in hohem Maß auch für die Repräsentanten der Bundesrepublik gelten, die sich als Politiker an den Bindungen der Nordatlantischen Allianz und der Europäischen Gemeinschaft orientierten, als Sozial- und Politikwissenschaftler aber auf die Akzeptanz dieser Politik hinarbeiteten, auch dort, wo sie gegen Prinzipien der Demokratie verstieß.

3. Die Zook-Kommission „Günter Grass (SPD) hat recht: ‚Die wirklichen Liberalen sitzen längst nicht mehr bei der FDP.‘ Sie sitzen überall dort, wo ein stilistischer und moralischer Endsieg des Menschen, wie er (ihrer Meinung nach) sein sollte, über den Deutschen, wie er ist, angestrebt wird.“ Caspar von Schrenck-Notzing33

Im Jahr 1946 prüfte eine Kommission amerikanischer Akademiker, die das amerikanische Außenministerium nach Deutschland geschickt hatte, den Fortgang der Dinge.34 Sie sollte eventuelle Mängel an den laufenden Erziehungsprogrammen aufdecken, die man im Außenministerium in einer möglicherweise zu großen Konzentration auf formale Dinge wie Verwaltung und Infrastruktur vermutete, während 32 Das sahen nicht alle im Land so. Ein unehelicher Sohn von Eumenes II. und damit Halbbruder von Attalos III., er hieß Aristonikos, versuchte letztlich erfolglos den Aufstand gegen die römische Herrschaft. Er wurde im Jahr 129 in Rom im Gefängnis erdrosselt. Ernst Jünger inspirierte diese Familie Eumenes zu Beginn der 1970er Jahre zusammen mit seinem Eindruck von der damaligen Ostpolitik eines Bundeskanzlers Brandt, die er als „Fellachentum“ sah, zu seinem Roman Eumeswil. Er spielt in einer Verfallszeit nach dem Ende der politischen Visionen, von Jünger mit Blick auf Oswald Spengler ebenfalls als Fellachentum bezeichnet, die im Roman aus Sicht eines Geschichtsdozenten geschildert wird. 33 Zit n. Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 15. 34 Kommission gebildet nach Aufforderung von William Benton, stellv. Staatssekretär im State Department. Mitglieder Bess Goodykoontz (Erziehungsamt der USA), Henry H. Hill (Präsident Peabody-College, Tennesse) Paul M. Limbert (Präsident YMCA), Earl J. MacGrath (Dekan Universität Iowa), Reinhold Niebuhr (Prof. Theologie, New York), Felix Newton Pitt (kath. Schulamt), Lawrence Rogin, (Erziehungsabteilung der Vereinigung der Textilarbeiter), T.V. Smith (Prof. Universität Chicago), Helen C. White, (Prof. Universität Wisconsin.) Helen White wurde im Jahr 1950 Chairman im Board of Foreign Scholarships, dem Überwachungsgremium des Fulbright-Programms. Vgl. State Department, Plowshares, S. 5.

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demgegenüber die „Förderung individueller Verantwortlichkeit in demokratischen Jugendgruppen“ zu kurz gekommen sein könnte.35 In der Tat waren politisch aktive Jugendorganisationen zu dieser Zeit noch verboten, so weit sie nicht kommunistisch oder linkssozialistisch orientiert waren, wie die im März 1946 gegründete Freie Deutsche Jugend oder die im Herbst 1946 wieder hergestellten „Falken“. Daß im Herbst 1946 eine pauschale „Jugendamnestie“ jeden ab 1919 Geborenen vom Entnazifizierungsverfahren entband, brachte zwar eine Entlastung für die Bürokratie, beinhaltete aber zugleich eine Pauschalverurteilung, denn amnestiert konnte per Definition nun einmal nur werden, wer zuvor ein Vergehen oder Verbrechen begangen hatte. Solche Fragen untersuchte die nach ihrem Vorsitzenden George F. Zook als Zook-Kommission benannte Gruppe, und sie veröffentlichte nach ihrer Rundreise einen sechzigseitigen Bericht, der von der Militärregierung zunächst in zwanzigtausend Exemplaren auf deutsch verteilt wurde.36 Daraufhin wurden weitere einhunderttausend Exemplare gedruckt und etwa fünfunddreißigtausend davon an die Kultusministerien und die Lehrkräfte ausgegeben.37 Diese massenhafte Verteilung an potentielle Multiplikatoren machte Schule und sollte den Stil der bildungspolitischen Auseinandersetzungen auf Regierungsebene in den 1950er Jahren prägen, die hier zunächst von Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht eröffnet wurden. Bemerkenswert ist der Bericht aber nicht nur wegen seiner massenhaften Verbreitung, sondern auch wegen seines Inhalts. George F. Zook selbst verkörperte als Vorkriegsvorsitzender des American Council on Education (ACE) die Kontinuität international abgestimmter Bildungspolitik seit den frühen dreißiger Jahren. Auf der letzten Plenarsitzung des „International Committee on Intellectual Cooperation“ in Paris, im Juli 1939, hatte er die amerikanische Delegation geleitet.38 Der ZookBericht stellte die Frage nach dem Grund für seine eigene Übersetzung selbst und beantwortete sie paternalistisch wohlwollend und erfüllt von Selbstlob: „Nichts kann deutlicher zeigen, wie selbstverständlich jedem Amerikaner die öffentliche Diskussion von Gegenwartsproblemen ist. Was gesagt wird, muß sich der öffentlichen Kritik unterwerfen. Nur so wird die Lösung des Problems gefördert. In diesem Sinn soll der Bericht der Kommission auch die Deutschen zu freier Aussprache über ihre eigenen Erziehungsprobleme anregen. Daraus kann nur Gutes hervorgehen. Ferner wird der wahrhaft demokratische und humane Geist des Berichtes sicher eine bessere Verständigung Deutsch-

Vgl. Füssl, Umerziehung, S. 111 f. Vgl. Zook, Erziehung, S. 63. 37 Vgl. Braun, Bildungspolitik, S. 31. 38 Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 108. Füssls Formulierung, diese Sitzung im Sommer 1939 habe „wenige Monate vor der nationalsozialistischen Besetzung Frankreichs“ (sic) stattgefunden, illustriert die in politikwissenschaftlichen Abhandlungen an vielen Stellen zu beobachtende Loslösung ganzer Passagen der Zeitgeschichte aus den Zusammenhängen, ging doch der „Besetzung Frankreichs“ eine Kriegserklärung Frankreichs an den deutschen Staat voraus, eine aktive französische Kriegsplanung zur Ausdehnung des selbst erklärten Kriegs nach Skandinavien, den Balkan und die Benelux-Staaten und letztlich ein dramatischer Zusammenstoß der Streitkräfte beider Staaten – gut zehn Monate nach der Kriegserklärung. 35 36

3. Die Zook-Kommission

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lands und Amerikas herbeiführen. Es wird alle Deutschen mit Befriedigung erfüllen, daß nirgends ein billiger Tadel ausgesprochen, sondern überall der Wille gezeigt wird, den Deutschen selbst unter Opfern zu helfen, daß sie sich selbst finden.“39

Diese freundlichen Worte teilten den Deutschen die amerikanische Überlegenheit und die Diagnose mit, ihr Bildungssystem und sie selbst seien geistig verworren und müßten umerzogen werden. Eine „öffentliche Kritik“ an diesem grundsätzlichen Kern des Kommissionsberichts war entgegen der an dieser Stelle gegebenen Selbstbeschreibung in keiner Weise möglich. Im Jahr 1946 galt dies allein schon wegen der Zensur und des Fehlens einer freien Presse, auch war solche Kritik überhaupt nicht erwünscht. Die behauptete Offenheit verdeckte eine harte Zensur, die anders als frühere Zensurmaßnahmen von sich behauptete, es gebe sie gar nicht.40 Im Gegenteil mußte und wurde jede grundsätzliche Kritik als Ausdruck nationalistischer Verstocktheit interpretiert und würde jeden, der sie vorbrachte, umgehend seine Stellung im Rahmen des Bildungssystems kosten. Diese Argumentationsstruktur, die das Objekt der Umerziehung zur Anerkennung der Auffassung zwingen sollte, wonach seine eigene Umerziehung sowohl angemessen und gerecht gewesen sei (kein ‚billiger Tadel“), als auch offen zur Diskussion gestanden habe, ist eine Form der Machtausübung, wie sie im Rahmen gezielt autoritärer Pädagogik seit jeher üblich gewesen ist, soweit sie etwa Kinder dazu zwingt, durch das Eingestehen von eigener Schuld den Erzieher in die Machtstellung zu versetzen, Bedingungen für eine „Entschuldigung“ festzusetzen. Da es in diesem Rahmen nicht möglich ist, nicht schuldig zu sein, da behauptete Unschuld als Ausdruck der Verstocktheit aufgefaßt wird und somit zu Schuld führt, ist die Sache in jede Richtung abgesichert.41 In ähnlicher Weise rückversichert, hatte die Zook-Kommission dann noch eine letzte einleitende Bemerkung bereit. Sie erklärte sich für bescheidener, als dies in Deutschland bisher üblich gewesen sei: „Anstatt große Ideen aufzustellen, die nur in unendlicher Ferne erreichbar sind, hat die Kommission eine nüchterne, soziologische Untersuchung vorangestellt, um die Bedürfnisse

Zit. n. Zook, Erziehung, S. 8. Wegen ähnlicher Erlebnisse lehnte die Publizistin Margret Boveri, die um Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen gebeten worden war, diesen Auftrag ab. Sie habe als Regimegegnerin im Dritten Reich für die Frankfurter Zeitung geschrieben, aber jeder Leser habe damals gewußt, daß zensiert würde. Die Verantwortung für eine sich selbst als frei und offen ausgebende, in Wahrheit aber doch zensierte – und damit objektiv: verlogene – Berichterstattung in alliierten Diensten wollte sie nicht tragen. 41 Diesem Muster folgte auch die Aufforderung des Provost Marshall General an die deutschen Kriegsgefangenen in der Lagerzeitung „Der Ruf“: „Jeder deutsche Kriegsgefangene steht daher vor einer persönlichen Herausforderung. Da Sie nicht mehr unter dem Druck des Terrors leben, müssen Sie ihr Bewußtsein ändern. Sie müssen zeigen, daß Sie bereit sind, sich selbst umzuerziehen.“. Zit. n. Vaillant, Ruf, S. 36. Später wurde diese Auffassung in die Direktive SWNCC 269 / 5 als Grundsatz eingebracht, dem Long-Range Policy Statement on German Reeducation, wonach „die Wiederherstellung des Kulturlebens überwiegend eine Aufgabe für die Deutschen selbst sein muß“. Vgl. Kellermann, Relations, S. 27. 39 40

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V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag

zu beschreiben, an deren Befriedigung auch die Erziehung teilhaben muß und darauf ihre Vorschläge aufbaut.“42

Auf dieser Basis nun setzte die Kommission als Ergebnis einer angeblich nüchternen Analyse mit bescheidenen Zielen in Wahrheit die Rahmenbedingungen für eine gesellschaftliche Revolution. Die Niederlage Deutschlands im gerade zu Ende gegangenen Weltkrieg wurde ganz apolitisch im Stil gewalttätiger Erziehungsprinzipien als „wohlverdiente Züchtigung“43 ausgebreitet, aber der Bericht setzte zugleich mit einem dringenden Appell an die Besatzungsmacht an, die Hungerpolitik zu beenden, die jede Erziehung zu Demokratie unmöglich machen würde.44 Diese Entwicklung der Demokratie wurde in einem eigenen Abschnitt behandelt und verlangte nach Auffassung der Kommission: – Eine komplette Umwandlung der Familie ins Antiautoritäre: „Zwar verbietet das ‚noblesse oblige‘ des demokratischen Geistes das Eindringen in das Heim, auch zum Zweck einer Reform der Familie, aber keine Großzügigkeit könnte die Gleichgültigkeit der Demokratie für ihren eigenen Fortbestand entschuldigen.“45 Züchtigung sollte den Umerziehungsbehörden vorbehalten bleiben. – Eingriffe in die Religion, wobei auch hier wieder im Namen der Demokratie gegen demokratische Grundsätze jederzeit verstoßen werden konnte: „Klugheit und Bescheidenheit verbieten uns den Versuch, Deutschland jene Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat aufzudrängen, die sich in Amerika als so vorteilhaft für beide Teile erwiesen hat. Wir können jedoch nicht im Namen der Demokratie … Einrichtungen gutheißen, die den verschiedenen religiösen Ansprüchen nicht gleichmäßig gerecht werden.“ 46 – Politikzwang: „Der Deutsche sieht nicht, daß seine Enthaltung die Ursache dessen ist, was er an der Politik verachtet, ehe es zu ihrer Wirkung wird.“ 47

Das Mittel, dies alles zu erreichen, sei die Schule, wie der Zook-Bericht sie im weiteren zeichnete: „Geldlich getragen von einer Gesellschaft, die diese Dinge gelernt hat, kann die Schule die Hand füllen, die sie speist, bis ein gesunder Geist in einer gesunden Gesellschaft die negative Seite, die Leiden der Säuberung rechtfertigt (sic), und das positive Vertrauen Amerikas in der Wirksamkeit der Demokratisierung erfüllt.“ 48

Zit. n. Zook, Erziehung, S. 8. Zit. n. Zook, Erziehung, S. 11. 44 Die Ernährungspolitik der Sieger sah auch 1946 für den ‚Normalverbraucher‘ nur 1300 Kalorien vor und würde damit die Gesundheit besonders der Kinder untergraben. Vgl. Zook, Erziehung, S. 13. 45 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 20 f. 46 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 24. 47 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 23. 48 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 23. 42 43

3. Die Zook-Kommission

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Dies ist ein Kernelement der Umerziehungsplanungen überhaupt. Die Umerziehung selbst und das Leiden unter der „Säuberung“ sollten dem Objekt der Umwandlung als gerechtfertigt erscheinen. Dies führt in der politischen Sphäre zu eben jenen Zuständen, in denen Niederlage, ethnische Säuberung und Bombenkrieg als „Reaktion“ gerechtfertigt werden, obwohl begangen von Staaten, die selbst den Krieg erklärt hatten oder faktisch ohne eigene Kriegserklärung betrieben, die den strategischen Bombenkrieg schon vor Kriegsausbruch in Planung hatten und ethnische Säuberung schon vor 1939 als Mittel der Politik einsetzten. Für demokratische Zwecke forderte die Zook-Kommission bereits 1946 die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und die sechsjährige Grundschule für alle, was den Ablauf von Bildungsdebatten in Deutschland mehr als sechzig Jahre später immer noch prägt. Das deutsche Bildungssystem erwies sich jedoch als zählebiges Wesen, so weit ihm die Chance gegeben wurde.49 Was den Lehrplan an den Schulen betrifft, so habe er laut Zook-Kommission für die „Erziehung zur demokratischen Haltung wichtige Beiträge zu leisten“. So sei er zu diesem Zweck zu reinigen und zu kürzen von „Fächern, die mit akademischer Tradition überlastet sind“, zugunsten des wichtigsten: „Die wichtigste Änderung, die in allen deutschen Schulen notwendig ist, ist eine grundsätzliche Umgestaltung der sozialwissenschaftlichen Fächer nach Inhalt und Form. Die Schüler müssen die aktiven Träger des Lernvorgangs sein. Dann werden die Sozialwissenschaften (Geschichte, Geographie, Staats- und Heimatkunde) vielleicht den Hauptbeitrag zur Entwicklung demokratischen Bürgersinns leisten.“50

Diese Sozialwissenschaften nun brauchten passende Lehrkräfte. Die Kommission bezeichnete die gegenwärtige Praxis der Lehrerausbildung in Bayern als untragbar und verlangte weiterführende Bildung: „der Lehrer – jeder Lehrer! – muß zugleich zum Staatsbürger erzogen werden.“51 Das gleiche Erziehungsideal sollte natürlich für die Universitäten gelten, ergänzt durch die dringende Entsendung von amerikanischem Lehrpersonal nach Deutschland, wobei jede Person „natürlich durch das Außenamt und das Kriegsministerium politisch geprüft“ werden sollte. Der Gesamtplan sollte durch transatlantische Wechselwirkungen ergänzt werden: „Private Organisationen sollten sich ganz besonders bemühen, zuverlässigen deutschen Studenten, Lehrern und führenden Leuten auf kulturellen Gebiet ein Studium in den Vereinigten Staaten zu ermöglichen.“ 52

Die Kommission gab nach ihrer Rundreise eine Reihe von Empfehlungen ab, wie ein „Training“ demokratischer Verhaltensweisen einzuführen sei. Man schlug vor, 49 In der sowjetischen Besatzungszone wurde 1946 die Einheitsschule nach einer gemeinsamen Proklamation von SPD und KPD eingeführt und damit die Gymnasien beseitigt. Einer achtklassigen Grundschule folgte demnach entweder eine dreistufige Berufsschule oder eine vierstufige Oberschule. Vgl. Führ, Bildungsgeschichte, S. 8, bzw. Venohr, Rote Preußen, S. 25. 50 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 30. 51 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 34. 52 Zit. n. Zook, Erziehung, S. 60.

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V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag

ein informelles Netzwerk zu errichten, Zeichen zu setzen und materielle Anreize zu schaffen, um den gewünschten Prozeß unauffällig in Gang zu setzen. Allerdings sollte sich die Besatzungsmacht weiter eine „ultimate authority“ vorbehalten. Außerdem empfahl die Kommission die Intensivierung von Austauschprogrammen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten.53 Als Hauptansatzpunkt für die Umerziehung sah die Kommission eine Neuerziehung und Umstrukturierung des deutschen Schulwesens. Es sollte demonstrativ auf Gleichheit abzielen, um eine „demokratische“ Ausstrahlung zu bekommen. Dafür war es nötig, so erklärte im Frühjahr 1947 ganz im Sinn des Zook-Berichts der Leiter der Erziehungsabteilung bei OMGUS, John W. Taylor, die Einheitsschule zu schaffen. Es sei „ein Unrecht gegen die Massen des deutschen Volkes und ein Anachronismus in einer demokratisch werdenden Welt“, weiter am dreigliedrigen Schulsystem festzuhalten.54 Ähnliche Mischungen aus marxistisch anmutenden und zugleich vage globalisierten Absichtserklärungen sollten die Debatte um das deutsche Schulsystem in den kommenden Jahrzehnten wie gesagt prägen, immer wieder neu verstärkt durch Beschlüsse internationaler Bildungskonferenzen. Das dreigliedrige Schulsystem war offenbar richtig als eine der Stärken des deutschen Ausbildungsgangs und als Voraussetzung für die außergewöhnliche Produktivität etwa des deutschen Ingenieurwesens erkannt worden, zugleich aber auch als Ursache für das elitäre Selbstwertgefühl humanistischer Bildung. Beides sollte nach dem Willen der Zook-Kommission verändert werden, galt es doch als Ausdruck des für schädlich befundenen deutschen „Sonderwegs“. Das stieß aber auch in den USA selbst auf Widerstand. Dreizehn Chicagoer Professoren setzten sich für den Fortbestand des humanistischen Bildungsideals ein, darunter auch die Emigranten und späteren bundesdeutschen Professoren Arnold Bergstraesser und Hans Rothfels.55 Hier meldeten sich erstmals jene deutschen Beharrungskräfte zu Wort, die dem unumschränkten Reorientierungswillen der Planungsbehörden dauerhaft etwas entgegensetzten, so daß für die Jahre bis 1965 von transatlantischen Wechselwirkungen gesprochen werden kann. Diese Widerstände gab es auch innerhalb Deutschlands und sie führten dazu, daß sich in der Endphase der Militärregierung die Kritik an der Amtsführung General McCloys verstärkte. Vor allem amerikanisch-jüdische Organisationen zeigten sich seit längerem beunruhigt angesichts der in der Bundesrepublik von ihnen wahrgenommenen „Renazifizierungstendenzen“. Eine Abwägung der tatsächlichen Verhältnisse vor Ort konnte eigentlich kaum zu diesem Urteil kommen, da jedwede nationalsozialistische Tendenz innerhalb der insgesamt unter den Verhältnissen von Teilung und Besatzungsherrschaft politisch weitgehend marginalisierten Bedeutung der deutschen Entscheidungsfindung noch einmal ein verschwindend geringes Element darstellte. Andererseits schienen die Besatzungsbehörden wenige Jahre nach 53 54 55

Vgl. Füssl, Umerziehung, S. 171. Zit. n. Mohr, Politikwissenschaft, S. 16. Vgl. Albrecht, Pädagogik, S. 390.

3. Die Zook-Kommission

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dem Ende der Herrschaft des politischen Antisemitismus in Deutschland seine Bedeutung aus Sicht der amerikanisch-jüdischen Perspektive zu unterschätzen. Die verschiedenen großen amerikanischen Organisationen mit diesem Hintergrund hatten frühzeitig miteinander kooperiert und zunächst 1945 die Entsendung des amerikanischen Sonderbeauftragten Earl G. Harrison erreicht, der im August 1945 an Präsident Truman über die Lage der jüdischen Überlebenden und die wünschenswerten Maßnahmen für die Zukunft berichtete.56 Dieser Bericht trug dazu bei, daß beim amerikanischen Hochkommissar in der Bundesrepublik eine Beraterstelle für jüdische Angelegenheiten geschaffen wurde, die bis 1949 erhalten blieb,57 deren absehbares Auslaufen im Jahr 1949 aber wieder die Frage nach weiterer Zurückdrängung antijüdischer oder pro-nationalsozialistischer Einstellungen in den drei Westzonen durch Bildungspolitik und Entnazifizierung aufwarf. An der Einschätzung, in welchem Ausmaß dies nötig sei, wirkten Mutmaßungen darüber mit, welchen Anteil die deutsche Kultur und ihre Bildungsstrukturen insgesamt am Aufkommen des NS-Regimes gehabt hatte. Der American Jewish Congress hatte deshalb schon im April 1949 das Scheitern der amerikanischen Entnazifizierung scharf kritisiert.58 Im März 1950 wollte er sich deshalb auf einer Konferenz über die „Renazifizierungstendenz“ in Deutschland beraten.59 Auch andere jüdische Organisationen meldeten sich zu Wort: „Der Kampf gegen die Renazifizierung in Deutschland müsse von Washington und New York aus geführt werden“, schrieb Robert Marcus, Politischer Direktor der Dachorganisation des World Jewish Congress, einem britischen Parlamentarier.60 Im Oktober 1950 legte Marcus nach und sprach in einem weiteren Schreiben vom Zusammenbruch des Entnazifizierungsprogramms.61 Auch die jüdische Loge B’nai B’rith wandte sich gegen eine aus ihrer Sicht zu positive Sicht der innenpolitischen Lage in Deutschland. Eine solche vertrat nach Ansicht der Loge der Stellvertreter McCloys, Benjamin B. Buttenwieser. Im Mai 1950 war Buttenwieser von B’nai B’rith in die USA eingeladen worden, was man postwendend wi-

56 Bericht in: http: // jewishvirtuallibrary.org / jsource / Holocaust / truman_on_harrison.html zuletzt eingesehen am 17. Februar 2011. 57 In gewisser Weise ein „jüdischer Botschafter“ beim amerikanischen Hochkommissar Vgl. Bergmann, Erbe, S. 373 f. 58 Zit. n. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 184, Brochhagen bezieht sich auf eine Resolution vom 28. 4. 49, American Jewish Historical Society, American Jewish Congress Collection, Bow 52. 59 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 185. 60 Zit. n. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 184, Brochhagen bezieht sich auf ein Schreiben Marcus an Silverman, 1. 3. 1950, American Jewish Archives, World Jewish Congress Collection, H. 130 / 105. Der angeschriebene Abgeordnete Sydney Silverman, jüdisches Parlamentsmitglied der Labour-Party, hatte während des Zweiten Weltkrieg zu den wenigen gehört, die „das Thema Judenvernichtung vor das Parlament brachten“. Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 229, bzw. Gilbert, Auschwitz, S. 141 und S. 218. 61 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 189, Schreiben Marcus an Henry Byorade vom 13. Oktober 1950, American Jewish Archives, World Jewish Congress Collection, A 82 / 1.

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V. Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag

derrief, als die Rede bekannt wurde, die er anläßlich einer Tagung halten wollte. Vor allem seine Aussage, der Nazismus sei zerstört und werde niemals wieder auferstehen, hatte den Zorn der Loge erregt: Buttenwiesers Rede sei eine Apologie der gescheiterten Entnazifizierungspolitik und eine Ermutigung des neuen deutschen Nationalismus“.62 Bemerkenswert war hier wie an anderen Stellen die Austauschbarkeit von Nationalsozialismus und Nationalismus innerhalb der Argumentation. Diese Synonymisierung erfreute sich zunehmender Beliebtheit und trug ihren Teil dazu bei, daß den Politik- und Sozialwissenschaften die Nationalfragen zunehmend zum Skandal gerieten, der am besten erst gar nicht angesprochen werden sollte. Aber erst mußten diese Wissenschaften noch gegründet werden.

62 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 185, Meldung der New York Times vom 15. 5. 1950, B’nai B’rith cancels speech by McCloyaide as ‚apologia‘.

VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I) Gründungskonferenzen und Austauschprogramme in der frühen BRD 1. Der Übergang von der Militärregierung zum Hochkommissariat „Fröbel … hat eine reiche Frau geheiratet … Rußland und Amerika müssen nach ihm die Welt teilen. Er fühlt sich sehr erhaben auf diesem Standpunkt, schwärmt für amerikanischen Luxus und Gentlemanlikeness, verachtet die Deutschen und beweist ihnen dies faktisch, indem er den deutschen Sklavenhandel nach Zentralamerika betreibt. Es ist gottvoll, daß ein solcher Rudolstädter,1 weil ihm die bürgerliche Gesellschaft in ihrer amerikanischen Realität imponiert, ‚weiter‘ zu sein glaubt als der rest of Europe. Diese Hunde verlangen alle nur, sobald sie have found their bread and cheese, einen blasierten Prätext, um dem Kampf ‚valet‘ zu sagen.“ Karl Marx2

Die Konferenzen der alliierten Militärbehörden im Oktober 1948 in Berchtesgaden und etwas mehr als ein Jahr später in Bad Nauheim gingen auf den erwartungsgemäß veränderten Stand der Dinge ein, der durch die Gründung eines westdeutschen Staates entstehen würde, bzw. der zur Zeit der Konferenz in Bad Nauheim im Dezember 1949 bereits entstanden war. Die amerikanische Militärregierung würde keine direkte Befehlsgewalt mehr haben und daher subtiler agieren müssen. Richtete sich das bisher aktuelle Austauschprogramm zum deutlich überwiegenden Teil auf den nicht-akademischen Bereich, auf Mitglieder religiöser Gruppierungen, Frauenrechtsgruppen, Jugendorganisationen und Gewerkschaften, so mußte langfristig der universitäre Bildungsbereich wichtiger werden.3 Als Ziel der weiteren Aktivitäten unter diesen Bedingungen wurden im wesentlichen fünf Punkte festgeschrieben: 1 Rudolstadt hatte den hier gemeinten Julius Fröbel (1805 – 1893) im Jahr 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. 2 Brief von Marx an Engels im Herbst 1858 mit einem Bericht über Julius Fröbels Durchreise durch London. Vgl. MEW, III, Abt. II, S. 348, hier zit. n. Vagts, Rückwanderung, S. 178. Fröbel, der als Begleiter Robert Blums 1849 in Wien zum Tod verurteilt worden war und aus nie geklärten Gründen der Hinrichtung entging, versuchte sich nach seiner Rückkehr in der österreichischen Politik und wurde schließlich von Bismarck als Konsul in den Dienst des neugegründeten Deutschen Reichs gestellt.

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

1. Ein HICOG Special Projects Program, das im wesentlichen Baumaßnahmen umfaßte (Studentenhäuser, Mensen etc.). 2. Eine Stimulierung des Studentenlebens durch Angebote zum internationalen Austausch und Stärkung der Selbstverwaltung (ASTA). 3. Eine Verbesserung der Beziehung zwischen Professoren und Studenten durch Austauschprogramme internationaler Art unter Förderung von Auslandsaufenthalten von Professoren und Studenten in Westeuropa und den USA. 4. Eine Erweiterung des Curriculums durch ein studium generale, die Einführung von Politikwissenschaft und anderen Sozialwissenschaften und die Förderung der politischen Bildung zum Staatsbürger; Förderung von Instituten wie dem Frankfurter Institut für Sozialforschung, dem Institut für politische Wissenschaften in Berlin, den Amerikainstituten in München und Frankfurt, einem Institute of International Educational Research in Frankfurt, sowie die Unterstützung der Gründung von UNESCO-Instituten. 5. Unterstützung der Freien Universität Berlin.4 In Zusammenhang mit dieser Studie sind vor allem die Punkte drei und vier wichtig. Tatsächlich beginnt die Geschichte des Fachs Politikwissenschaft und der anderen Sozialwissenschaften nicht erst, wie vielfach in der Literatur angegeben, mit der unter deutscher Beteiligung abgehaltenen Gründungskonferenz in Waldleiningen im September 1949. Bereits ein Jahr vorher wurden in Berchtesgaden von den US-Behörden im Alleingang jene Beschlüsse gefaßt, die in Waldleiningen und den anderen Konferenzen umgesetzt wurden und die Kulturgeschichte der Bundesrepublik nachhaltig mit prägen sollten. Dies ist der in den Selbstbeschreibungen der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft in der Regel ausgeblendete Hintergrund, vor dem die Geschichte der Gründungskonferenzen des Fachs Politikwissenschaft gesehen werden muß, da sie nicht unabhängig von den Anstrengungen der amerikanischen ‚cultural diplomacy‘ abgehalten worden waren.5 Das Institut für Sozialforschung, das später ein wesentliches Instrument des intellektuell-kulturellen Wandels auch im Bereich der Politikwissenschaft werden sollte, hatte zu diesem Zeitpunkt erst vage Versuche einer Rückkehr nach Frankfurt unternommen und wurde erst im November 1951 förmlich wiedereröffnet, also mehrere Jahre nach dem Unterstützungsbeschluß von Berchtesgaden. Auch die 1948 wiedergegründete Hochschule für Politik in Berlin, die ebenfalls 1948 gegründete FU Berlin und die 3 In diesem Sinn die Grußadresse von Alonzo Grace, dem damaligen Leiter der Education and Culutural Relations Division, der Wichtigkeit von nicht-akademischem Austausch betonte, solange die Universitäten noch nicht den Bevölkerungsquerschnitt abbilden würden. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 8. 4 Vgl. Pilgert, System, S. 80 f. 5 Auch ein prinzipiell an der Berücksichtigung von Netzwerken und Cliquenbildung sehr interessierter Politikwissenschaftler wie Hans-Joachim Arndt verzichtete bei der Analyse der Gründungskonferenzen „bewußt darauf, weiter in ‚Hintergründe‘ zu leuchten, als es die Gesamtprotokolle selbst tun“. Vgl. Arndt, Versuch, S. 118.

1. Von der Militärregierung zum Hochkommissariat

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Absichtserklärungen für eine internationale Standardisierung der Bildungspolitik durch die UNESCO6 und den Austausch von Studenten und Professoren erkennen wir im Zusammenhang mit den Beschlüssen von Berchtesgaden als eine erstrangige Absicht der Militärregierung und des HICOG.7 In Zahlen drückte sich dies so aus, daß der Bildungsetat nach dem Wechsel von OMGUS zu HICOG von 1,025 Millionen Dollar auf 48 Millionen Dollar erhöht wurde. Das Austauschprogramm, das von ursprünglich 50 Personen zu Zeiten der Hermann Wells Mission auf 175 Personen erhöht worden war,8 umfasste nun 3.415 Personen pro Jahr.9 Die so gefassten Beschlüsse wurden auch auf anderer Ebene in die Tat umgesetzt. Die Civil Administration Division von OMGUS unter der Leitung von Edward A. Litchfield übernahm die Organisation der praktischen Schritte und einer ihrer Mitarbeiter, Professor Karl Loewenstein vom Amherst College plante zu diesem Zweck eine Konferenz, die 1949 in Waldleiningen stattfinden sollte. Es wurde die Gründungskonferenz der politischen Wissenschaften in Deutschland. Das Beispiel Karl Loewenstein zeigt sehr gut die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen der nationalsozialistischen Politik, der Emigration und Beteiligung vieler Emigranten an der Zerschlagung des NS-Regimes und der Prägung der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Dies ist auch deshalb erwähnenswert, weil Loewensteins zentrale Rolle in manchen Bereichen, etwa der Entstehungsgeschichte der Politikwissenschaft, in der einschlägigen Literatur kaum aufgearbeitet wird.10 Als Münchener Anwalt und Privatdozent gehörte Loewenstein zur ersten Emigrationswelle aus Deutschland und wurde 1933 als Gastdozent nach Yale berufen. Bereits 1936 avancierte er zum Professor für Politik- und Staatswissenschaften am eben erwähnten Amherst College. Bis 1939 hatte er einen umfassenden Analyseversuch des nationalsozialistischen 6 Zur Förderung der Institutionalisierung der Politik- und Sozialwissenschaften in Deutschland regte HICOG 1951 die Gründung des UNESCO-Instituts für Sozialwissenschaften in Köln an, nachdem zunächst geplant gewesen war, dieses Institut dem Frankfurter Institut für Sozialforschung anzugliedern. Vgl. Wiggershaus, Schule, S. 483. Es wurde zunächst von dem US-Amerikaner Nels Anderson geleitet. Wichtige Mitarbeiter waren u. a. Erich Reigrotzki, Erwin K. Scheuch und Renate Manytz. Das Institut wurde 1960 aufgelöst. Die Selbstauskunft der Universität Köln über “Die Anfänge der Kölner Politikwissenschaft“ gibt über die Besatzungshintergründe keine Auskunft und nennt als Leiter nur den Niederländer Jan Jurrian Schokking: „Im Jahr 1950 beschließt die UNESCO, ein Institut für Sozialwissenschaften in Deutschland zu gründen.“ Vgl. http: // www.politik.uni-koeln.de / index.php?id=115&type= 123. Alonzo Grace kündigte bereits 1948 auf der Konferenz von Berchtesgaden in Zusammenhang mit den Austauschprogrammen ein eigenes, damals aber noch nicht ausformuliertes UNESCO-Programm für Deutschland an. Vgl. Braun, Bildungspolitik, S. 42. 7 Vgl. Pilgert, System, S. 91. 8 Vgl. unten das Kapitel zur Wells-Mission. 9 Vgl. Heinemann, Bildungspolitik, S. 96 f. Die Zahlenangaben umfassen offenkundig nicht alle Personen, die in Reiseprogramme einbezogen worden waren. Sie schwanken daher deutlich. Bei Helen Liddell findet sich für das Jahr 1948 die Formulierung von „two Germans for the United States every day“. Vgl. Liddell, Education, S. 121. 10 Hans-Joachim Arndt beläßt es etwa bei Mutmaßungen über Loewensteins Rolle anhand einer kurzen Selbstbeschreibung Loewensteins aus den 60er Jahren.

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

Staates verfaßt, der unter dem Titel „Hitler’s Germany“ bis 1944 vier Auflagen erlebte und für Loewenstein selbst weitere Türen öffnete. Er verschickte das Buch offensiv an die Prominenz unter den amerikanischen Juristenkollegen, so etwa an die Obersten Bundesrichter Stone, Douglas, Frankfurter und Brandeis, wobei die beiden letzteren nicht nur fachlich als erstrangige Juristen galten, sondern auch als politisch profilierte Männer und führende Vertreter des amerikanischen Judentums. Für die Berufung seines Beraters und wohl auch persönlichen Freundes Felix Frankfurter an das Oberste Bundesgericht hatte der amtierende Präsident Roosevelt im Jahr 1939 erheblichen öffentlichen Ärger in Kauf genommen.11 Auch Loewensteins Bekanntschaft mit Robert Kempner scheint ein Ergebnis der Veröffentlichung von „Hitler’s Germany“ gewesen zu sein,12 so daß Loewenstein mit diesem Schritt im politisch-juristischen Zentrum des Krieges gegen NS-Deutschland angekommen war, einem Zentrum, in dem die von der Rassegesetzgebung betroffenen Emigranten eine wesentliche Rolle spielten, aber auch viele Amerikaner, die von dieser Gesetzgebung als Deutsche betroffen gewesen wären. Mit dem Kriegseintritt der USA begann Loewenstein für das US-Justizministerium und andere Behörden zu arbeiten,13 wobei in diesem Zusammenhang seine Mitgliedschaft im Research Committee der American Political Science Association erwähnenswert ist, das sich unter anderem mit dem möglichen Beitrag der amerikanischen Politikwissenschaft für den Sieg im Krieg und dem Gewinn des kommenden Friedens beschäftigte.14 Im April 1943 leitete Loewenstein eine Arbeitsgruppe über vergleichende Regierungsformen, die in ihrer Kombination aus Emigranten und amerikanischen Mitgliedern bereits die späteren Konstellationen in der Nachkriegszeit vorwegnahm, wie sie in Deutschland auftreten sollten. So wirkten unter anderem James K. Pollock, Arnold Brecht, Carl Joachim Friedrich, John Herz und Eric Voegelin in dieser Gruppe mit.15 Nach 1945 arbeitete Karl Loewenstein daran, das deutsche Rechtssystem wieder reformiert in Gang zu bringen, er sichtete per-

11 Felix Frankfurters Berufung an das Oberste Gericht wurde am 5. Januar 1939 von Roosevelt öffentlich bekanntgegeben. Darüber hatte kurz zuvor noch eine lebhafte Auseinandersetzung stattgefunden, denn die Berufung Frankfurters brachte den zweiten Richter jüdischen Glaubens, politisch gesehen ein Zionist, an das Oberste Bundesgericht und störte neben dem religiösen auch den regionalen Proporz. Vgl. Scheil, Krise, S. 256 f. 12 Vgl. Stiefel, Juristen, S. 178, der dies aus Loewensteins Nachlaß schließt. 13 Nicht erst „nach dem Zweiten Weltkrieg“, wie Arno Mohr schreibt. Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 98. 14 Eine Frucht dieser Arbeit stellte der Artikel: „Instruction and Research – War-Time Priorities in Research“ vom Juni 1943 dar, der von einem Autorenkollektiv unter Mitarbeit Loewensteins geschrieben wurde. Vgl. Instruction and Resaerch, in: The American Political Science Review, Bd. 37, 3. Juni 1943, S. 505 – 514. 15 Vgl. Stiefel, Juristen, S. 179. Carl J. Friedrich fungierte nach 1945 als Berater von Lucius Clay und beschrieb die Militärregierung später als „konstitutionelle Diktatur“. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 48 f.

2. Die Konferenz von Waldleiningen

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sönlich zusammen mit William Dickman die in Frage kommenden deutschen Juristen, ein Unternehmen, bei dem auch Robert Kempner vielfach eingreifen konnte.16 Loewensteins Rolle im Bereich des Neuaufbaus des Justizwesens kann kaum überschätzt werden,17 wenngleich auch er die Erfahrung machte, daß die Trägheit der Strukturen oder der bewußte Wille zur Beharrung bei den deutschen Verantwortlichen dem Umgestaltungswillen Grenzen setzten. Den deutschen Gesprächspartnern erschien er als „der ‚Rechtspapst‘ beim Alliierten Kontrollrat in Berlin“.18 Loewenstein konnte insgesamt gut vorbereitet daran gehen, als Repräsentant der amerikanischen Regierungsmacht seine Vorstellungen einer wünschenswerten Nachkriegsordnung umzusetzen, auch im Bereich Politikwissenschaft.19

2. Die Konferenz von Waldleiningen „Darüber hinaus ermöglichte die Umstellung des Re-orientierungsprogramms auf eine gelenkte Selbsthilfe in ausgewählten Bildungsbereichen die Einführung oder Neubetonung von Lehrstoffen, Lehrfächern oder Einrichtungen, die zuvor nie oder nur ungenügend behandelt worden waren. Zu diesen Neuerungen gehörten die Einführung der Politologie als einer selbständigen akademischen Disziplin und die Rehabilitierung der Sozialwissenschaft.“ Henry Kellermann20

Wenigstens die formelle Entstehung der Politikwissenschaften in Nachkriegsdeutschland läßt sich einigermaßen genau datieren. Dies ist auch die Mehrheitsmeinung im Fach selbst, das sich mit der Erkenntnis schwer tut, in dieser Nachkriegsform kein aus eigener Initiative entwickeltes Fach zu sein.21 Die Grundlagen zum Vgl. Stiefel, Juristen, S. 195 f. Frieder Günthers Feststellung, Loewenstein habe sich nach 1945 für Deutschlands Anbindung an den Westen „engagiert“ und seine Aufsätze seien wahrgenommen worden, weil die „Smend-Schule“ (Ehmke, Hennis, v. Oertzen usw.) ihn persönlich gekannt habe, blendet die Funktion und den Hintergrund Loewensteins als einflußreicher Regierungsbeauftragter gänzlich aus. Vgl. Günther, Gemeinwesen, S. 285. 18 Vgl. Maier, Wende, S. 377. 19 Die Grundzüge seiner Vorstellungen veröffentlichte Loewenstein 1946 in einem eigenen Buch unter dem Titel „Political Reconstruction“. 20 Zit. n. Kellermann, Reorientierungsprogramm, S. 98. 21 Vgl. Bleek, Politikwissenschaft, 9. Bleeks umfangreiche „Geschichte der Politikwissenschaft“ spannt angesichts dessen einen weiten Bogen, der von den antiken Grundlagen politikwissenschaftlichen Denkens über deren Geschichte an den mittelalterlichen deutschen Universitäten bis in die Bundesrepublik reicht. Er unternimmt bewußt den Versuch, die Fixierung auf den alliierten Gründungsakt zu überwinden, ohne die alliierte Politik als dessen eigentliche Ursache direkt anzusprechen oder gar zu kritisieren. Er sieht allerdings bezeichnenderweise den Bedarf, „der Politikwissenschaft die ihr zustehende Legitimation zu vermitteln“ und spricht besonders mit Blick auf die Zeit zwischen 1849 und 1933 von „Gedächtnisverlust“. Ebd. S. 10. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Rainer Eisfeld, der Kontinuitäten in den akademischen Karrieren mancher Politikwissenschaftler von der DHfP über die NS-Zeit bis nach 16 17

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

Fach Politikwissenschaft wurden auf der Konferenz über „Die politischen Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen“ gelegt. Sie fand in Waldleinigen am 10. / 11. September 1949 statt und wurde durch eine Folgekonferenz in Königstein ergänzt, die am 15. / 16. Juli 1950 den Titel trug: „Über Lehre und Forschung der Wissenschaft von der Politik“. Es lud in beiden Fällen formal der hessische Kultusminister Erwin Stein ein, „einer Anregung der amerikanischen Militärregierung folgend“.22 Auch inhaltlich war der amerikanische Maßstab ausschlaggebend gewesen, so Stein, denn es: „haben amerikanische Sachverständige den Universitäten und den Ministerien bestimmte Vorschläge unterbreitet, die auf der Tagung erörtert werden sollen. Es handelt sich im wesentlichen um die Aufnahme eines bisher unter den Vorlesungen nicht systematisch vorgetragenen Lehrstoffs, der etwa in folgender Weise gleichsam schlagwortartig umrissen werden kann: 1. Politik als Wissenschaft oder wissenschaftliche Politik, 2. Internationale Beziehungen (nicht beschränkt auf das Völkerrecht), 3. Vergleichendes ausländisches Verfassungsrecht und Staatenkunde, 4. Moderne politische Theorien.“23

Damit waren Inhalte und Zielsetzung zunächst ebenso benannt wie die Machtverhältnisse. In der universitären Praxis selbst sollten die Inhalte dem akademischen Nachwuchs dann nach amerikanischen und englischen Vorbildern vermittelt werden: „In diesem Zusammenhang wird die Amerikanische Militärregierung Vorschläge sowohl über die Ausbildung von Dozenten und Professoren in den Vereinigten Staaten als auch über die Heranziehung von geeigneten Gastprofessoren für die deutschen Universitäten machen. Diese Vorschläge sollen gleichfalls auf der Tagung besprochen werden.“24

Dieser Einladung nach handelte es sich bei der Konferenz von Waldleiningen also im wesentlichen um eine Informationsveranstaltung, auf der die deutsche aka1945 sieht. Allerdings erhielt keiner der von ihm genannten Dozenten nach 1945 noch eine Stelle als Politikwissenschaftler. Es blieb bei Stellungen in der Publizistik, oder wie im Fall Fritz Berbers, als Professor für Völkerrecht. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 168. 22 Vgl. HEV, Waldleiningen, S. 159 f., Anlage I, Wortlaut der Einladung zur Konferenz. Christdemokrat Erwin Stein hatte im Dezember 1948 einen Gesetzentwurf zur Ausbildung der Lehrer vorgelegt, er wurde später Richter am Bundesverfassungsgericht. Steins Aktivitäten fanden regelmäßig „hohes Lob“ der amerikanischen Behörden, so auch seine am 30. Juni 1949 erlassenen „Richtlinien für den politischen Unterricht“, die sämtlichen Schulfächern einen politischen Bildungsauftrag erteilten, der zugleich von Geschichte abzukoppeln sei. Das Studium der Geschichte qualifiziere niemanden, politische Bildung zu geben. Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 23. 23 Zit. n. HEV, Waldleiningen, S. 159 f., Anlage I, Wortlaut der Einladung zur Konferenz. 24 Zit. n. HEV, Waldleiningen, S. 160. Die USA-Bildungsreisen von Politikwissenschaftlern waren ein besonderes Anliegen der Militärregierung. Es stand in gewissem Gegensatz zu den Plänen des State Department, wo man sich beispielsweise im Rahmen eines „Government Training“ Programms auf aktuelle Mitglieder der Verwaltung konzentrieren wollte und die von HICOG gewünschte Einbeziehung von Politikwissenschaftlern ablehnte. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 58.

2. Die Konferenz von Waldleiningen

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demische Szene ausdrücklich die Vorstellungen der amerikanischen Seite kennenlernen und sie umsetzen lernen sollte. Ausdrücklich wurde zugleich um eigene Vorschläge gebeten, wie die Tagung zu bereichern sei. In der Praxis stellte sich allerdings heraus, daß sowohl die eigenen Beiträge von deutscher Seite unbeachtet blieben, als auch der amerikanische Einfluß am Ende nicht mehr offen benannt, sondern gezielt verschwiegen wurde. Die Verhandlungen auf den beiden Konferenzen von Waldleiningen und Königstein wurden von der lizensierten Presse beobachtet, das Hessische Ministerium für Erziehung und Volksbildung veröffentlichte das jeweilige Gesamtprotokoll in „vollem Wortlaut“.25 Insofern herrscht bereits in diesem Anfangsstadium der Politikwissenschaft jene eigentümliche Mischung aus politischem Interesse, medialer Scheintransparenz und verdeckter alliierter Einflußnahme. Der Hinweis auf die Berichterstattung durch „Lizenzpresse“ ist deshalb hier keineswegs polemisch eingefügt, er ist unverzichtbar für die Einschätzung der Verhältnisse vor Ort. Nicht nur amerikanische Inhalte wurden vorgestellt. Es waren neben Presse, hessischer Regierung und Wissenschaftlern auch „Vertreter der amerikanischen Militärregierung“ persönlich anwesend, sowie Vertreter der englischen und französischen Besatzungsmacht, die zusammen mit den anderen Besatzungsmächten von Minister Stein in seiner Eröffnungsrede auch vor allen anderen begrüßt wurden.26 Dies wäre weniger bemerkenswert, wenn nicht der erfolgreiche Versuch unternommen worden wäre, die Anwesenheit dieser Herren und diese Zusammenhänge in der Schlußresolution und in der Berichterstattung vollständig zu unterdrücken. Weder in der Resolution noch in der Berichterstattung wurde erwähnt, daß die Einberufung der Konferenz auf Initiative der Besatzungsmächte erfolgt war und allenfalls andeutungsweise, daß sie deren Vorgaben folgte.27 Nach der Konferenz erschienen insgesamt drei Dokumentationsbände, in denen die Hessische Regierung selbst die Vorgänge zu dokumentieren und einzuordnen versuchte. Neben dem „Gesamtprotokoll“ von 166 Seiten veröffentlichte das „Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten“ (IFA)28 einen 131 Seiten langen Vgl. Arndt, Versuch, S. 117. Kultusminister Stein sprach in seiner Eröffnungsrede Prof. Karl Loewenstein und Mr. Jay Westcott als Vertreter der Militärregierung an. Vgl. HEV, Waldleiningen, S. 7. 27 Vgl. die Resolution in HEV, Waldleiningen, S. 155 f., sowie die Berichte im „Tagesspiegel“ 18. September 1949, in den „Frankfurter Heften“, November 1949 und in der „Frankfurter Neuen Presse“ vom 15. September 1949, abgedruckt in IFA, Bericht, S. 115 ff. 28 Ein amerikanisch finanziertes Institut mit Sitz in Frankfurt unter dem Vorsitz des dortigen Oberbürgermeisters. Institutionelle Mitglieder waren unter anderem der Deutsche Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtebund und Deutscher Gemeindetag. Der Versuch des IFA, eine eigene Bildungszentrale zu gründen, rief wegen der dort zu erwartenden alliierten Einflußnahme die Besorgnis der Bundesregierung hervor und führte 1950 zur Gründung der Bundeszentrale für Heimatdienst, aus der später die Bundeszentrale für politische Bildung wurde. Vgl. Thomas Krüger: Wirtschaftswunder, Wohlfahrtsstaat und Wiederbewaffnung – Geschichten aus der Geschichte der 50er Jahre, Vortrag im Rahmen eines Journalisten-Workshops der bpb am 17. März 2006. 25 26

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

deutschsprachigen „Bericht“ und außerdem eine 71-seitige englischsprachige Zusammenfassung. Es ist der Mühe wert, diese drei Ausgaben zum Vergleich nebeneinander zu legen. So enthält das Gesamtprotokoll seinem Anspruch gemäß einige hitzige Debatten, die in dem gar nicht wesentlich kürzeren „Bericht“ sämtlich weggelassen sind, darunter besonders der Wortwechsel über die Schlußresolution.29 Regelmäßig sind im „Bericht“ die Passagen gestrichen, die auf die amerikanische Initiative in dieser Angelegenheit hindeuten. Die oben angesprochene Schlußresolution stieß zunächst auf Widerstand, weil sie in der Nacht zwischen den beiden Konferenztagen von einer anonymen Gruppe von „etwa zehn Herren“ verfasst worden war und dem Plenum dann aufgenötigt wurde.30 Die Verabschiedung einer Schlußresolution war in der Tagungsplanung eigentlich nicht vorgesehen gewesen. Minister Stein ließ sich von der Versammlungsleitung das Wort geben und stellte die Resolution vor, ohne zu sagen, wer sie warum entworfen hatte. Er wurde ergänzt von einer Mahnung des Versammlungsleiters Petersen an die Anwesenden, die Zeit sei „weit fortgeschritten“. Meinungsäußerungen zu den Einzelpunkten seien nicht gefragt, sondern Zustimmung zu den Grundsätzen. Dessen ungeachtet meldete sich Professor Baumgärtel umgehend zu Wort: „Ich stelle die Anfrage, warum die Vertreter der Militärregierung nicht als Anwesende genannt sind. Ich weiß nicht, in welcher Form sie anwesend sind, ob sie offiziell für die Militärregierung hier sind. Meiner Ansicht nach müßte das erwähnt werden, daß auch die Militärregierungen oder die betreffenden Persönlichkeiten anwesend sind.“31

Außerdem wehrte sich Baumgärtel gegen den Passus der Resolution, der einen Pflichtbesuch von Vorlesungen der Politologie für alle Studenten vorsah. Für ihn, der die Politisierung des akademischen Betriebs während der NS-Zeit ebenso aktiv bekämpft hatte, wie er als Theologe gleichzeitig die Politisierung von Glaubensfragen abgelehnt hatte, stellte das einen wichtigen Punkt dar. Die Antwort der Versammlung zu Punkt Eins bestand jedoch in Schweigen, die zu Punkt Zwei nach längeren Debatten in der Einfügung eines Wörtchens: Die politologischen Vorlesungen sollten „gegebenenfalls“ zum Studienplan aller Studenten gehören und Gegenstand von Prüfungen werden.32 Auf eine weitere Nachfrage Baumgärtels zu Punkt Eins hieß es dann von Seiten Bergstraessers, es sei kein Platz in der Resolution, um die Militärregierung zu erwähnen und der „Bericht“ erwähnte dann nicht einmal mehr Baumgärtels Einwände. Daß dafür ohne weiteres Platz gewesen wäre und dieVgl. IFA, Bericht, S. 103. Vgl. Arndt, Versuch, S. 124 bzw. HEV, Waldleiningen, S. 138 und S. 143. 31 Zit. HEV, Waldleiningen, S. 140. 32 Vgl. IFA, Bericht, S. 104. Abweichend davon die Wiedergabe in: HEV, Waldleiningen, S. 155 und dem IFA, Abstract, S. 66. Dort die Formulierung: Die politologischen Vorlesungen sollten zum Studienplan aller Studenten gehören und „gegebenenfalls“ Gegenstand von Prüfungen werden, was die Politologie entgegen Baumgärtels Wünschen als Pflichtfach etablierte, wenn auch nicht als Prüfungsfach. 29 30

2. Die Konferenz von Waldleiningen

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ser Punkt auch einer Erwähnung wert war, zeigte dann der kürzeste aller Berichte. Der englischsprachige Text hielt sie in Stichpunkten fest.33 Zum Schluß stellte der Versammlungsleiter ohne Abstimmung schließlich die „allgemeine Zustimmung“ zur Nichterwähnung der Militärregierung fest.34 Die Schlußresolution wurde verabschiedet, und die Presse berichtete, was berichtet werden sollte. Der Name von Karl Loewenstein, der sich selbst als „Vater der deutschen Nachkriegs-Politikwissenschaft“35 sah und auch reichlich Grund dafür hatte, blieb unerwähnt. Diese Affären werden hier etwas ausführlicher geschildert, weil sie symptomatisch für die Methoden waren, mit denen das Fach Politikwissenschaft in Deutschland etabliert wurde und weil sie langfristige Folgen hatten. Es tröstet deshalb wenig, daß „dem später veröffentlichten Gesamtprotokoll Interessierte das alles entnehmen“ konnten.36 Dies taten und tun eben nur wenige,37 zumal wenn, wie in diesem Fall, ein umfangreicher Bericht vorliegt. So entstand sechzig Jahre später der unzutreffende Eindruck, „die Einführung der politischen Bildung für alle Studenten schien der kleinste gemeinsame Nenner zu sein.“38 Im Gegenteil war allerdings genau dieser Punkt nicht nur bei dieser Tagung heftig umstritten. Eine Gruppe um den Theologen Baumgärtel, Rektor der Universität Erlangen und den späteren Kieler Professor für Politikwissenschaft Michael Freund, sprach sich wie gesehen energisch gegen Pflichtvorlesungen für alle Studenten aus.39 So wird in der Rückschau zur scheinbaren Selbstverständlichkeit, was 1949 mühsam installiert wurde und sich später durchsetzen konnte.40 Die Manipulationen im Zusammenhang mit der Resolution waren keineswegs der einzige Vorgang, der bedenklich wirkte. Auch abseits dieser Debatten über Zusammenhänge und versteckte Initiativen zeigte die Konferenz von Waldleiningen jene Tendenzen auf, die politische Bildung in den kommenden Jahrzehnten aufweisen sollte. Dazu zählte das kategorische Ignorieren elementarer politischer Zusam-

Vgl. IFA, Abstract, S. 64. Vgl. Arndt, Versuch, S. 119, bzw. HEV, Waldleiningen, S. 144 f. 35 So in seinen Memoiren, S. 268 ff., vgl. Stiefel, Juristen, S. 77. 36 Vgl. Arndt, Versuch, S. 119. 37 Arndt muß „zugeben, daß die einst veröffentlichten Konferenzprotokolle inzwischen (d. h. etwa 1978, d. Verf.) nicht mehr leicht beschaffbar sind“. In sämtlichen Instituten für Politikwissenschaft seien sie „den Weg aller Raritäten gegangen: entwendet.“ Vgl. Arndt, Versuch, S. 118. 38 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S, 47, sowie Detjen, Bildung, S. 126. 39 Vgl. Arndt, Versuch, S. 126 f. Professor Freund plädierte auch auf der späteren Konferenz von Königstein energisch für ein prinzipielles Recht, unpolitisch zu denken und zu forschen. Er verglich dies mit dem Recht, unmusikalisch zu sein Vgl. HEV, Königstein, S. 124. 40 Auch dies war eine Frage des Generationswechsels. Dolf Sternberger etwa schrieb die Durchsetzung der Politikwissenschaft auf der Konferenz zur Lage der Politikwissenschaft in Europa Karl Loewensteins Bemühungen und dem Interesse der Regierung an politischer Erziehung zu, was den meisten Anwesenden damals auch bekannt gewesen sein dürfte. Vgl. Konferenz, S. 56. 33 34

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

menhänge zugunsten eines weltpolitischen Leitbilds, das für Fragestellungen nach der spezifisch deutschen Lage keinen Platz ließ. So stellte Professor Edmund Schramm von der Staatlichen Dolmetscherschule auf der Konferenz den allgemeinbildenden Lehrplan der Dolmetscherschule vor, der zum Beispiel Vorlesungen über den „demokratischen Staat“ und über vergleichendes Staatsrecht in den USA, Frankreich und Großbritannien vorsah. Eine ähnliche Vorlesung über vergleichendes Staatsrecht in Deutschland gab es nicht, eigene erwähnenswerte deutsche staatliche Überlieferungen kamen nicht gleichrangig oder gar nicht vor. Demokratie wurde in Germersheim wie künftig in der politischen Bildung überhaupt als Import dargestellt und die Abrundung des so vermittelten Weltbilds durften die Studenten dann anhand der Beantwortung von Suggestivfragen üben. Schramm nannte als Beispiel etwa: „Warum können wir England das Musterland der konstitutionellen Regierung nennen?“41

Die Streitkräfte dieses Musterlands waren gerade vier Jahre zuvor unter einer Regierung in Deutschland einmarschiert, die zu dieser Zeit seit einem halben Jahrzehnt von einem Premierminister geführt wurde, der sich nie einer freien Wahl gestellt hatte. Er ließ potentiell oppositionelle Personen in bedeutender Zahl einsperren und setzte 1940 gegen den Rat des eigenen Außenministers und hochrangiger Diplomaten einen auf Eskalation und Ausweitung des Konflikts in neutrale Länder zielenden Kriegskurs durch, trotz vorliegender Verhandlungsangebote des Kriegsgegners. Wenn Winston Churchill in der damals, 1949 allerjüngsten Vergangenheit etwas bewiesen hatte, dann die große Anfälligkeit des englischen Regierungsapparats für einsame, weder von Volk noch Parlament kontrollierbare Machtpolitik. Über die Hungersnot in Bangladesh etwa, die 1943 / 44 drei Millionen Menschen das Leben kostete und für die Churchill wegen der von ihm persönlich veranlassten Kürzungen der Nahrungsmittellieferungen mit verantwortlich war, belog der Premier das Parlament ebenso, wie er die Verbündeten in den USA über den Inhalt der vorliegenden deutschen Verhandlungsversuche falsch informiert hatte.42 Immerhin hatte der britische Wähler 1945 – allerdings spät genug – das Wort erhalten und den Kriegspremier abgewählt. Die ungeschriebene Konstitution der Siegermacht Großbritannien erwies sich nach diesem Krieg als elastisch genug, wieder zu Wahlen und parlamentarischen Formen zurückzukehren, aber dies konnte kaum ernsthaft Anlaß sein, sie als prinzipiell vorbildlich zu instrumentalisieren, gerade in Deutschland nicht. Die Politologie, wie sie in Waldleinigen konzipiert wurde, erteilte solchen Fragestellungen eine Absage. Ihre Gegenstandslosigkeit in Fragen politischer Wirklichkeit und nationaler Lage war zu dieser Zeit bereits Programm. Minister Stein ließ daran in seiner Einleitung keinen Zweifel:

Zit. n. HEV, Waldleiningen, S. 57. Vgl. dazu die Gesamtdarstellung dieser Vorgänge durch Madushree Mukerjee: Churchill’s Secret War, New York 2010. 41 42

2. Die Konferenz von Waldleiningen

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„Der Welthandel, die Weltwirtschaft und die Technik haben die eine Welt geschaffen, eine einzige große arbeitsteilige Gesellschaft, die Völker und Nationen als Glieder umfasst. Es ist höchste Zeit, daß wir unser politisches Denken und unser Verhalten diesen Tatsachen anpassen. Das bedeutet: Es besteht kein Gegensatz mehr zwischen den Staaten und den Weltbürgern. (sic) Die nationale Verantwortung sollte zugleich Weltverantwortung sein und die Weltverantwortung sollte zugleich nationale Verantwortung sein.“43

Ob dergleichen an irgendeiner Universität in den USA, England oder Frankreich tatsächlich vor den kommenden Führungskräften dieser Länder ausgesprochen oder gelehrt wurde, ist zu bezweifeln. Verantwortung für Dinge übernehmen, die man nicht verantworten kann, nicht einmal als Ministerpräsident eines besetzten deutschen Kleinstaats, das hatte weniger mit Politik als mit Glauben zu tun. Es ist nicht als wissenschaftlich haltbarer Leitsatz zu bezeichnen oder zu verwenden. Als Einleitungsbeitrag zu einer Konferenz, die man selbst nie einberufen hätte und die ganz andere zu verantworten haben, streift es eher den Bereich der Satire. Zwar mochte es erhebend sein, sich selbst als „Weltbürger“ zu definieren, doch der kleinste Versuch, in London oder Washington weltbürgerhaft die proklamierte Verantwortung wahrzunehmen, mußte unweigerlich den verleugneten Gegensatz zwischen Staat und Weltbürger offensichtlich werden lassen. Das Schicksal ihrer Geburt macht aus den Menschen mit wenigen Ausnahmen zu jeder Zeit Staatsbürger, die von eigenen wie fremden Staaten als eben diese Staatsbürger wahrgenommen und unterschiedlich behandelt werden. Dies nicht etwa – wie immerhin möglich – als eine im Rahmen künftiger Weltordnungen zu überwindende Tatsache anzusehen, sondern als bloßen Fakt zu leugnen, sollte gewissermaßen einer der häufigen Kunstgriffe von bundesdeutscher Politologie werden. Im Jahr 1949 eine solche Behauptung aufzustellen, das war zynisch gegenüber Millionen Menschen, die in den Jahren zuvor als Deutsche getötet, vertrieben oder enteignet worden waren, die zur Zeit der Waldleiniger Konferenz noch weiter in Gefangenschaft lebten, Zwangsarbeit leisteten, oder auf Dauer ihre politischen Rechte verlieren sollten.44 Man konnte es auch als zynisch gegenüber den mehreren hundert Millionen Mitgliedern der „einzigen großen arbeitsteiligen Gesellschaft“ auffassen, die von den Westmächten noch in kolonialer Abhängigkeit gehalten wurden und dies nach dem Willen der politischen Führung in London oder Paris in vielen Fällen auch dauerhaft bleiben sollten. Nun mußte die entstehende Bundesrepublik ohne jeden Zweifel auf alliierte Vorgaben Rücksicht nehmen. Was beispielsweise an Universitäten gelehrt wurde, durfte in den Augen der Alliierten keinen politischen Anstoß erregen und mußte aus Zit. n. HEV, Waldleiningen, S. 8. Minister Stein traf mit seiner Ignoranz gegenüber diesen Fragen und der gleichzeitigen Privilegierung der vom NS-Staat Verfolgten gelegentlich auf Widerstand. So verfügte er 1948 durch Erlass, daß politische, rassisch oder religiös Verfolgte und deren Kinder auch ohne Zulassungsverfahren und auch über den Numerus clausus hinaus an den hessischen Hochschulen immatrikuliert werden konnten. Daraufhin stellten in Frankfurt die Zulassungsausschüsse der medizinischen und der philosophischen Fakultät ihre Arbeit ein. Vgl. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 59. 43 44

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

guten Gründen im Prinzip das Grundgesetz stützen. Dafür gab es in der totalen Niederlage einen guten Grund und einen weiteren Grund in den unbezweifelbaren politischen Defiziten des Nationalsozialismus, die in Kriegszeiten zu einem flächendekkenden Abbau des Rechtsstaats geführt hatten. Ohne Zweifel stellte der Nationalsozialismus als totalitäre Staatsverfassung eine politische Fehlentwicklung dar, deren Ursachen unter anderem innerhalb Deutschlands zu suchen waren, also auch unter anderem innerhalb Deutschlands bekämpft werden mußten. Allerdings mußte jede wissenschaftlich erarbeitete historische Bestandsaufnahme der politischen Entwicklungen, die in Deutschland zur Herrschaft des Nationalsozialismus geführt hatten, ihn unter den objektiven Bedingungen seiner Entwicklung und seiner Existenz untersuchen. Das hieß unter anderem, ihn als Phänomen der Weltkriegsära deutlich werden zu lassen, die zugleich eine Ära voll internationalem nationalistischem Ehrgeiz und extremer ideologischer Gegensätze war. Zudem bildete sie eine Phase des auslaufenden imperialistischen Zeitalters und völkisch-rassischer Denkmuster, an die in allen Staaten mit unterschiedlicher Intensität geglaubt wurde und eine Gemeinschaft zerrütteter Kriegsgesellschaften, um nur einige Punkte zu nennen. Die nationalsozialistische Ideologie ließ sich aus innerdeutschen Quellen ableiten, die allerdings ohne die besondere Situation der Kriegs- und Zwischenkriegszeit, ohne die Erfahrung von Front, Tod, Hunger, Niederlage, Besatzung, Inflation und alliierter Nachkriegspolitik nach 1918 in keiner Weise durchsetzungsfähig gewesen wäre und erst durch eine lange Kette von internationalen Wechselwirkungen schließlich in ihre wohl radikalste Konsequenz mündete. Das in Waldleinigen ansatzweise sichtbar werdende Konzept einer ahistorischen Deutung des Nationalsozialismus und eines von Nationalgeschichte und politischer Realität entfremdeten Weltbürgerbewußtseinideals mußte demnach auf wissenschaftliche Skepsis stoßen.45 Die Alliierten sahen sich veranlaßt, weitere Schritte zu unternehmen.

3. Zwischenetappe: Die Berliner Tagung Unmittelbar nach der Tagung von Waldleiningen gab es ein Treffen der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) in Tübingen. Dort fanden die von Professor Baumgärtel in Waldleiningen vorgebrachten Bedenken gegen die Politikwissenschaft einen stärkeren Rückhalt, was dazu führte, daß die Rektoren gegenüber den Kultusministern der Länder im kommenden Frühjahr auf einer gemeinsamen Veranstaltung in Hannover eine Art Aufstand proben konnten. Sie erklärten, die von der hessischen Regierung auf alliierten Wunsch in Gang gesetzte Initiative sei eine „Bedrohung der Freiheit von Forschung und Lehre seitens der Politik“.46 In der Tat war ja an Freiheit im wörtlichen Sinn von Seiten der Militärbehörden auch nicht ge45 Dessen ungeachtet richtete das ausrichtende Land Hessen im Jahr 1950 bereits drei Lehrstühle für Politische Wissenschaft in Frankfurt, Marburg und Darmstadt ein. Bald darauf folgten Tübingen, Hamburg, Mainz, Göttingen und Köln. Vgl. Pilgert, System, S. 92. 46 Vgl. Hecker, Politik, S. 26.

3. Zwischenetappe: Die Berliner Tagung

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dacht, vielmehr sollte die Freiheit der Forschung gezielt beschnitten werden. Der Versuch, dies politisch zu oktroyieren, erinnerte die WRK an eine frühere preußische Praxis, Lehrstühle an Universitäten auch ohne Konsultation der jeweiligen Fachbereiche einzurichten. Sie hielt diese Praxis für eine negative Tradition, aber diese Tradition wurde nun auch von jenen fortgeführt, die in Preußens Existenz eines der deutschen Hauptprobleme gesehen hatten. Dessen ungeachtet setzte die Politik ihren Primat gegen diesen Einspruch durch, auch wenn die WRK erst 1954 ihren Widerstand gegen diesen „Staatsstreich“ aufgab.47 Gegen die Koalition aus einigen deutschen Wissenschaftlern – oder doch solchen deutscher Herkunft – aus Besatzungsmacht und Länderregierungen konnte sich die WRK nicht durchsetzen. Auf einer weiteren Tagung in Berlin wurden die Dinge weiter entwickelt. Die Veranstaltung war diesmal gespalten in einen offiziellen Teil unter Beteiligung der alliierten Kommandanten von Berlin und deutscher Behörden, sowie einen fachlichen Teil. Finanziert wurde die Veranstaltung erneut von den US-Behörden. Am fachlichen Teil nahmen mit Alfred Weber, Eugen Kogon, Wolfgang Abendroth, Ludwig Bergstraesser, Hermann Louis Brill, Michael Freund, Dolf Sternberger,48 Gert von Eynen, Franz Fendt, Eugen Fischer-Baling und Otto Heinrich von der Gablentz eine ganze Reihe später prominenter Politikwissenschaftler teil, insgesamt 72 Personen.49 Erneut kam eine Resolution zustande, die nicht von der Versammlung insgesamt erarbeitet wurde, sondern von einigen wenigen50 und die sich über die bisher aufgetretene Kritik hinwegsetzte. Gefordert wurde in diesem Text in Berlin eine Politikwissenschaft als: – Wissenschaft von der Politik, die „die gesamtgesellschaftlichen und geschichtlichen Verhältnisse unter politischen Gesichtspunkten analysiert“. – Sie habe zu tun „mit dem Erwerb, dem Gebrauch, dem Verbrauch der Macht“. – Gegenstand dieser Wissenschaft sei „die Gestaltung des öffentlichen Lebens“. 47 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 59. Quadbeck spricht von einer „Diffamierung“ der Politikwissenschaft als „fremder Importartikel“, die sich nicht durchsetzen konnte. 48 Sternbergers erste politikwissenschaftliche Projekte an der Universität Heidelberg wurden von HICOG, der Rockefeller- und der Ford-Stiftung finanziert. Mehrere USA-Aufenthalte prägten auch seine intellektuelle Entwicklung. Er gehörte zu jenen Politologen, die das transatlantische Vorbild und das deutsche humanistische Erbe ausdrücklich als gleichberechtigt bezeichneten, aber auch zu den Anhängern der Sonderwegsthese und wurde Hauptschöpfer des Begriffs des Verfassungspatriotismus, also Inspirator einer spezifisch bundesdeutschen Identität. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 238 f. bzw. S. 247 f. Seit 1945 Mitherausgeber von „Die Wandlung“, Mitbetroffen von den Rassegesetzen, da nach den Rassegesetzen jüdisch verheiratet. Vgl. Speier, Journal, S. 41, Eintrag vom 18. November 1945. 49 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 48. Quadbeck spricht von „fast ausschließlich“ deutschen Wissenschaftlern, ohne nicht-deutsche zu nennen. 50 Nach Hecker bestand die „Redaktionskommission“ aus Alfred Weber, Eugen Kogon, Wolfgang Abendroth, Ludwig Bergstraesser, Michael Freund und Dolf Sternberger, eine Zusammensetzung, die mit Freund immerhin einen leidenschaftlichen Kritiker des Vorhabens enthielt. Vgl. Hecker, Politik, S. 27.

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

– Dazu gehöre die Behandlung der „Probleme des Massenzeitalters, des inneren politischen Aufbaus, der internationalen Beziehungen und die Anwendung der Ergebnisse auf die politische Tagespraxis.“ – Sie solle sich „zugleich in Forschung und Lehre der Ausbildung des politischen Nachwuchses widmen“. – Sie solle „nicht nur den Studenten und Schülern, sondern auch den Volkshochschulen, der Publizistik und den anderen Faktoren des öffentlichen Lebens dargeboten werden“. – Das so vermittelte „hohe Maß politischen Wissens … fördert nachhaltig die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes“.51

Dies formulierte einen Machtanspruch. Es trug strukturell in der Tat sogar die Grundzüge eines Programms zur Gründung eines Totalstaats. Hier wurde nichts geringeres gefordert, als die Produkte einer bestimmten intellektuellen Analyse zum Maßstab der Gestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens werden zu lassen. Dies sollte nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch geschehen, auf dem Weg über die durchgängige Bildung der politischen Entscheider in diesem Sinn, der gesamten übrigen Bevölkerung in diesem Sinn und der Prägung der vollen veröffentlichten Meinung und Publizistik in eben diesem gleichen Sinn. So wie diese Pläne damals skizziert wurden, konnten sie auf eine Gesinnungsprüfung hinauslaufen, die jeder Student, Politiker und Journalist in seiner Ausbildung und auf latente Weise auch später zu durchlaufen haben würde. Dies mochte im Ansatz auf einem guten Willen beruhen, doch bedeutete es de facto bei Verwirklichung des Programms die Schaffung einer vergleichsweise begrenzten Klasse von politisierenden Wissenschaftlern, die im Rahmen alliierter Vorgaben nach eigenem Ermessen über die Stellschrauben zur „Selbsterziehung des deutschen Volkes“ verfügen konnte. Statt auf eine freie Gesellschaft konnte dies theoretisch jederzeit auf eine ideologisch kontrollierte Gesellschaft hinauslaufen, gerade in dem Sinn, den das Zeitalter der totalen Politisierung für den angemessenen hielt: Auf das Vorhandensein von Menschenmassen, die sich über den Besitz eines von anderen herrschaftlich definierten „hohen Maß politischen Wissens“ und über die Äußerung von entsprechenden Meinungen definieren, die sie idealerweise für die eigenen und richtigen halten. Letzteres ist allerdings keineswegs eine notwendige Bedingung für das Ausüben von Definitionsmacht durch wenige. Soziologisch gesehen, stellte die ‚öffentliche Meinung‘ seit der Prägung des Begriffs im 18. Jahrhundert immer nur einen Konsens der Publizierenden dar, die allerdings aus verschiedenen Milieus heraus publizierten und dabei eine gewisse Vielfalt an öffentlichen Meinungen erzeugten. Eine öffentliche Meinung, die im Zeitalter der Massenmedien durch die einheitliche Prägung und Überwachung der in den Massenmedien tätigen Personen erzeugt wurde, mußte diese Vielfalt zwangsläufig gefährden. 51 Vgl. Suhr, DHfP, S. 35. Die „Selbsterziehung“ der Deutschen unter „sympathetic but firm supervision“ durch die Alliierten gehörte zu den Grundsätzen der Militärregierung von Anfang an. Vgl. Zink, Government, S. 163.

4. Konferenz von Königstein

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Und nun erhob gerade dieses Fach den Anspruch, wie Eugen Kogon und Alfred Weber in ihren Referaten auf der Tagung ausführten, den „Gegensatz zwischen Demokratie und Totalitarismus breitenwirksam an den Universitäten zu vermitteln“.52 Dies mußte demnach über Inhalte geschehen, die noch zu definieren waren. In der Praxis sollte sich im folgenden Jahrzehnt nach der Kette von Tagungen zur Gründung der neuen Universitätsfächer zeigen, daß die Grenzen ihres Einflusses weniger von ihren theoretischen Absichten oder von eigener Selbstbescheidung gezogen wurden als von den gesellschaftlichen Realitäten, in denen andere Meinungen und Politikverständnisse weiterhin kräftig vorhanden waren und ihren Ausdruck in der neu entstanden Publizistik und privaten wie politischen Äußerungen fanden. Erst nach 1960 konnten sich die neu formulierten Grundzüge der politischen Bildung durchsetzen.

4. Konferenz von Königstein „Über Lehre und Forschung der Wissenschaft von der Politik“, so lautete das Thema der zweiten großen Konferenz zur Begründung der Politikwissenschaft, die am 15. / 16. Juli 1950 in Königstein stattfand. Auch sie wurde federführend vom hessischen Kultusministerium organisiert und sah sich bereits mit weitreichenden Tatsachen konfrontiert. Am 15. Juni 1950 hatte sich die Kultusministerkonferenz über alle Bedenken aus dem Fach und der Rektorenkonferenz hinweggesetzt und hatte in einem Beschluß „vorläufiger Grundsätze zur Politischen Bildung an den Schulen und Hochschulen“ die Errichtung planmäßiger Lehrstühle für Politikwissenschaft als „dringend erwünscht“ bezeichnet. Auch ein Schulfach unter der Bezeichnung „Gemeinschaftskunde“ sollte ab der siebten Klasse unterrichtet werden.53 Unter diesen Voraussetzungen waren die Möglichkeiten einer grundsätzlichen Debatte in Königstein begrenzt. Dessen ungeachtet wurde nichts dem Zufall überlassen und auch diese Veranstaltung mit der ganzen Wucht der Kombination aus Besatzungswillen, importierter Wissenschaft und länderpolitischer Vertretung ausgestattet. Anwesend waren diesmal fünfundneunzig Teilnehmer, ebenfalls Vertreter der westlichen Siegermächte, darunter „neun Amerikaner meist deutscher Herkunft“ sowie Vertreter der Regierungen der deutschen Länder. Als Berater der amerikanischen Besatzungsmacht fungierten Karl Loewenstein, Franz Neumann und Carl J. Friedrich, ein Team, das sich, wie gesehen, seit Kriegszeiten kannte. Angereist waren zudem die meisten der bereits oben genannten Teilnehmer von Berlin und Waldleiningen, darunter Theodor Eschenburg. Auch in Königstein gab es ungeachtet der gerade in Berlin proklamierten Forderungen weiterhin grundsätzliche Bedenken gegen die Etablierung einer Politikwissenschaft, die mit wissenschaftlichem 52 53

Vgl. Hecker, Politik, S. 27. Vgl. Hecker, Politik, S. 28.

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

Anspruch auf eine Prägung der Menschen, aller Menschen im Sinn einer politischen Ideologisierung hinarbeiten könnte. Welche Folgen die Einführung solcher Strukturen haben konnten, davon konnten sich die Anwesenden aktuell ein Bild in der sowjetischen Besatzungszone machen. Dort wurden die Hochschulen realsozialistisch umgestaltet, zum einen durch die Gründung einer Parteihochschule, zum anderen eben durch Einführung von Marxismus-Leninismus als Pflichtfach in allen Studienplänen,54 also recht genau durch jene Maßnahme, die künftig unter anderen Vorzeichen die westdeutschen Studenten aller Fächer treffen sollte. Professor Michael Freund, der trotz seiner Mitgliedschaft im Redaktionsteam in Berlin bei der Abfassung der Abschlußforderungen offenbar überstimmt oder übergangen worden war, zog in diesem Zusammenhang ebenfalls Parallelen zu den Totalstaaten: „Die Universitäten … können eine Berufsausbildung des Politikers nicht versuchen, wenn sie nicht in einem ganz gefährlichen Sinne den Politiker zu einem Stand und Beruf machen wollen, wie es die Ordensburgen der Nationalsozialisten, die Parteischulen der Kommunisten angebahnt haben und wie es im übrigen Auguste Comte schon vorausgeahnt hat, als er eine Kirche der Techniker und Gelehrten forderte, die in einem anarchischen Zeitalter eine neue Hierarchie, eine klerusförmige Elite aufbauen sollte.“55

Freund blieb mit dieser Position einer der wenigen, der den Selbstwiderspruch einer Absolutsetzung des Liberalismus erkannte und ihn offen ansprach. Die Mehrheit der Anwesenden und insbesondere der allergrößte Teil der später nachfolgenden Politikwissenschaftler, Soziologen und Zeithistoriker erkannte die Möglichkeit einer kommenden totalitären Demokratie nicht – oder sprach sie nicht an – die von einem ideologisch geschulten Orden getragen sein konnte und im Namen von Demokratie tatsächlich einen absoluten Machtanspruch bestimmter ideologischer und unwissenschaftlicher Axiome durchsetzen würde. Es ist deshalb interessant, an dieser Stelle einen Sprung ins Jahr 2007 zu wagen und beispielsweise einen Blick in die Studie der Soziologin Uta Gerhardt über das „Denken der Demokratie“ zu werfen, das die Frühgeschichte der bundesrepublikanischen „Soziologie im atlantischen Transfer des Besatzungsregimes“ auslotet. Die Entwicklung der Soziologie sei ein „Politikziel der amerikanischen Besatzungsherrschaft“ gewesen, was ein zu wenig bekanntes Verdienst sei, erläutert sie eingangs.56 Soziologie habe erstens vor 1945 als Wissenschaft nur in einer demokratischen Welt existiert, worunter sie die angelsächsische versteht. Das Fach sei zweitens für die Programmentwicklung der „Reeducation“ maßgeblich gewesen und habe als „Garant und Vorreiter der Demokratie im Rahmen der Universitäts- und ForVgl. Führ, Bildungsgeschichte, S. 14. Zit. n. HEV, Königstein, S. 93. Auf einem ganz anderen Feld wurden ähnliche Vergleiche gezogen. Ein deutscher Schulbuchreformer lehnte 1945 eine Neuausgabe seiner Werke unter der Zensur der alliierten Militärbehörden ab, da jede behördliche zentrale Kontrolle der Bildung in den Händen von Bürokraten zu den selben Resultaten „wie unter Hitler“ führen würde. Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 31. 56 Vgl. Gehrhardt, Demokratie, S. 9. 54 55

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schungspolitik der amerikanischen … Besatzungsherrschaft“ fungiert.57 Um dann im weiteren zu verstehen, worum es geht, fährt sie mit dem „Ende der Wissenschaft unter dem Nationalsozialismus“ fort, ein Ende, das sie eigens definieren muß, denn dieser Punkt wird jeden etwas erstaunen, der mit dem Fach Soziologie vertraut ist. Auch zwischen 1933 und 1945 gab es in Deutschland Soziologie als Wissenschaft. Wissenschaftler wie Helmut Schelsky oder Arnold Gehlen arbeiteten beispielsweise zu dieser Zeit in dieser Disziplin und konnten wegen der unbezweifelbaren Qualität ihrer dabei entstandenen Arbeiten ihre Karriere auch nach 1945 fortsetzen, Schelsky als Professor in Hamburg, Münster und Bielefeld, Gehlen als Professor in Speyer und Aachen. Uta Gehrhardt will nun die Nichtexistenz von Soziologie als Wissenschaft in Deutschland nach 1933 mit einem Zitat von Schelsky aus dem Jahr 1934 belegen, das wie folgt lautet: „Die wichtigste Aufgabe des Staates … ist die Organisation der Lebensgebiete Religion, Kunst und Wissenschaft. Als organisierte Gebilde sind diese Gebiete dann die Kirche, das Wissenschaftswesen, womit Universitäten, Forschungsinstitute, Bibliotheken gemeint sind, und das Kunstwesen, … die der Staat unter seine oberste Bestimmung bringen muß, weil er dem Volk gegenüber der verantwortliche Organisator und Ordner aller Lebensgebiete ist. So kann z. B. von einer völligen Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Einrichtungen vom Staat in dieser Staatsauffassung keine Rede sein.“58

Das zeige, so Gerhardt, daß die Soziologie in dieser Zeit eine „nicht mehr als Wissenschaft anzusehende Lehre“ gewesen sei, denn „systematisches Denken, das eine politisch nicht vorgeschriebene Fragestellung verfolgte, war offiziell nicht mehr möglich“.59 Es ist wohl nicht müßig, darauf zu verweisen, daß dies aus Schelskys Definition gar nicht hervorgeht. Man könnte im Gegenteil den darin ausgedrückten Verzicht auf eine „völlige“ Unabhängigkeit der Wissenschaft eher als einen subtilen Appell für eine „weitgehende“ Unabhängigkeit erachten, und mehr als eine weitgehende Unabhängigkeit der von ihm bezahlten Einrichtungen zur Ausbildung von Absolventen mit staatlich anerkannten Abschlüssen duldet kaum ein Staat. Staatliche Schulen und Hochschulen dienen jeweils einem gesellschaftlichen Auftrag, dessen Ausführung nach vorgegebenen und kontrollierten Maßstäben zu erfolgen hat. Dies heißt nun in der Tat, daß der gesellschaftliche Auftrag einer Soziologie unter einem nationalsozialistischen oder stalinistischen Regime ebenso bestimmbare Parallelen wie Unterschiede zur Soziologie unter einer liberaldemokratischen Verfassung aufweist und daß eben diese Unterschiede beachtet und herausgearbeitet werden müssen, will die liberaldemokratische Soziologie wissen57 Dabei wurden auch Erkenntnisse wie diejenige zutage gefördert, daß der Reichtum vom Geld kommt, so in einem Survey Report der amerikanischen Militärregierung vom Januar 1946 über die Lage deutscher Familienhaushalte,: „Je höher das Einkommen, desto größer ist die Geldsumme, die insgesamt für Ausgaben zur Verfügung steht.“ Hier zit. n. Gerhardt, Demokratie, S. 190. 58 Schelsky 1934 in „Sozialistische Lebenshaltung“, S. 31, hier zit. n. Gehrhardt, Demokratie, S. 14. 59 Vgl. Gehrhardt, Demokratie, S. 15.

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schaftlich exakt arbeiten. Dies ist Gerhardt keineswegs bewußt. Sie definiert die Alleinsetzung und politische Förderung des konkreten politischen Systems der Nachkriegszeit als „Demokratie“ und als Maßstab jedweder Fragestellung der Forschung. So ausgerüstet, verweist sie schließlich darauf, welche Rolle die so verstandene Demokratie im Zusammenhang mit ihrer Darstellung einnehmen würde: „Im vorliegenden Band ist die Demokratie, wie sie im Zusammenhang der Transformation der vierziger Jahre entstand, der erkenntnisleitende gesellschaftliche Kontext. Dieser Kontext war – und ist – per Erkenntnisinteresse für die Soziologie wichtig. Die Wissenschaftsgeschichte will also nicht nur nach dem Selbstverständnis der Protagonisten fragen – obwohl dies wichtig ist -, sondern auch die Freiheit der Forschung würdigen, die wieder herrschte, als die referierten Ansätze des sozialwissenschaftlichen Denkens ausgearbeitet wurden.“60

Gerhardts Darstellung ist demnach vom Ansatz her bewußt eine Rechtfertigung der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte. Erkenntnistheoretische Bedenken gegen diese Position werden von ihr damit zurückgewiesen, daß es keine völlige Objektivität gäbe. Denn „scheinbar neutrale Feststellungen“, die den Gang der Geschichte betreffen würden, so fährt sie mit Blick auf Fritz Stern fort, „können ein implizit antidemokratisches Gesellschaftsverhältnis transportieren“: „Für die vier Abhandlungen (d. h. die Abhandlungen in Gerhardts Studie, d. Verf.) heißt Sterns Monitum: Neutrales Abbilden – gewissermaßen begriffliche Unschuld – ist unmöglich. Man muß offen legen, wie die Soziologie sich zur Demokratie verhält. Man muß im Einzelnen zeigen, welche Verdienste – als Denken der Demokratie – die Soziologie einer Epoche hat.“61

„Man muß“ demnach also ein Lob auf das Faktische verfassen, das sich nach 1945 in der BRD den Namen „Demokratie“ gegeben hat und stets einen Tadel gegen alles, was dieser Entwicklung vielleicht entgegengestanden haben könnte. So erfreulich die Offenlegung dieser Absicht ist, so bedenklich ist der damit verbundene Abschied von dem Versuch, ergebnisoffen zu forschen. In der möglichen Ergebnisoffenheit nach einer offenen Auswahl der Begriffe liegt für Gerhardt bereits die Gefahr angeblich antidemokratischen Denkens, das in diesem Zusammenhang eventuell als (besatzungs)regimekritisches Denken beginnen könnte. Im Ergebnis sind Begriffe, Forschungsansätze und auch Forschungsergebnisse unter dem Vorzeichen der von Gerhardt skizzierten demokratischen Soziologie weitgehend determiniert. Geforscht wird nach vorgegebenen Begriffen zu eng definiertem politischem Zweck. Eine Soziologie von Schelsky oder Gehlen hat in diesem Rahmen keinen „Verdienst“ und wird deshalb für unwissenschaftlich erklärt. An dieser Stelle ist interessant, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eine merkwürdige Trennung von Forschung und Lehre vornimmt. Der Artikel 5, Absatz Drei des Grundgesetzes der Bundesrepublik bestimmt:

60 61

Zit. n. Gerhardt, Demokratie, S. 29. Zit. n. Gerhardt, Demokratie, S. 29 f.

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„Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“62

Gänzlich frei ist demnach neben der Kunst im Rahmen der Wissenschaft nur die Forschung, während die Lehre an die aktive Treue zum Grundgesetz gebunden bleibt, mithin einen grundgesetzfördernden Inhalt haben muß. Die damit verbundene grundsätzliche Problematik versuchte Hellmut Kämpf, Professor für Soziologie und Politik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, zeitweise deren Rektor, in einem 1964 erschienenen und bei mehrfacher Anrufung von Gott und Gewissen etwas philosophisch-nebulös gehaltenen Beitrag zu lösen. Er ist mit Blick auf die befürchteten totalitären Rückwirkungen einer entstehenden Politikwissenschaftlerkaste und die kontrollierte Forschungsausrichtung der eben erwähnten Gerhardtschen Richtung erwähnenswert, weil er beiden Befürchtungen Rechnung zu tragen versucht, in dem er auf die notwendige Rückkopplung des Wissenschaftlers an ganz andere Begriffe verweist. Kämpf bezeichnete die Freiheit der Lehre als Teil einer Verantwortung, „in der Vaterland und Muttersprache als Träger des normativen Erbes das kritische Bewußtsein zu informieren haben“.63 Diese von ihm auch aus Anlaß der Eröffnung der Pädagogischen Hochschule Weingarten vorgetragene Ansicht, bedeutete eine gedanklich subtile Kritik am Wortlaut des Grundgesetzes, denn es war offenkundig, daß die Normen von Vaterland und Muttersprache mit den Normen des Grundgesetzes nicht identisch waren. Kämpf sprach zugleich von der Untrennbarkeit von Forschung und Lehre und tröstete sich und seine Zuhörer mit Ausführungen über die Vorläufigkeit von Verfassungen über den gegenwärtigen Zustand hinweg. Die „notwendigen ‚Vorgriffe‘ in überzeitliche Geltung lassen ihn (den Staat, d. Verf.) unabwendbar ‚praesumptiv‘, das heißt aber auch anmaßend erscheinen“, meinte er.64 Dennoch sei der Staatsbürger aufgefordert, diese Rechtsnormen in „Geduld“ mitzutragen. Kämpfs Interpretation datiert nun gerade in jener Sattelzeit der sechziger Jahre, als die von ihm beschworenen Werte langsam ihre Bedeutung zu verlieren begannen. Eine Korrektur der politikwissenschaftlichen Normen durch eine bewußte Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers vor „Vaterland und Muttersprache“ war nicht mehr der selbstverständliche Standard, der Interpretationsfehler korrigieren konnte. Dies führt uns zur Konferenz von Königstein zurück, wo Jahre vorher die Befürchtung ausgedrückt worden war, die Entwicklung von Sozialwissenschaften in der skizzierten Form könnte zu totalitären Rückwirkungen führen. Professor Freunds Kritik an den Gefahren der allgegenwärtigen Politisierung fand in Königstein durchaus Resonanz. Das drückte sich in den Debatten um die Schlußresolution aus. Die Resolution selbst war wieder „im kleinen Kreis“ ausgearbeitet worden und wurde der Versammlung nicht schriftlich als Entwurf vorgelegt.65 Doch die DebatGrundgesetz der Bundesrepublik, hier zit. n. Beck, Gesetzestexte, S. 14. Vgl. Hellmut Kämpf, Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung – Grundlinien eines nicht-juristischen Kommentars, in: Hodeige, Begegnungen, S. 93 – 101. 64 Vgl. Hodeige, Begegnungen, S. 100. 62 63

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ten fanden diesmal ergebnisoffener statt und Freund fand die Unterstützung von Theodor Eschenburg und Dolf Sternberger. In der letzten Abstimmung der Tagung gelang es dieser Koalition, die Streichung eines entscheidenden Satzes durchzusetzen: „Politische Neutralität ist Flucht vor der Freiheit und nichts anderes als das Versagen des Menschen im ganzen.66“

Damit blieb die Tür für eine Wissenschaft jenseits moralischer und politischer Zwangsvorschriften ein Stück weit geöffnet. Bald darauf trieb die Besatzungsmacht mit ihren Mitteln allerdings erneut die Dinge voran. Kurze Zeit nach dieser Konferenz fand wieder in Königstein die Gründung einer Fachvereinigung der Politikwissenschaftler statt. Das amerikanische Militär (HICOG) hatte erklärt, man würde einer solchen Vereinigung amerikanische Forschungsgelder übergeben. Dies stellte eine schwer zu widerstehende Versuchung dar, obwohl die Verteilung dieser Gelder einem Forschungsausschuß überlassen wurde, dem neben 31 Vertretern der deutschen Wissenschaft kontrollweise fünf ausländische Mitglieder vorgeschrieben waren.67 Am 10. Februar wurde Alexander Rüstow zum Vorsitzenden der neuen „Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik“ gewählt,68 im Vorstand waren außerdem Wolfgang Abendroth, Ernst Wilhelm Meyer, und Otto Suhr. Minister Erwin Stein vertrat dort die politische Kontrolle, dazu kamen Professor Georg Weippert aus Erlangen und Adolf Grabowsky. In den Forschungsbeirat wurden Ludwig Bergstraesser, Michael Freund, Hermann Brill und Dolf Sternberger berufen.69

5. Endstation im Institut für Sozialforschung Die vierte Konferenz Schließlich fand im Februar 1952 noch eine vierte Konferenz zum Thema statt, die von der Geschichtsschreibung über die Politikwissenschaft „zumeist vernachläsSo Minister Stein laut Protokoll, vgl. HZE, Waldleiningen, S. 134. Zit. n. HZE, Waldleiningen, S. 134. 67 Vgl. HZE, Waldleiningen, S. 173 f. 68 Damit erhielt dieses Amt eine Person, die ebenfalls bereits während des Krieges mit amerikanischen Geheimdienststellen gearbeitet hatte. Rüstow hatte als Gastwissenschaftler an der Universität Istanbul im Jahr 1943 zu einem von dem OSS inspirierten „German Freedom Movement“ gehört, zusammen mit den Professoren Gerhard Kessler, Ernst Reuter und Dr. Hans Wilbrandt. Er vermittelte unter anderem ein Treffen zwischen dem damaligen deutschen Botschafter in der Türkei Franz von Papen und dem amerikanischen Agenten Theodore S. Morde. Morde schlug Papen die Organisation eines Putschs gegen das NS-Regime vor, was dieser so wohlwollend zur Kenntnis nahm, daß US-Präsident Roosevelt informiert wurde. Vgl. Heideking, Widerstand, S. 116 f. 69 Vgl. Hecker, Politik, S. 28. 65 66

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sigt wird“.70 Das ist ein Grund, diese Begebenheit hier etwas ausführlicher abzuhandeln, um so mehr, als der Ort dieser Konferenz das Frankfurter Institut für Sozialforschung war und die Politikwissenschaft damit im neugegründeten Institut gewissermaßen auch räumlich in einem intellektuellen Zentrum der Bundesrepublik angekommen war. Wer aufgrund der vorausgegangenen Konferenzen erwartet hätte, daß die politische Wissenschaft inzwischen genug an eigener Substanz gewonnen habe und den starken Einfluß der Politik der Siegermächte zurückdrängen konnte, befand sich jedoch im Irrtum. Im Gegenteil kamen die amerikanischen Interessenlagen im Rahmen dieser Veranstaltung noch einmal besonders deutlich zum Ausdruck. Zunächst fand auch diese Konferenz auf Anregung der amerikanischen Hohen Kommission in Deutschland statt und aus Anlaß einer Deutschlandreise von Franz L. Neumann,71 der aufgrund der Rassegesetzgebung aus Deutschland emigriert und seit den Kriegszeiten für die amerikanische Regierung tätig war. Einem derart vorgebrachten Wunsch konnten sich die unabhängigen Wissenschaftler nicht versagen, zumal sie gegenüber den alliierten Hochkommissaren offenbar zum Berichten verpflichtet waren.72 Die deutsche Kultur- und Bildungspolitik war allerdings gar nicht erst eingeladen worden, obwohl ihre Hoheitsrechte unmittelbar betroffen waren. Man schrieb das Jahr 1952, aber auch drei Jahre Bundesrepublik hatten an der Geringschätzung deutscher kultureller Eigeninitiativen nichts geändert. Es berieten in Frankfurt hochrangige Mitarbeiter der amerikanischen Regierung, deutsche Emigranten und Remigranten sowie zutiefst in Amerika geprägte Wissenschaftler, die zum Teil amerikanischen Nichtregierungsorganisationen verpflichtet waren, über die Gestaltung der inneren Struktur aller deutschen Universitäten und aller Fachbereiche. Angereist zu dieser Art der Berichterstattung und Kontrolle waren bekannte Namen wie Abendroth, Fraenkel, Grabowsky, Kogon, Landshut, Meyer, Flechtheim, Rüstow und Suhr. Zugleich stellte HICOG-Frankfurt neben dem aus New York angereisten Neumann und dem aus Washington angereisten Henry Kellermann sieben weitere der insgesamt dreißig Konferenzteilnehmer. Darunter befanden sich George A. Selke, zu dieser Zeit Chief of the Division of Cultural Affairs in Bad Godesberg 70 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 50. Quadbeck hat außer dieser Bemerkung auch keinen weiteren Satz für diese Konferenz übrig. Eine zweiseitige Schilderung der Konferenz findet sich bei Arno Mohr, der mit keinem Wort auf die Anwesenheit von Vertretern des HICOG eingeht, die etwa ein Drittel der Teilnehmer stellten. Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 122 ff. 71 BA-KO NL 169 / 65, S. 2, Siebzehnseitiges Protokoll der Sitzung im IfS im Nachlaß Alexander Rüstow. 72 So beispielsweise Ernst Fraenkel, der etwa am 13. August 1953 der Cultural Affairs Branch von HICOG einen mehrseitigen Bericht über seine Vorjahresaktivitäten zuschickte, die als Schwerpunkt das Erlangen einer Deutungshoheit über die positiven und vorbildlichen Aspekte der amerikanischen Innen- und Außenpolitik gehabt hatten. Weitere Berichte folgten. Daß diese Rechenschaftslegung das Ziel einer Beeinflussung der Politik von HICOG hatten, wie Arnd Bauerkämper vermutet, kann insofern gesagt werden, als Fraenkel auf den Einsatz bestimmter deutscher Traditionen drängte, die den Prozeß der Umgestaltung beschleunigen konnten. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 274 f.

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und später Mitglied der United States Educational Commission, die im Rahmen des deutschen Fulbright-Programms tätig war73, Stuart E. Colie, Regional Supervisor von HICOG, George Fleischer, ebenfalls HICOG, ein offenbar deutscher Mitarbeiter, „Herr Herberger“74 von ebendort, Professor John B. Mason, Chief of the Civic and Legislative Division von HICOG, sein Stellvertreter Ernest F. Linde, Prof. Julius J. Oppenheimer, Dean of the College of Arts and Sciences der University of Louisville und zu dieser Zeit ebenfalls für HICOG in Deutschland unterwegs,75 sowie Professor Charles B. Robson, erst seit dem Vorjahr in Diensten des amerikanischen Außenministeriums und seit November 1951 stellvertretender Leiter der Berlin Element Public Affairs Division und schließlich Friedrich H. Tenbruck. Als Nachkriegs-Soziologe, der ursprünglich im Fach Philosophie reüssiert und im Jahr 1944 über Kants „Kritik der Reinen Vernunft“ promoviert hatte, dann im Jahr 1952 als Consultant in Higher Education ein Mitarbeiter von HICOG war und als solcher an der Konferenz im Frankfurter IfS teilnahm, spiegelte Tenbruck die Wandlungen der deutschen Universitätslandschaft unter amerikanischem Einfluß gut wieder. Er distanzierte sich zwischen 1946 und 1950 immer mehr von den deutschen Geisteswissenschaften, deren Begriffe ihm zu dieser Zeit veraltet und „deren Wissensformen der modernen sozialen Realität nicht mehr angemessen erschienen“.76 Diese Wandlungen fanden auch ganz räumlich in den USA statt, im Rahmen von Studienaufenthalten, die ihn so weit in die Nähe von Max Horkheimer brachten, daß er in Frankfurt phasenweise als dessen persönlicher Assistent arbeitete. Allerdings gehörte Tenbruck auch zu jenen Soziologen, von denen in späteren Jahren die Rückbesinnung auf die deutschen soziologischen Klassiker vorangetrieben wurde. Für Helmut Schelsky war Tenbruck sogar der erste, der Ende der 1950er Jahre aus dem Nachkriegskonsens ausbrach, Max Weber und Georg Simmel wieder entdeckte und den Begriff der „Kultursoziologie“ propagierte, um den wesentlichen Mangel der Nachkriegssoziologie zu überwinden, der auch die Nachkriegspolitikwissenschaft kennzeichnete: den Mangel an Wirklichkeitsgehalt der Theorien beider Fachrichtungen.77 Mit dieser Position geriet er dann wie so viele andere, unter anderem

73 Seit 1927 bis 1946 Präsident der St. Cloud State University in Minnesota, befasste sich Selke während des Krieges bei SHAEF in London von 1943 – 45 mit den Vorbereitungen der Besatzungsherrschaft in Deutschland. Später im Jahr 1952 wurde er in den Skandal um die Zensur eines neuen Geschichtsbuchs „Synchronoptische Weltgeschichte“ von Arno und Anneliese Peters verwickelt, das von HICOG mit über 200.000 DM gefördert und von ihm selbst für gut befunden worden war, dann aber wegen zu sozialismusfreundlicher Passagen in die Kritik geriet. Das niedersächsische Kultusministerium wollte 5000 bestellte Exemplare zurückgeben und drohte mit einem Gerichtsverfahren gegen die Autoren. Vgl. Der Spiegel 47 / 1952: „Aus sozialistischer Sicht“. 74 Vermutlich der phasenweise dort tätige Sozialforscher und Statistiker Lothar Herberger. 75 Während des Krieges setzte Oppenheimer seine Kenntnisse im Rahmen von Ausbildungsprogrammen der Marine ein. Vgl. seine Kurzbiographie durch die Universität auf http: // louisville.edu / artsandsciences / hallofhonor / inductees / oppenheimer.html. 76 Vgl. http: // ub-dok.uni-trier.de / tenbruck1.html. 77 Vgl. http: // ub-dok.uni-trier.de / tenbruck1.html.

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Schelsky, in Gegensatz zur nächsten deutschen Revolution an den Universitäten in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, die den pseudowissenschaftlichen Tendenzen zur Durchsetzung verhalf, die Tenbruck später selbst wie folgt skizzierte: „Wir leben in einer durch und durch verkehrten Welt, solange wir nicht die Unwahrhaftigkeit der Doppelrolle durchschauen, in der die Sozialwissenschaften öffentlich als die wissenschaftliche Autorität für die objektive Feststellung der gesellschaftlichen Realität auftreten, während sie insgeheim und unvermerkt diese Wirklichkeit durch ihre Erkenntnisse modeln und lenken.“78

Im Rahmen der vorliegenden Studie drängt sich die Frage auf, inwieweit Tenbrucks intellektueller Wandel der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die gegebenen Verhältnisse mitbedingt war, die einem entschlossen zugreifenden und nationalsozialistisch unbelasteten Akademiker einen fachfremden Aufstieg bis ins Ordinariat möglich machten. In gewisser Weise wäre dies demnach ein Aufstieg wider besseren Wissens gewesen, dessen Spätfolgen dann kaum zu korrigieren waren. Julius Oppenheimer eröffnete die Tagung mit einer Erklärung, warum das HICOG zur Konferenz eingeladen habe. Es sei nicht die erste Konferenz dieser Art, auch andere Wissenschaftszweige hätten gegenüber HICOG bereits auf ähnliche Weise erläutern sollen, wie weit sie mit der Entwicklung politischer Wissenschaften in Deutschland vorangekommen seien.79 Franz Neumann kam danach mit der Bemerkung zur Sache, er sei seit drei Jahren mit dem Aufbau der politischen Wissenschaft in Deutschland befasst. Trotz Anerkennung mancher Fortschritte brachte er grundsätzliche Kritik an dem Erreichten vor. Erstens hätte die politische Wissenschaft im Land noch keine eigenen Leistungen vorzuweisen, und zweitens würde es immer noch an Verständnis der Zielsetzung und der Begrifflichkeit fehlen: „Es wird immer noch der Versuch gemacht, durch Politische Wissenschaft politische Bildung, die man früher Staatsbürgerkunde nannte, durchzusetzen. Beides ist aber voneinander zu trennen. Die politische Bildung soll durch die Durchdringung aller Disziplinen mit der Politischen Wissenschaft kommen.“80

Dies erhob für die Politikwissenschaft den Anspruch einer Leitwissenschaft mit umfassendem Anspruch auf Prägung des gesamten wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens. Politikwissenschaft, so Neumann, solle die Doppelstellung der politischen Macht erforschen, die auf ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren beruhen würde. Er forderte die Einrichtung von mehr als einem Lehrstuhl pro Universität und erinnerte an die klassische Dreiteilung des Fachs in Zit. n. Tenbruck, Abschaffung, S. 16. Zu den weiteren Projekten Oppenheimers im Universitätsbereich zählte die Einrichtung des Studium generale, das „Studenten zu verantwortungsbewußten Menschen in einer freien Gesellschaft erziehen, sie lehren, Menschen anderer Rassen und Kulturen zu verstehen und … sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.“ Auch zur Einführung des Studium generale wurden zahlreiche Konferenzen abgehalten, sie traf auf ähnlichen Widerstand wie die Politikwissenschaft als Durchdringungswissenschaft. Vgl. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 205 f. 80 Zit. n. BA-KO NL 169 / 65, S. 2, Hervorhebung im Original. 78 79

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– politische Theorie, – Staatsformenlehre, bzw. Erforschung der Formen, in denen sich politische Macht äußert, – Klärung des Verhältnisses der Menschen zur politischen Macht.

Der Begriff der „politischen Macht“ blieb an dieser Stelle undefiniert, und damit unterblieb auch einmal mehr die Klärung der entscheidenden Fragestellung, ob politische Wissenschaft objektive Tatsachen wissenschaftlich darstellen und die Kenntnis darüber verbreiten solle, mit welcher Wirkung auch immer, oder ob politische Wissenschaft in einer bestimmten Richtung wirken solle, also selbst politische Macht mit einer gezielten Wirkung ausüben würde. Neumann schien zum ersten Szenario zu neigen, denn er verwarf die in Deutschland angeblich vorhandene Tendenz, „die politische Theorie als Ideologie zu betrachten, die man verwendet, um bestimmte Machtpositionen zu halten“, als „wissenschaftlich unhaltbar“. Allerdings ging er unmittelbar danach zur Feststellung über, „daß man ohne eine bestimmte Geschichtsauffassung Politische Wissenschaft nicht betreiben kann“ und damit zum stillschweigenden Eingeständnis, daß man nach eigenem Verständnis hier 1952 in Frankfurt mit historischem Recht zusammensaß, um die deutschen Universitäten unter amerikanischer Führung nach amerikanischen Vorgaben zu prägen.81 Wer diese Überzeugung des Geschichtsbilds nicht teilte, würde in dieser Wissenschaft ein Fremder bleiben müssen. An der Freien Universität Berlin jedenfalls, so Neumann, sei die gewünschte Struktur in Sicht: „Die Freie Universität Berlin ist bereit, sowohl in der philosophischen Fakultät, wie in der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen die politische Wissenschaft für das eine Hauptfach zuzulassen. Es besteht die Möglichkeit, ein sinnvoll zugehörendes Nebenfach zu wählen. Das Diplomexamen der Hochschule für Politik wird als gleichwertig mit anderen Diplomen anerkannt.“82

Einstweilen standen die anwesenden Politikwissenschaftler offenkundig jedoch vor erheblichen personellen, juristischen und finanziellen Kapazitätsproblemen. Es fehlte an Geld, Räumen, Personal und vielerorts an den Voraussetzungen für eine Promotion als Politikwissenschaftler in den Prüfungsordnungen. Das liege, so Protokollführer Rüstow, in der Natur der Sache: „Die Universitäten haben nicht auf diese Wissenschaft gewartet und den Platz freigehalten. Die neue Wissenschaft muß sich den Platz erst schaffen.“ Schaffen mußte sie oft genug zudem erst das Basiswissen der Studenten, besonders in Geschichte, versetzte Kollege Abendroth. Man treffe dort auf „ein reines Vakuum“, wenn man von der Gegenwart zurück über das Jahr 1918 hinaus zurückgehen würde. Dies mochte mit der umfassenden Büchervernichtung der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem phasenweisen Verbot des Geschichtsunterrichts in gewissem Zusammenhang stehen, doch Abendroth ging an dieser Stelle auf solche Ursachenforschung nicht ein. 81 82

Vgl. BA-KO NL 169 / 65, S. 3. Zit. n. BA-KO NL 169 / 65, S. 4.

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Ernst Fraenkel skizzierte die kommende Politikwissenschaft, deren Gestaltung und fakultäre Zuordnung hier noch einmal grundsätzlich auf der Tagesordnung stand, als Ablösung der „bürokratischen politischen Wissenschaft“, oder früher „Allgemeine Staatslehre“, durch eine demokratische Politikwissenschaft. Selbst von Haus aus Jurist, wollte Fraenkel das „juristische Monopol“ auf Politikwissenschaft brechen, was bei einigen anwesenden Kollegen allerdings zur Ansicht führte, diese neue Disziplin dennoch vorerst in gewohnter Weise in der Nähe der juristischen Fakultät anzusiedeln, bis sie sich genügend entwickelt hätte. Neumann widersprach scharf: „Die Verankerung der politischen Wissenschaft in der juristischen Fakultät ist das Ende der politischen Wissenschaft. Es ist doch auch eine Frage der Methoden. Wenn man die politische Macht studieren will, muß man sie auch erforschen. Dazu sind besondere Methoden notwendig. Die juristische Methode ist nicht geeignet, wohl aber die der Geschichte, der Soziologie und der Psychologie. Man muß abkommen von den Haarspaltereien der juristischen Methode. Man muß sich entscheiden, mit der juristischen Fakultät zu brechen.“83

Über diesen Punkt konnte nicht nur an diesem Tag keine Einigkeit erzielt werden. Neumann wollte mit der Loslösung der Politikwissenschaft von der Juristerei bewußt mit einer in Deutschland üblichen Denkweise brechen, die er als Ersatz der Demokratie durch den Rechtsstaat bezeichnete. Selbst der Liberalismus in Deutschland hatte seiner Ansicht nach zugunsten rechtsstaatlicher Garantien auf politische Mitwirkung verzichtet. Politik sei aber „Kampf um die Macht“ und deshalb „nicht in Rechtsverhältnissen aufzulösen“.84 Also sei es die Aufgabe von Politikwissenschaft, die tatsächlichen Machtverhältnisse zu erforschen und der Demokratie zur Durchsetzung zu verhelfen, wobei Neumann die Demokratie definierte als die „Verwirklichung der Freiheit des Menschen durch Massenbeteiligung an ihrer Verwirklichung“.85 Wer nun aber unter dieser Definition tatsächlich demokratisch dachte, das sei letztlich keine Frage der Theorie: „Der Anspruch, die Freiheit zu vertreten, kann nur empirisch bewiesen werden. Nur diejenigen, die den Massen des Volkes die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln, können diesen Anspruch erheben.“86

Zusammengenommen mit der geplanten organisatorischen Loslösung der Politikwissenschaft von Jura und Staatsrechtswissenschaft proklamierte dies schlicht einen Machtanspruch auf ideologische Lenkung der gesellschaftlichen Entwicklung durch eine neu zu schaffende Gruppe von Wissenschaftlern, die diesen Machtanspruch nicht aus theoretischer Überlegenheit, sondern aus der größeren Nähe zu einem

Zit. n. BA-KO NL 169 / 65, S. 10. Vgl. Neumann, Die Wissenschaft der Politik in der Demokratie (1950), in: Neumann, Aufsätze, S. 375. Das sei der Fehler der Staatsrechtswissenschaften in der Weimarer Zeit geblieben, trotz aller Leistungen von Carl Schmitt, Hans Kelsen und anderen. 85 Vgl. Neumann, Aufsätze, S. 376. 86 Vgl. Neumann, Aufsätze, S. 392. 83 84

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– angeblich – politisch gewollten Ziel ableitete. Möglicherweise hat Neumanns frühzeitiger Unfalltod die Durchsetzung seiner Pläne verhindert, sicher aber tat dies in hohem Maß die natürliche Trägheit deutschen Universitätslebens. Im Jahr 1960, als Rainer Lepsius seine grundlegende Denkschrift über die aktuelle Lage und den wünschenswerten Ausbau von Soziologie und Politikwissenschaft vorlegte, bestand immer noch keine einheitliche Zuordnung der Politikwissenschaft zu den Fakultäten.87 Ernst Fraenkel, der Neumann in der Debatte um die Zuordnung des neuen Fachs noch einigermaßen nah stand, hielt die Einhaltung rechtlicher Maßstäbe für ein elementares Element zur Beurteilung der inneren Verfassung eines Staates, aber ebenfalls nicht für ein entscheidendes Merkmal dafür, ob er auch ein demokratischer Staat sei. Demokratie hänge von einem harten Propagandakampf verschiedener Gruppen ab, der aber nicht nur rechtlich vorgesehen sein, sondern tatsächlich stattfinden müsse: „Hängt doch die Möglichkeit der Bildung und Entfaltung pluralistischer Gruppen im Gefüge einer staatlichen Einheit weitgehend davon ab, ob sie die ausreichende sozial-ökonomische Macht besitzen, durch Verwendung eines freien Presse-Rundfunk- und Fernsehwesens eine selbständige Propagandatätigkeit auszuüben. In der Massengesellschaft der Gegenwart ist die Existenz pluralistischer Gruppen die Voraussetzung dafür, daß die Fällung, Ausführung und Kontrolle politischer Entscheidung unter Mitwirkung der Machtunterworfenen erfolgt. Mit größtem Nachdruck hebt der Verfasser hervor, daß die Entstehung der Monopolherrschaft autokratischer Machtträger nur dann verhindert werden kann, wenn der Wettbewerb verschiedener Ideologien verfassungsrechtlich gesichert und sozialökonomisch verbürgt ist. … Mit einem autoritär-autokratischen Herrschaftssystem sind rechtsstaatliche Prinzipien vereinbar: für ein totalitär-autokratisches Regime ist es kennzeichnend, daß die Herrschaft des Normenstaates jederzeit durch Ausübung einer Prärogativgewalt suspendiert werden kann.“88

Dies zielte, konkreter als Neumanns Vorgaben, auf die Etablierung eines auch institutionell abgesicherten demokratischen Auseinandersetzungsprozesses ab. Neumanns Anspruch dagegen, die Förderung der Freiheit durch die Förderung der Massen herbeizuführen, schenkte der institutionellen Absicherung eines möglichen Einspruchs andersdenkender politischer Gruppen wenig Beachtung. Seine deutlich an marxistische Formulierungen anlehnende Diktion öffnete im Prinzip durchaus den Weg zur Diktatur einer sozialwissenschaftlichen Klasse, die einen Alleinvertretungsanspruch auf Kenntnis des richtigen Weges formulieren konnte, den sie nicht einmal theoretisch, sondern in der „Praxis“ begründen mußte. Neumanns Absichten 87 Lepsius führt 8 Lehrstühle in Philosophischen Fakultäten auf, 7 in Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten, 2 in Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten, 2 in Juristischen Fakultäten und 3 in Fakultäten, die Philosophie, Rechts- und Wirtschafts-Sozialwissenschaften vermischten. Vgl. Lespsius, Denkschrift, S. 89. 88 Zit. n. BA-KO N 1274 / 30, Besprechung Fraenkels von Karl Loewensteins Buch: Political Power and the Governmental Process, Chicago 1957, beigefügt einem Schreiben Fraenkels an Prof. Mollmann vom 26. Oktober 1958.

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in Bezug auf die wünschenswerten Methoden zielten jenseits der Beurteilung der juristischen Verhältnisse eher auf den Einsatz statistischer Mittel, etwa auf Meinungsbefragungen als Weg zur Ermittlung psychologischer Hintergründe. Etwas Jura sollten die Studenten seiner Ansicht nach kennenlernen, aber eingeordnet in die Kenntnis politischer Theorie, Verwaltung, ausländischer politischer Institutionen, internationaler Politik (Grundlagen der diplomatischen Geschichte), Völkerrecht und internationaler Organisationen. Diese Geringschätzung „juristischer Haarspaltereien“ mochte in Zusammenhang mit Neumanns Tätigkeit während des Nürnberger Prozesses stehen, wo nicht nur gegen juristische Kleinigkeiten, sondern gegen eine stattliche Reihe wesentlicher Rechts- und Verfahrensgrundsätze verstoßen worden war.89 Neumann hatte als Mitglied der OSS mit direktem Zugang zu deren Chef William Donovan eine Forschungsabteilung für Kriegsverbrechen geleitet und dabei der Anklage zugearbeitet. Ganz seinem im „Behemoth“ entwickelten Ansatz verpflichtet, wollte er die Anklage generell nicht auf Nationalsozialisten oder Militärs beschränkt wissen, sondern plädierte auch für die Anklage von Persönlichkeiten aus der deutschen Industrie und Wirtschaft.90 Dessen ungeachtet konnte der Nürnberger Prozeß insgesamt als politischer Erfolg gelten und demonstrierte damit nachhaltig, wie wenig sich politische Macht im Grenzbereich durch die von Neumann kritisierten „positivistischen“ juristischen Hindernisse aufhalten läßt. Dies allerdings war eine Lehre, die zu fragwürdigen Ansichten im Hinblick auf die nachhaltige Stabilität jedweder Verfassungs- und Rechtsordnung führen konnte. Von der von Fraenkel postulierten Herrschaft des Normenstaates war in Nürnberg wenig geblieben. An diesem Tag mit im Raum des Frankfurter Instituts für Sozialforschung befand sich Neumanns früherer Kollege aus den Tagen von Nürnberg, Henry Kellermann. Kellermann hatte seinerzeit nach dessen Rückkehr in die USA kurzfristig Neumanns Posten übernommen. Er kann gewissermaßen als personifizierte transatlantische Wechselwirkung gelten. Geboren 1911 in Berlin, aufgewachsen in Deutsch89 Dies ist nicht das Thema dieser Studie, dennoch seien wichtige Punkte hier genannt: Anwendung eines Gesetzes, das zur Tatzeit nicht galt; Beschränkung der Gültigkeit des neu erlassenen Gesetzes auf eine einzelne Personengruppe, d. h. ausschließlich auf deutsche Vergehen; Vorlegen von Beweismaterial unter falschen Angaben über dessen Herkunft; Anklage von Personen wider besseres Wissen; Behinderung der Verteidigung durch Anwendung abgesprochener Verfahrensregeln und Verweigerung von Akteneinsicht; Ablehnung von vorgelegtem Entlastungsmaterial nach einem vor Prozeßbeginn besprochenen Plan; Einschüchterung von Zeugen; Verhinderung von Zeugenaussagen durch Verweigerung von Angaben über den Aufenthalt des Zeugen. Inwieweit dieses Fehlverhalten unvermeidlich oder eine Folge der schlechten Prozeßvorbereitung und der Aussetzung aller Schutzmaßnahmen durch die ständige Konfrontation zwischen angelsächsischem und deutschem Recht war, darüber wurde auch in Emigrantenkreisen diskutiert. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 187. 90 Womit er sich wenig Freunde machte, da zum einen die Verflechtungen zwischen deutschem und amerikanischem Kapital schwer aus dem Prozeß herauszuhalten waren, und er zum anderen zwischen die Fronten der Demontageabsichten Morgenthauscher Prägung und gegenläufigen Vorstellungen zum Wiederaufbau einer deutschen Industrie geriet. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 185 f.

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land war er zur Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme Leiter des fünfzehntausend Mitglieder starken „Bundes deutsch-jüdischer Jugend“. Nach dem Jurastudium seit 1932 als Referendar tätig, erhielt er 1933 zwar als „Nicht-Arier“ Berufsverbot, konnte aber im Juni 1937 noch sein juristisches Doktorexamen ablegen, bevor er mit einem Stipendium in die USA ging.91 Dort arbeitete er neben Lehrtätigkeiten in Baltimore und New York für den National Refugee Service, eine der großen jüdischen Hilfsorganisationen. 1942 fand Kellermann in Washington den Anschluß als Mitarbeiter der Regierung, wurde Propaganda- und Nachrichtenfachmann beim vom Mit-Emigranten Hans Speier92 geleiteten Foreign Broadcast Intelligence Service der Federal Communication Commission in Washington, ging 1944 zum OSS und arbeitete dort zusammen mit Franz Leopold Neumann, John Herz und Otto Kirchheimer an den Planungen für die Besatzung Deutschlands mit, unter anderem an den Civil Affairs Guides, den Handbüchern für die Besatzung.93 1945 kehrte er nach Deutschland zurück, arbeitete eben in Nürnberg im Rahmen der Anklagevorbereitung als Stellvertreter Franz L. Neumanns mit, wurde vom OSS ins amerikanische Außenministerium übernommen,94 war seit Juni 1949 der Chef der Division of German and Austrian Reorientation Affairs95 amtierte seit 1950 als Direktor des Office of German Public Affairs bei HICOG und fungierte dann als langjähriger Koordinator der amerikanisch-deutschen Austauschprogramme zur Bildung der kommenden, auf Amerika ausgerichteten, deutschen Elite. Zwischen 1956 und 1961 betrieb er schließlich die kulturelle US-Außenpolitik auf allgemeinerer Ebene, als US-Vertreter bei der UNESCO in Paris. Kultur- und Personenaustausch waren auch an diesem Tag im Frankfurter Institut Kellermanns Thema. Er konnte mitteilen, daß der gesamte Personenaustausch nicht mehr auf die amerikanische Zone (nicht: frühere amerikanische Zone) beschränkt sei. Es würde keine Zone bevorzugt und regionale Ämter seien in allen Teilen des Bundesgebietes 91 Vgl. Stiefel, Juristen, S. 142. Kellermanns eigene Äußerungen zu diesen Abläufen weichen davon etwas ab. Vgl. Kellermann, Recollections, passim. 92 Hans Speier, bis 1933 Dozent an der Berliner Hochschule für Politik. Er emigrierte im September 1933, da er von der Hochschule entlassen wurde und seine Frau als Jüdin ihre Zulassung als Ärztin verlor. Seit 1933 Mitglied der Graduate Faculty der New School for Social Research an der „University-in-Exile“. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 143, bzw. Speier, Jorunal, S. 6. Speier gehörte nach 1945 bis 1948 als Mitarbeiter des State Department als Associate Chief zu dessen Area Division V – Occupied Areas (ADO), phasenweise zu den Vorgesetzten von Henry Kellermann. Er hatte keine allzu großen Erwartungen an die Möglichkeiten der Umerziehung, kritisierte aber auch ihre fehlerhafte praktische Umsetzung. Vgl. Speier, Risks, passim. 93 Die Civil Affair Guides wurden zu großen Teilen von Emigranten entworfen. Beteiligt neben den Genannten etwa auch Magdalena Schoch, Ernst Fraenkel, Herbert Marcuse, Louise Holborn, Paul Weiden, Robert Eisenberg. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 171 f. 94 Eine von ihm 1946 verfaßte Broschüre stellt ihn als „Research Analyst in the Division of Europe, Near East and African Intelligence“ im „Office of Research and Intelligence“ des State Department vor. Vgl. Kellermann, Status, S. 1. 95 Was beiläufig zeigte, in welchem Ausmaß auch in der Staatsgründungsphase beide noch als Einheit betrachtet wurden. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 10.

6. Die Freie Universität Berlin und die Deutsche Hochschule für Politik

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eingerichtet worden. Demnächst würde auch ein Abkommen geschlossen werden, das mehr amerikanischen Studenten den Weg nach Deutschland öffnen würde.96 Ergänzt wurde dies um die Ankündigung, daß von deutscher Seite weniger Studenten, sondern Privatdozenten oder ältere Assistenten in die USA gehen sollten. Es ging letztlich um die Multiplikation des Erfahrenen, denn „der Ertrag wäre viel größer, da der Dozent hier das weitergeben kann, was er drüben gelernt hat.“ 6. Die Freie Universität Berlin und die Deutsche Hochschule für Politik Die Entwicklung der neu installierten Politikwissenschaften wurde von den Führungsagenten aus den USA stetig vorangetrieben. Ein Beispiel ist die Verschmelzung der neuen Deutschen Hochschule für Politik mit der Freien Universität (FU) Berlin.97 Am 5. Juli 1951 befasste sich der Senat der Hochschule mit dieser Frage. Anlaß dafür war ein Besuch eines Vertreters der „Ford Foundation“ in Berlin, der einen Entwurf von Franz L. Neumann mitbrachte, wie diese Verschmelzung auszusehen habe.98 Neumann selbst hatte im Frühjahr des gleichen Jahres mit der Leitung der FU über die wünschenswerten Modalitäten einer Erweiterung der Tätigkeit der Universität konferiert und hatte als Finanzierungsvorbehalt eine Reihe von Maßnahmen gefordert. Sie sahen neben der Einrichtung von Erwachsenenbildung, eines deutsch-amerikanischen Austauschprogramms und eines Osteuropainstituts auch die Angliederung der Hochschule für Politik an die FU vor. Eine Anfrage, ob die Ford-Foundation bei Wahrung dieser Punkte ihre Finanzierung und die Finanzierung weiterer Baumaßnahmen übernehmen würde, leitete Neumann am 18. April 1951 an die Foundation weiter.99 Die Angelegenheit wurde zur Chefsache. Am 9. Juni 1951 machten sich Mr. und Mrs. Henry Ford in Berlin selbst ein Bild, begleitet von Paul Hoffmann, dem aktuellen Stiftungsdirektor, Hochkommissar McCloy und verschiedenen anderen HICOG-Offiziellen.100 Man bekräftigte die Vgl. BA-KO NL 169 / 65, S. 16. Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 60. 98 Franz L. Neumann (1900 – 1954), ein gelernter Jurist, begann seine Karriere von 1923 – 1927 bei dem Arbeitsrechtler Hugo Sinzheimer an der Universität Frankfurt. Danach betrieb er zusammen mit Ernst Fraenkel eine Rechtsanwaltspraxis in Berlin, dozierte an der alten Berliner Hochschule für Politik und wurde 1932 Syndikus der SPD. Im Mai 1933 ging er außer Landes und schrieb sich an der „London School of Economics“ ein. 1936 Ph.D. über „The Governance of the Rule of Law“. 1942 in die USA, dort am „Institut für Sozialforschung“, dann beim Geheimdienst OSS, dort Leiter des wissenschaftlichen Zweiges der Deutschland-Abteilung. Seit 1950 Professor für Public Law und Government an der Columbia University. 99 Vgl. Pilgert, System, S. 103 f. 100 Seit der Errichtung der Bundesrepublik und dem Übergang von der Militärregierung zur Überwachung der Entwicklung durch die Alliierte Hohe Kommission am 21. September 1949 war die Verfügung über Finanzmittel das wichtigste Steuerungselement der Siegermächte, was die Anwesenheit McCloys bei solchen Angelegenheiten erklärt. Vgl. Pilgert, System, S. 79 f. 96 97

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VI. Wie man Wissenschaften erfindet – Fallstudien (I)

Vorhaben und erhielt von deutscher Seite die Zusage, ebenfalls an ihrer Umsetzung zu arbeiten, so vom Berliner Bürgermeister Ernst Reuter und dem Direktor der FU, Hans Freiherr Kress von Kressenstein.101 In seinem wenige Wochen danach vorgelegten Entwurf forderte Neumann den institutionellen Ausbau der Deutschen Hochschule für Politik, und zwar durch: Intensivierung der Auslandskunde durch Gastprofessuren; Errichtung eines EuropaInstituts und eines Instituts für vergleichende Staatslehre. „Das erste, um die Ansätze zur europäischen Integration wissenschaftlich zu untersuchen, das zweite, um die Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen des eigenen Systems an den entsprechenden Strukturen des Auslandes messen zu können.“102

Neumanns Entwurf „ermunterte“ die Hochschule, der FU ihre Aufnahme als eigene Fakultät als „Wissenschaft von der Politik“ vorzuschlagen. Die Universität erkannte den Wert der politischen Wissenschaften für die „staatsbürgerliche Erziehung“ an, bestritt also indirekt die wissenschaftliche Bedeutung. Den Versuch von Otto Suhr, die DHfP als eigenständiges juristisches Subjekt mit eigener Satzung und eigener Direktorialverfassung an die FU anzugliedern, lehnte die FU allerdings ab und wollte ihn auf unbestimmte Zeit verschieben. Suhr sah sich genötigt, die Machtverhältnisse klarzustellen: „Erstens habe die Wiso-Fakultät falsche Vorstellungen von dem, was es eigentlich mit der Wissenschaft von der Politik auf sich habe. … Zweitens sei der Vorschlag bezüglich der Verschmelzung mit der FU nicht von der DHfP, sondern von Neumann gekommen. Nur unter der Voraussetzung, daß dessen Exposé Ausgangspunkt beiderseitiger Verhandlungen werde, wollte Suhr dem Wunsch nach Zusammenarbeit entsprechen.“103

Damit war klar formuliert, wer das Sagen hatte. Dem Wunsch Neumanns und damit der amerikanischen Interessenvertretung sollte hier entsprochen werden, nicht irgendwelchen Anliegen, die vielleicht die FU Berlin aus eigenem Antrieb für wissenschaftlich geboten hielt. Die weiteren Diskussionen verliefen entlang dieses Rahmens, am 16. Januar 1952 ergänzt von neu vorgelegten „Richtlinien“, deren Verfasser unbekannt geblieben ist.104 Die Studenten der DHfP wurden schließlich Interessanterweise hatte McCloy erst wenige Wochen zuvor, im April 1951, in Mainz der Gründung des Instituts für europäische Geschichte beigewohnt und aus diesem Anlaß „einen Schumanplan der Geschichtsforschung“ gefordert. Vgl. Schüddekopf, Schulbuchrevision, S. 59. 101 Paul Hoffmann als Direktor der Ford-Stiftung übergab die Millionenspende am 6. August 1951 persönlich. Vgl. http: // web.fu-berlin.de / chronik / b-picts / 1949 – 1960 / kress.html, eingesehen am 8. Februar 2010. Kress war ebenfalls Teilnehmer am laufenden Austauschprogramm. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 76. 102 Zit. n. Mohr, Politikwissenschaft, S. 61. 103 Zit. n. Mohr, Politikwissenschaft, S. 62, vgl. OSI, Suhr an Rektor der FU Berlin, 14.12.1951. 104 Vgl. Mohr, Politikwissenschaft, S. 354.

6. Die Freie Universität Berlin und die Deutsche Hochschule für Politik

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den Studenten der FU gleichgestellt, in Berufungsangelegenheiten erhielt die DHfP den Status einer Fakultät. Ein Vertrag zwischen FU und DHfP vom 7. April 1952 regelte dies entlang von Neumanns Wünschen und den Richtlinien.

VII. Transatlantische Austauschwege „KdF muß durch etwas anderes ersetzt werden, z. B. durch Reisen nach Amerika.“ Max Horkheimer1

1. Das Konzept der ‚Cultural Diplomacy‘ Die Konzept einer „Cultural Diplomacy“ als Ergänzung der amerikanischen Außenpolitik wurde in den 1930er Jahren entwickelt. Erste Unternehmungen in dieser Hinsicht fanden zunächst in Lateinamerika und China statt. Auch hierbei traten Emigranten aus Deutschland auf den Plan, wie etwa Ernst Schwarz, ein vor den Nationalsozialisten geflüchteter jüdischer Deutscher, der bis zum Verlassen Deutschlands Kulturbeauftragter der Stadt Berlin gewesen war.2 Schwarz gründete in Chicago das Good Neighbour Forum, als dessen Ziele die Förderung der Good Neighbour Policy gegenüber Lateinamerika, Lateinamerikaforschung und Völkerverständigung angegeben wurden. Das State Department begleitete diese und Hunderte anderer Gründungen Panamerikanischen Zuschnitts, deren Ziel es insgesamt war, aus der Monroe-Doktrin mit ihrem Hegemonialanspruch gegenüber den lateinamerikanischen Staaten eine freiwillige panamerikanische Identität werden zu lassen, was trotz der Anregung zahlreicher vergleichbarer Aktivitäten in den Zielstaaten allerdings insgesamt mißlang.3 Dennoch wurden Erfahrungen gesammelt und die bei dieser Gelegenheit durchgeführten empirischen Untersuchungen über Lehrmaterial in Lateinamerika waren ebenso umfangreich wie das Konzept total. Der American Council for Education gab ab 1942 eine Studie in Auftrag, die in Lateinamerika achthundert Schulbücher und fünfundsiebzig Filme auf ihre Bildungswirkung untersuchte, aber auch Kunstmalerei und sogar Lieder.4 Dem Zeitgeist der vierziger Jahre entsprechend, sollte Bildung einer umfassenden Beeinflussung unterliegen. Ebenso wenig Erfolg hatte letztlich der Versuch, mit ähnlichen Verfahren den Gang der Dinge in China zu beeinflussen.5 Doch blieben aus diesen Programmen 1 Aus dem Memorandum on the Elimination of German Chauvinism aus dem August 1942, MHA IX, 172, 32, hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 121. 2 Vgl. Lübken, Nähe, 114. Auch in anderen Vereinigungen dieser Art wirkten Emigranten mit, so etwa der jüdische Professor für Anthropologie an der Columbia University, Franz Boas als Ehrenvorsitzender des Pan American Council. Vgl. Lübken, Nähe, S. 114. 3 Vgl. Espinosa, Beginnings, passim. 4 Vgl. Dance, Betrayer, S. 132.

1. Das Konzept der ‚Cultural Diplomacy‘

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trotzdem Erfahrungen zurück, die für die Arbeit in Deutschland nützlich waren, die ja unter ganz anderen Umständen stattfand. Weder in China noch in Lateinamerika hatten die Vereinigten Staaten ein totales Informationsmonopol besessen, die Zulassung von Lehrmitteln kontrollieren können und die Zulassung der im Bildungs- und Entscheidungssektor tätigen Personen vollständig in ihre Hand genommen. Ob darüber hinaus die mentale Voraussetzung des amerikanisch-deutschen Verhältnisses als eines zwischen „totalem Sieger“ und „totalem Verlierer“ unbedingt zwingend ein Vorteil sein mußte, war keineswegs von vornherein abzusehen. So waren die Voraussetzungen präzedenzlos, unter denen die USA in Westdeutschland das bis dahin und bis heute umfangreichste kulturelle Prägeprogramm ihrer Geschichte starteten. Begünstigt wurde dieses Programm durch den bald beginnenden Kalten Krieg. Er stellte zwar dadurch eine gewisse Herausforderung dar, daß die Sowjetunion innerhalb Deutschlands die „Deutsche Karte“ zu spielen versuchte und sowohl die Teilung der vier Besatzungszonen als auch das Fehlen eines Friedensvertrags als die Schuld der Westmächte bezeichnete. Diese Kampagne zielte auf einen deutschen Nationalismus, von dem sich die Sowjets eine Entfremdung der Westdeutschen gegenüber den Westmächten versprachen. Allerdings hatte die Moskauer Außenpolitik letztlich nicht die Absicht, den Andeutungen von Gegenleistungen in Sachen Friedensvertrag und Vereinigung der Besatzungszonen ihrerseits auch wirkliche Taten folgen zu lassen. Damit wurde aus Moskauer Sicht sicher eine objektive Gelegenheit versäumt, denn es war nur schwer vorzustellen, wie ein Friedensvertrag hätte aussehen können, der sowohl für die westlichen Siegermächte als auch für eine deutsche Regierung akzeptabel gewesen wäre. Westdeutsche Politiker, die eine Regelung wie die Oder-Neisse-Grenze akzeptiert hätten, waren einstweilen nicht in Sicht. Konrad Adenauer oder Kurt Schumacher hätten keinen entsprechenden Vertrag unterschrieben. Ein sowjetisches Angebot aber, das Zugeständnisse in diesem Bereich und in Sachen deutsche Einheit enthielt und doch von den Westmächten abgelehnt wurde, mußte das Zutrauen der deutschen Westzonen in ihre neuen Verbündeten und ihr Gesellschaftsmodell deutlich erschüttern. Ein solches Angebot kam aus der UdSSR jedoch nie, so daß sie die politischen Folgen tragen mußte, in den Augen der Deutschen zunehmend die Hauptverantwortung für Teilung und Vertreibung zu tragen. Dies und die in Deutschland aus Kriegszeiten vorhandene Erinnerung an den „Osten“ als dunkle Drohung, Schauplatz des Vernichtungskriegs und Grab von Millionen deutscher Soldaten und Zivilisten verschafften den US-amerikanischen Prägeprogrammen entscheidende Vorteile. Dazu gesellten sich im akademischen Bereich die fortlaufenden Entführungsaktionen und Willkürurteile gegen Studenten und Professoren in der SBZ.6 Auch die Ungeheuerlichkeiten während des Einmarschs der Roten Armee prägten noch das Bewußtsein, wie Bert Brecht nach seiner Ankunft aus den USA registrierte:

Vgl. Fairbank, China, passim. Die 1962 erschienene Dokumentation des Verbandes deutscher Studentenschaften enthielt hunderte von solchen Namen und Fällen. Vgl. VDS, Dokumentation, passim. 5 6

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VII. Transatlantische Austauschwege

„immer noch, nach den drei jahren, zittert unter den arbeitern, höre ich allgemein, die panik, verursacht durch die plünderungen und vergewaltigungen nach, die der eroberung von berlin folgten. in den arbeitervierteln hatte man die befreier mit verzweifelter freude erwartet, die arme waren ausgestreckt, aber die begegnung wurde zum überfall, der die siebzigjährigen und die zwölfjährigen nicht schonte und in voller öffentlichkeit vor sich ging. es wird berichtet, daß die russischen soldaten noch während der kämpfe von haus zu haus, blutend, erschöpft, erbittert, ihr feuer einstellten, damit frauen wasser holen konnten, die hungrigen aus den kellern in die bäckereien geleiteten, die unter trümmern begrabenen ausgraben halfen, aber nach dem kampf durchzogen betrunkene horden die wohnungen, holten die frauen, schossen die widerstand leistenden frauen und männer nieder, vergewaltigten vor den augen von kindern, standen in schlangen an vor häusern usw.“7

Eine solche Gewalt hatte den Einmarsch der Westmächte nicht begleitet, und wo doch, hatte sie sich kaum als prägender Eindruck festgesetzt.8 Zudem überließen die USA im Rahmen der hier im Blickpunkt stehenden Austauschprogramme der Elite so wenig wie möglich dem Zufall. Neben den Austauschprogrammen griffen amerikanische Stellen während des Kalten Krieges auch tief in die Populärkultur der westlichen Welt einschließlich Deutschlands ein. So beteiligte sich die CIA an Zeitungen und Medien aller Art und arbeitete inhaltlich wie finanziell an der Veröffentlichung von mehr als eintausend Büchern mit.9 „Cultural Diplomacy“ stellte ein außenpolitisches Konzept dar, das sich zwar nicht im Sinn der Totalitarismustheorie als „totalitär“ bezeichnen läßt, das aber mit seiner Beeinflussung der gesamten öffentlichen Lebensäußerungen und Bildungswelten immerhin als „total“ eingestuft werden muß. Zu jedem Zeitpunkt, von den Anfängen unter der Militärregierung (OMGUS) bis zum Höhepunkt des Programms unter HICOG nach Gründung der Bundesrepublik diente das Personen-Austauschprogramm als ein Instrument der amerikanischen Politik und folgte ihren Zielvorgaben. Dies stellte Henry Kellermann als eine der an der Konzeption und Ausführung beteiligten Personen in seinem rückblickenden Bericht einleitend fest.10 Daher seien die gemachten Erfahrungen über den allgemein

Zit. n. Brecht, Arbeitsjournal, S. 850, Eintrag vom 25. Oktober 1948. Auch dies wurde durch Zensurmaßnahmen unterstützt. Alfred Grosser berichtet von einer frühen Mission in Deutschland, bei der ihm von deutschen Jugendlichen, die er über deutsche Kriegsgreuel in besetzten Ländern informieren wollte, alliierte Kriegsgreuel wie z. B. Geiselerschießungen durch die französischen Truppen entgegengehalten wurden. In Reutlingen etwa waren sieben deutsche Geiseln erschossen worden, nachdem ein französischer Soldat bei einem selbstverschuldeten Motorradunfall ums Leben gekommen war. Das Ergebnis der richterlichen Untersuchung, die das aufgezeigt hatte, wurde nie veröffentlicht. Vgl. Grosser, Deutschland, S. 153 f. 9 Vgl. Saunders, CIA, S. 229. Dort auch einige Titel der geförderten Bücher. Darunter befanden sich Welterfolge wie „Doktor Schiwago“; eine vollständige Liste ist nicht bekannt. Die gezielte Einflußnahme auch auf die Literaturproduktion im belletristischen Bereich hatte seit 1945 zu den Elementen der amerikanischen Politik gehört. Vgl. Gehring, Literaturpolitik, passim. 10 Vgl. Kellermann, Relations, S. VII. 7 8

1. Das Konzept der ‚Cultural Diplomacy‘

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historischen Wert hinaus von politischem Nutzen für die Zukunft, schrieb er 1977 mit dreißigjährigem Abstand. In der Tat gehört „nation building“ durch Kulturpolitik und Austausch weitere dreißig Jahre später zu den Standards der westlichen Außenpolitik unter amerikanischer Führung, zuletzt – phasenweise – zu beobachten in ebenfalls einer absoluten militärischen Unterwerfung ausgesetzten muslimischen Ländern wie dem Irak und Afghanistan.11 Kellermanns Darstellung beginnt mit einem Bedauern über die Aktenlage. Obwohl er Zugang zu umfangreichem Material im Department of State, dem Washington National Records Center und den im Nationalarchiv lagernden Beständen des Bureau of Educational and Cultural Affairs gehabt habe, sei der Zugang nicht vollständig gewesen. Der Grund sei: „a number of critical documents have been destroyed“.12 Diese Äußerung läßt Aktenvernichtung vermuten und deutet Absicht zumindest an. Die Lücke in den Dokumentenüberlieferungen deutet Kellermann dann folgendermaßen an: „Sie enthalten nur in geringem Maß persönliche Aufzeichnungen von deutschen und amerikanischen Teilnehmern des Programms, die auf die eigenen Erfahrungen und die Ergebnisse ihrer Anstrengungen bezug nehmen würden.“13 Er habe diese Lücke teilweise aus der Erinnerung heraus füllen können und führt im weiteren aus: „Ganz besonders gibt es einen Mangel an Daten, aus denen die langfristige Wirkung des Austauschprogramms in einer Verbindung zum Wandel der Institutionen dokumentiert werden würde. Solche Daten sind niemals systematisch erhoben worden. Frühe Studien über die Veränderung von Geisteshaltungen gibt es in großer Zahl und sie werden im letzten Kapitel zitiert, um einige sehr persönliche Berichte über die Effektivität der Programme aufzuzeigen. Aber sie ermöglichen nicht notwendigerweise sichere und endgültige Rückschlüsse auf die Dauer solcher Veränderungen oder ihren Einfluß auf die gegenwärtige deutsche Gesellschaft.“14

11 Beide Einsätze blieben trotz hohen Investitionen weit hinter den Erwartungen zurück, was zu Debatten über die Eignung des besonderen Falls Deutschland als Vorbild führte. Vgl. das Themenheft des Journal of Strategic Studies, Jg. 29, April 2006. In der Tat scheinen die Annahmen über den Umfang des Erfolgs der amerikanischen Austauschprogramme sowohl bei Kritikern wie bei Befürwortern oft überzogen zu sein. Mit der wachsenden Betonung des Jahrs 1945 als einer Befreiung für Deutschland und Geburtsstunde der deutschen Demokratie durch Zeitgeschichte, Sozialwissenschaft und Politik ging das Wissen um die rechtsstaatlichen und demokratischen deutschen Traditionen verloren, auf die 1945 zurückgegriffen werden konnte und die in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens fehlen. Dessen ungeachtet fördert die Bundesregierung unter dem Stichwort „Afghanistan – Bildung für Frieden“ ganz ähnliche Austauschprogramme, wie sie nach 1945 in Deutschland angewandt wurden. Vgl. FAZ vom 15. März 2010, S. 8: Afghanistan – Bildung für Frieden, Beitrag von Cornelia Pieper (Staatsministerin im Auswärtigen Amt). Zu den wesentlichen Differenzen der Fälle Irak und Deutschland sowie der Kritik von Wissenschaftlern an unzutreffenden Parallelsetzungen durch die Politik vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 34 f. 12 Vgl. Kellermann, Relations, S. VIII. 13 Vgl. Kellermann, Relations, S. VIII. In ähnlichem Sinn, ohne den Verweis auf Aktenverlust und -zerstörung: Kellermann, Reorientierungsprogramm, S. 99 f. 14 Zit. n. Kellermann, Relations, S. VIII.

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VII. Transatlantische Austauschwege

Es fehlen demnach also die Angaben über die persönlichen Eindrücke der Ausgetauschten und deren langfristiges Verhalten. Da dies in der Tat ein zentrales Anliegen eines Programms gewesen sein muß, das exakt auf dieser Ebene der persönlichen Erfahrung ansetzte, mutet dies etwas merkwürdig an. In Zahlen jedenfalls sah die Entwicklung so aus, daß 1948 insgesamt 18 „German Leaders“ und 214 Studenten in die Vereinigten Staaten eingeladen wurden, 1950 hingegen 1288 leaders und 448 Studenten, 1953 lag das Verhältnis bei 861 zu 414.15 Damit begann das Fulbright-Programm zu greifen, nachdem der erste Schub des Austauschprogramms durch die Mission von Hermann B. Wells eingetreten war.

2. Die Hermann B. Wells-Mission „Seit dem Beginn des Programms Ende 1947 haben wir etwa 10.000 Deutsche in die Vereinigten Staaten geschickt. Von dieser Zahl sind etwa 5.400 das, was wir als ‚Leader‘ bezeichnen können, also Personen, die einflußreiche Positionen in politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und anderen Bereichen haben. Beispielsweise stellen frühere Teilnehmer am Austausch-Programm etwa 25 Prozent der Mitglieder des Bundestags, als dem ‚Unterhaus‘ der Bundesrepublik, und 17 Prozent der Mitglieder des Bundesrats, als dem ‚Oberhaus‘. Auf jedem wichtigen Gebiet des deutschen Lebens finden wir Personen in Schlüsselpositionen, die am Austauschprogramm teilgenommen haben und deren Wissen und Verständnis (understanding) der Vereinigten Staaten davon sehr profitiert hat.“ James A. Conant16

Unter den vielen Organisationen, die nach Kriegsende auf die ersten Umerziehungsaktionen in Deutschland Einfluß nehmen zu suchten, befand sich an führender Stelle das American Jewish Committee (AJC). Unter anderem hatte das AJC seine ‚ganze Kraft‘ dafür eingesetzt, eine staatliche amerikanische Förderung für dieses Programm zu erreichen, setzte aber auch eine Personalie durch, die ebenfalls geeignet schien, weitere Mittel aus privaten und organisierten Förderungstöpfen nichtstaatlicher Art bereit zu stellen. Gesucht wurde ein „fund-raiser“ der qualifizierten Art. Die Wahl fiel schließlich auf Herman B Wells,17 dessen Ernennung zum Leiter der Umerziehung durch Lucius D. Clay auf diesen Druck zustande kam.18 Bevor Vgl. Kellermann, Relations, S. 261, sowie Müller, Schulpolitik, S. 269. Aussage des U.S. High Commissioners in Deutschland, James A. Conant über das Austauschprogramm vor dem Subcommittee of the Committee on Apropriations of the House of Representatives am 15. Februar 1955, hier zit. n. Kellerman, Relations, S. 243. 17 Herman B Wells (1902 – 2000), Wirtschaftswissenschaftler, Präsident der Universität Indiana (1938 – 1962), Kanzler der Universität Indiana (1962 – 2000), zahlreiche weitere öffentliche Ämter, darunter Positionen im American Council for Education, der Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching, US-Delegierter bei den Vereinten Nationen (12. Vollversammlung) und Mitglied im President’s Special Committee on Overseas Voluntary Activities. Würdigungen u. a. als One of America’s Ten Outstanding Young Men of 1939 und Träger des B’nai Brith Great American Traditions Award. 15 16

2. Die Hermann B. Wells-Mission

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Clay allerdings seinen neuen Mitarbeiter akzeptierte, hatten in den Vereinigten Staaten lebhafte Debatten über den Gang der Bildungspolitik in Deutschland stattgefunden. In den Besatzungsgebieten hatte der deutsche Widerstand gegen die US-Pläne für ein eingliedriges Schulsystem im Jahr 1947 an Stärke zugenommen und zu Erfolgen geführt. Lediglich in Berlin, Bremen und Hamburg verlief die Bildungsreform noch anhand dieser Vorstellungen und fand dort auch deutsche Anhänger. In Bayern etwa tobte dagegen ein Kulturkampf zwischen Besatzern und Besetzten.19 Es sei, so Henry Kellermann etwas kryptisch, weniger die US-Politik selbst als deren Umsetzung (Implementation), die Probleme bereitete. Andererseits sei die Zeit für schärfere und direktere Eingriffe in das Bildungssystem vorbei, wie sie aus dem Pentagon als Reaktion gefordert wurden,20 aber auch von manchen zurückgekehrten Emigranten für besser gehalten worden wären, wie etwa dem Historiker Walter Dorn, einem Berater von General Lucius Clay, der mit Blick auf Bayern von einem „nahezu nicht wiedergutzumachenden Fehler“ sprach, die Universität München und andere Hochschulen wiederzubeleben: „Anstatt eine Gruppe politisch verläßlicher und energischer Professoren mit dem Aufbau einer wirklichen demokratischen Universität zu beauftragen, hat die Militärregierung versucht, die alte Universität München wiederherzustellen, ohne Nazis natürlich.“ Dabei seien „Anti-NaziGelehrte“ aber in der Praxis von den Lehrstühlen ferngehalten worden.21 Das State Department wollte jetzt einen anderen Weg gehen, um Einfluß auf die Elitenbildung zu nehmen. Man wies General Clay darauf hin, daß Zielvorgaben nicht erreicht worden seien und erinnerte an die im März des Jahres erlassene Direktive SWNCC 269 / 8.22 Dort spielte der Austausch von Personen eine entscheidende Rolle und das State Department forderte eine enge und finanziell gut ausgestattete Zusammenarbeit des Außen- und Verteidigungsministeriums sowie von OMGUS zur Umsetzung dieser Absicht, die dort ausdrücklich sowohl mit Blick auf die spätere BRD wie auf Österreich geäußert wurde.23 Die benötigten Gelder sollten sowohl vom Kongreß bereitgestellt, wie aus privaten Quellen geschöpft werden. Als der Mann, der dies alles antreiben und koordinieren sollte, nahm Herman B. Wells im November 1947 seine Arbeit auf. Zuvor hatten seine Konferenzen mit Regierungsmitgliedern in Washington eine Übereinstimmung ergeben, daß die AnVgl. Cohen, Committee, S. 483 ff. Vgl. Tent, Mission, S. 110 ff., „Kulturkampf in Bavaria“. 20 Vgl. Kellerman, Relations, S. 31. 21 Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 97 f. 22 Vgl. Kellerman, Relations, S. 31. Aus den Anmerkungen geht hervor, daß Kellermann selbst diese Äußerung in einem Memorandum formuliert hat, demnach: Kellermann an William T. Stone, 21. Oktober 1947, betr.: listing points to be covered by Charles E. Saltzman, Assistant Secretary for Occupied Areas, in his forthcoming talks with General Clay. In gleichem Sinn auch James Tent. Vgl. Tent, Mission, S. 301. 23 Vgl. Kellermann, Relations, S. 36. Die Militärregierung hätte bisher nicht genug Bereitschaft zur Mitwirkung gezeigt, kritisierte das State Department. Vgl. Heinemann, Bildungspolitik, S. 80. 18 19

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VII. Transatlantische Austauschwege

strengungen in Sachen „Reorientierung“ auf eine breitere Basis gestellt werden sollten, eine Basis, die man über die Etablierung von Netzwerken und persönlichen Erfahrungen herstellen wollte. Es galt, die demokratischen Potentiale in Westdeutschland zu finden und maximal zu stärken, sowie dabei gleichzeitig die von oben herab kommandierende Attitüde abzubauen.24 Herman B Wells arbeitete in Deutschland letztlich in einer Funktion als „Educational and Cultural Adviser to Military Government“. In den Elitentransfer, den die Kriegsauseinandersetzungen auf akademischer Ebene mit sich brachten, war er bereits in den Jahren vorher mit eingebunden gewesen, als er sich für die Positionierung von Flüchtlingen und vertriebenen Akademikern aus Deutschland und den von Deutschland besetzten Ländern an der Universität Indiana einsetzte.25 Seine Aufgabe in Deutschland lautete, wie General Clay gegenüber einem Mitarbeiter formulierte: „An der Formulierung der Innenpolitik unter Berücksichtigung unserer allgemeinen Direktiven mitzuwirken …. insbesondere auf dem Feld der Informationskontrolle und dem Bildungsbereich.“26

Diese Aufgabe an der Nahtstelle von „Bildung“ und „Kontrolle“ ging Wells mittels einer allgemeinen Schwerpunktverlagerung der Umerziehungsbemühungen an, weg von einer Beeinflussung der Institutionen, hin zu einer kulturellen Beeinflussung im allgemeineren Sinn und hier ganz besonders einer Intensivierung des Austauschprogramms. Wells formulierte dies selbst eindringlich und sprach gar vom Fortschritt in Kunst und Literatur: „Für mehr als ein Jahrzehnt waren die Deutschen durch die Nazi-Diktatur von Denken und Kultur im Rest der Welt ausgeschlossen. Heute sind sie sich nicht bewußt, welche Fortschritte in den Bereichen der Bildung und Erziehung, der Sozialwissenschaften, der Medizin, der Kunst und der Literatur gemacht wurden. Es reicht daher die Feststellung nicht aus, daß der Erfolg der Umerziehung durch den Austausch von Texten, Lehrern, Studenten und Führungspersonen unterstützt werden wird. Es sollte statt dessen davon ausgegangen werden, daß dieser Erfolg ohne den Austausch unmöglich ist. Kulturaustausch ist eines der Hauptmittel des Umerziehungsprogramms.“27

Diese Diagnose vom versäumten deutschen Fortschritt infolge von Isolation stand in denkbar schärfstem Gegensatz zu der 1945 erreichten deutschen Spitzenposition in fast allen Bereichen moderner Technologie, in Werkstoffentwicklung, Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik, also eben dort, wo „Fortschritt“ 24 Soweit die Ergebnisse von Wells’ Besprechungen mit Donald C. Stone vom Bureau of the Budget und James Sundquist, Clays „Control Officer“ bei OMGUS. Vgl. Tent, Mission, S. 300 f. 25 Vgl. http: // en.wikipedia.org / wiki / Herman_B_Wells eingesehen 8. März 2010. 26 Zit. n. Kellermann, Relations, S. 33 bzw. Clay, Papers, I, 7. August 1947. 27 Wells in: News Bulletin, Institute of International Education, XXIII, 1. Mai 1948, S. 3, hier zit. n. Kellermann, Relations, S. 33 f.

2. Die Hermann B. Wells-Mission

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nach objektiven Kriterien feststellbar war. Die erste Besatzungsphase geriet deshalb zu einer Art Jagdveranstaltung auf deutsche Patente und Wissenschaftler, deren Wissen und Tätigkeit in den beiden Jahrzehnten nach 1945 die technologische Entwicklung in den Siegerstaaten wesentlich mit beeinflußten.28 Isolation bedeutete keineswegs notwendig nachlassende Kreativität, sondern konnte sie offenkundig sogar beschleunigen. Es ließ sich auch darüber streiten, inwieweit die Anwendung des „Fortschritt“-Begriffs im kulturellen Bereich überhaupt gerechtfertigt war. Letztlich formulierte auch Wells mit solchen Diagnosen in erster Linie einen Führungsanspruch, der eher auf dem militärisch-politischen als auf dem technologischen oder kulturellen Schlachtfeld begründet worden war. Die Zusammenarbeit zwischen Clay und Wells scheint nicht reibungsfrei verlaufen zu sein, wie es auch nicht zu erwarten war, wenn dem Chef einer Militärregierung von seinen Vorgesetzten die Kompetenzen zugunsten eines neuen Mitarbeiters beschnitten werden. Clay leistete hinhaltenden Widerstand gegen Wells Pläne zur finanziellen Absicherung des Austauschprogramms durch den Kongreß und äußerte zudem Bedenken wegen möglicher Belästigungen deutscher Studenten an amerikanischen Hochschulen. Dessen ungeachtet setzte Wells seinen Kurs durch und etablierte das Personenaustauschprogramm als Kernelement der künftigen amerikanischen Anstrengungen. Als ein „Fund Raiser“ von hohen Graden gelang es ihm, eine Gruppe von gut einhundert amerikanischen Organisationen für die Verbesserung deutsch-amerikanischer Beziehungen zu interessieren und deren Repräsentanten im Rahmen des American Council on Education (ACE) zu koordinierter Tätigkeit zusammenzuführen.29 Ein mittlerweile überzeugter Lucius Clay bezeichnete das Austauschprogramm ein Jahr nach Wells Ankunft in einer Rede vor dem Staff of the Division of Education and Cultural Relations nun auch als Kernelement der Planungen dafür, auf langer Sicht dem deutschen Potential die Fähigkeit zur „Aggression“ zu nehmen und die dafür nötigen Veränderungen im deutschen Denken (German mind) vorzunehmen. Die Liste der Voraussetzungen, die an einen potentiellen deutschen Leader gestellt wurden, war umfangreich. Neben den Standards wie englischer Sprach- und Lesefertigkeit wurden Persönlichkeit und Anpassungsvermögen gefordert, ebenso ein tadelloser politischer Hintergrund, Bildung und nachweisbare berufliche Leistungen. Dazu kam die allgemeine Erwartung, der „wahrscheinlichen Fähigkeit, von einer Reise in die USA auf eine Weise profitieren zu können, daß die Betroffenen nach ihrer Rückkehr in ihr Geburtsland das Programm der demokratischen Neuorientierung weitertragen.“30 Ausgeschlossen wurden alle Personen, die Mitglied in 28 Etwa sechstausend Experten wurden eingesetzt, um deutsche Techniker, Wissenschaftler, vorhandene Technik, Patente und Erkenntnisse in die USA zu transferieren. Das führte zum Transfer von etwa zweitausend Familien und materieller wie immaterieller Güter im Wert von Milliarden US-Dollar. Vgl. Schmidt, Programs, S. 98 f. 29 So die eigene Angabe von Wells in einem Brief an James F. Tent vom 12. Dezember 1977. Vgl. Tent, Mission, S. 301.

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VII. Transatlantische Austauschwege

nationalsozialistischen Organisationen gewesen waren, die vom Nürnberger Tribunal als verbrecherisch eingestuft worden waren, sowie alle, die von alliierten Spruchkammern in Bezug auf das NS-Regime nicht als vollständig „entlastet“ eingestuft worden waren. Den Hauptschuldigen, Belasteten, und Minderbelasteten blieb der Aufenthalt in den USA im Rahmen dieser Programme – offiziell – verwehrt, aber auch den „Mitläufern“. Daß selbst die Entlasteten nicht immer erwünscht waren, zeigte dann der auf Wunsch von John Foster Dulles zustande gekommene Aufenthalt von Martin Niemöller, den eine nationalsozialistische Lagerhaft von fast einem Jahrzehnt nicht daran hinderte, in den USA unter bestimmten Aspekten für den Wert der deutschen Sache einzutreten, und der deshalb im State Department im nachhinein als „unreconstructed nationalist“ eingestuft wurde.31 Wie sehr Niemöller mit seiner Haltung eines christlich-wilhelminischen Nationalismus zwischen die Fronten geraten war, zeigte andererseits ein 1946 an der Technischen Hochschule Darmstadt aufgedeckter Attentatsplan einer Hitlertreuen Studentengruppe mit der Eigenbezeichnung „Acht und Acht“, der Niemöllers Ermordung zum Ziel hatte.32 Mehr erwünscht als solche politisch heiklen und mit Vergangenheit belasteten Auftritte wie der Niemöllers, war im Rahmen des Austauschprogramms der Aufenthalt von unbelasteten und politisch unbeschriebenen Frauen, von deren aktiverer Rolle in der deutschen Gesellschaft sich die Umerziehungsbehörden eine demokratisierende Wirkung versprachen. Um diese Wirkung beschleunigt zu erzielen, setzte Wells bei den Reiseformalitäten ein Entbürokratisierungsprogramm durch, das die Zeit zwischen dem Reiseantrag eines Deutschen und der Genehmigung der Reise von durchschnittlich neun Monaten auf etwa zehn Tage verkürzte. Es wurde eine Vielzahl an neuen Organisationsstrukturen geschaffen, so etwa ein Interdivisional Reorientation Committee (IRC), dazu mit spezieller Unterstützung der Rockefeller Foundation im Rahmen des ACE ein Advisory Committee on Cultural and Educational Education, das wenige Monate später einen eher prosaischen Titelwechsel durchmachte: Es wurde daraus die Commission on the Occupied Areas (COA).33 Generell herrschte der Trend vor, die Abwicklung der Geschäfte aus den Händen des Militärs in die neugegründeten Nichtregierungsorgani30 Robert P. Petterson, Secretary of War, to the Secretary of State, 12. Juni 1947, hier zit. n. Kellermann, Relations, S. 52. 31 Vgl. Kellermann, Relations, S. 41. Unter anderem soll Niemöller erklärt haben, die USArmee hätte nicht das Format, eventuell gegen die Rote Armee zu kämpfen. Vgl. Speier, Journal, S. 69. Eintrag vom 16. November 1950. 32 Vgl. Kellermann, Status, S. 10. Niemöller reiste Anfang 1946 in Deutschland im Dienstwagen der Besatzungsmacht von Hochschule zu Hochschule und verbreitete die Kollektivschuldthese, unter anderem mit den Worten: „Die Entschuldigung ‚Ich habe davon nichts gewußt‘ ist bei jedem erwachsenen Menschen unwahr. … Das ist unser aller Schuld.“ Da zu dieser Zeit trotz aller Zensur die Informationen über die polnischen und tschechischen Verbrechen an Deutschen in den Vertreibungsgebieten bekannt wurden, gab es lautstarke Proteste, als er mit „verzeih mir, lieber Pole“ auch eine Schuld gegenüber Polen reklamierte. Viele Studenten verließen die Predigt und knallten die Türen hinter sich zu. Vgl. Krönig, NachkriegsSemester, S. 71 f. 33 Vgl. Tent, Mission, S. 303.

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sationen zu verlagern. Mit der Zeit wurde dieses Programm nach Einschätzung der US-Institutionen ein Erfolgsprogramm, das unter der Regentschaft von HICOG einige Jahre später seinen Höhepunkt erreichte, bevor es dann durch die Tätigkeit der Fulbright-Kommission in Deutschland auf andere Weise fortgesetzt wurde. Zu den Methoden, die Wells mit geschaffen hatte, gehörte eine Eingrenzung der Dauer des Amerikaaufenthalts zwischen dreißig und einhundertzwanzig Tage, sowie eine Zusammenarbeit der neuen Amerikadeutschen untereinander. Sie waren in Teams gegliedert, die entweder aus dem gleichen Beruf stammten, oder alle am Studium eines für jeden gleich interessanten Sachverhalts beteiligt waren. Es gab Teams aus Lehrern, Verwaltungsfachpersonal aller Ebenen, Stadtplanern, Anwälten, Journalisten, aus dem Gesundheitsbereich und demgegenüber Teams, die ganz anders zusammengesetzt waren, beispielsweise solche von „women leaders“.34 Der langfristige Erfolg sollte und konnte sich durch die Bildung solcher Erfahrungsgemeinschaften leichter einstellen, die sich naturgemäß auch nach der Rückkehr in die Bundesrepublik nicht vollständig auflösen würden. Statt dessen konnte man mit Recht davon ausgehen, daß diese Gemeinschaften weiter untereinander Kontakt halten und sich nebenbei ein wenig gegenseitig anregen oder auch kontrollieren würden. Neben diesem Programm wurde auch der Studentenaustausch nicht vergessen und gut organisiert durch die Cultural Relations Division von OMGUS, untergliedert auf Länderebene durch Land Student Exchange Committees unter der Anleitung eines Interchange of Persons Offiziers. Es gab durchaus kritische Momente, die durch Wells überwunden wurden. So diskutierte man Ende 1947 im Washingtoner State Department über die Gefahr, daß die deutschen Intellektuellen und potentiellen Führungskräfte sich von den amerikanischen Besatzungsbehörden abwenden würden. Henry Kellermann und Thomas Goldstein von der German-Austrian-Trieste-Branch der Area Division V – Occupied Areas (ADO) des State Department diskutierten brieflich über Maßnahmen zur Abhilfe.35 Im Gegensatz zu den Amerikanern würden die Russen ihren Intellektuellen wenigstens etwas zu essen geben, hieß es. Zwei Jahre nach Kriegsende war es, abgesehen von den oben zitierten negativen Voraussetzungen jeder sowjetischen Politik, offenbar noch keine ausgemachte Sache, daß die westlichen Zonen auch den ökonomischen Wettlauf der Systeme gewinnen würden. Goldstein lehnte es dennoch ab, neue Förderprogramme aufzulegen, doch wurden die von Wells neu strukturierten Austauschprogramme in der Folgezeit mit den nötigen Mitteln ausgestattet, um auch westdeutsche „Leader“ angenehm zu ernähren und ihnen Reisen zu ermöglichen.36

Vgl. Kellermann, Relations, S. 40 f. Register of the Department of State 1946. Aufgabe der ADO war die Formulierung und Überwachung des Reorientation-Programms unter allen Aspekten, insbesondere der Bildungsund Informationspolitik. 36 Vgl. 862.42 / 11-2847, Kellermann an Goldstein, 28. November 1947; Goldstein an Kellermann, 1. Dezember 1947, hier nach Heinemann, Bildungspolitik, S. 83. 34 35

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Zwei Drittel aller Teilnehmer am Austauschprogramm erreichten nach kurzer Zeit einen nachweisbaren beruflichen Erfolg oder den Aufstieg in gewählte Ämter, was auch registriert wurde.37 Ob es an der prinzipiell gelungenen Auswahl der Personen oder an den gewonnenen Erkenntnissen oder an weiterführender Protektion lag, darüber geben die Quellen keine ausreichende Auskunft, um ein verbindliches Urteil abgeben zu können. Dies gilt auch trotz der recht umfangreich vorgenommenen Befragungen der Austauschpersonen nach ihren Erfahrungen. In der Regel hatten sie offenkundig verstanden, was von ihnen erwartet wurde, und formulierten ein derart überschwengliches Lob der in den USA vorgefundenen demokratischen Gesellschaft, daß es nicht selten den Bereich der Ironie streifte.38 Ob wirkliche Talente auch ohne die Protektion einer Teilnahme am Austauschprogramm eine vergleichbare Position hätten erreichen können und wie viele dies erreicht haben, ist deshalb schwer zu quantifizieren. Naturgemäß hatten die Austauschpersonen eigene Ziele und Pläne, die der Austausch aus ihrer Sicht mehrheitlich fördern und nicht gefährden sollte.39 Ein Karriereschub und damit verbunden ein gewisses Verhalten im gewünschten Sinn, also wenigstens der Verzicht auf ausdrücklich unerwünschtes Verhalten, sind anzunehmen und wurden von den amerikanischen Beobachtern auch angenommen. Anfang 1952 ließ die amerikanische Hohe Kommission zudem eine Studie über die Multiplikationswirkung der Austauschreisen auf diejenigen Deutschen erstellen, die nicht in die USA gereist waren. Eine auf Basis einer repräsentativen Umfrage erstellte Hochrechnung führte dabei zum Ergebnis, daß zwischen 900.000 und 1.600.000 erwachsene Deutsche dem multiplikatorischen Einfluß ausgesetzt gewesen waren und dabei Ideen oder wenigstens Anregungen übernommen hatten. Jugendliche waren nicht befragt worden, so daß der wahrscheinlich große Einfluß auf diese Gruppe unberücksichtigt blieb.40 Eine bedeutende Anzahl jener Jugendlichen, die von dem Aufenthalt in den reichen und unzerstörten USA naturgemäß beeindruckt waren, engagierte sich nach der Rückkehr in die mit beiden Eigenschaften vergleichsweise noch sehr spärlich ausgestattete Bundesrepublik der frühen 1950er als pro-amerikanische Fürsprecher und durch Organisation entsprechender Aktivitäten. Auch innerhalb der Schule scheint der Ruf, als Schüler in Übersee gewesen zu sein, für die Amerikafahrer eher ein Vorteil gewesen zu sein. Es überwog der positive Eindruck,41 und nur gelegentlich kam in den überlieferten Reaktionen der Jugendlichen jenes eigentlich grassierende deutsche Pauschalurteil über die USA zum Ausdruck, daß die US-Amerikaner intellektuell minderbemittelt und systematisch ungebildet seien: Vgl. Kellerman, Relations, S. 241. So etwa die Äußerungen des von Karl-Heinz Füssl zitierten „Edo S.“ nach einem USAAufenthalt im Jahr 1949, die bis in die Formulierung hinein die Vorgaben der Leiter des Austauschprogramms aufgreifen, nach Einschätzung Füssls allerdings die „Tiefe der gewonnenen Erfahrungen“ widerspiegeln, Vgl. Füssl, Umerziehung, S. 176 f. 39 Vgl. Schmidt, Programs, S. 18. 40 Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 235. 41 Was bei der Bewertung durch die amerikanischen Offiziellen als mögliche „Thank you for the nice Trip“-Haltung mit berücksichtigt wurde. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 51. 37 38

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„Es war für mich anfangs schwierig, die Vorzüge des amerikanischen Schulsystems zu erkennen. Ich habe viele der sozialen Aktivitäten für unwichtig gehalten. Jetzt weiß ich jedoch, daß diese die Grundlage für das gemeinschaftliche Leben bilden, welches hier sehr viel ausgeprägter ist, und daß sie daher notwendiger als Fachwissen sind. Da das deutsche Gemeinschaftsleben meist in den Familien stattfindet und nicht so öffentlich ist wie hier, gibt es dort naturgemäß eine größere Konzentration auf den Lehrstoff.“42

Freundlicher konnte man die Defizite des amerikanischen Bildungssystems kaum ansprechen. Solche Defizite mußten denen weniger auffallen, die das deutsche Bildungssystem bereits durchlaufen hatten und in den USA nicht auf die gewöhnliche Schule kamen, sondern als gewürdigte Spitzenkräfte ihre Kontakte an den Universitäten hatten. Beeindruckend geriet die Namensliste der in die USA eingeladenen potentiellen Leader, die tatsächliche Leader wurden. Zu ihnen gehörte etwa der spätere Außenminister und Bundespräsident Walter Scheel, der 1951 als potentieller ‚political leader‘ in die USA gekommen war, aber auch die Kanzler Brandt und Schmidt, wobei in Schmidts Kabinett phasenweise sieben von sechzehn Ministern alte Exchange-Kollegen waren.43 Auch CDU-Politiker wie Gerhard Stoltenberg und Kurt Biedenkopf fielen in diese Reihe der Reisenden, Gewerkschafter der ersten Kategorie wie Heinz Vetter, Heinz Kluncker44 und Eugen Loderer, die CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger und Ludwig Erhard, sowie der gescheiterte Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß. Es waren, mit anderen Worten, fast alle Kanzler der früheren Bundesrepublik Deutschland in das Austauschprogramm involviert.45 Auch Walter Hallstein, damals Rektor der Universität Frankfurt, später langjähriger Staatssekretär im Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt, „studierte“ 1949 noch einmal Jura an der Georgetown Universität, nachdem er zuvor als Kriegsgefangener die

42 Aus dem Annual Program Report, German Teenagers in Michigan, 1952, hier zit. n. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 322 f. 43 Brandt gehörte zu dem Kreis derjenigen, die vor 1945 Kontakt zu amerikanischen Regierungsstellen und Geheimdiensten gehabt hatten. Nach 1945 übte er lange Jahre wichtige Funktionen im „Congreß for Cultural Freedom“ (CCF bzw. deutsch KKF) aus, einer weitgehend, aber verdeckt aus CIA-Mitteln finanzierten Organisation zur Beeinflussung kulturellen Entwicklung Deutschlands im westlichen Sinn. Ob Brandt über den geheimdienstlichen Hintergrund dieser Finanzierung wußte, ist nicht klar, aber gut möglich, wie etwa Michael Hochgeschwender in seiner Monographie über den CCF vermutet. Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 591. 44 Kluncker durchlief bereits die Schulungsprozesse in der Kriegsgefangenschaft. Er war 1944 in der Normandie desertiert und hatte sich in US-Kriegsgefangenschaft begeben, die ihn zum „Atlantiker“ werden ließ. 45 Der aus der Perspektive des Jahres 1978 schreibende Kellerman nennt noch fünf amtierende Ministerpräsidenten, den „kommenden Regierenden Bürgermeister von Berlin“, die Präsidenten des Senats und Bürgermeister von Bremen und Hamburg, sieben Staatssekretäre, vier parlamentarische Staatssekretäre, eine „große Zahl“ von Mitarbeitern des Bundeskanzleramts, des Bundespresseamts, des Außenministeriums, des Verteidigungsministeriums, des Wirtschafts- und Finanzministeriums, des Bildungsministeriums und des Landwirtschaftsministeriums, sowie den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Vgl. Kellerman, Relations, S. 241.

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Lehrgänge in Fort Getty absolviert hatte.46 Ernst Reuter, als Regierender Bürgermeister Berlins eine Schlüsselfigur bei der Gründung der Freien Universität ebendort, wurde vom State Department ein entsprechender Informationsaufenthalt in den USA spendiert, auf dem die Unterstützung der Berliner Universitätsgründung durch die Columbia University, die Rockefeller und die Ford Foundation zugesichert wurde. Ein Erfolg im amerikanischen Sinn war bei solchen Reisen dennoch nicht immer garantiert. Alois Hundhammer, der lebende Alptraum der amerikanischen Kulturpolitik in Bayern, hielt sich für ganze neun Tage in den USA auf. Man verstand sich gegenseitig nicht – oder nur allzu gut.47 Als wichtig für die Entwicklung von Staatsrecht und Politikwissenschaft in der Bundesrepublik erwies sich etwa der Auslandsaufenthalt von Horst Ehmke. Ehmke studierte zunächst während des Studienjahrs 1949 / 50 Politikwissenschaft an der Universität Princeton und übernahm in dieser Zeit die Interpretation, daß nur amerikanische Verfassungs- und Demokratietheorie eine Antwort auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik geben. Sowohl seine Dissertation (1952 / 53) wie seine Habilitationsschrift (1961) gingen auf Forschungsinhalte in den USA zurück und vertraten diese Theorie, aus der er insbesondere die notwendige Förderung des „Pluralismus“ ableitete.48 Relevant wurde dies deshalb, weil Ehmke als Teil der „Rudolf-SmendSchule“ zusammen mit Peter von Oertzen, Wilhelm Hennis oder Henning Zwirner zu jenen Staatsrechtlern und Politologen gehörte, die als Gruppe regen Kontakt sowohl mit jenen deutschen Emigranten Karl Loewenstein und Otto Kirchheimer hielten, die zwischenzeitlich in einer Doppelfunktion als Akademiker und amerikanische Regierungsbeauftragte gelangt waren, aber auch mit Rückkehrern wie Ernst Fraenkel. Dies hatte Folgen für die Vorstellungen Ehmkes und seiner Kollegen über die wünschenswerte staatsrechtliche Gestaltung der Bundesrepublik. In direkter Anlehnung an amerikanische Erfahrungen forderte Ehmke beispielsweise die Kontrolle des Obersten Verfassungsgerichts anhand von politischen Vorgaben, nach denen es sich zu richten habe. Das sollte explizit eine Wiederholung jener Niederlagen verhindern, die Franklin Delano Roosevelt als Präsident der USA beim Versuch der Durchsetzung der New Deal-Reformen erlitten hatte.49 Der Supreme Court der USA hatte damals die Verfassungswidrigkeit bestimmter Maßnahmen festgestellt und sie aufgehoben. Roosevelts Versuch, durch Ernennung neuer Richter eine willige Mehrheit zustande zu bringen, stellte einen klaren Bruch der US-Verfassung dar und konnte verhindert werden. Ehmke nun zog daraus die Schlußfolgerung, das künftige deutsche Verfassungsgericht sei an „fortschrittliche Grundsätze“ zu binden, die seine Rechtsprechung präjudizieren sollten und einen möglichen ähnlichen Konflikt zu Gunsten der politischen Macht vorentscheiden sollten.50 Daß es nun unter 46 47 48 49 50

Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 172. Vgl. Tent, Mission, S. 304, sowie Heinemann, Bildungspolitik, S. 83. Vgl. Günther, Gemeinwesen, S. 284 ff. Vgl. Junker, Roosevelt, S. 94. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 287.

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diesem Vorzeichen praktisch möglich war, durch politischen Druck die oberste Rechtsprechung zu beeinflussen, mochte als vorteilhaft erscheinen, so lange die Befürworter dieser Maßnahme davon ausgehen konnten, den Druck in gewünschte Richtungen ausüben zu können. Es öffnete aber auch die Tür zu einer möglichen Rechtsunsicherheit auf Seiten derjenigen, denen dies nicht möglich war. Der bundesdeutsche Demokratiebegriff erhielt damit an dieser Stelle ein Element Carl Schmittschem Dezisionismus. Der Respekt vor formalen Kriterien demokratischer Entscheidungsfindung trat vor dem politischen Willen in den Hintergrund, unter Demokratie die Akzeptanz bestimmter tagespolitischer Grundannahme zu verstehen. Ehmke konnte von seiner politischen Durchsetzungskraft ausgehen und gehörte zusammen mit seinen Kollegen zu jenen kämpferischen Juristen und Intellektuellen, die in den 1960er Jahren an entscheidenden Punkten durch öffentliche Aktionen auf die politische und rechtliche Entwicklung Einfluß nahmen. Dazu gehörten die Durchsetzung des Rücktritts des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauß im Rahmen der Spiegel-Affäre Ende 196251 und die Abschaffung der Verjährungsfrist für Mord nach verschiedenen, ab dem Jahr 1965 begonnenen Parlamentsdebatten, mit der eine andauernde Verfolgung und Skandalisierung wirklicher und vermeintlicher NS-Verbrechen für ein weiteres halbes Jahrhundert zur ständigen Begleiterscheinung des bundesrepublikanischen Alltags wurde. Von besonderer Bedeutung waren aus amerikanischer Sicht die Reisen von „Spezialprojekten“. Darunter war die Einflußnahme auf Sachentscheidungen zu verstehen, die in der Bundesrepublik gerade diskutiert wurden. Austauschgruppen wurden in diesem Rahmen unter der Regie von HICOG so zusammengestellt, daß sie nach einer USA-Reise und dem Studium von dortigen Vorbildern zu einer gemeinsamen Beschlußfassung in der Lage waren. Henry Kellermann nennt als Beispiel die Reise des Sicherheitsausschusses des Bundestags, der unter Leitung des Vizepräsidenten des Bundestags gerade das neue Wehrpflicht- und Soldatengesetz vorbereitete und in den USA die Handhabung der Zivilkontrolle über das Militär erlernen sollte.52 Bei solchen Gelegenheiten wurde gern der informelle Charakter der Reise und die Vertraulichkeit der Gespräche betont, aber gerade Kellermann ließ es sich nicht nehmen, die eigentlich vertraulichen Debatten aufzuzeichnen und weiterzureichen.53 Überhaupt illustriert der ganze Vorgang recht gut das Zusammenspiel von amerikanischen Regierungsstellen, dem Council of Foreign Relations und Stiftungen im Rahmen der üblichen Scheintransparenz, ging der Vorschlag zu dieser Reise doch auf die Initiative von Hochkommissar Conant zurück, der Shepard Stone und die Ford-Foundation damit beauftragt sehen wollte, dem Bundestagsausschuß und Ver51 Ehmke gehörte zu den Hauptorganisatoren der öffentlichen Proteste gegen die Verhaftung von Redaktionsmitgliedern und vertrat den Spiegel später vor dem Bundesverfassungsgericht. 52 Vgl. Kellermann, Reorientierungsprogramm, S. 98. 53 Vgl. Schmidt, Programs, 296.

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VII. Transatlantische Austauschwege

tretern des Amtes Blank eine völlig informelle Reise nach New York und dortige Gespräche mit zuvor handverlesenen „Privatleuten“ zu ermöglichen. Da es in der Bundesrepublik weder eine etablierte politische Elite noch eine gewachsene Demokratie gäbe, müßte die amerikanische Diplomatie dem Bundestag erklären, wie die künftige Armee zu kontrollieren sei, äußerte der ebenfalls mit den Vorbereitungen befasste Henry Kellermann.54 Dies geschah auf subtile Weise, unter stetem Verweis auf die „Weimarer Erfahrungen“, die Kellermann als damaliger deutscher Staatsbürger ja selbst vorweisen konnte. Schließlich wurden die deutschen Streitkräfte aus der politischen Entscheidungsfindung weitgehend verdrängt, was im schließlich eingetretenen Umfang schon beinah einen Sonderweg bedeutete. An dieser Stelle trat auch die transatlantisch geprägte Politikwissenschaft auf den Plan und nahm auf die Rolle des Militärs im westdeutschen Staat einen Einfluß, zumal sie ja auf transatlantisch geprägte Politiker traf. Will man den Ausführungen des späteren Bundeskanzlers Schmidt glauben, dann war es unter anderem, oder sogar in erster Linie Karl Dietrich Brachers Weimar-Buch zu verdanken, daß in der Bundesrepublik Deutschland eine bedeutende Verfassungsänderung zur Kontrolle des Militärs stattfand: „Ich habe meine Kollegen in der SPD, der CDU / CSU und F.D.P. auf Brachers Buch aufmerksam gemacht; es hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Abgeordneten der damaligen Regierungskoalition bereit waren, in weitreichender Weise die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehr zu definieren, das heißt zu begrenzen. Die Verfassungsergänzung von 1956 ist für mich das Paradebeispiel dafür, wie ein Wissenschaftler große Wirkungen herbeiführen kann.“55

Nun hatte diese Wirkungen ja eigentlich Helmut Schmidt selbst herbeigeführt, wenn auch unter Verwendung von Brachers historischer Analyse. Bemerkenswert ist der Inhalt der Verfassungsergänzung (§ 65), die den Oberbefehl über die Streitkräfte in Friedenszeiten auf den Verteidigungsminister verlagerte, weg vom eigentlich politisch bedeutendsten Staatsamt, dem Kanzler. Dies ist in den westlichen Demokratien durchaus nicht überall üblich, gerade in den USA, wo der Präsident auch den Oberbefehl über die Streitkräfte hat und wo der Wechsel von hochrangigen Militärkommandeuren in Ministerämter und in die Parteipolitik bis hin zu Präsidentschaftskandidaturen nicht ungewöhnlich ist. Brachers Weimar-Darstellung führte in diesem Fall also zu einer Schwächung des politischen Entscheidungszentrums in der Bundesrepublik, und damit, wenn man so will, zu einem Sonderweg. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil hier die möglichen willkürlichen Konsequenzen von politikwissenschaftlichen Objektivitätsansprüchen plastisch zum Ausdruck 54 Vgl. Schmidt, Programs, S. 286 – 288. Letztlich reisten Richard Jaeger (CDU), Fritz Erler (SPD), Ernst Paul (SPD), Fritz Eschmann (SPD), Hasso von Manteuffel (FDP), Fritz Berendsen (CDU), Georg Kliesing (CDU), Johann Peter Josten (CDU), Max Stingl (CSU) sowie für das Amt Blank Wolfgang Cartellieri, Hellmuth Ferber und Werner Kniefer. 55 Zit. n. Schmidt, Weggefährten, S. 130, hier zit. n. Quadbeck, Anfänge, S. 270.

3. Das Fulbright-Programm

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kommen. Aus der politikwissenschaftlichen Beschreibung einer spezifischen Situation entwickelte sich eine verfassungsrechtliche Absonderlichkeit. 3. Das Fulbright-Programm Am 18. Juli 1952 unterzeichneten Konrad Adenauer und John McCloy als amerikanischer Hoher Kommissar das deutsch-amerikanische Fulbright-Abkommen. Damit wurde die Bundesrepublik in eine Vernetzung mit aufgenommen, die auf das Jahr 1946 zurückging. Damals hatte Senator William Fulbright jenes Programm vorgestellt, das unter seinem Namen bekannt wurde und nach eigenem Anspruch auf damals neue Weise das „gegenseitige Verständnis“ zwischen den USA und anderen Staaten fördern sollte. Zu diesem Zweck wendete sich das Fulbright-Programm an aktuelle und künftige akademische Eliten und bot einen wechselseitigen Gastaufenthalt in den USA und den verschiedenen Partnerstaaten an. Zu diesen Partnerstaaten gehörte neben der Bundesrepublik auch Österreich. Schon seit den vierziger Jahren legte die amerikanische Besatzungspolitik Wert darauf, mittels Studienreisen die Wertschätzung österreichischer Lehrer für ausländische Bildungsstrukturen zu wecken. Die Erziehungsabteilung der amerikanischen Streitkräfte stellte Stipendien für solche Auslandsfahrten bereit und sorgte für die Multiplikation der Ergebnisse durch die Veröffentlichung von Reiseberichten der Stipendiaten in neugegründeten Fachzeitungen, hielt aber auch in Österreich selbst Seminare mit entsprechender Zielsetzung ab.56 Zwei Jahre vor dem Abkommen mit der Bundesrepublik wurde Österreich am 6. Juni 1950 durch die beiderseitige Unterzeichnung des Fulbright-Abkommens in dieses Austauschprogramm mit einbezogen. Im Studienjahr 1951 / 52 nahmen die ersten 139 Österreicher am Programm teil. Im Ergebnis trug das Programm, so der österreichische Bildungspolitiker Hermann Schnell im Rückblick, sehr wesentlich dazu bei, den „geistigen Anschluß (sic) Österreichs an die westliche Welt zu finden.“57 Die Schwerpunkte des Austauschs lagen im Fall Österreich im Bereich der Psychologie und der Sozialwissenschaften, Bereiche eben, die in besonderem Umfang bewußtseinsbildend wirken konnten. Heute gilt das Fulbright-Programm dementsprechend als unangefochtene Stütze des transatlantischen Austauschs und als nicht in Frage zu stellendes Erfolgsmodell der Nachkriegszeit, das allenfalls durch die große Anzahl ergänzender anderer Programme und die inzwischen eingetretene transatlantische Alltäglichkeit an Bedeutung verloren habe. Erstaunlicherweise hat das Programm dennoch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit unter Historikern gefunden. Eine Studie von Walter Johnson und Francis Colligan aus dem Jahr 1965 stellt offenbar die einzige ernsthafte Monographie zum Thema dar, obwohl es eine ganze Reihe von Aufsätzen und Teiluntersuchungen gibt.58 So weit das Programm zum Gegenstand von Untersuchun56 57 58

Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 40 f. Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 41. Johnson-Colligan, The Fulbright-Program – a history, Chicago 1965, 2. Aufl. 1968.

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VII. Transatlantische Austauschwege

gen wurde, hielten sie engen Kontakt zu Fulbright selbst und gerieten passagenweise in den Bereich des Hagiographischen, was sich etwa darin ausdrückte, daß Fulbright selbst jeweils ein Vorwort beisteuerte.59 Auch sind die Autoren dieser Studien und Aufsätze regelmäßig langjährige und überzeugte Mitarbeiter der amerikanischen Austauschprogramme, berichten also von innen, was zwar das Wissen erhöht, aber die kritische Distanz erkennbar gedämpft hat. So liegen denn auch die intellektuellen Ursprünge des Programms im Dunkeln. Fulbright selbst hatte in den 1920er Jahren eigene Erfahrungen als Rhodes-Stipendiat in Oxford gesammelt, die ihn intellektuell prägten und lebenslange persönliche Kontakte herstellten.60 Diese Erfahrung mag eine Vorbildfunktion ausgeübt haben, doch gab er später an, entsprechende Gedanken an ein akademisches Austauschprogramm in Zusammenhang mit den amerikanischen Atombombenabwürfen auf die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki entwickelt zu haben.61 Das Zeitalter der Massenvernichtungswaffen erforderte demnach Maßnahmen zum besseren Verständnis der jeweiligen Eliten verschiedener Länder, um ein internationales System von „Recht und Ordnung“ zu etablieren. Es reiche nicht aus, zu diesem Zweck ein internationales Vertragssystem zu entwickeln.62 Aus Anlaß des zehnjährigen Jubiläums des Fulbright-Acts publizierte das amerikanische Außenministerium eine Broschüre, die als Motiv ebenfalls die Reichweite von Bombenflugzeugen und die atomare Bedrohung angab und das Fulbright-Programm in eine Gesamtstrategie einordnete: „Das Erziehungs-Austausch-Programm wurde entwickelt, um diese Herausforderung auf der kulturellen Ebene anzugehen, ebenso wie der Marshall-Plan auf der ökonomischen Ebene sowie später der Nordatlantikpakt und die Südostasiatische Handelsorganisation auf der politischen und militärischen Ebene. … Alles in allem wurden beinahe 22.000 Personen

59 Vgl. Johnson-Colligan bzw. das Themenheft der American Academy of Political and Social Science mit dem Titel: The Fulbright Experience and Academic Exchanges, Vol. 491 / 1987, Vorwort von J. William Fulbright S. 10. 60 Im Rahmen dieses Englandaufenthalts bereiste er 1927 auch den europäischen Kontinent via Österreich bis nach Wilna (wo er wie sein Biograph Woods offenbar der Auskunft der polnischen Reisebegleitung glaubte, die Stadt sei von den ‚Bolschewisten‘ zurückerobert worden und nicht etwa den Litauern abgenommen). Fulbright war wie so viele andere westliche Beobachter völlig schockiert von den Lebensumständen, insbesondere denen der Juden: „They are afraid of Bolsheviks, but why any country should fight over Poland, I can not see. It is very poor, the people are on the whole poverty stricken, and the Jews are thick and dirty. I wish you could just for a moment see the squalid, filthy jewish villages in Poland. Truly our animals are better fed, cleaner and probably as intelligent.“ Fulbright an Roberta, 21. Juli 1927, hier zit. n. Woods, Fulbright, S. 34. Fulbrights gelegentlich unfreundliche Äußerungen über Juden und Afro-Amerikaner trugen offenbar mit dazu bei, daß er nach der Wahl John F. Kennedys zum Präsidenten trotz guter Aussichten schließlich nicht Außenminister wurde. Vgl. Halberstam, Elite, S. 31. 61 Vgl. Woods, Fulbright, S. 129. 62 Fulbright in einem Brief an George A. Horne vom 6. Februar 1946, hier zit. n. Woods, Fulbright, S. 129.

3. Das Fulbright-Programm

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mit 28 Ländern ausgetauscht, was dem amerikanischen Steuerzahler geringere Kosten verursachte als fünf Stunden Zweiter Weltkrieg.“63

Die Beziehung des Programms zum gerade vergangenen Zweiten Weltkrieg kam in der Auswahl der Austauschländer deutlich zum Ausdruck. Einbezogen wurden Staaten, in denen der US-amerikanische Einfluß als Folge des Krieges in neuer und intensiverer Weise zum Tragen kam und auf Dauer kommen sollte. Mit berücksichtigt wurden daher alle Kriegsparteien beider Seiten in Westeuropa und Skandinavien, dazu Südafrika, Australien, Neuseeland, Japan und die Philippinen, sowie die bald nach dem Krieg geschleiften Hochburgen des britischen Empire in Indien und dem Nahen Osten. Ausgeklammert wurden ganz Lateinamerika und Kanada, ganz Schwarzafrika, der übrige arabische Raum und notgedrungen auch die Sowjetunion samt ihrer Satellitenstaaten.64 Allerdings hatte Fulbright die Forderung nach einem Austauschprogramm bereits im Winter 1945 vier Tage nach Franklin Roosevelts Tod einem Radiopublikum präsentiert und damit Monate vor der Explosion der Atomwaffen und ihrem Einsatz gegen Menschen.65 Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen mochte den Gedanken an ein Austauschprogramm demnach beschleunigt haben und eignete sich jedenfalls für dessen Propagierung. Erzeugt hatten die Explosionen in Japan das Fulbright-Programm jedoch nicht. Auch verband sich mit dem von Fulbright hergestellten Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen offenbar keine amerikanische Selbstkritik an der eigenen Handlungsweise, einen bereits besiegten und zweifellos zur Kapitulation bereiten Kriegsgegner mit Hilfe von neuartigen Massenvernichtungswaffen dazu gezwungen zu haben, aus einer opferreichen Kapitulation eine bedingungslose Kapitulation werden zu lassen. Die Entscheidung zum Einsatz von Nuklearwaffen wurde aus der persönlichen Verantwortung herausgelöst und in eine scheinbar überpersönliche Zwangsläufigkeit versetzt, erzwungen durch die Verhältnisse. „One World“ hieß das Schlagwort, das in der amerikanischen Öffentlichkeit mit einer grundsätzlichen Änderung dieser Verhältnisse verbunden wurde. Der ehemalige und 1940 gegen Franklin Roosevelt unterlegene republikanische Präsidentschaftskandidat Wendell Willkie hatte es ihr in der Millionenauflage seines gleichnamigen Buchs 1943 zum Bewußtsein gebracht.66 Das Buch traf den Nerv der Ära und war beispielsweise erst das dritte SachZit. n. State Department, Plowshares, S. 1. Der „Ostblock“ lag offenbar auch außerhalb des Horizontes von Fulbright als Person. Kurz vor dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 machte er am 30. Juli 1961 Schlagzeilen mit der öffentlichen Äußerung der Ansicht, die „Ostdeutschen“ hätten jedes Recht, Westberlin als Schlupfloch für Flüchtlinge zu schließen, und er verstehe nicht, warum das nicht schon geschehen sei. Eine Korrektur zwei Tage später konnte den Schaden nicht wieder gut machen und trübte die deutsch-amerikanischen Beziehungen auch nach dem Mauerbau ein. Vgl. AA, Akten, 1962, S. 928 f., Gespräch Adenauers mit US-Botschafter Dowling am 14. Mai 1962. 65 Vgl. Johnson, Dissenter, S. 129. 66 Vgl. Wendell Willkie: One World, New York 1943. 63 64

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VII. Transatlantische Austauschwege

buch der damaligen Zeit, dessen Auflage die Zahl von einer Million übertraf.67 Willkie schrieb es aus einer informellen, aber politisch gut fundierten Position heraus. Er fungierte sehr schnell nach seiner Wahlniederlage als diplomatischer Beauftragter des siegreichen Roosevelt, der ihn beispielsweise mit der Empfehlung nach London zum dortigen Premier schickte, Willkie helfe „in jeder Weise, die Parteipolitik bei uns hier auszuschalten.“68 In der Tat dachte Willkie wenigstens ebenso internationalistisch wie Roosevelt selbst und sein aus seinen Reiseeindrücken in Europa, dem Nahen Osten, China und Rußland heraus geschriebenes und 1943 in Stockholm auch gleich auf deutsch erschienenes Buch (deutscher Titel: „Unteilbare Welt“) drückte aus, was Roosevelt dachte, aber in diesem Stadium des Krieges aus allgemeinen politischen Erwägungen nicht sagte.

Beeinflusst von solchen Ideen ergriff Fulbright im April 1943, dem Erscheinungsmonat von „One World“ die Initiative und brachte in den Kongress einen Antrag auf „Schaffung einer geeigneten internationalen Organisation“ ein, die einen dauernden Frieden garantieren sollte und an der die Vereinigten Staaten partizipieren sollten. Es ereignete sich zunächst wenig, außer daß Fulbright die Aufmerksamkeit von Sumner Welles erweckte, dem – noch – stellvertretenden US-Außenminister, der im Lauf des Jahres 1943 zurücktrat und sich in einer Reihe von Publikationen in einer ähnlichen Richtung wie Willkie äußerte.69 Ein Treffen Fulbrights mit Welles ergab eine Übereinstimmung der Ziele und Fulbright setzte mit der Rückendeckung der Regierung seine Aktivitäten in diese Richtung fort, ohne als Parlamentsneuling zunächst viel erreichen zu können.70 Immerhin machte er sich einen Namen als jemand, der aktiv und überzeugt auf eine dauernde Präsenz der USA in der Weltpolitik hinarbeitete und diese Präsenz institutionell sichern wollte, wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch mit klar begrenzten Mitteln und Zielen, wie er vor dem Kongreß erklärte: „Es ist nicht vorgesehen, daß wir, das amerikanische Volk, unseren Wohlstand anderen geben sollen, daß wir den Lebensstandard der Völker in der Welt heben sollen, ja nicht einmal, daß wir ihnen allen eine freie und demokratische Regierung geben sollen.“71

Diese Beruhigung eventueller amerikanischer Egoismen genügte, um die Verabschiedung der Resolution zu erreichen, stellte aber auch ein Element von Fulbrights politischen Überzeugungen dar. Die USA sollten demnach die politischen Verhältnisse der Welt im Großen gestalten, nicht regional diktieren. Diese Grundhaltung ließ Fulbright zwanzig Jahre später frühzeitig zum Kritiker des stetig eskalierenden Vietnamkriegs werden, der ihm ein typischer Fall von Überspannung der amerikanischen politischen Möglichkeiten zu sein schien. Weiterhin noch anhängigen polemischen Widerstand gegen seine Pläne aus dem Jahre 1943 konnte FulVgl. Woods, Fulbright, S. 80. Vgl. Churchill, Weltkrieg, III / 1, S. 44. 69 Zu nennen vor allem von Sumner Welles: „World of four freedoms“ (1943) und „The Time for decision“ (1944), deutscher Titel: „Jetzt oder nie!“ (Stockholm 1944). 70 Vgl. Woods, Fulbright, S. 80 f. 71 Congressional Record, House, Sept. 20, 1943, 7659, hier zit. n. Woods, Fulbright, S. 83. 67 68

3. Das Fulbright-Programm

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bright auch mit Unterstützung Wendell Willkies zurückweisen. Allerdings blieb dieses egoistische Moment wie gesagt ein steter Begleiter auch der späteren Debatten um das Fulbright Programm. Es sollte die Nachkriegsweltpolitik den amerikanischen Steuerzahler möglichst nichts kosten und wenn doch, dann unter strenger Beachtung der Renditen. Eine andere Haltung war in der politischen Sphäre der amerikanischen Hauptstadt ohnehin gar nicht kommunikationsfähig, aber man wird darin auch einen Ausdruck amerikanischen Selbstverständnisses sehen müssen, das den Inhalt der Kultur- und Austauschprogramme der Nachkriegszeit massiv beeinflußt hat. „Gegenseitiges Verstehen“ bedeutete keine Kritik an den amerikanischen Maßstäben der Politik, die eventuell einen eigenen Beitrag an den Katastrophen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geliefert haben mochten und eine amerikanische Alleinverantwortung für den Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen offenkundig nicht verhindert hatten. Gegenseitiges Verstehen bedeutete im Rahmen des Fulbright-Programms letztlich, sich wechselseitig der Gültigkeit der amerikanischen Maßstäbe zu versichern. Im Ergebnis stellte das Programm als Maßnahme zur „Friedenssicherung“ darauf ab, die amerikanische Hegemonie als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs als positive Erscheinung darzustellen und im Rahmen dieser Erscheinung den inneren Verhältnissen der Vereinigten Staaten „eine Vorbildfunktion als klassenlose Gesellschaft“ zuzuweisen.72 Letzteres stellte zwar den Versuch zur Schaffung einer Illusion dar, erzeugte jedoch den langlebigen Mythos von der Durchlässigkeit der amerikanischen Gesellschaft erfolgreich mit. In der Tat unternahmen die Vereinigten Staaten auf allen Politikfeldern große und erfolgreiche Anstrengungen, um das Gesamtziel einer positiv empfundenen Pax Americana zu erreichen. Unterstützt wurde dieser Imagewechsel von zahlreichen guten Gründen für die Bevölkerung Europas, das Ende des europäischen Imperialismus und den Abschluß der Zeit der kämpfenden Staaten in Europa nach zwei Weltkriegen als gute Sache zu empfinden. Eine umfassende Geschichte des Fulbright-Programms liegt bisher nicht vor und kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Doch darf im Rahmen einer Untersuchung über „transatlantische Wechselwirkungen“ das Fulbright-Programm nicht fehlen. Das Programm zielte auf eine Beeinflussung der kommenden Eliten verschiedener Länder.73 Fulbright-Biograph Woods spricht von „cultural warfare“,74 und das Programm erreichte dies in gewissem Rahmen. Die Broschüre des State Department hob dies 1956 hervor. Sorgfältige Evaluationen hätten demnach gezeigt, daß die Gasthörer nicht nur persönlich mit einem besseren Verständnis der Vereinigten Staaten nach Hause zurückkehrten, sondern über informelle DiskussioZit. n. Füssl, Kulturaustausch, S. 238. Die Asymmetrie dieser Zielsetzung wird aus den Zahlenverhältnissen deutlich. Zwischen 1948 und 1958 wurden 37.400 Besucher aus Fulbright-Mitteln in die USA eingeladen. während 1.700 Amerikaner ins Ausland gingen. Vgl. Schmidt, Programs, S. 162. 74 Vgl. Woods, Fulbright, S. 195. 72 73

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VII. Transatlantische Austauschwege

nen, Vorlesungen und andere Maßnahmen auch eine gewisse Gleichförmigkeit der Vorstellungswelten aller Gasthörer gewährleistet worden sei. So entstanden Netzwerke, die den Zurückgekehrten in ihren Heimatländern eine bedeutende Rolle sicherten. Das State Department wählte Indien als Beispiel und attestierte der Hälfte aller indischen Rückkehrer, aufgrund ihres Aufenthalts in den USA eine Karriere bis auf Posten in der Führungsspitze der indischen Politik gemacht zu haben.75 Gleichzeitig wurden die Fulbright-Mittel auch durchaus in Verschränkung mit anderen Stipendien-Programmen eingesetzt und bildeten für etablierte Wissenschaftler ein Mittel zur Standortverlagerung, das informell gehandhabt werden konnte. Walther Hofer etwa, dessen „Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“ Mitte der 1950er Jahre die westintegrationskompatible Deutung des Kriegsausbruchs von 1939 geliefert hatte, mußte sich um das weitere Fortkommen keine Sorgen machen: „Auf dem internationalen Kongreß für politische Wissenschaft hat mich Kenneth Thompson von der Rockefeller Foundation gefragt, ob ich nicht für ein Jahr nach den Staaten kommen wolle. Ich sagte natürlich zu, … Karl Anthon hat sich erboten, als ich ihn vor einigen Tagen hier in Berlin sprach, die Kosten für meinen Ersatzprofessor hier über Fulbright zu nehmen. Dieses großzügige Angebot hat die Hochschule natürlich sehr gern angenommen.“76

Da eine erkennbare Regierungsnähe des Austauschprogramms einen nicht erwünschten Imageschaden mit sich bringen konnte, legten die Organisatoren des Programms in Deutschland Wert auf die Feststellung seiner Regierungsferne. Die Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Fulbright-Abkommens Jahr 1952 und die ersten Reisen von deutschen Teilnehmern hätten die Einrichtung einer „unabhängigen institutionellen Identität“ und eine Trennung von HICOG-Programmen sowie von „jeder Art von reeducation oder reorientation“ mit sich gebracht, auf diesen Standpunkt stellte sich der Leiter der deutschen Aktivitäten in diesem Bereich, Ulrich Littmann fünfunddreißig Jahre später.77 Die Fulbright-Kommission sei die erste Institution gewesen, in der deutsche und amerikanische Mitglieder gleiche Rechte eingeräumt bekamen, meinte er im weiteren und reklamierte auch in der Überwachungs- und Planungstätigkeit des Board of Foreign Scholarship gerade ein Anzeichen für die Regierungsferne, da weder das U.S. Außenministerium noch der in Bonn ansässige United States Information Service diese Tätigkeit ausgeübt hät75 Vgl. State Department, Plowshares, S. 9. Das Beispiel Indien inspirierte Caspar Schrenck-Notzing dazu, nach vergleichbaren Vorgängen in Deutschland zu suchen: „Die Entwicklungen der amerikanischen Innenpolitik spielen für das westliche Deutschland heute eine ähnlich entscheidende Rolle wie vor 60 Jahren die der englischen Innenpolitik in Indien. … Allerdings hat sich seither die Herrschaftstechnik erheblich verfeinert und ist von der Zensur der Antworten zur Suggestion der Fragen fortgeschritten.“ Zit. n. Schrenck-Notzing, Besatzung, S. 12, vgl. auch Schrenck-Notzing, Indien, S. 11 ff. 76 BA-KO N 1274 / 30, Schreiben Hofer an Fraenkel vom 11. November 1958. Hofer bittet Fraenkel gleichzeitig um gute Referenzen, ebenso wie er Jaques Freymond vom Institut in Genf um Referenzen gebeten habe. Hofers Vorschläge als Ersatzmann in Berlin waren: „unser guter Rosen“ (Cansas City), Harald Deutsch, Gerhard Masur und Otto Kirchheimer. 77 Vgl. Littmann, View, S. 78.

3. Das Fulbright-Programm

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ten.78 Wie wir sehen werden, agierte allerdings auch das BFS in enger Zusammenarbeit mit den amerikanischen Polizeibehörden und da der Fulbright Act auch nach 1961 der amerikanischen Seite ein Vetorecht gegen deutsche Teilnehmer einräumte,79 der deutschen Seite aber kein Vetorecht gegen amerikanische Teilnehmer, muß man sich schon anstrengen, um sich im Besitz gleicher Rechte zu wähnen.80 Die Asymmetrie der Verhältnisse räumt auch Littmann an anderer Stelle ein: „Die Mitglieder im Vorstand der Kommission repräsentieren auf der einen Seite das amerikanische Konzept von ‚public diplomacy‘ und auf der anderen Seite das deutsche Konzept von Bildungspolitik und internationaler Politik. Innenpolitische Faktoren im Rahmen der Bildungspolitik spielten für die deutschen Mitglieder eine wichtige Rolle. Sie müssen den gesamten Komplex von deutscher Bildungspolitik und Austauschprogrammen im Blick behalten, von denen Fulbright ein Teil ist. Die Amerikaner sind nur mit dem Fulbright-Program befaßt.“81

Naturgemäß erregte eine solch hochpolitische Operation auch das stete Interesse der Geheimdienste, zum Schutz amerikanischer Interessen im In- und Ausland. Hans-Ulrich Wehler sprach in der Erinnerung davon, daß im Rahmen seines Fulbright-Aufenthalts ‚Experiment in International Living‘ bei der Gastunterkunft natürlich darauf geachtet worden sei, den „jungen Nazis auf den Zahn zu fühlen“, also auch ihm.82 Dennoch nimmt er für sich in Anspruch, sich der Kontrolle entzogen und sich ein halbes Jahr illegal in den Vereinigten Staaten aufgehalten zu haben, was nach seinen Angaben bis auf die schließliche Aufforderung zur Ausreise folgenlos geblieben sei. Trotz solcher Zwischenfälle kann sicher davon gesprochen werden, daß eine ganze „Alterskohorte jugendlicher Intellektueller“, die später als Historiker das deutsche Geschichtsbild prägen sollten, den Aufenthalt in den USA genossen haben.83 Im Fall Wehlers dauerte der Studienaufenthalt ein ganzes Jahr, in dem er „nur amerikanische Geschichte“ studierte, bei Professoren, „die alle im Vgl. Littmann, View, S. 79. Von dem das State Department auch in einigen Fällen Gebrauch machte. Vgl. Schmidt, Programs, S. 155. 80 Auch das 1940 ins Leben gerufene International Visitor Leadership Program (IVLP) der amerikanischen Regierung folgt dem Grundsatz, daß ausschließlich die Botschaften der Vereinigten Staaten in der ganzen Welt eine Auswahl treffen, wer als aktueller oder künftiger ausländischer „Leader“ in Verwaltung, Politik, Medien, Bildung, Kunst oder Wirtschaft im Rahmen des Programms die USA besucht. Seit 1940 waren dies nach eigenen Angaben mehr als zweihundertneunzig Staats- und Regierungschefs und mehrere tausend Personen im Ministerrang. Vgl. http: // exchanges.state.gov / ivlp / ivlp.html zuletzt eingesehen am 31. 1. 2011. 81 Zit. n. Littmann, View, S. 82. 82 Vgl. Hohls, Fragen, S. 243. Interview Wehler. Zur allgemeinen Überwachung mutmaßlich deutscher Aktivitäten war 1938 der Foreign Agents Registration Act verabschiedet worden, der alle „nichtdiplomatischen Vertreter fremder Regierungen“ – wie auch immer man das definierte – zur Registrierung beim Justizministerium zwang, unter Angabe ihrer Einnahmen und Ausgaben, sowie ihrer Aktivitäten. Das Gesetz blieb nach 1945 in Kraft und wurde in den 50er Jahren vorwiegend im Kalten Krieg eingesetzt. Vgl. Woods, Fulbright, S. 305. 83 Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 76. 78 79

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VII. Transatlantische Austauschwege

Krieg als Soldaten“ waren, sich aber „nie etwas anmerken“ ließen, so daß man angesichts der zahllosen belegten Biographien solcher Akademiker wohl davon ausgehen kann, daß Wehler es überwiegend mit Angehörigen der politisch-psychologischen Kriegsführung der Vereinigten Staaten zu tun hatte. Zurück in Deutschland stellte er bei sich als erstes einen Widerwillen gegen Diplomatiegeschichte der Art: „Der König dachte … der Botschafter sagte“ fest.84 Was im Rahmen von Außenpolitik genau gesagt wurde, interessierte die Geschichtswissenschaft in Zukunft in der Tat immer weniger, mit Ausnahme von jenem Dutzend Zitaten des damaligen deutschen Staats- und Regierungschefs, aus denen gelegentlich die außenpolitische deutsche Zeitgeschichte zwischen 1933 und 1945 zu bestehen scheint. Wehlers Beispiel steht an der Spitze eines Trends und es ist insofern kein Zufall, wenn gerade ihm auch aus den USA große Ehren zuteil geworden sind. So ernannte ihn die American Historical Association zu ihrem auswärtigen Ehrenmitglied, mit der Begründung: „Kein lebender Historiker in der Bundesrepublik hat in der Nachkriegszeit mehr getan für die Neuorientierung und Belebung der modernen deutschen Geschichtswissenschaft.“85

Zu dieser Neuorientierung der „modernen“ Geschichtswissenschaft gehörte auch im Fall Wehler die Marginalisierung existentieller National- und Menschenrechtsfragen mit Hilfe einer amerikanischen Börsenfloskel: „Ich erinnere mich noch, als ich einen Aufruf von Golo Mann für die Anerkennung der Oder-Neisse-Linie unterzeichnete. Damit ging ich zu Schieder und sagte ihm, es gehe nicht an, daß nur die Assistenten unterzeichneten. Der zweite totale Krieg sei verloren, da sei nichts mehr zu verhandeln, oder wie die Amerikaner sagten: ‚Cut your losses‘.“86

Alle Kandidaten, die in die USA reisten, wurden einer Überprüfung durch die „State Department security clearance“ unterzogen, ebenso einer weiteren Kontrolle durch das FBI und dessen Mitgliedern im „Board of Foreign Scholarships“.87 Dennoch versuchte Fulbright mit dem Instinkt des Schöpfers dieser Dinge darauf zu achten, daß direkte Manipulationen über den allgemeinen Ansatz hinaus unterblieben. 1966 mußte er allerdings zur Kenntnis nehmen, daß die CIA das Programm unterwandert hatte und es zur Informationsgewinnung im Ausland einsetzte. Das gleiche galt für andere Programme und Institutionen wie die National Student Association, die American Newspaper Guild und die Retail Clerks International Associa-

Vgl. Hohls, Fragen, S. 244. Pressemitteilung der Universität Bielefeld vom 19. Januar 2000. 86 Wehler im Interview am 4. Februar 1999, im Rahmen des Projekts: Neubeginn und Entwicklung der Deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950 / 60er Jahren. 87 Vgl. die Befragung Fulbrights durch Senator McCarthy, zit. in: Woods, Fulbright, S. 182. Fulbright erklärte an dieser Stelle, die Mitglieder im Programm würden „checked by the FBI – that is, the members of the Board of Foreign Scholarships“. Der 1965 ernannte, langjährige Staff Director des Board of Foreign Scholarships, Ralph H. Vogel, schrieb 1987 den Beitrag für die AAPSS über das „Making of the Fulbright Program“. 84 85

3. Das Fulbright-Programm

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tion. Fulbright machte das öffentlich, konnte es aber offenbar nur eingrenzen, nicht stoppen.88 Das Board of Foreign Scholarships war ursprünglich offenbar nicht Fulbrights Idee. Es war dem State Department zur Beratung zugeteilt89 und diente laut Auskunft von Ralph Vogel dazu, „Studenten und Bildungsinstitutionen auszuwählen, die für das Programm qualifiziert waren und das Austauschprogramm zu überwachen.“90 Im Rahmen einer Beurteilung der vom United States Information Agency’s Bureau of Educational and Cultural Affairs betreuten Austauschprogramme zur Vorbereitung eines neues Gesetzes in dieser Sache, stellte das amerikanische Senate Foreign Relations Committee 1983 fest, das BFS sei als eine unparteiische Organisation essentiell wichtig für die Verwaltung des akademischen Reiseprogramms.91 Seine Mitglieder wurden vom amerikanischen Präsidenten auf begrenzte Zeit ernannt.92 Auch das Fulbright-Programm erhielt zur Zeitenwende 1960 eine Neuerung. Der Fulbright-Hays Act von 1961 schuf die Möglichkeit binationaler Fulbright-Kommissionen, was nichts daran änderte, daß die USA das letzte Wort über die Auswahl hatten. 1962 unterzeichnete auf dieser neuen Basis als erstes Land die Bundesrepublik ein erneuertes deutsch-amerikanisches Fulbright-Abkommen, was in der Praxis zur Folge hatte, daß sich die BRD in den Jahren bis 1967 zur Zahlung von achtzig Prozent der Gesamtkosten des Programms verpflichtete. Das wurde eigentlich als Kompensation für die ursprünglich amerikanische Vorfinanzierung begründet, blieb jedoch nach 1967 gängige Praxis.93 Tatsächlich war Japan das einzige Land, das eine fünfzig zu fünfzig Teilung der Kosten durchsetzen konnte.94 Die FulbrightKommission trat nach dem Abkommen von 1962 an die Stelle der bisherigen „United States Educational Commission in the Federal Republic of Germany“. Sie hatte „zwischenstaatlichen Charakter“ und unterlag amerikanischem Recht, mit Ausnahme der US-Bestimmungen über die Verwendung von Geldern und den Erwerb 88 Vgl. Washington Post, 20. Februar 1967: „Fulbright Urges Special Probe of CIA’s Funding Operations“, bzw. Woods, Fulbright, S. 431 f. 89 Gleiches galt für die United States Advisory Commission on Educational Exchange, die den Austausch überwachte, so weit er auf dem Smith-Mundt-Gesetz beruhte. Vgl. INFA, Austausch, S. 89. 90 Vgl. Vogel, Making, S. 15. 91 Vgl. Vogel, Making, S. 16, Auslassung im Original. Vogel zitiert nach BFS, Century, S. 26. 92 Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 238. 93 So jedenfalls Vogel im Jahr 1987, vgl. Vogel, Making, 19. Ulrich Littmann, der langjährige Leiter der deutschen Aktivitäten im Rahmen des Fulbright-Programms, spricht in diesem Zusammenhang lediglich von einem „neuen Konzept der Kostenteilung“, ohne Zahlenverhältnisse zu nennen, beklagt aber, daß die deutsche Seite vierzehn Monate gebraucht habe, um das Gesetz durch die Institutionen zu bringen. Vgl. Littmann, View, S. 76 bzw. S. 81, sowie Bundesgesetzblatt, 1964, Nr. 2, S. 27 – 32. 94 Vgl. Matano Yang, Sharing, S. 86.

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VII. Transatlantische Austauschwege

von Immobilien. Es unterlag weiterhin der Kontrolle des Board of Foreign Scholarships, welche Personen aus den USA oder der Bundesrepublik in das Programm aufgenommen werden sollten. Eine Kontrolle der Personalentscheidungen durch eine Institution der Bundesrepublik Deutschland war nicht vorgesehen.95

4. Die Atlantik-Brücke Als privater Verein einer Gruppe von Hamburger Geschäftsleuten und Journalisten entstand 1952 die Atlantik-Brücke. Nach dem Willen der Gründer sollte sie zur Entwicklung einer dauerhaften Freundschaft und zur Einbindung der Bundesrepublik in die Kultur- und Wertegemeinschaft der westlichen Welt beitragen. Die Gründung fiel zeitlich eng mit der Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Fulbright-Abkommens zusammen, dessen Zielsetzung durch Organisationen wie der Atlantik-Brücke weiterführend ergänzt wurde: „Besonders geeignete deutsche Amerika-Reisende sollen … mit Hilfe des American Council on Germany in den USA mit Kreisen in Kontakt gebracht werden, die die amerikanische Wirtschaftsund Außenpolitik mitgestalten“, so wurde die Absicht formuliert.96 Deshalb darf die Atlantik-Brücke im Rahmen dieser Studie nicht vergessen werden, zumal sich der Verein immer wieder an entscheidenden Punkten der bundesdeutschen Geschichts- und Bildungspolitik zu Wort meldete. Mit Arnold Bergstraesser übte im Krisenjahr 1960 auch ein Professor für Politikwissenschaft den Vorsitz aus.97 Der grundsätzliche Elitenkontakt und die Bildung von Netzwerken im Rahmen von Amerikaaufenthalten wurde hier auf eine Weise fortgeführt, die tendenziell auf die Herbeiführung und Umsetzung konkreter politischer Entscheidungen abzielte, wozu auch Entscheidungen in der akademischen Welt und der Bildungspolitik gehörten. Zu den wichtigsten Gründungsmitgliedern der AtlantikBrücke gehörten Eric M. Warburg und Erik Blumenfeld. Wie so viele andere hatte der Hamburger Bankier Warburg Deutschland im Jahr 1938 verlassen, als Folge der antijüdischen Gesetzgebung. Er trat 1942 in die amerikanischen Streitkräfte ein und kehrte 1945 als Nachrichtenoffizier der amerikanischen Armee im Rang eines Hauptmanns nach Deutschland zurück, was seinen wirklichen Rang, wie in vielen 95 Vgl. Bundesgesetzblatt, Jg. 1964, Teil II, 23. Januar 1964, Artikel 4 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Durchführung von Austauschvorhaben zum Zwecke der Ausund Weiterbildung vom 20. November 1962. 96 Zit. n. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 31. 97 Vgl. Stahl, Education, S. 355, dort eine Liste der Mitglieder. Bergstraesser amtierte als Chairman, Gotthard Frhr. von Falkenhausen als Vice-Chairman. Der überwiegende Teil der damals fünfundvierzig Mitglieder kam aus der Banken- und Wirtschaftswelt, darunter Karl Schiller und Otto Wolf v. Amerongen. Als Journalisten, Wissenschaftler und Autoren waren noch Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Friedlaender, Max Horkheimer. Prof. Helmut Kuhn, Curt E. Schwab und Carl Friedrich von Weizsäcker vertreten, sowie Prof. Constantin von Dietze, der Präsident der Generalsysnode der evangelischen Kirche.

4. Die Atlantik-Brücke

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Fällen mit ähnlicher Biographie, nur eingeschränkt wiedergibt. Das findet in zahlreichen Episoden seinen Niederschlag. So wird Warburg in der Literatur und auch von den Offiziellen der Hansestadt Lübeck ein bemerkenswerter Status und unter anderem ein wesentlicher Einfluß auf den Verzicht einer weiteren Bombardierung Lübecks durch das strategische Bomberkommando der Alliierten zugeschrieben, das im allgemeinen wenig auf Einwände einfacher Hauptmänner fremder Dienststellen gab.98 Warburg durfte auch an den ersten Verhören Hermann Görings im Mai 1945 teilnehmen und versuchte „through channels“, aber vergeblich, den amerikanischen Oberbefehlshaber Eisenhower dazu zu bewegen, seine Streitkräfte nicht wie mit den Sowjets vereinbart aus den 1945 eroberten Regionen Thüringen und Sachsen zurückzuziehen.99 Warburg setzte sich unter anderem mit Hilfe der Atlantik-Brücke für eine Umgestaltung der westdeutschen Gesellschaft ein, übernahm aber auch eine führende Rolle beim zeitgleich gegründeten American Council on Germany, der als Parallelunternehmen zur Atlantik-Brücke in den USA agierte. Auch wenn nicht immer alles gelingen konnte, hinterließ er eine beachtliche Wirkung. Eric Blumenfeld, der zweite Hauptinitiator der Atlantik-Brücke, kam ebenfalls aus der mondänen und nach Übersee ausgerichteten Hamburger Wirtschaftselite und hatte als Folge dieses Umstands unter anderem 1939 Gelegenheit, in Berlin mit den älteren Kennedy-Brüdern um die Häuser zu ziehen, als deren Vater, der damalige US-Botschafter in London, zwischenzeitlich dort aktiv war. Blumenfeld war zuvor nicht emigriert, sondern kehrte im Gegenteil 1935 nach einem Englandaufenthalt eigens zum Studium nach Deutschland zurück. Er wurde nach zahlreichen anderen Schikanen durch die NS-Rassegesetzgebung wegen seines jüdischen Vaters als „Mischling 1. Grades“ 1941 aus der Wehrmacht entlassen, im Dezember 1942 nach mehreren Schwedenreisen wegen Kontakten zu einem dort agierenden USAgenten namens Erik Eriksson verhaftet und Anfang 1943 im Konzentrationslager Auschwitz als politischer Häftling reichsdeutscher Herkunft registriert.100 Blumenfeld hielt sich nach 1945 mit der Erwähnung dieser Verfolgungs-, aber auch politischen Widerstandsgeschichte zurück.101 Seit 1946 wurde er in der Hamburger CDU 98 Nach der Darstellung Ron Chernows ventilierte Warburg über C. J. Burckhardt die Nachricht an das Bomberkommando, daß Post und Päckchen für englische Kriegsgefangene durch Lübeck geschickt würden. Eine direkte Vorsprache Warburgs bei Bomberchef Arthur Harris hatte zunächst nicht zum Ziel geführt. Vgl. Chernow, Warburgs, S. 524. 99 Vgl. Chernow, Warburgs, S. 528 ff. bzw. S. 535. Warburg stellte sich Göring als „Mister Vikstrom“ vor. 100 Vgl. Bajohr, Blumenfeld, S. 37 f. Im Oktober 1943 gelang es Blumenfelds Mutter Ebba, die über den von ihr bestochenen Masseur Felix Kersten Kontakt zu Heinrich Himmler aufgenommen hatte, Erik Blumenfelds Verlegung ins Konzentrationslager Buchenwald zu erreichen. Am 1. August 1944 wurde er dort entlassen, nachdem er Himmlers Bedingung, die Zwangssterilisation erfüllt hatte. Vgl. ebd. Bajohr, Blumenfeld, S. 50 f. 101 Was zu Mißdeutungen auch in der Geschichte der Atlantik-Brücke führte. So schrieb Ludger Kühnhardt noch 2002, Blumenfeld sei „zwischen 1942 und 1945 als ‚Mischling‘ in Deutschland interniert“ worden. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 20.

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VII. Transatlantische Austauschwege

aktiv, übernahm eine Aufgabe im dortigen Entnazifizierungsverfahren, brachte es bis zum Hamburger CDU-Landesvorsitzenden und zum Bundestagsabgeordneten, nahm aber auch auf die Gestaltung der Hamburger Presselandschaft regen Einfluß, die für das innenpolitische Bild der Bundesrepublik so prägend werden sollte.102 Blumenfeld gehörte 1948 der von Konrad Adenauer angeführten deutschen Europadelegation in Den Haag an.103 Winston Churchills „warme Worte des Willkommens“ bei der Ankunft in Den Haag, seien „für uns Deutsche ein Augenblick der Freude und Dankbarkeit“ gewesen, berichtete Blumenfeld in der ZEIT vom 20. Mai 1948. Tatsächlich hatte sich Churchill von den gleichen Personen, die ihm seinen Regierungsantritt und seine Kriegspolitik wesentlich mit ermöglicht hatten, nun eine Rolle als friedensstiftender Europapolitiker antragen lassen.104 Es gehörte damit zu den Merkwürdigkeiten der Erlebniswelt bundesdeutscher Eliten und Zeitungsleser nach 1945, daß mit Churchill nun gerade eine jener Personen stetig in der Presse für ihre Politik gelobt wurde, die für eine erfolgreiche Zerstörungspolitik gegenüber dem deutschen Staatswesen und Städten wie Hamburg, in denen unter anderem die ZEIT erschien, mit verantwortlich gewesen waren. Dem Hanseaten Erik Blumenfeld, der als rassisch Verfolgter wie als aktiv politischer Gegner des Nationalsozialismus den Mai 1945 zweifellos als Befreiung erlebt hatte, mochte sich dies etwas anders darstellen. Andererseits hatte er vor diesem Hintergrund eigentlich auch Anlaß, Willkommensworte als eine Normalität zu erachten. Viel mehr als der Aachener Karlspreis kam für Churchill bei seinem paneuropäischen Feldzug letztlich nicht heraus, wenn auch seine plötzliche Begeisterung für eine europäische Einigung viel Aufsehen erregte. Am 19. September 1946 forderte er in Zürich in einer programmatischen Rede die Schaffung „einer Art Vereinigter Staaten von Europa“.105 Das Publikum reagierte begeistert. Damit die Sache in 102 Frank Bajohr nennt als Beispiel Blumenfelds Einsatz für den Verkauf der Tageszeitung DIE WELT von den Alliierten an Axel Springer im Jahr 1953. Springer habe, so Blumenfeld gegenüber Kanzler Adenauer, „uns … große politische Dienste geleistet“, während Konkurrent und Mitbewerberin Broschek, „politisch für uns gar keine Garantie“ sei. Vgl. Bajohr, Blumenfeld, S. 90. In der Tat hatte Broscheks Vater Kurt nicht nur 1936 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ die weitere verlegerische Tätigkeit einstellen müssen, sondern zählte auch zu denen, die trotz anti-nationalsozialistischer Vergangenheit nach 1945 in Konflikt mit der Zensur der britischen Besatzungsmacht gerieten. Vgl. DER SPIEGEL 46 / 1954, „Der fehlende Funke“. 103 Vgl. Bajohr, Blumenfeld, S. 96. 104 Es handelte sich um den Focus-Kreis, dessen Wirkungsgeschichte der Autor in „Churchill, Hitler und der Antisemitismus“ beschrieben hat. Eugen Spier, einer der Sponsoren des Kreises nahm zu diesem Zweck Kontakt mit A. H. Richards auf, der bereits als Sekretär die Arbeit des Focus koordiniert hatte. Man präparierte gemeinsam eine Reihe von Dokumenten, um bereit zu sein, wenn die Zeit gekommen sein würde. Richards arrangierte dann ein Treffen Spiers mit Churchill und dessen Schwiegersohn Duncan Sandys, bei dem man sich im wesentlichen einig wurde. Churchill stimmte Spiers Plänen zu und bat ihn, das weitere in Zusammenarbeit mit Duncan Sandys zu erledigen. Vgl. Scheil, Krise, passim, sowie Spier, Focus, S. 151. 105 Vgl. Alter, Churchill, S. 234.

4. Die Atlantik-Brücke

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Gang kam, wurde erneut ein Verein gegründet, der sich ‚United Europe Committee‘ nannte und von Churchills Schwiegersohn Duncan Sandys geleitet wurde. Mit Robert Vansittart stellte sich ein weiterer Mitkämpfer Churchills aus Vorkriegs- und Kriegszeiten öffentlich hinter diese Ideen.106 Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Committee, aber auch Kontakte zu Violet Bonham-Carter, Leopold Amery und der Duchess of Atholl wurden wieder aktiviert, so daß die frühe Europabewegung in starker Kontinuität zu den anti-nationalsozialistischen Aktivitäten vor 1939 stand.107 Duncan Sandys organisierte schließlich jenen „Congress of Europe“, der vom 7. Mai bis 10. Mai 1948 in Den Haag siebenhundertfünfzig Delegierte versammelte, darunter wie gesehen Churchill, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi, Paul Reynaud, Robert Schumann und der frühere französische Regierungschef Leon Blum (auch ein Mann, zu dem seinerzeit der Focus bereits Kontakt gehabt hatte), Namen mit denen die Europapolitik künftig verbunden sein sollte. Zu den formalen transatlantischen Bindegliedern gehörte es in diesem Fall auch, daß organisatorische und finanzielle Angelegenheiten nach manchen Berichten überwiegend von USAmerikanischen Diensten wie der CIA abgewickelt wurden.108 Als Generalsekretär des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung begann auch Dr. Walter Stahl seine transatlantische Karriere, der langjährige Geschäftsführer der Transatlantik- bzw. Atlantik-Brücke. Als Jurist des Jahrgangs 1914 geriet er wie so viele der späteren führenden bundesdeutschen Funktionäre in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde Generalsekretär der Europäischen Bewegung und dann von 1952 – 83 Geschäftsführer der Transatlantik-Brücke.109 Ebenfalls zum Gründerkreis der Atlantik-Brücke gehörten Ernst Friedländer, Journalist, namhafter Publizist der Nachkriegszeit und von 1954 bis 1957 als Nachfolger Eugen Kogons der Präsident der Europa-Union.110 Dazu muß Marion Gräfin Dönhoff genannt werden, studierte Politikwissenschaftlerin und spätere Chefredakteurin der ZEIT, sowie der Unternehmer Hans Karl von Borries, Gotthard Freiherr von Falkenhausen und Albert Schäfer. Gründungsvorsitzender wurde Ernst Friedländer, als Verbindungsmann zum fast zeitgleich etablierten American Council on Germany fungierte wie gesagt Eric M. Warburg. Die Atlantik-Brücke blieb ein diskretes und nach der Zahl der Mitglieder auf maximal fünfhundert Personen begrenztes Unternehmen.111 Sie Vgl. Brüning, Briefe, II, S. 50. Vgl. Brüning, Briefe, II, S. 50. 108 Vgl. Saunders, CIA, S. 312. Saunders geht von einer Steuerung der Europabewegung durch die CIA aus, was den Hintergrund nicht ganz ausleuchtet. 109 Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 31. 110 Ernst Friedländer (geb. 1895 Wiesbaden – gest. 1973 Köln) 1929 – 31 Co. Direktor der IG-Farben Tochter Agfa in den USA. 1931 Einreise in die Schweiz, 1934 – 1945 in Liechtenstein. 111 Ein so diskretes Unternehmen, daß beispielsweise Thomas Alan Schwartz in seiner politischen Biographie des Mitinitators und zeitlebens der Brücke verbundenen John McCloy, die gar „Atlantik-Brücke“ betitelt ist, die Atlantik Brücke oder den American Council on Germany als Institutionen gar nicht erwähnt. Vgl. Schwartz, Atlantik-Brücke, passim. 106 107

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VII. Transatlantische Austauschwege

konnte dafür aber namhafte Mitglieder besonders aus der Wirtschaft, aber auch aus Hamburger Journalistenkreisen, also aus den Bereichen gewinnen, in denen in Westdeutschland in der Nachkriegszeit vorwiegend Meinung gemacht wurde. Im Rahmen ihrer Tätigkeit veröffentlichte die Amerika-Brücke vom Reiseführer112 bis zur Stimmungsanalyse zahlreiche Bücher und Broschüren, mit denen jeweils der persönliche Austausch und die individuelle deutsch-amerikanische Vernetzung gefördert werden sollten. Eine mehrmonatige Studienreise von Marion Gräfin Dönhoff in die USA etwa wurde mit dem Ziel gefördert, Berichte über die Vereinigten Staaten in der deutschen Presse lancieren zu können, am besten in „vier bis fünf Zeitungen mit einer Gesamtauflage von einer Million, über das ganze Bundesgebiet verteilt.“113 Zu den ersten Aufgaben der neugegründeten Organisation gehörte aber ein Eingriff in die Staatspolitik, namentlich in das Reiseprogramm Konrad Adenauers auf dessen USA-Reise im Jahr 1953, das von Erik Blumenfeld und dem American Council on Germany wesentlich mitgestaltet wurde.114 Zum Kernstück der Aktivitäten entwickelten sich schließlich die seit 1959 alle zwei Jahre veranstalteten und deshalb „Biennial-Konferenzen“ genannten Zusammenkünfte der Atlantik-Brücke. Sie wurden bis 2003 in Zusammenarbeit mit dem American Council on Germany wechselweise in Deutschland und den USA durchgeführt und versammelten jeweils über einhundert namhafte Personen der transatlantischen Elitengemeinde. Wie bei früheren und künftigen Unternehmungen ähnlicher Art, etwa den ab 1960 von Atlantik-Brücke-Mitglied Max Horkheimer in Zusammenarbeit mit dem American Jewish Committee organisierten Erfahrungsreisen deutscher Multiplikatoren in die USA, beteiligte sich die Ford-Foundation mit der Unterstützung Shepard Stones, der seine deutschlandpolitische Karriere phasenweise als Pressesprecher von Hochkommissar McCloy begonnen hatte,115 an der 112 Man begann 1954 unter dem Titel „Meet Germany“ eine Reihe dieser jeweils aktualisierten Reiseführer, die bis nach 1990 weitergeführt wurden, schließlich unter dem Titel „Meet united Germany“. Die Inhalte zielten weniger auf touristische Information, als auf illustrierte Darstellung der politischen und sozialen Verhältnisse im weiteren Sinn. Als Autor der ersten Ausgabe konnte u. a. Ludwig Erhard gewonnen werden, für einen kurzen Aufsatz über Währungskonvertibilität. 113 Zit. n. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 38. Der Einfluß für solche Kampagnen bestand. Über HICOG, wo die Presseabteilung von Robert H. Lochner geleitet wurde, über die FordFoundation und den Congreß for Cultural Freedom bestand eine stete finanzielle amerikanische Einflußnahme auf die westdeutsche Presse, die damals noch gewichtig war, da die neugegründeten Medien oft in finanziellen Nöten waren. Im Jahr 1951 erhielten 44 Zeitungen jeweils sechstellige D-Mark-Beträge, fast die gesamte deutsche Presse. Vgl. Vogt, Wächter, S. 119, sowie Berghahn, Kulturkriege, S. 367 f., dort eine Liste der Zeitungen. Gerieten besonders linientreue Blätter wie die Frankfurter Rundschau dennoch in Schieflage, die im 31. Juli 1947 als erste Zeitung der Lizenzpresse gegründet worden war, wurden ggf. Anteile an ihnen erworben. Eine entsprechende Debatte aus dem Frühjahr 1953, an der auch Henry Kellermann als damaliger Mitarbeiter im Bureau of German Affairs des State Department beteiligt war, schildert Volker Berghahn. Vgl. Berghahn, Kulturkriege, S. 97 f. 114 Vgl. Bajohr, Blumenfeld, S. 102. 115 Vgl. Vogt, Wächter, S. 34.

4. Die Atlantik-Brücke

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Finanzierung dieser Biennial-Konferenzen.116 Stone und McCloy waren sich der Vorteile der Stiftungsarbeit bewußt, deren guter und „unschuldiger“ Ruf es erlaubte, die Ford Foundation wechselweise als eine Art „privates State Department“, beziehungsweise eine „öffentliche CIA“ einzusetzen, wie Oliver Schmidt ein wenig unfreundlich anmerkt.117 Auf der ersten Konferenz im Oktober 1959 in Bad Godesberg gehörte AJC-Präsident Irving Engel mit zu den Delegierten.118 Erik Blumenfeld zeichnete wesentlich für die Gestaltung des Programms und die Einladungslisten verantwortlich und ähnlich wie bei Horkheimers Reiseprogramm und der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung standen auch hier die vermeintlich dramatischen jüngsten Ereignisse mit auf der Tagesordnung – die Hakenkreuzzeichnungen an jüdischen Gotteshäusern und andernorts. Es war das Ziel, daß die Teilnehmer der Konferenzen sich über diese und andere Fragen offen austauschten, auch über Meinungsverschiedenheiten.119 Dabei verkörperte die Einladungsliste zu den weiteren Treffen zugleich die Kontinuität der Nachkriegsentwicklung wie auch deren weitere Entwicklung.120 Das elfte Zusammentreffen im Jahr 1981 etwa wurde mit einer Ansprache des früheren Hochkommissars John McCloy eröffnet, dem von deutscher Seite Wilhelm Georg Grewe antwortete, der 1951 bis 1955 die deutsche Delegation bei den Verhandlungen geleitet hatte, die zum Deutschlandvertrag führten. Weitere Redebeiträge aus der illustren Runde kamen von Henry Kissinger,121 Karl Klasen, Lawrence Eagleburger, Klaus von Dohnanyi, Fritz Stern und Horst Ehmke, um eine lockere Auswahl dessen vorzustellen, was die Atlantik-Brücke aus Politik, Universität, Wirtschaft und Medien versammelte.122 Wie der Verein auf seiner Internetseite richtig 116 Shepard Stone nahm an der ersten Konferenz teil, ebenso Dr. Carl Landauer, Chefredakteur von Foreign Affairs, Hamilton Fish Armstrong und Dean G. Acheson. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 51 f. 117 Vgl. Schmidt, Programs, S. 15. 118 Vgl. Emmet, Hakenkreuz, S. 9, sowie Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 41 f. Emmet schildert die Tagung und Irving Engels Anwesenheit als Teil der Anstrengungen des AJC zur „Förderung der Demokratie und der Umerziehung in Deutschland“, mit denen während des Krieges unter der Führung von Joseph Proskauer begonnen worden sei und die dann nach dem Krieg von AJC-Präsident Jacob Blaustein sowie Irving Engel weitergeführt worden seien. Auf der Biennial-Tagung präsentierte Engel demnach neue Vorschläge in dieser Hinsicht. 119 Vgl. Blumenfeld, Atlantik-Brücke, S. 10. 120 An der zweiten Veranstaltung in Washington nahmen beispielsweise Jacob Blaustein, Direktor von Standard Oil teil, Benjamin Epstein, der geschäftsführende Direktor der ADL, Carl J. Friedrich, zu dieser Zeit Professor für Politikwissenschaft in Harvard und Eric M. Warburg selbst, Präsident von E. M. Warburg & Co. und Schatzmeister des ACoG. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 58. 121 Kissinger nahm des öfteren an diesen Treffen teil, so bereits 1964, zusammen mit Erich Mende, Helmut Schmidt, Karl Schiller und Zbigniew Brzezinski. Vgl. Kühnhardt, AtlantikBrücke, S. 91.

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VII. Transatlantische Austauschwege

feststellt, fehlt dort seit 1959 „kaum ein Name aus den Führungsspitzen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien Deutschlands.“123 Diese Feststellung beinhaltet eine gewisse Überparteilichkeit der grundsätzlichen Ausrichtung der deutschen Elite auf die Vereinigten Staaten, gleichgültig aus welchem der oben genannten Felder die Mitglieder der Brücke stammten. Hochrangige Mitglieder aller deutschen Regierungsfraktionen gehörten und gehören mit dazu. Dies führte notwendigerweise auch dazu, daß manch bekannter Name aus unangenehmen deutschen Politikaffären ebenfalls im Zusammenhang mit der Atlantik-Brücke genannt werden mußte, so etwa die in Parteispendenverfahren verurteilten Otto Graf Lambsdorff und Walter Leisler-Kiep, der langjährige Vorsitzende der Atlantik-Brücke.124 Zum fünfzigjährigen Gründungsjubiläum erhielt 2002 der amerikanische Expräsident George Bush (Senior) den vom Verein vergebenen Eric M. Warburg-Preis, die Laudatio hielt der damalige bundesdeutsche Außenminister Joseph Fischer. Dies sind Szenen des transatlantischen Alltags, die sich als Ergebnis eines nach 1945 eingeleiteten Elitentransfers bzw. einer Elitenneubildung verstehen lassen. Einen wesentlichen Schub erhielt diese Entwicklung aus dem stets vorhandenen internationalen Spannungsfeld, das auf den politischen Mehrwert des allgegenwärtig inszenierbaren NS-Verdachts gegenüber Volk und Gesellschaft der Bundesrepublik weder verzichten konnte noch wollte.

122 Vgl. Atlantik-Brücke, Issues XI, passim. Die Publikationsreihe, in der die Konferenzdokumentation erschien, wurde von Arnold Bergstraesser gegründet, der ebenfalls Mitglied und zeitweise Vorsitzender der Atlantik-Brücke war. 123 http: // www.atlantik-bruecke.org / owx_1_303_1_17_1_a9c4be4873b66b.html eingesehen am 25. 5. 2010. 124 Just in den Tagen, in denen dies geschrieben wurde, gesellte sich noch die Karl Theodor zu Guttenberg-Affäre des zurückgetretenen bundesdeutschen Verteidigungsministers zu dieser Reihe. Auch Guttenberg hatte seinen zuvor erhaltenen Karriereschub unter anderem seiner Eigenschaft als Young Leader aus den Kontaktprogrammen der Atlantik-Brücke zu verdanken. Vgl. http: // www.zeitgeist-online.de / exklusivonline / dossiers-und-analysen / 632-das-guttenbergdossier-teil-2.html, zuletzt eingesehen am 31. März 2011.

VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II) 1. Englische Affären Ab dem 22. März 1954 griff der frühere Leiter der britischen psychologischen Kriegsführung gegen das Dritte Reich erneut zur Feder. Sefton Delmer klagte in einer Artikelserie im Londoner Daily Express unter dem Titel „Wie tot ist Hitler?“ die angeblich vorhandenen Nazi-Zirkel in der Bundesrepublik Deutschland an.1 Er nannte in folgenden Artikeln die Namen von Bundesministern wie Theodor Oberländer (Vertriebene), Kraft2 (Sonderaufgaben) und Preusker3 (Wohnungsbau), denen er eine NS-Vergangenheit vorwarf und stellte dem englischen Zeitungsleser die Situation so dar, als sei mit der Aufnahme einer deutschen Politik gegen die Westmächte unmittelbar zu rechnen. Wie der besetzte westdeutsche Reststaat dies anstellen sollte, konnte sich dem Leser rational kaum erschließen. Ein entsprechender Eindruck ließ sich nur über die Verbreitung von Vorurteilen und Fehlinformationen erwecken, womit Sefton Delmer an Elemente seiner früheren Kerntätigkeit anknüpfte. Der Daily Express konnte für die Anwendung solcher Methoden als geeignet gelten, gehörte er doch zum Pressekonzern von Lord Beaverbrook, der ebenfalls während des vergangenen Weltkriegs eine bedeutende Rolle als britischer Minister für Versorgung und Kriegsproduktion eingenommen hatte und den ein Mitarbeiter des Foreign Office aus Anlaß von Delmers Artikelserie als „skrupellos“ bezeichnete.4 Zusätzliche Brisanz erhielt dieser Vorgang, als mit Otto John ein früherer deutscher Mitarbeiter Sefton Delmers aus dem Krieg und aus dem Umfeld des 20. Juli 1944 bald nach Start von Delmers Artikelserie die Bundesrepublik verließ, nach Ostberlin wechselte und zum zehnten Jahrestag des Attentats auf Hitler jetzt von dort aus ebenfalls über „Renazifizierungstendenzen“ im Westen klagte. Otto John war inzwischen niemand anderer als der Chef des bundesdeutschen Verfassungsschutzes geworden und sein jetziger Übertritt in die Deutsche Demokratische Republik diskreditierte ihn als Person dauerhaft.5 Zugleich war der politische Schaden für die Bundesrepublik insgesamt groß, während aus England zeitgleich weitere Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 213. Waldemar Kraft (geb. 1898), 1921 – 1939 Geschäftsführer des Hauptvereins der deutschen Bauernvereine, danach Präsident der Landwirtschaftskammer in Posen, Mitgründer des BHE, seit 1956 CDU. 3 Viktor Emmanuel Preusker (geb.1913), 1953 – 57 Bundeswohnungsbauminister für die FDP. 4 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 214. 1 2

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

Attacken durch Artikel Sefton Delmers und durch ein neues, anonymes Pamphlet vorgetragen wurden. Unter dem Namen von „Lord Russel of Liverpool“ erschien ‚The Scourge of the Swastica‘ – (Die Geißel des Hakenkreuzes), ein Stück, das aus dem Jahr 1942 hätte stammen können und mit teilweise frei erfundenen Behauptungen über Pläne und Verbrechen während der NS-Zeit aufwartete. Das Buch erlebte bis 1977 fünfzehn Neuauflagen.6 Der historische Nationalsozialismus wurde hier zu dem Phantasieprodukt, als das er in Teilen der britischen Öffentlichkeit in Zukunft existieren sollte. Hinter „Russell“ versteckte sich ein Mitarbeiter der britischen Regierung, aber nicht alle Regierungsmitglieder waren begeistert, allein schon aus pragmatischen Gründen: „Die ganze Behandlung des Themas, die Aufmachung des Einbandes durch den Verleger, vor allem aber die Fotos sind dazu geeignet, Haß auf das deutsche Volk in seiner Gesamtheit zu erzeugen; deshalb unterstützt das Buch die stärksten Kritiker unserer Politik, die Deutschland unter anderem durch die Wiederbewaffnung wieder in die Lage versetzen will, Einfluß zu nehmen auf die Weltpolitik.“7

Andere äußerten sich ähnlich. Die Bundesrepublik Deutschland wurde außenpolitisch gebraucht und bereits deshalb durfte der Glaube an ein mögliches demokratisches Deutschland nicht durch solche Pamphlete vollends beschädigt werden. Andererseits blieb die Tatsache, daß britische Regierungsbeamte solches schrieben und frühere hochrangige Mitarbeiter aus Kriegszeiten wie Sefton Delmer oder ein Agent wie Otto John den negativen Eindruck öffentlich in Wort und Schrift verstärkten. Und auch die britische Regierungsspitze wußte in diesem Zusammenhang zumindest über etwas Bescheid, was andere besser nicht wissen sollten. Den wahren Hintergrund etwa von Otto Johns Übertritt nach Ostberlin dürfte die Öffentlichkeit nicht erfahren, schrieb Außenminister Eden an Premier Churchill.8 Auch in Bezug 5 Otto John war nicht der einzige, der die Grenze wechselte. Mit Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz trat ein weiterer von Sefton Delmers weltkriegsgedienten deutschen Agenten wegen „Renazifizierungstendenzen“ in die DDR über, allerdings bereits 1952. Vgl. Putlitz, Deutschland, S. 375 f. Zu Putlitz gesellten sich noch die Engländer Guy Burgess und Donald MacLean. Vgl. Vagts, Rückwanderung, S. 198. Auch ein heute fast vergessener Fall: Dr. Dr. Günther Gereke setzte sich in den sowjetischen Machtbereich ab. Er war „Reichsminister unter Ebert, hatte Ministerrang unter Hitler, Innenminister bei den Sowjets, Vizeministerpräsident in Niedersachsen. … Erst verriet er die CDU und dann den BHE. Hinter dem Rücken seines Ministerpräsidenten führte er seine Gespräche mit Herrn Semjonew (sic – gemeint wohl Semjonov“). Zit. n. BA-KO B 168 / 1259, S. 23. Maschinenschriftliche Darstellung des Falls Otto John und anderer Fälle dieser Art, darunter auch Alger Hiss. Nicht namentlich gekennzeichneter Autor, aufgrund des beiliegenden Schriftverkehrs vermutlich ein Jürgen HahnButry. Dort die Darstellung, daß der amerikanische Abwehroffizier Hoefer, angeblich ein Jugendfreund von John, ihn am 17. Juli (drei Tage vor dem Übertritt) davon unterrichtet hätte, daß die Amerikaner ihn überwachten. Hoefer soll sich erschossen haben. (Ebd. S. 37). 6 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 421. Axel Freiherr von dem BusscheStreithorst schrieb angeblich nach der Lektüre, Deutschland müsse zu seiner Vergangenheit stehen. Vgl. PA AA III210-01 / 80, sowie Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 222. 7 Lord Chancellor Goldstream an Russell, 4. August 1954, PRO FO 371 / 109733, hier zit. n. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 221.

1. Englische Affären

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auf diese beiden Funktionen hatte sich die innerbritische Konstellation aus Kriegszeiten erneut gebildet. Deutschland wurde weiterhin mit Blick auf die Nachhaltigkeit des alliierten Sieges von 1945 beobachtet und kritisiert. Dazu gehörte auch im Jahr 1954 nicht nur der stete Verweis auf Hakenkreuze und Verbrechen, sondern ebenso die weitere Sicherung der Teilungsmaßnahmen, die zusammen mit den ethnischen Säuberungen in den Vertreibungsgebieten die zweite Säule der Siegesordnung bildeten. So konnte es kaum überraschen. wenn 1954 erneut das Verhältnis Österreichs zur Bundesrepublik zum Gegenstand ständiger Revisionsbefürchtungen wurde, ein Punkt, in dem sich die Westmächte mit der UdSSR auch weiterhin einig waren. Tatsächlich mußten 1954 wegen alliierter Proteste alle hochrangigen offiziellen Treffen zwischen bundesdeutschen und republikanisch-österreichischen Amts- und Funktionsträgern abgesagt werden. Das geschah nur wenige Monate, nachdem die Visumspflicht zwischen beiden Ländern abgeschafft worden war und zum ersten Mal nach fast zehn Jahren ein wirklich freier Personenverkehr zwischen beiden Ländern stattfinden konnte. Diese Möglichkeiten waren, wenig überraschend, auch von ehemaligen Angehörigen der deutschen Streitkräfte für die Veranstaltung von Treffen genutzt worden. Privatreisen früherer NS-Funktionäre hatten ebenfalls stattgefunden und dies war – obwohl offenbar mit keinerlei politischen Aktivitäten verbunden – denn auch nach so langer Zeit zuviel. Carl Hermann Müller-Graf, der erste deutsche Gesandte in Österreich, berichtete über die diplomatischen Verwicklungen, über eine Pressekampagne gegen die „Anschlußgefahr“ und über Anklagen des sowjetischen Kollegen Iljutschow, daß allein die Besuche selbst „unverhüllte Anschlußpropaganda“ darstellen würden. Die Reaktion aus Frankreich sei nicht besser gewesen: „Aufgebracht zitierte der sowjetische Hochkommissar am 15. Mai 1954 Bundeskanzler Raab und Vizekanzler Schärf zu sich. Dies war seit langem nicht mehr üblich. Dies deckt sich mit einem Gespräch, das ich kürzlich mit dem französischen Hochkommissar, Botschafter Payart hatte. Dieser ist ein schwieriger Mann, kein Freund Deutschlands, Linkssozialist, in maßgebenden österreichischen Kreisen mit Vorsicht und ohne Sympathie beurteilt. Er war lange in Moskau und gilt als Rußlandkenner. Er ist seit Wochen aufgeregt über den Kesselringbesuch. … Payarts eigene, französische Befürchtung war zu spüren. Er sagt, nach seiner Meinung sammelten die Sowjets jetzt ein Dossier und wenn es dick genug sei, würden sie den Anlaß nehmen, Österreich zu teilen.“9

Eine Teilung Österreichs in einen westlichen und einen sowjetzonalen Teil konnte die Analogie zu den Verhältnissen zwischen BRD und DDR offensichtlich machen und den Rest der Alpenrepublik als Teil eines aktuell echt „deutschen“ Schicksals enger an die Bundesrepublik orientieren, als dies in Paris und London gewünscht wurde. Auch die Abwehr dieser Möglichkeit stellte einen Teil der poli8 Eden an Churchill, 7. September 1954, PRO FO 800 / 795, vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 221. 9 Bericht Müller-Grafs vom 24. 5. 1954, hier zit. n. Rathkolb, Perzeptionen, S. 170 f.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

tischen Gedanken dar, als die vier Siegermächte im Folgejahr 1955 den Kalten Krieg für den lange Zeit vorerst letzten Vertrag aussetzten, über den sich die Siegermächte mit Blick auf Deutschland einig wurden: den Staatsvertrag und Neutralitätsvertrag mit Österreich, der die Wiedervereinigungsdebatte beendete. Ein Kabinettspolitiker alter Schule mit gegenläufigen Zielen hätte gerade deshalb über die Förderung von innerösterreichischen Teilungsgerüchten zur Diskreditierung der alliierten Politik und zur Verhinderung dieser finalen Teilungsentwicklung nachgedacht. Dies war nicht die Denkart bundesrepublikanischer Außenpolitik. MüllerGraf empfahl statt dessen die umfassende Kapitulation: Keine Treffen der Soldatenbünde mehr, Distanzierung von diesen Dingen, keine Besuche mehr von Prominenten der „Hitlerzeit“, keine Ministerbesuche, keine Parteibesuche, keine Treffen von Sängerbünden oder Studentenverbindungen, ja auch „kein organisierter Massenbesuch durch Reisebüros (sic) zu Wochenenden, Ausflügen oder Ferienfahrten nach Wien oder in die sowjetisch besetzte Zone“.10 Eine selbst organisierte Teilungsstrategie sollte internationalen Ärger verhindern, denn auch der bundesrepublikanische Tourist entpuppte sich in der – fast ein Jahrzehnt nach Ende der Kampfhandlungen – weiterhin schwebenden Situation als potentielle Gefahr für die demokratische Nachkriegsordnung. Mit Blick auf Theodor Oberländer waren Delmers oben erwähnte Anschuldigungen insofern geradezu ein Treppenwitz, als der „agile Doppeldoktor“ just zu dieser Zeit unter sorgfältiger Beobachtung durch den amerikanischen Geheimdienst CIC daran arbeitete, den ‚Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten‘ (BHE) in die CDU zu überführen und damit politisch zu entmachten.11 Schon immer hatten die alliierten Planungskommissionen negative politische Entwicklungen befürchtet, sollten sich in der Bundesrepublik die aus ihren Heimatregionen vertriebenen Deutschen politisch dauerhaft verselbständigen. Dies würde ein Druckpotential gegenüber jeder Bundesregierung bedeuten, das es zu vermeiden galt, weshalb man in London im Sommer 1944 gar die Lösung favorisiert hatte, die Vertriebenen den Sowjets zur Zwangsarbeit in Sibirien zu überlassen.12 Dort, weit weg vom Blick der Öffentlichkeit und in Haft, würde es keine politische Bewegung geben können. Noch besser: Die ganze Gewalttat würde den Ruf der Sowjets belasten, nicht den britischen. Nun war daraus nichts geworden und gerade Oberländer sollte die möglichen politischen Folgen der Vertreibung beseitigen, und tat dies, aus dem Statuts des einfachen Kriegsgefangenen wie durch Zauberhand in die Führung des BHE und in den Rang eines Bundesministers katapultiert. Sefton Delmer traf insofern den Falschen, aber vielleicht galt ja die Stabilisierung der deutschen Innenpolitik durch die Schaffung einer Volkspartei im Besitz der absoluten Bundestagsmehrheit, wie der CDU, in London auch manchen gar nicht als so wünschenswertes Ziel. Bericht Müller-Grafs vom 24. 5. 1954, hier zit. n. Rathkolb, Perzeptionen, S. 171. Das CIC (Counter Intelligence Corps) der US-Armee beschäftigte Oberländer seit 1946 mit Analysen zu politischen Fragen Osteuropas und führte ihn bis 1954 in seinen Akten, wobei auch sein Brief- und Telefonverkehr abgehört wurde. Vgl. Wachs, Oberländer, S. 318 ff. 12 Vgl. Kettenacker, Deutschlandplanung, S. 455 f. 10 11

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Oberländers weiterer Lebenslauf in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zeigte in jedem Fall exemplarisch, wie unmöglich es für eine Person mit einer Vergangenheit in der deutschen Ostpolitik vor 1945 war, in der Bundesrepublik ein öffentliches Amt zu bekleiden. Er wurde aus DDR und UdSSR mit frei erfundenen Vorwürfen konfrontiert, eine Art „bestialischer Massenmörder“ zu sein. Dies fand teilweise in Form eines Schauprozesses in Ostberlin statt, bei dem Aussagen nicht identifizierbarer und angeblich längst verstorbener Zeugen präsentiert wurden. Dafür lieferten letztlich die realsozialistischen Massenverbrechen von 1941 die Vorlage, nicht die nationalsozialistischen. Zehntausende von ermordeten Personen, die von den abziehenden Truppen und Staatsorganen der UdSSR 1941 in den Städten der westlichen Sowjetunion zurückgelassen worden waren, sollten jetzt als Opfer nationalsozialistischer Gewalt dargestellt werden, unter anderem von Theodor Oberländers Einheit. Dies war ein groß angelegtes Unternehmen, für dessen Umsetzung in der UdSSR eine eigene außerordentliche staatliche Kommission gegründet worden war. Sie sollte in den von deutscher Besatzung zurückeroberten Orten festlegen, was für Verbrechen dort geschehen seien. Für die dabei systematisch angewandte Methode, die sowjetischen Massentötungen bis 1941 jeweils der nationalsozialistischen Ära zuzuordnen, hat die russische Historikerin Marina Sorokina im Jahr 2005 wegen des bekanntesten Falls den Begriff „Katyn-Modell“ geprägt.13 Diese Methode war trotz des betriebenen Aufwands an sich recht durchsichtig. Dessen ungeachtet wurde der Begriff „Oberländer“ um die Jahre 1959 / 60 herum geradezu das Synonym für Verbrechen der deutschen Kriegsgesellschaft und blieb dies trotz seiner nachgewiesenen persönlichen Unschuld.14 Dies bildete den Auftakt zu einer Umwertung der Geschichte der frühen Bundesrepublik, die – unterstützt von kampagnenartigen Vorwürfen aus den Regierungskreisen der ehemaligen Kriegsgegner – als eine Geschichte der Kontinuität zur Ära vor 1945 erscheinen konnte.15 Daß zudem das Bild dieser Ära seit dieser Zeit teilweise noch extremer als eine „kollektiv negative“ Erscheinung gezeichnet wurde, als dies die Besatzungsmächte mit der nach 1945 zunächst noch oft vorgenommenen Unterscheidung zwischen Regierung und Volk getan hatten, ergänzte diese Entwicklung. Die englische Regierung gehörte zu jenen, die 1959 aus antisemitischen Vorfällen in der Bundesrepublik politisches Kapital schlagen wollten, gewissermaßen noch bevor sie existierten. Am 11. Februar 1959 bestellte Premier Macmillan den deutschen Botschafter Hans von Herwarth in seinen Amtssitz. Es war zwanzig Jahre her, daß beide im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs jeweils ganz eigentümliche Rollen gespielt Vgl. Sorokina, Procedures, S. 804. Noch 1996 meinten einige Aktivisten, vor dem Haus des inzwischen über neunzigjährigen „NS-Mörders Theodor Oberländer“ demonstrieren zu sollen. Vgl. Wachs, Oberländer, S. 513. 15 Im Fall Oberländer pünktlich zum Start der Hakenkreuzwelle eingeleitet mit dem Versand von mehreren tausend Büchern mit dem Titel „Die Wahrheit über Oberländer“ an ausgewählte Adressen, organisiert durch den von DDR-Organen dirigierten VVN. Vgl. Wachs, Oberländer, S. 250. 13 14

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

hatten. Macmillan hatte sich als Teil des Churchillschen Focus-Netzwerks an der politischen und publizistischen Vorbereitung Englands auf einen Krieg gegen Deutschland beteiligt. Hans von Herwarth, damals als Diplomat an der deutschen Botschaft in Moskau tätig, hatte 1939 das deutsch-sowjetische Geheimabkommen über die beiderseitigen Interessensphären unmittelbar nach dessen Abschluß an die US-Botschaft vor Ort verraten.16 Insofern konnte an der gemeinsamen anti-nationalsozialistischen Zielsetzung beider Personen wenig Zweifel bestehen. Macmillan nutzte das Treffen mit Herwarth in erster Linie zu politischen Attacken wegen der angeblich zu milden Behandlung ehemaliger Nationalsozialisten in Deutschland. Der Unterstaatssekretär des Foreign Office und frühere Botschafter in Bonn, Sir Frederic Hoyer Millar, hatte im Vorfeld Bedenken geäußert, ob dieses Vorgehen opportun und in der Sache gerechtfertigt sei.17 Macmillan mochte in Herwarth einen idealen Ansprechpartner sehen, setzte sich über die Empfehlung Millars hinweg und nutzte die angeblichen Probleme mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung dennoch, um politischen Druck auszuüben. Er tat dies auch unter Verweis auf die „öffentliche Meinung“, deren kommende Entwicklung er wie so mancher andere englische Regierungschef vorherzusagen können meinte, um zugleich zu betonen, keinen Einfluß darauf nehmen zu können.18 Dieser stete Verweis auf NS-Vergangenheiten und mögliche drohende Neo-NSAktivitäten diente offenbar dem doppelten Zweck, auf den damals im Jahr 1959 bevorstehenden Reisen Macmillans nach Moskau und Berlin einen erhöhten Verhandlungsspielraum in den anstehenden Berlinfragen zu sichern. Denn zuvor hatte die Regierung Adenauer in England lebhaft darauf gedrängt, den Sowjets keine öffentlichen Zusicherungen mit Blick auf den Status von Berlin zu machen. In der Tat widersprachen alle internationalen Gerüchte des Jahres 1959 über „Renazifizierungstendenzen“ und drohende politische Probleme mit der Bundesrepublik Deutschland sowohl den innenpolitischen Realitäten, als auch den außenpolitischen Möglichkeiten der Republik und schließlich besonders den völkerrechtlichen Tatsachen19 in ganz grotesker Weise. Die Bundesrepublik lief nicht Gefahr, eine RenaisVgl. Herwarth, Zeitgeschichte, S. 188. Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 262. 18 In den englischen Unterlagen existiert keine Gesprächsaufzeichnung. Brochhagen meint, sie sei wohl zu Geheimhaltungszwecken entfernt worden. Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 429. Am 15. Juli 1959 etwa erklärte Macmillan dann gegenüber Botschafter von Herwarth, als Premier keine Zeitungen kontrollieren zu können. Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 273. 19 Was damals noch ein Staatsgeheimnis war, wurde inzwischen teilweise öffentlich. Die alliierten Besatzungsmächte, also auch die englische Regierung, hatten als Inhaber der unkündbaren Siegerrechte für Deutschland als Ganzes und Berlin diejenigen Artikel des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt, die sie als Einschränkung ihrer Verfügungshoheit verstanden. Das galt auch für den Artikel 146, der nach der deutschen Einheit eine Verfassung anstelle des Grundgesetzes vorsah. Artikel 23 des Grundgesetzes zählte die Länder auf, in denen das Grundgesetz „zunächst“ gelten sollte, bis es in anderen Teilen Deutschlands „nach deren Beitritt“ in Kraft zu setzen sei. Groß-Berlin wurde von den Alliierten aus dem Artikel 23 gestri16 17

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sance des Nationalsozialismus zu erleben. Das erkannte auch der britische Botschafter Christopher Steel: „Im Hinblick auf die Beschäftigung von Nazis und auf Antisemitismus bin ich der festen Überzeugung, daß die Aufregung in der britischen Presse künstlich ist. Im Moment wird eine Menge getan, um KZ-Wachen und anderes hinterhältiges Gesindel zu verfolgen, und die Äußerungen gegen den Nationalsozialismus sind besonders laut, in der Presse und auch sonstwo. Das gilt in noch höherem Maße für den Antisemitismus.“20

Ein paar Tage später beantwortete der Botschafter die Frage, ob der Nationalsozialismus eine Gefahr sei, am Ende eines schriftlichen Berichts mit einem kurzen Nein. Dessen ungeachtet oder auch deswegen schien es ihm angeraten, die Bundesrepublik eng an Westeuropa anzubinden, damit sie als Verbündeter zur Verfügung stehe.21 Als Macmillan schließlich wenige Tage später mit Adenauer zusammentraf, drehte sich das Gespräch erneut auch um Antisemitismus und Vergangenheitsbewältigung, trotz der gegenteiligen Empfehlung des Foreign Office an den Premier. Wie andere Kanzler vor ihm beklagte sich Adenauer über die unbegründet schlechte Berichterstattung der englischen Presse über Deutschland zu diesem Punkt.22 Auch beschwerte er sich über die Arbeit einer Ryder-Cheshire Foundation, die Wiedergutmachungsansprüche gegenüber Deutschland vertreten würde. Macmillan entgegnete, er kenne die Stiftung nicht und wich auf andere Themen aus. Am 8. April 1959, also wenige Tage später, ging Adenauer in die Öffentlichkeit. In einer Rede über Abrüstungsfragen behauptete er, es gebe „Drahtzieher, die geflissentlich darauf ausgehen, das Verhältnis zwischen dem britischen Volke und dem deutschen Volke zu verschlechtern, und zwar aus außenpolitischen Gründen.“23 Da waren sie wieder, die „Drahtzieher“, zu denen auch der spätere Premier Macmillan im Jahr 1939 einmal gehört hatte. In größerer Zahl erschienen 1959 wieder Romane zur Öffentlichkeitsbearbeitung, wie etwa „The Fearmakers“, das unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde und eine „Bloßstellung“ des Wiederauftretens der Nazis in Deutschland beabsichtigte. Die Deutschlandpolitik der Jahre 1959 / 60 stand international vielfach unter dem Vorzeichen eines eingebildeten Wiederaufstiegs der Nationalsozialisten. Dies sollte innen- wie außenpolitische Folgen haben, auch solche für die politische Bildung, besonders als sich zum Jahreswechsel 1959 / 60 neue Kampagnen in dieser Richtung entwickelten. In Großbritannien wurde auf die Hakenkreuzaffären dieser Jahreswende besonders heftig reagiert. Es wurde eine Großchen. Adenauer hatte wie alle nachfolgenden Bundeskanzler diese buchstäblich verfassungswidrigen und damals geheimen Vorbehalte durch Unterschrift anerkennen müssen. Vgl. Egon Bahr: Drei Briefe und ein Staatsgeheimnis, in: DIE ZEIT, 14. 05. 2009 Nr. 21. 20 Steel an Unterstaatssekretär Hoyer, 2. März 1959, PRO FO 317 / 145773, hier zit. n. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 265 f. 21 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 266 f. 22 Englische Gesprächsaufzeichnung im PRO PREM 11 / 2676, 13. März 1959. Vgl. auch Schwarz, Adenauer – der Staatsmann, S. 496 f. 23 Vgl. FAZ 9. April 1959, Wortlaut der Rede Adenauers über „Eine Abrüstungszone vom Atlantik bis zum Ural“. Vgl. auch Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 272.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

demonstration mit vierzigtausend Teilnehmern veranstaltet, einige deutsche Hausangestellte verloren ihren Posten und es kam zu Boykottaktionen gegenüber deutschen Waren.24 Das Bild vom Deutschen und dem Hakenkreuz war nie ganz aus der Präsenz der britischen Öffentlichkeit verschwunden. Jetzt wurde es mobilisiert.

2. Der Gründungsskandal der neuen Bundesrepublik „Diese Nacht Werf ich ihm Zettel von verschiednen Händen Als ob sie von verschiednen Bürgern kämen Durchs Fenster, alle voll der großen Meinung, Die Rom von seinem Namen hegt, wo dunkel auf Cäsars Ehrsucht soll gedeutet sein.“ William Shakespeare25

Zu den bereits mehrfach erwähnten Hakenkreuzzeichnungen an der Kölner Synagoge und anderen Orten ist bereits etliches geschrieben worden. Unbestritten handelt es sich bei den Taten selbst und den Reaktionen darauf um eine Episode, deren Bedeutung für die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland kaum überschätzt werden kann. Was bisher jedoch nicht befriedigend aufgearbeitet wurde, ist der geschichts- und bildungspolitische Hintergrund, der es den Vorgängen überhaupt erst ermöglichte, eine derartige Bedeutung zu erreichen. Die Kölner Hakenkreuze platzten an Weihnachten 1959 in eine auch internationale „Politik mit dem Hakenkreuz“, die oben in einigen Aspekten bereits angesprochen wurde und die eine jahrelange Vorgeschichte hatte. Zu den Aufgaben der Bundeszentrale für Heimatdienst gehörte von Anfang an die Bekämpfung antisemitischer Vorurteile und vor allem der stete Nachweis an mögliche Kritiker im In- und Ausland, daß in der Bundesrepublik in diesem Sinn genug geschehen sei. Der Eindruck, hier werde eben doch nicht genug getan, konnte jederzeit entstehen oder erzeugt werden und bildete eine stete politische Gefahr. Am 7. Januar 1954 ließ sich Innenminister Schröder einen ersten Bericht der BfH über den Gesamtstand der Dinge in dieser Sache vorlegen. Anlaß war einmal mehr eine transatlantische Wechselwirkung, nämlich der Bericht des amerikanischen Synagogenrates Dr. Norman Salit nach einer Deutschlandreise. Salit hatte unter anderem mit Kanzler Adenauer gesprochen und sprach als Ergebnis seiner Reise den Einwohnern der Bundesrepublik Deutschland bei ihrem gegenwärtigen Stand fehlender Reue das Recht ab, unter die zivilisierten Völker gezählt zu werden.26 Minister Schröder wollte auf diese Äußerung hin direkte Gegenmaßnahmen in Vgl. Dodd, Hakenkreuz-Epidemie, S. 7. William Shakespeare, Julius Cäsar, Zweite Szene. 26 Vgl. BA-KO B 168 / 368, Bericht der BfH an Innenminister Schröder vom 7. Januar 1954, dessen Antwortschreiben vom 25. Januar und die Polemik von Salit. 24 25

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Form einer Gegendarstellung einleiten, Ministerialrat Lüders reagierte aber mit dem Hinweis, daß Schweigen besser sei und die besten Kenner der Dinge wie Max Horkheimer den Antisemitismus nicht als Phänomen eigener Art, sondern als allgemeine psychologische Disposition ansehen würden, die sich in Vorurteilen gegen Gruppen aller Art äußern würde. Sie sei nicht durch direkte Antwort, sondern durch indirekte Aufdeckung zu bekämpfen. Es seien in letzter Zeit „verschiedene Delegationen von Juden und Emigranten im Bundesgebiet gewesen, zunächst eine Gruppe der Anti-Defamation League (Mr. Epstein), dann einzelne Herren des American Jewish Committee (Mr. Shuster, Mr. Feinberg). Mit sämtlichen Herren ist dieser Problemkreis, einschließlich der Vorwürfe des Herrn Salit, erörtert worden. Einige der amerikanischen Herren haben sich offen zu der obigen modernen Therapie bekannt und vor größeren, speziell gegen den Antisemitismus gerichteten Aufklärungsaktionen gewarnt.“27

Hier tauchte ein Gegensatz auf, der die bundesdeutsche Bildungspolitik in den zehn Jahren zwischen 1954 und dem Beginn der Studentenrevolte in den Sechzigern begleiten sollte. Es ging um die Frage, ob der Kampf gegen Antisemitismus, ob überhaupt die Bildungspolitik, auf positive Ziele ausgerichtet sein sollte, also etwa die Vision verfolgen sollte, wonach sich in einer freien und aufgeklärten Gesellschaft Phänomene dieser Art von selbst auflösen würden. Das mußte bedeuten, eine freie und aufgeklärt-demokratische Gesellschaft anzustreben. Die Gegenposition neigte dazu, sich auf den Nationalsozialismus als Feindbild und ständige Drohung zu fokussieren. Denn andererseits konnte der anti-antisemitische Einsatz die Deutschen dauerhaft und permanent an die NS-Zeit erinnern, sie zu Entschuldigungen, Reue und stetem Faschismusverdacht allerorts zwingen. Möglich war beides und ironischerweise verkörperte die im nachhinein oft als Einheit wahrgenommene Frankfurter Schule auch tatsächlich beide Ansätze, obwohl sie miteinander unvereinbar waren. Wir kommen darauf zurück. In jedem Fall ergab sich aus der zweiten Option ein erhöhter politischer Mehrwert für alle, die weniger an der Verwirklichung von freien und aufgeklärt-demokratischen Gesellschaften als an der Schaffung tagesaktuell-realpolitischer Optionen interessiert waren, oder die völkisch begründete Reue aus prinzipiellen Gründen für wünschenswert hielten. Die von Ministerialrat Lüders angedeutete Zusammenarbeit zwischen Max Horkheimer, dem AJC und dem Frankfurter Institut für Sozialforschung entsprach der Doppelfunktion Horkheimers als Berater des AJC über die Verhältnisse in Deutschland und Direktor des Instituts für Sozialforschung. Dies sollte in den frühen 1960er Jahren ein weiteres Mal praktische Konsequenzen haben, als auch das American Jewish Committee in Deutschland eine gewisse antidemokratische und auch antisemitische Stimmung registriert zu haben meinte. Ein Gespräch des nach Deutschland angereisten Ehrenpräsidenten des AJC, Irving Engel mit Kanzler Konrad Adenauer brachte nicht den gewünschten Erfolg. Zwar stimmte Adenauer in 27 Vgl. BA-KO B 168 / 368, Schreiben von Lüders an BfH-Leiter Franken vom 31. Mai 1954.

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allen wesentlichen Punkten inhaltlich im Prinzip zu, doch zeigte er sich nicht bereit, das deutsche Erziehungssystem wie gewünscht völlig umzustellen, zumal dies auch nicht in die Kompetenz eines Bundeskanzlers fiel. Er erinnerte die Vertreter des AJC an die konkreten politischen Bedingungen, unter denen die deutsche Vorkriegsdemokratie und der Rechtsstaat ins Wanken geraten waren und die in der Bundesrepublik nicht gegeben seien. Da der Besuch bei Adenauer nicht den gewünschten Effekt hatte, beschloß man, ein weiteres Mal selbst erzieherisch einzugreifen, und zwar mit Unterstützung der Ford Foundation, der New World Foundation und dem Institute of International Education. Seit Herbst 1960 ließ das AJC in Abständen von einigen Monaten einzelne Teams aus deutschen Lehrbeauftragten in die USA kommen, um Lektionen in Demokratieerziehung entgegenzunehmen. Horkheimer wurde beauftragt, die Auswahl der Personen zu treffen. Es wurden bis 1966 zwölf derartige Teams ausgebildet, die im Anschluß an ihre Rückkehr nach Deutschland als Multiplikatoren dienten, unter der Aufsicht eines eigenen „Bureau of Studies of the Sociology of Education“.28 Der Erfolg blieb nicht aus. Das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik veränderte sich nach diesen Maßnahmen und den Hakenkreuzaffären in den 1960er Jahren abrupt, was nicht zwingend heißt, daß es sich wegen dieser Schritte änderte. Sie wirkten wahrscheinlich als Katalysator. Es gab jedoch eine ganze Reihe quantitativer Veränderungen, die nach diesen Affären einen gesellschaftlichen Wandel bewirken sollten, so daß ein Zusammenhang zumindest nicht auszuschließen ist. Für die Politikwissenschaft bedeuteten diese Hakenkreuzschmierereien in jedem Fall einen beachtlichen Schub, weshalb diese Ereignisse hier im folgenden einen gewissen Raum einnehmen. Mindestens ebenso wesentlich wie die Hakenkreuzzeichnungen selbst war die Form der Debatte über Ursachen und notwendige Reaktionen sowie die schließlich tatsächlich erfolgte Reaktion, die wie gesagt auch das Fach Politikwissenschaft betraf. Im Jahr 1960 existierten an den damals achtzehn bundesdeutschen Universitäten insgesamt vierundzwanzig politikwissenschaftliche Lehrstühle, davon allerdings allein zehn am politikwissenschaftlichen Zentrum der FU Berlin. Die meisten Universitäten hatten allenfalls einen einzigen Lehrstuhl, einige auch keinen. Fünf Jahre später gab es 1965 bereits einundfünfzig Lehrstühle, was also fast eine Verdreifachung der Stellen bedeutete.29 Diese Verdreifachung der Lehrstühle wurde in den gleichen Jahren von einer Vervierfachung der Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter und einer Verfünffachung der Studentenzahl begleitet.30 Es gab offenbar einen unmittelbaren Zusammenhang mit den politischen Vorfällen. Das stellen so unterschiedliche Autoren wie Caspar von Schrenck-Notzing und Ulrike Quadbeck unabhängig voneinander fest. Quadbeck äußerte sich wie folgt:

Vgl. Cohen, Committee, S. 495. Vgl. Bleek, Politikwissenschaft, S. 312 f. Auf Seite 271 spricht von Bleek allerdings für 1960 von 21 Professuren an 15 Universitäten. 30 Vgl. Bleek, Politikwissenschaft, S. 313 f. 28 29

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„Ab 1960 entwickelte sich die Anzahl der Professorenstellen rapide. Schmierereien an Synagogen zu Beginn der sechziger Jahre, die zu einem Ruf nach politischer Bildung führten, sowie die insgesamt den Geistes- / Sozialwissenschaften quantitativ nutzende gesellschaftliche Entwicklung sind hier als Ursachen zu nennen.“31

Hier sind die „Schmierereien“ als eine von zwei alleinigen Ursachen für die rapide Ausbreitung politikwissenschaftlicher Professuren benannt. Dies ist um so interessanter, als diese Hakenkreuze, wie man heute weiß, oder wissen kann, nicht der Ausdruck fehlender politischer Bildung, sondern Ausdruck einer ganz intensiven politischen Bildung und politischen Willens waren: Sie wurden unter anderem und teilweise federführend von Agenten der Staatssicherheit der DDR angebracht, um einen angeblich weiter bestehenden faschistischen Charakter des bundesrepublikanischen Staates zu suggerieren. Sie gehörten zeitlich wie inhaltlich zu einer Kampagne, mit der die DDR ihre eigene Systemkrise, die im Jahr 1961 im Bau der Berliner Mauer gipfeln sollte, nach außen tragen wollte.32 Einmal mehr wurde hier die bundesdeutsche Gesellschaft manipuliert, aufgrund von solchen bewußt erzeugten Fehlinformationen über den tatsächlichen Stand der Dinge. Es ist leider nicht untypisch für die Unschärfen im Fach Politikwissenschaft, wenn weder Doktoranden noch deren Betreuer auf solche Dinge eingehen und Schmierereien östlicher Geheimdienste noch Jahrzehnte danach als echte NS-Spuren und damit als Ausdruck fehlender politischer Bildung mißverstehen. Den Gipfel der intellektuellen Verwirrung in diesem Bereich erreicht allerdings Michael Wolffsohn, der zwar um die Fälschung der Briefe durch die Staatssicherheit der DDR weiß, sie ausführlich schildert und sogar auszugsweise zitiert. Dann kommentiert er allerdings den von der Staatssicherheit stammenden Satz: „Euch hat es wohl nicht gereicht, daß wir 6 Millionen von Euch vergast haben!“ mit den Worten: Er „beweist (sic), daß die westdeutsche Rechte (sic) damals eher stolz darauf war, sechs Millionen Juden ermordet zu haben“. Hier erschließt sich dann auch die eingangs von ihm gestellte Frage neu, warum die Adenauer-Regierung damals trotz ihres Wissens um die östliche Fernsteuerung der antisemitischen Welle in die Defensive geraten sei. Es gibt und gab offenkundig Klischees und Desinformationen in der Bundesrepublik, die einfach zu populär sind, um nicht unter allen Umständen weiterverbreitet zu werden. Dazu gehört die selbst gegen besseres Wissen vorgebrachte Ansicht, hinter jedem an die Wand gemalten Hakenkreuz stünde eine reale nationalsozialistische Neigung der Bundesdeutschen.33 Im Mai 1961 rollte eine Welle antisemitischer Schmierereien an, die vom Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit gesteuert wurde. Zeitgleich zur Eröffnung des Prozesses gegen Adolf Eichmann in Jerusalem fand die Staatssicherheit es angemessen, unter dem Arbeitstitel „Vergißmeinnicht“ eine Kampagne zu starten, die 31 Zit. n. Quadbeck, Anfänge, S. 81. Quadbeck scheint die Arbeiten von Schrenck-Notzing nicht zu kennen. 32 Vgl. Lemke, Kampagnen, passim. 33 Vgl. Wolffsohn, Akte, S. 42.

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aus aggressiven Erklärungen angeblicher ehemaliger Waffen-SS Angehöriger bestand, aus gefälschten Drohbriefen an Juden, die in der Bundesrepublik lebten unter Verwendung fingierter Absender, von denen man annahm, sie seien irgendwie antisemitische. Selbst für die Reaktion auf die falschen Drohungen wurde gesorgt.34 Gefälschte Briefe besorgter und angeblich durch Antisemiten bedrohter jüdischer Bürger in Westdeutschland wurden ebenfalls verfasst und verschickt. Auch ganz praktische Taten wie das Ablegen von Hakenkreuzen vor Synagogen und jüdischen Wohnungen waren Bestandteil der Aktion. Berichte über solche Begebenheiten landeten im zuständigen DDR-Ministerium in der Akte für „Erfolgsmeldungen“.35 Diese Taktik spricht bereits für einen Zusammenhang zwischen der Kampagne von 1961 mit der, die eineinhalb Jahre vorher begonnen hatte. Die großen Affären in diesem Bereich begannen mit der Anbringung von Hakenkreuzen an der Kölner Synagoge am Weihnachtsabend 1959. Bis zum Folgemonat, dem Januar 1960, wurden vierhundertsiebzig weitere ähnliche Vorfälle registriert, nach anderen Angaben sogar sechshundertfünfundachzig.36 Danach nahm die Intensität der Vorfälle ab; für das ganze Jahr 1960 wurden aber insgesamt 1083 Täter ermittelt.37 Den Anteil der „politischen Gesinnungstäter“, also der wirklichen Antisemiten, die sich der Kampagne anschlossen, berechnete die Bundesregierung mit acht Prozent.38 Daß es sich um eine gesteuerte Kampagne handelte und nicht um die Folge verworrener Bildungsvorstellungen einzelner Eiferer, liegt bereits angesichts der relativ exakten Begrenzung und der Kürze des Zeitraums auf der Hand. Bereits kurz vorher hatte der American Jewish Congress in einer Broschüre Kritik an den Verhältnissen in Deutschland geübt und zu den zu kritisierenden Dingen auch Vandalismus gegenüber jüdischen Friedhöfen und Synagogen gezählt, der nie ganz zur Ruhe gekommen sei. Eine entsprechende Broschüre war im Herbst 1959 veröffentlicht worden.39 Etwas anders reagierte die Anti-Defamation League (ADL), die sich zusammen mit dem AJC, der B’nai B’rith und dem Jewish Labour Committee ebenfalls seit Mitte der 1950er Jahre um den Stand der Dinge kümmerte. Benjamin R. Epstein, der Leiter einer Delegation der ADL, die 1954 nach Deutschland gereist war und zwischenzeitlich zum amerikanischen Vorsitzenden der ADL avanciert, gab nach den Kölner Vorfällen ein Interview im amerikanischen Soldatensender AFN, das bei allen Bedenken weitgehend Entwarnung gab. Er wies Verschwörungstheorien in alle Richtungen zurück; sowohl kommunistische wie nationalsozialistische Vgl. Wolffsohn, Akte, S. 40 ff. Vgl. Knabe, Republik, S. 127 ff. 36 Vgl. Dudek, Rechtsextremismus, S. 267; Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 279; Greive, Antisemitismus, S. 178; Knabe, Republik, S. 126; Bundesregierung, Vorfälle, S. 5. 37 Vgl. Dudek, Rechtsextremismus, S. 267. 38 Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 60. 39 Vgl. AMJECO, Dilemma, S. 14. Mit Datum vom 7. Dezember ließ der Präsident des American Jewish Congress, Joachim Prinz, der BfH zwei Exemplare zustellen. Vgl. BA-KO B 168 / 368. 34 35

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oder arabische Hintermänner gebe es wohl nicht. Hauptverantwortlich sei die Multiplikationswirkung der Presse: „Es ist Tatsache, daß sich der Zwischenfall in Köln ereignete, und zwar zu Weihnachten, kurz nachdem der Kanzler das neue Synagogengebäude feierlich übergeben hatte und sich die öffentliche Aufmerksamkeit weit und breit darauf richtete, und die Folgezeit, zwischen Weihnachten und Neujahr, als es durch die Presse der ganzen Welt ging. Die Leute suchten Bilder von der Schändung, und dann machten sie es nach. Über jeden Zwischenfall in der ganzen Welt wurde bis ins kleinste Detail berichtet, und das in der Zeit vom 26. Dezember bis zum 4. Januar, in der es bekanntlich meist wenig Neues zu berichten gibt; und da wurden diese Ereignisse zu Sensationen. Und so zeitigten sie eine Art Schneeball-Effekt der Wiederholung, der Nachahmung, und ich glaube, daß das bestimmt eine Rolle spielte. Damit wollen wir nicht die Presse kritisieren, weil wir durchaus Verständnis haben für die verantwortliche Aufgabe der Presse, über die Dinge zu berichten, wie sie sich ereignet haben. Die Frage ist nur, ob man bei der Wiedergabe all dieser vielen Zwischenfälle auf die rechte Proportion in der Bewertung der einzelnen Fälle geachtet hat.“40

Auch eine Verschärfung der bestehenden Gesetzgebung oder eine explizit gegen Antisemitismus gerichtete Neugesetzgebung lehnte Epstein im gleichen Interview ab. Trotz seines sicher zutreffenden Hinweises auf Nachahmungstäter gab es allerdings bereits ein Jahr vor den Kölner Vorfällen durchaus Indizien für einen Zusammenhang mit kommunistischen Aktivitäten. Ein gefaßter Täter namens Helmut Klier, der im Januar 1959 Hakenkreuze auf der Düsseldorfer Synagoge plaziert hatte, stellte sich laut Staatsanwaltschaft als Kommunist heraus, wie überhaupt die antisemitischen Vorfälle aus der DDR gesteuert würden. Mit Klaus Walter wurde am 11. Januar 1960 ein weiterer Täter auf frischer Tat gefaßt, der im Auftrag der FDJ in West-Berlin ein Plakat anbringen sollte, das die Hakenkreuzmalereien als Gemeinschaftsproduktion Konrad Adenauers, Hans Globkes und Theodor Oberländers darstellte.41 Die politische Interessenlage war eigentlich eindeutig. Auch die Quellenlage der Regierung Adenauer war eigentlich eindeutig. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß konnte dem Auswärtigen Amt geheimdienstliches Material schicken, aus dem hervorging, daß das ZK der SED im Januar 1959 beschlossen hatte, Aktionskommandos in die Bundesrepublik zu schicken. Strauß leitete auch die Äußerungen von leitenden SED-Funktionären wie diese zum AA weiter: „Jetzt machen sich die Tausende in die BRD eingeschleusten Gewährsleute bezahlt, deren Einsatz so oft auch in den eigenen Reihen als zu kostspielig kritisiert wurde.“42 Dennoch zeigte sich das politische System der Bundesrepublik schnell als unfähig, solche Informationen und die daraus folgende Erkenntnis aufzunehmen und zu verbreiten. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hendrik G. van Dam, erklärte jede mögliche östliche Steuerung für Nebensache und wurde von der Presse zitiert: 40 Interview mit Benjamin Epstein, nationaler Vorsitzender der ADL der B’nai B’rith, vom 14. Januar 1960, hier zit. n. Emmet, Hakenkreuz, S. 55 f. 41 Vgl. Wachs, Oberländer, S. 255 f. 42 Vgl. Wolffsohn, Akte, S. 22.

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„Ein agent provocateur kann nur in einer entsprechenden Atmosphäre wirksam sein.“43

Das war als Feststellung absolut richtig, beantwortete aber die Frage nicht, ob es sich nicht um mehr als nur einen Provokateur handelte und wer genau der Adressat der Provokation war. Wenn hier wirklich der unzutreffende Eindruck eines tatsächlich nichtvorhandenen antisemitischen Potentials in Deutschland erweckt werden sollte, durfte man diesen Adressaten vorwiegend im westlichen Ausland vermuten. Das sah auch die Atlantik-Brücke so, die sich aus Anlaß der Hakenkreuzwelle mit einem umfangreichen Dokumentations- und Essayband zu Wort gemeldet hatte.44 Dort bekam Hendrik van Dam ebenfalls die Gelegenheit zur Wortmeldung und stellte einen ausgewogenen Beitrag vor, der den Deutschen unter anderem bescheinigte, beim bewußten Wandel ihrer Mentalität versagt zu haben – wie jede andere Nation auch. Dennoch habe ein Wandel wie überall auch in Deutschland stattgefunden, er sei eben unvermeidlich. Es sei ebensowenig möglich, die Chinesen von 1903 mit denen von 1960 zu vergleichen, wie es bei den Deutschen dieser Jahre möglich sei.45 Insgesamt verstand sich der Beitrag der Atlantik-Brücke als Offenlegung sowohl der kommunistischen Hintergründe der Hakenkreuzwelle wie als Dokumentation des tatsächlich erreichten Bildungs- und Demokratisierungsstands in der Bundesrepublik, den Brücke-Vorsitzender Arnold Bergstraesser und Walter Stahl einleitend als gut, aber ausbaufähig bezeichneten.46 Als Autoren konnte ein sehr breites Spektrum an Personen gewonnen werden, dem Ansatz der AtlantikBrücke entsprechend sowohl bundesrepublikanische wie Theodor Adorno, Sebastian Haffner, Georg Eckert, Jürgen Habermas oder Andreas Hillgruber, aber auch angelsächsische wie Oscar Cohen, damals „National Director of Program and Education der Anti-Defamation League of B’nai B’rith“, Sidney Grusen, der Bonner Chefkorrespondent der New York Times und Terence Prittie, sein Kollege vom Manchester Guardian. Die meisten Beiträge wurden nicht speziell für die Veröffentlichung durch die Atlantik-Brücke geschrieben, entstanden aber durchweg zeitnah Vgl. AMJECO, Dilemma, S. 15. Walter Stahl, Education for Democracy in West Germany, New York 1961. Ausdrückliche Bezugnahme auf die Hakenkreuzwelle in der Einleitung von Norbert Muhlen, S. 2. Muhlen hatte „als Journalist und ehemaliger Widerstandskämpfer“ Deutschland 1933 verlassen und mit Publikationen wie „Schacht – Hitlers Magician“ (1935) seinen Beitrag zur publizistischen Bekämpfung des NS-Regimes geleistet. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 75. Er gehörte ebenfalls zum Netzwerk des vom amerikanischen Geheimdienst eingerichteten Kongreß für Kulturelle Freiheit (KKF). Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, passim, bzw. Berghahn, Kulturkriege, S. 154 bzw. S. 169. 45 Vgl. van Dam, The Germans Cannot Afford not to Change, in: Stahl, Education, S. 287 f., ursprünglich erschienen in MAGNUM, April 1960. 46 Vgl. Stahl, Education, S. V. Ab Herbst 1963 beteiligte sich die Atlantik-Brücke an einem Forschungsprojekt des Politikwissenschaftlers Prof. Manfred Wolfson vom Portland State College, das auch von der „Conference on Jewish Material Claims against Germany“ und dem „University Council for Citizenship Education“ gefördert wurde und Fälle der Rettung von Juden in NS-Deutschland untersuchte, „Subkulturen der Freiheit“. Vgl. Kühnhardt, AtlantikBrücke, S. 87 f. 43 44

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1959 / 60 in Verbindung mit den Ereignissen. Sie spiegelten die hektische Reaktion der Medien danach wieder, aber auch die bereits stark auf eine angeblich notwendige neue „Vergangenheitsbewältigung“ fokussierte Debatte vor der Hakenkreuzwelle.47 Der längste Beitrag in diesem Zusammenhang stammte allerdings von Theodor Adorno und war ein unter dem Titel „What Does ‚Digesting of the Past‘ Mean?“ stehender Report vor der „Conference of Educators“ vom 6. / 7. November 1959 in Wiesbaden, die der German Coordinating Council of Societies for German-Jewish Cooperation arrangiert hatte. Adorno gab einen recht umfassenden geschichtlichen Überblick über seine Sicht auf den Nationalsozialismus, der letztlich ein „system of paranoid mania“ repräsentiert habe. Da Adorno von den politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Verhältnissen, unter denen der Nationalsozialismus existiert hatte, weder eine Ahnung hatte, noch eine Ahnung haben wollte, stellte er in von ihm gewohnter Weise schließlich die Psychologisierung der intellektuellen Debatte in der Bundesrepublik als Rezept für eine wünschenswerte Geschichtspolitik vor,48 so daß die Psychoanalyse, mit Karl Kraus gesprochen, einmal mehr als die Krankheit auftrat, für deren Heilung sie sich ausgab. Was die Frage nach der aktuellen Situation der Bundesrepublik und deren Bedrohung durch den sowjetischen Totalitarismus anging, so sah Adorno hier in erster Linie ein Problem in einer möglichen Teilrehabilitierung der Hitlscherschen Politik. Es sehe manchmal so aus, als habe der Westen das „Bollwerk gegen den Bolschewismus“ leichtfertig eingerissen, nur um es ein paar Jahre später wieder aufzubauen. Dieser Eindruck konnte in der Tat insofern innenpolitische Rückwirkungen haben, als die Überlebenden der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft aus dieser Argumentation eine Rechtfertigung ihrer damaligen Haltung ziehen konnten. Diese Schlußfolgerung wäre rational gewesen, ebenso wie die objektive Ergründung der Hakenkreuzwelle als Folge geziel47 Nachdem sie in den 1960er Jahren mit Hilfe der ADL und des AJC auch im Rahmen der Hakenkreuzaffären dazu beigetragen hatte, die größten Aufregungen aus dem deutsch-jüdischen Verhältnis zu nehmen, schwenkte die Atlantik-Brücke in der zweiten Hälfte der 1980er offenbar um und beteiligte sich jetzt daran, die „Vergangenheitsbewältigung“ neuer Art ins Zentrum deutsch-amerikanischer Beziehungen zu rücken. Nach einer gemeinsamen Erklärung von Walter Leisler Kiep und AJC-Präsident Theodore Ellenoff wurde 1987 eine Konferenz von AJC und Atlantik-Brücke veranstaltet, die mehr als vierzig Jahre nach Kriegsende und nach fünfunddreißig Jahren guter Zusammenarbeit „den Anfang eines nicht einfachen Dialogs“ darstellte. Es folgten regelmäßige Seminare für „Holocaust-Lehrer“ und die Erweiterung der Lehrpläne in öffentlichen US-Schulen um das Holocaust-Thema als Ergebnis dieser gemeinsamen Initiative, die auch vom Armonk Institute for the Promotion of German / Jewish Relations unter seinem Direktor William S. Trosten mitgetragen wurde. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 246 f. 48 Vgl. Stahl, Education, S. 95. In diesem Zusammenhang stritt er im Gegensatz zu seinen eigenen früheren Ansichten auch die These ab, es könnte einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und dem realen Verhalten von Juden geben. Ebd. Stahl, Education, S. 98. Vor 1945 hielt Adorno ein Projekt zur Erforschung jüdischer Psychologie durch für nötig, da Eigenschaften beobachtbar seien, die Feindseligkeiten bewirken könnten. Vgl. Wiggershaus, Schule, S. 407 f.

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ter Machenschaften. Hinter beidem sah Adorno die politische Gefahr. Die Bewußtseinsbildung der deutschen Gesellschaft mußte „demokratisch“ gefestigt sein, und das hieß in seinen Augen erstaunlicherweise, sie sollte irrational und schuldbezogen sein, ohne daß der Schuldbegriff je wirklich näher bestimmt wurde.49 Öffentlich kommunizierbar war dies nur auf der Ebene der Psychoanalyse und der Vorweisung widersprüchlicher Behauptungen als „Dialektik“.50 Für sich selbst aber überbrückte Adorno die Brüche in dieser Begründung buchstäblich mit einem Blutmythos: „Nachdem 6 Millionen ermordet worden sind, geht es mir wider den Strich, mich über die Manieren der paar Überlebenden, die mir im übrigen auch nicht zu gefallen brauchen, aufzuhalten. Dazu kommt, daß die 50 % Goj in mir sich irgendwie an der Judenverfolgung mitschuldig fühlen und daß ich deshalb ganz besonders allergisch auf alles reagiere, was gegen das auserwählte Volk gesagt wird.“51

Dieses Denken in Annahmen, die im Kern eigentlich rassistischen Charakter hatten, zog sich in manchen Abwandlungen durch Adornos Gedankengänge und führte während und nach dem Krieg in Bezug auf die „100 % Goj“-Deutschen zu Rachephantasien gröbster Art, die er seinen Eltern auch mitteilen zu sollen glaubte: „Denn ich habe nichts gegen die Rache als solche, wenn ich auch nicht deren Exekutor sein möchte – nur gegen deren Rationalisierung als Recht und Gesetz. Also: möchten die Horst Güntherchen in ihrem Blut sich wälzen, und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden, mit Vorzugsscheinen für die Juden.“52

Eineinhalb Jahre später war es dann Anfang Mai 1945 soweit: „Aber nein, sie können nicht mehr und alles ist eingetreten, was man sich jahrelang gewünscht hat, das Land vermüllt, Millionen von Hansjürgens und Utes tot, wahrscheinlich dem Volk das Genick gebrochen, so daß es als Subjekt aus der Weltgeschichte ausscheidet wie die Kartharger nach dem zweiten punischen Krieg.“53

Angesichts dessen dürfte es Adorno einiges an Selbstdisziplin gekostet haben, während seiner späteren Tätigkeit in der Bundesrepublik stets den habituell bürgerlichen Moralisten und Analytiker zu geben, während um ihn herum das Land zu neuem Leben kam, wenn schon nicht als Subjekt, so doch wenigstens als wohlhabendes Objekt der Weltpolitik. Auch auf seine panische Reaktion, als die Inges und Utes nicht sämtlich den polnischen Bordellen und dem Tod hingegeben waren, sondern ihn 1969 mit nackten Brüsten in den Lehrsälen der Universität Frankfurt heimVgl. Jäger, Adorno, S. 219 f. Dies lag offen und wurde von etlichen Lesern angemerkt, auch von Kollegen wie Horkheimer: „Adorno sagt zu jeder seiner Analysen auch das Gegenteil“, stellte er 1965 fest, tat aber zuvor ebenso wie Adorno vieles, um dilettantische Psychologisierungsdeutungen als „kritische Methode“ zu etablieren und damit weitreichende Aussagen über Gesellschaft und Geschichte zu begründen. Vgl. Jäger, Adorno, S. 251. 51 Zit. n. Adorno, Briefe, S. 353, Brief vom 11. März 1946. 52 Zit. n. Adorno, Briefe, S. 215, Brief vom 26. September 1943. 53 Zit. n. Adorno, Briefe, S. 309, Brief vom 1. Mai 1945. 49 50

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suchten, werfen solche Äußerungen ein erhellendes Licht. „Adorno als Institution ist tot“ verteilten barbusige Studentinnen bei diesem Anlaß als Flugblattparole. Adorno flüchtete aus dem Lehrsaal, kehrte nie zurück und starb wenige Monate später in der Schweiz. Ihn persönlich hatten seine Phantasien eingeholt,54 seine Methoden sollten ihn allerdings überleben und das intellektuelle Leben der Bundesrepublik mit prägen. Diesem Trend zur politisierenden Psychologisierung trug Adornos Institut für Sozialforschung denn auch Rechnung, in dem es eine Umfrage nach den Ursachen der Hakenkreuzwelle von 1960 lancierte und jeden Befragten, der eine Urheberschaft von außen als Grund angab, nicht zu den „Demokraten“ rechnete, sondern zu den „Autoritären“.55 Die Wirkungen dieser Denkart mochten auch bei anderen eine Rolle dabei spielen, daß sich trotz der offensichtlichen Manipulation von östlicher Seite immer mehr der Eindruck eines innenpolitischen Handlungsbedarfs einstellte. Der Bundestagsabgeordnete Dr. Böhm,56 der ebenfalls antisemitische Zuschriften erhalten hatte, ebenso wie die Kollegin Wolff,57 sprach in der Sitzung des Bundestagsausschusses für Wiedergutmachung zwar von einem sicher vorhandenen antisemitischen Potential in der Bundesrepublik. Er wies eher beiläufig zugleich darauf hin, daß sich die jetzt gerade erhaltenen Briefe von den vorhergehenden unterschieden, die er schon immer mal erhalten habe: „Übrigens könne er an den Zuschriften, die er zur Zeit erhalte, eine Art neue Taktik erkennen: sie seien nicht anonym. Man habe offenbar vom Osten gelernt. (sic) Man schreibe unter Deckadressen, um auf diese Weise besser erkennen zu können. Es sei interessant, daß er seit der Übernahme der Leitung der deutschen Delegation in Den Haag keine anonymen Zuschriften mehr erhalten habe, obwohl es doch gerade von diesem Zeitpunkt an nahegelegen hätte. Erst zwei Wochen vor der nunmehrigen Welle in der Öffentlichkeit, sei wieder die erste gekommen. Er glaube nicht, daß es sich bei dieser Sache um eine ganz zentral gelenkte und organisierte Sache handle. Allerdings könne man sie auch nicht spontan nennen.“58

Obwohl also die angewandten Methoden neu, sowie erkennbar die des „Ostens“ waren und die Schreiben an ihn nicht in Abständen kamen, die von seiner aktuellen 54 Elisabeth Noelle-Neumann berichtet in ihren Erinnerungen über Details von Adornos Verhalten, die auf eine gewisse Neigung Adornos deuten, seine Phantasien auch auszuleben. Vgl. Noelle-Neumann, Erinnerungen, S. 195. 55 Vgl. Albrecht, Pädagogik, S. 395. 56 Franz Böhm (1895 – 1977); CDU-MdB; 1936 Privatdozent in Jena; 1938 – 45 wg. Kritik an der Rassenpolitik entlassen und arbeitslos; 1946 – 62 o. Prof. an der Universität Frankfurt; 1952 Leiter der deutschen Delegation beim Vertrag mit Israel und den jüdischen Verbänden. 57 Jeanette Wolff, geb. Cohen (1888 – 1976); SPD-MdB; seit 1920 im Vorstand des Centralvereins dt. Staatsbürger jüd. Glaubens; 1933 – 35 inhaftiert; 1941 mit der Familie nach Riga deportiert, dort Tod des Ehemanns und zweier Kinder; 1952 – 61 MdB; 1965 – 1975 stellv. Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. 58 Böhm in der Sitzung des Wiedergutmachungsausschusses am 14. Januar 1960, hier zit. n. BA-KO, B 168 / 368, Protokoll S. 3.

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Tätigkeit abhingen, wollte Böhm nicht an eine zentrale Lenkung aus anderem Grund glauben. Doch auch für den Januar 1960 konnten Täter nachgewiesen werden, die nach dem Muster der späteren DDR-Kampagne aus dem Jahr 1961 vorgingen.59 Der amerikanische Senator Thomas Dodd stellte vor diesem Hintergrund vor dem Senat die Frage, ob „die Kommunisten hinter dieser Epidemie stehen“ und wies auf die aktuellen Verhältnisse hin. In der Sowjetunion lebten demnach drei Millionen Juden unter Bedingungen, „die man nur als physischen und kulturellen Völkermord bezeichnen kann.“60 Alles was noch fehle, seien Gaskammern, aber dafür gebe es Deportation und Hinrichtungskommandos. Dies alles sei eine Konsequenz aus der kommunistischen Ideologie, aus marxistischer Theorie wie aus Chruschtschower Praxis.61 Im übrigen seien auch die USA vor Antisemitismus nicht sicher, denn „seit Weihnachten letzten Jahres wurden etwa 70 Synagogen in den USA geschändet und eine Anzahl jüdischer Friedhöfe verwüstet.“62 Dies allerdings seien nun keine Kommunisten gewesen, sondern tatsächlich Mitglieder neonazistischer Jugendklubs. Das Büro für Auslandsinformation in Bad Godesberg sorgte dafür, diese relativierenden Einstufungen eines amerikanischen Senators in deutscher Übersetzung zu verbreiten. Für die Tat in Köln wurden zwei Mitglieder der Deutschen Reichspartei verurteilt, die allerdings offenbar die einzigen von mehr als tausend Tätern blieben, bei denen als Parteimitgliedern rechtsextremistische Kontakte nachgewiesen werden konnten.63 Die Deutsche Reichspartei sprach von kommunistischer Unterwanderung und schloß die beiden aus. Auch die Bundesregierung einschließlich des Kanzlers Konrad Adenauer und des Nachrichtendienstes, dem Amt Gehlen, glaubten an eine vom realsozialistischen Block aus gesteuerte Kampagne.64 Dies schloß auch die Opposition ausdrücklich nicht aus, hielt es jedoch für einen weniger wichtigen Punkt, wie Carlo Schmid für die SPD-Fraktion im Bundestag ausführte, der sogar eine Art Mehrwert für die kommende Politik erkennen wollte: „Man hat die Frage aufgeworfen, ob es sich um gesteuertes Tun handele. Ich weiß es nicht, vielleicht ist das der Fall. … Auf jeden Fall war nicht alles gesteuert, was geschehen ist. … 59 So ging einem jüdischen Geschäftsmann in Italien ein Brief in deutscher Sprache mit dem Inhalt „Juden raus“ zu. Als Absender konnte ein Mitglied der kommunistischen Partei Italiens ermittelt werden. Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 56. 60 Vgl. Dodd, Hakenkreuz-Epidemie, S. 5. 61 Tatsächlich hatte sich Chruschtschow in einem Interview 1956 bis zur Behauptung verstiegen, daß die Sowjets eine jüdische Besiedlung der Krim nach 1945 nicht wollten, da die Krim „dann im Fall eines Krieges zum Stützpunkt eines Angriffs gegen die Sowjetunion werden würde.“ Vgl. Dodd, Hakenkreuz-Epidemie, S. 41. 62 Vgl. Dodd, Hakenkreuz-Epidemie, S. 42. 63 Ihre Namen, Arnold Strunk und Paul Schönen, sind stets die einzigen, die in der politikwissenschaftlichen Literatur zu den Hakenkreuzschmierereien angegeben werden. Eine genauere Rekonstruktion des biographischen Hintergrundes der übrigen Verurteilten ist offenbar unterblieben. 64 Vgl. Kabinettsprotokolle, bzw. Bundesregierung, Vorfälle, S. 60 f.

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Ich gestehe Ihnen, ich bin ganz froh, daß die Kölner Halbstarken diese sogenannte ‚Welle‘ ausgelöst haben. Nun sehen wir besser, vollständiger und tiefer in den trüben Spiegel einer Vergangenheit, von der offenbar einige Narren glauben, sie habe eine Zukunft.“65

Anhaltspunkte für eine Fernsteuerung lieferten auch die beiden angeblichen Rechtsextremisten Strunk und Schönen, denen gemeinsame Reisen in die „sowjetische Besatzungszone“ nachgewiesen werden konnten, wie die DDR im Bericht der Bundesregierung noch genannt wurde. Sie hatten diese Reisen zum Teil mit angeblich „republikflüchtigen“ Bekannten unternommen, hatten Kontakt zu SED-Mitgliedern aufgenommen, SED-Abzeichen erworben und diese Abzeichen auch in der Bundesrepublik getragen. Wenige Wochen vor den Vorfällen, im Herbst 1959, war Paul Schönen erneut in die DDR gereist. Die Angaben der beiden über den angeblich fehlenden Kontakt zu den Staatssicherheitsorgnisationen der DDR bei diesen Reisen würden „allen bisherigen Erfahrungen widersprechen“, so die Bundesregierung.66 Diese Feststellung lag in der Tat sehr nah, auch andere Indizien deuteten in diese Richtung.67 Der politische Ausbeutungswert dieser Ereignisse nützte jedenfalls in der Tat der Opposition zur Regierung Adenauer, selbst der innerparteilichen. Der CDU-Abgeordnete Erik Blumenfeld forderte schnelle und harte Maßnahmen wegen der Hakenkreuze und „die Entfernung ehemals führender oder politisch belasteter Träger nazistischer Gesinnung“. Das zielte auf Theodor Oberländer, gegen den sich zeitgleich auch eine Kampagne der DDR richtete. Blumenfelds Freund Gerd Bucerius nannte neun Tage später in der ZEIT auch dessen Namen und forderte seinen Rücktritt.68 Adenauer hatte das immer abgelehnt. Er erhielt für diese Position ausdrücklich Unterstützung vom American Council on Germany, der in seiner Broschüre zu den Hakenkreuzfragen daran erinnerte, daß Oberländer 1946 mit Billigung der amerikanischen Besatzungsbehörden von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ins bayerische Kabinett aufgenommen worden sei und außerdem gute Dienste bei der politischen Bewältigung der Vertriebenenfrage geleistet hatte.69 Die Umgestaltung des deutschen Hochschulwesens und die umfassende Politisierung des bundesdeutschen Alltags in steter Abwehr gegen vermuteten Rechtsextremismus verdanken den Hakenkreuzaffären einen entscheidenden Schub: 65 Zit. n. BA-KO B 106 / 54121, Akten der KBB, darin gedrucktes Protokoll der Bundestagssitzung vom 18. Februar 1960, hier S. 5582. In gleichem Sinn die Äußerungen des Abgeordneten Jahn (Marburg) in der Sitzung des Wiedergutmachungsausschusses am 14. Januar 1960, hier zit. n. BA-KO, B 168 / 368, Protokoll S. 4 f. 66 Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 56 f. 67 J. Barron spricht unter Berufung auf Agentenaussagen von einer Aktion des sowjetischen KGB. Vgl. Barron, KGB, S. 221 ff. Vor dem Bundestag gab Innenminister Schröder weitere Fälle bekannt, in denen Täter nach Aufenthalt in der DDR Hakenkreuze an Gebäude gemalt hatten. Vgl. BA-KO B 106 / 54121, Akten der KBB, darin gedrucktes Protokoll der Bundestagssitzung vom 18. Februar 1960, S. 5575. 68 Vgl. Bajohr, Blumenfeld, S. 134 f. 69 Vgl. Emmet, Hakenkreuz, S. 38.

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„Aus Protest gegen die antisemitischen Schmierereien fanden in zahlreichen bundesdeutschen Städten Demonstrationen statt, die in der Regel von den demokratischen Jugendverbänden und den Gewerkschaften organisiert wurden. Neben diesen Massendemonstrationen entwickelten sich in größerem Maße Formen direkter Auseinandersetzung mit der DRP. Insgesamt gesehen setzten die Schmierwellen einen kurzfristigen Politisierungseffekt frei, dessen langfristige Folgen im Bereich der politischen Bildungsarbeit, in der jährlichen Veröffentlichung der Verfassungsschutzberichte und in den neuen politischen Auseinandersetzungsformen mit dem organisierten Rechtsextremismus zu sehen sind.“70

Angesichts solcher Einschätzungen kam man um die Schlußfolgerung kaum herum, daß es der Politikwissenschaft nicht gelang, den aktuellen politischen Hintergrund der Schmierereien zu ermitteln und ihm Rechnung zu tragen. Die wenigstens in der zweiten Welle – wahrscheinlich aber auch in der ersten – geheimdienstlich manipulierten Vorfälle wurden statt dessen unzutreffenderweise einer rechtsextremistischen Grundströmung zugeordnet und führten zu wesentlichen Eingriffen in das Verfassungsleben und die politische Bildung der Bundesrepublik. Dies stellt dem intellektuellen und politischen Wert der bundesdeutschen Zeitgeschichte und Politikwissenschaft kein gutes Zeugnis aus.71 Das Weißbuch der Bundesregierung zum Thema enthielt ein Vorwort von Innenminister Gerhard Schröder, das an dieser Stelle bemerkenswert ist, denn es enthält einige Angaben zu den Anstrengungen, die von Seiten der Bundesregierung zu dieser Zeit mit Blick auf die politische Bildung gemacht wurden. Schröder verwies auf die Bundeszentrale für Heimatdienst und das Institut für Zeitgeschichte als die beiden Institutionen, mit deren Hilfe der Bund auf Schule und Erziehung einwirken konnte und wollte. Grundlegend für deren Arbeit seien zwei Tagungen von Historikern, Soziologen, Theologen und Psychologen in den Jahren 1952 und 1953 gewesen.72 Auf Basis dieser Tagungsergebnisse hätte die Bundeszentrale eine ganze Reihe von Arbeitsgemeinschaften, von Kursen und Seminaren an den Evangelischen Akademien, an den Katholischen Sozialinstituten und anderen Bildungszentren gefördert. Außerdem verbreitete die Bundeszentrale laut Schröder folgende „Massenveröffentlichungen“: „Sonderbeilagen – besonders in Kunden- und Sportzeitschriften (sic) – über die Geschichte des Judentums in einer Auflage von rd. 1 Million; Sonderseiten des ‚Kath. Lesebogens‘ und der ‚Neuen Bildpost‘ in Auflagen bis zu 1 / 2 Million; Lesezirkel-Veröffentlichungen zum Thema ‚Vorurteile‘ in Auflagen bis zu 300 000 Stück; Herstellung und Verbreitung der Broschüre der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema ‚Reichskristallnacht‘ in einer Auflage von 50 000 Stück.“73

Zit. n. Dudek, Rechtsextremismus, S. 270. Michael Wolffsohn erwähnt Hans-Peter Schwarz als einzigen Historiker, der die Hakenkreuzmalereien richtigerweise der Staatssicherheit zuordnete. Vgl. Wolffsohn, Akte, S. 115. 72 Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 7 f. 70 71

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Darüber hinaus, so Schröder habe die Bundeszentrale für Heimatdienst eine „stattliche Reihe“ von Büchern finanziert, darunter Gerhard Reitlingers ‚Endlösung‘ und Eva Reichmanns ‚Flucht in den Haß‘: „Man kann wohl sagen, daß eigentlich alle auf diesem Gebiet beachtlichen Bücher überhaupt erst durch die Unterstützung des Bundes herausgebracht werden konnten.“74

Man habe auch in der Wochenzeitschrift „Das Parlament“ Dokumente zur Judenpolitik des Dritten Reiches abgedruckt und in Auflage von 80 000 an alle Schulen verteilt. Auch der Film als Medium war nicht vergessen worden, wurde er doch ohnehin seit 1945 aufgrund seiner Attraktivität als gegebenes Mittel zur Verbreitung von nachrichtenartigen Informationen eingesetzt. In Zusammenarbeit der britischen mit den amerikanischen Besatzungsbehörden, dann seit 1950 zentral von HICOG gemanagt, wurde beispielsweise bis 1952 die Wochenschau „Welt im Film“ vor jedem Filmstart in deutschen Kinos gezeigt: „Ob sie wollten oder nicht, die Millionen von Deutschen Kinobesuchern mußten sich „Welt im Film“ ansehen, wenn sie nicht in der Zwischenzeit die Augen schlossen. Tatsächlich gewann die Sache aber wegen der guten Technik und den interessanten Themen sogar eine beachtliche Popularität.“75 Weniger zur Popularität, aber auch zur Förderung einer neuen Perspektive auf die Kriegszeit wurden von der Bundesregierung etwa einhundert Kopien von Serge Klarsfelds „Nacht und Nebel“ verbreitet und ebenso viele von dem Dokumentarfilm „KZ-Schergen“.76 Die Dokumentation der Kultusministerkonferenz sprach zwei Jahre später dann von achtzig Filmen, die entweder gefördert oder ganz auf eigene Kosten hergestellt worden seien und nannte als weitere Beispiele „Demagogie“ sowie „Land und Volk Israel“.77 Schließlich, so beendete Schröder den Abschnitt über die Bundeszentrale für Heimatdienst, sei die Biographie „Hitler“ des Oxforder Historikers Alan Bullock „den Geschichtslehrern sämtlicher höherer 73 Zit. n. Bundesregierung, Vorfälle, S. 8. Ein Jahr vor den Hakenkreuzaffären hatte ein Bericht der BfH als vorliegende Broschüren Gramls „Reichskristallnach“, die GersteinBerichte, Adler “Kampf gegen die Endlösung der Judenfrage“, Salus „Eine Frau erzählt“, Wulf „Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau“ aufgezählt, dazu vier weitere, teilweise vergriffene. Vgl. BA-KO B 168 / 368, Bericht der BfH vom 9. Januar 1959. Ein anliegender Vermerk von Dr. Jacobsen behauptete, Antisemitismus würde am besten durch Abscheu bekämpft, der sich erzeugen lasse, wenn „man die Menschen immer wieder mit den Unmenschlichkeitsfakten der Judenverfolgung im Nazireich konfrontiert.“ Dies war eine Absage an die Jahre zuvor ins Auge gefaßte subtile Überwindung von Vorurteilen im Stil Horkheimers. 74 Zit. n. Bundesregierung, Vorfälle, S. 8. 75 Zit. n. Zink, Germany, S. 243. Der Film hatte bereits ein zentrales Medium der Umerziehung in den Kriegsgefangenenlagern dargestellt, wo dem Durchschnittsdeutschen im Schnitt mehr als eine Vorführung pro Woche gewidmet wurde. Vgl. Schmidt, Programs, S. 116. 76 Im November 1945 fand in Bad Homburg eine erste Preview des KZ-Dokumentationsfilms „Todesmühlen“ statt, wobei in dieser Phase noch intensiver diskutiert wurde, inwieweit solche Filme zur Aufführung oder Aufklärung geeignet waren. Vgl. Speier, Journal, S. 30 f., Eintrag vom 14. November 1945. 77 Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 90.

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Schulen vor einigen Monaten zugestellt“ worden.78 Auch hier ergänzte die KMK zwei Jahre später die Beispielliste jener Bücher, die alle Geschichtslehrer erhalten hatten, um: Golo Mann: Der Antisemitismus Heinrich Siegler: Zusammenschlüsse und Pakte der Welt auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet Gerhard Binder: Lebendige Zeitgeschichte 1890 – 1945 Gerhard Binder: Epoche der Entscheidungen.79

Insgesamt stellte Innenminister Schröders Vorwort trotz der genannten Zahlen kaum einen erfolgreichen Versuch dar, die politische Arbeit der Bundesregierung vor Kritik zu schützen.80 Er wies zugleich auf zahlreiche Schwierigkeiten hin, darunter den noch nicht vollständigen Forschungsstand zur NS-Zeit, das fehlende Gesamtkonzept einer politischen Bildung und anderes mehr und kündigte schließlich die Einberufung einer neuen Kommission aus „Pädagogen und Theologen, Historikern und Vertretern der politischen Wissenschaft“ an, von der sich die Bundesregierung beraten lassen wolle.81 Da war sie nun, die „politische Wissenschaft“, die bei den eingangs von ihm erwähnten Tagungen 1952 / 53 noch nicht dabeigewesen war. Zu den Reaktionen auf die Hakenkreuzschmierereien zählte auch die Gründung verschiedener Publikationsorgane, die ihre Gründungsrechtfertigung unmittelbar aus dieser Affäre bezogen,82 so etwa die ‚Tribüne‘, die „Zeitschrift zum Verständnis 78 Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 9. Seit 1960 fungierte Bullock auch als Berater bei der Edition der Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik. 79 Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 89. Gerhard Binder ist heute praktisch vergessen. Seine Schriften waren zu Beginn der 60er einflußreich, darunter etwa: „Politik als Aufgabe – Eine Staats- und Gesellschaftskunde, vor allem für Studenten der Pädagogischen und Technischen Hochschulen, Höheren Fachschulen und Fachschulen“, Berlin 1964. Ebenfalls durch die BfH durch eine Sonderausgabe von 25.000 Stück gefördert: Hermann Mau „Geschichte der jüngsten Vergangenheit“. Vgl. BA-KO B 106 / 54123 – Bericht Krausnick über die Arbeit des IfZ vor der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen politischer Bildung vom 30. Januar 1961. 80 Der Druck und die Verteilung von Massenbroschüren gehörte zu dieser Zeit zu den üblichen Vorgehensweisen im Rahmen der Vergangenheitspolitik. So hatte die amerikanische Hochkommission zur Rechtfertigung der Kriegsverbrecherprozesse und der andauernden Inhaftierungen von verurteilten Deutschen im Jahr 1951 eine Broschüre in Auflage von 782.000 Stück herstellen lassen und verschickte davon 16.000 Exemplare an die Kirchen, 3000 an jüdische Gemeinden in Deutschland, 79.000 an Jugendverbände und 200.000 an Gewerkschaftskreise. Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 46 f. Andere Prozesse beförderten auch die Auflagen der Literatur über den anti-nationalsozialistischen Widerstand. So gab die Deutsche Botschaft in Washington 1961 als „Antidot gegen den Eichmann-Prozess“ den Neudruck von 5000 Exemplaren der englischen Ausgabe von Hans Rothfels Studie über den deutschen Widerstand in Auftrag. Vgl. BA-KO N 1213 / 4, Nachlaß Rothfels, Schreiben von Rothfels an Botschaftsrat Caspari vom 21. 2. 1961. 81 Vgl. Bundesregierung, Vorfälle, S. 18.

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des Judentums“. Die Herausgeber weisen darauf hin, daß „die Schändung der Kölner Synagoge und sich daran anschließende antisemitische Vorfälle … den dramatischen Beweis erbrachten, daß Antisemitismus auch ohne Juden existent ist. Diese Erkenntnis war eine der wesentlichen Motivationen, (die) Tribüne … zu gründen.“83 An vielen Stellen des bundesrepublikanischen Alltags der politischen Bildung und der rechtlichen Auseinandersetzungen finden sich solche Spuren der Hakenkreuzaffäre. Wie gesagt, resultieren der regelmäßige Verfassungsschutzbericht und der Volksverhetzungsparagraph aus diesem Zusammenhang. Als Vorläufer der Verfassungsschutzberichte kann der aus Anlaß der Hakenkreuzaffäre seit 1962 jährlich in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichte Bericht des Bundesinnenministeriums über „Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen“ gelten. Er trat den Spekulationen über zehntausende angeblich rechtsradikaler Jugendlicher zunächst für das Jahr 1961 entgegen und bezifferte die Zahl der damals Rechtsradikalen mit etwa 2300.84 Dennoch trugen diese Berichte offenbar nicht dazu bei, die Aufregung über die manipulierten Vorfälle und die überzogenen Befürchtungen zu verringern. Der Volksverhetzungsparagraph wurde 1960 in das Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem unter dem Eindruck der Vorfälle im Januar 1960 ein entsprechendes Gesetz im Bundestag beraten und verabschiedet worden war. Der direkte Zusammenhang zu den Vorfällen kam auch dadurch zum Ausdruck, daß sich der Paragraph ausschließlich gegen antijüdische Haltungen und Taten richtete, was von der SPD-Opposition in der Debatte als Diskriminierung durch Privilegierung und Bruch der Rechtssystematik kritisiert wurde. Sozialdemokrat Adolf Arndt, Jurist und im Dritten Reich selbst als „Halbjude“ zu Zwangsarbeit gezwungen, sprach von einem „JudensternGesetz“.85 Dies änderte nichts daran, daß die besondere deutsche Lage dieses besondere Gesetz nötig zu machen schien. Auch anderweitige juristische Verfolgungsmaßnahmen des Jahres 1960 fanden in einem außenpolitischen Spannungsfeld statt. Die bundesrepublikanische Politik sah sich veranlaßt, die internationale Bildungspolitik als Aufklärung über die eigenen anti-nationalsozialistischen Vorgehensweisen zu gestalten: „Mit allen verfügbaren Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit sollten Amerikaner und Kanadier darüber aufgeklärt werden, daß durch deutsche Gerichte Naziverbrechen nachdrücklich ver82 Daß Karl-Heinz Füssl die bereits 1956 gegründete Zeitschrift „Gesellschaft, Staat, Erziehung“ irrtümlich ebenfalls zu den Neugründungen der Hakenkreuzaffäre rechnet, zeigt deren prägenden Einfluß. Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 269. 83 Vgl. http: // www.tribuene-verlag.de / Konzept.htm – eingesehen am 28. Februar 2010. 84 Vgl. BMI, Bericht, S. bzw. Knütter / Winckler, Verfassungsschutz, S. 40. Zur Bekämpfung dieser Radikalismen durch politische Bildung gab die Bundesregierung 1962 laut Haushaltsplan 178.998.400,– DM aus, den bei weitem größten Einzelposten stellte die politische Bildung im Ausland dar: 51.000.000,– DM, wozu noch Mittel aus dem Geheimfonds des AA kamen, dessen 6.000.000,– DM allerdings nur zum kleinen Teil in die Bildung gingen. Vgl. BA-KO B 106 / 54123, Anlage zum Protokoll der 3. Arbeitssitzung der KBB. 85 Vgl. Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 156.

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folgt wurden und daß auch der Eichmann-Prozeß nicht zuletzt im Interesse einer klaren Scheidung zwischen Deutschen und Nazis begrüßt wird.“86

Die Erstellung eines Weißbuchs zum Thema Strafverfolgung von NS-Tätern schlug auch das deutsche Generalkonsulat in New York vor, denn die dortigen Diplomaten befürchteten ebenfalls Spannungen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Es waren amerikanisch-jüdische Organisationen wie B’nai B’brith und andere gewesen, die diese und andere Maßnahmen von sich aus angeregt hatten.87 In der Tat sollte ein solches Weißbuch dann auch erarbeitet werden.88 Damit wurden diese Anregungen aufgenommen, inwieweit und wem sie dienlich waren, mag dahingestellt sein, denn die Broschüre zum Thema öffnete auch die Tür für Fragen, warum nicht mehr Täter verurteilt worden waren und die Verurteilten nicht härter. Die Auseinandersetzung um die Strafverfolgung von NS-Tätern gehörte zum Standardprogramm der nächsten Jahrzehnte in der BRD, die Aussetzung der geltenden Verjährungfrist für Mord zu jenen Begebenheiten, bei denen die durch den USA-Aufenthalt geprägten Staatsrechtler die dort kennengelernten Methoden erfolgreich einsetzen konnten. Am 22. Dezember 1961 schrieb der American Council on Germany89 an Hans Rothfels. Das Mißtrauen gegenüber dem neuen Deutschland sei in den USA gewachsen, die öffentliche Meinung in den USA auf die Berlin-Krise und den Eichmann-Prozess fokussiert. Der Council fügte bei, was ihm zum Nachweis dieser Stimmung geeignet schien, und erwähnte ganz besonders die HakenkreuzAffären: „Alle bedeutenden Amerikanisch-Jüdischen Organisationen, wie etwa das American Jewish Committee, die Anti-Defamation League, die Loge B’nai B’brith und der American Jewish

86 Aufzeichnung Referat 305, 29. Dezember 1960, PA AA Ref. 305, Bd. 139, hier zit. n. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 342. 87 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 342 f., Federer an AA vom 3. Februar 1961, BA B 305 / 904, dort auch weitere Aufzeichnungen in dieser Richtung. 88 Vgl. Brochhagen, Vergangenheitsbewältigung, S. 343, bzw. PA AA VII Bd. 1037, Dillinger (Bundesjustizministerium) an AA vom 24. Februar 1961. Die Broschüre über „Die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ erschien 1964. 89 Damals Präsident George N. Shuster, Vize: John McCloy, Executive Vize: Christopher Emmet, Schatzmeister Eric M. Warburg, viele bekannte Mitglieder auf dem Briefbogen aufgeführt, darunter: den bekannten Journalisten und Deutschlandspezialisten Louis P. Lochner und Fritz E. Oppenheimer. Repräsentant in Europe: Marcia L. Kahn. BA-KO N 1213 / 4. Fritz E. Oppenheimer, mehrfach verwundeter Kriegsfreiwilliger, Jurist, mußte 1933 wegen rassischer Verfolgung seine Kanzlei schließen, behielt aber die Anwaltszulassung; 1937 Emigration nach London, 1940 in die USA, seit 1943 in der US-Armee und juristischer Berater der Regierung, Mitglied der US-Delegation bei der Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai 1945, juristischer Berater von General Clay, gilt als Mitschöpfer der Entnazifizierung und „Vater der Entnazifizierungsbestimmungen“. Vgl. Kempner, Nachruf auf Oppenheimer, hier zit. n. Stiefel, Juristen, S. 131.

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Congress billigen die Maßnahmen, die von der deutschen Regierung gegen die Schurken ergriffen wurden.“90

Dennoch sah der Council bedenkliche Tendenzen und führte als Beleg eine Reihe von Veröffentlichungen an, so etwa William Shirers Bestseller über „The Rise and Fall of the Third Reich“, das die Kollektivschuldthese vertrete.91 Dem sei eine Reihe von „anti-german books“ gefolgt und eine Reihe von Fernsehprogrammen und Filmen, von denen Stanley Kramers „Judgment at Nuremberg“ „the most devastating and distorted“ gewesen sei, was sicher dazu beitrug, ihn in den Folgejahrzehnten zu einem steten Bestandteil des bundesdeutschen Fernsehprogramms werden zu lassen. Das alles würde die Distanz zwischen den USA und der Bundesrepublik vergrößern und letztlich politisch der Sowjetunion nützen. Regisseur Kramer selbst, so führte Emmet in einem begleitenden Aufsatz aus, habe einen kommunistischen Hintergrund, aber davon werde nicht mehr gesprochen, weil es nach „McCarthyismus“ rieche.92 Der Council selbst habe die Tatsachen hinter den Hakenkreuz-Affären aufdecken wollen und im Dezember 1960 „The Vanishing Swastika“ veröffentlicht (Henry Regener Company), der Council habe auch eine Schrift über „Germany’s Democracy in Perspective“ herausgebracht, basierend auf einem Radiointerview von Max Horkheimer und Professor Ferdinand Hermens, sowie eine Schrift „Education for Democracy“ von Dr. Walter Stahl, dem Executive Secretary der Atlantik-Brücke.93 Das Tauziehen um das richtige und politisch wünschenswerte Bild von der Lage der deutschen Nation ging auf allen politischen und kulturellen Ebenen weiter. Um dies in den Griff zu bekommen und effektiver werden zu lassen, stand der Vorschlag einer zentralen Koordination der politischen Bildungsarbeit der Bundesregierung im Raum. 90 BA-KO N 1213 / 4, Schreiben von Emmet an Rothfels vom 22. Dezember 1961, Beilage betreffs der Aktivitäten des American Council on Germany in 1960 – 1961. 91 Shirer legte bald noch nach und behauptete 1961 in der Zeitschrift „Look“ (Auflage 7 Millionen), „Hitlers Geheimpläne für ein Terrorregime in England mit eigenen Augen gesehen zu haben“. Auf dieser Basis phantasierte er in „Look“ über ein NS-Terrorregime im eroberten Nordamerika. Vgl. BA-KO N 1213 / 4, Kopie eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21. 12. 61, verfasst von Sabina Lietzmann. Ähnlich erfolgreich war zu dieser Zeit ein Buch namens „The New Germany and the Old Nazis“ von einem Tete H. Tetens, der ein „gebürtiger Deutscher“ und seit 1935 aus dem Exil heraus anti-nationalsozialistisch publizierte. Die Richtlinien für die politische Bildung an deutschen Schulen sahen den Themenkomplex „Kollektivschuld-Kolektivhaftung“ 1960 / 61 nur gelegentlich vor, nicht zwingend. Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 57. 92 BA-KO N 1213 / 4, Schreiben von Emmet an Rothfels vom 22. Dezember 1961, beiliegender Aufsatz von Christopher Emmet über „A New Threat to Unity on Berlin“, hier Seite zwei. 93 Stahl gelang nach 1945 eine transatlantische Musterkarriere. Jahrgang 1914, geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde Generalsekretär des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, 1952 – 83 Geschäftsführer der Transatlantik-Brücke. Vgl. Kühnhardt, Atlantik-Brücke, S. 31. Vgl. BA-KO N 1213 / 4, Schreiben von Emmet an Rothfels vom 22. Dezember 1961, Beilage betreffs der Aktivitäten des American Council on Germany in 1960 – 1961.

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3. Die gescheiterte Heilung der Nation „Zu den Gemeinsamkeiten von einigen sehr prominenten Politikwissenschaftlern in Deutschland gehört diese: Sie produzieren nichts.“ Alfred Grosser94

Zu den weiteren Konsequenzen aus den Hakenkreuzvorfällen gehört wie gesehen eine starke Aufwertung der Politikwissenschaft als Leitinstrument der politischen Bildung und der Bildung überhaupt. Diese Aufwertung erreichte die höchste politische Ebene durch die Einrichtung einer „Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung“ (KBB). Sie wurde in der Erklärung der Bundesregierung über die „antisemitischen Vorfälle“ am 18. Februar 1960 vor dem Bundestag angekündigt, im Bundeskabinett besprochen und konstituierte sich schließlich am 7. November 1960 in Anwesenheit des Bundeskanzlers Adenauer und des Bundesinnenministers Schröder.95 Die Kommission sollte die künftigen Schwerpunkte in der politischen Bildung bestimmen und tat dies bis 1962 zunächst in insgesamt drei Arbeitssitzungen, legte eine Pause bis 1965 ein und wurde dann zur regelmäßigen Einrichtung.96 Die Zusammensetzung wechselte zwischen 1962 und 1965. Bereits vor der öffentlichen Ankündigung der Kommission hatte Nachum Goldmann in seiner Eigenschaft als Präsident des jüdischen Weltkongresses am 15. Februar in einem Schreiben an den Innenminister den litauisch-jüdischen Rabbiner Dr. Jacob Robinson als Mitglied dieser Kommission vorgeschlagen, den er als „den größten jüdischen Sachkenner dieser Periode“ vorstellte, zu dem die jüdische Öffentlichkeit unbegrenztes Vertrauen habe und der bereits sein Einverständnis zur Mitwirkung gegeben habe.97 Goldmann dürfte dies auch deshalb getan haben, weil er selbst die Einrichtung einer solchen Kommission gegenüber Adenauer und Heuss bereits früher zur Sprache gebracht hatte.98 Trotz dieser beeindrukkenden Empfehlung gehörte Robinson schließlich nicht zu den Kommissionsmitgliedern, ja er kam nicht einmal auf die Vorschlagsliste.99 Die Bundesregierung hielt

Zit. n. Konferenz, S. 65. Vgl. BA-KO B 106 / 54123 Konstituierende Sitzung und erste Arbeitssitzung vom 30. Januar 1961. Vermerk über die konstituierende Sitzung im Bundeskanzleramt. Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 13, 1960, S. 293, 27. 7. 1960. 96 Vgl. Quadbeck, Anfänge, S. 266, sowie BA-KO B 106 / 54121 bis B 106 / 54127. 97 Vgl. BA-KO B 106 / 54122, Schreiben von Goldmann an Schröder vom 15. Februar 1960. 98 Vgl. AMJECO, Dilemma, S. 46. Im Auftrag von Kurt R. Grossmann, der für den AMJECO die Dilemma-Broschüre bearbeitet hatte, regte auch der in New York residierende Generalkonsul Dr. Federer im AA die Bildung einer solchen Kommission nach den Vorfällen von Köln an. Vgl. BA-KO B 168 / 368, Schreiben von Grossmann an Schweitzer (BfH). 99 Die Vorschlagsliste umfasste die Kategorien Historiker (Rothfels, Heimpel, Besson, Rudolf v. Thadden, Krausnick, Braubach, Conze, Hofer, Hübinger, Schieder, Stadtmüller), Politische Wissenschaften (Sternberger, Eschenburg, Bracher, Horkheimer, Bergsträsser, Stammer, Adorno), Philosophie (Jaspers, Guardini, Litt), Pädagogen (Spranger, Groothoff, Flitner, Möbus, Thieme, Wenke), Juristen (Kaufmann, Gebhard Müller, Scheuner, Böhm, 94 95

3. Die gescheiterte Heilung der Nation

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sich bedeckt, auch als das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York am 17. Mai 1960 eine zunehmende Unruhe unter den „großen jüdischen Organisationen“ in der Stadt meldete, deren Anfragen sich mehren würden.100 Alle Anfragen blieben bis zu einer Presseerklärung der Bundesregierung vom 16. August 1960 offenbar unbeantwortet.101 Letztlich blieb die KBB eine Angelegenheit von Akademikern, die ihren Wirkungsbereich in der Bundesrepublik hatten. Zur Urbesetzung gehörten Arnold Bergstraesser (Freiburg), Wilhelm Hahn (Heidelberg), Johann Baptist Hirschmann (Hochschule Sankt-Georgen, Frankfurt a.M.), Max Horkheimer (Frankfurt), Paul Hübinger, Erich Kaufmann, Theodor Litt (Bonn), Gerhard Möbus (BundeswehrKoblenz), Hans Peters (Köln), Hans Rothfels (Tübingen) Hans Wenke (Hamburg) und Helmut Krausnick (IfZ München).102 Bis 1965 kamen mit Jürgen Habermas, Wilhelm Hennis, Karl Dietrich Bracher, Georg Eckert, Felix Messerschmidt, Joachim Knoll und Helmut Schelsky eine Reihe neuer Persönlichkeiten hinzu, wobei Schelsky kaum eine Korrektur gegen den politischen Trend darstellen konnte, der sich mit den fünf erstgenannten „Aufsteigern“ dieser Zeit verband, die sämtlich der Sozialdemokratie nahestanden.103 Er schied im Oktober 1965 auch schnell wieder Jahrreis, Krüger, Mosler, Werner Weber), Publizisten (Walter Dirks, Sieburg, handschriftich eingefügt Freund), Politiker (Schütz, Schoettle, Martin, Osterloh, Heuss, Stoltenberg), Soziologen (Freyer, Stammler, Franzis), Ev. Theologie (Hahn, Schoeps – der dann in die Kategorie jüdische Theologie verschoben wurde, Thielicke, D. Maas, Rengsdorf), Kath. Theologie (Bischof Hengstmann, Hirschmann), Jüd. Theologie (Rabbiner Dr. Lichtigfeld, Schoeps), Politische Bildungsarbeit (Klaus von Bismarck, Präses Bokler, Helmut Becker, Eberhard Müller), Sport (Daume). Vgl. BA-KO B 106 / 54121, in dieser Reihenfolge, die zuerst ausgewählten hier kursiv. Ganz vom Tisch bei der Auswahl fielen Politik, politische Bildungsarbeit, Sport und – jüdische Theologie. Der in diese Kategorie fallende Schoeps kam nicht in die Kommission, obwohl Bundestagspräsident Gerstenmaier sich in einem energischen Schreiben an Innenminister Schröder für ihn einsetzte, ihn als preußisch, monarchisch orientierten Juden und brillanten Theologen schilderte, mehrere andere Fälle aufführte, in den Schoeps ungerecht behandelt worden sei und von „offensichtlicher Benachteiligung“ sprach. Vgl. BA-KO B 106 / 54122, Schreiben Gerstenmaier an Schröder vom 13. Oktober 1960. 100 Vgl. BA-KO B 106 / 54122, Schreiben des Konsuls Federer an das AA mit Doppel an die Botschaft in Washington vom 17. Mai 1960. 101 Vgl. BA-KO B 106 / 54122, Verweis auf diese Presseerklärung gegenüber dem AA durch Dr. Schiffer. 102 Vgl. BA-KO B 106 / 54123 – Vermerk über die konstituierende Sitzung, 28. November 1960. Der von Minister Schröder persönlich handschriftlich eingefügte und angeschriebene Michael Freund sagte erst zu und dann am 5. August telefonisch ab, weil er verhindert sei. Am gleichen Tag ging per Eilboten ein Einladungsschreiben an Max Horkheimer, der auf diese Weise nachträglich Mitglied wurde. Ob dieses merkwürdige Zusammentreffen eine Folge von Horkheimers ‚perfektioniertem Wesen der akademischen Intrige‘ oder ein Zufall ist, kann hier offen bleiben. Vgl. BA-KO B 106 / 54121. 103 Vgl. BA-KO B 106 / 54123 4. Arbeitssitzung der Kommission am 30. 4. 1965. Abgänge waren demnach Bergstraesser (1964 verstorben), Hahn – äußerte in der 3. Arbeitssitzung, als neuer Bundestagsabgeordneter evtl. in Interessenkonflikte und Zeitnot zu geraten und trat zurück, Litt (verstorben). Wenke wurde Opfer einer DDR-Kampagne. Das „Spandauer Volksblatt“ hatte Veröffentlichungen Wenkes aus den Jahren 1934 und 1942 attackiert. Buchbespre-

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aus. Im Mai 1966 folgte ihm Jürgen Habermas, der seine vorherige Zusage offen bedauerte und nach eigenen Angaben nicht zugesagt hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, „wie wenig der Aufgabenbereich der Kommission präzisiert ist“.104 Gleich abgesagt hatten die ebenfalls eingeladenen Ralf Dahrendorf und Theodor Eschenburg, wobei letzterer ebenfalls deutliche Zweifel am Sinn der Veranstaltung erkennen ließ. Der Versuch der Kommission, die zusätzliche Berufung von Renate Mayntz (Soziologin, FU Berlin) gegenüber dem Innenministerium durchzusetzen, gelang nicht, trotz des ergänzenden Hinweises, neben aller Kompetenz spräche in diesem Fall auch der Proporz dafür: man brauche eine Frau in der Kommission. Diese notwendige Frauenbeteiligung tauchte als neues zeittypisches Element auf und wurde in mehreren Sitzungen angesprochen, allerdings noch, ohne daß sich etwas konkretes tat. Der bei der Bundeszentrale für Heimatdienst angesiedelte Psychologe Walter Jacobsen sah die Ursache wie den Zweck der Einrichtung der Kommission in der Bewältigung einer als umfassend gedeuteten Kollektivschuld. Niemand, kein Goldmedailllengewinner einer Olympiade und selbst keiner der vom NS-Regime verfolgten Emigranten, könne sich aus dieser Schuld lösen, behauptete Jacobsen. Da dies unter anderem im erkennbaren Widerspruch zur alliierten Politik der Nachkriegszeit, den Spruchkammern und deren Kategorisierung der deutschen Bevölkerung in Täter, Mitläufer und Unbelastete stand, versuchte sich Jacobsen an einer Erklärung. Diese Einteilung der Bevölkerung sei zunächst aus innen- wie außenpolitischen Gründen notwendig gewesen,105 aber das „Deutsche Volk“ sei in Wahrheit eine unteilbare Größe und daher eine als Ganze schuldige Einheit. Es komme darauf an, hierfür ein Bewußtsein zu schaffen. Wer sich diesem Bewußtsein nicht anschließen wollte, den erklärte Jacobsen kurzerhand für psychisch krank. Damit kehrte eine bereits während der Kriegszeit entwickelte,106 und bereits durch die Umerziehungspolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit und das Frankfurter Institut für Sozialforschung entwickelte Tendenz auf die Ebene bundesweiter Bildungspolitik zurück. Es stand ein erklärter Wille bereit, die Bundesrepublik gewissermaßen dauerhaft zu einer Anstalt zu machen, denn daß die apolitischen wie ahistorischen Annahmen der so präsentierten Kollektivschuldthese auf verbreiteten und nachhaltigen, weil begründeten Widerwillen stoßen würden, lag auf der Hand.107 Die Zahl chungen und Aufsätze aus dem Jahr 1934 in der „Zeitschrift für Deutschkunde“ seien in der Tat „politisch belastend“, befand ohne nähere Erläuterung ein Schreiben des Geschäftsführers der KBB, Axel Vulpius, an den Innenminister. Wenke zog es vor, sich aus eigenem Entschluß „seit einiger Zeit nicht mehr als Mitglied“ zu betrachten. Vgl. BA-KO B 106 / 54121, Schreiben Vulpius an das Ministerium vom 11. Dezember 1964. 104 Vgl. BA-KO B 106 / 54121, Schreiben Habermas an Staatssekretär Ernst im Innenministerium vom 28. Juni 1966. 105 Tatsächlich beruhte sie auf einer Anfang 1946 bewußt vorgenommenen Wende der ReEducation-Politik. Vgl. Norman, Propaganda, S. 15. 106 Einfluß auf die psychologisierende Schaffung und Deutung eines deutschen Problems hatte beispielweise das 1943 erschienene Buch des amerikanischen Psychiaters Richard Brickner: Is Germany Incurable? Vgl. Braun, Bildungspolitik, S. 17.

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der „Kranken“ mußte enorm ausfallen. Letzten Endes wurde hier die Fiktion eines totalitären, ewigen Nationalkollektivs zum Maßstab wünschenswerter Geschichtspolitik verklärt, mit dessen sämtlichen Taten und Produkten sich das Individuum in Scham und Stolz zu identifizieren haben sollte, überwiegend allerdings in Scham. Unter dem Blickwinkel von „Dialektik“ stellte dies kaum etwas anderes dar als umgepolten Nationalsozialismus in radikalem Sinn: Du bist nichts, dein Volk ist alles, und dieses Volk ist schuldig. In der konstituierenden Sitzung der Kommission griff Adenauer die Hakenkreuzthematik in einer kurzen, einführenden Rede auf und führte den gegenwärtigen Stand des Geschichtsbewußtseins auf die Verfälschung von Wahrheit durch die Nationalsozialisten und das darauffolgende Verbot des Geschichtsunterrichts durch die Alliierten zurück.108 Als Ergebnis „fehle heute in weiten Kreisen unseres Volkes ein gesundes Nationalgefühl. Viele Deutsche fühlten sich nicht mehr für ihr Vaterland ‚verantwortlich‘.“109 Dem Anlaß entsprechend, nannte Innenminister Schröder dann „die Geschichte der Judenverfolgungen im Dritten Reich“ und den „Mißbrauch totalitärer Gewalt“ als die beiden Punkte, zu denen die Kommission beratend, aber nicht begutachtend tätig werden sollte. In den weiteren Beiträgen herrschte erstaunlicher Konsens über die Einschätzung des gegenwärtigen Mangels, aber auch über den notwendigen Aufbau von Nationalgefühl in der Bundesrepublik. Selbst Max Horkheimer „erklärt zum Nationalgefühl, daß junge Menschen, die z. B. heute in die Bundeswehr eintreten, nicht über eine ‚ererbte‘ Liebe verfügen. Die Verletzung des kollektiven Stolzes der Nation solle durch die Arbeit der Kommission geheilt werden.“110

Daß Horkheimer einer Heilung der deutschen Nation und ihres verletzten Stolzes aktiv zuarbeiten wollte, mußte in dieser Form neu sein und könnte einer taktischen Wendung in Anwesenheit des Regierungschefs entsprochen haben, der sich für diesen Termin ein paar Stunden Zeit genommen hatte. Allerdings sind zeitnah weitere Äußerungen Horkheimers in dieser Richtung überliefert, der sich allgemein Gedanken zum „Grenzwertnutzen“ einer permanenten Kampagne gegen das vermutete 107 Vgl. Jacobsen: Education for Citizenship, in: Stahl, Education, S. 147 – 150. Im gleichen Band plädierte Theodor Adorno für eine Massenanalyse der Deutschen auf Basis der freudschen Theorie. Ablehnung der freudschen Theorie entlarve unmittelbar den Antisemiten, da „die Psychoanalyse präzise die kritische Selbstreflektion darstellt, die den Antisemiten in brennenden Zorn versetzt.“ Vgl. Adorno, What Does ‚Digesting the Past‘ Mean?, in Stahl, Education, S. 87 – 101, hier S. 97. 108 Seit Beginn des ersten regulären Schuljahrs im Herbst 1945 war der Geschichtsunterricht verboten. In Berlin, wo sich die vier Mächte nicht über die Inhalte einigen konnten, gab es bis zur Gründung der Bundesrepublik keinen Geschichtsunterricht. Vgl. Füssl, Umerziehung, S. 311 ff. 109 Vgl. BA-KO B 106 / 54123 – Vermerk über die konstituierende Sitzung, 28. November 1960, S. 1 f., Anführungszeichen im Original. 110 Vgl. BA-KO B 106 / 54123 – Vermerk über die konstituierende Sitzung, 28. November 1960, S. 4.

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nationalsozialistische Potential in Deutschland machte. Zu viel Antinationalsozialismus sei schlecht. Ein Bericht der Bundeszentrale für Heimatdienst gab Horkheimers Position in dieser Sache einige Tage später sogar so wieder, daß die ständige Behandlung des Dritten Reichs durch die Bundeszentrale schädlich und „es viel wirkungsvoller wäre, noch vorhandene Überreste eines NS-Denkens positiv aufzufangen (sic) und zu verarbeiten“.111 Wer auch immer die Hakenkreuzwelle in Gang gesetzt hatte, Horkheimer hielt sie für echt genug, um sich sicherheitshalber um den Wiedererwerb seiner bereits zurückgegebenen amerikanischen Staatsbürgerschaft zu bemühen. Aus seiner Sicht bestand Gefahr eines nationalsozialistischen Rückfalls und der Notwendigkeit eines zweiten Exils, was zwar ein absurdes und apolitisches Fehlurteil war, aber gerade als solches nicht das erste, das Horkheimer unterlief.112 Er schob die von ihm befürchtete neue Gefahr mit auf die verfehlte politische Bildungspolitik über die NS-Ideologie. In Briefen an Eugen Gerstenmeier und Klaus von Dohnanyi formulierte er sein Ziel so: „Meine persönliche Meinung geht dahin, daß im Unterricht vom Nazireich so gesprochen werden sollte, daß dem Selbstbewußtsein der Schüler kein Harm geschieht. Das Ergebnis der Besprechung von Hitlers Schandtaten müßte etwa das Gefühl sein, die Deutschen haben in jüngster Zeit außenpolitisch Schlimmeres durchgemacht, auch verhängnisvollere Irrtümer begangen als andere Völker. Deshalb besitzen sie jetzt tiefergehende Erfahrungen, wollen sich nicht eher so leichthin täuschen lassen, womöglich noch besser auf Politik achten als andere, deren schwere Perioden weiter zurückliegen. Ich halte es für falsch, Schuldgefühle bei Menschen zu wecken, die keine Schuld tragen. Das zeitigt, wie wir wahrscheinlich sehen, Ressentiments.“113

Diese Absichtserklärung forderte eine umfassende Historisierung des Nationalsozialismus, seine Relativierung gegenüber dem, was andere Völker früher, aber ausdrücklich in vergleichbarer Weise getan hatten und eine klare Absage an kollektive Schuldzuweisungen gegenüber der nachwachsenden Generation. Ein Blick auf die politische Bildungswirklichkeit ein halbes Jahrhundert nach diesen Sätzen zeigt, daß Horkheimer sich in keinem dieser drei Punkte durchsetzen konnte. Der Nationalsozialismus wird im Jahr 2011 – in dem diese Worte geschrieben werden – regelmäßig als historisch unvergleichlich dargestellt, seine Taten als singulär, seine Nachwirkung als unbedingte Verpflichtung zu Scham und eingeschränktem Selbstbewußtsein für die Nachwachsenden. Diese Entwicklung war bereits in den späten 111 Vgl. BA-KO B 168 / 865 – Publizistische Bekämpfung rechtsradikaler Strömungen, Aktenvermerk für den Behördenleiter der BfH über den ersten Bericht an das BMI über Rechtsradikalismus vom 9. Dezember 1960. 112 Die zahlreichen und dazu noch hochmütig formulierten Fehlgriffe in seinen Schriften aus den 1930er Jahren waren Horkheimer eine stete Peinlichkeit, und er versuchte zeitlebens, trotz zahlreichen Verlagsanfragen eine Wiederveröffentlichung zu verhindern. Die ‚Zeitschrift für Sozialforschung‘ blieb im Institut unter Verschluß und existierte nur antiquarisch und an wenigen Bibliotheken. 113 Horkheimer an Dohnanyi, 4. Februar 1963, MHA V, 76, 88, hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 402.

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1960er Jahren absehbar, als Horkheimer in Gegensatz zu den Radikalen der Studentenbewegung geriet, die sich eher an seinen Fehlurteilen aus den dreißiger Jahren orientierten. Sie wurden wegen Horkheimers negativer Veröffentlichungspolitik in großer Zahl als Raubdruck gelesen und geglaubt. Dies zeigt die Grenzen und Irrläufe auch von sorgfältig und hochrangig betriebenem Bildungslobbyismus. Horkheimer saß in der KBB unter anderem als Angestellter des American Jewish Committee, dessen Kontaktmann John Slawson ihn zu seiner Stellung als Kommissionsmitglied beglückwünschte, da er nun an einer strategischen Position in der deutschen Bildungspolitik angekommen sei.114 Dies war insofern eine Fehleinschätzung, als die Kommission sich als wenig effizient erwies und nach anfänglichem Pathos eine Alibiveranstaltung werden sollte, wie so viele andere Kommissionen der Bundesregierung nach ihr. Statt die möglichen Ursachen von Antisemitismus zu ergründen, Konzepte für die Stärkung des Nationalgefühls zu entwickeln, die Bundesregierung zu beraten, oder Licht in die Vorgänge um die Jahreswende 1959 / 60 zu bringen, wurde unkonzentriert, unpräzise und wahllos debattiert. Empfehlungen wurden kaum abgegeben. Zur Arbeit der BfH und des IfZ entstand 1962 jeweils ein Papier mit Empfehlungen seitens der KBB,115 das niemanden befriedigte. Aus dieser Bundesregierung heraus und ihren Nachfolgern fragte auch niemand danach. Dennoch hatte Slawson Horkheimers Position gut verstanden und konnte sich berechtigte Hoffnungen machen, daß er in einer arbeitenden Kommission eine Stütze der Anliegen des AJC sein würde. Nach New York meldete Slawson einige Tage nach der konstituierenden Sitzung der KBB, daß mit Horkheimer ein extrem befähigter Repräsentant des AJC nun an dieser Stelle sitzen würde: „Nach meiner eigenen Beobachtung darf ich betonen, daß Max in Deutschland eine einzigartige Position besetzt hat und sein Stimme in den einflußreichsten Kreisen Gehör findet; die Regierungsmitglieder, die akademische Welt, Presse und Radio, fragen ihn um Meinung und Rat.116

Damit konnte Horkheimers Ernennung auch der dem Auswärtigen Amt gemeldeten Unruhe unter den großen jüdischen Organisationen in New York geschuldet sein, den er galt im Amt als Kontaktmann eben dieser Organisationen,117 die somit den gewünschten Fuß in der Tür der vermeintlichen deutschen Bildungszentrale hatten. Der Einsatz des AJC gegen Antisemitismus erfolgte auf subtile Weise und ließ sich durchaus mit den von Horkheimer formulierten Grundsätzen vereinbaren, 114 Brief von Slawson an Horkheimer vom 22. August 1960, in MHA V, 12, 316, vgl. Albrecht, Gründung, S. 408. 115 Vgl. BA-KO b 106 / 54122, Schreiben des Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuß vom 4. Mai 1971, darin die Liste der Empfehlungen der Kommission. Der Haushaltsausschuß zeigte sich wenig beeindruckt und gab von 48.000,– DM gesperrten Kommissionsmitteln nur 20.000,– DM frei. 116 Brief vom 18. November 1960, MHA, V, 14, 195 – 198, zit. n. Albrecht, Gründung, S. 406. 117 Vgl. Albrecht, Gründung.

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die tatsächlich auch vom AJC mit angeregt waren. Im Rahmen von Horkheimers Austauschprogramm, das Multiplikatoren in die USA führte, hatte Horkheimer die Auswahl von Friedrich Minssen für eine solche Reise besorgt, der nach Kriegsgefangenschaft seit 1953 als Referent im Hessischen Kultusministerium tätig war und die Zeitschrift „Gesellschaft, Staat, Erziehung“ herausgab. Angesichts dieser Vorgeschichte und Position schien er der geeignete Mann zu sein, an den ersten Bildungsreisen führend mit teilzunehmen, bei denen die Absichten des AJC mit denen der Ford-Foundation koordiniert den deutschen Teilnehmern nahegebracht werden sollten. Bei der Ford-Foundation war man mit der Auswahl zufrieden. Es seien alles Personen mit Einfluß, wenn auch von unterschiedlichem Ausmaß und alle seien kompromißlos entschlossen, die deutschen Verhältnisse zu ändern.118 Drei Wochen nach der konstituierenden Sitzung der KBB fand in New York eine Konferenz der deutschen Teilnehmer dieser Reise mit dem Amerian Jewish Committee statt, die für das neue Medium der vom IfS vermittelten transatlantischen Reisen einen institutionellen Rahmen schuf, ein beim Institut für Sozialforschung angesiedeltes Studienbüro. Dazu sollten regelmäßige Kontakte der Teilnehmer untereinander auch nach der Reise kommen, sowie gemeinsame Forschungs- und Bildungsprojekte. Auf insgesamt zweiundzwanzig bis 1971 organisierten Studienreisen absolvierte ein mit insgesamt 127 Lehrern, Professoren und anderen Experten zwar überschaubarer, aber gut ausgewählter Kreis diese Reisen, an deren institutioneller Vorbereitung auch Arnold Bergstraesser und Felix Messerschmidt beteiligt waren. Bekannte Personen und Multiplikatoren der intellektuell-publizistischen Szene der Bundesrepublik wie Jürgen Habermas, Kurt Sontheimer119 oder Christian Graf von Krockow gehörten zu den Studienreisenden. Die Auswertungstagungen fanden teilweise im Bundeskanzleramt statt, was den Reisen einen hohen, beinah offiziösen Rang verlieh.120 Die Bildung eines Netzwerks wie diesem sollte jedoch, wie Horkheimer wiederholt äußerte, nicht zu einer Inflation an anti-nationalsozialistischer Haltung, sondern zu einer positiven Identifikation mit demokratischen Grundsätzen und Strukturen führen. Friedrich Minssen sah sonst ebenfalls Gefahren:

118 Brief von Beatrice Braude an Stanley Gordon vom 13. 12. 1960, MHA V, 93, 57. f. Beatrice Braude war nach eigenen Angaben während des Krieges Research Analyst der OSS und des State Department, laut Clemens Albrecht angeblich auch „Sekretärin von Mrs. Rosevelt“ (sic). Vgl. Albrecht, Gründung, S. 415. 119 Kurt Sontheimer (geb. 31. 7. 1928), Studium von Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaft, 1960 Habilitation in Freiburg bei Arnold Bergstraesser über „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“, einer mit der Wirkungsgeschichte von Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“ vergleichbaren Schrift. 120 Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 249, dort auch eine umfangreichere Liste der Teilnehmer, zu denen erneut auch der wohl einflußreichste bundesdeutsche Erziehungswissenschaftler Hartmut von Hentig gehört hatte, der 1948 schon einmal als einer der ersten zu den Teilnehmern am damaligen Reiseprogramm gehört hatte und fünf Jahre in den USA blieb, wo er seine pädagogischen Grundsätze entwickelte. Auch Hentigs Lebensgefährte Gerold Becker, dessen Reformpädagogik sich 2010 als Tarnunternehmung für jahrzehntelangen Kindesmißbrauch herausstellte, gehörte zu den Studienreisenden des IfS.

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„Wenn man den Deutschen trotz aller ihrer offensichtlichen Bemühungen stets und ständig wiederholt, sie seien unverbesserliche Nazis geblieben, so könnten sie eines Tages anfangen, sich diesen Vorwurf anders zu Herzen zu nehmen als bisher, nämlich so: Wenn man uns unbedingt zu Nazis machen will, bitte sehr“.121

Dies waren die negativen Konsequenzen, für die das AJC in Kontakt mit dem Studienbüro des Instituts für Sozialforschung ein Bewußtsein schaffen wollte. Natürlich warf dieser von Horkheimer aufgeworfene Punkt einer Heilung der Nation am Tag der konstituierenden Sitzung der KBB die bekannten Fragen auf, wie das positive Geschichtsbewußtsein mit der Existenz des Nationalsozialismus verfahren sollte. Sie sollten, wie gesagt, auch in den nächsten fünfzig Jahren politischer Bildungsarbeit nicht vollständig beantwortet werden können, jedenfalls wurden sie völlig anders beantwortet, als dies Horkheimer, Minssen oder das AJC hier planten. Daran änderte das mit viel Ambition ausgearbeitete Gesamtprogramm der Kommission vorerst schon deshalb nichts, weil es die zur Verfügung stehenden materiellen Mittel überforderte. Das Tagungsprogramm für die erste Arbeitssitzung sah dann einsichtigerweise zunächst die Berichte von Direktor Paul Franken (BfH) und Helmut Krausnick (IfZ) über die Arbeit ihrer Institute vor. Die Informations- und Forschungstätigkeit des Instituts für Zeitgeschichte hatte eine Bilanz vorzuweisen, die Krausnick als stetig wachsende Überforderung durch immer neue Anfragen kennzeichnete, aber auch als erfolgreiche Forschungsleistung. Man beschloß bei dieser ersten Arbeitssitzung, aus der KBB vorerst keine Informationen an die Presse zu geben und gründete Unterkommissionen zur Sichtung von IfZ und BfH.122 Das sah nach einer Verwässerung des Vorhabens aus, wofür zunächst sprach, daß diese Unterkommissionen ihren Bericht zwar innerhalb eines halben Jahres vorlegten, eine erneute Arbeitssitzung aus angeblich allseitigem Zeitmangel dann aber erst im November 1961 zustande kam. Die dann vorgelegten Berichte ließen erkennen, daß Horkheimer in der Kommission zur Analyse der BfH gesessen hatte, denn sie setzte für deren zukünftige Ausrichtung vor allem auf „Psychologie, Soziologie und Meinungsforschung“.123 Mit diesem Versuch und den Debatten darüber geriet die Kom-

121 Felix Minssen, Vermutungen über den Antisemitismus in der Bundesrepublik vom 26. April 1963, MHA V, 185, 26 – 29, zit. n. Albrecht, Gründung, S. 416. 122 In der BfH-Unterkommission saß Max Horkheimer, der sofort zeigte, daß er seine neugewonnene Position nutzen wollte. Noch am gleichen Tag suchte er nach der Sitzung einen Referatsleiter der BfH in dessen Wohnung auf, stellte sich als Mitglied der Kommission vor und kündigte sich als Beauftragter für neue Projekte an, über die er in der Kommissionssitzung berichtet habe. Demnach ging es um eine Testreihe über die Rezeption von Filmen über das Dritte Reich durch das Publikum, wofür das Referat der BfH eine deutsche Fassung des eben von der Anti-Defamation League übersendeten Kulturfilms „Bruderschaft aller Menschen“ herstellen solle. Vgl. BA-KO B 168 / 865 – Publizistische Bekämpfung rechtsradikaler Strömungen, Sofort-Vermerk des Referats 9 / 1 vom 31. 1. 61 über ein Gespräch mit Horkheimer vom Vortag. Letztlich scheiterte das angelaufene Projekt, da das IfS für die Untersuchung wenigstens 50.000,– DM verlangte, die BfH aber maximal 10 – 15.000 DM bereitstellen wollte. Vgl. BA-KO B 168 / 865, Schreiben des Referenten Dr. Franken an das BMI vom 29. Juli 1961.

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mission dann nicht nur in den Sog der Vorlieben des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, sondern auch ins Gehege mit anderen Kompetenzträgern der politischen Bildung und mit der Erwartungshaltung der Presse, in absehbarer Zeit mit einbezogen zu werden. Bei der Einstufung der Kommissionsarbeit überwog das Prädikat „unbefriedigend“, wie Wenke als Vorsitzender zu Beginn der nächsten Arbeitssitzung verkündete, die wieder erst ein halbes Jahr später, im Mai 1962 stattfand. Beiläufig erwähnte Wenke dabei, daß die Hakenkreuzschmierereien tatsächlich der einzige Anlaß zur Einberufung der Kommission gewesen waren und man erst in der konstituierenden Sitzung den Wunsch geäußert habe, andere Themen mit einzubeziehen.124 Trotz oder wegen zu vieler verschiedener Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit blieb die Situation unbefriedigend. Unter diesen Umständen konnte von der Kommission kein Impuls zur Rettung der Nation ausgehen und die nächste Arbeitssitzung fand erst drei Jahre später statt, am 30. April 1965.125

123 Vgl. BA-KO B 106 / 54123, Protokoll der zweiten Arbeitssitzung vom 25. November 1961. Manche Produktionen der BfH konnten zu den von Horkheimer befürchteten Negativreaktionen beitragen. Dazu gehörte etwa die 1953 bundesweit an Kirchen, Behörden, Bildungseinrichtungen und Betriebe verbreitete „Dokumentation zur Massenvergasung“, nachdem das IfZ diesen Gerstein-Bericht veröffentlicht hatte. Der Stadtpfarrer der Stadt Füssen im Allgäu legte am 7. September 1953 bei der BfH Protest gegen die darin aufgestellte Behauptung ein, man könnte in einen Raum mit 25 m² 750 Menschen sperren. Da bleibe nur 3 dm² pro Person und das sei einfach unmöglich. Das Antwortschreiben der BfH vom 13. November machte keinen Versuch, dieser Auffassung zu widersprechen, sprach von „gewiß übertriebenen“ Angaben und rechtfertigte sich: „Obwohl auch wir die recht unglaubwürdigen Angaben über die Raumverhältnisse bedauerten, glaubten wir, uns auf Grund des Gesamteindrucks und der zu erwartenden Wirkung gerade vor den Bundestagswahlen (sic!) zu einer Veröffentlichung doch entschließen zu sollen.“ Vgl. BA-KO B 168 / 695. Ob es zur Nachhaltigkeit der demokratischen politischen Bildung beitrug, wenn die BfH zum Ziel der Beeinflussung demokratischer Wahlentscheidungen bewußt Angaben über den Holocaust in die Welt setzte, die sie selbst für falsch hielt, darf bezweifelt werden. Im BA findet sich zur Broschüre ein einleitender Kommentar. Der Gerstein-Bericht sei unbezweifelbar echt, weil die Details stimmen würden. Heute ist bekannt, daß die nachprüfbaren Zahlenangaben des Gerstein-Berichts überwiegend unzutreffend sind. Die „Wirkung“ der Veröffentlichung sollte von der Kritik an den Details nicht beeinträchtigt werden. Ein weiteres Schreiben eines Herrn Karl Wohlfahrt mit ähnlichem Inhalt wie das des Stadtpfarrers von Füssen wurde am 9. Dezember 1953 von Behördenleiter Dr. Franken dahingehend beantwortet, daß „solche Berechnungen, wie Sie sie anstellen, völlig überholt erscheinen.“ Die protestierenden Arbeitgeberverände erhielten ebenfalls von Dr. Franken die Antwort, er habe sich wegen des Wahlkampfs zur Verteilung der Broschüre entschlossen. Aus einem Schreiben Frankens an das BMI geht hervor, daß dies in Absprache mit dem Staatssekretär des Inneren geschah. Ebd. BA-KO, B 168 / 695. Der Gerstein-Bericht ist im Original eine schriftliche Aussage in Französisch. Gerstein ist selbst in französischer Haft ums Leben gekommen, laut Todesurkunde in Folge von Selbstmord am 25. Juli 1945 in „Cherche Midi“. Ort des Grabes unbekannt, trotz mehrfacher Bemühungen der Witwe konnten keine näheren Angaben zum Tod ermittelt werden. Ebd. BA-KO, B 168 / 695, nicht unterzeichnete Kurzbiographie Gersteins. 124 BA-KO B 106 / 54123, Protokoll der dritten Arbeitssitzung vom 12. Mai 1962. 125 Die Einladung zur Sitzung sprach gleich einen Punkt an, der offenbar für wesentlich gehalten und von Staatssekretär Josef Hölzl in der Sitzung einleitend noch einmal betont

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a) Historiker zwischen Revisionismus und Geheimdienst Das Sitzungsprotokoll dieses Treffens der Kommission im Jahr 1965 läßt erkennen, daß sich in den drei Jahren manches getan hatte. Es wurden konkrete Punkte angesprochen, die auf wenig Widerstand oder besser gesagt, auf allgemeine Akzeptanz trafen. Wilhelm Hennis etwa forderte eine realistische Sprachregelung für Grenz- und Wiedervereinigungsfragen, damit die Öffentlichkeit nicht das Gefühl hätte, getäuscht zu werden. Helmut Krausnick schlug unter Bezugnahme auf die Veröffentlichungen von David Hoggan und anderer, nicht namentlich genannter Revisionisten, unter denen er wohl unter anderem A.J.P. Taylor verstanden haben dürfte, das Schreiben eines neuen Geschichtsbuchs vor. Der Einfluß von David Hoggan war auch auf der Tagung der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung Ende 1962 bereits ein Thema gewesen. Dr. Messerschmidt schob auf dieser Tagung Hoggans Einfluß der Unsicherheit der Lehrerschaft wegen „zu langen Verharrens bei reiner Zeitgeschichte“ zu.126 In der Tat hatte Hoggan im Rahmen reiner Zeitgeschichte den Finger auf ein grundsätzliches Problem gelegt, wie auch der Fritz-Fischer-Schüler und Hamburger Geschichtsprofessor Immanuel Geiss zwei Jahre später in einem Aufsatz anmerkte: „Die Verwirrung vergrößerte sich nur noch, als David Hoggan, ein amerikanischer Faschist pure et simple, mit einer offenen Apologie Hitlers herauskam und sich den wahrhaft schwachen Punkt der antihitlerischen Geschichtsschreibung zunutze machte, indem er völlig zu Recht nachwies, daß Hitler den Zweiten Weltkrieg nicht wollte; aber seine ideologische Voreingenommenheit hinderte ihn daran zu erkennen, daß Hitler den Zweiten Weltkrieg tatsächlich überwiegend verursachte. In der Tat, ein Zweiter Weltkrieg wäre wirklich das letzte gewesen, was sich Hitler zur Erfüllung seiner ehrgeizigen Weltpolitik hätte wünschen können, und er versuchte, den Weltkrieg zu vermeiden.“127

Mit diesen und anderen Sätzen gehörte Geiss zu der einsamen intellektuellen Fraktion der deutschen Historikerzunft, die solche Wahrheiten öffentlich aussprach und drucken ließ. Unter den Professoren dürfte er in dieser Deutlichkeit der einzige geblieben sein.128 Dabei dachte er natürlich keineswegs an eine Apologie, sondern

wurde: Ab dieser Sitzung wurde die Kommissionsmitgliedschaft neben Spesenausgleich mit 1800,– DM p.a. aus dem Bundeshaushalt entlohnt, um die Arbeit zu beschleunigen. Vgl. BAKO B 106 / 54123, Protokoll der 4. Sitzung. Ins Gespräch gebracht worden waren von Seiten der Kommission Größenordnungen von bis zu 10.000,– DM p.a. Vgl. BA-KO 106 / 54121, Schreiben von Vulpius an den Innenminister vom 7. September 1962. 126 Vgl. BA-KO B 136 / 5894, Protokoll der Tagung vom 30. 11. 1962, S. 7. 127 Immanuel Geiss: Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, hier zit n. Geiss, Geschichtswissenschaft, S. 35. 128 Michael Freund schrieb 1961 ein gewohnt subtiles Vorwort zu A.J.P. Taylors „Ursprüngen des Zweiten Weltkriegs“, in dem er die Hitlersche großdeutsche Revisionismuspolitik bis 1939 in den Bereich des Notwendigen und Legitimen rückte, Hitler selbst aber dem Bereich des „Teufels“ zuordnete, dem dies nur zur Vorbereitung anderer Ziele im Osten gedient habe.

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unternahm lediglich den Versuch, das Jahr 1939 angemessen differenziert zu beurteilen.129 Ob das von Helmut Krausnick vorgeschlagene neue Buch zur Sache solche Ansichten hätte transportieren können, wird man nie erfahren. Maßgebend im Bereich der politischen Bildung zu diesem Komplex blieben Walther Hofers simple wie unzutreffende Vorstellungen über die „Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“. Hofer ließ es sich wie manch anderer auch nicht nehmen,130 Hoggan in einer bedeutend erweiterten Neuauflage der „Entfesselung“ im Jahr 1964 ausführlich anzugreifen. Angriffspunkte für diesen Zweck bot Hoggans Buch auch reichlich, zum einen wegen den einzelnen Formulierungen im Rahmen seiner apologetischen Tendenz, aber auch wegen manch sachlicher Fehler und unpräziser Zitate. Darüber hinaus konnte Hofer sich von Hoggan persönlich getroffen fühlen. Es sei durch Hoggans und Taylors Veröffentlichungen eingetroffen, „was kein Eingeweihter für möglich hielt“.131 In Deutschland sei eine heftige Diskussion über die Frage der Schuld und Verantwortung am Zweiten Weltkrieg in Gang gekommen, trotz der nach Hofers Ansicht „überwältigenden“ Beweislage. Diese Ansicht unterfütterte Hofer noch einmal durch die üblichen verfälschenden Quelleninterpretationen der Schlüsseldokumente der Hitlerschen Entscheidungsfindung, die sich noch Jahrzehnte später durch die Forschungsliteratur der Zeitgeschichte ziehen. Das muß hier an dieser Stelle im einzelnen nicht interessieren.132 Interessant ist dagegen die Verwendung des Begriffs „Eingeweihter“ durch Hofer, denn eingeweiht sein signalisiert gewöhnlich die Kenntnis von Dingen, die eben nicht jeder weiß und die nicht in „überwältigender“ Deutlichkeit wohlfeil in den Buchhandlungen ausliegen. Hofer verwendete diesen Begriff nicht nur einmal, sondern auch mit Blick auf die von Hoggan genannten Namen amerikanischer Historiker, denen er Unterstützung verdanken würde:

Gleichzeitig sei es eher komisch, wenn Taylor z. B. schreibe, die USA hätten von Hitler in Ruhe gelassen werden wollen: „Hitler wollte von Amerika in Ruhe gelassen werden,“ so Freund. Vgl. Taylor, Ursprünge, S. 10. 129 Auf die Tauglichkeit dieses Versuchs kann hier nur am Rand eingegangen werden. Auch Geiss schrieb letztlich ganz germano- bzw. hitlerzentristisch, ohne das ganze Panorama der kriegsgeneigten Fraktionen bei den Westmächten, den osteuropäischen Nationalisten oder der UdSSR zu erfassen. 130 Es erschienen unter anderem Attacken auf Hoggan durch Hermann Graml und sogar Hermann Rauschning. Der in der Vorkriegszeit nacheinander im Sold der deutschen, polnischen und französischen Regierung tätige und seine Wahrheiten durchaus je nach Auftraggeber formulierende Rauschning meldete sich diesmal im durch die DDR subventionierten, in Köln residierenden Pahl-Rugenstein-Verlag zu Wort. 131 Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 419. 132 Ein Punkt sei genannt. Hofer wirft A.J.P. Taylor vor, Hitlers “Denkschrift zum Vierjahresplan“ von 1936 nicht zu berücksichtigen, wo doch klar von Rüstung zum Krieg gesprochen worden sei. Was Hofer so wenig wie zahllose andere Historiker erwähnt, ist, daß diese Rüstung für Hitler in dieser Schrift ausdrücklich und weitschweifig begründet zur Abwehr eines sowjetischen Angriffs gedacht war. Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 423 f.

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„Darunter befanden sich Namen wie Raymond J. Sontag und William L. Langer, von denen der Eingeweihte sofort weiß, daß sie sich unmöglich an Hoggans Machwerk beteiligt haben können.“133

Sontag hätte ihn autorisiert, diesen Sachverhalt als Dementi auch öffentlich bekanntzugeben. Langer hätte selbst in der Fachzeitschrift „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ ein distanzierendes Schreiben veröffentlicht, so Hofer. Nun hatte Harvard-Absolvent Hoggan offenbar tatsächlich bei Langer studiert und mochte ihm manches verdanken, aber natürlich konnten „Eingeweihte“ wie Walther Hofer wissen, daß William L. Langer gute Gründe hatte, an keinem Forschungsbeitrag teilzuhaben, der Hitlers fehlende Absicht zum Krieg öffentlich nachwies. Er war nicht nur irgendein Historiker, sondern schrieb im amerikanischem Regierungsauftrag, genauer als hochrangiger Mitarbeiter des US-Kriegsgeheimdiensts OSS und war sogar Leiter von dessen „Gehirn“, der Research and Analysis Branch (R&A) in Kriegszeiten.134 Seine Standardwerke zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die auch der bundesdeutsche Student für mehr als eine Generation auf seiner Literaturliste fand,135 entstanden aus dieser Situation heraus und lassen sich ohne sie kaum verstehen. Langer und sein ebenfalls aus der OSS-Arbeit vertrauter Kollege Everett Gleason fanden dennoch keinen Interessenkonflikt darin, diese Arbeit anzunehmen, als der Council on Foreign Relations von der Rockefeller-Stiftung eine substantielle Summe für eine insgesamt auf vier Jahre Dauer angesetzte historische Recherche über die US-Außenpolitik vor und während des Krieges zur Verfügung gestellt bekam und erklärte, es sei „im nationalen Interesse“, wenn Langer diese Arbeit übernehmen würde.136 Im Vorwort hoben die Autoren später hervor, eine „vollkommen unabhängige“, wissenschaftliche Studie verfasst zu haben, die zwar vom US-Außenministerium inhaltlich durchgesehen worden sei, jedoch nur im Hinblick auf möglichen Schaden für die Beziehungen der USA zu anderen Staaten und die nationale Sicherheit.137 Die Darstellung folgte denn auch in grober Linie der regierungsamtlichen Meistererzählung von den USA als angeblicher „Weltmacht wider Willen“, die beispielsweise 1939 kaum eine aktive Europapolitik und Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 474. Vgl. Doerries, Nachrichtendienste, S. 123 f. Zu William Langers Aufgabenbereich gehörte zusammen mit Philosoph und Geheimdienstkollege George Shuster die Herausgabe einer für das amerikanische Publikum kommentierten Ausgabe von Mein Kampf. Zur OSS und den möglichen Folgen von deren Tätigkeit für die historische Forschung sei zudem allgemein darauf hingewiesen, daß sie in London ebenso wie der englische Geheimdienst eine eigene Abteilung zur Fälschung deutscher NS-Dokumente unterhielt. Vgl. Doerries, Nachrichtendienste, S. 179, unter Verweis auf die Tagebücher des Leiters der Londoner Außenstelle, David Bruce. Nelson Douglas Lankford (Hrsg.): OSS against the Reich – The World War Diaries of Colonel David K. E. Bruce, Kent (Ohio) 1991. 135 William L. Langer zusammen mit S. Everett Gleason: The Challenge to Isolation, New York 1952. 136 Vgl. Langer, Ivory Tower, S. 200 f. Harry Elmer Barnes verfaßte 1954 ein Pamphlet, in dem Langer / Gleason als Hofhistoriker bezeichnete: The Court Historian versus Revisionism. 137 Vgl. Langer, Challenge, S. XIV. 133 134

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schon gar keine Kriegspolitik betrieben habe. Es scheint deutlich zu kurz gegriffen, dieses Vorgehen als „geschmälerten Objektivitätsanspruch“ zu bezeichnen.138 Letztlich übernehmen solche Einstufungen bewußt oder unbewußt die vorgegebene Antwort ebenso wie die Fragestellung und verhindern eigene Fragen nach den Kernpunkten. Denn gelegentlich ergänzte direktes Leugnen von Fakten diese Darstellung von Langer / Gleason, die ansonsten im Regelfall mit einer geschickten Auswahl von wünschenswerten Tatsachen und der Ausblendung von unerwünschten Tatsachen auskam. Im Fall einer deutschen Aktenpublikation aus dem Jahr 1940 aber reichte dies nicht. Dort waren „Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges“ in Faksimile der Weltöffentlichkeit zur Kenntnis gegeben worden waren, in denen die amerikanische Außenpolitik seit der Jahreswende 1938 / 39 als Kriegspolitik erkennbar wurde oder zumindest als eine Politik, die den Krieg mit ins Kalkül zog. Hier mußten Langer / Gleason die Wahrheit direkt abstreiten: „Diese Dokumente erwecken den Eindruck, daß Männer wie Botschafter Bullitt Kriegshetzer gewesen wären und eine schwere Verantwortung für die Entwicklung der europäischen Krise trügen. Die Echtheit dieser Papiere wurde von Mr. Bullitt und Außenminister Hull augenblicklich bestritten und auch von anderen Amerikanern und ausländischen Offiziellen ernsthaft in Frage gestellt. Man kann daher nur zum Schluß kommen, daß diese Dokumente Fälschungen sind und nur in der Hoffnung publiziert wurden, die amerikanische Administration zu diskreditieren und isolationistische Stimmung zu schüren.“139

Nun waren diese Dokumente, deren Bedeutung hier an der heftigen Art erkennbar wird, mit der sie zur Fälschung erklärt werden sollen, tatsächlich echt. Dies ist mittlerweile geklärt, geht auch aus den Memoiren der beteiligten polnischen Diplomaten hervor140 und hätte von Langer / Gleason aus eigener Hand überprüft werden können. Die 1939 in Warschau von deutschen Stellen erbeuteten und teilweise veröffentlichten polnischen Dokumente waren nämlich 1945 von amerikanischen Stellen erbeutet und nach Washington gebracht worden, wo sie ob ihrer Brisanz für die nächsten fünfzig Jahre für die Forschung gesperrt unzugänglich gelagert wurden. Einem hochrangigen Team mit dem Hintergrund von Langer / Gleason hätten sie allerdings zugänglich gewesen sein können. Die nationale Sicherheit blieb nach Abschluß dieser Arbeit auch weiterhin das professionelle Tätigkeitsfeld beider Autoren. Everett Gleason kehrte nach den vier Jahren nach Washington in die Regierungstätigkeit zurück, als „deputy chief of staff“ des National Security Council. Auch William Langer nahm zum 1. Februar 1952 den Posten eines „assistant director“ in der Nachfolgeorganisation der OSS an, der inzwischen gegründeten Central 138 Vgl. Müller, Denksysteme, S. 193. Müller geht nicht im Detail auf mögliche negative Folgen dieses geschmälerten Anspruchs ein. Er stuft die Arbeit von Langer / Gleason letztlich als Erfolg ein, da – wenig überraschend – das Washingtoner Establishment und die große Presse den Band nach Erscheinen überwiegend lobten. 139 Zit. n. Langer, Challenge, S. 426. 140 Die Dokumente seien unzweifelhaft echt, und er habe sie „mit einigen Befürchtungen gelesen“, notierte der Londoner Vorkriegsbotschafter der Republik Polen in seinem Tagebuch. Zit. n. Raczynski, London, S. 51, Eintrag vom 20. Juni 1940.

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Intelligence Agency (CIA). Seine Aufgabe wurde es, das „Office of National Estimates“ zu organisieren.141 Wer in Nachkriegsdeutschland oder anderswo Geschichte studierte, konnte in diesen Produkten eine Darstellung der amerikanischen Außenpolitik bis 1941 lesen, in der diese Politik keinerlei Anteil am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte, sondern ein irrationaler Weltkriegswille Hitlers angenommen wurde. Es war dieser Gesamteindruck, an dem Politikwissenschaft und Zeitgeschichte besonders in Deutschland arbeiteten und der „Eingeweihte“ Walther Hofer konnte dies durchaus wissen, gehörte er doch seit dessen Gründung im Jahr 1950 zum Kreis des ebenfalls von einem Geheimdienst der USA, der inzwischen als Nachfolgeorganisation des OSS gegründeten CIA, inspirierten und finanzierten „Kongreß für kulturelle Freiheit“ (KKF).142 Mit diesem Netzwerk des Kalten Krieges setzte die CIA auf breiter Front einen anti-kommunistischen wie anti-nationalsozialistischen Akzent, der sich in den Geschichtswissenschaften dahingehend auswirkte, die deutsche Alleinverantwortung für das Jahr 1939 festzuschreiben, die allenfalls durch den Hitler-StalinPakt von 1939 mit der Sowjetunion geteilt wurde.143 Neben Hofer gehörten zahlreiche weitere Politik- und Zeitgeschichtler zu diesem Netzwerk, die uns in Zusammenhang mit dieser Untersuchung bereits begegnet sind, darunter etwa Carl J. Friedrich, Golo Mann, Eugen Kogon, Franz L. Neumann, Carlo Schmid, Dolf Sternberger oder Alfred Weber.144 Walther Hofer agierte die fünfziger Jahre hindurch als „Partner“ und Mitarbeiter des KKF und seiner Unterorganisationen, dessen Karriere etwa durch bevorzugte Einladung zu Vorträgen und Mitarbeit bei Publikationen gefördert wurde.145 Wollte er Mitglied in diesem Netzwerk bleiben,

141 Vgl. Langer, Ivory Tower, 219 f. 1961 wurde Langer schließlich Mitglied im achtköpfigen Foreign Intelligence Advisory Board des US-Präsidenten, das nach dem Schweinebuchtdebakel auf Kuba eingerichtet worden war und seine Büros direkt neben dem Weißen Haus hatte. Vgl. Langer, Ivory Tower, S. 222. 142 Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 230. Die 170.000 DM für die Abhaltung des Gründungskongresses in Berlin vom 26. bis 30. Juni 1950 besorgte der leitende CIA-Mitarbeiter Michael Josselson auf verdeckte Weise von HICOG. Die Mittel wurden an Edwin Redslob übergeben und zur Verschleierung ein Konto auf seinen Namen eingerichtet. Ebd. Hochgeschwender, Kongreß, S. 239. Auch Josselson stammte zwar aus Estland, war aber in Deutschland aufgewachsen und emigrierte von dort wegen der einsetzenden Judenverfolgung. Er arbeitete während des Krieges bei der Intelligence Division der Psychological Warfare Division. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 144, bzw. Hochgeschwender, Kongreß, S. 167 und S. 218 ff. Die CIA weigert sich weiterhin, Papiere des KKF zur Forschung freizugeben und dementiert deren Existenz. Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 49 f. 143 Der KKF griff gelegentlich direkt in die deutsche Bildungspolitik ein, so etwa bei einer 1955 von ihm inszenierten Kampagne gegen den niedersäschsischen Kultusminister Leonhard Schlüter (FDP), der wegen angeblicher Rechtskontakte mit einer international abgestimmten und von der KKF-Zentrale in Paris koordinierten Protestwelle zum Rücktritt gezwungen wurde. Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 442 f. Hochgeschwender macht keinen Versuch, die gegen Schlüter aufgestellten Behauptungen zu konkretisieren oder zu verifizieren. 144 Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 230, dort eine vollständige Liste der fünfundzwanzig deutschen Teilnehmer.

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dann tat er gut daran, die Phalanx der Eingeweihten nicht durch ergebnisoffene Forschung zu gefährden. Man mußte wie Immanuel Geiss keineswegs ein „Faschist“ sein, um aus den vorliegenden Quellen zum Kriegsausbruch des Jahres 1939 ein differenziertes Bild gewinnen zu können. Es hätte genügt, eine seriöse und umfassende Wertung der Fakten vorzunehmen. Die Zeitgeschichtsforschung der 1950er und 1960er Jahre tat dies immer weniger. Sie blieb ehrenwerten, aber nicht-wissenschaftlichen Zielen wie der Festigung der westdeutschen Demokratie auf dem Weg der Anerkennung einer deutschen Alleinverantwortung für den Krieg verpflichtet. Zurück zur Sitzung der KBB, die über eigene Reaktionen auf Hoggan nachdachte. Georg Eckert befand das von Helmut Krausnick vorgeschlagene Schreiben eines Geschichtswerks als offiziöses Unternehmen für zu riskant. Er stufte die Methode seines Instituts und der UNESCO-Kommission für besser ein, Handbücher für Lehrer auszugeben, um den praktischen Unterrichtsinhalt besser zu kontrollieren. Wichtig war schließlich, was tatsächlich gelehrt wurde. An dieser Stelle konnte dann Horkheimer146 erklären, daß man am IfS „über ein Studienbüro für politische Bildung verfüge, welches nicht nur Empfehlungen für Schulbücher, sondern auch für sonstige Schulliteratur herausgebe.“147 Über dieses Studienbüro, das eine weitere Konsequenz aus den Hakenkreuzaffären war, organisierte Horkheimer in Zusammenarbeit mit dem American Jewish Committee auch die Reisen ausgewählter Multiplikatoren, oder wie Adorno sich ausdrückte, „Kader“.148 Mit neuem Schwung ging die Kommission an dieser Stelle die Beziehungen zum Parlament an. Da die politische Bildungsarbeit der Parteien seit neuestem mit erhöhten Mitteln des Bundeshaushalts finanziert werde, durfte sie nicht unbeobachtet bleiben, so Wilhelm Hennis, Schelsky und Bracher, die ein „Hearing“ mit Vertretern der Parteien vorschlugen. Man beschloß, zur nächsten Sitzung Vertreter der drei BundestagsfraktioVgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 426 bzw. S. 441. Der ebenfalls Kontakt zu Einzelunternehmungen des KKF hatte, den Kongreß aber offenbar nie intensiv in seine Arbeit mit einbezog. So hielt er 1954 das Gründungsreferat bei der Gründung des „Hofgeismarkreises“ des KKF über „Das Selbstverständnis der deutschen Hochschulen“. Auch der neugegründete Kreis warb „ganz im Sinn der westlichen Besatzungsmächte“ für die Einführung von Politikwissenschaft und Soziologie. Vgl. Hochgeschwender, Kongreß, S. 431 f. 147 Vgl. BA-KO B 106 / 54123, Protokoll der vierten Arbeitssitzung vom 30. April 1965, S. 9 f. Eckert schlug in der Sitzung auch eine Durchsicht der im Schulunterricht verwendeten Lieder vor. Ab der 5. Arbeitssitzung leitete er eine Unterkommission, die sich mit der Begutachtung von Formulierungen eines neuen Soldatenbuchs beschäftigte. Sein Gutachten über den Entwurf fiel erwartungsgemäß vernichtend aus. Er beklagte „nationalstaatliche Tendenzen“ der Darstellung und „unbefriedigende Beschreibung“ aktueller Probleme, so etwa der Frage der deutschen Ostgebiete. Vgl. BA-KO B 106 / 54124, Protokoll der 7. Arbeitssitzung vom 12. November 1966, S. 4 und Anlage 4. 148 Vgl. Albrecht, Gründung, S. 444. Die Hakenkreuze blieben ein ständiger Bestandteil der Finanzierungsbegründung auch des Studienbüros. Durch einen erneuten Fall in Bamberg konnten 1965 bestehende Finanzierungsprobleme überwunden werden, da das Land Hessen, die Stadt Frankfurt und das AA sich zu Zahlungen bereit erklärten. Vgl. Albrecht, Gründung, S. 421. 145 146

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nen einzuladen. Dem Nationalbewußtsein stand man jetzt skeptisch gegenüber. Dreieinhalb Jahre, nachdem Kanzler Adenauer dessen Förderung als wichtigen Punkt und Horkheimer sogar die Heilung der Nation ins Visier genommen hatte, wollten die Neumitglieder Bracher und Hennis diesen Punkt ganz gestrichen haben. Horkheimer schwieg. Als Konsequenz dieser Entwicklung ist es wohl zu betrachten, wenn in der nächsten Sitzung die Arbeit des gesamtdeutschen Ministeriums ins Visier der grundsätzlichen Kritik geriet. Hennis, Bracher und Habermas bezweifelten, ob dessen „Volkstumsarbeit“ mit den Grundsätzen der politischen Bildung in Einklang stehen würde.149 Dies konnte eine Empfehlung der Kommission bedeuten, die Mittel des Ministeriums ganz zu streichen, galt es doch als eine der Aufgaben der Kommission, die politische Bildung zu straffen. In diesem Sinn würde subtil das Einheitsempfinden der Nation zugunsten von Verfassungskenntnis der Bundesrepublik Deutschland untergraben werden. Wir können die Kommission an dieser Stelle verlassen, da ihre weitere Arbeit nicht mehr in den hier untersuchten Zeitraum fällt. Sie bereitete der Zentralisierung und Vernetzung der Bildungsarbeit in der Bundesrepublik in zentralen Punkten mit den Weg und förderte jene Inhalte, die wir kennengelernt haben. Dennoch ist die KBB eher ein Ausdruck der Zeitläufe als ein sie prägendes Element. Ihre begrenzte Kapazität zur Lenkung der real stattfindenden politischen Bildung und ihre Abhängigkeit von Klischeebegriffen kommt an vielen Stellen der Sitzungsprotokolle und der gehaltenen Referate zum Ausdruck. Auch in den Sitzungen der späten sechziger Jahre wurde gelegentlich noch lebhaft darüber gestritten, was denn „politische Bildung“ eigentlich sei und wenn im Referat der „Aktion Gemeinsinn“ vor der Kommission am 25. Mai 1968 beiläufig erwähnt wurde, daß „überall vom Bildungsnotstand und von der Bildungskatastrophe in der Bundesrepublik gesprochen wird“, dann erscheint der Wissenschafts- und Bildungsbetrieb der BRD endgültig als ernährungssicherndes Hamsterrad, das sich seit Jahrzehnten um die gleiche Begriffsachse dreht.150 Anfang der 1970er Jahre mehrten sich die Anfragen aus dem Haushaltsausschuß des Bundestages, was denn die Kommission eigentlich tue und wodurch die bewilligten Gelder zu rechtfertigen seien. 149 Vgl. BA-KO B 106 / 54123, Protokoll der fünften Arbeitssitzung vom 6. November 1965, S. 6 150 Vgl. BA-KO B 106 / 54125, Protokoll der 10. Arbeitssitzung vom 25. Mai 1968, Anlage 9. Text des Referats von Elisabeth Strauß über die Wirksamkeit der im Juni 1958 gegründeten „Aktion Gemeinsinn“, gegründet ebenfalls als transatlantische Folge einer Tagung, die 1956 in Bad Boll stattfand und auf der „ein Vertreter des Advertising Council aus den Vereinigten Staaten“ aufzeigte, wie dort „die Werbung für gemeinnützige Dinge eingesetzt wird“, dort seit zwanzig Jahren von einem eigens installierten Gremium begleitet. (Ebd. Anlage 9, S. 1). In der gleichen Sitzung wies Max Horkheimer darauf hin, daß in der BRD im „internationalen Vergleich“ zu wenig für Bildung ausgegeben werde, weniger z. B. als in Peru, auch dies eine der klassischen Floskeln der Bildungsdebatten in der Bundesrepublik Deutschland. Erstaunlich ist, daß ein Blick auf den wirklichen Bildungsstand der Bevölkerung, sowie die von ihr getragene Effizienz und die Innovationen der bundesdeutschen Industriegesellschaft einen Vergleich mit Peru oder einem beliebigen anderen Land stets standzuhalten schienen, 1968 wie 2010.

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Da dies nicht mehr wirklich festzustellen war, folgten deutliche Kürzungen. Zuvor wurde die Kommission allerdings von einer „Bewegung“ überrollt, gegen die politische Bildung in dem Sinn, wie sie dort angedacht worden war, kein Mittel war. b) „Linksfaschismus“ und politische Bildung „Erst bei der Beschäftigung mit dem Stoff ging mir auf, daß über eine allgemeine Abgrenzung der Politischen und der Geschichtswissenschaft hinaus sich von letzterer aus eine Möglichkeit bot, Ansätze einer Theorie der Politischen Wissenschaft zur Diskussion zu stellen. Ich bin mir durchaus über die Beschränktheit des Versuchs bewußt – andererseits mußte ich zu meinem Erstaunen feststellen, wie wenig konsistent die bisherigen Erörterungen zur Sache sind.“ Hans Mommsen151

Die 68er Studentenbewegung und die Ausbreitung ihrer militant-intellektuellen, trotz lautstarker Präsenz an den Universitäten nicht immer akademischen Gefolgschaft wurde in der Kommission zur Beratung der Bundesregierung als eine umfassende Niederlage der eigenen Bildungsarbeit empfunden. Das galt für Max Horkheimers Projekt einer Historisierung des Nationalsozialismus, aber auch ganz umfassend für die Inhalte politischer Bildung, soweit sie auf einen liberalen, demokratischen Rechtsstaat zielten. Mit den „68ern“ übernahmen antiliberale, antidemokratische und antibürgerliche Elemente die gesellschaftliche Wortführung, die letztlich dem Verfassungsstaat Bundesrepublik ablehnend gegenüberstanden. Dies kann an dieser Stelle insofern zum Gegenstand der Betrachtung werden, als sich die Frage nach möglichen Zusammenhängen mit einigen Elementen der Bildungspolitik und Elitenprägung der zwei Jahrzehnte vor diesem Umschwung stellt. Jürgen Habermas prägte für den Voluntarismus, der sich Mitte der 1960er Jahre entwikkelte, gegenüber Rudi Dutschke den Begriff des „Linksfaschismus“. Dieser faschistische Zug in den 68er Vorgängen ist dennoch lange Zeit übersehen worden und erst vor relativ kurzer Zeit mit Götz Alys „Unser Kampf“ vor einem breiteren Publikum in die Debatte eingeführt, oder besser gesagt: wieder eingeführt worden.152 Denn er war bereits in der zeitgenössischen Auseinandersetzung präsent und ebenso in der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Frankfurter Schule. Wilhelm Hennis antwortete für die Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung in einer Radioansprache auf die Vorgänge von 1968 im September des Jahres. Es ging um den von der „Bewegung“ erhobenen Vorwurf des Faschismus gegen die BRD als Ausdruck einer ewigen unvernünftigen, irrationalen „deutschen Unruhe“, wie der Titel des Vortrags lautete: „Immer wieder bestätigt sich mir die Beobachtung, daß, wer den Nazismus schon vor dem 8. Mai 1945 erkannt und gehaßt hat, sowohl den Nationalsozialismus wie auch die be-

151 152

BA-KO N 1213 / 4, Schreiben von Hans Mommsen an Rothfels vom 14. Januar 1961. Götz Aly: Unser Kampf – 1968, ein irritierter Blick zurück, Frankfurt 2009.

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haupteten restaurativ ‚faschistoiden‘ Tendenzen der Bundesrepublik völlig anders beurteilt, als wer – sei es aufgrund des Lebensalters oder welcher Gründe auch immer – sich diese nachträgliche Distanz erst nach dem 8. Mai 1945 angebildet oder angelesen hat. Ich kenne eigentlich niemanden, der das Naziregime aus eigener Anschauung gefürchtet hat, den am Nazismus reaktionäre, obrigkeitsstaatliche oder antidemokratische Tendenzen so besonders bedrückt hätten. War es nicht eher das Tyrannische, Zwingende, Unfreie, alles in Marsch setzende, das Totalitäre im wirklich privat-existentiell erfahrenen Sinne, die Herstellung einer unentrinnbaren Wir-Atmosphäre, das Gefühl, daß ständig etwas geschieht, Aktionen bevorstanden? Dies war es doch, was die Menschen fürchten ließ. Der Stahlhelm war reaktionär, die SS wohl kaum. Herr von Papen war für den Obrigkeitsstaat, Hitler sicher eher für die levée en masse, genannt ‚Bewegung‘. Im Nationalsozialismus nur das Autoritäre, Obrigkeitsstaatliche zu sehen, aber das Element der Bewegung nicht sehen wollen, heißt ihn so gut wie überhaupt nicht erkennen. Wenn gegen die Etikettierung der studentischen Rebellion als ‚linksfaschistisch‘ eingewandt wird, daß ‚faschistisch immer nur das zu nennen sei, was diese Rebellen subjektiv oder objektiv bekämpfen, die Verhärtung gesellschaftlicher Gruppen und Tendenzen zum undemokratischen Autoritären‘, so spricht das der Realität des Faschismus Hohn.“153

Im linksfaschistischen Element der 68er Bewegung kamen, wie Clemens Albrecht ausgeführt hat, die Ideologien der dreißiger Jahre zum Durchbruch, und zwar diejenigen ideologischen Elemente, die damals zwar die politische Auseinandersetzung verloren hatten, die aber spiegelbildlich die totale Radikalität des mobilisierenden Nationalsozialismus verkörperten. Eine Bewegung, die den Anspruch auf totale Politisierung des Alltags erhob, griff auch die von der KBB und der politischen Bildung der Bundesrepublik allgemein verkörperte Absicht zur Stützung des bürgerlichen Rechtsstaats an. Allerdings, so ist festzuhalten, hatte ja gerade die nach 1945 in Gang gesetzte Politik- und Sozialwissenschaft, die eben diese politische Bildung tragen sollte, ebenfalls diesen Totalanspruch erhoben. Der als gewöhnlich unpolitisch angesehene Deutsche sollte politisiert werden, dies gehörte zu den Grundsätzen der Umerziehungspolitik, die angeblich zur Demokratie führen sollte. Unpolitische Bürger sollte es nicht mehr geben, jederzeit abrufbare korrekte politische Stellungnahmen waren gefragt und wurden gefordert, wie wir an verschiedensten Stellen gesehen haben. Wenn Hennis daher hier den Anspruch auf bürgerliche Distanz und privates Eigenleben jenseits politischer Alltagsforderungen als Element der Demokratie bezeichnete, so hatte er zwar in der Sache theoretisch recht, beschrieb aber nicht das, was politische Bildung zwischen 1945 und 1968 beinhaltet hatte. Gerade diese private Distanz war nach den Maßgaben transatlantischer Vorgaben nach besten Kräften abgeräumt worden. Die Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung stellte unter anderem den Versuch dar, etwa von Seiten Horkheimers und des AJC, hier wegen der politischen Zukunft der (west)deutschen 153 Wilhelm Hennis in einem Rundfunkvortrag, gehalten im Deutschlandfunk am 19. September 1968, zit. n. BA-KO B 106 / 54126, Bd. 1, Anlage zur 11. Arbeitssitzung der KBB vom 17. – 18. Oktober 1968, 22 Schreibmaschinenseiten, hier S. 9.

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Demokratie Ruhe einkehren zu lassen.154 Die 68er füllten den öffentlichen Raum jetzt wieder mit neuen Forderungen nach permanenter Politisierung antifaschistischen Inhalts, ohne die eigene Verwandtschaft zur früheren „Bewegung“ so recht zu erkennen. Die 11. Arbeitssitzung der KBB sah als einzigen Punkt der Tagesordnung eine Aussprache über den von Hennis gehaltenen Vortrag vor. Man hatte verstanden, daß die Studentenbewegung eine Bankrotterklärung der politischen Bildung darstellte und wollte Konsequenzen ziehen. Es stand schließlich, so hatte es Hennis ausdrücklich gesagt, niemand anderer als der Faschismus in neuem Gewand vor der Tür und drohte die Verfassung zu zerstören. Hennis erläuterte noch einmal, wie er die Geschichte der Faschismusdebatte sah. Die Reeducation habe auf einem liberalen Faschismusbegriff basiert und den NS-Staat als letzte Stufe des deutschen Obrigkeitsstaats begriffen. Das sei sachlich falsch gewesen, aber der Bevölkerung leicht zu vermitteln. Die „Neue Linke“ kritisiere jetzt den Pluralismus und Parlamentarismus im Stil von Carl Schmitt (sic) am Ende der 20er und 30er Jahre und könne sich daher Max Horkheimers altem Diktum anschließen, wer vom Kapitalismus nicht sprechen wolle, solle vom Faschismus schweigen. Hier sei der Faschismus nicht mehr die letzte Stufe des Obrigkeitsstaats, sondern die letzte Stufe des Kapitalismus. Beide Faschismustheorien gingen laut Hennis am eigentlichen Problem vorbei. Was das eigentliche Problem war, konnte aber auch er nicht sagen. Selbst der beste Kenner der Materie, Ernst Nolte, sei nicht imstande, die tieferen Grundlagen des Faschismus außerhalb seiner Epoche zu sehen und nehme „keine Rücksicht auf weit zurückreichende politische, geistige und religiöse geschichtliche Zusammenhänge“.155 Welche Zusammenhänge dies wären, blieb ungesagt und die Kritik an Ernst Nolte, der den Faschismus explizit „in seiner Epoche“ untersucht hatte, geriet damit blaß. Mit anderen Worten hatten Politikwissenschaft und politische Bildung es in zwanzig Jahren Bundesrepublik nicht fertiggebracht, einen der zentralen antidemokratischen Begriffe zu erfassen und zu definieren. Eine an Hennis Erläuterung anschließende Auseinandersetzung zum Thema zwischen Bracher, Krausnick, Ellwein156 und Hennis selbst schien auch nicht weiterzuführen, denn das Protokoll 154 Hennis verzichtete nicht darauf, in seinem Vortrag noch einmal die Ewigkeit der deutschen Teilung zu beschwören: „Werden wir die deutsche Teilung auf alle Zukunft hinnehmen ohne irrationale Revancheversuchungen? Man kann es hoffen, darf man dessen sicher sein?“ Ebd., S. 6. Politische Bildung und Sozialwissenschaften der BRD haben die Vereinigung von BRD und DDR bis zuletzt aktiv bekämpft, dies zeigt ihre Funktion als Legitimationsinstrumente des Status quo, aber auch die wissenschaftliche Dürftigkeit. Das von Hennis im Vortrag geforderte Ende der „deutschen Unruhe“ als Ausdruck von Vernunft liest sich wie die irrationale Forderung nach dem Ende von Politik überhaupt. 155 Vgl. BA-KO B 106 / 54126, Bd. 2, Protokoll der 11. Arbeitssitzung der KBB vom 17. – 18. Oktober 1968, S. 3 f. 156 Thomas Ellwein (geb. 16. 7. 1927 in Hof), Promotion 1950 in Rechtswissenschaften, 1955 – 58 Geschäftsführer der Bayerischen Landeszentrale für Heimatdienst, 1962 – 70 Professur in Frankfurt am Main, 1963 veröffentlichtes Standardwerk „Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland“.

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hielt es nicht für nötig, über die bloße Erwähnung hinaus ihren Inhalt wiederzugeben. Horkheimer ging in dieser Sitzung mit keinem Wort auf sein eben erwähntes, auch von den Studenten vielgebrauchtes, von ihm selbst aber zeitlebens unterdrücktes Bonmot über den Zusammenhang von Kapitalismus- und Faschismuskritik aus den dreißiger Jahren ein. Er sah diesen Zusammenhang seit seinem Amerikaaufenthalt nicht mehr zwingend gegeben, wollte dies aber auch nicht ausdrücklich zur Sprache bringen. Er brachte aber die aktuell von der Kommission zu klärende Frage mit der Feststellung auf den Punkt, nach dem bisher Gehörten sei ihm „die Frage noch unruhiger geworden, was man eigentlich unter politischer Bildung verstehen solle“.157 Dies stellte die Sinnfrage der KBB. Er betonte noch einmal, daß der Nationalsozialismus (nicht: der Faschismus) „nicht nur ein Rückfall, nicht nur eine deutsche Angelegenheit“ gewesen sei, sondern überall auftreten könnte. Das Bewußtsein dafür zu schaffen, war seine Interpretation des Programms der Kommission gewesen, aber ein Echo gab es auch diesmal nicht. Überhaupt erschöpften sich die Äußerungen von Krausnick, Rothfels und anderen Anwesenden zum weiten Teil darin, erneut die Basisbegriffe politischer Bildung und dabei indirekt die Wissenschaftlichkeit des gesamten politikwissenschaftlichen Betriebs in Frage zu stellen. „Je weiter Links, um so demokratischer, daß sei die Maxime der politischen Wissenschaft, und man merke dabei gar nicht, wie man ins Abrutschen gerate,“ so Professor Helmut Kuhn.158 Die mehrfache Feststellung verschiedener Teilnehmer, die politische Bildung hänge vom Zustand der Politik ab, es komme darauf an, ob erfolgreich Politik betrieben werde und auf das persönliche Vorbild der Politiker, war banal und glitt manchmal in Peinlichkeiten ab, die sich teilweise erst Jahrzehnte später offenbarten. So führte Karl Dietrich Bracher einen Teil der studentischen Unruhe auf die NSDAP-Mitgliedschaft des gegenwärtigen Bundeskanzlers Kiesinger zurück. „Er persönlich sei mit Günter Grass der Auffassung, daß man solche Dinge nicht bagatellisieren dürfe,“ – ausgerechnet mit Günter Grass, dem eine Generation später freiwillig selbstenttarnten Waffen-SS-Angehörigen.159 Die Debatten über die Vergangenheitsbewältigung waren auch bei den führenden Bewältigern nicht von Offenheit geprägt. Neben den persönlichen Vergangenheiten blieben nicht nur Begriffe wie „politische Bildung“ und „Faschismus“ dabei an zentraler Stelle ungeklärt. Auch der Konflikt über die Grundfrage, was Judentum sei und ob es das überhaupt gäbe, blieb letztlich in der Schwebe, nachdem im Rahmen der Bildungspolitik zu dieser Frage die gewohnten transatlantischen Wirkungen aufgetreten waren.

157 Vgl. BA-KO B 106 / 54126, Bd. 2, Protokoll der 11. Arbeitssitzung der KBB vom 17. – 18. Oktober 1968, S. 7. 158 Vgl. BA-KO B 106 / 54126, Bd. 2, Protokoll der 11. Arbeitssitzung der KBB vom 17. – 18. Oktober 1968, S. 18. 159 Vgl. BA-KO B 106 / 54126, Bd. 2, Protokoll der 11. Arbeitssitzung der KBB vom 17. – 18. Oktober 1968, S. 17.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

c) Streit um das Bild des Judentums in der Bildungspolitik Als zentrale Aufgabe war nach den Hakenkreuzvorfällen die Vermittlung von Wissen über die Judenverfolgung genannt worden sowie von Wissen über die Struktur totalitärer Gewalt und den Mißbrauch von Macht im Dritten Reich. Auch außerhalb der KBB wurde dieses Thema selbstverständlich bearbeitet. Über das Bild des Judentums in Forschung und Lehre diskutierte etwa eine Fachkonferenz des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) mit Unterstützung des Internationalen Schulbuchinstituts Braunschweig, der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Instituts für Internationale Begegnungen. Der 1957 zunächst von Hans Lamm gegründete160 und 1960 durch Umstrukturierung und Zuschüsse des Bundesinnenministeriums161 stark expandierende Ner Tamid-Verlag veröffentlichte einen Bericht über diese Konferenz und brachte in der Folge auch eine jener Broschüren zum Thema heraus, die von der Kultusministerkonferenz (KMK) dann allen bundesdeutschen Geschichtslehrern zugestellt wurden – Golo Manns: Der Antisemitismus – Wurzeln, Wirkung und Überwindung. Manns Text ging auf einen Vortrag im Rhein-Ruhr-Klub in Düsseldorf zurück und ist sowohl wegen des offiziösen Charakters nach der KMK-Empfehlung als auch wegen seines Inhalts bemerkenswert. Golo Mann trug hier energisch eine Deutung vor, die er zwei Jahre früher in seiner „Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ entwickelt hatte. Deutsche Geschichtslehrer sollten nach Beschluß der KMK die bloße Existenz des Judentums für einen Irrtum erklären: „Man spricht vom europäischen Judentum. Ich frage mich, ob in diesem Sammelbegriff, europäisches Judentum, nicht schon eine Einräumung an den Wahnwitz liegt, der diesen Mord vollbrachte. Denn was ermordet wurde, das waren nicht Juden; das waren Deutsche, Franzosen, Holländer und so fort, denen man eine sinnlos gewordene Gesamtbezeichnung (sic) anheftete.“162

Einige Seiten weiter fuhr er in diesem Sinn fort: „So wenig wie die Weimarer Republik von Juden regiert oder charakterisiert wurde, so wenig gab es eine jüdische Internationale, die auf den Gang der Geschichte irgend einen Einfluß gehabt hätte. Auch diese Internationale war nichts als ein Gespenst im deutschen Gemüt.“163 160 Wie Lamm seinerzeit seinen Einfluß auf die Entstehung der Lizenzpresse in der amerikanischen Zone nur hinter den Kulissen ausübte (s. o.), legte er auch Wert auf Geheimhaltung der Verlagsgründung durch ihn, da er gleichzeitig als Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland amtierte. Zu seiner Verärgerung erwähnte eine Meldung der Deutschen Wochenzeitung am 15. Oktober 1960 indirekt diesen Zusammenhang. Vgl. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 130. 161 Vgl. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 127. Aus der von Andrea Sinn gegebenen Darstellung des Briefwechsels zwischen Lamm und dem Bundesinnenministerium geht nicht explizit hervor, ob und wie viele Zuschüsse schließlich gezahlt wurden, doch läßt der Umfang, in dem schließlich Broschüren und Bücher gratis verschickt, den Rückschluß auf namhafte Beträge zu. 162 Zit. n. Mann, Antisemitismus, S. 16. 163 Zit. n. Mann, Antisemitismus, S. 30.

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In Golo Manns zwei Jahre vorher erschienener, vielgelesener „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ lasen sich die entsprechenden Passagen so: „Auf das schutzloseste Volk der Welt hat H. sich gestürzt; nein, auf gar kein Volk, auf Millionen einzelner Menschen, die sich den verschiedensten Völkern zugehörig fühlten, und hat sie um ihrer ‚Rasse‘, ihres Namens willen zu Tode bringen lassen.“164

In dieser Zuspitzung mutet diese Argumentation wunderlich an, nicht nur, weil zur gleichen Zeit der Staat Israel und mehrere nicht-staatliche Organisationen mit Recht Wiedergutmachung für Taten forderte, die von Deutschen am „jüdischen Volk“ begangen worden waren. Auch das bald darauf vor dem Forum der Weltöffentlichkeit ausgesprochene Todesurteil gegen Adolf Eichmann sprach von dessen „Verbrechen am jüdischen Volk“. Golo Mann dagegen wies hier ja nicht nur den nationalsozialistischen Rassismus zurück, sondern bestritt frei heraus die Existenz des Judentums als politisch-historischer Entität in einer Weise, die offenkundig unzutreffend war. Wenn dies dennoch über die Bildungspolitik künftig als Standard vermittelt werden sollte, und das wurde es vielfach, dann mußte der Begriff des Judentums zu einem ständigen Skandal werden, der frei zwischen seiner angeblichen Gespensternatur und seiner alltäglichen Gegenwart in den Abendnachrichten aus dem Nahen Osten hin und her schwankte. Auf diese Weise konnte der bundesdeutsche Antisemitismus kaum überwunden werden, der sich in der Hakenkreuzaffäre bei näherem Hinsehen zudem selbst als Geheimdienst-Gespenst herausstellte. Es konnte statt dessen in transformierter Gestalt der Dauerzustand eines gestörten und ungeklärten Verhältnisses zwischen den Allgemeinbegriffen „Juden“ und „Deutschen“ entstehen, das die von Horkheimer befürchteten Ressentiments erzeugen würde. Interessanterweise sollte Golo Mann dieser Vortrag eine bereits sicher geglaubte Professorenstelle kosten, durch eine Intervention eben von Max Horkheimer. Allerdings geschah dies nicht wegen seiner umfassenden Dekonstruktion des Begriffs des Judentums, sondern weil er zugleich von „jüdischer Schuld“ im Sinn von „Schuld einzelner Juden“ gesprochen hatte. Dies hatte Nachwirkungen, als er drei Jahre später von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Frankfurter Universität auf Platz Eins der Berufungsliste für den Lehrstuhl für wissenschaftliche Politik gesetzt wurde. Max Horkheimer genügte ein Anruf beim Hessischen Kultusminister, bei dem er Mann einen „heimlichen Antisemiten“ nannte.165 Die Professor erhielt daraufhin Iring Fetscher. Grund für Horkheimers Aktion war eben dieser Vortrag aus dem Jahr 1960, der im Institut für Sozialforschung durch eine umfangreiche Analyse gegangen war und den das American Jewish Committee, für das Horkheimer zu dieser Zeit als „Chief Consultant“ tätig war, des antisemitischen Hintergrunds verdächtigte. Der Leiter der European Division des AJC, Zachariah Shuster, meldete sich deshalb im Februar 1963 bei Horkheimer, um

164 165

Zit. n. Mann, Geschichte, S. 899. Vgl. Albrecht, Gründung, S. 192.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

Mann in Frankfurt zu verhindern, zuerst per Telegramm, dann sicherheitshalber noch einmal schriftlich: „Ich habe Ihnen ein Telegramm betreffs Golo Mann geschickt. … Wenn ich seinen Essay noch einmal lesen würde, fände ich sicher einige Punkte, um meinen Gesamteindruck zu belegen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Ich habe bemerkt, daß Mann, wenn er von der Hitler-Ära spricht, sie immer als die ‚Nazi-Episode‘ bezeichnet. Dies und anderes steht für eine klare Tendenz bei ihm, dieses Kapitel innerhalb der deutschen Geschichte und seine Ereignisse zu verkleinern. Wie ich immer betone, ist dies – wie gesagt – nicht so wichtig wie seine teilweise Übereinstimmung mit einem der Hauptargumente der Nazis, den Einfluß der Juden auf das Leben in Deutschland betreffend.“166

Am 16. März meldete Horkheimer den Erfolg seiner Aktion an Shuster weiter, mit den Worten: „Ich kann Ihnen erfreulicherweise mitteilen, daß unsere Anstrengungen zur Verhinderung von Golo Manns Berufung als Professor für Politikwissenschaft erfolgreich waren, wenigstens in Frankfurt. Es ist meine Überzeugung, daß er unserer Sache erheblich geschadet hätte. Der Inhaber eines Lehrstuhls dieser Art kann einen beachtlichen Einfluß auf künftige Entscheider in vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen, nicht zuletzt auf Lehrer im Bereich höherer Bildung.“167

Da wurde er einmal mehr offen angesprochen, der Zweck der Errichtung des Fachs politische Wissenschaft, für den nun nicht einmal ein Remigrant und antinationalsozialistischer Gelehrter wie Golo Mann politisch zielführend genug argumentierte, der als Sohn einer Mutter jüdischer Abstammung obendrein selbst von der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung betroffen gewesen war. In einem weiteren Antwortschreiben bestätigte Shuster noch einmal, daß Golo Mann zu vage sei und „non-committal“ argumentiere. Symptomatisch für die Denkkategorien der heutigen Sozialwissenschaften ist Clemens Albrechts Interpretation dieser Situation, der dieser Affäre einigen Raum gegeben hat. Schließlich war hier die kuriose Situation entstanden, daß der hochrangige Vertreter einer sowohl in den USA als auch in Europa transatlantisch tätigen jüdischen Organisation erfolgreich und an herausgehobener Stelle auf das Geistesleben in der Bundesrepublik Einfluß nahm, und zwar gegen jemanden, der nur andeutungsweise die Meinung geäußert hatte, es könne jüdischen Einfluß auf das Geistesleben in der Weimarer Republik gegeben haben. Die Ironie der Sache ist offensichtlich, ohne daß Albrecht sie als solche ansprechen würde. Wenigstens Horkheimer dürfte sie dagegen bewußt gewesen sein, denn anders als Albrecht schreibt, waren die Emigranten des Frankfurter Institut für Sozialforschung in den USA keineswegs immer der Ansicht gewesen, „daß der Antisemitismus wie eine psychische Krankheit zu behandeln und zu erklären sei, daß die

166 Shuster an Horkheimer vom 7. Februar 1963, MHA V, 13, 89, hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 192 f. 167 Horkheimer an Shuster vom 16. März 1963, MHA V, 13, 148 f., hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 193.

3. Die gescheiterte Heilung der Nation

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Ursachen mithin allein im Täter liegen.“168 Die Forschungen des Instituts für Sozialforschung hatten, wie oben gesehen, ein anderes Bild ergeben, wenn sie auch nicht veröffentlicht wurden. Clemens Albrecht diskutiert das Phänomen anhand einer möglichen Trennung von Ursachen und Schuld. Wenn der Antisemitismus eine Krankheit sei, dann würden Ursache und Schuld eins sein. Würden sie getrennt betrachtet, dann könnte man das Verhalten der Opfer als erklärende Ursache in die Darstellung mit einbeziehen, auch ohne diese Ursache etwa im nationalsozialistischen Sinn als Teil einer Schuld zu deuten. Er läßt die Entscheidung hierüber zu einer gleichwertigen Sache werden, je nach den Prämissen des Herangehens. Wenn man wie Shuster den Antisemitismus in einem „sozialpsychologischen Erklärungsmuster“ als Krankheit sehe, „mußte“ laut Albrecht die Frage Golo Manns nach dem Realitätsgehalt der NS-Deutungen antisemitisch wirken: „Golo Mann hatte – wie man das später nach einem vieldiskutierten Fall nennen könnte – eine ‚Jenninger-Rede‘ gehalten: guten Willens, aber im Versuch, die historische Wahrheit zu treffen, gegen politisch-moralisch institutionalisierte Sprachregelungen der Vergangenheitsbewältigung verstoßend, die damals, Anfang der 60er Jahre, freilich noch nicht fixiert waren.“169

Der letztlich statt Golo Mann auf den Lehrstuhl berufene Iring Fetscher war dann, folgt man diesem Erklärungsmuster, der geeignete Mann zur Etablierung solcher „Sprachregelungen“ in den bundesdeutschen Führungskreisen von Wirtschaft und Gesellschaft, mit dem Mittel der Lehre scheinbarer „Politikwissenschaft“. Die Bewertung „scheinbar“ ist hier angebracht, denn natürlich ist ein Wissenschaftsbegriff leer, der für das Erreichen politischer Zwecke das öffentliche Feststellen nachweisbarer Tatsachen bewußt verbietet. Mit diesem Mittel kann bei den Adressaten nur ein unaufgeklärtes Weltbild geschaffen werden, das als solches, wie gerade in diesem Fall erkennbar wird, eben Ausdruck von Machtverhältnissen ist und insofern Merkmal einer intellektuellen Unterwerfung. Auf diese Weise wird bestimmt, wer worüber wie denken und reden kann. Im Fall Golo Mann verbot buchstäblich der Einflußreiche mit Hilfe seiner Stellung dem weniger Einflußreichen, ihn als einflußreich zu benennen. An der von Albrecht gezogenen Parallele wird die langfristige Folge solcher Sprachregelungen exemplarisch deutlich. Der Begriff „Jenninger-Rede“ spielt auf den erzwungenen Rücktritt des damaligen Bundestagspräsidenten Jenninger nach einer inhaltlich einwandfreien, aber unglücklich vorgetragenen Rede zur fünfzigjährigen Wiederkehr der „Reichskristallnacht“ von 1938 an, den damals von den Nationalsozialisten deutschlandweit organisierten antijüdischen Ausschreitungen. Ein Jahr später wiederholte der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, als eine Art Experiment Jenningers Rede selbst wörtlich in der Frankfurter Synagoge, ohne daß jemand der Anwesen168 169

Vgl. Albrecht, Gründung, S. 197. Zit. n. Albrecht, Gründung, S. 198.

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den etwas daran auszusetzen hatte.170 Dies läßt sich als Beispiel für die Folgen einer bewußt eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit der bundesdeutschen Elite interpretieren. Auch Philipp Jenninger gehörte zu denen, die transatlantische Reiseprägungen erfahren durften. Zu einem Menschen der freien Rede konnte ihn dies so wenig machen wie die übrige transatlantisch geprägte Politikergeneration. Clemens Albrecht hebt den politischen Kampfwert dieser intellektuellen Beschränkung hervor: „Es waren die generellen Faschismustheorien der Kritischen Theorie, nicht die historischhermeneutischen, moralisch und sachlich äußerst diffizilen Überlegungen Golo Manns, die es einer Generation erlaubten, den verlorenen Kampf der Väter gegen den Faschismus nachzuholen und sich eben dadurch politisch-moralisch für die Demokratie zu qualifizieren.“171

Demokratie wird hier nicht als Chiffre für den tatsächlich vorhandenen Rechtsraum einer Verfassung und dessen Nutzung durch die im Land wohnenden Menschen verstanden, sondern als Kampfbegriff gegen die real existierende bundesdeutsche Demokratie der 1960er Jahre. Mit anderen Worten: Die verweigerte wissenschaftliche Aufklärung über die jüngste Vergangenheit und die Ausbildung anhand ideologischer Leitvorstellungen begünstigte die Entstehung einer Generation, die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre energisch den Kampf gegen ein bereits damals zwanzig Jahre vergangenes Phänomen aufnahm und diese eigene Beschränktheit als Qualifikation begriff. Richtig ist daran wahrscheinlich so viel, daß hier im Kampf gegen diesen Gegner noch einmal die Energien der dreißiger Jahre zum Ausbruch kamen, nur anders ausgerichtet und ohne einen Widerpart auf der Gegenseite.

4. Maßnahmen der Kultusministerkonferenz als Folge der Hakenkreuzaffären Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) griff in die Auseinandersetzungen zur Zeit der Hakenkreuzschmierereien ein. Am 11. / 12. Februar 1960 faßte sie einen Beschluß zur „Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichts- und gemeinschaftskundlichen Unterricht in den Schulen“. Im Juli 1962 sollte sie auch noch „Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus im Unterricht“ beschließen. Beide Beschlüsse wurden erst im Oktober 1991 aufgehoben,172 bildeten also für eine ganze deutsche Generation die Basis des Unterrichts zu diesen Bereichen. Als zentralen Punkt erwähnte der Beschluß die jüngsten Ereignisse gleich eingangs, verwies aber wie die Bundesregierung darauf, es habe „nicht erst der Vorfälle des 170 Vgl. Jens Jessen, Das Experiment – Ignaz Bubis sprach 1989 Jenningers Text, in: FAZ vom 1. Dezember 1995, S. 41, sowie Albrecht, Gründung, S. 198. 171 Zit. n. Albrecht, Gründung, S. 202. 172 So Dietjen, Bildung, S. 118.

4. Maßnahmen der Kultusministerkonferenz

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vergangenen Jahres bedurft“, um die KMK tätig werden zu lassen, und erinnerte an die seit dem Jahr 1950 beschlossenen Grundsätze zur politischen Bildung.173 Dennoch ging die KMK nun deutlich über das bisher Beschlossene hinaus. Die Kontrolle über das, was Lehrer zu lehren hatten, sei erheblich zu erweitern. Alle Lehrer aller Schularten seien zu erfassen: „Sie müssen nachweisen, daß sie die Haupttatsachen kennen, die zur Zerstörung der rechtsstaatlichen Ordnung in der nationalsozialistischen Zeit geführt haben, und daß sie sich eine Meinung gebildet haben über Ursache und Wirkung der Spaltung Deutschlands.“174

Über die Art der „Haupttatsachen“ schwieg sich der Beschluß im Einzelnen aus. Jedoch wurde im weiteren Wert darauf gelegt, „daß die Einrichtung weiterer Lehrstühle für politische Wissenschaften nachhaltig betrieben wird“. An allen Hochschulen und Instituten, an denen Lehrer ausgebildet werden würden, seien auch Lehrstühle für die Didaktik der politischen Wissenschaften einzurichten.175 Für die Politikwissenschaft bedeutete dies in der Tat den Durchbruch zu einer gesellschaftlichen Leitwissenschaft, an deren Theorien und Ansichten in der Folgezeit kein Schüler und kein schulischer Multiplikator mehr vorbeigehen konnte und sollte. Zu diesem Zweck wurden vertiefte und verbreiterte Anstrengungen vereinbart, die auf ein vereinheitlichtes Geschichtsbild abzielten und damit dem Szenario recht nahe kamen, das auf den frühen Gründungskonferenzen des Fachs Politikwissenschaft noch die Sorge vor einer Schulung nach totalitärer Manier mit sich gebracht hatte: – „Es wird vereinbart, welche Themen und Tatsachen aus der nationalsozialistischen Zeit in den Abschlußklassen sämtlicher Schulen des Bundesgebietes im einzelnen zu behandeln sind. Diese Vereinbarung gilt auch dann, wenn vorgesehen ist, daß die Geschichte in der Oberstufe der Gymnasien nicht chronologisch, sondern thematisch behandelt wird.“ – „Die Lehrer- und Schülerbüchereien müssen die grundlegenden Werke zur neuesten Geschichte enthalten. In den Amtsblättern der Ministerien werden verstärkt Hinweise und Besprechungen von wissenschaftlichen und methodischen Werken und von geeigneten Klassenlesestoffen zur neuesten Geschichte und Gemeinschaftskunde gegeben werden.“ – „Die in der Plenarsitzung vom 24. / 25. September 1959 beschlossene Überprüfung der Lehrbücher ist vom Schulausschuß planmäßig auszuwerten, damit den Schulbuchverlegern gemeinsam Hinweise für die Überprüfung und Verbesserung der Bücher gegeben werden können.“ – „Der Geschichtsunterricht ist in allen Klassenstufen im Hinblick auf seinen politischen Bildungsgehalt und auf die Vorbereitung des Unterrichts in der neuesten Geschichte anzulegen.“ 173 174 175

Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 15. Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 16. Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 16.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

Letzteres bedeutete eine besondere Eigentümlichkeit, denn dieser Grundsatz rückte nun die Interpretation der jüngsten Vergangenheit an die Stelle eines Schlüssels zur Interpretation aller Vergangenheiten und öffnete theoretisch die Tür für eine Politisierung des gesamten Geschichtsunterrichts an den Schulen. Ein Jahr später beschloß die KMK dann am 9. / 10. Februar 1961 „Richtlinien für die Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Unterricht“, die bereits eineinhalb weitere Jahre später in „Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus im Unterricht“ umbenannt wurden. Die Politikwissenschaft setzte den Totalitarismusbegriff an die zentrale Stelle der Bildung über die jüngste Vergangenheit. Der Beschluß nannte einige Merkmale des Totalitarismus, darunter die, den „Charakter einer Ersatzreligion“ zu haben, die „uneingeschränkte Beherrschung und völlige Durchdringung des gesamten öffentlichen und privaten Lebens“ zu beanspruchen, werthaltige Begriffe wie Frieden, Freiheit, Demokratie zu mißbrauchen und die „Weltherrschaft“ zu erstreben.176 Verknüpft waren diese allgemeinen Merkmale mit konkreten Aussagen über die jüngste Vergangenheit von Nationalsozialismus und „Bolschewismus“, darunter sowohl zutreffende wie fragwürdige. So sollte der künftige Unterricht darauf Wert legen, den Schülern „eine planmäßige Vorbereitung des 2. Weltkriegs“ durch Hitler nahezulegen, während doch gerade zu dieser Zeit nicht nur Debatten wie die oben erwähnte über David Hoggan und dessen Nachweis der fehlenden Hitlerschen Kriegsabsicht stattfanden. Der englische Historiker A.J.P. Taylor hatte fast gleichzeitig mit Hoggan an das starke Argument erinnert, daß Hitler seinen Staat mit voller Absicht und trotz dringender Ratschläge seiner Berater gerade nicht auf einen großen Krieg vorbereitet hatte und er ihn daher wohl kaum gewollt oder gar planmäßig herbeigeführt haben konnte. Der für diesen Bereich mit verantwortliche General Thomas notierte sich über ein Gespräch mit Hitler im Sommer 1939: „Für Tiefe der Rüstung gekämpft. Abgelehnt durch Führer. Will keinen Krieg, nur bluffen. ‚Dazu brauche ich Breite‘.“177

Aus solchen Gründen fehlte es in Deutschland an der militärischen Vorbereitung, der „Tiefenrüstung“ für einen solchen Krieg, wie er zwischen 1939 und 1945 geführt wurde. Das mußten die Kultusminister als Politiker doch auch spätestens dann zur Kenntnis nehmen, wenn sie ihre gegenteiligen geschichtlichen Vorstellungen zum Maßstab von historisch-politischer Bildung für alle Schüler in der ganzen Bundesrepublik machen wollten. Hier zeigte sich die Problematik von politischen Festschreibungen des öffentlichen Geschichtsbilds ganz deutlich, ebenso wie bei einer weiteren Floskel, die an diesem Tag gewissermaßen für den Schulgebrauch festgeschrieben wurde, der Floskel vom „Überfall auf Polen und auf neutrale Staaten“, der die deutsche Kriegsführung aus jedem politischen und militärischen Zusammenhang herauslöste. Eine eventuelle Reaktion auf tatsächlich vorhandene Pläne von 176 177

Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 20. Zit. n. Thomas, Rüstungswirtschaft, S. 509.

4. Maßnahmen der Kultusministerkonferenz

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Gegnern durften die Angriffe auf Polen oder Norwegen nicht gewesen sein,178 nicht in der deutschen Schule und auch nicht in der universitären Ausbildung der Lehrer. Ziel der Ausbildung sollte es sein, den Belehrten „die Maßlosigkeit Hitlers und die innere Notwendigkeit der Katastrophe“ zu zeigen.179 Dies löste den Nationalsozialismus aus dem politischen und ideologischen Umfeld heraus, in dem er entstanden war, existierte und besiegt wurde. Dafür sorgten in Zukunft unter anderem die Richtlinien der KMK, entworfen durch die Politikwissenschaft. Auch die Empfehlungen für den Unterricht über Bolschewismus hatten neben der Mehrheit der zutreffenden Anmerkungen bedenkliche Zuschreibungen parat, so etwa über die sowjetische Außenpolitik, der die Alleinverantwortung für „gewaltsame Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen; Massenvertreibungen“ angelastet wurde.180 Daß die Umsiedlungen und Vertreibungen nach 1945 auch auf einen lange vor dem Krieg entwickelten polnischen und tschechischen Nationalismus zurückzuführen waren, daß das britische Außenministerium selbst 1944 schon früh erwogen hatte, die Ostdeutschen auszusiedeln und wegen der möglichen politischen Schwierigkeiten komplett den Sowjets zur Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Sibirien anzubieten,181 und daß tatsächlich niemand anderer als die britische Regierung das Mittel der Massenvertreibung bei der Bewältigung des Scheiterns ihrer militärischen Unternehmungen gegen die Türkei in den 1920er Jahren wieder politisch salonfähig gemacht hatte, sollte in deutschen Hörsälen nicht erwähnt werden.182 Nun geschah dies vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts, in dem die Bundesrepublik als Verbündeter des Westens gegen die Sowjets gebraucht wurde. Das stellte ein naheliegendes Motiv für diesen Schritt gegen die besiegten Nationalsozialisten und zugleich gegen die Sowjets dar. Aber dieser Schritt war geeignet, manche Fakten dauerhaft zu vernebeln, die ein faktisch richtiges, aber ungünstiges 178 Das Wiener Library Bulletin brachte im Februar 1960 einen Beitrag des Bonner Chefkorrespondenten des Manchster Guardian, Terence Prittie, der unter anderem die historisch korrekte Aussage aus einem deutschen Schulbuch gestrichen wissen wollte, Hitler habe Norwegen wegen der drohenden Besetzung durch die Westmächte besetzt. Vgl. Wiener Library Bulletin, XIV, No. 1, S. 9, hier nach Stahl, Education, S. 114 f. Dies wurde bis zu diesem Zeitpunkt auch von der BfH in den von ihr herausgebrachten Publikationen noch korrekt dargestellt: „Hitler beschloß, der alliierten Landung in Norwegen durch eine eigene überraschende Landungsoperation zuvorzukommen.“ Zit. n. Mau, Geschichte, S. 144. Auch hier liefert die heutige BfP heutzutage eine radikalisierte Version Heinrich August Winklers, in der diese Zusammenhänge fehlen und in der die Besetzung Norwegens zum „Überfall“ aus rassistischen Lebensraummotiven zusammenphantasiert wird. Vgl. Winkler, Weg, II, S. 78. 179 Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 22. 180 Vgl. Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 22. 181 Report of the Interdepartment Committe on the Transfer of German Populations, APW (44) 34, 26. 6. 1944, CAB 87 / 67, vgl. Kettenacker, Deutschlandplanung, S. 454. 182 Die von Hermann Mau und Helmut Krausnick 1953 verfasste und von der Bundeszentrale für Heimatdienst für politische Bildungszwecke vertriebene „Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit“ klammerte den britischen Beitrag aus und erklärte, das „Beispiel“ für die Vertreibung der Ostdeutschen hätten „die Türken“, „die Russen“ und die „Nationalsozialisten“ gegeben. Vgl. Mau, Geschichte, S. 198.

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VIII. Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

Bild auf die Umstände werfen könnten, die die Bundesrepublik in den transatlantischen Westen geführt hatten. Er fügte sich insofern in ein bundesdeutsches Bewußtsein, das auf einem an bedeutenden Stellen objektiv unzutreffenden Geschichtsbild beruhte, das durch „cultural diplomacy“ seit 1945 mit implantiert worden war.

IX. Schlußbetrachtung Die Einführung von Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesrepublik Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik sowie die Formen ihrer besonderen inhaltlichen und personellen Struktur gehörten zu den Kriegsfolgen des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Es war Teil der Grundannahmen dieser Studie, daß dieser enge zeitliche, inhaltliche und personelle Zusammenhang von Niederlage, Bildungsreform und wissenschaftlicher Neugründung einen erheblichen Einfluß auf die Fragestellungen und die Kategorien ausgeübt hat, in denen innerhalb von Forschung und Lehre nach 1945 auf dem Gebiet des Deutschen Reichs gedacht und geforscht wurde, dem am 3. September 1939 zunächst von Seiten der späteren Besatzungsmächte Großbritannien und Frankreich der Krieg erklärt worden war. Insofern stellte die Einführung betont politisch wertender und bildender Sozialwissenschaften in den Nachfolgestaaten auf dem Boden des handlungsunfähigen deutschen Gesamtstaates neben vielen anderen Aspekten auch einen Akt der Pazifierung und insofern die letzte Fortführung und den faktischen Abschluß des juristisch unabgeschlossenen Krieges dar. Mit dieser Annahme war selbst keine unmittelbare Wertung dieses Vorgangs verbunden, sondern die Einnahme einer Forschungsperspektive, die einen zusammenfassenden Blick auf die Vorgänge in ganz Deutschland ermöglichen sollte. Diese Studie ist in einer Reihe mit den früheren Veröffentlichungen des Autors über den Zweiten Weltkrieg zu sehen und gehört zu den Versuchen, sich der Motivlage der kriegführenden Mächte anzunähern. Der Schwerpunkt der Darstellung lag auf den Ereignissen in der späteren Bundesrepublik Deutschland und hier besonders auf den Wechselbeziehungen zwischen der BRD und den Vereinigten Staaten. Der „Stunde Null“ als einem amerikanischen Konzept der zunächst totalen Zurücksetzung des gesamten gesellschaftlichen Lebens in Deutschland folgte der langsame Neustart eben dieses Lebens, der gerade im Bildungs- und Medienbereich unter umfassender Kontrolle, Zensur und verdeckter wie offener Anregung bestimmter Projekte stattfand. Dabei bestand an vielen Stellen ein erheblicher Widerspruch zwischen dem öffentlich erhobenen Anspruch eines transparent-demokratischen Neubeginns und den in der Praxis vielfach intransparenten Abläufen. Die Neugründung und Neuformierung von Politikwissenschaft und Soziologie hatte in diesem Rahmen einen politischen Zweck, der von führenden Vertretern des Fachs auch immer wieder betont wurde: Sie sollten verhindern, daß „Bonn wieder Weimar“ werden würde, also die Umgestaltung der politisch-gesellschaftlichen Landschaft in Westdeutschland mit dem Ziel einer Westbindung seiner Eliten nachhaltig sicherstellen. Es lassen sich im Rahmen dieser Zielset-

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IX. Schlußbetrachtung

zung verschiedene Schritte unterscheiden, die sich zeitlich allerdings teilweise überlagerten: – Verbotsversuch der alten Eliten – Bildungskontrolle in der Schule nach Inhalt und Personal – Elitenbildung und -übertragung durch Berufsverbote und Remigration – Elitenbildung durch Austauschprogramme – Elitenbildung durch Schaffung von Institutionen / Fachbereichen an den Universitäten.

In diese Neubildungsprogramme zur Einrichtung einer westdeutschen Elite wurden im Prinzip Personen aus allen Einrichtungen des öffentlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens der Bundesrepublik mit einbezogen. Dazu gehörten die kommenden Eliten aus dem ökonomischen Bereich ebenso wie Juristen, Verwaltungsfachkräfte, Journalisten, Politiker, Natur- und Geisteswissenschaftler. Den neugegründeten Sozialwissenschaften fiel im Rahmen dieser Aktivitäten eine Schlüsselrolle zu, da sie den begrifflichen Leitrahmen zu setzen hatten, innerhalb dessen alle Mitglieder der westdeutschen Eliten möglichst denken sollten. Der Begriff der Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft umfasste in diesem Rahmen sowohl die Akzeptanz des neuen grundgesetzlichen Verfassungsrahmens als alternativlos und gut, wie auch die Ableitung einer spezifisch westdeutschen Identität, der des Verfassungspatriotismus. Die Trennung der verfassungspatriotischen westdeutschen Identität von dem als „Österreichbewußtsein“ oder sozialistischem „Klassenbewußtsein“ in den anderen Teilen Vorkriegsdeutschlands geschaffenen Identitäten geschah bewußt als Ziel und Folge alliierter Nachkriegspolitik. Der Begriff des westdeutschen Demokraten wurde dabei nicht nur mit der Zustimmung des Betreffenden zu den formalen Grundsätzen demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung verbunden, also etwa zu freien Wahlen, Regierung auf Zeit, Parlamentarismus, Rechtsstaat und Gewaltenteilung, sondern ebenso mit seiner vorbehaltlosen Zustimmung und Übernahme politischer Grundsatzentscheidungen, die sich aus dem Willen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ergaben, sowie der Übernahme von deren Geschichtsbild. Der Demokratiebegriff erhielt somit eine Doppelbedeutung. Auf personeller Ebene ließ sich im Rahmen dieses Vorgangs ein erheblicher Einfluß von transatlantischen Netzwerken feststellen, die teilweise indirekt durch die nationalsozialistische Politik nach 1933 mit geschaffen worden waren. Ein bedeutender Teil der überwiegend aus Gründen der Rassenverfolgung und Rassengesetzgebung erfolgten Emigration fand seit Ende der 1930er Jahre auf verschiedenen Wegen Eingang in die sich neu formierende amerikanische Politik gegen den NSStaat. Die wesentlichen und vielrezipierten Grundsatzanalysen dieses Staates stammten aus der Feder von Emigranten, wie Franz L. Neumann (Behemoth), Karl Loewenstein (Hitler’s Germany) oder Ernst Fraenkel (Dual State). Sie beeinflussten die Arbeit des US-amerikanischen Geheimdienstes während des Krieges sowie die

IX. Schlußbetrachtung

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Re-Orientierungspolitik nach 1945, an der alle genannten Autoren auch aktiv und an entscheidenden Stellen Anteil hatten. In den Rahmen dieser Re-Orientierungspolitik gehörte auch der Nürnberger Prozeß gegen die Führungsspitze des nationalsozialistischen Deutschland, an dem neben den bekannten Akteuren aus der Emigration wie Robert Kempner auch Emigranten wie Franz L. Neumann und Henry Kellermann mitarbeiteten, die bald darauf an der Entwicklung und Umsetzung von Austausch- und Re-Orientierungsprogrammen an führender Stelle mitwirkten. Auf der wissenschaftlichen Ebene, insbesondere von Politikwissenschaft und Zeitgeschichte, ließ sich als Folge der genannten Zusammenhänge die Entstehung einer Reihe von kategorialen Widersprüchen beobachten. So ging die westdeutsche Wissenschaft von widersprüchlichen Annahmen in Bezug auf Weltbürgertum und die Überholtheit des Nationalstaates aus. Sie sah sich zugleich nicht imstande, die von ihr entwickelten Kategorien des Denkens in Menschen- und Verfassungsrecht auf die politische Wirklichkeit in „ganz Deutschland“ nach 1945 anzuwenden. Unter diesen Voraussetzungen agierten Politikwissenschaft und Zeitgeschichte auch in eigenen Forschungsleistungen häufig als Legitimationswissenschaften des faktischen Geschehens nach 1945, obwohl dieses Geschehen nach ihren Kategorien in wesentlichen Teilen zu verurteilen gewesen wäre. Diese Entwicklung wurde durch die andauernd hohe internationale Spannung begünstigt, unter der die Zeitgeschichtliche Forschung und die Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland anhaltend standen. Insbesondere aus Anlaß der Hakenkreuzaffären des Jahreswechsels 1959 / 60 und der umfassenden Reaktionen im Bereich der Bildungspolitik auf diese Affären zeigte sich die fehlende Kapazität der Sozialwissenschaften, trotz politischen Drucks eine objektive Analyse der Vorgänge zu entwickeln und durchzusetzen.

X. Anhang 1. Kurzbiographien Die statistische Erfassung von persönlichen Netzwerken ist nicht unproblematisch. Die Probleme entstehen dabei weniger als eine Angelegenheit der Methode, denn als eine Frage des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials. Dies gilt beispielsweise für die oben geschilderten Austauschprogramme. Persönliche Daten über die Teilnehmer an transatlantischen Austauschprogrammen stehen nur in geringem Umfang zur Verfügung und wurden, folgt man etwa der Darstellung Henry Kellermanns, auch gar nicht systematisch erfasst. Es ist daher nicht möglich, die Wirkungen des Austauschprogramms insgesamt auf diesem Weg zu erfassen. Im folgenden wird aber untersucht werden, ob und ggf. wie sich die oben geschilderten Besonderheiten der Entstehungsgeschichte des Fachs Politikwissenschaft im Rahmen von Kurzbiographien sinnvoll erfassen lassen. Die Zahl der erfassten Personen ist dabei überschaubar und ihr persönlicher Hintergrund aufgrund der öffentlichen Rolle von universitären Lehrstuhlinhabern hinreichend dokumentiert, um diesen Versuch sinnvoll erscheinen zu lassen. Hans-Joachim Arndt unternahm 1978 bereits einen ähnlichen Versuch, in dem er die Entwicklung des Fachs anhand der Zahl der Lehrstühle und Dozentenstellen bis zu diesem Zeitpunkt nachzeichnete, ergänzt um inhaltliche Komponenten. Er nahm dabei eine Differenz zwischen C-Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein), S-Ländern (Bremen, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen) und als dritter Partei dem Land Nordrhein-Westfalen an.1 Die Differenzen zwischen diesen drei Parteien ergaben sich für ihn zwar auch, aber nicht nur, aus der Regierungsverantwortung bestimmter bundesdeutscher Parteien, und im weiteren aus einer „Färbung“ der Regierungen und der Kultusministerien. Arndt verzichtete dabei darauf, die „Färbung“ der politikwissenschaftlichen Lehrstühle und der Berufungspraxis bis auf die persönlichen Biographien der von ihm ermittelten Lehrstuhlinhaber herunterzubrechen. Er entwickelte ein Schema für die „Benennungen und Ernennungen von Lebenszeit-Professuren“, das für die Herkunft der Professoren neben den oben drei genannten Länderkategorien nur noch die beiden Kategorien „Unidentifiziert“ und „Von Extern – Ausland, Praxis andere Fächer“ kannte. Dieser letzten Kategorie nun gehörten nicht weniger als sechsundzwanzig von siebenundzwanzig der bis 1960 ernannten Lehrstuhlinhaber an und immerhin noch dreißig von achtundsiebzig der zwischen 1961 und 1970 1

Vgl. Arndt, Versuch, S. 136 ff.

1. Kurzbiographien

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berufenen.2 Dies zeigt einerseits die Grenzen einer Kategoriebildung auf, die kulturell-politische Differenzen auf der Ebene der Bundesstaaten der Bundesrepublik Deutschland als Maßstab zur Einstufung des im weiteren Sinn politisch geprägten Hintergrunds der Lehrstuhlinhaber nimmt. Es fällt zu viel durch dieses Raster. Insbesondere viele Personen, die wesentliche Beiträge zur Elitenbildung auch in den Sozialwissenschaften im Rahmen der Austauschprogramme geleistet haben, die einen mit Verfolgung und Emigration verbundenen Hintergrund deutscher Herkunft haben und doch nicht oder nur im Rahmen von Gastvorträgen auf einen Lehrstuhl für Politikwissenschaften in die Bundesrepublik zurückkehrten, wurden auf diese Weise nicht erfasst. Andererseits bildete Arndts Methode indirekt die Provinzialität mancher Auseinandersetzungen in der Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesrepublik Deutschland treffend ab. Im Rahmen der oben gegebenen Darstellung sind wesentliche Elemente der institutionellen Vernetzung, der persönlichen Kontakte und der Biographien der beteiligten Personen bereits angesprochen worden. Die nachfolgende Auflistung von Kurzbiographien versteht sich als Ergänzung dieser Angaben und umfasst auch Personen, auf die im Text nicht eingegangen werden konnte. Vereinzelte Redundanzen ließen sich nicht vermeiden, ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben: Abendroth, Wolfgang (geb. Elberfeld 2. 5. 1906): Promotion in Völkerrecht 1935; 1937 wg. Hochverrat verurteilt; 1943 eingezogen und 1944 desertiert; Seit Oktober 1944 brit. Kriegsgefangener und Dozent im Umerziehungslager Wilton Park; 1947, Prof. für Völkerrecht in Leipzig; o. Prof. für Polit. Wissenschaft Uni Marburg seit 1951, Udoz. Halle 1947, oö. Prof. Jena 1948, Wilhemshaven 1949, 1950 – 1972 Professor in Marburg. Antrick, Otto (17. 4. 1909): 1938 promoviert; seit 1945 bis 1957 Assistent und Priv.-Doz. Neuer Geschichte in Braunschweig, Doz. und ao. Prof. für pol. Wi. am Inst. Weilburg seit 1954, Sohn von Otto Antrick, SPD-MDR. Bergstraesser, Arnold (geb. 14. 7. 1896 Darmstadt, gest. 1964 Freiburg): seit 1924 Geschäftsführer des akademischen Austauschdienstes (AAD), 1932 Inhaber der Eberhard-GotheinGedächtnis-Professur für Auslandskunde am Anglo-Amerikanischen Institut in Heildelberg; wegen jüdischer Abstammung aus dem Dienst entlassen, 1937 Emigration, Lehre in Chicago, 1941 / 42 wegen früherer NS-Neigungen vom FBI verhaftet und für ein paar Monate in einem Internierungslager festgehalten, 1952 Gastprofessur in Erlangen, 1954 Rückkehr nach Deutschland, wg. Ruf nach Freiburg, 1955 – 59 Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, Präsident der deutschen UNESCO-Kommission, zahlreiche weitere Initiativen, gründete 1958 das Ost-West-Institut (heute Studienhaus Wiesneck), Mitglied der AtlantikBrücke, betrieb die Einführung von Gemeinschaftskunde, seine Initiative führte 1961 zur Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft und Politik“, 1962 umbenannt in „Stiftung Wissenschaft und Politik“, Mitglied der KBB. 2 Der Siebenundzwanzigste der bis 1960 berufenen Akademiker wurde von Arndt als „Unidentifiziert“ eingestuft, von den 78 Berufenen der Jahre 61 – 70 stufte er 12 als Unidentifiziert ein. Vgl. Arndt, Versuch, S. 140.

234

X. Anhang

Bergstraesser, Ludwig (geb. 23. 2. 1883 in Altkirch / Elsass): 1906 Promotion, 1910 Habil. für Geschichte in Greifswald; 1933 Entzug der Lehrbefugnis; 1945 Hon. Prof. für Politikwissenschaft in Frankfurt, 1950 in Bonn; 1946 – 51 Lehrauftrag in Darmstadt; RegPräs a. D., MdR 1924 – 28, übernahm von der Militärregierung am 14. April 1945 den Auftrag zur Bildung einer „Deutschen Regierung“ mit Sitz in Darmstadt; MdL (Hessen) seit 1946, Mitglied des Parlamentarischen Rats, Hon. Prof. Uni Bonn, Neuere Gesch. u. Politik, MdB 1949 – 1953. Bordag-Wettengel, Erika (geb. 1921 Dresden): Volksschullehrerin, 1948 Promotion über „Kritik an der Marxschen Wertlehre“; 1950 Prof. mit Lehrauftrag in Dresden, 1953 o. Prof. a. Lehrstuhl für polit. Ökonomie in Dresden. Bracher, Karl Dietrich (Stuttgart 13. 3. 1922): US-Kriegsgefangenschaft, Studium in Tübingen (46 – 49, Diss. 1948), 1947 am Seminar for American Studies in Leopoldskron (bei Salzburg),3 49 / 50 post-doctoral in Harvard, Habil. in Berlin am OSI mit „Weimars Auflösung“, Doz DHfP 1954, PDoz FU Berlin 1955, apl. Prof 1958, o. Prof und Leiter des Seminars für Politische Wissenschaft Bonn 1959. Brecht, Arnold (geb. Lübeck 26. 1. 1884): 1918 – 1933 Regierungsbeamter; 1933 entlassen und emigiert; Prof. of. Political Science, Jurisprudence and Public Finance New York, Gastprof. Heidelberg 1952; während des Krieges als Berater der US-Regierung tätig. Ebbinghaus, Julius (Berlin 9. 11. 1885): 1909 Promotion; Kriegsdienst im WK I; 1921 habil. bei Edmund Husserl, Doz Freiburg 1921, oö. Prof. Rostock 1930, Marburg 1940 gleichzeitig Heerespsychologe; 1945 zum Rektor der Universität Marburg ernannt. Eschenburg, Theodor (geb. 24. 10. 1904 in Kiel): Studium und Promotion in Tübinen und Berlin; Mitarbeiter Gustav Stresemanns; 1933 kurzzeitig SS-Mitglied; während des Krieges in der Wirtschaft tätig; 1945 Flüchtlingskommissar für Württemberg-Hohenzollern; MinR. Innenministerium 1947 – 1951, 1951 HonProf. Uni Tübingen, o. Prof. f. wissensch. Politik Uni Tübingen 1952, rege publizistische Tätigkeit u. a. für die Wochenzeitung „Die Zeit“. Eynern, Gert v. (geb. Wuppertal-Elberfeld 29. 7. 02): 1927 Promotion in Bonn; 1930 – 31 Redakteur von „Magazin der Wirtschaft“; 1931 – 36 Statist. Reichsamt; 1936 – 45 Reichsstelle der Lederwirtschaft; 1946 – 48 Redakteur des „Telegraf“ in Berlin; 1954 / 55 in der Redaktion von „Zeitschrift für Politik“ in Berlin; 1948 – 1971 am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin; Leit. d. Abt Poli. Wirt. und Soziallehre an der DHfP, Lehrbeauftr. für Wirtschaftspol. FU Berlin. Fendt, Franz (geb. München 24. 10. 1892): Studium der Staatswissenschaften, 1936 Promotion bei Adolf Weber über „Der ungelernte Industriearbeiter“; seit 1927 – 1933 und dann wieder ab 1945 Sozialdemokrat; HonProf. München 1942, Juli 1945 von den US-Behörden als Regierungsdirektor eingesetzt; erster Kultusminister Bayerns; Prof. und Rektor d. H. f. Wiss. Politik München 1950 – 1954. Fischer, Fritz (geb. 1908 Ludwigstadt, gest. 1999 Hamburg): 1933 SA, 1936 Antrag auf Umhabilitierung für „politische Geschichte“, 1937 NSDAP, US-Kriegsgefangenschaft, dort Saulus-Paulus-Erlebnis, 1947 Ruf an die Uni Hamburg, 1948 Ordinarius, 1950 – 55 weitere Studienreisen in die USA. 3

Vgl. Lehmann, Verwestlichung, S. 122 f.

1. Kurzbiographien

235

Fischer-Baling, Eugen (geb. Balingen 9. 5. 1881): Studium der Theologie; 1906 Aufgabe des Pfarrberufs und Studium der Geschichte; 1908 promoviert über das „Patriziat Heinrichs III. und Heinrichs IV.“; 1909 habilitiert; 1914 / 15 Soldat, nach Verwundung ausgeschieden; 1919 Geschäftsführer des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Ersten Weltkrieges; Überzeugter Demokrat, kritisierte aber später die a-nationale Haltung der Weimarer Parteien in einem Buch, das zugleich die Revolution von 1918 rechtfertigte: „Volksgericht“. Es wurde von den Nationalsozialisten auf die Liste der zu verbrennenden Bücher gesetzt.; F.-B. konnte nach 1933 dennoch Beamter bleiben, Direktor der Reichstagsbibliothek; 1946 Dozent an der Bergakademie Freiberg / Sachsen; 1949 außerordentlicher; 1953 o. Prof. Wissenschaft v.d. Politik FU Berlin. Flechtheim, Ossip Kurt (geb. Nikolajew / Ukraine 5. 3. 1909): ab 1910 aufgewachsen in Münster; Studium von Rechts- und Staatswissenschaften Freiburg, Paris und Köln; Promotion Dr. jur. 1934 in Köln; kurzzeitig Kommunist; 1935 verhaftet, dann in die Schweiz emigiert; 1939 in die USA emigiert; Prof. für vergl. Parteien und Verfassungsgeschichte DHfP, Inst. für Sozialforschung Uni Columbia 1940, dann bis 1943 Universität Atlanta; 1946 Bürochef beim US-Hauptankläger während des Nürnberger Prozesses; Gastprof. FU Berlin 1951 / 52, HfP Berlin 1952 – 1959, dann bis 1974 o. Prof. am OSI. Flöter, Hans Hinrich (Brake 3. 8. 1910): Studium von Religion, Philosophie und Geschichte; 1933 „Entdecker des Reichstagsbrands in Berlin“; 1933 – 45 Pfarrer in Wittenberg; 1945 – 1949 freier Wissenschaftler in Göttingen, dann USA-Austausch; seit 1951 Sozialdemokrat; Doz. Sowi Bremen 1951 – 1959, Uni of California 1954. Fraenkel, Ernst (Köln 26. 12. 1898): seit 1915 Kriegsdienst; Jura-Studium bei Hugo Sinzheimer; Anwalt bis 1938, aktiv in versch. Widerstandsgruppen; dann Emigration nach England und in die USA; publiziert 1941 „The Dual State“; DHfP, Abt. Leiter DHfP 1951, o. Prof. FU Berlin 1953. Freund, Ludwig (geb. Mühlheim / Ruhr 22. 5. 1898): 1916 – 18 Infanterist; Studium von Pädagogik, Volkskunde und Geschichte, Promotion in Leipzig; 1924 – 1930 Syndicus der Landesverbände Baden und Bayern im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens; 1930 – 34 Syndicus des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten; 1934 emigiert, seit 1936 Assist. Dept. of Econ. Columbia Uni 1936; Prof., Abteilung für polit. Wissenschaft Roosevelt Coll. Chicago seit 1947, 1959 Rückkehr in die Bundesrepublik, erneut deutscher Staatsbürger und Prof. für Politische Wissenschaft in Hannover, erster Träger des Konrad Adenauer-Preises für Wissenschaft. Freund, Michael (geb. Weilheim 18. 1. 1902): Studium von Geschichte, Soziologie, Anglistik und Germanistik in München; Promotion bei Herrmann Oncken zur „Ideengeschichte der englischen Revolution“; Doz. an der DHfP; 1933 – 35 Redakteur „Blick in die Zeit“; Habilitation 1938; bis 1945 Lektor; Doz. f. westeurop. Gesch. Freiburg 1938, ab 1945 Kiel, pl ao. Prof. 1951; o. Prof. 1956; beschäftigte als Prof. so unterschiedliche Mitarbeiter wie Jochen Steffen und Gerhard Stoltenberg. Friedrich, Carl Joachim (geb. 1901 in Leipzig): ab 1921 Studium von Medizin und Nationalökonomie in Marburg und Heidelberg; 1922 Gastaufenthalt in den USA; Organisator weiterer Studienreisen 1924 / 25;4 1925 Promotion bei Alfred Weber, dann Mitarbeiter am Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaft; seit 1925 zusammen mit Alfred 4

Vgl. Füssl, Kulturaustausch, S. 72.

236

X. Anhang

Weber und Arnold Bergstraesser beteiligt an der Gründung des deutsch-amerikanischen Jugendaustauschs; 1926 von Deutschland in die USA gegangen; 1931 ao. Prof. Harvard; o. Prof. Harvard 1937; 1939 Initiator des „American Committee for the Re-Education of Refugee Lawers“. Ziel des Komitees war die dezentralisierte Umschulung von emigrierten deutschen und deutsch-österreichischen Juristen und ihre berufliche Eingliederung in den USA. Stipendiat u. a. Ernst Fraenkel.5 Im Zweiten Weltkrieg Mitarbeit in der Propaganda der USA, zusammen mit Talcott Parsons Leiter der Harvard School of Overseas Administration; Berater der US-Regierung in Fragen der Entnazifizierung; Pers. Berater von General Clay; 1950 Gastprofessur für polit. Wissenschaft in Heidelberg; 1956 o. Prof. ebendort; wechselnde Lehrtätigkeit in Harvard und Heidelberg; 1962 / 63 Präsident der American Political Science Assoziation (APSA). Gablentz, Otto Heinrich v. d. (geb. 1898 Berlin, gest. 1972 ebd.): 1917 als Kriegsteilnehmer verwundet; Studium der Staatswissenschaften und Promotion 1920; 1925 Referent im Reichswirtschaftsministerium; 1933 – 45 Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie; seit 1940 Kreisauer Kreis, Mitbegründer der CDU in der SBZ, 48 – 50 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat zur Wirtschaftsverwaltung in der Bizone, 1948 Mitbegründer der Deutschen Hochschule für Politik, 1953 Ruf an die FU Berlin; Direktor der DHfP 1955 – 1959. Grabowsky, Adolf (geb. Berlin 31. 8. 1880): Studium der Rechts- und Staatswissenschaften; 1903 Referendariatsexamen und Promotion; 1907 – 1933 und 1954 – 1969 Gründer und Redakteur der „Zeitschrift für Politik“; Unteroffizier im Weltkrieg; 1917 Mitglied im „Volksbund für Freiheit und Vaterland“; Doz. DHfP 1921 – 33, Doz TH Berlin 1930 – 33, wegen rassischer Verfolgung emigriert, beaufragt mit Vorlesungen durch das Erziehungsdepartment des Kantons Baselstadt, Leiter Weltpolit. Archiv Basel, Lehrbeauftragter Uni Marburg,6 1952 Professur in Gießen. Gurian, Waldemar (geb. St. Petersburg 13. 2. 1902): jüdisch-armenischer Herkunft; Studium in Köln, Breslau, München und Berlin; 1923 Promotion bei Max Scheler; 1931 Veröffentlichung von „Bolschewismus – Einführung in Geschichte und Lehre“, einer Deutung des Sowjetsystems nicht als marxistischem, sondern als „totalem Staat“; 1934 Bruch mit Carl Schmitt nach dessen juristischer Rechtfertigung der Röhm-Morde; Gurian prägte die Formel von Schmitt als dem „Kronjuristen des Dritten Reiches; 1934 Emigration in die Schweiz, 1937 in die USA; Prof. of Political Science bei Uni of Notre Dame, Indiana – Veröffentlichung u. a. „Um des Reiches Zukunft“ (Pseudonym W. Gerhard), „Bolschewismus als Weltgefahr“, „Marxismus am Ende?“ (Pseudonym L. Brunner). Habermas, Jürgen (geb. 1929 Düsseldorf): 1949 – 54 Studium in Göttingen, Zürich und Bonn; seit 1950 / 51 beeinflusst von K.O. Apels „amerikanischem Pragmatismus“; 1963 – 65 Hauptbeteiligter am „Positivismusstreit“, 1964 Nachfolger von Horkheimer auf dessen Frankfurter Lehrstuhl für Soziologie und Philosophie. Hermens, Ferdinand Aloys (geb. Niehelm / Höxter 20. 12. 1906): 1930 Promotion mit einer Arbeit über „Demokratie und Kapitalismus“; Forschungsmitglied einer Studie über antiparlamentarische Parteien und Assistent an der TH Berlin; 1934 emigriert und Prof. of Political Science Indiana, Veröffent.: Demokratie oder Anarchie (1951); 1959 Nachfolger des ehemaligen Reichskanzlers Brüning als Professor für Politikwissenschaft in Köln; Erster Direk5 6

Alle Stipendiaten schlossen ihre Umschulung erfolgreich ab. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 25 f. Kürschner 1954, S. 696.

1. Kurzbiographien

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tor des 1960 errichteten Forschungsinstituts für politische Wissenschaft, im Wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift für Politik. Heuss, Theodor (geb. 1884 in Brackenheim): Studium von Nationalökonomie, Geschichte und Staatswissenschaften in München und Berlin; 1905 Promotion in Heilbronn; 1905 – 1912 Leiter von Friedrich Naumanns Zeitschrift „Die Hilfe“; 1912 – 1918 Chefredakteur der Neckar-Zeitung (Heilbronn); Studienleiter und Dozent an der DHfP 1920 – 1933, MdR 1924 – 28 und 1930 – 33; 1933 Aberkennung des Reichstagsmandats; 1936 Publikationsverbot; 1945 US-Lizenzträger für die Rhein-Neckar-Zeitung; Kultusminister Baden-Württemberg; 1946 / 47 Professur für Geschichte an der TH Stuttgart; 1949 MdB; September 1949 Bundespräsident; Hon. Prof. für Politik und Gesch. Universität Bonn. Hofer, Walther (geb. 1920 in Kappelen, Schweiz): 1939 – 46 Studium von Geschichte, Philosophie und Germanistik in Bern und Zürich; 1947 Promotion, 1947 – 50 Assistent an der Univ. Zürich und der Militärschule der ETH Zürich; 1950 Dozent an der FU Berlin, 1954 außerordentlicher, 1958 ordentlicher Prof. für Wissenschaft von der Politik; gleichzeitig Dozent an der DHfP; 1959 / 60 Columbia Universität; 1960 o. Prof. für Geschichte an der Universität Bern; die aus seiner Habilitationsschrift entstandene Studie über die „Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“ gehört mit ihrer ausschließlichen Betonung deutscher und (teilweise) sowjetischer Verantwortung für den Krieg von 1939 zum Kernbestand des objektiv unzutreffenden Geschichtsbilds der westlichen und bundesdeutschen Politikwissenschaft. Holborn, Hajo (geb. 18. 5. 1902 in Berlin): Promotion 1924 bei Friedrich Meinecke, seit 1926 Privatdozent in Heidelberg; im selben Jahr Dozentur an der DHfP, 1933 nach Großbritannien emigiert, 1934 in die USA, Gastprofessur in Yale, Kriegseinsatz für das OSS, nach 1945 weiter Professor in Yale, zugleich weiter Berater der US-Regierung in mehreren Berichten aus dem besetzten Deutschland; 1967 Präsident der American Historical Society. Jacobsen, Hans-Adolf (geb. 1925 in Berlin): 1943 eingezogen, 1944 – 1949 in sowjetischer Gefangenschaft, eine positiv-prägende Erfahrung, Mitglied im NKFD; nach Rückkehr Studium von Slawistik und Volswirtschaft in Heidelberg und Göttingen; 1956 – 61 Dozent an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung in Koblenz; 1961 – 64 Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Dozent an der Universität Bonn; 1966 Habilitation; 1969 – 1990 o. Prof. für Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und Internationale Beziehungen; J. prägte als Autor von Veröffentlichungen über die NS-Außenpolitik und Herausgeber von Diensttagebüchern das geschichtspolitische Bild von den Jahren vor 1945 entscheidend mit. Jordan, Henry P. (geb. 4. 9. 1897, Frankfurt): bis 1933 im Auswärtigen Dienst der Weimarer Republik; entlassen und emigiert, seit Mitte der 30er Jahre Lehrtätigkeit an amerikanischen Hochschulen; Assist. Prof. of Government New York, Gastprof. Uni Puerto Rico 1943, Rutgers Uni 1946, Queens Coll. 1946 / 47, Veröffentlicht: Problems of Post-War Reconstruction (1942), Vortragstätigkeit in Nachkriegsdeutschland, beispielsweise 1950 über „Politische Freiheit in Amerika“. Kaufmann, Erich (geb. 21. 9. 1880 in Demmin): Promotion 1906 in Halle, Habilitation 1908 in Kiel, 1908 Prof. in Königsberg, 1917 in Berlin, 1934 wg. der Rassegesetze entlassen, 1938 emigriert, 1947 Prof. in München, 1950 em. und tätig als Berater der Bundesregierung. Kirchheimer, Otto (geb. 11. November 1905 in Heilbronn): Studium der Rechte und der Soziologie in München, Köln, Berlin und Bonn; 1928 Promotion in Bonn zum Dr. jur. bei Carl

238

X. Anhang

Schmitt mit einer Arbeit über „Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus“; 1930 – 33 Mitarbeiter der sozialdemokratischen Zeitschrift „Die Gesellschaft“; Gleichzeitig Dozent für Politikwissenschaft; 1932 / 33 Tätigkeit als Anwalt in Berlin; 1933 Emigration nach Paris; 1937 in die USA; dort 1937 – 42 Assistent am International Institute of Social Research; seit 1943 Agent für die R&A der OSS; 1952 – 56 Chef der Zentraleuropasektion des Dienstes im State Department; 1954 – 61 o. Prof. für Political Science an der New School for Social Research; 1960 – 65 Prof. für Political Science an der Columbia University; 1961 / 62 Fulbrright Professor in Freiburg. Koenen, Bernhard (geb. 17. 2. 1889 in Hamburg): 1907 SPD-Mitglied 1917 USPD, 1920 KPD; 1933 von SA schwer verletzt und danach in die UdSSR emigiert; 1937 – 39 im Rahmen des großen Terrors inhaftiert; 1941 – 43 beim „Deutschen Volkssender“; seit 1943 im NKFD und Mitglied des ZK der KPD; UProf m. Lehrauftrag, Uni Halle, Politische und soziale Probleme der Gegenwart. Kogon, Eugen (geb. München 2. 2. 1903): Klosterschüler, Studium von Nationalökonomie und Soziologie in München, Florenz und Wien; 1927 Promotion; Redakteur bei einer katholischen Zeitschrift „Schönere Zukunft“; seit 1934 Vermögensverwalter des Hauses SachsenCoburg-Gotha; seit 1936 mehrfach verhaftet, 1939 – 1945 Insasse des KZ Buchenwald; 1945 Chronist für die US-Army im Camp King; zeitgleich Arbeit an „Der SS-Staat“, einem Standardwerk über das Konzentrationslagerwesen; gründete 1946 zusammen mit Walter Dirks die „Frankfurter Hefte“; 1949 – 54 Präsident der Europa-Union Deutschland; 1951 – 1968 o. Prof. für Politikwissenschaft TH Darmstadt, 1964 / 65 zeitweise Leiter und Moderator des Fernsehmagazins Panorama. Landshut, Siegfried (geb. 7. August 1897 in Straßburg): 1921 Dr. rer. Pol. in Freiburg, 1925 bis 1927 Assistent am Institut für Auswärtige Politik in Hamburg; danach wissenschaftl. Assistent an der Universität Hamburg; UniProf. Hamburg, Priv. Doz Uni Hamburg 1933, 1933 nach Ägypten emigiert; Forschungsmitgl. Uni Jerusalem 1936 – 38, Dozent in Kairo und an der Hebrew University 1948 – 51 o. Professur für Politische Wissenschaft Hamburg 1951. Leibholz, Gerhard (geb. 15. 11. 1901 in Berlin): 1920 Promotion (Dr. phil), 1929 Promotion (Dr. jur.), 1929 Prof. in Greifswald, 1931 in Göttingen, 1935 wg. der Rassegesetze in den Ruhestand versetzt, 1938 emigiriert, 1947 Rückkehr an die Universität Göttingen. Leibrock, Otto (geb. 24. 5. 1893): HonProf. Staatswissenschaften TU Berlin, Veröffentlicht: Die Unternehmerfunktion als Wesenselement der modernen Sozialwissenschaft (1951), Die Berliner Industrie als politisches Aktivum (1953). Marcuse, Herbert (geb. 19. Juli 1898 in Berlin): 1916 einberufen; 1918 – 22 Studium von Literaturgeschichte, Philosophie und Nationalökonomie in Berlin und Freiburg; 1922 Promotion; 1933 in die Schweiz emigriert; 1934 in die USA; Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung; seit 1942 Agent für das OSS; 1945 – 1951 Europa-Sektionsleiter einer OSS-Nachfolgeorganisation; 1954 Prof. für Politiwissenschaft an der Brandeis University; 1965 ao. Prof. an der FU Berlin. Meyer, Ernst Wilhelm (geb. Leobschütz 2. 4. 1892): Prof. f. wiss. Politik Uni Frankfurt, Mitgl. Amer. Acad. Politic, Assoc. Prof. of Political Science Bucknell Uni Lewisburg, Lehrbeauftragter Uni Frankfurt und Marburg seit 1947, 1949 Prof. in Frankfurt, Veröffentlicht: Kampf um die deutsche Außenpolitik (1931), Repercussions of National Socialism upon

1. Kurzbiographien

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foreign countries (1939), National Selfdetermination (1946), Später deutscher Botschafter in Indien. Neumann, Franz Leopold (geb. 1900 in Kattowitz): 1923 Promotion als Jurist, 1927 Anwalt für Arbeitsrecht, 1928 – 33 Lehrauftrag für Arbeitsrecht an der HfP, Mai 1933 emigriert, Neustudium in London seit 1933, Promotion 1936 bei Harold Laski über „The Governance of the Rule of Law“, Verfasser von „Behemoth“, eines Deutungsversuchs des NS-Staats; seit 1942 in der R&A des OSS, 1945 – 1947 Leiter der Deutschlandabteilung der jetzt unter dem Namen „Office of Research and Intelligence“ beim State Department angesiedelten R&A. Seit 1947 Professor an der Columbia, Mitwirkung an der Vorbereitung des Nürnberger Prozesses, zahlreiche Funktionen in der Gründungsphase der Politikwissenschaft in Deutschland. Niekisch, Ernst (geb. Trebnitz 23. 5. 1889): Volksschullehrer; 1919 – 22 Mitglied der USPD; beteiligt an der Münchener Räterepublik; 1926 – 1934 politisierender Nationalrevolutionär; 1937 – 1945 wegen konspirativer Tätigkeit in Haft mit schweren gesundheitlichen Folgen; 1945 KPD- und SED-Mitglied; o. UniProf. Berlin, Lehrauftrag Berlin 1948, Prof. 1949 für Politik, Soziologie, Gesellschaftsphilosophie; seine Assistenten dort u. a. Werner Maser und Wolfgang Venohr; 1949 Abgeordneter der Volkskammer; 1953 nach dem 17. Juni alle Ämter niedergelegt; 1955 Austritt aus der SED; Niekisch publizierte als linker Nationalrevolutionär etliche Schriften gegen den Nationalsozialismus. Niemeyer, Gerhart (geb. Essen 15. 2. 1907): Prof. of Political Science, Oglethorpe Uni, Georgia; Lektor Madrid 1934, Lectur. in Polit. Princeton 1937; Prof. in Oglethorpe 1940, Veröffentlicht: Vom Wesen der gesell. Sicherheit (1935), Law withour Force (1941), The Second Chance – Amerika and the Peace (1944). Oberländer, Theodor (geb. Meiningen, 1. 5. 1905): 1923 – 27 Studium der Landwirtschaft; 1929 Promotion in Volkswirtschaft; 1932 als Stipendiat der Ford-Foundation ausgedehnte Reisen nach China, Japan, Kanada und die USA; 1933 in Königsberg habilitiert; Dr. agr., rer.-pol., Prof. Uni Königsberg 1937, Prof. Uni Prag 1940 – 1945, 1945 / 46 amerik. Kriegsgefangenschaft; bis 1949 nachgewiesene Analysetätigkeit für den US-Geheimdienst; 1948 FDP-Mitglied; 1950 BHE; 1953 – 1961 und 1963 – 65 MdB, zunächst für den BHE; 1955 zur CDU / CSU übergetreten; Veröffentlicht: Die agrar. Übervölkerung Polens (1935), Die Landwirtschaft Posen-Pommerellens vor und nach d. Abtretung vom Deutschen Reich (1937)7, „Prof. und Staatssekretär für Angelegenheiten d. Heimatvertr“.8 Roepke, Fritz (geb. Berlin 26. 5. 84): Doz DHfP; 1940 – 45 DAWF; gelang nach 1945 als einem der wenigen Mitarbeiter der DAWF die Fortsetzung von Lehrtätigkeit im politikwissenschaftlichen Bereich. Rüstow, Alexander (geb. 8. April 1885 in Wiesbaden): 1903 – 1908 Studium in Göttingen, München, Berlin; 1908 Promotion in Erlangen; 1908 – 11 wissenschaftlicher Abteilungsleiter im Fach Teubner; 1911 – 14 Arbeit an der der Habilschrift; 1914 Kriegsfreiwilliger, mehrfach ausgezeichnet; 1918 überzeugter Revolutionär, 1918 – 24 Referent im Reichswirtschaftsministerium für die Nationalisierung der Kohleindustrie des Ruhrgebiets; seit 1924 Syndikus beim Verein deutscher Maschinenbauanstalten; Dozent an der DHfP; 1933 emigriert; o. Prof. in Istanbul für Wirtschafsgeschichte; Verbindung zu Franz von Papen (dt. Bot7 8

Kürschner 1950, S. 1478, von Oberländer angegebenes Spezialgebiet: Agrarpolitik. Kürschner 1954, dort alle Angaben über die NS-Zeit gestrichen.

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X. Anhang

schafter in der Türkei), James v. Moltke (Kreisauer Kreis) und amerik. Geheimdienstkreisen; 1949 Rückkehr nach Deutschland; 1950 o. Prof. für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Heidelberg. Schmid, Karl (Carlo) (geb. Perpignan 3. 12. 1896): 1914 – 1918 Kriegsteilnehmer; 1919 – 24 Studium der Rechte, Promotion 1923; 1927 – 31 Richter am Amtsgericht Tübingen; beurlaubt 1927 / 28 als Referent der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin; 1929 Habilitation, seit 1930 Privatdozent in Tübingen; 1940 – 45 Kriegsdienst; 1946 erneut Prof. für öffentliches Recht in Tübingen; Prof. f. Wissenschaftliche Politik in Frankfurt 1953. Schreinert, Albert (geb. 7. August 1893 in Aglasterhausen): Gründungsmitglied KPD, Mitglied im Spartakusbund; Kriegsminister der Revolutionsregierung in Württemberg; Hauptamtlicher Angestellter der KPD; 1924 Militärfachschule in Moskau; 1933 nach Frankreich; Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg; 1939 Flucht nach Marokko; dort interniert; 1941 – 1946 in den USA; dort Mitbegründer der „German-American Emergency Conference“ und des Council for a Democratic Germany“; 1946 Rückkehr und SED-Mitglied; 1947 o. UniProf. Leipzig für Staatenkunde und Internationale Beziehungen; 1953 am Museum für Deutsche Geschichte, 1956 in die Akademie der Wissenschaften der DDR aufgenommen. Speier, Hans: bis 1933 Dozent an der Berliner Hochschule für Politik. Er emigrierte im September 1933, da er von der Hochschule entlassen wurde und seine Frau als Jüdin ihre Zulassung als Ärztin verlor. Seit 1933 Mitglied der Graduate Faculty der New School for Social Research an der „University-in-Exile“. Speier gehörte nach 1945 bis 1948 als Mitarbeiter des State Department als Associate Chief zu dessen Area Division V – Occupied Areas (ADO), phasenweise zu den Vorgesetzten von Henry Kellermann. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. „West German Leadership and Foreign Policy“, New York 1957. Stern-Rubarth, Edgar (geb. Frankfurt 15. 8. 1883): Doz. DHfP 1920 – 22, Gastvorlesungen in Michigan, Chicago und Münster (dort 1947 / 48), Spezialgebiet Massenpsychologie und Proganda, veröffent.: Die Propaganda als polit. Instrument (1921), Three Men tried … (Stresemann, Briand, Chamberlain suchen die europ. Einigung) engl. 1938, dt. 1948, „Exit Prussia – A Plan for Europe“ (1940), Short History of the Germans (1941). Sternberger, Dolf (geb. Wiesbaden 28. 7. 1907): Lehrbeauftr. für die Wissenschaft von der Politik Uni Heidelberg, veröffent. „Parties and party Systems in Postwar-Germany“ (1948 in: Annals Amer. Acad. of Pol. and Soc. Sci.), „Forms and Formation of Coalition Government with special reference to post-war Germany“ (1953); Mitherausgeber der Zeitschriften „Die Wandlung“ (1945 – 1949) und „Die Gegenwart“ (1950 – 1958). Stourzh, Gerald (geb. 1929): 50er Jahre Uni Chicago, 64 – 69 FU Berlin, 69 – 97 Wien, 67 / 68 Institute or Advanced Study in Princeton, 76 Fellow am Churchill College in Cambridge. Suhr, Otto (geb. Oldenburg 17. 8. 1894): 1914 – 18 Kriegsteilnehmer; nach 1918 Studium von Volkswirtschaft, Geschichte und Zeitungswissenschaft; 1923 Promotion; Arbeitersekretär beim Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund; Sozialdemokrat; 1925 Dozent für Wirtschaftswissenschaften Universität Jena; als „jüdisch versippt“ verfolgt; 1948 / 49 Parlamentarischer Rat; 1949 MdB; 1948 – 1955 Dir. DHfP; HonProf. f. Theorie d. Politik FU Berlin, 1955 – 57 Regierender Bürgermeister von Berlin. Voegelin, Eric (geb. 3. 1. 1901): Studienaufenthalte in den USA und Frankreich; 1928 Promotion in Wien, danach dort Priv. Dozent für Gesellschaftslehre und allgemeine Staatstheorie; ao. Prof. Wien 1936, 1938 nach dem Anschluß Österreichs emigriert; Instructor and Tutor Harvard 1938, Assist. Prof. Uni Alabama 1939, Assoc. Prof. Louisiana State Uni 1942,

2. Politikwissenschaftliche Lehrstühle im Jahr 1959

241

Prof. 1946, Theorie der Politik, Geschichte und polit. Ideen; 1958 nach München auf den Lehrstuhl Max Webers berufen; dort Gründung des Geschwister-Scholl-Instituts für Politische Wissenschaft; nach Emeritierung 1969 in die USA zurückgekehrt. Wille, Franz (geb. Nauen 20. 12. 1867, gest. 11. 11. 1951): 1895 – 99 Assistent an der UB Berlin; 1923 – 33 Bibliotheksrat; Mitarb. für Literaturübersicht d. Zs. d. Akademie für deutsches Recht bis 1944. Winter, Arno (geb. Crimmitschau / Sa. 7. 5. 1895): Prof., Lehrbeauftragter Uni Hamburg 1953 veröffentl.: Landflucht – grundsätzliche Betrachtung zu einem völkischen Lebensproblem (1939), Das Rationalisierungsproblem vom volkswirtschaftl. Standpunkt (1939) Messen und Ausstellungen – Manifestationen schöpferischer Kraft (1952). Zapf, Wilhelm Hugo (28. 4. 02): HonProf. 1942, Spezialgebiet Industrielle Wehrwirtschaft; 1945 als Hauptgeschäftsführer der „Wirtschaftskammer Mainfranken“ im Rahmen der Entnazifizierung entlassen.

2. Politikwissenschaftliche Lehrstühle im Jahr 19599 FU Berlin (ab 1952): oP Fraenkel, aoP Otto Heinrich von der Gablentz, Hofer, 2 aplP, 1 PD Bonn: 1 oP (seit 1959) Bracher Darmstadt: 1 oP (seit 1948) ab 1951 Kogon Frankfurt: 1 oP (seit 1948) ab 1951 Meyer, ab 1953 Schmid Freiburg: 1 oP seit 1954 Bergstraesser, 1 PD Gießen: 1 aplP Göttingen: 1 oP seit 1947 Leibholz Hamburg: 1 oP seit 1951 Landshut Heidelberg: 1 op seit 1954 Friedrich Kiel: 1 oP seit 1951 Freund Köln: 1 oP 1951 – 55 Brüning, seit 1959 Hermens Marburg: 1 oP seit 1948, seit 1950 Abendroth München: seit 1958 Voegelin Saarbrücken: 1 aoP Tübingen: 1 oP, seit 1951 (1952 – 54 Bergstraesser), seit 1952 Eschenburg Wilhelmshaven: 1 oP Seidel

9

Vgl. Hochschulverband, Lehrstühle, S. 28 und S. 73.

242

X. Anhang

3. Daten und Ereignisse in der Bildungspolitik Dezember 1945 Erste Tagung der Kultusminister der Länder der amerikanischen Besatzungszone 1. August 1946 Fulbright-Act wird unterzeichnet August 1946 Plan für ständige Tagungen der Kultusministerkonferenz aufgestellt 20. September 1946 Zook-Bericht über den gegenwärtigen Stand der Erziehung in Deutschland liegt vor 13. März 1947 State-War-Navy Coordinating Committee erläßt die Direktive 269 / 8 und veröffentlicht die Entscheidung der US-Regierung, „to permit and encourage the revival of visits of Germany … and of persons from the United States to Germany“10 Sommer 1947 Verhandlungen über eine Konferenz der Erziehungsminister der vier Zonen Februar 1948 Einzige Tagung der Kultusminister aller BRD-Länder in Stuttgart 7. – 12. Oktober 1948 Konferenz in Berchtesgaden; Teilnehmer u. a. der gesamte Stab der OMGUS Education and Cultural Relations Division11 25. – 29. April 1949 International Conference on Comparative Education, Chiemsee 10. / 11. September 1949 Konferenz von Waldleiningen (Politikwissenschaft) 21. September 1949 Die „Exchanges Division“ wird eingerichtet, „which controls, evaluates and administers all programs for the exchange of persons and reorientation materials“12 Dezember 1949 Konferenz von US-Offizieren aus dem Bereich Erziehung legt in Bad Nauheim die Bedingungen fest, die in Deutschlands Bildungsystem unter Aufsicht des USHochkommissars etabliert werden sollen13 März 1950 Berliner Tagung (Politikwissenschaft) 6. Juni 1950 USA und Österreich unterzeichnen Fulbright-Abkommen 15. Juni 1950 Ständige Konferenz der Kultusminister stellt Grundsätze zur Politischen Bildung in den Schulen auf 15. / 16. Juli 1950 Konferenz von Königstein (Politikwissenschaft) 12. Jui bis 23. August 1950 UNESCO-Seminar zur Neuorientierung des Geschichtsunterrichts in Brüssel. 60 Teilnehmer aus 25 Staaten, auch aus Deutschland und Österreich. 1951 Council for Cultural Cooperation (CCC) des Europarats gegründet. Auftrag: Die historisch-politische Bildung der EWG / EG Staaten zu beeinflussen14 1951 Kölner UNESCO Institut für Sozialwissenschaften gegründet Herbst 1951 „Komitee Transocean Brücke“ konstituiert sich 10 11 12 13 14

Vgl. Kellermann, Relations, S. 27. Vgl. Pilgert, System, S. 12. Vgl. Pilgert, Exchange, S. 13. Vgl. Pilgert, System, S. 12 f. Vgl. Haupt, Geschichtsmanipulation, S. 16.

3. Daten und Ereignisse in der Bildungspolitik

243

1952 Transatlantik-Brücke gegründet Februar 1952 Konferenz im Institut für Sozialforschung 18. Juli 1952 Konrad Adenauer und John McCloy als amerikanischer Hoher Kommissar unterzeichnen in Bonn das Fulbright-Abkommen 1952 Unter anderem Erik Blumenfeld und Eric M. Warburg gründen die Atlantik-Brücke 2. und 3. Dezember 1952 Konferenz der BfH zur Bekämpfung des Antisemitismus 1953 Schulbuchausschuß des Europarats gegründet 15. / 16. Mai 1953 Tagung des IfS über Forschungsergebnisse zur Latenz des Antisemitismus und Teilnahme eines Referenten der BfH15 17. Dezember 1953 Kultusministerkonferenz verabschiedet Grundsätze für den Geschichtsunterricht 6. Januar 1954 Westdeutsche Rektorenkonferenz verabschiedet Empfehlungen für die politische Bildung und Erziehung an den Universitäten und Hochschulen16 1955 Gutachten des Deutschen Aussschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen zur Politischen Bildung und Erziehung 16. März 1956 Deutscher Aussschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen verabschiedet Gutachten „Osteuropa in der politischen Bildung“17 13. Dezember 1956 KMK verabschiedet Empfehlungen zur Ostkunde18 22. November 1957 Ostkolleg der BfH (BpB) gegründet Anfang 1959 „Germania Judaica“ gegründet. Aufgabe unter anderem: Führung einer Referentenkartei zur Beratung von Universitäten, Schulen usw., sowie Verbindungsaufnahme zu Studienseminaren, juristischen Ausbildungsstätten, Pädagogischen Akademien zur Beeinflussung von deren Referatsthemen19 1. Februar – 30. April 1959 Baden-Württemberg gibt Erlasse über den Geschichtsunterricht für sämtliche Schüler heraus. Die anderen Bundesländer folgen mit ähnlichen Erlassen im Lauf des Jahres April 1959 71. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz fordert ständige Überprüfung der 1953 aufgestellten Forderungen 24. / 25. September 1959 Beschluß der KMK zur „Überprüfung der im Gebrauch befindlichen Geschichts- und Geographie Lehrbücher“ Oktober 1959 Konferenz von ACG und Atlantik-Brücke in Bad Godesberg Weihnachten 1959 Hakenkreuzaffäre 15 Vgl. BA-KO B 168 / 368, Bericht der BfH an den Bundesinnenminister vom 7. Januar 1954 über Maßnahmen gegen den Antisemitismus. 16 Text in: Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen, Empfehlungen und Gutachten, I. Folge (Klett-Verlag), Stuttgart 1955, S. 48 ff. 17 Text in: Empfehlungen und Gutachten, II. Folge (Klett-Verlag), Stuttgart 1957, S. 9 ff. 18 Text in: Ständige Konferenz, Dokumentation, S. 10 ff. 19 Vgl. Krippendorff, Erziehungswesen, S. 148.

244

X. Anhang

Januar 1960 Sitzung des Wiedergutmachungsausschusses des Deutschen Bundestags. Beschluß, sich bei der KMK für eine stärkere Berücksichtigung der Zeit von 33 – 45 im Unterricht einzusetzen und Kontakt zu „Professoren für Zeitgeschichte“ aufzunehmen. Veröffentlichung einer Erklärung über die „antidemokratischen Vorgänge der letzten Zeit“ 11. / 12. Februar 1960 Beschluss der KMK über die Behandlung der jüngsten Vergangenheit im geschichts- und gemeinschaftskundlichen Unterricht 31. Mai – 4. Juni 1960 Konferenz von Bergneustadt 31. Mai – 4. Juni Fachkonferenz des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) mit Unterstützung des Internationalen Schulbuchinstituts Braunschweig, der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Instituts für Internationale Begegnungen über die Darstellung des Judentums in der Lehrerbildung und im Schulunterricht 25. Juni 1960 Kölner UNESCO-Institut wird in Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft umgewandelt, am 21. Juni 1961 um den Zusatz „und europäische Fragen“ ergänzt. Erster Direktor Prof. Dr. Ferdinand A. Hermens 7. November 1960 Konstituierende Sitzung der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung in Anwesenheit des Bundeskanzlers August 1960 Erlass des Bundesinnenministeriums, wonach praktisch alle Vorhaben der BfH vom Ministerium genehmigt werden müßten. Hintergrund: Die BfH hätte Publikationen von Mitarbeitern gefördert, die ‚politisch belastet‘ seien.20 9. / 10. Februar 1961 KMK verabschiedet Richtlinien für die Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Unterricht 8. / 9. Februar 1962 Beschluss des Schulausschusses der KMK, eine Erhebung über die Durchführung des Beschlusses der KMK vom 11. / 12. 2. 1960 über die Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichts- und gemeinschaftkundlichen Unterricht durchzuführen 5. Juli 1962 KMK verabschiedet Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus, für die Gemeinschaftskunde in den Klassen 12 und 13, sowie eine Empfehlung zur Gestaltung der Lehrbücher für den Unterricht in neuester Geschichte und Zeitgeschichte 20. November 1962 Neues Fulbright-Abkommen vereinbart, am 24. 1. 1964 in Kraft getreten21 29. November – 1. Dezember 1962 Tagung der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung

20 Vgl. BA-KO, B 106 / 54123, Zweite Arbeitssitzung der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung, dort Erläuterung von Wenke und Krausnick zu diesem Punkt. 21 Vgl. BGBL. 1964 II, S. 27, 215.

Auswahlbibliographie 1. Archivmaterial Bundesarchiv Koblenz Nachlässe: – Ernst Fraenkel – Hans Rothfels – James Pollock – Alexander Rüstow BA-KO B 106 / 54121 Vorgeschichte und Besetzung der KBB BA-KO 106 / 54122 Einzeleingaben an die Kommission BA-KO B 106 / 54123 Akten zur Kommission zur Beratung der Bundesregierung (Konstituierende Sitzung und erste Arbeitssitzung am 30. Januar 1961) BA-KO B 106 / 54124 (Protokolle und Anlagen zur 7. und. 8. Arbeitssitzung) BA-KO B 106 / 54125 (Protokolle und Anlagen zur 9. u. 10. Arbeitssitzung der KBB am 13. 1. 1968 u. 25. 5. 1968) BA-KO B 106 / 54126 (Protokolle und Anlagen zur 11. Arbeitssitzung am 17. – 18. 10 .1968) BA-KO B 106 / 54127 (Protokolle und Anlagen zur 12. Arbeitssitzung am 14. 12 .1968) BA-KO B 136 / 900 Akten zur Kommission zur Beratung der Bundesregierung BA Bundeskanzleramt B 136 / 5893 1950 – 1957 Errichtung einer Bundeszentrale für Heimatdienst, Institut für Sozialforschung BA Bundeskanzleramt B 136 / 5894 Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst 1959 – 1973 B 168 Bundeszentrale für politische Bildung BA-KO B 168 / 7 BA-KO B 168 / 13 Deut. Rat der europ. Bewegung. BA-KO B 168 / 1259 BA-KO B 168 / 1256 (Schriftverkehr über eine nicht gedruckte Broschüre zum Fall Otto John nebst 28-seitigem Manuskript und eine Emnidumfrage über die Reaktion der Bevölkerung) BA-KO B 168 / 911 (Korrespondenz der HfH über Hermann Adler über die Herausgabe von ‚Ostra Brama‘, einer Erzählung aus dem Ghetto von Wilna)

246

Auswahlbibliographie

BA-KO B 168 / 741 BA-KO B 168 / 742 (Handbuch des Kommunismus, zweite Auflage) BA-KO 168 / 770 (Korrespondenz und Entwürfe zur Broschüre, „Der Vorhang hebt sich“) BA-KO B 168 / 696 BA-KO B 175 Verwaltung und Organisation 1951 – 1985 BA-KO B 132 Massenpublikationen 1952 – 1983 BA-KO B 38 Schriftenreihen, Verlegerkontakte 1950 – 1971 BA-KO B 359 Außerschulische Politische Bildung 1951 – 1980 BA-KO B 157 pol. Bildung in Schulen 1953 – 1985 BA-KO B 11 Förderung von Kurz- und Spielfilmen, Ostkolleg 1956 – 1973 UNESCO Report of the Present State of Bilateral Consultations for the Improvement of History Textbooks, Paris 21. Dezember 1952 (zit. „Report“)

2. Gedruckte Quellen, Handbücher und Dokumenteneditionen Adorno, Theodor W.: Briefe an die Eltern 1939 – 1951, hrsg. v. Christoph Gödde und Henri Lonitz, Frankfurt 2003 (zit. „Briefe“) Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, München 1963 – 2010 Atlantik-Brücke (Hrsg.): East-West Issues XI – The Eleventh American-German Conference on American-European (German) Relations, Western Relation with the Communist World, and Global and Systemic Economic Problems, Freiburg 1981 (zit. „Issues XI“) Baske, Siegfried / Engelbert, Martha: Dokumente zur Bildungspolitik in der sowjetischen Besatzungszone, hrsg. v. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1966 Clay, Lucius D.: The Papers of General Lucius D. Clay, 2 Bd., Bloomington, Ind. 1947 (zit. „Papers“) Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. v. Bundesministerium des Inneren, I.-IV. Reihe 1939 bis 1966, Frankfurt und München 1984 ff. (zit. „Dokumente“) FRUS (Foreign Relations of the United States), fortlaufende Aktenedition, Washington 1956 ff. (zit. „FRUS“) Grace, Alonzo G. (Hrsg): International Conference on Comparative Education, Rasthaus Chiemsee 25. – 29. April 1949 – Protokoll, Frankfurt 1950 (zit. „Chiemsee“) Hessisches Ministerium für Erziehung und Volksbildung (Hrsg.): Die politischen Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen – Gesamtprotokoll der Konferenz von Waldleiningen vom 10. und 11. September 1949, Frankfurt 1949 (zit. „Waldleiningen“) – Über Lehre und Forschung der Wissenschaft von der Politik – Gesamtprotokoll der Konferenz von Königstein im Taunus vom 15. und 16. Juli 1950, Wiesbaden 1950

3. Zeitschriften

247

Hochschulverband (Hrsg.): Die Lehrstühle an den wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin – eine systematische Übersicht über Anzahl, Bezeichnung und Besetzung der Lehrstühle und über die Nachwuchslage in den einzelnen Fachgebieten nach dem Stande vom Frühjahr 1959, Göttingen 1959 (zit. „Lehrstühle“) Hohlfeld, Johannes (Hrsg.): Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Sonderausgabe für die Staats– und Kommunalbehörden, 6 Bd., Berlin 1951 (zit. „Dokumente“) Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Transatlantischer Austausch – Ein Führer durch die am Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beteiligten Organisationen, München 1958 und 1965 (zit. „Austausch“) Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten e.V. (Hrsg.): Politische Erziehung und Bildung in Deutschland – Ein Bericht über die Konferenz von Waldleiningen 1949, Frankfurt 1950 (zit. „Waldleiningen“) – Introduction and Development of Political Science in German Universities – Abstract of the Discussion in the Conference at Schloss Waldleiningen, Frankfurt 1949 (zit. „Abstract“) Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Koblenz 1949 ff. Konferenz über den Stand der Politischen Wissenschaft in Europa, 8. und 9. Juli 1960, Unveröffentlichtes Manuskript am Institut für politische Wissenschaft, Universität Heidelberg (zit. „Konferenz“) Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 7. – 10. Ausgabe, Berlin 1950 – 1966 Neumann, Franz L.: Wirtschaft, Staat, Demokratie – Aufsätze 1930 – 1954, hrsg. v. Alfons Söllner, Frankfurt 1978 (zit. „Aufsätze“) Röder, Werner (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, 3 Bd., München 1980 ff. (zit. „Handbuch“) Schwab-Felisch, Hans: Der Ruf – Eine deutsche Nachkriegszeitschrift, München 1962 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (Hrsg.): Politische Bildung – Dokumentation Nr. 3, Juli 1962, Bonn 1962 (zit. „Dokumentation“) Strauss, Herbert A. / Röder, Werner (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933 – 1945, Vol. II: The Arts Science and Literature, New York 1983 (zit. „Dictionary“)

3. Zeitschriften Der Ruf Der Spiegel Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Hefte Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Gesellschaft, Staat, Erziehung

248

Auswahlbibliographie

4. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher Adenauer, Konrad: Erinnerungen, 4 Bd., Stuttgart 1965 – 1968 Angress, Werner T.: immer etwas abseits – Jugenderinnerungen eines jüdischen Berliners 1920 – 1945, Berlin 2005 Bergstraesser, Arnold: Rückblick auf die Generation von 1914, in: Robert Tillmanns (Hrsg.), Ordnung als Ziel, Stuttgart 1954, S. 7 – 19 Bruce, K. E.: OSS against the Reich – The World War II Diaries of Colonel David K. E. Bruce, hrsg. v. Nelson Douglas Lankford, Kent 1991 (zit. „Diaries“) Brüning, Heinrich: Memoiren 1918 – 1934, Stuttgart 1970 Clay, Lucius D.: Decision in Germany, Garden City 1950 Colville, John: Downing Street Tagebücher, Berlin 1988 (zit. „Tagebücher“) Dorn, Walter L.: Inspektionsreisen in der US-Zone – Notizen, Denkschriften und Erinnerungen aus dem Nachlaß, hrsg. v. Lutz Niedhammer, Stuttgart 1973 Fraenkel, Ernst: Reformismus und Pluralismus – Materialien zu einer ungeschriebenen politischen Autobiographie, Hamburg 1973 (zit. „Materialien“) François-Poncet, André: Auf dem Wege nach Europa – Politisches Tagebuch 1942 – 1962, Berlin 1964 (zit. „Europa“) Gerstenmaier, Eugen: Streit und Friede hat seine Zeit – Ein Lebensbericht, Frankfurt 1981 (zit. „Lebensbericht“) Grabowsky, Adolf: „Ernsthafte Befragung“, in: Hans Thierbach (Hrsg.), Adolf Grabowsky – Leben und Werk, Köln 1963, S. 15 – 27 Grosser, Alfred: Mein Deutschland, Hamburg 1993 (zit. „Deutschland“) Hentig, Hartmut v.: Aufgeräumte Erfahrung – Texte zur eigenen Person, München 1983 (zit. „Erfahrung“) Herwarth, Hans v.: Zwischen Hitler und Stalin – Erlebte Zeitgeschichte 1931 – 1945, Frankfurt 1985 (zit. „Zeitgeschichte“) Kellermann, Henry: From Imperial to National Socialist Germany – Recollections of a German-Jewish Youth Leader, in: Leo Baeck Institute Year Book XXXIV (1994), S. 305 – 330 (zit. „Recollections“) Langer, William L.: In and Out of the Ivory Tower – The Autobiography of William L. Langer, New York 1977 (zit. „Ivory Tower“) Maier, Reinhold: Ende und Wende – Das schwäbische Schicksal 1944 – 1946, Stuttgart 1948 (zit. „Wende“) Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Erinnerungen, München 2007 Raczynski, Edward: In Allied London, London 1962 (zit. „London“) Salomon, Ernst v.: Der Fragebogen, Hamburg 1951 Schulz, Gerhard: Mitteldeutsches Tagebuch – Aufzeichnungen aus den Anfangsjahren der SED-Diktatur 1945 – 1950, München 2009 (zit. „Tagebuch“)

5. Zeitgenössische politische und historische Schriften

249

Speier, Hans: From the Ashes of Disgrace – A Journal from Germany, Amherst 1981 (zit. „Journal“) Spier, Eugen: Focus – A Footnote to the History of the Thirties, London 1963 (zit. „Focus“) Truman, Harry S.: Memoiren, Bern 1955 Wells, Herman B.: Being Lucky – reminiscences and reflections, Bloomington (Indiana Univ. Press 1980

5. Zeitgenössische politische und historische Schriften Da viele Autoren und Beteiligte an der damaligen Entwicklung zugleich Wissenschaftler, Bildungspolitiker, Staatspolitiker und Historiker in eigener Sache waren, ist der Übergang zwischen zeitgenössischem Schrifttum und Äußerungen in Form von Sekundärliteratur oft fließend. Die Trennung von beidem wird im Rahmen dieses Literaturverzeichnisses daher anhand des Erscheinungsdatums vorgenommen, wobei das Jahr 1965 als Datum des Abschnittswechsels angenommen wurde. Im Fall von Aufsatzsammlungen, die Aufsätze aus beiden Zeitabschnitten versammeln, wurde das frühere Datum als maßgebend angenommen. AMJECO (Hrsg.): The German Dilemma – An Appraisal of Anti-Semitism, Ultra-Nationalism and Democracy in Germany, New York 1959 (zit. „Dilemma“) Bergstraesser, Arnold: Politik in Wissenschaft und Bildung – Schriften und Reden, Freiburg 1961 (zit. „Politik“) Bracher, Karl Dietrich: Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln 1960 – Co-Autoren: Wolfgang Sauer und Gerhard Schulz – (zit. „Machtergreifung“) – Demokratie als Sendung: das amerikanische Beispiel, in: Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, 1964, S. 313 – 336 – Die doppelte Herausforderung der Nachkriegszeit, in: Bracher, Mikat, Repgen, Schumacher, Schwarz (Hrsg.): Staat und Parteien – Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 747 – 769 – Providentia Americana: Ursprünge des demokratischen Sendungsbewußtseins in Amerika, in: Festgabe für Eric Vogelin: Politische Ordnung und menschliche Existenz, 1962, S. 27 – 48 – Wissenschafts- und zeitgeschichtliche Probleme der Politischen Wissenschaft in Deutschland, in: Jürgen Fijalkowski (Hrsg.): Politologie und Soziologie, Köln 1965 S.45 – 62, (zit. „Probleme“) – Die deutsche Diktatur – Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus (zit. „Diktatur“) Brickner, Richard M.: Is Germany Incurable?, Philadelphia 1943 (zit. „Germany“) Bullitt, William C.: The Great Globe Itself, New York 1946 Bundesjustizministerium (Hrsg.): Die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten im Gebiet der Bundesrublik Deutschland seit 1945, Bonn 1964 (zit. „Verfolgung“)

250

Auswahlbibliographie

Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen, (Schriften des Bundeszentrale für politische Bildung) 1962 – 1968 (zit. „Erfahrungen“) Bundesregierung (Hrsg.): Die antisemitischen und nazistischen Vorfälle, Bonn 1960 (zit. „Vorfälle“) Byrnes, James F.: Speaking Frankly, New York 1947 Clark, Dale: Conflicts over Planning at Staff Headquarters, in: Friedrich, Experiences, S. 211 – 237 (zit. „Planning“) Dance, Edward H.: History the Betrayer, London 1960 (zit. „Betrayer“) Department of State (Hrsg.): Swords into Plowshares – The Story of the Educational Exchange Program Authorized by the Fulbright Act of 1946, Washington 1956 (zit. „Plowshares“) Deutsch, K.W.: Nationalism and Social Communication, New York 1953 Dodd, Thomas J.: Über Antisemitismus, die Hakenkreuz-Epidemie und den Kommunismus – Ausführungen von Senator Thomas J. Dodd vor dem Senat der Vereinigten Staaten, Bad Godesberg 1960 (zit. „Hakenkreuz-Epidemie“) Doob, L.W.: Public Opinion and Propaganda, New York 1949 (zit. „Opinion“) Duggan, Stephen / Drury, Betty: The Rescue of Science and Learning – The Story of the Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, New York 1948 (zit. „Rescue“) Dunner, J.: Information Control in the American Zone in Germany 1945 – 46, in: Friedrich, Experiences, S. 276 – 291 (zit. „Control“) Emmet, Christopher / Muhlen, Norbert: Das verlöschende Hakenkreuz – Tatsachen und Zahlen über den Nazismus in Westdeutschland, Frankfurt 1962 (zit. „Hakenkreuz“) Fraenkel, Ernst: Military Occupation and the Rule of Law, New York 1947 – Arnold Bergstraesser und die deutsche Politikwissenschaft, ib: Oberndörfer, Bergstraesser, S. 252 – 259 Freund, Michael: Ist Politik lehrbar? Ketzerische Bemerkungen zur ‚politischen Wissenschaft‘, in: Deutsche Universitätszeitung, 4. Jg. / 1949, Heft 19, S. 6 f. (zit. „Bemerkungen“) – Ist eine Wissenschaft von der Politik möglich? in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 3. Jg. / 1952, Heft 3, S. 129 – 137 (zit. „Wissenschaft“) – Lebt Deutschland noch? Zur Frage des Fortbestandes des ‚Deutschen Reiches‘, in: Die Gegenwart 9 / 1954 (zit. „Lebt Deutschland?“) Friedländer, Ernst: An die deutsche Jugend – Fünf Reden, Hamburg 1947 – Von der inneren Not, Hamburg 1947 Friedrich, Carl J.: American Experiences in Military Government in World War II, New York 1948 (zit. „Experiences“) – Military Government and Democratization: A Central Issue of American Foreign Policy, in: Friedrich, Experiences, S. 3 – 22

5. Zeitgenössische politische und historische Schriften

251

Friedrich-Naumann-Stiftung: Was bedeuten uns heute Volk, Nation, Reich? Vorträge und Diskussionen auf einer Arbeitstagung in Bad Soden vom 26. – 28. Januar 1961, Stuttgart 1961 Fulbright, James William: Geist einer freien Gesellschaft – Festschrift zu Ehren von Senator Fulbright aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Deutschen Fulbright-Programms, Heidelberg 1962 (zit. „Geist“) Geiss, Immanuel: Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, (Aufsätze aus den Jahren 1964 – 72), Frankfurt 1972 (zit. „Studien“) Gillen, J.F.: The Special Projects Program of the Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Historical Division, Office of HICOG, Frankfurt 1952 Grace, Alonzo G.: Basic Principles of Educational Reconstruction in Germany, OMGUS, Berchtesgaden 1948 – Educational Lessons from Wartime Training – The General Report of the Commission on Implications of Armed Service Educational Programs, (American Council on Education), Washington 1948 (zit. „Lessons“) Henkys, Reinhard: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen – Geschichte und Gericht, Stuttgart 1964 (zit. „Gewaltverbrechen“) Hentig, Hartmut v.: Die Schule zwischen Bewahrung und Bewährung – eine amerikanische Rückbesinnung auf die Maßstäbe eines modernen Bildungswesens, Stuttgart 1960 (zit. „Maßstäbe“) Heuss, Theodor: Denkschrift zur Errichtung einer Deutschen Hochschule für Politik, in: Politische Bildung – Wille / Wesen / Ziel / Weg, Berlin 1921, S. 33 – 34 (zit. „Denkschrift“) Hocking, William E.: Experiment in Education – What we can learn from teaching Germany, Chicago 1954 (zit. „Experiment“) Hodeige, Fritz / Rothe, Carl (Hrsg.): Atlantische Begegnungen – eine Freundesgabe für Arnold Bergstraesser, Freiburg 1964 (zit. „Begegnungen“) Hofer, Walther: Der Nationalsozialismus 1933 – 1945 – herausgegeben und kommentiert von Walther Hofer, 1957 (hier zit. „Nationalsozialismus“ n. d. unver. 22. Ausgabe von 1973) – Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, erw. Ausgabe mit Hofers Kritik an A.J.P. Taylor und David Hoggan, Frankfurt 1964 (zit. „Entfesselung“) Hoggan, David: The myth of the ‚new history‘ – techniques and tactics of the new mythologists of American history, Nutley 1965 – Der erzwungene Krieg – die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs, Tübingen 1961 – Frankreichs Widerstand gegen den Zweiten Weltkrieg – die französische Außenpolitik von 1934 – 1939, Tübingen 1963 Huxley, Julian: UNESCO – Its Purpose and Its Philosophy, Washington 1948 Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Transatlantischer Austausch – Ein Führer durch die am Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beteiligten Organisationen, Institute, Verbände, Behörden, München 1958 u. 1965 (zit. „Austausch“) Jäck, Ernst (Hrsg.): Politik als Wissenschaft – Zehn Jahre deutsche Hochschule für Politik, Berlin 1931 (zit. „Politik“)

252

Auswahlbibliographie

Jäckh, Ernst / Suhr, Otto: Geschichte der Deutschen Hochschule für Politik, Berlin 1952 Johnston, Howard Wright: United States Public Affairs Activities in Germany 1945 – 1955, (Diss. – Columbia University) Ann Arbor 1956 Kabermann, Heinz: Die Bevölkerung des sowjetischen Besatzungsgebietes – Bestands- und Strukturveränderungen 1950 – 1957, Bonn 1961 Kellermann, Henry: The Present Status of the German Youth, Department of State Publication 2583, European Series 11, Washington 1946 (zit. „Status“) Knappen, Marshall: And Call it Peace, Chicago 1947 Knütter, Hans-Helmuth: Extreme Rightism, in: Stahl, Politics, S. 213 – 232 Kogon, Eugen: Der SS-Staat, Frankfurt 1946 – Das Dritte Reich und die preußisch-deutsche Geschichte, in: Frankfurter Hefte, Juni 1945, S. 44 – 57 (zit. „Reich“) Kommission der Historiker (Hrsg.): Befreiung und Neubeginn – Vorträge auf der Konferenz der Kommission der Historiker zum Thema ‚Die Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus‘ am 4.– 6. 5. 1965, Berlin 1968 (zit. „Neubeginn“) Kranzbühler, Otto: Rückblick auf Nürnberg, Hamburg 1949 Krippendorff, Ekkehart (Bearb.): Erziehungswesen und Judentum – Die Darstellung des Judentums in der Lehrerbildung und im Schulunterricht, Bericht über eine Fachkonferenz des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) mit Unterstützung des Internationalen Schulbuchinstituts Braunschweig, der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Instituts für Internationale Begegnungen vom 31. Mai bis 4. Juni, München (Ner Tamid Verlag) 1960 (zit. „Erziehungswesen“) Lepsius, Mario Reiner: Denkschrift zur Lage der Sozioogie und der Politischen Wissenschaft – Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wiesbaden 1961 (zit. „Denkschrift“) Liddell, Helen: Education in Occupied Germany – Studies for a Conference on some aspects of the German Problem, held at Baar, 6. – 11. October 1947, and Scheveningen, 11 – 17. April 1948, Paris 1949 (zit. „Education“) Löwenstein, Karl: Political Reconstruction, New York 1946 (zit. „Reconstruction“) Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1958 (zit. „Geschichte“) – Der Antisemitismus – Wurzeln, Wirkung und Überwindung, München (Ner Tamid) 1961 Marcuse, Herbert: Soviet Marxism – A Critical Analysis, New York 1958 (zit. „Marxism“) Mau, Hermann / Krausnick, Helmut: Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit 1933 – 1945, Bonn (Illustrierte Sonderausgabe der BfH) 1953 (zit. „Geschichte“) McCracken, George: The Prisoner of War Re-education Program in the Years 1943 – 1946, Special Studies Division, Office of the Chief of Military History Department of the Army, Washington 1953 (zit. „Program“) Miksche, F. O.: Unconditional Surrender – The Roots of World War III, London 1952 Morgenthau, Henry: Germany is Our Problem, New York 1945 (zit. „Problem“)

5. Zeitgenössische politische und historische Schriften

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Moulton, Marlio: The Control of Germany and Japan, Washington 1944 (zit. „Control“) Münster, Clemens: Vom Aufbau der geistigen Bildung, in: Frankfurter Hefte, November 1946, S. 703 – 714 (zit. „Aufbau“) Naumann, Franz: Behemoth, London 1942 (zit. „Behemoth“) Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche, München 1963 (zit. „Faschismus“) Norman, Albert: Our Germany Policy – Propaganda and Culture, New York 1951 (zit. „Propaganda“) Oberndörfer, Dieter (Hrsg.): Arnold Bergstraesser – Weltpolitik als Wissenschaft – Geschichtliches Bewußtsein und politische Erziehung, Köln / Opladen 1965 Otto-Suhr-Institut (Hrsg.): Das Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin – Geschichte, Forschung und Lehre, Berlin 1962 Pilgert, Henry: The Exchange of Persons Program in Western Germany, London (Historical Division, Office of the Executive Secretary) 1951 (zit. „Exchange“) – The history of the development of information services through information centers and documentary films, Bad Godesberg (Office of the High Commissioner for Germany, Office of the Executive Secretary, Historical Division) 1951 (zit. „Information“) – Community and Group Life in West Germany – with special reference to the policies and programs of the Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Bad Godesberg (Historical Division, Office of the Executive Secretary, Office of the High Commissioner for Germany) 1952 (zit. „Community“) – Women in West Germany – with special reference to the policies and programs of the Women’s Affairs Branch Office of Public Affairs Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Bad Godesberg (Office of the High Commissioner for Germany) 1952 (zit. „Women“) – The West German Educational System – With Special Reference to the Policies and Programs of the Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Bad-Godesberg 1953 (zit. „System“) – Press, Radio and Film in West Germany 1945 – 1953, Bad Godesberg (Office of the High Commissioner for Germany) 1953 Pollock, J. K. / Meisel, J. H.: Germany under Occupation – Ilustrative Materials and Documents, Ann Arbor 1947 Pross, Helge: Die deutsche akademische Emigration nach den Vereinigten Staaten 1933 – 1941, Einf. v. Franz L. Neumann, Berlin 1955 Rapp, Alfred: The Untrue Myth, in: Stahl, Politics, S. 139 – 146 Raschhofer, Hermann: Der Fall Oberländer – eine vergleichende Rechtsanalyse der Verfahren in Pankow und Bonn, Tübingen 1962 Rauschning, Hermann: Ist Friede noch möglich? – Die Verantwortung der Macht, Heidelberg 1953 (zit. „Verantwortung“) – Der unnötige Krieg – eine Auseinandersetzung mit A.J.P. Taylor und David L. Hoggan, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (1963), S. 680 – 696

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Auswahlbibliographie

Richter, W.: Reeducating Germany, Chicago 1946 Schlamm, William S.: Die Grenzen des Wunders – ein Bericht über Deutschland, Zürich 1959 (zit. „Bericht“) Schrenck-Notzing, Caspar: Hundert Jahre Indien – Die politische Entwicklung 1857 – 1960, Stuttgart 1961 (zit. „Indien“) – Charakterwäsche – Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen, Stuttgart 1965 (zit. „Besatzung“) Schüddekopf, Otto-Ernst: Schulbuchrevision, (zit. „Schulbuchrevision“) Schulz, Gerhard: Zwischen Demokratie und Diktatur – Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919 – 1930, Berlin 1963 Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik – die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962 (zit. „Denken“) – Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, Freiburg 1963 (zit. „Wissenschaft“) Speier, Hans: Social Order and the Risks of War – Papers in Political Sociology, New York 1952 (zit. „Risks“) Speier, Hans / Davison, Phillips (Hrsg.): West German Leadership and Foreign Policy, New York 1957 (zit. „Leadership“) Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (Hrsg.): Zur Entwicklung des Erziehungsund Bildungswesens in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland – ein Bericht, Horb 1952 (zit. „Entwicklung“) Stahl, Walter (Hrsg.): Education for Democracy in West Germany, Vorw. v. Norbert Muhlen, New York 1961 (zit. „Education“) – The Politics of Postwar Germany, New York 1963 (zit. „Politics“) Steed, Henry Wickham: The Fifth Arm – On propaganda in time of war, London 1940 (zit. „Arm“) Stourzh, Gerald: Die deutschsprachige Emigration in den Vereinigten Staaten: Geschichtswissenschaften und Politische Wissenschaft, in: Jahrbuch für Amerikastudien, Bd. 10, Heidelberg 1965, S. 59 – 77 (zit. „Emigration“) – Bibliographie der deutschsprachigen Emigration in den Vereinigten Staaten (1933 – 1963: Geschichte und Politische Wissenschaft, Jahrbuch für Amerikastudien, Bd. 10, Heidelberg 1965, S. 232 – 266, bzw. ebd., Bd. 11, S. 260 – 317 (zit. „Bibliographie“) Suhr, Otto: Drei Jahre Deutsche Hochschule für Politik – 1949 – 1952, in: Jäckh, Geschichte, S. 33 – 46 (zit. „DHfP“) Talmon, Jacob L.: The Rise of Totalitarian Democracy, Boston 1952 – The nature of Jewish history – its universal significance, London 1957 Taylor, A.J.P.: Die Ursprünge des Zweiten Weltkriegs, Vorw. v. Michael Freund, Gütersloh 1962 (zit. „Ursprünge“)

6. Sekundärliteratur

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Tetens, Tete H.: The new Germany and the old Nazis, New York 1961 – Christentum, Hitlerismus, Bolschewismus, Buenos Aires 1937 – Was will Hitler? – Außenpolitik und ‚letzte Schlußziele‘ nach Hitlers eigenen Worten, Basel 1935 Transatlantik-Brücke (Hrsg.): Meet Germany – A Guide for American Visitors to Germany, Hamburg 1954 (zit. „Guide“) Vagts, Alfred: Rückwanderung – vornehmlich im amerikanisch-deutschen Verhältnis, Heidelberg 1960 (empfohlen von Rothfels zur Veröffentlichung (19. 3. 59), erschienen als „Beiheft zum Jahrbuch für Amerikastudien“ Valentin, Veit: Geschichte der Deutschen, New York 1946 (Deutsch 1947) Verband deutscher Studentenschaften (Hrsg.): Dokumentation des Terrors – Namen und Schicksale der seit 1945 in der SBZ verhafteten Professoren und Studenten, Berlin 1962 (zit. „Dokumentation“) Zink, Harold D.: American Military Government in Germany, New York 1947 (zit. „Government“) – The United States in Germany 1944 – 1955, New York 1957 (zit. „Germany“) Zook-Bericht: Der gegenwärtige Stand der Erziehung in Deutschland, (Veröffentlichungen der Deutschen Pädagogischen Arbeitsstelle, Nr. 1), München 1946 (zit. „Erziehung“)

6. Sekundärliteratur Aguilar, Manuela: Cultural Diplomacy and Foreign Policy – German-American Relations 1955 – 1968, New York 1996 (zit. „Relations“) Albrecht, Clemens / Behrmann, Günther / Bock, Michael / Homann, Harald / Tenbruck, Friedrich: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik – eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt 1999 (zit. „Gründung“) Albrecht, Clemens: Die politische Pädagogik der Frankfurter Schule, in: Albrecht, Gründung, S. 387 – 447 (zit. „Gründung“) Alter, Peter: Der eilige Abschied von der Nation – Zur Bewußtseinslage der Deutschen nach 1945, in: Harm Klueting (Hrsg.): Nation, Nationalismus, Postnation – Beiträge zur Identitätsfindung der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1992, S. 185 – 202 (zit. „Abschied“) Ardelt, Rudolf G.: „Wie deutsch ist Österreich“ – Eine Auseinandersetzung mit K. D. Erdmann und F. Fellner, in: Botz, Kontroversen, S. 266 – 286 (zit. „Auseinandersetzung“) Arndt, Hans Joachim: Die Besiegten von 1945 – Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politologie in der Bundesrepublik, Berlin 1978 (zit. „Versuch“) – Die Deutschen: besiegt oder befreit – oder beides? – Zu den Auseinandersetzungen um eine Fundamentalkritik der westdeutschen Politologie, in: Politische Vierteljahresschrift 21 (1980), Heft 3, S. 303 – 311 (zit. „Auseinandersetzungen“)

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Auswahlbibliographie

Arndt / Blumenwitz / Diwald / Maschke / Seiffert / Willms: Inferiorität als Staatsräson – Sechs Aufsätze zur Legitimität der BRD, Krefeld 1985 (zit. „Staatsräson“) Bajohr, Frank: Hanseat und Grenzgänger – Erik Blumenfeld, eine politische Biographie, Göttingen 2010 (zit. „Blumenfeld“) Barron, J.: KGB – Arbeit und Organisation des sowjetischen Geheimdienstes in Ost und West, Bern 1974 (zit. „KGB“) Bauerkämper, Arnd: Demokratie als Verheißung oder Gefahr? Deutsche Politikwissenschaftler und amerikanische Modelle 1945 bis zur Mitte der sechziger Jahre, in: Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 253 – 282 (zit. „Verheißung“) Bauerkämper, Arnd / Jarausch, Konrad H. / Payk, Marcus M. (Hrsg.): Demokratiewunder – Transatlatische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945 – 1970, Göttingen 2005 (zit. „Demokratiewunder“) Bauerkämper, Arnd / Sabrow, Martin / Stöver, Bernd (Hrsg.): Doppelte Zeitgeschichte – Deutsche Beziehungen 1945 – 1990, Bonn 1998 (zit. „Zeitgeschichte“) Behrmann, Günter C.: Von der politischen Erziehung zur sozialwissenschaftlichen Bildung – die ersten Fachzeitschriften und die programmatische Wende in der politischen Bildung im Jahr 1962, in: Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, 55 (2006), Nr. 2 (zit. „Wende“) Berghahn, Volker: Transatlantische Kulturkriege – Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus, Stuttgart 2004 (zit. „Kulturkriege“) Bergmann, Werner / Erb, Rainer / Lichtblau, Albert (Hrsg.): Schwieriges Erbe – Der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1995 (zit. „Erbe“) Beyme, Klaus v. (Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland – Entwicklungsprobleme einer Disziplin, Opladen 1986 (zit. „Entwicklungsprobleme“) Blanke, Bernhard / Jürgens, Ulrich / Kastendieck, Hans: Kritik der Politischen Wissenschaft – Analysen von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt 1975 (zit. „Kritik“) Bleek, Wilhelm: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001 (zit. „Politikwissenschaft“) Blumenfeld, Erik: Fünfzehn Jahre Atlantik-Brücke, eine lebendige Verbindung, in: Fünfzehn Jahre Atlantik-Brücke, Hamburg 1967 (zit. „Atlantik-Brücke“) Board of Foreign Scholarships (Hrsg.): A Quarter Century, Washington (Department of State, 1971 (zit. „Century“) Böck, Karl: Der Wiederaufbau des gymnasialen Schulwesens in Bayern während der Zeit der amerikanischen Besatzung, in: Kreutzer (Hrsg.): Wendepunkte, München 1983, S. 7 – 30 (zit. Wiederaufbau“) Borsdorf, Ulrich / Niethammer, Lutz: Zwischen Befreiung und Besatzung – Analysen des USGeheimdienstes über Positionen und Struktur deutscher Politiker 1945, Wuppertal 1976 Botz, Gerhard / Sprengnagel, Gerald (Hrsg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte, Frankfurt 1994 (zit. „Kontroversen“)

6. Sekundärliteratur

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Bracher, Karl Dietrich: Die doppelte Herausforderung der Nachkriegszeit, in: Bracher, Mikat, Repgen, Schumacher, Schwarz (Hrsg.): Staat und Parteien – Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 747 – 769 – Die deutsche Diktatur – Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus (zit. „Diktatur“), Bonn 1969 Braun, Birgit: Umerziehung in der amerikanischen Besatzungszone – Die Schul- und Bildungspolitik in Württemberg-Baden von 1945 bis 1949, Münster 2004 (zit. „Bildungspolitik“) Braun, Hans / Gerhardt, Uta / Holtmann, Everhard (Hrsg.): Die lange Stunde Null – Gelenkter sozialer Wandel in Westdeutschland nach 1945, Baden-Baden 2007 (zit. „Wandel“) Brochhagen, Ulrich: Nach Nürnberg – Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994 (zit. „Vergangenheitsbewältigung“) Buchstein, Hubertus: Angebräunte Politikwissenschaft? Rezension zu Rainer Eilsfeld: Ausgebürgert und doch angebräunt – Deutsche Politikwissenschaft zwischen 1920 und 1945, Baden-Baden 1991 (zit. „Angebräunt“) – Politikwissenschaft und Demokratie – Wissenschaftskonzeption und Demokratietheorie, sozialdemokratische Nachkriegspolitologen in Berlin, Baden-Baden 1992 (zit. „Politikwissenschaft“) – Verpaßte Chancen einer kritischen Politikwissenschaft? – A.R.L. Gurlands Gastspiel in Berlin 1950 – 1954, in:? Bude, Heinz: Deutsche Karrieren, Frankfurt 1987 (zit. „Karrieren“) Bude, Heinz / Greiner, Bernd (Hrsg.): Westbindungen – Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg 1999 (zit. „Westbindungen“) Bungenstab, Karl-Ernst: Umerziehung zur Demokratie? – Re-educationpolitik im Bildungswesen der US-Zone 1945 – 1949, Düsseldorf 1970 (zit. „Umerziehung“) Burges, Katharina: Internationale Beziehungen in Deutschland, Vorgeschichte und institutionelle Anfänge bis zum Beginn der 1960er Jahre, Braunschweig 2004 (zit. „Beziehungen“) Chernow, Ron: The Warburgs, New York 1993 (zit. „Warburgs“) Claussen, Johann Hinrich: Umgepoltes Denken – Erst völkisch, dann kritisch – Der Historiker Fritz Fischer, in: FAZ, 7. Januar 2004, N3 Clemens, Gabriele (Hrsg.): Nation und Europa, Studien zum internationalen Staatensystem im 19. und 20. Jahrhundert, S. 271 – 284 (zit. „Nation“) Conze, Eckart: Die gaullistische Herausforderung – Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958 – 1963, München 1995 (zit. „Herausforderung“) Dance, Edward H.: The teaching of history, Paris (Unesco – International Institute for Educational Planing) 1955 (zit. „Teaching“) – History the Betrayer – a Study in Bias, London 1960 (zit. „Betrayer“) – History for a united world, London 1971 Decker, Günter: Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Göttingen 1955

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Auswahlbibliographie

Dehio, Ludwig: Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, Marburg 1955 (zit. „Weltpolitik“) – Gleichgewicht oder Hegemonie, Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Zürich 1996 (zit. „Gleichgewicht“) Deschner, Karlheinz: Wer lehrt an deutschen Universitäten? – Beiträge über Helmut Thielicke, Golo Mann, Fritz Fischer, Benno v. Wiese, Alexander Mitscherlich, Walter Jens, Wiesbaden 1968 Detjen, Joachim: Politische Bildung – Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München 2007 (zit. „Bildung“) Doerries, Reinhard R. (Hrsg.): Diplomaten und Agenten – Nachrichtendienste in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen, Heidelberg 2001 (zit. „Nachrichtendienste“) Dudek, Peter / Jaschke, Hans-Gerd: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik – Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Opladen 1984 (zit. „Rechtsextremismus“) Dudek, Peter / Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft – Lernprozeß mit ungewissem Ausgang, Weinheim-Basel 1994 Eckart, Wolfgang: Amerikanische Reformpolitik und deutsche Tradition – Nürnberg 1945 – 1949: Nachkriegspolitik im Spannungsfeld zwischen Neuordnungsvorstellungen, Notlage und pragmatischer Krisenbewältigung, Nürnberg 1988 Eisfeld, Rainer: Ausgebürgert und doch angebräunt – Deutsche Politikwissenschaft zwischen 1920 und 1945, Baden-Baden 1991 (zit. „Angebräunt“) Emge, Richard: Auswärtige Kulturpolitik – Eine soziologische Analyse einiger ihrer Funktionen, Bedingungen und Formen, Berlin 1967 Erdmann, Karl Dietrich: Drei Staaten – zwei Nationen – ein Volk? Überlegungen zu einer deutschen Geschichte seit der Teilung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 36 (1985), S. 671 – 683 (zit. „Überlegungen“) – Vierzig Jahre Bundesrepublik – geteilte Nation im geteilten Europa, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 41 (1990), S. 257 – 271 (zit. „Bundesrepublik“) – Die Spur Österreichs in der deutschen Geschichte, in: Botz, Kontroversen, S. 241 – 265 Espinosa, Manuel: Inter-American Beginnings of U.S. Cultural Diplomacy 1936 – 1948, (Bureau of Educational and Cultural Affairs – Historical Studies Nr. 2), Department of State Publication 8854, Washington 1976 (zit. „Beginnings“) Fairbank, Wilma: America’s Cultural Experiment in China, 1942 – 1949, (Bureau of Educational and Cultural Affairs – Historical Studies Nr. 1), Department of State Publication 8839, Washington 1976 (zit. „Experiment“) Fellner, Fritz: Das Problem der österreichischen Nation nach 1945, in Botz, Kontroversen, S. 216 – 240 (zit. „Problem“) Fleck, Christian: Transatlantische Bereicherungen – Zur Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt 2007 (zit. „Erfindung“)

6. Sekundärliteratur

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Fritz-Bauer-Institut (Hrsg.): Opfer als Akteure – Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit, Frankfurt 2008 (zit. „Akteure“) Führ, Christoph / Furck, Carl-Ludwig: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. VI – 1945 bis zur Gegenwart, München 1998 (zit. „Bildungsgeschichte“) Füssl, Karl-Heinz: Die Umerziehung der Deutschen – Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 – 1955, Paderborn 1994 (zit. „Umerziehung“) – Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert, Frankfurt 2004 (zit. „Kulturaustausch“ Gehring, Hansjörg: Amerikanische Literaturpolitik in Deutschland 1945 – 1953 – Ein Aspekt des Re-Education Programms, Stuttgart 1976 (zit. „Literaturpolitik“) Gerhardt, Uta: Soziologie der Stunde Null, Frankfurt 2005 (zit. „Soziologie“) – Denken der Demokratie – Die Soziologie im atlantischen Transfer des Besatzungsregimes, Stuttgart 2007 (zit. „Demokratie“) Gienow-Hecht, Jessica: Transmission Impossible – America Journalism as Cultural Diplomacy in Postwar Germany, 1945 – 1955, Louisiana 1999 (zit. „Transmission“) Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1948, München 1985 (zit. „Kulturgeschichte“) Greiff, Bodo v. / Kiersch, Gerhard / Megerle, Klaus: Das OSI – Wissenschaft, Studium und Organisation am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, Berlin 1989 (zit. „OSI“) Gripp, Miriam: Rechtsextremismus und politische Bildung in BRD und DDR – Ein Vergleich des Zeitraums von 1958 – 1965 Große Kracht, Klaus: Fritz Fischer und der deutsche Protestantismus, in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 10 (2003), S. 224 – 252 (zit. „Fischer“) Grunenberg, Nina: Die Wundertäter – Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942 – 1966, München 2006 (zit. „Wundertäter“) Günther, Frieder: Vom Staat zum pluralistischen Gemeinwesen. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre und die Rudolf-Smend-Schule im Wandel 1949 – 1970, in: Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 281 – 304 (zit. „Gemeinwesen“) Hagen, Louis: Der heimliche Krieg auf deutschem Boden seit 1945, Düsseldorf 1969 (zit. „Krieg“) Halberstam, David: Die Elite – The Best and the Brightest, Hamburg 1974 (zit. „Elite“) Hansen, Reimer: Das Ende des Dritten Reiches – Die deutsche Kapitulation 1945, Stuttgart 1966 (zit. „Ende“) Hartmann, Jürgen: Geschichte der Politikwissenschaft – Grundzüge der Fachentwicklung in den USA und in Europa, Opladen 2003 (zit. „Fachentwicklung“) Hartmann, Kinga (Hrsg.): Geschichte verstehen – Zukunft gestalten. Die deutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren 1933 – 1945, Interreg III A-Projekt der Sächsischen Bildungsagentur, Dresden-Breslau 2007 (zit. „Geschichte“)

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Auswahlbibliographie

Haupt, Isa: Zur Rolle des Internationalen Schulbuchinstitutes in Braunschweig bei der nationalistischen und europaideologischen Geschichtsmanipulierung der Schuljugend, dargestellt anhand seiner Publikation „Internationales Jahrbuch für Geschichts- und Geographieunterricht“, Band I-XVIII (1951 – 1978), Phil. Diss., Erfurt 1981 (zit. „Geschichtsmanipulierung“) Hecker, Wolfgang / Klein, Joachim / Rupp, Hans K.: Politik und Wissenschaft – 50 Jahre Politikwissenschaft in Marburg, 2 Bd., Berlin 2003 (zit. „Politik“) Heideking, Jürgen: Das Office of Strategic Services und der deutsche Widerstand, in: Doerries, Nachrichtendienste, S. 112 – 148 (zit. „Widerstand“) Heinemann, Manfred (Hrsg.): Umerziehung und Wiederaufbau – Die Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Deutschland und Österreich, Stuttgart 1981 (zit. „Bildungspolitik“) – Die historische Pädagogik in Europa und den USA – Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 3.2, Stuttgart 1985 (zit. „Pädagogik“) – Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945 – 1949 – Die sowjetische Besatzungszone, Berlin 2000 (zit. „Wiederaufbau“) Heinrichs, Helmut (Hrsg.): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993 Henke, Klaus-Dieter: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995 Hentig, Hartmut v.: Die Sache und die Demokratie, Göttingen 1969 Hiller, Alfred: Amerikanische Medien- und Schulpolitik in Österreich 1945 – 1950, Phil. Diss., Wien 1974 (zit. Medienpolitik“) Hinz, Thorsten: Literatur aus der Schuldkolonie – Schreiben in Deutschland nach 1945, Schnellroda 2010 (zit. „Literatur“) Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? – Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998 (zit. „Kongreß“) Hochschule im Umbruch (Teil III): Auf dem Weg in den Dissens (1957 – 1964), Berlin 1974 Hohls, Rüdiger / Jarausch, Konrad H.: Versäumte Fragen – Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, München 2004 (zit. „Fragen“) Hurwitz, Harold: Die Stunde Null der deutschen Presse – Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945 – 1949, Köln 1972 (zit. „Pressepolitik“) Ilchmann, Warren F. / Ilchman, Alice Stone: Academic Exchange and the Founding of New Universities, in: AAPSS, Vol. 491 / 1987, S. 49 – 62 (zit „Founding“) Illichmann, Jutta: Die DDR und die Juden – Die deutschlandpolitische Instrumentalisierung von Juden und Judentum durch Partei- und Staatsführung der DDR, Frankfurt / New York 1997 (zit. „Instrumentalisierung“) Jäger, Lorenz: Adorno – Eine politische Biographie, München 2005 (zit. „Adorno“) Jarausch, Konrad: „Die Teile als Ganzes erkennen“ – Zur Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten, Zeithistorische Forschungen 1 (2004), S. 10 – 30 (zit. „Teile“) Jarausch, Konrad / Siegrist, Hannes (Hrsg.): Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945 – 1970, Frankfurt 1997 (zit. „Amerikanisierung“)

6. Sekundärliteratur

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Jeffrey, Harry P.: Legislative Origins of the Fulbright Program, in: AAPSS, Vol. 491 / 1987, S. 36 – 47 (zit „Origins“) Johnson, Haynes Bonner / Gwertzman, Bernard: Fulbright – the Dissenter, Garden City 1969 (zit. „Dissenter“) – The Fulbright Program – a History, Chicago 1965 (zit. „Program“) Junker, Detlef: Der unteilbare Weltmarkt, Das ökonomische Interesse in der Außenpolitik der USA, Stuttgart 1975 (zit. „Weltmarkt“) – Franklin D. Roosevelt, Göttingen 1979 (zit. „Roosevelt“) – (Hrsg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945 – 1990, 2 Bd., Stuttgart 2001 (zit. „Zeitalter“) Kastendiek, Hans: Desintegration einer Integrationswissenschaft – Konstituierung und Wandel der westdeutschen Politologie, in: Blanke, Kritik, S. 27 – 125 (zit. „Desintegration“) – Die Entwicklung der westdeutschen Politikwissenschaft, Frankfurt 1977 (zit. „Entwicklung“) Kegel, Gerhard: Was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschen?, Berlin (Ost) 1966 (zit. „Selbstbestimmungsrecht“) Kellermann, Henry: Cultural Relations as an Instrument of U.S. Foreign Policy – The Educational Exchange Program between the United States and Germany 1945 – 1954, (Bureau of Educational and Cultural Affairs – Historical Studies Nr. 3), Department of State Publication 8931, Washington 1978 (zit. „Relations“) – Von Re-education zu Re-orientation – Das amerikanische Reorientierungsprogramm im Nachkriegsdeutschland, in: Heinemann, Bildungspolitik, S. 86 – 102 (zit. „Reorientierungsprogramm“) Kershaw, Ian: Hitler, 2 Bd., Stuttgart 1998 – 2000 Kettenacker, Lothar: Krieg zur Friedenssicherung, Die Deutschlandplanung der britischen Regierung während des Zweiten Weltkrieges, Göttingen 1989 (zit. „Deutschlandplanung“) Kissinger, Henry: Das Gleichgewicht der Großmächte, Zürich 1986 – Vernunft der Nationen, Berlin 1994 (zit. „Vernunft“) Kittel, Manfred: Peripetie der Vergangenheitsbewältigung – Die Hakenkreuzschmierereien 1959 / 60 und das bundesdeutsche Verhältnis zum Nationalsozialismus, in: Historisch-politische Mitteilungen (1994), S. 49 – 67 (zit. „Peripetie“) Klein, Helmut: Bildung in der DDR, Reinbek 1974 Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung – Deutsche Geschichte 1945 – 1955, Bonn 1991 (zit. „Staatsgründung“) Klier, Freya: Lüg Vaterland – Erziehung in der DDR, München 1990 Knabe, Hubertus: Die unterwanderte Republik – Stasi im Westen, München 2001 (zit. „Republik“) Knütter, Hans-Helmuth / Schüßlburner, Josef (Hrsg.): Was der Verfassungsschutz verschweigt – Bausteine für einen alternativen Verfassungsschutzbericht, Schnellroda 2007

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Auswahlbibliographie

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Personenverzeichnis Abendroth, Wolfgang 66, 125, 132, 133, 136, 233, 241 Acheson, Dean G. 78, 173 Adenauer, Konrad 30, 34, 60, 61, 62, 100, 145, 159, 170, 171, 172, 180, 181, 182, 183, 184, 187, 192, 193, 200, 203, 215, 235 Adler, Cyrus 71 Adorno, Theodor W. 71, 72, 83, 84, 188, 189, 190, 191, 200, 203, 214 Albrecht, Clemens 206, 217, 222, 223, 224 Aly, Götz 216 Amerongen, Otto Wolf v. 168 Amery, Leopold 171 Andersch, Alfred 20, 22, 25 Anderson, Nels 115 Andreotti, Giulio 49 Angress, Werner T. 81 Anthon, Karl 164 Antrick, Otto 233 Arendt, Hannah 83 Aristonikos 105 Armstrong, Hamilton Fish 173 Arndt, Adolf 197 Arndt, Hans-Joachim 41, 57, 65, 66, 69, 114, 115, 121, 232, 233 Atholl, Duchess of 171 Attalos III. 105 Bahr, Egon 181 Bajohr, Frank 29, 170 Barnes, Harry Elmer 211 Baron, Hans 82 Barron, J. 193 Bauerkämper, Arnd 29, 133 Baumgärtel, Friedrich 120, 121, 124 Beaverbrook, Lord (Max Aitken) 175 Becker, Gerold 206 Behrendt, Richard 83

Benton, William 105 Berber, Fritz 118 Berendsen, Fritz 158 Berghahn, Volker 29, 172 Bergstraesser, Arnold 35, 36, 37, 44, 45, 83, 84, 90, 110, 120, 168, 174, 188, 201, 206, 233, 236 Bergstraesser, Ludwig 125, 132, 234 Besymenskij, Lew 63 Bevin, Ernest 32 Biedenkopf, Kurt 155 Binder, Gerhard 196 Bismarck, Otto v. 73, 113 Blaustein, Jacob 173 Blum, Leon 171 Blum, Robert 113 Blumenfeld, Ebba 169 Blumenfeld, Erik 29, 168, 169, 170, 172, 173, 193 Boas, Franz 144 Böhm, Franz 191, 192 Bonham-Carter, Violet 171 Bordag-Wettenge, Erika 234 Borries, Karl v. 171 Boveri, Margret 107 Bracher, Karl Dietrich 29, 57, 64, 65, 79, 100, 101, 158, 200, 201, 206, 214, 215, 218, 219, 234, 241 Brandt, Willy 68, 105, 155 Braude, Beatrice 206 Brecht, Arnold 40, 45, 83, 116, 234 Brecht, Bert 145 Brickner, Richard 202 Brill, Hermann Louis 125, 132 Broschek, Antje 170 Broschek, Kurt 170 Brüning, Heinrich 37, 44, 45, 236, 241 Brzezinski, Zbigniew 173 Bubis, Ignatz 223

Personenverzeichnis Bucerius, Gerd 193 Bullitt, William C. 212 Bullock, Alan 195 Burckhardt, Carl J. 169 Burgess, Guy 176 Bussche-Streithorst, Axel Frhr. v. d. 176 Buttenwieser, Benjamin B. 111, 112 Byorade, Henry 111 Cartellieri, Wolfgang 158 Case, Francis 99 Chamberlain, Housten Stewart 71 Chernow, Ron 169 Chruschtschow, Nikita 192 Churchill, Winston Spencer 10, 44, 55, 56, 122, 170, 171, 176, 180 Clapmar, Arnold 73 Clay, Lucius D. 21, 77, 116, 148, 149, 150, 151, 198, 236 Cohen, Oscar 188 Cohn, Alfred E. 81, 82 Colie, Stuart E. 134 Colligan, Francis 159 Comte, Auguste 128 Conant, James A. 148, 157 Conze, Werner 200 Dahrendorf, Ralf 202 Dam, Hendrik van 31, 187, 188 Dance, Edward 87, 89 Delmer, Sefton 175, 176, 178 Deutsch, Harald 164 Dickman, William 117 Dietze, Constantin v. 168 Dilthey, Wilhelm 103 Dodd, Thomas 192 Dohnanyi, Klaus v. 173, 204 Dönhoff, Marion Gräfin 168, 171, 172 Donovan, William 81, 139 Dorn, Walter 81, 149 Douglas, William O. 116 Duggan, Stephen 82 Dulles, John Foster 152 Dunner, Joseph 97 Dutschke, Rudi 216 Eagleburger, Lawrence 173 Ebbinghaus, Julius 234

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Ebert, Friedrich 68, 176 Eckert, Georg 87, 89, 90, 99, 100, 101, 188, 201, 214 Eden, Anthony 176 Ehmke, Horst 117, 156, 157, 173 Eichmann, Adolf 185, 196, 198, 221 Eisenberg, Robert 140 Eisenhower, Dwight D. 169 Eisfeld, Rainer 42, 43, 44, 45, 117 Ellenoff, Theodore 189 Ellwein, Thomas 218 Emmet, Christopher 173, 198, 199 Engel, Irving 173, 183 Engel-Janosi, Friedrich 83 Engels, Friedrich 48, 113 Epstein, Benjamin 173, 183, 186, 187 Epstein, Fritz T. 82, 83 Epstein, Klaus 83 Erdmann, Karl Dietrich 47, 54, 55 Erhard, Ludwig 155, 172 Eriksson, Erik 169 Erler, Fritz 158 Eschenburg, Theodor 66, 79, 127, 132, 200, 202, 234, 241 Eschmann, Fritz 158 Eumenes II. 105 Eynern, Gert v. 125, 234 Falkenhausen, Gotthard Frhr. v. 168, 171 Fendt, Franz 125, 234 Ferber, Hellmuth 158 Fetscher, Iring 221, 223 Fischer, Fritz 96, 209, 234 Fischer, Joseph 174 Fischer-Baling, Eugen 125, 235 Flechtheim, Ossip K. 36, 80, 83, 133, 235 Fleck, Christian 82 Fleischer, George 134 Flöter, Hans Hinrich 235 Ford, Henry 141 Fraenkel, Ernst 29, 36, 37, 77, 78, 79, 80, 83, 133, 137, 138, 139, 140, 141, 156, 164, 230, 235, 236, 241 Franken, Paul 183, 207, 208 Frankfurter, Felix 116 Freund, Ludwig 235

270

Personenverzeichnis

Freund, Michael 67, 121, 125, 128, 131, 132, 201, 209, 235, 241 Frey, Kurt 87, 88 Freymond, Jaques 164 Fried, John 83 Friedlaender, Ernst 168, 171 Friedrich Barbarossa 68 Friedrich, Carl J. 116, 127, 173, 213, 235, 241 Fröbel, Julius 113 Fulbright, James William 59, 159, 160, 161, 162, 163, 166, 167 Füssl, Karl-Heinz 29, 154, 197 Gablentz, Otto Heinrich v.d. 125, 236 Gasperi, Alcide 171 Gatzke, Hans 83 Gay, Peter 83 Gehlen, Arnold 129, 130 Gehlen, Reinhard 192 Geiss, Immanuel 209, 210 Gereke, Günther 176 Gerhard, Dietrich 82 Gerhardt, Uta 38, 128, 129, 130, 131 Gerstein, Kurt 195, 208 Gerstenmaier, Eugen 53, 100, 201, 204 Gienow-Hecht, Jessica 29 Gilbert, Felix 83 Glaser, Hermann 25 Glass, D.V. 80 Gleason, Everett 211, 212 Globke, Hans 187 Glum, Friedrich 79 Goetz, Walter 86 Goldmann, Nachum 200 Goldstein, Thomas 153 Goodykoontz, Bess 105 Gordon, Stanley 206 Göring, Hermann 169 Grabowsky, Adolf 37, 44, 45, 132, 133, 236 Grace, Alonzo 114, 115 Graf, Maximilian 49 Graml, Hermann 195, 210 Grass, Günter 105, 219 Grewe, Wilhelm Georg 173 Grey, Edward 38

Grimme, Adolf 40 Grosser, Alfred 58, 79, 146, 200 Grossmann, Kurt R. 200 Grothewohl, Otto 48 Grusen, Sidney 188 Guéhenno, Jean 91 Gumbel, Emil 80, 81, 84 Günther, Frieder 117 Gurian, Waldemar 236 Gurian, Walter 83 Gurland, Arcadius Rudolf Lang 36, 37, 80 Guttenberg, Karl-Theodor zu 174 Habe, Hans 22, 23 Habermas, Jürgen 188, 201, 202, 206, 215, 216, 236 Haffner, Sebastian 188 Hahn, Wilhelm 201 Hahn-Butry, Jürgen 176 Hallstein, Walter 89, 90, 155 Hamm-Brücher, Hildegard 86 Harris, Arthur 169 Harrison, Earl G. 111 Heinrich der Löwe 68 Heller, Hermann 43 Hennis, Wilhelm 29, 117, 156, 201, 209, 214, 215, 216, 217, 218 Hentig, Hartmut v. 206 Herberger, Lothar 134 Hermens, Ferdinand 37, 79, 199, 236, 244 Herwarth, Hans v. 179, 180 Herz, John H. 81, 83, 116, 140 Herz, Martin 22 Herzfeld, Hans 79 Heuss, Theodor 44, 200, 201, 237 Heym, Stefan 22 Hilberg, Raul 80 Hill, Henry H. 105 Hillgruber, Andreas 88, 89, 188 Himmler, Heinrich 169 Hirschmann, Johann Baptist 201 Hiss, Alger 176 Hitler, Adolf 20, 34, 45, 57, 64, 65, 67, 68, 79, 88, 128, 152, 175, 176, 204, 209, 210, 211, 213, 217, 222, 226, 227 Hobbes, Thomas 73 Hochgeschwender, Michael 38, 155 Hocking, William Ernest 103

Personenverzeichnis Hofer, Walther 79, 88, 164, 200, 210, 211, 213, 237 Hoffmann, Paul 141, 142 Hoggan, David 209, 210, 211, 214, 226 Holborn, Hajo 43, 77, 82, 237 Holborn, Louise 140 Hölzl, Josef 208 Honecker, Erich 92 Horkheimer, Max 7, 71, 72, 80, 83, 84, 134, 144, 168, 172, 173, 183, 184, 190, 195, 199, 200, 201, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 221 Horne, George A. 160 Hübinger, Paul 201 Hula, Erich 83 Hull, Cordell 212 Hundhammer, Alois 98, 156 Husserl, Edmund 103 Iljutschow, Iwan I. 177 Jacobsen, Hans-Adolf 237 Jacobsen, Walter 195, 202 Jacoby, Joseph 71 Jaeckh, Ernst 42, 83 Jaeger, Richard 158 Jarausch, Konrad 29, 96 Jaspers, Karl 31, 91, 200 Jefferson, Thomas 48 Jenninger, Philipp 223 John, Otto 70, 175, 176 Johnson, Uwe 52 Johnson, Walter 159 Jordan, Henry P. 237 Josselson, Michael 213 Josten, Johann Peter 158 Jünger, Ernst 105 Kahn, Marcia L. 198 Kaiser, Jakob 60 Kämpf, Hellmut 131 Kann, Robert A. 83 Kant, Immanuel 134 Karl der Große 86 Karl V. 68 Kaufmann, Erich 37, 201, 237

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Kehr, Eckart 43 Kellermann, Henry 117, 133, 139, 140, 146, 147, 149, 153, 157, 158, 172, 231, 232, 240 Kelsen, Hans 83, 137 Kempner, Robert 24, 83, 116, 117, 231 Kennan, George 59 Kennedy, John F. 160 Kersten, Felix 169 Kesselring, Albrecht 177 Kessler, Gerhard 132 Kiesinger, Kurt-Georg 155, 219 Kirchheimer, Otto 80, 81, 83, 140, 156, 164, 237 Kissinger, Henry 83, 173 Klarsfeld, Serge 195 Klasen, Karl 173 Kleist, Heinrich v. 67 Klemperer, Klemens v. 83 Klier, Helmut 187 Kliesing, Georg 158 Kluke, Paul 79 Kluncker, Heinz 155 Kniefer, Werner 158 Knoll, Joachim 201 Koenen, Bernhard 238 Kogon, Eugen 125, 127, 133, 171, 213, 238, 241 Köhler, Wolfgang 83 Kraft, Waldemar 175 Kramer, Stanley 199 Kraus, Karl 189 Krausnick, Helmut 88, 196, 200, 201, 207, 209, 210, 214, 218, 219, 227, 244 Kress von Kressenstein, Hans Frhr. v. 142 Kreuzer, Heinz 36 Kriebel, Christine 79 Krockow, Christian Graf v. 206 Krönig, Waldemar 25 Kuby, Erich 22, 23 Kuhn, Helmut 168, 219 Kühnhardt, Ludger 169 Ladwig-Winters, Simone 29 Lambsdorff, Otto Graf 174 Lamm, Hans 23, 24, 220 Landauer, Carl 173

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Personenverzeichnis

Landshut, Siegfried 238 Langer, William 81, 211, 212, 213 Laue, Theodor v. 83 Lehman, Irving 71 Leibholz, Gerhard 37, 238 Leisler-Kiep, Walter 174, 189 Lenin, Wladimir Iljitsch Uljanow 77 Lepsius, Rainer 138 Liddell, Helen 115 Lietzmann, Sabina 199 Limbert, Paul M. 105 Linde, Ernest F. 134 Lippmann, Walter 59 List, Friedrich 42 Litchfield, Edward A. 115 Litt, Theodor 201 Littmann, Ulrich 164, 165, 167 Lochner, Louis P. 198 Lochner, Robert H. 172 Loderer, Eugen 155 Loewenstein, Karl 40, 83, 115, 116, 117, 119, 121, 127, 138, 156, 230 Lord Russel of Liverpool 176 Loritz, Alfred 60, 61 Löwenthal, Richard 36 Lüders, Karl-Heinz 183 Lundestad, Geir 77 Luther, Martin 68 MacGrath, Earl J. 105 MacLean, Donald 176 Macmillan, Harold 179, 180, 181 Mann, Golo 35, 84, 166, 196, 213, 220, 221, 222, 223, 224 Manteuffel, Hasso v. 158 Manytz, Renate 115 Marcus, Robert 111 Marcuse, Herbert 30, 35, 36, 75, 80, 81, 82, 83, 84, 140, 238 Marx, Karl 42, 48, 68, 113 Mason, John B. 134 Massing, Paul 72 Masur, Gerhard 83, 164 Mau, Hermann 88, 196, 227 Mayer, Arno 83 Mayntz, Renate 202 McCarthy, Joseph 59, 166

McCloy, John 17, 18, 22, 51, 99, 110, 111, 112, 141, 159, 171, 172, 173, 198 McClure, Robert A. 22, 23 McIver, Robert 81 Medaline, George Z. 71 Mende, Erich 173 Messerschmidt, Felix 201, 206, 209 Metternich, Klemens Wenzel Lothar v. 68 Meyer, Ernst Wilhelm 238 Michaelis, Georg 77 Michels, Robert 39 Millar, Frederic Hoyer 180 Minssen, Friedrich 206, 207 Möbus, Gerhard 201 Mohr, Arno 42, 116 Mommsen, Hans 216 Mommsen, Wilhelm 79 Morde, Theodor S. 132 Morgenthau, Hans 40, 83 Morgenthau, Henry 139 Morstein-Marx, Fritz 37, 83 Moulton, Harold G. 78 Muhlen, Norbert 188 Müller, Eberhard 201 Müller, Gebhard 200 Müller, Tim B. 30, 75, 76, 212 Müller-Graf, Carl Hermann 177, 178 Münch, Richard 34, 35 Münster, Clemens 25 Naumann, Friedrich 237 Neumann, Franz 83 Neumann, Franz L. 36, 39, 40, 43, 73, 74, 75, 76, 77, 80, 81, 82, 83, 127, 133, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 213, 230, 231, 239 Neumann, Robert 35, 83 Neumann, Sigmund 36, 43, 83 Niebuhr, Reinhold 105 Niekisch, Ernst 94, 239 Niemeyer, Gerhart 40, 239 Niemöller, Martin 152 Nietzsche, Friedrich 104 Nipperdey, Thomas 50 Noelle-Neumann, Elisabeth 191 Nolte, Ernst 9, 60, 68, 69, 78, 101, 218 Novotny, A. 102

Personenverzeichnis Oberländer, Theodor 175, 178, 179, 187, 193, 239 Oertzen, Peter v. 117, 156 Oppenheimer, Fritz E. 198 Oppenheimer, Julius J. 134, 135 Otto der Große 51 Overmans, Rüdiger 91 Padover, Saul K. 22 Panofsky, Erwin 83 Papen, Franz v. 132, 217, 239 Pareto, Vilfredo 39 Paul, Ernst 158 Payart, Jean 177 Pestalozzi, R. 19 Peters, Anneliese 134 Peters, Arno 134 Peters, Hans 201 Petersen, Peter 120 Petterson, Robert P. 152 Peye, Henri 83 Pieck, Wilhelm 92 Pieper, Cornelia 147 Pilgert, Henry 27, 87 Pitt, Felix Newton 105 Pollock, Frederick 80 Pollock, James K. 77, 116 Preusker, Viktor Emmanuel 175 Prinz, Joachim 186 Prittie, Terence 188, 227 Proskauer, Joseph 71, 173 Putlitz, Wolfgang Gans Edler Herr zu 176 Quadbeck, Ulrike 29, 40, 125, 133, 184, 185 Raab, Julius 177 Ranshofen-Wertheimer, Egon 83 Rathkolb, Oliver 49 Rauschning, Hermann 81, 210 Redslob, Edwin 213 Regnery, Manfred 89, 90 Reichmann, Eva 195 Reigrotzki, Erich 115 Reitlinger, Gerhard 195 Renner, Karl 50, 62 Reuter, Ernst 132, 142, 156 Reynaud, Paul 171

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Rhode, Gotthold 101 Richards, A.H. 170 Richter, Hans Werner 20, 22, 25 Ritter, Gerhard 101 Robinson, Jacob 200 Robson, Charles B. 134 Rogin, Lawrence 105 Roosevelt, Eleanor 206 Roosevelt, Franklin Delano 44, 46, 79, 80, 81, 116, 132, 156, 161, 162 Rosenberg, Arthur 82, 83 Rosenberg, Hans 82 Rosenman, Samuel 71 Rosenzweig, Beate 34 Rothfels, Hans 65, 82, 110, 196, 198, 200, 201, 216, 219 Rougemont, Denis de 91 Rücker, Fritz 93 Russell, Bertrand 38 Rüstow, Alexander 132, 133, 136, 239 Salit, Norman 182, 183 Saltzman, Charles E. 149 Sandys, Duncan 170, 171 Saunders, Frances Stonor 29 Schäfer, Albert 171 Schärf, Adolf 177 Scheel, Walter 155 Schelsky, Helmut 129, 130, 134, 135, 201, 214 Scheuch, Erwin K. 115 Schieder, Theodor 101, 166, 200 Schiller, Friedrich 95 Schiller, Karl 168, 173 Schlak, Stephan 29 Schlamm, William S. 58, 59, 60 Schlüter, Leonhard 213 Schmid, Carlo 61, 192, 213 Schmidt, Helmut 155, 158, 173 Schmidt, Oliver 29, 173 Schmitt, Carl 137, 157, 218, 236, 238 Schnell, Hermann 10, 102, 159 Schoch, Magdalena 140 Schoeps, Hans-Joachim 201 Schokking, Jan Jurrian 115 Schönen, Paul 192, 193 Schönstedt, W. 19 Schramm, Edmund 122

274

Personenverzeichnis

Schrenck-Notzing, Caspar v. 31, 105, 164, 184 Schröder, Gerhard 63, 182, 193, 194, 195, 196, 200, 201, 203 Schüddekopf, Otto-Ernst 85, 91, 99 Schukow, Georgi 48 Schumacher, Kurt 61, 145 Schumann, Robert 171 Schütte, Ernst 79 Schwab, Curt E. 168 Schwartz, Thomas Alan 171 Schwarz, Ernst 144 Schwarz, Hans-Peter 30, 194 Seebohm, Hans Christoph 61, 62 Selke, George A. 133, 134 Semjonov, Wladimir 176 Shakespeare, William 182 Shirers, William 199 Shuster, George N. 45, 198, 211 Shuster, Zachariah 183, 221, 223 Silverman, Sydney 111 Simmel, Georg 134 Simons, Hans 40, 83 Sinn, Andrea 220 Sinzheimer, Hugo 141 Slawson, John 205 Smend, Rudolf 117, 156 Smith, T.V. 105 Söllner, Alfons 81 Sombart, Werner 71 Sontag, Raymond J. 211 Sontheimer, Kurt 206 Sorokina, Marina 179 Speier, Hans 24, 140, 240 Spender, Stephen 91 Spengler, Oswald 105 Spier, Eugen 170 Springer, Axel 170 Stahl, Walter 171, 188, 199 Stalin, Josef 55, 56, 213 Stampfer, Friedrich 21 Steed, Henry Wickham 10 Steel, Christopher 181 Steffani, Winfried 79 Steffen, Jochen 235 Stein, Erwin 40, 41, 118, 119, 120, 122, 123, 132 Steinbach, Peter 30

Stern, Fritz 83, 130, 173 Sternberger, Dolf 121, 125, 132, 213, 240 Stettinius, Edward R. 78 Stingl, Max 158 Stirner, Max 73 Stoltenberg, Gerhard 155, 235 Stone, Donald C. 150 Stone, Harlan Fiske 116 Stone, Shepard 30, 157, 172, 173 Stone, William T. 149 Stourzh, Gerald 27, 47, 49, 50, 51, 82, 83, 84, 240 Strauß, Elisabeth 215 Strauß, Franz Josef 155, 157, 187 Strunk, Arnold 192, 193 Suhr, Otto 40, 132, 133, 142, 240 Sundquist, James 150 Taylor, A.J.P. 209, 210, 226 Taylor, John W. 85, 110 Taylor, Telford 24 Tenbruck, Friedrich H. 134, 135 Tent, James 29, 149, 151 Tetens, Tete H. 199 Thadden, Rudolf V. 200 Thomas, Georg 226 Thompson, Kenneth 164 Tillich, Paul 83 Tocqueville, Alexis de 58 Tönnies, Ferdinand 73 Trosten, William S. 189 Truman, Harry S. 55, 56, 111 Ulbricht, Walter 92 Unseld, Siegfried 52 Vansittart, Robert 171 Venohr, Wolfgang 48 Verne, Jules 7 Vetter, Heinz 155 Vinz, Curt 19 Voegelin, Eric 37, 83, 84, 116, 240 Vogel, Ralph 166, 167 Vulpius, Axel 202, 209 Walter, Klaus 187 Warburg, Eric M. 168, 169, 171, 173, 174, 198

Personenverzeichnis Warburg, Felix 82 Washington, George 48 Weber, Alfred 125, 127 Weber, Max 134 Wehler, Hans-Ulrich 165, 166 Weiden, Paul 140 Weinberg, Gerhard L. 83 Weippert, Georg 132 Weizsäcker, Carl Friedrich v. 168 Welles, Sumner 162 Wells, Herman B 115, 148, 149, 150, 151, 152, 153 Wenke, Hans 200, 201, 202, 208, 244 Westcott, Jay 119 White, Helen C. 105 Wilbrandt, Hans 132 Willkie, Wendell 161, 162, 163

Wilson, Woodrow 53, 77 Winant, John 78 Windelband, Wilhelm 103 Winkler, Heinrich August 88, 227 Winter, Ernst Karl 83 Wittfogel, Karl August 72 Wohlfahrt, Karl 208 Wolfers, Arnold 83 Wolff, Jeanette 191 Wolffsohn, Michael 185, 194 Wolfson, Manfred 188 Woods, Randall B. 163 Zink, Harold 103 Zook, George F. 106, 107, 108, 109 Zwirner, Henning 156

275