Kunstgeschichte nach 1945: Kontinuität und Neubeginn in Deutschland 9783412300715, 9783412004064

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Kunstgeschichte nach 1945: Kontinuität und Neubeginn in Deutschland
 9783412300715, 9783412004064

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ATLAS Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte Neue Folge Band 3

Herausgegeben vom Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn

KUNSTGESCHICHTE N A C H 1945 K o n t i n u i t ä t u n d N e u b e g i n n in D e u t s c h l a n d

Herausgegeben von Nikola Doll, Ruth Heftrig, Olaf Peters und Ulrich Rehm

§ 2006 B Ö H L A U VERLAG K Ö L N WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung und der Richard und Anne-Liese Gielen-Leyendecker-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen: Portraitfoto Willi Baumeister und Dokumenta 1955: Archiv des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn; Plakat für die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung 1946 in Dresden und den Sächsischen Künstlerkongreß: Anne-Marie Bonnet, Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004.

© 2006 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 913 90-0, Fax (0221) 913 90-11 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz und Litho: Punkt für Punkt G m b H , Düsseldorf Druck und Bindung: MVR-Druck G m b H , Brühl Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-412-00406-5 ISBN 978-3-412-00406-4

Inhalt

7

Einleitung

Kultur- und

Wissenschaftspolitik

13 Veronica Davies

German Initiatives and British Interventions 1945-51

21 Christian Fuhrmeister

Kunsthistorische

Kontinuität und Blockade

Methoden und

Denkmodelle

39 Karin Hellwig Kontinuitäten in der biographischen Methode zur Zeit der NS-Diktatur und nach 1945 51 Sabine Fastert Pluralismus statt Einheit. Die Rezeption von Wilhelm Pinders Generationenmodell nach 1945 67 Ulrich Rehm Vom Sehen zum Lesen. Eine Fallstudie zur ikonologischen Praxis der Nachkriegszeit 77 Carsten Fleischhauer Eine mittelalterliche Präfiguration der europäischen Einigungsidee? Die Erforschung der Zisterzienserarchitektur im westlichen Nachkriegsdeutschland 89 Claus Volkenandt Studien zur Bildform. Günther Fienschs Idee einer anschaulichen Selbstbegründung des Bildes

Kulturpessimistische

Deutungen der Moderne

99 Sandra Wagner-Conzelmann Auf der Suche nach dem städtischen Leben: Die konzeptionellen Erneuerungen der Planungsmaximen des Städtebaus der 1950er Jahre 113 Andreas Zeising Karl Scheffler und das »Phantom Großstadt«. Zur Kontinuität kulturpessimistischer Deutungsmuster nach 1945

6

Inhalt

125 Olaf Peters Rudolf Schlichters Das Abenteuer der Kunst, oder: der Künstler als Kunsthistoriker

Die Rolle der

Abstraktion

137 Dorothee Wimmer Die >Freiheit< der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland: »Das Kunstwerk« als Forum der Kunstgeschichte 149 Susanne Leeb

Die modernen Troglodyten. Willi Baumeisters Kunsttheorie

165 Gregor Wedekind

Abstraktion und Abendland: Die Erfindung der documenta

als Antwort auf »unsere deutsche Lage« 183 Christoph Zuschlag Zur Debatte um ungegenständliche Kunst in den 50er Jahren: Das »Leverkusener Gespräch« 195 Martin Schieder Kollektive Erbschaften. Deutsch-französische Kunstgespräche in den 1950er Jahren Exkurs: Kunst- und Ausstellungspolitik

in der Sowjetischen

Besatzungszone

209 Kathleen Schröter Kunst zwischen den Systemen. Die Allgemeine Kunstausstellung 1946 in Dresden 239 Abbildungsnachweis 241 Personenregister

Deutsche

Einleitung

Vom 7. bis zum 9. Oktober 2004 fand am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn eine Tagung zum Thema »Kontinuität und Neubeginn. Kunstgeschichte im westlichen Nachkriegsdeutschland« statt. Ziel war es, die fachspezifischen weltanschaulichen und methodischen Grundlagen der westdeutschen Kunstgeschichte nach 1945 in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext zu diskutieren. Die Durchführung wurde großzügig von der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung unterstützt. Vorausgegangen waren Gespräche, in denen sich der Eindruck verfestigte, daß die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in der jüngeren Vergangenheit maßgeblich von einer kritischen Bestandsaufnahme der Fachgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt ist. Der Hamburger Kunsthistorikertag 2001 hat versucht, das Fach in der ganzen Breite seiner Tätigkeitsfelder und Ausrichtungen daran zu beteiligen. Die Schwerpunkte der Untersuchungen lagen bisher auf der Institutionengeschichte, den Biographien der einzelnen Fachvertreter sowie den ideologischen Voraussetzungen und Implikationen von Forschung und Lehre. Besondere Aufmerksamkeit wurde den deutschen Kunsthistorikern im Exil und deren akademischem Wirken im jeweiligen Aufnahmeland gewidmet. Die Vorbereitungen auf das DFG-Forschungsprojekt zur Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus haben noch einmal die Dringlichkeit der historischen Aufarbeitung vor Augen geführt. 1 Zugleich hat sich gezeigt, daß die markante histori1

Es handelt sich um das v o n den Universitäten Berlin (Humboldt-Universität), Bonn, Hamburg (Universität und T U Hamburg-Harburg) und München erarbeitete DFG-Projekt »Aufbau eines themenorientierten Netzwerkes: Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche einer Wissenschaft zwischen der Weimarer Republik und der Gründungsphase der beiden deutschen Staaten« (http://www.welib.de/gkns). Wesentliche Forschungsimpulse waren bereits ausgegangen von: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 5, 2003, Schwerpunkt: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, hrsg. von Jutta Held und Martin Papenbrock, Göttingen 2003; Nikola Doll, Christian Fuhrmeister und Michael H. Sprenger (Hrsg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005 (Begleitband zur Wanderausstellung »Kunstgeschichte im Nationalsozialismus«, Bonn, München, Tübingen, Marburg, Karlsruhe, Kiel, Berlin 2005-2006).

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Einleitung

sehe Zäsur der Jahre 1933 bis 1945 disziplingeschichtlich durchaus zu hinterfragen ist. Denn Kontinuitäten sind schon durch die Namen mancher Fachvertreter während und nach der Zeit des Nationalsozialismus evident. Kann man dementsprechend überhaupt von einem Neuanfang nach 1945 sprechen? Und wenn ja, worin genau bestand er? Solche Ausgangsfragen führten zu dem Wunsch, ein Forum zu schaffen, auf dem sich das Augenmerk gemeinsam auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Institutionen und Personen sowie die wissenschaftspolitischen und fachmethodischen Rahmenbedingungen in der frühen Bundesrepublik richtet. Dabei erwies es sich von vornherein als unerläßlich, die Gegenstandsfelder und Methoden der Kunstgeschichte der gesamten ersten Jahrhunderthälfte als mögliche Bezugspunkte nicht auszugrenzen. Wir freuen uns sehr, daß das Themenspektrum der Tagung für die Publikation um weitere Gesichtspunkte ergänzt werden konnte, die sich aus der Diskussion der Teilnehmer ergaben. Sabine Fastert, Kathleen Schröter und Sandra Wagner-Conzelmann haben sich bereiterklärt, jeweils noch einen Text beizusteuern. Der ursprüngliche Gedanke, das Thema deutschlandweit zu untersuchen, hat sich im Laufe der Vorbereitung als allzu umfangreich und deshalb schwer durchführbar erwiesen. Die Herausgeberinnen und Herausgeber hoffen, daß der einzige, nachträglich aufgenommene Beitrag zur Geschichte der ostdeutschen Kunstgeschichte nicht als Versuch der Marginalisierung mißverstanden, sondern als Startsignal zur dringend erforderlichen weiteren Forschung aufgenommen wird.2 Im ersten Beitrag beschreibt Veronica Davies die kulturpolitischen Aktivitäten in der britischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1951. Dabei wird deutlich, unter welchen Rahmenbedingungen einige der im Weiteren vorkommenden Fachvertreter handelten sei es an den Universitäten, im Bereich der Publizistik, des Städtebaus oder im Ausstellungswesen. Wesentliche Maßstäbe der britischen Besatzungspolitik seien vor allem Reeducation und Kooperation mit deutschen Kulturexperten gewesen. Dabei habe es sich aus pragmatischen Gründen als teilweise unerläßlich erwiesen, entgegen klarer politischer Grundsätze auch mit ehemaligen Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Christian Fuhrmeister stellt das Konzept der »Stunde Null«, das einen Neubeginn suggeriert, für die Kunstgeschichte nach 1945 generell in Frage. Die konträren Karriereverläufe zweier Münchener Kunsthistoriker dienen als Ausgangspunkt für diese These. Ernst Strauss, der nach langjähriger Emigration 1949 nach München zurückkehrt, sieht sich keineswegs einem Neuanfang gegenüber, vielmehr wird er systematisch an der Fortsetzung seiner früheren Lehr- und Forschungstätigkeit gehindert. Der ehemalige Nationalsozialist Hugo Kehrer hingegen konnte nach 1945 seine Karriere ungehindert fortsetzen.

2

Die im Oktober 2005 veranstaltete Tagung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe (TH) und der Guernica-Gesellschaft e. V. unter dem Titel »Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit ( 1 9 4 5 - 1 9 5 5 ) « bezog die Kunstgeschichte der D D R in größerem Umfang mit ein.

Einleitung

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Auf Basis einer breit angelegten Textrecherche untersucht Karin Hellwig das Phänomen der Künstlerbiographie über das Jahr 1945 hinweg. Die vor 1933 geführte Diskussion über Sinn und Nutzen des biographischen Zugangs zur Kunstgeschichte sei zur Nazizeit radikal abgebrochen worden. Sowohl was die Wahl der für biographiewürdig erachteten Künster als auch was die methodische und ideologische Ausrichtung betrifft, ist hier eine breite Kontinuität bis weit in die 1960er Jahre hinein festzustellen - auch, weil viele während des Nationalsozialismus verfaßte Biographien in der Nachkriegszeit neu aufgelegt und zum Teil sogar wie Neuerscheinungen rezensiert wurden. Am Beispiel Wilhelm Pinders greift Sabine Fastert die in den 1980er Jahren gelegentlich diskutierte Frage auf, ob die wissenschaftliche Leistung eines Kunsthistorikers, wenn sie auf falschen Prämissen beruht, obsolet sei. Pinders Generationenmodell aus den 1920er Jahren, das es erlauben sollte, die stilistische Heterogenität ein und desselben historischen Zeitraums zu erklären, wurde vielfach in die Nachkriegsdiskussion über moderne und zeitgenössische Kunst einbezogen - nicht zuletzt, um auf diesem Weg dem linearen Verfallsmodell Hans Sedlmayrs eine Verteidigung der Moderne entgegenzusetzen. Ulrich Rehm untersucht, welcher Stellenwert dem ikonologischen Ansatz in den Nachkriegs jähren zukam. Ausgehend vom Vergleich zweier gleichzeitig erschienener Aufsätze Willibald Sauerländers bemerkt er einen Wechsel der methodischen Perspektive ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre: die Leitmetapher des Sehens, die unter anderem von Hans Jantzen geprägt war, wurde abgelöst von jener des Lesens, die mit dem Anspruch eines methodischen Neuaufbruchs auftrat. Die kaum reflektierte methodische Basis sei anfänglich eine verallgemeinernde Auffassung vom »disguised symbolism« (Erwin Panofsky) gewesen. Indem auf dieser Basis neuzeitliche Motive bis in das Mittelalter zurückgeführt werden konnten, habe sich zugleich das Bedürfnis nach Rückversicherung auf eine gemeinsame christlich-abendländische Wiege geäußert. Carsten Fleischhauer beleuchtet die Gründe für den bemerkenswerten Aufschwung des Themas Zisterzienserarchitektur nach dem Zweiten Weltkrieg. Besonders in den Diskussionen der internationalen Tagungen in Mainz 1951 und 1953 spiegele sich eine wesentliche politische Wunschvorstellung der Nachkriegszeit: Die vermeintlich alle Grenzen übergreifende Klosterkultur des Mittelalters konnte als Präfiguration der europäischen Einigungsidee erscheinen. Dem Wirken einer heute nahezu vergessenen kunsthistorischen Figur der Nachkriegszeit widmet sich Claus Volkenandt: Günther Fienschs »Form und Gegenstand. Studien zur niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts«, 1950 in Münster als Habilitationsschrift angenommen und 1961 publiziert, ist der Versuch, in Opposition zum ikonographisch-ikonologischen Ansatz die anschauliche Selbstbegründung des Bildes zu postulieren - maßgeblich unter Rückgriff auf Vorkriegspositionen. Die Frage nach den Bedingungen der bildlichen Sinnbegründung beantwortet Fiensch mit der Ordnungsleistung der Bildfläche, durch die die motivische Kontingenz in eine bildliche Kohärenz überführt werde. Damit bietet Fiensch Argumente, die erst mit den Arbeiten Max Imdahls und dem sogenannten iconic turn weitere Resonanz finden sollten.

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Einleitung

In welchem Maße die Zerstörungen der deutschen Städte im alliierten Bombenkrieg auch als Chance für die grundlegende Neukonzeption der Stadt in den frühen 1950er Jahren empfunden werden konnten, zeigt Sandra Wagner-Conzelmann. Im Rückgriff auf die Charta von Athen, die eine funktionale Differenzierung der Stadt vorsah, dominierten in der Nachkriegszeit Konzepte, nach denen die wiederaufzubauenden Städte durchgrünt oder in ihren großstädtischen Strukturen durchbrochen werden sollten. Diese Konzepte verdankten sich der topischen Großstadtfeindlichkeit, aber auch den Erfahrungen der Verletzbarkeit von Städten im Luftkrieg. Daß dies jedoch nicht unumstritten war und vereinzelt heftigen Widerspruch erfuhr, wird an Gegenbewegungen innerhalb der Architektenzunft deutlich. Mit Karl Scheffler stellt Andreas Zeising einen kunstkritischen >Großschriftsteller< der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts vor, der nach 1945 eine kurzzeitige Renaissance erlebte. Zeising zeigt, in welchem Maße Scheffler in der Lage war, kulturpessimistische, wesentlich von Oswald Spengler geprägte Denkmuster im Rückgriff auf die eigene Vorkriegsposition zu reaktivieren, freilich mit veränderter Akzentsetzung und sogar im Gestus der Selbstrevision. Der Beitrag ergänzt den vorangehenden um die Komponente der Kontinuität von gedanklichen Figuren, die bereits im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik ausgebildet worden waren und gerade vor dem Hintergrund der realen Notwendigkeit des Wiederaufbaus Relevanz beanspruchten. Die Kontinuität von Denkmustern steht auch im Zentrum des Beitrags von Olaf Peters. Mit Rudolf Schlichter untersucht er einen der wichtigen Vertreter des Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik, der sich 1949 mit einem kunsthistorischen Essay polemisch zu Wort meldete. Dabei wurde er gleichermaßen positiv von ehemals linken Künstlerfreunden wie George Grosz und von konservativen Revolutionären wie Ernst Jünger beachtet und breit rezipiert. Brisant an Schlichters kunsthistorischer Analyse aus künstlerischer Perspektive ist die Engführung von künstlerischer Entwicklung seit 1800 und politischer Entwicklung seit 1789: Künstlerische Moderne und politische Emanzipierung und Aufklärung hätten in letzter Konsequenz zu einer umfassenden Orientierungslosigkeit des Menschen geführt. Dorothee Wimmer stellt »Das Kunstwerk« und damit eine der wichtigsten deutschen Kunstzeitschriften der Nachkriegszeit vor. Im Vergleich mit anderen Publikationsorganen, wie »bildende kunst«, konturiert Wimmer den hier geübten spezifischen Blick auf die Kunst. Diese sei explizit aus jeglichem historischen Kontext herausgelöst und zum zeitlosen, eigengesetzlichen Hort der Humanität stilisiert worden. Welch zentraler Stellenwert dabei der Abstraktion zukam, wird an diesem Fallbeispiel konkretisiert. Während Paris zum vermeintlichen Zentrum der Moderne erhoben wurde, diente die dem sozialistischen Realismus verpflichtete Kunst der D D R als Feindbild. Susanne Leeb untersucht die einflußreiche Kunsttheorie Willi Baumeisters und die Rolle der urzeitlichen Kunst im Begründungszusammenhang der Abstraktion als einer universalen Kunstsprache. Zentraler Bestandteil war dabei die Anthropologisierung der Kunst, die die Moderne mit der >Kunst< von Kindern, >Primitiven< und psychisch Kranken als unmittelbare schöpferische Ausdrucksgeste des Menschen parallelisieren konnte.

Einleitung

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Leeb verdeutlicht die legitimatorische Funktion des Rekurses auf die >urzeitlichen< Kräfte und Fähigkeiten und zeigt, in welchem Maße Baumeisters spätestens in der >inneren Emigration entwickelte Kunsttheorie Versatzstücke kunsthistorischer, philosophischer, theologischer oder ethnologischer Diskurse ab ca. 1910 benutzte, die teilweise wiederum im Nationalsozialismus Konjunktur hatten. Gregor Wedekind kann in seiner Analyse der Genese der ersten documenta (1955) zeigen, daß der in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff des Abendlandes von den Organisatoren der Ausstellung gerade nicht als ideologischer Kampfbegriff verwandt wurde, als der er weitgehend bis heute rezipiert wird. Vielmehr dienten sowohl der Begriff als auch die inhaltliche Konzeption der Ausstellung dem Versuch der Integration der deutschen Kunstproduktion in einen europäischen Gesamtzusammenhang, mit der die Katastrophenerfahrung von Nationalsozialismus und Weltkrieg überwunden werden sollte. Daß diese Entwicklung schließlich auch zur Uberwindung des Abendlandbegriffs führte, stellt - zumal im Rekurs auf Erich Auerbach - keine geringe Pointe des Beitrags dar. Christoph Zuschlag ergänzt mit seiner Analyse des weitgehend unbekannten Leverkusener Gesprächs von 1956 die Debatte über gegenständliche und ungegenständliche Kunst um eine weitere Station. Im Gegensatz zum Darmstädter Gespräch, das im Jahr 1950 Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen wurde, ging es in der Leverkusener Expertenrunde weit weniger kontrovers zu. Die Veranstalter - allen voran der Vorsitzende des Westdeutschen Künstlerbundes Wilhelm Wessel - hatten es sich zum Ziel gesetzt, die Gäste aus dem westeuropäischen Ausland davon zu überzeugen, daß die deutsche Kunst sich aus ihrer Isolation befreit habe und auf dem internationalen Parkett der Abstraktion salonfähig geworden sei. Mit einem deutsch-französischen Publikationsprojekt stellt Martin Schieder eine andere Form des Kulturaustausches vor - hier allerdings kam der Impuls von außen. Deutsche Kritiker wurden eingeladen, in der seit 1946 wieder erscheinenden französischen Kunstzeitschrift Cahiers d'Art eine Artikelserie über aktuelle deutsche Malerei zu publizieren. Kontinuität und Neubeginn geraten hier in eine merkwürdige Schieflage: die neuen, vitalen deutsch-französischen Dialoge in den Bereichen Kunst, Kunstkritik und Kunstgeschichte - und damit die reconciliation franco-allemand - führten paradoxerweise zum Rückgriff auf alte, kulturmorphologische Fragen nach den Eigenheiten der jeweils nationalen Kunst. Der letzte Beitrag lenkt den Fokus auf die Sowjetische Besatzungszone. Mit der Rekonstruktion der ersten Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung, die 1947 in Dresden stattfand, zeigt Kathleen Schröter, daß den deutschen Organisatoren - ähnlich wie in den westlichen Besatzungszonen - zunächst eine relativ große Freiheit zugestanden wurde. Mit der Präsentation vielfältiger künstlerischer Positionen sei ganz offensichtlich mit der nationalsozialistischen Kunstideologie gebrochen und eine neue künstlerische Freiheit ausgerufen worden. Gleichzeitig habe man jedoch die ablehnenden Stimmen, die sowohl seitens der Besucher als auch während des angegliederten Künstlerkongresses laut wurden, als Argumente für eine doktrinäre, modernefeindliche Kunstpolitik genutzt, wie sie sich in den folgenden Jahren durchsetzen sollte.

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Einleitung

Daß mit der Tagung und den hier versammelten Textbeiträgen ein weiterer Schritt auf dem Weg unternommen werden konnte, die historische Entwicklung der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland kritisch zu untersuchen, ist ganz besonders dem hohen Engagement und der Diskussionsbereitschaft aller Teilnehmenden zu verdanken. Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Bonn, im März 2006

German Initiatives and British Interventions 1945-51 Veronica Davies

As World War II drew to a close, officers of the Monuments, Fine Arts and Archives (MFA&A) organisation closely followed the allied forces' advance on Germany from the west. Their immediate task, within the constraint of military objectives, was to prevent damage to monuments, art objects, and archives, and where possible to arrange their protection from further deterioration until more permanent measures could be taken. The officers' intelligence reports from the field were added to frequently changing appraisals of the form which the allied occupation of Germany would take. This formed the basis for deciding the responsibilities, when hostilities ended, of the multipartite Monuments, Fine Arts and Archives branch of the Military Government, (later the Control Commission). This paper offers an overview of activities in the British Zone of occupation in the northwest of Germany in the crucial transitional years from 1945 to 1951. In the early months of its post-war operations, much MFA&A effort seems to have been concentrated simply on trying to impose on chaos an order consistent with military occupation. The interpretation of their remit seems essentially to have been responsive to the policies and political pressures of the four nations, Great Britain, France, the USA and the USSR, administering divided Germany. Sometimes, too, it depended on the inclinations of individual officers, and their response to local circumstances. In a 1994 essay on British cultural policies in Germany from 1945-49, covering music, theatre, film and literature, but, perhaps significantly, not fine art, Gabriele Clemens challenged the ideas that British cultural policy at the time was just an adjunct of US policies, or that policy decisions were simply left to occupying officers in the British Zone. 1 To support this argument, Clemens cites British government policy planning activities from 1942 onwards. Visual art was not, I would argue, generally treated by the British with the same concern as the written or spoken word, but Clemens' point never-

1

Gabriele Clemens, Die britische Kulturpolitik in Deutschland, in: Gabriele Clemens (Hrsg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949, Stuttgart 1994, 200-218.

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Veronica

Davies

theless appears valid when also applied to the fine arts for the early part of the period under discussion. Serving officers with fine arts experience were recruited for MFA&A duties in the British Zone. I will refer in particular to four of these. Majors Michael Ross and Lionel Perry were both stationed in Düsseldorf. Ross returned to Britain quite soon, to resume his artistic career, whilst Perry remained in post until the end of 1950. Captain Ewan Phillips was fine arts officer for Hamburg & Schleswig-Holstein from 1945-48, a post apparently secured by his pre-war connections with Anthony Blunt and the Courtauld Institute. Phillips was to return to Britain in 1948 to take up a post as the first director of the Institute for Contemporary Art. The Scottish painter William Gear was transferred from a signals unit until his demobilisation in April 1947, to become fine arts officer in Niedersachsen, stationed in Celle. Efforts were made to place officers where their specialist knowledge would be of most use. They were particularly concerned with locating works of art, negotiating their transfer to collecting points, trying to ascertain their rightful owners and arranging their return. The perceived need for genuinely military involvement in these activities is suggested in an official publication of 1946, which refers to the threat to monuments and art works from »predatory lawless people whose opportunity had come with the retreat of the German armies«. 2 Another major task was to assess damage to historically and symbolically important monuments such as Cologne cathedral, to start organising at least >first aid< repairs, and, as far as possible, to prevent further damage from continued military operations such as the demolition of bridges in Cologne. A vital adjunct to the protection and preservation of buildings and objects was seen as »the maintenance or reactivation of the civilian administrative machinery which controls them«. 3 It was this which was soon to bring about the forging of working relationships between British Fine Arts officers and German museum staff, academics, and, a little later, officials in the Ministry of Culture. At the same time, channels of communication and chains of command had to be negotiated carefully between the four occupying nations, and within individual zones, for MFA&A work, as well as German efforts to re-establish a viable >art worldactive service< period, the prevailing circumstances in Germany could easily lead to potential misunderstandings and lack of co-operation. This was especially true with the movement of artworks belonging to German collections, either to their original location or to secure storage, where differing policies, or simply lack of understanding of the issues involved, soon proved to be a potential source of dispute. For instance, in July, 1945 Major Ross was surprised to learn of attempts by the Director of the Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld to retrieve works stored in the Soviet Zone, unnoticed by the local 2 3

British Committee on the Preservation and Restitution of Works of Art, Archives and Other Material in Enemy Hands, Works of Art in Germany (British Zone of Occupation). Losses and Survivals in the War, His Majesty's Stationary Office (HMSO), 1946, p. iv. The National Archive (TNA): Public Record Office (PRO) FO 1050/1376 CCG - Policy. 6 June 1944 Memo to Planning Division, German Country Unit.

German Initiatives

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British military detachment. Orders were at once promulgated to try to prevent this happening again.4 It seems that those involved in non-artistic military operations had yet to be convinced of the significance of the MFA&A task. This also led to disagreements about the utilisation of German museum buildings for military purposes. Correspondence in April 1946 from General Robertson in Berlin about the use of museum premises in Düsseldorf explained that this could not be allowed, since: »One of the principles which we have been instructed to follow in our occupation of the enemy countries is to observe and display great respect for buildings of artistic or cultural importance.« 5

This order was taken as a precedent when the use of the Kunsthalle in Hamburg was being argued between German museum administrators, a British military unit located there, and MFA&A personnel, Phillips in particular. It is clear that, from the start of his appointment by the allies as the Director of the Kunsthalle in the autumn of 1945, the eminent German art historian Dr Carl Georg Heise made strenuous attempts to take unimpeded charge of the buildings and the museum collections. Supporting this, Phillips made representations to the Military Government, pointing out that MFA&A approval should anyway have been sought for its military use. By April, 1947, the valuable collection of artworks was back in store in the museum, but could not be adequately exhibited and was demonstrably not secure whilst military personnel, and some German businesses, occupied parts of the buildings. It was not until the summer of that year that this contentious situation was, uneasily, resolved. The British in the North Rhine Province seem, at least according to their own perceptions, to have been more willing than their counterparts in the neighbouring French Zone to employ specialist German staff at an early stage, to undertake tasks such as setting up Denkmalpflegeämter. This rivalry between allies was also used subsequently to support attempts to secure British Council art exhibitions for Germany, with frequent complimentary references to successful French shows in the British Zone compared with the dearth of British exhibition activity. Though denazification was progressing, it is clear that a rather pragmatic approach to appointments of former party members was taken at times by the British authorities. Where active and committed party membership was proved, no concessions were allowed, as had happened with Heise's predecessor as Director of the Hamburg Kunsthalle. Heise already had many contacts in the British art world, including Henry Moore and Herbert Read, with whom he carried on an active correspondence, and he was considered to be politically beyond reproach as well as professionally highly suitable for the 4

5

The subsequent successful, though equally clandestine, retrieval of these works in 1947 is described by Hugo Borger, Westdeutsche Museen im Wiederaufbau: Beispiel Köln, in: Hugo Borger (Hrsg.), '45 und die Folgen. Kunstgeschichte eines Wiederbeginns, Köln 1991, 214-219, here 214-215. TNA: PRO F O 1014/458 MFA&A Hamburg Kunsthalle 29 April 1946, Robertson to Gen Thomas (HQ BAOR).

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Veronica

Davies

post. Wholehearted support was also given to the appointment of Franz Graf von Wolff-Metternich (Abb. 1) in North Rhine Province, despite his former party membership: he had been dismissed in 1942 after protesting about Nazi looting in France.6 It was clearly felt that given the urgent need to set up a viable means of preserving monuments and collections in the region, he was the best person to lead this. In July 1945 the Military Government had decided as a temporary measure to put the collections of local museums under the jurisdiction of the Amt für Denkmalpflege. It was therefore politic to have a widely acceptable figure such as Metternich to head this organisation, especially given the objections to these decisions voiced by high-profile figures such as Konrad Adenauer. It is clear that Metternich, a specialist in conservation work as well as an authority on the art and architecture of the Rhineland, was also of use in negotiations with British MFA&A officers' French counterparts, to facilitate movement of art works, as well as drawing on his knowledge of the personalities in the local German art establishment to provide advice on setting up their own organisations. Correspondence on British and German files throughout the period supports the view of Metternich as a trusted intermediary in many negotiations.

1 Franz Graf Wolff-Metternich (left) at the first German Kunsthistorikertag at Brühl/Cologne, 1948

6

For further details of Metternich's wartime activities, see: Jonathan Petropoulos, The Faustian Bargain, London 2000, and Lynn Nicholas, World War II and the displacement of art and cultural property, in: Elizabeth Simpson (Ed), The Spoils of War - World War II and its Aftermath: the loss, reappearance, and recovery of cultural property, New York 1997, 39-45.

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Responsibilities for many areas of public life were transferred to German authorities from 1946 onwards. Officials of the newly formed Kultusministerium rhein-Westfalen

des Landes

Nord-

worked closely on many initiatives with British Headquarters staff at

Bünde, as well as with local officers like Perry. Close collaboration and co-ordination were, for example, necessary features of moves to control rogue art dealers. Impetus for this came almost simultaneously from established and reputable local dealers such as Alex Vomel from Düsseldorf, concerned with the flood of forgeries and >kitsch< coming o n t o the market, and British H Q authorities anxious to trace important art works which were still missing, and to curb black market dealing. A registration system of dealers and their holdings was set up by the Military Government, whilst on the German side Ministry officials urged the organisation of reputable dealers into a Kunstkammer

to protect their interests and to demonstrate their ability to regulate them-

selves. With regard to exhibitions and other activities b y G e r m a n artists, a distinction was clearly drawn between the conception of art as property, which was the subject of highlevel policy formulated by and between the allied governments, and art as activity - an artist's >tradeArtists against Fascism and War< exhibition, and war-time support for European artists who had fled to Britain. In the Cold War period, their politics and preference for artistic realism caused the kind of reservations described here. (For a general history of the ΑΙΑ, see Robert Radford, Art for a Purpose: The Artists' International Association 1933-1953, Winchester 1987). TNA: PRO BW 32/3 British Council·. British Cultural Propaganda 1944-47 31 Oct 45 Creighton to Grant. Ebd.

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tary representation of Great Britain.« 13 Unlike some of his compatriots, he also argued forcefully that the British should not take the attitude that anything is good enough for a defeated power. In December 1946, Gear raised this question again with Herbert Read, who was on the British Council's Fine Arts committee.14 Reasons put forward for not touring exhibitions to Germany included lack of funding and the likely reluctance of lenders. Inaction continued until early in 1947, when a report on an exploratory visit to Germany by two British Council representatives, Grant and Symonds, made it clear that, in the climate of developing east/west tension, it was becoming an issue to actively represent Britain's own cultural interests, as distinct from simply administering German re-education and related issues in the Zone.15 In late 1948, the former MFA&A officer Michael Ross visited the British Council in London. Ross had just returned from a working trip to the international exhibition Christliche Kunst der Gegenwart in Cologne, and was convinced of the importance of »showing the Germans a really first-class exhibition of the last fifty years of British painting.« 16 Interestingly, he singled out Ivon Hitchens as a British contemporary painter »likely to appeal to the Germans.« 17 Reasons for Ross's suggestion, although conjectural, might be the almost-abstract nature of Hitchens' landscapes and the gestural quality which might have resonances of Expressionist technique, as well as the legacy of war-time formulations of >Englishness< in British art, where the landscape tradition featured strongly. No doubt drawing on his own previous experience, Ross was of the opinion that any initiatives of this kind were »immediately jammed in the complications of Control Commission machinery«. 18 It was becoming clear to many involved that, with regard to cultural provision by the British in Germany, and specifically for representing the visual arts, this >machinery< was no longer appropriate to changing circumstances. The first British Council exhibitions of British modern and contemporary art shown in Germany in 1948/49 were considered rather conservative by those members of the German art world concerned with advancing modern art practice in Germany. However, following pressing requests through Herbert Read from both Heise in Hamburg and Gurlitt of the Düsseldorf Kunstverein, the visit to both cities of an important Henry Moore exhibition in the spring of 1950 was better received, and demonstrated the desire and ability of the two venues to host a large touring exhibition of this nature by this

13 14

15 16 17 18

Ebd. About a year later, Dr Hildebrand Gurlitt, of the Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf, referred to Read in a letter as the only Englishman »der deutsche Kunst wirklich kennt«. (TNA: PRO BW 32/6 Proposed Exhibitions for Germany 1946-49 Undated typescript copy of letter from Gurlitt to Read). TNA: PRO file BW 32/3. TNA: PRO BW 32/6 Memo Suggested Fine Art Exhibition for Germany< from Controller, Arts and Science to Director, Germany & Austria and Head of Fine Arts Section. Ebd. Ebd.

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Veronica Davies

time. The inclusion, despite many logistical concerns, of the Tate Gallery's large and heavy stone Recumbent Figure (1938) was in particular clearly appreciated. Perry, now a civilian, working for the Control Commission's Cultural Relations Branch, assisted in the co-ordination of arrangements for the exhibition's visit to Düsseldorf, and later reported back to the British Council on how it had been received. By November 1950, with Germany divided by the >Iron Curtains Perry and his fellow-officers in Cultural Relations were made redundant, and their residual work on restitution and claims relating to art works, which had formed a key initial focus of their early MFA&A duties, ended at that point. The British Council took over all British cultural work in Germany from 1 January 1951. This articulates clearly the transition from the military, >active service< presence of MFA&A officers in Germany in 1945, to a more collaborative and co-operative atmosphere, in which the German art world had taken the initiative for its own regeneration, and assumed responsibility for its own future.

Kontinuität und Blockade Christian

Fuhrmeister

Die Rede vom Fortbestand militärischer, wirtschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Eliten in der Nachkriegszeit ist unstrittig: Blickt man heute auf die Jahre nach 1945, hat die Diagnose »Kontinuität« die früher weit verbreitete Einschätzung einer »Stunde Null« abgelöst. Die Behauptung eines »Neubeginns« hat deshalb schon fast einen anachronistischen Zug, der Widerspruch herausfordert. Ist die Vorstellung, es hätte nach 1945 im Fach Kunstgeschichte einen »Neubeginn« gegeben, nicht sogar prinzipiell eine unhaltbare Fiktion? Woher hätten die Protagonisten dieses Aufbruchs denn kommen sollen? Drei Personengruppen hätten nach dem Ende des Nationalsozialismus theoretisch eine radikale Reform der deutschen Kunstgeschichte initiieren können: Erstens die aus dem Ausland zurückkehrenden Emigranten, zweitens die Vertreter der so genannten »Inneren Emigration« 1 , die ungeachtet ihrer politischen Vorbehalte sich bewußt unauffällig verhalten und zum Teil ohne Möglichkeit des Gelderwerbs in Nischen und Randbereichen des Faches durchgeschlagen hatten, und drittens jene, die sich während des Nationalsozialismus entweder in Amt und Würden oder in Ausbildung befunden hatten und die nun, in der Folge eines wie auch immer induzierten Lernprozesses, ihre früheren Ansichten einer umfassenden kritischen Revision unterzogen hätten. Selbst wenn man bei diesem letztgenannten Personenkreis die volle Breite des Spektrums konzediert - von bedingungsloser Selbstgleichschaltung und Selbsteinbindung über Opportunismus, Anpassung und oberflächlichen Zugeständnissen bis zu Nonchalance, Abkapselung und bedingt erfolgreicher Wahrung individueller Autonomie - , erscheint es zumindest unwahrscheinlich, daß es Wissenschaftler gegeben haben soll, die gegen die phasenweise durchaus unterschiedliche, stets aber spürbare Instrumentalisie1

Bei dieser Vorstellung einer »Inneren Emigration« von Kunsthistorikern handelt es sich um die Übertragung einer ursprünglich hinsichtlich der Kunstproduktion selbst formulierten Uberzeugung, derzufolge die moderne Kunst nach der »Machtergreifung« in den Katakomben verschwunden sei, w o sie - so Hans Eckstein 1945 und Werner Haftmann 1954 - weiter gelebt habe, »getreu den Aufträgen, die sie zu erfüllen hatte«. Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert. Eine Entwicklungsgeschichte, München 1954, hier zitiert nach der 7. Aufl. 1987, 364.

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Christian

Fuhrmeister

rung ihres Faches gänzlich oder auch nur weitgehend immun gewesen wären. Dies wäre jedoch nach meiner Auffassung eine der entscheidenden Voraussetzungen, u m nun nach 1945 - aus eigener Kraft jenen Paradigmenwechsel einzuleiten, w i e ihn der Begriff » N e u b e g i n n « suggeriert. Denn gerade für jene, die im nationalsozialistischen Deutschland geblieben waren, galt es vor und nach 1945 vor allem, die eigene materielle Lebensgrundlage zu sichern. Dies schränkte ihren begrenzten Spielraum, sowohl inhaltlich als auch methodisch ein neues, gänzlich anderes Fach als die im Nationalsozialismus real und das heißt: in vielerlei Schattierungen - existierende Kunstgeschichte zu konzipieren, zwangsläufig weiter ein. Insofern hätte diese Personengruppe jene neue Kunstgeschichte ex nihilo schaffen müssen, was ausgesprochen unwahrscheinlich erscheint. M i t anderen Worten: Während Modifikationen und Metamorphosen früherer Positionen durchaus plausibel erscheinen, ist die Vorstellung einer Zäsur, das heißt eines Ausbruchs aus eingefahrenen Denkmustern und einer vorbehaltlosen und prinzipiellen Neuorientierung, weitaus weniger einleuchtend. Dies gilt cum grano salis auch für diejenigen, die sich für den hohen Preis der Isolation bewußt vom Regime distanziert hatten, ohne das Exil oder die lebensgefährliche O p p o sition zu wählen. Die Aufrechterhaltung ihres prekären Status, der nach außen die Erfüllung allgegenwärtiger Pflichten erforderte, u m den inneren Dissens gegenüber Staat und Partei zu verbergen, dürfte soviel Energie und Aufmerksamkeit beansprucht haben, daß eine Beschäftigung mit prinzipiellen Fachfragen nur sehr selten stattgefunden haben dürfte. Ich möchte sogar behaupten, daß der notwendige R ü c k z u g in das familiär Private, verbunden mit weitgehender Abschottung des jeweiligen Individuums und mit einer Spaltung in ein konformes Äußeres und ein dissidentes Inneres, grundsätzlich keine geeigneten Voraussetzungen bot, u m während des Nationalsozialismus heimlich - gewissermaßen »in der Schublade« - an einer Revision oder sogar an einem Gegenentwurf zur aktuellen Kunstgeschichte zu arbeiten. Die tatsächlichen Veränderungen des Faches, die spätestens Anfang der 1950er Jahre einsetzen - wie etwa die sukzessive Öffnung für die Gegenwartskunst - widersprechen nicht der hier vertretenen Auffassung, daß beide Kollegengruppen - jene, die sich in die »Innere Emigration« zurückgezogen und jene, die als Amts- und Funktionsträger die Vorgaben des Regimes erfüllt hatten - nur in wenigen Fällen bereit waren, die von ihnen seit 10, 12 oder 15 Jahren vertretenen Uberzeugungen einer umfassenden Selbstkritik und Revision zu unterziehen. Konkrete Rückwirkungen solcher individuellen Wandlungsprozesse auf die Entwicklung des Faches in der Nachkriegszeit sind zudem schwer nachweisbar. Eine grundlegende Veränderung der deutschen Kunstgeschichte hätten nach meiner Einschätzung vor allem die Remigranten bewirken können - wenn man sie gelassen hätte. Denn die Emigranten, die weiterhin als Kunsthistoriker gearbeitet hatten, waren - etwa in den U S A oder in England - mit heimischen Fachtraditionen konfrontiert w o r d e n und hatten gelernt, sich produktiv mit diesen anderen Wissenschaftsauffassungen und z u m Teil auch mit neuartigen Arbeitsfeldern auseinander zu setzen. Mit ihrer R ü c k k e h r nach Deutschland hätte daher ein deutlicher Internationalisierungsschub verbunden sein können. Doch nur wenige emigrierte Kunsthistoriker erwogen von sich aus die

Kontinuität und Blockade

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Rückkehr aus dem Exil oder wurden von den Hochschulen, Museen und Landesämtern für Denkmalpflege oder den Kultusministerien zur Rückkehr eingeladen. Darüber hinaus sahen sich diejenigen, die diesen Schritt wagten, nicht freudig begrüßt. Im Gegenteil, sie begegneten häufig mannigfaltigen Schwierigkeiten, sie trafen auf versteckte oder offene Ablehnung. Eine detaillierte und zugleich komparatistische Studie zur Remigration deutschsprachiger Kunsthistoriker gehört zu den Desideraten des Faches. Weil es derzeit nur wenige wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur Kunstgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt, die eine fundierte Abwägung des Verhältnisses von Kontinuität einerseits und Neubeginn andererseits erlauben würden, 2 schlage ich vor, für die erste Dekade, von 1945 bis 1955, mit der Relation 95 zu 5 zu arbeiten. Ein Gleichgewicht - 50 zu 50 - zwischen der expliziten oder subkutanen Tradierung von Uberzeugungen, Prämissen und Strukturen sowie personeller Kontinuität auf der einen Seite und Diskontinuität, radikalem Bruch, innovativen Fragestellungen sowie N e u b e s e t z u n g von Planstellen auf der anderen Seite scheint mir derzeit ausgeschlossen werden zu können. Grundlage dieser Hypothese ist eine spezifisch Münchnerische Konstellation, die ich auch im Hinblick auf ihre Singularität zur Diskussion stelDas tägliche

Bild:

Dr. Hugo Kehrer

P r r f m n r Dr. Uufo K e h r e r . HpriUIinI für jp&nUciic Kan>lNabgesichert< wurde sie von Heinrich

von

Treitschke propagierten Parole »Männer machen die Geschichte«. Damals entstanden höchst umfangreiche Künstlerbiographien von Carl Justi, H e r m a n G r i m m und Alfred Woltmann über Velazquez, Michelangelo, Raffael und H o l b e i n , die die Künstler in einen breiten kulturhistorischen Kontext ihrer Zeit stellten. Man begriff das Leben der Künstler als Einheit, den Lebensweg als eine auf ein Telos ausgerichtete Abfolge von sich kausal bedingenden Ereignissen. Damals spielte die Biographie in der Diskussion um den Status der jungen Kunstgeschichte als eigenständige Wissenschaft eine Rolle, die in den 1870er Jahren in Fachkreisen thematisiert wurde. Gelehrte wie A n t o n Springer verteidigten den Status des Faches als eigenständiger Disziplin, die sich von anderen historischen Disziplinen durch den Gegenstand, nicht jedoch durch die Methode unterscheide, und akzeptierten auch das biographische Verfahren. N a c h 1900 kam es im Zusammenhang mit der Debatte u m die Stellung der Kunstgeschichte als Wissenschaft nicht nur mit eigenem Gegenstand, sondern auch mit genuinen Methoden, zu heftigen Kontroversen zwischen Anhängern und Gegnern der B i o graphie. 4 Man distanzierte sich von der Künstlerbiographie als auch in anderen Geisteswissenschaften verbreitete traditionelle Gattung, u m das Fach von diesen abzugrenzen. Aus der postulierten Widersprüchlichkeit zwischen Einzelschicksal und historischem Prozeß, Schloß man die Unmöglichkeit, anhand eines Lebenslaufes E n t w i c k lungsprozesse in der Kunst sichtbar zu machen und zweifelte damit die Zulässigkeit der Biographie als wissenschaftliche Darstellungsform grundsätzlich an. In ihren Disputen gingen die Vertreter einer »modernen« Kunstwissenschaft mit Heinrich Wölfflin so weit, eine »Kunstgeschichte ohne Namen« zu fordern, womit sie ein sich durch das ganze 20. Jahrhundert hinziehendes Spiel der Ablehnung und Akzeptanz der Biographie einleiteten. Zwischen 1900 und 1930 wurde in der Kunstgeschichte der Schwerpunkt auf formanalytische, stilgeschichtliche und problemgeschichtliche Studien gelegt. Setzte man sich damals mit Leben und Werk eines Künstlers auseinander, so konzentrierte man sich mit Vorliebe auf einzelne Schaffensphasen wie Frühwerk, Spätwerk oder auf einzelne Aspekte des (Euvres. Dahinter steckte ein zergliedertes Biographie-Verständnis, dem zufolge man den Lebenslauf eines Künstlers nicht mehr als eine zur Reife und Vollendung aufsteigende Stufenfolge begriff.

2

3 4

Zur Geschichte der historiographischen Darstellungsform Künstlerbiographie und zur Biographik (hier in der Bedeutung der theoretischen Auseinandersetzung mit der Biographie) vom 18. Jahrhundert bis um 1900 vgl. Karin Hellwig, Von der Vita zur Künstlerbiographie, Berlin 2005 (erscheint Herbst 2005 im Akademie-Verlag). Zum Forschungsstand vgl. dies., Künstlerbiographie und Historiographie, in: Kunstchronik 56, 2003, 122-132. Vgl. Hellwig 2005 (wie Anm. 1), Kapitel V. Vgl. Hellwig 2005 (wie Anm. 1), Kapitel V.

Kontinuitäten

in der biographischen

Methode zur Zeit der NS-Diktatur

und nach 1945

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Kontinuität bei den biographiewürdigen Künstlern und den Autoren 1 9 3 3 beendete die M a c h t ü b e r n a h m e der Nationalsozialisten alle damals in der K u n s t g e schichte stattfindenden impulsgebenden m e t h o d o l o g i s c h e n Diskussionen. In der N S Zeit erlebte die Künstlerbiographie erneut einen B o o m , der sich bis in die 1 9 6 0 e r J a h r e fortsetzte. 5 Z w i s c h e n den v o r 1 9 4 5 u n d danach erscheinenden B i o g r a p h i e n lassen sich K o n t i n u i t ä t e n feststellen, die s o w o h l die Wahl biographiewürdiger K ü n s t l e r als a u c h den T y p der Biographie betreffen. N a c h 1 9 3 3 w u r d e die Zahl der Künstler, denen man Biographien widmete, z u n ä c h s t stark eingeschränkt, was sich in den ersten J a h r z e h n t e n n a c h 1 9 4 5 auch nicht ändern sollte. E s w a r e n z u m einen die deutschen Künstler der frühen N e u z e i t A l b r e c h t Dürer, A l b r e c h t Altdorfer, Matthias G r ü n e w a l d , L u c a s C r a n a c h d.Ä., H a n s H o l b e i n d.J. sowie Tilman Riemenschneider und Veit Stoss und z u m anderen die Maler der R o m a n t i k deren L e b e n und W e r k auf besonderes Interesse stießen. 6 Dabei versuchte man nach 1933 eine der N S - I d e o l o g i e konforme biographische Diktion zu finden, die den Biographierten gemäß einer völkischen Ideologie interpretierte. 7 M a n

5

6

7

Zu der Künstlerbiographie in der NS-Zeit und den Jahrzehnten danach fehlt es an Untersuchungen. Zur literarischen und historischen Biographie auch aus dieser Zeit vgl. Helmut Scheuer, Biographie. Studien zur Funktion und zum Wandel einer literarischen Gattung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979; Theodore S. Hamerow, Die Kunst der historischen Biographik in Deutschland von 1871 bis zur Gegenwart, in: Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autorbiographie, Reinhold Grimm, Jost Hermand (Hgg.), Königstein/Taunus 1981, 30-44 und Christian Klein, Einleitung. Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Grundlagen der Biographie. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Christian Klein (Hrsg.), Stuttgart, Weimar 2002, 1-22. Zu der Kunstgeschichte in der NS-Zeit und den Jahrzehnten danach vgl. Heinrich Dilly, Deutsche Kunsthistoriker 1933-1945, München 1988; Willibald Sauerländer, Von den »Sonderleistungen Deutscher Kunst« zur »Ars Sacra«. Kunstgeschichte in Deutschland 1945-1950, in: Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945?, Walter H. Pehle, Peter Sillem (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1992, 177-190; die Aufsätze in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5, 2003, Schwerpunkt: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Jutta Held, Martin Papenbrock (Hgg.); die Aufsätze in: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger (Hrsg.), München 2005. Die Biographien erschienen in zahlreichen Auflagen. Zu Dürer vgl. die Beiträge von Emil Waldmann, Wilhelm Waetzoldt und Eugen Ortner; zu Altdorfer vgl. die Beiträge von Otto Benesch und Ludwig von Baldass; zu Grünewald vgl. die Beiträge von Fritz Knapp, Heinrich Feurstein, Wilhelm Fraenger und W. K. Zülch; zu Cranach vgl. den Beitrag von Hans Posse; zu Holbein d.J. vgl. Wilhelm Waetzoldt, Carl von Lorck und Heinrich Alfred Schmid; zu Riemenschneider vgl. August Diel, Fritz Knapp und Kurt Gerstenberg; zu Stoss vgl. Eberhard Lutze, Reinhold Schaffer, A. von Reitzenstein; zu Friedrich vgl. Klaus Leonhardi, Kurt Karl Eberlein, Herbert von Einem, Fritz Nemitz und Kurt Wilhelm Kästner; zu Runge vgl. Otto Böttcher, Theodor Bohner und Christian Adolf Isermeyer. Vgl. auch Lilian Landes, Das 19. Jahrhundert im Blick der nationalsozialistischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2005 (wie Anm. 4), 283-304. Zur Terminologie in der populärwissenschaftlichen kunsthistorischen Literatur der Nachkriegszeit vgl. Martin Warnke, Weltanschauliche Motive in der kunstgeschichtlichen Populärliteratur, in: Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung, Martin Warnke (Hrsg.), Gütersloh 1970, 88-108.

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Karin

Hellwig

wählte suggestive Titel wie »Albrecht Dürer. Deutsche Sehnsucht. Deutsche Form« 8 und »Hans Holbein der Jüngere. Werk und Welt« 9 oder »C. D. Friedrich. Die unendliche Landschaft«, 10 »Caspar David Friedrich und seine Heimat« 11 oder »Caspar David Friedrich der Landschaftsmaler. Ein Volksbuch deutscher Kunst«. 12 Friedrich wurde als Maler des »deutschen Waldes« präsentiert, dessen Werke »in seinem Untergangswillen, [...] in seiner glühenden Vaterlandsliebe an altgriechische Wesenszüge des germanischen Geistes erinnerte«. 13 Dabei spielte der Wald in Verbindung mit dem Germanentum, als »Quell des arischen Deutschtums« in der Propaganda der Nationalsozialisten eine wichtige Rolle.14 Zudem lieferte man mit Schriften wie »Die Ausstrahlungen der Kunst des Veit Stoss im Osten« das theoretische Unterfutter zu den imperialistischen Ambitionen des Nationalsozialismus. 15 In der NS-Zeit aufgelegte Reihen, in denen Künstlerbiographien publiziert wurden, wie »Deutsche Lande, deutsche Kunst«, oder »Kunstbücher des Volkes« wurden nach 1945 kontinuierlich fortgesetzt. 16 Beispielsweise erschien die Biographie des Veit Stoss von Lutze in der Reihe »Deutsche Lande, deutsche Kunst« erst 1938, dann 1952 und schließlich 1968 in der dritten Auflage. 17 Mehrere Biographien Tilman Riemenschneiders erschienen vor und nach 1945 ebenfalls in dieser Reihe. 18 Desgleichen läßt sich in den Rezensionen eine Kontinuität feststellen, denn übergangslos und ohne Kommentare wurden sowohl in der »Zeitschrift für Kunstgeschichte« als auch in der »Kunstchronik« 1945 publizierte Biographien im Jahrzehnt danach apologetisch rezensiert. »Peter Paul Rubens« von Evers, 1942 erschienen, wurde erst 1950, »Philipp Otto Runge« von Isermeyer, 1940 publiziert, erst 1949 und Dußlers 1942 erschienener »Sebastiano del Piombo« schließlich 1950 in der »Zeitschrift für Kunstgeschichte« besprochen.19

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Eugen Ortner, Albrecht Dürer. Deutsche Sehnsucht. Deutsche Form, Berlin 1934. Der Verfasser widmet die Schrift »Meiner Vaterstadt Nürnberg und meinen Eltern«. Vgl. Wilhelm Waetzoldt, Hans Holbein der Jünger. Werk und Welt, Berlin 1938. Vgl. Fritz Nemitz, C. D. Friedrich. Die unendliche Landschaft, München 1938. Vgl. K u r t Wilhelm Kästner u.a., Caspar David Friedrich und seine Heimat, Berlin 1940. Vgl. K u r t Karl Eberlein, Caspar David Friedrich der Landschaftsmaler. Ein Volksbuch deutscher Kunst, 2. A u f l . Bielefeld, Leipzig 1939. Gebhardt führt aus, warum und unter welchen Prämissen man genau diese Künstler als »deutsch« definierte. Vgl Volker Gebhardt, Das Deutsche in der Deutschen Kunst, Köln 2004, 360. Vgl. Gebhardt 2004 (wie Anm. 12), 360f. Vgl. Gustav Barthel, Die Ausstrahlungen der Kunst des Veit Stoss im Osten, München 1944. In den 1930er und 1940er Jahren waren in diesen Reihen Biographien von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge erschienen, 1947 erschien eine Bertel Thorwaldsens. Vgl. Eberhard Lutze, Veit Stoss, Berlin 1938; ders., Veit Stoss, Berlin 1952; ders., Veit Stoss, München 1968. 1936 erschien die Biographie Riemenschneiders von Leo Gundermann, später die von Max H. von Freeden in zahlreichen Auflagen 1954, 1959, 1965 und 1972. Vgl. Emil Kieser, Rezension von Hans Gerhard Evers, Peter Paul Rubens, München 1942, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 13, 1950, 1 3 4 - 1 4 0 ; Herbert von Einem, Rezension von Christian Adolf Isermeyer, Philipp Otto Runge, Berlin 1940, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 12, 1949, 1 1 3 - 1 1 7 ; vgl. Ludwig Schudt, Rezension von Luitpold Dußler, Sebastiano del Piombo, Basel 1942, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 13, 1 9 5 0 , 1 5 4 - 1 5 5 .

Kontinuitäten

in der biographischen Methode zur Zeit der NS-Diktatur

und nach 1945

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Als Autoren traten Hans Gerhard Evers, Luitpold Dußler, Karl Kurt Eberlein, Max H. von Freeden, Eberhard Lutze und Kurt Gerstenberg auf, deren Schriften auch nach 1945 in zahlreichen Neuauflagen erschienen.20 Bei den meisten Biographen handelt es sich um konservative, wenig innovative Kunsthistoriker, die sich - wie Dußler und Eberlein - vor allem dadurch ausgezeichnet haben, daß sie das an den kunsthistorischen Instituten, an denen sie lehrten, das nationalsozialistisches Gedankengut hochhielten und dafür sorgten, daß Kollegen mit anderer Gesinnung entlassen und in die Emigration getrieben wurden. Kunstgeschichte

als Folge von außergewöhnlichen

Künstlerschicksalen

Daß Künstlerbiographien nach 1933 trotz ihrer Positionierung an den Rand der Kunstgeschichte durch Heinrich Wölfflin so zahlreich erschienen, hing nicht zuletzt mit dem im Dritten Reich praktizierten Führerkult zusammen. Der Nationalsozialismus beruhte auf dem Führerprinzip, das heißt auf der Vorstellung, daß nur eine heroisch gesinnte Persönlichkeit den Gang der Ereignisse bestimmen könne. 21 Die Gattung Biographie rückt das Individuum ins Zentrum der Betrachtung und Wertung und konnte damals im Dienste des Personenkults in besonderer Weise eingesetzt werden. Man rekonstruierte die Historie als die Abfolge überragender Taten großer Männer, die sich durch starke Willenskraft zu Führern ihres Volkes aufgeschwungen hatten.22 In ähnlicher Weise wurde die Geschichte der Kunst auf eine Prozession von großen Malern und »Bildschnitzern« reduziert, die das Schicksal dazu auserkoren hatte, die Strömungen ihrer Zeit zu verkörpern. Dazu wählte man solche Künstler aus, die als besonders repräsentativ galten, das »Deutsche« in der Kunst auszudrücken. Künstlerbiographien

im Dienste der Präsentation der deutschen Kunst als

»Höchstleistung« Die Gattung Biographie eignete sich nicht nur dazu, Künstleridentitäten zu konstruieren, sondern man konnte diese auch in besonderer Weise zu Trägern von Ideen, Mythen und Ideologien erweitern. In den Künstlerbiographien der NS-Zeit ging es nicht so sehr um neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Probleme, als vielmehr darum, die Leistungen der deutschen Kunst herauszuarbeiten bzw. unter dem Aspekt des »Völkischen« neu zu interpretieren. Dahinter stand die Überzeugung, daß das Kunstschaffen im Nationalcharakter wurzele und daß das »Wesen« eines Volkes sich in Kunstwerken 20

21 22

Zu Eberlein vgl. Metzler Kunsthistoriker Lexikon, Peter Betthausen u.a. (Hrsg.), Stuttgart, Weimar 1999, 68-70; zu Evers vgl. Christian Fuhrmeister, Optionen, Kompromisse, Karrieren. Uberlegungen zu den Münchner Privatdozenten Hans Gerhard Evers, Harald Keller und Oskar Schürer, in: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2005 (wie Anm. 4), 219-242; zu Gerstenberg vgl. Metzler Kunsthistoriker Lexikon 1999, 115-117. Vgl. Hamerow 1982 (wie Anm. 4), 39. Vgl. ebd.

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Karin

Hellwig

erkennen ließe. Künstler waren zunächst einmal einer Nation zugehörig und an ihren Werken versuchte man einen Nationalstil festzumachen. Dabei war der Versuch, anhand von Kunstwerken einen spezifisch nationalen Charakter zu bestimmen, Anfang der 1930er Jahre ein in ganz Europa Schule machender Forschungsansatz. Bereits 1933 hatte die Frage, »Wie definiert man in verschiedenen Ländern einen Nationalstil?« auf dem 13. internationalen Kunsthistorikerkongreß in Stockholm im Zentrum gestanden.23 Eine nationale, ja nationalistische Kunstgeschichte war bereits seit der Jahrhundertwende durch rivalisisierende Forschergemeinden in Deutschland und Frankreich vorangetrieben worden. 24 Julius Langbehn erhob in »Rembrandt als Erzieher« 1890 den Barockmaler als niederdeutsches »Vernunft-Genie« zur Identifikationsfigur zwischen Leonardo und Bismarck. 25 1904 stilisierte derselbe Autor in »Dürer als Führer« den Nürnberger als den keuschen, »urschöpferischen« Visonär zur Leitgestalt, mit der man sich von den »Obszönitäten« der französischen Kunst abgrenzte.26 Albert Erich Brinckmann wiederum postulierte in seinen Schriften die herausragende Stellung der Kunst des Abendlandes.27Italiener, Franzosen und Deutsche stellten sich seiner Ansicht nach auf dem Gebiet der Kunst als »Führernationen« dar. Die Entwicklung der abendländischen Kunst sei eine Gemeinschaftsleistung, wobei die drei Nationen sich gegenseitig austauschten. Weil jedoch der »Grad der Vergeistigung« eines Kunstwerks entscheidend sei, und die deutsche Kunst den höchsten Grad der Vergeistigung aufweise, sei sie als oberste Stufe der europäischen Kunstentwicklung zu bewerten. 28 Als »deutsche Sonderleistungen« galten beispielsweise die »Schnitzkunst« eines Tilman Riemenschneider und Veit Stoss oder die Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs. Betrachtet man das nach 1945 erschienene biographische Material, lassen sich keine Veränderungen oder Brüche in der Bewertung dieser sogenannten deutschen »Sonderleistungen« feststellen. Veit Stoss und Tilman Riemenschneider als Bildschnitzer - eine »deutsche Sonderleistung« Im NS forcierte man die Aufnahme der »Schnitzkunst« in den Kanon deutscher Kunst.29 Die als »deutsch« empfundene expressive Linienführung der Gewänder und die Gesichtszüge der Holzfiguren »hielten dem im Krieg niedergerungenen deutschen 23 24 25

26 27 28 29

Vgl. Sabine Arend, Albert Erich Brinckmann ( 1 8 8 1 - 1 9 5 8 ) , in Kunst und Politik 2003 (wie Anm. 4), 1 2 3 - 1 4 2 , hier 129. Vgl. Gebhard 2004 (wie Anm. 11), 1 0 - 2 1 . Vgl. Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher, Leipzig 1890. Vgl. Wolf-Dietrich Lohr, »Genie«, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Ulrich Pfisterer (Hrsg.), Stuttgart, Weimar 2003, 1 1 7 - 1 2 2 , hier 121 und Gebhard 2004 (wie Anm. 11), 29f. Vgl. Julius Langbehn, Dürer als Führer, München 1904. Vgl. Wolf-Dietrich Lohr, Genie 2003 (wie Anm. 24), 121. Zu Brinckmann vgl. Metzler Kunsthistoriker Lexikon 1999 (wie Anm. 18), 3 8 ^ 1 und Arend 2003 (wie Anm. 22). Vgl. Arend 2003 (wie Anm. 22), 128. Vgl. Gebhardt 2004 (wie Anm. 12), 245.

Kontinuitäten in der biographischen Methode zur Zeit der NS-Diktatur und nach 1945

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Volk scheinbar für die Ewigkeit geschnitzte, eingekerbte deutsche Gesichter als Spiegel entgegen, an denen sich die gedemütigte Volksseele glaubte wieder aufrichten zu können.« 3 0 Riemenschneider bediente in dieser Sichtweise die lyrische Seite, das Durchgeistigte; Stoss war der auffallende Wilde. Beide Künstler hatten persönliche Tragödien erlitten: Stoss waren aufgrund eines Fälschungsprozesses 1503 die Wangen mit glühenden Eisen durchstoßen worden; Riemenschneider wurde 1525 in Würzburg als Sympathisant der Bauern gefoltert, wobei man ihm die H ä n d e brach. Die Uberwindung dieser Schicksalsschläge empfahl die beiden Bildhauer als nachahmenswerte Vorbilder. Weil beide aus dem »harten H o l z rechter Gesinnung« geschnitzt waren, stellte die nationalsozialistische Kunstauslegung Stoss und Riemenschneider nach der »Säuberung v o m modernistischen Ungeist« als vorbildliche deutsche Künstler heraus. 31 Veit Stoss als Beispiel für die Ausstrahlungen der deutschen Kunst im O s t r a u m A u c h zur Legitimation der Expansionspolitik des NS-Staates bediente man sich der Künstlerbiographie. D e r für seine künstlerische Entwicklung wesentliche Aufenthalt in Krakau des Veit Stoss zwischen 1477 und 1496, ließ sich unter dem Aspekt »Ausstrahlungen der deutschen Kunst in den O s t e n « propagandistisch ausschlachten. D i e kunsthistorische Einflußforschung wurde missbraucht, u m politische Herrschaftsansprüche zu legitimieren. Wilhelm Pinder hatte sich mit der Festrede zur E r ö f f n u n g der VeitStoss-Ausstellung in N ü r n b e r g 1933 in diesem Sinn geäußert: »Unsere großen Toten. Wir wissen wohl, dass schon im nächsten Monat eine -Festsitzung in Krakau stattfinden wird: für >Vit StwossMeister der polnischen KunstSonderleistungen Deutscher Kunst< zur >Ars Sacra< - Kunstgeschichte in Deutschland 1945-1950« scharf brandmarkte. 31 Im Jahreszeiten-Aufsatz von 1956 griff Sauerländer, dem die Quellen des Mittelalters besonders nahe lagen, selbst vielfach auf mittelalterliches Text- und Bildmaterial zurück 27 28

29 30 31

Walter Friedländer, Nicolas Poussin. A N e w Approach, London 1966, 193. O t t o Pacht, The Burlington Magazine 98, 1956, 1 1 0 - 1 1 6 und 2 6 7 - 2 7 9 ; vgl. auch ders., Methodisches zur kunsthistorischen Praxis. Ausgewählte Schriften, hg. von J. Oberhaidacher, Arthur Rosenauer und G. Schikola, München 1977, 2 3 5 - 2 5 0 und 3 1 4 - 3 1 5 . Otto Pächt verließ sein englisches Exil erst 1963 und hielt sich 1956 gerade als Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton auf. Sauerländer 1990 (wie Anm. 5), 315. In: Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945, hg. von Walter H. Pehle und Peter Sillem, Frankfurt a. M. 1 9 9 2 , 1 7 7 - 1 9 0 , 2 4 4 f . ; wiederabgedruckt in: Willibald Sauerländer, Geschichte der Kunst - Gegenwart der Kritik, hg. von Werner Busch, Wolfgang Kemp, Monika Steinhauser und Martin Warnke, Köln 1999, 2 7 7 - 2 9 2 .

Vom Sehen zum Lesen. Eine Fallstudie zur ikonologischen Praxis der Nachkriegszeit

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und machte in seiner Interpretation ausgiebig vom Prinzip der Typologie Gebrauch, deren Anwendung im Mittelalter weit selbstverständlicher war als in weiten Phasen der frühen Neuzeit. Damit geriet der Aufsatz - zumindest dem Anschein nach - partiell in die Nähe zu jener Tendenz, die Sauerländer selbst immer wieder ganz entschieden abgelehnt hat. Es könnte sogar der Eindruck entstehen, Sauerländers Interpretationsansatz weise gewisse Parallelen zu Hans Sedlmayrs Interpretation von Pieter Brueghels »Blindensturz« auf. Diese hatte Sedlmayr 1951 bereits als Münchener Antrittsvorlesung einem großen Publikum vorgetragen und ein Jahr nach Sauerländers Jahreszeiten-Aufsatz publiziert. Anders als Sauerländer trat Sedlmayr dabei mit einem explizit methodologischen Anspruch auf. Dessen Kern besteht in einer durchaus fragwürdigen Übertragung mittelalterlicher Auslegungsmethode auf ein neuzeitliches Kunstwerk, die zudem noch von einem stupiden Schematismus ist: Die verschiedenen Ebenen mittelalterlicher Bibelauslegung sollten auf das Bild angewandt werden. 32 Was die beiden Aufsätze Sauerländers und Sedlmayrs miteinander verbindet, ist die heilsgeschichtliche Ausrichtung, die zudem in beiden Fällen in der Aussage »extra ecclesiam nulla salus« - außerhalb der Kirche kein Heil - gipfelt. 33 Für Sauerländer war dies eine inhaltliche Komponente des Sintflut-Gemäldes; für Sedlmayr hingegen ein persönliches weltanschauliches Credo. Was Sauerländer von diesem hielt, soll er Sedlmayr unmittelbar nach dessen Antrittsvorlesung ins Gesicht gesagt haben: »Herr Professor, wir sind die Blinden, die nicht zur Kirche kommen und auch nie zur Kirche kommen werden«. 34 D a Sauerländers Jahreszeiten-Aufsatz nicht explizit eine weltanschauliche Position formuliert, war er offenbar leicht mißzuverstehen. Es verwundert daher nicht allzu sehr, daß der 1952 aus dem Exil heimgekehrte Kurt Badt, der 1961 bereits auf Sedlmayrs Vermeer-Interpretation 35 mit einer Streitschrift reagiert hatte, 36 in seiner Poussin-Monographie von 1969 die Thesen Sauerländers heftig attackierte. 37 Bezeichnenderweise wandte Badt sich genau gegen die Vorstellung von einem »christlich-katholischen« Poussin und versuchte stattdessen, das »pagan-antikische« Weltverständnis des Malers nachzuweisen - und dies gerade nicht durch ikonologische Argumentation, deren scharfe Ablehnung unübersehbar ist, sondern aus einer

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Hans Sedlmayr, Pieter Bruegel. Der Sturz der Blinden. Paradigma einer Strukturanalyse, in: Hefte des Kunsthistorischen Instituts der Universität München 2 , 1 9 5 7 , 1-35. Sauerländer 1956 (Jahreszeiten; wie Anm. 3), 183; Sauerländer 2003 (wie Anm. 8), 191f. Ebd., 192. Hans Sedlmayr, Jan Vermeer: Der Ruhm der Malkunst, in: Festschrift für Hans Jantzen, Berlin 1951, 169-177. Kurt Badt, Modell und Maler. Probleme der Interpretation. Eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr, Köln 1961, Ndr. 1997; vgl. auch: Hans Sedlmayr, Jan Vermeer. De schilderkunst. Nach Badt zugleich Replik, in: Hefte des Kunsthistorischen Seminars der Universität München 7 - 8 , 1962; dazu: Lida von Mengden, Vermeers >De Schilderkonst< in den Interpretationen von Kurt Badt und Hans Sedlmayr, Frankfurt a. M., Bern, New York 1984. Kurt Badt, Die Kunst des Nicolas Poussin, Bd. 1-2, Köln 1969, hier Textbd., 556-568.

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Ulrich Rehm

Art hermeneutischer Analyse des Gesamtwerks Poussins heraus, die - zumindest in diesem speziellen Fall - nicht gerade überzeugt. D i e Rückführung neuzeitlicher oder moderner Darstellungen auf mittelalterliche Traditionen, wie sie seit den 50er Jahren vielfach praktiziert wurde, ist jedoch alles andere als eine zwingende Folgerung aus der ikonologischen Methode. In den ikonologischen Schlüsseltexten A b y Warburgs über das Bildprogramm des Palazzo Schifanoia (1912) 3 8 sowie E r w i n Panofskys und Fritz Saxls über »Classical M y t h o l o g y in Medieval A r t « (1933) 3 9 war vielmehr ein ganz anderes, hintergründiges Entwicklungsmodell zum Tragen gekommen: Hier wird unterstellt, der vitale Kern der klassisch-antiken Kunst habe mit der Wanderung der Bildmotive in komplexen Assimilierungsprozessen die relative Ignoranz des Mittelalters überlebt, um in der Renaissance in ihrer ursprünglichen Gestalt wieder in Erscheinung zu treten. 4 0 Es wird also gerade der Aspekt der Zäsur zwischen Mittelalter und früher Neuzeit betont. Als Sauerländer seinen Poussin-Aufsatz im Erscheinungsjahr Erwin

Panofsky

zusandte, verband er dies mit der besagten Bitte u m Entschuldigung seiner Anfängerschaft und bewertete diesen Sachverhalt später als »von allgemeinerer wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung«. 4 1 Gerade vor dem Hintergrund der Münchener Entwicklungen muß die Aneignung einer ikonologischen Perspektive tatsächlich als eine A r t erneuten Gehenlernens empfunden worden sein, wohl verbunden mit dem Wunsch, sich eine methodische Basis anzueignen, die den Münchener >Sumpf< aufmischen und zudem beanspruchen konnte, intellektueller Überprüfung standzuhalten. Während F o r m - und Stilgeschichte vielfach dem ideologischen Mißbrauch verfallen gewesen waren oder zumindest als Refugium des politischen Uberwinterns hatten genutzt werden können, gelangte die Ikonologie in Deutschland nach und nach in den R u f eines v o m Dritten Reich verhinderten wissenschaftlichen Fortschritts. 4 2 Zwar war auch sie mit Fachvertretern wie Hans Kauffmann während des Nationalsozialismus nicht ganz untergegangen, 4 3 hatte aber, aufs Ganze gesehen, doch ein Nischendasein geführt. D a ß Panofsky seine Ikonologie-Modelle ursprünglich auf das eingeschränkte Phänomen der Beschreibung und Inhaltsdeutung hin konzipiert hatte, lag damals ebenso außerhalb des allgemeinen Bewußtseins wie die Tatsache, daß es wesentliche Wurzeln in

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A b y Warburg, Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara (1912), in: A b y Warburg, Gesammelte Schriften, hg. von Gertrud Bing, Leipzig und Berlin 1932, Bd. 2, 4 5 9 - 4 8 1 . Erwin Panofsky und Fritz Saxl, Classical Mythology in Mediaeval Art, in: Metropolitan Museum Studies, IV, 2 , 1 9 3 3 , 2 2 8 - 2 8 0 . Auch dieses Modell unter zeitgeschichtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen, erscheint mir außerordentlich vielversprechend. Sauerländer 1990 (wie Anm. 5), 314. Gerade die methodische Ausrichtung der sogenannten Warburg-Schule wurde zum Paradebeispiel der emigrierten Kunstgeschichte; vgl. Karen Michels, Transplantierte Kunstwissenschaft. Deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil (Studien aus dem Warburg-Haus, 2), Berlin 1999,194. Vgl. Sauerländer 1990 (wie Anm. 5), 315.

Vorn Sehen zum Lesen. Eine Fallstudie zur ikonologischen

Praxis der Nachkriegszeit

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den Sozialwissenschaften der späten 20er Jahre hatte. 44 Und diese zielten gerade nicht auf selbstvergewissernde Herleitungen oder Rückführungen, sondern auf den spezifischen zeitgenössischen Ausdrucksgehalt der jeweils zu untersuchenden historischen Position. In den Arbeiten Sauerländers ist der Poussin-Aufsatz in methodischer Hinsicht ein Solitär. Die geplante, daran anknüpfende Habiliationsschrift über das Erhabene im 18. Jahrhundert wurde nicht weiter verfolgt. Vermutlich hat das mit dem sich ändernden Klima in der Kunstgeschichte dieser Jahre zu tun; und vielleicht hängt das auch mit einem wachsenden Bewußtsein dafür zusammen, daß eine kritische Kunstgeschichte nicht allein eine Frage des methodischen Ansatzes, sondern auch eine Frage der intellektuellen Schärfe und Risikobereitschaft in der praktischen Anwendung ist. In jedem Fall signalisiert der Jahreszeiten-Aufsatz das Bedürfnis nach einem methodischen Neuaufbruch. In der Rückführung der Bildaussagen auf Konzepte, die bis ins Mittelalter zurückreichen, traf Sauerländer jedoch unwillkürlich auf ein sich in Westdeutschland herausbildendes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung in der Rückorientierung auf die vermeintliche >Wiege< eines geeinten Europas im christlichen Mittelalter, gegen das er sich selbst ausdrücklich immer wieder ausgesprochen hat. Vielleicht war der beschriebene methodische Ausbruch Sauerländers in bis dahin ungewohnte Gefilde unumgänglich, um eine neue Perspektive auf die mittelalterliche Skulptur zu entwickeln, der er letztlich als einem zentralen Arbeitsgebiet treu blieb. Wie weitreichend sich diese Perspektive in den folgenden Jahrzehnten wandelte und sich mit Überlegungen zum Zustandekommen der jeweiligen wissenschaftlichen Perspektiven verband, dafür mag hier ein einziger bloßer Hinweis genügen: auf die kritischen Uberlegungen zum Stand der Skulpturenforschung, die Sauerländer 22 Jahre später, 1978, in der Zeitschrift für Kunstgeschichte veröffentlichte. 45 Jetzt darf man gespannt sein auf die angekündigte erneute Auseinandersetzung Sauerländers mit den »Vier Jahreszeiten« Poussins nach nunmehr 50 Jahren.

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Unmittelbar bezieht sich Panofsky auf Karl Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungs-Interpretation, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte N . F. 1, 1 9 2 1 / 1 9 2 2 (1923 zwischen zwei Aufsätzen Panofskys erschienen); vgl. auch Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 3. Aufl. Hamburg 1966 (1. Aufl. 1928). Vgl. zum Beispiel Willibald Sauerländer, Spätstaufische Figuren in Sachen und Thüringen. Überlegungen zum Stand der Forschung, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 41, 1978, 1 8 1 - 2 1 6 .

Eine mittelalterliche Präfiguration der europäischen Einigungsidee? Die Erforschung der Zisterzienserarchitektur im westlichen Nachkriegsdeutschland Carsten

Fleischhauer

Während die Generalisten unter den westdeutschen Kunsthistorikern nach Kriegsende schon dadurch auf die veränderten politischen Umstände reagieren konnten, daß sie sich nunmehr als Wissenschaftler oder Kritiker auch mit der zuvor verfemten Kunst der Moderne befaßten, stand den Mediävisten nicht einfach ein gänzlich neuer Untersuchungsgegenstand zur Verfügung. Bei der Erforschung des Mittelalters galt es vielmehr, sich von den überkommenen, teilweise kompromittierten Fragestellungen zu lösen und stattdessen neue Ansätze und Methoden zu erschließen. Ein besonders frühes und prägnantes Beispiel dafür ist die Erforschung der Zisterzienserarchitektur. Nachdem in den letzten Jahrzehnten kaum eine monastische Bewegung des Mittelalters so häufig Gegenstand architekturgeschichtlicher Überblicksdarstellungen war wie der Zisterzienserorden, ist es mittlerweile fast in Vergessenheit geraten, daß dieser Orden für die Kunstwissenschaft ein ausgesprochen modernes Thema ist, das erst seit dem Zweiten Weltkrieg ins Blickfeld der Forschung kam. In der Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde die Baukunst der Zisterzienser noch als ein Randphänomen der romanischen Stilentwicklung behandelt, 1 dem bestenfalls aufgrund der ungewöhnlich detaillierten Schriftquellen über die sogenannten »Bauvorschriften« vereinzelt eine gewisse Bedeutung zugemessen wurde. 2 Bis zum Ersten Weltkrieg (und auch noch weit darüber hinaus) wurden überhaupt nur zwei länderübergreifende Darstellungen zur Zisterzienserarchitektur veröffentlicht: die schwedischsprachige Dissertation des

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Vgl. etwa Albert Lenoir, L'architecture monastique. 2" et 3® partie, Paris 1856, oder Franz Kugler, Geschichte der Baukunst, Bd. 2: Geschichte der romanischen Baukunst, Stuttgart 1859. Robert Dohme, Geschichte der deutschen Baukunst, Berlin 1887, 1 5 8 - 1 7 7 , widmet den Zisterziensern immerhin einen eigenen Abschnitt im Kapitel »Ubergangsstil«. Die Bauvorschriften der Zisterzienser wurden erstmals grundlegend analysiert von Hermann Rüttimann, Der Bau- und Kunstbetrieb der Cistercienser unter den Einflüssen der Ordensgesetzgebung im 12. und 13. Jahrhundert, phil. Diss. Freiburg (CH) 1 9 1 1 , vgl. auch Adolf Mettler, Mittelalterliche Klosterkirchen und Klöster der Hirsauer und Zisterzienser in Württemberg, Stuttgart 1927.

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späteren Stockholmer Staatskonservators Sigurd Curmann von 1912 und eine kleine Monographie von Hans Rose aus dem Jahr 1916.3 Der Erste Weltkrieg prägte für ein Viertel)ahrhundert den weithin nationalistischen Ton der Architekturgeschichtsschreibung in Deutschland und Frankreich: Während französische Autoren wie Emile Male der deutschen Kunst und Architektur pauschal jegliche eigenständige Qualität und Originalität absprachen, 4 postulierten deutsche Kunsthistoriker das Gegenteil - oder sie verlegten wie im Falle der unbestreitbar in Frankreich entstandenen Gotik wenigstens den eigentlichen Höhepunkt der Stilentwicklung als »Deutsche Sondergotik« nach Deutschland. 5 Während des nationalsozialistischen Regimes nahmen diese Versuche zur Neuinterpretation der europäischen Kunstgeschichte aus national deutscher Sicht teilweise bizarre Züge an;6 selbst bei seinerzeit als liberal kritisierten Arbeiten wie Albert Erich Brinckmanns »Geist der Nationen« dominierte die strikte Abgrenzung der nationalen Kunstcharaktere und die Frage nach dem - deutschen - Vorrang bei künstlerischen Innovationen oder doch wenigstens bei »Geist« und »Tiefe«. Noch 1948 wurde Brinckmanns Nationenvergleich in einer kaum veränderten 4. Auflage wieder aufgelegt. 7 Eine dezidiert übernationale Organisation wie der mittelalterliche Zisterzienserorden konnte bei derartigen Fragestellungen kaum in den Blickpunkt der damaligen Forschung geraten: Bezeichnenderweise erschien in der Zwischenkriegszeit nicht eine einzige übergreifende Darstellung über diesen Orden. Immerhin entstand 1943, noch während des Zweiten Weltkriegs, die bis dahin mit Abstand bedeutendste Arbeit zur Zisterzienserarchitektur, mit der Marcel Aubert eine monumentale Synthese der verstreut publizierten Einzelstudien zu den französischen Klosteranlagen des Ordens vorlegte.8 Das Prinzip der Gliederung nach modernen Nationalstaatsgrenzen behielt 3

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Sigurd Curmann, Bidrag tili kännedomen om Cistercienserordens Byggnadskonst, Bd. 1: K y r k o p lanen, Stockholm 1912 (phil. Diss. Uppsala 1912); Hans Rose, Die Baukunst der Zisterzienser, München 1916. Emile Male, L'Art Allemand et l'Art Frangais au M o y e n Age, Paris 1 9 1 7 u. ö. Bereits im selben Jahr erschien als Erwiderung aus deutscher Sicht eine gekürzte Ubersetzung: »Studien über die deutsche Kunst«, hrsg. mit Entgegnungen von Otto Grautopf, Leipzig 1917. Kurt Gestenberg, Deutsche Sondergotik. Eine Untersuchung über das Wesen der deutschen Baukunst im späten Mittelalter, München 1913 (2., durchges. u. erg. A u f l . Darmstadt 1969). Vgl. etwa Josef Strzygowki, Die deutsche Nordseele. Das Bekenntnis eines Kunstforschers, Wien/Leipzig 1940, und Ders., Europas Machtkunst im Rahmen des Erdkreises. Eine grundlegende Auseinandersetzung über Wesen und Entwicklung des zehntausendjährigen Wahnes: Gewaltmacht von Gottes Gnaden statt völkischer Ordnung, Kirche statt Glaube, Bildung statt Begabung: vom Nordstandpunkt planmäßig in die Volksdeutsche Bewegung eingestellt, Wien/Leipzig 1941. Albert Erich Brinckmann, Geist der Nationen. Italiener - Franzosen - Deutsche, Hamburg 1938 u. ö. Zur Aufnahme des Werks während des Nationalsozialismus vgl. ζ. B. die Besprechung v o n Hans Jantzen, in: Deutsche Kultur im Leben der Völker. Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums 14 (1939), 113, und die Selbstdarstellung des Autors: Α . E. Brinckmann, Geist im Wandel. Rebellion und Ordnung, Hamburg 1946, hier bes. 5f. Marcel Aubert und Aliette de Maille, L'architecture cistercienne en France, 2 Bde., 2. A u f l . Paris 1947 (> 1943).

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der Zisterzienserarchitektur

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Aubert damit freilich bei; lediglich im Anmerkungsapparat versuchte er einige über Frankreich hinausgehende Vergleiche. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde diese nationale Fixierung aufgegeben: Die entscheidende Initialzündung für die Zisterzienserforschung der Nachkriegszeit war ein 1949 von dem belgischen Trappistenpater Marie-Anselme Dimier herausgegebenes Corpuswerk der Grundrisse von Zisterzienserkirchen in ganz Europa. Als handliche Loseblattsammlung und als erste verfügbare Materialzusammenstellung zur gesamten Sakralarchitektur des Ordens stellte Dimiers »Recueil« ein ideales Arbeitsmittel für weitergehende Forschungen dar und begründete darüber hinaus eine jahrzehntelange Fixierung der Kunstgeschichte auf den Vergleich von Kirchengrundrissen. 9 Unter dem Eindruck des Kalten Kriegs, der eine rasche wirtschaftliche und politische Integration der westdeutschen Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft erforderlich machte (Beitritt zur OEEC 1949, Europaratsmitgliedschaft 1950/51, Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951),10 suchten auch Architekturhistoriker nach Themen, die anstelle des Trennenden das Gemeinsame der europäischen Kulturtradition belegen konnten. Seit etwa 1950 entwickelte sich das bis dahin eher randständige Forschungsgebiet »Zisterzienserarchitektur« zu einem ausgesprochenen Modethema der Kunstwissenschaft, da der mittelalterliche Zisterzienserorden mit seinen engen künstlerischen Verflechtungen über alle Grenzen hinweg als geradezu ideales Beispiel für die gemeinsame europäische Kulturtradition dienen konnte: Zwischen 1113, dem Zeitpunkt der Gründung des ersten Tochterklosters von Citeaux (La Ferte) und 1153, dem Todesjahr Bernhards von Clairvaux, sind 343 Zisterzienserklöster in ganz Europa neu gegründet worden; fast 200 weitere kamen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts hinzu. Dieser ungeheure Erfolg war wesentlich durch die Person Bernhards von Clairvaux bestimmt, der 1112 in das 1098 gegründete burgundische Reformkloster Citeaux eingetreten war. 1115 wurde Bernhard Abt der zweiten Tochtergründung Clairvaux und blieb dies bis zu seinem Tod im Jahr 1153. Als charismatische Persönlichkeit, äußerst produktiver Schriftsteller und Theologe und nicht zuletzt als unablässig auf Reisen befindlicher Prediger, Missionar und Kirchenpolitiker entfaltete Bernhard eine umwälzende Wirkung - von den angesprochenen 343 Klostergründungen zu seinen Lebzeiten werden über 100 seiner persönlichen Initiative zugeschrieben. Selbst wenn man davon die vielen zeitgenössischen und (vor allem) jüngeren Legenden abzieht, mit denen sich manch ein Kloster auf der Suche nach einem möglichst prestigeträchtigen Ursprung auf den großen Ordensheiligen persönlich berief, bleibt eine 9

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Marie-Anselme Dimier, Recueil de plans d'eglises cisterciennes, 2 Bde., Grignan/Paris 1949. Das Corpuswerk wurde später um zwei Supplementbände mit Grundrissen vornehmlich nachmittelalterlicher Kirchen ergänzt: Ders., Recueil de plans d'eglises cisterciennes. Supplement, 2 Bde., Grignan/ Paris 1967. Zu den politischen Ereignissen und Zusammenhängen vgl. etwa die einschlägigen Handbücher: Curt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung 1945 bis 1993, Überarb. u. wesentl. erw. Neuaufl. Bonn 1994; Christoph Kiessmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, 5., überarb. u. erw. Aufl. Bonn 1991.

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staunenswerte Zahl übrig. 11 Mit der Person Bernhards konnte die Forschung also eine europäische Gestalt fassen, die in Frankreich ebenso wie in Deutschland und in Italien Politik betrieben und überall persönlich Klostergründungen veranlaßt hatte. G a n z besonders rückte die künstlerische Ausstrahlung der Ordenszentren in Burgund und Lothringen nach Deutschland in den Blickpunkt der Forschung: N a c h der zisterziensischen Ordensverfassung erfolgte die Ausbreitung nach dem Filiationsprinzip - idealtypisch durch die Entsendung von 12 Mönchen aus einem Mutterkloster, dem die Neugründung auch dauerhaft unterstellt blieb. Somit war nicht allein der ursprüngliche Gründungskonvent durch die Gewohnheiten seiner Mutterabtei geprägt, sondern auch darüber hinaus ein dauerhafter Einfluß auf jedes Tochterkloster über alle modernen Nationalstaatsgrenzen hinweg sichergestellt. Mit dem Institut des jährlichen Generalkapitels haben die Zisterzienser überdies eine bis dahin unerreicht straffe Organisation des Gesamtordens geschaffen und als erster Orden des Mittelalters verbindliche Vorschriften zum Bauwesen erlassen. 12 Tatsächlich zeigen sich bei den Abteikirchen des Zisterzienserordens unübersehbar landschafts-, teilweise sogar zeitübergreifende Gemeinsamkeiten, die gewisse Bauformen als typisch zisterziensisch erscheinen lassen - die turmlose Fassade, der rechteckige Chorschluß mit oder ohne Umgang, die auf Konsolen abgefangenen Wandvorlagen im Langhaus und der Verzicht auf figürliche Kapitellplastik sind besonders »klassische«, charakteristische Motive des frühen zisterziensischen Kirchenbaus, die sich im burgundischen Mutterland wie in den nichtfranzösischen Ordensprovinzen gleichermaßen feststellen lassen. Die Zisterzienserbaukunst erwies sich in der Nachkriegszeit somit als ideales gemeinsames Forschungsthema für die westdeutsche und die französische Kunstwissenschaft, bei dem man die politische Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich auch auf dem Gebiet der Wissenschaft durch deutsch-französische Tagungen oder Publikationen in Fachzeitschriften des Nachbarlands praktisch erproben und nachvollziehen konnte. Den erste Versuch zur Einordnung eines deutschen Zisterzienserklosters in übergreifende Zusammenhänge unternahm 1950 der französische Publizist Henri-Paul Eydoux mit der Veröffentlichung einer deutschsprachigen Monographie über die unweit von Tübingen in der französischen Besatzungszone gelegene Abtei Bebenhausen. Schon im Vorwort von Georg Weise heißt es: »In dem Interesse an dem Kloster, das der O r d e n von Citeaux im Schönbuch gründete und an seiner architektonischen Erscheinung, die uns die Auseinandersetzung zwischen dem künstlerischen Wollen der einheimischen spätromanischen B a u k u n s t und der sich von Westen her ausbreitenden G o t i k spiegelt, wird zugleich die Erinnerung an eine Zeit reger geistiger und

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Vgl. Carsten Fleischhauer, Die Baukunst der Zisterzienser in der Provence. Senanque - Le Thoronet - Silvacane, Köln 2003 [= Kölner Architekturstudien 77], hier bes. 329-334, mit Beispielen und weiterer Literatur. Eine systematische »Baugesetzgebung« ergibt sich aus diesen Vorschriften freilich nicht. Vgl. die vorzügliche Zusammenstellung aller einschlägigen Ordenstexte von Christopher Norton, Table of Cistercian legislation in art and architecture, in: C. Norton und W. P. Park, Cistercian Art and Architecture on the British Isles, Cambridge 1986, 315-393.

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künstlerischer Beziehungen wach, die zum Größten in unserer Literatur, Baukunst und Plastik geführt haben. [...] Als Erinnerung an jene Gemeinsamkeit, als Bestätigung der uns noch heute vereinigenden geschichtlichen, geistigen und künstlerischen Interessen und zugleich als Appell an eine Gesinnung, der die Zukunft gehören muß, wollen wir die vorliegende Monographie begrüßen.«

Im Text ordnete Eydoux Bebenhausen in einen großen europäischen Kontext der Ordensgeschichte und der Stilentwicklung ein und bezeichnete die gotischen Bauteile des Klosters als Ausdruck einer »oekumenischen Baukunst der abendländischen Christenheit«, deren deutsche Baumeister »mitten in dem allgemeinen [europäischen] baukünstlerischen Entwicklungsgang« gestanden hätten.13 Eine solche positive Einordnung deutscher Baumeister in die Mitte Europas aus französischer Feder war nicht nur etwas gänzlich Neues; sie ließ sich auch unschwer auf die politische Situation des Jahres 1950 übertragen. Bezeichnend ist die Besprechung des Buches in der »Stuttgarter Zeitung«: »Als fortwirkenden Austausch der geschichtlichen Zusammengehörigkeit wollen wir diese Monographie aus französischer Feder in einem deutschen Verlag wärmstens begrüßen. [...] Uberzeugender noch als der klare gallische Stil ist die Gesinnung, die [...] Bebenhausen in den Kreis eines größeren internationalen Zusammenhanges einbezieht. >Citeaux verwirklichte die Einheit Europashttp://www.archivesnationales.culture.gouv.fr/chan/chan/fonds/xml_inv/EtatsdesfondsAP/546AP.htmk Stuttgarter Zeitung Nr. 214 v. 14. 9. 1950, zit. nach: Alfred Kamphausen, Gebaute Kleinodien. Segeberg - Altenkrempe - Cismar, Oldenburg/Tübingen 1952, 92. Die Klosterbaukunst. Arbeitsbericht der deutsch-französischen Kunsthistoriker-Tagung (1951), Numero special du Bulletin des Relations Artistiques France-Allemagne, Mainz 1951.

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Ergebnisse als Sondernummer der neugegründeten Zeitschrift »Bulletin des relations artistiques France-Allemagne«. Henri-Paul Eydoux wurde im folgenden zum wichtigsten Protagonisten der wissenschaftlichen Annäherung zwischen den ehemaligen »Erzfeinden« Deutschland und Frankreich: 1952 veröffentlichte er eine Überblicksdarstellung zum Kirchenbau der Zisterzienser in Deutschland - überhaupt die allererste französischsprachige Arbeit zu diesem Thema, das sich wie kaum ein zweites eignete, das gemeinsame kulturelle Erbe Deutschlands und Frankreichs hervorzuheben. 16 Entsprechend enthusiastisch wurde die Arbeit von Eydoux in Deutschland aufgenommen und als »Brückenbau« zwischen deutscher und französischer Forschung begrüßt. 17 1953 hielt Eydoux ein Referat auf dem »Internationalen Bernhardkongreß« in Mainz - einem Ereignis, bei dem die sich anbahnende deutsch-französische Aussöhnung auf breiter theologischer wie kunst- und geschichtswissenschaftlicher Ebene erprobt wurde. 18 Durch diese Tagung wurde die Zisterzienserforschung endgültig zu einem Modethema der westdeutschen Architekturhistoriker: In Himmerod, Eberbach, Ebrach und anderen deutschen Zisterzienserklöstern fanden in den fünfziger Jahren Ausgrabungen und Bauuntersuchungen statt, die nunmehr im gesamteuropäischen Kontext der Ordensexpansion interpretiert wurden (Abb. I). 19 Ganz besonders konzentrierte man sich dabei auf die frühe Phase des zisterziensischen Bauschaffens, für die sich die länderübergreifenden Gemeinsamkeiten der Ordensarchitektur besonders deutlich herausarbeiten ließen; zeitgleich wurde das für die Ausbreitung des Ordens nach Deutschland besonders bedeutende Stammkloster Morimond in Lothringen von Eydoux intensiv erforscht (Abb. 2).20 Die politische Entspannung zwischen den einstigen Kriegsgegnern Deutschland und Frankreich nahm in der Mitte der fünfziger Jahre konkrete vertragliche Formen an: Nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik 1955 wurden 1957 die Römischen Verträge zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschlossen, durch die die - letztlich bis 1989 gültige - Form der europäischen Einigung unter politischer Führung Frankreichs und ökonomischer Dominanz der westdeutschen Bundesrepublik fixiert wurde. Die westdeutschen Kunsthistoriker haben diese politische Entwicklung sichtbar nach-

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Henri-Paul Eydoux, L'architecture des eglises cisterciennes en Allemagne, Paris 1952. Vgl. die Rezension von Wolfgang Krönig, Zur Erforschung der Zisterzienser-Architektur, in: Zeitschrift f ü r Kunstgeschichte 16 (1953), 222-233. Henri-Paul Eydoux, Die Zisterzienserbauten und die Architektur des 12. Jahrhunderts, in: Bernhard von Clairvaux - Mönch und Mystiker. Internationaler Bernhardkongress Mainz 1953, hrsg. v. Joseph Lortz, Wiesbaden 1955, 225-27. Karl Heinz Esser, Über den Kirchenbau des hl. Bernhard von Clairvaux. Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung aufgrund der Ausgrabung der romanischen Abteikirche Himmerod, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 5 (1953), 1 9 5 - 2 2 2 ; Hanno Hahn, Die frühe Kirchenbaukunst der Zisterzienser. Untersuchungen zur Baugeschichte von Kloster Eberbach im Rheingau und ihren europäischen Analogien im 12. Jahrhundert, Berlin 1957; Wolfgang Wiemer, Die Baugeschichte und Bauhütte der Ebracher Abteikirche, 1 2 0 0 - 1 2 8 5 , Kallmünz 1958. Henri-Paul Eydoux, L'eglise abbatiale de Morimond, in: Bulletin Monumental 114 (1956), 2 5 3 266, Ders., L'eglise abbatiale de Morimond, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 14 (1958), 3 - 1 1 6 .

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1 Himmerod (Rheinland-Pfalz), Rekonstruktion der Ostanlage der Klosterkirche von Esser 1958

2 Morimond (Haute-Marne), Klosterkirche, Rekonstruktionsvorschläge von Eydoux 1956 und Nicolai 1993



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vollzogen: Eine der bezeichnendsten und forschungsgeschichtlich folgenreichsten Neuschöpfungen der fünfziger Jahre ist die Begriffsprägung »bernhardinischer Plan«, wonach der Heilige Bernhard persönlich einen idealen Kirchengrundriß bestimmt habe, der für viele hundert Klostergründungen in ganz Europa verbindlich gewesen sei. Ausgehend von den - französischen - Mutterklöstern des Ordens sei das zisterziensische Ideal in Form einer idealen Baugestalt sozusagen paneuropäisch verwirklicht worden. 21 Grundlage dieser Theorie war Karl Heinz Essers Ausgrabung im Zisterzienserkloster Himmerod in der Eifel, dessen 1178 geweihte Klosterkirche 1735 durch einen barocken Neubau ersetzt worden war, der seinerseits im 19. Jahrhundert weitgehend abgebrochen wurde. Für den romanischen Ursprungsbau rekonstruierte Esser anhand der relativ geringen - Grabungsergebnisse einen platten Chorschluß mit je drei rechteckigen Querhauskapellen (Abb. 1). Interessant ist an diesem Befund vor allem die quellenmäßig belegbare persönliche Beteiligung Bernhards von Clairvaux an der Gründung des Klosters: Nach Angabe in den »Libris de miraculis Cistercensium monachorum« hat Bernhard 1138 seinen Novizenmeister Achard von Clairvaux nach Himmerod entsandt, »pro construendo coenobio«.12 Sofern man construere hier ganz wörtlich als »erbauen« verstehen will, besäßen wir damit den Nachweis, daß ein Architekt aus Clairvaux auf persönliche Weisung Bernhards den Bau von Himmerod mit seiner typisch zisterziensischen, bei Haupt- und Nebenapsiden gleichermaßen platt geschlossenen Ostlösung errichtet habe. Für diesen vermeintlich auf Bernhard persönlich zurückgehenden Grundriß prägte Esser den Begriff des »bernhardinischen Plans«. Im weiteren zog Esser die Grundrisse weiterer früher Zisterzienserkirchen in der Filiation von Clairvaux heran und postulierte, diese Chorlösung sei in der Filiation von Clairvaux von 1135 bis zum Tod Bernhards ausschließlich und verbindlich angewandt worden und auch danach weithin verbreitet geblieben (Abb. 3). Ausgangspunkt sei der Neubau der Kirche von Clairvaux gewesen, der von Bernhard 1135 persönlich konzipiert worden sei (Abb. 4, 5). Esser Schloß an diese weitreichende These sehr differenzierte Gedanken zur Ikonographie von Zisterzienserkirchen an, die von der Forschung allerdings selten aufgegriffen wurden. Die Begriffsprägung »bernhardinischer Plan« wurde dagegen schon bald zu einem komplexen Theoriegebilde ausgebaut, das nicht nur eine bestimmte Chorform, sondern auch die Proportionsverhältnisse der verschiedenen Raumteile, das Wölbsystem und weitere Motive mit einbezog und dabei zunehmend dogmatischer ausgestaltet wurde - insbesondere in der folgenreichen Dissertation Hanno Hahns von 1957.23

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Zum Begriff des »bernhardinischen Plans« vgl. v. a. Esser 1953 (wie Anm. 19) und Hahn 1957 (wie Anm. 19). Als forschungsgeschichtlicher Nachzügler erschien 1983 die - bereits 1970 eingereichte Dissertation von Wolfgang Rug, Der »bernhardinische Plan« im Rahmen der Kirchenbaukunst der Zisterzienser im 12. Jahrhundert, Tübingen 1983 (phil. Diss. Tübingen 1970). Heribert von Clairvaux, De miraculis, ed. Jacques Paul Migne, Patrologiae [...], Series Latina, Bd. 185, 453—459, hier zit. nach: Matthias Untermann, Forma Ordinis. Die mittelalterliche Baukunst der Zisterzienser, München/Berlin 2001, 227. Auf derselben Quelle beruhende und weitgehend gleichlautende Berichte zitiert Esser 1953 (wie Anm. 19), 198. Vgl. Hahn 1957 (wie Anm. 19) sowie Rug 1970/1983 (wie Anm. 21).

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im westlichen Nachkriegsdeutschland

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Gehalt< des Kunstwerks, den Künstlerischen Gegenstand als Funktion der Form, damit als schöpferische Leistung, unbedingt und aus nichts als dem Erscheinungsbilde selbst ableitbar verstehen zu wollen« 14 . Aus der Eigengesetzlichkeit der Form macht Fiensch die Bedingungen der bildlichen Sinnbegründung zum Thema. Von der Bildform aus fragt er damit nach den Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Sinnbegründung durch das Werk selbst. Er diskutiert dieses, wie bereits erwähnt, an der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts. 15 Sie entwickelt ein neues Bildprinzip, in welchem die Fläche als rei6 7

8 9 10 11 12 13 14 15

Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 102. Vgl. dazu Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 1 0 2 - 1 0 3 sowie Gottfried Boehm, Die Arbeit des Blickes. Hinweise zu Max Imdahls theoretischen Schriften, in: Max Imdahl, Gesammelte Schriften, Bd. 3: Reflexion, Theorie, Methode, hg. von Gottfried Boehm, Frankfurt/Main 1996, 7—41, hier 25. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 102. Vgl. dazu Boehm 1996 (wie Anm. 7), 2 4 - 2 5 . Vgl. dazu Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 3-7. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 102. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 6. Vgl. dazu Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 6. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 7; die Hervorhebung folgt Günther Fiensch. Zur Idee der Formgeschichte vgl. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 7 - 8 u. bes. 104.

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nes Ordnungsfeld in Erscheinung tritt. D i e niederländische Malerei etabliert eine formale Fläche, die weder mit den Flächen der Bildgegenstände noch mit der mathematischen Projektionsebene der Perspektivkonstruktion identisch ist. Ihr ist vielmehr eine eigene Ordnungsleistung eigen. Diese stellt im einzelnen Werk nicht nur eine Vielzahl gegenständlich gebundener Formrelationen her, sondern etabliert darüber hinaus eine bildorganisierende Flächenstrukturierung. 1 6 Was damit gemeint ist, möchte ich in einem kurzen B l i c k auf den L ö w e n e r A b e n d mahlsaltar von Dieric Bouts (Abb. 1) verdeutlichen. 17 Fiensch geht es in seiner anschaulichen Analyse um die Spannung zwischen der perspektivischen Konstruktion einerseits und der planimetrischen Bildorganisation entlang der Mittelachse andererseits. F ü r ihn wird aus dieser Spannung deutlich, »wie eine genaue P r o j e k t i o n des Raumes auf die Bildebene eine andere Fläche meint als jene, auf welche die raummindernde Figuration um die Mittelachse bezogen ist; denn die figurativen F o r m e n beider schließen hinsicht-

1 Dieric Bouts (um 1415^-75): Abendmahlsaltar, 1 4 6 4 - 6 8 , Ö l auf Eichenholz, Mitteltafel: 180 χ 151 cm, Seitenflügel: je 88,5 χ 71,5 cm, Löwen, St. Peter

16

17

Vgl. dazu bes. Fiensch 1961 (wie A n m . 4), 32: Die Leistung der Bildfläche besteht darin, daß sie »nicht nur Teileinheiten der Gegenstandsformen zueinander und somit der Fläche zuordnet, sondern die Gegenstandsformen als Ganze einem Flächengesetz unterwirft. Diese Ordnung läßt verschiedenen Modalitäten Raum, die aber alle dem gleichen Prinzip sich fügen.« Dieric Bouts (um 1 4 1 5 - 1 4 7 5 ) : Abendmahlsaltar, 1 4 6 4 - 6 8 , Ö l auf Eichenholz, Mitteltafel: 180 χ 151 cm, Seitenflügel: je 88,5 χ 71,5 cm, Löwen, St. Peter. Siehe dazu Fiensch 1961 (wie A n m . 4), 32-34.

Günther Fienscbs Idee einer anschaulichen

Selbstbegründung

des Bildes

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lieh ihrer Gegenstandsrelationen einander aus; und es gehört gerade zum Wesen der formalen Fläche, daß sie als die Trägerin der aussagestiftenden Bildfigur sich die Gegenstandswelt rationaler Projektion unterwirft« 18 . Der zentrale Schlüssel zur Möglichkeit einer bildlichen Selbstbegründung von Sinn deutet sich hier in dem an, was Fiensch die formale Fläche nennt. Es ist für Fiensch ihre bildorganisierende Flächenstrukturierung, die diese Möglichkeit eröffnet. Das Bild als ein Flächenphänomen, d.h. genauer: die Fläche in ihrer Strukturierungsleistung, stiftet von sich aus Sinn. Dieses gelingt für Fiensch über das, was er als die bildlichen Urphänomene anspricht: Fläche und Raum, Motivzeit und Bildzeit. Fläche und Raum, Motivzeit und Bildzeit stehen in Gültigkeit für jedes Werk, da sie sich »als auf nicht noch Allgemeineres zurückführbare Anschauungsformen« 19 zeigen. Die bildliche Sinnbegründung spielt für Fiensch im Zusammenwirken dieser Phänomene. Formgeschichtlich ist dabei mit der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts ein Paradigma gewonnen, an dem dieses Zusammenwirken in neuer Weise in Erscheinung tritt. Fiensch charakterisiert das niederländische Bildprinzip als eine Ordnungsleistung, die die Gegenstandsformen in ein Flächengesetz zusammenbindet. Die Bildordnung in der Fläche bezieht damit unbezogene Gegenstandsformen aufeinander, sie stellt eine Beziehung zwischen ihnen her. Diese Beziehung erweist sich als das Besondere der »Künstlerischen Gegenstände«, mit denen sie sich von allen realen Gegenständen absetzen. Unter den Bedingungen der Bildform sind sie in einen Ordnungszusammenhang gestellt, der »das realiter Unbezogene« 20 aufeinander bezieht. Diesen Bezug qualifiziert die Bildzeit näher. Bildzeit meint für Fiensch die unter die Bedingungen des Bildes getretene Zeit. Sie wird im Bild gleichsam planimetrisiert, d.h. in die Ordnung der formalen Fläche eingefügt und auf diese Weise als Zeitlichkeit gestaltet. Diese Zeitlichkeit aktualisiert sich als Ausdruck. 21 Mit dem Ordnungszusammenhang der Fläche und, darin eingeschrieben, in der Ausdruckswirkung der Bildzeit ist es das Vermögen der Bildform, so Fiensch, ein »ZeitlichZuständliches« 22 hervorzubringen. Die Bildform bildet damit ein Potential aus. Anschaulich einlösbar ist dieses durch die dem Motiv zugewiesenen Bildorte und ihre Verknüpfung in einer Flächenfigur. In dieser Flächenbindung ist den Bildorten ein

18 19 20 21

22

Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 33. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 4. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 35. Für Fiensch ist die Bildzeit »das Medium, durch welches eine motivisch bewegte Figuration überhaupt erst als spezifisch ausdruckshaft aufgefaßt werden kann« (Fiensch 1961 [wie Anm. 4], 58). Die mit dem »Künstlerischen Gegenstand« verbundene Zeitlichkeit ist damit immer seine Zeitlichkeit. Zugleich steht die Bildzeit in ihrer Bindung an die formale Fläche nicht nur in einer A u s drucksleistung f ü r den »Künstlerischen Gegenstand«, sondern ebenso in einer Ausdruckswirkung für das gestalterische Gelingen der Bildform selbst. Für Fiensch ist die Bildzeit darin »das verklammernde Schema der Anschauung sowohl f ü r die Sinnfälligkeit, die Wahrscheinlichkeit abgebildeten Geschehens, wie f ü r die Evidenz, die > Wahrheit < der formalen Schlüssigkeit des künstlerischen Gebildes überhaupt« (Fiensch 1961 [wie Anm. 4], 59). Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 58.

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»Zugleich von Raumort und Zeitwert« 23 eigen. Sie realisieren auf diese Weise die bildliche Potentialität als eine raumzeitliche Gegenwart des Bildes. Die bildliche Sinnbegründung gelingt somit durch eine Zusammenhangsstiftung, die zum einen als eine Ordnungssetzung in der Bildfläche, zum anderen als Ausdrucksgewinn durch die Bildzeit wirksam wird. Dieser Zusammenhang wird durch eine bildliche Verortung des Motivischen möglich. Die Bildmotive werden mit einem bildeigenen Raumindex und einem bildeigenen Zeitwert ausgestattet. Von einer Sinnselbstbegründung des einzelnen Werkes kann dabei insofern gesprochen werden, als Bildfläche und Bildzeit die Kontingenz des Motivischen in eine Sinnstruktur verwandeln. Die - nach Fiensch - bildlichen Urphänomene stiften in ihrem Zusammenwirken eine sinngebende Beziehung. Sie konstituieren damit einen Bildzusammenhang, der in der Relationierung der Gegenstandsformen untereinander und in besonderer Weise mit der Bildfläche Sinn aus sich selbst begründen kann. Die Bilddinge sind in dieser bildlichen Zusammenhangsstiftung durch eine Doppelwertigkeit ausgezeichnet: Sie haben zugleich Gegenstands- und Formwert. 2 4 Sie stehen also in einer Spannung, die sie als Bildgegenstände einerseits in ihrem Bildort auf die Fläche bezieht. Andererseits sind die Bilddinge in der Ausbildung anschaulicher Analogien, mit denen sie motivisch Disperates in eine Verbindung setzen, 25 miteinander korreliert. Form- und Flächenbezug der Bilddinge stiften auf diese Weise den bildlichen Sinn.

Fienschs Ansatz zu einer Kritik der bildlichen Vernunft Fiensch fragt, wenn man seine Überlegungen so bündeln kann, von der Bildform aus nach den bildlichen Voraussetzungen einer Selbstbegründung von Sinn für das einzelne Werk. Er unternimmt dieses in einer Perspektive, die man als Ansatz zu einer Kritik der bildlichen Vernunft charakterisieren kann. Die Wurzeln und Konsequenzen dieses Ansatzes möchte ich hier methodologiegeschichtlich in drei Punkten thesenhaft pointieren: (1) In den Überlegungen von Günther Fiensch ist die Entkoppelung von Kunst und Geschichte aus einem direkten, kausal aufgefaßten Verhältnis wirksam. Hier folgt Fiensch sowohl Alois Riegl als auch Heinrich Wölfflin. Riegl hatte in seinem »Holländischen Gruppenporträt« von 1902 paradigmatisch Kunst und Geschichte entkausalisiert. »Wer sich nun«, so Riegl in Kritik an der Kunstgeschichte, »jeweilig mit der nächsten Ursache begnügt, kann die unbestreitbare Wechselwirkung zwischen Korporationswesen und Gruppenporträt als eine kausale fassen: das zweite wäre dann einfach durch das erste bedingt gewesen.« 26 Gegen diese Determination der Kunst durch die 23 24 25 26

Fiensch 1961 (wie A n m . 4), 59. Siehe dazu Fiensch 1961 (wie A n m . 4), 32-34. Siehe dazu Fiensch 1961 (wie A n m . 4), 68-69. Alois Riegl, D a s Holländische G r u p p e n p o r t r ä t (1902), neu hg. von Karl Maria S w o b o d a , Wien 1931, 3. Siehe dazu auch v o m Verf., Rembrandt: Anatomie eines Bildes, München 2004, 167-177 u. 297-307.

Günther Fienschs Idee einer anschaulichen Selbstbegründung

des Bildes

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Geschichte setzt Riegl die Parallelität von Gruppenporträt und Korporationswesen. Beide sind für Riegl »als parallele Folgeerscheinungen eines höheren Dritten anzusehen, das auch auf allen übrigen Gebieten des holländischen Kulturlebens analoge Erscheinungen hervorgebracht hat« 2 7 . Das Gruppenporträt tritt damit in ein laterales Verhältnis zum Korporationswesen. Es, das Gruppenporträt, ist nicht mehr Derivat der Geschichte, sondern ein Parallelphänomen zu dieser. Heinrich Wölfflin schließt sich dem aus seinen sehgeschichtlichen O p t i o n e n an, wenn er in » U b e r Formentwicklung« schreibt, daß die Entwicklung bildlicher Vorstellungen »nicht nur als geschmeidiges E c h o auf jeden A n r u f aus der außerbildlichen Welt verstanden werden darf, sondern daß wir es hier mit einer ganz spezifischen und unersetzbaren Funktion zu tun haben nenne man sie Augengeist, Formgeist oder wie immer - , der innerhalb des geistigen Gesamthaushaltes ein eigenes schöpferisches Wirken eignet. U n d wenn die gesetzliche Folge der großen Formmöglichkeiten aufs engste mit den Geistes- und Empfindungsinhalten der Zeiten verbunden ist und von diesen Inhalten auch beständig beeinflußt wird, so ist das Verhältnis doch nicht das einer einseitigen Bedingtheit: die künstlerischen F o r m e n der Anschauung haben auch ihr eigenes Leben und können ihrerseits für den >Geist< bedeutsam werden.« 2 8 (2) In der Konsequenz der Emanzipation der Kunst von der Geschichte (als historische Ereignisse verstanden) b e k o m m t die K u n s t eine eigene Geschichte (Historiographie): eine Geschichte der Kunst, und zwar als eine Geschichte autonomer Werke. Fiensch reflektiert darauf gerade in Anschluß an Riegl und Wölfflin: » D e r Streit der Jünger kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hinter beiden, anscheinend so verschiedenen Begriffssystemen«, denen von Riegl und Wölfflin, »die gleiche Grundkonzeption, der gleiche methodisch hervorragende Ansatz steht: D i e These von der Eigengesetzlichkeit, der kausal nicht determinierbaren A u t o n o m i e der künstlerischen Formbildung und ihrer Wandlungen.« 2 9 Diese Autonomisierung von Kunst und einzelnem Werk verändert zugleich die Begegnungsform mit der Kunst und ihren Werken. Auch darauf reflektiert Fiensch, und zwar in der Auseinandersetzung mit Wilhelm Worringer und der Diskussion um die Möglichkeit einer >ars unahistorische< Setzung und Worringers Fragezeichen steht zu Unrecht« 3 0 . Fiensch spricht hier von der kritischen Selbstbefragung Worringers, wie er sie 1954 in einem kleinen Aufsatz unter dem Titel »Ars una?« unternimmt. F ü r Worringer melden sich Zweifel, ob sich »in der gesamten Menschheitsgeschichte, von ihren frühesten Anfängen an bis zu unseren Tagen, die Existenz und Permanenz eines bestimmten freischöpferischen Gestaltungstriebes nach27 28 29 30

Riegl 1931 (wie Anm. 26), 3. Heinrich Wölfflin, Uber Formentwicklung, in: Ders., Gedanken zur Kunstgeschichte. Gedrucktes und Ungedrucktes, Basel 1941, 8-15, hier: 11. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 3. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 103, Anm. 171.

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weisen lasse, die uns dazu berechtigt, ihn unter der Kennzeichnung >Kunst< zum Range einer absoluten Eigen- und Sonderwelt menschlicher Betätigungsmöglichkeiten zu erheben; derart, daß diese gemeinte Eigenwelt sich kategorial in einer unzweideutigen Weise von allen anderen Außerungsformen des menschlichen Betätigungsdranges abgrenzen lasse« 31 . Fienschs Antwort auf Worringers Selbstbefragung ist verblüffend. Sie besteht darin, kurz gesagt, daß es für Fiensch überhaupt keine Alternative zu einer ars una-Konzeption geben kann, da für ihn die Differenz zwischen historischem Gegenstand und Betrachtergegenwart uneinholbar ist: »Daß jedes historische Faktum«, so Fiensch, »sei es Meinung, sei es Ereignis, als Geschichte nur sub specie eines allgemeinen, vorgegebenen, nicht aus dem Objekt selbst gezogenen Begriffes >verstehbarihre< eigene Vergangenheit zugehört - diese Einsieht steht theoretisch in ebenso hoher Gunst, wie sie in praxi verleugnet wird« 32 . Fiensch selbst zieht daraus weitestgehende methodologische Konsequenzen: »Das Kunstgebilde vergangener Zeiten kann als Formgebilde nur unter dem Form- und Kunstbegriff der Betrachter-Gegenwart als Kunstwerk >verstanden< werden. Oder es wird überhaupt nicht verstanden. Wir >postulieren< diesen Kunstbegriff nicht, wir haben ihn; und vielleicht wäre es sogar zutreffender zu sagen: Er hat uns.« 33 (3) Aus diesen hermeneutischen Optionen heraus begegnet Fiensch das einzelne Werk als ein eigener Logos, der als Formgebilde in sich sinnvoll ist. Es ist primär ein ästhetisches Gebilde, das unter den Bedingungen der jeweiligen Betrachtergegenwart zugänglich wird. Von hier aus motiviert sich die Frage nach der anschaulichen Selbstbegründung des Bildes. Sie wird nötig im Gegenwartshorizont der Begegnung mit dem Werk als einem ästhetischen Gebilde. Leitendes Paradigma dieser anschaulichen Selbstbegründung von bildlichem Sinn ist für Fiensch die Ordnungsleistung der Bildfläche. Sie überführt die motivische Kontingenz in eine bildliche Kohärenz. Mit dieser Orientierung an der Bildfläche steht Fiensch in einer zweifachen Zeitgenossenschaft: Einerseits in der zur kunsthistorischen Forschung zur älteren Kunst, vor allem zu Giotto,34 und andererseits - darauf hat Thomas Puttfarken jüngst eindrücklich hingewiesen 35 - steht diese kunsthistorische Forschung in ihrer Flächenorientierung in

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Wilhelm Worringer, A r s Una? Walter Otto zum 80. Geburtstag (1954), in: Ders., Fragen und Gegenfragen. Schriften zum Kunstproblem, München 1956, 1 5 5 - 1 6 3 , hier: 155. Siehe dazu auch vom Verf., Kunst weltweit? Versuch einer Einleitung, in: Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst. Konzepte - Methoden - Perspektiven, hg. von Dems., Berlin 2004, 1 1 - 3 0 , bes. 1 4 - 1 7 . Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 104. Fiensch 1961 (wie Anm. 4), 103. Siehe dazu exemplarisch Theodor Hetzer, Giotto. Seine Stellung in der europäischen Kunst (1941), in: Ders., Giotto. Grundlegung der neuzeitlichen Kunst, Schriften Theodor Hetzers, Bd. 1, hg. von Gertrude Berthold, Mittenwald/Stuttgart 1981 sowie Dagobert Frey, Giotto und die Maniera Greca. Bildgesetzlichkeit und psychologische Deutung, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, XIV, 1952, 73-98.

Günther Fienschs Idee einer anschaulichen Selbstbegründung

des Bildes

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einer Zeitgenossenschaft zu Clement Greenberg und seiner Theoretisierung wie Teleologiesierung der Bildkonzepte des Abstrakten Expressionismus. 36 Was Greenberg, die kunsthistorische Forschung und mit beiden auch Fiensch verbindet, ist die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen des Bildes als eines Werkes. Während Greenberg diese Frage medialitätsteleologisch begründet und beantwortet, fragt Fiensch im Horizont des bildlichen Sinnes nach ihnen. Formuliert Greenberg dabei eine mediale Selbstlegitimation des Bildes als eines Flächenphänomens, so arbeitet Fiensch an einer anschaulichen Selbstbegründung von bildlichem Sinn. Fienschs Leitfrage ist, wie bildlicher Sinn im Ausgang von einer Autonomie des Bildes, die ihm (dem Bild) eine eigene Sinnhaftigkeit unterstellt, möglich wird. Sie wird möglich, um die Fiensche Antwort noch einmal zu bündeln, durch die Ordnungsleistung der Fläche, ihrem Kohärenzvermögen. Fienschs transzendentale Fragestellung eröffnet hier den Weg zu einer Kritik der bildlichen Vernunft. Daß dieser Weg, den Fiensch hier entwirft und geht, der Kunstgeschichte als einer akademischen Disziplin die Tür zur Moderne aufstößt, wie ihn Max Imdahl in der Perspektive einer Bildarbeit im Horizont einer ästhetischen Erfahrung gegangen ist, 37 gehört genauso zu den Wirkungen von Günther Fiensch, wie seine Überlegungen in der Perspektive eines »iconic turn« und der Diskussion der Kunstgeschichte als einer Bildwissenschaft neue Relevanz erfahren. Zugleich scheint darin die zeitgenössische Avanciertheit seiner Überlegungen auf, die zu Fiensch eigenen Zeiten ohne Resonanz des Faches geblieben waren.

35 36

37

Siehe dazu Thomas Puttfarken, The Discovery of Pictorial Composition. Theories of Visual Order in Painting 1 4 0 0 - 1 8 0 0 , N e w Haven/London 2000, 3 ^ 2 bes. 6 - 3 0 . Siehe dazu Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, hg. v o n Karlheinz Lüdeking, Amsterdam/Dresden 1997, bes. die Texte: Zu einem neueren Laokoon (1940), 5 6 - 8 1 und Die Krise des Staffeleibildes (1948), 1 4 9 - 1 5 5 . Siehe mit Blick auf Fiensch Max Imdahl, »Autobiographie« (1988), in: Imdahl 1996 (wie Anm. 7), 6 1 7 - 6 4 3 , bes. 623f.

Auf der Suche nach dem städtischen Leben: Die konzeptionellen Erneuerungen der Planungsmaximen des Städtebaus der 1950er Jahre Sandra

Wagner-Conzelmann

Aufgrund der unvergleichlich großen Zerstörung der Städte im Zweiten Weltkrieg sind zwei Drittel der heutigen Bausubstanz in Deutschland nach 1948 entstanden. Die Zerstörung der alten Stadtsubstanz bedeutete zwar einerseits den Verlust eines Teils der kulturellen Identität und der Geschichte, andererseits bot sie jedoch auch die Chance zu einem städtebaulichen Neuanfang. Es wurde das Ziel einer ganzen Generation von Stadtplanern, die Städte praktischer, gesünder und auf die menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet wieder- bzw. neu aufzubauen. Dabei gab es einen breiten Konsens über die städtebaulichen Planungsmaximen. Zentrale Punkte waren die gegliederte und aufgelockerte Stadt, in deren Mitte sich eine Grünfläche mit den Gemeinschaftsbereichen befinden sollte, und die in der Charta von Athen festgeschriebene Trennung der Funktionen einer Stadt. Ziel des Beitrags ist es, zunächst die etablierten Planungsmaximen darzustellen. In einem zweiten Schritt werden dann die im Laufe der 1950er Jahre auftretenden erneuernden Strömungen aufgeführt. Denn es erhob sich von verschiedenen Seiten Widerspruch gegen die scheinbar in Stein gemeißelten Planungsmaximen der frühen 1950er Jahre, was zu erheblichen Diskussionen und schließlich zur Transformation der städtebaulichen Leitbilder führte.

Die aufgelockerte Stadt Nie wurde die industrialisierte Großstadt in ihrer baulichen Dichte und ihrem städtischen Charakter so stark negiert wie im Städtebau der 1950er Jahre. Die organische Stadtlandschaft, die Auflösung der Stadtmasse und ihre Aufgliederung in Siedlungseinheiten verbunden mit einer größtmöglichen Durchgrünung waren die Planungsmaximen der Zeit. Die bauliche Ausnutzung des Stadtgebietes sollte erheblich reduziert und die Baumassen in Wohnzeilen konzentriert werden, um Freiräume für Grünbereiche zu schaffen und damit allen Wohnungen viel Licht, Luft und Sonne und gute Belüftung zu garantieren. Zugleich sollten die aufgelockerten und gegliederten Städte die Ordnungsprinzipien des funktionellen Städtebaus der Charta von Athen erfüllen. Die Stadt sollte in die verschiedenen Funktionsbereiche Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr aufge-

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teilt werden, was städtebaulich zur Ausweisung von eigenen Zonen für jede dieser Funktionen führen sollte. Die Charta von Athen nahm dabei in der Nachkriegszeit für die Planer den Rang eines »Katechismus des modernen Städtebaus« 1 ein. Ihre Leitsätze seien »von allen fortschrittlichen Städtebauern anerkannt«, es wurde sogar empfohlen, daß sie »jeder volljährige Staatsbürger lesen« sollte. Der überaus breite Konsens der Stadtplaner im Hinblick auf diese Planungsmaximen resultierte aus einem gemeinsamen, lang gehegten Feindbild: Es war die durch die Industrialisierung angeschwollene Mietskasernenstadt des 19. Jahrhunderts, die durch ihre hohe und dichte Bebauung enge Stadtbereiche mit dunklen Wohnungen geschaffen hatte. Die Straßenrandbebauung führte zu schmalen Verkehrswegen und die Mischung der Funktionen zu Unordnung und Chaos in den ohnehin überfüllten Städten. Eine weitere Motivation der Planer der Wiederaufbauzeit, die Stadtmasse aufzulösen, begründete sich auf ihren Erfahrungen mit der engen Stadtstruktur im Luftkrieg. Während des Zweiten Weltkrieges hatten die dicht bebauten Städte bei den Bombardierungen ein leichtes Opfer geboten. In den von Mietsblöcken in Blockrandbebauung oder von mittelalterlichen Fachwerkhäusern gebildeten engen Straßenschluchten und Gassen entstand ein Kamineffekt, so daß die Wirkung der Brandbomben verheerend war. Der Luftschutz war in der Wiederaufbauzeit ein weitverbreitetes Thema, das bei konkreten Entwürfen für Wettbewerbe etc. zwar nicht offiziell angesprochen wurde, aber dennoch gedankliche Grundlage jeder Planung war.2 Die Reformbestrebungen der engen Mietskasernenstadt hatten sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts gebildet. Ausgehend vom Gartenstadtkonzept des Engländers Ebenezer Howard, das in Deutschland in veränderter Form aufgegriffen wurde, stellten vor allem die Siedlungen der 1920er Jahre mit ihren Zeilenbauten den Versuch dar, qualitätsvolle Wohnungen für alle zu schaffen und die Städte neu zu ordnen. 3 In diesem Zusammenhang war auch die Charta von Athen 1933 vom CIAM (Congres Internationaux d'Architecture Moderne) formuliert worden. 4 Daneben wurde das Vordringen der bereits in der Zwischenkriegszeit zu beobachtenden Reformbestrebungen maßgeblich durch bestimmte geistige Strömungen der Nachkriegszeit begünstigt. Zu nennen ist hier vor allem eine weitverbreitete Großstadt-

1 2

3 4

Dieses und die folgenden Zitate aus: Hans Eckstein, Architektur und Städtebau in Frankreich, in: Die neue Stadt, 1950, 2, 56. Dies bestätigte der Stadtbaurat von Hannover, Rudolf Hillebrecht. Vgl. Werner Durth, »Ich kann mich nicht herausdenken aus dem Vorgang der Geschichte, in den ich eingebunden bin - Erinnerungen an den Wiederaufbau der Bundesrepublik: Hintergründe, Leitbilder, Planungen, in: Stadtbauwelt, 1981, 72, 2153. Zur Geschichte und Entwicklung des Leitbildes der aufgelockerten, durchgrünten und gegliederten Stadt siehe Werner Durth und Niels Gutschow, Träume in Trümmern, Braunschweig 1988. Die Charta von Athen wurde 1943 von Le Corbusier veröffentlicht und 1947 von Marcel Lods überarbeitet. In Deutschland erschien sie erst 1962 in Buchform und in deutscher Sprache, dennoch waren ihre Grundsätze zuvor oftmals in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Die konzeptionellen

Erneuerungen

der Planungsmaximen

des Städtebaus

der 1950er Jahre

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kritik, die auf einer allgemein pessimistischen Grundstimmung aufruhte. Die fortschreitende Technisierung, die Suche nach der eigenen kulturellen Identität und die in der Ost-West-Auseinandersetzung aufkommende Angst vor einem dritten Weltkrieg sowie die allgemeine Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Bedingungen wirkten sich stark auf das Lebensgefühl der Menschen aus: Es herrschte eine Lebensangst, eine Angst vor der modernen Gesellschaft. Der aus dem Gleichgewicht geworfene, »entfremdete Mensch der Massengesellschaft« wurde als Resultat des Verlustes der abendländischen humanistisch-christlichen Ideale gesehen.5 Der Titel des prominenten Buches des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr »Verlust der Mitte« 6 tauchte in der öffentlichen Diskussion immer wieder als Schlagwort auf, um diese gesellschaftlichen Zusammenhänge formelhaft zu beschreiben. Dieses pessimistische Gesellschaftsbild der 1950er Jahre mischte sich mit der tradierten konservativen Zivilisations- und Großstadtkritik (vgl. den Beitrag von Andreas Zeising in diesem Band). So war es üblich, das Leben in den industriellen Großstädten in einer fast schon klischeehaften Argumentation als lebensfeindlich und ungesund zu bezeichnen. Die Großstadt wurde als verschlingender Moloch gesehen, der die ohnehin schon entfremdeten und ihrer Mitte beraubten Menschen verderbe, unfruchtbar mache und ihn kommunikationsunfähig in der Menschenmenge vereinsamen ließe. Oftmals wurde die Großstadtkritik mit der zeitgenössischen Technikfeindlichkeit verbunden, zu der Friedrich Georg Jünger mit seinem Buch »Die Perfektion der Technik« von 1946 einen wichtigen Beitrag geliefert hatte. Es hieß, daß die Stadt den Menschenbestand genauso verschleiße wie die Industrie. Eine weitere typische Aussage über die Großstadt war, daß sie nur von der Substanz lebe und diese sukzessiv aufbrauche. Die Stadtplaner waren davon überzeugt, daß die Großstadt nur gerettet werden könne, indem sie so weit als möglich durch Aufgliederung in Siedlungseinheiten und durch den Einbezug von Grünflächen aufgelöst werde. Dieser gedankliche Hintergrund kommt auch in den zeitgenössischen Städtebaubüchern zum Ausdruck. Die »Organische Stadtbaukunst« von Hans Bernhard Reichow von 1948, das wohl meistgelesene städtebauliche Buch nach dem Kriege, kam nach einer Beschreibung des »entarteten Großstadtlebens« 7 für die Stadt zu dem Fazit, »daß hier mit nachträglicher Therapie, mit Mitteln und Mittelchen [...] nicht mehr zu helfen ist, sondern nur noch durch eine grundsätzliche, alles umfassende Neu- und Umgestaltung der Großstädte aus einem einzigen Gedanken: dem ihrer eigen- und lebensgesetzlichen Form in der organischen Stadtlandschaft!« Geleitet von der Uberzeugung, daß der Großstädter unorientiert und vereinsamt sei, sahen die Stadtplaner das grundlegende Bedürfnis des Menschen in der

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Vgl. Axel Schildt, Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, 332 ff. Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbol der Zeit, Salzburg 1948. Dieses und die folgenden Zitate aus Hans Bernhard Reichow, Organische Stadtbaukunst, Von der Großstadt zur Stadtlandschaft, Braunschweig 1948, 13.

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Suche nach Geborgenheit, die nur in der Natur gefunden werden könne. 8 Stadtmenschen seien künstliche Menschen, deren physische und psychische Gesundheit nur durch eine Rückverbindung zur Natur positiv zu beeinflussen sei. Dies führte zu einer ungeahnten Wertschätzung, ja Nobilitierung der Grünflächen und zu einer erheblichen Abwertung der baulichen Dichte. So war denn also nicht so sehr die bauliche Struktur der Großstadt Gegenstand des städtebaulichen Ideals, sondern eher ihre Auflösung. Dies brachte Heinrich Henning, der Redakteur der Fachzeitschrift »Die neue Stadt«, 1952 auf folgende Formel: Das »stilbildende Element der Zeit« sei »nicht so sehr die Komposition als die Auflockerung! [...] Sie ist das Gesetz.« 9 Diese Überlegungen wurden insbesondere für die Gestaltung der Stadtmitte interessant. Wo in den bisherigen Städten die größte bauliche Verdichtung geherrscht und das städtische Leben in enger Vermischung auf dem Markt, in den kulturellen und administrativen Gebäuden stattgefunden hatte, sollte nun ein Freiraum, ein Grünraum angelegt werden. Eine der konsequentesten Umsetzungen der Stadtplanungsmaximen wendete Hubert Hoffmann 1957 in seinem Entwurf für eine zwar teilzerstörte, jedoch noch weitgehend in ihren Grundzügen vorhandene Stadtstruktur Berlins an. (Abb. 1) In seinem »StadtUmbau in einer Hauptstadt« 10 sollten Teile der Bezirke Charlottenburg und Tiergarten in einen »organisch zusammenhängenden Bezirk« Moabit für ca. 50 000-70 000 Einwohner zusammengefaßt werden. Er teilte das Gebiet in Nachbarschaften auf, die jeweils durch Grünbereiche voneinander getrennt waren. Die Industrie- und Lagerzone setzte er bandförmig im Norden an das Bahngelände an. Um die Spree als Hauptader legte er ein großes zusammenhängendes, ost-westverlaufendes Grünsystem an. Grünstreifen griffen in die Wohngebiete nach Norden und Süden aus. Gärtnereien und Bauernhöfe waren für die Nutzung und Pflege eines Teils der Grünflächen zuständig. Die Nachbarschaften waren um eine grüne Mitte angelegt, die sich als Ausweitung des »Kleinen Tiergartens« in O-W-Richtung erstreckte. (Abb. 2) Hier lagen zwei große Stadtkreiszentren als eingeschossige Plattformen über den Durchgangsstraßen. Wohnhochhäuser waren locker am Rand der grünen Mitte verteilt.11 Hoffmann radierte in seinem Entwurf die Stadt des 19. Jahrhunderts aus und setzte die Planungsziele der aufgelockerten, gegliederten und durchgrünten Stadt ein, die er selbst maßgeblich entwickelt und vertreten hatte.12 Die Aufgliederung der gesamten Stadt in Nachbarschaftseinheiten 8 9 10 11

12

Vgl. Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim am Glan 1970. Heinrich Henning, Alte Städte - neue Städte, in: Die neue Stadt, 1952, 1, 7. Dieses und die folgenden Zitate aus Karl Otto, Die Stadt von morgen, Berlin 1959, 129. Mit diesem Planungsbeispiel zeigte Hubert Hoffmann den Umbau einer Stadt, wie er ihn bis dahin schon mehrmals vorgeschlagen hatte, z.B. 1948 in seinem Entwurf einer »Stadtgroßzelle« für den Wettbewerb »Rund um den Zoo« in Berlin. So hatte Hoffmann ab 1944 gemeinsam mit Johannes Göderitz und Roland Rainer Untersuchungen über eine Gliederung und Auflockerung der Stadt für die Deutsche Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung ausgeführt, deren Ergebnisse sie in dem Buch »Die gegliederte und aufgelockerte Stadt« zusammengefaßt hatten. Da die erste Veröffentlichung des Buches 1944/45 in den Kriegswirren untergegangen war, publizierten die Autoren die Schrift in leicht abgeänderter und ergänzter Form schließlich 1957 zur Zeit der Internationalen Bauausstellung Interbau in Berlin erneut. Dieses Buch wurde geradezu zur Fibel des aufgelockerten Städtebaus.

Die konzeptionellen

Erneuerungen

der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1950er Jahre

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Stadtbezirk M o a b i t - Obersichtsskizze der vorgeschlagenen Gesamtplanung (50000 bis 70000 Einwohner)

1 Hubert Hoffmann, Entwurf für Berlin: »Stadt-Umbau in einer Hauptstadt« 1957, Übersichtsskizze

sollte zur Etablierung eines dörflich-kleinstädtischen Lebensmodells führen. Das Planungsmodell sollte so eine Art »Auslösermechanismus« 13 für die naturverbundene, ländliche Lebenshaltung in der Stadt werden. Die Planungsmaximen des gegliederten und aufgelockerten Städtebaus und die Charta von Athen erhielten in West-Deutschland ab 1949 zusätzlichen Aufschwung, als sie zum politischen Ausdrucksträger in der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West wurden. Die junge D D R verließ die bis dahin eingehaltene städtebauliche Konsensstruktur des aufgelockerten Städtebaus und schlug einen gegensätzlichen Kurs ein. In den »16 Grundsätzen des Städtebaus« wurden 1950 neue Planungsrichtlinien festgeschrieben, die als Gegencharta zur Charta von Athen gesehen werden können. Nach dem Vorbild der Pläne zur Rekonstruktion Moskaus sollten fortan durch hohe Bebauung die Straßen wieder eng gefaßt und damit eine kompakte Stadt geschaffen werden. Zudem war es Ziel, die »schöne Stadt« durch Orientierung des Architekturstils an nationalen Traditionen zu erreichen. Dies wurde in Ost-Berlin in dem Großprojekt der Stalinallee umgesetzt, 14 die ab 1951 errichtet und propagandistisch breit publiziert wurde.

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Vgl. Helmut Klages, Der Nachbarschaftsgedanke und die nachbarliche Wirklichkeit in der Großstadt, Köln-Opladen 1958, 42. Siehe dazu Werner Durth, Jörn Düwel und Niels Gutschow, Architektur und Städtebau der D D R . Ostkreuz. Personen, Pläne, Perspektiven, Band I und Aufbau. Städte, Themen und Dokumente, Band II, Frankfurt 1998.

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2 Hubert Hoffmann, Entwurf für Berlin: »Stadt-Umbau in einer Hauptstadt« 1957, Ausschnitt, Planungen für Moabit

Nicht zuletzt in Abgrenzung gegen diesen »falschen Prunk der Stalinallee«15 mit ihrer Achsenbildung und Fassadenarchitektur wurde der aufgelockerte, gegliederte und funktionelle Städtebau auch zum politischen Bedeutungsträger. Nirgends ist dies klarer sichtbar als im Wiederaufbau des kriegszerstörten West-Berliner Hansaviertels im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957.16 (Abb. 3) Das Hansaviertel wurde unter Beteiligung von über 45 prominenten Architekten aus Berlin, West-Deutschland und dem westlichen Ausland nicht nur nach den im Westen weiterhin etablierten städtebaulichen Prinzipien aufgebaut, sondern auch im Architekturstil der internationalen Moderne. Der Inhalt der begleitenden Sonderausstellung die Stadt von morgen (Abb. 4) kann als Kulmination der im Westen etablierten Planungsmaximen gelten: Hier wurden in besonders ausführlicher und einprägsamer Präsentationsform die verheerenden Nachteile der dichten Mietskasernenstadt mit Straßenrandbebauung den Vorteilen der stark idealisierten gegliederten und aufgelösten Stadt mit einer Grünfläche in der Stadtmitte gegenübergestellt. (Abb. 5 + 6) Anhand von 12 Planungsmodellen wurden die zuvor aufbereiteten Planungsmaximen in konkrete Beispiele umgesetzt. 15

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Dies äußerte der Bausenator von Berlin Karl Mahler in einem Artikel, in dem er die Ziele der Bauausstellung der Öffentlichkeit vorstellte. Karl Mahler, Internationale Bauausstellung Berlin 1956, in: Bauwelt, 1953, 34,677. Sandra Wagner-Conzelmann: »die Stadt von morgen.« Die programmatische Sonderausstellung zum zukünftigen Städtebau auf der Interbau 1957 in Berlin, Technische Universität Darmstadt, unveröffentlichte Dissertation.

Die konzeptionellen

3 Internationale

Erneuerungen

der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1950er Jahre

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Bauausstellung Berlin 1957, Modell des wiederaufgebauten Hansaviertels

Die Internationale Bauausstellung 1957 galt den Zeitgenossen weitgehend als ein Höhepunkt des aufgelockerten und durchgrünten Städtebaus, auch wenn im Hansaviertel eine programmatische Umsetzung des in Siedlungseinheiten aufgegliederten Städtebaus zu Gunsten der Beteiligung der vielen prominenten Architekten vernachlässigt worden

4 Die Sonderausstellung die Stadt von morgen auf der Internationalen

Bauausstellung Berlin 1957

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Wagner-Conzelmann 5 Die Sonderausstellung die Stadt von morgen auf der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957, Zeichnung der dichten, ungesunden Stadt von Oswald Meichsner, genannt Oswin

6 Die Sonderausstellung die Stadt von morgen auf der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957, Zeichnung der idealen Stadt von morgen von Oswin

D I E

#

Φ

S T A D T

sr

V O N

M O R G E N

Die konzeptionellen

Erneuerungen der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1950er Jahre

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Gegenströmungen Während der aufgelockerte und durchgrünte Städtebau in Projekten wie der Internationalen Bauausstellung eine breite Würdigung erfuhr, begann in der Fachdiskussion bereits eine zunehmende Infragestellung des etablierten Leitbildes. Einzelne Städtebauer forderten die konzentrierte Stadt mit einem städtischen Kern, in dem verschiedene Funktionen gemischt sein sollten. Auch wenn diese den Städtebau der 1960er Jahre bestimmenden Maximen erst mit dem Vortrag von Edgar Salin auf dem 11. Städtebautag in Augsburg zum Durchbruch gelangten, lassen sich bereits für die unmittelbare Nachkriegszeit Vorläufer dieser Diskussion feststellen. So sprach sich der erwähnte Hans Bernhard Reichow bereits 1948 trotz seiner Ablehnung der dichten Großstadt und der Befürwortung der Aufgliederung und Durchgrünung der Gesamtanlage der Stadt für konzentrierte Stadtkerne aus. »Je mehr wir in der befreiten Stadtlandschaft allgemein dezentralisieren, um so mehr müssen wir im Kern konzentrieren! In beidem zugleich ruht ihr organisches Grundgesetz!« 1 7 Der konzentrierte Stadtkern sollte eine Art städtebauliches Gegengewicht zur aufgelösten, dezentralisierten Stadtstruktur herstellen. Es ging dabei hauptsächlich um »die gesundere Kernbildung«, die kunstvolle Kombination von Gehäusen und nicht um die Wiederbelebung des städtischen Lebens. Auch der renommierte Stadtplaner Ernst May forderte eine »Zentralisierung, Konzentration, Verdichtung der Städte, vor allem auch in Deutschland.« 18 Als ausschlaggebenden Grund führte der seit 1934 in Afrika tätige Planer das weltweite Bevölkerungswachstum an. Gleichzeitig stellte auch er die »bekannten Formgedanken der Nachbarschaft« heraus, »durch Grünstreifen getrennt, mit scharfen Grenzen gegenüber der Landschaft.« 19 Die Forderungen nach der Konzentration des Stadtkerns bei gleichzeitiger Aufgliederung der Stadt in Siedlungseinheiten wurden auch mit der Wertschätzung des städtischen Lebens als solchem begründet, das nur in baulicher Dichte stattfinden könne. Ebenfalls 1948 rückte Walter Schwagenscheidt den Stadtkern als Marktplatz für das Einkaufen, die Kommunikation, für kulturelle Betätigung und für das Vergnügen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Als Begründung für eine bauliche Mitte um einen

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Dieses und die folgenden Zitate aus Reichow 1948 (wie Anm. 7), 157. Dieses und die folgenden Zitate aus einem Vortrag von Ernst May, den er 1953 in Freiburg (Breisgau) zum Thema »Städtebau - eine Angelegenheit des Volkes« gehalten hatte. Alfred Maul, Verdichtung oder Ausdehnung? in: Baumeister, 1953, 11, 6 1 1 . Welches Unverständnis und welche Irritation die Forderung nach der konzentrierten Stadt bei gleichzeitig aufgelockerter Stadtstruktur hervorrief, zeigt der Kommentar des Autors des genannten Artikels. Er konnte die Gleichzeitigkeit der gegensätzlichen Forderungen Mays nicht nachvollziehen: »Wohin sind die Gewichte in der Planung zu lagern: auf die siedlungsfeindliche, verdichtete Stadt, scharf abgegrenzt gegen das Land, ihre Bewohner bodenfern, entwurzelt - oder auf die weiträumige, lockere Siedlung, die bei ihrer Anlage Agrarland braucht, einen Teil ihrer Ernährung selbst erzeugt, halb Stadt, halb Land, ihre Bewohner mit Bodenkräften sättigt?« Maul 1953 (wie Anm. 18).

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zentralen Platz führte er an, daß man »nicht immer in die Natur hinaus«20 wolle, viele »Asphalttreter« sowieso nicht. »Man will mal zwischen Mauern sein, zwischen hohen Häusern, nahe bei Menschen.« Eine organisatorische Anknüpfung fanden solche Einzelstimmen vor allem innerhalb des CIAMs. Bedeutsam ist hierbei der achte Kongreß des CIAMs, der 1951 in Hoddesdon stattfand und sich dem Thema »The Core of the City: Towards humanisation of urban life« widmete. In der vom CIAM autorisierten Zusammenfassung der Ergebnisse des Kongresses verwies sein Präsident, Joseph Lluis Sert, auf die unbedingte Notwendigkeit eines »Kerns«21, eines »Herzens« der Stadt, das dem für Menschen und Gemeinschaft so wichtigen öffentlichen Leben und dem Meinungsaustausch Raum geben sollte. Die Mittelpunktbildung der Stadt sei elementar für die politische, soziale und wirtschaftliche Struktur einer Gesellschaft, die auf freien und demokratischen Austausch gerichtet sei. Deshalb fordere der CIAM die »Rezentralisierung« der Städte, es sollten neue Kerne mit »community-center« entstehen. Ein großes Hauptzentrum sei »das Herz der Großstadt«. Dabei wurden speziell die kommunikativen, gesellschaftlichen und sogar politischen Funktionen einer dichten Mitte betont und die grüne Mitte mit ihren ländlich verbundenen Idealen in Frage gestellt. Diese Aussagen waren zwar theoretisch geradezu revolutionär, hielten sich jedoch praktisch nach wie vor an die in der Charta von Athen vorgegebenen etablierte Trennung der Funktionen und an die Aufgliederung der Stadtmasse in Siedlungseinheiten, die um eine zentrale Freifläche mit Gemeinschaftseinrichtungen angeordnet waren. Eine Umkehr brachte hier eine Auseinandersetzung innerhalb des CIAMs, die sich an den Grundsätzen der Charta von Athen entzündete. Die unterschiedlichen Standpunkte spalteten den CIAM in zwei Lager und führten schließlich zu seiner Auflösung. Die Hauptvertreter des die Charta verteidigenden Lagers waren Le Corbusier, der bereits erwähnte amtierende Präsident der CIAM, Joseph Lluis Sert, und der amtierende Generalsekretär, Siegfried Giedion. Sie setzten sich besonders für die Einhaltung der Trennung der Funktionen einer Stadt ein. Ihnen stellte sich mehr und mehr die sogenannte jüngere Generation entgegen, die später das Team X bildete. Zu ihnen gehörten der Niederländer Jacob Berend Bakema und die Engländer Alison und Peter Smithson. Sie waren gegen die ihrer Meinung nach dogmatischen und schematischen Grundsätze der Charta von Athen und traten für ihre Entwertung ein. 1953 führten die Unstimmigkeiten auf dem CIAM-Kongreß in Aix en Provence zu einer offenen Konfrontation. Auf diesem Treffen stellten Peter und Alison Smithson unter dem Titel »Urban Reidentification« der von der Charta von Athen proklamierten Aufteilung der Stadt in die Funktionen Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr die sozialen Qualitäten unterschiedlicher Gemeinschaften entgegen, die im Haus, auf der Straße, in einem Stadtviertel und in einer Stadt bestün20 21

Dieses und die folgenden Zitate aus Ernst Hopmann und Tassilo Sittmann (Hrsg.), Walter Schwagenscheidt. Die Raumstadt und was daraus wurde, Stuttgart 1971, 42. Dieses und die folgenden Zitate aus Jaqueline Tyrwhitt, Joseph Lluis Sert und E.N. Rogers, The Heart of the City: towards the humanisation of urban life, C I A M 8, London 1952, 6.

Die konzeptionellen

Erneuerungen

der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1950er Jahre

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den. Diese würden gerade auch aufgrund der Mischung der Funktionen entstehen. 22 Als Beispiele für die Räume, in denen menschliche Gemeinschaften entstehen konnten, führten sie ausgerechnet Studien von der bis dahin so verdammten Stadt des 19. Jahrhunderts an. Sie wendeten sich mit diesen neuen Prioritäten ganz bewußt gegen die tradierte Großstadtkritik und die zeitgenössisch etablierten Formen der Gemeinschaften wie Unites und Nachbarschaften. 23 Diese Gedanken faßte die jüngere Generation des C I A M s schließlich im Januar 1954 auf einem Treffen in Doorn in der »Erklärung des Habitat« zusammen, die später von den Smithsons als eine »Kriegserklärung gegen die etablierte Stadtplanung« 24 bezeichnet wurde. 1956 kam es auf dem X . Kongreß des C I A M s in Dubrovnik u.a. aufgrund dieser Differenzen schließlich zur Spaltung des CIAMs. Parallel zu der städtebaulichen Diskussion des C I A M s wurde auch innerhalb Deutschlands das städtebauliche Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt zunehmend in Frage gestellt. Einen wichtigen Anschub hierfür lieferten soziologische Untersuchungen zu den Auswirkungen des Großstadtlebens auf den Menschen. Maßgeblich vorangetrieben wurden diese Untersuchungen von Gunther Ipsen und seiner Mitarbeiterin Elisabeth Pfeil 25 an der Sozialforschungsstelle Dortmund der Universität Münster. 26 Eine organisatorische Querverbindung bestand zur Forschungsstelle für Siedlungs- und Wohnungswesen in Münster und dort insbesondere zu Hans Paul Bahrdt. Vor dem Hintergrund der von diesen Autoren durchgeführten empirischen Untersuchungen zum Wohnen in den industriellen Vorstädten sowie zum Wohnen der Bergarbeiterfamilien im Ruhrgebiet forderte Hans Paul Bahrdt bereits 1952 dazu auf, »umzudenken« 27 , denn »das Kategoriensystem« zur Einschätzung der Städte sei »unzureichend und falsch«. Im Februar 1955 stellte Elisabeth Pfeil fest: »Wir müssen unser Bild vom Großstädter revidieren.« 28 Das gängige Bild des unnachbarschaftlichen G r o ß städters, der indifferent gegenüber seinen Nachbarn sei, müsse zurück genommen werden, da dieses »Vorurteil« nicht bewiesen werden könne. Sie sprach von »Mißbrauch des

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Diese soziale Struktur unterschiedlicher menschlicher Gemeinschaften sollte fortan als »Idee« extrahiert und in neue architektonische und städtebauliche Äquivalente umgesetzt werden. Als Beispiel dazu zeigten Alison und Peter Smithson ihre Pläne des Golden Lane Projekts von 1952 mit der »multi-level city«, in der sie z.B. die kommunikative Funktion der »Straße« auf Decks von ca. 3,50 m Breite übertrugen, die die in Großstrukturen angelegten Wohnblöcke horizontal verbanden. Siehe dazu: Alison and Peter Smithson, Urban Structuring. Studies of Alison and Peter Smithson, London 1967, 22 ff. Eric Mumford, The C I A M Discourse on Urbanism, 1928-1960, Massachusetts 2000, 235. Smithson 1967 (wie Anm. 22), 14. Elisabeth Pfeil hatte sich bereits 1950 durch ihre fundierte Arbeit über die »Großstadtforschung« hervorgetan. Vgl. Elisabeth Pfeil, Großstadtforschung, Bremen-Horn 1950. Gunther Ipsen u.a. veröffentlichten die Ergebnisse dieser Untersuchungen erst 1959. Vgl. Gunther Ipsen (Hrsg.), Daseinsformen der Großstadt, Tübingen 1959. Es waren jedoch Teilaspekte der Untersuchungen bereits vorher in Fachzeitschriften zu lesen gewesen. Hans Paul Bahrdt, Wie leben die Bewohner neuer Stadtteile, und wie wollen sie eigentlich leben?, in: Baukunst und Werkform, 5, Nr. 6 / 7 , 1952, 56-63. Dieses und die folgenden Zitate aus Elisabeth Pfeil, Fremdheit und Nachbarschaft in der Großstadt, in: Der Architekt, 1955, 2, 40.

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Idealtypus durch eine popularisierte Großstadtkritik« 2 9 , dem entgegengewirkt werden könne, wenn »das Großstadtleben in der ganzen Breite und Fülle seiner Lebenserscheinungen« gesehen werde. Insbesondere widersprach Pfeil typischen Äußerungen der Großstadtkritik, beispielsweise der vorgeblichen Entwurzelung der G r o ß s t a d t b e wohner. D i e Menschenmenge in den Großstädten sei nicht »grau und unterschiedslos«, wie sie die tradierte Zivilisationskritik bezeichnete. Vielmehr erkenne der Großstädter »an hundert kleinen Zeichen (Kleidung, Gesten, Auftreten und Haltung)« wie er den Einzelnen einzuschätzen habe. Gerade dieses Unbekant-Sein verbunden mit einem Wissen von Gemeinsamkeit und Differenzierung sei bezeichnend für das L e b e n in der Großstadt und erfolge nach bestimmten Regeln. »Einwurzelung« und Adaption der großstädtischen Lebensverhältnisse seien für das heutige Großstadtleben typische Kennzeichen. Ähnlich argumentierte Hans Paul Bahrdt 1956, indem er auf die Dualität von Ö f fentlichkeit und Privatheit, von Integration und Des-Integration hinwies. Voraussetzung für das städtische Leben sei die »unvollständige Integration« 3 0 des Stadtbewohners, d.h. die Beliebigkeit der unmittelbaren Kontaktaufnahme. In Großstädten dürfe es kein durchgehendes, lückenloses Geflecht vermittelnder und mittelbarmachender B i n dungen geben, wie dies bei den in Nachbarschaften aufgegliederten Städten der Fall sei. D i e spezifischen Bedürfnisse des Großstädters müßten vor der »übersteigerten N a t u r sehnsucht« geschützt werden. D i e städtebauliche Konsequenz dieser Überlegungen lautete »Urbanisierung« und gerade nicht »Entstädterung«. Diesen Gedanken führte er 1961 in seinem B u c h »Die moderne Großstadt« weiter aus und versuchte damit, der Großstadt aus dem »Nebel der Vorurteile« 3 1 heraus zu helfen. Diese Kritik bereitete den Weg zur Formulierung von neuen Planungsgrundsätzen im Städtebau, die 1960 der Professor für Staatswissenschaften an der Universität Basel, Edgar Salin, auf der 11. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in seinem Vortrag »Urbanität« spezifizierte. E r betonte, daß in den Städten die »Agglomeration einer anonymen Masse wieder in einen lebendigen Organismus« 3 2 gewandelt werden könnte, wenn sich die Einwohner »am Stadtregiment interessieren« würden, sie sollten »durch Mitverantwortung zu echten Bürgern« werden. D a z u sei es grundlegend, daß in den Stadtmittelpunkten wieder öffentliches Leben stattfinden würde. Deshalb sah er für den Städtebau als

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Dieses und die folgenden Zitate aus: Elisabeth Pfeil, in: Arnold Gehlen und Helmut Schelsky (Hrsg.), Soziologie, ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, Düsseldorf-Köln 1955, 230 ff. Hans Paul Bahrdt: Entstädterung oder Urbanisierung. Soziologische Gedanken zum Städtebau von morgen, in: Baukunst und Werkform, 1956, 12, 653-657. Hans Paul Bahrdt, Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Hamburg 1961, Uberschrift des Kapitels 1.1. Dieses und die folgenden Zitate aus Edgar Salin, Urbanität, in: Die neue Schriften des Deutschen Städtetags, Erneuerung unserer Städte, Vorträge, Ansprachen und Ergebnisse der 11. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Augsburg, Stuttgart 1960, 9-34.

Die konzeptionellen Erneuerungen

der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1950er Jahre

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vordringliche Aufgabe, nicht die »Entballung« voranzutreiben, sondern die »Aushöhlung« der Städte zu verhindern. Die Stärkung des Kerns einer Stadt sah er als Voraussetzung dafür, daß »neue, echte Urbanität« entstehen könne. Dieser Städtebautag verhalf der seit Anfang der 1950er Jahre geäußerten Forderung nach der konzentrierten Mittelpunktbildung einer Stadt zu großer Aufmerksamkeit und trug maßgeblich zur Veränderung der Planungsmaximen bei, die fortan mit dem oftmals mißverstandenen Schlagwort »Urbanität durch Dichte« bezeichnet wurden. In den folgenden Jahren wurden unter dem Diktat des sogenannten »Bauwirtschaftsfunktionalismus« Großsiedlungen an der Peripherie der Städte gebaut, die in einer Übersteigerung der baulichen Verdichtung und damit verbunden auch der menschlichen Dichte die Urbanität zu erzwingen suchten. Diese Großsiedlungen waren jedoch weit entfernt von dem geforderten städtischen Umfeld, in dem wacher Bürgersinn, politisches und gesellschaftliches Leben entstehen könnte.

Karl Scheffler und das »Phantom Großstadt«. Zur Kontinuität kulturpessimistischer Deutungsmuster nach 1945 Andreas Zeising

In ihrer Ausgabe vom Februar/März 1947 veröffentlichte die in München erscheinende Architekturzeitschrift »Baumeister« einen Essay aus der Feder des damals fast achtzigjährigen Kunstschriftstellers Karl Scheffler. 1 Der »Phantom Großstadt« betitelte Text war keine fachwissenschaftliche Abhandlung, Scheffler erging sich vielmehr in kulturphilosophischen Betrachtungen über die Geschichte und Gegenwart der Großstadt, wobei sein Essay den strengen Tonfall einer Bußpredigt anschlug. Das städtebauliche Gebilde Großstadt, ebenso die >Großstadtgesinnung< geißelte Scheffler als Verfallserscheinungen einer kulturellen >SpätzeitSelbstzerstörungGesundung< der >deutschen Seelebesseren< Deutschland aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus galt, ja als Vertreter einer vom Politischen unabhängigen geistigen NationZurück in die Zukunft! Ja!< zur Großstadt, enthält die Abhandlung von 1913 indessen vergleichsweise wenig grundsätzliche Überlegungen, handeln doch die meisten Kapitel entweder unterschiedliche Typen der Großstadtarchitektur ab oder sind monographische Würdigungen herausragender Architekten. Lediglich im einleitenden ersten Kapitel finden sich einige historische und kulturphilosophische Betrachtungen zur Großstadtfrage. Dabei fällt auf, daß Scheffler ganz erfüllt war von der Großstadtbegeisterung der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. So konstatiert er einleitend, die Großstädte seien der Inbegriff des modernen Lebens, da sie die »Zentren der modernen Zivilisation« verkörperten, in welchen sich »in natürlicher Weise die geistigen Kräfte der Zeit zusammenfinden«. 13 »Großstadtgesinnung« 14 galt Scheffler gleichsam als das Signum der Epoche und als »Schicksal, wogegen jeder Einspruch romantisch erscheint«. 15 10

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Karl Scheffler, Die Architektur der Großstadt, Berlin 1913. Eine Neuausgabe erschien 1998 im Verlag Gebr. Mann, Berlin. Schefflers Äußerungen zur Großstadtproblematik, -architektur und zum Städtebau sind zu umfangreich, um an dieser Stelle ausführlich erörtert zu werden. Da die Beschränkung auf Wesentliches die Gefahr birgt, Argumentationslinien zu verkürzen, sei zumindest auf die umfangreiche Studie von Julius Posener verwiesen, welche Schefflers Positionen der Zeit vor 1 9 1 4 dokumentiert. Vgl. Julius Posener, Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur. Das Zeitalter Wilhelms II., München 1979. Das Buch von 1 9 1 3 ist im Wesentlichen eine Kompilation von Aufsätzen, die in den Jahren 1910/11 in der Neuen Rundschau erschienen waren. Karl Scheffler, Die Zukunft der Großstädte und die Großstädte der Zukunft, in: Neue Rundschau, 37, 1926, 5 2 1 - 5 3 6 , hier 524. Hierin lag freilich zugleich auch ein Dilemma: Daß Großstadt geplant sein will, nicht >organisch< wächst, widersprach auch 1913 bereits Schefflers Empfinden von Stilentwicklung in der Baukunst: »Es ist nicht möglich zu hoffen und zu erwarten, die Großstadt werde sich aus innerer Notwendigkeit selbst rein und klar aufbauen, sie werde wachsen wie ein natürlicher Organismus; der Städtebauer hat in diesem Fall vielmehr tendenzvoll zu wollen und vorausschauend zu disponieren. Und er hat in wesentlichen Punkten das Gegenteil von dem zu wollen, was in früheren Jahrhunderten erstrebt wurde.« Scheffler, Architektur der Großstadt (wie Anm. 10), 6. Scheffler, Architektur der Großstadt (wie Anm. 10), 3. Ebd., 5 Ebd., 24. Vor allem die Entwicklung der modernen Kunst sah Scheffler gekoppelt an die Großtadtgesinnung, denn sie verbürge für die Kunst, namentlich die Architektur, demokratische Freiräume:

Karl Scheffler

und das »Phantom

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Eine uneingeschränkt euphorische Analyse war dies freilich nicht, denn Scheffler sparte nicht mit Hinweisen auf Fehlentwicklungen im Sozialen. So kritisierte er Prozesse der Vermassung, die Auflösung angestammter berufsständischer Ordnungen und den zunehmenden Bedeutungsverlust der Familie. 16 Mit solch eher beiläufig geäußerten Feststellungen bewegte er sich indessen im argumentativen Kontext einer damals verbreiteten konservativen Großstadtkritik, deren Topoi schon im 19. Jahrhundert ausgebildet worden waren. 17 Als folgenreicher sollte sich eine andere Beobachtung erweisen, die sich in Schefflers späteren Äußerungen zu dem Thema Großstadt geradezu festsetzte: Er meinte erkannt zu haben, daß der Fortbestand der modernen Großstadt unabwendbar gekoppelt sei an das Fortdauern von Prozessen geballter industrieller Expansion. Ein Ende der Großstadtentwicklung erschien damit prinzipiell denkbar, doch klammerte Scheffler diesen Gedanken vorerst aus: »Wie sich die Dinge gestalten werden, wenn ein sicher einmal zu erwartender Weltbankrott der Industrie und des Welthandels einsetzt, ist noch nicht abzusehen; es ist die Möglichkeit einer zukünftigen Zertrümmerung auch der Großstadt in den Gesichtskreis dieser Betrachtungen darum mit Bewußtsein nicht aufgenommen worden.« 18 Vergleicht man Schefflers Großstadt-Buch von 1913 mit der eingangs zitierten Passage von 1947, so fallen vor allem Gegensätze ins Auge: Hier ein Bekenntnis zur Moderne, dort zur Spätzeit; hier der beherzte Wille zur aktiven Gestaltung, dort Untergangsstimmung auf breiter Front. Scheffler selbst verweist auf diesen Sinneswandel, wenn er den Essay von 1946 als Revision der Prognosen von 1913 bezeichnet: »Der Verfasser wird recht bescheiden, wenn er bedenkt, daß er trotz eines richtigen Instinktes die Nähe der Krisis [der Großstadt, A.Z.] damals nicht deutlicher erkannt, und zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen gemacht hat. Auch er war noch angesteckt von dem allgemeinen Optimismus und mochte nicht negativ erscheinen, obwohl die Dinge sich bereits selbst zu negieren begannen.« 19 Allerdings: die kulturpessimistische Sichtweise, die Schefflers Großstadtkritik von 1947 zugrunde liegt, war in seinem Werk durchaus nicht neu; sie findet sich vorgeprägt bereits sehr deutlich in Publikationen, die Scheffler seit Mitte der zwanziger Jahre verfaßte. Pessimistische Zweifel an der Zukunft der Großstadt äußerte Scheffler offenbar zum ersten Mal 1919 in einem Artikel über die »Zukunft Berlins« in der »Vossischen Zei-

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»Es ist darum dem Gedanken fest ins Auge zu sehen, daß die Baukunst der Zukunft [...] eine Großstadtkunst sein wird, daß ihr Schicksal mit dem der Stadtentwicklung zusammenfallen muß, daß sie nur bürgerlich, großbürgerlich und ein Produkt demokratischer Kultur sein kann.« Ebd., 3. Damit verbunden war nach Schefflers Ansicht ein langfristig wirkender Strukturwandel, der zuletzt einen Bedeutungsverlust des Landes gegenüber der Stadt zur Folge haben würden. Als grundlegend für diese Kritik gilt gemeinhin Wilhelm Heinrich Riehls Naturgeschichte des Volkes von 1854. Vgl. dazu Klaus Bergmann: Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim am Glan 1970. Scheffler, Architektur der Großstadt (wie Anm. 10), 4. Diesen leisen Zweifel brachte Scheffler bezeichnender Weise in einer Fußnote unter. Scheffler, Phantom Großstadt (wie Anm. 1), 78.

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tung«, wo er unter anderem schrieb: »Wo das Weltwirtschaftliche sich irgendwie zentralisiert, da entsteht Großstadtgesinnung. Mit der freien deutschen Weltwirtschaft ist es nun aber für lange Zeit vorbei. [...] Dadurch werden aber die deutschen Städte wie von selbst an Großstadtcharakter verlieren. Sie müssen sich zurückbilden, ungeachtet der Tatsache, daß es dabei zu fürchterlichen Rückbildungserscheinungen kommen muß.« 20 Die Frage nach der Zukunft der Großstädte und ihrer >Rückbildung< hat Scheffler seit Mitte der zwanziger Jahre dann mehrfach problematisiert: Zunächst 1923 in einem Vortrag vor dem Züricher Ingenieur- und Architektenverein, der im selben Jahr in der »Schweizerischen Bauzeitung« veröffentlicht wurde, 1926 leicht variiert in der »Neuen Rundschau«, einige Jahre später im Insel-Almanach auf das Jahr 1933 sowie schließlich als Kapitel in dem kulturkritischen Essayband »Der neue Mensch«, welcher 1932 ebenfalls im Insel-Verlag erschien.21 Alle diese Beiträge stehen deutlich unter dem Eindruck des Ausgangs des Ersten Weltkriegs und der wirtschaftlichen Depression der Nachkriegsjahre - Ereignisse, die bei Karl Scheffler tiefe Spuren und eine »Melancholie, die alles überschattete« 22 hinterließen. Durch den Niederbruch sah Scheffler sich in seiner Prognose bestätigt, wonach eine Krise der Wirtschaft auch die Großstadt existentiell bedrohen würde. Daß es solche Probleme in der Tat gegeben hat, steht dabei nicht zur Diskussion. Scheffler selbst verweist auf Engpässe der Versorgung mit Lebensmitteln und elektrischem Strom während der Kriegsj ahre, die streikbedingte Lahmlegung des Verkehrs während der Umbruchphase 1918/19 und die erdrückende Wohnungsnot der zwanziger Jahre. Entscheidend ist allerdings, daß Scheffler all diese Erfahrungen in ein zunehmend irrationaleres Licht stellte und als Symptome einer schicksalhaften Wendung der Geschichte interpretierte: »Schneller, als vorauszusehen war, haben wir inzwischen einen Weltbankrott der Wirtschaft erlebt, und in nicht zu übersehenden Symptomen kündigt sich auch schon eine Art von Auflösung, wenn auch nicht von Zertrümmerung der Großstadt an. Denn der Weltkrieg mit allen seinen Verwicklungen war schließlich die erste Folge einer unterirdisch wirksamen großen Weltwirtschaftskrise; er war ein Mittel der Geschichte, sich selbst zu korrigieren. Wobei es fraglich bleibt, ob diese eine große und grausame Selbstkorrektur genügt.« 23 Schon 1926 sah sich Scheffler übrigens veranlaßt, seine positiven Prognosen zur zukünftigen Gestalt der Großstadt, die er 1913 publiziert hatte, zurückzunehmen: »Ich nehme die Gelegenheit wahr, um [...] festzustellen, daß ich an eine solche Ausgestaltung

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Karl Scheffler, Die Zukunft Berlins, in: Vossische Zeitung, 13.4.1919, hier zit. nach ders., Der deutsche Januskopf, Berlin 1921, 40—41. Karl Scheffler, Die Zukunft der Großstadt, in: Schweizerische Bauzeitung, 81, 1923, 2 1 8 - 2 2 2 und 233-235; ders., Die Zukunft der Großstädte und die Großstädte der Zukunft, in: Neue Rundschau, 37,1926, 5 2 1 - 5 3 6 (eine identische Fassung publizierte die Deutsche Zeitung für Spanien [Barcelona], XI, 1926, Nr. 2 5 0 , 1 - 2 ; Nr. 2 5 1 , 1 - 4 ; XII, 1927, Nr. 2 5 3 , 1 - 2 ) ; ders., Die Zukunft der Großstadt, in: Insel-Almanach auf das Jahr 1933, Leipzig 1932, 5 5 - 6 6 ; ders., Der neue Mensch, Leipzig 1932. Scheffler, Die fetten und die mageren Jahre (wie Anm. 5), 332. Scheffler, Der neue Mensch (wie Anm. 21), 57-58.

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und das »Phantom

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der Großstadt nicht mehr glaube. Ich bin der Überzeugung, daß [...] in diesem Zukunftsbild etwas Utopisches enthalten war und daß die Wirklichkeit anders aussehen wird.« 24 Grundsätzlich versuchte Scheffler in den Schriften der zwanziger Jahre die Großstadtfrage aus einer anderen Perspektive her in den Blick zu bekommen. Das Problem Großstadt war für ihn plötzlich kein stadtplanerisches mehr, sondern ein die gesamte Kultur betreffendes. »Das Großstadtproblem«, so Scheffler nun, »ist das Lebensproblem selbst. Es ist nicht so, daß zuerst neue Gesellschafts- und Wirtschaftsformen entstehen, die sich dann in Städtebau und Architektur verwandeln, sondern es ist so, daß dieselbe Baugesinnung das Architektonische, Wirtschaftliche und Soziale umfaßt, daß alles aus derselben Wurzel wächst und zugleich entsteht.« 25 Die Metaphern des >Wachsens< und >Wurzelns< verweisen darauf, daß Scheffler die Großstadt nicht mehr als eine Art Mechanismus auffaßte, dessen reibungsloses Funktionieren durch planvolle Justage zu erreichen war: Die Großstadt mutiert in den Schriften der zwanziger Jahre vielmehr zu einem Organismus, dessen Gestaltwandel nichtsteuerbaren, gleichsam naturhaften Prozessen von Blüte und Verfall, Krankheit und Selbstheilung unterworfen ist. In diesem Sinne heißt es etwa an anderer Stelle: »Die Geschichte [...] ist außerstande sich zurückzubilden. Es ist unmöglich, die Großstadt mit reaktionärer Gesinnung abzubauen; sie kann nur durch sich selbst überwunden werden, wie Bazillengifte nur durch einen aus ihnen gewonnenen Impfstoff unschädlich gemacht werden. Oder um es anders auszudrücken: nur der Speer, der die Wunde schlug, heilt sie auch.« 26 Solche organologischen Deutungsmuster, die Martin Greiffenhagen für ein typisches Kennzeichen des deutschen Konservatismus hält,27 beruhen auf der Gegenüberstellung von Vorstellungen des Wachsens und Machens. Die Großstadt, so urteilte Scheffler in den zwanziger Jahren, läßt sich nicht planerisch >machenWeltstadt< am Ende des Lebenslaufs einer jeden großen Kultur« 2 9 : »Ein grauenvolles Elend, eine Verwilderung aller Lebensgewohnheiten [...] hausen in jeder dieser prachtvollen Massenstädte [...]. A b e r kein Elend, kein Zwang, selbst nicht die klare Einsicht in den Wahnsinn dieser Entwicklungen setzt die Anziehungskraft dieser dämonischen Gebilde herab«. 3 0 Wie ein G r u n d a k k o r d klingt in Scheffler Schriften zur Großstadt seit Mitte der zwanziger Jahre die von Spengler geborgte Uberzeugung mit, in einer solchen dem Untergang entgegenstrebenden kulturellen Spätzeit zu leben. Dies trifft indessen nicht minder auf den Essay »Phantom Großstadt« von 1947 zu. Wie klar ersichtlich hier im Vergleich mit Spengler bei Scheffler die Kontinuitäten zwischen den zwanziger Jahren und der Zeit nach 1945 sind, zeigt folgende Passage: »Daß alle über ein gewisses M a ß hinauswachsenden Großstädte S y m p t o m e einer Spätzeit sind, bösartige Wucherungen im Nationalorganismus, hat bereits die Geschichte der antiken Welt bewiesen [...]. D i e Massen [jedoch], deren Illusionsbedürfnis sich an allem Massenhaften sättigt, waren in der alten wie in der neuen Zeit stolz auf die H y p e r trophie ihrer Städte [...]. Bessere Einsicht warnte stets vergebens, sie predigte tauben O h r e n , wenn sie Katastrophen prophezeite, hervorgehend aus dem U b e r m u t eines selbstherrlich gewordenen Geldwesens, einer gedankenlosen Bevölkerungsvermehrung, einer kopflosen Industrialisierung und spitzfindigen Mechanisierung, aus rebarbarisierender Zivilisationssteigerung und Fortschrittswahn.« 3 1 Schefflers >Analyse< steigerte sich hier zu einer generellen Zivilisations- und F o r t schrittskritik mit hinlänglich bekannten konservativen Topoi: Großstadt als H o r t von U n z u c h t und Sittenverfall, allumschränkte Herrschaft eines amoralischen Geschäftsgeistes, Kritik an Fortschrittsgläubigkeit und Liberalismus der Moderne, welche in einer gewaltsamen Umwälzung gewachsene Ordnungen außer Kraft setzte. Von dieser rhetorischen Steigerung abgesehen, hat Scheffler seine Ansichten zur Großstadtkritik nach 1945 nicht grundsätzlich modifiziert, und die pessimistische Grundannahme, wonach die Großstadt das Sinnbild kulturellen Verfalls sei, gibt weiterhin den T o n an. Eines allerdings gibt nun für ihn den Ausschlag: D i e Ereignisse des Zweiten Weltkrieges hatten seine Voraussagen der zwanziger Jahre scheinbar bestätigt; aus den Prognosen der Zwanziger wird nach '45 ein N a c h r u f auf ein >Phantomherzhafte Skepsis< dankbar«, heißt es dort. »Nur dann, wenn wir es wieder aushalten können, ohne aufputschenden Optimismus zu leben, nur wenn wir die >Wahrheit, die zu Boden drückt< ertragen können, werden wir fähig sein, unser Leben und unser Land wieder aufzubauen.« 35 Solche beinahe fatalistischen Äußerungen sind im Zusammenhang zu sehen mit der Phase des politischen Ubergangs, in der sich Deutschland im Frühjahr 1947 befand. Noch stand die Wahrnehmung der Deutschlandpolitik der Siegermächte unter dem Eindruck des Morgenthau-Plans, den der amerikanische Finanzminister im September 1944 vorgelegt hatte. Dieser sah die Entmilitarisierung des Landes, den Rückbau der deutschen Schwerindustrie und die Umbildung Deutschlands zu einem Agrarstaat vor. Werner Durth und Niels Gutschow haben dargelegt, daß in Deutschland die mangelnde Kenntnis über die damals durchaus noch unklaren Pläne der Amerikaner kurz nach Kriegsende einen diffusen Hintergrund von Perspektiven und Ängsten abgab, »die sich auf die Zukunft einer entstädterten Gesellschaft richteten, für die sich die nackte Not des stets nur provisorischen Uberlebens auf unabsehbare Zeit verlängern könnte.« 36 In dieser Atmosphäre fanden Überlegungen zur Aufgabe der Städte und zu einem »Wiederaufbau vom Dorfe her« 37 bei vielen Architekten breite Unterstützung. Für die Zeitschrift »Baumeister« blieben Auflockerung der Städte, Einfamilienhaus und Ablehnung der Großstadt bis zu Beginn der 1950er Jahre die propagierten Leitbilder. Wieviel >Weltanschauliches< zugleich in dieser Grundhaltung steckte, zeigt die Tatsache, daß man an Schefflers Bußpredigt auch den Appell zu Sühne und Umkehr 32 33 34 35 36 37

Ebd., 78. Ebd., 79. Ebd., 78-79. Nachwort der Schriftleitung zu Scheffler, Phantom Großstadt (wie Anm. 1), 79. Werner Durth und Niels Gutschow, Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950, Bd. 1, Braunschweig 1988, 122. Ebd.

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gesenkten Hauptes annahm: »Vielleicht will uns Deutsche ein unbeschreiblich hartes Schicksal zwingen, entschlossen einen neuen Weg einzuschlagen, der wieder einmal zu einem anständigen Maß von Glück und Wohlstand führt. Der Herr züchtigt, die er liebt. Und vielleicht sind wir am Ziel, wenn die anderen Völker die Wanderung erst antreten müssen, weil sie begreiflicherweise einen überkommenen, aber überlebten Besitz freiwillig nicht aufgeben wollen [.,.].«38 Man sieht: Durch die Publikation von Schefflers Essay in der Fachzeitschrift »Baumeister« wird die an sich pragmatische Frage: Wiederaufbau oder nicht? an ein Ethos der Bescheidenheit, Reue und »Einkehr«39 gekoppelt. Der Text war damit ein kleiner Beitrag zur Beseitigung des »moralischen Schutts«40, den die nationalsozialistische Diktatur hinterlassen hatte. Der zweite Aspekt, der im Hinblick auf die Frage nach Kontinuität oder Neubeginn an Schefflers Großstadtkritik bedeutsam erscheint, ist die lange Perspektive, gewissermaßen der Weitwinkel, mit dem in dem Essay »Phantom Großstadt« über Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit geurteilt wird. In seiner verzerrten Optik lag in dem Essay gewissermaßen ein Stück moralischen Wiederaufbaus beschlossen. Denn den Status Quo, die faktische Auslöschung der Großstadt, deutete Scheffler als Resultat einer zu schnell und damit gleichsam unnatürlich verlaufenen Modernisierung, deren Ursprung er in weiter Ferne lokalisierte. Seines Erachtens hatten der uferlose kapitalistische Expansionstrieb nach 1870 und der rasante Aufstieg zur Industrienation zur Zeit des Wilhelminismus den Grundstein für den Untergang gelegt: »Deutschland, allen immer >in der Welt voranKampfschrift< wahrgenommen und war als solche konzipiert. Der Text, der unmittelbar nach seinem Erscheinen in einem Atemzug mit Hans Sedlmayrs einflußreichem Buch »Verlust der Mitte« und Wilhelm Hausensteins Schrift »Was bedeutet die moderne Kunst. Ein Wort der Besinnung« genannt wurde, ist heute weitgehend unbekannt. 12 Deshalb wird der Text, der als wichtiger Beitrag zu der zeitgenössischen Kontroverse um das Menschenbild der Zeit, wie sie im sog. Darmstädter Gespräch des Sommers 1950 kulminieren sollte,13 zunächst mit einigen seiner zentralen Thesen vorgestellt. In der Folge wird er im Kontext von Schlichters eigener Entwicklung und abschließend im Kontext seiner Veröffentlichung situiert. Die Originalausgabe von Schlichters Text erschien 1949 im renommierten RowohltVerlag, umfaßte 86 Seiten, war im Unterschied zur Neuausgabe unbebildert und besaß einen von Hans Bohn gestalteten abstrakten Umschlag. 14 Schlichter unternimmt in seinem Buch den teilweise brisanten und aufgrund von rassistischen und völkerpsychologischen Denkhaltungen mitunter anstößig wirkenden Versuch einer interpretierenden Sicht auf die Kunstentwicklung seit der Renaissance. Für die Mitte des 14. Jahrhunderts wird von ihm in der europäischen Kunst ein tragischer Bruch, die Genese eines Zwiespalts ausgemacht, der in einer Entzweiung des »nordischen Menschen« mit sich selbst liege. Schlichter beschreibt ein von ihm vermutetes Trauma, das das Resultat einer verhinderten eigenständigen Entwicklung sei. Primäre Ursache dafür war seiner Ansicht nach der »Einbruch des Christentums« in die schwer zu bändigende »Totschlägerseele des nordischen Menschen«, der »eine permanente, daseinsbedrohende Unruhe in seine Existenz« (9) brachte. Sie trat mit der Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance in ein akutes Stadium, da die Synthese von naturdämonischem, antikem Heidentum und Christentum kaum möglich sei. Schlichter, der die Verwendung medizinisch-pathologischer Ausdrücke liebt, charakterisiert den historischen Wandel als Ablösung der spätgotischen Neurose »durch den fiebrigen Rausch daseinsfreudiger Leibesbejahung« (10). Die Kunst wurde dabei jedoch unter dem Einfluß der Humanisten - zum Spielzeug gelehrter Fürsten und so dem Ver-

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Vgl. Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg 1948 und Wilhelm Hausenstein, Was bedeutet die moderne Kunst. Ein Wort der Besinnung, Leutstetten vor München 1949. Mit seinem Kronzeugen Sigmund von Radecki sah Hausenstein, dem es in dieser Schrift schließlich auf eine religiöse Erneuerung der Gegenwart ankam, in der Gegenwartskunst seiner Zeit »ein fast nur noch formalistisches Phänomen, das sich jenseits des gegenständlichen Bildes, insbesondere jenseits des »Gebetsbildes« abspielt und eine allgemeine Auflösung dokumentiert.« Ebd., 9. Sedlmayr berief sich wiederum auf Schlichter in seinem Buch Die Revolution der modernen Kunst, Hamburg 1955, 11, Anm. 1. Vgl. Erstes Darmstädter Gespräch »Das Menschenbild in unserer Zeit«, hrsg. von Hans Gerhard Evers, Darmstadt o.J. (1950/51). Im folgenden wird nach der Neuausgabe des Textes zitiert: Rudolf Schlichter, Das Abenteuer der Kunst und andere Texte, hrsg. von Dirk Heißerer, Berlin 1998. Nur bei dieser Schrift werden Zitate direkt mit der Seitenzahl im Text belegt.

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ständnis der einfachen Menschen entzogen. Als einziges Verdienst der italienischen Renaissance, deren Dominanz mythologischer Themen Schlichter als lächerlich unglaubwürdig 15 und als »gespenstisches Scheinleben« empfindet, erscheint ihm die Wiederentdeckung des schönen Menschen. Er wurde jedoch in bedenklicher Weise zum Selbstzweck erhoben und aus dem Gesamtzusammenhang der harmonischen Natur herausgelöst. (Vgl. 16-17) Die gesamte Entwicklung erscheint bei Schlichter wie ein neuer Sündenfall: »Wie schon gesagt, war das Erwachen des »Naturgefühls«, das den Zusammenbruch des mittelalterlichen Weltgefühls begleitete, ein von den Humanisten künstlich erzeugtes Treibhausgewächs. Der Mensch dieser bedeutungsschweren Wende, bis dahin eingebettet in die Glorie des geoffenbarten Christus, wurde aus diesem mystischen Mutterschoß hinausgetrieben in das grelle Licht der neuen nominalistischen Sonne. Die Wahrheit des Glaubens, in dessen schützender Aura gehüllt er gleichsam mit geschlossenen Augen über seine Erde gewandelt war, begann sich unter der Wirkung rationalistischer Doktrinen zu verflüchtigen.« (18) Einen scharfen Bruch bedeuteten nach Schlichter nochmals die Aufklärung, die Französische Revolution und die sich anschließende Industrialisierung: »Auch hier beobachten wir wieder dasselbe Phänomen, das alle revolutionären Krisen im abendländischen Raum kennzeichnet, nämlich die Überwältigung ursprünglicher seelischer Triebkräfte durch eine rationalisierende Ideologie. Und je mehr der zivilisatorische Prozeß fortschreitet, d.h. je mehr sich der industrielle Mensch der leergewordenen Positionen der alten Gesellschaft bemächtigte, desto dünner wird die Luft für eine originäre Kunst.« (45, vgl. auch 60) Zwar kann Schlichter für die Zeit um 1800 noch eine Reihe großer Einzelgänger - er nennt namentlich Blake, Füssli und Goya - ausmachen, doch das 19. Jahrhundert ist der Kunst insgesamt nicht günstig und endet schließlich im Impressionismus, in dem Schlichter trotz aller Stofferweiterung die »ödeste und trostloseste« Kunst erblickt, die man sich denken könne. Sie war »materialistisch, gott- und götterfremd« und löste das »metaphysische Wertgefüge« endgültig auf. (48 und 52) Eine Gegenposition nahmen allein die Symbolisten ein, und so entsteht bei Schlichter unter der Hand das Panorama einer linearen, nur selten durchbrochenen Verfallsgeschichte der Kunst. Von besonderem Interesse sind an dieser Stelle Schlichters Stellungnahmen zur Kunst der klassischen Avantgarde und zur unmittelbaren Gegenwart, nahm er doch mit ihnen an dem aktuellen Streit um die moderne Kunst teil. Schlichter vermag ihre Erscheinungsformen in weiten Teilen nur noch als »Symptome des Abrutschens in die kommende Anarchie« zu deuten. (65) Konsequent wird die Kunst der Zeit als ein Vorscheinen der heraufziehenden totalitären Despotien gedeutet, die als Konkursverwalter des sich zersetzenden, langen 19. Jahrhunderts auftreten, das mit dem Ersten Weltkrieg in eine wahre »Katastrophenperiode« mündete. Die entscheidende Ursache dafür sieht Schlichter in dem vollständigen Verlust eines »universale[n] Weltbild[s]«, »haltbarer Uberlieferungen« und »Werttafeln« begründet. Diese lagen »zertrümmert auf dem Scherbenhaufen der Zivilisation oder vergingen in der ätzenden Lauge demagogischer

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Heilslehren, die als verkappte Ersatzreligionen mehr und mehr die entleerten Gemüter und erschöpften Nerven für ihre dunklen Zwecke aufmöbelten.« (66) Die Ismen des frühen 20. Jahrhunderts erscheinen vor dieser Folie als bloße Spiegelbilder historischer Entwicklungen: Der Futurismus als rücksichtslose Bejahung von Tempo und Technokratie, dessen Simultaneität die ehemals festumrissene Gestalt des Menschen in »ein gestalt- und gesichtsloses Kampffeld von Kräften verwandelt.« (69) Der Expressionismus verkommt, angesichts seiner Suche nach religiöser Ursprünglichkeit, aufgrund des Fehlens »eines eindeutig religiös-metaphysischen Grundes« zu »wildestem Subjektivismus«. 16 Der Dadaismus wird zum Abkömmling des Expressionismus, wobei »die Negation um der Negation willen hier ihren tiefsten Punkt erreicht. Es war der Rausch des absoluten Nihil« und gerade darin Widerspiegelung der »innerste[n] Verfassung des modernen Bürgers«. (77) Es sind diese scharf akzentuierten Beobachtungen und Wertungen eines ehemals zentralen Vertreters des Dadaismus, der an der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin teilgenommen hatte, die den vorliegenden Text zu einem Schlüsseldokument für die radikale Selbstkritik einer gescheiterten Avantgarde in Deutschland werden lassen. Sie findet im übrigen Parallelen bei den zentralen Protagonisten des Dadaismus, Hugo Ball und Walter Serner, die sich ebenfalls von der Richtung radikal distanzierten, als sie ihrer Ansicht nach in zynischer Attitüde leerlief.17 Es folgen weitere, ausführliche Kritiken des Kubismus - dessen herausragende kunstgeschichtliche Bedeutung der Autor keineswegs verkennt, dessen formale Errungenschaften und Freiheiten er jedoch fast zwanghaft mit der Entleerung des Himmels, der Entzauberung der Welt und dem Verlust aller Werte parallelisieren muß - und am Suprematismus/Konstruktivismus - den er provozierend als primäres Produkt von Slawen, Ostjuden und protestantischen Bilderstürmern deutet. Erst dann beschäftigt sich Schlichter mit der Gegenwart, d.h. der abstrakten Malerei. Die scharfen Kontroversen, die inzwischen von den Vertretern der Abstraktion und ihren Gegnern geführt wurden,18 möchte er beenden und nicht weiter anstacheln. Der Künstler hat sich trotz vielfältiger Kritik nicht prinzipiell gegen die Abstraktion gewandt, vielmehr lehnt er den 16

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Allerdings konzediert Schlichter, der sich an dieser Stelle selbst teilweise der Richtung zurechnet, daß aus den Werken des Expressionismus »der erschütternde Schrei des in seiner Existenz tödlich getroffenen Menschen« hervorbrach. (72) Vor der Kommerzialisierung des Stils habe diese Richtung das Potential besessen, den Menschen aus seiner dumpfen Fortschrittsgläubigkeit herauszureißen, das jedoch verspielt wurde. Vgl. dazu die Hinweise in meinem Beitrag » A voluntary international madman« Christian Schad and the Avant-Garde 1 9 1 5 - 2 0 , in: Kat. Christian Schad and the Neue Sachlichkeit, ed. by Jill Lloyd and Michael Peppiatt, Neue Galerie N e w York, N e w York 2004, 2 9 - 3 7 . Vgl. aus zeitgenössischer Perspektive zusammenfassend Franz Roh, Streit um die moderne Kunst. Auseinandersetzung mit Gegnern der modernen Kunst, München 1962. A u s der Fülle der Gesamtdarstellungen und Uberblickskataloge sei weiterhin hervorgehoben Jost Hermand, Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1 9 4 5 - 1 9 6 5 , München 1986. Vgl. ferner Yule F. Heibel, Reconstructing the Subject. Modernist Painting in Western Germany, 1 9 4 5 - 1 9 5 0 , Princeton/NJ 1995 und »Flächenland«. Die abstrakte Malerei im frühen Nachkriegsdeutschland und der jungen Bundesrepublik, hrsg. von Hans Körner, Tübingen und Basel 1996.

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seiner Ansicht nach postulierten universalen Anspruch ihrer Protagonisten als dogmatisch und intolerant ab. Sein immer wieder variiertes Hauptproblem ist indes die Konstatierung eines umfassenden Verlustes des Glaubens »an eine allgemein verbindliche Wahrheit«. Sie ist nicht wiederzugewinnen, wäre eher das Resultat göttlicher und - so fügte Schlichter selbst hinzu - , nach den Schrecken von Weltkrieg und Holocaust, unverdienter Gnade. Es ist nun der Surrealismus, in dem Schlichter einen Ansatzpunkt »zu einer möglichen U m k e h r aus unserer verfahrenen Situation vermute(t).« (103) I n ihm erkennt er, trotz einiger kritischer Bemerkungen, den » K e i m einer echten Hinwendung zur Transzendenz« und den Versuch, »das schwer Faßbare unserer Existenz in der Welt, das Paradox, von dem wir gelebt werden, sichtbar zu machen.« (104) In den 1920er Jahren, als Schlichter selbst dem Verismus anhing, habe der Surrealismus noch zu sehr unter dem destruktiven Einfluß Dadas gestanden. Mit der Heraufkunft des Nationalsozialismus erwuchs ihm jedoch ein neuer, existentieller Ernst, der dem Menschen seine wahre Situation, die »Fragwürdigkeit unseres Existenzgrundes mittels alptraumartiger Bilderausgeburten« deutlich machen konnte. 1 9 R u d o l f Schlichter gehört zu jenen Doppelbegabungen wie A r n o l d Schönberg oder Alfred K u b i n , die nicht nur in einer K u n s t f o r m Talent besaßen. 1932 und 1933 kamen seine beiden ersten autobiographischen Schriften einer projektierten Trilogie heraus, bereits 1931 war »Zwischenwelt. E i n Intermezzo« erschienen und Schlichter arbeitete trotz seiner Entfernung aus der Reichsschrifttumskammer nach 1933 weiter an zeit- und kunstkritischen Texten. 2 0 Bedeutsam ist hier der bereits 1930 publizierte Text »Kritik der Kritik«, der bei seiner Erstveröffentlichung u m einige brisante Passagen redaktionell gekürzt worden war. D e n n o c h war der Beitrag weiter versehen mit einer scharfen Sentenz gegen die Moderne, insbesondere gegen jene aus Paris importierte »Zöllner-, Briefträger- und Negerkunst, mit der man ernsthaft versucht, deutschen geistigen M e n schen K o p f und Augen zu verkleistern.« 2 1 Vor allem aber die Wendung ins Religiöse und Nationale wurde in dem Text klar zum Ausdruck gebracht. In diesen beiden Bereichen sah Schlichter die stärksten seelischen Wurzeln des künstlerischen Schaffens - nicht im Sozialen, wie er in dezidierter Abgrenzung vom 19

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Vgl. zum Komplex einer Ikonographie des Schreckens, der Untergangsvisionen und der Katastrophen Walther Krüger, Das Gorgonenhaupt. Zukunftsvisionen in der modernen bildenden Kunst, Musik, Literatur, Berlin 1972. »Zwischenwelt« ist nicht nur ein Bekenntnisbuch im Sinne der schonungslosen Selbstoffenbahrung, sondern auch eine gnadenlose Abrechnung mit an sich selbst wahrgenommenen intellektuellen Fehlentwicklungen. So heißt es beispielsweise: »[...] längst glaubte er die Zugänge zu jener Vergangenheit verschüttet, glaubte das Ideal jener Zeit in den ätzenden Säuren eines zerebralen, sachliche Lebensbewältigung vorschwindelnden Intellektualismus aufgelöst. Die Kräfte der Seele und des Blutes schienen erstorben, [...]«. Rudolf Schlichter, Zwischenwelt. Ein Intermezzo (1931), Berlin 1994,21-22. Rudolf Schlichter, Kritik der Kritik (1930), in: ders., Die Verteidigung des Panoptikums. Autobiographische, zeit- und kunstkritische Schriften sowie Briefe 1930-1955, hrsg. von Dirk Heißerer, Berlin 1995, 209-212, hier 211. Vgl. zum gesamten Komplex Olaf Peters, Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus. Affirmation und Kritik 1931-1947, Berlin 1998.

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Verismus hinzusetzte - und die Kunst habe in starker Entgegensetzung zum zivilisatorischen Zustand der Gesellschaft eine konservativ-kompensatorische Funktion wahrzunehmen. 1933 verfaßte Rudolf Schlichter zusammen mit Paul Wilhelm Wenger unter dem Titel »Grundsätzliches zur deutschen Kunst« eine kunstpolitische Denkschrift, die aber wohl nie an die neuen Machthaber weitergeleitet wurde. An ihr zeigt sich ein gehöriges Maß an weltanschaulicher Verblendung. Im vorliegenden Zusammenhang ist der Text wichtig, weil er als zentrale Prämisse für den gegenwärtigen Zustand der Kunst um 1933 die welthistorische Zäsur der Französischen Revolution benennt: »Der Geist der Revolution von 1789, mit der die letzte geschlossene europäische Kulturepoche ins Grab stieg, hat die Menschheit seither zu keiner entscheidenden einheitlichen Leistung in der Gesamtkultur gelangen lassen.« 22 Die Phase der Machtergreifung erlebt Schlichter als Ubergangszeit, wobei er das Ende der Demokratie - den Geist von 1789 - ausdrücklich begrüßt. Der politische Wandel ziehe aber nicht automatisch auch neuen Menschen nach sich und dieser Prozeß werde noch lange andauern: »Wir leben daher in einer Zeit des Ubergangs und gesteigerter Gärung, die voraussichtlich noch lange dauern wird; denn der alte Adam ist noch nicht tot, und der neue, der Träger einer neuen totalen Kultur werden muß, wenn er seinen rassischen Führeranspruch durchhalten will, ist erst im Werden. Die Menschheit, ein Volk denkt in Generationen!« 23 Es ist der tiefe, verunsichernde Bruch zwischen Barock und der Moderne um 1800, der den Künstler an der Gegenwart leiden und sogar kurzzeitige Zuflucht zum Nationalsozialismus nehmen lies. Katholizismus, revolutionärer Konservatismus, Antiliberalismus und radikale Modernitätskritik gingen dabei eine brisante Mischung ein. Allerdings setzte bei Schlichter bald ein schmerzhafter Selbsterkenntnisprozeß ein, der ihn in Opposition zum Regime brachte. (Abb. 3) Wenn man nach diesen kurzen Hinweisen Schlichters Beitrag zur kritischen Diskussion der modernen Kunst nach 1945 einschätzen will, dann kann man festhalten, daß »Das Abenteuer der Kunst« selbst kaum durch die aktuelle Debatte veranlaßt war. Vielmehr war der Text das Resultat kontinuierlicher Überlegungen seit den späten 1920er Jahren und eines Ablösungsprozesses des Malers von den Positionen der Avantgarde. Zugleich stellten die weitgespannten Überlegungen eine Strategie der Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung dar, die Schlichter angesichts der Herausforderung durch den Nationalsozialismus weiter forcierte und mit langfristigen historischen Perspektiven versah. Freilich stellte der Text bei seinem Erscheinen vor allem aber eine dezidierte Positionierung im Rahmen der aktuellen Debatte dar. Klar ist, daß Schlichter nicht als pauschaler Gegner der modernen Kunst bezeichnet werden kann. Er wurde jedoch zunehmend zum Gegner der ungegenständlichen Malerei und sprach sich scharf gegen den vermeintlichen oder tatsächlichen Dogmatismus der 22 23

Rudolf Schlichter, Grundsätzliches zur deutschen Kunst (1933), in: Schlichter 1995 (wie Anm. 21), 2 1 3 - 2 1 6 , hier 213. Ebd.

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3 Rudolf Schlichter, Sie entfloh, 1951, Aquarell und Gouache auf Papier, 71,5 χ 50,5 cm, Kunsthandel (1998)

Richtung aus.24 Überdies kritisierte er den Verlust der Regeln der Kunstproduktion, die fahrlässige Popularisierung der hart erarbeiteten formalen Errungenschaften der Avantgarde sowie eine fundamentale Unkenntnis der Geschichte der Kunst: all dies führte zu einem Überhandnehmen der Dilettanten. Nach Schlichter wurde die Moderne immer mehr zum bloßen Surrogat und modischen Kompensationsmedium angesichts einer orientierungslosen Realität: zur »Flucht aus der Wirklichkeit«. (126) Kulminieren konnten diese Ansichten des Malers im privaten Austausch in der perfiden Sentenz: »Unter uns gesagt, das mit der Entartung war gar nicht so falsch, es kam nur aus den Unrechten

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So heißt es in einem Brief von Rudolf Schlichter an Ernst Jünger vom 22.6.1949: »Der berühmte Rückgriff auf die Zeit vor 1933 hat sich auf allen Gebieten als eine Niete herausgestellt, in der Politik ebenso wie in der Kunst. Daß zur Zeit noch die Epigonen des Niemandstils der Abbruchzeit im Vordergrund agieren, ist nur aus dem bekannten Naturvorgang zu erklären, daß, wenn man Tümpel und Abwasserbassins aufrührt, allemal eine gewisse Materie nach oben kommt. N u n auch diese wird bald abschwimmen; was kommt, wissen wir allerdings nicht, wir tappen da noch ahnungsvoll im Zwielicht. Indes scheint es mir, daß uns aufgegeben ist, wieder eine verbindliche Form zu finden, Aussage u. Gestalt wieder glaubhaft zu machen. Das ist keine leichte Aufgabe u. sicher mit viel schmerzhaften Einbußen verbunden; in der Kunst kann man dies weder auf Picassistische noch Baumeister'sehe Weise u. noch weniger mit N o n objective Painting erreichen. Ich selbst habe zu diesem Thema eine Broschüre betitelt >Abenteuer der Kunst* (bei Rowohlt) geschrieben.« Zitiert nach Jünger - Schlichter 1997 (wie Anm. 9), 227.

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Mäulern, die anderen waren zu feig, es auszusprechen, sie überließen das den Unterweltlern, sehr zu ihrem eigenen Schaden.« 25 Schwieriger zu fassen und weitaus komplexer als die allgemeine Distanzierung von einer inflationären, kunsthandwerklichen gegenstandslosen Moderne sind für die Bewertung des Konservatismus der Nachkriegszeit Aspekte, auf die ich abschließend hinweisen will. Schlichters Ausführungen zur Kunst fügen sich in den konservativen Diskurs der Interpretation des Nationalsozialismus wie der Demokratie nach dem Krieg. 26 Seine Ausführungen hinsichtlich des eigenen Zeitalters als Resultat der Entwicklungsschübe der Moderne seit der Französischen Revolution und der Industrialisierung stehen ganz unter dem Eindruck der Herrschaft und der Verbrechen des Dritten Reichs. Sie wollen deshalb mittelbar zur Beantwortung der Frage nach dem Wesen und den Ursachen des Nationalsozialismus beitragen - die Malerei zeigt das überdeutlich. Sie sind insofern Bestandteil eines allgemeinen, häufig noch unter der Herrschaft des Regimes einsetzenden Prozesses der Abkehr der konservativen Intelligenz. Daß Schlichter, der mit seinen Mitteln aktiv am Untergang der Demokratie mitzuwirken versucht hatte, dabei als ein Musterbeispiel für eine später korrigierte geistige Verirrung fungieren kann, entbehrt nicht der Ironie. Sie ist aber für den nationalistisch-antidemokratischen Konservatismus, wie er auch gerade von Vertretern des katholischen Milieus mit einem Hang zur ständestaatlich-autoritär geprägten Vision des Reiches gepflegt wurde, zeittypisch. 27 Angesichts der Person des Künstlers stellt sich die schwierig zu beantwortende allgemeine Frage nach der Transformation eines antidemokratischen Nationalismus der späten Weimarer Jahre in einen gemäßigten, wenngleich weiterhin stark kulturkritisch geprägten Konservatismus, der für die erfolgreiche Gründung einer antitotalitär ausgerichteten Demokratie konstitutive Bedeutung besaß. Trotz aller problematischen Kontinuitäten darf doch festgehalten werden, daß der Konservatismus nach 1945 ein neues Gesicht besaß. Schlichter hat in vielfacher Weise an den antimodernen Interpretamenten der Konservativen teil, nur handelt es sich in der Regel nicht länger um antidemokratische und nationalistische, wie sie für die Weimarer Epoche prägend waren. Hier zeigt sich trotz aller Kontinuität ein Neubeginn. Der Nationalsozialismus wurde nach 1945 allgemein als Produkt der Säkularisation, der Vermassung und des Verlustes des Glaubens sowie des Abfalls von Gott gedeutet. 25 26

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Brief Rudolf Schlichters an George Grosz vom 18.12.1948, zitiert nach Schlichter 1995 (wie Anm. 21), 3 1 0 - 3 1 3 , hier 3 1 1 . Vgl. umfassend Helga Grebing, Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1971. Grundlegend ist dabei die konservative Prämisse, den Nationalsozialismus u.a. als Resultat eines Ubermaßes an Demokratie in der Weimarer Epoche zu interpretieren. Vgl. dazu auch Hans Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Karl-Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1 9 1 8 - 1 9 3 3 , Bonn und Düsseldorf 1987, 552-586. Vgl. dazu allgemein Norbert J. Schürgers, Politische Philosophie in der Weimarer Republik. Staatsverständnis zwischen Führerdemokratie und bürokratischem Sozialismus, Stuttgart 1989.

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Es war die fundamentale, das Zeitkontinuum aufsprengende historische Zäsur des Jahres 1789, die nach dem Untergang des Dritten Reiches als zentrales Erklärungsmoment für die Situation der Gegenwart fungierte. D e m wurde häufig das Konzept eines christlich fundierten Abendlandes entgegengesetzt, mit dem eine kulturelle Einheit beschworen wurde, aus der eine geistige Erneuerung erwachsen sollte. 28 Auch für Schlichter muß der Einzelne in sich eine Mitte wiederfinden, »jene Mitte, die sein Anteil am Göttlichen in der Welt ist.« (129) Eine kulturelle Elite hat bei dieser Suche voranzugehen und einen neuen Humanismus gegen das roboterhafte Zeitalter der reinen Zivilisation zu etablieren. Gegen die gesellschaftliche Atomisierung, ja Termitisierung (173), setzte er die diffusen Wunschbilder einer »Wiedergeburt des Glaubens« und der »Wiederherstellung des Menschen«. 2 9 Unklar bleibt, welche konkrete Rolle die Kunst dabei zu spielen hätte und wie sie auszusehen habe. Schlichter formulierte zu keinem Zeitpunkt eine konkrete, normative Kunstvorstellung, sondern grenzte sich negativ von der Gegenstandslosigkeit ab, ohne die eigene Formensprache aufzugeben. Trotz einer beobachtbaren Nähe besteht hier dennoch eine Differenz zu Hans Sedlmayr, da Schlichter die moderne Kunst zwar in weiten Teilen, nicht aber pauschal als Symptom für den Zustand des gegenwärtigen Zeitalters als Nihilismus abwerten kann. Dies unterscheidet den Praktiker fundamental vom Theoretiker und verbindet ihn mit dem von der Kunst affizierten Literaten Ernst Jünger. Das Leiden an den scheinbar unaufhaltsamen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Moderne seit dem späten 18. Jahrhundert 30 artikuliert sich bei Schlichter in dem verzweifelten Bemühen einer Bestandsaufnahme jenes gesellschaftlich ausdifferenzierten Bereichs der Ästhetik, der in Relation zu den beiden zentralen Sphären von Wissenschaft/Technik und Gesellschaft/Ethik gesehen wird. Es scheint, daß

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Vgl. dazu Dagmar Popping, Abendland. Christliche Akademiker und die Utopie der Antimoderne 1900-1945, Berlin 2002. D a ß dies aber nicht die einzige Interpretation des Abendlandbegriffs sein mußte, kann exemplarisch das Beispiel Friedrich Dessauer deutlich machen, der eine betont rationalistische N o t e in die Diskussion brachte, die die christliche fast vergessen machte. Vgl. Friedrich Dessauer, Reflexionen über Erbe und Zukunft des Abendlandes, Köln und Opladen 1956. Rudolf Schlichter, Die geistige und soziale Gefährdung des Künstlers (1950), in: Schlichter 1998 (wie Anm. 14), 162-175, hier 172 und 174. Mit Blick auf die späten Werke von George Grosz meinte Schlichter 1949: »Er ist einer der wenigen, die den Verlust des Menschenantlitzes mit Schaudern erlebt haben und der Kunde gibt von der schrecklichen Agonie, von der der Mensch am Ende seiner neuzeitlichen Geschichte heimgesucht wird.« Zitiert nach ebd., 246. Im Darmstädter Gespräch wurde dieser Sachverhalt unter dem Etikett des >Verlustes der Ebenbildlichkeit des Mens c h e n diskutiert. Vgl. Erstes Darmstädter Gespräch (wie Anm. 13), 106-108. Vgl. auch schon Hausenstein 1949 (wie Anm. 12), 26. Vgl. zum hier angesprochenen Aspekt der >Vermassung< Grebing 1971 (wie Anm. 26), 84-103. Daß Schlichters Prämissen von dem Apologeten der gegenstandslosen Moderne geteilt werden ist dabei bemerkenswert. Vgl. Werner Haftmanns Manuskript von 1948 Der autonome Mensch, in: ders., Skizzenbuch. Zur Kultur der Gegenwart. Reden und Aufsätze, München 1960, 2 4 - 2 6 . Vgl. ferner Sedlmayr, Verlust der Mitte (wie Anm. 12), 166-172.

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Olaf

Peters

Schlichter nicht bei dem Kompensationskonstrukt der frühen 1930er Jahre stehen bleiben wollte, das eine fundamentale Entwertung des Ästhetischen bedeutet hätte.31 Es sind die implizit gestellten Fragen nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft sowie nach der Rolle der Kunst in der Moderne, die Schlichters Position eine gewisse Relevanz verleihen. Auch wenn der Künstler unfähig erscheint, eine plausible Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert der sog. ästhetisch-expressiven Rationalität zu geben: mit der Parallelisierung von Gesellschaftsentwicklung und Kunst liegt sie als theoretisches Problem auf dem Tisch und harrt einer Antwort. Dem zentralen Dilemma des Konservatismus - auf dem Boden der Aufklärung stehend, diese fundamental zu kritisieren - ist auch Schlichter nicht entronnen.32 Den Fehler Sedlmayrs - den Mangel der Zeit an den Kunstdenkmälern selbst abzulesen und die systemspezifische Modernität der Kunst nicht in notwendiger Korrespondenz zur Verfaßtheit der modernen Gesellschaft zu deuten - , diesen Fehler hat der Maler aber aufgrund seiner eigenen Biographie als Avantgardist nicht verabsolutiert: Sein malerisches Werk dementiert ihn als Kunsthistoriker.

31

32

Dabei erkannte Schlichter die real gegebene, höchstens periphere gesellschaftliche Stellung der K u n s t und forderte 1 9 4 9 in einem Radiogespräch mit W e r n e r Gilles und Richard O t t : » A l s o ich bestätige, daß w i r kultische Räume brauchten und daß w i r auch so eine A r t sakrale A t m o s p h ä r e brauchten, in der die K u n s t wirksam w i r d . A b e r w o soll das heute geschehen? W o sind die M ö g lichkeiten, daß das geschieht? Heute w o die Öffentlichkeit nur daran interessiert ist, Zweckräume, Zweckbauten, alles nur auf wirtschaftliche oder soziale M o m e n t e gerichtete Bauten zu errichten, oder Anstalten zu errichten, aber f ü r Kultisches und f ü r Kultbauten ist w e d e r Geld, noch das Bedürfnis, noch ist der Wille dazu vorhanden.« Zitiert nach Schlichter 1 9 9 8 (wie A n m . 14), hier 184. Vgl. Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1986, 353.

Die >Freiheit< der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland: »Das Kunstwerk« als Forum der Kunstgeschichte Dorothee

Wimmer

Trotz großer wirtschaftlicher Not, trotz Papiermangels und komplizierter Druckgenehmigungsverfahren wurden schon in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland unter alliierter Kontrolle mehrere Kunstzeitschriften aufgelegt: Unter ihnen das »Prisma«, seit 1947 vom Münchner Verleger Kurt Desch herausgegeben, die »Aussaat. Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft«, die seit 1946 im Bürger-Verlag in Lorch-Stuttgart erschien, und die in Berlin von den Künstlern Carl Hofer und Oscar Neriinger gegründete »bildende kunst. Zeitschrift für Malerei, Graphik, Plastik und Architektur«.1 Doch bereits 1948, im Jahr der Währungsreform, wurde das Erscheinen von »Prisma« und »Aussaat« eingestellt, 1949 auch das der Zeitschrift »bildende kunst«, die nach einigen Jahren der Unterbrechung 1953 vom Verband Bildender Künstler Deutschlands in der Deutschen Demokratischen Republik neu herausgegeben wurde. Einzig »Das Kunstwerk. Eine Monatsschrift über alle Gebiete der bildenden Kunst« (Abb. 1) erschien seit 1946 kontinuierlich Jahr für Jahr, manchmal mit zwölf, manchmal aufgrund der produktionstechnischen Schwierigkeiten in den ersten Nachkriegs jähren auch mit weniger Heften. Woldemar Klein (Abb. 2) hatte diese Kunstzeitschrift, die in der Folgezeit zu einem der wichtigsten Publikationsorgane für die Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart in Westdeutschland werden sollte, 1946 in der französischen Besatzungszone in Baden-Baden gegründet. Klein, gebürtiger Petersburger, war nach einem Studium der Architektur an der Technischen Hochschule in Karlsruhe bereits zwischen den beiden Weltkriegen als Verleger tätig gewesen, zunächst in München, seit 1933 in Berlin. Er hatte russische Literatur, aber auch zunehmend Kunstbücher aufgelegt.2

1

2

Diese Zeitschriften hatten die notwendige Lizenz durch die jeweilige Besatzungsmacht erhalten. Auf Papiermangel und technische Schwierigkeiten bei der Produktion, die zum einen eine reduzierte Seitenzahl, zum anderen eine Verzögerung des Erscheinens bewirkten, wurde auch in den Zeitschriften selbst immer wieder hingewiesen; vgl. etwa D i e Redaktion, in: bildende kunst, 1, 1947, H e f t 6, 29; vgl. auch D i e Schriftleitung/Der Verlag, An die Bezieher und Leser des Kunstwerks, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 2, 1. Vgl. etwa das im Berliner Woldemar Klein Verlag erschienene Buch Ulrich Christoffel, Von der griechischen Antike bis zur deutschen Romantik. Eine Einführung in die europäische Kunst, Berlin 1941.

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Dorothee

Wimmer

1 Erstausgabe von »Das Kunstwerk«, 1946 (Einband)

Die >Freiheit< der Kunst im westlichen

Nachkriegsdeutschland

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Schon der Titel der Zeitschrift »Das Kunstwerk« verweist auf die Intention Kleins. Es gehe nicht primär darum, so schrieb er im Geleitwort zur ersten Ausgabe, Kunstwerke zu »beschreiben« oder zu »zergliedern«, sondern einen Zugang zur Schönheit des einzelnen Werks zu vermitteln. 3 Ebenso wie das Lesen einer Dichtung müsse dieses Seherlebnis »gelernt und immer wieder eingeübt werden«, um »zum eigentlichen künstlerischen Wesen des Kunstwerks«, dem »Funken seiner göttlichen Sendung«, vorzudringen. 4 Diese Zielsetzung, das Kunstwerk als Ausdruck seiner Schönheit in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, spiegelt sich insbesondere im Umfang der Abbildungen und in der Qualität des Papiers wider, die »Das Kunstwerk« in seiner Ausrichtung und in seinen materiellen Möglichkeiten in der Nachkriegszeit deutlich von anderen Kunstzeitschriften abhob. »Neue und alte Kunstwerke in schöner, mannigfaltiger Auswahl und bester Wiedergabe (trotz gegenwärtiger materieller Hindernisse) vorzuführen«, so der Verleger Woldemar Klein, »[...] das ist die so einfache und so schwierige Aufgabe, die wir uns mit der Zeitschrift DAS KUNSTWERK gestellt haben.« 5 Während in der Zeitschrift »bildende kunst«, von Carl Hofer und Oscar Neriinger in der sowjetischen Besatzungszone herausgegeben, die soziale Funktion von Künstler und zeitgenössischer Kunst »nach dem Inferno des Dritten Reiches« herausgestrichen wurde, 6 enthob Woldemar Klein das einzelne Werk, gedacht als zeitlos-ästhetisches Sein, den Sphären wirtschaftlicher, sozialer und politischer Zusammenhänge: »Irdische Gewalten«, so der Verleger, »können wohl die Künstler unterdrücken und sogar vernichten; der Kunst selbst gegenüber sind sie machtlos.« Sie folge ihren »eigenen Gesetzen« und sei »unabhängig [...] von dem Hoch- oder Tiefstand politischer und wirtschaftlicher Zustände«. »Das Objekt der bildenden Kunst«, fügte er in seinem Geleitwort in unausgesprochener Absetzung zum nationalsozialistischen Kunstverständnis hinzu, »ist in seinem künstlerischen Niveau unabhängig von Zeitstil und Formensprache«. 7 Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch das Bildmotiv des ersten Einbandes, das gleichsam als Logo aller Bände bis zum Jahr 1950 fungiert (Abb. 3). Abgebildet ist ein 3 4

5

6 7

Woldemar Klein, Zum Geleit, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 1, o. S. Ebd. Während Klein den >Funken< hier auf die Götter der Antike bezieht, wird gleichsam als Ausgleich im ersten Artikel der Zeitschrift ein christlicher Gottesbezug hergestellt; vgl. Manfred Hausmann, Ihm zum Bilde, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 1, 1-2. Vgl. auch Leopold Zahns Verweis auf das »Doppelprinzip von Antike und Christentum«, das »die Grundstruktur der europäischen Ökumene« bestimme, vgl. Leopold Zahn, Französische Malerei - gestern und heute. Zu den Ausstellungen in Baden-Baden und Berlin, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 3, 33-40, hier 39. Klein 1946/47 (wie Anm. 3), o. S. Das Papier, auf dem Das Kunstwerk gedruckt wurde, stellte in den ersten Nachkriegs jähren die französische Besatzungsmacht bereit. Die schöne Ausstattung der Zeitschrift Das Kunstwerk wurde auch von der Kunstzeitschrift bildende kunst betont; vgl. etwa Anonym, Was andere Kunstzeitschriften bringen, in: bildende kunst. Zeitschrift für Malerei, Graphik, Plastik und Architektur, 1, 1947, Heft 7, 28. Alice Lex, Juryfreie Kunstschau, in: bildende kunst. Zeitschrift für Malerei, Graphik, Plastik und Architektur, 1, 1947, Heft 4/5, 13-14, hier 14. Klein 1946/47 (wie Anm. 3), o. S.

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DAS KUNSTWERK SNCE M O N A T S S C H R I F T OFTFR A L «

GEBIETE DER B I L D E N D E N

IUKST

TCHT

3 Sämann-Motiv auf der Titelseite von »Das Kunstwerk«, 1946

Sämann, 8 dessen ausgestreute Samenkörner schon alle Teile der zukünftigen »Pflanze« enthalten. Als Symbole des werdenden Lebens und Sinnbilder des Göttlichen zugleich wurden sie gleichsam Heft für Heft >gesätaufgepickt< zu werden. Auch wenn Woldemar Klein in seinem Vorwort zur ersten Ausgabe ausführte, daß die gegenständliche oder abstrakte Bildsprache nicht entscheidend für die künstlerische Qualität eines Werkes sei, 9 wurden von Leopold Zahn, dem Chefredakteur der Zeitschrift, schon im dritten Heft des ersten Bandes unter dem Titel »dreimal abstrakte Kunst« Wassily Kandinsky, Franz Marc und Paul Klee als Wegbereiter der Abstraktion pointiert herausgestellt. Die abstrakte Kunst, so führte er aus, sei »eine charakteristische Kunst [...] unserer Zeit«, die den »gottverbundenen Geist des Wahren, Guten und Schönen« verkörpere, auch wenn sie »als solche von der Mitwelt [noch, D.W.] nicht empfunden« werde. 10 Nach Heften mit thematischen Schwerpunkten etwa zur historischen russischen Kunst, zur Stadt Paris oder zur malerischen Malerei Francesco Guardis und Claude Lorrains folgte im ersten Jahrgang von »Das Kunstwerk« 1947 - einem Paukenschlag

8 9 10

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf den Titel Aussaat der zeitgenössischen Stuttgarter Kunstzeitschrift im frühen Nachkriegsdeutschland. Klein 1946/47 (wie Anm. 3), o. S. Leopold Zahn, Dreimal abstrakte Kunst, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 3, 27-31, hier 31.

Die >Freiheit< der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland

141

gleich - ein Doppelheft zur abstrakten Kunst. Symbolträchtig wurde auf dessen Umschlag »Der Trommelschlag« (Abb. 4) von Willi Baumeister abgebildet. Die abstrakte Kunst - so formulierte es der Künstler H e i n z Trökes in seinem Artikel über die »Moderne Kunst in Deutschland« - sei eine Suche nach »Weltformen«, mit denen sich jeder identifizieren könne, und zugleich ein Bekenntnis zur Freiheit und zum »Persönlichen«, das nicht mit einer Ichbezogenheit zu verwechseln sei. »[...] wenn sie [die abstrakte Kunst, D.W.] auch nicht die menschlichen N ö t e unserer Zeit zum O b j e k t und Sujet der Darstellung macht, so ist sie doch der Ausdruck und der Wille zu den ordnenden, klärenden und bauenden Kräften dieser Zeit«, fügte er in indirekter Anspielung auf den Wiederaufbau im Nachkriegsdeutschland hinzu. 11

4 Willi Baumeister, Der Trommelschlag, Doppelheft 8/9 von »Das Kunstwerk«, 1946/47(Einband)

11

1. J A H R

· 1946-1947 · D Ο Ρ Ρ Ε LΗ Ε F Γ 8/9

Heinz Trökes, Moderne Kunst in Deutschland, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 8/9, 73-75, hier 74.

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Dorothee

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Die Notwendigkeit einer garantierten Freiheit individueller künstlerischer Ausdruckskraft, die aufgrund der Erfahrungen nationalsozialistischer Kunstpolitik 1949 als Grundrecht im Grundgesetz festgeschrieben wurde, betonte auch Leopold Zahn im Doppelheft zur abstrakten Kunst:12 »Gewiß: die Kluft, die sich zwischen moderner Kunst und dem »Volk« aufgetan hat, ist tief zu beklagen, aber den Künstler der Diktatur des Massengeschmackes preisgeben, liefe auf ein sacrificium artis hinaus - nur noch allzu gut haben wir in Erinnerung, wohin eine autoritäre >Kunst für alle< führt.« 13 Dabei sei zwar weder der gegenständlichen noch der abstrakten Kunst der Vorzug zu geben, führte Anton Henze in seinem Beitrag »Zum Verständnis abstrakter Malerei« unter Verweis auf Picasso aus, der sowohl gegenständlich als auch abstrakt male.14 Doch die Abstraktion stelle »die ursprüngliche Haltung des Künstlers« dar: Wie schon die Höhlenmalerei zeige, sei sie »kein Einfall moderner Maler«. Sie dringe jedoch »im Zeitalter der Atombombe« ebenso wie die Kernphysik in Bereiche »jenseits jeder Anschauung« vor.15 Auch in den nachfolgenden Bänden von »Das Kunstwerk« wurde die abstrakte Kunst dabei »in einem weiteren Sinne« mit der modernen Kunst gleichgesetzt. Man ordnete ihr zum Teil auch Stilrichtungen wie den Kubismus und Surrealismus zu. 16 Dieses Denkmodell einer Kontinuität der Moderne, verstanden als zunehmende Durchsetzung der Abstraktion und einzig unterbrochen vom »Intermezzo der nazistischen Kunstdiktatur«, 17 ermöglichte im westlichen Nachkriegsdeutschland eine Abkehr von der jüngsten Vergangenheit. »[...] die Moderne«, formulierte es Egon Vietta 1949 in seiner Rezension »Kreuzzug der Ausstellungen«, »hat nun einmal das Zertifikat, vom nationalsozialistischen Regime unterdrückt worden zu sein und pocht mit Recht auf ihre intakte geistige Haltung.« 18 Die abstrakte Malerei wurde zudem als Kunstrichtung bezeichnet, die »das Erlebnis des modernen Menschen vor der perfekten Technik« am überzeugendsten ausdrücken könne, da das »Zeitalter« der Gegenwart - so Anton Henze 1949 in »Das Kunstwerk« immer stärker zu einem »Sehen, Empfinden und Sich-Verständigen in Farben« tendiere.19 Interpretiert als >befreite< Farbigkeit wurde die >moderne< Kunst damit aus ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen, aber auch ikonographischen Bezügen gelöst und 12 13 14 15 16

17 18 19

Vgl. hierzu auch Martin Damus, Kunst in der BRD 1945-1990. Funktionen der Kunst in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1995, 20 ff. Leopold Zahn, Abkehr von der Natur, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 8/9, 3-7, hier 6. Vgl. Anton Henze, Zum Verständnis abstrakter Malerei, in: Das Kunstwerk, 1,1946/47, Heft 8/9, 8-9. Ebd., 8. Vgl. etwa Anton Henze, Abstrakt - Absolut - Konkret?, in: Das Kunstwerk, 2,1948, Heft 1/2, 3 7 38; vgl. auch Leopold Zahn, Der abstrakten Malerei gewidmet, in: Das Kunstwerk, 2, 1948, Heft 5/6, 57-62. Zahn 1948 (wie Anm. 16), 57. Egon Vietta, Kreuzzug der Ausstellungen, in: Das Kunstwerk, 2, 1948, Heft 1/2, 79. Anton Henze, Die Malerei der Gegenwart, in: Das Kunstwerk, 3, 1949, Heft 6, 53 und 58, hier 58. Dieser sechste Band des dritten Jahrgangs von Das Kunstwerk wurde als Fibel der modernen Malerei konzipiert, in der Anton Henze vom Impressionismus bis zur zeitgenössischen Kunst eine Stilgeschichte der modernen Malerei entwarf.

Die >Freiheit< der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland

143

stattdessen in die N ä h e physikalischer und technischer Erscheinungsformen gerückt. D i e Bilder wurden zu Kunstwerken erklärt, die einzig als Seherlebnis und höchstens in Analogie zu naturwissenschaftlichen Phänomenen zu erfassen seien. Damit entzog man ihrer kulturgeschichtlichen Deutung den B o d e n . Dies geschah noch bevor auf dem zweiten Deutschen Kunsthistorikertag in M ü n c h e n 1949 von Carl G e o r g Heise, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, gefordert wurde, die Gegenwartskunst vom Felde historischer Forschung zu verbannen. »Wissenschaftlich-methodische Objektivierung oder weltanschaulich-bekenntnishafte Bejahung der Gegenwartskunst - das war die Frage«, so faßte Gustav Barthel in der Zeitschrift »Das Kunstwerk« die heftige Debatte auf diesem Kunsthistorikertag, die »Aussprache zur modernen Kunst«, wie sie in der »Kunstchronik« bezeichnet wurde, zusammen. Während Hans Sedlmayr die in seinem B u c h »Verlust der Mitte« vorgetragene »Kulturkritik der Krisenerscheinungen unserer heutigen Zeit« verteidigt habe, sei von Werner Haftmann »die Bejahung der absoluten Freiheit« als höchster Wert der bildenden Kunst proklamiert worden. 2 0 »Es hat sich gezeigt«, resümierte Heise auf diesem zweiten deutschen Kunsthistorikertag in der »Aussprache zur modernen Kunst«, »daß hier nicht mehr Wissenschaft getrieben wurde, sondern daß Bekenntnis gegen Bekenntnis steht. Wir können die Dinge unseres eigenen Lebens nicht richtig sehen, wenn wir sie nur als Teil der Geschichte auffassen. Es handelt sich darum, Gegenwart und historische Wissenschaft zu trennen. (Aus diesem Grunde muß es auch bedauert werden, daß immer mehr Dissertationen über lebende Künstler entstehen.) Das bedeutet aber nicht, daß wir nicht mit aller Entschiedenheit für die moderne Kunst eintreten sollen. M i t H e r r n Haftmann haben wir uns zur Freiheit und zur Kunst unserer Zeit zu bekennen.« 2 1 Dieses Bekenntnis zur >Freiheit< der Kunst war - nicht nur in »Das Kunstwerk« zugleich Ausdruck der kulturpolitischen Bedingtheit der Kunstgeschichte im besetzten westlichen Nachkriegsdeutschland. Dies spiegelt sich auch in den europäisch-internationalen Ideologemen der Kunstzuordnung in den ersten Jahren von »Das Kunstwerk« unter französischer Besatzung wider: D i e Kunst solle helfen, führte beispielsweise Leopold Zahn in seinem Artikel »Französische Malerei - gestern und heute« anläßlich von Ausstellungen in Baden-Baden und Berlin 1946 aus, der jungen Generation in

20 21

Gustav Barthel, Deutsche Kunsthistorikertagung in München, in: Das Kunstwerk, 3, 1949, Heft 8, 55. Anonym, 2. Deutscher Kunsthistorikertag, München, Schloß Nymphenburg, 5 . - 9 . September 1949, in: Kunstchronik, 2 , 1 9 4 9 , Heft 1 0 , 1 9 7 - 2 3 6 , hier 232. Diese Äußerung Heises wurde auch in der Zeitschrift »Das Kunstwerk« aus der »Kunstchronik« zitiert; vgl. Anonym, Redaktioneller Teil, in: Das Kunstwerk, 3, 1949, Heft 9, 56. Dissertationen über >lebende< Künstler, über die sich Heise beklagte, wurden in der Nachkriegszeit etwa zu Käthe Kollwitz, Ernst Barlach und Pablo Picasso verfaßt; vgl. Anonym, Hochschulen und Forschungsinstitute, in: Kunstchronik, 1, 1948, Heft 6, 5 - 1 6 ; vgl. auch Anonym, Hochschulen und Forschungsinstitute, in: Kunstchronik, 2 , 1 9 4 9 , Heft 7, 1 2 1 - 1 2 7 .

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Deutschland »mit ihrer nationalistisch verstörten Sehweise« das Aufgehen des Nationalen im Europäischen zu vermitteln. 22 In der französischen Malerei spiegle sich dieses europäische Kunstklima wider. »Wie ein großer, freier Atemzug« sei die Ausstellung Moderne französische Malerei »durch alle Zonen« gegangen, so die Worte des Künstlers Heinz Trökes einige Hefte später.23 Diese Ausrichtung auf das >europäische< Kunstzentrum Paris mag in den ersten Nachkriegsjahren auch Ausdruck einer Abhängigkeit der Zeitschrift von der Lizenzvergabe durch die französische Besatzungsmacht gewesen sein. Doch die französische Kunst wurde eher als historischer, denn als gegenwärtiger Eckpunkt einer modernen Malerei, die als fortschreitende Abstrahierung gedacht wurde, angesehen. Besonders deutlich wird dies im dritten Heft des vierten Jahrganges der Zeitschrift, das der Chefredakteur Leopold Zahn als »Einführung in die moderne französische Malerei« konzipierte (Abb. 5): Mit Manet, so Zahn, habe im 19. Jahrhundert ein neues Zeitalter der

DAS KUNSTWERK

Ή

EINFUHRUNG I N ΟΙΕ

FRANZÖSISCHE MALEREI

DER

GEGENWART

22

23 24

5 Einführung in die französische Malerei der Gegenwart, Heft 3 von »Das Kunstwerk«, 1950 (Einband)

Leopold Zahn, Französische Malerei - gestern und heute. Zu den Ausstellungen in Baden-Baden und Berlin, in: Das Kunstwerk, 1, 1946/47, Heft 3, 3 3 ^ 0 , hier 33. Zahn, der 1946 eine Monographie über van Gogh veröffentlichte, war ein Kenner der französischen Kunst, der über zahlreiche Pariskontakte verfügte. Heinz Trökes, Moderne Kunst in Deutschland, in: Das Kunstwerk, 1,1946/47, Heft 8/9, 73-75, hier 73. Leopold Zahn, Einführung in die moderne französische Malerei, in: Das Kunstwerk, 4, 1950, Heft 3, 3-59, hier 55.

Die >Freiheit< der Kunst im westlichen

Nachkriegsdeutschland

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Malerei begonnen. Diese »Epoche der großen Kunstrevolutionen« sei mit dem Surrealismus »vorläufig zu Ende gegangen«. 24 In der Gegenwart würden die wichtigsten französischen Künstlerbegabungen figurativ malen. Diese Ablehnung abstrakter Malerei könne in Frankreich auch auf nationale Ursachen zurückgeführt werden: »Man empfindet die abstrakte Kunst, die in Deutschland und Amerika so sehr an Boden gewonnen hat, als unfranzösisch«, so Zahn.25 Diese Aussage Zahns zeugt zum einen von einer Kenntnis der Kontroverse um Figuration und Abstraktion im Paris der Nachkriegszeit, in der die Abstraktion von Vertretern figurativer Malerei »als schlechter Einfluß aus den USA«, ja als Gefährdung der »Schlüsselstellung Frankreichs als westliches Kulturzentrum« bezeichnet wurde. 26 Zum anderen spiegelt das Zitat wider, daß Zahn zwischen europäisch-französischer Malereitradition der Moderne und deutsch-amerikanischer Gegenwartskunst der Abstraktion zu >balancieren< suchte. Dieser Spagat war auch Ausdruck einer spezifischen kulturellen und politischen Situation im westlichen Nachkriegsdeutschland, die geprägt war von einer sowohl von den Westalliierten als auch von den deutschen Funktionseliten in Wirtschaft und Politik forcierten Westintegration. In Absetzung zur Staatskunst des politischen Systems der DDR wurde die abstrakte Kunst - auch in der Zeitschrift »Das Kunstwerk« - im sich zuspitzenden Klima des Kalten Krieges zur Kunst der freien Welt stilisiert: 27 In einer demokratisch verfaßten Gesellschaft, deren staatstragende Kräfte nicht beanspruchten, die Kunst direkt zu prägen, sondern ihre freie Entfaltung zu garantieren, galt die abstrakte Malerei als ideologieresistent und wurde doch zugleich als Manifestation individueller Freiheit und universaler Sprachfähigkeit in einem, als »Weltsprache« neu ideologisiert. >Sinnvoll ist esWeltsprache< redet, also deutlich macht, daß die sogenannten Abstrakten nunmehr in allen Kulturländern dominieren und jene Reaktionäre schweigen müssen, die in dieser Kunstgattung immer noch eine Zwischenübung kleiner Sekten für kurze Zeit sehen wollen.« 28

25 26 27

28

Ebd., 58. Harriet Weber-Schäfer, Die Kontroverse um Abstraktion und Figuration in der französischen Malerei nach 1945, Köln 2001, 30 und 132. In der Zeitschrift Das Kunstwerk wurde etwa v o n einem kommunistischen ,Angriff< im Namen des sozialistischen Realismus auf die moderne Kunst gesprochen; vgl. A n o n y m , Redaktioneller Teil 1949 (wie Anm. 21), 56. Zum Zusammenwirken v o n Staat und Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland vgl. auch Manuel Frey, Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1 9 9 9 , 1 9 6 - 1 9 7 . Franz Roh, Leopold Zahn und Georg Poensgen, Abstrakte Kunst, eine Weltsprache. Mit einem Beitrag v o n Werner Hofmann, Quellen zur abstrakten Kunst, Woldemar Klein Verlag, BadenBaden, 1958, in: Das Kunstwerk, 12, 1 9 5 8 - 1 9 5 9 , Heft 7, 4 5 ^ 6 , hier 46; vgl. hierzu auch Martin Damus, Moderne Kunst in Westdeutschland 1 9 4 5 - 1 9 5 9 . Versuche, Vergangenheit und Gegenwart rückwärtsgewandt zu bewältigen und die Moderne in Harmonie zu vollenden, in: Die Zähmung der Avantgarde. Zur Rezeption der Moderne in den 50er Jahren, hrsg. von Gerda Breuer, Basel und Frankfurt/M. 1997, 2 5 - 4 1 .

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Im Vorwort zum zehnten Jahrgang der Zeitschrift 1956 wurde zwar immer noch ihre internationale Ausrichtung betont, doch die Gewichtung begann sich zu verschieben: »Der Standpunkt des KUNSTWERK«, so führte der neue Chefredakteur der Zeitschrift, Klaus Jürgen Fischer, ein Schüler Baumeisters, aus, »war immer übernational, seit dem ersten Heft. Aber als Herausgeber einer deutschen Kunstzeitschrift gehen uns die Verhältnisse in Deutschland vor allem an. Deswegen leiten wir unser Jubiläumsheft mit brieflich unterbauten Erinnerungen an den großen deutschen Maler Max Beckmann ein, in dem sich das deutsche Kunstwollen so intensiv ausdrückt wie im Werke Seurats das französische.« 29 Dieser Wandel von einem >Aufgehen< im Europäisch-Universalen zu einer stärkeren nationalen Ausrichtung, zu einer selbstbewußteren Bezugnahme zum westdeutschen Staat, auch wenn der Begriff >Nation< nicht verwandt wurde, erfolgte in der Zeitschrift »Das Kunstwerk« Anfang der 1950er Jahre über den >Umweg< einer regionalen Zuordnung der Kunst, die an die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland angelehnt war. In einer losen Folge wurden über mehrere Hefte hinweg Einführungen in die »Malerei im bayrischen Raum«, in die »westfälische Malerei«, die »südwestdeutsche«, die »rheinische« sowie die »rheinpfälzische« Malerei der Gegenwart gegeben. Mit Artikeln über die »Malerei in Berlin«, in »Norddeutschland« und in »Hessen« wurde diese Reihe über die »Deutsche Malerei der Gegenwart« im Jahr 1956 abgeschlossen. 30 »Wir wissen«, schrieben Woldemar Klein und Leopold Zahn im Vorwort des siebten Jahrganges 1953, »daß das regionale System, das wir dieser Ubersicht zugrundelegen, seine Mängel aufweist, aber welches Ordnungssystem wäre frei von solchen?« 31 Suchten sie mit diesen Ausführungen noch einer möglichen Kritik an ihrem regional ausgerichteten stilgeschichtlichen Ansatz zuvorzukommen, so fügten sie im Anschluß nach einer kurzen Auflistung der zu erwartenden Beiträge bereits selbstbewußt hinzu: »In ihrer Gesamtheit werden die Hefte ein wahres corpus imaginum der modernen deutschen Malerei darstellen.« 32 Die Zeitschrift »Das Kunstwerk«, in der Vertreter des Faches wie Franz Roh und Werner Hofmann publizierten, wurde im westlichen Nachkriegsdeutschland - so läßt

29 30

31 32

Klaus Jürgen Fischer, Das Kunstwerk eröffnet mit der vorliegenden Doppelnummer seinen zehnten Jahrgang, in: Das Kunstwerk, 10, 1956/57, Heft 1/2, 3. Vgl. Juliane Roh, Fünfzig Jahre Malerei im bayrischen Raum, in: Das Kunstwerk, 7, 1953, Heft 2, 3 - 2 5 ; vgl. Anton Henze, Westfälische Malerei der Gegenwart, in: Das Kunstwerk, 7 , 1 9 5 3 , Heft 2, 3 7 - 4 0 ; vgl. Hanna Grisebach: Südwestdeutsche Malerei der Gegenwart, in: Das Kunstwerk, 8, 1954/55, Heft 1, 3 - 7 ; vgl. Eduard Trier, Rheinische Malerei des 20. Jahrhunderts, in: Das Kunstwerk, 8, 1954/55, Heft 1, 1 0 - 2 3 ; vgl. K. F. Ertel, Rheinpfälzische Malerei der Gegenwart, in: Das Kunstwerk, 8, 1954/55, Heft 1, 35-37; vgl. Werner Luft, Malerei in Berlin, in: Das Kunstwerk, 10, 1956/57, Heft 3, 3 - 5 ; vgl. Werner Luft, Malerei in Norddeutschland, in: Das Kunstwerk, 10, 1956/57, Heft 3, 6 - 8 und vgl. Hans Maria Wingler, Malerei in Hessen, in: Das Kunstwerk, 10, 1956/57, Heft 3, 9 - 1 3 . Woldemar Klein und Leopold Zahn, o.T., Das Kunstwerk, 7, 1953, Heft 2, 2. Ebd. Interessanterweise erschien der Artikel, der über die Malerei in der >Ostzone< angekündigt wurde, nicht.

Die >Freibeit< der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland

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sich abschließend resümieren - zu einem Forum, das die Debatten um die >Freiheit< der Kunst und Kunstgeschichte nicht nur rezipierte, sondern auch früh mit prägte. Bei aller kulturpolitischen und ideologischen Bedingtheit des Begriffes war die künstlerische Freiheit vor politischer Zensur, für die sich auch diese Zeitschrift vehement einsetzte, in der frühen Bundesrepublik Deutschland noch ein teures Gut. Dies führt auch eine redaktionelle Notiz im letzten Heft des Jahres 1950 vor Augen, überschrieben mit »Sind wir schon wieder so weit?«: »Der Leiter der Mainzer städt. Gemäldegalerie, Dr. Ahrens«, so wird in »Das Kunstwerk« berichtet, »hatte die Absicht, vom 17. März ab eine Ausstellung des Malers Hubert Berke zu zeigen [...]. Als man die Bilder holen wollte, verlangte Oberbürgermeister Stein, gleichzeitig Kulturdezernent der Stadt Mainz, Auskunft darüber, ob es sich um abstrakte Kunst handle. Als die Ausstellungsleitung es bejahte, verbot der Kultur-Oberbürgermeister kurzerhand die Ausstellung und ließ sie absagen.« 33 Diese Notiz zeigt, welche politische Sprengkraft eine Ausstellung abstrakter Kunst wenige Jahre nach der Epoche des Nationalsozialismus noch besaß. Sie verdeutlicht zudem, gegen welche Kontinuität des Sehens und Denkens Woldemar Klein und Leopold Zahn die Zeitschrift »Das Kunstwerk« programmatisch etablierten. In Abgrenzung zur nationalsozialistischen und kommunistischen Funktionalisierung von Kunst verstanden sie das zeitgenössische Kunstwerk als ein zeitlos-ästhetisches Sein. Damit entzogen sie es aber zugleich sowohl seinen gesellschaftspolitischen Bedingungen und Bezügen als auch der wissenschaftlichen Erforschung seines historischen Kontextes, von dem ihr Kunstverständnis letztlich auch selbst geprägt war.

33

Anonym, Aus dem Notizbuch der Redaktion, in: Das Kunstwerk, 4,1950, Heft 8/9,124-131, hier 131. Dieser redaktionelle Bericht schließt mit dem bitter-ironischen Kommentar »Heil, Oberbürgermeister!« ab. Vgl. ebd.

Die modernen Troglodyten. Willi Baumeisters Kunsttheorie* Susanne Leeb

Mit der Erforschung der Abstammungsgeschichte der Menschheit im 19. Jahrhundert geriet das Paläolithikum zunehmend in den Blick der Wissenschaften. Für die Kunstgeschichte bedeutete dies zunächst eine Diskussion darüber, ob urzeitliche Artefakte zur Kunst zu rechnen seien.1 Gewichtiger war allerdings die damit einhergehende anthropologische Begründung von Kunst, im Zuge derer die Kunstbetätigung zum Merkmal des Menschseins im Unterschied zu seinen evolutionistischen Vorfahren erklärt wurde. Urzeitliche Höhlenmalereien galten, wie auch die außereuropäischen Künste der so genannten »primitiven« Völker, als Beweis für einen dem Menschen inhärenten Kunsttrieb. Das Urzeitliche war dabei Evidenz genug, um verschiedenste Denkansätze innerhalb der Moderne zu fundieren, ohne daß genau geklärt werden mußte, was präzise unter Menschheit zu verstehen sei. So wurde der Urzeittopos auch immer wieder in unterschiedlichsten Kontexten bemüht: Als Ausweis der Unvergänglichkeit untermauerte er ebenso den Machtwillen der Nationalsozialisten 2 wie die Universalität der sich als autonom verstehenden Kunst der Moderne und Nachkriegsmoderne. Ausschlaggebend war in beiden Fällen die historische Distanz, die nicht trotz, sondern wegen dieser zeitlichen Entfernung aufgehoben ist, womit ein direkter Bezug darauf möglich schien.3 Vorbereitet durch Rousseau, meinten insbesondere rationalitätskritische Strömungen :t

1 2

3

Für anregende Hinweise bedanke ich mich bei Helmut Draxler. Vgl. ζ. B. Karl Woermann, Die Kunst aller Zeiten und Völker, Bd. 1: Die Kunst der vor- und außerchristlichen Völker, Leipzig und Wien 1900. Zur Rolle von Menhiren in der künstlerischen Moderne, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit vgl. Christian Fuhrmeister, The Advantages of Abstract Art: Monoliths and Erratic Bouldes as Monuments and (Public) Sculptures, in: Figuration/Abstraction. Strategies f o r Public Sculpture in Europe 1 9 4 5 - 1 9 6 8 , ed. by Charlotte Benton, Aldershot u.a. 2004, 1 0 7 - 1 2 6 sowie Textdokumente im Anhang. Zur Geschichtlichkeit des Ungeschichtlichen vgl. Marcus Coelen, Trauer über Trauer. Psychoanalyse und Geschichte, in: Philipp Jeserich und Christoph Hoch (Hrsg.), Egologie. Subjektivität und Medien in der Spätmoderne, Frankfurt/M. 2006: »Das Zeitlose, Synchrone, Ahistorische, das, was immer bleibt, eine gewisse Dimension des Identischen, Essentiellen und Reinen, das von der Geschichte als wahrhaft Unberührbares angesehen wird, dies sind - im weitesten Sinne >phantasmatische< - Extremformen des Geschichtlichen in der Dimension seiner unmöglichen Darstell-

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der Moderne, in der Figur des Frühmenschen oder Paläolithikers dem Menschen in seiner vermeintlich ursprünglichen Form und ebenso vermeintlichen zivilisatorischen Unverstelltheit wieder zu begegnen. Diesem Zweig der Moderne gilt es hier nachzugehen und zwar unter der Frage nach (natio-nalen) Zuschreibungen auf ein scheinbar bloß anthropologisches »Faktum«.

/. Wenn im folgenden Willi Baumeisters Kunsttheorie »Das Unbekannte in der Kunst« und seine Bezugnahmen auf die Urgeschichte im Vordergrund stehen, trennt diese zwar circa fünfzig Jahre von den ersten Rekursen der Kunstgeschichte auf Höhlenmalereien und urzeitliche Artefakte, gleichwohl ist dies der größere Kontext, in dem seine Ausführungen zu sehen sind. Zu diesem, noch etwas weiter gefaßten Kontext gehört ebenfalls die Anthropologisierung der idealistischen Ästhetik, deren Anfänge Paul de Man in Schillers Ästhetik ausmacht.4 Schiller, den Baumeister in »Das Unbekannte« mehrfach zitiert, spricht in seinen Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« von den »Trieben« des Menschen, dem »Formtrieb«, »sinnlichen Trieb« und »Spieltrieb«. Damit legte er dem künstlerischen Schaffen eine psycho-biologische Motivationsstruktur zugrunde, die zugleich idealistisch überhöht wird. Diese Anthropologisierung ermöglichte die Ausdehnung des idealistischen Wahrheits- und Absolutheitsanspruches der Kunst, auch wenn dieser sich, wie im Falle Baumeisters, nicht mehr auf ein klassisch-griechisches Paradigma beziehen sollte, sondern auf die Künste der Urzeit und anderer Völker und damit in einer erweiterten Tradition der neuen Mythologie der »antimodernen Moderne«5 steht. Baumeister bezieht sich in Das Unbekannte auf die Künste unterschiedlichster Zeiten und Völker: neben Hauptwerken europäischer Kunst seit der Romanik bis hin zu zeitgenössischer Malerei und Architektur, auf ägyptische Reliefs, altgriechische Vasenmalerei, präkolumbianische Broschen, indianische Totempfähle oder chinesische Holzschnitte und Tuschezeichnungen bis hin zu nordafrikanischen und eriträischen Felszeichnungen. Dieser universalistische Weltkunstansatz ist bei ihm urzeitlich fundiert. Etwa findet sich die so genannte »Venus von Willendorf« (ca. 40.000 v. Chr.) als erste Abbildung in der Ausgabe von 1960 reproduziert. In der Erstausgabe von 1947 war es ein Faustkeil aus dem frühen Celleen. Auch übernimmt Baumeister eher beiläufig Thesen einer diffusionistisch orientierten Kunstethnografie, wenn er in seinen Text einfließen läßt, daß »die formstarke Kunst Ostspaniens [die Felsmalereien des Vall-

4 5

barkeit, in der sich diese Unmöglichkeit in die alleinige Möglichkeit des formal Unveränderlichen verdreht hat: Geschichtliches als Perversion ins Geschichtslose.« Vgl. Paul de Man, Kant and Schiller, in: Aesthetic Ideology, ed. by Andrzej Warminski, M i n n e apolis 1997. Vgl. Peter Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, Frankfurt/M. 1990 (1983), insbesondere Kap. 1.3.: Moderne Antimoderne: das romantische Programm der >neuen Mythologien

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torta-Tals, S.L.] ihre Kräfte traditionsbildend weiter über die Straße von Gibraltar hinweg über Nordafrika nach Osten [gibt], wo sie für die frühägyptische Kunst zum Ausgangspunkt wird.« 6 Eine solche europäische Lokalisierung des »Ursprungs« der Kunst ist Ergebnis einer Verlagerung innerhalb der Kunstgeschichte und Kunstethnografie der 1920er Jahre, innerhalb derer die Kunst der »Eiszeit« einen anderen legitimatorischen Stellenwert als andere »Primitivismen« erhalten sollte. Wurden die Höhlenmalereien zunächst noch mit der Kunst anderer »Urvölker« gleichgesetzt - und nennt auch Baumeister noch gemäß einem verbreiteten modernistischen Topos »Kinder, Wilde und Künstler« 7 in einem Atemzug - , und hatten darüber hinaus sowohl außereuropäische Kunst wie auch Höhlenmalereien gleichermaßen als Ausweis eines Schöpfungstriebs wie auch für den gemeinsamen Ursprung und die Einheitlichkeit der Kunst gedient, sollte sich der Akzent und die Beweiskraft für den urmenschlichen »Kunsttrieb« zunehmend auf letztere verschieben. Mit Büchern über die Kunst der »Eiszeit« ging in den 1920er Jahren eine Reeuropäisierung der Kunst einher und das Paradies der »Eiszeit« ersetzte die nostalgische Projektion einer »ursprünglichen Wildheit« auf so genannte primitive Völker. Der Exotismus ging über in einen Archaismus, hin zum Archetypischen. Für die neuerliche Relevanz der Urzeit, nun im Dienste eines universellen Humanismus nach >45, der gleichermaßen eurozentrisch bliebt, spricht zum Beispiel die Bedeutung, die Werner Haftmann - einer der wichtigsten Stichwortgeber für die deutsche Nachkriegskunstgeschichte - Henry Moores Skulpturen zumaß. Sie lag für ihn in der »formalen Mythisierung der modernen Menschlichkeit«. 8 Ebenso symptomatisch ist ein Szenario von 1950 in der Höhle von Altamira, zu dessen Protagonisten Willi Baumeister gehörte. Baumeister war damals von der Escuela de Altamira 9 zu einem Symposium eingeladen worden und sprach das Schlußwort zu dem Thema »die Unmittelbarkeit der 6 7

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Willi Baumeister, Das Unbekannte in der Kunst, Köln 1960 (Erstausgabe Stuttgart 1947), S. 165. Die folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. Aus der umfangreichen Literatur über den »Primitivismus« und seine kolonialistischen Implikationen nur einige Beispiele: James Clifford, The Predicament of Culture. Twentieth-Century Ethnography, Literature, and Art, Cambridge/Mass, and London 1988; Susan Hiller (Ed.), Myths of Primitivism, London 1991; Abigail Solomon-Godeau, Going native. Paul Gauguin and the Invention of Primitivist Modernism, in: Norma Broude and Mary D. Garrard (Eds.), The Expanding Discourse. Feminism and A r t History, N e w York 1992, S. 3 1 3 - 3 3 0 ; Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd.4, 2002: Schwerpunkt: Postkolonialismus, hrsg. v o n Vikoria Schmidt-Linsenhoff, Osnabrück 2002. Werner Haftmann, Der Bildhauer Henry Moore, in: Die Kunst und das schöne Heim, 48. Jahrgang, Nr. 2, November 1949, 53-54, hier 53. Henry Moore selbst hatte 1937 Altamira besucht und setzte mit seiner Skulptur »Paläolithic Woman« (1956) der Urgeschichte ein modernes Denkmal. Die Escuela, ein Verein aus Künstlern und Kunsthistorikern, formulierte auf einem ersten Kongreß 1949 ihr Programm: »Die Escuela orientiert sich am Zeichen von Altamira und betrachtet es als Symbol f ü r lebendige Kunst, f ü r eine unabhängige Kunst, f ü r eine Kunst jenseits jede Form von Nationalismus, stellvertretend für eine Malerei, die Formen und Experiment vereinigt und für eine Malerei, die ein großes Potential zur Synthese birgt. [...]« zit. nach Paloma Alacro, Willi Baumeister und Spanien. Gemeinsamkeiten und Einflüsse, in: Willi Baumeister, hrsg. von Helmut Friedel und Tomas Llorens (Kat. Sala de exposiciones Fundacion Caja Madrid, Madrid 2003/4, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 2004), München 2004, 5 1 - 7 2 , hier 67.

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Kunst und [...] die Verwandtschaft aller Kunstarten«. 10 Für diese Abschlußansprache suchten alle Teilnehmerinnen des Kongresses die Höhle von Altamira auf, deren Wandmalereien 1878 entdeckt, aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts als authentisch anerkannt waren. Dieser Schauplatz mit den über 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien ermöglichte es Baumeister, sich als einer der Hauptexponenten der westdeutschen Nachkriegsmoderne in einen fast unmittelbaren Zusammenhang mit paläolithischer Malerei zu stellen. Auf die Höhlenmalereien Bezug nehmend, betonte Baumeister »seinen festen Glauben an die dem Menschen seit Urzeiten innewohnende schöpferische Kraft« und »die Notwendigkeit zu diesen Ursprüngen zurückkehren müssen, um eine neue Sprache zu schaffen.« 11 Seine Rede war ein Plädoyer für einen Neubeginn unter Rekurs auf den Anfang der Menschheit. Baumeister hatte Anfang der 1930er Jahre begonnen, sich für prähistorische Bilderwerke zu interessieren, nachdem er von den Nationalsozialisten zum »entarteten Künstler« diffamiert worden war, seine Professur verloren und Berufsverbot erteilt bekommen hatte. Während seiner Zeit in der Lackfabrik Herbert stellte er Studien über die Maltechnik in Altamira an. Auch schlug sich seine Beschäftigung mit Höhlenmalereien sowohl motivisch in seinen Bildern als auch theoretisch in seiner Schrift »Das Unbekannte in der Kunst« nieder. 1943/44 verfaßt und 1947 erstmalig veröffentlicht, galt sie schnell als eine der wichtigsten kunsttheoretischen Schriften der Nachkriegszeit. Prähistorische Kunst und Altamira erhalten hier einen Stellenwert, der sowohl über maltechnische Fragen als auch über eine zuvor erschienene Abhandlung über die urzeitliche Bedeutung der Fläche 12 hinausgeht. »Das Unbekannte in der Kunst« ist nicht nur Grundlagenschrift für sein eigenes Werk, sondern erhebt zugleich den Anspruch, Kunst zu definieren, und das heißt bei Baumeister vor allem zur Abstraktion tendierende »Formkunst« im Gegensatz zu Naturalismen und Gegenständlichkeit. Daß so etwas wie Kunst existiert, begründet Baumeister mit einem urmenschlichen Formtrieb und nimmt das Künstlerische aus jedem gesellschaftlichen Zusammenhang aus: » G e s e t z e , gesellschaftliche U b e r e i n k o m m e n u n d alle G e p f l o g e n h e i t e n des U m g a n g s stehen als k ü n s t l i c h e s G e f ü g e d e r U r k r a f t d e s L e b e n s u n d d e m K ü n s t l e r i s c h e n g e g e n ü b e r . D a s K ü n s t lerische [ . . . ] setzt sich beständig über das Durchschnittliche i m E m p f i n d e n , D e n k e n u n d ü b e r d i e v o m M e n s c h e n g e m a c h t e n G e s e l l s c h a f t s g e s e t z e h i n w e g , w e i l es v o m U r l e b e n a u s g e h t . « (35)

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Kurzbericht zu dem Kongreß in: Meta, Nr. 3, Januar 1951, o. S. Ausführlicher zu dieser Veranstaltung vgl. Alacro, »Willi Baumeister und Spanien« (wie Anm. 9). Hier zitiert nach Alacro, »Willi Baumeister und Spanien« (wie Anm. 9), 51. Eduardo Westerdahl, der 1934 eine Monographie über Baumeister veröffentlichte, integrierte in diesem Buch eine Abhandlung Willi Baumeisters, der für seine »Mauerbilder« aus den frühen dreißiger Jahren die »urzeitliche« Bedeutung der Fläche betont: »Der Mensch macht eine Mauer. Die Mauer gibt ihm die Fläche. Die Fläche ist das Urmittel, das erste elementare Mittel der Malerei. Der Künstler der Einzeit blieb ganz in der Fläche, ebenso die Ägypter.« hier zit. nach Alacro, »Willi Baumeister und Spanien« (wie Anm. 9), 56.

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Gleichzeitig wird dieser Formtrieb als »Urkraft des Lebens« und als »Menschlichkeit« hypostasiert. Für Baumeister ist Kunst das Merkmal, das den Menschen von seinen evolutionären Vorfahren trennt: » D e r Vormensch ( h o m o neandertalensis, Mousterien) lieferte keine Kunst. J e d o c h tritt mit der ersten Phase des heutigen Menschen ( h o m o sapiens) zugleich die K u n s t auf [...]. (30) D e r innerhalb des letzten Eisvorstoßes der W ü r m - E i s z e i t w ä h r e n d eines Eisstadiais (Eiszeit) auftretende h o m o sapiens unterscheidet sich v o m Vormenschen dadurch einschneidend, daß mit ihm die Kunstbetätigung einsetzt.« (83)

Kunst ist also diejenige Instanz, an der sich die Menschheit und gemeint ist damit auch Menschlichkeit überhaupt festmachen läßt. Der Mensch wird dabei unter Rekurs auf Goethes Geniebegriff mit dem Künstler identifiziert: »der künstlerische Mensch ist der letzte Mensch, der Mensch überhaupt« (186). Sein Kunstbegriff ist darin ebenso elitär wie tautologisch, als nur der Künstler, der »Seher«, zu diesen Urkräften Zugang hat und sich von ihnen affizieren lassen kann.13 Im zeitspezifischen Kontext der Nachkriegszeit erhielt ein solcher Kunstbegriff einen besonderen rhetorischen Stellenwert - zumal sich Baumeister ebenso auch auf gleich gesinnte Künstler hätte berufen können, wie Miro, Arp, Kandinsky oder Klee. Baumeisters Anrufung dagegen von »Urzeiten«, »Urphänomenen« oder »Urkräften«, die durch den Künstler sprechen würden, läßt vermuten, daß die Höhlenmalereien für seine Kunst und Kunsttheorie sowie insgesamt für die Nachkriegszeit eine höhere Legitimationskraft besaßen, als es der Bezug auf das zeitgenössische Umfeld vermocht hätte. Baumeister reklamiert über seinen Bezug auf die Urgeschichte die Humanität und Universalität der (formbetonten) Kunst. Die Geschichte der Kunst sei die Geschichte der Menschheit in »gereinigter Form« (35). Allerdings bezieht sich Baumeister in »Das Unbekannte« auf einige Autoren, die zur Zeit des Nationalsozialismus mehr oder weniger gelitten waren, wenn sie ihn nicht - wie im Falle Josef Strzygowskis - mit dem ganzen Einsatz ihrer Schriften propagierten. Dies verwundert zunächst, gilt Baumeister doch insbesondere durch seine heftigen Attacken gegen Sedlmayr während der Darmstädter Gespräche 195014 als ein Künstler, der sich deutlich gegen den Nationalsozialismus stellte, insbesondere bezüglich der Diffamierung moderner Kunst, die nach 1945 mit Sedlmayr weiteren Applaus fand. Jedoch wird zu zeigen sein, daß Baumeister gerade mit seiner Abgrenzung gegen die so genannte »Barbarei« Begrifflichkeiten und Vorstellungen aus

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Zum Künstler als Ausnahme-»Mensch«, womit Baumeister einen weiteren modernistischen Topos übernimmt, der gerade in seiner Politikfeindlichkeit in der Nachkriegszeit besonderen Erfolg hatte und unter »absoluter Freiheit« firmierte: »Ferngerückt von alledem und oft in Widerspruch zur Zeit stehend leuchten die Kunstwerke als Fanale des menschlichen Ingeniums in einem weiten Feld von Schlacken.« (Das Unbekannte, wie Anm. 6, 82) oder: »In der absoluten Freiheit finden sich die höheren Gesetze wieder. In der Individualkunst übernimmt es der einzelne Künstler auf eigene Verantwortung, die Urkräfte sichtbar zu machen. Er läßt damit alles Durchschnittliche hinter sich, das sich in den nicht ewigen Gesellschaftsgesetzen breit gemacht hat. Er ist der Statthalter höherer Gesetze.« (99) Wiederabgedruckt u.a. in: Das Unbekannte (wie Anm. 6), 1 9 9 - 2 1 2 .

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den 1920ern und 1930er Jahren übernimmt, die für eine faschistische Kulturpolitik von Belang waren. D e r Schlußstrich, für den Baumeister 1950 während der D a r m s t ä d t e r Gespräche plädierte (vgl. 204), war damit nicht nur mit Sedlmayr nicht z u haben - Baumeisters Auffassung - sondern auch nicht mit den von ihm selbst zitierten Autoren. II. Zunächst aber ist die Frage, was den U r z e i t t o p o s für die N a c h k r i e g s z e i t s o attraktiv machte. Innerhalb der Nachkriegszeit, als Baumeister wieder ausstellte, unterrichtete und seine Kunsttheorie veröffentlichte, konnte eine solche urzeitliche Grundlegung von moderner K u n s t auf mehreren E b e n e n gerade im G e g e n s a t z zur Zeit des N a t i o n a l sozialismus rhetorisch w i r k s a m werden. Einerseits paßte der B e z u g auf den U r menschen s o w o h l zu einer A b s e t z u n g v o n der aktuellen Zeitgeschichte - das B u c h w u r d e während des Krieges geschrieben - wie auch zur Setzung eines N e u b e g i n n s nach 1945, der so genannten »Stunde N u l l « . D a z u gehört auch Baumeisters Plädoyer für eine »neue Sprache« oder, u m ein anderes Beispiel zu nennen, der Wiederaufbau Berlins: H a n s Scharoun, der bei den Plänen z u m Wideraufbau nach 1945 stadtplanerisch maßgeblich beteiligt war, richtete sich am Berliner U r s t r o m t a l aus. Mit der K o p p l u n g von Urgeschichte und M o d e r n e w u r d e also eine Überzeitlichkeit suggeriert, die K u n s t aus jeder (aktuellen) Zeitgeschichte ausnimmt und zugleich als » i m m e r schon Vorhandene« erscheinen läßt. Metaphern des Organischen, des M o r p h o logischen oder der N a t u r w ü c h s i g k e i t , die sich nicht nur bei Baumeister sondern auch bei anderen Künstlern zeigen - prominent mit Fritz Winters Bildserie »Triebkräfte der E r d e « - , betonen dabei die Unabhängigkeit v o m Geschichtlichen und begleiten die A u f fassung des Archetypischen: »Alle Archetypen des Menschengedenkens rufen den Künstler«, so O t o Bihalji-Merin in seiner E i n f ü h r u n g zu » D a s U n b e k a n n t e « (16). D e r Rekurs auf den U r m e n s c h e n konnte auf diese Weise einen universalistischen Kunstbegriff als naturgegebenes und anthropologisches F a k t u m begründen. Werner H a f t m a n n s R e d e anläßlich der Documenta 1 von K u n s t als »Modellfall von M e n s c h heitskultur« und ihrer weltweiten Einheit entspricht Baumeisters Urmenschlichkeit der K u n s t und der von ihm behaupteten »Verwandtschaft aller Kunstarten«. A u f der Documenta 1 wurde m o d e r n e K u n s t dann auch in einen weltkunsthistorischen Z u s a m m e n hang gestellt. 15 Auf den im Eingangsraum angebrachten F o t o tafeln finden sich Motive von romanischen Tympana bis hin zu Felszeichnungen aus Südostspanien, dem Valtorta-Tal, die auch in Willi Baumeisters Kunsttheorie abgebildet sind.

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Vgl. dazu Barbara Paul, Schöne heile Welt(ordnungen). Z u m U m g a n g mit der Kunstgeschichte in der früheren Bundesrepublik Deutschland mit außereuropäischer Gegenwartskunst, in: kritische berichte, 31, 2003, 2, 5 - 2 7 . N a c h Paul setzte » H a f t m a n n [...] >Weltkunst< mit europäischer K u n s t gleich, sofern sie den G r u n d s ä t z e n des >reinen Sehens< folgte - also G r u n d s ä t z e n , die von den Handlungstragenden des Kunstbetriebs gemeinsam aufgestellt und in der Kunstgeschichte als D i s ziplin institutionalisiert wurden.« H i e r 18. Ähnlich definierte Baumeister die Schau als »ent-materialisiertes« Sehen, als »reines Resultat seiner [des Künstlers, S.L.] A u g e n o p t i k « (45).

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Darüber hinaus demonstrierte Baumeisters Zug wie auch der kulturpolitische der Documenta 1, die eigene sowie moderne Kunst in einen urzeitlich fundierten, weltkunsthistorischen Zusammenhang einzuschreiben, daß auch die deutsche Kunst wieder ihren Platz in der internationalen Kunstgeschichte beanspruchen kann. Baumeister stellte in einem »Bekenntnis zur absoluten Malerei« nach einer kurzen Bestandsaufnahme der Situation der Kunst nach 1945 fest: » D e r Anschluß an die europäische Entwicklung in der K u n s t war in Wirklichkeit nie ganz unterbrochen gewesen. H e u t e wird Deutschland in die allen Kulturländern vorherrschende B e w e g u n g der abstrakten K u n s t wieder einbezogen. M a n darf sagen: D i e neue Weltgeltung deutscher K u n s t ging über die abstrakte Anschauung.« 1 6

Die Definition von Kunst als Kennzeichen der Menschheit gegenüber den (noch) nicht menschlichen Vorfahren und dem Tier bot auch eine Abgrenzungsmöglichkeit gegen den Nationalsozialismus, der im damaligen Vokabular, und teils bis heute, als bestialisch, barbarisch und unmenschlich beschrieben wurde. Ebenso galt es mit der Inanspruchnahme der Humanität ganz speziell auch gegen den Entartungsdiskurs etwa eines Sedlmayrs vorzugehen, dessen Thesen ja bekanntlich bis in die 1950er Jahre breit rezipiert wurden. Für Sedlmayr garantierte nur die Darstellung des »ganzen Menschen« die Humanität der Kunst. Baumeisters urzeitlich fundierte Menschlichkeit über eine evolutionäre Erklärung steht auch zu solchen Thesen in deutlicher Gegnerschaft. Insofern dürfte Baumeisters Erklärung des Künstler zum »Mensch überhaupt« nicht nur dem Absolutheitsanspruch des (modernen) Künstlers, sondern auch der Zurückweisung der Diffamierung als »entartet« geschuldet sein. Diese Punkte können teilweise den Erfolg von Das Unbekannte und Baumeisters wichtige Stellung nach 1945 erklären sowie die hohe rhetorische Wirksamkeit, den ur- und frühgeschichtliche Bildwerke innerhalb eines legitimatorischen Diskurses im Bezug auf die Nachkriegsmoderne einnahmen. Ein anderer Teil des Erfolgs könnte sich dem Umstand verdanken, daß mit den Autoren, auf die sich Baumeister bezieht, innerhalb eines bestimmten Diskursfeldes kein wirkliches Umdenken erforderlich war. III. Baumeisters Beschäftigung mit der Frühgeschichte bedeutete einen relativ abrupten Wechsel in seiner Bildsprache. Stellten seine Reliefbilder der 1920er Jahre MenschMaschinekonfigurationen dar,17 weisen seine Bilder ab den späten 1930ern nur mehr 16 17

In: Das moderne Deutschland, 1952, 54ff., zit. nach Alacro, »Willi Baumeister und Spanien« (wie Anm. 9), 62. Wobei Baumeister sich allerdings eher für den »Gefühlswert« der Maschine interessierte. N o c h im 19. Jahrhundert stehe die Maschine gegen den »Handwerker-Künstler und damit auch gegen den Menschen überhaupt (Sozialprobleme)«. Für ihn selbst und Leger aber hätten dann nur die »elementaren Formen und deren Gefühlwerte« gegolten. Die mit der Maschine verbundene Entfremdung könne so überwunden werden: »Die Welt der Maschine wird gefeiert, poetisiert, entmaterialisiert und damit überwunden.« (111)

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hieroglyphische und/oder biomorphe Formen auf. Sie erinnern »an Symbolzeichen, an die Riten und Weihen, die ihre Geheimnisse bewahren.« 18 Wenn auch Baumeister schon seine »Mauerbilder« mit ihren abstrakten Mensch-Maschinenfigurationen - darin den Entwürfen Oskar Schlemmers nicht unähnlich - urzeitlich zu fundieren wußte, repräsentieren seine neuerlichen Chiffren das, was Michael Leja »generic primitivism« 1 9 nannte: eine Mischung aus allen möglichen Bildern und Zeichen von sowohl als »primitiv« als auch archaisch eingestuften Kulturen, die sich in den 1940er Jahren zu einem modernen Archaismus amalgamieren sollten. U m das Geheimnisvolle bzw. das U n bekannte von hieroglyphischen, ideogrammatischen oder Ur-Zeichen theoretisch zu belegen, bezieht sich Baumeister auf Schriften des Philosophen Leopold Ziegler, des Theologen und Religionswissenschaftlers Rudolf Otto, des Ethnologen Leo Frobenius sowie des österreichischen Kunsthistorikers Josef Strzygowski. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Wissenschaftler sind Ausführungen zum Heiligen, Mystischen, Seelenhaften, Irrationalen oder des Eidetischen als »tiefgründige Zone« (Baumeister). Bereits seit Mitte der 1910er Jahre wurden diese Vorstellungen im zivilisationskritischen Gestus der »seelenlosen« und säkularisierten Moderne entgegengehalten. Anhand dieser Autoren stützt Baumeister sein Verständnis von der Höherwertigkeit der Abstraktion oder genauer von »Symbolzeichen« oder »Ideogrammen«. Wenn im Folgenden kursorisch ihre Thesen erläutert werden, ist dieses Diskursfeld dabei nicht nur für Baumeister relevant, sondern konnte auch in der Nachkriegszeit von anderen Künstlern und Kunsthistorikern geteilt werden. Leopold Ziegler erhebt, analog zur Religion, einen absoluten Wahrheitsanspruch der Kunst, indem er den Künstler als zur Ahmung befähigt beschreibt. Kunst ist bei ihm Erbin des ahmenden Rituals des frühen »homo magicus«, Erbin einer heiligen Handlung, die mit »Wesensschau« gleichgesetzt und der (aristotelischen) Mimesis entgegengesetzt ist. Baumeister zitiert aus Zieglers Hauptwerk »Überlieferung«, das dieser 1936 publizierte: »Ich meine den Unterschied zwischen einer wahrhaft schöpferischen im platonischen Begriffe >poetischen< Kunst, die sich im geometrischen Ideogramm, im mathematischen Symbole erfinderisch auslebt [...].« (125) Baumeister unterstreicht diese Gedanken mit den Worten: »Poetisch ist die schöpferische Gestaltgebung, die grundsätzlich nicht nachahmt. D a s Poetische findet seine Stütze im Eidetischen, der Fähigkeit, früher Gesehenes wieder zur Vorstellung zu bringen. [...] Bei Kindern, Primitiven, Künstlern oder bei dazu besonders Prädestinierten ist sie zu finden. >Eidos< gehört einer tiefgründigen Z o n e an und ist Voraussetzung des künstlerischen Bildens.« (ebd.)

Zieglers Forcierung des Mythos und seine Gedanken zum Gegensatz von »toter« Zivilisation und »lebensspendender« Kultur kamen dabei nicht nur, so Martin Schwarz, dem Zeitgeist des Nationalsozialismus nahe, sondern eben auch Baumeisters Kunstbe18 19

Baumeister, zit. nach Will Grohmann, Willi Baumeister, Köln 1963, 172. Michael Leja, Reframing Abstract Expressionism. Subjectivity and Painting in the 1940s, N e w Haven and London 1993.

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griff. Daß es durchaus auch Kritik an Zieglers Kunstbegriff gegeben hat, mag ein Brief eines anderen Künstlers zeigen. Karl Hofer lehnte dessen Thesen rundweg ab, als er 1939 an ihn schrieb: »Den Ursprung schöpferischer Tätigkeit deutest D u als geistiges Erkennen, als von oben eingegeben. [...] Ich bin total anderer Meinung. [...] Alle hochwertige, auf die Dauer lebenskräftige Kunst entspringt dem Virus, wenn man will dem Sexus oder der Sinnlichkeit. [...] U m eine neue in Deinem Sinn archetypische poetische Kunst entstehen zu lassen, bedürfte es einer unvorstellbaren Umwandlung der Menschheit [...] Die heilige Kindheit des Menschengeschlechts wird diesem nicht ein zweites Mal zuteil [...].« 20

Baumeister hingegen interessierte sich gerade für jene archetypische poetische Kunst, sowie für den überindividuellen Ursprung der Kunst, wenn er den Künstler als selbstverantwortliches Medium von »Urkräften« beschreibt. In seiner Kunsttheorie übernimmt er Zieglers Begriffe des Rituals, der Ahmung sowie der Schau, eine F o r m des »entmaterialisierten« Sehens, das er über die Ratio stellt. 21 Entsprechend nannte er eine Bildserie von 1938 »Eidos«-Bilder und mit der Höhle von Altamira konnte diese F o r m des Piatonismus sogar zurück in die Eiszeit versetzt werden. Das von Ziegler erwähnte Heilige findet sich in den Schriften von Rudolf O t t o ausformuliert, insbesondere in »Das Heilige. U b e r das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen« von 1917. Baumeister interessiert sich für das Numinose, Ottos zentraler Begriff. Gemeint ist damit eine Erlebnisform des Heiligen, die sich aus Schauer und Anziehung zusammensetze, wobei gerade die Gegensätzlichkeit der Gefühle das die Schauer verursachende Unbegreifliche ausmache. Baumeister reklamiert im Anschluß an Ziegler die »Schauer dieses Unfaßbaren« für die Kunst: »Die Schauer dieses Unfaßbaren sind in der Schrift >Das Heilige< von Rudolf Otto behandelt. E r verweist auf Werte und macht sie in gewissem Sinne begreifbar. Aber im Grunde sind sie doch nicht faßbar. Sie sind das >ganz Anderes das Numinose, das Tremendum (das tiefste Erzittern), das Fascinum (das Anziehen und Abstoßen), die Majestas (das Ubermächtige) [...]. Die von O t t o formulierten Gedanken gelten auch für die Kunst. Auch sie ist unbegreiflich und letzten Endes als Urphänomen unbegreiflich.« (100)

Mit dem Numinosen und dem dadurch geweckten »Kreatürlichkeitsgefühl« kulminierte, so der Philosoph Giorgio Agamben, ein Prozeß der Säkularisierung religiöser Erfahrung. Ottos Schrift stelle eine Theologie dar, »der jeglicher Sinne für das offenbarte Wort abhanden gekommen ist, und eine Philosophie, die angesichts des Gefühls alle Nüchternheit verlassen hat, ihre Vereinigung in einer Vorstellung des Heiligen [fand], die nunmehr eins ist mit dem Dunkeln und Undurchdringlichen. Daß das

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21

Briefe vom Juni 1939 von Karl Hofer an Leopold Ziegler; hier zit. nach Martin Schwarz, Rezension des Buches von Andreas Hüneke (Hrsg.), Leopold Ziegler, Karl Hofer, Briefwechsel 18971954, Würzburg 2004, unter: http://www.geocities.com/CapitolHill/1404/hofer.html. »Es liegt also ein elementarer Zustand des Sehens vor dem körperhaften und nutzbringenden Sehen. Man könnte es das ,Schauen< nennen. Dieses Schauen steht über der Ratio und erfaßt alle Erscheinungen als rein visuelle Phänomen [...].« Das Unbekannte (wie Anm. 6), 44.

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Susanne

Leeb

R e l i g i ö s e v o l l s t ä n d i g in die S p h ä r e d e r p s y c h o l o g i s c h e n E m o t i o n falle u n d d a ß es g a n z w e s e n t l i c h m i t d e m S c h a u d e r u n d d e r G ä n s e h a u t z u t u n h a b e , das ist d i e Trivialität, w e l c h e d e r N e o l o g i s m u s >numinos< d e n A n s t r i c h v o n W i s s e n s c h a f t l i c h k e i t v e r p a s s e n soll.« 2 2

Gerade aber einer antirationalistischen Konzeption von Kunst, einer dem »Unbekannten« verpflichteten und auf Ahmung beruhenden Künstlermetaphysik, die sich als freie gerade nicht mehr an die Religion gebunden sah, konnten Ottos Schriften gelegen kommen, sieht Baumeister Kunst doch selbst in einer Affinität zu religiösen und kultischen Handlungen: »Die großen Gesetze der Welt können durch Kunst und Religion gleich stark geoffenbart werden.« (101) Aufgrund ihrer »Unbegreiflichkeit« sei naheliegend, daß Kunst sich »so eng mit allen sakralen Vorstellungen und auch mit dem Adoratisch-Kultischen des religiösen Gebrauchs verbinden konnte« (100), wobei »das Heilige und Ubermächtige durch das Abstrakte und Nichtbegrifflich-Festlegbare stärker zum Ausdruck kommt, als durch die bunten Plastiken der heiligen Figuren.« (208) Baumeisters Vorstellung des künstlerischen Subjekts als eines »Sehenden« und einer Kunst, die wohl noch religio besäße, ohne religiöse Kunst zu sein, kommt insofern dieser Psychologisierung der religiösen Erfahrung nahe, als es nur Künstlern (neben den Kindern und »Primitiven«) möglich sei, jene Urkräfte sichtbar zu machen. Insofern ist das ahmende Künstlerdasein eine psychische Disposition, ohne daß der Wahrheits- und Absolutheitsanspruch aufgegeben werden mußte. Die Übertragung religiöser Kategorien auf ein modernes Künstlerbild 23 wurde durch die Verbindung von Anthropologie und Psychologie vorbereitet. Ein wichtiger Schritt in diesem Prozeß waren von Wilhelm Wundt initiierte völkerpsychologische Ansätze Ende des 19. Jahrhunderts, in denen durch die Identifikation von anderen Völkern als »primitiv« oder »ursprünglich« Religiöses, wie Tabu, Ritual oder Schau auf ihre Urmenschlichkeit zurückgeführt werden können. So finden in Baumeisters Kunsttheorie Vorstellungen über den »Primitiven« mit einer nun als emotionales Phänomen begriffenen Religiosität im Bild des modernen Künstlers zusammen. Diese Zuschreibung auf außereuropäische Völker konnte Baumeister von dem Ethnologen Leo Frobenius übernehmen. Baumeister zitiert ihn in Das Unbekannte als Gewährsmann für die »kultische Gebundenheit« aller frühen Kunst. Wie Otto gehörte Frobenius einem Frankfurter Mythologenkreis an. Beide stehen für einen »bildhaften mythopoetischen Ausdruckswunsch«, »für ein nicht-analytisches, sondern synthetisches und holistisches Denken, in dem sich das >Ich< einer (überpersonalen) geistigen und schicksalhaften Instanz als Größe unterordnet.« 24 Frobenius steht in der Nachfolge 22

23

24

Giorgio Agamben, Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/Main 2002, 88, wobei es Agamben nicht um eine »Rettung« des Heiligen geht, sondern Profanierung als politische Aufgabe versteht. Vgl. dazu ausführlicher den Aufsatzband: Leander Kaiser, Michael Ley (Hrsg.), Von der Romantik zur ästhetischen Religion, München 2004, darin u. a. Michael Ley, »Gnosis und ästhetische Religion«, 51-60. Hans-Jürgen Heinrichs, Die fremde Welt, das bin ich. Leo Frobenius: Ethnologe, Forschungsreisender, Abenteurer, Wuppertal 1998, hier 30.

Die modernen Troglodyten. Willi Baumeisters Kunsttheorie

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Spenglers, ohne allerdings dessen zyklisches Geschichtsmodell zu teilen. Der Gedankenzug, der Spengler, Frobenius und auch Baumeister gemeinsam ist, ist eine morphologische Perspektive, nach der, wie Jeffrey Herf für Spengler zusammenfaßt, äußere Artefakte politische und kulturelle Institutionen, architektonische Formen, ökonomische Organisationen das äußere Bild von etwas Innerlichem und Verborgenem seien: der Seele oder des Lebens als elementare Lebenskräfte. 25 Frobenius selbst hatte daran das Konzept einer überindividuellen Kulturseele entwickelt, dem Paideuma, von der man ergriffen werden könne. Fähig zu dieser Ergriffenheit vom Wesen der Dinge sind nach Frobenius afrikanische Stämme, die Deutschen und Künstler. Afrika nahm dabei eine ausgezeichnete Stellung ein, da er hier »die Jugend der Menschheit« sah, »wo das Irrationale, Unbewußte und Ungeformte seinen Ausdruck vor allem in Mythen fand.« 26 Bei Baumeister heißt es ähnlich, daß in der Kunst der Naturvölker »[...] die Lebenskraft der Welt, der Weltstoff unmittelbar rein und stark zu sprechen [scheint]. Jeder >Wilde< konnte produzieren, solange die zivilisatorischen Einflüsse fernblieben, die Unreinheit, das Interessiert-Zweckhafte.« (165) Seine Auffassung des Künstlers als Medium für Urkräfte konnte sich also durch Frobenius bestätigt oder inspiriert sehen. Auch dessen Konzept einer Seelenhaftigkeit, mit der - gemäß dem damaligen topischen Gegensatz zwischen Geist und Seele / Vernunft und Emotion - stets alles Gefühlshafte angesprochen werden sollte, bot für Baumeister ein weiteres Identifikationsangebot. Während Frobenius den nationalsozialistischen Rassebegriff ablehnte, gilt dies für Josef Strzygowski nicht mehr. Er spezialisierte sich auf den Nachweis einer rassisch begründeten Existenz von nordischer Seelenhaftigkeit. Dies wird von Baumeister nicht übernommen, er zitiert ihn allerdings mit der These, daß alle ungegenständliche Kunst einem nördlichen Erdgürtel zuzuweisen sei, dem eine »Machtkunst« eines mittleren Erdgürtels gegenüberstehe. (102) Strzygowski subsumierte das Ungegenständliche, Nordische und Seelenhafte unter den Begriff des »bildlosen Sinnbildes«. Dagegen sei die so genannte Machtkunst eine seit dem Hellenismus und dann von Rom aus verbreitete Kunst, die sich durch Menschendarstellungen auszeichnet und von Dogmen und Gesetzen seitens der Höfe und Kirche reguliert und dominiert worden sei. Mit dieser Entgegensetzung ging es Strzygowski darum, das volkstümliche, seelenhaft Nordische an den Anfang der Menschheit überhaupt zu setzen und die Kunstgeschichte daraufhin vollständig umzuschreiben. Er radikalisiert damit einen Ansatz aus den 1920er Jahren, als einige Autoren versuchten über den Bezug auf die Bronzezeit und urzeitliche Kunst den Expressionismus von »fremden Elementen« zu reinigen. So warnte der Karlsruher Professor für Geologie Wilhelm Paulcke in seiner Schrift »Eiszeit und Moderne Kunst« (1923) ausdrücklich vor einer »Bastardisierung« der deutschen Kunst: Sie könne nie eine deutsche sein,

25 26

Vgl. Jeffry Herf, Reactionary Modernism. Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge, London and N e w York 1984, 52. Heinrichs, Die fremde Welt (wie Anm. 24), S. 100.

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»wenn sie auf den Äußerungen des Empfindungslebens anderer Zeiten, Rassen und Völker - z.B. derjenigen des Malayischen Archipels, Afrikas, Japans, oder Chinas aufbaut; sie muß in deutschem Boden wurzeln.« 27 Paulcke, der vor allem durch Gletscher- und Lawinenforschungen bekannt geworden war, ist für den Zusammenhang von Frühgeschichte und Moderne insofern relevant, als er Höhlenmalereien und Bildwerke aus der Stein- oder Bronzezeit sowie ein ägyptisches Grabrelief anhand von Bildvergleichen mit der zeitgenössischen Kunst parallelisierte. Nebeneinander platzierte Abbildungen sollten belegen, in welchem Maße Zeichnungen und Gemälde von Kandinsky, Hodler, Klee oder Franz Marc den Bildwerken der »Urzeit« entsprechen. Wenn auch die von ihm angeführten paläolithischen Artefakte selbst nicht in Deutschland liegen, so zumindest nicht mehr in Afrika. Damit liefert er frühe Argumente für die von Jutta Held so genannten »faschistischen Modernisierer«, die den Expressionismus anfänglich noch für den Nationalsozialismus zu retten suchten,28 bevor er unter das Verdikt der »Entartung« fiel. Einen Verbindungstext zwischen Paulcke und jenen Kunsthistorikern, wie Wilhelm Pinder, auf den Held verweist - oder eben Strzygowski - stellt die Schrift des späteren Rassetheoretiker Ernst Otto Hauser »Urmensch und Wilder. Eine Parallele aus Urwelttagen und Gegenwart« (1921) dar. Auch er stellt außereuropäische gegen »diluviale Völker«: »Branntwein, Kleider und Waffen machten aus dem Wilden keine Kulturmenschen in des Wortes heiligster Bedeutung ... Anders liegt die >Menschwerdung< bei den diluvialen Völkern. Die Sonne der Kultur ging über und in ihnen auf.«29 Hauser versetzt den Anfang der Menschheit nach Europa und gehört damit zu einer Strömung, die den Topos »ex Oriente lux«, die noch bis ins 19. Jahrhundert gültige Annahme, daß der Ursprung der Menschheit in Asien liege durch »ex detrementione lux«30 ersetzte. Allerdings ist bei Hauser der Anfang noch nicht geografisch genauer lokalisiert. Dies übernahm dann Strzygowski, der ab 1933 zu den führenden Kunsthistorikern des Nationalsozialismus gehörte. Den Nationalsozialismus wird er entsprechend der

27 28

29

30

Wilhelm Paulcke, Steinzeitkunst und moderne Kunst, Stuttgart 1923, 58. Jutta Held, Kunstgeschichte im .Dritten Reichc Wilhelm Pinder und Hans Jantzen, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 5, 2003, Schwerpunkt: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, hg. von Jutta Held, Martin Papenbrock, Osnabrück 2003, 17-60; Vor allem Pinder hatte anhand der nordischen Ornamentik der Bronzezeit das »Wesen der deutschen« Kunst zu definieren gesucht: eine »Dynamik die über die einzelne Form hinausschießt, die tätige Selbstbehauptung der Formen«, was Pinder in der Bachschen Fuge wieder erkennt. Das Wesen werde dabei »über eine unsterbliche Rasseseele« vermittelt - ein Begriff, so Held, aus der Völkerpsychologie. Hier 183. Otto Hauser veröffentlichte bis zu seinem Tod 1921 zahlreiche rassenbiologische Schriften, unter anderem: Der blonde Mensch (1921/1920), Die große zentrale europäische Urrasse (1925), Rasse und Kultur (1924) - und posthum veröffentlicht Die Rasse der Juden (1933) und Die Geschichte des Judentums (1935). Vgl. dazu Ingo Wiwjorra, »>Ex Oriente lux< - >Ex serpentrione luxDritten Reich< (wie Anm. 28), 29.

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»in der Nachkriegszeit Uberzeugungskraft zugetraut [wurde], nun allerdings in der verallgemeinerten, abstrakt und >bodenlos< gemachten und damit quasi entnazifizierten Form einer semantischen und formalen Symbiose zwischen Archaik und Spätzeit, Urgeschichte und Moderne« 38 ,

war insofern nicht ganz so bodenlos und semantisch abstrakt. Gerade das urzeitlich fundierte »Reinheitsphantasma« der modernen Kunst ließ es als überflüssig erscheinen, sich gerade mit den Implikationen dieser Koppelung auseinander zu setzen. Baumeisters Kunsttheorie bleibt zwar die eingangs genannte Zurückweisung des Entartungsdiskurses. Diese Zurückweisung wußte die Bedeutung der modernen K u n s t aber nur mit einem unhinterfragten Absolutheitsanspruch und national konnotierten Seelenkonzept zu garantieren.

38

Ebd., 30.

Abstraktion und Abendland: Die Erfindung der documenta als Antwort auf »unsere deutsche Lage« Gregor

Wedekind

Die Trägerschaft der documenta 1955 in Kassel, welche später als die erste gezählt werden sollte, lag in den Händen einer privaten Gesellschaft, die den Namen trug: »Abendländische Kunst im XX. Jahrhundert e. V.« Wie Harald Kimpel dargestellt hat, war die Gründung dieses Vereins notwendig geworden, da der Freundeskreis um Arnold Bode eine Organisationsform finden mußte, um das ehrgeizige AusstellungsUnternehmen - den sogenannten Bode-Plan - von seiner praktischen Seite her zu bewältigen.1 Da die in Kassel existierenden Kunstvermittlungsbetriebe wie Kunstverein und Staatliche Kunstsammlungen Bode und seinen Mitstreitern als institutioneller Rahmen nicht passend erschienen, man jedoch in den Genuß von öffentlichen Mitteln, privaten Spenden, Nutzungsrechten für staatliche Gebäude etc. kommen wollte, war es unabdingbar, der privaten Initiative einen Status zu verschaffen, eben den eines eingetragenen Vereins mit gemeinnütziger Zielsetzung.2 Zudem war der Verein ein geeignetes Instrument, Honoratioren der Stadt Kassel und des Landes Hessen einzubinden, und damit die politische Durchsetzung des Ausstellungsvorhabens vorzubereiten. Den Vorsitz hatte denn auch der Raiffeisen-Direktor Heinz Lemke inne, sein Stellvertreter war der Landgerichtspräsident Erich Lewinski. SPD- und FDP-Bundestagsabgeordnete wie Adolf Arndt (SPD), Ludwig Preller (SPD) und August-Martin Euler (FDP) waren mit von der Partie, ebenso die Feuilletonredakteurin Hilde Roemer-Bergfeld, der Kustos der Antikenabteilung im Hessischen Landesmuseum Herbert Freiherr von Buttlar, Ulrich Gertz vom Darmstädter Rat für Formgebung, der Direktor der Staatlichen Werkakademie Stefan Hirzel, Regierungspräsident Fritz Hoch (SPD), Oberbürgermeister Lauritz Lauritzen, der Professor für Landschaftsplanung Hermann Mattern, Staatstheaterintendant Hermann Schaffner, der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Hans-Erasmus Vogel, der Bauunternehmer Robert Völker und Arnold Bode selbst, Professor für Malerei an der Staatlichen Werkakademie. 1 2

Harald Kimpel, documenta. Mythos und Wirklichkeit, Köln 1997. Ebd., 164 ff.

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Wedekind

D i e Namensgebung des Vereins durchlief verschiedene Stadien. Zunächst hatte man sich zu Beginn des Jahres 1954 auf die Formulierung »Europäische Kunst des 20. J a h r hunderts« geeinigt, ergänzt um den Untertitel: »Gesellschaft zur Vorbereitung und Durchführung einer Veranstaltung anläßlich der Bundesgartenschau 1955«. Als der Verein dann am 28. 4. 1954 ins Vereinsregister eingetragen wurde, lautete seine N a m e : »Abendländische Kunst des X X . Jahrhunderts e.V.« Wie aus § 2 der Satzung hervorgeht (Abb. 1), sollte zu diesem Zeitpunkt nicht nur der Verein selbst, sondern auch die Ausstellung, zu deren »Vorbereitung und Durchführung [...] anläßlich der Bundesgartenschau in Kassel 1955« er gegründet worden war, »Abendländische Kunst des 20. J a h r hunderts« heißen. Mit Ausnahme von Kimpel hat die Sekundärliteratur zur documenta

diese N a m e n s -

gebung, das Durchstreichen Europas zugunsten des Abendlandes, nicht weiter registriert und wenn, dann mit Befremden oder beiläufigem Spott. Auch in Kimpels O h r e n

I II !

S A t « VL Λ ff dee Vereins rflmopUlrgft^ Kunst des 20. Jahrhunderts.*

Der Kaße d«tj Vereise iati "Jfeirapäieöfee-Xvnet dee 20. Jahrhunderts". 5 ? 2wec* des Verein« ist die Torb^ltimij and ..Buchführung insbei-or. ere der As»et*UW€ t.me>t dee tO, iihrfeandcrte* anläflich 4er Bund-sagartenschau 1955 Iii Kasoel. Iter Verefca dient keinem Erwerbsaiweck. Er Terfolgt lediglich aeceiantUsige Ziele» Der Sitz dfcs Verein» iet Kassel. Der Verein soll ih das V«relaeregislier eingetragen werden. I 5 I. mtglleder dee Vereins können »atarlicfeeund Juristleche sowie jBersö^»ve reinl^ungen »erden, die toa engerer. Vorstand sue, irverb der Kitgliedschaft aufgefordert werde«. II. Cber ilo Äuinahtae entscheidet der »eitere Vorstand 1« Sinne cee § 4 Abs. 5 der Sateun« mit 2/> Mehrheit seiner erschienenen intgliederi I4 I. Der Verein bat eine» eageren Versteni (töratanü im Sinne öes 5 26 Abs. 1 B08) und einen erweitertem Vorstand. II. Der entere Voretafta besteht «aa den: 1. and 2. Voreitsenden. Der 1. Vorsitzende vertritt den Verein gerichtlich and außergerichtlich. Ls *aile seiner Verbinden«g oder »eines ^•gfallae tritt an »eine Stelle 4er 2. Veraitaendc. III« Der erweitere Vorstand besteht aus de« entere« Vorstand, den: SchriftführerpSai de» Ks^ierer. If

1 Handschriftlich korrigiertes Typoskript der Satzung des Vereins »Abendländische Kunst des 20. Jahrhunderts«, 1954

Abstraktion und Abendland

167

klingt der N a m e »gleichermaßen hochgegriffen wie bieder-konservativ«. 3 F ü r Kimpel sind es denn »allem Anschein nach [...] ausschließlich taktische Erwägungen, die dazu führen, daß [...] sich das junge Unternehmen mit dem problematischen AbendlandBegriff belastet. D e n n

mit der für die Planungsgemeinschaft

charakteristischen

Mischung aus taktischer Raffinesse und unkonventioneller Naivität, Hellsichtigkeit gegenüber gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten und pragmatischer Bedenkenlosigkeit versteht man die geänderte Namensgebung zum einen als Konzession an potentielle Geldgeber, von denen man annimmt, daß sie diesen vermeintlichen Würdetopos gern mit der von ihnen geförderten Sache in Verbindung sähen; zum andern stellt man konkrete Spekulationen in Richtung Leihgabenbeschaffung an.« 4 W i e D i n a Sonntag in ihrer Dissertation von 1997 präzisieren konnte, geht die Namenswahl - die auch in ihren O h r e n »vergleichsweise eigenartig« klingt 5 - auf den Rat von H e r w i n Schaefer zurück, dem Verbindungsmann des Kasseler Freundeskreises in den U S A , der ausgeführt hatte, daß »unter dieser Firma die Amerikaner leichter bereit sind, Bilder zur Verfügung zu stellen von Deutschen, die Amerikaner geworden sind und nun nicht mehr die europäische sondern amerikanische Kunst repräsentieren. Z u m Abendland hingegen lassen auch die Amerikaner sich gerne zählen.« 6 D i e Organisatoren selbst haben ihre Begriffsfindung später heruntergespielt. Lemke, der Raiffeisendirektor, erläuterte 1973, daß der N a m e sich nicht mit dem Vorhaben gedeckt, man ihn aber schließlich akzeptiert habe, da Vereinsnamen ja selten aussagen würden, was der Verein wirklich beabsichtige. 7 U n d auch Bode wollte von einer tieferen Bedeutung der Wortwahl nichts wissen und tat sie 1977 in einem Interview mit der Bemerkung ab, »der N a m e lag so in der Luft.« 8 Offenbar führte also 1954 - ganz so wie Kimpel es dargelegt hat - weitgehender Pragmatismus die Feder, als es darum ging, den geographischen Einzugsbereich der Ausstellung (Westeuropa) und ihren internationalen Zuschnitt zu kennzeichnen, ein Pragmatismus, der auch durch die vielfältigen Namensmodifikationen bestätigt wird. D i e Ausstellung, die ursprünglich 3 4 5 6

7 8

einmal

Ebd., 166. Ebd., 167. Fälschlicherweise behauptet hier Kimpel, die Namensgebung gehe auf eine Formulierung des Kassenwarts des Vereins, Robert Völker, zurück. Dina Sonntag, Zugriff auf die Moderne. Fallstudien zu Kunstwissenschaft und Kunstausstellung um 1950, Berlin 1999, 97. Wiedergegeben ist diese Begründung in einem Schreiben von Hilde Römer-Bergfeld an Ludwig Preller vom 7.4.1954, welches sich im documenta-Archiv befindet. Zit. nach Sonntag 1999 (wie Anm. 5), 97. Wie stichhaltig Schaefers Argument war, sei dahingestellt, da es zum einen vor allem um eine Leihanfrage der documenta beim Museum of Modem Art ging, Hauptwerke europäischer Kunst, wie etwa die von Matisse und Picasso betreffend, welche sicherlich keine deutschen Emigranten, sondern europäische Künstler in einem amerikanischen Museum waren, zum andern aber gibt es keinerlei Hinweise dafür, daß sich die documenta speziell um das Werk von exilierten Künstlern bemühte. Lediglich auf Albers, Feininger, und Beckmann hätte möglicherweise eine entsprechende Charakterisierung als ins amerikanische Exil gegangene deutsche Künstler zutreffen können. Vgl. Kimpel 1997 (wie Anm. 1), 168. Arnold Bode, Ich mußte aus Kassel etwas machen, um nicht unterzugehen. Interview, in: Kunst und Medien. Materialien zur documenta 6, hrsg. von Horst Wackerbarth, Kassel 1977, 139-142, hier 140.

168

Gregor Wedekind

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1

2 Handschriftlicher Gestaltungsentwurf »Kunst Europas seit 1900. Ausstellung europäischer Kunst in Deutschland«

»Kunst Europas seit 1900. Ausstellung europäischer Kunst in Deutschland« (Abb. 2) bzw. »Europäische Kunst des 20. Jahrhunderts« heißen sollte, hieß dann eben doch nicht »Abendländische Kunst des 20. Jahrhunderts«, sondern wurde in einer weiteren Etappe der Namensgebung noch im Jahr 1954 zunächst um das Wort »documenta« erweitert, wie ein wahrscheinlich von Bode stammender handschriftlicher Gestaltungsentwurf mit dem Titel »documenta. 1. internationale Ausstellung abendländischer Kunst« zeigt (Abb. 3). Im Januar 1955 wurde dann daraus »documenta. Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts«, 9 um schließlich endlich einfach nur documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. Internationale Ausstellung zu heißen.

9

Vgl. das im documenta-Archiv aufbewahrte Protokoll der Sitzung des Arbeitsauschusses »documenta. Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts« am 10./11. Januar 1955: »Die Unterzeichneten erklären, daß sie nach Prüfung der örtlichen Voraussetzungen und geleisteten Vorarbeit der Meinung sind, daß die in Kassel vom 15. Juli bis 30. August geplante große internationale Kunst-

Abstraktion und Abendland

169

flficimnb

3 Handschriftlicher Gestaltungsentwurf »documenta. 1. internationale Ausstellung abendländischer Kunst«, 1954

Kimpel hat in diesen Vorgängen gleichwohl ein Indiz für eine politische Problemlage gesehen, die den Organisatoren in ihrer »begrifflichen Leichtfertigkeit« 1 0 entgangen sei. Handele es sich bei dem Abendlandsbegriff doch in den fünfziger Jahren nicht um eine harmlose Angelegenheit, vielmehr gerate man damit in den schwülen D u n s t einer »pathosgeladenen Bekenntnisvokabel«, 1 1 die durch die A r t ihrer politischen Instrumentalisierung in der Bundesrepublik der 1950er Jahre in einem Ausmaß diskreditiert gewesen sei, daß sie für eine sich fortschrittlich begreifende und explizit für die Jugend eingerichtete Kulturveranstaltung eigentlich vollständig unbrauchbar gewesen sein müßte. Kennzeichen des Abendland-Begriffs seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei die abgestandene Atmosphäre um die Ideologie einer mythischen und religiös-politischen Konzeption, in deren Namen sich Repräsentanten eines konservativ-reaktionären Geschichtsverständnisses um die Installation einer metaphysischen Geographie bemühten.

10 11

ausstellung >documenta. Abendländische Kunst des X X . Jahrhunderts< einen nach Idee und Umfang von deutscher Seite bisher noch nicht geleisteten Beitrag zur Darstellung der Kunst der Gegenwart bedeutet. Sie sind der Uberzeugung, daß ein solches Unternehmen als Erwiderung auf die zahlreichen Bemühungen des Auslandes, nach dem 2. Weltkrieg mit Deutschland, abgesehen von Einzelausstellungen, wieder international ins Gespräch zu kommen, gerade zu diesem Zeitpunkt besonders erwünscht ist.« Kimpel 1997 (wie Anm. 1), 167. Kimpel 1997 (wie Anm. 1), 168.

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Als Beispiel dafür verweist Kimpel auf die >Abendländische Aktionöstlichen Kommunismus< wurden.« 12 Kimpels Fazit lautet daher: »Mit ihrem leichtfertigen verbalen Bekenntnis zum Abendland-Europa-Konzept legt die documenta also schon 1954 [...] den Grund für ihre später verbreitete Rezeption als politische Maßnahme im Zusammenhang der Ost-West-Konfrontation.« 13 Der documenta sei dadurch unnötiger- und bedauerlicherweise, wie man Kimpel wohl lesen muß - die Funktion der Demonstrationsinstanz westlicher Kunstpraxis gegenüber dem sozialistischen Realismus aufgebürdet worden, was das junge Unternehmen anfällig für eine Kritik aus linker Position gemacht habe. Kimpels Interpretation bleibt darin widersprüchlich, daß sie einerseits die Verwendung des Abendlandbegriffs durch die Veranstalter als Indikator für einen ganzen damit verbundenen ideologischen Komplex begreift, der für die Genese der Ausstellung höchst bedeutungsvoll sein soll, gleichzeitig aber nachweisen will, daß dieser für das Unternehmen letztlich nicht substantiell, vielmehr nur arbiträr war. Tatsächlich kommt das Wort Abendland in den sonstigen Verlautbarungen zur Ausstellung kaum vor. Im Katalog erscheint es en passant im kurzen Vorwort des Raiffeisendirektors Lemke, nicht aber in der programmatischen Einleitung des Kunsthistorikers Haftmann, auch nicht in dessen Rede zur Eröffnung. 14 Und es gibt auch keinen Zweifel daran, daß die documenta und ihre Macher keinen genuinen Bezug zu dem radikal-konservativen Abendlandkonzept hatten. Weder propagierte die documenta eine Neubegründung Europas im Zeichen der mittelalterlichen Reichsidee, noch war der eingefleischte Sozialdemokrat Arnold Bode ein Fahrensmann rechter Kreise und Bünde, genausowenig seine Mitstreiter, noch wurde in den offiziellen Verlautbarungen eine kulturkritische Rhetorik von Verfall, Niedergang und Ende geübt oder die Konservative Revolution ausgerufen, nicht die Rückkehr zu einer prästabilen abendländischen Ordnung gepredigt, nicht rheinisch-alemannische Katholizität gegen den preußisch-protes12 13 14

Jost Hermand, Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945-1965. München 1986, 83. Kimpel 1997 (wie Anm. 1), 170. Werner Haftmann, Einleitung, in: documenta. Kunst des X X . Jahrhunderts. Kat. Kassel, Fridericianum, München 1955, 15-25; Werner Haftmann, Uber das moderne Bild. Eröffnungsrede zur Ausstellung >documenta< Kunst des 20. Jahrhunderts (1955), in: ders., Skizzenbuch. Zur Kultur der Gegenwart. Reden und Aufsätze, München 1960, 1 1 7 - 1 2 3 .

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tantischen Ungeist ausgespielt und wie weitere Motive des Abendland-Diskurses zu buchstabieren wären.15 Das legitimatorische Bemühen der documenta bezieht sein Selbstverständnis zunächst und vor allem daraus, nicht politisch zu sein, jenseits aller Parteiungen zu stehen und die kulturelle und geschichtsphilosophische Berechtigung der modernen Kunst unter Beweis zu stellen. Der Abendlandbegriff spielte dafür, wenn überhaupt, nur in einer moderaten bildungsbürgerlichen Fassung eine Rolle. Der documenta ging es nicht um das Abendland, sondern um die moderne Kunst. Und Anliegen der Ausstellung war, wie Haftmann es in einem Expose formulierte, »das künstlerische Klima, insbesondere unseres Landes, im Sinne des Klaren, Bewußten, Beständigen zu beeinflussen.«16 Vor Abendlandgeraune hütete man sich bzw. sah sich in direkter Opposition dazu. Bereits auf dem 2. Deutschen Kunsthistorikertag 1949 in München hatte Haftmann vehement eingefordert, daß sich die deutsche Kunstgeschichte kritisch mit Hans Sedlmayrs Buch »Verlust der Mitte« auseinandersetzen müsse, da seine Aussagen zur modernen Kunst so nicht stehen bleiben könnten. Er ordnete das Buch in seinen Annahmen und Ergebnissen jener Krisen- und Untergangsliteratur zu, die das Nachkriegseuropa seit dem ersten Weltkrieg beunruhigen würden. Wo Sedlmayr Bindungslosigkeit und Sinnverlust, Chaos und Bodenlosigkeit diagnostizierte, sah Haftmann Freiheit: »Der moderne Geist der Freiheit«, zu dem es Ja zu sagen gelte.17 Und 1957 weist Haftmann in einem Text über Fritz Winter den Abendlanddiskurs explizit zurück: »Erinnern wir uns: - es waren nicht jene - damals nicht vernehmbaren und heute so

15

Vgl. O s k a r Köhler, Artikel >AbendlandEntartete Kunst< und documenta I. Verfemung und Entschärfung der Moderne, in: ders., Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit, München 1989, 7 6 - 1 1 9 , hier 76-77. Vgl. Programmankündigung 1955 (wie Anm. 16), 32. Das hat erstmals Sonntag 1999 (wie Anm. 5), 136ff. ausführlich dargelegt. Zeugnisse europäischer Gemeinsamkeit. Meisterwerke der Malerei und Plastik aus europäischen Museen und Privatsammlungen, Kat. Recklinghausen, Städtische Kunsthalle 1954, o. S. [1]. Sonntag 1999 (wie Anm. 5), 140. Für die Titelgebung der Ausstellung mag darüber hinaus auch der Titel der deutsch-französischen Kulturzeitschrift Dokumente/Documents eine Rolle gespielt haben, die von der »Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit« herausgegeben wurde. Haftmann hatte 1951 in einer Spezialnummer der französischen Ausgabe der Zeitschrift, die der zeitgenössischen Kunst in Deutschland gewidmet war, einen Artikel über die abstrakte Kunst veröffentlicht. Siehe ders., L'art abstrait, in: Documents, numero special (L'art allemand contemporain), 1951, 69-78.

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Wedekind

sie darüber hinausgingen und nicht die Werke selbst als D o k u m e n t e bezeichneten, sondern vielmehr die dokumentierende Tätigkeit der Ausstellung mit ihrem Titel herausstellten. D a m i t brachten sie das zum Ausdruck, was bereits vor der endgültigen Titelgebung documenta

bei der Vorbereitung programmatisch im Vordergrund stand:

die Intention, zu dokumentieren. D e r angespielte Terminus >Dokumentation< erfüllte eine nützliche Funktion, implizierte doch sein Anspruch auf Neutralität eine Ebene, die allen Kampfbegriffen überlegen sein sollte. D a m i t erfüllte die Ausstellung eine klare F u n k t i o n im R a h m e n der Eingliederung der Bundesrepublik in die westlichen Militär- und Wirtschaftsbündnisse, war sie doch ein von den Alliierten mit ihren eigenen Kunstprogrammen durchaus ermuntertes deutsches Buhlen um europäische Anerkennung, war sie ein Versuch, all das im deutschen N a m e n angerichtete Schreckliche vergessen zu machen, um in die Völkergemeinschaft auch von Seiten der Kultur wiederaufgenommen zu werden. Das war konkret die deutsche Lage, von der Haftmann in seiner Einleitung zum Katalog so geschichtsphilosophisch trächtig gesprochen hatte. Wie schwer es ihm fiel, die Nazizeit überhaupt nur zu erwähnen, wird schon aus seinen Formulierungen deutlich, denen der Widerstand anhaftet, mit denen der Autor zu kämpfen hat, wenn er das Thema, was er so gerne außen vorlassen würde, leider doch anschneiden muß: » D a k o m m t man wohl nicht umhin« heißt es dort »die schmerzhaften Erinnerungen anzurühren an jene jüngst vergangene Zeit, in der Deutschland aus der vereinten Anstrengung des modernen europäischen Geistes heraustrat [...].« 28 Haftmann h o b darauf ab, daß der Schaden, der bei dem nationalsozialistischen Betriebsunfall entstanden war - jener »sehr seltsam anmutende Anfall von Bilderstürmerei« - nicht den Künstlern entstanden sei, sondern der Nation: »Ihrem Bewußtsein von zeitgenössischer Kultur, ihrem passiven Kulturwollen. Sie wurde durch den massierten Einsatz der Betörungsmittel der Massenglücksdogmen gerade aus jener Kontinuität des Denkens herausgeschreckt, in der allein die Äußerungen der modernen Kunst ihr verständlich werden konnten.« 2 9 D i e in Haftmanns Bemerkungen aufleuchtende metaphysische Nationalidee wird somit ausdrücklich durch den Hinweis auf die Kontinuität eines Denkens, das Europa gemeinsam ist, gerechtfertigt. Diesem D e n k e n liegen einige Parameter zugrunde, wie etwa Individualität, Originalität und Fortschritt. In ihm ist vor allem ein bestimmtes Verhältnis zur Wirklichkeit beheimatet, dessen Modell letztlich der Naturwissenschaft entlehnt ist, die Haftmann nicht müde wird als Analogie heranzuziehen, will er seinem gegenüber der modernen Kunst ressentimentgeladenen Publikum den Wert der modernen Kunst erläutern. 30 Wie die Naturwissenschaft nicht mehr von einer Deduktion ausgehe, von einer allgemeinen Annahme, auf die dann die partikulare Erscheinung ver28 29 30

Haftmann 1955 (wie A n m . 14), 16. Ebd., 16-17. Zur Parallelisierung von Kunst und Naturwissenschaft nach 1945 siehe allg. Martin Horacek, Naturwissenschaftliches Weltbild und abstrakte Malerei, in: >FlächenlandNachahmung der Natur< kommt der Philosoph Hans Blumenberg auf den Künstler Paul Klee zu sprechen. Erst durch die Uberwindung der Mimesis-Bindung, der Auflösung des prästabilisierten Zusammenhangs von Mensch und Natur, komme in der Kunst die »Idee des schöpferischen Menschen« zu ihrem vollen Recht. Von der einen gegebenen Welt über die beste aller Welten zu der Unendlichkeit der möglichen Welten. Die Metaphysik der Nachahmung transformiere sich in die Faktizität der »Vorahmung« der Natur: »Ich denke an ein in der Bewußtheit seiner Antriebe so paradigmatisches Lebenswerk wie das von Paul Klee, an dem sich zeigt, wie im Spielraum des frei Geschaffenen sich unvermutet Strukturen kristallisieren, in denen sich das Uralte, Immer-Gewesene eines Urgrundes der Natur in neuer Uberzeugungskraft zu erkennen gibt. So sind Klees Namengebungen nicht die üblichen Verlegenheiten der Abstrakten, an Assoziationen im Vertrauten zu appellieren, sondern sie sind Akte eines bestürzten Wiedererkennens, in dem sich schließlich ankündigen mag, daß nur eine Welt die Seinsmöglichkeiten gültig realisiert und daß der Weg in die Unendlichkeit des Möglichen nur die Ausflucht aus der Unfreiheit der Mimesis war.« 32 Blumenbergs transzendentaler Zirkel schlägt den Bogen von der Freiheit der Phantasie zu einem Urgrund der Natur zurück. Im Spiel der Erfindungen Klees schäle sich doch nur wieder die eine »Grundfigur des Seins«, der »Kern von Evidenz« heraus, den man nun aber nicht mehr als unausweichlich Gegebenes hinzunehmen habe, sondern in freier Einwilligung anerkennen könne. 33 Wie Haftmann so möchte auch Blumenberg 31 32 33

Werner Haftmann, Einführung, in: II. documenta. Bd. 1: Malerei, Kat. Kassel, Fridericianum, Köln 1959, 11-19, hier 14. Hans Blumenberg, >Nachahmung der NaturModerne Kunst< 1956 beinhaltet.« Dennoch, so Schubert weiter, gebe die Ausstellung kein »umfassendes Bild der Gesamtlage« und sei »darum als Ausgangspunkt für eine grundlegende Beurteilung der gegenwärtigen Situation nur mit Einschränkungen geeignet«. Ungegenständlich arbeitende Künstler dominierten, wenngleich mit Erich Heckel auch ein Repräsentant des Brücke-Expressionismus vertreten war. Zu den figurativen Künstlern zählten weiterhin die Bildhauer Emmy Roeder, Gerhard Mareks, Fritz König und Hans Wimmer sowie HAP Grieshaber. Die Ausstellung stieß in Presse und Öffentlichkeit sowohl auf Zustimmung als auch auf teilweise heftige Kritik. Dem hohen Anspruch, einen Uberblick über die aktuelle Kunstszene zu bieten, widersprach nämlich der Umstand, daß viele bedeutende Künstler fehlten; zum einen ältere, bereits arrivierte Künstler wie Carl Buchheister, Werner Gilles, Georg Meistermann, Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Theodor Werner, Georg Matare, Bernhard Heiliger, Karl Härtung und Hans Uhlmann, zum anderen Vertreter der jungen informellen Kunst wie Otto Greis, Heinz Kreutz, Peter Brüning, Winfred Gaul, Hann Trier, Gerhard Hoehme und Otto Herbert Hajek. Diese Künstler waren entweder nicht zur Teilnahme eingeladen oder ausjuriert worden, oder aber sie hatten die Ausstellung boykottiert - aber warum ein Boykott? Aus den im Stadtarchiv Leverkusen überlieferten Ausstellungsakten geht hervor, daß dies mit der Person Wessels und mit seinem eigenmächtigen Vorgehen bei der Ausstellungsvorbereitung zusammenhing. Nur auf persönliche Einladung konnten Künstler Werke einschicken, und wer eine solche Einladung erhielt, entschied allein Wessel. Da noch nicht einmal alle Mitglieder 3

Vgl. Malerei und Plastik in Westdeutschland - 1956. Ausstellung des Westdeutschen Künstlerbundes im Museum Schloß Morsbroich der Stadt Leverkusen, Bonn [1956]. Ein Exemplar des nicht paginierten Katalogs befindet sich im Stadtarchiv Leverkusen (StadtALev), w o ich Gabriele John für freundliche Unterstützung danke, unter Nr. LM 62. Darüber hinaus sind in Leverkusen zur Ausstellung folgende Akten vorhanden: StadtALev 4 1 0 . 3 1 1 , StadtALev 410.312. StadtALev 5 1 4 3 . 4 1 - 6 2 enthält ferner 17 Zeitungsartikel zu Ausstellung und Kritikertreffen. Sämtliche in diesem Aufsatz zitierten Presseartikel befinden sich in dieser Sammlung.

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des Westdeutschen Künstlerbundes eingeladen wurden, der ja Veranstalter der Ausstellung war, kam es zu Protesten innerhalb der Mitgliederschaft. Auch von den Nichtmitgliedern wollten sich einige wegen der dominanten Rolle Wessels nicht beteiligen, darunter die hoch angesehenen Künstler Werner Gilles und Karl Härtung, der damals Vorsitzender des Deutschen Künstlerbundes war. Dabei spielten offenbar auch die Erfahrungen eine Rolle, welche die Künstler mit Wessel im Jahr zuvor, 1955, in Paris gemacht hatten. Wessel hatte dort in Zusammenarbeit mit dem Galeristen Rene Drouin die Ausstellung Peintures et sculptures non figuratives en Allemagne d'aujourd'hui organisiert, die erste Ubersichtsausstellung deutscher abstrakter Kunst im Ausland nach dem Krieg, und durch sein autokratisches Handeln so manchen Künstler gegen sich aufgebracht. 4 Generelle Vorbehalte gab es gegen Wessel auch aufgrund seiner Vergangenheit als Parteimitglied der NSDAP und als Kriegsmaler. So stand die Leverkusener Ausstellung mehr als einmal auf der Kippe, und es war Wessels diplomatischem Geschick zu verdanken, daß sie gegen alle Widrigkeiten letztlich doch zustande kam. Allerdings trat Wessel 1957 wegen der Querelen um die Ausstellung vom Vorsitz des Westdeutschen Künstlerbundes zurück. 5 Das Expertengespräch in Leverkusen und Köln Von Anfang an hatte Wessel geplant, ausländische Experten um eine schriftliche Begutachtung der Ausstellung zu bitten und diese Gutachten zusammen mit den Pressekritiken zu veröffentlichen. So heißt es in dem Einladungsschreiben an die Künstler: »Die Zusammenfassung dient der Information des In- und Auslandes und dem Zweck weiterer Belebung des internationalen Kunstausschusses sowie der steigenden Ausstellungsmöglichkeit deutscher Künstler im Ausland.« 6 Und in seinem oben zitierten Katalogvorwort schreibt Wessel: »Heute besteht für uns nicht mehr die Isolierung wie seit 1933 oder auch kurz nach 1945. Ob wir gegenständlichen und ungegenständlichen Maler und Bildhauer im Gesamtbild der internationalen Kunstentwicklung noch eigene, nationale Züge aufweisen, mögen erfahrene, in- und ausländische Kenner besser beurteilen als wir. Wir werden den Kennern der internationalen aktuellen Kunst, die unsere Ausstellung besuchen, für ein unabhängiges, offenes Urteil gerade über diese Frage dankbar sein.« Die schriftlichen Stellungnahmen der Experten sowie die ausländische und inländische Presse zur Ausstellung wurden 1957 vom Westdeutschen Künstlerbund in einer eigenen, mit einer Umschlagzeichnung von Emil Schumacher versehenen Publi4

5 6

Vgl. Martin Schieder, Rene Drouin und seine Ausstellung »Peintures et sculptures non figuratives en Allemagne d'aujourd'hui« 1955 in Paris, in: Uwe Fleckner/Martin Schieder/Michael F. Zimmermann (Hrsg.), Jenseits der Grenzen. Französische und deutsche Kunst vom Ancien Regime bis zur Gegenwart. Thomas W. Gaehtgens zum 60. Geburtstag, Band 3: Dialog der Avantgarden, Köln 2000, 180-200. Vgl. Annette Müller-Held, Wilhelm Wessel 1 9 0 4 - 1 9 7 1 , in: Erich Franz (Hrsg.), Wilhelm Wessel 1904-1971. Malerei - Materie, Köln 2002, 18-41, hier 38. StadtALev 410.311, Teil 1, Blatt 9, verso.

Zur Debatte um ungegenständliche

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DOKUMENTATION

WESTDEUTSCHER

KÜNSTLERBUND

Die Meinungen ausländischer Experten und die Meinungen deutscher Kunstkritiker

2 Umschlag der »Dokumentation Westdeutscher Künstlerbund« von 1957 mit einer Zeichnung von Emil Schumacher

zur Ausstellung „Malerei und Plastik in Westdeutschfand" 1956, Leverkusen

kation mit dem Titel »Dokumentation Westdeutscher Künstlerbund - Die Meinungen ausländischer Experten und die Meinungen deutscher Kunstkritiker - zur Ausstellung, Malerei und Plastik in Westdeutschland< 1956, Leverkusen« dokumentiert (Abb. 2)7 Bereits drei Tage nach Eröffnung der Ausstellung, am Samstag, den 1. Dezember 1956, trafen auf Einladung Wilhelm Wessels im Museum Schloß Morsbroich die eingangs genannten zehn Kunstexperten zusammen (Abb. 3-5). An dem Treffen nahmen auch Wessel selbst, Vertreter des Kultusministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen und des Westdeutschen Rundfunks teil. Nach einem gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung diskutierten die Experten unter der Gesprächsleitung Wilhelm Wessels. Anschließend fuhren die Kritiker nach Köln, wo Rolf Wiesselmann das oben erwähnte Rundfunkgespräch über dieselben Fragen moderierte. Der Westdeutsche Rundfunk sendete dieses knapp 40minütige Gespräch in voller Länge sowie mit einer Einführung und einem Schlußwort von Carl Linfert am Freitag, den 1. März 1957, ab 22.10 Uhr in seiner Reihe »Nachtprogramm«. 8 In Leverkusen wie in Köln ging es um folgende drei Fragen (D): 7 8

Eine Photokopie der 20seitigen Dokumentation befindet sich im Stadtarchiv Leverkusen. Ein Tonband der Radiosendung ist im Archiv des WDR in Köln vorhanden, wo ich Klaudia Wilde für freundliche Unterstützung danke. Jeder Teilnehmer der Runde sprach in seiner Sprache, die fremdsprachigen Beiträge wurden anschließend für die Zuhörer auf deutsch zusammengefaßt. Die folgende Rekonstruktion der Diskussion basiert einerseits auf dem Tonband, andererseits auf der

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3 Ernest Goldschmidt, Pierre Janlet, Willem J. Η. B. Sandberg und Michel Tapie beim »Leverkusener Gespräch«, Leverkusen, 1. Dezember 1956

4 Herta Wescher, Ernest Goldschmidt, Georg Schmidt und Giuseppe Marchiori beim »Leverkusener Gespräch«, Leverkusen, 1. Dezember 1956

1. Ist der Durchbruch der »non-figurativen Kunst« nach 1945 in den verschiedenen Ländern als Ausdruck der »liberation« zu verstehen? 2. Sind innerhalb der internationalen Bewegung der »non-figurativen Kunst« in den verschiedenen Ländern nationale Wesenszüge zu erkennen? 3. Hat die deutsche Kunst seit 1945 die Zone der Isolierung (1933-1945) überwunden? Bei der Beantwortung der ersten Frage treten innerhalb der Runde unterschiedliche Ansichten hervor. So meint Georg Schmidt, dies sei von Land zu Land unterschiedlich erwähnten schriftlichen Dokumentation. Zitate oder Informationen aus dem Tonband sind mit (B) kenntlich gemacht, solche aus der Dokumentation mit (D).

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5 Rodolphe Stadler und Herbert Read beim »Leverkusener Gespräch«, Leverkusen, 1. Dezember 1956

(B), »für Deutschland und Italien« könne sie hingegen »mit einem klaren Ja beantwortet werden« (D). Zugleich warnte er davor, »den Geist der >liberation< mit dem Geist der ungegenständlichen Kunst zu identifizieren und die >liberation< gar als Vater der ungegenständlichen Kunst zu bezeichnen. Die >l^ration< war vielmehr ein Sammelbecken sämtlicher von den Diktaturen verfolgten geistigen Bewegungen« (D). Herta Wescher bemerkt zur Bedeutung der zeitgeschichtlichen Ereignisse in ihrer in der Zeitschrift »Cimaise« erschienenen Rezension, »daß die universale Bildsprache unserer Tage, die den Künstlern aller Länder gemeinsam ist, ihre Quellen in den Erschütterungen der Kriegsjahre hat, die viel zu tief, viel zu umwälzend waren, als daß sie der Kunst nicht einen grundsätzlich neuen Stempel aufprägen mußten« (D). 9 Dagegen betont Giuseppe Marchiori im Hinblick auf die Situation in Italien, daß es auch unter dem Faschismus avantgardistische, abstrakt arbeitende Gruppen gegeben habe (B), und auch Ernest Goldschmidt bestreitet, daß die Abstraktion eine Folge der Befreiung gewesen sei, vielmehr habe diese neuen Schwung in eine seit Anfang des Jahrhunderts sich entwickelnde Richtung gebracht (B). Daß zum Zeitpunkt der Befreiung im Grunde schon alle Wege in der Kunst begangen waren und erst danach, mit Wols, Dubuffet und Härtung, 9

Vgl. zu Herta Wescher jüngst Martin Schieder, Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959, Berlin 2005 (Passagen/Passages; 12), 166-176, zu Leverkusen 173f.

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Künstler mit neuen Handschriften hervorgetreten seien, bemerkt Michel Tapie (B), und Will Grohmann schildert das abrupte Ende der regen Kunstentwicklung in Deutschland im Jahre 1933 (B). In diesem Sinne argumentiert auch Herbert Read. Abstraktion sei »eine unvermeidbare Tendenz innerhalb der Gegenwartskunst«, der die »politische Befreiung« eine freiere Ausdrucksart ermöglicht habe, »sei es in Deutschland oder anderswo. Beziehungen zwischen abstrakter Kunst und soziologischen Faktoren sollten auf einer tiefer liegenden Basis gesucht werden, die in der gesamten westlichen Welt anzutreffen sind« (D). In bezug auf Frage zwei waren die Experten überwiegend der Meinung, daß die (ungegenständliche) Kunst der Gegenwart eher international denn national oder regional sei, was das Vorhandensein typischer nationaler Traditionen, Merkmale, Färbungen und Nuancen jedoch durchaus einschließe. Georg Schmidt: »Die ungegenständliche Kunst ist das Produkt von international wirksamen geistigen Bedingungen der westlichen Kultur des 20. Jahrhunderts. Die ungegenständliche Kunst ist in ihren geistigen Fundamenten nicht internationaler als irgendein Stil der Vergangenheit [...]. Auch wenn kein Stil absichtlich national gefärbt sein kann [...], so ist es doch unvermeidlich, daß jeder Stil in jedem Lande ungewollt eine nationale Färbung annimmt« (D). Pierre Janlet vertritt die Auffassung, die Künstler seien nicht in nationalen Eigenschaften befangen, allenfalls mit der Ausnahme lyrischer Richtungen (B). Die »neue Malerei« gestatte »eine breitere Basis von Experimenten« in aller Welt, was zu internationalem Austausch führe: »Diese gemeinsamen Erfahrungen ziehen Verallgemeinerungen in ihrer Zielsetzung nach sich - zum Nachteil nationaler Gesichtspunkte« (D). Ebenso unterstreicht Willem Sandberg den internationalen Charakter der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert, im Unterschied zur Literatur (B). Daß im Bereich der informellen Malerei gleichwohl die jeweiligen Traditionen im Land eine Rolle spielen und zu unterschiedlichen Nuancierungen führen, betont Herta Wescher (B), und auch Georg Schmidt akzentuiert die Bedeutung der nationalen Traditionen, gibt jedoch zu bedenken, daß sich die daraus resultierenden Nuancen erst in größerem historischen Abstand zu erkennen geben (B, D). Giuseppe Marchiori ist ebenfalls der Meinung, die abstrakt arbeitenden Künstler würden »ihre nationale Diktion, ihre typischen Merkmale, ihr entsprechendes Gefühl« (B) behalten. Einigkeit besteht weitgehend darin, daß die Kunst bereits in früheren Epochen einen internationalen Charakter gehabt habe. Die Internationalisierung, so Herbert Read, werde in der Moderne durch die Verbreitung von Reproduktionen und den Austausch von Rezensionen verstärkt, was unausweichlich zu einer Beeinflussung der Künstler führe (B). Dem pflicht Ernest Goldschmidt bei, weist indes zugleich darauf hin, daß diese Form des internationalen Austausche in der Kunstgeschichte kein neues Phänomen sei (B). Einig ist man sich auch hinsichtlich der dritten Frage, ob die deutsche Kunst elf Jahre nach Kriegsende die Phase der Isolierung während der NS-Zeit überwunden habe. Dies könne laut Georg Schmidt »kurz und bündig mit Ja beantwortet werden« (D), womit aber auch gewisse Gefahren verbunden seien: »Sogar soweit ist Deutschland im internationalen Gespräch [der ungegenständlichen Kunst, C. Z.], daß es auch alle Gefahren

dieser nun internationalen M o d e [...] mitmacht und daß Deutschland vor den genau gleichen Problemen steht wie wir alle, nämlich, es handelt sich nicht um eine Prinzipfrage, ob abstrakt oder nicht abstrakt, sondern um eine reine Qualitätsfrage: Wer hat in dieser Sprache etwas wirklich Neues zu sagen?« (B). Giuseppe Marchiori: »Die deutsche Kunst nimmt wieder aktiv teil an dem Erneuerungsprozeß, der sich in allen europäischen Ländern außerhalb des Eisernen Vorhanges - wohl aber in Polen und Jugoslawien - auswirkt« (D). Herbert Read: »Deutschland [hat sich] wieder mit der internationalen Entwicklung der Kunst vereinigt« (D). Pierre Janlet: »Deutsche Künstler nehmen Teil am K o n z e r t der N a t i o n e n « (B). Willem Sandberg: »ich glaube, daß wir behaupten können, daß seit anfang unseres Jahrhunderts wieder eine europäische kunst im entstehen ist und daß auch viele deutsche künstler an dieser entwicklung teilnahmen und -nehmen, die ausstellung in morsbroich ist davon eine bestätigung« (D). 1 0 An dieser Stelle lenkt R o l f Wiesselmann im Rundfunkgespräch die Frage auf die Verkaufschancen deutscher Künstler im Ausland. R o d o l p h e Stadler sagt hierzu, er habe noch keine Erfahrungen mit deutschen Künstlern, habe von diesen bislang nur Wols ausgestellt, und der lasse sich heute überall verkaufen. 11 Während Will G r o h m a n n - der in der D o k u m e n t a t i o n nicht mit einem Statement vertreten ist und sich, wie auch Michel Tapie, im Rundfunkgespräch merklich zurückhält - der Auffassung ist, daß sich deutsche Künstler im Ausland schlecht verkaufen lassen (mit Ausnahme Amerikas wegen der zahlreichen Emigranten), argumentiert Wilhelm Wessel, junge deutsche Künstler verkauften auswärtig sehr wohl recht gut und zwar besser als ältere Künstler (alle B). A u f die Frage nach der Isolation der deutschen Kunst zurückkommend, ist Ernest Goldschmidt der Meinung, dies könnten letztlich nur die Deutschen selbst beantworten: »Solange Deutschland sich isoliert fühlt, bleibt es isoliert.« G e o r g Schmidt findet diesen Gedanken »hervorragend«: »Es k o m m t auch auf Deutschland an, daß es sich nicht isoliert fühlt« (beide B ) . Mit diesem Satz endet das Rundfunkgespräch.

Das »Leverkusener Gespräch« im Kontext seiner Zeit Wie läßt sich das »Leverkusener Gespräch« im Kontext der Debatten und Diskurse der 50er Jahre inhaltlich bewerten und historisch verorten? Fest steht, daß es eine vergleichbare Diskussion prominenter Museumsleiter und Kunstkritiker aus mehreren europäischen Ländern über die Situation der Kunst in West-Deutschland in dieser Zeit wohl nicht gegeben hat. Das »Leverkusener Gespräch« ist im Zusammenhang mit den kunstpolitischen Aktivitäten Wilhelm Wessels zu sehen, der sich in seiner Funktion als

10 11

Kleinschreibung im Original. Später zeigte Stadler in seiner Pariser Galerie unter anderem Wilhelm Wessel und Emil Schumacher. Vgl. hierzu Zuschlag 2006 (wie A n m . 1). D a ß Stadler Wols ausgestellt habe, läßt sich allerdings anhand der Galeriechronik nicht nachweisen. Vgl. Galerie Stadler, 30 ans de rencontres, de recherches, de partis pris 1 9 5 5 - 1 9 8 5 , Paris 1985 (Privatdruck).

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Vorsitzender des Westdeutschen Künstlerbundes seit Jahren für die Anerkennung der deutschen Kunst im Ausland und umgekehrt für die Präsentation ausländischer Künstler im Inland einsetzte.12 Wessel zeichnete sowohl für die Ausstellung als auch für die Zusammensetzung der Expertenrunde und die ihr vorgegebenen Themen verantwortlich. Er verfügte über die entsprechenden Kontakte und Sprachkenntnisse, um ein solches Treffen zu organisieren. Es lag ihm, der ja selbst Künstler war, daran, durch die ausländischen Gutachten die deutsche Kunst in der internationalen Wahrnehmung aufzuwerten und damit nicht zuletzt ihre Marktchancen zu verbessern. Dabei erinnert die Konstellation, Expertenrunde mit Rundfunkübertragung in Verbindung mit einer Ausstellung, an Darmstadt 1950. Hier hatte, fünf Jahre nach Kriegsende und ein Jahr nach Gründung der beiden deutschen Staaten, ebenfalls im Rahmen einer Ausstellung (das menschenbild in unserer zeit) ein Expertengespräch stattgefunden, das als erstes »Darmstädter Gespräch« Geschichte schrieb. Neben Künstlern, Kunsthistorikern und Kritikern nahmen auch Wissenschaftler anderer Disziplinen teil, so etwa aus Theologie, Soziologie, Medizin, Physik und Philosophie. Im »Darmstädter Gespräch« kulminierte die Auseinandersetzung um gegenständliche und ungegenständliche Kunst und um das Menschenbild in der Moderne zum ersten Mal. Hauptkontrahenten damals waren Willi Baumeister und Hans Sedlmayr, die beide nach dem Krieg mit programmatischen kunsttheoretischen Schriften an die Öffentlichkeit getreten waren.13 Der Hessische Rundfunk schnitt das Gespräch mit und sendete an zwei Terminen Ausschnitte davon (am 17. Juli und am 2. August 1950). Ende 1956, ein Jahr nach der ersten documenta, war die historische und kunsthistorische Situation eine andere. In den Pariser Verträgen vom 5. Mai 1955 hatten die Westmächte die Bundesrepublik Deutschland in die Unabhängigkeit entlassen und ihr die Aufstellung eigener Streitkräfte im Rahmen der Westeuropäischen Union und der NATO ermöglicht. Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte seine Politik der Westintegration fort. Außenpolitisch wuchs die Rolle der BRD in der internationalen Staatengemeinschaft, während die Wirtschaft im Lande prosperierte (»Wirtschaftswunder«). Es waren die Jahre des Kalten Krieges mit dem Ostblock, in dem auch die Kunst instrumentalisiert wurde. Die abstrakte Kunst galt als Kunst der Freiheit und als Gegenentwurf zu dem in der DDR proklamierten Sozialistischen Realismus sowjetischer Prägung. Auch in der Kunst hatte sich viel getan. Daß im Ringen um gegenständliche Kunst und ungegenständliche Kunst letztere mittlerweile international den Sieg davongetragen hatte, bezweifelte in Leverkusen niemand mehr. In Deutschland hatte sich das Informel, beginnend mit der Quadriga-Ausstellung im Dezember 1952 in Frankfurt am Main, an verschiedenen Orten manifestiert und im Inland und Ausland erste Achtungserfolge erzielt. Es sollte 1959 auf der II. documenta seinen großen Auftritt haben. In deren 12 13

Vgl. hierzu Zuschlag 2006 (wie Anm. 1). Vgl. Willi Baumeister, Das Unbekannte in der Kunst, Stuttgart 1947. Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg 1948.

Z«r Debatte um ungegenständliche

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Katalog schrieb Werner Haftmann den berühmt gewordenen Satz: »Die Kunst ist abstrakt geworden.« 14 Während es in Darmstadt ein Gespräch unter Deutschen war (mit Ausnahme des Schweizers Johannes Itten waren alle Vortragenden Deutsche, genauer: Westdeutsche), die ihren Blick auf die Entwicklung der modernen Kunst richteten, befanden in Leverkusen ausländische Kritiker über die aktuelle Kunstsituation in Deutschland. Und genau hierin liegt der zentrale Aspekt. Denn Ziel der Leverkusener Ausstellung und des »Leverkusener Gesprächs« war es zu demonstrieren, daß die deutsche Kunst wieder Anschluß an die internationale Avantgarde gefunden hatte, und dies sollte durch die Sicht von außen bestätigt werden. Während es in Darmstadt in teils heftigen, emotional geführten Diskussionen um die Alternative gegenständliche oder ungegenständliche Kunst ging und man darin regelrecht zwei gegensätzliche Ideologien sah, herrschte in Leverkusen weitgehend Harmonie. Hier hatten sich, handverlesen von Wilhelm Wessel, Befürworter und Förderer der nichtfigurativen Kunst zusammengefunden, deren Anschauungen wohl in einzelnen Punkten differierten, nicht aber grundsätzlich voneinander abwichen. Warum fiel das »Leverkusener Gespräch«, trotz der großen Beachtung, die es anfangs in den Medien erfuhr, im Gegensatz zum »Darmstädter Gespräch« so schnell dem Vergessen anheim? Eine Rolle spielt sicherlich, daß die Dokumentationsbroschüre des Westdeutschen Künstlerbundes nicht eine solche Verbreitung erfuhr wie die Buchpublikation von Hans Gerhard Evers zum »Darmstädter Gespräch«. 15 Der wesentliche Grund scheint mir aber darin zu liegen, daß die in Leverkusen und Köln verhandelten Fragen nur für eine ganz kurze Zeitspanne Mitte der 50er Jahre brisant waren - und dann ganz schnell wieder obsolet. Schon 1959 war vieles von dem, was in Leverkusen und Köln noch Stoff für Diskussionen bot, völlig unstrittig. Dies belegt etwa die II. documenta, wo die junge deutsche Kunst ganz selbstverständlich als Teil der internationalen Avantgarden gezeigt wurde. Vom Gefühl der Isolation keine Spur mehr. Andere Fragen rückten nun in den Fokus, etwa die, ob die moderne Kunst »gemanagt« werde. Unter dieser Fragestellung veranstaltete der Verlag der Zeitschrift »Das Kunstwerk« 1959 die Baden-Badener Kunstgespräche, an denen unter anderem HAP Grieshaber teilnahm.16

14 15

16

Malerei nach 1945. Einführung von Werner Haftmann, in: II. documenta '59. Kunst nach 1945, Ausstellungskatalog Kassel, Band 1: Malerei, Köln [1959], 1 1 - 1 9 , hier 17. Vgl. Hans Gerhard Evers (Hrsg.), Das Menschenbild in unserer Zeit, Darmstadt [1950] (Darmstädter Gespräch; 1). Die Literatur zur Kontroverse um die Abstraktion in den 1950er Jahren ist mittlerweile sehr umfangreich. Vgl. etwa Karl-Ludwig Hofmann, »Als ob es so etwas wie eine Kunst gäbe!«. Anmerkungen zur Kontroverse um die abstrakte Kunst in den 50er Jahren, in: Christoph Zuschlag/Hans Gercke/Annette Frese (Hrsg.), Brennpunkt Informel. Quellen Strömungen - Reaktionen, Ausstellungskatalog Heidelberg 1998/99, Köln 1998, S. 1 5 8 - 1 6 5 . Vgl. Wird die moderne Kunst gemanagt? Baden-Baden/Krefeld 1959.

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Das »Leverkusener Gespräch« zeigt, daß die Aufarbeitung der kunstgeschichtlichen Situation der 1950er Jahre teilweise noch erhebliche Lücken aufweist. Dabei lohnt sich allemal auch ein Blick in die belletristische Literatur der Zeit. So findet sich in Wolfgang Koeppens 1951 erschienenem Roman »Tauben im Gras« eine Passage, in welcher der Ich-Erzähler Naturwissenschaften und ungegenständliche Kunst zusammenbringt und mit all dem nichts anzufangen weiß: »[...] die Quanten und das Leben, die Physiker quälen sich jetzt mit der Biologie, ich kann ihre Bücher nicht lesen, zu viel Mathematik Formelkram abstraktes Wissen Gehirnakrobatik, ein Leib ist kein Leib mehr, Auflösung der Gegenständlichkeit in den Bildern der neuen Maler, das sagt mir nichts, ich bin Doktor, vielleicht zu ungebildet, habe auch keine Zeit [...].« 17

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Wolfgang Koeppen, Tauben im Gras, Stuttgart/Hamburg 1951, 74.

Kollektive Erbschaften. Deutsch-französische Gespräche über Kunst in den 1950er Jahren Martin

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Wider den intellektuellen Nationalismus Im Juli 1949 erhielt Will Grohmann von Christian Zervos, dem Pariser Kunsthändler und Herausgeber der renommierten »Cahiers d'Art«, einen Brief, in dem dieser ihm anbot, »que, la main dans la main, nous essaierons de reprendre la collaboration spirituelle entre Allemands et Fransais«.1 Um der Ernsthaftigkeit seiner Idee Ausdruck zu verleihen, machte er dem deutschen Kunstkritiker den Vorschlag, die Leser der »Cahiers d'Art« in Form einer Artikelserie mit den jüngsten Entwicklungen der deutschen Malerei bekanntzumachen. Daß sich Zervos an Grohmann gewandt hatte, war kein Zufall, kannten sich die beiden doch bereits seit den 1920er Jahren. Als Zervos 1926 die »Cahiers d'Art« begründet hatte - die für lange Jahre einflußreichste europäische Kunstzeitschrift - , gehörte Grohmann zu ihren ersten ausländischen Korrespondenten. Noch 1938 erschien anläßlich der Londoner Exhibition of 20th Century German Art ein Artikel von ihm über die deutschen Künstler der Gegenwart, auf den man im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda höchst ungehalten reagierte.2 Als Kenner von Kandinsky und Klee, der zwei Maler also, die nach 1944 in Frankreich besondere Wertschätzung erfuhren, war Grohmanns Ruf nach Kriegsende in Paris unbeschadet geblieben. Und so nahm er Zervos' Einladung an und freute sich auf die Fortsetzung »[d']un travail commun«3

1 2

3

Christian Zervos an Will Grohmann, 23. Juli 1949 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann). Will Grohmann, L'art contemporain en Allemagne, in: Cahiers d'Art 13/1938, 5 - 2 8 . Zuvor hatte er in den Zeitschriften L'Amour de l'Art (1934) und Cahiers d'Art (1935) über »L'art non figuratif en Allemagne« berichtet. Zu Grohmanns Stellung im »Dritten Reich« siehe Monika Wucher, Dr. Grohmanns Empfehlungen. Leitmotive moderner Kunstpublizistik im Nationalsozialismus, in: Uberbrückt. Zur ästhetischen Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler, 1 9 2 5 - 1 9 3 7 , hrsg. von Eugen Blume und Dieter Scholz, Köln 1999, 1 0 9 - 1 2 3 . Will Grohmann an Christian Zervos, 23. Mai 1949 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann).

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Mit der Reaktivierung des alten Netzwerks verfolgten die beiden unterschiedliche, einander jedoch ergänzende Interessen. Für Zervos standen wohl wirtschaftliche Ziele im Vordergrund, denn die 1946 wiederbegründeten »Cahiers d'Art« kämpften ums finanzielle Uberleben. Da die Zeitschrift vor dem Krieg auf viele Abonnenten in Deutschland hatte zählen können, hoffte Zervos, sich wieder auf dem deutschen Markt positionieren zu können, zumal es hier an Kunstzeitschriften mit internationalem Korrespondentenstamm und Leserpublikum noch mangelte. Auch Grohmann reizte es, die »Cahiers d'Art« wieder zu dem Forum der Avantgarde in Europa zu machen, Zervos hat in seinem Brief die Vision plastisch in Worte gefaßt: »En poussant loin mon programme nous pourrions constituer une veritable internationale de l'art oü tous les jeunes seraient confondus dans les memes expositions. Peut-etre ainsi reagirons-nous petit ä petit contre le nationalisme intellectuel«. 4 Modern und international - das waren die Kriterien, an denen Grohmann nach Jahren der Isolation und faschistischen Kulturdemagogie auch die deutschen Künstler wieder messen wollte. Er gehörte zu den wenigen Kunsthistorikern unmittelbar nach dem Ende des »Dritten Reiches«, die sich über Aufgaben und Methoden der eigenen Zunft hinsichtlich der zeitgenössischen Kunst Gedanken machten. Bereits 1946 hatte er einen programmatischen Aufsatz über »Kunst und Kunstwissenschaft heute« veröffentlicht, in dem er »die Beschäftigung mit der Gegenwart« als »unbedingte Voraussetzung für die Erkenntnis vergangener Zeiten« ansah. Die Vergangenheit war für Grohmann jedoch nicht die des »Dritten Reiches«, sondern die der großen Kulturen - von der Höhlenmalerei in Altamira bis zum Goldschmuck der Skythen, von der Kunst der Völkerwanderung bis zu chinesischen Bronzen aus der Chou-Zeit. In ihnen sah er »kollektive Erbschaften«, »seelische und geistige Grundformen«, »archetypische Momente«, ohne die die Kunst der Gegenwart nicht zu begreifen sei, da sie in den Symbolwelten und Archaismen eines Picasso, Klee oder Baummeister fortwirkten. 5 Als einer der ersten begriff Grohmann außerdem, wie wichtig es war, im Ausland für die deutsche Moderne zu werben und über ihre Diffamierung durch den Nationalsozialismus zu informieren. Zu den vordringlichen Aufgaben der deutschen Kritik schrieb er 1947 an Baumeister: »Alle diese Publikationen haben heute nur Sinn, wenn sie gleichzeitig das Ausland interessieren«. 6 Die Offerte von Zervos, die »jüngere Generation in Deutschland durch die »Cahiers d'Art« im Ausland einzuführen«, bot dazu eine einmalige Gelegenheit. 7 Zwischen 1949 und 1953 stellte Grohmann dort in sechs Artikeln die »Artistes Allemands d'aujourd'hui« monographisch vor: Theodor und Woty Werner, Ernst Wilhelm Nay, Camaro, Fritz Winter sowie Rolf Nesch. 1955 Schloß er mit dem

4 5 6 7

Christian Zervos an Will Grohmann, 17. August 1952 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann). Will Grohmann, Kunst und Kunstwissenschaft heute, in: Gerd Hatje Almanach auf das Jahr 1947, Stuttgart 1946, 30-40, hier 34. Will Grohmann an Willi Baumeister, 11. März 1947 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann). Will Grohmann an Günther Franke, 10. Dezember 1952 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann).

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Aufsatz »Un demi-siecle d'Art en Allemagne. Heurs et malheurs de l'art contemporain allemand« die Reihe ab. Grohmanns Kooperation mit Zervos ist ein frühes Beispiel für den Auftritt der deutschen Kunstgeschichte und -kritik in einem französischen Forum nach dem Krieg. Aber es sollte nicht bei diesem einen Gastspiel bleiben, weitere prominente Beispiele aus den späten 1940er, frühen 1950er Jahren lassen sich anführen. Schon 1949 erschien in der französischen Kulturzeitschrift »L'Äge Nouveau« ein Sonderheft über Deutschland, in dem unter anderem Alfred Andersch über »La crise de la litterature allemande« reflektierte und Leopold Zahn, Chefredakteur des »Kunstwerks«, eine »Analyse spectrale de l'art moderne en Allemagne« vornahm. Zwei Jahre später gab das Bureau International de Liaison et de Documentation eine Sondernummer der Zeitschrift »Documents« zum Thema »L'art allemand contemporain« heraus. Man wolle, schrieb ihr Herausgeber Rene Wintzen im Vorwort, dem französischen Publikum, das mit der zeitgenössischen deutschen Kunst kaum vertraut sei, einen Uberblick über die vergangenen fünfzig Jahre geben. In dem aufwendig gestalteten Heft ließ er ausschließlich deutsche Kunsthistoriker zu Wort kommen: Franz Roh gab eine Einführung in die deutsche Moderne, Grohmann trug einen Artikel über den Expressionismus bei, Ludwig Grote schrieb über den Blauen Reiter und das Bauhaus, Haftmann über die abstrakte Kunst.8 Neben monographischen Beiträgen zu Beckmann, Kokoschka und Macke gab es noch drei weitere Aufsätze zur Skulptur von Alfred Hentzen, zur Graphik von Felix Hartlaub sowie zur religiösen Kunst von August Hoff. Da man den Franzosen einen lückenlosen Abriß vorlegen wollte, konnte man die jüngste Vergangenheit nicht ausblenden Rudolf Schröder verfaßte einen langen Beitrag über »Le destin de l'art moderne sous le Troisieme Reich«. Zwei Jahre später, im August 1953, widmete die Avantgarde-Zeitschrift »Art d'aujourd'hui« der abstrakten Kunst in Deutschland ebenfalls eine ganze Nummer. In seinem Vorwort mit dem schlichten Titel »Allemagne« schlug Michel Seuphor einen nostalgischen Ton an. Er schwärmte von den engen Kulturbeziehungen der beiden Länder in den 1920er Jahren, berichtete von seinen Besuchen in Berlin und im Dessauer Bauhaus und zeichnete das Bild von einem »anderen« Deutschland: dem von Goethe und Bach, dem von Novalis und Dürer. Diesem Deutschland habe trotz Nietzsche und Wagner die »maladie totalitaire« nichts anhaben können.9 Die folgenden Beiträge stammten abermals aus der Feder ausschließlich deutschsprachiger Autoren. Grote schrieb wiederum über den Blauen Reiter und das Bauhaus, während Gert Schiff über die »Situation actuelle de l'art abstrait en Allemagne« und John Anthony Thwaites über 8

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Siehe Rene Wintzen, Avant-propos, in: Documents. Revue mensuelle des questions allemandes. Numero special (L'art allemand contemporain), hrsg. vom Bureau International de Liaison et de Documentation, Offenburg 1951, 5: »L'Art allemand contemporain est, jusqu'ä present, assez peu connu en France. Ce cahier - le premier de ce genre qui ait paru depuis longtemps - donne un panorama aussi complet que possible de Devolution des arts en Allemagne depuis 1900«. Michel Seuphor, Allemagne, in: L'art abstrait en Allemagne d'aujourd'hui (Art d'aujourd'hui I V 6/August 1953), 1.

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»L'art abstrait et la vie sociale« berichteten. Neben der Präsentation von 18 ausgewählten Künstlern - unter ihnen Willi Baumeister, Georg Meistermann, Ernst Wilhelm Nay, Fred Thieler sowie der Plastiker Hans Uhlmann - ist vor allem der Artikel »Peintres de Paris« von Herta Wescher zu nennen. Er stellt ein Schlüsseldokument der deutsch-französischen Kunstgeschichte nach 1945 dar, da er erstmals deutsche Emigrantenkünstler wie Otto Freundlich, Francis Bott, Hans Härtung und Wols vorstellt, die ihre neue künstlerische Heimat in der Ecole de Paris gefunden hatten. Fast zur gleichen Zeit vereinbarte Roger van Gindertael, Chefredakteur der in Konkurrenz zu »Art d'aujourd'hui« neu gegründeten Zeitschrift für abstrakte Kunst »Cimaise«, mit Grohmann, daß dieser einen Beitrag zur deutschen Kunstszene schreiben sollte; »peut-etre trouverezvous interessant de traiter un parallele de la situation artistique actuelle de Allemagne et en France?« 10 Neben diesen französischen Publikationen deutscher Kunsthistoriker über die deutsche Moderne - es ließen sich weitere anführen - kam es auch auf persönlicher Ebene früh zu ersten Begegnungen. Anläßlich einer Präsentation der Sondernummer von »Documents« für die französische Presse wurden die Autoren eigens nach Paris eingeladen, damit sie mit ihren französischen Kollegen austauschen konnten. 11 Gleich mehrere Initiativen gingen von der Direction Generale des Affaires Culturelles in der französischen Besatzungszone aus. Im Sommer 1951 reisten französische Kunsthistoriker nach Bayern, wo sie gemeinsam mit Ernst Gall, dem Herausgeber des Dehio, Hans Tintelnot und Hugo Schnell die Wies, die Abteikirche Mariä Himmelfahrt in Rohr und andere Barockkirchen besichtigten, um mit ihnen vor Ort über die Symbiose von süddeutscher Architektur und französischer Rocaille zu diskutieren. 12 In Mainz fand ein deutsch-französischer Kongreß zur Klosterarchitektur des Mittelalters statt;13 zur Ausstellung Des maitres de Cologne ä Dürer. Les Primitifs allemands wurden deutsche Museumsdirektoren nach Paris eingeladen, während sich in Royaumont deutsche Kunsthistoriker mit Kollegen der »Monuments historiques« trafen. 14 Bei aller Sympathie für die Pioniere einer international ausgerichteten bundesdeutschen Kunstgeschichte wäre es unangemessen, den Wissenschaftstransfer von damals mit heutigen Maßstäben beurteilen zu wollen. Schaut man sich die Artikel in den Zeitschriften »Cahiers d'Art«, »Documents«, »Art d'aujourd'hui« und »Cimaise« genauer 10

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12 13 14

Roger Van Gindertael an Will Grohmann, 2. Dezember 1953 (Stuttgart, Archiv Will Grohmann). Siehe Will Grohmann, Situation actuelle de l'art allemand. La generation des >cinquante ans« en Allemagne et en France< in: Cimaise IV-1/1954, 3 - 5 . A n dem Treffen nahmen unter anderem Wilhelm Hausenstein, Benno Reifenberg, Bernard Dorival und Jean Cassou teil; siehe Benno Reifenberg, Deutsch-französisches Gespräch über Kunst, in: Dokumente. Zeitschrift im Dienst übernationaler Zusammenarbeit VII-4/1951, 3 6 2 - 3 6 4 . Siehe Jacques Vanuxem, La rencontre d'historiens d'art fransais et allemands en Baviere (ete 1951), in: Allemagne d'aujourd'hui I-4/November-Dezember 1951, 2 8 5 - 2 9 1 . A n o n y m , Le congres franco-allemand d'architecture monastique, in: Allemagne d'aujoud'hui I-l/Mai-Juni 1951, 6 0 - 6 1 . Siehe auch den Beitrag von Carsten Fleischhauer in diesem Band. A n o n y m , Les rencontres franco-allemandes sur les themes artistiques, in: Allemagne d'aujourd'hui I-l/Mai-Juni 1951, 60.

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an, stellt man fest, daß die deutschen Historiker und Kritiker durchaus tendenziös über die Kunst ihres Landes schrieben. In historischer Rückschau gilt es daher zu fragen: Welches Bild von der deutschen Moderne wollten Grohmann und seine Kollegen nach außen vermitteln? Was waren ihre Prämissen und Intentionen? Welche Künstler und Kunstrichtungen stellten sie in den Vordergrund? Uber welche Themen wurde gesprochen und über welche nicht? Versucht man das Material zu ordnen, lassen sich fünf Aspekte unterscheiden, die alle miteinander verknüpft sind.

Die Wiederentdeckung der eigenen Moderne Die wichtigste Botschaft, die alle Autoren ihren französischen Lesern bringen wollten, lautete: Die deutsche Kunst? Sie lebt! Sie hat nicht aufgehört zu existieren und sich fortzuentwickeln - trotz der Verfemungen des Nationalsozialismus, trotz der Künstler, die Deutschland durch Emigration und Verfolgung verloren hat, trotz der materiellen Widrigkeiten der Nachkriegszeit. »Mais le developpement de l'art allemand ne s'est nullement arrete, comme il serait normal apres des chocs aussi graves. L'Allemagne n'est pas devenue une province«, erklärte Roh selbstbewußt in den »Documents«. 15 Wie Roh hob auch Grohmann in seinem Situationsbericht nachdrücklich hervor: »Cela tient vraiment du prodige que [...] l'art n'ait pas succombe en Allemagne«. 16 Und Haftmann Schloß seinen Artikel über die Abstraktion apodiktisch mit den Worten: »Au fond, on ne peut dire qu'une chose: l'art allemand s'est remis en marche apres la terreur nazie«.17 Aus solchen Äußerungen spricht die Sehnsucht nach einem Neubeginn und insbesondere nach Anerkennung durch die Kulturnation jenseits des Rheins, welche stets der große Antipode der eigenen Kunst gewesen war. Die konnte nur dann wieder internationale Akzeptanz finden - dies war eine Prämisse der deutschen Kunstkritik in der Nachkriegszeit - , wenn man im Ausland glaubhaft vermitteln konnte, daß die Moderne in Deutschland durch die historische Katastrophe und den Anti-Modernismus des Nationalsozialismus massiv behindert, die künstlerische Elite jedoch nie von dessen Gedankengut beeinflußt oder manipuliert worden war. Nachdrücklich und mit Stolz verwies man auf die Tradition der Brücke, des Blauen Reiters und des Bauhaus, welche nun entscheidend auf die künstlerische Entwicklung nach 1945 - auch außerhalb Deutschlands - einwirke. Zugleich stellte man sich selbst in die Tradition der eigenen Disziplin, indem man wie Roh die Beiträge deutscher Kunsthistoriker und -kritiker wie Julius Meier-Graefe, Wilhelm Worringer, Paul Westheim und Carl Einstein zur Moderne

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16 17

Franz Roh, L'art allemand au vingtieme siecle, in: Documents. Revue mensuelle des questions allemandes. Numero special (L'art allemand contemporain), hrsg. vom Bureau International de Liaison et de Documentation, Offenburg 1951, 7 - 1 1 , hier 8 - 9 . Will Grohmann, U n demi-siecle d'art en Allemagne. Heurs et malheurs de l'art contemporain allemand, in: Cahiers d'Art 30/1955, 7 - 3 2 , hier 15. Werner Haftmann, L'art abstrait, in: Documents. Revue mensuelle des questions allemandes. Numero special (L'art allemand contemporain), hrsg. vom Bureau International de Liaison et de Documentation, Offenburg 1951, S. 6 9 - 7 8 , hier 78.

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vor dem Zweiten Weltkrieg in Erinnerung rief, die alle den französischen Lesern noch wohlbekannt waren. 18 Deutsche Moderne und »Drittes

Reich«

Zu den geflügelten Worten der Kunstgeschichte nach 1945 gehört Haftmanns etwas naive Formulierung im Katalog der ersten documenta, die Künstler seien in den Untergrund gegangen und hätten sich »wie die Lilien auf dem Felde« ernährt. 19 Die Uberzeugung, es gebe wieder beziehungsweise nach wie vor eine deutsche Moderne, war aufs engste mit der Frage nach der Qualität und moralischen Integrität der zeitgenössischen Malerei verbunden. Auch jedem Beitrag in den französischen Zeitschriften ist das Bemühen abzulesen, dem Verdacht vorzubeugen, dem Nationalsozialismus sei es gelungen, die organische Fortentwicklung der Kunst aufzuhalten. Vor der fremden Leserschaft war man sich offensichtlich der besonderen Verantwortung bewußt, die Folgen der Diktatur anzusprechen und Rechenschaft abzulegen. Sicher frage sich mancher in Frankreich »avec une certaine anxiete«, so vermutete etwa Grohmann in den »Cahiers d'Art«, was aus den deutschen Malern geworden sei, die vor 1933 zu den jungen Talenten gezählt hätten: Baumeister, Winter, Nay, Gilles, Heidt. »Avaient-ils persiste?« Die Antwort des Kritikers ließ keinen Zweifel aufkommen: »Les artistes encore vivants avaient poursuivi leur evolution, tout comme si le Troisieme Reich n'avais jamais existe«. Sie hätten heimlich gemalt und nie ihre künstlerischen Ideale aufgeben. Fast hat es den Anschein, als habe Grohmann der französischen Resistance die innere Emigration in Deutschland gegenüberstellen wollen. Doch wie stehe es, fragte er weiter, um die junge Generation, also um die Künstler der Zukunft? Trökes, Götz, Schultze, Trier, Geiger? Auch sie seien nicht, versicherte er, auf die »stupidite« der nationalsozialistischen Lehrer hereingefallen. Ihre Werke bewiesen vielmehr, daß die deutsche Moderne den »chemin de l'evolution« fortgesetzt habe, als ob diese niemals unterbrochen gewesen wäre. 20 Auch anderen Autoren merkt man an, wie sehr sie sich der Geschichte bewußt waren, wie schwer es ihnen aber fiel, eine Verbindung zwischen jüngster Vergangenheit und gerade erst begonnener Zukunft herzustellen. Der Kulturterror im »Dritten Reich«, er wurde als Schicksalsschlag verunklärt, der sich in Hitler, Goebbels und Rosenberg personifiziert - Grohmann etwa sprach von »puissances tenebreuses« und »aventuriers politiques« - und zum Ausbluten, zum »ostracisme de l'elite artistique«, geführt habe. 21 Da gab es so gut wie keinen Hinweis auf verfolgte und ermordete jüdische oder kommunistische Künstler, kein Wort von Adolf Ziegler und dem in Paris einst hochgeschätzten Arno Breker, keines zu Georg Kolbe, Alexander Kanoldt und anderen

18 19 20 21

Roh 1951 (wie Anm. 15), 10. Werner Haftmann, Einleitung, in: documenta. Kunst des X X . Jahrhunderts (Ausstellungskatalog, Kassel), München 1955, 15-25, hier 17. Grohmann 1955 (wie Anm. 16). Ebd., 15.

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Mitläufern, kein Nachdenken über die Rolle der eigenen Disziplin. Doch konnte man so etwas in den 1950er Jahren überhaupt erwarten? Wo sollte die Standortbestimmung einsetzen, und wer sollte sie vornehmen? Es ist an sich schon bemerkenswert, wie früh sich die deutsche Kunstgeschichte der notwendigen, jedoch höchst schwierigen Aufgabe stellte, das französische Publikum über Methoden und Folgen der nationalsozialistischen Kampagnen gegen die »Entartete Kunst« zu informieren. Hervorzuheben ist hier der Artikel »Le destin de l'art moderne sous le Troisieme Reich«, den Rudolf Schröder für die »Documents« verfaßte. Dort heißt es gleich im ersten Absatz: »Quelle que soit la honte que l'Allemagne doive en avoir, et quoi qu'il en coüte ä l'auteur de l'ecrire dans une revue destinee ä des lecteurs etrangers, la veracite, l'objectivite et l'honnetete ä l'endroit de nos voisins de l'ouest nous interdisent de rien cacher, de rien omettre, de rien falsifier ou d'edulcorer quoi que ce soit pour des raisons d'opportunite. Et d'autant moins que la situation actuelle de l'art allemand et de la vie intellectuelle allemande serait incomprehensible sans le sinistre interregne du nazisme.«

Im Folgenden schilderte Schröder unter Berufung auf das Buch »Kunstdiktatur im Dritten Reich« von Paul Ortwin Rave die Schließung des Bauhaus, berichtete von den Säuberungen im Kronprinzenpalais und in anderen Museen, zählte in einer langen Liste die Künstler auf, deren Werke 1937 auf der Ausstellung Entartete Kunst diffamiert wurden, nannte die Namen der entlassenen Museumsdirektoren, erinnerte an die zahlreichen Emigranten. Auch er beendete seine historische Rückschau mit einem optimistischen Ausblick in die Gegenwart. Dem Nationalsozialismus sei es nicht ge-lungen, die Tradition der deutschen Moderne in ihren Wurzeln zu zerstören: »L'art moderne n'avait sacrifie ni sa continuite, ni les liens qui le rattachaient ä l'ensemble du monde«.22 Wie Schröder beklagten andere Autoren den Verlust der künstlerischen Elite durch Exil und Vertreibung. Ein Will Grohmann merkte nicht ohne gewisse Bitterkeit an, daß gerade der Exodus der deutschen Avantgarde dazu beigetragen habe, daß diese schnell und überall in Europa bekannt geworden sei, zumal zahlreiche Kritiker, Kunsthändler und Museumsleute, die ebenfalls Deutschland hätten verlassen müssen, zu ihrer Verbreitung beigetragen hätten.23 Und Leopold Zahn beendete seinen Situationsbericht in »L'Äge Nouveau« mit einer langen Liste der Vertriebenen und Verlorenen, der er die rhetorische Frage anschloß, welche Entwicklung die deutsche Kunst wohl ohne die barbarische Kulturpolitik der Nationalsozialisten genommen hätte.24 Eine indirekte, gleichwohl aufschlußreiche Antwort konnten die französischen Leser dem Artikel Herta Weschers entnehmen, in dem die deutsche Kritikerin, die selbst zur Pariser Emigranten-

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Rudolf Schröder, Le destin de l'art moderne sous le Troisieme Reich, in: Documents. Revue mensuelle des questions allemandes. Numero special (L'art allemand contemporain), hrsg. vom Bureau International de Liaison et de Documentation, Offenburg 1951, 38-40, hier 40. Grohmann 1955 (wie Anm. 16), 15. Leopold Zahn, Analyse spectrale de l'art moderne en Allemagne, in: L'Äge Nouveau. Revue d'expression et d'etude des arts, des lettres, des idees, 38, 1949, 54—61, hier 61.

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gemeinde gehörte, ausdrücklich den Beitrag der deutschen Exilkünstler für die Ecole de Paris hervorhob: »Les persecutions de Hitler ont amene en France un certain nombre d'artistes qui se sont acquis une place definitive dans l'ecole de Paris, et il est souvent difficile de delimiter les sources allemandes et frangaises de leur style«. 2 5 Wie wenig man in Frankreich über den nationalsozialistischen Kulturterror in Deutschland wußte, wie wichtig also Aufklärung war, wurde den deutschen Kunsthistorikern immer wieder bestätigt. B e n n o Reifenberg berichtete beispielsweise 1951 von dem erwähnten Kunsthistorikertreffen in Paris und strich heraus, daß die französischen Kollegen erstaunt festgestellt hätten, »wie sehr die modernen Künstler in dem jüngst vergangenen Zustand Deutschlands für die Freiheit ihres Tuns haben leiden müssen; wieviel M u t es bedurft hatte, modern zu bleiben«. 2 6

Das französische Modell Ein dritter Aspekt, der sich praktisch in allen Beiträgen niedergeschlagen hat, ist das historisch enge Wechselverhältnis zwischen deutscher und französischer Moderne. R e n e Wintzen wies gleich im Vorwort zur Sondernummer der » D o c u m e n t s « eigens darauf hin, daß keiner der Autoren es versäume, »de signaler dans leurs etudes l'influence que l'art frangais a pu avoir, ä differentes epoques, sur les artistes allemands«. 2 7 Während Grohmann den französischen Lesern das »patrimoine commun« der beiden Kulturen in Erinnerung rief, 28 betonte Franz R o h : »c'est toujours Paris qui donne le ton«, 2 9 und auch Zahn machte, am Beispiel von M a x B e c k m a n n , deutlich, wie ein Aufenthalt in Paris eine »transformation decisive« der künstlerischen Entwicklung bewirkt habe. 3 0 Wenn deutsche Kunsthistoriker und -kritiker geradezu gebetsmühlenartig den E i n fluß hervorhoben, den die französische Kunst stets auf die Entwicklung der deutschen genommen habe, war das nicht bloß der Höflichkeit geschuldet und auch mehr als eine kunsthistorische Bestandsaufnahme. Z u m einen sprach daraus der W u n s c h nach Verständigung und Integration. In den »Documents« betonte beispielsweise Wintzen, daß die Kunst einen elementaren Beitrag zum »renouveau des relations amicales« der beiden V ö l k e r und zur »formation d'une conscience europeenne c o m m u n e « leisten könne. 3 1 Aus diesem Grund wurde auch von französischer Seite das Gespräch gesucht. So bedauerte R o b e r t Vrinat, Chefredakteur der Kulturzeitschrift »L'Äge Nouveau«, daß am ers-

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Herta Wescher, Peintres de Paris, in: L'art abstrait en Allemagne d'aujourd'hui (Art d'aujourd'hui IV-6/August 1953), 25-27, hier 26. Reifenberg 1951 (wie Anm. 11), 364. Wintzen 1951 (wie Anm. 8), 5. Will Grohmann, L'expressionisme, in: Documents. Revue mensuelle des questions allemandes. Numero special (L'art allemand contemporain), hrsg. vom Bureau International de Liaison et de Documentation, Offenburg 1951, 17-26, hier 18. Roh 1951 (wie Anm. 15), 8. Zahn 1949 (wie Anm. 24), 57. Wintzen 1951 (wie Anm. 8), 5.

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ten internationalen Kunstkritiker-Kongreß, der im Juni 1948 unter der Schirmherrschaft der U N E S C O in Paris stattfand, keine deutschen Kollegen hätten teilnehmen dürfen. Dabei habe es sich nicht nur um honorige Personen gehandelt, die sich politisch nichts hätten zu schulden kommen lassen, vielmehr wäre ihre Einladung auch eine besondere Geste gewesen, »une preuve supplementaire du caractere humain et universel de l'art et des jugements qu'il engendre«. 32 Im Vorwort der Sondernummer von »L'Äge Nouveau« unterstrich Vrinat, wie schwer es nur wenige Jahre nach Kriegsende noch falle, aufeinander zuzugehen. Nicht ohne gewisse Vorbehalte habe man sich zu einem Heft entschlossen, das ausschließlich der deutschen Kultur gewidmet sei. D o c h es bedürfe der »comprehension reciproque«, denn selbst wenn sich die Armeen gegenseitig vernichtet hätten, die Völker hätten überlebt. »Le destin a fait la France et l'Allemagne mitoyennes. [...] Ii nous faut connaitre ceux qui fatalement vont partager le sort de l'Europe avec nous«. 33 Zum anderen war der Hinweis auf die engen Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Moderne ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis zur westlichen Moderne und damit eine Absage an den sozialistischen Realismus in der D D R , der mit keiner Silbe erwähnt wurde. Nicht zuletzt durch die Wiederannäherung an die fremde Kunst glaubte man auch die eigene wiederaufwerten zu können. Deutlich ausgeprägt ist dieses Bestreben bei Grohmann. In den »Cahiers d'Art« hob er die Kontakte zur französischen Kunstszene hervor, die bereits vor Kriegsausbruch bestanden hatten, und versuchte, deutsche Künstler ins unmittelbare Umfeld der Ecole de Paris zu rücken. Theodor Werner etwa wurde in einem Atemzug mit Miro, Picasso und Braque genannt. Vergleiche wie diese bekamen geradezu hybride Züge, wenn er Fritz Winter zum Uberwinder des Kubismus stilisierte: »II est au delä du cubisme«. 34 Theodor Werner sei zwar von Picasso und Braque beeindruckt gewesen, doch »en sa qualite d'Allemand« habe ihm das nicht ausgereicht: Er war davon überzeugt, »qu'il y avait encore d'autres possibilites et d'autres limites d'art«. 35 Unüberhörbar klingen hier Grohmanns Aversionen gegenüber den Kubismus durch, nicht zu verkennen ist seine Sympathie für Kandinsky und Klee, in deren Tradition er vor allem N a y stellte.

Die neue Weltsprache In die Bewunderung für die französische Moderne mischte sich also der Stolz über die deutschen Wurzeln der abstrakten Kunst. So heißt es bei Roh: »La France est la premiere, et la seule, initiatrice de l'art moderne. [...] [Mais] l'Allemagne est ä l'avant-garde de la 32 33 34 35

Robert Vrinat, Le premier congres international des critiques d'art, in: L'Äge Nouveau. Revue d'expression et d'etude des arts, des lettres, des idees, 31, 1948, 84-86, hier 86. Anonym, Avertissement, in: L'Äge Nouveau. Revue d'expression et d'etude des arts, des lettres, des idees, 38, 1949, 3 ^ , hier 3. Will Grohmann, Artistes allemands: Fritz Winter, Woty Werner, Rolf Nesch, in: Cahiers d'Art, 28, 1 9 5 3 , 1 4 1 - 1 5 0 , hier 143. Will Grohmann, Theodor Werner, in: Cahiers d'Art, 24, 1949, 148-158, hier 155.

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peinture abstraite«. 3 6 Tatsächlich spielte die Abstraktion eine zentrale Rolle in d e m D i s kurs, den die deutschen Kunsthistoriker mit ihrem französischen P u b l i k u m führten. G r o h m a n n und andere brachen z w a r eine L a n z e für den Expressionismus, doch andere wie Grote, Schiff, Thwaites und in erster Linie Haftmann betonten das E r b e des Blauen Reiters und des Bauhaus. Sie betonten es in doppelter Hinsicht. Einerseits w u r d e damit in historischer Perspektive auf die deutsche A b s t r a k t i o n zurückgeschaut - dies war insofern wesentlich, als die französische K u n s t s z e n e just z u diesem Zeitpunkt die A b s traktion f ü r sich entdeckte und Klee und K a n d i n s k y als Väter der M o d e r n e feierte. Andererseits begriff m a n die A b s t r a k t i o n als neue »Weltsprache« der Kunst. N a c h Schiff war die abstrakte K u n s t ein supranationales P h ä n o m e n jenseits aller nationalen Unterschiede, eine »conception fondamentale des p r o b l e m e s formels et spirituels«, 3 7 während f ü r Thwaites der Siegeszug der Abstraktion so weit fortgeschritten war, »qu'il est difficile de trouver parmi les jeunes un artiste de merite qui n'en depende pas«. 3 8 U n d ein H a f t m a n n ergänzte: » L e s nouvelles energies de la peinture allemande subirent la m e m e orientation que l'ensemble de la peinture europeenne«. 3 9 D a s emphatische Bekenntnis zur Abstraktion war nicht nur ein Bekenntnis zur internationalen Avantgarde, sondern auch die A b s a g e an einen nationalen S o n d e r w e g welche die A b k e h r v o m völkischen wie sozialistischen Realismus implizierte. Welchen Wert einige Autoren darauf legten, den F r a n z o s e n ein Bild v o n der deutschen K u n s t z u vermitteln, das nicht rückwärtsgewandt war, läßt sich daran ablesen, daß sie nicht nur die Folgen der Vergangenheit beklagten, sondern sich auch von ihren konservativen Kollegen distanzierten. Während R o h die » o p p o s i t i o n tres nette« konservativer Kräfte, insbesondere die »opinions reactionnaires« v o n Sedlmayrs »Verlust der M i t t e « verurteilte, kritisierte Thwaites die fortschrittsfeindlichen Positionen Wilhelm Hausensteins, wobei er dessen Stellung als Generalkonsul in Paris ausdrücklich erwähnte; Hausenstein hatte es übrigens abgelehnt, f ü r die » D o c u m e n t s « ein G r u ß w o r t zu schreiben. 4 0

Inter/national Bei allem Bemühen, auf d e m internationalen Kunsthistorikerparkett wieder Anschluß zu finden, trotz großer B e w u n d e r u n g für Tradition und Innovationskraft der französischen K u n s t und trotz des Bekenntnisses zur übernationalen »Weltsprache« der A b s traktion und zur N e g i e r u n g eines deutschen Sonderweges - in die Sehnsucht der deutschen Kunstgeschichte nach Anerkennung durch den westlichen N a c h b a r n mischte sich

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Roh 1951 (wie Anm. 15), 8 und 9. Gert Schiff, L a situation actuelle de l'art abstrait en Allemagne, in: L'art abstrait en Allemagne d'aujourd'hui(Art d'aujourd'hui IV-6/August 1953), 6. John Antony Thwaites, L'art abstrait et la vie sociale en Allemagne, in: L'art abstrait en Allemagne d'aujourd'hui (Art d'aujourd'hui IV-6/August 1953), 24. Haftmann 1951 (wie Anm. 17), 69. Roh 1951 (wie Anm. 15), 7; Thwaites 1953 (wie Anm. 38), 24.

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die nach einer eigenen Kultur, nach einer nationalen künstlerischen Tradition und Ausdrucksform. In vielen der genannten Beiträge tut sich diese eigentümliche Ambivalenz auf, klingt mehr oder weniger offen die Frage an, inwieweit sich die deutsche Kunst von der anderer Länder, allen voran Frankreich, unterscheide, wie deutsch eigentlich die deutsche Kunst sei. So betonte Gert Schiff in »Art d'aujourd'hui« die »affinites supranationales«, um im nächsten Atemzug die »tradition nationale« der deutschen Kunst hervorzuheben, nämlich eine »continuite spirituelle«, die von Novalis zu Klee führe: »l'artiste doit creer C O M M E la nature et non d'APRES eile«. Wenn er die Romantik und den Expressionismus als »typiquement allemands« bezeichnete und Klassizismus und Kubismus dem »esprit latin« zuwies, so bemühte er bekannte Denkmuster der Kunstgeschichte. 41 Unter Verwendung ähnlicher Stereotypen versuchte Roh das »temperament allemand« von dem der Franzosen zu unterscheiden. Während ein französisches Kunstwerk stets den Regeln von Gleichgewicht, Form und Proportion folge, bleibe ein deutsches »un >infiniWahrer humanistisch-realistischer TraditionenKunststadt< München 1937. Nationalsozialismus und >Entartete KunstSchönes< malen« (Dieter Hoffmann, Kunst in Dresden - Die Anfänge nach 1945, in: Feist/Gillen/Vierneisel (Hrsg.) 1996 [wie Anm. 43], 252-258, hier 255). Welche Gründe tatsächlich für diese Art von Nachkriegskunst zusammenspielten, inwieweit neben solchen möglichen psychologischen Gründen gerade unter den jüngeren Künstlern auch das Kunstideal des N S weiterwirkte, bedürfte einer eingehenden Untersuchung von einzelnen Künstlern und ihren Werken. Beide Zitate Winkler 1989 (wie Anm. 3), 356; vgl. auch Damus 1991 (wie Anm. 65), 44. Wenn es in der Absicht der Ausstellungsorganisatoren gelegen hätte, eine größere Anzahl von Werken zu zeigen, die sich explizit mit der aktuellen Problematik der Zeit auseinander setzen, so wäre dies durchaus möglich gewesen: Wilhelm Rudolphs Ruinenzeichnungen, Wilhelm Lachnits »Tod von Dresden«, Horst Strempels »Nacht über Deutschland« und Heinrich Ehmsens »Am Ende eines Krieges« waren zu dem Zeitpunkt der Ausstellung bereits entstanden. Diese Künstler stammten zudem alle aus Dresden oder Berlin und waren mit anderen Werken in der Ausstellung vertreten; darüber hinaus waren die Bilder bereits zuvor in Dresden ausgestellt worden, so daß das Fehlen dieser Bilder kaum mit organisatorischen Schwierigkeiten zusammenhängen dürfte. Ernst Krause, Dresdner Kunstmosaik, Zweiter Bericht zur Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung, in: Sonntag, 03.11.1946, 5. Vgl. Wolfgang Schumann, Die große Dresdner Kunstausstellung. Ein kritischer Rundgang (Schluß), in: Sächsische Zeitung, 05.09.1946, 2; Behne 1946 (wie Anm. 37), 6.

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Kathleen

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Die Präsentation der Exponate Die Hängung der einzelnen Bilder, die Art und Weise ihrer Präsentation und die Aufstellung der Plastiken ist heute kaum mehr zu rekonstruieren. Die wenigen Hinweise in Ausstellungsrezensionen, Zeitungsartikeln und Archivalien lassen vermuten, daß die Werke nach rein stilistischen Merkmalen gruppiert waren, jedoch auf keinen Fall eine thematische Zusammenstellung vorgenommen 77 und auch nicht nach lokalen Zusammenhängen gehängt worden ist78 (das Fehlen von Werken aus der englischen Zone wäre dann auch wohl zu sehr in das Bewußtsein der Besucher gerückt worden). So findet sich mehrmals die Angabe, daß die abstrakten und die surrealistischen Arbeiten drei Kojen für sich füllten, 79 die »realistischen« Bilder ebenfalls gemeinsam gehängt wurden und den Malern der Brücke ein Sondersaal überlassen wurde. 80 In der Ausstellung selbst wurden keine schriftlichen Informationen gegeben, die zu einer Vermittlung der Kunstwerke beigetragen hätten, obwohl den Organisatoren bereits zur Eröffnung mögliche Verständnisprobleme seitens der Besucher bewußt waren. 81 Selbst der Ausstellungskatalog enthielt neben dem Werkverzeichnis, kurzen Auszügen aus den Eröffnungsreden und vielen Abbildungen keinerlei Textbeiträge. Wie sehr Hilfestellungen insbesondere nach der nationalsozialistischen Verfemung moderner Kunst nötig gewesen wären, macht ein Kommentar eines Besuchers in einem Brief an die Ausstellungs-leitung deutlich. Dort schrieb er: »Sie kommen um den Ausdruck >Entartete Kunst< nicht drumherum. Es ist in dieser Ausstellung nichts getan worden, um zu sagen, daß dies nicht Entartete Kunst sei und warum sie dies nicht sei.« 82 Der Ausstellungsort Die Ausstellung wurde vom 25. August bis zum 31. Oktober 1946 in dem ehemaligen Armeemuseum und nach Kriegsende zur Stadthalle umfunktionierten Gebäude am Nordplatz in Dresden-Neustadt/Albertstadt gezeigt. Das monumentale Gebäude im neoklassizistischen Stil lieferte eine museale Umgebung, was sicherlich die Anerken77

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Vgl. Notiz zur Pressevorbesichtigung der Kunstausstellung am 24.8.46 (wie Anm. 61), Blatt 200; Irene Heinze-Schmidt, Allgemeine Deutsche Kunstausstellung. Eröffnung und erste Eindrücke, in: Sächsisches Tageblatt, 27.08.1946, 2. Vgl. Balzer 1947 (wie Anm. 26), 65; Heinze-Schmidt 1946 (wie Anm. 77), 2. Vgl. N.N., Allgemeine Dresdner Kunstausstellung, in: Das Kunstwerk, 3, 1946, 43; Notiz zur Pressevorbesichtigung der Kunstausstellung am 24.8.46 (wie Anm. 61), Blatt 200; Schumann 1946 (wie A n m . 76), 2; Irene Heinze-Schmidt, Dresdner Kunstausstellung eröffnet, in: Der Morgen, 27.08.1946,2. Vgl. Balzer 1947 (wie Anm. 26), 65. Vgl. Volwahsen und Gute, Eröffnungsreden (wie Anm. 23), 214, 216f. Brief eines 1906 geborenen Komponisten an die Ausstellungsleitung (Unterstreichungen im Original), SächsHStA, 1 1 4 0 1 , LRS, Min. für Volksbildung, Nr. 2384. A u c h der Kunsthistoriker Carl Linfert schrieb: »Also bleibt nur unser Wunsch: noch einmal eine solche Ausstellung. Vielleicht aber möge man es dann einmal wagen, durch kurze Beischriften zu sagen, welche Stellung in der Zeit die einen oder anderen Bilder haben« (Carl Linfert, Erinnerung an die Dresdner Ausstellung, in: bildende kunst, 1. Jg., 1 , 1 9 4 7 , 1 2 - 1 4 , hier 14).

Kunst zwischen den Systemen. Die »Allgemeine

Deutsche Kunstausstellung«

1946 in Dresden

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nung und Wertschätzung der gezeigten Kunstwerke zu unterstützen half. Die Ausstellung befand sich auf etwa 1400 qm im ersten Obergeschoß der Stadthalle, das sie sich mit der bereits Mitte Juli eröffneten Ausstellung Das Neue Dresden teilen mußte. 83 Diese dokumentierte den Wiederaufbau der Stadt nach dem Kriegsende und gab den politischen Parteien, einzelnen Organisationen und Betrieben sowie ungefähr 80 Industriefirmen die Möglichkeit, ihre technischen Errungenschaften und ihre städtebaulichen Pläne und Ideen für die Zukunft der Stadt und des Landes Sachsen zu präsentieren. 84 Die Ausstellung Das Neue Dresden ist bisher in der Forschungsliteratur völlig ignoriert worden, allerdings zu Unrecht: Die Kunstausstellung, deren Eröffnung ursprünglich erst nach Abschluß der dem Aufbau Dresdens gewidmeten Ausstellung stattfinden sollte, wurde anscheinend absichtlich in die sie umrahmende Aufbau-Ausstellung gesetzt, wodurch die Zeitspanne zur Vorbereitung sehr kurz wurde, Volwahsen schrieb von einer »unmöglich kurzen Frist.« 85 In der Ausstellung Das Neue Dresden mußte für die Kunstausstellung eine Fläche frei gemacht und sogar einige Exponate aus der Ausstellung genommen werden, ihre Laufzeit jedoch wurde bis zum Ende der Kunstausstellung verlängert. 86 Warum und durch wen diese Entscheidungen getroffen worden sind, ist nicht bekannt; es läßt sich allerdings vermuten, daß hier politische Gründe mit hineinspielten: Zur Eröffnung und auch während der gesamten Laufzeit der Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung wurden viele Gäste aus den westlichen Besatzungszonen erwartet, unter ihnen hohe Funktionäre der einzelnen Besatzungsmächte. Damit bot sich eine einmalige Gelegenheit, diesen Besuchern gleichzeitig die ersten sichtbaren Erfolge des Wiederaufbaus zu präsentieren und ihnen ein Bild von einer florierenden Wirtschaft in der SBZ zu vermitteln. Auf diese Art und Weise konnte sich die Sowjetische Besatzungsmacht selbst ein gutes Zeugnis für ihre Arbeit ausstellen und für ihre Politik werben. Eine hohe symbolische Funktion bekam damit auch der Schriftzug, der in großen Lettern über dem Aufgang zum ersten Stock prangte: »Wir bauen Dresden wieder auf!«; 87 dieser Ausruf bezog sich nunmehr nicht allein auf den Städtebau und die Wirtschaft, im Zusammenhang mit der Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung konnte so auch ein geistiger und kultureller Wiederaufbau propagiert werden.

83

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Vgl. »Führer durch die Ausstellung Neues Dresden« (StadtA Dresden, Dez. Volksbildung, Akte Nr. D8, Blatt 7 - 1 3 , hier 9b und 11); Neues Deutschland, 28.08.1946, 1. Für die angegebene Quadratmeterzahl vgl. Thomas Eugen Scheerer (Hrsg.), Arsenal und Museum: Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden, Dresden 2003, 40 und 54. Vgl. Sächsisches Tageblatt, 25.06. und 23.07.1946, 3; Sächsische Zeitung, 02.07.1946, 3. Im Stadtarchiv Dresden befinden sich außerdem einige Unterlagen zu der Ausstellung »Das Neue Dresden« (StadtA Dresden, Dez. Volksbildung, Akte Nr. 189). Volwahsen, Brief vom 07.09.1946 (wie Anm. 36), 362. Vgl. Brief von dem Stadtrat Rentzsch an den Architekten Franz Ehrlich vom 6. August 1946, StadtA Dresden, Dez. Volksbildung, Akte Nr. 140, Blatt 140; sowie Sächsische Zeitung, 18. und 25.09.1946, 4 und Tägliche Rundschau, 05.10.1946, 8. Vgl. Sächsisches Tageblatt, 23.07.1946, 3.

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Kathleen Schröter

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2 und 3 Besucherfragebogen Allgemeine Deutsche Kunstausstellung Dresden, 1946

Die Rezeption der Ausstellung Die Besucher Häufig beobachtete Reaktionen der insgesamt 74.000 Besucher 88 sind über einzelne Zeitungsberichte und über zum Teil heute noch erhaltene Besucher-Fragebögen, die damals in der Ausstellung verteilt wurden, nachvollziehbar (vgl. Abb. 2 und 3).89

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Diese Zahl wird immer wieder in der Presse genannt, vgl. Matthias 1947 (wie Anm. 5), 5; Sächsische Zeitung, 29.10.1946, 2 und Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3 (das ergibt eine durchschnittliche Anzahl von 1088 Besuchern pro Tag). Vgl. auch den vierteljährlich bei der SMAD abzuliefernden Bericht über die stattgefundenen Ausstellungen, hier ist von über 80.000 Besuchern die Rede (vgl. SächsHStA, 11401, LRS, Min. für Volksbildung, Nr. 129). Inwieweit die Zahlen möglicherweise beschönigt wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Bei der Bewertung dieser sehr hohen Zahlen muß außerdem bedacht werden, daß eventuell auch Besucher der Ausstellung »Das neue Dresden« mit hineingerechnet worden sind, für die vom 20.07.-31.10.1946 insgesamt 171000 Besucher gezählt worden sind (vgl. Tägliche Rundschau, 3.11.1946). 84 dieser Fragebögen sind erhalten und befinden sich heute im Hauptstaatsarchiv Dresden, SächsHStA, 11401, LRS, Min. für Volksbildung, Nr. 2384. Eine nach verschiedenen statistischen Gesichtspunkten erfolgte Auswertung dieser Fragebögen hat Bernd Lindner durchgeführt, vgl. Lindner 1998 (wie Anm. 3), 75-81.

Kunst zwischen den Systemen. Die »Allgemeine

Deutsche Kunstausstellung«

1946 in Dresden

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E i n e M e h r h e i t v o n 6 5 , 7 % - so z u m i n d e s t die der Öffentlichkeit bekannt gegebene Zahl 9 0 - lehnte nach dieser U m f r a g e die Ausstellung »besonders der expressionistischen u n d abstrakten K u n s t w e g e n « 9 1 ab, vielfach aufgrund v o n Rezeptionsschwierigkeiten mit den gezeigten K u n s t w e r k e n . In den 8 4 heute n o c h erhaltenen F r a g e b ö g e n erfolgt ungefähr ein Viertel der A b l e h n u n g u n t e r R ü c k g r i f f auf antimodernistische Ressentiments, wie sie bereits in Kaiserreich u n d W e i m a r e r Republik präsent gewesen u n d im N S gefestigt w o r d e n w a r e n ; auffällig häufig w a r dies insbesondere bei d e m jüngeren Publikum der Fall. 9 2 G a n z anders die R e z e p t i o n bei ausländischen Besuchern: 82 % v o n ihnen haben laut K a r l Trinks die Ausstellung positiv beurteilt. 9 3 D e n G r u n d für diese Differenz sah Trinks in der nationalsozialistischen Kunstpolitik, die Schuld an der »Verengung des deutschen Blickfeldes« 9 4 habe. W o l f g a n g B a l z e r b e o b a c h t e t e damit einhergehend zwei grundlegend verschiedene W i r k u n g e n , die die Ausstellung auf die B e sucher ausübte: »Der künstlerisch geschulte, mit der Tradition vor 33 innerlich verbundene Betrachter hatte gleich bei den ersten Schritten ein sehr lebhaftes Gefühl der Befreiung: endlich atmete er wieder eine künstlerisch kondensierte Atmosphäre. Das unvorbereitete Publikum dagegen (und die meisten waren ja zwölf Jahre lang den Problemen moderner Kunst ferngehalten worden)

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Vgl. Matthias 1947 (wie Anm. 5), 5 und Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3, beide Artikel beziehen sich hier auf Gutes Rede auf dem abschließenden Künstlerkongreß. Es ist heute nicht mehr bekannt, wer genau die Besucherbefragung initiiert hat, welche Absicht damit verbunden war und wie viele ausgefüllte Fragebögen es insgesamt gegeben hat. Auch eine genaue Gesamtauswertung von 1946 konnte bisher im Original nicht aufgefunden werden, es werden lediglich einige daraus resultierende Zahlen in der Presse genannt (Vgl. Matthias, 1947 [wie Anm. 5], 5; Balzer 1947 [wie Anm. 26], 56; Karl Trinks, Die Spannung zwischen Volk und Kunst. Ein pädagogischer Epilog zu den jüngsten Kunstausstellungen, in: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift, 3. Jg., 7,1947, 7-12, hier 9). Möglicherweise sind die an die Presse weitergeleiteten Zahlen und Besucherzitate jedoch manipuliert, und ablehnende Besucherhaltungen wurden explizit herausgestellt, um ein negatives Gesamturteil zu stützen, das, wie noch gezeigt werden wird, den Kulturfunktionären sehr zupass kam. Es fällt zumindest auf, dass in der Presse nicht einmal eine positive Besuchermeinung zitiert wurde, obwohl es diese unter den 84 noch erhaltenen Bögen durchaus auch gegeben hat. Matthias 1947 (wie Anm. 5), 5; vgl. auch Tabelle 5 im Lindner 1998 (wie Anm. 3), 77 und 81. »Das ist keine Kunst. Die Bilder erinnern an die Systemzeitkunst. Ich wünsche mir Münchner Kunst (aber ohne militärische Bildwerke)«, schrieb da etwa ein sechzehnjähriger Schüler. Eine Zwanzigjährige konstatierte: »Wenn man dem deutschen Volke diese Art von Bildern 12 Jahre lang vorenthielt, so kann man nur behaupten, wir haben nichts verpaßt.« »Ich bitte, 80 v.H. der Bilder sofort zu entfernen, da sie dem gesunden Empfinden widersprechen«, »Schade, dass ich keine faulen Aepfel mithatte, um diesen Bildern den letzten Schliff zu geben« und »nichts als entartete Kunst« sind weitere Beispiele für vernichtende Besucherkommentare, die zeigen, dass die im NS erfolgte Verfemung moderner Kunst immer noch nachwirkte. Alle Zitate aus den Fragebögen (wie Anm. 89). Vgl. auch SAPMO-BArch SgY 30/1665, Bl. 59. Vgl. Trinks 1947 (wie Anm. 90), 9. Ebd., 9. Eine ähnliche Begründung für die ablehnende Besucherhaltung lieferten Volwahsen und Grundig in zwei Artikeln in der Sächsischen Zeitung (Volwahsen in der Sächsischen Zeitung, 13.09.1946, 2, Grundig in der Sächsischen Zeitung, 01.10.1946, 2). Gute hingegen schien sich nunmehr von den in der Ausstellung gezeigten Werken distanzieren zu wollen: In einem Vortrag stellte er fest, daß Kunst die Ideologie der Zeit spiegeln und das Volk zugleich begeistern müsse, vgl. Sächsische Zeitung, 08.10.1946, 2.

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Kathleen Schröter

fühlte sich befremdet und k a m sich sogar gefrozzelt vor. Von der N a z i z e i t her gewöhnt, daß sein unterentwickelter G e s c h m a c k als N o r m anerkannt wurde, hat es seinem Mißfallen in den ausgeteilten F r a g e b ö g e n und sonstwie ungeniert z u m A u s d r u c k gegeben.« 9 5

So wurde in der Ausstellung über die Werke »viel gespottet und gelacht«. 96 Damit aber wurde eine gegenteilige Reaktion erzeugt als die der gewünschten Wiederanerkennung moderner Kunst, wie sie von den Ausstellungsorganisatoren beabsichtig worden war. Bei einem Teil der Besucher hat es jedoch auch den Wunsch gegeben, sich näher mit der gezeigten Kunst auseinander zu setzen: Die lokale Presse berichtete von einer großen Nachfrage nach den angebotenen Führungen und Vorträgen, bei denen es regelmäßig zu einer »rege[n] und fruchtbare[n] Diskussion« 97 kam. Häufiger Gegenstand der Diskussionen war die abstrakte und ungegenständliche Kunst, für deren Verständnis die Vortragenden (vielfach die Ausstellungsorganisatoren selbst) unermüdlich eintraten. 98 Die Presse Sowohl in der zu diesem Zeitpunkt noch spärlich gesäten Fachpresse als auch in der Tagespresse findet die Ausstellung ihren Niederschlag. Es fällt auf, daß die Ausstellung in allen Rezensionen daran gemessen wurde, inwieweit sie in der Lage war, die vordringliche Frage nach der Beschaffenheit einer zukünftigen Kunst zu beantworten, wobei den Bildern von vor 1933 eine ganz unterschiedliche Bedeutung zugemessen wurde. Kein Rezensent bescheinigte hierin der Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung eine herausragende Leistung, wobei das Gesamturteil nur selten negativ ausfiel. Insgesamt spiegelt sich in der Berichterstattung die liberale Kunstpolitik der ersten zwei Jahre: In allen Zeitungen und Zeitschriften wurde die Breite der gezeigten Kunstrichtungen gelobt, wenn auch gelegentlich das Ungleichgewicht von Altem und Neuem zugunsten des Alten und die Dominanz des Expressionismus beanstandet wurden.

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97 98

Balzer 1947 (wie Anm. 26), 56. Wolfgang Schumann, Die große Dresdner Kunstausstellung. Ein kritischer Rundgang, in: Sächsische Zeitung, 04.09.1946, 2; vgl. auch Volwahsen 1946 (wie Anm. 33), 2; Krause 1946 (wie Anm. 75), 5 und Reinhold Lindemann, Von Ludwig v. Hoffmann zu O t t o Dix. Dresdner Kunstausstellungsbrief, in: Union, 02.10.1946. Sächsische Zeitung, 17.09.1946, 2, vgl. auch Sächsische Zeitung, 06., 18. und 24.09. sowie 10.10.1946, jeweils 2. Vgl. Sächsisches Tageblatt, 29.08.1946, 2 und Sächsische Zeitung, 06., 07., 17., 18., 24.09. und 08.10.1946. Führungen und Vorträge wurden den Zeitungsberichten zufolge von Grohmann, Gute, Resting, Kröner, Palitzsch, Volwahsen, dem Direktor des Stadtmuseum Dresdens Wagner und dem Architekten Franz Ehrlich gegeben. Balzer berichtet von dem starken Wunsch der Organisatoren, den Besuchern die ausgestellte Kunst nahe zu bringen. E r schreibt: »Es war dabei [bei den Vorträgen und Führungen von Künstlern, Anm. K.S.] amüsant zu beobachten, wie manch einer im Eifer der Defensive sich zu einer Begeisterung für Prinzipien verstieg, von denen er sich im eigenen Schaffen zu distanzieren pflegt. Auf gut deutsche Art wurde den visuellen Gegebenheiten viel Tiefgründiges untergeschoben, viel hineingeheimnist. Aber der Diskussionserfolg der Ausstellung war, man darf wohl sagen: beispiellos« (Balzer 1947 [wie Anm. 26], 56); vgl. auch »Der Kurier« vom 10.09.1946.

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Deutsche Kunstausstellung«

1946 in Dresden

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Keiner stellte jedoch Forderungen nach einer bestimmten Kunstrichtung mit inhaltlichen und formalen Vorgaben für die Gegenwart und Zukunft auf," mit Ausnahme von Carl-Ernst Matthias in »bildende kunst«. Matthias verlangte eine unmittelbar verständliche »Volkskunst«, die beim Aufbau von Demokratie und Humanismus mithelfe, die Kunst in der Ausstellung rutsche hingegen ins »Inhaltslose, ins rein Dekorative und Abstrakte« 100 ab. Matthias' Kritik ähnelt damit stark der Beurteilung, wie sie wenig später von politischer Seite erfolgen sollte. Dieselbe Ausgabe der »bildenden kunst«, in der zu diesem Zeitpunkt noch sehr offen und kontrovers diskutiert werden konnte, veröffentlichte jedoch auch einen Artikel von Carl Linfert, der die Ausstellung insgesamt positiv beurteilte und die Kunst von vor 1933 im Gegensatz zu Matthias als »noch keineswegs [...] überholt« bezeichnete. Er sah in ihr wichtige Ansatzpunkte für die weitere Entwicklung der Kunst und sprach sich darüber hinaus gegen einen platten Naturalismus aus, dem »Abziehideal« der Bilder unter dem Nationalsozialismus, das nur dem »Zufriedenmachen« gedient habe.101 Auch Ernst Krause schrieb im »Sonntag«, daß Kunst nun glücklicherweise wieder mehr sein könne als nur »platte >Reportageavantgardistischer< G e s i n n u n g m i t d e n S ü d d e u t s c h e n auf.« 1 0 3

»Radikalität«, die hier eine Abstraktion bis hin zur Gegenstandslosigkeit bezeichnete, wurde bereits gleichgesetzt mit Fortschritt - eine Meinung, die die Zeitschrift insgesamt kennzeichnete und die darüber hinaus bekanntermaßen in den westlichen Besatzungszonen sehr bald vorherrschend war. Die Frage, wie sie (und zwar zunächst jenseits von Stil- und Formdiskussionen) in der SBZ immer wieder gestellt wurde, nämlich inwieweit in der Kunst eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Fragen der Politik und Gesellschaft stattfinden sollte, kam hier nicht zur Sprache - möglicherweise ein Indiz dafür, wie früh schon die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland auseinander liefen.

99 Die Kunstkritik in den Jahren 1 9 4 5 - 1 9 4 7 ist generell durch sehr offene und kontroverse Diskussionen über die verschiedenen Kunstrichtungen gekennzeichnet, ohne daß es aber zu einer konkreten Festlegung oder einer Ausschließung einer bestimmten Kunstrichtung gekommen wäre, vgl. Niederhofer 1996 (wie Anm. 29), 73-75 u. 82; Held 1981 (wie Anm. 4), 383-395. 100 Matthias 1947 (wie Anm. 5), 11. 101 Linfert 1947 (wie Anm. 82), 12f. 102 Krause 1946 (wie Anm. 75), 5. 103 N.N., Allgemeine Deutsche Kunstausstellung, in: Das Kunstwerk, 3, 1946, 43.

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Kathleen

Schröter

Der Sächsische Künstlerkongreß

vom 26. bis 30. Oktober 1946

Zum Abschluß der Ausstellung fand vom 26. bis 30. Oktober im Tagungsraum der Stadthalle ein Künstlerkongreß statt, zu dem die Veranstalter der Ausstellung eingeladen hatten. 104 Er sollte die Möglichkeit bieten, die durch die Ausstellung aufgeworfenen Fragen über das zukünftige Kunstschaffen zu erörtern, wobei die Vorträge und Diskussionen über die bildende Kunst hinaus auch die Gegenwartsprobleme in den Bereichen Architektur, Theater und Musik thematisierten. Uber ausführliche Zeitungsberichte und einen Artikel in der »bildenden kunst« läßt sich der Inhalt der einzelnen Vorträge annähernd rekonstruieren. 105 Auffällig ist, daß - anders als im offiziellen Programm angekündigt 106 - der Kongreß mit jeweils einer hinzugefügten Rede eines sowjetischen Kulturoffiziers begann und abschloß. Die Vermutung liegt nahe, daß mit dem Wissen um die mehrheitliche Ablehnung der Ausstellung seitens der Bevölkerung kurzfristig die Chance erkannt wurde, diese Ablehnung von politischer Seite zu stützen und darüber hinaus auf dem Kongreß in zusätzlichen Ansprachen für den Sozialismus und den sozialistischen Realismus zu werben. 107 Die Reden zur bildenden Kunst wurden dementsprechend fast alle von Kulturfunktionären gehalten.108 Der Kulturoffizier Tjulpanow, Leiter der Informationsabteilung der SMAD, eröffnete den Kongreß mit einer Rede, in der er der zeitgenössischen Kunst Funktionen zusprach, die denen des sozialistischen Realismus in der Sowjetunion entsprachen; er vermied jedoch, noch ganz der zurückhaltenden Verlautbarungsrhetorik der ersten Jahre verpflichtet, das Wort »sozialistisch«. Die Künstler hätten nach der »zersetzenden Wirkung des menschenhassenden Faschismus« als »Diener und Führer des Volkes« »die fort-

104 Ursprünglich hatte der Kongreß analog zur Ausstellung »Allgemeiner deutscher Künstlerkongreß« heißen sollen. Die zunehmend schlechten Beziehungen zu der englischen Besatzungszone »ließen das aber nicht ratsam erscheinen. Da wir andererseits nicht einen >Zonenkongreß< proklamieren wollten, um nicht die Zonen als getrennte Kunstgebiete zu statuieren, wurde er schließlich >Sächsischer Künstlerkongreß< genannt. Die Teilnehmer stammten aber auch [...] aus den von den Westalliierten Mächten besetzten Gebieten« (Gerhard Strauss, Uber unsere Anfänge (I), Erinnerungen eines Zeitgenossen, in: Bildende Kunst, 10, 1979, 4 8 0 ^ 8 3 , hier 483). 105 Vgl. die ausführlichen Berichte in der Sächsischen Zeitung, 29.10.1946,1; 30.10.1946,2; 31.10.1946,2; in der Täglichen Rundschau, 29.10.1946, 3; 01.10.1946, 4; 02.11.1946, 6; im Neuen Deutschland, 01.11.1946, 3 und Matthias 1947 (wie Anm. 5). Es existieren zudem noch einige unvollständige Mitschriften vereinzelter Vorträge im Stadtarchiv Dresden (StadtA Dresden, Dez. OB, Akte Nr. 994, Blatt 16-29). Die Rede von Dymschitz ist außerdem abgedruckt bei Klaus Ziermann (Hrsg.), Alexander Dymschitz: Wissenschaftler, Soldat, Internationalist, Berlin 1977, 76-79. 106 Vgl. Einladungskarte zum Kongreß, StadtA Dresden, Dez. Volksbildung, D8, Blatt 15b und Sächsische Zeitung, 22.10.1946, 2. 107 Es gibt keinerlei Hinweise, die darauf hindeuten würden, daß die erfolgte Instrumentalisierung der negativen Besucherrezeption von vornherein geplant war. Dafür wäre es notwendig zu wissen, wer die Besucherumfrage mit welcher Absicht initiiert hat. 108 Hans Grundig war der einzige Redner zur bildenden Kunst, der kein kulturpolitisches Amt bekleidete. Der frisch zum Universitätsprofessor ernannte Grundig forderte eine Erziehung der Jugend zu einer politischen, auf aktuelles Zeitgeschehen Bezug nehmende Kunst, was durchaus im Sinne der politischen Führung war.

Kunst zwischen den Systemen. Die »Allgemeine

Deutsche Kunstausstellung«

1946 in Dresden

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schrittlichen Ideen der Menschheit in angemessener Gestaltung [ - die hier nicht näher präzisiert wurde, Anm. K.S. - ] dem Volke nahezubringen«, wobei insbesondere die sowjetische Kunst zum Vorbild genommen werden sollte. Seiner Meinung nach habe die Ausstellung nur mit den besten Werken bewiesen, daß die Künstler »der nazistischen Verwilderung und der dekadenten Abstraktion fern« 109 seien - hier erfolgte die Ablehnung des Nationalsozialismus mit der offenen Ablehnung abstrahierender Kunst in einem Atemzug. Der im Anschluß sprechende Staatssekretär und Ausstellungsorganisator Herbert Gute formulierte eine ganz ähnliche Lenkungsfunktion für die Kunst: »Kunst ist Künden« von der »neuen Gesellschaftsordnung unter demokratischen Verhältnissen«, sagte er, und weiter: In einer Demokratie habe stets das zu gelten, was die Mehrheit fordere. Die Mehrheit aber - Gute referierte hier die Ergebnisse der Besucherumfrage - lehne die Ausstellung ab: »Kunst und Volk im neuen Deutschland sind keine Einheit.« Dies, so wurde gefolgert, mache die Notwendigkeit von »zeitnahen, volksverbundenen Arbeiten« deutlich, wobei unter »volksverbunden« in diesem Zusammenhang nur eine allgemeinverständliche, d.h. möglichst naturalistische Formgebung verstanden werden kann.110 »Volksnah« und damit für breite Massen rezipierbar war eine notwendige Eigenschaft, sollte die Kunst ihre zugedachte, bewußtseinsbildende Rolle bei der »geistigen Erneuerung« Deutschlands und der Demokratisierung einnehmen können. Der auf den Sonntag vorgezogene Vortrag von Major Fradkin, Referent für Theater und Literaturwissenschaft in der SMAD-Informationsverwaltung, handelte die Geschichte des Humanismus in der Kunst ab und machte die Kongreßteilnehmer mit dem marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnis vertraut. Es muß den Zuhörern hier deutlich gemacht worden sein, daß die moderne Kunst aus der Zeit vor 1933 kein Anknüpfungspunkt sein könne, da sie Ausdruck einer kapitalistischen Gesellschaft mit einem »schrankenlosen Individualismus« in einem fortgeschrittenen Verfallsstadium gewesen sei und sich in einer Ubergangsepoche zum Faschismus befunden habe.111 Alexander Dymschitz, Leiter der Kulturabteilung der SMAD, schloß schließlich den Kongreß mit einer Ansprache, die - allerdings versteckt in einer langen Lobrede über die bisherigen Aufbauleistungen im kulturellen Bereich - erneut eine Ablehnung abstrahierender Kunst und die Vorbildfunktion sowjetischer Kunst beinhaltete; er stellte fest: »Auf dieser Ausstellung spürt man den Kontrast einer echten realistischen Kunst mit feinen psychologischen Zügen gegenüber einer formalistischen Abstraktion, welche ideenarm und darum zukunftslos ist.« Um ihren ideologischen Horizont zu erweitern,

109 Alle Auszüge aus Tjulpanows Rede zitiert nach Matthias 1947 (wie Anm. 5), 3 - 5 und Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3. Vgl. auch Sächsische Zeitung, 30.10.1946, 2; Neues Deutschland, 01.11.1946,3. 110 Alle Auszüge aus Gutes Rede zitiert nach Matthias 1947 (wie Anm. 5), 5-7, vgl. auch Sächsische Zeitung, 30.10.1946, 2; Neues Deutschland, 01.11.1946, 3 und Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3. 111 Vgl. Matthias 1947 (wie Anm. 5), 7; Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3.

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Kathleen Schröter

kündigte er den Künstlern und Künstlerinnen an, sie »in steigendem M a ß e und systematisch mit der sowjetischen Kunst vertraut«

112

zu machen.

Als künstlerischer Anknüpfungspunkt wurde auf dem Kongreß neben der Kunst der Sowjetunion auf positive Vorbilder in der »große[n] deutsche[n] Kultur [verwiesen], die [...] v o m Mißbrauch und den Fälschungen der braunen Banditen« 1 1 3 befreit worden war und nun wieder aufleben sollte. Dementsprechend stellte die Dekoration des Tagungsraums »Bildnisse großer Deutscher, von Bach bis Marx, von Lessing bis Käthe Kollwitz und Paul Büttner« 1 1 4 dar, die auf das »große E r b e des deutschen Humanismus« 1 1 5 verweisen sollten. I m Gegensatz zu der bisher liberalen Kunstpolitik kam es auf dem Künstlerkongreß also zu einer deutlich formulierten Ablehnung der klassischen Moderne. Bisher waren nur vereinzelt Äußerungen dieser Art öffentlich gemacht worden, und so erstaunt hier die einheitliche Front, die zur Ablehnung der modernen Kunst aufgebaut worden war, ohne daß aus bündnistaktischen Überlegungen heraus auch andere Stimmen zu W o r t gekommen waren. D i e auffällige D o m i n a n z der sowjetischen Kulturfunktionäre unter den Rednern deutet darauf hin, daß diese Ablehnung sichergestellt und nicht durch abweichende Darstellungen gefährdet werden sollte. D i e kulturpolitische Verlautbarungsrhetorik des Kongresses unterschied sich damit von den zur Eröffnung gehaltenen Reden, in denen die moderne Kunst eine positive Beurteilung erfahren hatte. Gleichzeitig wurde es denjenigen, die im Nationalsozialismus die moderne Kunst abgelehnt hatten, ermöglicht, »weiterhin im Nazi-Jargon über die Künstler der Moderne« 1 1 6 zu richten (freilich unter Auslassung von rassenbiologischem Vokabular), ohne damit eine Tabu-Verletzung zu begehen. D a m i t aber war eine »unselige Allianz geboren, die mehr als zwei Jahrzehnte das Kunstleben in der künftigen D D R nachhaltig prägen sollte.« 1 1 7 Hier erwiesen sich jene antimodernistischen Strömungen aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik, die im N S weiter gefestigt worden waren, aber auch Eingang in die Ästhetikdebatten der Arbeiterbewegung gefunden hatten und die letztlich auf ein seit

112 Beide Redeauszüge aus der Rede von Dymschitz, zitiert nach Matthias 1947 (wie Anm. 5), 9 und Ziermann (Hrsg.) 1977 (wie Anm. 105), 79. 113 Aus der Rede von Dymschitz, zitiert nach Matthias 1947 (wie Anm. 5), 8 und Ziermann (Hrsg.) 1977 (wie Anm. 105), 77. 114 Tägliche Rundschau, 29.10.1946, 3. 115 Ebd., 3. 116 Lindner 1998 (wie Anm. 3), 75. 117 Ebd., 75. Die Moderne wurde sowohl im N S als auch unter Kommunisten immer wieder als »häßlich« und »krank« bezeichnet, die von ihnen geforderte Kunst jedoch sollte inhaltlich wie formal »schön« sein (d.h. einen positiv gestimmten Bildinhalt sowie eine an die sichtbare Wirklichkeit angelehnte Gestaltung aufweisen), und zudem einer wie auch immer gearteten »Wahrheit« bzw. der »objektiven Realität« entsprechen. Vgl. für die SBZ bspw. den Artikel »Uber die formalistische Richtung in der deutschen Malerei« des sowjetischen Kulturoffiziers Dymschitz in der Beilage der »Täglichen Rundschau«, 24.11.1948, II.

Kunst zwischen

den Systemen. Die »Allgemeine

Deutsche Kunstausstellung«

1946 in Dresden

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dem 19. Jahrhundert tradiertes, bürgerliches Kunstverständnis zurückgehen, immer noch als wirkmächtig. 118 Die Reaktion der am Kongreß teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen war verhalten, die Diskussionen nach den einzelnen Vorträgen fielen »recht kümmerlich und unzulänglich« 119 aus, vielleicht aufgrund von zeitlichen Engpässen im Programm (wobei der offizielle Programmablauf nicht darauf schließen läßt) oder aber als »Folge des Mangels an demokratischer Übung« 120 , wie Kober glaubt. Verbunden mit einer vermutlich noch tiefsitzenden Angst vor repressiven Mitteln der staatlichen Machthaber könnten die recht eindeutigen kunstpolitischen Verlautbarungen der vortragenden Kulturoffiziere einschüchternd gewirkt haben. Der Kongreßteilnehmer Matthias machte dementsprechend die Beobachtung, daß es nur »unter den zwanglosen Tischnachbarn während der Pausen oder auch nach den Veranstaltungen« 121 zu lebhafteren Debatten kam. Es wurde demnach kein öffentlicher Einspruch gegen die in den Reden aufgestellten Forderungen erhoben, die erneut einengende Vorschriften von staatlicher Seite für die Künstler und Künstlerinnen vorausahnen lassen konnten.122 Der Kongreß förderte vielmehr die »Ratlosigkeit, Zwiespältigkeit und Verlorenheit zutage, die die Künstler getrieben hatte, so zahlreich und erwartungsvoll der Einladung zum Zusammentreffen Folge zu leisten« 123 und denen dann mit politischen Richtungsvorgaben begegnet worden war.

Ausblick und

Schlußbetrachtung

Nach dem Kongreß setzte eine immer dogmatischere Kunstpolitik ein: Vehement wurde nun von den Künstlerinnen und Künstlern in der SBZ ein sozialistischer Realismus und die Aufgabe »modernistischer Gestaltungsmittel« gefordert, letztere wurden nun mit dem Verweis auf die »kapitalistische Unkultur« in den Westzonen, in denen die moderne und gegenstandslose Kunst als Ausdruck der »Freien Welt« propagiert wurde, immer wieder als »dekadent« und »formalistisch« degradiert. Dieser Kurswechsel in der

1 1 8 Zur bildungsbürgerlichen Kunstsemantik vgl. Georg Bollenbeck, Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1 8 8 0 - 1 9 4 5 , Frankfurt a.M. 1999, 23 und 5 3 84; Thomas La Presti, Bildungsbürgerliche Kontinuitäten und diktatorische Praxis: Zur Kulturpolitik in der D D R der 50er-Jahre, in: Georg Bollenbeck/Gerhard Kaiser (Hrsg.), Die janusköpfigen 50er Jahre, Wiesbaden 2000, 3 0 - 5 2 , hier 3 1 ^ 4 . 119 Matthias 1947 (wie Anm. 5), 10. 120 Kober 1989 (wie Anm. 5), 120. Vgl. auch Gustav Leuteritz, Deutsche Kunstdiskussion 1946, in: Tägliche Rundschau, 14.11.1946, 6. 121 Matthias 1947 (wie Anm. 5), 10. 122 Es gab aber auch keine deutlich vernehmbare Zustimmung. So schrieb die Sächsische Zeitung: »Einen Disput über Darstellungsprobleme, über neue Inhalte bildender Kunst, eine Verteidigung des neuen Schaffens der durch den Entscheid des Volkes abgelehnten Künstler mußte man ebenso vermissen wie eine die Lauheit und Resignation zerstörende Fanfare freudigen Bekenntnisses zu neuer fortschrittlicher Kunst.« (Sächsische Zeitung, 30.10.1946, 2). 123 Matthias 1947 (wie Anm. 5), 10.

236

Kathleen Schröter

Kunstpolitik ging einher mit der zunehmenden Konfrontation zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, die eine Teilung Deutschlands immer wahrscheinlicher werden und die Bestrebungen in der SBZ nun dahin gehen ließen, so schnell wie möglich einen sozialistischen Staat nach dem Vorbild der Sowjetunion zu errichten.124 Die Ausstellungspolitik änderte sich insofern, daß nach 1946 vermehrt Ausstellungen mit thematischen Vorgaben gezeigt wurden, die anders als die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung zumindest inhaltlich eine Lenkungsfunktion für die Kunst besitzen sollten.125 Lindners Einschätzung, daß sich die Ausstellungsaktivitäten jener Zeit bei genauerer Betrachtung »nicht nur als Leistung engagierter Kunstvermittler, sondern auch als Produkt einer internen Kalkulation«126 seitens der politischen Machthaber erweisen, trifft in besonderem Maße auch auf die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung von 1946 zu. Sie spiegelte die aus bündnistaktischen Überlegungen heraus erfolgte liberale Kunstpolitik der ersten zwei Jahre. Mit ihrer Hilfe sollte um die Sympathien der Künstler, des Bürgertums und der Intelligenz für die sowjetische Besatzungsmacht geworben, über die Kunst eine deutsche Einheit hergestellt und damit den Plänen der Sowjetunion für ein sozialistisches Gesamtdeutschland entsprochen werden. Auch wenn keine monokausale Erklärung für die ab 1947 zu beobachtende Wende in der Kulturpolitik aufgestellt werden kann - die Kunst- und Kulturpolitik war dazu zu sehr an die komplexe gesamtdeutsche Entwicklung und an Vorgaben aus der Sowjetunion gebunden - hat die Besucherumfrage, die die mehrheitliche Ablehnung der in der Ausstellung gezeigten Kunstwerke dokumentierte, zu einer Kursänderung in der Kunstpolitik der SED und der SMAD beigetragen: Der modernen Kunst, die, wie die Besucherumfrage gezeigt hatte, keine breite Zustimmung in der Bevölkerung besaß, mußte aus bündnispolitischen Überlegungen heraus kein toleranter Umgang mehr zuteil werden. Eher das Gegenteil war der Fall: Die Kulturfunktionäre konnten sich nun mit der Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung zu Bewahrern des deutschen Klassik-Erbes stilisieren, die die »wahre deutsche Kultur« und ihr humanistisches Anliegen vor Einflüssen der Moderne zu schützen behaupteten und um eine Fortführung ihrer positiven Errungenschaften bemüht seien. Die zunächst propagierte Freiheit für die Künstler und Künstlerinnen wurde daher mehr und mehr durch politische Vorgaben, wie sie in den Reden auf dem Künstlerkongreß schon angedeutet wurden, aufgeweicht. Erneut konnte eine »volkstümliche« Kunst gefordert werden, wenngleich diese mit völlig anderen Inhalten als im Nationalsozialismus gefüllt werden sollte und daher auch als eine neue, fortschrittliche Kunst propagiert werden konnte. Die angestrebte sozialistisch-humanistische Gesellschaft sollte sich in ihr widerspiegeln, als Vorbild diente dabei der in der Sowjetunion propagierte sozialistische Realismus. 124 Vgl. Niederhofer 1996 (wie Anm. 29), 1 0 2 - 1 0 8 . 125 Ein Beispiel dafür ist die 1947 in Berlin eröffnete und dann 1948 auch in Dresden zu sehende Ausstellung über »150 Jahre soziale Strömungen in der bildenden Kunst«, in der dezidiert Inhalt und Gegenständlichkeit im Mittelpunkt standen. Vgl. Saure 2000 (wie Anm. 24), 23; Lindner 1998 (wie Anm. 3), 86. 126 Lindner 1998 (wie Anm. 3), 83 (Hervorhebung im Original).

Die konzeptionellen

Erneuerung der Planungsmaximen

des Städtebaus der 1930er Jahre

237

Die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung von 1946 nahm damit in der kurzen Phase einer relativ offenen Kunstpolitik eine Scharnierfunktion ein: In ihr wurde für ein großes Publikum weithin sichtbar mit der nationalsozialistischen Kunstideologie gebrochen und eine neue künstlerische Freiheit propagiert. Gleichzeitig konnte sich jedoch ein seit dem 19. Jahrhundert tradiertes, modernefeindliches Kunstverständnis auch nach 1945 unter dem Wegfall der im NS hinzugefügten rassenbiologischen Aufladung kontinuierlich halten und auf dem Künstlerkongreß erneut für politische Absichten instrumentalisiert werden. Den kommunistischen Machthabern, vehementen Gegnern des Faschismus, wurde es somit möglich, eine ablehnende Haltung gegenüber moderner Kunst zu propagieren und nach dem Mißbrauch der Figuration durch das Hitler-Regime wiederum für eine allgemeinverständliche und gegenständliche Kunst zu streiten. Nur wenig später schon wurde offen für eine Kunst im Sinne des sozialistischen Realismus geworben, der zur Doktrin erhoben und die herrschende Kunstideologie in der DDR bestimmen sollte.

Abbildungsnachweis Umschlag: Portraitfoto Willi Baumeister und Dokumenta 1955: Archiv des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn; Plakat für die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung 1946 in Dresden und den Sächsischen Künstlerkongreß: Anne-Marie Bonnet, Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, S. 77. S. 16

Beitrag Davies (Abb. 1): Rheinisches Landesamt für Denkmalpflege, Abtei Brauweiler, Pulheim; Fotografin: Martha Kranz

S. 23 S. 24

Beitrag Fuhrmeister (Abb. 1): Abendzeitung, 22.7.1949 (Abb. 2): Frontispiz Ernst Strauss zum 80. Geburtstag, Kat. Arnoldi-Livie 1981

S. 83 S. 83

S. 85 S. 85 S. 86

S. 92 S. 103 S. 104 S. 105

S. 105 S. 106 S. 106

Beitrag Fleischhauer (Abb. 1): Wolfgang Krönig, Altenberg und die Baukunst der Zisterzienser, Bergisch Gladbach 1973, 32, Abb. 20. (Abb. 2): Henri-Paul Eydoux, L'eglise abbatiale de Morimond, in: Bulletin Monumental 114 (1956), 253-266, Tafel o. Zählung; Bernd Nicolai, Morimond et l'architecture cistercienne en Allemagne, in: Bulletin Monumental 151 (1993), 185. (Abb. 3): Wolfgang Krönig, Altenberg und die Baukunst der Zisterzienser, Bergisch Gladbach 1973, 38-39, Abb. 25. (Abb. 4): nach: Matthias Untermann, Forma Ordinis. Die mittelalterliche Baukunst der Zisterzienser, München/Berlin 2001, 82, Abb. 15. (Abb. 5): Wolfgang Krönig, Altenberg und die Baukunst der Zisterzienser, Bergisch Gladbach 1973, 37, Abb. 23. Beitrag Volkenandt (Abb. 1): Kunsthistorisches Seminar der Universität Basel, Diathek Beitrag Wagner-Conzelmann (Abb. 1): Karl Otto, Die Stadt von morgen, Berlin 1959, 131 (Abb. 2): Karl Otto, Die Stadt von morgen, Berlin 1959,133 (Abb. 3): Internationale Bauausstellung Berlin 1957 (Hrsg.), Wiederaufbau Hansaviertel Berlin, Sonderveröffentlichung zur Interbau, Darmstadt 1957. (Abb. 4): Klaus Franck, Ausstellungen, Stuttgart 1960, 206. (Abb. 5): Interbau GmbH (Hrsg.): die S t a d t von morgen, Berlin 1957, ohne Paginierung. (Abb. 6 ): Interbau GmbH (Hrsg.): die S t a d t von morgen, Berlin 1957, ohne Paginierung.

240

S. 126 S. 127

S. 133

S. S. S. S. S.

138 138 140 141 144

S. 166 S. 168 S. 169 S. 184 S. 187 S. 188 S. 188 S. 189

S. 209 S. 228 S. 228

Abbildungsnachweis Beitrag Peters (Abb. 1): Kat. Rudolf Schlichter. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Kunsthalle Tübingen u.a. 1997/98,133 (Abb. 2): George Grosz. Berlin - New York, hrsg. Von Peter-Klaus Schuster, Neue Nationalgalerie Berlin und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 1994/95, 361 (Abb. 3): Kat. Rudolf Schlichter. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Kunsthalle Tübingen u.a. 1997/98,294 Beitrag Wimmer (Abb. 1): Archiv der Autorin (Abb. 2): aus: Das Kunstwerk, 9,2, 1955/56, 46; Foto: Fee Schlapper (Abb. 3): Archiv der Autorin (Abb. 4): Foto: Bettina Brach, Bremen (Abb. 5): Foto: Bettina Brach, Bremen Beitrag Wedekind (Abb. 1): Kassel, documenta Archiv (Abb. 2): Kassel, documenta Archiv (Abb. 3): Kassel, documenta Archiv Beitrag Zuschlag (Abb. 1): Stadtarchiv Leverkusen; Repro: Stadtarchiv Leverkusen (Abb. 2): Archiv des Autors (Abb. 3): Dokumentation Westdeutscher Künstlerbund, 2; Foto: Geert Moegenburg (Abb. 4): Dokumentation Westdeutscher Künstlerbund, 6; Foto: Geert Moegenburg (Abb. 5): Dokumentation Westdeutscher Künstlerbund, 4; Foto: Geert Moegenburg Beitrag Schröter (Abb. 1): Anne-Marie Bonnet, Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, 77. (Abb. 2): Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 11401, LRS, Ministerium für Volksbildung, Nr. 2384, ohne Paginierung. (Abb. 3): Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 11401, LRS, Ministerium für Volksbildung, Nr. 2384, ohne Paginierung.

Personenregister Achard von Clairvaux 84 Ackermann, Anton 213 Adenauer, Konrad 16, 33, 192 Albers, Josef 167 Altdorfer, Albrecht 41 Alvard, Julien 207 Andersch, Alfred 197 Arndt, Adolf 165 Arp, Hans 153 Aubert, Marcel 78, 79 Auerbach, Erich 11,178-180 Bach, Johann Sebastian 197, 234 Badt, Kurt 73 Bahrdt, Hans Paul 109, 110 Bakema, Jacob Berend 108 Baldass, Ludwig von 41 Ball, Hugo 130 Balzer, Wolfgang 217, 218, 221,223, 226, 229, 230 Bange, Ernst Ε 49 Barlach, Ernst 57, 143,224 Barthel, Gustav 42, 45,143 Basler, Otto 33, 35, 36 Bauch, Kurt 29, 35 Baumeister, Willi 10,11, 56, 141, 146,149-159, 161164,192, 196, 198,200, 224, 231 Beckmann, Max 146,167, 197, 202, 224 Beethoven, Ludwig van 55 Benesch, Otto 41 Benn, Gottfried 180 Berke, Hubert 147 Bernard, Emile 62 Bernhard von Clairvaux 79, 80, 82, 84, 86, 87 Bihalji-Merin, Oto 154 Bismarck, Otto von 44 Blake, William 129 Blank, Eva 213, 215 Blavatsky, Helena 161 Blumenberg, Hans 175

Blunt, Anthony 14 Bode, Arnold 165,167,168, 170, 172, 173,177, 179 Boepple, Ernst 25 Bohn, Hans 128 Bohner, Theodor 41 Bott, Francis 198 Böttcher, Otto 41 Bouts, Dieric 92 Braque, George 203 Braunfels, Wolfgang 35, 38 Breker, Arno 200 Brinckmann, Albert Erich 44, 46, 78 Brion, Marcel 207 Brüning, Peter 185 Buchheister, Carl 185 Buonarroti, Michelangelo 40, 49 Buttlar, Herbert Freiherr von 165 Büttner, Paul 234 Camaro, Alexander 196 Cassirer, Bruno 113, 114, 116 Cassou,Jean 198 Christoffel, Ulrich 137 Clasen, Karl Heinz 35 Clemen, Paul 29, 46 Colombier, Pierre du 207 Constable, William 69 Corinth, Lovis 224 Cranach d. Α., Lucas 41 Creighton, Tom 18 Curmann, Sigurd 78 Curtius, Ludwig 27 Deckert, Hermann 35 Descargues, Pierre 207 Desch, Kurt 137 Dessauer, Friedrich 135 Diderot, Denis 69 Diel, August 41 Dimier, Marie-Anselme 79, 81, 87 Dirlmeier, Franz 26 Dix, Otto 224, 225, 230

Dohme, Robert 77 Dorival, Bernard 198 Drouin, Rene 186 Duchamp, Marcel 62 Dürer, Albrecht 24, 25, 29, 41,42, 44, 47, 5 9 , 1 9 7 , 1 9 8 Dußler, Luitpold 42, 43 Dvorak, Max 64 Dymschitz, Alexander 2 1 2 214,219, 220, 2 2 1 , 2 3 2 234 Eberlein, Kurt Karl 4 1 - B , 47 Eckstein, Hans 21, 100 Ehmsen, Heinrich 225 Ehrlich, Franz 227, 230 Einem, Herbert von 41, 42, 49 Einstein, Carl 125, 199 Eisenberger, Max 35, 36 Elmenau, Johannes von 3 3 37 Emmrich, Erma 48 Ertel, K.F. 48 Esser, Karl Heinz 82-85 Euler, August-Martin 165 Evers, Hans Gerhard 25, 27, 35, 42, 43, 55, 56, 64, 128, 193 Eyck, Jan van 71 Eydoux, Henri-Paul 80-83 Feininger, Lyonel 167, 224 Felibien, Andre 69 Felixmüller, Conrad 224 Feurstein, Heinrich 41 Ficker, Rudolf von 30 Fiensch, Günther 9, 89-97 Fradkin, Ilja M. 216, 233 Fraenger, Wilhelm 41 Franco, Francisco 26 Franke, Günther 196, 223 Freeden, Max H. von 42, 43 Freundlich, Otto 198 Frey, Dagobert 96 Friedländer, Walter 72 Friedrich, Caspar David 41, 42, 44, 47, 48

242

Personenregister

Friedrichs, Rudolf 219-221 Frobenius, Leo 156, 158, 159, 162,163 Fuhr, Xaver 224 Füssli, Heinrich 129 Gall, Ernst 198 Gaul, Winfred 185 Gear, William 14, 17-19 Gebser, Jean 63,176 Geiger, Rupprecht 200 Geitlinger, Ernst 231 Gerke, Friedrich 35 Gerstenberg, Kurt 41, 43, 47 Gertz, Ulrich 165 Giedion, Siegfried 108 Gilles, Werner 136, 185,186, 200 Gindertael, Roger van 198 Giotto di Bondone 96 Göderitz, Johannes 102 Goebbels, Josef 200 Goethe, Johann Wolfgang von 55, 153, 197 Gogh, Vincent van 50, 144 Goldschmidt, Adolf 68 Goldschmidt, Ernest 183, 188-191 Götz, Karl Otto 18, 200 Goya, Francisco 2 6 , 1 2 9 Grant, Michael 18,19 Greco, El (Theotokopoulos, Domenikos) 26, 29 Greenberg, Clement 97 Greis, Otto 185 Griesbach, Hanna 146 Grieshaber, HAP 185, 193 Grimm, Hermann 40, 48, 49 Grochowiak, Thomas 173 Grodecki, Louis 69 Grohmann, Will 61, 156, 183, 190,191, 195-205, 207, 208,213,215,216,219, 223, 230 Grosz, George 10,126,127, 134, 135, 224 Grote, Ludwig 197, 204

Grundig, Hans 215, 216, 219, 221,223-225, 229,232 Grundig, Lea 225 Grünewald, Matthias 41 Guardi, Francesco 140 Gundermann, Leo 42 Gurlitt, Hildebrand 19 Gute, Herbert 212, 214-216, 218, 220, 226, 229, 230, 233 Haftmann, Werner 21, 54, 55, 56, 57, 61-63, 135, 143, 151, 154,170-177,179, 180, 193,197,199, 200, 204, 207 Hahn, Hanno 82, 84 Hajek, Otto Herbert 185 Hartlaub, Felix 197 Hartlaub, Gustav Friedrich 54, 59 Härtung, Hans 198 Härtung, Karl 184-186, 189 Hausenstein, Wilhelm 128, 135, 198,204 Hauser, Ernst Otto 160 Hausmann, Manfred 139 Heckel, Erich 185, 224 Heiliger, Bernhard 185 Heinze-Schmidt, Irene 226 Heise, Carl Georg 15, 19, 56, 143 Held, Julius S.[amuel] 32 Heidt, Werner 200 Henning, Heinrich 102 Hentzen, Alfred 197 Henze, Anton 142, 146 Hetzer, Theodor 96 Heuss, Theodor 177 Heydemann, Günther 219 Hillebrecht, Rudolf 100 Himmler, Heinrich 161 Hirzel, Stefan 165 Hitchens, Ivon 19 Hitler, Adolf 28, 200, 202, 217,237 Hoch, Fritz 165 Hodler, Ferdinand 160

Hoehme, Gerhard 185 Hofer, Karl (= Hofer, Carl) 137, 139,157,215,216, 224 Hoff, August 197 Hoffmann, Edith 52 Hoffmann, Eugen 215, 216, 224, 225 Hoffmann, Hubert 102-104 Hoffmann, Ludwig von 230 Hoffmann, Wolfbernhard 81 Hofmann, Werner 61, 145, 146 Holbein d. J., Hans 40-42 Hölderlin, Friedrich 55 Homer 178 Horst, Carl 89 Howard, Ebenezer 100 Huber, Kurt 28 Hugo von St. Victors 180 Hürten, Heinz 171, 180, 181 Ipsen, Gunther 109 Isermeyer, Christian Adolf 41, 42, 49 Jaffe, Hans 59-61 Janlet, Pierre 183, 188, 190, 191 Jantzen, Hans 9, 25, 26, 36, 51, 52, 67-69, 73, 78,160 Jedlicka, Gotthard 64 Jung, Carl Gustav 162 Jünger, Ernst 10,126,127,133 Jünger, Friedrich Georg 101 Justi, Carl 40, 49 Kamphausen, Alfred 81 Kandinsky, Wassily 62, 63, 140, 153, 160, 162, 195, 203, 204, 223 Kanoldt, Alexander 200 Kant, Immanuel 55,150 Kapphahn, Hermann 29 Kauffmann, Hans 35, 74 Kehrer, Hugo 8, 23, 24-31, 35, 36, 38 Keller, Harald 25, 26, 35, 43 Kesting, Edmund 215, 216, 222, 230

Personenregister Kiener, Hans 28 Kieser, Emil 42, 56 Kingsley Porter, Arthur 30 Kirchner, Ernst-Ludwig 224 Klages, Helmut 103 Klee, Paul 140, 153, 160,175, 195,196,203-205, 223, 224 Klein, Woldemar 137-140, 145-147 Kleist, Heinrich von 55 Klingner, Friedrich 36 Knackfuß, Hermann 48, 49 Knapp, Fritz 41 Koeppen, Wolf gang 194 Kokoschka, Oskar 197, 224 Kolbe, Georg 200, 224 Kollwitz, Käthe 143, 234 König, Fritz 185 Krause, Ernst 225, 230, 231 Kretzschmar, Eberhard 213, 215,216,218,219 Kreutz, Heinz 185 Kröner, Karl 215, 230 Krönig, Wolfgang 82 Kubach, Hans Erich 81 Kubin, Alfred 131 Kugler, Franz 77 Lachnit, Wilhelm 209, 215, 216, 225 Langbehn, Julius 44, 47 Lange, Otto 224 Lauritzen, Lauritz 165 Le Brun, Charles 69 Le Corbusier 100 Lehmann, Paul 32, 33 Lehmbruck, Wilhelm 224 Leinberger, Hans 49 Leißner, Gustav 219, 221 Lemke, Heinz 165, 167,170 Lenoir, Albert 77 Leonardo da Vinci 44, 50 Leonhardi, Klaus 41 Lessing, Gottfried Ephraim 115, 234 Lewinski, Erich 165 Lex, Alice 139

Lill, Georg 49 Linfert, Carl 187, 226, 231 Lissitzky, El (Markowitsch Lissizki, Lasar) 223 Lods, Marcel 100 Lorck, Carl von 41 Lorrain, Claude 140 Löwith, Karl 27 Luft, Werner 146 Lutze, Eberhard 41^13, 4 5 47 Lützeler, Heinrich 35 Mahler, Karl 104 Maille, Aliette de 78 Male, Emile 78 Malewitsch, Kasimir 62 Mammen, Jeanne 231 Manet, Edouard 50,144 Mannheim, Karl 75 Marc, Franz 62, 140, 160 Marchiori, Giuseppe 183, 188-191 Mareks, Gerhard 224 Marx, Karl 234 Matare, Georg 185 Matisse, Henri 167 Mattern, Hermann 165 Matthias, Carl Ernst 212, 219, 221,228, 229,231-235 Maul, Alfred 107 Maunz, Theodor 37 May, Ernst 107 Meier-Graefe, Julius 199 Meistermann, Georg 185, 198 Mettler, Adolf 77 Mazeliere, Marquis de 207 Michalski, Ernst 27 Milley, D o m F. N. 86 Miro, Joan 153 Moholy-Nagy, Laszlo 223 Moll, Oskar 224 Möller, Ferdinand 223, 224 Moore, Henry 15, 19,151 Mueller, Otto 224 Munch, Edvard 62 Nay, Ernst Wilhelm 185, 196, 198, 200, 203,208, 224

243

Nemitz, Fritz 41, 42 Neriinger, Oscar 137,139 Nesch, Rolf 196, 203 Nietzsche, Friedrich 197 Nolde, Emil 224 Novalis 55, 197, 205 Oettinger, Karl 35, 37 Ortner, Eugen 41, 42 Ott, Richard 136 Otto, Karl 102 Otto, Rudolf 156-158, 163 Paatz, Walter 35 Pacht, Otto 72 Palitzsch, Hans Heinrich 230 Panofsky, Erwin 9, 64, 70-72, 74, 75 Passarge, Walter 53-55, 57, 59-61 Passavant, Johann David 47 Paulcke, Wilhelm 159,160 Pechstein, Max 215, 216, 224 Perry, Lionel 14, 17, 20 Pfeil, Elisabeth 109, 110 Pfister, Rudolf 121, 122 Phillips, Ewan 14, 15,17,18 Picasso, Pablo 142, 143, 167, 196, 203 Pieck, Wilhelm 213 Pinder, Wilhelm 9, 25, 27, 34, 36,38, 45,51-65, 160 Poensgen, Georg 145 Posse, Hans 41 Poussin, Nicolas 67, 69, 70, 72, 73-75 Preller, Ludwig 165,167 Proust, Marcel 178 Rade, Karl 215 Radecki, Sigmund von 128 Raffael 40, 47 Ragon, Michel 208 Rainer, Roland 102 Rasch, Heinz 161 Rave, Paul Ortwin 201 Read, Herbert 15, 19, 183, 189-191,205 Reau, Louis 207

244

Personenregister

Reichow, Hans Bernhard 101,107 Reifenberg, Benno 198, 202 Reitzenstein, A. von 41 Rembrandt (Rembrandt Harmensz. van Rijn) 44, 47, 94 Rentzsch, Egon 227 Rheinfelder, Hans 31, 32, 34 Riegl, Alois 53, 94, 95 Riehl, Berthold 24 Riemenschneider, Tilman 41, 42, 44, 45, 47, 48 Rivera, Pilar Primo de 26 Robertson, Sir Brian 15 Roeder, Emmy 185 Roemer-Bergfeld, Hilde 165 Rogers, E.N. 108 Roh, Franz 54, 59, 68, 130, 145, 146, 197, 199, 200, 202-205, 207 Roh, Juliane 146 Rohlfs, Christian 224 Rose, Hans 78 Rosemann, Heinz 35 Rosenberg, Alfred 200 Ross, Michael 14,19 Rousseau, Jean-Jacques 149 Rubens, Peter Paul 42, 50 Rudolph, Wilhelm 225 Runge, Philipp Otto 41, 42, 49 Rüttimann, Hermann 77 Salin, Edgar 107,110 Sandberg, Willem J. Η. B. 183, 188, 190, 191,205 Sauerländer, Willibald 9, 23, 41, 50, 67-75 Saxl, Fritz 74 Schaefer, Herwin 167 Schaffer, Reinhold 41 Schaffner, Hermann 165 Scharoun, Hans 154 Schefbeck, Otto 28 Scheffler, Karl 10,113-123 Scheibe, Richard 224 Scheuermann, Audomar 38

Schiff, Gert 184, 197, 204, 205 Schiller, Friedrich von 150 Schlemmer, Oskar 156, 224, 231 Schlichter, Rudolf 10, 125, 126-136, 224 Schmid, Heinrich Alfred 41 Schmidt, Georg 183,188, 190, 191,205 Schmidt-Rottluff, Karl 224 Schmitt, Carl 172 Schmitthenner, Paul 26 Schmoll genannt Eisenwerth, Josef Adolf 57-59, 61 Schnell, Hugo 198 Schnitzler, Hermann 56 Schönberg, Arnold 131 Schöne, Wolfgang 35 Schrade, Hubert 35 Schröder, Rudolf 197, 201 Schudt, Ludwig 42 Schultze, Bernhard 200 Schumann, Wolfgang 225, 226, 230 Schürer, Oskar 25, 43 Schwagenscheidt, Walter 107, 108 Schwalber, Josef 32, 34 Schweicher, Curt 184 Schwitters, Kurt 224 Sebastiano del Piombo 42 Sedlmayr, Hans 9, 33-36, 5 4 57, 58, 62, 64, 68, 72, 73, 101, 128, 135,136, 143, 153-155,171, 172, 192, 204 Serner, Walter 130 Sert, Joseph Lluis 108 Seuphor, Michel 197 Siebenhüner, Herbert 35, 37 Slevogt, Max 60 Smithson, Alison und Peter 108,109 Spengler, Oswald 10, 119, 120, 122, 159 Springer, Anton 40, 48, 49

Stadler, Rodolphe 183,189, 191 Stange, Alfred 207 Stein, Franz 147 Stoss, Veit 41, 42, 4 4 ^ 8 Strauss, Ernst 8, 24, 27, 31-38 Strauss, Gerhard 214-216, 222, 232 Strempel, Horst 225 Strzygowski, Josef 26, 78, 153, 156,159-163 Tapie, Michel 183, 188,190, 191,205 Theunissen, Gert H. 219 Thieler, Fred 198 Thiemann, Hans 231 Thwaites, John Anthony 197, 204 Tintelnot, Hans 198 Tjulpanow, Sergej 232, 233 Treitschke, Heinrich von 40 Trier, Hann 185, 200 Trökes, Heinz 141, 144, 200, 230, 231 Tyrwhitt, Jaqueline 108 Uhlmann, Hans 185,198 Usener, Karl Hermann 35 Vanuxem, Jacques 198 Vasari, Giorgio 39, 46 Velazquez, Diego 40 Verbeek, Albert 81 Vermeer van Delft, Jan 73 Vietta, Egon 142 Vogel, Hans-Erasmus 165 Völker, Robert 165,167 Volwahsen, Herbert 215-221, 226, 227, 229, 230 Vömel, Alex 17 Voss, Hermann 56 Vrinat, Robert 202, 203 Wächter, Bernhard 216 Wackernagel, Martin 89, 90 Waetzoldt, Wilhelm 41, 42 Wagner, Adolf 30 Wagner, Richard 197 Waldmann, Emil 41 Warburg, Aby 74

Personenregister

Wauer, William 224 Weise, Georg 80, 81 Wenger, Paul Wilhelm 132 Wentzel, H a n s 35 Werner, Theodor 182,196,203 Werner, Woty 196, 203 Wescher, Hertha 188,189, 190,193,198, 201,202 Wessel, Wilhelm 11, 183-187, 191-193 Westerdahl, Eduardo 152 Westheim, Paul 125, 199 Wiesselmann, Rolf 183, 187, 191

Wilhelm Kästner, Kurt 41, 42 Wingler, H a n s Maria 146 Winter, Fritz 154,171,172, 184, 185, 196, 200, 203 Wintzen, Rene 197, 202 Wirth, H e r m a n n 161 Woermann, Karl 149 Wölfflin, Heinrich 24, 25, 40, 43, 48, 53, 57, 68, 94, 95 Wolff Metternich, Franz Graf 16 Wols 189,191,198 Woltmann, Alfred 40

245

Woolf, Virginia 178 Worringer, Wilhelm 95, 96, 199 Wundt, Wilhelm 158 Wüst, Walther 25, 26 Wyzewa, Teodor de 207 Zahn, Leopold von 56,139, 140, 142-147, 197, 201, 202 Zervos, Christian 195-197 Ziegler, Adolf 200 Ziegler, Leopold 156, 157, 162, 163 Zülch, W. K. 41

A n d r e a s Strobl

Curl G l a s e r Kunsthistoriker - Kunstkritiker - S a m m l e r Eine d e u t s c h - j ü d i s c h e Biographie 2006. 441 S. 1 4 s/w-Abb. auf 11 Tafeln. Gb. ISBN-10

3-412-26305-2

ISBN 978-3-41 2-26305-8

Der Arzt, Kunsthistoriker, Museumsmann, Kunstkritiker und Sammler Curt Glaser (1879-1943) ist einer der vergessenen Protagonisten des Kunstbetriebs vor 1933. Er war in den 1920er Jahren als Publizist und Direktor der Berliner Kunstbibliothek ein bekannter Mann des Berliner Kulturlebens. Nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1933 und seiner Emigration, in der ihm kein beruflicher Neuanfang mehr möglich war, geriet er j e d o c h in Vergessenheit. Als Kunstschriftsteller beschäftigte sich Glaser vor allem mit der altdeutschen Graphik und Malerei sowie mit der Kunst seiner

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Zeit. Sein Buch zur altdeutschen Kunst wurde als eine der

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wenigen deutschen Monographien ins Französische übersetzt.

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In seinen Kunstkritiken reflektierte er nahezu alle avantgardistischen Strömungen, aber auch den

Ausstellungsalltag.

Zudem ermöglichte er als Leiter der Kunstbibliothek einige wegweisende Ausstellungen zur Photographie. Aus seiner Sammlungstätigkeit ergaben sich Freundschaften mit Edvard Munch, Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner. Das vorliegende Buch rekonstruiert Leben und Werk Curt Glasers und analysiert die Kriterien seiner Kunstkritik. In einem Anhang werden seine heute schwer zugänglichen Texte in einer Auswahl vorgestellt.

URSULAPLATZ I, D - 5 0 6 6 8 KÖLN, TELEFON (0221) 9 1 3 9 0 - 0 , FAX 9 1 3 9 0 - 1 1

t Anne-Marie Bonnet, Barbara Schellewald (Hg.)

Frauen in der Frühen Neuzeit Lebensentwürfe in Kunst und Literatur (ATLAS. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte, N. F. B a n d 1) 2004. 264 S. 83 s/w-Abb. Gb. € 34,90/SFr 60,40 ISBN 3-412-10304-7

Das sich wandelnde Verständnis der Geschlechterrollen an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit hat sichtbare Spuren in den künstlerischen und philosophischen Äußerungen dieser Epoche hinterlassen. Aus kunsthistorischer, soziologischer und literaturwissenschaftlicher Sicht beleuchten die Autoren dieses Bandes unterschiedlichste Facetten eines faszinierenden Umbruchs. Es wird ein Bogen gespannt von der Interpretation der Venus in der deutschen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts über Repräsentationsräume von Frauen bis zu den Diskursen der humanistischen Traktatliteratur über die Stellung der Frau. Auch literarische Frauenbilder in der italienischen Dichtung des 15. und 16. Jahrhunderts kommen zur Sprache. Der Band legt den Grundstein zu unserer neuen Reihe ATLAS. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte, in der ein breites Spektrum neuester Forschungen zu Themen der älteren und neueren Kunstgeschichte entfaltet werden soll.

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Die beiden Herausgeberinnen sind Professorinnen am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn.

URSULAPLATZ I , D - 5 0 6 6 8 KÖLN, T E L E F O N ( 0 2 2 1 ) 9 1 3 9 0 - 0 , FAX 9 1 3 9 0 - 1 1

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Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen, Iris Lauterbach, Ralf Peters (Hg.)

»Führerauftrag Monumentalmalerei« Eine Fotokampagne

1943-1945 2006. XIV, 285 S. Mit 80 s/wund 100 färb. Abb. Gb. ISBN-10

3-412-02406-6

ISBN 978-3-41 2-02406-2

In den Jahren 1943-1945 ließ Adolf Hitler vom Reichsminis-

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terium fiir Volksaufklärung und Propaganda eine Fotokampa-

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gne durchführen, die gefährdete historisch und künstlerisch wertvolle Malereien und Raumausstattungen dokumentieren sollte. Unter Beteiligung fast aller prominenten Fotografen Deutschlands entstand ein einzigartiges Farbdiaarchiv zur mitteleuropäischen Wand- und Deckenmalerei. In dieser Publikation wird erstmals die Entstehungs- und Uberlieferungsgeschichte des »Führerauftrags« auf der Grundlage bisher unbekannten Archivmaterials umfassend dargestellt. Fotogeschichtliche Untersuchungen, u. a. zur Entwicklung des Farbfilms im Dienste der Propaganda, ermöglichen grundlegende

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