Tradition - Wegweisung in die Zukunft: Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag [1 ed.] 9783428504893, 9783428104895

Wer in der Gegenwart die Vergangenheit vergißt, wird die Zukunft nicht meistern. Diese Grunderfahrung hat der Jubilar de

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Tradition - Wegweisung in die Zukunft: Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag [1 ed.]
 9783428504893, 9783428104895

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Tradition - Wegweisung i n die Z u k u n f t Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag

Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. A l b e r t M . K o e n i g e r t o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. H e i n r i c h F l a t t e n t o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn herausgegeben von Dr. Georg M a y em. Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz und Dr. A n n a E g l e r Akademische Direktorin am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Mainz

Band 46 KONRAD BREITSCHING / WILHELM REES (Hrsg.) Tradition - Wegweisung i n die Zukunft

I

il.

Tradition Wegweisung in die Zukunft Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag

Herausgegeben von

Konrad Breitsching Wilhelm Rees

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tradition - Wegweisung in die Zukunft : Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag / Hrsg.: Konrad Breitsching ; Wilhelm Rees.. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Kanonistische Studien und Texte ; Bd. 46) ISBN 3-428-10489-7

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 3-428-10489-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort der Herausgeber Freunde, Kollegen und Schüler widmen diese Festschrift em. o. Univ.-Prof. Dr. Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag und ehren ihn mit ihren Beiträgen zur kirchlichen Rechtsgeschichte, zum Staatskirchenrecht und dem gegenwärtig geltenden kirchlichen Recht mit seiner biblisch-dogmatischen Grundlegung. Zugleich ist in diesem Band auch das wissenschaftliche Lebenswerk des Jubilars in Form seiner wesentlichen Beiträge abgedruckt. Allen, die zum Zustandekommen dieser Festschrift beigetragen haben, sei an dieser Stelle gedankt. Der Dank gilt besonders den einzelnen Autoren, die mit ihren Beiträgen ihre Verbundenheit mit dem Jubilar zum Ausdruck bringen. Besonders danken wir den Geldgebern, die durch die Bereitstellung finanzieller Mittel wesentlich zum Erscheinen dieser Festschrift beigetragen haben: Es sind dies die Diözesen Innsbruck und Feldkirch sowie die PhilosophischTheologische Hochschule Brixen, die sich dem Jubilar in besonderer Weise verbunden wissen, die Österreichische Bischofskonferenz, der der Jubilar über Jahre mit seinem Rat und großem Engagement zur Verfügung stand, ferner das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, das Amt der Tiroler Landesregierung und die Stadt Innsbruck, schließlich auch die Leopold Franzens Universität Innsbruck und deren Katholisch-Theologische Fakultät. Gedankt sei auch den jeweiligen Verlagen für die freundliche Erteilung der Abdruckerlaubnis. Herrn em. Prof. Dr. Georg May und Frau Akademischer Direktorin Dr. phil. Anna Egler, Mainz, sind die Herausgeber für die Aufnahme der Festschrift in die Reihe „Kanonistische Studien und Texte" zu verbindlichem Dank verpflichtet. Herrn Verleger Professor Dr. iur. h.c. Norbert Simon gilt unser Dank für die Aufnahme in das Verlagsprogramm des Hauses Duncker & Humblot sowie für die stets vorbildliche Betreuung durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Verlages.

Innsbruck, im Mai 2001 Konrad Breitsching Wilhelm Rees

Tradition - Wegweisung in die Zukunft Wer in der Gegenwart die Vergangenheit vergisst, wird die Zukunft nicht meistern. Oder mit den Worten einer Werbekampagne zu Beginn des dritten Jahrtausends: „Nur wer sich seiner Vergangenheit bewusst ist, hat Zukunft." Dieser Leitgedanke kennzeichnet das Lebenswerk von em. o. Univ.-Prof. Dr. Johannes Mühlsteiger SJ. Ihn vermittelte er über Jahrzehnte auch seinen Hörerinnen und Hörern sowie einer beachtlichen Zahl von Schülern. Gleichwohl ist Mühlsteiger in beiden Bereichen verankert, der Geschichte und der Gegenwart. Gegenwart lässt sich ohne Geschichte nicht umfassend verstehen. Dies gilt insbesondere für das Verständnis des geltenden Kirchenrechts, für das die Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen Rechtssätze und -Institutionen vielfach unentbehrlich ist. Einer Handwerkerfamilie entstammend wurde Mühlsteiger am 24. Juni 1926 in Brixen / Südtirol geboren. Von 1937 - 1944 besuchte er das Humanistische Gymnasium Vinzentinum seiner Heimatstadt, das er nach der Unterbrechung durch Militärdienst und Kriegsgefangenschaft im Jahre 1946 abschloss. Nach dem philosophisch-theologischen Studium am Priesterseminar in Brixen erhielt er am 29. Juni 1950 durch Bischof Johannes Geisler die Priesterweihe. Im Oktober desselben Jahres trat er in den Orden der Gesellschaft Jesu ein. Nach dem Noviziat in St. Andrä im Lavanttal (Kärnten) folgte von 1951 - 1957 ein vertiefendes Philosophiestudium an der Ordenshochschule in Pullach bei München. In den folgenden drei Jahren wurden ihm praktisch-seelsorgliche Aufgaben bei der Jugend in Wien und Linz übertragen. Ab Herbst 1956 widmete er seine Studien der Vorbereitung auf das theologische Doktorat, das er am 16. Juli 1960 mit der Promotion abschließen konnte. Die von den Professoren E. Gutwenger / F. Maaß betreute Arbeit trug den Titel: Die Wiener Tätigkeit des Abtes Rautenstrauch OSB. Im Anschluss an das Tertiat in Paray-le-Monial in Frankreich erfolgte ein dreijähriger Studienaufenthalt an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, den Mühlsteiger mit dem Erwerb des Lizentiates aus dem Fach „Kanonisches Recht" abschloss. Nach Innsbruck zurückgekehrt erwartete ihn als Doppelaufgabe die des Präfekten am internationalen Theologenkonvikt Canisianum (1964 - 1967) und die einer Abfassung der Habilitationsschrift. Am 15. Juli 1967 wurde ihm die Lehrbefugnis für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck erteilt. Nach dem überraschenden Tod des Inhabers der Lehrkanzel für Kirchenrecht an derselben Fakultät wurde Mühlsteiger vom Ministerium zum supplierenden Inhaber der

Vili

Laudatio

Lehrkanzel und Leiter des Institutes für Kirchenrecht bestellt. Am 1. September 1970 erfolgt die Ernennung zum ordentlichen Professor für Kirchenrecht und Vorstand des Institutes. Die Verantwortung für diesen Bereich konnte Mühlsteiger mit der Emeritierung im Jahre 1994 zurücklegen. Eine besondere Freude war es ihm, dem Institutsraum durch stilangepasste Gestaltung eine angenehme Atmosphäre zu vermitteln, um so einen einladenden Arbeitsplatz und Forschungsraum zu schaffen. Im Studienjahr 1973 / 1974 lenkte Mühlsteiger als Dekan, in den Jahren 1974 /1975 und 1977 /1978 als Prodekan die Geschicke der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck. In den Studienjahren 1973 / 1975 hatte er zusätzlich die Supplierung der ordentlichen Lehrkanzel für Kirchengeschichte sowie die Leitung des dazugehörenden Institutes zu übernehmen. Zahlreiche Theologen und Theologinnen gingen durch seine Schule. In den Vorlesungen und Seminarveranstaltungen machte es sich der geschätzte und gewissenhafte Lehrer zum Anliegen, die Verankerung des Kirchenrechts in der Theologie, dessen praktische Bedeutung für das kirchliche Leben sowie ein an den Quellen orientiertes wissenschaftliches Arbeiten zu vermitteln. Insbesondere das Zweite Vatikanische Konzil und ihm folgend Papst Paul VI. hatte auf die theologische Fundierung des Kirchenrechts hingewiesen. In den Seminaren und Privatissima beeindruckte Mühlsteiger seine Hörerinnen und Hörer durch seine profunde Kenntnis der alten Kirchenordnungen, denen bis heute sein besonderes Forschungsinteresse gilt. Vor allem konnte er seinen Hörerinnen und Hörern immer wieder aufzeigen, dass Fragen, die im Augenblick in der Kirche als brandaktuell erscheinen und heftig diskutiert werden, schon in frühester Zeit die Kirche beschäftigt haben und damals bereits einer Bewältigung und Klärung zugeführt wurden. Mühlsteigers Interessen und wissenschaftliche Vorlieben bestimmten auch seine Forschungsschwerpunkte, die im frühchristlichen Kirchenrecht, in der Frage des Bußwesens, dem Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit, der Inkulturation und Rezeption des kirchlichen Rechts sowie im Begriff der kirchlichen Communio lagen. In seiner Habilitationsschrift hatte er sich dem josephinischen Eherecht gewidmet. Die Ergebnisse der Forschung fanden Niederschlag in seinen mit großer Sorgfalt und wissenschaftlicher Akribie gefertigten Publikationen, die unten im zweiten Teil dieses Bandes abgedruckt sind. Mühlsteigers Fachwissen war auch über die Universität hinaus gefragt. Im Bereich des kirchlichen Rechts stand infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils die Revision des damals geltenden Gesetzbuches der katholischen Kirche auf der Grundlage der Ekklesiologie und den Weisungen dieses Konzils an. Mühlsteiger wurde 1967 in die österreichische Kommission für die KodexRevision berufen. In den Jahren 1973 - 1981 sowie 1990 - 1994 war er Mit-

Laudatio

IX

glied der theologischen Kommission der Österreichischen Bischofskonferenz und leistete so wichtige Dienste für das Wohl der Kirche von Österreich. Mit der Berufung zum Mitglied des Seligsprechungsprozesses für Pfarrer Otto Neururer fiel Mühlsteiger eine Aufgabe zu, die ihm eine besondere Genugtuung bedeutete, da dieser seine Vorbereitungsstudien auf das Priestertum an denselben Ausbildungsstätten wie er absolviert hatte. Außer den natürlichen Wurzeln der Verbundenheit mit seiner Heimat boten sich wiederholt Gelegenheiten, um mit der dortigen Hochschule die alten Beziehungen aufrecht zu erhalten. Der fünfundsiebzigste Geburtstag von em. o. Univ.-Prof. Dr. Johannes Mühlsteiger SJ am 24. Juni 2001 gibt den Anlass, ihm diese Festschrift als Zeichen des Dankes, der Achtung und der Verbundenheit zu überreichen.

Innsbruck, im Mai 2001 Konrad Breitsching Wilhelm Rees

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil Festschriftenbeiträge I. Bibelwissenschaft und Ökumene „Er machte uns zu einem Königreich, zu Priestern seinem Gott und Vater" (Offb 1,6). Bezeugung der Würde der Christen als Stärkung im Glauben Von Martin Hasitschka SJ

5

La cittadinanza romana di Paolo Di Corrado Marucci S.1

13

Ehetheologische Aspekte unter besonderer Berücksichtigung konfessionsverschiedener/-verbindender Ehen. Dogmatisch-rechtliche Implikationen Von Silvia Hell

35 II. Kirchliche Rechtsgeschichte

Diego de Covarrubias y Ley va (1512-1577). Einblicke in Werk und Anliegen eines Kanonisten des 16. Jahrhunderts Von Norbert Brieskorn SJ

59

Rudolf Ritter von Scherer: Das Handbuch des Kirchenrechtes Von Philipp Helm OCist

77

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz Von Georg May

103

Ad ecclesiam confugere: Die kaiserliche Asylgesetzgebung in der Spätantike Von Hanspeter Ruedl

133

I

nhaltsverzeichnis

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg. Kanonistische Anmerkungen zum Problem der Zirkumskripten von Teilkirchen Von Hans Paarhammer

147

III. Kirchenrecht Confoederatio consociationum Von Helmuth Pree

175

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung Von Konrad Breitsching

191

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient Von Stephan Haering OSB

223

Dechant und Dekanat. Bemerkungen zum universellen Recht und zu den Salzburger Rechtsverhältnissen Von Johann Hirnsperger

241

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu Von Ulrich Rhode SJ

261

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht Von Hugo Schwendenwein

289

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Kirchenrechtler und Selbstverständnis des Faches in Vergangenheit und Gegenwart Von Wilhelm Rees

317

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie Von Albert Haunschmidt

343

Ehe und Nachkommenschaft. Überlegungen zur „Hinordnung" der Ehe gemäß c. 1055 § 1 CIC Von Bruno Primetshofer CSsR

373

Inhaltsverzeichnis

XIII

Verteidigungsrecht oder Mitwirkungsrecht? Überlegungen zu Natur und Stellenwert des „ius defensionis" der „pars conventa" im kanonischen ordentlichen Streitverfahren und im kanonischen Ehenichtigkeitsverfahren Von Bertram Zotz

393

Missio Canonica und Nihil Obstat: Wege des Rechtsschutzes im Konfliktfall Von Winfried Löffler

429

Kirchliche Rechtssymbolik Von Louis Carlen

463

IV. Kirche und Staat Religionsfreiheit. Entwicklung bis zum II. Vatikanischen Konzil. Ein Beitrag zum Staatskirchenrecht Von Andreas Fleckl

481

Die Eherechtsreformversuche in Österreich während der ersten Republik Von Josef Kremsmair

515

Die rechtliche Stellung der Katholischen Kirche in Italien mit Berücksichtigung der Situation in Südtirol Von Josef Michaeler

539

Mut zum Miteinander. Die finanziellen Verflechtungen von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Diözese Augsburg Von Ludwig Lau

573

Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichen nach staatlichem Recht. Allgemeines zum Zeugenbeweis und zum strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht Von Gebhard Strodel

591

I n h a l t s v e r z e i c h n i s Zweiter Teil Gesammelte Schriften Johannes Mühlsteiger SJ I. Kirchliche Rechtsgeschichte Die sogenannten Canones Apostolorum

615

Donatismus und die verfassungsrechtlichen Wirkungen einer Kirchenspaltung

681

Zum Verfassungsrecht der Frühkirche

741

Sanctorum Communio

811

Exomologese

837

Nikolaus Nilles S. J. (1828-1907)

957 II. Grundfragen

Rezeption - Inkulturation - Selbstbestimmung. Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Gemeinschaften 987 Glaubens- und Religionsfreiheit

1025 ΙΠ. Kirche und Staat

Der Kampf der Salzburger Kirche um das Einweisungsrecht in die Temporalien

1031

Der erste Versuch zum Abbau der josephinischen Ehegesetzgebung

1067

Bibliographie von Johannes Mühlsteiger SJ

1089

Sachwortregister

1095

Verzeichnis der Mitarbeiter

1115

Abkürzungsverzeichnis AAS

Acta Apostolicae Sedis. Romae 1909 ff.

ABAW

Abhandlungen der (K.) Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz, Absätze

A. D.

Anno Domini

AEM

Allgemeine Einführung in das Meßbuch, in: Die Meßfeier - Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis (= Arbeitshilfen H.77), 4 1993

AfkKR

Archiv für katholisches Kirchenrecht. Innsbruck 1857 ff. (Mainz 1862 ff.)

AHStG

Allgemeines Hochschul-Studiengesetz, BGBl. 1966 / 177 (Österreich)

AIC

Adnotationes in ius canonicum. Frankfurt a. M. 1995 ff.

AK

Apostolische Konstitutionen

AKG

Arbeiten zur Kirchengeschichte. Berlin 1915 ff.

AMNam

Analecta medievalia Namurcensia. Louvain 1950 ff.

AMRhKG

Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte. Speyer 1949

Anm.

Anmerkung(en)

AnnéeC

L'Année Canonique. Paris 1952 ff.

AnPont

Annuario Pontificio

ANRW

Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Hg. v. Hildegard Temporini u. a., Berlin

ANV

Archivio della Nunziatura di Vienna

Αρ. Konst.

Apostolische Konstitution

Apg Arbeitshilfen

Apostelgeschichte Arbeitshilfen. Hg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn

ARSJ

Acta Romana Societatis Jesu

XVI

Abkürzungsverzeichnis

Art., art.

Artikel, articulus

AT

Altes Testament

AThANT

Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. Basel / Zürich 1942 ff.

Aufl.

Auflage

AVA

Allgemeines Verwaltungsarchiv

Aymans / Mörsdorf KanR I

Aymans / Mörsdorf KanR II

Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Band I. Einleitende Grundfragen. Allgemeine Normen. Paderborn u. a. 1991 Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Band II. Verfassungs- und Vereinigungsrecht. Paderborn u. a. 1997 Arbeiten zur Theologie. Stuttgart

AzTh BAT BAug BayK BayRS BBB Bd., Bde. Bearb. Beih. BGBl.

Bundes-Angestelltentarifvertrag Bibliothèque augustinienne. Paris 1936 ff. Bayerisches Konkordat Bayerische Rechtssammlung Bonner Biblische Beiträge. Bonn 1950 ff. Band, Bände Bearbeiter Beiheft Bundesgesetzblatt

BGPhMA

Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, hg. v. M. Grabmann. Münster 1891 ff.

BHTh

Beiträge zur historischen Theologie. Tübingen 1929 ff.

BiTeu

Bibliotheca Teubneriana. Leipzig 1928 ff.

BK

Bischofskonferenz

Β KV

Bibliothek der Kirchenväter

BoBKG

Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte

BSGRT

Bibliotheca scripto rum Graecorum et Romanorum Teubneriana. Leipzig 1914 ff.

BSHT

Breslauer Studien zur historischen Theologie. Breslau 1922 ff.

BThS.F

Bibliotheca theologica Salesiana. 2. Ser., Fontes. Zürich 1963 ff.

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Tübingen 1952 ff.

Abkürzungsverzeichnis BWANT

Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Stuttgart 1926 ff.

BZNW

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft. Berlin 1923 ff.

c., cc.

Canon, Canones

Can., can.

Canon, Canones

cap.

capitulum

C.

Causa

CC

Nicolaus de Cusa, De concordantia catholica libri très

CCEO

Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium v. 18. Oktober 1990

CChr. SL

Corpus Christianorum. Series Latina. Turnhout 1954 ff.

CCL

Corpus Christianorum seu nova Patrum col lectio series Latina. Turnhout / Paris 1953 ff.

Cf, cf

Confer, confer

2 Chr

2. Buch der Chronik

CIC(B).N

Corpus Iuris Civilis. Berlin. 3. Novellae

CIC(L)

Corpus Iuris Canonici. Ed. Lipsiensis

CIC, CIC/1983

Codex Iuris Canonici v. 25 Januar 1983

CIC/1917

Codex Iuris Canonici v. 27. Mai 1917

CIG

Corpus Inscriptionum Graecarum. 4 Bde. Berlin 1825 1877

CIJ

Corpus Inscriptionum Judaicarum. Rom 1936 ff.

CIL

Corpus Inscriptionum Latinarum. Berlin 1863 ff.

CivCatt

La Civiltà Cattolica. Roma 1850 ff.

α

Codex Iustinianus

Clem

Clemensbrief

CLSt

Canon Law Studies. Washington, D. C. 1916 ff.

Cod. lust., Codlust.

Codex Iustinianus

Cod. Theod., CodTheod.

Codex Theodosianus

Cod.

Codex

Comm, Communicationes

Communicationes. Typ. Pol. Vat. 1969 ff.

Conc

Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie. Einsiedeln / Mainz 1965 ff.

Conc.

Concilium

CTh

Codex Theodosianus

Conc. Trid.

Concilium Tridentinum

2 FS Mühlsteiger

XVIII Congr. DocFid CPG

Abkürzungsverzeichnis Congregatio pro Doctrina Fidei Clavis Patrorum Graecorum, hg. v. M. Geeard. 5 Bde. Turnhout 1974-1987

CRB

Cahiers de la Revue biblique. Paris 1964 ff.

CSEL

Corpus scriptorum ecclesiastico rum latinorum. Wien 1866 ff.

CSMLTNS

Cambridge Studies in medieval life and thougt. Cambridge 1951-1969

CTh

Codex Theodosianus

CTT

Chrétiens de tous les temps. Paris 1963 ff.

d.h.

das heißt

DA

Diözesanarchiv

DACL

Dictionnaire d'archéologie chrétienne et de liturgie, hg. ν. F. Cabrol u. H. Leclercq, 15. Bde. Paris 1907 - 1951

Dam

Damaskusschrift

Dan

Buch Daniel

DBK

Deutsche Bischofskonferenz

DDB

Die Deutschen Bischöfe. Hg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn Dictionnaire de droit canonique. 7 Bde. Paris 1935 -

DDC

1965 Dec. Gra.

Decretum Gratiani

Ders., ders.

Derselbe, derselbe

dgl.

dergleichen

Diet.

Dictum

Did

Didache

Dig.

Digesten

DiözBl.

Diözesanblatt

DirEccl

II Diritto Ecclesiastico. Roma (Milano)

Disp.

Dispaccio

Dist., dist.

Distinctio, distinetio

D.

Distinctio

DPM

De processibus matrimonialibus. Fachzeitschrift zu Fragen des kanonischen Ehe- und Prozeßrechtes. Leipzig 1994 ff.

DRTA

Deutsche Reichstagsakten

DS

Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Ed. H. Denzinger / A. Schönmetzer

Abkürzungsverzeichnis DT(P)

Divus Thomas. Piacenza

dt.

deutsch

DThC

Dictionnaire de théologie catholique. Paris 1903 ff.

Dtn

Deuteronomium

ECE

Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Ex corde Ecclesiae" vom 15. 8. 1990, in: AAS 82 (1990) 14751509

Ed.

Editor, Editio

EHD

Études d'histoire des dogmes et d'ancienne littérature ecclésiastique. Paris 1905 ff.

EIC

Ephemerides Iuris Canonici. Roma 1945 ff.

EKK

Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Neukirchen 1975 ff.

EN

Ergänzende Normen zu den Satzungen der Gesellschaft Jesu

EOMJA

Ecclesiae occidentalis monumenta juris antiquissima canonum et conciliorum Graecorum interpretationes Latinae. Ed. Cuthbert Hamilton Thurner. Oxford 1899 1934

Eph

Epheserbrief

Epist.

Epistula

EPO

Eheprozeßordnung für die Diözesangerichte v. 15. August 1936 (AAS 28 [1936] 313-361) Ergänzungsband

Ergbd. EssGespr

Essener Gespräche zum Thema Kirche und Staat. Begr. v.J. Krautscheidt u. H. Marré. Münster 1969 ff.

EstE

Estudios Eclesiâsticos. Madrid

ET

Expository Times. Edinburgh 1889/90

EtB

Études bibliques. Paris

ET-Bulletin

Bulletin der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie

EThSt

Erfurter Theologische Studien. Leipzig 1956 ff.

EvErz

Der evangelische Erzieher. Frankfurt a. M. 1949 ff.

Ex

Exodus

Ez

Ezechiel

f., ff.

folgende (Seite, Seiten)

Fase., fase.

Fasciculum, fasciculum

FCCO

Codificazione canonica orientale. Sacra Congregazione per la Chiesa Orientale. Fontes. Roma Festgabe

Festg.

XX

Abkürzungsverzeichnis

Festg. Heinemann (70)

Theologia et jus canonicum. Festg. f. H. Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres. Hg. v. H. J. F. Reinhardt. Essen 1995

Festg. Pototschnig

Scientia canonum. Festg. für F. Pototschnig zum 65. Geburtstag. Hg. v. H. Paarhammer / A . Rinnerthaler. München 1991

Festg. Rößler

Iustitia in caritate. Festg. für E. Rößler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese RottenburgStuttgart. Hg. v. R. Puza u. A Weiß. Frankfurt a. M. u. a. 1997 (= AIC, Bd. 3)

Festg. Schwendenwein

Recht im Dienste des Menschen. Eine Festg. H. Schwendenwein zum 60. Geburtstag. Hg. v. K. Lüdicke / H. Paarhammer / D. A. Binder.Graz /Wien / Köln 1986

FGIL

Forschungen zur Geschichte des innerkirchlichen Lebens. Innsbruck 1 (1929) - 5/6 (1937)

FKTh

Forum Katholische Theologie. Aschaffenburg 1985 ff.

FS

Festschrift

FS Heinemann (60)

Ministerium iustitiae. FS f. H. Heinemann zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hg. v. A. Gabriels / H. F. J. Reinhardt. Essen 1985

FS Kaiser

Recht als Heilsdienst. M . Kaiser zum 65. Geburtstag. Hg. v. W. Schulz. Paderborn 1989

FS Listi

Dem Staate, was des Staates - der Kirche, was der Kirche ist : FS f. J. Listi zum 70. Geburtstag. Hg. v.J. Isensee / Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner. Berlin 1999 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, 33)

FS May

Fides et ius. FS f. G. May zum 65. Geburtstag. Hg. v. W. Aymans / A . Egler / J. Listi. Regensburg 1991

FS Schmitz

Iuri canonico promovendo. FS f. H. Schmitz zum 65. Geburtstag. Hg. v. W. Aymans u. K.-Th. Geringer unter Mitw. v. P. Krämer u. 1. Riedel-Spangenberger. Red.: L. Müller. Regensburg 1994

FS

Franziskanische Studien. Münster 1914 ff.

FThSt

Freiburger Theologische Studien. Freiburg i. B. 1910 ff.

FTS

Frankfurter theologische Studien. Frankfurt 1969 ff.

FzK

Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft. Würzburg 1986 ff.

FZPhTh

Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. Freiburg i. d. Schweiz 1954 ff.

Gal

Galaterbrief

Abkürzungsverzeichnis GCS

Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte. Berlin 1897 ff.

Gen

Genesis

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GK

Generalkongregation

GP

Gesetzgebungsperiode

Gr.

Gregorianum. Rom 1920 ff.

GrNKirchR

Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts. Hg. v. J. Listi / H. Müller / H. Schmitz. Regensburg 1980

GuL

Geist und Leben. Zeitschrift für Askese und Mystik. Würzburg 1947 ff.

GVB1.

Gesetz- und Verordnungsblatt

Gym.

Gymnasium. Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistisch Bildung. Heidelberg 1937 ff.

H. HdbKathKR

Heft 1

HdbKathKR 2

Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hg. v. J. Listi / H. Müller / H. Schmitz. 1. Aufl. Regensburg 1983 Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hg. v.J. Listi u. H. Schmitz. 2. Aufl. Regensburg 1999

HDG

Handbuch der Dogmengeschichte. Freiburg i. Β . 1951 ff.

HE (h. e.)

Historia ecclesiastica

Hebr Heimerl / Pree VermR

Hebräerbrief H. Heimerl / H. Pree unter Mitwirkung von B. Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der partikularen Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich. Regensburg 1993

hg.

herausgegeben

Hg.

Herausgeber

HHStA

Haus-, Hof- und Staatsarchiv

Hist.

Historia. Zeitschrift für alte Geschichte. Wiesbaden u. a. 1950 ff.

HJ

Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft. München u.a. 1880 ff.

HK

Herder-Korrespondenz. Freiburg i. Br. 1946 ff.

HKG(J)

Handbuch der Kirchengeschichte. Hg. v. H. Jedin. Freiburg i. B. u. a.

HID

Heiliger Dienst. Salzburg 1947 ff.

HNT

Handbuch zum Neuen Testament. Tübingen 1907 ff.

XXII

Abkürzungsverzeichnis

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 5 Bde. Berlin 1971 - 1 9 9 8

HSAT

Die Heilige Schrift des Alten Testaments. Hg. v. H. Herkenne u. F. Feldmann. Bonn

HthG HThK

Handbuch theologischer Grundbegriffe. 2 Bde. München 1962-1963 Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Freiburg i. B. 1953 ff.

HThR

Harvard theological review. Cambridge, Mass. 1908 ff.

i.d.F.

in der Fassung

i.S.d.

im Sinne des

i. V. m.

in Verbindung mit

IG

Inscriptiones Graecae Consilio et auctoritate Academ. 1 iterar. Regiae Borrussicae editae. Berlin 1873 ff.

IGR

Inscriptiones Graecae ad res Romanas pertinentes. Paris 1-5,1901-1927

ILS

Inscriptiones Latinae selectae. Berlin

Iren.

Irénikon. Chevetogne u. a. 1926 ff.

lusCan

lus Canonicum. Pamplona 1961 ff.

IusPont

lus Pontificum. Ephemerides juridica. Roma 1 (1921) 20 (1941)

JAC

Jahrbuch für Antike und Christentum. Münster 1958 ff.

Jak

Jakobusbrief

JEGH

Juris ecclesiastici Graecorum historia et monumenta. Ed.

JEH

Journal of ecclesiastical history. London u. a. 1950 ff.

J . B . Pitra. Roma 1 (1864) - 2 (1868) Jer

Jeremias

Jes

Jesaja

Jg.

Jahrgang

JGS

Justizgesetzsammlung („Gesetze und Verordnungen im Justizfache": 1780- 1948, österr.)

Jhd.

Jahrhundert

Joh

Evangelium nach Johannes, Johannesbrief

Jos

Josua

JRS

Journal of Roman Studies. 1911 ff.

JThS

Journal of Theological Studies. Oxford u. a. 1899 ff.

Abkürzungsverzeichnis KAB1

Kirchliches Amtsblatt

Kat.Bl.

Katechetische Blätter

KEK

Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. Göttingen 1832 ff.

KKK

Katechismus der Katholischen Kirche

KJbl

Klerusblatt. München 1925 ff.

Kol

Kolosserbrief

Kön

Könige

Kor

Korintherbrief

KRA

Kirchenrechtliche Abhandlungen. Stuttgart 1902- 1938

KStuT

Kanonistische Studien und Texte. Bonn 1928 ff.

KuD

Kerygma und Domga. Göttingen 1955

LeDiv

Lectio Divina. Paris 1946

Lev

Leviticus

LexMA

Lexikon des Mittelalters. 9 Bde. München 1980 - 1998

Lib., üb.

Liber, über

U

Liturgisches Jahrbuch. Münster 1951 ff.

Lk

Evangelium nach Lukas

LKStKR

Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht. Hg. v. A. Frhr. v. Campenhausen / I. Riedel-Spangenberger / R. Sebott unter Mitar. v. H. Hallermann. Paderborn u. a.

2000 LQF

Liturgiegeschichtliche Quellen und Forschungen. Münster 23,1928-31,1939 Leipziger semitische Studien. Leipzig

LSSt 1

Lexikon für Theologie und Kirche. 10. Bde. 1. Aufl. 1930-1938

LThK2

Lexikon für Theologie und Kirche. 10 Bde. u. Reg. Bd., 2. Aufl. Freiburg i. Β . 1957 - 1967

LThK3

Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl. Freiburg i. B . u . a . 1995 ff.

m.a. W.

mit anderen Worten

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Makk

Makkabäer

Mal

Maleachi

Mansi

J. D. Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Florenz / Venedig 1757 - 1798. Neudr. u. Forts.: Paris 1899-1927

LThK

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

MD

La Maison-Dieu. Revue de pastorale liturgique. Paris 1945 ff.

ME

Monitor Ecclesiasticus. Roma 1976 ff.

MGH

Monumenta Germaniae historica inde ab. a. C. 500 usque ad a. 1500. Hannover u. a.

MGH.AA

Monumenta Germaniae historica. Auetores antiquissimi

MGH.Cap

Monumenta Germaniae historica. Capitularia Franco rum

MGH.Const.

Monumenta Germaniae historica. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum

MGH.LL

Monumenta Germaniae historica. Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculis X I et X I I conscripti

MGH.SRM

Monumenta Germaniae historica. Sciptores rerum Merovingicarum

Mk

Evangelium nach Markus

M K CIC

Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hg. v. K. Lüdicke unter Mitarb. v. R. Henseler u. a. Losebl. Essen 1958 ff.

M K CICBeih.

Beihefte zum Münsterischen Kommentar zum Codex Iuris Canonici

ML.H

Museum 1940 ff.

Mörsdorf R

Κ . Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici. Paderborn 1937 (Nachdr. 1967)

Mos

Moses

MP

Motuproprio

Mt

Evangelium nach Matthäus

MThS.S

Münchener theologische Studien. Systematische Abteilung. München 1950 ff.

MThZ N.F.

Lessianum.

Section

historique.

regum

Bruxelles

Münchener Theologische Zeitschrift. München 1950 ff. Neue Folge

Nachdr.

Nachdruck

NDB

Neue Deutsche Biographie

NKD

Nachkonziliare Dokumentation. 58 Bde. Trier 1967 1977

NKZ

Neue kirchliche Zeitschrift. Erlangen u. a. 1 (1890) - 44 (1933)

Abkürzungsverzeichnis NP

Normae pastorales circa absolutionem sacramentalem generali modo impertiendam v. 16. Juni 1972, in: AAS 64 (1972) 510-514; deutsch: NKD 42,7-21

NR

Nationalrat

Nr(n).

Nummer(n)

NRTh

Nouvelle Revue Théologique. Louvain 1869 ff.

NS

Neue Serie

NT

Neues Testament

Num

Numeri

o.J.

ohne Erscheinungsjahr

ÖAKR

Österreichisches Archiv für Kirchenrecht. Wien 1950 ff.

Öarr

Österreichisches Archiv für Recht und Religion

ÖBK

Österreichische Bischofskonferenz

Ochoa Leges

X. Ochoa / D. Andrés Guttiérrez, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae. 8 Bde. Roma 1966 - 1998

OCist

Ordo Cisterciensis, Zisterzienser

OCP

Orientalia Christiana Periodica. Roma 1935 ff.

Offb

Offenbarung des Johannes

OGH

Oberster Gerichtshof

OGIS

Orientis Graeci Inscriptiones selectae. Hg. v. W. Dittenberger. Leipzig 1903 - 1905

OPaen

Ordo Paenitentiae v. 2. Dezember 1973. Typ. Pol. Vat. 1974

OrdSapChr

SC InstCath, Ordinationes ad Costitutionem Apostolicam „Sapientia Christiana" ν. 29. April 1979 (AAS 71 [1979] 500-521)

OSB

Ordo Sancti Benedicti - Benediktiner

OssRom

LOsservatore Romano

OssRom (dt.)

LOsservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache. Vatikanstadt 1971 ff.

PastBon

Johannes Paul II., Ap. Konst. „Pastor Bonus" v. 28. Juni 1988 (AAS 80 [1988] 841-934 u. 87 [1995] 588)

PerRCan

Periodica de re canonica. Roma 1991 ff.

PerRMCL

Periodica de re morali canonica liturgica. Roma 1905 1990

Petr

Petrusbrief

PG

Patrologia Graeca

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

Phil

Philipperbrief

Pkt.

Punkt

PL

Patrologia Latina

POTF

Publications. Oriental Translation (1829) - 74 (1888); NS 1956 ff.

PRE

Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Stuttgart

Primetshofer Ges.Schr.,

Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer. Hg. v. J. Kremsmair u. H. Pree. Berlin 1997

Prot.

Protokoll

Ps

Psalmen

Fund. London

1

q.

questio

QD

Questiones Disputatae. Freiburg i. Br. u. a. 1958 ff.

QS

Gemeinderegel von Qumran

RAC

Reallexikon 1950 ff.

RBen

Revue bénédictine de critique, d'histoire et de littérature

für

Antike

und Christentum.

Stuttgart

religieuses. Maredsous 1980 ff. RDC

Revue de droit canonique. Strasbourg 1951 ff.

Rdnr(n).

Randnummer(n)

RE

Realenzyklopädie

für protestantische Theologie und

Kirche. Begr. v. J. J. Herzog. Hg. v. E. Ebel ing. Gotha Reg.-Bd. RegGenCR/1999

Registerband Regolamento Generale della Curia Romana, in: AAS 91 (1999) 630-699

REJ

Revue des études juives. Paris 1880 ff.

RGBl. RGG

3

RHLR

Reichsgesetzblatt Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., 6 Bde u. Reg.-Bd. Tübingen 1957 - 1965 Revue d'histoire et de littérature religieuses. Paris 1896 ff.

Ri

Richter

RNT

Regensburger Neues Testament. Bde. 1 - 1 0 . Regensburg 1956 - 1962

Rom

Römerbrief

RPR(J)

Regesta pontificum Romano rum. Ed. Ph. Jaffé

RSR

Recherches de science religieuse. Paris 1910 ff.

Abkürzungsverzeichnis RSSR.M

Recherches et synthèses de sciences religieuses. Section de morale. Gembloux 1969 ff.

RThAM

Recherches de théologie ancienne et médiévale. Louvain

RTM

Rivista di teologia morale. Bologna 1969 ff.

RTPE RUG

Recueil de travaux relatifs à la philologie à l'archéologie égyptiennes et assyriennes. Paris 1870 ff. (österr.) Bundesgesetz v. 13. Juli 1949 (BGBl. Nr. 190) betreffend den Religionsunterricht in der Schule (Religionsunterrichtsgesetz)

S.

Seite

1929 ff.

Sa

Satzungen der Gesell. Jesu (einschl. des „Examens")

Sach

Sacharja

Sam

Samuel

SapChrist

Johannes Paul II., Ap. Konst. „Sapientia Christiana" v. 15. April 1979 (AAS 71 [1979] 469-499). Dt. Übers. Bonn 1979 (= VApSt H. 9)

SB Κ

Schweizer Bischofskonferenz

SBL

Serials in the British Library. London 1981 ff.

SC Cler

Sacra Congregatio pro Clericis

SC InstCath

Sacra Congregatio pro Institutione Catholica

SC Rei

Sacra Congregatio pro Religiosis et Institutis Saecularibus

SC Sacr

Sacra Congregatio de disciplina Sacramentorum

SC SacrCult

Sacra Congregatio pro Sacramentis et Cultu Divino

SC

Sources chrétiennes. Paris 1941 ff.

ScC

Scuola cattolica. Rivista di scienze religiose. Milano 1

SDHI

Studia et documenta historiae et iuris. Roma 1935 ff.

Ser.

Serie, Series

sess.

sessio

( 1 8 7 3 ) - 3 6 (1890)

SGB

Sozialgesetzbuch

SIG

Sylloge inscriptionum Graecarum. Ed. W. Dittenberger. Leipzig

SignAp

Supremum Tribunal Signaturae Apostolicae

SJ,S.I. SKG

Societas Jesu, Jesuiten Gesetz vom 25. Mai 1868, RGBl. Nr. 48, betr. Grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche (Österreich)

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

SKZ

Schweizerische Kirchenzeitung. Luzern 1832 ff.

SLA

Salzburger Landesarchiv

Slg.

Sammlung

SMGH

Schriften der Monumenta Germaniae Historica. Stuttgart 1950 ff.

Sp.

Spalte

Spr SQS

Sprüche Sammlung ausgewählter kirchen- und schichtlicher Quellenschriften. Tübingen

SRR Dec

Sacrae Romanae Rotae Decisiones seu Sententiae. Roma

SRR

Sacra Romana Rota

SSL

Spicilegium sacrum Lovaniense. Louvain 1922 ff.

StANT

Studia Antoniana. Roma 1948 ff.

StdZ

Stimmen der Zeit. Freiburg i. Br. 1915 ff.

Sten. Prot

Stenographische Protokolle

StG

Studia Gratiana. Bologna 1953 ff.

dogmenge-

1909 ff.

StGBl.

Staatsgesetzblatt

STL

Studia theologica Lundensia. Lund 1952 ff.

StL 7

Staatslexikon. Hg. v. der Görres-Gesellschaft. 7. Aufl., 7 Bde. Freiburg i. B. 1985 - 1993

StPO

Strafprozeßordnung

StudCan

Studia Canonica. Ottawa 1967 ff.

SZ

Entscheidungen des OHG in Zivil- und Justizverwaltungssachen, veröffentlicht von seinen Mitgliedern

TCCL

The Code of Canon Law. A text and comentary. Commissioned by the Canon Law Society of America. Ed. by J. Corriden / Th. J. Green / D. E Heintschel. New York / Mahwah 1985

Thess

Thessalonicherbrief

ThGl

Theologie und Glaube. Paderborn 1909 ff.

ThLZ

Theologische Literaturzeitung. Leipzig 1876 ff.

ThPQ

Theologisch-Praktische Quartalschrift. Linz 1848 ff.

ThQ

Theologische Quartalschrift. Tübingen 1818 ff.

ThRv

Theologische Revue. Münster 1902 ff.

ThSLG

Theologische Studien der (z. T. Österreichischen) LeoGesellschaft. Wien 1 (1902) - 36 (1937[?])

Abkürzungsverzeichnis ThStKr

Theologische Studien und Kritiken. Zeitschrift für das gesamte Gebiet der Theologie. Hamburg

ThWNT

Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Stutt-

ThZ

Theologische Zeitschrift. Basel 1945 ff.

gart 1 - 103,1933 - 1979 Tim

Timotheusbrief

Tit

Titusbrief

tit.

titulus

Tob

Tobit

tom.

tomus

Tract.

Tractatus

TRE

Theologische Realenzyklopädie. Hg. v. G. Krause u. G. Müller. Berlin / New York 1977 ff.

Trid.

Tridentinum

TS

Theological studies. Theological Faculties of the Society of Jesus in the United States. Woodstock. Md. u. a. 1940 ff. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur. Berlin

TU

Typ. Pol. Vat.

Typis Polyglottis Vaticanis

u.

und

u. a.

unter anderem, und andere(s)

u. ä.

und ähnliches

Übers.

Übersetzung

UniStG

u. U.

Bundesgesetz über die Studien an den Universitäten (Universitäts-Studiengesetz - UniStG), BGBl. I 1997/48 i. d. F. BGBl. I 1997/109 (Österreich) Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten (UOG-1993), BGBl. 805 i. d. F. BGBl. I 1997/99 (Österreich) unter Umständen

Vatll AG

Vaticanum II, Dekret „Ad Gentes"

Vatll DH

Vaticanum II, Erklärung „Dignitatis humanae"

Vatll GE

Vaticanum II, Erklärung „Gravissimum educationis"

Vatll GS

Vaticanum II, Pastorale Konstitution „Gaudium et spes"

Vatll LG

Vaticanum II, Dogmatische Konstitution „Lumen gentium"

UOG 1993

XX

Abkürzungsverzeichnis

Vatll OE

Vaticanum II, Dekret „Orientalium Ecclesiarum"

Vatll OT

Vaticanum II, Dekret „Optatam totius"

Vatll PC

Vaticanum II, Dekret „Perfectae Caritatis"

Vatll PO

Vaticanum II, Dekret „Presbyterorum ordinis"

Vatll SC

Vaticanum II, Konstitution „Sacrosanctum Concilium"

VELKD

Vereinigte lands

verb.

verbesserte

verm.

vermehrte

Evangelisch-Lutherische

Kirche

Deutsch-

VfGH

Verfassungsgerichtshof (Österreich)

VGG.R

Veröffentlichungen der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft(en). Sektion für Rechts- u. Staatswissenschaft. Bonn

Vgl., vgl.

Vergleiche, vergleiche

VKHSM

Veröffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen Seminar München. München

VOB1.

Verordnungsblatt

vol.

volumen

v.

von

WA

Luther,

Martin:

Werke.

Kritische

Gesamtausgabe.

(Weimarer Ausgabe). Weimar WoWa

Wort und Wahrheit. Wien 1946 ff.

WUNT

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Tübingen 1950 ff.

WWKL

Weltzer u. Weite's Kirchenlexikon oder Encyclopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften. Freiburg. i.Br. 1 (1882)- 12 (1901)

z.B.

zum Beispiel

Z.

Ziffer

ZAW

Zeitschrift für altestamentliche Wissenschaft und die Kunde des nachbiblischen Judentums. Berlin

ZBK.AT

Zürcher Bibelkommentar. Altes Testament. Zürich u. a. 1976 ff.

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht. Tübingen

ZKTh

Zeitschrift für Katholische Theologie. Wien 1876/77 ff.

ZI.

Zahl

1951 ff.

Abkürzungsverzeichnis ZNW

Zeitschrift für die neu testamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche und die Kunde des Urchristentums. Berlin u. a.

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRG Kan.Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung. Weimar 1911 ff.

ZRG Rom.Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung. Weimar 1880 ff.

zuf.

zufolge

ZWTh

Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie. Jena u. a.

Erster Teil Festschriftenbeiträge

I. Bibelwissenschaft und Ökumene

„Er machte uns zu einem Königreich, zu Priestern seinem Gott und Vater." (Offfb 1,6) Bezeugung der Würde der Christen als Stärkung im Glauben Von Martin Hasitschka SJ Der Begriff „Priester" im kultischen Sinn (kohen, ιερεύς, sacerdos) wird im Neuen Testament nie in bezug auf ein Amt in der Kirche verwendet. 1 Die Aussagen über das gemeinsame Priestertum der Glaubenden in der Offenbarung des Johannes und im ersten Petrusbrief haben metaphorischen Charakter. Die folgende Skizze versucht, die spezifischen Akzente der Priestermetaphorik dieser beiden Schriften zu ermitteln und Schritte der Aktualisierung zu zeigen. I . Die Priesterwürde aller Christen in der Offenbarung des Johannes Wie bedeutsam das Bild des Priesters für das Selbstverständnis der Christen ist, zeigt sich bereits darin, daß Johannes es an drei Stellen verwendet. Er gebraucht es jedoch nicht isoliert, sondern in Verbindung mit den Begriffen „Königreich" und „herrschen". Zum ersten Mal begegnet uns das Priesterbild im Kontext der briefartigen Einleitung zur Apokalypse (Offb 1,4-8) und zwar in der Doxologie Offb 1,5b6: „Dem uns Liebenden und uns Lösenden von unseren Sünden in seinem Blut, und er machte uns zu einem Königreich (βασιλεία), zu Priestern (ιερεύς) seinem Gott und Vater, ihm (sei) die Herrlichkeit und die Macht in die Äonen der Äonen. Amen." Die Doxologie wird eröffnet mit einer Aussage über Jesu Gesinnung „uns" gegenüber. Er ist „der Liebende". Das Präsenspartizip läßt an eine fortdauernde

1

Für kirchliche Ämter finden sich vor allem die Ausdrücke „Diener" / „Diakon" (διάκονο?),,Ältester" (πρεσβύτερος), „Aufseher" / „Bischof" (επίσκοπος), Ausdrücke, die nicht aus dem kultischen und sakralen, sondern aus dem profanen Sprachgebrauch stammen.

6

Martin Hasitschka

und bleibende Haltung Jesu denken. Dann folgt eine zweifache Aussage über sein Tun, in welchem sich die liebende Zuwendung zu uns konkretisiert. Er ist einerseits der ,lösende" von Sünden.2 Die Metaphorik von „Blut" als Sinnbild für Lebenshingabe spielt in der Offenbarung des Johannes eine große Rolle (Offb 5,9; 7,14; 12,11). Anderseits „macht" (ποιέω) er uns zu Menschen, die eine neue Würdestellung haben. Unter „Königreich" (βασίλεια) kann das zum Reich Gottes gehörende Volk verstanden werden, 3 dessen Kennzeichen eine im kultischen Priesterbild symbolisierte einzigartige Gottesbeziehung ist. Der Dativausdruck (dativus commodi) „seinem Gott und Vater" bringt erstmals den Vaternamen. Auch die zweite Stelle, die das Priesterbild enthält, steht in einem hymnischen Kontext, nämlich im „neuen Lied", das in Offb 5,9-10 dem Lamm gesungen wird: „Würdig bist du, zu empfangen das Buch und zu öffnen seine Siegel, denn du wurdest geschlachtet und kauftest für Gott in deinem Blut (Menschen) aus jedem Stamm und (jeder) Zunge und (jedem) Volk und (jeder) Völkerschaft und machtest sie für unseren Gott zu einem Königreich (βασιλεία) und zu Priestern (ιερεύς), und sie werden herrschen (βασιλεύω) auf der Erde." Das Ereignis von Tod und Auferweckung Jesu, das den Hintergrund der Vision vom Lamm in Offb 5,6-7 bildet, hat zur Folge, daß Menschen Gottes Eigentum werden und besondere Zugehörigkeit zu ihm erlangen. Sie werden für ihn „gekauft" und zwar aus allen Völkern. Die Vierzahl der Begriffe (Stamm, Zunge, Volk, Völkerschaft - vgl. Offb 7,9 u.ö.) weist auf die universale Dimension der Erlösungstat hin. Die durch die Formulierung „in deinem Blut" sich nahelegende Vorstellung von einem Kaufpreis 4 und die damit verbundene Frage nach dessen Empfänger darf nicht zu sehr gepreßt werden. Jesu Lebenshingabe („Blut") ist für die Glaubenden jedenfalls Grund ihrer besonderen Gottesbeziehung. Die Aussage über die soteriologische Bedeutung des Blutes läßt sich besonders mit jener in Offb l,5b-6 vergleichen. Der Kaufgedanke hängt innerlich zusammen mit der Thematik des Lösens von Sünden. Sowohl in Offb l,5b-6 als auch in Offb 5,9-10 bildet das gemeinsame Priestertum der Christen einen Aspekt der Heilsbedeutung des Todes Jesu. An

2

' Eine Reihe von Textzeugen hat: der „Waschende" (λούω).

3 Η. Giesen, Die Offenbarung des Johannes (RNT). Regensburg 1997, übersetzt βασιλεία an dieser Stelle mit „königliches Volk" (72) und versteht darunter „die Gemeinschaft derer, die zu einem bestimmten König gehören" (78). 4

Steht dahinter auch der Gedanke eines Loskaufes?

Bezeugung der Würde der Christen als Stärkung im Glauben

7

beiden Stellen verwendet Johannes auch das Verbum ,flachen". Im Unterschied zu Offb l,5b-6 wird in Offb 5,9-10 (und später in Offb 20,4.6) der Gedanke des Herrschens akzentuiert. Jene, die zu einem Königreich (βασιλεία) gemacht wurden, sind auch zum Herrschen (βασιλεύω) bestimmt. Sie partizipieren an Jesu und Gottes Herrschaft (vgl. Offb 11,15.17; 19,6) und repräsentieren sie. Dieses Herrschen, das sich umschreiben läßt als das dem Königreich gemäße Verhalten, wird auch in Offb 22,5, am Schluß der Visionenreihen der Johannesoffenbarung hervorgehoben . 5 Der Gedanke des gemeinsamen Priestertums in Offb l,5b-6 und Offb 5,910 kann als Wiederaufnahme von Ex 19,4-6 gedeutet werden, von Worten Gottes, die Mose bei seinem ersten Aufenthalt am Berg Sinai vernimmt und dem Volk übermittelt: „Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr willig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, dann sollt ihr aus allen Völkern mein Eigentum sein; denn mir gehört die ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern (mamlaekaet kohanim)6 und eine heilige Nation sein." 7 Die drei Verheißungen vom Eigentumsvolk, vom „Königreich von Priestern" und von der „heiligen Nation" ergänzen einander. Ihnen liegt der Gedanke einer besonderen Gottesnähe zugrunde, die bereits in der Wendung „zu mir gebracht" andeutet ist. Die privilegierte Sonderstellung Israels ist an zwei Bedingungen geknüpft, nämlich auf Gott zu hören und seinen Bund zu halten. Daß allen priesterliche Würde zukommt, daß also alle in gleicher Weise Zugang zu dem Heiligen haben und sich in unmittelbarer Weise Gott nahen dürfen, ist im Grunde eine Verheißung, die über die konkrete Geschichte Israels mit der Institution des Tempels und des Tempelpriestertums hinausweist. Einen Anklang an Ex 19,4-6 enthält Jes 61,6: „Ihr alle aber werdet ,Priester JHWHs' genannt werden; man sagt zu euch ,Diener unseres Gottes'." Dieser Text belegt, daß die Verheißung des gemeinsamen Priestertums schon innerhalb des Alten Testaments eine Wirkungsgeschichte hat.

5

Der Hintergrund für dieses Herrschen darf besonders in Dan 7,14.18.27 gesehen werden. Im Blick auf Dan 7 läßt sich auch sagen, daß das Bild vom Königreich und Herrschen des Gottesvolkes einen Kontrast bildet zu Bildern anderer (unmenschlicher) Herrschaftsstrukturen. 6

Dieser singuläre Ausdruck kann auch so wiedergegeben werden: „Reich von Priestern" / ,,Reich, dessen Bürger Priester sind". Die Septuaginta übersetzt ihn mit βασίλειον ίεράτευμα, „königliche Priesterschaft" / „Priesterschaft von königlichem Rang". 7

Diese Übersetzung ist der Elberfelder Bibel entnommen.

8

Martin Hasitschka

In Offb 5,9-10 nimmt Johannes aus Ex 19,4-6 nicht nur den Ausdruck „Königreich von Priestern" auf, sondern auch, ausgedrückt im Verbum „kaufen" (mit Dativ), das Thema vom Eigentum Gottes. Der Begriff „Königreich" hat spezielle Konnotation. Mit ihm ist, wie schon Offb 1,9 andeutet, das endzeitliche Reich Gottes gemeint, das mit dem irdischen Jesus und seinem fortgesetzten Wirken als Auferstandener bereits nahegekommen ist und die an ihn Glaubenden zum dazugehörenden Volk werden läßt. Hinsichtlich des Begriffes „Königreich" befindet sich Johannes im Einklang mit den synoptischen Evangelien, in denen die Verkündigung des Königreiches bzw. der Königsherrschaft Gottes das Zentrum der Botschaft Jesu bildet (vgl. Mk 1,15). Im Unterschied zu Ex 19,4-6 knüpft Johannes die Heilswirklichkeit des Königreiches und des Priestertums nicht an die Bedingung des Hörens und Bewahrens des Bundes, sondern hebt hervor, daß diese durch Jesu Lebenshingabe geschenkt wird. Aus dem näheren und ferneren Kontext von Ex 19,4—6 greift Johannes zwei Motive auf, die gleichfalls zum Themenbereich des Priestertums gezählt werden können. Im Anschluß an diese Exodusstelle wird das Volk zum Waschen der Kleider aufgefordert. Als Zeichen der Heiligung dient dies zur Vorbereitung für die Gottesbegegnung (Ex 19,10.14). Im Sinne von Offb 7,14 haben die „aus der großen Bedrängnis" kommenden Christen „ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes". Nicht durch eigenes Bemühen, sondern durch Jesu Lebenshingabe werden sie geheiligt und die für Begegnung mit Gott disponiert. Aus dem ferneren Kontext des Exodusbuches nimmt Johannes Ex 3,14, die Selbstkundgabe Gottes („Ich bin, der ich bin") beim brennenden Dornbusch auf. Dies zeigt sich in der dreiteiligen Aussage über Gott in Offb 1,4.8: „der Seiende und der ,Er war' und der Kommende." Die Wendung „der Seiende" ist eine Anspielung an Ex 3,14 in der Übersetzung der Septuaginta. Sowohl im Exodusbuch als auch in der Offenbarung des Johannes liegt der Metaphorik vom Priestertum ein besonderes Gottesverständnis zugrunde. Johannes legt den Akzent darauf, daß der heilige Gott Israels zugleich der „Gott und Vater" Jesu ist (Offb 1,6), der seinem Volk auf dem Weg durch die Geschichte treu bleibt und als „der Kommende" das Ziel der Geschichte sein wird. (Offb 1,4.8) Die dritte Stelle betreffend das gemeinsame Priestertum steht im Kontext von Offb 20,4b-6, der Vision von der tausendjährigen Herrschaft Christi zusammen mit den schon vollendeten Christen. Zu diesen zählen die Märtyrer und darüber hinaus alle, die bis zum Tod standhaft Christus nachgefolgt sind. Sie leben nun bei Christus und haben Anteil an der „ersten Auferstehung". In Form einer Seligpreisung wird allen, die zu dieser Auferstehung gelangen, verheißen: „Sie werden Priester (ιερεύς) Gottes und Christi 8 sein und werden herrschen (βασιλεύω) mit ihm die tausend Jahre." (Offb 20,6) Diese Seligprei-

Bezeugung der Würde der Christen als Stärkung im Glauben

9

sung eröffnet eine Zukunftsperspektive für jene, die ein Volk von Priestern bilden (Offb 1,6; 5,10). Die bereits jetzt bestehende Verbundenheit mit Gott und Christus wird sich vollenden. Die zweimal gebrachte Wendung „herrschen mit (μετά)" Christus (Offb 20,4.6) impliziert einerseits, daß Jesus durch seinen Tod und seine Auferwekkung die Vollmacht erlangt hat, Gottes endzeitlichen Geschichtsplan durchzusetzen, und anderseits, daß zum Königreich Gottes wesentlich auch das Volk (Gemeinschaft der Christen) gehört. Im Sinne von Offb 20,6 ist das Mitherrschen9 eng verbunden mit dem Priestersein. Jene, die mit Christus herrschen, sind zugleich „Priester", Menschen mit besonderem Zugang zu Gott. Das Verbum „herrschen" (βασιλεύω) bezieht sich in Offb 20,4.6 (und 22,5) auf das Gottesvolk in seiner Vollendung nach der Auferstehung von den Toten, in Offb 5,10 auf das Gottesvolk in seiner irdischen Existenz. In beiden Fällen kann es gedeutet werden als Teilhabe am Königreich und an der Königsherrschaft (βασιλεία) Gottes und Jesu. Verbindet man die Aussage von Offb 20,4.6 mit jener von Offb 5,10, so kann man sagen: Die Mitherrschaft der Christen mit Christus aufgrund der „ersten Auferstehung" ist anfanghaft auch auf dieser Erde erfahrbar durch das Verhalten des priesterlichen und königlichen Volkes Gottes. Diese Herrschaft ist ein Gegenbild zu allen (gottlosen) Herrschaftsformen eines sich selbst verabsolutierenden irdischen Imperiums. Mitherrschen mit Christus ist auch die besondere Weise, wie die satansfreie Zeit erfahrbar wird (vgl. Offb 20,1-3: Satan ist gefesselt). Als Ergebnis der Betrachtung der drei Stellen in der Offenbarung des Johannes lassen sich folgende Hauptmerkmale der Priestermetaphorik festhalten. Die Christen verstehen sich als Priester, weil sie durch Christus auf einzigartige Weise Zugang zu Gott erlangt haben. Eng verbunden mit der Priesterwürde der Christen, die ihre Gottesbeziehung betrifft, ist die durch das „Königreich" gegebene Würde, die sich auf das neue Verhältnis der Menschen untereinander bezieht. Das dafür verwendete Verbum „herrschen" (5,10; 20,4.6; 22,5) steht jeweils ohne Angabe eines Objektes. Es handelt sich nicht um ein Herrschen über etwas oder jemanden, sondern um ein dem Königreich gemäßes Verhalten, um eine neue Qualität des Zusammenlebens und der gegenseitigen Hoch-

ο

Der Genitivausdruck erinnert an Jes 61,6 („Priester JHWHs"). Der Gedanke des Mitherrschens begegnet bereits in Offb 2,26-27 (Völker „weiden") und Offb 3,21 (mit Jesus auf seinem Thron sitzen - vgl. auch Mt 19,28; Lk 22,30). 9

10

Martin Hasitschka

Schätzung der Personen in einem Volk, dessen König Gott ist. Die in der Zugehörigkeit zu diesem Gottesvolk wurzelnde Würdestellung der Christen impliziert nicht nur den Gedanken der grundsätzlichen Gleichwertigkeit und Brüderlichkeit aller (vgl. Offb 1,9), sondern auch die Vorstellung, daß alle befähigt sind zur Teilhabe an der eschatologischen Herrschaft Gottes und Christi. Sicher nicht zufällig hebt Johannes in seiner Schlußvision vom neuen Jerusalem nochmals den Doppelaspekt der priesterlichen und königlichen Würde der Christen hervor, indem er im Kontext von Offb 22,1-5 sowohl das Verbum „priesterlich / kultisch dienen" (λατρεύω - Offb 22,3; vgl. 7,15) als auch „herrschen" (βασιλεύω - Offb 22,5) verwendet. Speziell diese Schlußvision läßt erkennen, daß die Priestermetaphorik der Johannesoffenbarung verbunden ist mit weiteren kultischen Vorstellungen, besonders jenen vom Tempel. Johannes bevorzugt kultische Bilder um auszudrücken, was für die Christen und ihre Gemeinschaft im Gottesvolk sowohl im irdischen Dasein als auch in der himmlischen Vollendung Quelle des Lebens ist: singuläre Beziehung zu Gott und Nähe zu ihm. I I . Das gemeinsame Priestertum der Glaubenden nach dem ersten Petrusbrief Der Gedanke des gemeinsamen Priestertums begegnet uns an zwei Stellen innerhalb von 1 Petr 2,4-10, einem Abschnitt, der die christliche Existenz mit einer Reihe von biblischen Bildern umschreibt. Im ersten Teil dieses Abschnittes (1 Petr 2,4—5) steht die Aufforderung: „Laßt euch selbst wie lebendige Steine aufbauen als ein geistliches Haus zu einer heiligen Priesterschaft (ίεράτευμα αγιον), darzubringen geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Christus." (1 Petr 2,5) Im zweiten Teil (1 Petr 2,6-10), der die Aussagen des ersten Teiles weiter entfaltet, wird gesagt: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft (βασίλειον ίεράτευμα), ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum (Gottes), damit ihr das Lob (oder: die Ruhmestaten) dessen verkündet, der aus (der) Finsternis euch berufen hat zu seinem wunderbaren Licht." (1 Petr 2,9) Auf dem in 1 Petr 2,9-10 viermal gebrauchten Bild vom Volk Gottes liegt besonderer Nachdruck. Es kann als das zentrales Bild für christliche Gemeinde verstanden werden. Hauptkennzeichen dieses Volkes sind seine Erwählung aufgrund göttlichen Erbarmens, seine Heiligkeit und besondere Zugehörigkeit zu Gott. Die Priestermetaphorik ist zu verstehen als Teilaspekt des Bildes vom Gottesvolk. Der Ausdruck „königliche Priesterschaft" ist derselbe wie in der Übersetzung von Ex 19,6 in der Septuaginta. Mit den Bezeichnungen „heiliges Volk" und „Volk zum Eigentum" werden zwei weitere Themen von Ex 19,4-6 aufgegriffen.

Bezeugung der Würde der Christen als Stärkung im Glauben

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Der Ausdruck „königliche Priesterschaft" (1 Petr 2,9) steht in enger Verbindung zur Bezeichnung „heilige Priesterschaft" (1 Petr 2,5). Der Begriff der Priesterschaft wird also näher bestimmt durch die Gedanken der Heiligkeit sowie der königlichen Würde und des königlichen Ranges. Ein besonderer Akzent liegt jedoch auf dem Wort „heilig". Eine „heilige Priesterschaft" und zugleich ein „heiliges Volk" bilden jene, die in ihrer Lebenspraxis sich an Gott, dem Heiligen orientieren (1 Petr 1,15-16). Daß die Aussagen über die Priesterschaft bildhaft zu verstehen sind, ergibt sich vor allem aus der metaphorischen Redeweise von der Darbringung „geistiger" / „geistlicher" (πνευματικός) Opfer. Zu diesem geistlichen Opferdienst ist nicht nur der Lebenswandel (αναστροφή - 1 Petr 1,15) zu rechnen, sondern vor allem auch das Verkünden der „Ruhmestaten" (αρετή) Gottes (1 Petr 2,9). Die Wiederaufnahme von Jes 43,21 in 1 Petr 2,9 hebt dieses Verkünden als die Grundbestimmung des Volkes, das Gott sich auserwählt und gebildet hat, hervor. I I I . Ergebnis und Schritte auf dem Weg der Aktualisierung Die Tatsache, daß zwei Schriften des Neuen Testaments unabhängig voneinander und auf unterschiedliche Weise vom Priestertum der Christen sprechen, unterstreicht die Bedeutsamkeit dieses Themas für die Urkirche. Beide Schriften verankern die Priestermetaphorik in Ex 19,4-6. Unterschiede zeigen sich allerdings bereits in der Terminologie. Die Offenbarung des Johannes verwendet die auf einzelne Personen bezogene Bezeichnung „Priester", der erste Petrusbrief spricht mehr abstrakt von „Priesterschaft". Der Hauptunterschied liegt in der mit dem Priestertum verbundenen Funktion. Johannes legt Nachdruck auf das „Herrschen", der Verfasser des ersten Petrusbriefes auf das „geistliche" Opfer. In vergleichbarer Weise dient in beiden Schriften die kultische Priestermetaphorik zur Stärkung der Gemeinden. Johannes, der „Bruder" der Christen in den kleinasiatischen Gemeinden und „Teilhaber" an ihrer Bedrängnis (Offb 1,9), motiviert seine Brüder / Schwestern zur Standhaftigkeit im Christusglauben, indem er ihnen ihre priesterliche Würde bezeugt und so ihr Selbstverständnis fördert. Ähnlich ermutigt der erste Petrusbrief seine durch Leiderfahrung angefochtenen Adressaten durch Aufwertung ihres Selbstverständnisses als heiliges Gottesvolk. „Aus theologischer Einsicht in den Selbstwert der Gemeinde und in den (durch Christus gegebenen) Sinn ihres bedrückenden Schicksals wird Trost gegeben und Hoffnung möglich." 10

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N. Brox, Der erste Petrusbrief (EKK 21). Zürich u. a. 3 1989,108.

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Martin Hasitschka

Wenngleich durch das zweite Vatikanische Konzil (vgl. Vatll LG 10) die biblischen Aussagen über das gemeinsame Priestertum mit dem Thema des Amtes in der Kirche verknüpft werden, können unabhängig davon Schritte der Aktualisierung dieser biblischen Aussagen zunächst ausgehen von der Intention ihrer Verfasser. Die Verfasser der Offenbarung und des ersten Petrusbriefes verwenden die aus dem kultischen Bereich stammende Bezeichnung Priester im metaphorischen Sinn. Die aktuelle Bedeutung der Priestermetaphorik wurzelt in der Überzeugung, daß die Christen durch Jesus Zugang erlangen zum heiligen und lebendigen Gott in einer Weise, die alles übertrifft, was bisher von der Rolle des Priesters im Tempelkult gesagt werden konnte. Aufgrund ihrer Beziehung zu Gott und ihrer Stellung im Volk Gottes verstehen sich die Christen als Menschen mit besonderer priesterlicher und königlicher Würde. Diese Würde ist ein Beweggrund für spezifisch christliche Lebenspraxis. Besinnung auf die Christenwürde ist darüber hinaus auch ein Ausgangspunkt für rechtliche Fragen.

La cittadinanza romana di Paolo* Di Corrado Marucci S.I. I . Il problema In tre passi di At si afferma esplicitamente che l'apostolo Paolo è cittadino romano: 16,37s; 22,25-29 e 23,27; nel primo caso lo si dice anche del compagno di Paolo, Sila. La cittadinanza romana dell'Apostolo sembra poi essere presupposta in molti altri contesti di At, ad esempio in 25,10s; 26,31s; 28,19 ecc. Una simile circostanza tuttavia non risulta mai affermata esplicitamente in tutto l'epistolario paolino. Secondo diversi esegeti tuttavia ci sarebbero anche qui alcune allusioni a tale qualità giuridica di Paolo. Si citano soprattutto Rm 1,5; 7,1; 13,7 e 15,19-24, ma ci pare difficile vedere in questi passi più che dei vaghi riferimenti. Nel passato, anche per motivi legati al concetto di ispirazione e di inerranza degli scritti neotestamentari, non consta che siano stati formulati dubbi sulle affermazioni di At. Si trovano anzi nella tradizione delle spiegazioni di tale qualità giuridica di Paolo. Un accenno alla nostra questione si trova già in Tertulliano (Scorpiace XV,3), che venendo ad illustrare i martiri cristiani sotto Nerone scrive: „Tunc Paulus ciuitatis Romanae consequitur natiuitatem, cum illic martyrii renascitur generositate" (CSEL 20, 178, 13-15; CCL 2, 1097,13-15).1 L'opera dovrebbe essere del 213 circa. La frase dovrebbe avere questo senso: „Paolo ha ottenuto di nascere alla cittadinanza romana quando lì (cioè a Roma) egli fu rigenerato dalla generosità del suo martirio", che come si vede, nella sua poeticità, ci aiuta poco.2 Senz'altro più noto è ciò che Girolamo

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Per i dati bibliografici completi dei testi citati nelle note si veda la Bibliografia alla fine dell'articolo. 1 Su questo testo cf. Seston, W., Tertullien et les origines de la citoyenneté romaine de S. Paul, in: Neotestamentica et patristica [FS Cullmann]. Leiden 1962,305-312. In n. 1 di pag. 308 dell'articolo sopra citato il Seston ricorda che consequi civitatem Romanam è l'espressione tecnica per „ottenere la cittadinanza romana su propria richiesta" (cf. Dessau, ILS, indices p. 586). Ma tale espressione non è del tutto uguale a quella del testo di Tertulliano.

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Corrado Marucci

scrive in proposito nel suo commento a Firn 3 e in de viris ili. 5 . 4 In entrambi questi passi tuttavia ci sono delle affermazioni che creano delle difficoltà. Innanzi tutto l'affermazione di Girolamo che Paolo si sia trasferito con i suoi genitori da Gischala 5 a Tarso d i Cilicia contrasta con A t 22,3 (passo in cui Paolo dichiara di essere „Giudeo, nato a Tarso di Cilicia' 4 ). 6 I due testi di Girolamo parrebbero poi dire che la cattura ad opera dei Romani e i l successivo trasferimento a Tarso, da cui dovrebbero derivare affrancamento, adozione e cittadinanza romana, avvengano quando Paolo è già nato, i l che quindi contrasterebbe con quello che l'Apostolo invece dichiara di fronte al tribuno romano Claudio Lisia in A t 22,28 ( „ I o invece lo sono dalla nascita [sci cittadino roman o " 7 ] . U n ' u l t i m a , minore difficoltà è costituita dalla qualifica di oppidum data da Girolamo a Gischala, che invece Flavio Giuseppe definisce π ο λ ί χ ν η , cioè

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„Aiunt parentes apostoli Pauli de Giscalis regione fuisse Judaeae; et eos, cum tota provincia, Romana vastaretur manu, et dispergerentur in orbem Judaei, in Tharsum urbem Ciliciae fuisse translatos: parentum conditionem adolescentulum Paulum secutum" (PL 26, 635D). Secondo Schanz quest'opera è del 384, secondo Altaner / Stoiber del 387. JPaulus apostolus ... de tribu Benjamin et oppido Judaeae Giscalis fuit, quo a Romanis capto, cum parentibus suis Tarsum Ciliciae commigravit ..." (PL 23, 615A). Secondo Schanz questo scritto di Girolamo è del 392. 5

Nella tradizione rabbinica gus-heleb (cioè „zolla grassa"); località della Galilea settentrionale, 20 km circa a nord-ovest di Cafarnao (oggi el-gis). Secondo il trattato misnico Arakin (IX,6) una delle città fortificate del tempo di Giosuè; Flavio Giuseppe racconta che essa fu l'ultima città della Galilea a cadere nelle mani dei romani nel corso della prima guerra giudaica (cf. BJ 4,84-120). 6

Tarso, dal 66 a.C. capitale della Cilicia, era al tempo di Paolo uno dei massimi centri di cultura ellenista; Strabone (cf. X I V , 5, 13 = 673 [Ediz. Meineke 111,939]), forse esagerando un po', lo dichiara addirittura più importante di Atene e di Alessandria. L'affermazione di W.M. Ramsay (The Cities of St. Paul. London 1907, 97), per cui essa ebbe circa 500.000 abitanti pare comunque del tutto esagerata. 7

Forse il greco „εγώ δέ και γεγέννημαι" potrebbe voler dire anche „io invece sono creato , cioè diventato ", ma ciò sarebbe senza senso nel contesto dato che ciò già vale per il tribuno e il dialogo non avrebbe alcuna logica. D'altronde non ci consta che alcuno studioso contemporaneo accetti tale traduzione; unica eccezione fu il Mommsen (in „Gesammelte Schriften". Berlin III [1907] 435). Cf. anche Zerwick , Analysis Philologica Novi Testamenti Graeci, a.v. È più che probabile che il δέ καί abbia senso polemico, dato che nella sostanza l'affermazione di Paolo gli conferisce una certa superiorità sul tribuno che lo sta interrogando (cf. in proposito Ovidio , Tristia 4,10,7s). La concisa affermazione di Paolo alla fine di At 22,28 ricorda il „civis Romanus natus sum" di Cicerone , fam., 10,32,3.

La cittadinanza romana di Paolo

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villaggio. 8 Senza citare Girolamo, anche il patriarca di Costantinopoli Fozio, noto per la sua cultura universale (ca. 820-891), nella sua famosa Amphilochia, dedica alla nostra questione una erotesis dal titolo Π ερί πατρίδος Π αύλου, nella quale presenta una versione dei fatti che, oltre a essere sostenibile sotto il profilo del diritto romano del I secolo, si accorda anche con i dati biblici. Secondo Fozio i genitori dell'Apostolo sarebbero stati deportati da Gischala a Tarso come prigionieri dopo una guerra persa contro i Romani; quindi affrancati e, come usuale, dotati della cittadinanza romana. Paolo sarebbe quindi nato a Tarso, da genitori romani, quindi lui stesso cittadino romano. Tra l'altro Fozio pare conoscere il testo sopra citato di Flavio Giuseppe su Gischala, dato che a mo' di inciso chiarisce che ciò che al presente è un villaggio senza mura di difesa (κώμη), allora era una cittadina (πολίχνιον). 9 Ricordiamo per inciso il fatto che Epifanio di Salamina, venendo a parlare della setta degli Ebioniti nel suo Panarion , afferma che questi vanno propalando che Paolo fosse pagano, figlio di pagani ( " Ε λ λ η ν α ) , e che si sia convertito al giudaismo per poter sposare la figlia del Sommo (?) Sacerdote e che poi, separatosene, abbia cominciato a scrivere contro la circoncisione, il sabato e la Legge. 10 Pare che i primi a formulare dubbi sulla veridicità delle affermazioni lucane, cioè sul fatto che Paolo sia stato in possesso della cittadinanza romana, siano stati Renan e Overbeck. 11 Secondo H. Windisch 12 anche Ad. Hausrath (Jesus und die neutestamentlichen Schriftsteller, II 197s) e GA.v.d. Bergh v. Eysinga (in: Nieuw Theolog. Tijdschr . 1919, 376). L'hanno contestata poi direttamente Straatmann e Meyboom e in questi ultimi decenni si sono moltiplicate le voci negative ο quantomeno fortemenente dubitative sia da parte dei commentatori di A t 1 3 sia da parte degli specialisti del Corpus Paulinum. 14 Nel 1987 Wolfgang Stegemann, ordinario di esegesi del NT all'Augustana-Hochschule di Neuendettelsau (Germania), ha raccolto in un articolo praticamente tutti gli argomenti

8

Cf. BJ 4,84.

9

Cf. PG 101,687-690 (Quaestio CXV1).

10

Cf. Adv. Haer. 30,16 (PG 41,431-434).

11

Cf. E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3 / 4 19011909 (ediz. inglese rivista da G. Vermes e al.: The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ. Edinburgh 1973-1987) III, 128-129. 12

Cf.//. Windisch, Der zweite Korintherbrief. Göttingen 9 1924,356 n. 2.

13

II Johnson ad esempio nel suo commento del 1992 così si esprime: „It is impossible, given the state of our evidence, to state whether in fact Paul was a citizen" (p. 301). 14 Cf. ad esempio W. Schmithals, K. Wengst ecc.

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Corrado M a i

ο indizi contro la cittadinanza romana di Paolo.15 Una breve sintesi degli argomenti che sono stati addotti contro la cittadidanza romana di Paolo si trova anche in „Das frühe Christentum" di G. Lüdemann .16 Anche se la maggior parte dei commentatori e storici del primo cristianesimo continua, anche dopo questo attacco frontale, a ritenere certo ο perlomeno assai probabile che Paolo sia stato civis Romanus, la discussione di tale circostanza è diventata argomento obbligato praticamente di ogni introduzione alla vita e agli scritti di Paolo. Altri, ci pare intenzionalmente, pur non contestando direttamente le affermazioni di At, nel descrivere la cultura e personalità di Paolo prescindono totalmente dalla sua cittadinanza romana. 17 Nel seguito perciò noi daremo innanzi tutto una sintesi delle affermazioni dello Stegemann, esponendo poi, anche sulla base delle numerose reazioni di altri esegeti, tutta una serie di argomenti di diverso valore e di diversa provenienza relativi alla contestazione dello studioso tedesco. I I . Le obiezioni dello Stegemann Va notato innanzi tutto che lo scritto dello Stegemann si iscrive nelle categorie mentali di molta letteratura esegetica prevalentemente tedesca, prevalentemente protestante, i cui autori sono disposti ad ammettere, negli scritti del NT, errori e/o distorsioni anche intenzionali nel campo della verità storica. Anzi, per motivi che qui non è il caso né di esporre né tantomeno di discutere, essi procedono abitualmente e amplissimamente con quella „tecnica del sospetto" da essi considerata indispensabile per una esegesi che gli stessi definiscono „critica". Uno degli scritti neotestamentari maggiormente attaccati sotto questo punto di vista è senz'altro At, molti punti del quale possono essere messi in parallelo con ο perlomeno avvicinati ad affermazioni ο pericopi del corpus Paulinum ο con affermazioni degli storici del tempo, specialmente con le opere di Flavio

15

W. Stegemann, War der Apostel Paulus ein römischer Bürger?, in: ZNW 78 (1987) 200-229. 16 17

G. Lüdemann y Das frühe Christentum. Göttingen 1987,249s.

È emblematico ad esempio l'accuratissimo studio di R. Penna sulle matrici culturali di Paolo (Aperture universalistiche in Paolo e nella cultura del suo tempo" in: Il confronto tra le diverse culture nella Bibbia da Esdra a Paolo, a cura di R. Fabris , [Ricerche storico-bibliche 10,1-2]. Bologna 1998, 279-315) nel quale tuttavia la „romanità" di Paolo non ha la benché minima rilevanza (unica eccezione è la n. 5 di p. 280 in cui si ricorda la sua contestazione da parte dello Stegemann). Ciò è tanto più stupefacente se si tien conto che Pautore intende reperire le spinte „universalistiche" dell'Apostolo, di cui un'eventuale autocoscienza romana sarebbe evidentemente un'ottima base, in ogni caso assai più della matrice giudaica.

La cittadinanza romana di Paolo

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Giuseppe. Lo schema mentale in proposito è che, tutte le volte in cui si registra (o si crede di registrare) un contrasto tra At da una parte e testo paolino ο flaviano dall'altra, è il testo lucano che ha la peggio. Si ha anzi la netta impressione che invece di cercare ragionevoli spiegazioni di eventuali contrasti tra gli scritti lucani e quelli paolini ο extrabiblici, gli esegeti che si autodefiniscono „critici" cerchino di maggiorare le difficoltà, di interpretare testi oscuri ο ambivalenti sempre, come si dice, in malam partem e qualificando tali ragionevoli spiegazioni come accomodamenti apologetici ο ingenue armonizzazioni. Ciò premesso, lo Stegemann reperisce le seguenti difficoltà nei confronti della asserita cittadinanza romana di Paolo: a) già la prima introduzione della cittadinanza romana di Paolo (e di Sila) da parte di Luca (nella colonia romana di Filippi: cf. At 16,37s) sembra all'esegeta tedesco „artificiale", perché prima i due missionari si lasciano fustigare, nonostante la verberatio fosse proibita nei confronti di un cittadino romano, 18 poi dopo pretendono di essere trattati come tali, cioè rilasciati con onore. Lo Stegemann (e con lui altri) insinuano che la sostanza dell'episodio narrato sia vera, a motivo di 2Cor 11,25 (τρις έρραβδίσθην), 19 ma che tutto il riferimento alla romanità di Paolo e Sila sia aggiunto ad arte da Luca per motivi apologetici e/o di economia narrativa. 20 b) Anche tutto l'episodio At 22,22-29, pur essendo, secondo Stegemann, impeccabile dal punto di vista della terminologia e sostanza giuridica, 21 viene qualificato come opera del redattore, intendendo ciò come equivalente di in-

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Stegemann cita in appoggio il testo (secondario) di Appiano, Bell. Civ. 11,26 § 98 (ediz. Loeb III, p. 275); più pertinente sarebbe stato ricordare il tenore della lex Porcia che secondo Tito Livio „sola pro tergo civium lata videtur, quod gravi poena, siquis verberasset necassetve civem Romanum, sanxit" (X 9,4; lo stesso in Cicerone , pro Rabirio 4,12-13) oppure la lex Iulia de vi publica per la quale „damnatur, qui aliqua potestate praeditus civem Romanum antea ad populum, nunc imperatorem appellantem necaverit necarive iusserit, torserit, verberavit, condemnaverit iure publica vincula duci iusserit" (Paolo, Sent. V 26,1). Celebre poi la pittoresca descrizione di Cicerone: „Mettere in catene un cittadino romano è un crimine, percuoterlo un abominio, ucciderlo quasi come un parricidio" (Verr. 2,5,66). 19 lTs 2,2 (Paolo dichiara di „aver molto sofferto e subito oltraggi") benché si riferisca a Filippi è tuttavia, per ammissione anche dello Stegemann stesso (cf. p. 223), assai vago in riferimento alla nostra questione: potrebbe trattarsi anche di privati né è chiaro il genere dell'offesa (greco: ύβρισθέντες). 20 21

Lo Stegemann, Apostel (cf. n. 15), 205, parla di „spannungsreiche Dramaturgie".

Egli si appoggia specialmente allo studio veramente poco noto di O. Eger, Rechtsgeschchtliches zum Neuen Testament. Basel 1919. 4 FS Mühlsteiger

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Corrado Marucci

ventato. Con una logica veramente difficile da condividere l'autore afferma che proprio l'esattezza di tutti i riferimenti storico-giuridici, che qui per ora tralasciamo, costringerebbe ad ammettere „eine Stilisierung der Szene durch Lukas"

(206)! c) In una sezione a parte lo Stegemann analizza le testimonianze indirette della romanità di Paolo, che consistono soprattutto, per l'esegesi classica, nel collegamento tra cittadinanza romana e appello al tribunale dell'imperatore, fatto quest'ultimo che porta l'Apostolo a Roma. In generale l'autore crede di reperire nel racconto di At tutta una serie di incongruenze e di asserzioni poco credibili, se non proprio incredibili. 22 Tralasciando qui i vari sospetti formulati in modo vago, 23 pare che l'esegeta tedesco insista soprattutto su due cose. In primo luogo sulla stranezza della proposta fatta dal procuratore Festo a Paolo di ,/ecarsi a Gerusalemme per essere giudicato lì su tali cose εττ4 εμου" (25,10). Egli contesta infatti che le parole da noi lasciate in greco dicano necessariamente „sotto la mia presidenza", come quasi tutti traducono, ma interpreta la cosa come cambio di giurisdizione, precisamente dal proprio tribunale romano ad uno giudaico, a quello ad esempio del Gran Sinedrio. Επ4 εμου - sostiene Stegemann - potrebbe voler dire semplicemente „in mia presenza"; all'uopo egli cita una nota dal commentario ad Atti di G. Schneider. 24 Se Paolo fosse civis Romanus ciò sarebbe del tutto impensabile. In secondo luogo lo Stege mann ritiene possibile che l'invio a Roma di Paolo, fatto difficilmente contestabile al livello storico, sia giuridicamente sostenibile anche se egli fosse un semplice peregrinus. Anzi potrebbe darsi che Luca abbia erroneamente dedotto la cittadinanza romana di Paolo proprio dal trasferimento della sede giudicante da Cesarea a Roma. La cosa, cioè il rimando a Cesare di alcuni importanti, ma difficili casi non sarebbe senza analogie: all'uopo l'autore cita uno studio di M.

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Notiamo qui en passant il solito malcostume degli esegeti di lingua tedesca di chiamare „Widersprüche" affermazioni del testo sacro che, nel peggiore dei casi, sono solo stupefacenti ο difficili da spiegare ο addirittura costituiscono un novum nei confronti della letteratura giuridica ο storiografica del tempo, ma sono cose ben diverse da contraddizioni vere e proprie. Solo infatti in presenza di due affermazioni contraddittorie si è sicuri che una delle due ο entrambe sono false. 23

A p. 211 egli si chiede ad esempio come faccia Luca a sapere che Festo intende accattivarsi i giudei (cf. At 25,9)! 24 P. 359, η. 6 dell'edizione tedesca; p. 475, η. 27 di quella italiana. Si noti tuttavia che lo stesso Schneider aggiunge la spiegazione univoca del classico dizionario del Bauer (alla voce κρίνω 4aa): „genitivo dell'istanza giudiziaria"!

La cittadinanza romana di Paolo

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Stahl e un testo di Flavio Giuseppe che si riferisce al noto caso di Jonathan il tessitore. 25 d) Nella seconda parte dell'articolo lo Stegemann applica per così dire una tecnica inversa, analizzando annessi e connessi della civitas Romana con il fine chiaro, anche se non dichiarato di mostrare come essa poco ο affatto si confaccia ad un personaggio come Paolo. Si tratta della sintesi di una massa veramente ingente di materiali e di studi parziali di storia del diritto e del costume romano nei secoli che interessano il NT. Oltre ai contenuti formali della cittadinanza romana, vengono toccati i seguenti problemi: come si otteneva tale cittadinanza? quanti la ebbero, fuori di Roma? era essa conciliabile con la nascita e soprattutto la fede giudaica e con la cittadinanza di un'altra città (concretamente con quella di Tarso)? c'è un rapporto fra il nome di Paolo e la sua eventuale „romanità" ecc. Anche in questo caso l'autore, pur non ritrovando in tutta questa materia qualche circostanza che univocamente escluda la cittadinanza romana di Paolo, è tuttavia convinto che molti dati soprattutto dell'epistolario paolino costringano a pensare che essa sia praticamente da escludere. Egli sottolinea particolarmente il fatto che l'Apostolo in tutto il NT non compaia mai con i tre nomi classici del romano (praenomen , nomen e cognomen), ma sempre solo come Paolo, di cui, secondo Stegemann, non si potrebbe dire quale dei tre rappresenti; poi tutte le affermazioni dell'epistolario paolino concernenti pene corporali, arresti e simili sia da parte di magistrati romani sia soprattutto da parte di istanze giudaiche (cf. soprattutto 2Cor ll,24s); il fatto inoltre che l'Apostolo, stando alle sue dichiarazioni (cf. lTs 2,9; ICor 4,12 26 ), pare essere un povero artigiano (secondo At 18,3 σκηνοποιός τη τέχνη), il che deporrebbe contro la possibilità di ottenere la cittadinanza romana, la quale (a prescindere dal caso dei veterani al termine del loro servizio militare) sarebbe stata conferita solo a peregrini ricchi e influenti; non da ultimo il fatto che, sempre secondo il nostro autore, il cittadino romano anche di religione giudaica sarebbe stato obbligato a sacrificare agli dèi romani, cosa ovviamente impensabile per Paolo (p. 224). Alla fine di tutte le considerazioni qui riassunte lo Stegemann si sente autorizzato ad affermare che la cittadinanza romana di Paolo è „estremamente improbabile" (äußerst unwahrscheinlich) [p. 228].

25

Cf. M Stahl, Imperiale Herrschaft und provinziale Stadt, Göttingen 1978, 92ss con n. 39 e, per il tessitore Jonathan, BJ 7,449ss. 26

Solo At 183 lo qualifica, en passant come σκηνοποιός.

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Corrado Manieri I I I . La cittadinanza romana di Paolo

Prima di prender posizione sui singoli argomenti avanzati contro la veridicità del testo lucano, crediamo opportuno fare due brevi precisazioni di carattere metodologico. Sulla possibilità che gli scritti biblici contengano errori in materia di storia, geografia, scienze naturali e simili, il teologo cattolico, come tutti sanno, è più disposto che in passato ad ammetterne la presenza. La cosa dipende, in minima parte probabilmente, anche dal fatto che la Dei Verbum al Nr. 11 afferma positivamente solo che la Sacra Scrittura è esente da errori nel campo delle affermazioni di fede, pur senza concedere esplicitamente che in essa ci siano errori di altro tipo. Ciò che a nostro parere non è invece compatibile con la concezione cristiana degli scritti ispirati è che gli agiografi abbiano introdotto scientemente tali modificazioni della verità fattuale qualunque ne sia stato lo scopo. Ora nel caso della cittadinanza di Paolo, che è praticamente centrale ed essenziale alla seconda parte di At, la sua introduzione, come anche ammettono quasi tutti i suoi negatori, non potrebbe essere che intenzionale 27 . In secondo luogo va ribadito che, anche su un piano astratto, tutte le considerazioni da noi riassunte sopra, anche concesso che fossero vere, non arrivano che a costituire difficoltà, non vere prove contro la credibilità di ciò che At afferma di Paolo. E viceversa, come nella maggior parte delle asserzioni storiche del NT, va parimenti ribadito che una vera, inconfutabile prova della loro veridicità è praticamente impossibile. Insieme a molti altri esegeti riteniamo tuttavia che una sistematica contestazione dell'affidabilità storica degli scritti del NT sia poco seria, cioè scientificamente scorretta e quindi poco „critica". Venendo ora ai singoli argomenti di storia del diritto romano e più in generale dei costumi dell'allora vicino oriente va sottolineata una certa ingenuità nelle argomentazioni di chi contesta le affermazioni di At su questo e su altri punti di contenuto giuridico, e cioè l'idea che solo per l'esistenza di una legge romana ο provinciale, la realtà poi sia stata del tutto conforme. Anche al giorno d'oggi, quanti episodi riferiti dai mass media sono difformi dalle leggi ο perlomeno si muovono in una zona grigia che solo lunghi processi, nel migliore dei casi, sono in grado di chiarire? Insomma, anche allora la realtà era un po' più complessa. Possiamo anzi aggiungere che la conoscenza da parte nostra dello stesso diritto e della terminologia giuridica è in alcuni casi lacunosa, cosicché la

27

Opportunamente M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, in: Paulus und das antike Judentum , hg. von M Hengel und U. Heckel (WUNT 58). Tübingen 1991, 177-293 (trad, it.: II Paolo precristiano [Studi Bibl. 100], Brescia 1992) 44s; nell'originale 196, afferma in proposito: „Se la cittadinanza romana di Paolo e quindi le basi del suo processo sono invenzione lucana, allora si dovrebbe finalmente essere tanto onesti da considerare l'intero libro degli Atti quale finzione romanzesca".

La cittadinanza romana di Paolo

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possibilità ο meno che un'azione sia stata lecita non può sempre essere affer28

mata con sicurezza. Anche tutte le affermazioni, così rilevanti nel lavoro dello Stegemann, concernenti aspetti di storia del costume, di sociologia e di economia relative all'oriente romano del I secolo d.C., a volte sono possibili, ma non tanto da escludere il loro contrario. Intere argomentazioni fondate su un paio di iscrizioni ο di fonti letterarie sono sufficienti per ricostruire un intero ambiente culturale e la vita quotidiana di milioni di persone e per un secolo? Insomma, la cosa è più che evidente, la realtà fu anche nel I secolo dell'era cristiana assai più variegata e differenziata di ogni definizione ο legge formale. 29 In secondo luogo c'è da chiedersi con quali speranze di successo avrebbe potuto un autore ellenistico come Luca nel 90 circa d. C., cioè poco più di vent'anni dopo la morte di Paolo, inventare una circostanza di tali spessore giuridico e normalmente nota nel proprio ambiente come la cittadinanza romana del personaggio più noto di tutta la prima generazione cristiana. Si tenga presente che il cosiddetto tetraeuangelion , gli Atti e il corpus Paulinum ebbero subito diffusione capillare nelle comunità cristiane. Anche qui si va incontro a difficoltà probabilmente non molto presenti a chi si muove nel senso dello Stegemann; è evidente che tutti questi hanno un'immagine della società antica (e al di dentro di essa delle comunità cristiane) come di un ambiente credulone e ingenuo in cui si possa impunemente far passar per vere le proprie fantasie ο invenzioni. a) una delle difficoltà più forti nei confronti della civitas Romana di Paolo sono tutte le violenze fisiche e gli incarceramenti derivanti da autorità romane (Filippi 3 0 ecc.) e peregrine, dato che, come si è già detto sopra, il cittadino romano ne era esentato31. Notiamo intanto che già il testo lucano conosce questa obiezione e la mette esplicitamente in bocca a Paolo (cf. 22,25ss). In proposito tuttavia consta con certezza che ci furono violazioni notevoli di tale privilegio

28

Citiamo ad esempio il famoso ius gladii , di cui parlano tutti i commentari ai vangeli in occasione della condanna a morte di Gesù: in realtà stando allo Schürer , History I (cf. η. 11), 368s, tale termine tecnico non è attestato che a partire dal III sec. d.C. né è sicura la sua estensione nelle province durante la prima fase del principato. 29 Soprattutto E. A. Judge ha concretizzato in alcuni notevoli esempi questa nostra difficoltà (cf. il suo „St. Paul and Classical Society" in: JAC 15 [1972] 19-36 [spec. 25] e l'ottimo studio Rank and Status in the World of the Ceasars and St. Paul, Canterbury 1982). 30 Colonia romana dal 42 a.C. con il nome ufficiale di Colonia Iulia Augusta Philippensis. 31

Cf. il testo della lex Iulia de vi nelle Sentenze di Paolo V 26,1.

22

Corrado Marucci

del cittadino romano: ben noto è l'episodio in cui Verre ne fa flagellare uno, benché questi continui a gridare „civis Romanus sum" (Cicerone , In Verr. act. II, 1. V . c. 62); Appiano poi racconta che Marcello, per far dispetto a Cesare, fa battere un cittadino romano ex magistrato di Neocomo. 32 Anche il privilegio del civis Romanus di non subire l'onta della crocifissione non fu sempre rispettato: Flavio Giuseppe riferisce di Gessio Floro, procuratore di Giudea dal 64 al 66 d.C., che fece addirittura crocifiggere alcuni giudei che erano équités Romani. 33 Anche se ciò può apparire a qualche esegeta critico una scappatoia, si può senz'altro supporre che in tutte le peripezie di Paolo, soprattutto in occasione di sommosse originate dalla folla giudaica, non sempre Paolo abbia potuto adeguatamente dialogare e far valere i suoi diritti. Nel caso di Filippi invece, per cui lo stesso Luca riferisce che l'Apostolo non rivela la sua condizione di civis Romanus se non dopo la fustigazione, si dovranno ammettere motivi intimi dello stesso. Più di un commentatore pensa ad un suo desiderio di assimilazione a Gesù che pure fu ingiustamente fustigato (cf. Le 22,63), desiderio ben presente anche nelle sue lettere (cf. ICor 4,16; 11,1; Rm 1,24; Col 1,24) e che, per un uomo della tempra di Paolo, non va troppo frettolosamente bagatellizzato. b) Il fatto che nelle sue lettere Paolo non parli mai esplicitamente della sua cittadinanza romana non ci pare così grave come alcuni dichiarano. Infatti innanzi tutto non sembra che in tali lettere, che sono quasi tutte, come si dice, „d'occasione", ci sia alcuna necessità ο argomentazione che richieda tale esplicitazione. È anche possibile che Paolo stesso non abbia dato alla cosa eccessiva importanza e che, soprattutto nei confronti di suoi interlocutori peregrini , non abbia voluto sottolineare un suo privilegio. Si sa d'altronde che egli nelle sue lettere fornisce pochissimi particolari personali, soprattutto della sua vita prima della conversione. Quasi tutti gli studiosi concedono tuttavia che l'universo mentale presupposto dall'azione apostolica di Paolo, a differenza dallo stile di Gesù nei sinottici, che si rivolge quasi esclusivamente agli abitanti di villaggi e piccole città, è quello di un cittadino romano. Egli si dirige infatti alle grandi capitali delle province romane, non poche di esse essendo colonie romane (Filippi 3 4 , Listra 35 , Corinto 36 , Troade 37 , Antiochia di Pisidia 38 e Iconio 39 ), nelle

32

„...των Νεοκώμων τ ι ν ά ...'Ρωμαΐον ... ό Μάρκελλος έφ'υβρει του Καίσαρος εξηνε ράβδοις.,.ού πασχόντων τούτο 'Ρωμαίων". 33 Cf. BJ 2306-308. Oltre ai testi citati sopra nella nota 18 cf. anche Plutarco , Caesar 29; Eusebio , HE 5,1,44.50 e in generale Th. Mommsen, Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, in: ZNW 2 (1901) 81-96,89-90. 34

Cf. sopra n. 30.

La cittadinanza romana di Paolo

23

quali cioè l'Apostolo può sperare un maggior aiuto da parte dell'autorità romana, ο vere e proprie metropoli dell'impero (Antiochia sull'Orante e Efeso). Quando in Rm l,10ss; 15,22ss Paolo rivela i suoi progetti apostolici si tratta di non già di Alessandria d'Egitto, la capitale dell'ellenismo, ο del medio oriente, bensì di arrivare a Roma, allora caput mundi , e oltre ad essa alla Spagna già allora quasi totalmente latinizzata. Nel passo 13,1-7 della stessa lettera poi, nonostante i maltrattamenti subiti anche da parte di magistrati romani, egli formula quella famosa apologia dell'autorità statuale che è innanzi tutto quella romana (non est potestas nisi a Deo) e che ha ispirato tutta la politologia e filosofia cristiana del diritto praticamente fino ad oggi. c) Il problema della doppia cittadinanza: Non tanto lo Stegemann quanto altri hanno avanzato forti dubbi sul fatto che Paolo possa essere cittadino della città ellenistica di Tarso (che non fu colonia romana 40) e al tempo stesso civis Romanus. Si afferma addirittura che non consta ci siano, per tale epoca, testimonianze di persone in tale situazione giuridica 41 . Si tratta in realtà di un problema inesistente. Infatti anche a prescindere dal fatto che in epoca augustea non c'è più incompatibilità tra la cittadinanza di una città ellenistica e quella romana 42 , dato che l'unica nostra fonte della civitas Tarsensis di Paolo è At 21,39 (oltre al vago 9,11), va precisato che il termine πολίτης ivi messo in bocca a Paolo non necessariamente significa „cittadino in pieno senso giuridi35

Città della Licaonia, a sud-ovest di Iconio; fu resa colonia romana da Augusto con il nome di Colonia Iulia Felix Gemina Lustra (cf. CIL III 6786). Su di essa cf. Ramsay , Cities (cf. n. 6), 407ss. Uno dei più importanti porti del mediterraneo, dopo una intensa storia preromana e la distruzione del 146 a.C., nel 44/43 a.C. fu ricostruita da Cesare come Colonia Laus Iulia Corinthus e popolata di liberti e veterani; era capitale della provincia (senatoria) di Achaia. 37

Colonia della provincia di Asia già prima del 12 a.C. come Alexandria Tros (Aniensis); nelle monete di Caracalla si aggiunge Aurelia Antoniniana. 38 Ufficialmente Colonia Antiochia Caesarea; la più antica delle colonie della Pisidia, a motivo della qualifica di Caesarea di certo precedente al 27 a.C. Secondo alcune monete era stata popolata di veterani della legio VGallica Alauda. 39

Nella provincia di Galazia, eretta a colonia sotto Claudio con il nome di Colonia Claudia Iconium ; probabilmente ricolonizzata da Adriano come Colonia Aelia Hadriana Augusta Iconiensium . 40 Cf. l'elenco di tutte le colonie romane in PRE IV,1, col. 511-588 (Kornemann) e la voce „Tarsos" ib. IV A,2, 2413ss (Ruge). 41

Cf. Stegemann, Apostel (cf. n. 15), 219s.

Cf. le prove in Α. Ν. Sherwin -White , Roman Society and Roman Law in the New Testament, Grand Rapids, MICH, 1978,182s.

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Corrado M a i

co", ma, come già nei L X X (cf. ad esempio Prov 11,9.24.28), nelle altre tre ricorrenze del termine nel NT (Le 15,15; 19,19 e Eb 8,11) e in Flavio Giuseppe (cf. ad esempio ant. 12,119), anche solo „abitante" 43 . In ogni caso è erroneo che i giudei cittadini di centri ellenistici fossero obbligati a sacrificare agli dèi cittadini, come afferma lo Stegemann a p. 220s del suo articolo. Per l'epoca del principato non c'è alcuna contraddizione tra il fatto che Paolo sia cittadino di Tarso (At 21,39) e contemporaneamente civis Romanus. Né tantomeno tra quest'ultima e l'origine giudaica dell'Apostolo; rimandando nella sostanza all'abbondante materiale raccolto su questo argomento sia da M. Hengel che dal Tajra, sarà sufficiente qui ricordare innanzi tutto gli erodiani che, da Antipatro in poi, godono tutti della civitas Romana; poi i passi di Filone Alessandrino da cui si deduce che gran parte degli ebrei abitanti a Roma sono anche cittadini romani (cf. Legatio 157); poi Flavio Giuseppe stesso che quale liberto dell'imperatore Vespasiano fu da lui adottato e quindi reso cittadino romano; molti ebrei residenti a Roma nei primi secoli riuscivano ad ottenerla. M. Hengel si sente di poter affermare senza mezzi termini che, su questo punto, lo Stegemann „trascura le fonti, che palesemente non conosce a sufficienza" 44 . Le difficoltà elevate dallo stesso contro il fatto che ben difficilmente Paolo vero giudeo avrebbe potuto essere cittadino romano perché ciò comporterebbe i sacrifici agli dei romani è quindi senza fondamento, dato che i giudei, fossero ο no cittadini Romani, godevano dei privilegia Iudaica e il giudaismo era religio licita. Quindi l'affermazione di Ben Witherington III : „In terms of general historical probabilities, we do know of examples of Jews from before the middle of the first century A.D. ... who were Roman citizens" 45 è di certo minimalista. Su questo punto cf. oltre alla fine della sezione e). d) Il nome di Paolo: Tutt'un'altra serie di obiezioni è stata dedotta dal fatto che dell'Apostolo non si sa altro che il nome Paolo, cosa che si pretende essere in contrasto con la ben nota caratteristica del cittadino (maschio) romano di portare tre nomi. Anzi, dal principato in poi anche di più, data la possibilità di aggiungere un agnomen, cioè praticamente un soprannome, un secondo cognomen derivante da particolari caratteristiche ο imprese della persona e trasmissi-

43

Per tutta questa materia cf. H. W. Tajra, The Trial of St. Paul [WUNT 235]. Tübingen 1989, 78 ff. e M. Hengel , Der vorchristliche Paulus, in: Paulus und das antike Judentum, hg. von M Hengel und U. Heckel (WUNT 58). Tübingen 1991,177-293 (trad, it.: II Paolo precristiano [Studi Bibl. 100]. Brescia 1992), 33-39. Il primo di questi studiosi ritiene che Paolo non fosse cittadino di Tarso in senso giuridico. 44 Hengel, ibid., 57. Cf. anche Schürer, (cf. η. 11), History I I I / l , 126ss e J. Juster, Les Juifs dans l'Empire romain, Paris 1914, II, 1-18 (prima del 70 d.C.) e passim. 45

The Paul Quest, 70.

La cittadinanza romana di Paolo bile ai successori. Tra i più noti furono Africanus pione, Asiaticus

25

assunto da P. Cornelio Sci-

per L . Cornelio Scipione, Magnus per Cn. Pompeo, Pius ecc.

Notiamo innanzi tutto che l'espressione di A t 13,9 [Σαυλος δέ, ó

και

Π α ύ λ ο ς ] non implica affatto che i l nome romano sia acquisito ο aggiunto dall'Apostolo da quel momento, 4 6 né che questi se lo sia dato in ricordo della conversione di Sergio Paolo, 4 7 i l proconsole di Cipro, dal 22 a.C. provincia (senatoria) romana. 4 8 La fraseologia ό κ α ι è del tutto usuale sia nei papiri che nelle epigrafi per introdurre un nome alternativo; ne esistono esempi a partire dal 400 a.C

49

È poi certo che Paolo fu nome esclusivamente latino, quindi coerente con la cittadinaza romana dello stesso. È vero che fu usato anche come praenomen , ma prevalentemente come cognomen, 50 così è per i l proconsole di Cipro e senatore di Antiochia di Pisidia convertito dall'Apostolo. 5 1 È anche vero che esso non fu tra i più comuni, ma tuttavia non così raro e strano come afferma lo Stegemann, come abbiamo mostrato nelle due note precedenti, dalle quali tra l'altro si evince che esso fu in uso anche tra cittadini romani di origine orienta-

46 Cf. tra i tanti A. Deissmann, Bible Studies. Edinburgh 1901, 313ss e W. M. Ramsay, S. Paul, 81 ss. 47

Le fonti epigrafiche (cf. CIL V I 31545 = ILS 5926) hanno costantemente Paullus ; egli fu membro dell'importante famiglia dei Sergii Paulli originaria della colonia romana di Antiochia di Pisidia, di cui fu probabilmente il primo senatore. Sotto Claudio egli fu curator riparum et alvei Tiberis. Plinio (Hist. 2,18) afferma che la fonte delle sue affermazioni su Cipro è (L.) Sergio Paolo (v.l. Plautus). 48

La cosa venne sostenuta per primo da Girolamo (Comm. in Philem.= PL 26,604; De viris ili. 5), come Scipione divenne Africanus dopo la vittoria di Zama su Annibale. La si trova poi sostenuta con maggior ο minor convinzione in molti commentari. 49

Cf. Moulton / Milligan , The Vocabulary of the Greek Testament, Grand Rapids, MICH., repr. 1982, p. 437 sub (8). Delle 58 ricorrenze epigrafiche di Paul(l)us registrate dal Dessau in ILS III/l (indices, p. 224), 47 sono cognomina e l i praenomina. Andrebbero aggiunti anche i derivati Paul(l)inus e Paulinianus . 51 Cf. tutti personaggi con tale cognomen in PRE Gesamtregister 1,791; da tale lista si deduce che esso fu particolarmente frequente nella gens Aemilia. Del tutto ipotetica e inverificabile tuttavia la proposta di Martin Hengel (cf. Der vorchristliche Paulus, 198, η. 73) e altri esegeti, per cui il nome romano completo dell'Apostolo potrebbe esser stato L.Aemilius Paulus. Lo stesso vale per quello proposto dal Ramsey (cf. The Bearing of Recent Discovery on the Trustworthiness of the New Testament. London 1915, 356), che sarebbe C. Iulius Paullus. II Ramsey lo sceglie a motivo della frequente congiunzione tra Iulius e Paullus che egli sostiene esservi nei documenti provenienti dalla Licaonia.

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Corrado Marucci

le. Noti personaggi con tale cognomen furono L. Aemilius Paulus Macedonicus , vincitore di Perseo, e il padre dello stesso, L. Aemilius Paulus , il condottiero romano sconfitto da Annibale a Canne nel 216 a.C. Secondo Moulton/Milligan (cf. η. 48) a.v. il greco Π αύλος „is not uncommon in the inscriptions"; essi citano l'epigrafe Perg. 374 A 1 6 del tempo di Augusto, nella quale compare un A Καστρίκιος Π αύλος cantore di Θεός Σεβαστός και Θεά 'Ρώμη in Pergamo. 5 2 Anche nel Fragm. Gr. Hist. iv,245 di Menandro (circa 342-291 a.C.) si fa menzione di un Παύλος ό Κ ί λ ι ξ . Tutti questi testi mostrano dunque che il cognomen Paolo fu usato anche prima, anzi molto prima del NT. Il fatto che né l'epistolario paolino né At accennino mai al praenomen e al nomen di Paolo non è gran che strano; anche di personaggi del calibro di Tito Livio e di Ponzio Pilato poi la tradizione non ha conservato il cognomen per il primo e il praenomen per il secondo.53 È noto d'altronde che il praenomen veniva usato in famiglia, mentre nella vita pubblica era usato sempre il cognomen con ο senza gentilicium (ad esempio Siila, Cesare, Crasso, Cicerone, Seneca, Marziale ecc.). Anche di Publio Sulpicio Quirinio Luca usa solo il cognomen (cf. Le 2,2) e lo stesso fanno gli Atti con il procuratore M. Antonio Felice (cf. At 23,26), mentre di Porcio Festo non si ricorda il praenomen (cf. 24,27). Gli esempi potrebbero essere moltiplicati. Perché poi Paolo in tutto il suo epistolario e anche At a meno di 15 volte 54 usino sempre solo il nome romano e non quello ebraico (che ci è noto solo attraverso il testo lucano, ma che è coerente con l'appartenenza dello stesso alla tribù di Beniamino, quella del re Saul: cf. Rm 11,1; Fil 3,5), non è del tutto chiaro. Che il motivo sia da trovarsi nel fatto che il termine greco σαυλος significa „(detto di animali) scodinzolante, ondeggiante" e (riferito a persone) „sfarzoso, voluttuoso, orgoglioso" è possibile, dato che Paolo scrive in greco a comunità praticamente del tutto ellenizzate.55 Tutte queste considerazioni sul nome Paolo sembrano comunque più favorevoli che contrarie ad una cittadinanza romana dello stesso.

52

Cf. G. Thieme , Die Inschriften von Magnesia am Mäander und das Neue Testament. Göttingen 1906,40. 53

Cf. ad esempio J.-P. Lémonon, Ponce Pilate: documents profanes, Nouveau Testament et traditions ecclésiales, in: ANRW II 26.1. Berlin / New York 1992, 741-778 (spec. 744s). 54

Saulo è usato solo in At 7,58; 8,13; 9,1.8.11.22.24; 11,2530; 12,25; 13,1.2.7 e 13,9, cioè 15 in tutto e non più dopo quest'ultima ricorrenza. 55

Nel Namenbuch del dizionario dei papiri greci del Preisigke σαολος non compare mai; il primo testo che in qualche modo può essergli avvicinato è il P. Flor. III, 280 17 del 514 d.C. in cui compare l'indeclinabile Σαολ.

La cittadinanza romana di Paolo

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e) Romanità e apostasia dal giudaismo: Lo Stegemann, nell'articolo citato, dà molto rilievo ad un'obiezione contro la civitas Romana di Paolo basata sulla convinzione che ci fossero sì giudei dotati di tale cittadinanza nel I secolo d.C., ma che ciò, per la caratteristica religiosa della stessa, equivalesse ad un'apostasia dal giudaismo, cosa inconciliabile con le affermazioni di Paolo stesso sulla sua ortodossia giudaica, anzi decisamente farisaica fino alla conversione sulla via di Damasco (cf. Gal 1,14; Fil 3,4-6 e At 23,6), e poi con la sua fede cristiana. La stessa obiezione viene sollevata contro il fatto che Paolo e prima ancora i suoi genitori fossero cittadini di Tarso. Su questo argomento gli studiosi ammettono che effettivamente quest'ultima cittadinanza (che, come si è detto, però non è certa al di là di ogni dubbio) è sostenibile per la famiglia di Paolo osservante dei costumi farisaici solo se in Tarso esistette anche una φυλή a parte per i giudei cittadini di Tarso, dato che le altre hanno tutte connotazione anche religiosa, in riferimento cioè agli dèi della città. Ora, l'esistenza in Tarso di una tale φυλή dei giudei, benché non positivamente attestata, può senz'altro venir ammessa date le dimensioni e il prestigio della città. Per quanto invece concerne la cittadinanza romana, un obbligo di partecipare alla vita religiosa romana (di cui fece parte anche il supplicare dis nostris di cui parla Traiano nella sua risposta a Plinio 56 ) esistette solo per i cittadini investiti di cariche pubbliche. E il caso del fratello di Filone, quell'Alessandro che fu alabarco di Alessandria, e soprattutto dei suoi due figli, il primo dei quali, Tiberius Iulius Alexander, a prezzo dell'apostasia dal giudaismo ottenne il rango equestre e fu tra l'altro anche governatore romano della Giudea (46-48?) 5 7 Gli altri giudei dell'impero, sia cittadini che peregrini , godevano dei cosiddetti privilegia Iudaica, dei quali faceva parte anche il diritto di praticare indisturbati la propria religione. f) La relazione tra cittadinanza romana e processo di Paolo: Questo è probabilmente il punto su cui si è concentrata la maggior acribia degli studiosi, sia per la centralità dell'argomento sia per l'abbondanza dei particolari e la lunghezza del processo di Paolo nel racconto di At. Alquanto strano, per chi legga l'abbondante letteratura sull'argomento, è il fatto che, mentre gli storici del diritto e dei costumi romani quasi senza eccezioni lodano l'accuratezza del resoconto lucano dei vari processi romani dell'Apostolo e danno per scontata la sua cittadinanza romana, gli esegeti si mostrano più che diffidenti nei confronti di tale resoconto, credendo di scorgere in questo ο in quell'altro particolare

56

Cf. Plinio, Ep. X,97.

57

Cf. Schürer (cf. n. 11), History, 1,457 con nota 9.

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Corrado Marucci

errori di procedura più ο meno gravi. Ad esemplificazione del primo fatto citiamo per esteso l'opinione finale di uno dei massimi conoscitori di diritto processuale romano, il Mommsen, che così si esprime: „In lebendiger Gestalt tritt uns [dieses] aus unseren Rechtsquellen verschwundene Verfahren entgegen in dem Bericht der Apg über den Majestätsprozeß des Paulus vor dem Statthalter von Judäa Porcius Festus."58 Anche i due ottimi studi dello SherwinWhite trattano i racconti lucani come fonte privilegiata del diritto romano del I secolo e non rilevano alcuna incongruenza. Secondo lo Stegemann una delle spie più chiare del fatto che una prima stesura ο la fonte di At non contenevano la cittadinanza romana dell'Apostolo è contenuta nella proposta che il procuratore Festo fa a Paolo, se egli preferisca esser giudicato a Gerusalemme. Il testo di At 25,9 dice: „per esservi giudicato (κριθήναι) έπ' εμού". Le parole da noi sottolineate, contrariamente a ciò che vorrebbero lo Stegemann e altri, in tale contesto non possono voler dire che „al mio cospetto (in senso forense), da me, sotto la mia presidenza", uso del tutto coerente con quello che si fa di επί nella frase immediatamente seguente di Paolo: „sto al cospetto del tribunale di Cesare (έπι του βήματος Καίσαρος)". Così traducono, contro G. Schneider (Comm a At, a.l.) e Stegemann, sia lo Zerwick, nella sua Analysis Philologica Novi Testamenti, a.v., sia il dizionario del Bauer sub κρίνω e sub έπι+gen. Anche l'uso dei papiri ellenistici appoggia tale traduzione. 59 Più ambigua è eventualmente la frase con cui Paolo conclude: „nessuno ha il potere di consegnarmi a loro" (25,11). Il verbo ivi usato (χαρίζομαι) non è tecnico e vorrà dire „praticamente messo alla mercé". Non è il caso di tentare di spiegare come abbia potuto Paolo dimostrare la verità della romanità da lui asserita al cospetto del tribuno e quindi trarne delle difficoltà rispetto alla credibilità del racconto. La Lex Aelia Sentia del 4 d.C. e la lex Papia Poppaea del 9 d.C. imponevano infatti la registrazione del cittadino romano all'atto della nascita. Il padre ο il suo agente ricevevano copia del certificato di appartenenza alle liste; se il figlio, raggiunta la maggior età, entrava in possesso di tale documento, esso poteva venir mostrato alla necessità (così ritiene Schulz nel suo articolo del 1943, pp. 63s); altri (ad es. SherwinWhite, Roman Society, 149) ritengono più probabile che tale documento venisse conservato nell'archivio di famiglia. Magistrati e ufficiali non potevano comunque essere imbrogliati impunemente. Infatti, contrariamente a ciò che il Loisy afferma a p. 822 del suo commentario ad At, chi dichiarava falsamente di

58 59

Mommsen, Rechtsverhältnisse 96.

Cf. Moulton / Milligan , Vocabulary, p. 233. Si tenga presente tuttavia che il minuscolo 33 e pochi altri manoscritti introducono un η („oppure") tra il verbo e έπ4 έμου.

La cittadinanza romana di Paolo

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possedere la cittadinanza romana veniva punito con la pena di morte. 60 Sulle prove del possesso della cittadinanza romana si veda Svetonio, Claudius 25,3 e Cicerone, In Verr. actio secunda 5,161s. Nell'ambito della coërcitio comunque la cosa era di primaria importanza, dato che il ferimento di un cittadino romano era giudicato come alto tradimento. Questo valse soprattutto sotto l'imperatore Claudio (41-54), il quale fece vendere come schiavi alcuni abitanti della Licia che avevano ucciso dei cittadini romani e aggregò il loro territorio alla Panfilia e, per lo stesso motivo, tolse all'isola di Rodi il privilegio di libero stato.61 Quanto al cosiddetto famoso „appello a Cesare" (At 25,12), la maggior parte dei commentatori ricorda correttamente non trattarsi di un „processo di appello" nel senso moderno del termine, bensì di una provocatio ο reiectio di Paolo nei confronti del tribunale e del giudice locale (quello del procuratore) a vantaggio del tribunale dell'imperatore. Non si trattò dunque di un appello contro una sentenza di condanna, bensì della ricusazione della giurisdizione del procuratore. Che questo fosse un diritto del cittadino romano è certo (anche se in qualche caso pare non sia stato concesso) né viene negato dallo Stegemann. La difficoltà sollevata da lui su questo punto è che il procuratore poteva trasferire al tribunale di Cesare anche peregrini e perciò il fatto che Paolo venga di fatto inviato a Roma non sarebbe prova della sua civitas Romana. Lo studioso tedesco raccoglie dallo studio del Garnsey (che però parla apertamente della cittadinanza romana di Paolo!) il caso di una provinciale di Cnido e la possibilità che i maggiorenti delle più importanti città ο personaggi in qualche modo legati alla casa imperiale potessero ricorrere al tribunale di Roma; sono citati anche da Flavio Giuseppe i casi del tessitore Jonathan, che il governatore di Cirene spedì a Roma, e di Eleazar ben Dinai che fu mandato a Roma dal procuratore Felice 62 . Su questi casi va detto innanzi tutto che Paolo non fu un maggiorente di Tarso né tantomeno intimo della casa imperiale; che Eleazar fu inviato a Roma da Felice come dimostrazione dei suoi successi militari e il processo di Jonathan, che pretendeva di essere Mosè redivivo e trascinò dietro a sé una gran folla, fu trasferito a Roma dal governatore preoccupato delle innumerevoli delazioni del prigioniero che giunsero fino a Roma assumendo dimensioni ultraregionali. 63

60

Cf. Epitteto 3,24,41 ; Svetonio, Claudio 25; Plinio il G., Ep. X,96 ecc.

61

Cf. Dione Cassio 60,17. Su tutta questa materia v. A Steinmann, Zum Werdegang des Paulus, Freiburg 1928,24s. 62 Cf Garnsey, Lex Iulia, 184; Stahl, Herrschaft (cf. η. 25), 93 e Flavio Giuseppe, BJ 7,437-450.

Cf. le osservazioni e la relativa bibliografia in proposito in Hengel, Paolo precristiano, 44s.

30

Corrado Marucci

Anche la eccezionale durata del processo (circa cinque anni) associata al fatto della relativa povertà di Paolo e alla sua poca rilevanza politica agli occhi di un procuratore romano sono adeguatamente spiegabili solo se si suppone che l'accusato sia cittadino romano. g) La relazione tra povertà di Paolo e cittadinanza romana: Secondo lo Stegemann (226ss) l'immagine di Paolo che si mantiene con il lavoro delle proprie mani e che quindi appare essere un povero artigiano non sarebbe conciliabile con il fatto che la civitas Romana, a suo parere, fuori di Roma veniva accordata di solito ai maggiorenti delle varie città. Anche in questo caso, per ciò che concerne l'applicazione al nostro caso concreto, si tratta di una serie di illazioni indimostrate e indimostrabili unite alla distorsione di alcuni dati di storia. Notiamo innanzi tutto che l'attività manuale attribuita all'Apostolo dagli Atti (18,3 σκηνοποιός 64 ) ben si adatta alle origini tarsensi dello stesso, dato che la creazione ed elaborazione di tessili, specialmente del famoso cilicium, fu una delle maggiori fonti di benessere della città e della regione. Il tutto poi non è che una specificazione delle affermazioni presenti nelle lettere paoline per cui egli si vanta di mantenersi lavorando (cf. lTs 2,9; ICor 4,12). In ICor 9,15 la cosa sembrerebbe una scelta autonoma di Paolo, derivante dalla propria vocazione di predicatore e da una propria concezione di apostolato. Ma anche se egli fosse stato già prima „fabbricatore di (stoffa per) tende", ciò può avere più di una spiegazione, sempre tenendo presente quanto può variare la condizione economica di una famiglia nel giro anche di poco tempo. Una spiegazione di questa circostanza, che molti autori danno come possibile, è l'abitudine dei dotti farisaici di apprendere anche un mestiere, sia per poter insegnare la torà gratuitamente sia per motivi ascetici. È vero che le testimonianze scritte di questa prassi rabbinica iniziano nel II sec. d.C., ma, come molte altre tradizioni misniche, probabilmente sono più antiche.65 Comunque il fatto che i genitori di Paolo

64

È un hapaxlegomenon del NT; nei L X X non viene mai usato; nella traduzione di Simmaco di Is 13,20 si usa il verbo σκηνοττοιέω e in quella di Aquila di Dtn 31,10 il sostantivo σκηνοποιία. Il significato esatto di questo termine, assai raro nella grecità contemporanea, non è facilmente appurabile per noi oggi. In Diogene Laerzio e Polibio il termine imparentato σκηνογράφος qualifica colui che procura gli accessori per il teatro (oggi diremmo lo scenografo); in Eliano (inizio del II sec. d.C.) σκηνογράφος significa „produttore oppure riparatore di (stoffa per) tende"; lo Jeremias (in: ZNW 30 [1931] 299) e sulla sua scorta diversi commentatori preferiscono tradurre il nostro termine con „lavoratore di cuoio". Sulla nascita di queste traduzioni cf. le note di Ramsay e rispettivamente di Nestle in ET 8 (1896-1897) 109.153s. 286. Secondo la tradizione Hillel, uno dei capiscuola della tradizione rabbinica, attivo negli ultimi decenni prima della nascita di Cristo, fu almeno per qualche tempo lavoratore a giornata; il grande R. Jehosua' b. Hanania (90 d.C. circa) fabbricava chiodi; R. Meir era scrivano; R. Johanan calzolaio ecc. Per tutta questa materia e gli abbondanti riferi-

La cittadinanza romana di Paolo

31

l'abbiano potuto inviare a Gerusalemme per permettergli una più accurata formazione rabbinica farebbe propendere per un certo benessere degli stessi. Un'analoga conseguenza si ha se si ammette che essi fossero anche cittadini di Tarso, fatto ritenuto probabile dalla maggior parte degli studiosi. La difficoltà dello Stegemann infatti potrebbe valere al massimo contro la cittadinanza tarsense della famiglia di Paolo: consta infatti che circa nel 30 a.C. Atenodoro abbia fissato a 500 dracme il valore di proprietà minimo per essere iscritti nella lista dei cittadini di Tarso. 66 Per ciò che concerne invece la civitas Romana ottenuta da unperegrinus l'argomento è applicabile solo ai casi di cui fa parte il Claudio Lisia di At, ai casi cioè in cui tale privilegio venne „comprato" 67 . Ma dato che le vie giuridiche che portarono al conferimento della cittadinanza romana furono più d'una, non si può affermare che essa sia in contraddizione con una condizione modesta del progenitore di Paolo che l'abbia ottenuta per primo, anche supposto e non concesso che questi sia stato povero. Nel caso poi sostenuto dalla tradizione, cioè dell'affrancamento dei genitori di Paolo prigionieri/schiavi da parte di un benefattore romano (manumissio ), una relativa povertà degli stessi sarebbe addirittura postulabile. Senza entrare in una materia che meriterebbe una trattazione separata e in questo contesto impossibile, va ricordata anche la possibilità che qualche progenitore dell'Apostolo abbia ricevuto la cittadinanza romana per meriti di qualche tipo nei confronti di Roma oppure ancora che egli sia emigrato a Tarso da una colonia romana, dove tutti i cittadini sono anche cives Romani. La cosa ancor più probabile secondo molti è che un progenitore di Paolo sia stato affrancato ο premiato in occasione ο dell'aiuto prestato a Giulio Cesare nalla campagna d'Egitto da truppe giudaiche del sommo sacerdote Ircano II comandate da Antipatro 68 ο degli eventi collegati alla conquista di Gerusalemme e del Tempio da parte di Pompeo nel 63 d.C. L'ignoto progenitore di Paolo potrebbe essere stato anche un veteranus militante nelle truppe ausiliarie e premiato a fine carriera, cosa assai frequente, con la cittadinaza romana. Notiamo qui en passant che affinché Paolo nasca

menti alla letteratura talmudica cf. P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. München 1924, II, 745-747. 66

Cf. Dione Crisostomo , Or. 34,23. Lo stesso autore (che scrive qualche decennio dopo Paolo) racconta di tessitori di Tarso senza civitas Romana (cf. 34,21-23). 67

Secondo Dione Cassio 60,17, soprattutto Messalina, moglie dell'imperatore Claudio (41-54), avrebbe fatto mercato della cittadinanza romana. Il periodo implicato si adatterebbe all'"acquisto" di cui parla il tribuno, che infatti, come ricorda in tale testo Dione Cassio („di solito i nuovi cittadini assumevano il gentilicium dell'imperatore"), porta il nomen di Claudio. 68

Cf. Flavio Giuseppe , BJ 1,194 e ant. 14,137.

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Corrado M a i

romano non è sufficiente che il solo padre sia tale (come affermano quasi tutti i commentatori); infatti la prole di un romano e di una peregrina senza conubium in generale è peregrina. Dunque anche la madre fu romana ο almeno unita al progenitore romano in un iustum matrimonium; in caso contrario poi la prole è romana, se lo è la madre al momento della nascita.69 Nel caso infine dell'affrancamento dalla condizione di schiavo, affinché la cittadinanza si trasmetta ai figli, è necessario che ciò sia esplicitamente inteso da chi mette in atto la manumissio. In prima generazione ci sono perciò diverse sottospecie di liberti , con diritti leggermente differenti. 70 In conclusione va ribadito che sappiamo troppo poco della qualità dei genitori e degli altri antenati dell'Apostolo per poter costruire una qualche difficoltà contro le affermazioni di At a partire dalle condizioni economiche dello stesso. 71 Sulla base dei numerosi studi parziali degli aspetti collegati con dinanza romana di Paolo crediamo si possa a buon diritto concludere suna delle obiezioni elevate contro la sua credibilità regge ad una disamina delle fonti, anche se non è possibile appurare quale sia stata del suo ottenimento.

la cittache nesaccurata la causa

69

Cf. M. Käser, Das römische Privatrecht. München 1955,1 §66, pp. 241s; (l'autore si appoggia ai due testi di Gaio 1,76; 1,89); va tenuto presente tuttavia che la materia ebbe diversa regolazione a secondo dei tempi. 70 71

Cf.Kaser, ibid, 115-119.293-301.

A. N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, Grand Rapids, MICH, 1978,151, qualifica opportunamente tale tentativo „a fruitless task".

La cittadinanza romana di Paolo

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Corrado

M a i

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Ehetheologische Aspekte unter besonderer Berücksichtigung konfessionsverschiedener / -verbindender Ehen Dogmatisch-rechtliche Implikationen V o n Silvia Hell

I . Einleitung Es sollen hier zu Ehren von Univ.Prof. Dr. P. Johannes Mühlsteiger SJ dogmatisch-rechtliche Überlegungen zur konfessionsverschiedenen/-verbindenden Ehe angestellt und zugleich nach den Implikationen für eine römischkatholische Ehetheologie gefragt werden. Die Verzahnung „dogmatischkirchenrechtlich" zeigt an, daß das Kirchenrecht niemals isoliert für sich betrachtet werden darf, sondern immer auf seine dogmatischen Implikationen untersucht werden muß. Das Kirchenrecht ist so etwas wie „geronnene Dogm a t i k " (W.Rees). Es steht i m Dienst des Glaubens und dient damit letztlich dem Menschen. „Salus animarum suprema l e x " - das Heil der Seelen (der Menschen) ist das oberste Prinzip jedes kirchenrechtlichen Bemühens. Kirchenrechtliche Bestimmungen dürfen niemals diese pastorale Ausrichtung aus den Augen verlieren. W o der B l i c k auf die in der Schrift bezeugten und in der Tradition überlieferten Glaubenswahrheiten verdunkelt wird, ist eine Revision kirchenrechtlicher Bestimmungen angesagt. Die unterschiedliche Beurteilung, die konfessionsverschiedene Ehen i m Laufe der Zeit in der römischkatholischen Kirche erfahren haben, ist dafür ein gutes Beispiel. M e i n Beitrag gliedert sich in vier Punkte: In einem ersten Schritt kommt der Wandel in der Beurteilung konfessionsverschiedener Ehen zur Sprache, 1 in einem zweiten w i r d nach dem Verhältnis von Gültigkeit, Erlaubtheit und Sa-

1

Siehe zum geschichtlichen Teil: Peter Neuner, Geeint im Leben - getrennt im Bekenntnis? Die konfessionsverschiedene Ehe: Lehre - Probleme - Chancen. Düsseldorf 1989, 12-34.48-52.54-56; Silvia Hell, Die konfessionsverschiedene Ehe. Vom Problemfall zum verbindenden Modell. Freiburg i. Breisgau 1998,265-325.

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kramentalität, in einem dritten nach dem Sakramentscharakter und in einem vierten nach der theologischen Bedeutung einer kirchlichen Trauung gefragt. Bevor ich die Punkte entfalte, sei noch ein Wort zum Begriff „konfessionsverschiedene/-verbindende Ehe" und zur Standortbestimmung gesagt. Heute ist es allgemein üblich, von konfessionsverbindenden Ehen zu reden.2 Dahinter mag die Überzeugung stehen, daß in der konkret gelebten Ehe das Verbindende stärker ist als das Trennende. Dennoch verwende ich in meinem Beitrag den Begriff „konfessionsverschiedene Ehe" - nicht weil ich die Lebenserfahrungen der betroffenen Ehepaare nicht ernst nehmen will, sondern weil ich auch um deren schmerzvolle Erfahrungen mit dem Noch-immer-Getrenntsein der Kirchen weiß. Der Ausdruck „konfessionsverbindend" könnte allzuleicht über bestehende Schwierigkeiten hinwegtäuschen. Von „Mischehe" ist in meinem Beitrag nur im geschichtlichen Kontext die Rede. Ich vermeide diesen Ausdruck, da er zum einen ungenau ist - als Mischehen wurden sowohl Ehen zwischen zwei konfessionsverschiedenen Christen bezeichnet, als auch solche zwischen Getauften und Ungetauften - , zum anderen geschichtlich vorbelastet ist, vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus, wo rassenverschiedene Ehen als „Mischehen" bezeichnet wurden. 3 Was den Standort meines Beitrags angeht, so ist dies deijenige der römischkatholischen Kirche. Es wäre zwar interessant zu fragen, welche Implikationen eine evangelische Ehelehre enthält und was daraus für die Beurteilung konfessionsverschiedener Ehen folgt, es soll hier aber dennoch ausschließlich die römisch-katholische Perspektive zu Wort kommen - vor allem deshalb, weil der zu Ehrende Ordinarius für römisch-katholisches Kirchenrecht ist. I I . Der Wandel in der Beurteilung konfessionsverschiedener Ehen 1. Rechtlich ungeklärte Verhältnisse Das Konzil von Trient beabsichtigte mit dem Dekret „Tametsi" den Mißständen, die durch klandestine, d. h. nicht amtsbekannte Ehen entstanden waren, ein Ende zu bereiten. Zu diesem Zweck wurde die Formpflicht eingeführt. In Zukunft sollte eine gültige Ehe nur in Gegenwart des Pfarrers und zweier oder dreier Zeugen geschlossen werden. Das Dekret trat nach dreißig Tagen 2 Siehe dazu Beate Beyer / Jörg Beyer, Konfessionsverbindende Ehe. Impulse für Paare und Seelsorger (Topos Taschenbücher Bd. 205). Mainz 1991. Wilhelm Bühler, Katholisch-evangelische Mischehen in der Bundesrepublik nach dem geltenden katholischen und evangelischen Kirchenrecht (Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 11). Heidelberg 1963,62, Fußn. 7.

Konfessionsverschiedene/-verbindende Ehen

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nach der ersten Verkündigung in der betreffenden Pfarrei in Kraft (DS 1816). Diese Forderung ließ sich in den sog. tridentinischen Gebieten durchsetzen. Anders hingegen war die Situation in den reformato rischen Gegenden. Ehen, die in Gebieten geschlossen wurden, in denen „Tametsi" nicht amtlich verkündet worden war, waren auch ohne Einhaltung der kirchlichen Form gültig. In konfessionell gemischten Gebieten war die Lage äußerst kompliziert, wie z.B. in Deutschland und in den Niederlanden. Es gab Dörfer, in denen eine Ehe ohne Einhaltung der Formpflicht gültig geschlossen werden konnte, aber ebenso auch solche, in denen die Einhaltung der Formpflicht Bedingung für das Zustandekommen einer gültigen Ehe war. In den konfessionell gemischten Gebieten herrschte „eine Rechtsunsicherheit, weil es in vielen Fällen von geographischen Zufälligkeiten abhing, ob eine Ehe gültig oder nichtig war" 4 . Mit der Declaratio „Matrimonia" (4.11.1741), der sog. ,ßenedictina", versuchte Papst Benedikt XIV. die etwas verworrenen Verhältnisse, wie sie in Belgien entstanden waren, zu klären. Die rein nichtkatholischen, aber auch die konfessionsverschiedenen Ehen werden von der tridentinischen Formpflicht befreit. Papst Benedikt X I V . kommt zum Schluß, „daß die in den besagten Provinzen Belgiens zwischen Häretikern [sie!] bis heute geschlossenen und künftig zu schließenden Ehen, auch wenn bei denselben die vom Tridentinum vorgeschriebene Form nicht beobachtet wurde oder wird, sofern nur kein anderes kanonisches Hindernis im Wege steht, als gültig anzusehen sind..." 5 . Gleiches gilt auch für die „Mischehe": Wenn eine Ehe zwischen einem Katholiken und Häretiker [sie!] ohne Beachtung der Tridentinischen Vorschrift „schon geschlossen ist, oder künftig, was Gott verhüten möge, geschlossen wird, so erklärt Se. Heiligkeit, daß eine solche Ehe, wenn kein anderes kanonisches Hindernis vorliegt, als gültig zu erachten sei..." 6 . Die nicht nach tridentinischer Form geschlossene konfessionsverschiedene Ehe ist unter bestimmten Voraussetzungen (kein anderes kanonisches Hindernis) gültig. Wollte jedoch ein Katholik eine konfessionsverschiedene Ehe mit Zustimmung der Kirche schließen, mußte er dafür eine bischöfliche Dispens einholen und versprechen, selbst nicht vom katholischen Glauben abzufallen und die Kinder in der katholischen Kirche taufen zu lassen und zu erziehen.

4

Neuner, Leben (Anm. 1), 24.

5

Die Mischehe. Handbuch für die evangelische Seelsorge. Im Auftrag des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes. Wolf gang Sucker f Joachim Lell / Kurt Nitzschke (Hg.). Göttingen 1959, 294. 6

Ebd.

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2. Konfessionelle

Verhärtung

Auch wenn in der ,ßenedictina" die in einem nichttridentinischen Gebiet geschlossene „Mischehe" als gültig anerkannt wird, so wird die negative Einstellung einer solchen Ehe gegenüber ganz deutlich. Aufs tiefste wird beklagt, „daß es unter den Katholiken Leute gibt, welche von unsinniger Liebe schändlich verführt, vor solchen verabscheuungswürdigen Ehen, welche die Mutter, die heilige Kirche, beständig verdammt und untersagt hat, nicht zurückschrecken und nicht glauben, von denselben durchaus sich enthalten zu müssen..."7. Der katholische Teil, so heißt es ausdrücklich, müsse sich nach Kräften darum bemühen, „den anderen vom wahren Glauben abirrenden Eheteil [sie!] in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuziehen und seine Seele zu gewinnen..." 8 . Es geht klar hervor, was von einer solchen Eheschließung zu halten ist. Der katholische Mann oder die katholische Frau müsse für das so schwere Vergehen, das er oder sie begangen habe, Buße tun und Gott um Verzeihung bitten. Der Nichtkatholik gilt schlichtweg als Häretiker und damit als einer, der vom wahren Glauben abgefallen ist. Es herrschte immer noch große Rechtsunsicherheit, da nicht in allen Gegenden klar war, ob „Tametsi" oder die „Benedictina" rechtswirksam war. Die Constitutio „Provida" von Papst Pius X. (18.1.1906) sollte hier Klarheit verschaffen. Tametsi sollte nun im ganzen Deutschen Reich Gültigkeit haben, auch dort, wo es bisher nicht verkündet und damit nicht in Kraft gesetzt worden war. 9 „Gemischte Ehen [matrimonia mixta], die von Katholiken mit Häretikern oder Schismatikern geschlossen werden, sind und bleiben streng verboten, außer wenn ein gerechter und wichtiger kanonischer Grund hinzukommt, wenn von beiden Teilen die gesetzlichen Garantien vollständig und in aller Form gegeben sind, und überdies der katholische Teil die Dispens von dem Hindernis der Religionsverschiedenheit [dispensario super impedimento mixtae religionis] richtig erlangt hat." 10 Wenn ein Katholik eine konfessionsverschiedene Ehe eingehen wollte, war er verpflichtet, Dispens vom Hindernis der Religionsverschiedenheit einzuholen und die Ehe nach tridentinischer Form zu schließen. Diejenigen versündigen sich schwer, so lautet es in „Provida" weiters, „die vor einem nichtkatholischen Religionsdiener [coram ministro acatholico], oder vor der weltlichen Behörde, allein, oder auf eine beliebige andere klandestine Art

7

Ebd.

8

Ebd.

9

Vgl. ebd. 298. Siehe dazu: AAS X X X I X (1906) 81-84.

10

Die Mischehe (Anm. 5), 298 f.

Konfessionsverschiedene/-verbindende Ehen

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sich verehelichen" 11 . Nichtsdestotrotz wird erklärt, daß solche Mischehen, die in Gegenden, wo Tametsi bereits proklamiert worden war, ohne Einhaltung der Formpflicht geschlossen worden sind bzw. werden, dennoch unter bestimmten Voraussetzungen (kein kanonisches Hindernis, keine Nichtigkeitserklärung usw.) gültig sind. Zwischen Erlaubtheit und Gültigkeit wird hier ein Unterschied gemacht, die Gültigkeit nichttridentinisch geschlossener Mischehen bei allem Ressentiment solchen Ehen gegenüber - nicht in Frage gestellt. Eine Verschärfung brachte das Dekret ,JVe temere" (1907/1908): Die tridentinische Formpflicht wurde von nun an auch auf die konfessionsverschiedenen Ehen ausgeweitet. Nicht angetastet wurde durch diese Bestimmung das durch „Provida" eingeführte Reichsdeutsche Sonderrecht", sodaß in Deutschland konfessionsverschiedene Ehen auch noch nach 1907 ohne Beachtung der Formpflicht gültig geschlossen werden konnten. 12 Mit dem Kodex von 1917, der 1918 in Kraft trat, wurde dieses Sonderrecht abgeschafft. Nun war ganz klar, daß für alle Katholiken, ob sie nun eine konfessionskonforme oder -verschiedene Ehe eingehen wollten, die Formpflicht vorgeschrieben war. Konfessionsverschiedenheit wurde als „impedimentum mixtae religionis" (c. 1061 § 1 CIC/1917) verstanden, von dem die Kirche unter bestimmten Voraussetzungen dispensieren könne. Dispensiert wird nach CIC/1917 dann, wenn „1. gerechte und schwerwiegende Gründe darauf drängen; 2. der nichtkatholische Eheteil die Zusicherung gibt, daß für den katholischen Eheteil die Gefahr des Abfalls abgewendet ist, und beide Ehegatten versichern, alle Kinder nur katholisch taufen und erziehen zu lassen; 3. die moralische Gewißheit besteht, daß die Zusicherungen erfüllt werden" (c. 1061 § 1 CIC/1917). „Die Kirche verbietet überall auf das strengste [severissime Ecclesia ubique prohibet], daß zwischen zwei getauften Personen eine Ehe geschlossen wird, von denen die eine katholisch ist, die andere aber einer häretischen oder schismatischen Religionsgemeinschaft (secta) angehört; wenn aber die Gefahr des Abfalls [perversionis periculum] des katholischen Gatten und der Nachkommenschaft besteht, wird die Ehe auch durch göttliches Gesetz selbst verboten" (c. 1060 CIC/1917).

11 12

Ebd. 299.

Vgl. Neuner, Leben (Anm. 1),33. Siehe dazu: AAS X L I (1908) 80 f. u. weitere Stellen.

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3. Beginnende Öffnung und ökumenische Annäherung Das Zweite Vatikanische Konzil hat für den ökumenischen Dialog entscheidende Weichen gestellt, 13 die schließlich zur Neuregelung der Rechtslage konfessionsverschiedener Ehen geführt haben. In diesem Zusammenhang sei auf die Instructio „Matrimonii sacramentum" von 1966 14 und auf das 1970 erlassene Motuproprio „Matrimonia mixta" 1 5 von Papst Paul VI. hingewiesen. Noch immer ist eine gewisse Skepsis gegenüber konfessionsverschiedenen Ehen spürbar. Allerdings ist in Matrimonia mixta " davon die Rede, daß die Kirche „weder in ihrer Lehre noch in ihrer Gesetzgebung" „die konfessionsverschiedene Ehe auf die gleiche Stufe mit der Ehe zwischen Katholiken und Nichtgetauften stellt". 16 Zu beachten ist der Unterschied zwischen „verbietenden" und „trennenden" Ehehindernissen. Konfessionsverschiedenheit gilt als verbietendes, Religions- bzw. Kultusverschiedenheit als trennendes Ehehindernis. Die Ehe zwischen einem Getauften und einem Ungetauften hat kirchenrechtlich nicht den gleichen Stellenwert wie eine Ehe zwischen zwei Getauften unterschiedlicher Konfessionen. Kritisch hinzuzufügen ist, daß mit Patrimonium mixtum" bzw. „mixta religio" lange Zeit bis zum neuen Kodex herauf (1983) unterschiedslos sowohl konfessions- als auch religionsverschiedene Ehen bezeichnet wurden, auch dort, wo man zwischen einem „impedimentum disparitatis cultus" und einem ,impedimentum mixtae religionis" unterschied. Konfessionsverschiedenheit stellt zwar nur ein verbietendes, aber dennoch ein Ehehindernis dar. Von ihm kann der Ortsordinarius nur dispensieren, wenn ein gerechter Grund vorliegt. „Die Eheschließung zwischen zwei Getauften, bei der ein Ehepartner katholisch und der andere nichtkatholisch ist, ist ohne vorhergehende Dispens des Ortsordinarius nicht erlaubt, da eine solche Ehe aus ihrem Wesen heraus ein Hindernis für die volle religiöse Gemeinschaft der Ehegatten darstellt." 17 Der katholische Partner hat seinem Glauben treu zu

13

Hell, Ehe (Anm. 1), 288-297.

14

AAS L V I I I (1966/1) 235-239.

15

„Matrimonia mixta" abgedruckt in: Walter Schöpsdau, Konfessionsverschiedene Ehe. Ein Handbuch. Kommentar und Dokumente zu Seelsorge, Theologie und Recht der Kirchen. Göttingen 1984,158-165. Siehe dazu: AAS 62 (1970) 257-263. Schöpsdau, Ehe (Anm. 15) 159. „Ecclesia aequam non habet rationem, neque in doctrina neque in legibus, matrimonii a coniuge catholico cum non catholico homine baptizato initi, et matrimonii, quo coniunx catholicus sibi iunxit hominem non baptizatum" (AAS 62 [1970] 258). 17

Schöpsdau, Ehe (Anm. 15), 162. „Matrimonium inter duas personas baptizatas, quarum altera sit catholica, altera vero non catholica, cum natura sua plenae spirituali

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bleiben und „darüberhinaus, soweit möglich, dafür zu sorgen, daß seine Kinder getauft und im gleichen Glauben erzogen werden und alle die Hilfen zum ewigen Heil erhalten, die die katholische Kirche ihren Gläubigen anbietet" 18 . Bei erheblichen Schwierigkeiten besteht allerdings die Möglichkeit, Dispens von der Formpflicht einzuholen und damit die Ehe in einer anderen, aber öffentlichen Form (evangelisch oder standesamtlich) zu schließen. Der nichtkatholische Partner muß von den Versprechen, die der katholische Partner abzulegen hat, unterrichtet werden. Zu beachten ist, daß hier von einem aufrichtigen Bemühen die Rede ist: Der katholische Ehepartner hat zu versprechen, „nach Kräften alles zu tun, daß alle seine Kinder in der katholischen Kirche getauft und erzogen werden" 19 . Diese Formulierung unterscheidet sich von derjenigen des CIC/1917, dergemäß beide Ehegatten zu versichern hatten, „alle Kinder nur katholisch taufen und erziehen zu lassen [catholice tantum baptizanda et educanda]" (c. 1061 § 1 CIC/1917). Der im Zweiten Vatikanischen Konzil erfolgte ökumenische Aufbruch machte eine kirchenrechtliche Neuregelung mittels einer revidierten Fassung des Kodex erforderlich. Mischehen (matrimonia mixta), so heißt es nun in CIC/1983, sind ohne ausdrückliche Erlaubnis der zuständigen Autorität (sine expressa auctoritatis competentis licentia) verboten (prohibitum). Eine solche Erlaubnis kann der Ortsordinarius gewähren, wenn erstens ein gerechter Grund vorliegt und zweitens folgende Bedingungen erfüllt sind: „1. der katholische Partner hat sich bereitzuerklären, Gefahren des Glaubensabfalls zu beseitigen, und er hat das aufrichtige Versprechen abzugeben, nach Kräften alles zu tun, daß alle seine Kinder in der katholischen Kirche getauft und erzogen werden [pars catholica declaret se paratam esse pericula a fide deficiendi removere adque sinceram promissionim praestet se omnia pro viribus facturam esse, ut universa proles in Ecclesia catholica baptizetur et educetur]; 2. von diesen Versprechen, die der katholische Partner abgeben muß, ist der andere Partner rechtzeitig zu unterrichten, so daß feststeht, daß er wirklich um das Versprechen und die Verpflichtung des katholischen Partners weiß; 3. beiden Partnern sind die Zwecke und die Wesenseigenschaften der Ehe darzulegen [edoceantur

coniugium communioni obstet, sine praevia Ordinarli loci dispensatione, contrahi non licet" (AAS 62 [1970] 260018

Schöpsdau, Ehe (Anm. 15), 160. „Praeterea in matrimonio mixto pars catholica obligatione tenetur non solum perstandi in fide, sed etiam, quantum fieri potest, curandi, ut proles baptizetur et in eadem fide educetur atque omnia salutis aeternae accipiat subsidia, quae Ecclesia catholica filiis suis suppeditat" (AAS 62 [1970] 259). 19 Schöpsdau, Ehe (Anm. 15), 162. „Eadem insuper gravi obligatione tenetur promissionem sinceram praestandi, se omnia pro viribus facturam esse, ut universa proles in Ecclesia catholica baptizetur et educetur" (AAS 62 [1970] 261).

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de finibus et proprietatibus essentialibus matrimonii], die von keinem der beiden Eheschließenden ausgeschlossen werden dürfen" (c. 1125 CIC/1983). Taufe und Kindererziehung, so wird deutlich, werden nicht bloß als eine Angelegenheit des katholischen Teils betrachtet. Das Gewissen des nichtkatholischen Partners tritt hier voll und ganz in das Blickfeld. Es kann ja durchaus sein, daß beide Partner nach reiflicher Überlegung zum Schluß kommen, daß eine nichtkatholische Taufe und Kindererziehung in ihrer Situation angemessener sind als eine katholische. Versprochen werden muß vom katholischen Teil einzig und allein das aufrichtige Bemühen darum. Der nichtkatholische Partner muß um dieses Versprechen wissen, selbst aber kein Versprechen ablegen. Konfessionsverschiedenheit wird im CIC/1983 nicht mehr als „verbietendes Ehehindernis" bezeichnet. Von kirchenrechtlicher Seite wird kritisch angemerkt, daß auf der einen Seite zwar eine solche Bezeichnung unterbleibt, auf der anderen Seite sich aber sachlich am Tatbestand eines verbietenden Ehehindernisses nichts ändere: „Trotz seines großen Respekts vor den anderen christlichen Konfessionen, sah sich der Gesetzgeber...wegen der Defizite, die der konfessionsverschiedenen Eheschließung anhaften, und damit auch um der Würde der Feier des Ehesakramentes willen dazu veranlaßt, ein Verbot auszusprechen, bei dem es sich der Sache nach um ein verbietendes Ehehindernis handelt." 20 Betroffene konfessionsverschiedene Ehepaare äußern sehr stark den Wunsch, die Regelung bezüglich des Trauverbots neu zu überdenken und eine ihrer Auffassung nach pastoralere Lösung zu finden. I I I . Das Verhältnis von Gültigkeit, Erlaubtheit und Sakramentalität Der kurze geschichtliche Rückblick läßt eine unterschiedliche Regelung bezüglich konfessionsverschiedener Ehen erkennen. Im CIC/1983 haben kirchenrechtliche Bestimmungen (vorläufig?) ihren Abschluß gefunden. Die Frage der Gültigkeit und Erlaubtheit einer konfessionsverschiedenen Ehe wurde, so zeigt der Blick in die Geschichte, nicht immer in derselben Weise beantwortet. Nach CIC/1983 ist die Einhaltung der Formpflicht Bedingung für die Gültigkeit einer Eheschließung (c. 1108 § 1). Ist die Einhaltung der Formpflicht aus berechtigten Gründen nicht möglich, kann um Dispens angesucht werden, sodaß eine standesamtliche oder evangelische Trauung möglich ist.

20

Karl-Heinz Selge, Der Rechtscharakter von Verbot und Erlaubnis bei der Eheschließung konfessionsverschiedener Partner, in: AfkKR 162 (1993) 103-124, hier 120. Siehe dazu auch: Heribert Heinemann, Die konfessionsverschiedene Ehe, in: HdbKathKR 1 ,796-808; Hell, Ehe (Anm. 1), 315, Fußn. 220.

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Die Formpflicht hat im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel durchgemacht. Ursprünglich hatte sie den Zweck, einem Notstand entgegenzuwirken. Weil viele Eheschließungen nicht öffentlich (amtlich) bekannt waren, konnten sie auch leicht wieder gelöst werden. Die Leidtragenden waren vor allem Frauen und Kinder, die von ihren Ehemännern bzw. Vätern sitzengelassen wurden. Die Einführung der Formpflicht diente dazu, rechtlich sichere Verhältnisse zu schaffen und den Wert der Ehe zu schützen. Allerdings konnte früher eine nicht nach tridentinischer Form geschlossene Ehe durchaus als gültige Ehe anerkannt werden, wenngleich sie auch unerlaubt war. 21 Die Lage änderte sich, als die standesamtliche Trauung eingeführt wurde. 22 Wo es eine obligatorische Zivilehe gab, konnte der Sinn der Formpflicht nicht mehr nur darin bestehen, den Öffentlichkeitscharakter der Eheschließung (gegen sog. klandestine Ehen) zu garantieren. Die Formpflicht hat unter veränderten Bedingungen eine andere Funktion angenommen: Sie dient zum einen „zur Abklärung von Ehehindernissen" und „zur Prüfung des Ehewillens", wie es an sich auch in der Zivilehe geschieht, zum anderen der Sorge um die konfessionelle Erziehung der Kinder. 23 Die Formpflicht ist, da Dispens eingeholt werden kann, nicht „absolut", sehr wohl aber „relativ" notwendig. 24 „Relativ" bedeutet, daß die Formpflicht in engem Zusammenhang steht („relativ" ist von „relatio" abgeleitet) mit dem Wesen einer Ehe, die ein in der katholischen Kirche Getaufter schließt, d. h. mit deren Kirchlichkeit und Sakramentalität. So manch Kritiker (z.B. Ladisias M.Orsy, Peter Lengsfeld) fordert eine Entkoppelung von Gültigkeit und kanonischer Formvorschrift: 25 Die Gültigkeit der 21

Unerlaubtheit stellt nicht automatisch die Gültigkeit in Frage. Es sei in diesem Zusammenhang an die derzeit geltende Regelung der römisch-katholischen Kirche erinnert: Wenn ein Katholik eine Ehe mit einem Nichtkatholiken eines orientalischen Ritus schließt, ist die kanonische Eheschließungsform nur zur Erlaubtheit einzuhalten - siehe dazu c. 1127 CIC/1983. 22 Vgl. Peter Lengsfeld, Das Problem Mischehe. Einer Lösung entgegen (Kleine ökumenische Schriften 3). Freiburg i. Breisgau 1970,180. 23 Hell, Die Ehe (Anm. 1), 389 - mit Hinweis auf Franz Böckle, der bereits vor Inkrafttreten des neuen Kodex auf die veränderte Funktion der Formpflicht aufmerksam machte: Das Problem der bekenntnisverschiedenen Ehe in theologischer Sicht, in: Die Mischehe in ökumenischer Sicht. Beiträge zu einem Gespräch mit dem Weltkirchenrat. Mit Beitr. von J. Dupont u. a. (Herder 320). Wien 1968, 83. 24 Zur Unterscheidung siehe Hell, Ehe (Anm. 1), 388. 25

Auf das Verhältnis von politischer und kirchlicher Gesetzgebung, von zivilem Kontrakt und Sakrament geht Johannes Mühlsteiger ausführlich ein: Der erste Versuch zum Abbau der josephinischen Ehegesetzgebung, in: Kirche und Staat in Idee und Geschichte des Abendlandes. FS Ferdinand Maass. Hg. Wilhelm Baum. Wien 1973, 248-

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Ehe sei ihrer Auffassung nach durch jede öffentliche Konsenserklärung, d. h. auch durch den Ziviltrauungsakt, gewährleistet; um aber von „Sakramentalität" sprechen zu können, bedürfe es für den Katholiken der - in unterschiedlicher Form erfolgenden - Mitwirkung der Kirche. 26 Durch die katholische Trauung werde der sakramentale Charakter der Eheschließung, „der bei der standesamtlichen Trauung nicht ausdrücklich zur Geltung kommen konnte, nachträglich in feierlicher Form bewußt gemacht und vor der Gemeindeöffentlichkeit bestätigt" 2 7 . Kritisch anzumerken ist hier, daß es nicht bloß um eine nachträgliche Bewußtmachung und öffentliche Bestätigung geht. Es ist auch nicht möglich, den Ehebund einerseits in einen Ehevertrag und andererseits in ein Ehesakrament aufzuspalten, so als ob das Sakrament womöglich noch nachträglich von der Kirche dem Ehevertrag hinzugefügt werde. 28 Erteilt die römisch-katholische Kirche einem Katholiken Dispens von der kanonischen Formpflicht, dann ist das zumindest eine Minimalhandlung, durch die die römisch-katholische Kirche anzeigt, daß die Ehe zweier Getaufter auf die kirchliche Trauung, d. h. auf den gottesdienstlichen Vollzug, angelegt ist. Dispensiert werden kann also nur von einer bestimmten Form, ,glicht aber von der Zuständigkeit der Kirche bzw. von dem kirchlichen Charakter der Ehe zweier Getaufter" 29 . Beachtet man dies, so ist es m.E. dennoch wichtig, das Verhältnis von Gültigkeit und Sakramentalität neu zu bedenken. Welche Rolle spielt die personale

65. Vgl. dazu auch seine Habilitationsschrift: Der Geist des josephinischen Eherechtes. Eine ideen- und rechtsgeschichtliche Studie. Innsbruck 1967. 26

Die gesetzliche Freistellung nichtkatholischer Christen von der Formpflicht kann auch als eine Form der Mitwirkung der Kirche gelten, wenngleich diese hier nur in einer sehr minimalistischen Weise zum Ausdruck kommt. 27

Lengsfeld, Problem (Anm. 22), 180.

28

Mit der Forderung einer Trennung des bürgerlichen Kontraktes vom sakramentalen würde „eine Realdistinktion" in die Ehe hineingetragen, die nicht im Sinne der Kirche sein kann - Mühlsteiger, Versuch (Anm. 25), 255, vgl. ebd. 259. Die Frage, wie ziviler Konrakt und Sakrament miteinander in Einklang zu bringen seien und wem die Entscheidung über die Gültigkeit des Ehebandes zugesprochen werden müsse, wurde im josephinischen Zeitalter heftig diskutiert (ebd. 256). Vgl. dazu die Enzyklika ,Arcanum divinae sapientiae" (10. Febr. 1880) von Papst Leo XIII.: „...es ist ausgemacht, daß in der christlichen Ehe der Vertrag nicht vom Sakrament getrennt werden kann', und deshalb kann kein wahrer und rechtmäßiger Vertrag bestehen, ohne eben dadurch Sakrament zu sein" (DH 3145). 29 Hell, Ehe (Anm. 1), 391.

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Entscheidung zweier Menschen und damit zugleich die naturrechtliche Bedeutung des öffentlich abgelegten Ehekonsenses in einer bloß standesamtlichen Trauung? 30 Was folgt aus der Identitätsthese, die in c. 1055 § 2 CIC/1983 formuliert ist und die folgendermaßen lautet: „Deshalb kann es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne daß er zugleich Sakrament ist". Es gibt kein Sakrament ohne gültigen Vertrag. Folgt daraus aber auch, daß ein gültiger Vertrag automatisch Sakrament ist? 31 Was ist mit jener Ehe, die von einem aus der römisch-katholischen Kirche ausgetretenen, aber getauften Christen mit einem nichtrömisch-katholischen Christen geschlossen wird? Was mit jener zwischen zwei durch einen formalen Akt aus der römischkatholischen Kirche Ausgetretenen? Getaufte, die durch einen formalen Akt aus der Kirche ausgetreten sind, sind nämlich von der Form Vorschrift befreit

(c. 1117 CIC/1983), sodaß deren standesamtliche Eheschließung nach katholischer Auffassung eine kirchenrechtlich gültige und, da es sich um zwei Getaufte handelt, auch sakramentale Ehe darstellt - mit der Konsequenz, daß gemäß römisch-katholischer Eheauffassung nach einer Scheidung eine Wiederheirat nicht möglich ist. Wir können weiters fragen: Ist die Ehe bei allen Getauften ein Sakrament, „ganz gleichgültig ob es nach dem Verständnis ihrer Glaubensgemeinschaft gar kein Ehesakrament gibt oder ob sie ihren in der Taufe grundgelegten Glauben persönlich gar nicht mit- und nachvollzogen haben"32? Ist die gültig geschlossene Ehe zweier Getaufter immer in der gleichen Weise Sakrament, auch dann, wenn sich die Getauften innerlich vom Glauben der Kirche distanziert haben? Ändert sich etwas bei zunehmender Gleichgültigkeit und Indifferenz? Folgendes ist allerdings zu beachten: Es ändert sich nicht die Gültigkeit des Sakraments. In der Sakramententheologie wird dieser Sachverhalt mit 'ex opere operato' umschrieben, d. h. auf die christliche Ehe bezogen: Die beiden Getauften sind unverlierbar in die Gemeinschaft mit Christus hineingenommen und haben damit an der sakramentalen Wirklichkeit der Ehe teil (objektiver Aspekt). Was sich ändert, ist der persönliche (Mit- und Nach)Vollzug des Sakraments (subjektiver Aspekt), der bei einem ungläubig gewordenen, aber getauften Christen anders aussieht als bei einem gläubigen. Oder anders formuliert: Die Gültigkeit des Sakraments impliziert nicht notwendig dessen Frucht-

30

Vgl. dazu: Böckle, Problem (Anm. 23), 83 f.

31

Vgl. dazu auch Sabine Demel, Kirchliche Trauung - unerläßliche Pflicht für die Ehe des katholischen Christen? Stuttgart 1993, 208: Demel fragt an, ob es zwischen zwei getauften Christen einen gültigen Ehevertrag geben kann, ohne gleichzeitig Sakrament zu sein. 32 Ebd. 200.

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barkeit. Ist der Glaube bzw. die Glaubensbereitschaft nicht vorhanden, kann das Sakrament nicht fruchtbar werden. Zwischen Gültigkeit und Fruchtbarkeit eines Sakraments ist deutlich zu unterscheiden. Auch wenn der lebendige Glaube die Ehe zwar nicht zum Sakrament macht, so muß doch festgehalten werden, daß der Glaube 'causa dispositiva' für die fruchtbare Wirksamkeit des Sakraments ist. Wenigstens ein „Mindestmaß an Glaubensbereitschaft" 33 ist für den Empfang des Ehesakraments erforderlich. Das hat zur Folge, daß ein Ungläubiger das Sakrament nicht empfangen kann. „Der personale Glaube begründet an sich nicht das Sakrament der Ehe, aber das Fehlen jeglichen personalen Glaubens würde das Sakrament ungültig machen." 34 Was ist unter einem „Mindestmaß an Glaubensbereitschaft" zu verstehen? Erforderlich ist bei den Spendern die Intention, das zu tun, was die Kirche tut [saltem faciendi quod facit Ecclesia], so hat es bereits im Konzil von Trient geheißen (c. 11, DH 1611), 35 und bei den Empfängern eine wenigstens minimale Intention, das Sakrament empfangen zu wollen. Auf die Ehe bezogen: Mann und Frau, die sich gegenseitig durch die Erklärung ihres Ehewillens (Konsens) das Sakrament spenden und dadurch Spender und zugleich Empfänger sind, dürfen die Wesenseigenschaften der Ehe (Einheit, Unauflöslichkeit, Fruchtbarkeit) nicht in Frage stellen. Ihr Tun darf nicht im Widerspruch zum Glauben der Kirche 36 stehen. Vorausgesetzt ist, daß „die Intention, das Ehesakrament zu empfangen", beim Ehewillen eingeschlossen ist, „solange dies nicht ausdrücklich verneint wird". 3 7 Das Fehlen jeglicher Bereitschaft dazu stellt die für die Sakramentenspendung und für den Sakramentenempfang notwendige Intention in Frage. Zu klären wäre, ob das Sakrament allein aufgrund des Getauftseins der Partner zustandekommt bzw. ob nicht auch eine minimale Intention, die Ehe als Christen einzugehen, dazugehört.

33 Josef Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis. Orientierungshilfe für die Ehevorbereitung und Beratung in Krisenfällen. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage mit Hinweisen auf die Rechtsordnungen der Ostkirchen. Bozen 1991, 27.

Prader, ebd. 35

Die Kanon-Angabe von Prader, Eherecht (Anm. 33), 27, stimmt nicht: Es handelt sich nicht um den c. 14 des Konzils von Trient (Sess. VII, Deer, de Sacr.), sondern um den c. 11. 36

V g l . / W e r , ebd. 27.

37

Walter Kasper, Zur Theologie der christlichen Ehe. Mainz 1977, 93; vgl. Theodor Schneider, Zeichen der Nähe Gottes. Grundriß der Sakramententheologie. Durchgängig überarbeitet u. ergänzt zus. mit D. Sattler. Mainz 7 1998, 294.

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Wie ist es nun bei einer Ehe, die zwei, durch einen formalen Akt aus der Kirche ausgetretene Christen schließen? Hier liegt m.E. ein noch nicht genügend reflektiertes Problem vor. Geklärt werden müßte in diesem Sonderfall, wie deren Teilhabe an der Sakramentalität der Ehe aussieht, wenn doch nach katholischer Auffassung eine gültige Ehe zweier Getaufter (die Taufe wird durch den Kirchenaustritt nicht ungültig!) ein Sakrament darstellt. Gibt es so etwas wie eine gestufte Sakramentalität? „Gestuft" deshalb, weil die aus der Kirche Ausgetretenen zwar nicht mehr der Formpflicht unterliegen, aber aufgrund ihrer Taufe auf die eigentliche Bestimmung ihrer Ehe, nämlich Abbild des Bundes Christi zu sein, hingeordnet bleiben. Ihr außerhalb der Kirche geschlossener Bund ist gültig und verliert die in der Taufe grundgelegte Ausrichtung nicht, auch wenn den Betroffenen überhaupt nichts daran liegt. Was leistet nun die Formpflicht, zu der jeder Katholik verpflichtet ist? Wodurch kommt eine sakramentale Ehe überhaupt zustande? Die römisch-katholische Kirche lehrt, daß die Ehe allein durch den gültigen Konsens der Eheschließenden zustandekommt und daß das sakramentale Zeichen in der gegenseitigen Übergabe und Annahme besteht (c. 1057 § 2 CIC/1983): 38 „Die Ehe kommt durch den Konsens der Partner zustande, der zwischen rechtlich dazu befähigten Personen in rechtmäßiger Weise kundgetan wird; der Konsens kann durch keine menschliche Macht ersetzt werden" (c. 1057 § 1 CIC/1983). „Consensus facit nuptias", so kann die ehekonstituierende Bedeutung des Ehekonsenses umschrieben werden. Die zu diskutierende Frage ist, ob allein die Tatsache, daß es sich um einen öffentlich abgelegten Ehekonsens handelt, Garant für die Gültigkeit einer Eheschließung sein kann bzw. ob für die Sakramentalität einer gültig zustandegekommenen Ehe nicht noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Wiese besteht für den nicht aus der römisch-katholischen Kirche ausgetretenen, getauften Christen die Formpflicht? Was verdeutlicht diese? Welche Rolle hat die gottesdienstliche Handlung, zu der der Katholik bei nicht eingeholter Dispens von der Formpflicht verpflichtet ist? Für einen Katholiken ergibt sich aus einer Ehe, die er als Getaufter schließt, eine wesentliche Verbindung zur Kirche - selbst dann, wenn er bei vorher eingeholter Dispens vom Hindernis der Religions(Kultus- ) Verschiedenheit einen Ungetauften heiratet und diese Ehe (die Ehe zwischen einem Getauften und einem Ungetauften) nach katholischer Auffassung kein Sakrament darstellt. Daß auch sie kirchlich bedeutsam ist, zeigt sich zum einen in der Dispens-Vorschrift (Einholung der Dispens vom Hindernis der Religi-

38

Vgl. ebd. 25 - mit Hinweis auf Theologen (wie z.B. Melchior Cano), die der Meinung waren, daß für das Zustandekommen des Sakraments der Segen des Priesters erforderlich ist.

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ons- bzw. Kultusverschiedenheit), zum anderen in der Verpflichtung des katholischen Teils zur kirchlichen Eheschließungsform und in dem gottesdienstlichen Ritus, den die katholische Kirche dafür empfiehlt 39 . Die Ehe zweier Getaufter hingegen ist nach katholischer Auffassung Sakrament. Als Sakrament ist die Ehe, auch die von zwei konfessionsverschiedenen Christen, ein kirchlicher Wesensvollzug - ein Realsymbol für das Verhältnis Jesu Christi zu seiner Kirche, das in der Gemeinschaft von Mann und Frau Wirklichkeit wird. Was ist nun nach katholischer Auffassung die Rolle des Liturgen (Priesters, Diakons oder des für die Trauungsliturgie beauftragen Laien)? Seine Rolle wird mit „Eheassistenz" umschrieben. Das heißt, daß die Rolle des Liturgen nach römisch-katholischer Auffassung (anders verhält es sich nach orthodoxem Verständnis) nicht konstitutiv ist für das Zustandekommen einer gültigen und damit sakramentalen Ehe. Dies ist, wie wir vorhin gesehen haben, der wechselseitig ausgetauschte Konsens der beiden Partner. Der Liturge erfragt die Bereitschaft zur christlichen Ehe und nimmt die Konsenserklärung entgegen.40 In der Geschichte der römisch-katholischen Ehelehre war allerdings - trotz Tridentinum - nicht immer ganz klar, ob allein der Konsens der Eheleute oder auch „die kirchliche Mitwirkung" des Liturgen „die Ehe begründet". 41 Es könnte in diesem Zusammenhang gefragt werden, ob die Rolle des Liturgen nicht neu reflektiert werden müßte: Was heißt ,Assistenz" im theologischen Sinn? Tragen der Liturge wie auch die gottesdienstlich versammelte Gemeinde nicht wesentlich zur sakramentalen Vollgestalt der Ehe bei? Der assisitierende Liturge spendet zwar nicht das Sakrament (das tun die Eheleute mit ihrem wechselseitigen Austausch des Konsenses), „aber seine aktive Gegenwart ist eine von der Kirche gewöhnlich geforderte Bedingung, damit der Austausch des gegenseitigen Jaworts sakramentalen Charakter erhält" 42 . Wäre es nicht sinnvoll, nur dann von einem Sakrament im eigentlichen Sinn zu sprechen, wenn die Ehe explizit oder zumindest implizit (d. h. nach eingeholter Dispens, wobei die Erteilung der Dispens eine Minimalhandlung der Kirche darstellt) unter Mitwirkung der Kirche geschlossen wird? 43 Es wäre zu diskutieren, in welchem 39

Vgl. Die Feier der Trauung in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes. Hg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der (Erz-)Bischöfe von Bozen-Brixen, Lüttich, Luxemburg und Straßburg. Freiburg i. Breisgau 1993: Die Trauung eines Katholiken mit einem nichtgetauften Partner, der an Gott glaubt (79-96, Nr. 1 ^ 4 ) . 40 Siehe dazu: ebd. 36-38 (Nr. 11-15). Schöpsdau, Ehe (Anm. 15), 15. 42 43

Schöpsdau, ebd. 16.

Hier sei wiederum auf die Frage nach der Bedeutung einer Ehe zweier aus der Kirche ausgetretener, getaufter Christen hingewiesen.

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Verhältnis Gültigkeit und Sakramentalität zueinander stehen bzw. ob nicht von einer „gestuften Sakramentalität" ausgegangen werden sollte. Es gibt Vorschläge, die die Entstehung des Ehesakraments ganz im letzteren Sinn beschreiben im Sinne einer „fließenden Sakramentalität" 44: Von diesem Gedanken aus könnte „eine standesamtlich geschlossene Ehe als gültig anerkannt werden, ohne daß ein späterer Konsensaustausch in einer liturgischen Feier funktionslos würde" 45 . Die Kirchenrechtlerin Sabine Demel kritisiert, daß die theologischen Aspekte einer kirchlichen Trauung zu wenig herausgearbeitet und dargelegt wurden, was früher oder später dazu führte, „daß die kirchliche Trauung allmählich nur noch als ein 'weihevolles KonkurrenzrituaU zur Ziviltrauung empfunden wurde, sozusagen 'als religiöse Umrahmung des juridischen Aktes', auf den schließlich alles ankommt: den förmlichen Konsensaustausch"46. Wenn die kirchliche Trauung keine Dublette zur zivilen Trauung darstellt, muß tatsächlich stärker nach der theologischen Bedeutung der kirchlichen Trauung gefragt werden. Wir werden uns zunächst mit dem Gedanken einer ,/ließenden Sakramentalität" und dann mit der theologischen Bedeutung einer kirchlichen Trauung beschäftigen. I V . Sakramentalität im Prozeß? Die Vorstellung einer ,/ließenden Sakramentalität" bzw. „gestuften Sakramentalität" entspringt einem prozeßhaft-dynamischen Sakramentsverständnis. Eine standesamtlich geschlossene Ehe könnte nach dieser Auffassung durchaus als erste Stufe innerhalb eines Prozesses als gültig anerkannt werden, ohne dadurch einen späteren Konsensaustausch in einer liturgischen Feier überflüssig zu machen.47 In einer kirchlichen Trauung wird das Versprechen von Mann und Frau vor Gott und vor der Gemeinschaft der Kirche „bekundet und rechtswirksam gemacht" 48 . Zur Vollgestalt einer sakramentalen Ehe gehört die kirchliche Trauung. Wo Dispens von der Formpflicht erteilt wird, ist die Vollgestalt

Franz-Josef Nocke, Ehe, in: Handbuch der Dogmatik 2. Düsseldorf 2 1995, 362376,375 mit Hinweis auf den Liturgiewissenschaftler Alois Müller. 44

45

Nocke, ebd. 375.

4

Demel, Trauung (Anm. 31), 209, zitiert hier Urs Baumann, Die Ehe - ein Sakrament? Zürich 1988,136. 47

Vgl .Nocke, Ehe (Anm. 42), 375.

Nocke, ebd. - mit Hinweis auf die Pastorale Einführung zur Ordnung „Die Feier der Trauung" (1975). 6 FS Mühlsteiger

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zwar nicht gegeben, da die Dispens bloß eine Minimalhandlung der Kirche darstellt, die Sakramentalität der Ehe ist dadurch aber nicht aufgehoben. Schwieriger zu deuten ist, wie wir bereits vorhin gesehen haben, die Lage zweier Christen, die aus der Kirche ausgetreten sind und die nach römischkatholischer Auffassung eine standesamtlich gültige und damit zugleich sakramentale Ehe schließen. Die römisch-katholische Kirche bezeichnet auch deren Ehe als Sakrament, weil sie sich bewußt ist, daß es sich um zwei Menschen handelt, bei denen die Taufe niemals, auch nicht durch einen Kirchenaustritt, an Bedeutung verliert. Die Partner sind bleibend auf den Gottesdienst ausgerichtet, auch wenn sie sich von diesem innerlich und äußerlich entfernt haben. Die Teilhabe an der Sakramentalität der Ehe sieht in ihrem Fall zwar anders aus, hat aber nicht weniger mit dem jedem menschlichen Tun vorauseilenden göttlichen Gnadenhandeln zu tun. Geht man davon aus, daß jedes Sakrament eine katabatische und eine anabatische Dimension besitzt, liegt hier der Unterschied nicht auf der Seite Gottes (katabatische Dimension), sondern auf deijenigen des Menschen (anabatische Dimension). Der in der Taufe besiegelte Ruf Gottes bleibt, auch wenn sich der Mensch von der Kirche verabschiedet hat. Gleiches gilt auch für die Ehe zweier aus der Kirche Augetretenen. Es ist sinnvoll, den Unterschied auf der Ebene der Gestalt des Sakraments zu suchen und sich damit Hand in Hand gehend die Theorie einer abgestuften Mitwirkung der Kirche in Erinnerung zu rufen. 49 Bei einer kirchlichen Trauung ist die katholische Kirche anders tätig als bei der Gewährung der Dispens bzw. bei der gesetzlichen Freistellung nichtkatholischer bzw. durch einen formalen Akt aus der Kirche ausgetretener Christen von der katholischen Eheschließungsform. In den beiden zuletzt genannten Fällen mag es sich zwar um ein Sakrament handeln, die Gestalt der Sakramentalität sieht aber anders aus als bei zwei Getauften, die kirchlich heiraten. Die standesamtliche Trauung ist bloß ein erster Schritt innerhalb des gesamten Prozesses. Den Höhepunkt findet der Prozeß in der kirchlichen Trauung. Von einer Vollgestalt der Sakramentalität der Ehe können wir reden, wo der Bezug zum kirchlichen Vollzug gegeben ist. Was ist nun aber mit anderskonfessionellen Christen, die nicht an die Formpflicht gebunden sind und damit standesamtlich eine gültige und - nach katholischer Auffassung - zugleich sakramentale Ehe schließen, ohne selbst die Ehe als Sakrament zu verstehen? Aus römisch-katholischer Sicht sind sie zwar nicht an die Rechtsvorschriften der römisch-katholischen Kirche gebunden, es wäre aber dennoch überlegenswert, ob nicht auch in ihrem Fall zur Anerkennung der Vollgestalt der Sakramentalität ihrer Ehe eine kirchliche Trauung notwendig wäre. In einer bloß standesamtlichen Trauung kann die eigentliche Bedeutung der Ehe zweier Getaufter nicht eingeholt werden. Aber auch hier 49

Vgl. Schöpsdau y Ehe (Anm. 15), 16.

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gilt: Der in der Taufe besiegelte und an den Mann und die Frau ergangene Ruf Gottes wird durch eine bloß standesamtliche Trauung nicht aufgehoben, wohl aber eher verdunkelt als erhellt. Das mag der Grund sein, warum auch die evangelischen Kirchen eine kirchliche Trauung empfehlen. Diese ist wichtig, weil mit einer bloß standesamtlichen Eheschließung der theologische Sinn einer christlichen Ehe noch nicht erschlossen ist. 50 Zu beachten ist allerdings, daß die verschiedenen Konfessionen mit „kirchlicher Trauung" nicht das Gleiche meinen: Für den evangelischen Christen sind die Traufragen des Liturgen „Bekenntnisfragen" und keine „öffentlich-rechtlichen Konsensfragen" 51, für den katholischen Christen sind sie das sehr wohl. V. Theologische Bedeutung einer kirchlichen Trauung Zur Vollgestalt einer sakramentalen Ehe gehört die kirchliche Trauung. Beachtet man den Unterschied in der Beurteilung der Traufragen des Liturgen, so kann dennoch festgehalten werden: Der gottesdienstliche Vollzug der Trauung entspricht im Verständnis sowohl der römisch-katholischen als auch der evangelischen Kirche am besten dem Wesen einer christlichen Ehe. Was geschieht nun in einer katholischen bzw. evangelischen Trauung? Um diese Frage zu beantworten, analysieren wir die jüngst vom Pastoralamt der Erzdiözese Wien zusammen mit dem Evangelischen Presseverband herausgegebene Handreichung für die Trauung katholisch-evangelischer Paare unter Mitwirkung der Bevollmächtigten beider Kirchen. 52 Es handelt sich dabei um eine ökumenisch gestaltete Trauung, nicht aber um eine „ökumenische Trauung", wie fälschlicherweise immer wieder gesagt wird. Sieht man von der kon-

50

Vgl. Hell, Ehe (Anm. 1), 256.

1

Schöpsdau, Ehe (Anm. 15), 29; vgl. Gabriele Lachner, Die Kirchen und die Wiederheirat Geschiedener (Münchener Universitätsschriften. Beiträge zur ökumenischen Theologie 21). H. Döring (Hg.). Paderborn 1991, 125; Hell, Ehe (Anm. 1), 255, Fußn. 40. 52

Die Trauung katholisch-evangelischer Paare unter Mitwirkung der Bevollmächtigten beider Kirchen. Wien oJ. Der Text, so sei gleich kritisch angemerkt, ist leider fehlerhaft (z.B. beim Teil „Katholische Trauung" Nr. 11; Nr. 14, Form B). Im folgenden ist einfachheitshalber stets von „katholischer" bzw. „evangelischer Trauung" die Rede. Vgl. weiters auch die jeweiligen Trauungsliturgien: auf evangelischer Seite - Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden. Band III. Die Amtshandlungen. Teil 2: Die Trauung. Hg. von der Kirchenleitung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands. Neu bearb. vom Liturg. Ausschuß der Vereinigten Evang.-Luth. Kirche Deutschlands (VELKD). Hannover 1988; auf katholischer Seite Die Feier der Trauung (Anm. 38).

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fessionell verschiedenen Beurteilung der kirchlichen Trauung ab, die auch bei der ökumenisch gestalteten Trauung nicht außer Kraft gesetzt wird (es geht jeweils um eine katholische bzw. evangelische Trauung, bei der der anderskonfessionelle Liturge mitwirkt), so bleibt dennoch eine gemeinsame Grundeinsicht: Mann und Frau haben das Gelingen ihrer Ehe nicht in eigener Hand. Sie bedürfen der göttlichen Hilfe (des Segens Gottes) und des Beistands der Kirche, wie er sich im konkreten gottesdienstlichen Vollzug äußert: in der Anwesenheit des Liturgen und der versammelten Gemeinde. Beide Liturgien enthalten Segenselemente (Anamnese, Epiklese, Doxologie, Prosphora, Präsenz und Koinonia), die in ihrer Bezogenheit aufeinander die Sinngestalt einer Segenshandlung ergeben. 53 Wenn die Beobachtung stimmt, daß die in beiden Liturgien vorkommenden Elemente Segenselemente sind und die gottesdienstliche Feier eine Segenshandlung darstellt, dann müssen wir uns fragen, was die kirchliche Trauung jeweils theologisch bedeutet. Wir wenden uns nun den beiden in der Handreichung beschriebenen Trauungsliturgien zu. V I . Katholische Trauung unter Mitwirkung eines evangelischen Liturgen Erstens: Bei der Einführung in die Liturgie verdeutlicht der katholische Liturge, daß die Brautleute hierher gekommen sind, um ihren Lebensweg gemeinsam mit Gottes Hilfe zu beginnen. Die ganze versammelte Festgemeinde will mit ihnen Gott loben, sein Wort hören und seinen Segen für sie erbitten. Gleich zu Beginn wird das Gemeinsame und Verbindende in Erinnerung gerufen: „Sie wollen Ihren gemeinsamen Lebensweg mit Gottes Hilfe beginnen. Deshalb sind Sie zur Feier der Hochzeit in die Kirche gekommen. Wir alle, Verwandte, Freunde, Bekannte, die ganze Festgemeinde, wollen mit Ihnen Gott loben, sein Wort hören und seinen Segen für Sie erbitten" (Nr. 4). Ganz in diesem Sinn wird im Kyrie der gemeinsame Herr, Jesus Christus, angerufen. Zweitens: Im Hören auf das Wort Gottes erinnern sich die Brautleute des göttlichen Heilshandelns (Anamnese). Zu diesem Zweck soll der Wortgottesdienst wenigstens eine biblische Lesung beinhalten. Drittens: Den Brautleuten wird zugesagt, daß sie nicht allein sind und sie auf die Gegenwart Gottes vertrauen dürfen (Präsenz und Koinonia): „Sie sind in dieser entscheidenden Stunde Ihres Lebens nicht allein. Sie sind umgeben von Menschen, die Ihnen nahestehen. Sie dürfen die Gewißheit haben, daß Sie mit dieser (unserer) Gemeinde und mit allen Christen in der Gemeinschaft der Kirche verbunden sind. Zugleich sollen Sie wissen: Gott ist bei Ihnen" (Nr. 9).

53

Genaueres dazu: Hell, Ehe (Anm. 1), 440-^47.453-467.

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In dem bewußten und freiwilligen Ja zueinander und in der Bereitschaft zu Kindern manifestiert sich das Ja Gottes. Die gesegneten Ringe sind ein Symbol für die bleibende Treue, die die Brautleute in der Erklärung ihres Ehewillens zum Ausdruck bringen: „Segne diese Ringe, segne diese Brautleute, die sie als Zeichen ihrer Liebe und Treue tragen werden. Laß in ihrer Gemeinschaft deine verborgene Gegenwart unter uns Sichtbarwerden..." (Nr. 11). Viertens: Im feierlichen Trauungssegen bündeln sich doxologische, anamnetische und epikletische Elemente, die auch in der restlichen Trauungsliturgie zu finden sind (z.B. epikletische in den Fürbitten, doxologische im Schlußgebet und im Danklied). Gott wird gepriesen, weil er alles ins Dasein gerufen, den Menschen als Mann und Frau erschaffen und ihre Gemeinschaft gesegnet hat (erster Teil der Doxologie), weil er sich als treuer Gott erwiesen hat, der seinem Volk trotz seiner Untreue die Treue nicht aufkündigt und der schließlich die Ehe zum Abbild seines Bundes erhoben hat (zweiter Teil der Doxologie). Die Doxologie rührt von einer heilsgeschichtlichen Anamnese her und mündet in eine umfangreiche Epiklese ein: „So bitten wir dich, menschenfreundlicher Gott, schau gütig auf N. und N., die vor dir knien (stehen) und deinen Segen erhoffen. Dein Heiliger Geist schenke ihnen Einheit und heilige den Bund ihres Lebens. Er bewahre ihre Liebe in aller Bedrohung; er lasse sie wachsen und reifen und einander fördern in allem Guten. Hilf ihnen, eine christliche Ehe zu führen und Verantwortung in der Welt zu übernehmen; verleihe ihnen Offenheit für andere Menschen und die Bereitschaft, fremde Not zu lindern. (Schenke ihnen das Glück, Vater und Mutter zu werden, und hilf ihnen, ihre Kinder christlich zu erziehen.) Gewähre ihnen Gesundheit und Lebensfreude bis ins hohe Alter, schenke ihnen Kraft und Zuversicht in Not und in Krankheit. Am Ende ihres Lebens führe sie in die Gemeinschaft der Heiligen, zu dem Fest ohne Ende, das du denen bereitest, die dich lieben..." (Nr. 14, Form B). V I L Evangelische Trauung unter Mitwirkung eines katholischen Liturgen Erstens: Bei der Eröffnung spricht der evangelische Liturge folgende Begrüßung: „Wir sind hier zusammengekommen, um bei dieser Trauung Gott zu loben und zu danken, sein Wort zu hören, für euch [Kleinschreibung i. Text] zu beten und euch zu segnen" (Nr. 3). Auch hier wird das Gemeinsame in Erinnerung gerufen: „Ich freue mich, daß ihr euch gewünscht habt, daß der Pfarrer / Priester / Diakon der katholischen Kirche N.N. an diesem Gottesdienst mitwirkt. So soll deutlich werden, daß auch zwischen unseren christlichen Kirchen das, was uns verbindet, viel wichtiger ist als das, was uns trennt..."(Nr. 3). Zweitens: Das Eingangsvotum, das der evangelische Liturge spricht, das Psalmgebet und die Schriftlesung verdeutlichen, daß das hierher gekommene

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Ehepaar (in der evangelischen Trauung werden Mann und Frau als Ehepaar und bezeichnenderweise nicht als Brautpaar angesprochen) bereit ist, ihre Ehe unter das Wort Gottes zu stellen (Anamnese). Drittens: Die Traufragen werden mit einem zweifachen Hinweis eingeleitet. Mann und Frau werden erinnert, erstens daß die Ehe eine gute und gnädige Gabe Gottes ist und zweitens daß Gott ihre Ehe schützen und segnen w i l l . Die Traufragen, die Bekenntnisfragen sind, gehen von der bleibenden und aktuellen Gegenwart Gottes aus. Das Ehepaar soll sich zu diesem gegenwärtigen Gott bekennen und versprechen, die Ehe mit Gottes Hilfe nach seinem Gebot und seiner Verheißung zu führen. A u c h hier werden Ringe ausgetauscht als Bestätigung und Zeichen der Liebe und Treue. Viertens: Die Segnung des Ehepaars erfolgt i m Anschluß an Ringwechsel und Bestätigung der Verbindung. A u f eine knappe Anamnese, in der daran erinnert w i r d , daß Gott den Menschen erschaffen hat als Mann und Frau, die einander beistehen und ergänzen sollen, folgt die Bitte an den trinitaren Gott um Beistand. Verglichen mit der katholischen Trauung i m ersten Teil der Handreichung ist der über Mann und Frau gesprochene Segensteil äußerst knapp gehalten. Die Liturgen beider Kirchen können bereits zum Gebet oder erst bei der abschließenden Segensformel ihre Hände über das Paar ausstrecken ( N r . 16). Eine solche Aufforderung unterbleibt gemäß Handreichung bei der katholischen Trauung, bei der nur der Liturge, der den feierlichen Trauungssegen spricht, die Hände ausbreitet (vgl. N r . 14, Anweisung in Form B). A n schließend folgt der Sendungsteil mit Dank- und Fürbittgebet.

V I I I . Sinn einer kirchlichen Trauung? Es ist oben schon darauf hingewiesen worden, daß die kirchliche Trauung in der evangelischen Kirche nicht den gleichen Stellenwert hat wie in der katholischen. Es ist ein Unterschied, ob die Traufragen als Bekenntnisfragen bzw. als öffentlich-rechtliche Konsensfragen verstanden werden. Gemeinsam ist jedoch beiden Trauungsliturgien eine Segensstruktur. Mann und Frau (in einem Fall als Brautleute, i m anderen Fall als Ehepaar angesprochen) stellen sich bewußt unter das Wort Gottes - i m Wissen um seine Gegenwart - und bitten um seinen Segen. A u c h wenn der über Mann und Frau gesprochene Segen in der vorliegenden Handreichung einen unterschiedlichen Umfang aufweist, so ist doch deutlich, daß in beiden Kirchen der Segen die ganze Trauungsliturgie umfaßt und letztlich, auch wenn dies bei der katholischen Trauung in der Handreichung nicht so deutlich w i r d (da der Segen entweder v o m katholischen oder evangelischen Liturgen gesprochen w i r d - ohne ausdrückliche Aufforderung, gemeinsam die Hände über das Paar auszustrecken), beide Kirchen angeht.

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Was bewirkt nun der Segen? Die Segenshandlung stellt die realsymbolische Vergegenwärtigung dessen dar, was die Ehe zweier Getaufter ausmacht. Es stimmt zwar, daß nach katholischer Auffassung die Ehe, vorausgesetzt es wurde Dispens von der Formpflicht erteilt, auch außerhalb der kirchlichen Trauung gültig Zustandekommen kann. Dennoch ist zu beachten, daß der kirchlichen Segenshandlung weder der Status einer Dublette zu einer standesamtlichen Eheschließung noch eine nur ausschmückende Bedeutung zukommt. Die kirchliche Segenshandlung verdeutlicht nicht bloß den Sinn einer Eheschließung zwischen zwei Getauften, sondern schafft den Raum für personale Begegnung zwischen Gott und Mann und Frau. Die Segenshandlung ist die Vergegenwärtigung des göttlichen Heilsgeschehens in Christus. Daß Mann und Frau, die sich gegenseitig das Ehesakrament spenden, eine kirchliche Trauungsliturgie w o l len, zeigt, daß sie sich in ihrer Hingabe aneinander (Konsenserklärung) bewußt in die ihnen zuvorkommende göttliche Hingabe hineinnehmen lassen. Sie zeigen damit, daß sie zum „ R a u m " werden wollen für das in Christus Fleisch und Blut gewordene Heilshandeln Gottes. In der Segenshandlung w i r d dieser V o r gang realsymbolisch vergegenwärtigt - i m gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes, i m Bitten, Danken und Gott-Loben, i m Wissen um seine bleibende und wirksame Gegenwart. Gefeiert w i r d , daß die Gemeinschaft von Mann und Frau eine Gemeinschaft „ i n Christus" ist. Die Schöpfungswirklichkeit Ehe hat durch die Tatsache, daß es sich um zwei Getaufte handelt, eine heilsgeschichtliche katholisch formuliert: sakramentale - Dimension erhalten. Die kirchliche Trauung als Segenshandlung der Kirche ist „eine bewußte und willentliche Feier des Ehesakraments" 5 4 . Offenbar w i r d dadurch, daß Christus der Ehe eine neue Würde verliehen hat und Mann und Frau daraus leben dürfen. Durch die Segenshandlung w i r d die Schöpfungswirklichkeit Ehe ausdrücklich (in Form einer Feier) in den bereits in der Taufe eröffneten Lebens- und Wirkbereich Jesu Christi gestellt und damit als eine communio in Christus gefeiert. Die Segenshandlung stellt dar und vertieft, w o z u die communio, die Mann und Frau als getaufte Christen eingehen, berufen ist. Die Frage, ob die Traufragen des Liturgen bloße Bekenntnisfragen (evangelische Sicht) oder aber öffentlichrechtliche Konsensfragen (katholische Sicht) sind, geht am Wesen einer kirchlichen Segenshandlung vorbei: Die kirchliche Trauhandlung verdeutlicht nicht bloß etwas i m Sinne eines nachgeordneten Bekenntnisses, sondern i m Bekennen geschieht etwas. Indem Mann und Frau als getaufte Christen ihr JaZueinander unter das Wort Gottes stellen, bekommt ihr Ja eine eindeutige Ausrichtung. In der Segenshandlung w i r d realsymbolisch vergegenwärtigt, wozu

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Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe. Hg. vom Päpstlichen Rat für die Familie. KathPress (Sonderpublikation) 3 (1996) 1-34, hier 13.

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die Ehe zweier Getaufter berufen ist. I m Bekennen ereignet sich Wirklichkeit, die nicht v o m Menschen gemacht, sondern von Gott geschenkt w i r d . Vielleicht ließen sich durch diese Überlegungen so manch konfessionelle Engführungen in der Ehetheologie überwinden. Konfessionsverschiedene Paare könnten mit Hilfe der Trauungsliturgien beider Kirchen ihre Gemeinschaft wieder bewußter als Gemeinschaft in Christus erfahren. Die wechselseitige Anerkennung der Taufe stellt hierfür eine wichtige Voraussetzung dar.

II. Kirchliche Rechtsgeschichte

Diego de Covarrubias y Leyva (1512 - 1577) Einblicke in Werk und Anliegen eines Kanonisten des 16. Jahrhunderts Von Norbert Brieskorn SJ I . Leben und Werk 1 1. Diego (Didacus) de Covarruvias y Leyva, Sohn eines zu seiner Zeit berühmten Architekten, wurde am 25. Juni 2 1512 in Toledo geboren, deswegen auch der Toletanus genannt. Er studierte in Salamanca das kanonische und das römische Recht und lernte unter anderem bei „Navarrus", Martin de Azpilcueta (1493 - 1586), einem zu seiner Zeit bereits höchst beachteten Kanonisten und Moralphilosophen. 3 Es ist nicht auszuschließen, dass der Student Didacus noch Francisco de Vitoria (1483 - 1546) kennengelernt hat. 1538 trat Covarrubias in das Collegio Mayor von Oviedo ein 4 , machte das Lizentiat und wurde 1538/39 mit 26 Jahren zum Doktor des kanonischen Rechts ernannt. Von 1543 an dozierte er als Professor des kanonischen Rechts in Salamanca, sprach als Richter Recht in Burgos und rückte 1548 als Rat in das Obergericht von Granada5 ein.

1 Lebensdarstellungen finden sich in: Baur, Covarruvias, in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Hg. v. J. S. Ersch und J. G. Gruber. 21. Theil. Nachträge zum Buchstaben „C". Leipzig:/. F. Gleditsch. 1830, 425; in (nicht gezeichnetem) Artikel „Covarrubias", in: Enciclopedia Universal Ilustrada Europeo-americana. Bd. X V . Barcelon 1913, 1413 f.; Johann Friedrich von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart. III. Bd. Stuttgart 1880, 721; Franz Kalde, Artikel „Covarruvias. Didacus", in: L T h K 3 1994, Sp. 1334. Die Schreibweise des Namens wechselt; einmal heißt es Covarruvias, dann Covarrubias. 2

Nach anderen Quellen: Juli.

Friedrich Merzbacher, Azpilcueta und Covarruvias. Zur Gewaltendoktrin der spanischen Kanonistik im goldenen Zeitalter, in: ZRG KanAbt. 46 (1960) 317-344. 4

Der Herausgeber P. Cornelius Brederodius betitelt ihn für diese Zeit als „Didacus à Muros Ovetensis Ecclesiae praesul" (Opera Omnia. 1599, Bd. 1,123 „Ad Lectorem"). 5

Die Bezeichnung, die sich in der Widmung findet lautet: „Regius in Granatensi praetorio index", „oidor".

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Den bewährten Kanonisten hätte Karl V. allzu gerne auf den erzbischöflichen Stuhl von Santo Domingo auf der Karibikinsel Hispaniola berufen, doch Covarrubias lehnte energisch ab,6 erklärte sich aber 1560 bereit, nun auf Wunsch König Philipps II., Bischof von Ciudad Rodriguez, einem Grenzbistum zu Portugal, zu werden. Als Bischof von Ciudad Rodriguez nahm Covarrubias an der dritten Sitzung des Konzils von Trient teil, 1562 bis 1563, was auch etwas darüber aussagt, für wie loyal und verlässlich ihn der König hielt. 7 Er habe, so wird berichtet, fast allein die Endredaktion des Reformdekrets erstellt. 8 Ab 1564 bekleidete Covarrubias den Bischofsstuhl von Segovia und wurde 1574 zum Präsidenten des Senats von Kastilien ernannt. Unter seinen Leistungen wird gerühmt, dass er Statuten für die Hohe Rechtsschule von Salamanca entworfen habe, Statuten, welche sich so sehr bewährten, dass man ihnen bis weit in das 19. Jahrhundert die Treue hielt. Er starb am 27. September 1577 in Madrid. Mehrere Porträts sind erhalten, darunter mindestens eines, das mit El Greco gekennzeichnet ist. 9 Als Kanonist und Graezist erreichte auch Covarrubias Bruder Antonio (+ 1602) hohe Berühmtheit. 2. So treffen wir Covarrubias auf einem Berufsweg an, der ihn geographisch durch ganz Spanien führte, vom Norden, Oviedo, bis in den Süden, nach Granada, schließlich auch nach Italien, jedoch offensichtlich nie in die „Neue Welt". Er stieg bis in das höchste Staatsamt mit richterlicher Funktion auf; weniger lag ihm offensichtlich an einer „Karriere" in der Hierarchie der Kirche. 3. Didacus Covarrubias galt und gilt als einer der Systematiker des Kanonischen Rechts,10 der ebenso wie Francisco de Vitoria und dessen Nachfolger Domingo Soto seine Gedanken stark auf Normen des Römischen Rechts stützte und in der Linie beider auf das Naturrecht, d . h . das vernunftrechtliche Argument, abhob, um aktuelle Rechtsfragen, nicht zuletzt staatsrechtliche Probleme zu klären. 11 Er gehört, um ein Wort von Luis Perena aufzugreifen, der zweiten

6 In der Praefatio wird auf Covarrubias als Archiepiscopus S. Dominici designatus hingewiesen.

η

Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient. 4 Bde. Bd. IV. 1. und 2. Halbband. Freiburg 1977 (Verweise auf Ciudad Rodriguez am Ende des 2. Halbbandes). Q Enciclopedia Universalis din, 1997. Enciclopedia Universalis

1913,1414; diese Aussage fand ich nicht bestätigt in: Je1913,1413.

10

Hubert Jedin, in: Erwin Iserloh ! Josef Glazik / Hubert Jedin (Hg.). Reformation, Katholische Reform und Gegenreform (Handbuch der Kirchengeschichte. Bd. 4). 1967, 580. 1

So etwa Peter. G. Stein, Römisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur (Europäische Geschichte o. Bdnr.). Frankfurt a. M. 1996,157.

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Generation jener Rechtsgelehrten an, welche an Vitorias Ansätzen weiterarbeiteten und am Projekt, wie ich sagen möchte, der Verrechtlichung der Anwesenheit der spanischen Krone in Amerika mitwirkten. 12 4. Die zahlreichen etymologischen, sprachkritischen und rechtsgeschichtlichen Untersuchungen, welche sich in den „Opera Omnia" des Covarrubias finden, lassen es nicht zu, ihn scharf gegen die humanistische Schule der Begründer des Mos gallicus abzugrenzen, also gegen die Ansätze eines Andreas Alciatus (1492 - 1550), Boy er ( - 1539) oder Carolus Molinaeus (Du Moulin) ( - 1566), auch wenn bei Covarruvias eine systematische und tiefschürfende Textkritik im engeren Sinn fehlt. 5. Hugo Grotius (1583 - 1645) und Hermann Conring (1606 - 1681), um nur zwei Autoren zu nennen, schätzten Covarrubias sehr; Francisco Suarez (1548 - 1617) zitiert ihn als wichtige Autorität und stimmt ihm in den meisten Falllösungen zu. Nach Merzbachers Artikel gab erst wieder der Verfasser einen knappen Einblick und eine Einordnung. 13 I L Drucke und Inhalte 1. Was den Druck seiner Schriften anbelangt, so erfolgte Merzbacher und der Enciclopedia zufolge zu Lebzeiten eine Herausgabe von Werken Covarrubias in Venedig 1565; in Frankfurt am Main seien 1573 und 1608 Drucke erschienen, 1568, 1606 und 1661 in Lyon, 1638 in Antwerpen und schließlich noch 1762 in Genf. 14 Ich benutze den Band von Frankfurt am Main 1599.15

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Luis Pereha. (Hg.), Einleitung zu: Juan de la Pena (Hg.), De bello contra Insulanos. Intervención de Espafia en América. Escuela Espafiola de la Paz. Segunda generación 1560 - 1585. Testigos y Fuentes. (Corpus Hispanorum de Pace IX). Madrid 1982, 21-134; Ulrich Horst, Einleitung zu: Ulrich Horst / Heinz-Gerhard Justenhoven / Joachim Stiiben (Hg.), Francisco de Vitoria. Vorlesungen I. Relectiones. Völkerrecht, Politik,13Kirche (Theologie und Frieden Bd. 7). Stuttgart 1995,7-99,95. Norbert Brieskorn, Menschenrechte. Eine historisch-philosophische Grundlegung. Stuttgart 1997,64-74. 14 Merzbacher, Azpilcueta (Anm. 3), 321; Enciclopedia 1916, 1414. Sämtliche Angaben bedürfen der Überprüfung. 15 Die Ausgabe der Opera Omnia, welche ich benutzte, beruht auf einer älteren Veröffentlichung, ist aber nach den neuesten Kenntnissen verbessert und mit Index versehen worden; besorgt hat die Ausgabe der Iurisconsult P. Corn(elius?) Brederodius. Sie ist in Frankfurt a. M. bei Johannes Feyrabendt 1599 erschienen. Von ihm stammen auch die Hinweise „Ad lectorem".

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2. Seine Gesammelten Werke fasste man in zwei Bände zusammen, von denen der zweite Band noch einmal unterteilt ist. Der erste Band enthält folgende Schriften, aufgezählt in der Reihenfolge des Buches und nicht chronologisch: „In titulum de testamentis interpretatio (Ad librum Extra. III. 26)" samt besonderer Erklärung der Dekretale c. Raynutius [c.16); 1554 verfasst: S. 1 - 121; „In librum quartum Decretalium Epitome" von 1545, also zum Eherecht: S. 122 - 252. Es folgt die „Relectio. c. Quamvis factum. De pactis. Libro Sexto", dem Erzbischof Didacus ab Aula et Esquivel 1553 gewidmet: S.253 - 335; es schließt sich „In Bonifacii V I I I constitutionem, quae incipit 'Alma mater* sub titulo 'De sententia excommunicationis, admodum breves Commentarli" an, S. 336 - 422; die „Relectio Regulae c. Possessor malae fidei ullo tempore non praescribit" nimmt die Seiten 423 - 487 ein; nun folgt der uns interessierende Teil, gleichfalls die Kommentierung einer Regel aus den an den Liber Sextus von 1298 angehängten Titel der Rechtsregel, nämlich die „Relectio Regulae c.Peccatum. De regulis iuris libro Sexto", S. 488 - 547; die letzten beiden Schriften heißen „In Clementi Quinti constitutionem 'Si furiosus', Rubrica de homicidio (Clem. V. 4. 1). Relectio", S. 550 - 595 und „Veterum collatio numismatum cum his quae modo expenduntur, publica et regia autoritate perçussa": S. 596 - 643. Damit ist auch das Ende des ersten Bands erreicht. Der zweite Band teilt sich. 1598 ist als Erscheinungsjahr oder als Jahr des Druckes angegegen. Der erste Teil enthält vier „Variarum ex iure pontificio, regio et caesareo resolutionum libri", zwischen 1552 und 1570 verfasst, und führt ziemlich kreuz und quer durch offene, und nach den Zitationen zu schließen, aktuell diskutierte Rechtsfragen; auch rechtsgeschichtliche befinden sich unter ihnen und unter ihnen wiederum immer welche, die kastilisches Recht erörtern. Der zweite Teil dieses zweiten Buches steht unter dem Titel „Practicarum Quaestionum liber unus": auch es ein Buch praktischer Fragen. Das erste und einzige Kapitel handelt von der Rechtsetzungsgewalt und im engeren Sinn von der Rechtsprechungsgewalt und dem Prozessrecht in Kastilien, doch sprenkelt Covarrubias auch immer wieder schuld-, Sachen- und eherechtliche Erörterungen ein. Sogar staatskirchenrechtliche Probleme sind angesprochen, wie das Immunitätsprivileg der Kleriker im stärker sich bildenden Nationalstaat. Der Rechtsgeschichte, oder genauer: der Erforschung der Rechtsgeschichte kam in dieser Zeit sich bildender Staaten wegen des Traditionsprinzips eine erhebliche politische Bedeutung zu, galten Rechtstitel doch umso gesicherter, auf je ältere Zeiten sie zurückreichen konnten, sei es durch Verleihung oder durch Ersitzung. 3. Die aufgezählten Titel machen bereits eine Eigenart der Opera deutlich: Covarrubias ist kein Glossator oder systematischer Bearbeiter eines Rechtsbuches mit allen seinen Büchern oder Teilen. Er setzt vielmehr an bestimmten Dekretalen oder Gesetzen ein und - das werden wir sehen - entfaltet von ihren

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Texten ausgehend eine reiche Reflexion. Diese Beobachtung rückt das oben angeführte Urteil v o m Systematiker Covarrubias etwas zurecht.

I I I . Die „Relectio Regulae c. Pecca tum. De regulis iuris libro Sexto" 16 1. Die Einzelvorlesung, die gewöhnlich für ein breiteres Publikum als bloß das studentische gedacht war, kreist um die Regel: „Peccatum non dimittitur, nisi restituatur ablatum", „Keine Sünde w i r d nachgelassen, bevor nicht v o m ungerecht angeeigneten Gut gelassen ist". Sie ist dem allerletzen T i t e l des Liber Sextus, dem „Über die Rechtsregeln", entnommen. 1 7 Ich darf eine Inhaltsangabe dieser Schrift voranstellen. Die Relectio ist in drei ungleiche Teile eingeteilt, unter denen der Mittelteil mit 12 Paragrafen das Hauptgewicht trägt. Der erste T e i l geht der Frage nach, in welchen Fällen der Schuldner davon befreit ist, unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (statim), die Rückzahlung des Geschuldeten vorzunehmen. Der zweite T e i l behandelt in einem ersten Paragrafen die Rückzahlung oder Rückgabe von Diebesgut, der zweite Paragraf fragt nach der Rückgabepflicht des sogenannten Dirnenlohnes, der dritte untersucht, ob zurückzugeben ist, was gezahlt wurde, um ein gerechtes Urteil zu erhalten. Die Rückgabepflicht dessen, was aus unerlaubtem Glücksspiel eingenommen wurde, ist Thema des vierten Paragrafen, ob Steuern und alle möglichen Abgaben aus Gewissensverpflichtung zu zahlen sind, des fünften Paragrafen. Ist aus ungerechtfertigter Annahme die Rückzahlung zu erbringen, obwohl die Sache selbst nicht mehr existiert? Darauf antwortet der sechste Paragraf. Ob jemand aus Gründen der verteilenden Gerechtigkeit zur Rückgabe oder Umverteilung verpflichtet ist, bespricht der siebte Paragraf. Der achte stellt die Frage, ob zurückzugeben ist, was aus der Jagd erlangt ist. Der folgende Paragraf erörtert das Kriegs- und Beuterecht: was zurückzugeben sei, so lautet die Kernfrage. Anschließend muss sich der K r i e g gegen die Ungläubigen eine kritische Durchsicht der Titel gefallen lassen. Der vorletzte Paragrafen widmet sich Fragen des Beuterechts und der Sklaverei, die auf dem Titel der Kriegsgefangenschaft aufruht. Schließlich wägt Covarrubias ab, ob es bei Rat und Gunsterweisungen auch Schadensersatzforderungen geben darf. Ein durchaus moderner Bogen an Fragen ist durch die Relectio hindurch gespannt, nicht tiefer systematisch geordnet, doch sämtlich vereint unter der Regel des Liber Sextus. Trotzalledem ermöglicht die lose und zufällig wirkende

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Opera Omnia. I. Band, 488-547.

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VI. 5.13.2.

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Zusammenstellung eine von Paragraf zu Paragraf immer sichtbarere Akzentuierung und eine nuancierte, an häufig vorkommenden Fallkonstellationen entwikkelte profilierte Stellungnahme zu den wichtigeren Fragen des Rückgaberechts. Der dritte Teil geht über die Rückgabe selbst, das Hehlerdelikt, und schließt mit einem juristischen Blick auf Fund und Schatzfund. I V . Zum Vorwort der Relectio 1. Es greift die eindringliche Mahnung des Augustinus auf, dass eine Rückgabepflicht ungerecht bewahrten, einbehaltenen oder sonstwie erlangten Gutes besteht, und wer ihr nicht nachkommt, in der Sünde bleibt. Die vielen möglichen Bussleistungen nützen überhaupt nichts, wenn der Berechtigte das gestohlene Gut nicht wieder erhält. Wer nicht zurückgeben will, büßt nicht echt, sondern gibt Reue und Versöhnung nur vor. Fiktiv sind beide! Wer aber zwar von der Echtheit seiner Reue überzeugt ist, und sich trotzdem nicht vom gestohlenen Gut gelöst hat, der darf, ja, der kann gar nicht sakramental losgesprochen werden. Der Aussage des Augustinus, welche von seinem Brief (Nr. 54) an Macedonius den Weg in das Dekretum Gratiani 18 fand, tritt das Römische Recht zur Seite, das in der Lex „Nam in hoc natura" des Digestentitels „De condictione indebiti" 19 und in einer Rechtsregel der Digesten die Aussage dem Abendland mitgab, dass sich niemand am Schaden eines anderen bereichern dürfe. 20 Der Verfasser des Liber Extra von 1234 schätzte diese Rechtsregei hoch genug ein, um ein Schreiben des Papstes Innozenz III. an den Erzbischof von Salerno aus dem Jahre 1213 in den Liber Extra aufzunehmen, in welchem in Reimform stand: „Non remittitur peccatum, nisi restituatur ablatum", „Nicht vergeben wird die Sünde, solange das zu Unrecht weggenommene Gut nicht zurückgegeben ist". Diese Dekretale ist in den Titel eingereiht, der vom Wucherdelikt handelt.21 Und schließlich wies der Liber Sextus von 1298 der Regel einen profilierten Platz zu. Wenn es untersagt ist, wie Covarrubias im Vorwort be-

18 C. 14 qu. 6 c.l (c. Si res alinea). Ich gebe nur die Uberschrift des Kanons wieder: „Poenitentia non agitur, si aliena res non restituatur." Auf deutsch: „Buße verrichtet nicht, 19 wer die fremde Sache nicht zurückgibt." Dig. XII. 6.14 (Pomponius. 1.21 ad Sabinum): „Natura aequum est, neminem cum detrimento alterius locupletiorem fieri." 20

Dig. L. 17. 206 (Pomponius. 1. nono variarum): „Iure naturae aequum est, neminem cum alterius detrimento et iniuria fieri locupletiorem." 21 Liber Extra. V . 19 (De usuris). 5 (c. Cum tu).

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merkt, sich am Schaden des anderen zu bereichern, so ist es umso mehr verboten, einem anderen zuerst einmal zu schaden, um sich anschließend selbst zu bereichern, die Bedingung des Schadens des anderen also allererst herzustellen, um davon zu profitieren 2 2 2. Die Problematisierungen, die zu erwarten sind, werden sich mit dem materiellen Recht, aber auch mit den möglichen Einwendungen im Prozeßverlauf beschäftigen. Das kanonische Recht hat zum einen, indem es den Augustinustext aufnahm, die naturrechtlich gebotene Rückgabepflicht mit dem Heilsgeschehen und den Sakramenten verknüpft, während es mit dem römischen Rechtssatz die horizontale Beziehung, die zwischen Mensch und Mensch mitaufnahm und engstens verband. Beide Male geht es um ein „Zurück", um Rückkehr und Rückgabe; sowohl in die Gemeinschaft mit Gott als auch in die Gemeinschaft mit dem Nächsten. Diese „In-integrum-restitutio" bildet den Hintergrund für Covarrubias' Überlegungen, den er jedoch nicht thematisiert. So definiert er auch die „Rückgabe" (496b) mit dem Blick zurück, als „der Verletzung entgegengesetzt", die Pflicht zur Rückgabe beruht auf der ungerechten Ansichnahme, ungerecht wegen eines Unrechts gegen den Nächsten, oder ungerecht aufgrund eines gesetzlichen Verbotes (496b). V. Zum ersten Teil der Relectio 1. Die Unverzüglichkeit

der Rückgabe

1. Die Wiedergutmachung hat sofort zu erfolgen, jedoch jeweils unter Berücksichtigung von Ort und Zeit (Nr. 1). Dabei zwingt schon zu Beginn (489b) Covarrubias zum Nachdenken darüber, wann denn ein Aufschieben von Rechtsakten die Gerechtigkeit oder das Heil verletze und wann nicht. Das Heil werde beeinträchtigt, wenn man an der zurückzugebenden Sache etwa aus Habsucht festhalte und sie nicht rückerstatte. Völlig anders aber sei es zu bewerten, wenn jemand den Strafantrag oder die Klage nicht heute, sondern erst nächste Woche einreiche. Hier lasse sich schwerlich behaupten, dass eine Ungerechtigkeit begangen werde, so Covarrubias. Hier wird bereits sichtbar, dass es ihm um möglichste Schonung des Nächsten geht. Aus Eigennutz verzögerte Rückgabe verstoße jedenfalls gegen die Gerechtigkeit. Die Rechtsordnungen gewähren aber immer einen kleineren Spielraum, so das Römische Recht bei Verurteilung in die geschuldete Summe sogar bis zu vier Monaten, die „Siete Partidas", das kastilisch königliche Recht, immerhin zehn Tage; außerdem sei der Rückgabezeitpunkt so zu wählen, wie ihn das Urteil eines vernünftigen

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Opera Omnia. Bd. 1, S. 488: „Non liceat sui commodi causa nocere alteri". 7 FS Mühlsteiger

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Menschen festlegen würde. Damit sind zwei Fragen säuberlich zu trennen: Ist es unter Umständen erlaubt zu sündigen? Und auf diese Frage gibt es keine andere Antwort als ein Nein. Ist es aber unter Umständen erlaubt, eine gewisse Zeitspanne im Zustand der Sünde zu verharren? Und auf diese Frage folgt ein differenziertes Ja. Es gibt den erlaubten Verzug, die „mora"; die zu Unrecht und sündhaft erworbene Summe muss nicht sofort zurückgegeben werden (489ab). 2. Wann ist es gerechtfertigt, Gebrauch von solchem Aufschub zu machen? Jeder sei wegen bitterer Notlage von der Rückgabepflicht befreit und niemand zum sittlich Unmöglichen verpflichtet (Nr. 2), d. h., zur Rückgabe einer Summe, welche zu seinem Lebensunterhalt unabkömmlich sei; er müsse nichts tun, was seine Kräfte übersteige (489f.). Selbst wo dies nicht drohe, der Schuldner jedoch durch die Rückgabe einen empfindlichen Absturz in seinen Verhältnissen erleiden würde, sei er von der Rückgabepflicht entbunden, natürlich nur für so lange, als bis seine Lage sich gebessert habe. 3. Covarrubias bezieht nun aber auch den Gläubiger mit ein. Solche Stundung oder solches Recht, die Schuld nicht zu begleichen, sei umso berechtigter, wenn dem Gläubiger kein gewichtigerer Schaden durch Aufschub oder endgültige Nichtzahlung entstehe; anders sei es, wenn ihm ein erheblicher Schaden aus der Zahlungsverweigerung erwachse (490a). Die Abwägungen und Begutachtungen der möglichen Schädigungen auf beiden Seiten, bei Rückzahlung auf Seiten des Schuldners, bei deren Verweigerung auf Seiten des Gläubigers, und der Vergleich beider Schädigungen bedürfen eines „ehrlichen und bis in die Einzelheiten gehenden Urteils" (490a). 2. Ein Zurückbehaltungsrecht

bei Wucher

1. Covarrubias greift in Nr. 3 auf die Wucher-Dekretale des Liber Extra zurück. Die einschlägige Glosse hatte festgestellt, dass ein Wucherer, der aus einem bestimmten Umstand - Notlage - von der Rückgabe des Darlehens und sämtlicher Zinsen befreit war, sofort wieder zur Rückgabe verpflichtet sei, wenn er in eine finanziell komfortablere Situation gelangt sei; selbst wenn er nun durch diese Rückgabe wieder in eine Notsituation zurückfallen werde. Das römische Recht hingegen erlaube immer die Rückbehaltung einer Summe, welche vor solcher Not bewahre. 2. Bevor Covarrubias der Antwort zustimmt oder sie verwirft, setzt er gründlich an und stellt für diese Verhältnisse zwei Gleichsetzungen her. Die eine betrifft die beiden Foren, Forum externum und Forum internum, die andere die Tatbestände.

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Erstens, was i m Forum externum erlaubt sei, befreie auch das Gewissen; ein und dieselben Gründe gelten in diesem Fall für beide Foren: sei der Schuldner von einem T e i l der Rückgabepflicht durch die Gesetze befreit, so sei auch sein Gewissen entlastet; sei der Schuldner durch die Gesetze ermächtigt, so und so viel von der geschuldeten Summe zurückzubehalten, um zu überleben - so dürfe er auch sein Gewissen beruhigen (490a). Covarrubias verweigert sich in diesem Fall also der Annahme einer Zweigleisigkeit, hier Nachsichtigkeit i m Urteilen nach Recht und Gesetz, um das Überleben des Schuldners zu sichern, dort Unnachsichtigkeit, j a Unbarmherzigkeit i m Urteilen vor dem inneren Gericht des Gewissens, das meint, wegen der notwendigen Befreiung von der Sündenlast unnachgiebig sein zu müssen. / Zweitens: dieses Rückbehaltungsrecht gelte nicht nur für die Schuldner aus Kauf, Miete, Darlehen etc., sondern auch für den ansonsten höchst diskriminierten Wucherer, falls die Güterübereignung an den Gläubiger stattfand, die „cessio bonorum". A u c h dem Wucherer stehe das bei Covarruvias nicht ausdrücklich genannte „beneficium competentiae" zu, ein Zurückbehaltungsrecht des zum Leben Notwendigsten. Falls also der Wucherer eines Tages wieder zu mehr Geld gelange, habe er genauso wie die anderen Schuldner, diesen Teil der Summe, den er für den Lebensunterhalt zurückbehalten und verbraucht hat, nicht nachträglich zurückzuerstatten. Die Not verringere nicht das Vergehen oder die Schuld; w o h l aber darf sie das Vermögen des Gläubigers vermindern. Für Gott sei die Not genügend Entschuldigung. Allerdings dürfe der Wucherer oder auch der Schuldner nicht die Einstellung haben, sich auf diese Weise doch fremdes Gut aneignen zu w o l l e n , ein Zusatz, der augustinische Einfühlsamkeit und die Suche nach Reinheit der Gesinnung verrät (Nr. 3; 490a). 3. Was lässt sich als Hinweis auf die Einstellung des Covarrubias entnehmen? Er setzt die Linie der strengen, unerbittlichen Trennung zwischen den Schuldgründen nicht fort, hier der Schuldner aus einem Mietvertrag, dem Nachlass gewährt w i r d , dort der Wucherer, welcher die Rückgabe schuldet. Covarrubias sieht von den weltanschaulich und religiös gewichteten Tatbeständen weg und hin auf den Schuldner als Menschen, der Not leidet. Eine buchstäbliche Diskriminierung aufgrund des Tuns verliert an Kraft, es gewinnt der B l i c k auf den Menschen, der hungert und in Not ist. Nicht die Verfehlung ist das alles entscheidende Kriterium, sondern die Leidenssituation, mag man ohne oder mit Schuld in sie geraten sein. Und doch w i r d beides, die Rückgabepflicht und das Zurückbehaltungsrecht, nicht verwischt oder aufgerechnet. Das Leid ist nicht die N o r m , w o h l die Grundlage der Berechnung und der Anlass der Befreiung. Das Recht ist weniger religiöser Indikator als Helfer in bedrückender Lage, es ist weniger Zeichen einer religiösen Welt als ein dem Menschen in misslichen Lagen helfendes Instrument.

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3. Die Mutter im Dilemma zwischen Aufklärungspflicht und Schadenszußgung 1. Ausgiebig diskutiert sodann Corravubias den Fall, dass eine Ehefrau und Mutter mehrerer Kinder ein aus ihrem Ehebruch stammendes K i n d inmitten ihrer ehelichen Kinder aufzieht und v o r der Frage steht, ob sie die Nichtehelichkeit ihres Kindes öffentlich machen soll (490ab). Was hat dieser Fall in unserem Zusammenhang der Rückgabe zu suchen? N u n , beim gesetzlichen Erbfall w i r d dieses K i n d seinen Erbteil erhalten und somit die anderen sogenannten Geschwister um einen Betrag schädigen. Das K i n d w i r d durch die Schädigung der Geschwister reicher. Die einzige, die diese Schädigung verhindern könnte, ist die Mutter. Da der Schaden zu vermeiden ist, besteht die Pflicht zur Offenbarung. 2. Was jedoch, wenn durch die Offenlegung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Ehefrau und Mutter die ihr geschuldete Ehrerbietung und soziale Ehre verlieren w i r d , was, wenn der Ehemann sie gar schwer verletzen oder töten sollte? Wenn also ein Skandal, ein Ärgernis erzeugt werden würde, welches anderen Menschen Anlass zur Sünde wäre, ζ . B . des Hochmuts, des Zorns oder der Luxuria? Gewiss: jede Schädigung ist zu vermeiden; aber um welchen Preis? 23 Was ist, wenn der Nutzen und V o r t e i l für die eventuell Geschädigten als gering zu veranschlagen wäre? Und nun kommt jenes für dieses Denken sehr bezeichnende Argument: Können es die Kinder und stellvertretend für sie der Vater und Ehemann denn w i r k l i c h und d. h. vernünftigerweise w o l l e n , dass sie um einen solchen Preis - nämlich den Verlust der Ehre der Ehefrau und Mutter - zu dem ihnen geschuldeten Betrag kommen? Wenn dies aber vernünftigerweise nicht angenommen werden könne, so sei hier gleichsam ein Rechtsverzicht geschehen. 24 Gleichsam, denn verzichten kann der Ehemann auf einen T e i l seines Rechts auf Wahrheit, welche für eine Testamentserstellung gefordert ist. Verzicht auf einen T e i l des Erbes können aber nur die potentiellen Erben tun. Dazu später der von Alciatus eingebrachte Fall. Covarrubias geht diesen Details nicht nach. 3. Zur päpstlichen Lösung des Falls und der in dieser Richtung gewonnenen Lösungen der Kanonisten w i l l Covarrubias, wie er schreibt, gewisse kritische

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Der Fall ist in Liber Extra. V. 38. 9 (c. Officii) - in natürlich einfacherer Konstellation - gelöst. Der Ehefrau darf die Lossprechung nicht verweigert werden, welche den Ehebruch beging und sich dem Ehemann, der ohne den geringsten Zweifel das nicht eheliche Kind für sein eigenes hält, die Tat aus berechtigten Gründen nicht zu gestehen traut. 24 Nur kurz berührt in: Brieskom (1988), 134 f.

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Anmerkungen anbringen (490b). Erstens ist unbestritten: „Die Zurückgabe fremden Gutes ist zum Heil unerlässlich, dies ist offensichtlich und gehört zur Wahrheit des Lebens." 2 5 Zweitens muss man sich mit der These des Beda Venerabilis auseinandersetzen, der sagte: „Die Wahrheit des Lebens darf auch dann nicht unterbleiben, wenn ein Skandal, ein Ärgernis, ein sittlicher Anstoß, der in Verwirrung und vielleicht Sünde führe, zu erwarten sei. Es w i r d gestattet, einen Skandal zu erzeugen, der zudem nutzbringender sein könne als die Wahrheit zu verleugnen." 2 6 Besser ein Ärgernis entstehe, als dass die Wahrheit zurücktreten müsse! Diese These des Beda Venerabiiis lässt sich mit Christi Worte aus dem Matthäusevangelium ebenso untermauern, wie mit der Summa theologica I I - I I . Quaest. 43. A r t . 4 des Aquinaten und dem 3. Kapitel. Nr. 1, der Nikomachischen Ethik. N u n ruft eine solche A n t w o r t nach Unterscheidungen. I m folgenden erklärt Covarrubias etymologisch das Wort „Skandal" und bringt Definitionen an. Was ein Ärgernis ist, tritt in mehreren Gestalten auf: als Ärgernis durch ein sittlich schlechtes Werk: der aktive Skandal; oder als Ärgernis, welches ein gutes Werk hervorruft: der passive Skandal; der Skandal als Todsünde oder als läßliche Sünde, oder deijenige Skandal, der nebenbei, akzidentell eintritt und der Skandal, der als Hauptsache anzusehen ist; der Skandal, auf den das Handeln eigens abhebt, und der Skandal, der eher in den Begleitumständen des Handelns liegt (491ab). 4. Das aktive Hervorrufen eines Skandals durch ein schlechtes Handeln - es geht um den aktiven Skandal - , so Covarrubias, ist nun immer zu meiden, als Sünde zu fliehen und kann nie erlaubt werden. Nichts ist schlimmer als andere in Versuchung zu führen, damit sie selbst sündigen. Die Wahrheitspflicht hat hintanzustehen, wenn es um das Heil des anderen geht. Damit steht der Ansicht des Beda eine Gegenthese gegenüber (491 b u). Zur Begründung führt Covarrubias an: gerade wer erlaube, dass um der Rettung der Wahrheit w i l l e n Ärgernis geschehe, der verletze die Wahrheit, und wer das Ärgernis vermeide, der bewahre sie. W i r erfüllen nur dann das Vernunftgebot und die göttlichen V o r -

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Was diese „veritas vitae" bedeutet, wird ein wenig später erklärt; es geschieht nicht selten in den Texten der Spätscholastik, dass schon länger mit einem Begriff gearbeitet wird, bis ihm Klärung oder gar Definition zuteil wird: „rectitudo operis procedentis ab anima, veritas vitae appellatur, & ideo veritas vitae, id est, quidquid in propria specie est conforme rationi, & adaequatum intellectui recto, [...]" (492a). Die Wahrheit des Lebens ist demnach die gewollte Richtigkeit des Handelns und der richtige Umgang mit den Sachstrukturen der Welt. 26 „Restitutio rei alienae sit ad salutem necessaria: quemadmodum hac régula manifestum est, atque ita ad vitae veritatem pertinet. sed veritas vitae omittenda non est propter scandalum quodcunque id sit. utilius enim scandalum nasci permittitur, quam veritas relinquatur", so die Beda-These (490 b m u).

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Schriften, wenn w i r eine solch schreckliche Sünde w i e das Ärgemisgeben fliehen. 2 7 5. Der passive Skandal ist hingegen v ö l l i g anders zu beurteilen. Hier liefert ein gutes oder jedenfalls ein nicht schlechtes Werk jemandem anderen einen Anlass, eine Sünde zu begehen. Der Adressat verfalle strenggenommen gar nicht der Sünde des Ärgernisses. Da nun einer solchen Autorität wie Beda nicht einfach ein Widerwort entgegengesetzt werden kann, ist nach einem versöhnlichen Ausweg zu suchen. Er liegt darin, Beda zu unterstellen, er beziehe sich nur auf den passiven Skandal. 6. Hat Covarrubias sich in bezug auf das aktive Ärgernis besonders für den Nächsten eingesetzt, so balanciert er diesen Eindruck aus, wenn er beim passiven Ärgernis den Vorrang der drei „Wahrheiten" betont. Es gebe eine dreifache „veritas", die des Lebens, der Lehre und der Gerechtigkeit. Keine dieser Wahrheiten darf hintangestellt werden, um ein - passives - Ärgernis i m Nächsten zu vermeiden. Immer haben diese veritates den Vorrang! Sie werden durchgesprochen. Die Wahrheit des Lebens ist die Übereinstimmung mit dem Gebot der Liebe, veritas vitae ist lex caritatis. Das Gesetz der Liebe sage, dass man sich selbst mehr als den Nächsten lieben müsse, was auch bedeutet, dass man mehr auf sich als auf die Person des Nächsten zu achten habe. Selber sündigen, um eine andere Person vor Sünde zu bewahren, ist von daher unerlaubt. Ich habe auch mehr dafür zu sorgen, nicht in Sünde zu fallen, als dass ich mich unter Vernachlässigung meiner selbst darum kümmern darf, den Nächsten vor der Sünde zu schützen (492a). So wie die Wahrheit der Erkenntnislehre „adaequatio rei ad intellectum" sei, und wahr das, was dem Verstand entspricht, so drücke sich als „Wahrheit des Lebens" die Übereinstimmung, bzw. die Richtigkeit des Handelns mit dem rechten Verstand aus. Die Wahrheit der Lehre dürfe nicht verkürzt oder verfälscht werden, um anderen ein Ärgernis zu ersparen (492ab). Trotzdem gelte, dass die Lehrtätigkeit ein A k t des Erbarmens sei, weshalb auf die „Schwachen" und ihre Unkenntnis Rücksicht genommen werden müsse. Das Wort der Lehre als „geistlichem A l m o s e n " (492b; N r . 6) erinnert elegant an die Zurückgabepflicht: die Glau-

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„Hoc vero scandalum activum, semper omnino vitandum est, & summopere uti peccatum effugiendum, nec ulla ratione permissum extat. idcirco Bedae sententia in eo accipienda non est, dum edisserit, utilius scandalum nasci permittitur quam veritas relinquatur. Etenim si permittamus hoc scandalum nasci, veritas manifeste relinquitur, & et si id evitemus, veritatem ipsam, rectam rationem ac divina praecepta sequimur, cum peccatum satis perniciosum effugiamus" (491b-492a).

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bensverkündigung habe i m vollen Umfang zu erfolgen und dürfe doch in Portionen verabreicht und in momentan anstößigen Punkten verschoben werden. Doch wiederum ist abzuwägen: entsteht vielleicht größeres Ärgernis durch den Aufschub und das Verschweigen von Wahrheit? Und wer zur Verkündigung verpflichtet ist, wie ein Bischof, w i r d in seinen Abwägungen zu anderen Ergebnissen als der einfache Laie kommen, der v o m Glauben spricht. Die Suche nach der Wahrheit der Gerechtigkeit zeigt ihr die Grenzen auf (492b). Sie erweisen sich auch darin, dass ein Almosen, dessen jemand dringendst bedarf, zu geben ist, auch wenn ein Ärgernis dadurch entsteht; auch sei, so Covarrubias, die Welt nicht so von Gott konstruiert, dass die Erhaltung elementarer Werte, wie der Sicherheit und des Friedens eines Gemeinwesens, nur um den Preis des Todes Unschuldiger gelingen könne. Ebensowenig sei der T o d des Unschuldigen in K a u f zu nehmen, um ein Ärgernis zu vermeiden. V o n allen Gesetzen und Rechten darf allenfalls das gesetzte, also nie das natürliche, Recht um der Vermeidung eines Ärgernisses w i l l e n verletzt werden (492b 493a). 7. Einige Fragen sind zum Fall der ehebrecherischen Mutter noch offen: Ist das Gut der Ehre überhaupt mit dem Gut „ G e l d " vergleichbar? Covarrubias bejaht dies (494b). - Ist eine Frau, welche die Ehe brach, überhaupt der Ehre noch würdig, kann es also in ihrem Fall überhaupt noch einen Verlust geben? 2 8 Gut, sie ist der Strafe der Unehre würdig und scheint verpflichtet, das Vergehen zu offenbaren, um Schaden von den Erben ihres Mannes abzuwenden. Ist sie nicht dazu verpflichtet, w i e jemand, durch dessen Schuld ein Unschuldiger in Lebensgefahr geriet, selbst unter Einsatz seines Lebens verpflichtet ist, den Unschuldigen zu retten? (494b; unter „Tertio"). Doch begegnet diese Ansicht dem Einwand, dass niemand verpflichtet sei, sich selbst zu offenbaren und zu verraten. 2 9 W i e ist zu antworten? Wer zu Schadensersatz verpflichtet ist, hat die Schuld zu begleichen, doch nie mit einem höheren Schaden für sich, als er bei dem anderen, dem Gläubiger je angerichtet hat. Wieder taucht das Argument des vernünftigen Willens auf: es wäre nämlich der W i l l e des Gläubigers oder des Erben in schwerer Unordnung, wenn er willens wäre, sich das Geld zurückerstatten zu lassen, unter einer so schweren Schädigung des Schuldners, w i e es der Verlust der Ehre wäre (494b). Zudem sei die Ehebrecherin schon gar nicht zur Offenbarung verpflichtet, wenn sie die Vorgänge, die zur Empfängnis des Kindes führten, nicht mehr genau zu

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Römisches Recht ist verwendet: Dig. II. 2. (De his qui notantur infamia). 1.

Decretum Grattarti, De poen. D.l c.Si aliquando. § Non tibi dico; Thomas von Aquin, Sth. II - II. Quaest. 69. Art. 2.

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rekonstruieren vermag. Sei sie verpflichtet, wenigstens dem nichtehelichen Kind seine Abstammung zu offenbaren? Falls sie sicher wüsste, dass er ihr nicht glauben wird! Nein; Soll sie in der Todesstunde und unter Eid dem nichtehelichen Kind seine Herkunft offenbaren, wenn sie sich sehr sicher ist, dass er ihr glauben wird, und er in der Folge auf sein Erbteil beispielsweise verzichten würde? Der Schaden würde dann nicht eintreten und der Ehrverlust würde die Sterbende oder Todkranke kaum mehr schmerzen! Und doch sagt Covarrubias: Sie habe keine völlige Sicherheit, dass sie Glauben finden werde, und daher sei sie zu keiner Offenbarung verpflichtet. Selbstverständlich sei sie andererseits verpflichtet, wenn ihr durch die Offenbarung keinerlei oder nur geringer Schaden drohe (495a), ihr geglaubt werden würde, und das Erbe enorm wäre. Darf sie die Tat auch verschweigen, falls sie nicht der Ehemann, sondern die Verwandten lebensgefährlich bedrohten? Nein, entgegnet Covarrubias, für die Abwägung sei entscheidend, dass ihr Gefahr drohe, nicht entscheidend sei, von wem sie drohe (495b) 30 . Sei die Ehefrau nach dem Tod ihres Ehemanns nun aber nicht verpflichtet, die Tat zu offenbaren, da ihr nunmehr nicht der Tod von seiner Hand, natürlich noch die Möglichkeit eines schweren Ehrverlustes drohe? So die Frage John Maiors, die er positiv beantwortet. Covarrubias hingegen sperrt sich und antwortet: freilich sei das Leben ein höheres Gut als die Ehre, und doch reiche die Gefahr des Ehrverlustes aus, von der Pflicht zur Offenbarung entbunden zu sein. So sehr Covarrubias bemüht ist, für seine Sicht Gewährsmänner zu haben, so wenig scheut er auch den Einzelpfad, wenn er ihm der einzig vernünftige zu sein scheint. 8. Ein letzter aus der Reihe der diskutierten Fälle, den Andreas Alciatus eingeführt hat: die Witwe versammelt während ihres Sterbens alle ihre Kinder um sich, darunter das nichteheliche Kind. Sie sagt zu den Kindern: einer von euch stammt aus einem Ehebruch; daher hat er zu Unrecht einen Teil der Erbschaft meines Ehemannes inne. Bevor ich verscheide, will ich euch den Namen dieses Kindes offenbaren, es sei denn, jeder einzelne von euch verzichtet auf jegliche Ansprüche, die jeder einzelne von euch gegen dieses euch unbekannte Kind hat, das jeder von euch sein kann. - Da jedes der Kinder sich selbst für nichtehelich halten muss und Nachteile befürchtet, verzichtet ein jedes gegenüber den übrigen. Covarrubias stellt fest, dass erstens damit der Schaden nicht ausgeglichen worden sei, und dass zweitens die wechselseitigen Rechtsverzichte unter Furcht geschlossen worden und daher ungültig seien. Diese „Befreiung" von

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„Quia parum referat, periculum adulterae immineat, vel ex ira mariti, vel ex eius consanguineorum malitia, & per suasionibus, cum semper adsit periculum mortis, & sie ipsa causa, quae adulteram a revelatione excusat." (494b)

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den Ansprüchen sei zwar durch Konsens erfolgt, nichtsdestotrotz ungenügend (495b). 4. Gehorsam zur Vermeidung von Ärgernis? 1. Grundsätzlich ist den Gesetzen und Anordnungen der Oberen zu gehorchen. Doch dürfe der Gehorsam zu Recht verweigert werden, wenn ein Ärgernis dadurch vermieden werden könne (Nr. 7; 493b), wobei es sich nicht bloß um ein ungerechtes, sondern auch um ein gerechtes Gesetz oder einen gerechten Befehl handeln könne. Die Vernunft, die „ratio", sei zu befragen, sie könne zum Schluss gelangen, dass es angebracht sei, der Anordnung, selbst einer päpstlichen, den Gehorsam zu verweigern, weil nur durch den Ungehorsam ein großes Ärgernis vermieden werden könne (493b), und dies selbst dann, wenn der betreffende Obere ausdrücklich den Gehorsam befohlen habe, ohne Rücksicht auf irgendein mögliches Ärgernis. Jede Anordnung stehe nämlich noch einmal unter dem Gebot der Liebe, diese selbst könne nicht umspielt oder ihr Gebot ausgehebelt werden. Wenn also grundsätzlich zu gehorchen sei und die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Gesetzes oder des Befehls für sie sprechen würden, so habe doch der Adressat gleichsam seine Vernunft vor jedem Gehorsam dazwischenzuschalten und zu prüfen, wie der Ausführung des Befehls unverzüglich nachzukommen sei. 2. Daher sei auch in Sachen Rückforderung von Kirchengütern, bei und trotz aller Erlaubtheit und auch Berechtigung zum unverzüglich zu exekutierenden Rückforderungsrecht, immer zu beachten, wieviel Ärgernis auf der einen Seite und wieviel Gewinn auf der anderen Seite, oder wieviel Nutzen einerseits und wieviel Schaden andererseits zu erwarten sie. Wiederum also ist ein Ort der vernünftigen Rechtserfüllung geschaffen (494a). 3. Gelobt wird, wer jene Kunst der Verschiebung, der „Dilatio" beherrscht, die ja auch heißt, unter Umständen eben nicht zu warten. Worauf Covarrubias also höchsten Wert legt, ist jenen schmalen, und doch anspruchsvollen Zeitraum aufzuzeigen, der sich zwischen der bindenden Anmeldung der Pflicht und der tatsächlichen Erfüllung eröffnen lässt, und zwar zugunsten der Vernunft, welche über die Art und Weise der Erfüllung der Pflichten abzuwägen hat. Einem sklavischen Erfüllungsgehorsam ist ebenso radikal Absage erteilt wie einer radikalen Pflichtverweigerung (494a). 5. Die Exkommunikation

des Gläubigers — ein Einwand gegen die Rückgabe

1. Auch die letzte Diskussion, die in diesem ersten Paragrafen stattfindet, wirft Licht auf die Denkart des Covarrubias. Darf ein Schuldner die Rückzah-

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lung dem Gläubiger mit der Begründung verweigern, dass der Gläubiger in der Zwischenzeit exkommuniziert wurde? Mit Exkommunizierten war kein Verkehr erlaubt; der Exkommunizierte durfte auch vor Gericht nicht klagen, seine Forderungen also nicht gerichtlich durchsetzen. 2. Covarrubias zeigt sich unnachgiebig: die zivilrechtliche Schuld ist eine Sache, die Exkommunikation eine andere; rechtlich abwegig sei es, die Exkommunikation zum Anlass zu nehmen, die Schuld nicht zu begleichen. Die Bezahlung lasse mit dem Exkommunizierten nur einen flüchtigen Kontakt im Moment der Bezahlung entstehen. „Levis", völlig unerheblich sei diese „communicatio". Der Vergleich mit dem Verhältnis von Vasallen zum exkommunizierten Lehnsherrn gehe fehl, da hier eine intensive, das Leben gestaltende Art von Gemeinschaft bestehe, die bei Exkommunikation sicherlich gelöst werden müsse; anders jedoch der zivilrechtliche Fall, in dem es um die Rückzahlung gewissermaßen fremden Geldes gehe (496a). V I . Fazit 1. Zahlreiche weitere Stellen ließen sich anführen, um den Befund zu bestätigen, dass Covarrubias mit einer Schärfe wie selten, auch in diesem Zeitalter der Juristen, danach fragte, welche Gesichtpunkte für die Abwägung bedeutsam sind und welche nicht. Ob die Mutter und Ehebrecherin ihre Tat und deren Folgen offenbaren soll, hängt von der Berechtigung der Todesfurcht ab; unerheblich ist es, ob die Gefahr für Leib und Leben von dem Ehemann oder dessen Verwandten ausgeht. Es sei irrig, den intellektuellen Beihelfer zur Täterschaft anders als den zu bestrafen, der tatkräftige Hilfe leistete, und zwar aufgrund von von vornherein unterschiedlich fixierten Rollen; zu bewerten sei vielmehr der tatsächliche Tatbeitrag (2. Teil. § 12; 542b). 2. Ein zweites Anliegen ist die Sorge um eine fallgerechte Lösung, welche insbesondere auf die Absicht abhebt. Wer dem Richter Geld gibt, jedoch nur, damit er den Prozess zügig durchführe, mit anderen Worten, damit er seine Pflicht erfülle, habe nichts Unrechtes getan, und daher sei die Strafe des Prozessverlustes ebensowenig angebracht wie die Verweigerung des Rückforderungsrechtes der ,ßestechungssumme" (2. Teil. § 3; 506). 3. Ein drittes Anliegen ist es, eine innere Stimmigkeit der Rechtsordnung zu besorgen. So sei es unstimmig und unsinnig, einerseits festzusetzen, die Prozesspartei, welche den Richter bestach, um ein günstiges Urteil zu erhalten, verliere zur Strafe den Prozess, und ihr andererseits ein Recht auf Rückgabe der Bestechungssumme zu gewähren. Wenn eine Rechtsordnung festsetze, man verliere wegen Bestechungsversuches am Richter zur Strafe den Prozess, so sei

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es stimmig, der Partei das Rückforderungsrecht auf die gezahlte Summe zu verweigern (2. Teil. § 3; 506). 4. Ein viertes Anliegen ist die anfangshaft unternommene Beschränkung des Rechtes auf seine ihm eigene Rolle, so dass es nicht zur Durchsetzung von Moral und Glauben herhalten muss. Dies zeigt der Fall des exkommunizierten Gläubigers und die vernünftige Abwägung der Gründe für und gegen das sofortige Rückforderungsrecht.

Rudolf Ritter von Scherer: Das Handbuch des Kirchenrechtes V o n Philipp H e l m OCist „...multos libellos scripsit. Tu autem Domine miserere nobis" 1, so spottete Rudolf Ritter von Scherer in einer seiner Vorlesungen in Wien über jene wissenschaftlich Tätigen Vielschreiber, sollten sie jemals heiliggesprochen werden. Dann müßte in der zweiten Nokturn des Breviers so - wie eingangs zitiert - über sie gesagt werden. Rudolf Ritter von Scherer (1845-1918), berühmter Kirchenrechtsgelehrter am Ende des vorigen Jahrhunderts, schien lange Zeit in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl auch er selbst - trotz seiner Augenkrankheit - zu den von i h m selbst so bezeichneten Vielschreibern zu zählen wäre. Erst das Erscheinen mancher Festschriften 2 sowie die Beschäftigung mit der kirchenrechtlichen Lehre vor dem Erscheinen des C I C 1917 scheinen dazu angetan, dieser Persönlichkeit neues Augenmerk zu schenken ?

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Josef Fried, Mein Weg zum Schreiben, in: Die Österreichische Furche, Beilage: Die Warte, vom 15. Nov. 1952. 2 z. B: Bruno Primetshofer, Kirchenrecht, in: Ernst Chr. Suttner, Die Kath.Theologische Fakultät der Universität Wien 1884-1984. Festschrift zum 600-JahrJubiläum. Berlin 1984; Josef Kremsmair, Rudolf Ritter von Scherer. Ein hervorragender Kanonist und seine Haltung zum Antimodernisteneid, in: Franz Pototschnig / Alfred Rinnthaler (Hg.), Im Dienst von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck. Wien 1985; Nikolaus Grass, Österreichs Kirchenrechtslehrer der Neuzeit. Besonders an den Universitäten Innsbruck und Graz / Freiburg i. d. Schweiz 1988; Ferdinand Rinnhofer, Grazer Theologische Fakultät vom Studienjahr 1827/28 bis 1938/39, erschienen in der Reihe: Dissertationen der Karl-Franzens-Universität Graz, 82. Graz 1991. 2 Auch ich verdanke mein Interesse an der Person und Lehre Ritter von Scherers erst einem Hinweis von Prof. P. Dr. Johannes Mühlsteiger SJ, welcher meine Aufmerksamkeit auf jene Person lenkte, die auch eng mit meinem Heimatkloster dem Stift Rein verbunden war und ist. Rudolf Ritter von Scherer vermachte - was in der heutigen Forschung bisher untergegangen zu sein scheint - seine Bibliothek, wie auch seinen Nachlass dem Stift Rein aus Dankbarkeit dem Stiftsbibliothekar P. Anton Weis gegenüber. Nur die Handlungsweisen des Nachlassverwalters Karl Gottfried Hugelmann

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Was die Auseinandersetzung mit der Person Rudolf Ritter von Scherers betrifft, muss konstatiert werden, dass heute gerade seine Haltung zu Liberalismus und Antimodemismus, genauergesagt zu Bücherzensur und Antimodernisteneid interessiert und in der wissenschaftlichen Aufarbeitung Rezension erfährt. Eine weitere konfliktträchtige Auseinandersetzung im Leben Scherers soll aber hier behandelt werden, nämlich jene um sein Lebenswerk, das Handbuch des Kirchen rechtes4. Zum besseren Verständnis dieser Diskussion soll aber zuerst, als Voraussetzung, auf den Werdegang und die Ausbildung Scherers eingegangen werden. L Wissenschaftliche Ausbildung Am 11. August 1845 geboren, genoss Rudolf Ritter von Scherer zunächst die Ausbildung durch seine Eltern, danach beschloss er seine schulische Ausbildung an dem von Admonter Benediktinern geleiteten k. k. Akademischen Gymnasium in seiner Heimatstadt Graz mit der Maturitätsprüfung mit Auszeichnung. Obwohl es sein ausdrücklicher Wunsch war Theologie zu studieren, zwang ihn sein Vater zunächst Jus zu studieren, erst nach dessen Tod begann er das Studium der Theologie.5 7. Studium der Rechte Rudolf von Scherer begann das Studium der Rechte an der Karl-FranzensUniversität zu Graz und besuchte „..die obligaten Vorlesungen über deutsches und römisches Recht, aber selbst so tüchtige Lehrer wie Sandhaas und Demelius vermochten ihn nicht zu fesseln" 6. Sein Interesse verlagerte sich mehr auf philologische und historische Studien, neben dem Jus-Studium nahm er das Neue Testament auf griechisch durch, und verbesserte seine Englischkenntnisse. Sanskrit zu erlernen, gab er nach kurzer Zeit auf, denn es „..schreckte ihn die Beobachtung ab, wie dessen Lehrer mühsam sein Pensum diktierte..." 1.

verhinderten es, dass sämtliche Hinterlassenschaften Scherers gesammelt in Archiv und Bibliothek des Stiftes Rein, sondern teilweise auch im Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, befindlich sind. 4 Genaue Zitation: Rudolf von Scherer, Handbuch des Kirchenrechtes, 2 Bde. Graz 1886/1898. 5

Vgl.: Rudolf von Scherer, Autobiographie, Nachlass Rudolf Ritter von Scherer, Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 3. 6

Scher er, ebd.

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Scherer, ebd., 4.

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Erst im zweiten Semester des juristischen Studiums dürfte die Kontaktaufnahme mit dem Professor für römisches Recht und Kirchenrecht in Graz, Friedrich Maassen, richtungsweisend für den Studenten Scherer gewesen sein. Scherer selbst berichtet in seiner Autobiographie über diese prägende Begegnung: ,r.., als er nach einer persönlichen Vorstellung beim Kirchenrechtslehrer Friedrich Maassen von diesem auf ein gründlicheres Studium des Kirchenrechtes hingewiesen und ermahnt wurde, schon deshalb d. h. aus methodischen Gründen römisches und germanisches Recht gewissenhaft zu studieren." 8 Friedrich Maassen empfahl seinem Schüler Rudolf Ritter von Scherer „..mit glücklichem Griff Walter's Kirchenrecht 9 als erste Lektüre..." 10, was dessen Interesse aufgrund „..der Frische der Darstellung, der Genauigkeit der Citate , der Fülle geistreicher Bemerkungen.. , " n am Kirchen recht sehr förderte. Es scheint hier Nikolaus Grass Vermutung zuzutreffen, wonach Scherers Faible für das Kirchenrecht auch in der glücklichen Verbindung von der Rechtswissenschaft zum ersehnten Theologiestudium einen Grund finden könnte. 12 Etwas später nahm sich Scherer Phillips großes Kirchenrecht 13 vor und sagte über die Erfahrungen mit diesem Werk: „..der erwachende kritische Geist des jungen Studenten wurde von unerwiesenen Behauptungen und kühnen Schlußfolgerungen sog. Konstruktionen des Rechts nicht erdrückt, sondern im Gegenteil erst recht gestärkt " u Und über seine weiteren Studienfortschritte berichtet er: ,J)as Studium des Kirchenrechts von Richter 15 lie ss ihn die Schwierigkeiten ahnen ein gemeines christliches Kirchenrecht zu finden.,." 16. ,ßald war der Entschluß gefasst sich, wenn nicht ausschließlich, doch vorwiegend dem Studium des katholischen Kirchenrechtes zu widmen. Dabei war es weniger das geltende Recht als vielmehr dessen geschichtliche Entwicklung

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Scher er, ebd.

Gemeint: Friedrich Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen Confessionen. Bonn 1846 10. verb. Aufl. 10

Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 4.

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Scherer, ebd., 5.

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Vgl. Grass, Kirchenrechtslehrer der Neuzeit (Anm. 2), 60.

Gemeint: Georg Philipps, Kirchenrecht, 7 Bde., 1845-1872. oder: Ders., Lehrbuch des Kirchenrechtes, 2 Bde. Regensburg 1859 bzw. 1862. 14 Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 5. 15

Gemeint: Aemilius Ludwig Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts. Mit besonderer Rücksicht auf deutsche Zustände. Leipzig 1886, 8. Erw. u. verb. Auflage. 16

Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 5.

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was Scher er anzog ." 1 7 So war es Maassen, der „...gleich wie in wissenschaftlicher Hinsicht... auch in jeder anderen Richtung eine scharfund bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit,.." 18 war, in seiner Eigenschaft als Lehrer, gelungen, Rudolf Ritter von Scherer für das Studium des Kirchenrechts zu gewinnen. Scherer war seinem Lehrmeister für seine Begleitung und Beratung sehr dankbar, so daß er Maassen gerne „..durch Kopieren aus alten Codices, sowie durch Kollationieren derselben..." 19 bei den Forschungen für sein großes Werk behilflich war. ,£)er nähere Verkehr mit dem gefeierten Kanonisten dauerte ununterbrochen während der Jahre 1863-67." 20 Die Voraussetzungen für diese unterstützende Arbeit wurde in einer von Maassen veranlassten, vom Archivar des Steiermärkischen Landesarchivs, Josef von Zahn, gehaltenen Vorlesung getroffen. 21 Die Begeisterung Scherers für das Kirchenrecht wirkte sich auch auf die restlichen juristischen Studien aus. Als ihn besonders interessierendes Gebiet nennt er die ,Jheorie und Geschichte des Civilprozesses" 22. Nachdem er das juristische Quadriennium vollendet hatte, entschloss er sich, den juristischen Doktorgrad anzustreben. Da im Januar 1867 sein Vater, der sich ja dafür ausgesprochen hatte, das juristische dem theologischen Studium vorzuziehen, verstarb, begann Scherer noch als Student der Rechte das schon immer gewollte Studium der Theologie. Die juristischen Studien konnte Rudolf Ritter von Scherer am 31. Juli 1867 mit der Promotion zum Doctor Iuris abschließen. 2. Studium der Theologie Die folgende Zeit des Theologiestudiums schildert Rudolf Ritter von Scherer in seiner Autobiographie: ,$cherer ßhlte in sich einen unwiderstehlichen Drang die Theologie an jenen Universitäten Deutschlands zu studieren, deren theologische Fakultäten einen wohlbegründeten Weltruf wahrhaft wissenschaftlichen Betriebes der sonst leider nur schulmässig tradierten Theologie besassen d.i. München und Tübingen' 23. Scherer verbrachte ein Semester in

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Scherer, ebd., 5-6.

18 19 20 21

Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 2), 57. Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 6. Scher er, ebd. Vgl. Scherer, ebd., Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 2), 60-61.

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Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 8. Scher er, ebd., 9.

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München, um dort vor allem Ignaz Döllinger 24 , den berühmten Kirchenhistoriker, zu hören. Neben den Vorlesungen aus Kirchengeschichte und dem Theologischen Konversatorium bei Döllinger absolvierte Scherer auch noch Vorlesungen aus Dogmatik, Exegese, Moraltheologie, Rhetorik, Religionsphilosophie und Kunstgeschichte, außerdem noch Persisch und Arabisch, insgesamt ein beachtliches Semesterpensum von 44 Stunden.25 Erwähnt gehört auch noch, dass Scherer schon in seiner Zeit in München von dortigen maßgeblichen Professoren eine Bewerbung um die erledigte Lehrkanzel für römisches Recht in Innsbruck empfohlen wurde. Scherer lehnte damals eine Bewerbung ab, wenngleich er das Ziel als Lehrer an einer Universität wirken zu dürfen, als seinen Herzenswunsch" 26 bezeichnet. Das Angebot, das verbindlich auch von einem Bischof unterstützt worden sein soll, war wohl ehrend, doch als vorrangiges Ziel Scherers kristallisierte sich damals schon die Beendigung des Theologiestudiums und das Erreichen des Priesteramtes heraus. 27 Ein weiteres Semester studierte er in Tübingen, wo er die Vorlesungen des Konziliengeschichtlers, Karl Josef von Hefele 28 , verfolgte. Auch in Tübingen hatte sich Scherer eine große Anzahl von Vorlesungen und Examina zum Ziel gemacht. Fehlende Stunden aus Dogmatik, Moraltheologie, Exegese und Kirchengeschichte, sowie Patrologie, Pastoraltheologie und Scholastik, zusammengezählt 30 Stunden 2 9 Nebenbei fühlte Scherer sich auch noch verpflichtet, nach dem Tod seines Vaters, die Agenden des Familienoberhauptes zu übernehmen, wovon die zahlreichen Anordnungen und Aufforderungen in den Briefen an seine Mutter und die jüngeren Geschwister zeugen.30 Die beiden oben erwähnten Professoren Döllinger und Hefele waren es auch, „...welche seine Neigungen fiir geschichtliche Studien wesentlich beeinflussten; daneben erfuhr er ... den wesentlichen Unterschied zwischen der geistlosen Einprägung von 'Regeln ' und der Auffindung und Erprobung von Gesetzen..."31. Scherer selbst hat diese Auslandsstudien als überaus fruchtbringend

Vgl. Albert Schwarz, Döllinger, Johannes Joseph Ignaz v., in: LThK 2 3,475. 25

Vgl. dazu: Rudolf von Scherer, Nachlass im Stiftsarchiv Rein, Brief Nr. 242.

26

Scherer, ebd., Brief Nr. 238.

27

Vgl. ebd.

28

Vgl. Hermann Tüchle, Art. Hefele, Karl Josef v., in: L T h K 2 5 , 5 5 f.

29

Vgl. dazu: Scher er, Nachlass (Anm. 25), Brief Nr. 261.

30

Vgl. Scherer, ebd., Briefe Nr. 153-273.

31

Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 10-11.

8 FS Mühlsteiger

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und prägend empfunden. „Der Aufenthalt an den genannten Universitäten war kurz, aber trotzdem nachhaltig, ja entscheidend für die wissenschaftliche Grundstimmung Scherers. Nicht nur war ihm Wahrheit zu finden und zu sagen die einzig erlaubte Tendenz wissenschaftlicher Arbeit, sondern in Folge der vorwiegend historischen Richtung seiner Studien wurde er gewohnt, als Ideal die richtige, d.i. sachgemässe Erforschung des positiv gegebenen Materials anzusehen. Daraus ist wol zu erklären, dass er sog. spekulativen Erörterungen jeder Art, mögen dieselben auf theologisch-dogmatischem, auf metaphysischemi, auf naturrechtlichem Gebiete sich ergehen, einen Geschmack abzuge•

«32

Winnen nie geneigt war.

So blieben es denn auch „..nur grosse Pläne, ideale Strebungen, schöne Bilder, welche das Herz des sog. Extern-Theologen fällten, als er ... im September 1868 nach Graz zurückkehrte..." 33. Nach seiner Priesterweihe und drei Jahren Tätigkeit als Kaplan in Leibnitz kam Bischof Zwerger seiner Bitte um Freistellung zur Beendigung des Doktorates der Theologie in Wien nach. Nach zwei Jahren beendete er seinen Aufenthalt in Wien mit der Fertigstellung seines Doktorates mit der Dissertation ,Historia patriarchatus Constantinopolitani usque ad Photium' 34 . Nach Graz zurückgekehrt wurde Scherer im Herbst 1874 als Supplent für Kirchengeschichte an die Universität Graz berufen, zwei Jahre später zum ordentlichen Professor für Kirchenrecht ernannt. 35 In dieser Zeit entstand auch die Idee zum Handbuch des Kirchenrechtes, auf welches im Folgenden noch näher eingegangen werden soll. Zum weiteren Werdegang Scherers sei nur noch vorausgeschickt, dass dieser im Jahr 1899, nachdem er Berufungen an die Universitäten Prag und Freiburg im Breisgau abgelehnt hatte, den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Universität Wien annahm.36 I I . Das Handbuch des Kirchenrechtes Während Rudolf Ritter von Scherer schon von Beginn seiner Lehrtätigkeit in Graz kleinere wissenschaftliche Arbeiten publiziert hatte, reifte in ihm „..der Gedanke ein Handbuch des Kirchenrechtes herauszugeben, welches nicht so

32

Scherer, ebd., 9-10.

33

Scher er, ebd., 11-12.

34

Scher er, ebd., 14.

35

Vgl. Scherer, ebd.

36

Vgl. Scher er, ebd., 24-25.

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breit angelegt sein sollte wie die Werke von Phillips 37 und Hinschius 38, aber über den Rahmen auch der besseren Lehrbücher hinausgehen sollte: durch eine grössere Berücksichtigung der Literatur, der Judicatur der römischen Behörden, endlich des partikulären wie des Staatskirchenrechtes. Als Ideal schwebte ihm eine gedrängte Darstellung des geltenden Rechtes und seines Werdeganges vor, welche durchaus verlässlich, weil aus den Quellen selbst geschöpft sein sollte. Nichts sollte ohne Beweis und Nichts ohne Grund - nur der Phrase wegen - geschrieben werden. Objektiv sollte die Darstellung sein, ohne ein dürres Regestenwerk zu sein; der Kritik, auch der meritorischen sollte der Mund nicht verschlossen sein.' 39 1. Entstehung Ein wahrhaft großes Vorhaben, das Scherer da verwirklichen wollte. Um keine Zeit zu verlieren, er war sich des geplanten Arbeitspensums für sein Werk bewusst, stürzte er sich sogleich in die Arbeit - neben den schon geschilderten anderen Verpflichtungen 40 . „Nun mussten, abgesehen vom Corpus juris canonici allmälig (...) die alten wie die neueren Conciliensammlungen durchstudiert werden; ebenso die Regesten der Päpste und deren Bullarien; die bändereichen Sammlungen der Entscheidungen der römischen Behörden und der Verordnungen einzelner Ordinariate; endlich die keineswegs leicht zu beschaffenden Zusammenstellungen einheimischer wie fremder staatlichen Gesetze und Verordnungen älteren wie neueren Datums. Daneben gieng das kritische Studium für die Entwicklung der Wissenschaft massgebender Canonisten (...). Dazu kam die einschlägige monographische Literatur (...)." 41 Als eine der Vorarbeiten hatte Scherer sich ein Exzerpt von Maassens Werk 4 2 gemacht 43 , jedoch waren ihm schon früher bei der genauen Durchsicht dieses Werkes Bedenken für eine eigene Arbeit gekommen, wie ein Brief an

37

Gemeint: Georg Phillips, Kirchenrecht, 7 Bde., 1845-1872.

38

Gemeint: Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, 6 Bde., 1869-1897. 39 4 0 Scherer,

Autobiographie (Anm. 5), 19-20 Vgl. Scher er, ebd.

41

Scherer, ebd. 20-21.

42

Gemeint: Friedrich Maassen, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts. Im Abendlande bis zum Ausgange des Mittelalters. Gratz 1870. 43

Vgl. Rudolf von Scherer, Nachlass Rudolf Ritter von Scherer, Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 15, Maassen-Exzerpte.

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Hugelman bezeugt: „..ich gestehe, dass die Genauigkeit der Arbeit Maassens schon beängstigend auf mich zu wirken beginnt iM. Scherer arbeitete dermaßen intensiv, dass der erste Halbband des ersten Bandes bereits im Jahre 1884 zur Veröffentlichung bereit stand. Vom Forschereifer beseelt arbeitete Scherer wie besessen weiter und verkürzte seine zur Erholung gedachten Ferien, um in den verschiedensten Bibliotheken im deutschsprachigen Raum seine Arbeiten zu ergänzen. 45 Schließlich konnte der erste Band des 'Handbuches des Kirchenrechtes', bestehend aus dem erwähnten ersten Halbband und dem neu fertiggestellten zweiten Halbband, 1886 erscheinen. Damit sollte eigentlich die erste Hälfte des ursprünglich nur auf zwei Bände angelegten Werkes vollendet sein und einer Fertigstellung des nächsten Bandes nichts mehr im Wege stehen. Dazu kam noch, dass Scherer durch „..manches uneingeschränkte Lob von Seite der Wissenden ..." 46 ermutigt und motiviert war, sich weiter mit vollem Eifer seinem Lebenswerk zu widmen. Doch es sollte anders kommen, denn Scherer wurde zunächst aufgehalten „...von dem Eintritte einer schleichenden Ermüdung, welche in einer heftigen Nephritis im April 1888 keineswegs ihr Ende fand" 47. Daraufhin musste er sich zur Genesung einer Kur unterziehen und versuchen zumindest die Vorlesungstätigkeit fortzusetzen. Nach und nach nahm er wieder die Forschungstätigkeit auf und als Ergebnis konnte er 1891 die erste, kleinere Hälfte des zweiten Bandes des Handbuches vorweisen. Inzwischen hatte sich aber auch schon herausgestellt, dass das 'Handbuch des Kirchen rechtes' doch drei Bände umfassen würde, „..nachdem das Ehe- und das Ordensrecht eine durch die Bedürfnisse des Rechtslebens geforderte ausführlichere Behandlung erfahren, als ursprünglich geplant war" 4S. Scherer setzte in der Folge seine intensive Arbeit, wie vor der Krankheit, fort und konnte das Regularrecht und den größten Teil des Eherechts als druckreif bezeichnen. Da bereitete, wahrscheinlich als Folge seiner Nephritis, „..im Mai 1894 ein schweres Augenleiden der literarischen Thätigkeit ein jähes Ende.." 49. Zu der befürchteten Netzhautablösung kam auch noch eine Neurasthenie, welche Scherer zu größter Schonung zwang. Nur mit Hilfe seines Schülers und späteren Nachfolgers in

44 45

Scherer, ebd., 12, Brief von Scherer an Hugelmann vom 24. Juli 1875. Vgl. Scherer, ebd., 21. Scher er, ebd., 22.

47

Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 22.

48

Scherer, ebd.

49

Scherer, ebd., 23.

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Graz, Johann Haring 50 , war Scherer überhaupt dazu in der Lage, den zweiten Band seines Werkes fertigzustellen. 51 Dazu kam auch noch die von Scherer als besonders peinlich empfundene Notwendigkeit für den im Mai 1898 erschienenen zweiten Teil des zweiten Bandes des 'Handbuches des Kirchenrechtes' um das verlangte bischöfliche Imprimatur anzusuchen.52 „Aiit der Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des zensurierten Autors erscheint auch die Authentie und Genuität des Werkes vernichtet oder wenigstens in Frage gestellt," 53, meint Scherer dazu verbittert in seiner Autobiographie. ,»Dieser Umstand mehr noch als das Augenleiden haben das Erscheinen des dritten Bandes des Handbuches vereitelt." 54 Diese Vermutung von Hans von Voltelini im Almanach der Akademie der Wissenschaften über das Einstellen der Arbeit am Handbuch, bestätigt sich auch in handschriftlichen Zeugnissen von Scherer selbst.55 Einen zusätzlichen Grund meint der Nachfolger von Scherer auf der Wiener Lehrkanzel für Kirchenrecht, Eduard Eichmann, gefunden zu haben. Neben dem Augenleiden Scherers führt er die nicht erfolgte Weiterführung des Handbuches auf „...die wenig wohlwollende, sachlich großenteils nicht gerechtfertigte Kritik, welche Scherer von seitens einiger unebenbürtiger Rezensenten erfuhr..." 56 zurück. 57 Diese Umstände, die Kämpfe Scherers mit der kirchlichen Situation jener Zeit und der Gesundheitszustand Scherers haben den Ausschlag für das Einstellen der Arbeit am Handbuch des Kirchen rechtes gegeben.58 Feststeht jedenfalls, dass Scherer sich nach Jahren der literarischen Enthaltsamkeit wieder zur Weiterarbeit entschlossen hatte und die Vorarbeiten zum dritten Band des 'Handbuches des Kirchen rechtes', der die Bereiche des Benefizialwesens, des Kirchenvermögens- und des Patronatsrechtes sowie des kirchlichen Gerichtswesens behandeln sollte, zum großen Teil in seinen letzten

50

Vgl. dazu: Rinnhofer, Grazer Theologische Fakultät, 189-196.

51

Vgl. Scherer, Handbuch (Anm. 4), 2. Bd., Vorwort III.

52 53

Vgl. dazu: Kremsmair, Scherer (Anm. 2), 337.

Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 24. Hans Voltelini, Nachruf auf Rudolf Ritter von Scherer, in: AJmanach der Wiener Akademie der Wissenschaften 69 (1919), 208. 54

55

Vgl. dazu: Kremsmair, Scherer (Anm. 2), 338-346.

56

Eduard Eichmann, Nachruf auf Rudolf Ritter von Scherer, in: ZRG Kan.Abt. 9 (1919) 372. 57

Vgl. dazu: III. Abschnitt dieses Artikels.

58

Vgl. dazu: Kremsmair, Scherer (Anm. 2), 345.

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Lebensjahren abgeschlossen hat. 59 So fand der Nachlassverwalter, Karl Gottfried Hugelmann 60 , Aufzeichnungen für den dritten Band des Handbuches, welche aber leider in schwer lesbarer Stenographie geschrieben sind. Dennoch konnte Hugelmann drei Abhandlungen, welche Scherer als maschingeschriebenes Manuskript ausdrücklich zur Veröffentlichung vorgesehen hatte 61 , und die als Bruchteile des dritten Bandes gesehen werden müssen, veröffentlichen. 62 Auf diese drei Abhandlungen darf im Anschluß an die Besprechung des Handbuches des Kirchenrechtes noch eingegangen werden. „Aus einer Notiz war ersichtlich, dass Scherer die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici noch in sein Manuskript hineinarbeiten wollte." 63 Doch hinderte ihn seine Krankheit und schließlich am 21. Dezember 1918 sein Ableben an besagtem Vorhaben. 2. Aufbau und Inhalt Das Handbuch das, wie schon bedauert nur in zwei und damit unvollendeten Bänden erschienen, Kirchen rechtes gliedert sich im ersten Band in drei Bücher. Nach den Prolegomena, die auf 16 Seiten den Rechtsbegriff, die Einteilung der Rechte, die Entstehung und Endigung der Rechte, von den Rechtsquellen und der Geltung und Anwendung der Rechtsquellen behandeln (§§ 1-5), beginnt das erste Buch, das als Grundlegung bezeichnet ist und auch so verstanden werden will. Es versucht in fünf Kapiteln von der Kirche Christi, der Gewalt der Kirche, der Verfassung der Kirche, sodann im längsten Kapitel des ersten Buches vom Verhältnis der Kirche zur Staatsgewalt und vom Kirchenrecht selbst zu sprechen. Diese 112 Seiten (§§ 6-20) bringen neben den Grundlagen auch einige Grundansichten Scherers zum Ausdruck, so besonders der § 19 über die Wissenschaft des Kirchen rechtes, auf den Scherer auch im Vorwort 64

verweist. Dort finden sich denn auch die methodischen Grundsätze zum 'Handbuch des Kirchen rechtes': „ / . Die Kenntnis des Kirchenrechtes ist aus den Quellen zu schöpfen. Die Darstellung kann sich darauf beschränken, die Quellen zu sammeln. (...) II. Gegenstand dieser Wissenschaft ist das jeweilig geltende Recht der Kirche, daraus ergibt sich (...) die einzuschlagende Methode: die

59 6 0 Vgl.

dazu: Abschnitt 2.4 dieses Artikels. Vgl. dazu: Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 2), 66, besonders Fußnote 297.

61

Vgl. Scherer, Nachlass (Anm. 43), 9., Manuskripte.

62

Vgl. dazu: Abschnitt II. 3 dieses Artikels.

63

Grass, Kirchen rech tslehrer (Anm. 2), 68.

64

Vgl. Scher er, Handbuch (Anm. 4), 1. Bd. Graz 1886, Vorwort III.

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juristisch-dogmatische von selbst.(...) So ist nicht nur die Geschichte des Kirchenrechtes eine der wichtigsten Hilfswissenschaften der Kirchenrechtswissenschaft, sondern letztere wird selbst vielfach der historischen Grundlegung nicht entbehren können. Dadurch ist die historische Methode der Behandlung des Stoffes gerechtfertigt, neben welcher man als dritte die sog. philosophische zu stellen pflegt." 65 Diese historische Durchdringung hat sich schon vor ihrem grundsätzlichen Festhalten, im Kapitel IV über das Verhältnis der Kirche zur Staatsgewalt praktisch angedeutet. Nach der historischen Darstellung dieses Verhältnisses von Kirche und Staat, angefangen bei der Frühzeit der Kirche und ihrer Stiftung über die Situation im römischen Reich und im Mittelalter, geht Scherer auf aktuelle Theorien und die Praxis in Deutschland und Österreich ein. Über die Notwendigkeit es Kirchenrechtsstudiums meint Scherer: ,£>ie Kennt η is des Kirchenrechtes ist für den Kleriker der höheren Weihen einfach Pflicht (...), weil Voraussetzung einer richtigen Auffassung seiner Stellung und geeigneter Entfaltung seiner Kräfte im Dienste der Kirche. Das zweite Buch des ersten Bandes ist mit einem Spezialgebiet Scherers überschrieben, den Quellen des Kirchenrechtes. Auf 180 Seiten (§§ 21-62) schreibt Scherer in zwei Kapiteln unterteilt, über die Theorie und über die geschichtliche Darstellung der Rechtsquellen. Das erste Kapitel gliedert er in sieben Punkte, über den Willen des Stifters der Kirche, das kirchliche Gewohnheitsrecht, die kirchliche Gesetzgebung, das Recht der Autonomie, die Concordate, die weltlichen Gesetze und die Anwendung der Rechtsquellen. Wobei der Punkt über die kirchliche Gesetzgebung ausführlich über die verschiedenen legislativen Einrichtungen in der Kirche, wie Konzil, Papst, Bischöfe und Prälaten, berichtet. Das zweite Kapitel erhält seine Gliederung durch die historische Entwicklung der Rechtsquellen. In drei Kapiteln fasst Scherer die verschiedenen Rechtsquellen in drei historischen Perioden zusammen. Die erste Periode umfasst den Zeitraum von der Stiftung der Kirche bis ins neunte Jahrhundert und bespricht neben den ersten frühkirchlichen Schriften die Papstbriefe und die Sammlungen des Kirchen rechtes im Orient und Occident. Die zweite Periode setzt er mit der Mitte des neunten Jahrhunderts bis ins vierzehnte Jahrhundert an und welche in der Behandlung von Pseudo-Isidor (über welchen Scherer ja schon früher publiziert hatte) über Gratian bis zu den verschiedenen Glossatoren ihren Inhalt findet. Die dritte Periode reicht vom fünfzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart herein, beginnend mit den Extravaganten und

65

Scherer, ebd., 113-114.

66

Scherer, ebd., 114.

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dem Corpus iuris canonici, in der Folge den Reformconcilien bis herauf zum ersten Vaticanum. Der letzte Teil des ersten Bandes des Handbuches des Kirchenrechtes, das dritte Buch befasst sich mit dem kirchlichen Verfassungsrecht. Das in drei Kapiteln unterteilte Buch behandelt auf 379 Seiten (§§ 63-98) die Stände der Kirche, das kirchliche Ämterwesen sowie die Synoden. Das erste Kapitel widmet Scherer den beiden Ständen der Kirche, nämlich den Laien und den Klerikern, durch die unterschiedliche Stoffmenge auch auf unterschiedlich viel Raum. Den Laien genau 2 Seiten, gegenüber 83 Seiten den Klerikern. Hierzu muß aber bemerkt werden, dass bei der Behandlung des Klerikerstandes auch die Bestimmungen zur Aufnahme in den Klerus, also auch die Weihevoraussetzungen, die Irregularitäten und die Regelungen für die Ordination einflossen. Daneben werden auch die Standespflichten und die Standesrechte (bezeichnenderweise auf 24 Seiten Pflichten, auf 9 Seiten Rechte) der Kleriker behandelt. Das zweite Kapitel erläutert im ersten Teil das kirchliche Ämterwesen und im zweiten Teil die kirchliche Hierarchie beginnend beim Papst bis zum Gehilfen des Pfarrers mit allen notwendigen und in diesen Rechtsbereich gehörigen Bestimmungen. Das dritte und letzte Kapitel des dritten Buches unterscheidet die drei Stufen von Konzilien, die ökumenischen, die Provinzial- und Plenar-, und die Diözesankonzilien, deren geschichtliche Entwicklung, deren Voraussetzungen und Durchführungsbestimmungen sowie deren unterschiedliche Reichweite und Wirkweise. Der zweite Band des 'Handbuches des KirchenΓechtes ,, der aus oben geschilderten Gründen erst zwölf Jahre nach dem ersten erscheinen konnte, beinhaltet nur ein Buch über das kirchliche Verwaltungsrecht. Wenngleich das erste, des in drei Kapitel unterteilten Buches, auf 64 Seiten (§§ 100-103) über die Verwaltung der Lehrgewalt und in vier Punkten über Erhaltung, Bekenntnis und Verbreitung der Lehre sowie die kirchlichen Schulen handelt, kann man dennoch sagen, daß der zweite Band größtenteils dem Eherecht gewidmet ist. Denn achtet man auf die Untergliederung des auf 632 Seiten (§§ 104-143) angelegten zweiten Kapitels, übertitelt mit Verwaltung der kirchlichen Weihegewalt, so fällt einem bald das Übergewicht der Behandlung des Themas Ehe auf. Im ersten Teil dieses zweiten Kapitels werden im ersten Punkt die Sakramente im allgemeinen und im zweiten Punkt die Taufe besprochen. Danach setzt aber mit dem dritten Punkt schon die Behandlung der Ehe ein. Begonnen bei der rechtlichen Natur derselben über die Jurisdiction, die Eingehung der Ehe, über das große Themengebiet der Ehehindernisse und in der Folge der Eheverbote und der Hebung der Hindernisse, schließlich hin bis zu den Rechtsfolgen der Ehe und der Auflösung der Ehe reicht dieser große kirchenrechtliche Themenkomplex. Daran schließt sich noch die Behandlung der Sakramentalien, vornehmlich des Begräbnisses. Der zweite Teil des zweiten Kapitels spricht

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noch über den Kultus und bringt die kirchenrechtlichen Bestimmungen über den Gottesdienst und andere außerordentliche Kultakte. Als Anhängsel, ohne die gewohnte Bezeichnung Kapitel oder Buch, sehr wohl aber dem kirchlichen Verwaltungsrecht zugeordnet - vielleicht war sich Scherer über die genaue Einordnung dieses Themas nicht ganz klar - bringt Scherer das Ordensrecht. Dieser 172 Seiten 67 (§§ 144-150) umfassende Teil erklärt nach einer sehr übersichtlichen historischen Einleitung die kirchenrechtlichen Bestimmungen über die Orden, genauer deren rechtliche Stellung, deren Errichtung, die Kriterien für Eintritt und auch die Folgen des Austritts. Daran schließt sich die Schilderung der kirchenrechtlichen Vorgaben für ordensähnliche Kongregationen und kirchliche Vereine und Bruderschaften. Mit diesem Teil über das Ordensrecht schließt das vorliegende Hauptwerk Scherers. Krankheit und Kränkung verhinderten eine Fortführung. Es sei an dieser Stelle, wie vielleicht noch öfter erwähnt, dass Scherers Stil inhaltlich kurz und prägnant im Satzbau aber sehr kunstvoll ist und der wahre Wert der Ausführungen eigentlich in den zahlreichen Fußnoten, Anmerkungen und Verweisen liegt, die ein Weiterforschen in dem einen oder anderen Punkt ermöglichen, ja geradezu dazu auffordern. ,£ie (die Anmerkungen) sollen entfernt kein unnötiger Aufputz, kein gelehrter Prunk sein, sie mögen ein Ballast sein, aber ein sehr notwendiger, um das Schiff im Gewoge der verschiedenen Parteien und Tagesmeinungen ruhig seinen Lauf ziehen zu lassen. Aufstellungen, welche des Beweises entbehren, sind heutzutage, wohl nicht allein im Bereiche des Rechtes, regelmäßig ohne Halt und Kraft ohne praktischen Werth, nur zu oft ohne innere Wahrheit, der Darsteller des Rechtes muß für jeden Satz den Grund angeben oder wenigstens den Ort, wo die Begründung des Gesagten sich findet. iM Für die Mühe und Genauigkeit des Autors bei diesen Angaben spricht neben der mit einem Asteriskus bezeichneten Quellen für jene, in welche Scherer nicht selbst Einsicht nehmen konnte 69 , sondern nur nach anderen Ausgaben zitiert hatte (und jene sind selten), auch der Umstand dass der kritische Apparat oft mehr als die Hälfte der jeweiligen Seite in Anspruch nimmt. Über die dennoch erhaltene Übersichtlichkeit und angenehme Gliederung wird auch in den Reaktionen auf das Scherer-Werk noch gesprochen werden.

67

Es muss angemerkt werden, dass die angegebene Seitenzahl nicht ganz korrekt ist, da durch ein drucktechnisches Versehen die Paginierung von Seite 244 auf Seite 257 überspringt. Die korrekte Seitenanzahl müsste daher lauten: 159. 68

So zitiert Franz Quirin Kober Rudolf Ritter von Scherer nach nicht mehr identifizierbarer Quelle: Franz Kober, Buchbesprechung in: ThQ 67 (1885) 498. 69

Vgl. Scherer, Handbuch (Anm. 4), 1. Bd., Graz 1886, Vorwort III.

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3. Aus dem Nachlass Der geplante dritte Band von Scherers 'Handbuch des Kirchenrechtes ' hätte den dritten Teil des Kirchlichen Verwaltungsrechts beinhalten sollen, nach Verwaltung der Lehrgewalt und Verwaltung der Weihegewalt, die Verwaltung der kirchlichen Regierungsgewalt. Diesen dritten Teil hätte Scherer unterteilen wollen in vier weitere Abschnitte, nämlich Aufsichtsrecht, Beneficialrecht, Verwaltung der Gerichtsbarkeit und Kirchliches Vermögensrecht. Diese geplante Gliederung läßt sich neben den Vorarbeiten Scherers zum dritten Teil 7 0 und den Veröffentlichungen aus dem Nachlass71, auch aus dem 'Grundriss des Kirchen rechtes' 72 ablesen. Diese Kurzfassung des Handbuches, zugleich das Vorlesungsmanuskript Scherers, ist 1901 gedruckt erschienen und unterscheidet sich vom Handbuch nur durch die viel knappere Ausführung und den Verzicht auf die Anmerkungen und den kritischen Apparat, im Aufbau und in der systematischen Einteilung ist es dem 'Handbuch des Kirchenrechtes' gleichgestaltet. Karl Gottfried Hugelmann konnte als Nachlassverwalter drei als getippte Manuskripte vorliegende Teile des dritten Abschnittes des Verwaltungsrechts herausgeben. Beginnend mit der Fortsetzung bei § 151, dem „..Schmerzenskinde.." 73, das Scherer in den Tagen nach seinem Rückzug von der Universität „..die Freude an der geistigen Verarbeitung eines solchen Materials raubte,.." 74 und die neuesten päpstlichen Erlässe, als allgemeine Einführung zum Kapitel über die Verwaltung der kirchlichen Regierungsgewalt gedacht und überschrieben mit dem Titel Übersicht und Allgemeines, beinhaltet. 75 Danach folgt der Abschnitt über kirchliches Aufsichtsrecht (geplante §§ 152-153, in Hugelmanns Veröffentlichung §§ 1-2 7 6 ) mit dem Aufsichtsrecht der Bischöfe und des Papstes. Auffallenderweise hat Scherer in dem im

70

Vgl. Scherer, Nachlass (Anm. 43), 9., Manuskripte. Gemeint: Rudolf von Scherer, Kirchliches Verordnungsrecht, aus dem Nachlass herausgegeben von Karl Gottfried Hugelmann, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), 449-474. Ders., Kirchliches Aufsichtsrecht, aus dem Nachlass herausgegeben von Karl Gottfried Hugelmann, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 7 (1928), 342366. Ders., Benefizialrecht, Bruchstücke aus dem Nachlass herausgegeben von Karl Gottfried Hugelmann, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 8 (1929), 397-412. 71

72

Vollständige Zitation: Rudolf von Scherer, Grundriss des Kirchenrechtes, als Manuskript gedruckt, Graz, 1901. 73 Scherer, Nachlass (Anm. 43),15, Kirchliches Verordnungsrecht (maschingeschriebenes Manuskript), Vorbemerkung. 74 Scherer, ebd. 75

Vgl. Scherer, Verordnungsrecht (Anm. 71), 449-474.

76

Vgl. Scherer, Aufsichtsrecht (Anm. 71), 342-366.

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Nachlaß zur Veröffentlichung bestimmten Manuskript die Behandlung des Aufsichtsrechtes der Bischöfe dem des Papstes vorangestellt, während es im Grundriss des Kirchenrechtes noch in umgekehrter Reihenfolge angeordnet war. Schließlich können noch Fragmente zum kirchlichen Benefizialrecht (geplante §§ 154-171, in Hugelmanns Veröffentlichung sind nur die §§ 1-3, also die geplanten §§ 154-156, erschienen 77) als letzter Teil des veröffentlichten Nachlasses von Rudolf Ritter von Scherer genannt werden. In diesem Bruchstück wird eine Übersicht über das Benficialrecht gegeben, sowie die Errichtung und Veränderung von Beneficien besprochen. An dieser Stelle muss klar und deutlich gesagt werden, dass das 'Handbuch des Kirchen rechtes' durch die Tatsache des Fehlens des dritten Bandes unvollständig geblieben ist und an Wert für die Kirchenrechtswissenschaft verloren hat. Die im Folgenden zu behandelnde Auseinandersetzung mit der Kritik von zeitgenössischen Professoren der Gesellschaft Jesu geht aber durchaus von einem in Bälde abgeschlossenen Gesamtwerk aus. I I I . Auseinandersetzung mit den Jesuiten Zahlreiche Rezensionen in verschiedensten wissenschaftlichen Zeitschriften haben sich mit dem Handbuch Scherers - zumeist sehr wohlwollend und lobend - auseinandergesetzt.78 Allerdings waren es jene von Mitgliedern des Jesuitenordens, die sich am vehementesten gegen das Scherer-Werk ausgesprochen haben. Wie in der Einleitung schon angekündigt ergibt sich in diesem Zusammenhang von selbst, dass diese Kritiken hier - ein wenig einseitig herausgegriffen werden, da sich ihr Widerspruch nicht nur durch viele Gemeinsamkeiten auszeichnet, sondern Rudolf Ritter von Scherer diese Angriffe äußerst unfair, über das Ziel der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hinausschießend und als geeint, aus einer bestimmten Richtung kommend, empfand. Zudem muß festgehalten werden, dass der Jesuitenorden in der Frage der Unfehlbarkeit des Papstes und der Verurteilung jeder Art von Modernismus dem Papst äußerst loyal gegenüberstand und die päpstlichen Zensurmaßnahmen von der Gesellschaft Jesu unterstützt, um nicht zu sagen überwacht, wurden. Daneben fühlten sich einige Jesuiten mit den von Scherer recht abfällig behandelten 'Curialisten' besonders betroffen und herausgefordert.

77

Vgl .Scherer, Benefizialrecht (Anm. 71), 397-412.

78

Vgl. Grass, Kirchenrechtslehrer der Neuzeit (Anm. 2), 213-220.

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1. Kritik

von Franz Xaver Wernz SJ

Im Jahr 1887 erschien in der Zeitschrift für katholische Theologie eine Rezension, verfasst von einem jesuitischen Kirchenrechtsgelehrten, die das ihre dazu beitragen sollte, daß Rudolf Ritter von Scherer jede Lust an der Weiterarbeit am 'Handbuch des Kirchenrechtes' verlor. Die Einwände, die Franz Xaver Wernz gegen Scherers Lebenswerk macht, sind aber viel grundsätzlicherer Art als jene späteren seiner beiden Mitbrüder Joseph Biederlack und Michael Hofmann. Wernz Besprechung des Handbuchs erscheint erst als der erste Band des Handbuchs vollständig veröffentlicht war. Dies hat seinen besonderen Grund, laut Wernz, auch darin, dass „...der zweite Theil des ersten Bandes im Ganzen eher unseren Beifall gefunden als der erste, dem wir im Gegensatz zu manchen Kritikern nur ein sehr beschränktes Lob hätten spenden können" 79 . Ein zynischer Unterton kann schon in Bewertung der von Scherer getroffenen Einteilung für sein Werk bemerkt werden. „Diese vom Verfasser adoptierte Einteilung ist logisch berechtigt und empfiehlt sich durch ihre Einfachheit, wenn auch bei der consequenten Durchführung derselben manchmal practische Schwierigkeiten entstehen, da schon im Verfassungsrecht ziemlich viel 'verwaltet' wird." 8 0 Weiter verfolgt wird dieser Ton bei der Charakterisierung des von Scherer zusammengetragenen Materials. „Damit wollen wir jedoch gerade nicht sagen, daß der Verfasser mit seinen als veraltet bezeichneten Bestimmungen überall das Richtige getroffen hat. Denn manches mag in der grünen Steiermark als veraltet erscheinen, was noch lange nicht überall als veraltet gilt." 8 1 Was Scherers Unterlassung einer grundsätzlichen Apologetik des Kirchenrechts betrifft, meint P. Wernz SJ den Grund dafür darin andeuten zu müssen, dass man"...nicht längst vergessene Gegner der katholischen Kirche..." 82 zu bekämpfen habe, „...sondern die neuern Gelehrten, welchen nicht selten 'die historische Entwicklung' eines jener Zauberworte ist, womit man falsche Ansichten zum Scheine zu begründen sucht" 83 . Nach diesen, als allgemeine Einleitung zur Kritik gedachten, Bemerkungen, ereifert sich Franz Xaver Wernz über die fehlende ausdrückliche kirchliche Druckerlaubnis, die zum damaligen Zeitpunkt aber nicht unbedingt gefordert war. „Daß die auch in der Bulle Apostolicae Sedis beibehaltene Censur nach einer authentischen Erklärung sich nur auf die Erklärungen der heiligen Schrift

79

Franz Xaver Wernz, Buchbesprechung, in: ZKTh 11 (1875), 328.

80

Wernz, ebd., 329. Wernz, ebd.

82

Wernz, ebd., 330.

83

Wernz, ebd., 330-331.

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beschränkt, ist uns wohl bekannt; doch damit ist nicht gesagt, daß wenigstens bei Werken theologischen und religiösen Inhalts die Druckerlaubnis des Ordinarius nicht nachzusuchen sei. Die canonistischen Werke müssen aber unbedingt der theologischen Literatur beigezählt werden." 84 Da das Kirchenrecht die Auswirkungen und Konkretisierungen nicht weniger Dogmen behandle, sei diese Maßnahme umsomehr gefordert. „Ja, wir glauben es gleich hier aussprechen zu sollen, daß ein gründlicher und wohlwollender Censor den Herrn Verfasser auf nicht wenige Sätze aufmerksam gemacht hätte, die im Interesse des Buches und des Verfassers besser nicht gedruckt worden wären." 85 Nach Auffassung von Franz Xaver Wernz muß das Kirchenrecht besonders jener Tendenz gegenüber in Schutz genommen werden, „...welche das Kirchenrecht aus dem Kreis der theologischen Wissenschaft herausreißen und als eine rein juristische Disziplin behandeln möchte, wo Katholiken und Protestanten, Laienjuristen und Historiker ohne jegliche theologische Bildung wie auf einem neutralen Boden mitsprechen können. (...) Täuscht nicht alles, so steht auch der Verfasser etwas auf diesem einseitigen juristischen Standpunkt. In wegwerfender Weise redet er von 'theologisierenden Juristen ' und 'moralisierenden Canonisten\.. cM. Mit dieser Grundeinstellung darf es nicht verwundern, wenn Wernz die, bei Scherer verwendete, Literatur für zu vielseitig hält, wäre ihm doch eine geringere Anwendung, vor allem protestantischer Literatur, lieber gewesen. „Der richtige 'objective' Standpunkt auch im Kirchenrecht ist eben kein anderer als der katholische, weil einzig und allein der wahre." 87 Was auf der einen Seite als zuviel unkatholisches Beiwerk getadelt wird, macht sich für Franz Xaver Wernz auf der anderen Seite im Fehlen der Moraltheologie und der Philosophie als Hilfswissenschaften des Kirchenrechts schmerzlich bemerkbar. „Bei der Stellung, welche der Verfasser dem 'Naturrecht' gegenüber einnimmt, wird man es begreiflich finden, dass für ihn die Systeme 4des römischen und germanischen Rechtes und der Staatswissenschaft' als Hilfswissenschaften des Kirchenrechts gelten können, nicht aber die Rechtsphilosophie."88 An dem von anderen Rezensenten positiv beurteilten Kapitel über das Verhältnis von Kirche und Staat läßt P. Wernz SJ auch kein gutes Haar. „Zunächst stößt der Verfasser S.22 an gewissen Ausdrücken und Vergleichen. 'Gemeiniglich bestimmt man die Kirche als eine societas perfecta, externa, non simplex sed composita, (...). Das Wesen der Kirche ist mit all dem nicht getrof-

84

Wernz, ebd., 332.

85

Wernz, ebd., 332-333.

™ Wernz, tbd., 333. 87

Wernz, ebd., 334.

88

Wernz, ebd., 335.

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fen. 9 Mehr Bescheidenheit wäre hier wohl am Platze gewesen. Wenn 'gemeiniglich 9 die Theologen in ihren dogmatischen Thesen diese Ausdrücke gebrauchen, so ist es ein starkes Präjudiz, daß diese recht haben, nicht aber der eine Tadler." 89 In der Folge bringt Wernz seine Korrekturen an den Ausführungen Scherers über die monarchische Verfassung der Kirche, das Papalsystem, an. Er stimmt mit Scherer in diesem Punkt ebensowenig überein wie in dem über die Herkunft der bischöflichen Gewalt. „Wenn der Verfasser S.552 die 4 curialistische Ableitung der metropolitanen Gewalt aus der päpstlichen ' bekämpft, so ist ein solches Vorgehen historisch und juristisch völlig unbegründet .' t 9 i ) Den vernichtenden Schlussstrich unter dieses Kapitel zieht Wernz mit folgenden Worten: „Indem wir schließlich auf das Verhältnis von Kirche und Staat zu sprechen kommen, wie es der Verfasser sich denkt (S. 27 ff.), müssen wir leider die ganze Darstellung als den schwächsten und unvollkommensten Theil des Werkes bezeichnen. Die historische Entwicklung ist vielfach unrichtig, (...) zum Theil viel zu schwach und reserviert (...), zum Theil (...) vollkommen mißlungen, und die eigenen positiven Ausführungen des Verfassers sind äußerst schwankend und unklar, Wahres und Falsches wird durcheinander geworfen, ja eine principielle, wissenschaftliche Lösung der Frage gar nicht gegeben. Die Theorie des Verfassers verdiente weit eher den Titel: Practische Maximen für einen modus vivendi." 91 Doch wer meint, dass der Höhepunkt der Kritik schon erreicht sei, dem darf noch eine Zugabe Wernz zu teil werden. „S. 27 fährt sodann der Verfasser fort: 'Die wenigen dogmatischen Sätze, welche hierüber Licht verbreiten, genügen zur Aufstellung einer überall verwendbaren Theorie über das Verhältnis von Staat und Kirche nicht. 9 In diesem Satze begrüßen wir wenigstens das Zugeständnis, daß dogmatische Sätze Licht verbreiten..." 92 . Wernz unterstreicht in der Folge, dass wenige dogmatische Sätze viel sagen können, weil sie eben umso inhaltsschwerer seien, um dann zu schließen: ,3ei näherem Zusehen dürfte sich der Verfasser sodann auch überzeugen, daß durchaus nicht so wenige dogmatische Sätze existieren, welche über das Verhältnis von Kirche und Staat 'Licht verbreiten 9. Dabei braucht er nicht einmal in die Ferne zu schweifen, das Gute liegt so nah im Syllabus..." 93 . Bei der Verteidigung einer Theorie eines seiner Mitbrüder geht Wernz sogar so weit, Scherer persönlich zu insultieren, indem er festzustellen meint, dass diesem eine „...Stubengelehrsamkeit, die allzusehr gewisse Lieblingsideen festhält,

89

Wernz, ebd., 338-339.

90

Wernz, ebd., 343.

91

Wernz, ebd., 344—345.

92

Wernz, ebd., 346.

93

Wernz, ebd., 347.

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das Leben nach den Büchern der Bibliothek schildert und nicht über den engen Horizont der eigenen Heimat hinausblickt..." 94 eigen sei. Wernz Kritik fand ihr Auslangen aber nicht mit dieser 24seitigen Rezension, sondern er fühlte sich auch noch bemüßigt, zwei Artikel zur Richtigstellung der falschen Lehren Scherers zu verfassen. Der erste der beiden Artikel, der das Naturrecht als eine Quelle des Kirchenrechtes verteidigen will, beginnt mit einem Scherer-Zitat: „'Jedes Recht, sagt Herr von Scherer im §1 seines oben besprochenen Handbuches des Kirchenrechtes, ist ein positives und concretes' und weiter: 4dem Begriffe nach stehen Recht und Ethos außer allem Verhältnisse' Beide Sätze sind unhaltbar. Denn mögen wir das Wort Recht im objectiven oder im subjectiven Sinne nehmen, in keinem Falle ist jedes Recht ein positives. Das objective Recht ist eben nichts anderes als das Gesetz, ein positives Gesetz ist aber geradezu undenkbar, wenn es nicht auf dem Fundamentalsatz des Naturrechts beruht: den Geboten der legitimen Autorität muß man gehorchen." 95 Wernz Kritik an Scherers Ablehnung des Naturrechts findet ihren Widerspruch auch in der Beweisführung Scherers. Schreibt Scherer doch in einer Anmerkung: „'Die reiche Mannigfaltigkeit und deshalb Indefinierbarkeit des Naturrechtes zu illustrieren, ist unnöthig. Träfe auch nicht zu: quot capita, tot sensus, immerhin mangelte es jede Autorität.' Eine Definition des Naturrechtes läßt sich schon beim hl. Thomas finden und nicht weniger bei den katholischen Vertretern des Naturrechtes aus neuester Zeit. Mit dem: quot capita, tot sensus muß es nicht weit her sein, da Scherer unter den Theologen 'eine erwähnenswerte Ausnahme' zu nennen weiß, welche mit ihm 'das Naturrecht lediglich als ideelle Quelle des Rechts' erklärt. Die Theologen scheinen also noch nicht für das ideelle Naturrecht zu schwärmen, sondern halten an dem wirklichen Naturrecht noch allgemein fest. (...) Speciell in Bezug auf Rom können wir dem Verfasser versichern, daß man £das Naturrecht als eine ideelle Quelle' in den päpstlichen Schulen nicht kennt." 96 Wernz empfiehlt dem Leser des Werkes daher „...sich nicht zu wundern..." 97 , daß Scherer das Naturrecht „...auch als Quelle des Kirchen rechtes verwirft" 98 , um seinerseits mit der Verteidigung des Naturrechts zu beginnen: ,Aber das Naturrecht ganz verwerfen und im Kirchenrecht nur positive Rechtsquellen anerkennen, ist über das Ziel hinausgeschossen. Das Naturrecht ist zunächst das nothwendige Fundament für

94

Wernz, e bd., 348-349.

95

Franz Xaver Wernz, Das Naturrecht eine Quelle des Kirchenrechtes, in: ZKTh 11 (1875), 378. 96 Wernz, ebd., 380-381. 97

Wernz, ebd., 382.

98

Wernz, ebd.

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jedes positive Recht, also auch für das Kirchenrecht (...). Wie also das Fundament zum Hause gehört, ebenso wird man auch das Naturrecht zu den Quellen des Kirchenrechtes zählen müssen, wie es von Gratian (...) bis zur Gegenwart regelmäßig in den katholischen Schulen geschehen ist." 99 Über die fortdauernde Geltung des Naturrechts läßt Wernz in seiner Diktion keinen Zweifel aufkommen. „Gott hat nun in doppelter Weise Gesetze gegeben, durch die Stimme der Natur, und durch die positive Offenbarung. Erstere verkündigt uns das Naturrecht; dieses hat aber nicht aufgehört Rechtsquelle zu sein, weil Gott auch noch eine zweite Rechtsquelle geöffnet hat. Vielmehr ist die Kirche diesem von Gott durch die Natur bekundeten Willen gleichfalls unterworfen. Christus gab nur eine bestimmte Summe positiver Gesetze. Im Uebrigen ließ er die Bestimmungen des Naturrechtes vollkommen bestehen. Wo immer also positive und neue Gesetze Christi nicht vorliegen, ist man nach wie vor auf das Naturrecht angewiesen." 100 Über das Ergebnis, zu dem Scherer im 'Handbuch des Kirchenrechtes' kommt, kann Wernz, nachdem er die Auswirkungen der Vernachlässigung des Naturrechts auch im Kapitel über Kirche und Staat getadelt hat, nur ein vernichtendes Urteil aussprechen. Scherers Resultat erweist sich in Wernz Augen „...als durchaus unannehmbar, und das sowohl vom rein natürlichen als vom positiv-theologischen Standpunkt aus betrachtet; denn es führt mit logischer Nothwendigkeit, sowohl zu einem philosophischen Absurdum, als auch zu einem dogmatischen Irrthum." 101 Die zweite Gegendarstellung von Franz Xaver Wernz nimmt zur Frage des Ursprungs der bischöflichen Gewalt Stellung. Hier ist seine Kritik nicht von dermaßen grundsätzlicher Art, sondern er nimmt schlicht die Gegenposition ein. Zwar gesteht er ein, dass man „...mit manchen Theologen ganz passend sagen könnte, die bischöfliche Jurisdiction sei remote aus einer göttlichen Verleihung herzuleiten" 102 . Wernz geht es aber um die Frage der nächsten Ursache, der unmittelbaren Quelle für die Gewalt der Bischöfe. Eine Frage, die Scherer grundsätzlich offen läßt, wenngleich er die Möglichkeit der Herleitung dieser Gewalt aus göttlichem Recht und die Selbständigkeit der Weihegewalt der Bischöfe für gültig erklärt. Wernz hingegen will diese These von vorneherein nicht gelten lassen, da „...für die Thatsache einer unmittelbaren göttlichen Verleihung [der Jurisdiction] die (...) Gegner keinen Grund vorbringen, der sich nicht ohne Schwierigkeit lösen ließe, insbesondere sind sie gar nicht im Stande

99

Wernz, ebd., 383.

100

Wernz, ebd., 384.

101

H W , ebd., 387.

102

Franz Xaver Wernz, Vom Ursprünge der bischöflichen Gewalt, in: ZKTh 11 (1875), 389.

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einen concreten Act zu bezeichnen, durch welchen Gott die bischöfliche Jurisdiction unmittelbar mittheilte, während die 'Curialisten' einfach auf die päpstlichen Confirmationsbullen hinzuweisen brauchen" 103 . Da diese Bullen einen „...Befehl und Auftrag des Papstes an den Bischof enthalten..." 104 sei diese Frage klar beantwortet. Daher sei die von Scherer, unter Berufung auf Sätze von Kirchenvätern, die aber „...nicht befugt waren Rechtssätze aufzustellen..." 105 , von historischen Beweisen abgeleitete Theorie nicht haltbar, „...zumal auch die Tradition und Praxis der Kirche sowie innere Gründe entschieden zu Gunsten der von uns vertretenen Meinung sprechen" 106 . Nach dieser geballten Ladung von Widerspruch gegen das Handbuch Scherers bekam Wernz ein paar Jahre später Schützenhilfe von Mitbrüdern aus seinem Orden. 2. Kritiken

von Joseph Biederlack SJ und Michael Hofmann SJ

Zwei weitere, jesuitische Rezensionen zum 'Handbuch des Kirchen rechtes' sind nämlich nicht nur von auffallender Ähnlichkeit was den Aufbau betrifft, sondern nahezu identisch in den Kritikpunkten. Es sind dies die beiden im Abstand von zwei Jahren erschienen Buchbesprechungen zum zweiten Band des Handbuchs von den Jesuitenpatres Joseph Biederlack und Michael Hofmann. Nach grundsätzlichem Lob für das Scherer Elaborat wissen die beiden nämlich mit einiger Vehemenz auf eine Zahl von Mängel hinzuweisen. Einerseits wird die Materialfülle und die Quantität der Verweise gelobt, andererseits aber der Wunsch geäußert, dass „...das reichhaltige Material besser geordnet worden..." 107 wäre. „Man kann sich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Autor von der Fülle des Materials fast erdrückt wurde." 108 Denn „...die mit Citaten vollgespickten Anmerkungen nehmen sich nicht selten wie ein sehr gut ausgestattetes Cabinet oder Museum aus, das noch keinen Ordner gefunden hat" 1 0 9 . „Vielleicht hat der Verfasser des Guten sogar zu viel gethan, indem er bisweilen Werke, Abhandlungen und Artikel namhaft machte, welche einer Erwähnung gar nicht wert waren." 110 Auch über Aussagen und Erläuterungen

103

Wernz, ebd., 391.

104

Wernz, ebd.

105

Wernz, ebd., 390.

106

Wernz, ebd., 392.

107

Michael Hofmann, Buchbesprechung, in: ZKTh 25 (1901), 124. Hofmann, ebd.

109

Joseph Biederlack, Buchbesprechung, in: AfkKR 82 (1899), 171.

110

Hofmann, Buchbesprechung (Anm. 106), 124.

9 FS Mühlsteiger

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finden sich Einwände grundsätzlicher Art. „Sodann vermißt man nicht selten die gewünschte Klarheit, namentlich in Begriffen und Definitionen. Ziemlich oft begnügt sich der Verfasser, bloß zu sagen, daß etwas nicht so sei, wie andere gelehrt haben, unterläßt es aber, den Leser über das, was das richtige sein soll, aufzuklären." 111 Als Beispiel für diese Kritik wird die Definition der Ehe angeführt. „So wird der hochwichtige Begriff der Ehe in folgender Form geboten: 'Die Ehe im Rechtsinne ist die rechtlich normierte Gemeinschaft zweier Personen auf Grund deren Geschlechtsverschiedenheit'' (87). 'Das Sacrament der Ehe ist überhaupt mehr habitus als actus' (S. 89 n. 10); auf S. 68 n. 2 wird das Sacrament der Ehe als 4etwas Dauerndes und Beharrendes' hingestellt und zwar im Gegensatz zur 'hl. Eucharistie', welche ein 4Gegenstand' ist, als 6ein Verhältnis'. Wie soll man dieser Begriffsbestimmung gemäß sich nun den Spender sowie Materie und Form des Ehesacramentes vorstellen oder erklären? Jedenfalls gewähren diese Ausführungen dem Leser kein klares Bild vom Wesen der Ehe." 1 1 2 Für Widerspruch sorgt auch die geringe Bewertung der offiziellen römischen Entscheidungen im Handbuch. „Scherer legt offenbar viel Gewicht auf Selbständigkeit in der Auffassung und Darstellung des kanonischen Rechts. (...) Selbständigkeit ist an sich gewiss vollkommen berechtigt; (...) Jedoch hat dieses Streben nach Selbständigkeit auch seine Grenzen. (...) Und dann ist ein wirkliches und allseitiges Eindringen in die einzelnen Fragen erforderlich. Hätte der Verfasser sich dieses Letztere immer angelegen sein lassen, dann würde jedenfalls seine Achtung vor der 'herrschenden Lehre', der 'kanonistischen Doctrin', auch vor der 'theologischen Schule' gestiegen, sein eigenes Urtheil zurückhaltender und bescheidener geworden, der manchmal vorkommende spöttelnde Ton ganz weggefallen sein." 113 Kritik wird auch ausgesprochen an der starken Betonung des juristischen Aspekts bei der Behandlung des Kirchenrechts. „Besser unterblieben wäre ferner die schlagwortartige Wiederholung der 'juristischen' Behandlung des kanonischen Rechtes. (...) Man wird doch nicht sagen können, dass für die Juristen andere Denkgesetze existieren als für die übrigen Menschen. (...) Ja wer recht zusieht, wird finden, dass richtiges, logisches Denken auch bei so manchen Juristen vor allem Noth thut und dass gerade unter der Flagge 'juristischer Auffassung', 'juristischen Denkens' usw. viel unechte Ware sich einzuschmuggeln trachtet." 114 Berufung zu genauester Kritik zeigt sich bei Ordensangehörigen natürlich im Ordensrecht, wo die zwei jesuitischen Rezensenten eine ganze Reihe von Fehlern im Scherer Werk aufdecken. „Weniger als das Eherecht ist dem Verfasser

111

Hofmann, ebd., 125.

U 2

Hofmann, t bd.

113

Biederlack, Buchbesprechung (Anm. 108), 175.

114

Biederlack, ebd., 176-177.

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die Darstellung des Ordensrechtes gelungen, (...) Zudem sind die Angaben nicht selten unrichtig." 115 Entbehrt doch beispielsweise „...was vom Wesen der Ordensprofeß gesagt wird, nicht mancher Unklarheiten..." 116 . „Wenn 'die einfache Profeß ein hinkendes Rechtsgeschäft 1 (S.816) bezeichnet wird, so entspricht diese wenig geschmackvolle Definition auch sachlich nicht". 1 1 7 Außerdem „...ist es nicht richtig, dass in jenen Orden, welche das Princip der stabilitas loci haben (...) 'der Wechsel des Klosters eine neue Profess erheischt (S 845) Eine neue Profess und darum ein neues Noviziat braucht nur nach einem Wechsel des Ordens gemacht zu werden." 118 Besonders gekränkt zeigen sich die Patres Biederlack und Hofmann über die fehlerhaften Details, die bei der Darstellung ihres eigenen Ordens angefallen sind. ,Aufgefallen sind dem Recensenten die mehrfachen irrigen Einzelangaben über die Gesellschaft Jesu. (...) Gegenüber den klaren, bestimmten und wiederholten Betheuerungen von Päpsten dürfte es schwer halten, einen Beweis für die Behauptung zu liefern: 'Die Gesellschaft Jesu ist objectiv kein Orden ' (S. 731). Ebenso unrichtig ist, daß 'in ihr ... äußerst selten feierliche Profeß stattfindet 7 (S.731), sowie daß 'die congregatio generalis ... alle Professen mit vier Gelübden umfaßt 9 (S. 757 n. 10); thatsächlich kommen zur Generalcongregation aus jeder Provinz nur 3 Mitglieder. (...) Ferner ist nicht richtig, daß das 'simplex votum castitatis ... juristisch als solennes, doch nur als impedimentum antecedens wirkt' (S. 806 n. 39) Dieses einfache Gelübde wird kirchenrechtlich hinsichtlich seiner Auflösung ganz anders als das feierliche Keuschheitsgelübde behandelt." 119 Daneben wird behauptet „...dass 'in der Ges. Jesu zum Noviziat volle 15 Jahre, zur einfachen Profess 17, zur feierlichen 25 Jahre erforderlich' sind. Diese Zahlen sind theils falsch, theils, um richtig verstanden zu werden, mit Zusätzen zu versehen." 120 Als Resümee kann nach solcher Entrüstung über Unwahrheiten den eigenen Orden betreffend P. Hofmann sagen: „Wenn in den noch ausständigen Theilen dieses Werkes auf gute Darstellung und völlig richtigen Inhalt ebenso Bedacht genommen werden wird, wie bisher auf Reichtum in der Literaturangabe, so werden wir in denselben Meisterwerke zu begrüßen in der angenehmen Lage sein." 121

115

Biederlack, ebd., 178.

1

Hofmann, Buchbesprechung (Anm. 106), 126.

117

Hofmann,

118

ebd.

Biederlack, Buchbesprechung (Anm. 108), 178,

119 120

Hofmann, Buchbesprechung (Anm. 106), 126. Biederlack, Buchbesprechung (Anm. 108), 179,

121

Hofmann, Buchbesprechung (Anm. 106), 128.

100

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Dazu sollte es aber aus schon geschilderten Gründen nicht kommen. Die Kritiken aus der Gesellschaft Jesu, vereint mit der Verschärfung der kirchenpolitischen Lage und der angegriffenen Gesundheit Scherers führten zur Einstellung der Arbeit am Handbuch des Kirchen rechtes. I V . Zusammenfassung Betrachtet man die verschiedenen Besprechungen und Kritiken zum Handbuch in ihrer Gesamtheit, so kann man grundsätzlich sagen, daß Rudolf Ritter von Scherer sein Ziel ein 'Handbuch des Kirchen rechtes' zu verfassen, welches einen Kompromiß zwischen Lehrbuch und Lexikon darstellen, neuestes und aktuellstes Material verarbeiten, die partikularrechtliche Situation im deutschen Sprachraum berücksichtigen sowie die historische Durchdringung der Rechtsmaterie als Methode anwenden sollte, erreicht hat. 122 Die Verwirklichung dieser Zielsetzungen waren auch von vielen Rezensenten, die im Rahmen dieses Beitrages nicht näher erwähnt werden können, größtenteils positiv anerkannt worden. Dazu wurde Scherers wissenschaftliche Objektivität, selten eingeschränkt durch manche Polemik, sowie seine umfassende juristische, historische und theologische Bildung gelobt. Der Kompromiß zwischen laufendem Text und der unerschöpflichen Menge von Anmerkungen, der schon bei der Herausgabe des Buches über Winfried-Bonifacius 123 erprobt worden war, wurde dabei eher unterschiedlich bewertet. Ebenso war die Berücksichtigung von protestantischen Autoren im Handbuch von streng katholischen Geistern nicht nur positiv vermerkt worden. Gerade diese vielseitige Aufarbeitung des Kirchenrechts muß heute vom Standpunkt der Wissenschaftlichkeit aus als sehr fortschrittlich bewertet werden. Unbestrittene Glanzpunkte des Handbuchs stellen die Abschnitte über das Verhältnis von Kirche und Staat sowie die Darstellung der Quellen des Kirchenrechts dar. Auch das Eherecht erwies sich als sehr sorgfältig behandelt, wenngleich es einige Widersprüche im Spiegel der Kritiken hervorrief. Dazu muß aber gesehen werden, dass zum Zeitpunkt der Abfassung eine angeregte Diskussion zwischen Eherechtsexperten über das ehekonstituierende Moment im Gange war und jede Publikation zu diesem Streit Stellung nehmen mußte. Scherer steht in dieser Diskussion zwischen den neuen Theorien von Sohm und Freisen für die Konsenstheorie.

122

Vgl. Scherer, Autobiographie (Anm. 5), 19-20.

123

Vollständige Zitation: Rudolf von Scherer (Hg.), Winfried-Bonifacius. Aus dem literarischen Nachlass von Dr. Franz Joseph Büß. Graz 1880.

Rudolf Ritter von Scherer

101

Neben kleineren Fehlern, die bei einer Arbeit von solchem Umfang vorkommen können, wie ungenaue Definitionen, falsche Detailinformationen, unkorrekten Quellenangaben (diese genannten Fehler sind aber relativ gering), schieden sich die Geister aber hauptsächlich in zwei Punkten. Der eine betraf den Ursprung der bischöflichen Gewalt, der andere die Bewertung des Naturrechts im Kirchenrecht. Schon in anderen Abschnitten des Handbuchs war aufgefallen, daß Scherer eine gewisse Schärfe gegen die vom ihm mit 'Curialisten' bezeichneten romtreuen und papstverbundenen Wissenschaftler hegte. War die Stellungnahme Scherers gegen die erstarkende päpstliche Macht schon bei der Schilderung des Verhältnisses zwischen Papst und Konzil, sowie bei der Beurteilung des Index aufgefallen, so fand sie ihren vornehmlichen Ausdruck bei der Darlegung der Herkunft der bischöflichen Gewalt. Scherer betont nämlich, im Gegensatz zu damals anderslautenden Meinungen, die Eigenständigkeit der bischöflichen Jurisdiction, weil diese vom göttlichen Recht herleitbar sei. Dabei kann man Scherer nicht den Vorwurf machen, er hätte die Form der objektiven Darstellung vernachlässigt, sondern vielmehr muss man konstatieren, dass er bei diesen Abschnitten des Handbuchs die historische Situation als Vorbild und Ideal dargestellt hat und die Augen vor der gegenwärtigen Situation verschließen hat wollen bzw. verschlossen hat. Aus unserer heutigen Sicht dürfen wir Scherer aber im Nachhinein recht geben, da nach Entschärfung der kirchlichen Situation um die Jahrhundertwende bis herauf zum Vaticanum II die Eigenständigkeit der bischöflichen Gewalt wieder mehr betont wurde und in den Konzilsdokumenten eine ausgewogene Balance im Verhältnis des Kollegiums der Bischöfe und dem Papst definiert wurde. 124 Schwieriger erweist sich die Bewertung der Diskussion über das Naturrecht. Es stimmt, daß Scherer das Naturrecht im Handbuch vernachlässigt, und verhallter als Quelle des Kirchenrechts ablehnt. 125 Für Scherer ist die Hauptquelle des Kirchenrechts der Wille des göttlichen Stifters, als abgeleitete Quellen läßt er Gewohnheit, Gesetzgebung und Autonomie gelten. 126 Die Gründe für diese Geringschätzung des Naturrechts in der Schererschen Lehre müssen wohl in seiner juristisch-historischen Ausbildung, sowie in seiner Abneigung jedweder philosophischer Erörterung gesucht werden. Dadurch dürfte der Ausschlag für die vordergründige Verachtung des Naturrechts durch Scherer in der für einen juristisch geschulten Denker nicht nachvollziehbaren und unklaren philosophischen Definition des Begriffs des Naturrechts liegen. Scherer gibt aber in den

124

Vgl. Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, Christus Dominus, in: L T h K 2 13,128-247. Peter Krämer, Kirchenrecht II. Stuttgart 1993,99-103,105-109. 125

Vgl .Scherer, Handbuch (Anm. 4), 1. Bd. Graz 1886,129.

126

V g\. Scher er, ebd.

102

Philipp Helm

Anmerkungen auch gegensätzlichen und konträren Meinungen Raum und verschließt keineswegs die Tür für eine Diskussion dieses Themas, wenngleich seine Meinung zunächst klar definiert scheint. 127 Die scharfen Äußerungen Scherers zum Naturrecht halten bei näherem Hinsehen einer rechtspositivistischen Auffassung aber nicht stand, denn den Anhängern dieser Richtung liegt die Erforschung und Durchdringung des positiv gegebenen Rechtsmaterials als Aufgabengebiet vor Augen, nicht jedoch die Begründung dieses gesetzten Rechts und dessen Verankerung in einem übergeordneten, transzendenten Bereich. 128 Scherer geht, wenngleich seine Äußerungen im einleitenden Teil es befürchten lassen, im Handbuch keineswegs so weit wie die Rechtspositivisten und er ist in dieser Frage, bei Betrachtung des gesamten Handbuches, nicht so radikal wie die Vertreter des Rechtspositvismus. Scherer selbst hätte eine Zurechnung zu dieser wissenschaftlichen Richtung sicher abgelehnt, da es ihm ferne lag, irgendeiner Gruppierung des wissenschaftlichen Lehrbetriebs eine Lanze zu brechen. Seine wissenschaftliche Tätigkeit orientierte sich an einigen Grundsätzen und Idealen, zu denen er stehen konnte, und die er auch zu verteidigen immer bereit war. In diesem Fall trifft eines dieser Ideale sich mit einer rechtspositivistischen Ansicht, eine Charakterisierung Scherers als Rechtspositivist würde zu weit gehen und dem Wissenschaftler Scherer keineswegs gerecht werden. Auch die widerstreitenden von nicht wenigen Animositäten begleiteten, Auffassungen von Wernz und Scherer zur Frage der Bewertung des Naturrechts sind bei einer genaueren, vergleichenden Gegenüberstellung nicht so weit und grundlegend auseinanderliegend, eher drängt sich hier der Verdacht eines gegenseitigen Missverstehens auf. Daneben war wohl auch die von Polarisierungen gezeichnete kirchliche und gesellschaftliche Situation der Jahrhundertwende nicht dazu geeignet, den neutralen Hintergrund für eine faire, theologische Auseinandersetzung zu bieten. Abgesehen von diesen widerstreitenden Punkten kann Scherers 'Handbuch des Kirchenrechtes' nur als ein bewundernswertes Werk beachtet werden, welches Zeugnis gibt von der Blüte der Kanonistik im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Grund für die fehlende Bekanntheit des Buches wie des Autors heute, liegt zum einen in der Biographie Scherers selbst, zum andern in der Unvollständigkeit des Handbuchs.

127

Vgl. Scherer, ebd.

128

Vgl. Joseph M. Häussling, Rechtspositivismus, in: L T h K 2 8,1056-1058.

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz* Von Georg May Die Verhandlungen eines Gerichtes über eine Sache heißen Instanz. Die Entscheidung eines Gerichts kann wirklich oder vermeintlich ungerecht sein. Zur Nachprüfung und Abhilfe besteht die Möglichkeit, dagegen Berufung 1 an das nächsthöhere Gericht einzulegen. Durch die Einlegung der Berufung hört die Instanz auf, und die Sache geht an den höheren Richter, die nächste Instanz über. Dieser Übergang von einem Gericht zum anderen wird als Instanzenzug bezeichnet2. Er richtet sich in der Kirche nach der hierarchischen Ordnung. Die erste Instanz für die in einer Diözese anfallenden streitigen Rechtssachen war normalerweise der Bischof. Die zweite Instanz war der Metropolit 3 . Die Berufung hatte grundsätzlich an den nächsthöheren Richter zu erfolgen. Das Allgemeine Konzil von Lyon von 1245 verbot die appellatio per saltum und ließ nur jene zu, die ein Oberrichter aufgrund bestehenden Gewohnheitsrechtes annehmen durfte 4. Das Konzil von Trient ließ diese Ausnahme nicht gelten5. An den Papst kann jedoch von jedem Kirchenglied unmittelbar omisso medio Berufung eingelegt werden 6. Die Appellation vollzog sich in folgender Weise. Der Kläger hieß pars appellane oder bloß appellans, der Beklagte pars appellata oder bloß appellatus7.

*

Sämtliche in diesem Beitrag angeführten Archivalien stammen aus dem Dom- und Diözesanarchiv (DA) Mainz und aus dem Staatsarchiv (StA) Würzburg. 1 Philipp Hergenröther, Die Appellationen nach dem Decretalenrechte. Eichstätt 1875; G.Buchda, Appellation: HRG 1,1971,196-200. 2

X 2,19,10.

3

X 2,28,66; V I 1,16,1 ; V I 2,15,3.

4

V I 2,15,3; V I 2, 2,1.

5

Conc. Trid. Sess. 22 c. 7 de ref. (.Joseph Alberigo ! Joseph A. Dossetti / Perikles P. Joannou / Claudius Leonardi / Paulus Prodi / Hubert Jedin (Hg.), Conciliorum Oecumenicorum Decreta. 3. Aufl. Bologna 1973,739 f.). 6

C. 2 q. 6 c. 4 , 5 , 6 , 8 , 1 0 , 1 6 ; C. 9 q. 3 c. 17; X 2,2,20.

7

DA Mainz 1/607 S. 216-217 (19. Februar 1750).

104

Georg May

Der Appellant rief in der Supplik den Oberrichter an, damit er die Sache annehme, und rechtfertigte seine Berufung i m libellus gravaminum. Der Richter der höheren Instanz hatte darüber zu erkennen, ob gut appelliert und schlecht geurteilt worden sei oder umgekehrt. Die eingelegte Berufung hielt in der Regel die Vollstreckung des Urteils auf 8 . Wenn die Appellation als desert erkannt worden war, ging die Sache an die vorige Instanz zurück zur Vollstreckung des Urteils 9 .

L Die erste Instanz I m Unterschied zur heutigen Rechtslage gab es in der Erzdiözese Mainz mehrere Gerichte, die in erster Instanz entscheiden konnten. Hier komplizierten sich die Instanzenverhältnisse durch die Tatsache, daß jahrhundertelang ein Netz von Archidiakonaten 1 0 das Territorium überspannte und daß der größte T e i l des Gebietes in Kommissariate 1 1 eingeteilt war, die in bestimmtem Umfang Gerichtsbarkeit besaßen.

8

DA Mainz 1/016 S. 136 (5. September 1707).

9

DA Mainz 1/025 S. 93 (19. April 1723).

I

Ich erwähne aus der reichen Literatur: Wolfgang Gresky, Der thüringische Archidiakonat Jechaburg. Grundzüge seiner Geschichte und Organisation (12.-16. Jahrhundert). Sondershausen 1932; Max Ehrenpfordt, Die Geistlichen Amöneburgs, insbesondere die Mitglieder des dortigen Kollegiatstifts zum hl. Johannes dem Täufer (1360-1802) (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda XIII). Fulda 1932; Karl Lennarz, Propstei und Pröpste des St. Peterstifts in Fritzlar (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und Diözese Fulda XV). Fulda 1936; Helmut Fath, Das archidiakonale Gericht zu Aschaffenburg. Die Iudices Ecclesie Aschaffenburgensis, in: Aschaffenburger Jahrbuch 5 (1972) 51-249; AIfred Bruns, Der Archidiakonat Nörten (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 17 = Studien zur Germania Sacra 7). Göttingen 1967; Georg May, Geistliche Ämter und kirchliche Strukturen, in: Erzstift und Erzbistum Mainz. Territoriale und kirchliche Strukturen (Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte 2). Würzburg 1997, 445-592, hier 503-520. II

Johann Wolf, Historische Abhandlung von den geistlichen Kommissarien im Erzstifte Mainz, besonders von denen im Eichsfelde, mit Beilagen. Göttingen 1797; Bruno Krusch, Studie zur Geschichte der geistlichen Jurisdiktion und Verwaltung des Erzstifts Mainz. Commissar Johann Bruns und die kirchliche Eintheilung (sie) der Archidiaconate Nörten, Einbeck und Heiligenstadt, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1897) 112-277; Martin Hannappel, Mainzer Kommissare in Thüringen. Insbesondere die Erfurter Generalkommissare und die Siegler Simon Voltzke und Johannes Sömmering, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 36 (1942) 146-209; May, Ämter (Anm. 10), 543-552.

105

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

1. Die Gerichte der Archidiakone Über mehrere Jahrhunderte beanspruchten die Archidiakone jüngerer Ordnung eine iurisdictio ordinaria propria 12 . Sie besaßen demgemäß eine anfangs recht ausgedehnte streitige und eine beschränkte Strafgerichtsbarkeit 13; sie unterhielten ein Gericht, dem der Offizial vorstand 14 . Ein literarischer Zeuge dieser Verhältnisse ist die Offizialatsordnung für den Archidiakonat Nörten, die am 13. September 1335 durch den Propst Kuno von Falkenstein aufgestellt wurde 15 . Das Gericht des archidiakonalen Offizials war die erste Instanz 16 . Von ihm konnte an den Erzbischof Berufung eingelegt werden 17 . Die Berufungsschrift hieß instrumentum publicum appellationis 18 . Die richterliche Tätigkeit der Archidiakone bzw. ihrer Offiziale wurde jedoch wiederholt eingeschränkt 19. Das Konzil von Trient bestimmte, daß alle vor das kirchliche Forum gehörigen Rechtssachen in der ersten Instanz nur vor den Ortsoberhirten erkannt werden sollten 20 . Damit war die Gerichtsbarkeit der Archidiakone erledigt. Sie verschwand auch in der Erzdiözese Mainz 21 .

12

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 18-27; Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. 6 Bde., Berlin 1869-1897, II, 183-205; Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche. 5., durchgeseh. Aufl., Köln 1972, 201-203, 216 f., 369. 13 Fath, Gericht (Anm. 10), 112-138; Gres/cy, Archidiakonat (Anm. 10), 39-47, 6163;Lennarz, Propstei (Anm. 10), 18-28. 14

Bruns, Archidiakonat (Anm. 11), 72-105; Carl Philipp Kopp, Ausführliche Nachricht von der ältern und neuern Verfassung der Geistlichen und Civil-Gerichten in den Fürstlich-Hessen-Casselischen Landen. 2 Tie., Cassel 1769/71, I, 113-116, 167-173. Für den Offizial des Propstes des Erfurter Marienstiftes z.B. vgl. Alfred Overmann (Hg.), Urkundenbuch der Erfurter Stifter und Klöster Tl. 2. Magdeburg 1929, 546 (Reg.)· 15 Bruns, Archidiakonat (Anm. 11), Beilagen Nr. 1,3-5.

(Anm. 11), 128-130.

Vgl.

Wolf,

Abhandlung

16

coram dicto officiali in prima vertebatur ... instantia (StA Würzburg MIB 56 fol. 229r-230r, 11. März 1538). Z.B. von einem Urteil des Offizials der Präpositur des Erfurter Marienstifts (StA Würzburg MIB 56 fol. 229r-230r, 11. März 1538). 18

StA Würzburg MIB 56 fol. 229r-230r (11. März 1538).

19

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 31-38; Lennarz, Propstei (Anm. 10), 26; Fath, Gericht (Anm. 10), 154 f. 20 21

Sess. 24 c. 20 de ref. (Conciliorum Oecumenicorum Decreta 772 f.). Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 39-41.

106

Georg May

2. Der Diözesanbischof Der geborene Richter erster Instanz in einem Bistum war der Diözesanbischof. So war es auch im Erzbistum Mainz 22 . Der Erzbischof übte normalerweise seine rechtsprechende Tätigkeit auf den Synoden aus 23 . Dort wurden Streitigkeiten innerhalb des Bistums vorgebracht und entschieden24. So wurde z.B. ein Streit zwischen dem Stift St. Peter in Mainz und dem Kloster Seligenstadt vor dem Erzbischof Christian geführt 25 . Die Synode war die erste Instanz 26 . Wenn der Erzbischof einen Streit außerhalb der Diözesansynode entschied, stützte er sich auch dabei lange Zeit auf einen Umstand von Klerikern und Laien 27 . In den Suffraganbistümern der Mainzer Kirchenprovinz nahmen die dortigen Diözesanbischöfe die Stellung des Richters erster Instanz ein. So entschied beispielsweise der Bischof Otto II. von Konstanz am 17. Februar 1170 einen Streit um das Patronatsrecht an der Kirche zu Efringen 28 . Die Suffraganbischöfe waren dem Metropoliten in dem vom Recht bestimmten Umfang zum Gehorsam verpflichtet 29 . Verfehlungen eines Bischofs wurden vom Metropoliten den im Provinzialkonzil versammelten Bischöfen zur Entscheidung vorgelegt 30 . Dieses fungierte als erste Instanz. 3. Das Gericht des Mainzer Stuhles Die Schwerfälligkeit der Rechtsprechung auf der Synode und die häufige Abwesenheit des Erzbischofs veranlaßten ihn, seine erstinstanzliche Gerichts-

22

ManfredStimming (Bearb.), Mainzer Urkundenbuch. I. Bd. Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137). Darmstadt 1972; Peter Acht (Hg.), Mainzer Urkundenbuch. Zweiter Band. Die Urkunden seit dem Tode Erzbischof Adalberts I. (1137) bis zum Tode Erzbischof Konrads (1200). 2 Tie., Darmstadt 1968/71. 23 Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 429 f. Nr. 523 (2. November 1124); Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 74-76 Nr. 39 (20. März 1143); II, 185-187 Nr. 96 (1147); 11,441-443 Nr. 244(1159). 24

Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 400 Nr. 498 (1122); I, 429 f. Nr. 523 (2. November 1124). 25

Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 622-624 Nr. 376 (1175).

26

Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 827 f. Nr. 507 (1187).

27

Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 474-476 Nr. 562 und 563 (1130); I, 530 f. Nr. 611 (1138). 28

Acht, Urkundenbuch II, 551 f. Nr. 323.

29

Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 130 f. Nr. 210 (968).

30

Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 374 Nr. 466 (1116).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

107

barkeit je nach Bedürfnis oder Notwendigkeit Geistlichen seines Bistums zu übertragen, die einen bestimmten Fall an Ort und Stelle entschieden31. Als sich die Beauftragung von Fall zu Fall als umständlich erwies, wurden allgemein delegierte Richter aufgestellt 32. Daraus entstand der Gerichtshof der Iudices sancte Moguntine sedis 33 . Seit dem 13. Jahrhundert unterhielt der Mainzer Erzbischof ein ständiges bischöfliches Gericht in seiner Bischofsstadt. Die Kommission für den Mainzer Richter vom 2. Mai 1478 34 ermächtigte ihn, alle Streit- und Strafklagen, die in erster oder zweiter Instanz an den Mainzer Bischofsstuhl kamen (per viam simplicis querele aut per appellationem ad dictam nostram sedem introductas), zu hören und zu entscheiden. Ein und dieselbe Person war also befugt, in beiden Instanzen richterlich tätig zu werden. In späteren Jahrhunderten unterschied man - angesichts der kollegialen Organisation des Gerichtswesens - zwischen dem Vikariat und dem Metropolitangerieht. Als erste Instanz bezeichneten die Ordinationes des Erzbischofs Franz Ludwig 35 das Vikariat (Tit. X I I I § 1), wir würden genauer sagen: das Vikariatsgericht. Das Mainzer Generalvikariat wurde nämlich in doppelter Funktion tätig, als Verwaltungsbehörde und als Gericht. Das Vikariatsgericht urteilte in erster Instanz über Sachen, die bei ihm eingebracht wurden 36 . Doch blieb es dabei nicht ohne Konkurrenz.

31 Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 745-748 Nr. 459 (17. November 1183): litem motam ... cognoscendam et rationabili fine decidendam domino Christiano, tunc Maguntine sedis preposito, et Ottoni viro strenuissimo ... vice nostra demandavimus; ebd. II, 498-500 Nr. 284 (1161-1165): Locum iudicis tenebat in vice episcopi Burchardus propositus saneti Petri. 32

Acht y Urkundenbuch II (Anm. 22), 716 f. Nr. 445 (1181): Iudices a domino Christiano Maguntine sedis archiepiscopo delegati; II, 1086-1088 Nr. 666 (1196): Maguntine sedis iudices delegati; II, 1120-1122 Nr. 686 (1197); II, 1123-1126 Nr. 688 (11971198); II, 1138-1140 Nr. 695 (1. August 1199); II, 1145-1147 Nr. 701 (30. November 1199). 33

Georg May, Die Anfänge des Gerichtes des Heiligen Stuhles zu Mainz, in: Festschrift Alfred Wendehorst zum 65. Geburtstag gewidmet von Kollegen, Freunden, Schülern, hg. von J. Schneider / G. Rechter (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 32). Neustadt/Aisch 1992,121-134. 34 Krusch, Studie (Anm. 11), 211 f. 35

Ordinationes pro Vicariatu Moguntino et Ecclesiis Ruralibus Em. et Ser. Principis ac Domini D. Francisci Ludovici. Mainz 1729. 36 DA Mainz 1/016 S. 32 (21. Februar 1707); S. 35-36 (28. Februar 1707); S. 47-48 (24. März 1707); S.49 (24. März 1707); S. 50-51 (24. März 1707); S.56 (31. März 1707); DA Mainz 1/021 S. 334 (2. März 1719); S. 378 (24. April 1719); S. 408 (31. Mai 1719); S. 421 (19. Juni 1719); S. 427 (22. Juni 1719).

108

Georg May

4. Der Generalvikar Der Generalvikar ist in das kirchliche Rechtsleben als Verwaltungsbeamter eingetreten 37. Die älteste erhaltene Bestallung des Mainzer Generalvikars weiß noch nichts von der streitigen Gerichtsbarkeit 38. Doch das änderte sich. Die Kommission von 1435 39 übertrug dem Generalvikar, für uns zum erstenmal erkennbar, in weitem Umfang die streitige Gerichtsbarkeit in Stadt und Diözese Mainz. Damit wurde er zum Richter erster Instanz gemacht. Wenn es in der Kommission heißt, er dürfe alle Streitsachen, die zum Amt des Generalvikars de consuetudine vel de iure gehören, entscheiden, dann ist klar, daß diese seine Kompetenz nicht erst im Jahre 1435 begründet worden ist. Der Generalvikar Johann von Lysura erhielt 1439 40 sogar noch weitergehende Vollmachten. Doch behielt sich der Erzbischof die Appellation an seine Person vor. Mit der Erweiterung der Vollmachten des Generalvikars für die Rechtsprechung trat er in Konkurrenz zu den Richtern des Mainzer Stuhles. Daß dieses Nebeneinander nicht zu einem Gegeneinander wurde, ist der Tatsache zu verdanken, daß die Gerichtsbarkeit in Mainz regelmäßig in kollegialer Weise ausgeübt wurde. Die gesamte, später als Generalvikariat bezeichnete Behörde wurde rechtsprechend tätig, und in sie war der Generalvikar eingebunden41. Die überragende und umfassende Stellung des Generalvikars in der Jurisdiktion blieb in den folgenden Jahrhunderten erhalten. Die Ordnung der Diözesankurie von ca. 1658 42 stellte den Generalvikar als den stellvertretenden Inhaber der ordentlichen Jurisdiktion des Erzbischofs dar. Seine gerichtlichen Entscheidungen galten als vom Erzbischof gefällt. Berufung war nur an den Apostolischen Stuhl möglich. Die Ordinationes des Erzbischofs Franz Ludwig beschrieben die Position des Generalvikars in der Weise, daß ihm alles anvertraut sei, was ihm vom kanonischen Recht zukomme und was er bisher ausgeübt habe, vorbehaltlich der Änderungen, die in diesem Gesetz vorgesehen seien 43 . Die Ordinationes des Erzbi-

37 38

Feine, Rechtsgeschichte (Anm. 12), 372 f.

Georg May, Die Anfänge des Generalvikars in der Erzdiözese Mainz, in: ZRG KanAbt. 79 (1993) 189-231. 39 StA Würzburg MIB 22 fol. 77r-78v. 40

StA Würzburg MIB 23 fol. 332-333. Vgl. Krusch, Studie (Anm. 11), 129.

41

Das Protokoll der Berufungssachen vom 17. November 1729 verzeichnet als anwesend den Generalvikar, den Provikar, den Offizial, den Siegler, die Herren Kirchner, Betz, de Nitschke, die Assessoren Kirchner und Petz (DA Mainz 1/101 S. 1). 42

DA Mainz Κ 120, X I I I - X X V I .

43

Ordinationes Tit. II § 1.

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

109

schofs Karl Philipp 44 erinnerten daran, daß der Erzbischof dem Generalvikar bei seiner Ernennung seine Jurisdiktion über die Diözese und die Kirchenprovinz übertragen habe, und gab ihm nun den Vorsitz im Vikariats- und im Metropolitangericht. 5. Die Gerichte der Kommissare In der Erzdiözese Mainz existierte eine eigenwillige Bildung des Partikularrechtes, die sich auch auf die Gerichtsbarkeit auswirkte. Seit dem 14. Jahrhundert setzten die Mainzer Erzbischöfe an verschiedenen Orten ihres Sprengeis Kommissare als ihre ständigen Stellvertreter ein 45 , und zwar in Amöneburg 46 , in Aschaffenburg 47, in Erfurt 48 . in Fritzlar 49 , in Heiligenstadt 50 , in Mainz 51 und in Nörten 52 . In der Abgrenzung der Kommissariate gab es im Laufe der Jahrhunderte einige Bewegung, die aber hier nicht thematisiert zu werden braucht. Die Befugnisse der Kommissare waren nicht die gleichen, weder deijenigen, die nacheinander an ein und demselben Ort wirkten, noch der anderen, die an verschiedenen Orten tätig waren 53 . Ursprünglich wurden sie allein mit Aufgaben und Vollmachten der geistlichen Verwaltung betraut. Später wurde ihnen auch die streitige Gerichtsbarkeit übertragen. Der Kommissar in Aschaffenburg erhielt sie schon in der Kommission vom 18. November 1431 54 . Der Kommissar in Heiligenstadt bekam die streitige Gerichtsbarkeit, beschränkt auf Ehesa44

Ordinationes Archi-Episcopalis Vicariatus Moguntini editae ex mandato Em. ac Clem. Domini, D. Philippi Caroli, S. Sedis Moguntinae Archiepiscopi. Mainz 1738, Tit. I. 45 Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 2-14. 46

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 58-62; Ehrenpfordt,

47

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 62-64; Fath, Gericht (Anm. 10), 153-162.

48

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 64-68.

Geistlichen (Anm. 10), 30-32.

49

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 70-72; Karl E. Demandi, Das Chorherrenstift St. Peter zu Fritzlar. Quellen und Studien zu seiner mittelalterlichen Gestalt und Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 49). Marburg 1985. 50

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 14-ll\Arno Wand, Das Eichsfeld als Bischöfliches Kommissariat 1449-1999. Ein Amt macht Geschichte (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte Bd. 41). Leipzig 1999. 51

Wolf Abhandlung (Anm. 11), 49-58; Krusch, Studie (Anm. 11), 133 f.

52

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 78-81; Bruns, Archidiakonat (Anm. 11), 105-111.

53

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 27-31.

54

StA Würzburg MIB 20 fol. 30-31v. Vgl. Krusch, Studie (Anm. 11), 132; Fath, Das archidiakonale Gericht (Anm. 10), 158-162.

110

Georg May

chen, am 28. März 1487 55 . Seit Beginn des 16. Jahrhunderts besaß der Fritzlarer Kommissar die streitige Gerichtsbarkeit erster Instanz für die beiden Propsteien Fritzlar und Hofgeismar 56. Der Kommissar in Göttingen (für das Gebiet der beiden Propsteien Nörten und Einbeck) wurde am 29. September 1533 57 betont zum geistlichen Richter erster Instanz (per viam simplicis querelae) ernannt. Die richterlichen Vollmachten der Kommissare waren ausgedehnter als die der Archidiakone. Für die Zeit nach der Abschaffung der Archidiakonen sei auf das Kommissorium für den Kommissar Christoph Jagemann in Heiligenstadt vom 22. Januar 1636 verwiesen 58 . Die Kommissare waren Richter erster Instanz 59 . Sie waren in ihrer Gerichtsbarkeit dem (erstinstanzlichen) Gericht des Mainzer Stuhls nicht unter-, sondern nebengeordnet. Die Ordinationes des Erzbischofs Franz Ludwig erklärten, daß an den Orten, wo ständige Kommissare sich befinden, diesen die erste Instanz zustehe. Nichts dürfe vor das Konsistorium gezogen werden als Berufungssachen, Nichtigkeitsbeschwerden und Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand in Streitsachen (Tit. X I I I § 4). Dieses Verhältnis wurde in den Akten deutlich ausgesprochen. Das Kommissariat zu Duderstadt z.B. war „Richter erster Instanz" 60 . Urteile aus Fritzlar 6 1 , Aschaffenburg 62 und dem Eichsfeld 63 lassen sich in großer Zahl nachweisen. 6. Das Generalgericht zu Erfurt Ähnliche Beweggründe wie in den übrigen Teilen der Erzdiözese Mainz sprachen dafür, die erzbischöfliche Gerichtsbarkeit in dem entlegenen Thüringen durch delegierte Richter wahrnehmen zu lassen. Bereits für 1199 lassen

55 StA Würzburg MIB 46 fol. 157r-v. Vgl. Krusch, Studie (Anm. 11), 132; Wand, Das Eichsfeld (Anm. 50), 28. 56

StA Würzburg MIB 51 fol. 29v (1502); fol. 60v-61r (1510).

57

StA Würzburg MIB 56 fol. 37v; Krusch, Studie (Anm. 11), 234 f.

58

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 42-46,120-124 mit Beilage X V I I S. 27-29.

59

Georg Ludwig Karl Kopp, Die katholische Kirche im neunzehnten Jahrhunderte und die zeitgemäße Umgestaltung ihrer äusseren Verfassung mit besonderer Rücksicht auf die in dem ehemaligen Mainzer, später Regensburger Erzstift hierin getroffenen Anstalten und Anordnungen. Mainz 1830,451. 60 DA Mainz 1/618 S. 600 (13. November 1777). 61

DA Mainz 1/620 S. 66-67 (11. April 1782).

62

DA Mainz 1/021 S. 398 (13. Mai 1719).

63

DA Mainz 1/620 S. 37-38 (28. Februar 1782).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

111

sich iudices in Erphort delegati nachweisen64. Seit Beginn des 14. Jahrhunderts setzte der Erzbischof einen ständigen Provinzialgerichtshof in Erfurt ein 65 . Was die Kommissariate je für ihr Gebiet waren, das war das Generalgericht zu Erfurt für seinen Bereich, der sich allerdings nicht immer gleich blieb. Für 1355 liegt die erste erhaltene Kommission für einen Generalrichter vor 6 6 . Ihm wurde die ordentliche Jurisdiktion des Mainzer Stuhles übertragen, jedoch mit Beschränkung auf die Bezirke der beiden Erfurter Propsteien und jener von Jechaburg und Dorla. Die räumliche Zuständigkeit wurde später auf das Gebiet der Propsteien Heiligenstadt, Nörten, Einbeck, Bibra und Fritzlar erweitert. Die Erfurter Richter waren auf Klagen erster Instanz beschränkt. Ein solcher Fall lag beispielsweise vor, als am 7. Dezember 1386 das Urteil gesprochen wurde 67 . Die Kommission vom 6. September 1463 68 erklärt ausdrücklich, daß sie lediglich über erstinstanzliche Sachen (per viam simplicis querele) zu richten haben. Das Erfurter Generalgericht war keine Appellationsinstanz von Urteilen der Kommissariatsgerichtshöfe. Durch die Einrichtung des Erfurter Generalgerichts büßte das (erstinstanzliche) Gericht des Mainzer Stuhls grundsätzlich nichts von seiner Kompetenz, auch in bezug auf das Gebiet, ein. Das heißt: Die Einwohner des Territoriums, für die das Generalgericht zuständig war, konnten ihre Klage auch in Mainz einbringen, es sei denn, es standen Privilegien de non evocando69 entgegen, die zum Angehen des Erfurter Generalgerichts in erster Instanz verpflichteten. Die Privilegia de non evocando wurden regelmäßig mit der Einschränkung gewährt, daß bei Appellationen die Ladung vor den Mainzer (Metropolitan-) Gerichtshof zulässig war.

64

K.F. Stumpf, Acta Maguntina saeculi XII. Innsbruck 1863, 140 Nr. 137. Ebenso 144 Nr. 143(1199-1200). Georg May, Die geistliche Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Mainz im Thüringen des späten Mittelalters. Das Generalgericht zu Erfurt (EThSt Bd. 2). Leipzig 1956. 66 StA Würzburg MIB 3 fol. 324; Stephan Alexander Würdtwein, Dioecesis Moguntina in archidiaconatus distincta. Commentatio XI: De archidiaconatu prepositi ecclesiae collegiatae Beatae Mariae Virginis Erfordensis. Mannheim 1790,248 Nr. 33. 67

Overmann, Urkundenbuch II (Anm. 14), 414 Nr. 860.

68

StA Würzburg MIB 30 fol. 13r-v; 36 fol. 183r-v.

69

Th.Schadow, Privilegia de non evocando: HRG III (1984) 2011 f.

112

Georg May

7. Die Commissiones bzw. die Commissio perpetua a) Die Commissiones Die Berufung von dem Mainzer Vikariatsgericht ging sogleich an die Römische Kurie 70 . Dieser Instanzenzug besagte, daß es für diese erstinstanzlichen Klagen keine Berufungsinstanz in Mainz gab. Darin lag eine beträchtliche Erschwernis für die Streitparteien. Man suchte und fand Abhilfe. Dies geschah zunächst in der Weise, daß das Vikariat Streitsachen einer ad hoc bestellten Kommission übertrug. Ein Beispiel: Die Ehesache Sternemann - Kiefer wurde in erster Instanz durch deputierte Kommissare entschieden und kam dann in zweiter Instanz vor das Vikariat 71 . Dadurch bildete es eine erste Instanz, an die dann zu ihm, dem Plenum Vicariatus, als zweiter Instanz appelliert werden konnte 72 . Die Einsetzung einer Kommission schlug sich im Protokoll des Vikariatsgerichts wie folgt nieder: „Ist die Commission auf Assessores Mayer et Kirchner erkanth umb beyde klagpunct zu untersuchen und darinn zu sprechen waß rechtens" 73. Regelmäßig wurde erklärt, daß eine Partei „a commissione ad Reverendissimum vicariatum appelliren" dürfe 74 . Die Entscheidung erging in diesem Falle in pleno vicariatu. b) Die Commissio perpetua für Ehesachen Die Zusammenstellung einer Kommission für jeden einzelnen Fall erwies sich als umständlich. Daher errichtete Erzbischof Emmerich Joseph im Jahre 1770 eine ständige Kommission (Commissio perpetua) (allein) für Ehesachen75. Die Berufungen von ihren Entscheidungen gingen an das Vikariatsgericht. In den Akten heißt es, von den Entscheidungen der Commissio perpetua und des Siegelamtes werde an das erzbischöfliche Vikariat appelliert 76 .

70

DA Mainz 1/021 S. 277.

71

DA Mainz 1/017 S. 157 (2. Dezember 1709).

72

DA Mainz 1/021 S. 344-345 (13. März 1719). Vgl. DA Mainz 1/021 S. 14,34, 72, 94,146,171,179,197,205,208,212,232,235,276-277,351,356,385. 73

DA Mainz 1/021 S. 62 (17. März 1718).

74

DA Mainz 1/023 S.285 (27. November 1721). Vgl. DA Mainz 1/023 S.288 (1. Dezember 1721); DA Mainz 1/024 S. 164-165 (22. Juni 1722). 75

Franz Joseph K. Scheppler, Codex ecclesiasticus Moguntinus novissimus. Aschaffenburg 1802, VI. 76 DA Mainz 1/616 S. 122 (14. November 1776).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

113

c) Die Commissio perpetua mit erweiterter Zuständigkeit Die Beschränkung der Spruchtätigkeit der Commissio perpetua auf Ehesachen erwies sich als zu eng. In der Sitzung des Generalvikariats vom 28. September 1778 brachte der Provikar vor, daß allein das ganze Untererzstift in Prozeßsachen - außer den Ehestreitigkeiten - keine zweite erzbischöfliche Instanz habe, so wie auch die Causae contentiosae, die einzelne Glieder der Kollegiatstifte zu Fritzlar, Amöneburg und Aschaffenburg betreffen, da an diesen Orten die Kommissariate größtenteils mit Stiftsmitgliedern besetzt seien, sogleich an das erzbischöfliche Vikariat gebracht würden. Dadurch würden manche oft wider Willen genötigt, sogleich eine Berufung nach Rom - mit größtem Kostenaufwand - zu ergreifen. Daher schlage er vor, daß, vom künftigen ersten Gerichtstage nach dem Fest des hl. Martin anfangend, alle Parteisachen an die erzbischöfliche Commissio perpetua zur rechtlichen Verfügung und Entscheidung, salva Appellatione ad Plenum Reverendissimi Vicariatus, zu verweisen seien außer jenen Causae, die durch ein Endurteil oder durch ein Interlocut („so Definitivam in Ventre gehabt") wirklich bei dem erzbischöflichen Generalvikariat entschieden worden sind, „sofort auf der Execution erliegen". Diese Übertragung an die erzbischöfliche Kommission sei um so weniger schwierig, als bisher schon das Protocollum in Judicialibus besonders geführt worden sei, mithin das in der erzbischöflichen Registratur befindliche einstweilen dahin abgegeben werden könne. Dem Sekretär des Bischofsstuhles (Secretarlo Sedis) entgehe dadurch nichts, da er bei der erzbischöflichen Kommission ebenso die Stelle eines Sekretärs versehe. Diese zu treffende Verfügung müsse den Prokuratoren des erzbischöflichen Vikariats bekannt gemacht werden, und sie seien aufzufordern, künftig jeden Mittwoch bei der Commissio perpetua zu erscheinen und dort in Causis judicialibus des Mainzer Unterstifts sowie auch in Causis contentiosis, wenn sie Glieder der Kollegiatstifte zu Fritzlar, Aschaffenburg oder Amöneburg betreffen, die rechtlichen „Bescheiden" - salva appellatione ad Plenum Reverendissimi Vicariatus - zu vernehmen und zu gewärtigen. Nach diesem Vortrag erklärte sich das Plenum des Vikariates mit dieser zu treffenden Einrichtung „vollkommen einverstanden" 77. Dem Erzbischof war die Erweiterung der Zuständigkeit der Commissio perpetua ebenfalls genehm. Die Commissio perpetua sprach demgemäß fortan nicht nur in Ehesachen Recht, sondern auch in anderen Gegenständen, z. B. in einer Stiftungssache (puncto fundationis redintegrandae) 78.

77

DA Mainz 1/066 S. 765-767 (28. September 1778).

78

DA Mainz 1/620 S. 486-487 (11. Dezember 1783).

10 FS Mühlsteiger

114

Georg May

8. Das Judicium ecclesiasticum Die durch die Erweiterung der Kompetenz der Commissio perpetua eingeleitete Entwicklung drängte weiter. Am 25. September 1784 erließ Erzbischof Friedrich Karl Joseph von Erthal eine umfangreiche Verordnung über das Generalvikariat 79 . In Tit. IV De Sigillifero § 4 richtete er als erste Instanz für das untere Erzstift das Judicium ecclesiasticum ein. Dort waren in Zukunft alle Streitsachen anzubringen, die bisher vor der Commissio perpetua (und dem Siegelamt) verhandelt worden waren. Appellationen sollten ad plenum Vicariatum gerichtet werden. Das heißt: An die Stelle der Commissio perpetua trat für das Unterstift das Judicium ecclesiasticum80. Es führte den Namen „Erzbischöfliches Geistliches Gericht und Siegel-Amt". Damit waren klar erkennbar zwei voneinander unterschiedene Gerichte in der Erzdiözese geschaffen. Das gesamte Erzbistum besaß nun einen sicheren Instanzenzug. 9. Das Siegelamt Für Streitsachen bestimmter Art bestand in der Erzdiözese Mainz schon seit längerer Zeit eine Art Sondergericht erster Instanz, das Siegelamt 81 . Der Siegler besaß gerichtliche Befugnisse im Bereich seiner Zuständigkeit. Vor ihm wurden Nachlaß- und Erbstreitigkeiten verhandelt. Der Siegler war nach den Ordinationes des Erzbischofs Franz Ludwig berechtigt und verpflichtet, in Erbschaftsangelegenheiten als Richter zu fungieren. Von seiner Entscheidung gab es die Möglichkeit der Berufung an das erzbischöfliche Konsistorium (Tit. V I § 6). Die Ordinationes des Erzbischofs Philipp Karl beließen es dabei (Tit. IV § 5). Bei Todesfällen gab es häufig Streit über Nachlaßverbindlichkeiten. Nicht selten wurde er gerichtlich ausgetragen. Solche Verfahren lassen sich daher in beträchtlicher Zahl nachweisen82.

79

DA Mainz 1/72 b Generalvikariats-Protokoll 1784 S. 1364-1464.

80

Z.B.: DA Mainz 1/623 S. 39 (31. März 1791).

81

DA Mainz 1/401-1/418 Siegelamtsprotokolle 1760-1795.

82

Z.B.: DA Mainz 1/620 S. 10-11 (17. Januar 1782).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

115

10. Das Gericht des Rabbiners Die Juden in dem Erzstift Mainz besaßen in gewissem Umfang eine eigene Gerichtsbarkeit. Sie wurde wahrgenommen von den Rabbinern 83. An sie waren jüdische Streitparteien grundsätzlich gewiesen. Die Juden konnten ihre Streitsachen aber auch bei den Gerichten der Kommissariate, z.B. in Aschaffenburg, anbringen. Diese besaßen eine unmittelbare Jurisdiktion über die Juden. Wenn ein Jude gegen einen anderen Juden klagte, mußte nicht zuerst der Mainzer Rabbiner die jurisdictio judicialis ausgeübt haben, bevor die erwähnten Gerichte tätig werden durften. Dagegen hatte der Rabbiner von der Kognition einer Sache abzustehen, wenn sie bei diesen Gerichten anhängig war 84 . Anders als im Mainzer Erzstift war die Rechtslage in der Reichsstadt Frankfurt. Den Kommissar zu Aschaffenburg wies das Vikariat aus gegebenem Anlaß darauf hin, daß die Judenschaft zu Frankfurt nicht unmittelbar unter dem Kommissariat stehe85. Das bedeutete, daß ein Jude nicht ohne Vorherwissen oder Requisition der weltlichen Obrigkeit zitiert werden durfte. I L Die zweite Instanz Der Mainzer Erzbischof war in seiner Eigenschaft als Metropolit Richter zweiter Instanz 86 . Auch als die bischöfliche Rechtsprechung auf Synoden87 ausgeübt wurde, war zwischen erst- und zweitinstanzlichen Sachen zu unterscheiden. Das Dekretalenrecht sah die Appellation vom (Suffragan-)Bischof an den Erzbischof (Metropoliten) vor 8 8 . Der Ordo iudiciarius Antequam hielt fest, daß die Berufung vom Bischof an den Metropoliten gehe (§ 85) 8 9 . Das Konzil von Trient beschäftigte sich relativ ausführlich mit dem Instanzenzug in der

83

Friedrich Schütz, Magenza, das jüdische Mainz, in: Franz Dumont / Ferdinand Scherf /Friedrich Schütz (Hg.), Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1998,679-702, hier 687. 84 DA Mainz 1/041 S. 287-288 (13. Juli 1750). 85

DA Mainz 1/042 S. 235-236 (7. Juli 1751).

86

Hinschius, System II (Anm. 12), 14-23.

87

Hinschius, System III (Anm. 12), 582-603.

88

X 1,31,11; V I 2,15,3; V I 2, 2,1.

89

Otto Riedner, Die geistlichen Gerichtshöfe zu Speier im Mittelalter. II. Bd.: Texte (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft 26. Heft). Paderborn 1915,45.

116

Georg May

Rechtsprechung. Als zweite Instanz konnte es niemand anderen als den Metropoliten ansehen90. Im Mittelalter gab es für die Iudices sancte Moguntine Sedis keine ständige zweite Instanz in der Kirchenprovinz Mainz. Vom bischöflichen Generalvikar oder Offfizial kann nicht an den Bischof appelliert werden, weil Bischof und Generalvikar bzw. Offizial ein und dasselbe Gericht bilden 91 . Lediglich für einzelne Fälle bestellte der Mainzer Erzbischof, wenn die Sache in erster Instanz vor den Iudices verhandelt worden war, Richter zweiter Instanz 92 . Normalerweise blieb, wenn die Richter des Mainzer Stuhles einen Prozeß durch Endurteil abgeschlossen hatten, nur die Möglichkeit, den Apostolischen Stuhl anzurufen. Ein in der Diözese Mainz anhängiger Streit war in zweiter Instanz vor den Apostolischen Stuhl gebracht worden, der zwei delegierte Richter bestellte 93 . Der Papst wies die ihm durch Berufung zugegangene Sache nicht selten an den Metropoliten zur Entscheidung zurück 94 . Die Befugnis, dem Gericht des Apostolischen Stuhles oder des päpstlichen Legaten vorbehaltene Fälle zu entscheiden, mußte dem Erzbischof (Bardo) vom Papst verliehen werden 95 . Die Lage änderte sich nicht grundsätzlich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Das heißt: Von erstinstanzlichen Urteilen des Mainzer Vikariatsgerichtes wurde an die Römische Kurie Berufung eingelegt 96 . Es ist sicher, daß zu diesem Zeitpunkt im Erzbistum Mainz keine zweite Instanz für Urteile, die das Vikariatsgericht in erster Instanz gefällt hatte, bestand97. Am 16. Mai 1754 sprach das Vikariatsgericht das Urteil in einer Sache, wo die Klägerin in

90 91

Sess. 24 c. 20 (Conciliorum Oecumenicorum Decreta, 772 f.). V I 1,4,2; V I 2,15,3.

92

Z.B.: Stephan Alexander Würdtwein, Nova Subsidia diplomatica 14 Bde. Heidelberg 1781-1792, VII, 160f. Nr. 76 (1339). 93 Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 745-748 Nr. 459/1183): a summo pontifice causa cognoscenda et rationabili fine decidenda delegata est. 94

J. F. Böhmer j C. Will, Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe von Bonifatius bis Uriel von Gemmingen 7427-1514, 2 Bde. Innsbruck 1877/86, I, 319 Nr. 3 (1142); Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 185-187 Nr. 96 (1147); II, 353-356 Nr. 191 (4. März 1150). 95 Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 174 f. Nr. 278 (1032). 96

Z.B.: DA Mainz 1/016 S. 120-121 (22. August 1707); DA Mainz 1/021 S. 41 (17. Februar 1718). 97

Z.B.: DA Mainz 1/023 S. 175-176 (26. Juni 1721).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

117

Kreuznach, der Beklagte in Frankfurt den Wohnsitz hatte. Der Prokurator der unterlegenen Partei appellierte ad Curiam Romanam 98 . Als Stellvertreter des Mainzer Erzbischofs in seiner doppelten Eigenschaft als Diözesanoberhirt und Vorsteher der Kirchenprovinz hatte der Richter des Mainzer Stuhls die Befugnisse, in zwei Instanzen Recht zu sprechen. Spätestens seit 1434 wurde dem Richter des Mainzer Stuhls in dem Kommissionsschreiben die Gerichtsbarkeit erster und zweiter Instanz ausdrücklich übertragen 99 . Die zweite Instanz wurde lange Zeit als Protonotariat oder Protonotariatsgericht bezeichnet. Doch ist zu beachten, daß als Protonotariatssachen (nur) die zweitinstanzlichen Prozesse aus den Suffraganbistümern, als Appellationssachen dagegen die in erster Instanz vor den Kommissariaten bzw. Kommissionen geführten Verfahren bezeichnet wurden. Die Ordinationes des Erzbischofs Franz Ludwig nannten die zweite Instanz Consistorium (Tit. V I § 6). Die Ordinationes des Erzbischofs Philipp Karl sprachen vom forum Metropoliticum (Tit. I) und Consistorium (Tit. IV § 8). Genauer war die Bezeichnung Metropolitangericht für die zweite Instanz. Am 1. Dezember 1701 heißt es am Schluß eines von den Mainzer Richtern gefällten Urteils: in Archiepiscopali et Metropolitico Iudicio 1 0 0 . In den Akten finden sich die Ausdrücke iudicium Metropoliticum 1 0 1 , Judicium Metropolitanum Moguntinum 102 und forum Metropoliticum 1 0 3 . Das Metropolitangericht handelte mit metropolitica auctoritas 104 . Der Ausdruck Metropolitangericht blieb dem Mainzer zweitinstanzlichen Gericht für die Fälle vorbehalten, die von den Suffraganbistümern vorgebracht wurden. Die Bezeichnung Judices Sanctae Moguntinae Sedis wurde zu diesem Zeitpunkt allein von dem Metropolitangericht in Anspruch genommen. Die Mainzer Richter zweiter Instanz führten sich im Text des Urteils feierlich ein: Judices S. Sedis Moguntinae Christi nomine invocato, pro tribunali sedentes, solum Deum et Justitiam prae oculis habentes105. Nicht selten sagte das Metropolitangericht in seinen Urteilen und Beschlüssen, daß es in zweiter Instanz tätig wurde: In causa et causis coram Nobis in secunda instantia vertentibus 106 .

98

DA Mainz 1/045 S. 152-153.

99

Krusch, Studie (Anm. 11), 211.

100

DA Mainz 1/204 S. 49.

101

DA Mainz 1/206 S. 221 (4. Mai 1719).

102

DA Mainz 1/206 S. 132 (1. Juli 1717).

103

DA Mainz 1/206 S. 220 (4. Mai 1719).

104

DA Mainz 1/208 S. 266 (5. Juli 1725).

105

DA Mainz 1/204 S. 49 (1. Dezember 1701).

106

DA Mainz 1/207 S. 75 (30. Januar 1716).

118

Georg May

1. Bei erstinstanzlichen

Urteilen der Suffraganbischöfe

Das eigentliche Feld des Mainzer Metropolitangerichtes war die Entgegennahme und die Entscheidung von Streitigkeiten aus den Suffraganbistümern der Mainzer Kirchenprovinz. Verfehlungen und Streitigkeiten in den Suffraganbistümern einer Kirchenprovinz kamen in zweiter Instanz ursprünglich an das Provinzialkonzil, Auseinandersetzungen zwischen Bistümern unmittelbar 107 . Doch wurden Provinzialkonzilien nicht in dem vorgeschriebenen und erforderlichen Umfang abgehalten 108 . So mußte der Metropolit als Richter zweiter Instanz tätig werden, entweder persönlich oder durch seine Richter. Aus dem Jahre 1149 wird von einer Berufung berichtet, die gegen das Urteil des Speyerer Bischofs an den Mainzer Metropoliten eingelegt wurde 1 0 9 . Den Streit zwischen dem Bischof von Basel und dem Kloster St. Ulrich entschied ca. 116769 Erzbischof Christian von Mainz 1 1 0 . Ein Streit, der in der Diözese Konstanz in erster Instanz begonnen wurde, gelangte per appellationem an den Mainzer Stuhl 1 1 1 . Ebenso war es mit einer Wormser Sache 112 . Die Iudices sancte Moguntine sedis traten wie selbstverständlich in das Recht des Metropoliten ein, Appellationen aus den Suffraganbistümern entgegenzunehmen113. Zu Beginn ihrer Tätigkeit übten die Richter des Mainzer Stuhls die Rechtsprechung zweiter Instanz noch auf der Synode aus 114 . Später lösten sie sich davon. Das Reskript vom 21. Dezember 1658 115 wies dem Gericht des Protonotars die (alle) streitigen Sachen und jene, die einen förmlichen

107 Stimming, Urkundenbuch I (Anm. 22), 94 Nr. 159 (877-878); I, 170 f. Nr. 272 (1026); I, 443 f. Nr. 535 (1125); I, 505-507 Nr. 588 (21. Oktober 1133); I, 508 Nr. 590 (1133-1134). 108 Brigitte Kochan, Kirchliche Reformbestrebungen der Erzbischöfe von Mainz im 14. und 15. Jahrhundert. Phil. Diss. Göttingen. Göttingen 1965, Masch. 109 Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 232 f. Nr. 122. ui )

Acht, ebd., 541 f. Nr. 316.

111

Acht, ebd., 624 f. Nr. 377 (1175). Vgl. ebd., 650-652 Nr. 397 (1175-1177); 735736 Nr. 453 (1181-1182): Moguntini archiepiscopi subterfugii causa appellavit audientiam. 112

Acht, ebd., 827-828 Nr. 507 (1187): totum negocium per appellationem ad Moguntinam ecclesiam transtulerunt. 113

J. Escher / P. Schweizer (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich. Zürich 1888,1,248 Nr. 368; 1,248 Nr. 369. 114 Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 827 f. Nr. 507 (1187): partibus ... in sinodo Moguntina constitutis. 115

Scheppler, Codex ecclesiasticus (Anm. 75), 134.

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

119

Prozeß erfordern, sowie die Appellationssachen aus den Suffraganbistümern zu. Dem Generalvikar verblieben die Verwaltungsangelegenheiten. Wenn diese Anordnung durchgeführt worden wäre, dann hätte in Mainz eine saubere Trennung von Behörden der Gerichtsbarkeit und der Verwaltung bestanden. Doch die Kommission für die Generalvikare bezeugen das Gegenteil, nämlich die andauernde ausgedehnte Gerichtsbefugnis derselben 116. Das Generalvikariat und in ihm der Generalvikar war im ganzen 18. Jahrhundert (auch) als Gericht tätig, und zwar als solches erster Instanz für das Unterstift und als Berufungsgericht für die Gerichtshöfe der Kommissariate und (nach Zuweisung) der Suffraganbistümer. Von Erzbischof Albert ist bekannt, daß er Berufungssachen seinem Generalvikar Valentin von Teteleben zur Behandlung und Entscheidung übertrug 117 . Die Ordnung der Diözesankurie von ca. 1658 118 nannte den Protonotar als höchsten und ordentlichen Richter aller Gerichtssachen zweiter Instanz, die von den Suffraganbistümern durch Berufung nach Mainz gebracht wurden. Doch er war es infolge der kollegialen Verfahrensweise nicht allein. In den ersten Worten des Urteilstenors gab das Metropolitangericht stets an, aus welcher Diözese der Prozeß vor die zweite Instanz kam, z.B.: In Causa appellationis Augustanae 119 . Bis zum Ende der Reichskirchenverfassung und damit der Mainzer Kirchenprovinz nahmen die Mainzer Richter Appellationen entgegen. Die Zahl der in Mainz eingeführten Appellationen hing selbstverständlich auch von der Größe des jeweiligen Suffraganbistums ab. Besonders häufig waren die Berufungssachen, die aus der Diözese Konstanz eingingen. Allerdings handelte es sich dabei um ein sehr ausgedehntes Bistum. 2. Bei erstinstanzlichen

Urteilen von Kommissariatsgerichten

Die Berufung von den Gerichten der Kommissariate ging an das Mainzer Gericht zweiter Instanz. Leider wird in den Urteilen der zweiten Instanz bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts selten angegeben, von welchem Kommissariatsgericht das Urteil erster Instanz gefällt wurde 120 . Bei Prozessen von den Kommissariaten, die in Mainz in zweiter Instanz verhandelt wurden, waren die Urteile ursprünglich stets in deutscher Sprache abgefaßt; nur am Schluß 116

Ζ Β : StA Würzburg MRA Η 1804 (1669).

117

StA Würzburg MIB 56 fol. 229r-230r (11. März 1538).

118

DA Mainz Κ 120 S. X V I I I .

119

DA Mainz 1/608 S. 332 (22. November 1753).

120 Ausnahme z.B. DA Mainz 1/023 S. 171: In Aschaffenburger appellationssachen (23. Juni 1721); 1/106 S. 5: In Eichsfelder appellations-Sachen (6. September 1753).

120

Georg May

hieß es in lateinischer Sprache: Publicata in Vicariatu Archiepiscopali Moguntino 1 2 1 . Nach der Errichtung des Judicium ecclesiasticum als erster Instanz für das Untererzstift wurden auch für die von den Kommissariaten eingebrachten Sachen die Urteile in der zweiten Instanz in lateinischer Sprache abgefaßt 122. Die meisten Berufungsverfahren kamen aus Aschaffenburg nach Mainz, gefolgt vom Eichsfeld. In der Sitzung des Gerichts zweiter Instanz vom 17. September 1778 wurden neun Aschaffenburger Sachen verhandelt und drei Urteile in Aschaffenburger Rechtsstreitigkeiten gesprochen 123. 3. Bei erstinstanzlichen Urteilen einer Kommission, der Commissio perpetua , des Siegelamtes sowie des Erzbischöflichen Geistlichen Gerichts und Siegel-Amtes Dadurch, daß für die erstinstanzliche Behandlung einer Streitsache eine Kommission aufgestellt wurde, schuf man, wie erwähnt, in der Erzdiözese Mainz eine Appellationsmöglichkeit. Ein Beispiel für dieses Verfahren. Die Eheversprechungssache Rütting - Steinmetz war in erster Instanz durch für diesen Fall bestimmte Kommissare abgeurteilt worden. Sie kam nach Berufung vor das Mainzer Gericht zweiter Instanz 124 . Die Einrichtung der Commissio perpetua institutionalisierte den Instanzenzug im unteren Erzstift. Es lassen sich zahlreiche Rechtsfälle nachweisen, die diese beiden Instanzen durchliefen 125 . In Urteilen zweiter Instanz über erstinstanzliche Urteile der Commissio perpetua hieß es im Urteilstenor: „In Appellationssachen von hiesiger Erzbischöflichen Commissione perpetua..." 126 . Auch wenn hier nicht vom Metropolitangericht die Rede ist, besteht kein Zweifel, daß, personell gesehen, dieses es war, das als zweite Instanz fungierte. Fälle, die das Erzbischöfliche Siegelamt in erster Instanz entschieden hatte, kamen nach Berufung vor das Mainzer Gericht zweiter Instanz. Es waren ausschließlich Nachlaßsachen127. Auch in diesen

121

DA Mainz 1/023 S. 15 (23. Januar 1721).

122

Z.B.: DA Mainz 1/622 S. 309 (2. Juli 1789): In Causa Appellations eichsfeldensis etc.; 457 (1. Juli 1790): In Causa Appellationis Amoeneburgensis etc. 123

DA Mainz 1/618 S. 779-788.

124

DA Mainz 1/024 S. 164-165 (22. Juni 1722).

125

DA Mainz 1/618 S.6 (15. Dezember 1774); 1/618 S.250 (8. Februar 1776); 1/618 S. 475—476 (27. Februar 1777); 1/618 S. 485-486 (3. März 1777); 1/618 S. 703704 (2. April 1778). 126 127

DA Mainz 1/618 S. 703-704 (2. April 1778).

DA Mainz 1/106 S. 132-133 (29. Januar 1756); 150-152 (21. Juni 1756); 163164 (27. September 1756).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

121

Fällen vermied man, diese Instanz als Metropolitangericht zu bezeichnen. Ab 2. Dezember 1784 - nach der Neuordnung des Ordinariates - tauchten im Protokoll des Metropolitangerichtes Appellationen von dem Judicium Ecclesiasticum auf 128 . Jetzt war ernst gemacht mit dem Rechtszug innerhalb des Mainzer Unterstifts. Seit der Errichtung des Judicium ecclesiasticum wurden die von da eingelegten Appellationen so behandelt wie die Berufungen von den Suffraganbistümern. Ein Beispiel: Das Berufungsgericht erklärte - im Gegensatz zur ersten Instanz, dem Mainzer Geistlichen Gericht - die Ehe zwischen Johannes Reissert aus Heidesheim und Elisabeth Biedenbender aus Oberingelheim für ungültig und gab dem Appellanten die Freiheit, sich anderweitig zu verheiraten 1 2 9 . Als das Judicium ecclesiasticum eingerichtet worden war, wurden die Urteile zweiter Instanz in lateinischer Sprache ausgefertigt 130. Diese äußerliche Angleichung an das Verfahren, das beim Instanzenzug von den Gerichten der Suffraganbischöfe beobachtet wurde, beweist, daß man jetzt bestrebt war, eine volle Parallelität zwischen dem Rechtszug von den Diözesen der Kirchenprovinz und jenem innerhalb des Erzbistums herzustellen. 4. Bei erstinstanzlichen

Urteilen von Archidiakonatsgerichten

Solange die Archidiakone Bestand hatten und Gerichtsbarkeit ausübten, mußte für ihre Urteile die Möglichkeit der Appellation gegeben sein. Wenn eine Streitsache in erster Instanz von dem Gericht eines Archidiakons entschieden worden war, ging die Berufung an das Gericht des Mainzer Stuhls 131 . So wurde z.B. vom Offizial des Archidiakons zu Nörten an dieses Gericht appelliert 1 3 2 . Für die östlichen Propsteibezirke war die Berufung an das Erfurter Generalgericht möglich 133 . Am 19. Mai 1385 entschieden die Generalrichter einen Streit in zweiter Instanz, der in erster Instanz vor dem Offizial des Severistifts anhängig gewesen war 1 3 4 . Wenn der Rechtszug nach Mainz ging, wurden die Richter des Mainzer Stuhles hierbei nicht als Metropolitangericht, sondern als Diözesangericht tätig. Die von den Archidiakonatsgerichten eingelegte

128

DA Mainz 1/620 S. 688 (2. Dezember 1784).

129

DA Mainz 1/623 S. 147 (15. Dezember 1791).

130

DA Mainz 1/623 S. 50 (14. April 1791).

131

Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 20 f.

132 133

Bruns, Archidiakonat (Anm. 11), 106.

Georg Christian Joannis, Rerum Moguntiacarum Volumina 1-3, Frankfurt 172227,1,779; Wolf, Abhandlung (Anm. 11), 21. 134 Overmann, Urkundenbuch II (Anm. 14), 403 f. Nr. 848.

122

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Berufung war nicht mit der Appellation von den Gerichtshöfen der Suffraganbischöfe zu vergleichen. In den Mainzer Suffraganbistümern bestand der gleiche Instanzenzug. In Speyer ging die Berufung vom Archidiakonatsgericht zum bischöflichen Offizial 1 3 5 , so z.B. vom Urteil des Offizials des Propstes der Kirche St. Guido an den Richter der bischöflichen Kurie 1 3 6 . Auch in der Diözese Würzburg ging die Berufung vom Gericht des Archidiakons an den Richter der bischöflichen Kurie137. Ebenso war es im Bistum Straßburg 138 . In der Diözese Hildesheim ging der Instanzenzug vom Gericht des Archidiakons an das Tribunal des bischöflichen Offizials 139 . Auch in Halberstadt war das bischöfliche Gericht (bzw. vorher die Diözesansynode) die höhere Instanz über dem Gericht des Archidiakons 140 . 5. Bei erstinstanzlichen

Urteilen des Rabbiners

Wenn der Rabbiner ein Urteil in erster Instanz gesprochen hatte, ging die Appellation an das Mainzer Geistliche Gericht zweiter Instanz. Ein Beispiel eines Prozesses, der von dem Rabbiner in erster, von dem Vikariat in zweiter Instanz entschieden wurde, ist das Verfahren zwischen Isaac Brager und Dina, der Tochter des Mainzer Schutzjuden Isaac Aron Levi 1 4 1 . Es waren vor allem Entscheidungen in Eheversprechungs- und Schwängerungssachen, in denen an das Mainzer Gericht zweiter Instanz appelliert wurde 142 . In dem Urteil vom 18. September 1765 heißt es ausdrücklich, „daß von jüdischen (sie) Richter voriger

135

Otto Riedner, Das Speierer Offizialatsgericht im dreizehnten Jahrhundert, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 29/30 (1907) 1-107,99. 136

Riedner, Gerichtshöfe (Anm. 89), 265-268 (ca. 1510).

137

TV. Reininger, Die Archidiacone, Offiziale und Generalvicare des Bisthums Würzburg. Ein Beitrag zur Diözesangeschichte, in: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 28 (1885) 1-265,18. 138

Karl Stenzel, Die geistlichen Gerichte zu Straßburg im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Ν .F. 29 (1914) 365-446,377. 139 Gerhard Schräder, Die bischöflichen Offiziale Hildesheims und ihre Urkunden im späten Mittelalter (1300-1600), in: AUF 13 (1935) 91-176,104. 14 Nikolaus Hilling , Beiträge zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung des Bistums Halberstadt im Mittelalter. Lingen a.d. Ems 1902,101. 141 142

DA Mainz 1/104 S. 134-135 (28. März 1748); S. 136-139 (4. April 1748).

DA Mainz 1/618 S.451 (16. Januar 1777); S.646 (22. Januar 1778). Vgl. DA Mainz 1/045 S. 394 (28. November 1754); S. 413 (12. Dezember 1754); DA Mainz 1/106 S. 166-168 (22. November 1756).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

123

instanz wohl gesprochen übel appelliret" sei 1 4 3 . Die Sache des Juden Herz Jacob Reinach gegen die Jüdin Kanné von Kreuznach wurde „wegen verzögerter und gänzlich versagter Justitz bei erster Instanz ... in Appellatorio für eingeführter (sie) angenohmen" 144 . Die Juden konnten ihre Streitsache freilich sogleich beim geistlichen Gericht anhängig machen. So führten zwei Parteien den Prozeß erster Instanz vor dem Gericht des (Aschaffenburger) Kommissars und zogen dann in zweiter Instanz vor das Vikariat 1 4 5 . Die Juden Jacob Reinach aus Mainz und Isaac Levi Creuzenach ebenfalls aus Mainz hatten in erster Instanz vor dem Mainzer Geistlichen Gericht untereinander um Geldsachen gestritten. In zweiter Instanz kam die Sache vor das Gericht zweiter Instanz 146 . Der Jude Joseph David und der Geistliche Rat Noll stritten in erster Instanz vor dem Würzburger Diözesangericht, in zweiter Instanz vor dem Mainzer Metropolitangericht 147 . I I I . Die dritte Instanz 1. In Mainz Normalerweise wurde der Apostolische Stuhl als dritte Instanz angerufen. Er waren indes Konstellationen denkbar, in denen das Mainzer Metropolitangericht in dritter Instanz tätig wurde. Wenn Verfahren in einer Diözese zwei Instanzen durchlaufen hatten, kamen sie nach Mainz als der dritten Instanz. In einem Streit um die Versehung von Kirchen waren die Gerichte des Speyerer Dompropstes und des Speyerer Bischofs die erste und zweite, das Gericht der geistlichen Richter des heiligen Stuhles zu Mainz die dritte Instanz 148 . Damit ist selbstverständlich das Metropolitangericht gemeint. Anders lag der folgende Fall. Das Erfurter Generalgericht hatte in erster, die Commissio perpetua in zweiter und das Metropolitangericht in dritter Instanz geurteilt. Am 17. Mai 1781 erklärte dieses, der Heiland in Erfurt werde eine Commissio mixta loco ulterioris instantiae nicht gestattet; sie habe nach dem Urteil der dritten Instanz 143

DA Mainz 1/107 S. 268-269.

144

DA Mainz 1/618 S. 578 (11. September 1777).

145

DA Mainz 1/106 S. 58-59 (5. September 1754); S. 67-68 (19. Dezember 1754).

146

DA Mainz 1/623 S. 120-121 (15. September 1791).

147

DA Mainz 1/623 S. 470-471 (3. Juli 1794).

148

Franz Xaver Glasschröder, Urkunden zur Pfälzischen Kirchengeschichte im Mittelalter. In Regestenform veröffentlicht. München, Freising 1903, 125 f. Nr. 303 (28. Februar 1482). Vgl. dens., Das Archidiakonat der Diözese Speyer während des Mittelalters, in: Archivalische Zeitschrift Ν .F. 10 (1902) 114-154,123.

124

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- des Mainzer Metropolitangerichtes - zu leben 149 . Wieder anders war die Rechtslage in folgendem Fall. Die Eheversprechungssache zwischen der Jüdin Gietle aus Gissigheim und dem Juden Mendie Goetschel aus Mombach war in erster Instanz vom Rabbiner entschieden worden. In zweiter Instanz hatte das Mainzer Geistliche Gericht ein Urteil gesprochen. Dagegen war an das Metropolitangericht appelliert worden. Dieses verwarf das Urteil des Geistlichen Gerichtes und bestätigte den Spruch des Rabbiners 150 . In dem Streit um einen Zins fällte in erster Instanz Dietrich von Wedera, Kanoniker des Severistiftes in Erfurt, das Urteil. Von da ging die Sache an die Erfurter Generalrichter. Gegen ihr Urteil wurde der Apostolische Stuhl angerufen 151. Doch das letzte Urteil sprach nicht der Heilige Stuhl, sondern es wurde von den Richtern des Mainzer Stuhles gefällt 152 . 2. In Rom Normalerweise war, wie gesagt, die dritte Instanz der Apostolische Stuhl. Der häufigste Fall war der, daß das Diözesangericht in erster und das Metropolitangericht in zweiter Instanz urteilten und danach die Sache durch Berufung an den Apostolischen Stuhl als dritte Instanz gelangte. Dort war die Rota das zuständige Gericht 153 . Hierfür einige Beispiele. Der Prokurator appellierte in einer Sache, die in Worms in erster, in Mainz in zweiter Instanz verhandelt worden war, ad quemcunque superiorem 154 . In einer anderen Wormser Sache legte der Prokurator Berufung ein ad Judicem superiorem 155 . In einer Würzburger Sache appellierte der Prokurator ad S.Sedem Apostolicam seu alium quemcunque superiorem Judicem 156 . Am 23. Juni 1721 entschied das Metropolitangericht in einer aus der Diözese Konstanz eingeführten Versprechungssache, daß die Appellationsbeklagte Maria Siedler verpflichtet sei, den Appellationskläger Joseph Gropper zu heiraten. Der an Stelle der nicht erschienenen Beklagten ex officio ad audiendam sententiam nomine appellatae aufgestellte

149

DA Mainz 1/619 S. 512.

150

DA Mainz 1/622 S. 210-211 (15. Januar 1789).

151

Overmann, Urkundenbuch II (Anm. 14), 403 f. Nr. 848.

152

Overmann, ebd., 404 Nr. 849 (12. Juli 1385).

153

Nikolaus Hilling , Die römische Rota und das Bistum Hildesheim (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 6. Heft). Münster 1908. 154 DA Mainz 1/204 S. 162-163 (18. September 1704). 155

DA Mainz 1/204 S. 180-181 (5. März 1705).

156

DA Mainz 1/204 S. 185-186 (2. April 1705).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

125

Prokurator legte freilich unverzüglich Berufung an die Römische Kurie ein 1 5 7 . Einmal bemerkte das Metropolitangericht: In honorem Sacrae Romanae Curiae defertur appellationi non tarnen aliter nisi ad terminos Concilii Tridentini in Capitulo Causae omnes 158 . Der angeführte Text aus dem Konzil von Trient (Sess. 24 Cap. 20) traf einläßliche Bestimmungen über die Vornahme der Berufung. Anders war die Lage, wenn der Instanzenzug in folgender Weise verlief: Erste Instanz war das Gericht des Kommissars, zweite Instanz das Vikariat und dritte Instanz das Gericht des Apostolischen Stuhles 159 . Man kann allgemein sagen: Wenn das Vikariat in zweiter Instanz geurteilt hatte, wurde an die Römische Kurie als dritte Instanz appelliert 160 . Nach dem Ordo iudiciarius Antequam wurde vom Metropoliten an den Legaten des Apostolischen Stuhles, vom Legaten an den Papst appelliert. Doch konnte von jedem kirchlichen Richter unmittelbar an den Papst Berufung eingelegt werden (§ 86) 1 6 1 . So hatten die Parteien die Möglichkeit, von einem Urteil des Diözesangerichts unter Umgehung des Metropoliten als Appellationsinstanz unmittelbar den Apostolischen Stuhl anzugehen. Bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden Streitfälle unter Auslassung des Metropoliten dem Apostolischen Stuhl bzw. dessen Legaten vorgelegt 162 . Auch von dem Offizial zu Fritzlar wurde unmittelbar an den Apostolischen Stuhl Berufung eingelegt 163 . Für die Verfolgung der Appellation in Rom mußte ein Agent bestellt werden 1 6 4 . Häufig waren Akten ins Lateinische zu übersetzen. Beides war regelmäßig mit beträchtlichen Kosten verbunden. Die Mainzer Geistliche Behörde sah die Berufungen nach Rom nicht gern; sie war bemüht, sie nach Kräften einzuschränken. Schon Erzbischof Arnold (1153-1160) ließ auf einer Synode öffentlich verbieten, an den Apostolischen Stuhl zu appellieren 165 . Ein Mittel, die Berufungen nach Rom einzuschränken, war die Festsetzung eines Mindestbetrages, bei dem nur Appellationen zulässig sein sollten. Am 29. Januar 1767 157

DA Mainz 1/208 S. 64.

158

DA Mainz 1/208 S. 179 (2. September 1723).

159

DA Mainz 1/027 S. 206 (20. September 1725).

160

DA Mainz 1/021 S. 76-77 (4. April 1718).

161

Riedner, Gerichtshöfe (Anm. 89), 46.

162

Böhmer / Will, Regesten 1,340 f. Nr. 108 (15. August 1149).

163

Kopp, Nachricht I (Anm. 14), Beylagen Nr. 40, 102 f. (27. März 1501). Von dem Offizial zu Jechaburg ebenso: Georg Thiele, Vorreformatorische Geistlichkeit in der Freien und Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 31 (1932) 164-234,172. 164

DA Mainz 1/043 S. 304 (11. September 1752).

165

Acht, Urkundenbuch II (Anm. 22), 385-387 Nr. 213 (15. Februar 1156).

126

Georg May

faßte das Vikariat - Generalvikar, Provikar, Offizial, Siegler, Fiskal, Würdtwein, de Straus, Schöler, Winterheld und Brendel - einmütig den Beschluß, daß fürderhin keine Appellation an die Römische Kirche deferiert werden solle, es sei denn, daß die Summa appellabilis sich auf 500 Gulden belaufe, was als ein Stylus Curiae hinfort zu beobachten sei 1 6 6 . Am 25. Oktober 1770 erließ der Erzbischof ein Schreiben, wie es künftig mit Appellationssachen bei dem Erzbischöflichen Generalvikariat gehalten werden solle 167 . Darin wurden offensichtlich rigorose Vorschläge gemacht, um die Berufungen nach Rom einzuschränken. Am 14. Mai 1771 kam das Metropolitangericht in einem Schreiben an den Erzbischof auf dessen Weisung vom 25. Oktober 1770 bezüglich der römischen Appellationen zu sprechen. Die meisten Appellationen an die Römische Kurie pflegten von den Suffraganbistümern des Mainzer Erzstiftes unternommen und daselbst fortgesetzt zu werden. Diese aber dürften von dem jahrhundertelang gebrauchten Rechtsweg nicht so leichterdings abgehen. Vielmehr sei zu erwarten, daß, wenn ihnen die römischen Appellationen von hier aus abgeschlagen oder erschwert würden, sämtliche Appellationen von den Urteilen erster Instanz unmittelbar nach Rom abgehen würden. Dadurch würde der Metropolitangerichtsbarkeit „das gröste ansehen" entzogen. Angesichts dieser Umstände bat das Gericht den Erzbischof um Auskunft, ob unter der erwähnten Weisung auch die Suffraganbistümer enthalten und im Falle der Einlegung der Berufung an die Römische Kurie an ihn, den Erzbischof, zu weiterer „Vorkehr" zu verweisen seien 168 . 3. Nuntiaturen Sachen, die beim Apostolischen Stuhl eingebracht wurden, mußten nicht in Rom verhandelt werden. Es bestand die Möglichkeit, sie durch delegierte Richter des Papstes erledigen zu lassen. Vom Papst ernannte delegierte Richter wurden als Judices in partibus bezeichnet 169 . Als solche galten auch die (ständigen) Nuntien. Im 17. Jahrhundert erklärten die Parteien, die Berufung einlegten, noch, sie appellierten an den römischen Papst oder seinen Gesandten (eius Nuncium in hisce partibus degentem) 170 . Am 4. Mai 1650 hieß es, die unterlegene Partei appelliere an den Papst Innozenz X. aut eius Nuncium Apostolicum

166

DA Mainz 1/055 S. 47.

167

DA Mainz 1/613 S. 187 (29. Oktober 1770). Der Text war mir bisher nicht auf-

findbar. 168

DA Mainz 1/613 S. 234-235 (14. März 1771).

169

DA Mainz 1/621 S. 4 1 ^ 2 (3. März 1785).

170

DA Mainz 1/003 S. 123 (10. Februar 1640).

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

127

missum vel mittendum 171 . Am 20. Februar 1658 teilte ein Prokurator mit, der Luzerner päpstliche Nuntius habe die Sache an sich gezogen (causam hanc Nuncium Apostolicum Lucernae degentem ad se avocasse in eaque se competentem judicem declarasse) 172. Die Nuntien konnten ursprünglich - infolge der Unmittelbarkeit der päpstlichen Gewalt - alle vor ihr Gericht gebrachten Fälle in erster Instanz entscheiden; seit dem Konzil von Trient waren sie jedoch nur noch für Berufungen zuständig 173 . Die Luzerner Nuntiatur bestand seit 1579, die Kölner Nuntiatur seit 1584. In München wurde 1785 eine Nuntiatur eingerichtet. Die Parteien mochten die Möglichkeit, ihre Berufung bei der Luzerner oder Kölner Nuntiatur anzubringen, als zeit- und kostensparend empfinden. In Mainz sah man die Nuntiaturgerichtsbarkeit als Beeinträchtigung der Metropolitangerichtsbarkeit an. Das Unbehagen läßt sich im 17. ebenso wie im 18. Jahrhundert beobachten. In der Sitzung des Vikariats vom 28. Dezember 1647 wurde vorgetragen, daß der Bischof von Chur seinen Streit mit dem Abt von Weingarten vor den päpstlichen Internuntius für die Schweiz in Luzern bringe und den Metropoliten übergehen wolle „in praeiudicium Sedis Metropoliticae" 1 7 4 . In dem Präzedenzstreit zweier Wormser Kanoniker wurde von dem Gericht des Wormser Vikariates an den Apostolischen Nuntius in Köln appelliert. Die Mainzer Richter bemerkten dazu, daß einer solchen Berufung, bei welcher der Mainzer Erzstuhl übergangen wurde, bisher immer widersprochen worden sei. In dem vorliegenden Falle könne erst recht widersprochen werden, weil der Spruch des Wormser Gerichtes wegen Fristversäumnis in Rechtskraft erwachsen sei. Dem Erzbischof wurde überlassen, ob er pro manutenentia authoritatis metropoliticae an den Nuntius schreiben wolle 1 7 5 . Einem, der namens seines Bruders dem Vikariatsgerichte mitteilte, dieser habe an die Nuntiatur zu Köln appelliert, und die processus seien wirklich erkannt und überschickt worden, wurde von dem Gericht bedeutet, daß „mann bey alhiesigen Vicariat ahn den Nuntium keine appellation und ihme also disfals keine Jurisdiction gestatte", und der Antragsteller wurde „mitt seinen ohnbefugten nichtigen begehren und processibus hiermitt abgewiesen" 176 .

171

DA Mainz l/002aS.99.

172

DA Mainz 1/002 S. 231.

173

Sess. 24 c. 20 de ref. Zu den Fakultäten der Kölner Nuntien vgl .Joseph Hartzheim (Hg.), Concilia Germaniae VIII, Köln 1769, 498-503; Michael F. Feldkamp, Studien und Texte zur Geschichte der Kölner Nuntiatur. I. und II. (Collectanea Archivi Vaticani 30 und 31). Città del Vaticano 1993, II, 53-66. 174 DA Mainz l/002a. S. 17. 175

DA Mainz 1/202 S. 167 (30. Juni 1678).

176

DA Mainz 1/009 S. 44 (24. April 1692).

128

Georg May

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trat der Streit um die Gerichtsbarkeit der Nuntien in ein neues Stadium 177 . Bereits 1769 ließen die drei rheinischen Metropoliten in Koblenz 31 Gravamina gegen die Römische Kurie aufstellen 178 . Im Vorfeld des Emser Kongresses erhob sich die Forderung, alle Appellationen nach Rom in den Provinzen durch Kommissare zu entscheiden 1 7 9 . Besonders angefeindet wurde die Gerichtsbarkeit der Nuntien 180 . Das Gravamen fand sich in dem Schreiben des Mainzer Erzbischofs vom 1. Dezember 1788 an den Papst 181 . Die in den genannten Vorgängen zum Ausdruck kommende Gesinnung hat sich auch in den Akten des Mainzer Vikariates niedergeschlagen. Am 6. Dezember 1751 entschied das Metropolitangericht, daß der von dem putativus Commissarius (Nuntiaturae Coloniensis) Caspar Schönemann in einer Nachlaßsache angeordnete Arrest als attentatum und alles in Zukunft von ihm Anzuordnende als attentanda null und nichtig seien, und befahl den Testamentsvollstreckern, dem Kölner Putativkommissar keinen Gehorsam zu leisten, sondern alles an das Metropolitangericht zu übergeben 182. Am 3. Dezember 1767 teilte das Metropolitangericht dem Erzbischof folgendes mit. Man habe bei dem Mainzer erzbischöflichen Generalvikariat glaubhaft vernommen, daß verschiedene Suffragandiözesen an die päpstlichen Nuntien in der Schweiz und zu Köln Berufung eingelegt hätten und diese von denselben angenommen werde. Aus dem Bistum Fulda sei „mehrentheils" nach Köln appelliert worden. Desgleichen sei eine speyerische Sache, nachdem das Mainzer Metropolitangericht das Urteil gesprochen habe, an besagte Nuntiatur zu Köln „anmaßlich" gebracht worden. Nachdem man aber bekanntermaßen den am Niederrhein befindlichen Nuntius „dahier" nicht anerkenne, erscheine es

177

Matthias Höhler (Hg.), Des kurtrierischen geistlichen Rats Heinrich Aloys Arnoldi Tagbuch über die zu Ems gehaltene Zusammenkunft der vier Erzbischöflichen deutschen Herrn Deputirten die Beschwerde der deutschen Natzion (sie) gegen den Römischen Stuhl und sonstige geistliche Gerechtsame betr. 1786. Mainz 1915; Josef Steinruck, Die kirchengeschichtliche Bedeutung des Nuntiaturstreits, in: Trierer Theologische Zeitschrift 83 (1974) 38-60; ders., Bemühungen um die Reform der Reichskirche auf dem Emser Kongreß (1786), in: Remigius Bäumer (Hg.), Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh. Paderborn 1980,863-882; ders., Emser Kongreß, in: L T h K 3 3, 637 f. 178

Text der Beschwerdeschrift der rheinischen Erzbischöfe vom 13. Dezember 1769 bei Höhler, Tagbuch (Anm. 177), 253-265. 179 Kopp, Kirche (Anm. 59), 20, 22 f., 25 f. 180 Kopp, ebd., 33-37; Anton Philipp Brück, Stephan Alexander Würdtwein (17221796). Eine Lebensskizze, in: AMRhKG 2 (1950) 193-216,213 f. 181 Kopp, Kirche (Anm. 59), 45-54. 182

DA Mainz 1/608 S. 81-82.

129

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

dem Vikariat rätlich, an den Residenten in Rom Befehl und Weisung ergehen zu lassen, bei der päpstlichen Kurie vorstellig zu werden, damit dem Nuntius von daher verboten werde, die Appellationen aus den Suffraganbistümern des Mainzer Erzstifts anzunehmen183. Am 28. Januar 1779 meldete der Prokurator Schlebusch, daß in Würzburg die Neigung bestehe, die Appellationen an die Kölner Nuntiatur zu ziehen, und gab auch einen Fall an, wo eine Berufung an die Nuntiatur gebracht worden sei 184 . Der Erzbischof war sofort alarmiert und forderte einen vollständigen Bericht ein, um nötigenfalls Maßregeln „gegen diese Jurisdictions-Eingriffe" einleiten zu können 185 . Derartige Appellationen wurden vom Vikariat als „Appellationes a Sententiis Episcoporum omisso medio" bezeichnet 186 . Am 1. Juli 1779 erstellte das Mainzer Vikariat ein Schreiben über die Appellationen an die Kölner Nuntiatur an das Vikariat zu Würzburg 187 . Der Erzbischof sah anscheinend das Mittel, solche Appellationen zu verhindern, darin, daß den Appellanten die Akten (der ersten Instanz) nicht 1ÛÛ

1 OG

ausgehändigt wurden . Das Thema kam nicht mehr zur Ruhe . Das Mainzer Vikariat schlug später zur Verhinderung von Appellationen an die Kölner Nuntiatur erneut vor, in Rom ein Verbot solcher Berufungen zu erwirken 190 . Am 26. Juni 1780 übersandte der Erzbischof dem Vikariat ein Schreiben des Agenten Fargna betreffend die Appellationen an die Nuntiaturen 191 , am 15. Juli 1780 ein zweites 192 . Am 9. Oktober 1780 machte er ein weiteres Schreiben Fargnas dem Vikariat bekannt 193 , am 22. Oktober wieder eines 194 . Am 13. Februar 1783 ließ der Erzbischof den Prokuratoren bedeuten, in dem Fall, wo sie in Erfahrung 183

DA Mainz 1/612 S. 197-199 (240-242).

184

DA Mainz 1/619 S. 14-15.

185

DA Mainz 1/619 S. 19 (4. Februar 1779).

186

DA Mainz 1/619 S. 29-30 (25. Februar 1779).

187

DA Mainz 1/617 S. 83. Vgl. S. 85-86 (12. August 1779): Änderungswünsche des Erzbischofs; S. 161-162 (11. Mai 1780). 188

DA Mainz 1/619 S. 109 (12. August 1779).

189

DA Mainz 1/619 S.41 (11. März 1779); S.75 (6. Mai 1779); S. 79 (14. Mai 1779); S. 104 (1. Juli 1779); S. 109-110 (12. August 1779); S. 160 (18. November 1779); S. 205-206 (17. Februar 1780); S.225 (9. März 1780); S. 275 (8. Juni 1780); S. 312 (6. Juli 1780); S. 321 (17. Juli 1780); S. 332 (17. August 1780); S. 333 (24. August 1780). 190

DA Mainz 1/619 S. 206 (17. Februar 1780).

191

DA Mainz 1/617 S. 185 (6. Juli 1780).

192

DA Mainz 1/617 S. 186 (10. Juli 1780).

193

DA Mainz 1/617 S. 210 (9. Oktober 1780).

194

DA Mainz 1/617 S. 211-212 (16. November 1780).

11 FS Mühlsteiger

130

Georg May

bringen, daß von den Mainzer Suffraganbistümern Appellationen an die Nuntiaturen zu Köln oder in der Schweiz gelangen sollten, sogleich Anzeige zu machen. Er befahl dem Vikariat, hierauf ein wachsames Auge zu haben und gegebenenfalls unverzüglich dagegen beim kaiserlichen Reichshofrat zweckmäßig Vorkehr zu treffen 195 . Hier wurde also versucht, auch die weltliche Macht zum Einschreiten zu bewegen. Als der Würzburger Kammersekretär Koch Rekurs an die Kölner Nuntiatur einlegte, schlug das Metropolitangericht vor, dem Reichsfiskal 196 zu Wien Anzeige davon zu erstatten, damit er gegen den Übertreter der Reichsgrundgesetze, eben den Koch, bei dem kaiserlichen Reichshofrat sein Fiskalamt erfülle 197 . Am 16. August 1793 schrieb das Metropolitangericht dem Paderborner Konsistorium, es könne nicht zugeben, daß irgendeine Causa per appellationem an die Kölner Nuntiatur gebracht werde, und sprach dabei die „reichspatriotischen Gesinnungen" des Bischofs an, zu denen es die Zuversicht habe, daß einer so inkompetenten Appellation nicht stattgegeben werde 198 . Am 26. November 1795 stellte das Metropolitangericht dem Erzbischof vor, es erachte es als notwendig, von der in der Ordination festgesetzten Summa appellabilis abzugehen, bis alle recursus an die Nuntiaturen eingestellt seien und wenn ein Suffraganeat ohne Rücksicht auf die Summa appellabilis eine Appellation deferiert habe 199 . Inzwischen hatte die antikuriale Strömung ihren Scheitelpunkt mit der Emser Punktation vom 25. August 1786 erreicht 200 . Danach beruhigte sich die Lage, und man trat den Rückzug an. I V . Schluß Die Begrenztheit und die Fehlbarkeit des Menschen machen sich auch in der Rechtsprechung bemerkbar. Ungenügende Aufnahme des Sachverhalts und falsche Subsumtion desselben unter die Norm können zu ungerechten Urteilen führen. Ein Mittel, um diesen Mängeln abzuhelfen, ist die Nachprüfung der Urteile von Untergerichten durch Obergerichte; es gibt einen Instanzenzug. Die Erzdiözese Mainz zeichnete sich durch einen hohen Standard ihres Rechtswesens aus. Der rechtsgelehrte Richter, der sich anfangs seine Ausbildung auf

195

DA Mainz 1/620 S. 302-303 (13. Februar 1783).

Ulrich Knolle, Studien zum Ursprung und zur Geschichte des Reichsfiskalats im 15. Jahrhundert. Rechtswiss. Diss. Freiburg i.Br. Offenbach a.M. 1965. 197

DA Mainz 1/623 S. 149-150 (22. Dezember 1791).

198

DA Mainz 1/623 S. 305-306.

199

DA Mainz 1/623 S. 649-650.

200

Text der Emser Punktation vom 25. August 1786 bei Höhler, (Anm. 177), 171-183.

Tagbuch

Der Instanzenzug in der Erzdiözese Mainz

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italienischen Universitäten holte, trat seit dem 12. Jahrhundert seinen Siegeszug an. Frühzeitig entstand in der Metropole ein ständiger Gerichtshof. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts walteten die Richter des Mainzer Stuhles ihres Amtes. Entsprechend dem Doppelcharakter ihres Herrn als Diözesanbischof und Vorsteher einer (ausgedehnten) Kirchenprovinz war ihr Gericht für erst- und zweitinstanzliche Sachen zuständig. Die Rechtsprechung lag nicht in den Händen des Einzeloffizials, sondern erfolgte sowohl im Vikariats- als auch im Metropolitangericht in kollegialer Weise. Die Existenz von zwei Universitäten mit rechtswissenschaftlicher Fakultät im Gebiet des Erzstiftes trug dazu bei, qualifizierte Richter hervorzubringen. Daß in der Erzdiözese selbst zwei Instanzen durchlaufen werden konnten, wurde durch die Gerichte der Kommissariate, die Bestellung von Kommissionen und (seit 1784) die Einrichtung des Judicium ecclesiasticum ermöglicht. Aus den zwölf Suffraganbistümern kamen zahllose Berufungssachen nach Mainz; das Consistorium war dem Andrang gewachsen. Die Berufungssachen aus der eigenen Diözese und aus den Suffraganbistümern wurden stets auseinandergehalten. Im Metropolitan- bzw. Appellationsgericht wurde gewöhnlich die Reihenfolge beobachtet, daß zuerst die Sachen aus den Suffraganbistümern, danach jene aus den Kommissariaten und schließlich jene von der Commissio perpetua und dem Siegelamt behandelt wurden. Die dritte, in manchen Fällen schon die zweite Instanz war der Apostolische Stuhl. Appellationen an die Römische Kurie wurden zwar nicht gern gesehen, aber auch nicht ernsthaft behindert. Wohl aber gab es energischen Widerstand gegen die Gerichtsbarkeit der päpstlichen Nuntien. Die Ereignisse des endigenden 18. Jahrhunderts schufen eine veränderte Lage, in der innerkirchliche Querelen ihre Bedeutung verloren.

Ad ecclesiam confugere: Die kaiserliche Asylgesetzgebung in der Spätantike V o n Hanspeter Ruedl

Das sog. Kirchenasyl hat i m Kontext der weltweiten Migrationsbewegungen zunehmend an Aktualität gewonnen. I m letzten Jahrzehnt war das Phänomen, daß Menschen in Kirchen v o r staatlichen Maßnahmen Schutz und Zuflucht suchen immer wieder Gegenstand von Diskussionen. V o r diesem Hintergrund scheint es geboten, sich auch mit der Entstehung des Asylrechts der Kirchen und besonders mit dessen rechtlichen Grundlagen am Ausgang der A n t i k e zu befassen. Dabei kann auf eine umfangreiche Literatur der letzten eineinhalb Jahrhunderte zurückgegriffen werden, deren vollständige Aufzählung den Rahmen dieses Beitrags aber sprengen würde. 1 Grundlegend sind aber noch immer die Arbeiten von F. Martroye 2 , P. Timbal

1

Beispielhaft seien genannt: Otto Grashof, Die Gesetze der römischen Kaiser über das Asylrecht der Kirche, in: AfkKR 37 (1877) 3-19; Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Bd. 4. Berlin 1888, 380-398; Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht (Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft l / 4 ) . Leipzig 1899, 458-462; Friedrich von Woess, Das Asylwesen Ägyptens in der Ptolemäerzeit und die spätere Entwicklung. Eine Einführung in das Rechtsleben Ägyptens besonders der Ptolemäerzeit (Münchner Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 5). München 1923; Emil Herman, Zum Asylrecht im byzantinischen Reich, in: OCP 1 (1935) 204-238; Biondi Biondo , Il diritto romano cristiano I. Orientamento religioso della legislazione. Milano 1952, 387-391; Jean Gaudemet, L ' église dans Γ empire romain. I V e - V e siècles (Histoire du droit et des institutions de Γ église en occident 3). Paris 1958, 282-287; Peter Landau, Asylrecht III. Alte Kirche und Mittelalter, in: TRE 4. Berlin 1979,319-327; Arrigo D. Manfredini, „Ad ecclesiam confugere", „ad statuas confugere" nelP età di Teodosio I, in: Atti delP accademia romanistica costantiniana. V I convegno internazionale. Perugia 1986, 39-58; Anne Duclaux, Ad ecclesiam confugere. Naissance du droit dN asile dans les églises (IV e milieu du V e s.). Paris 1994. 2

Francois Martroye , L ' asile et la législation impériale du IV e au V e siècle, in: Mémoire de la Société des Antiquaires de France 75 (1919) 159-246.

Hanspeter Ruedl

134

Duclaux de Martin 3 und L. Wenger 4, sowie für die neuere Zeit vor allem jene von H. Langenfeld 5, J. Herrmann 6 und H. Siems7. Das Asylrecht der christlichen Kirchen basiert auf vier Elementen,8 die in der Folge dargestellt werden: 1. Zum ersten auf der Vorbildfunktion der vorchristlichen Asyle. Es kommt zwar zu keiner unmittelbaren Übernahme der Rechte heidnischer Tempel auf die christlichen Kirchen, die Flucht zum Tempel hat aber sehr wohl Vorbildfunktion für die Flucht zur Kirche. 9 Hingegen verweist keiner der frühen Texte auf eine Vorbildfunktion des an sich schon weit entwickelten - und im Alten Testament gut bezeugten10 - Asylrechts im alten Israel. In römischhellenistischer Zeit entwickeln sich die Asyle aus der allgemeinen Schutzfunktion von Heiligtümern bzw. der Scheu und Ehrfurcht vor den Orten einer besonderen Nähe zur Gottheit. Die Zufluchtsstätten bewahren ihre Kraft infolgedessen so lange der Glaube des Volkes an die Götter und deren schützende Hand aufrecht bleibt. Mit dem Schwinden des alten Glaubens verliert auch das Asyl seine Legitimation. Sobald nun das Christentum an seine Stelle tritt, behält das Volk seine bisherige Gewohnheit bei, sich in einer Notlage in den Schutz des Heiligtums, nun eben in den der Kirchen und Klöster, zu flüchten. 11

3

Pierre Timbal Duclaux de Martin, Le droit d' asile. Paris 1939.

4

Leopold Wenger" Ο poi Α σ υ λ ί α ς , in: Philologus 86 (1931) 427-454; ders., Asylrecht, in: RAC 1. Stuttgart 1950, 836-844. 5

Hans Langenfeld, Christianisierungspolitik und Sklavengesetzgebung der römischen Kaiser von Konstantin bis Theodosius II (Antiquitas, Abhandlungen zur alten Geschichte 26). Bonn 1977, insbes. 107-209. 6

Johannes Herrmann, Cod. Theod. 9,45: De his, qui ad ecclesias confugiunt, in: Gerd Kleinheyer / Paul Mikat (Hg.), Gedächtnisschrift für Hermann Conrad (Rechtsund staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 34). Paderborn 1979,271-282. Harald Siems, Zur Entstehung des Kirchenasyls zwischen Spätantike und Mittelalter, in: Okko Behrends ! Malte Diesselhorst (Hg.), Libertas. Grundrechtliche und rechtsstaatliche Gewährungen in Antike und Gegenwart. Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstags von Franz Wieacker. Edelsbach 1991,139-186. 8 Vgl .Hanspeter Ruedl, Ad ecclesiam confugere. Die Entstehung des Asylrechts der christlichen Kirchen in der Spätantike (Dipl.). Innsbruck 1998. 9

Vgl. Konzil v. Mâcon 585, c. 8; Βασιλικός νόμος περί των προσφευγόντων εν έκκλησίαι c. 3. 10

Vgl. Ex 21,13 f.; Num 35,9-34; Dtn 19,1-13; Jos 20,1-9.

11

Vgl. Woess, Asylwesen (Anm. 1), 222.

Ad ecclesiam confugere

135

2. Eng damit verbunden ist ein zweites Element: die Heiligkeit des Ortes. Die Quellen nennen die Heiligkeit des für den Gottesdienst gebrauchten Ortes immer wieder als konstitutiv für dessen Unverletzlichkeit. 12 Die Heiligkeit dieses Ortes steht schon nach altem christlichen Verständnis unter einem religiösen Sonderfrieden, an den Türen des Gotteshauses sollen daher Rache und Verfolgung enden. Im Zentrum der christlichen Konzeption von Asyl steht jedoch der Altar, er ist die eigentliche Zufluchtsstätte, der eigentliche heilige Ort. 13 3. Als ein weiteres Element ist die Caritas-Idee zu nennen. Die frühe Kirche löst sich vom alttestamentlichen Talionsprinzip und setzt an die Stelle von proportionaler Gegengewalt das Prinzip der Versöhnung und fordert, Böses mit Gutem zu vergelten. Die Verpflichtung zur Nächstenliebe, die auch die Liebe zu den Feinden einschließt, ist eines der grundlegenden Gebote Jesu. Das Doppelgebot der Liebe wird zum Kernstück christlicher Ethik. Die Asylgewährung für Verfolgte hängt deshalb mit der der Kirche ureigensten Idee der Caritas aufs engste zusammen. Nur so ist das vor allem in den Texten der Kirchenväter bezeugte Handeln für die Schutzflehenden zu verstehen. 14 4. Als viertes Element des Asylrechts, das seinerseits tief in der Caritas-Idee wurzelt, gilt die Interzession. Das römische Recht kennt ein ius intercederteli, ein Einspruchs- und Fürbittrecht. Von diesem macht der christliche Klerus, besonders aber die Bischöfe, die zunehmend an Ansehen und Einfluß gewinnen, in umfassender Weise Gebrauch. Bei Augustinus und Ambrosius ist das Verhältnis von Asyl und Interzession klar erkenntlich: Die Pflicht zur Fürbitte erscheint hier als Folge der Flucht ins Gotteshaus, als Bedürfnis eines Schutzflehenden nach kirchlicher Vermittlung seiner Angelegenheit.15 Am Ende des 4. Jahrhunderts hatte sich so in breiten Bevölkerungsschichten die Überzeugung durchgesetzt, daß die Kirche jenen, die sich in ihre Gotteshäuser flüchten, Schutz gewährt. 16

12

Vgl. Konzil v. Orange 441, c. 5; Konzil v. Lerida 546, c. 8; Konzil v. Mâcon 585, c. 8; Konzil v. Toledo 638, c. 12; CTh 9,45,4; Βασιλικός νομός, c. 6; Nov. Just. 17,7; Nov. Just. 37,10; Zosimos, historia nova 5 3 5 3 f· 13

Vgl. Franz J. Dölger, Die Heiligkeit des Altars und ihre Begründung, in: Antike und Christentum 2 (1930), 161-183, hier 170. 14 Vgl. Johannes Chrysostomos, homilia in Eutropium eunuchum et patricium 3; Ambrosius, de obitu Theodosii 4.12.17; Augustinus, epistolae 20*, 22*, 114. 15

Vgl. Josef Groll, Die Elemente des kirchlichen Freiungsrechts mit besonderer Berücksichtigung der österreichischen Entwicklung dargestellt (KRA 75/76). Stuttgart 1911,128. 16

Vgl.Herman, Asylrecht (Anm. 1), 205.

136

Hanspeter Ruedl

Die kaiserliche Gesetzgebung räumt dem Asylrecht einen relativ breiten Raum ein. Die ältesten Zeugnisse finden sich im 9. Buch des Codex Theodosianus (CTh) 11. Unter dem 45. Titel: De his, qui ad ecclesias confugiunt finden fünf Konstitutionen in die theodosianische Gesetzessammlung Eingang, deren älteste aus dem Jahre 392 und deren jüngste aus dem Jahre 432 datiert. Die Einfügung in das 9. Buch läßt erkennen, daß das Asylwesen hier besonders unter einer strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Perspektive zu sehen ist. Diese Konstitutionen werden dann in den Codex Justinianus (CT) 18 übernommen. Dort finden sie sich im 1. Buch, unter dem 12. Titel: De his, qui ad ecclesias confugiunt vel ibi exclamant beinahe unverändert bei den kirchlichen Privilegien wieder. Weitere Gesetze zum Asylrecht, die jedoch späteren Datums sind, jedoch hier nicht unerwähnt bleiben sollen, finden sich in den Constitutiones Sirmondianae (Const. Sirm.) und in den Novellen des Justinian (Nov. Just.f. Die Redaktoren des CTh haben die für das Asylrecht relevanten Konstitutionen unter dem schon erwähnten Titel „de his, qui ad ecclesias confugiunt" gesammelt. Im Grunde hat diese Einteilung auch der CJ übernommen. Die ersten drei Gesetze von CTh 9,45 können als Einschränkung einer weit verbreiteten Praxis verstanden werden, das vierte ist deren Legalisierung und das fünfte schränkt diese Praxis wieder ein. Der einleitende Teil CTh 9,45,1, der nicht in den CJ übernommen wird, stammt aus einer Verordnung des Theodosius I. (388-395) vom 18.10.392 ein Jahr nachdem das Christentum zur Staatsreligion erhoben wird - und bestimmt, daß Staatsschuldner, die in eine Kirche fliehen, aus ihren Verstecken hervorgeholt oder aber die Bischöfe bzw. die Kleriker, denen nachgewiesen werden kann, daß sie sie verstecken, an ihrer statt zur Begleichung der Schulden gezwungen werden sollen. 20 Die Verordnung ist an Romulus, den comes sacrarum largitionem, den Finanzminister, gerichtet und kann als allgemeine Handlungsvorgabe für die

17 Theodor Mommsen/Paul M. Meyer (Hg.), Theodosiani libri X V I cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes. Berlin 3 1962. 18

Paul Krüger (Hg.), Codex Justiniani (Corpus iuris civilis II). Berlin

13

1963.

19

Rudolf Schoell / Wilhelm Kroll (Hg.), Novellae (Corpus iuris civilis III). Berlin 8 1963. 20

Vgl. CTh 9,45,1: JPublicos debitores, si confugiendum ad ecclesias crediderint, aut ilico extrahi de latebris oportebit aut pro his ipsos, qui eos occultare probantur, episcopos exigi. Sciat igitur praecellens auctoritas tua neminem debitorum posthac a clericis defendendum aut per eos eius, quem defendendum esse crediderint, debitum esse solvendum."

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Behörden in solchen und ähnlichen Situationen gelten. Die Wiederholung jeder einzelnen Bestimmung und besonders die dreimalige Betonung der Steuerschuld, die in der Abschlußfeststellung „debitum esse solvendum" gipfelt, gibt dem Ganzen unverkennbar eine gewisse Schärfe. 21 Hans Langenfeld deutet den Text dahingehend, daß die Steuerschuldner, die sich in eine Kirche flüchten und den Klerus um Hilfe bitten, von diesem - mit Wissen des Bischofs - in einem zur Kirche gehörenden Haus oder bei verlässlichen Gemeindemitgliedern versteckt und somit dem Zugriff durch die Steuereinheber entzogen werden. Die Wendungen „aus den Verstecken/Schlupfwinkeln herausholen" (extrahi de latebris) und „sie verstecken" (eos occultare ) scheinen die These zu erhärten, daß Hilfesuchende außerhalb des eigentlichen Kirchenbaus verborgen worden sind. Deshalb hat auch die Finanzbehörde den Nachweis zu führen, daß tatsächlich Flüchtlinge versteckt werden. Das hätte keinen Sinn, wenn Asylsuchende sich - für alle sichtbar - im Inneren der Kirche aufhalten würden. 22 Das „ad ecclesias confugere" deutet Langenfeld dann auch als ein „adpatrocinio confugere" 23 > d. h. sich in den Schutz einer mächtigen Person oder Institution zu begeben. Für ihn liegt in CTh 9y45,l deshalb der typische Fall einer - vom Klerus geübten - Protektion vor, der an die Versuche hochgestellter weltlicher Persönlichkeiten erinnert, ihren Einfluß im Interesse ihrer Klientel geltend zu machen. Dieser Deutung schließt sich auch Johannes Herrmann an, der aber das „confugere", mehr als Langenfeld, der „allgemeinen, vielförmigen Fluchtbewegung" im spätantiken römischen Reich zuordnet. 24 Die Stelle CTh 9,45,2, die mit CJ 1,12,1 identisch ist, stammt aus einer Konstitution des Arkadius (395^108) vom 17.6.397. Der Sohn von Theodosius I., seit dem Tod des Vaters Kaiser im Osten des Reiches, versucht zu verhindern, daß Juden zum Schein das Christentum annehmen, um durch die Flucht zur Kirche einer Strafverfolgung oder ihren Schuldnern zu entgehen. Er bestimmt, daß sie nicht eher in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen werden dürfen, bis sie all ihre Schulden beglichen und ihre Unschuld nachgewiesen haben.25

21

Vgl .Langenfeld, Christianisierungspolitik (Anm. 5), 127.

22

Vgl .Langenfeld, ebd. 127 f.

23

Vgl. CTh 11,24,4 ff.

24

Vgl. Herrmann, Cod. Theod. 9,45 (Anm. 1), 271 f.

Vgl. CTh 9,45,2: „Iudaei, qui reatu aliquo vel debitis fatigati simulant se Christianae legi velie coniungi, ut ad ecclesias confugientes vitare possint crimina vel pondera debitorum, arceantur nec ante suscipiantur, quam debita universa reddiderint vel fuerint innocentia demonstrata purgati."

138

Hanspeter Ruedl

Der Erlaß ist an den Statthalter von Ägypten, einer Provinz mit einer sehr alten und weitverbreiteten Asyltradition gerichtet und umfaßt nur einen kurzen Abschnitt aus einem umfangreicheren Text über die Rechtsstellung von Juden. Wieder versucht die Regierung aufgetretenen Mißständen durch ein allgemeines Verbot entgegenzuwirken. Es kann darin zunächst keine Bestätigung für ein Asylrecht der christlichen Gotteshäuser gesehen werden. Die Stelle zeigt vielmehr, daß es der Kirche aus Steuer- und strafrechtlichen Gründen verboten wird, verfolgte und bedrängte Juden zu schützen.26 CTh 9,45,3 vom 27.7.398 ist einem Gesetz entnommen, in dem Kaiser Arkadius die Rechte des Klerus, u. a. die bischöfliche Gerichtsbarkeit, neu ordnet und dabei jede Möglichkeit der rechtswidrigen Protektion zu unterbinden sucht. Auch dieser Erlaß ist kein Beleg für ein bestehendes, allgemeines Asylgesetz. Eine vergleichbare Stelle fehlt in CJ 1,12. Das Exzerpt CTh 9,45,3 besagt: „Wenn jemand künftig als Sklave oder Sklavin, als Kuriale, Staatsschuldner, Prokurator, 27 oder als Purpurschneckensammler (murilegulus) ,28 kurzum, wenn eine zu öffentlicher oder privater Rechenschaft verpflichtete Person zur Kirche flüchtet oder sich ordinieren läßt oder in anderer Weise von Klerikern in Schutz genommen wird, 2 9 der trotz vorheriger Aufforderung nicht sofort in seine frühere Stellung zurückkehrt, dann sollen die Dekurionen 30 und alle, welche ihre hergebrachte Funktion in das geschuldete Amt ruft, kraft richterlicher Autorität, in die frühere Position selbst mit Anwendung von Zwangsmitteln zurückgeholt werden. Wir dulden es nicht - so bestimmt die Verordnung weiter - , daß diesen Personen jenes Gesetz zustatten kommt, demzufolge Dekurionen nicht gehindert werden, nach Abtretung ihres Vermögens Kleriker zu werden." Weiters wird hier angeordnet, daß die kirchlichen Vermögensverwalter, die den Flüchtenden Hilfe zukommen lassen, für alle öffentlichen und privaten Schulden derselben unverzüglich selbst aufzukommen haben. Dem Kaiser geht es hier wieder darum, die bestehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Abgaben und andere Leistungen an den Staat wären

26

Vgl. Herrmann, Cod. Theod. 9,45 (Anm. 1), 273.

27

Procurator: kaiserlicher Vermögens- bzw. Gutsverwalter.

28

Murilegulus: mit vielen öffentlichen Verpflichtungen belastet, da der Purpurmuschelfang Monopol des Kaisers ist. 29 Vgl. CTh 9,453: „··· quilibet postremo publicis privatisve rationibus involutus ad ecclesiam confugientes vel clericus ordinatus vel quocumque modo a clericis fuerit defensatus". 30 Decurio: im spätantiken Rom wird dieser Begriff abgelöst von „curialis", Mitglied der örtlichen Kurie.

Ad ecclesiam confugere

139

arg beeinträchtigt, würde die Kirche all diejenigen unterstützen, die sich aus ihren sozialen und beruflichen Zwängen zu lösen suchten.31 Die Konstitution CTh 9,45,4, die mit jener in CJ 1,12,3 inhaltlich übereinstimmt, bringt die Wende. Sie richtet sich am Osterfest, dem 23.3.431 an den praefectus praetorio Orientis Flavius Antiochus und geht auf einen Zwischenfall in der Hagia Sophia, der Hauptkirche von Konstantinopel, zurück: Dort dringt eine Gruppe von Sklaven ein, besetzt den Altar und verhindert so über einen längeren Zeitraum hin den Gottesdienst. Mit Waffengewalt wehren die Sklaven jeden ab, der ihnen zu nahe kommt. Ein Kleriker wird dabei getötet, ein anderer verletzt, schließlich begehen die verzweifelten Eindringlinge aber Selbstmord. 32 Bereits die Eingangsworte „Pateant summi (CJ: magni) dei tempia timentibus" enthalten die grundsätzliche Anerkennung des Asylrechts der christlichen Gotteshäuser. Es folgt eine genaue Beschreibung des Bereichs, der den Flüchtlingen Schutz bieten soll, dieser umfaßt die gesamten zur Kirche gehörenden Liegenschaften bis zu deren äußersten Toren. Durch die Ausweitung des Asylbezirks soll vermieden werden, daß die Flüchtlinge sich im Tempel Gottes und an den hochheiligen Altären (sacrosanctis altaribus) allzu profanen Dingen widmen. Die Kleriker haben solches aus religiöser Überzeugung (religionis causa) zu verbieten und die Flüchtlinge es aus Ehrfurcht (pietas ratione) zu unterlassen. Asylbruch wird als sacrilegium gebrandmarkt. Den Schutzsuchenden wird jegliches Waffentragen im gesammten Asylbezirk verboten (§ 1). Im Inneren der Kirche oder am Altar selbst ist es untersagt zu essen oder zu schlafen. Wer einem Schützling Gewalt antut, den erwartet die Todesstrafe (capitalis poena) (§ 2). Bewaffnete Asylwerber sollen - nach vergeblicher Aufforderung zum Ablegen der Waffen - mit Zustimmung des Bischofs und nach kaiserlicher oder richterlicher Anordnung, aus der Asylstätte entfernt und allen Widrigkeiten (omnibus casibus) überlassen werden (§ 3). Dieses Exzerpt aus einem Gesetz Theodosius II. ist in seiner vollen Länge in griechischer Sprache unter dem Titel ,βασιλικός νόμος περί των προσφευγόντων έν έκκλησίαι" mit einer Sammlung von Akten des Konzils von Ephesus (431) überliefert: 33

31

Vgl. Herrmann, Cod. Theod. 9,45 (Anm. 1), 273 ff. Vgl. Socrates Scholasticus, ecclesiastica historia 733.

33

Vgl. Eduard Schwartz (Hg.), Βασιλικός νόμος περί των προσφευγόντων έν έκκλησίαι (Einführung und Text), in: Woess, Asylwesen (Anm. 1), 253-272.

140

Hanspeter Ruedl

Zu Anfang betont der Kaiser die Heiligkeit des Kults und die unbefleckbare Reinheit all dessen, was höheren Mächten - zu heidnischen Zeiten und allenthalben - geweiht ist (§ 1). Unter Hinweis auf das Vorkommnis in der Hagia Sophia, dem Anlaß seiner Konstitution, sichert er seine Entschlossenheit zu, jeder Verletzung der christlichen Religion entgegenzutreten (§ 2). Schon die Heiden hätten den Göttern große Verehrung entgegengebracht, um wieviel mehr sei es dann die Pflicht der Christen - denen sich der wahre Gott geoffenbart habe - sie darin zu überbieten. Die Regierenden aber hätten die Aufgabe, die Menschen zu retten, von ihren Sorgen zu befreien und sich der Hilflosen und Schwachen anzunehmen, aber auch die heiligen Stätten vor Freveltaten zu bewahren (§ 3). Barmherzigkeit gegen Arme und Schutzsuchende, wie sie schon in der Vergangenheit durch die Institution des Asyls bzw. die Ausgestaltung der Kaiserstatue zu einem Altar der Rettung (βωμόν σωτηρίας) geübt worden ist, sei ein Gebot der Menschlichkeit (§ 4). Darum sollten die christlichen Kirchen für alle Zufluchtsuchenden offen sein. Aber nicht nur die Kirche selbst, auch der gesamte zu ihr gehörende Besitz an Häusern, Gärten, Höfen, Bädern und Hallen habe diesen Schutz zu garantieren. Niemand aber dürfe die Flüchtlinge irgendwie belästigen oder gar vertreiben (§ 5). Der Altar selbst, wie auch der für den Gottesdienst verwendete Raum, solle nicht durch Schlafen oder Essen entweiht werden. Notfalls seien Zuwiderhandelnde - auch gewaltsam - zu entfernen (§ 6). Waffentragen sei den Asylsuchenden untersagt, denn die Hilfe Gottes müsse ihnen Schutz genug sein (§ 7). Die Kleriker hätten die Pflicht, sie über all diese Bestimmungen zu unterrichten und darauf hinzuweisen, daß auf Asylfrevel die Todesstrafe stehe (§ 8). Sollte aber jemand diese Anordnungen in den Wind schlagen, so müßten die Geistlichen diesen mit Einverständnis des Bischofs dazu zwingen, sie einzuhalten, da ja die Ehrfurcht vor der Religion Vorrang vor jeglicher Milde habe (§ 9). Gelinge es aber nicht, Flüchtlinge zur Niederlegung ihrer Waffen zu bewegen, so seien Bewaffnete gegen sie einzusetzen, damit sich nicht ein ähnlicher Fall - wie der, der den Anlaß für diese Konstitution gegeben hat - wiederhole (§ 10). Ein solches Eingreifen sei aber nur als äußerste Maßnahme vorgesehen. Zuvor müssen es der Bischof und der weltliche Richter erst erlauben (§ 11). Zuallerletzt ist der Kaiser überzeugt, sowohl der Religion als auch der Menschlichkeit Genüge getan zu haben und weist den Adressaten an, die Konstitution zu veröffentlichen und für die Einhaltung der Bestimmungen zu sorgen (§ 12). Die entscheidende Frage ist nun, ob Kaiser Theodosius II. mit diesem Gesetz das Asylrecht der christlichen Kirchen begründet oder aber bereits von seinen Vorgängern getroffene Regelungen übernimmt bzw. modifiziert. Wie schon oben dargelegt, können die Konstitutionen von CTh 9,45,1-3 nicht als Beleg für die Existenz eines gesetzlich geregelten, allgemeinen Asylrechts der Kirchen herangezogen werden, da sie - zumeist aus finanzpolitischen Gründen bloß eine illegale Protektion durch den Klerus zurückzudrängen versuchen. Das

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Gesetz von 431 ist somit das erste in CTh 9,45, das eine gesetzliche Anerkennung eines allgemeinen Asylrechts der christlichen Kirchen belegt. Schutz erlangen die ,£onfugientes ad ecclesias" demnach unmittelbar durch das Betreten der christlichen Kultstätten, einer Aufnahmeerlaubnis oder einer Protektion durch Bischof und Kleriker bedarf es dabei nicht, „die Schutzwirkung geht von dem geheiligten Ort selbst aus". 34 Fast genau ein Jahr nach der ersten gesetzlichen Anerkennung des Asylrechts kommt es in CTh 9,45,5 vom 283.432 und in etwas verkürzter Form in CJ 1,12,4 zu einer Revision. Stehen die Kirchen seit dem Ostererlaß von 431 grundsätzlich allen Bedrängten offen, so bringt das jetzige Gesetz beträchtliche Einschränkungen in Bezug auf die Sklaven. Otto Grashof führt die neue Situation darauf zurück, daß Sklaven das Asyl zu oft und manchmal wohl auch ohne hinlänglichen Grund in Anspruch nehmen, worauf das spätantike Gesellschaftssystem zu wanken beginnt. 35 Fliehen sie nun unbewaffnet in eine Kirche, so dürfen sie dort nicht länger als einen Tag bleiben. 36 Die Kleriker haben unterdessen ihre Herrn zu benachrichtigen und für sie zu vermitteln. Wenn sie ihren Sklaven verzeihen, sollen sie ihren Herren zurückgegeben werden. Sind die Sklaven aber bewaffnet, dann müssen sie sofort und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aus dem Gotteshaus entfernt werden. Wenn dabei aber ein Sklave wegen des rücksichtslosen Vorgehens seines Herrn zu Tode kommt, kann dieser dafür nicht belangt werden. Beamte, die diese Anordnungen nicht durchzusetzen vermögen, sind mit Schmach und Schande aus dem kaiserlichen Dienst zu entlassen und vom Bischofsgericht abzuurteilen. Außerhalb der eigentlichen Asylgesetze in CTh 9,45 gibt es noch weitere, zeitlich jüngere Belege für eine gesetzliche Anerkennung des Asylrechts der christlichen Kirchen. Die Redaktoren des Kodex haben aber - aus welchen Gründen auch immer - diese Gesetze nicht bei jenen eingeordnet. Der erste dieser Texte, CTh 16,8,19, ist an der entscheidenden Stelle unklar, der zweite, Const. Sirm. 13, hat weder in der theodosianischen noch in der justinianischen Gesetzessammlung Aufnahme gefunden und der dritte, Const. Sirm. 14, kann nur als Vorstufe zum Asylrecht angesehen werden. Die übrigen Bezeugungen eines allgemeinen Asylrechts der Kirchen stammen aus der Zeit nach 431 und finden sich im Kodex und in den Novellen Justinians.

34

Vgl.Herrmann,

35

Vgl. Grashof, Gesetze (Anm. 1), 10.

36

Cod. Theod. 9,45 (Anm. 1), 276.

Bei der Flucht von Sklaven zu Kaiserstatuen beträgt die Frist nach CTh 9,44,1 zehn Tage.

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Hanspeter Ruedl

Doch zuerst zur unsicheren Konstitution CTh 16,8,19 vom 1.4.409. Kaiser Honorius (395-423) nimmt darin zum Abfall vom katholischen Glauben Stellung: Er droht den Anhängern der judaisierenden Sekte der Caelicolae die Verfolgung nach den Ketzergesetzen an, falls sie nicht binnen Jahresfrist zur katholischen Kirche zurückkehren sollten. An der für unser Thema wichtigen Stelle ist der Gesetzestext aber unklar und wird als ergänzungsbedürftig angesehen.37 Aus den aus ihrem Zusammenhang gerissenen Worten „... iubemus, ne ecclesiis quisquam nocens vel cuiusquam abducere" läßt sich zumindest entnehmen, daß die Kirche bei der Rückführung der Abgefallenen eine Rolle spielen soll. Zudem sei es nicht erlaubt, irgendwelche Leute aus den Kirchen fortzuführen. Solches würde als „maiestatis crimen" geahndet. Hans Langenfeld interpretiert die Stelle dahingehend, daß hier besonders Sklaven angesprochen sind, die nocheinmal - wie schon in den Jahren 405 und 407 38 - aufgefordert werden sollen, ihre häretischen Herren zu verlassen. Die katholischen Gotteshäuser böten den Sklaven aber sicheren Schutz vor ihren Verfolgern. 39 Die theodosianischen Juristen haben den Text nicht primär unter dem Aspekt des Asylrechts gesehen, sondern ihn unter CTh 16,8 eingefügt, ein Abschnitt über den Umgang mit Juden und judaisierenden Sekten. Die Redaktoren des CJ hingegen haben den letzten, für das Asylrecht relevanten Teil des Gesetzes in verkürzter und überarbeiteter Form unter dem Titel „De his, qui ad ecclesias confugiunt vel ibi exclamant " aufgenommen. 40 Das zweite dieser Gesetze41 hat Honorius am 21.11.419 erlassen. Darin gesteht er denjenigen, die zur Kirche fliehen, den Schutz in einem Umkreis von 50 Schritten zum Gotteshaus zu (quinquaginta passibus ultra basilicae fores) . Aus Humanität und christlicher Barmherzigkeit gewähre er den Betrübten ans Tageslicht zu gehen, damit sie nicht - im Gotteshaus eingeschlossen - ein ähnlich hartes Los erleiden müßten wie im Gefängnis, dem sie ja durch ihre Flucht entkommen seien. Wer aber gegen dieses Gesetz verstoße, begehe ein Sakrileg. Im zweiten Teil der Konstitution gestattet der Kaiser den Priestern um der Barmherzigkeit willen die Höfe der Kerker zu betreten und dort die Kranken zu versorgen, die Betrübten zu trösten, die Rechtslage der Gefangenen zu überprüfen und für sie beim zuständigen Richter zu intervenieren (interventiones ...

37 3 8 Vgl.

Siems, Entwicklung (Anm. 6), 143. CTh 16,6,4 bzw. CTh 16,5,40.

39

Vgl. Langenfeld, Christianisierungspolitik (Anm. 5), 122.

40

Vgl. α

41

Const. Sirm. 13.

1,12,2.

Ad ecclesiam confugere

143

moderetur). Er wisse nämlich - so der Kaiser weiter, - daß Personen oft viel länger als erforderlich festgehalten und manchmal auch Unschuldige eingesperrt würden. Honorius verfolgt mit dieser engen Einbindung der katholischen Kirche in seine Politik das Ziel, die Rechtssicherheit in den Provinzen zu verbessern, indem er die Kirche als Anwältin der Schwachen gegen die eigene allzuoft korrupte und willkürliche Bürokratie aufwertet. 42 Diese Konstitution hat wohl nur eine geringe Wirkung auf das Asylrecht der Kirchen ausgeübt, da sie im Osten nie Gesetzeskraft erlangt und im Westen durch die Einführung des CTh, in den sie nicht aufgenommen worden ist, außer Kraft gesetzt wird. Sie ist allein in den Const. Sirm. überliefert. 43 Ein drittes Gesetz44 kann gleichsam als Vorstufe für ein allgemeines Asylrecht der Kirchen herangezogen werden. Am 15.1.409 hat Kaiser Honorius für die Provinz Afrika unter Androhung der schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Mittel verfügt, daß den katholischen Gotteshäusern und dessen Dienern jeglicher staatliche Schutz zu gewähren sei. 45 Zuvor hatten nämlich die katholischen Bischöfe Afrikas aufs heftigste gegen die wiederholten Übergiffe der Donatisten und die Untätigkeit der Behörden beim Kaiser protestiert. Honorius erkennt für diese spezielle Situation und für diese spezielle Gruppe von Menschen die Kirchen als Zufluchtsorte an. Er kann damit aber nicht verhindern, daß infolge dieses Gesetzes verstärkt Leute in Notsituationen die Kirchen aufsuchen und den einmal gewährten Schutz auch für ihre Situation einfordern, wie es auch Augustinus an anderer Stelle tut. 46 Der Text dieses Gesetzes ist in seiner längeren Fassung in den Const. Sirm., in seiner kürzeren im 16. Buch des CTh erhalten, hier unter dem Titel „De episcopis, ecclesiis et clericis". 47 Die justinianische Gesetzgebung zeigt die Tendenz, das Asylrecht einzuschränken, zwar nicht so sehr im Kodex, dafür aber um so mehr in den Novellen. Große wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten des Staates, so etwa hohe Schutzgeldzahlungen an äußere Feinde, zwingen den Hof in Konstantinopel zu einer konsequenten Steuerpolitik: Staatsschuldner werden wieder von

42

Vgl.Langenfeld, Christianisierungspolitik (Anm. 5), 126.

43

Vgl .Langenfeld, ebd., 126.

44

Const. Sirm. 14.

45

Vgl. Const. Sirm. 14: „... si quisquam in hoc genus sacrilegii proruperit, ut in ecclesias catholicas inruens sacerdotibus et ministris vel ipsi culti locoque aliquid inportet iniuriae". 46 47

Vgl. Augustinus, epistolae 115; 151. CTh 16,231·

144

Hanspeter Ruedl

jeglicher Asylwirkung ausgenommen. Eine Reihe von Verordnungen sucht ihnen jegliche Auswege und Ausflüchte zu versperren. 48 In der bisherigen kaiserlichen Gesetzgebung fand sich kein Hinweis darauf, wie mit eigentlichen Verbrechern zu verfahren sei, ob sie Asylschutz genießen oder nicht. Das ändert sich durch die Nov. 17,7„De mandatisprincipum" vom 15535, in der ausdrücklich Mörder, Ehebrecher und Jungfrauenräuber vom Asylschutz ausgenommmen werden. Begründet wird dies damit, daß die heiligen Stätten nicht den Übeltätern, sondern deren Opfer dienen sollen. In der Novelle 37,10 „De Africana ecclesia" vom 1.8535 sind neben Mördern und Jungfrauen räubern auch die „christianae fidei violatores" vom Schutz an diesen verehrungswürdigen Orten (venerabilibus locis debita reverentia) ausgeschlossen. Am 13.7.451 befiehlt der oströmische Kaiser Markian (450-457), jegliche Störung (omni seditione) von den Kirchen fernzuhalten 4 9 Lautes Geschrei, Aufruhr und Gewaltanwendung sei an diesen ehrwürdigen Orten verboten; auch solle es niemand wagen, unerlaubte Versammlungen zu organisieren. Wer diesen Vorschriften zuwiderhandelt, ist mit dem Tode zu bestrafen. Wenn jemand meint, daß ihm Unrecht geschieht, soll er sich an den zuständigen Richter wenden und den gesetzlichen Schutz einfordern. Das Exzerpt bezieht sich nicht unmittelbar auf das Asylrecht, doch sehen die Redaktoren des Kodex einen Zusammenhang und ordnen es hier ein. CJ 1,12,6 stellt die letzte größere und grundsätzlichere Abhandlung in der kaiserlichen Gesetzgebung über ein allgemeines Asylrecht der Kirchen dar. Kaiser Leo I. (457-474) stärkt am 28.2.466 einerseits das Asyl der Kirchen in ihrem räumlichen Umfang zugunsten der Flüchtlinge: Für Essen, Kleidung und einen Schlafplatz muß gesorgt werden, bei Mißachtung droht die Todesstrafe. Andererseits dürfen aber die Bischöfe und Kirchenvorsteher nicht mehr für die Schulden der Zufluchtsuchenden herangezogen werden, was im folgenden detailliert geregelt wird: Freie oder freigelassene Asylwerber müssen den Klerikern Auskunft über ihre Schulden geben, wenn der Fiskus oder private Gläubiger gegen sie Ansprüche erheben. Zur Tilgung der Schuld wird deren Vermögen herangezogen. Sklaven und Hörige, Dienstboten und andere Abhängige sollen entweder für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen oder an ihren Herrn zurückgegeben werden, der ihnen unter Eid zu verzeihen hat. Denn die Herren brauchen ihre Arbeitskräfte, die Kirche aber Platz und Mittel für Arme und Bedürftigere. Am Ende des Gesetzes wird den Verantwortlichen der Kirche

48

Vgl .Herman, Asylrecht (Anm. 1), 208.

49

Vgl. CJ 1,12,5.

Ad ecclesiam confugere

145

(ireligiosi oeconomi sive defensoris ecclesiae) nochmals eingeschärft, die Flüchtlinge und ihre Angelegenheit genauestens zu prüfen und den Richtern und den betroffenen Gläubigern Mitteilung zu machen. Nach Harald Siems kommt in dieser Konstitution von Kaiser Leos I. die Kirche „in die Rolle einer an neutralem Ort im allgemeinen Interesse tätigen Untersuchungs- und Vollstreckungsbehörde". Die Übertragung dieser Aufgaben auf die Kirche steht für ihn zwar in keinem Gegensatz zu deren Schutzfunktion, es ist aber unverkennbar, daß sie hier mehr den Interessen der Gläubiger als denen der Flüchtlinge dienen soll. 50

50

Vgl. Siems, Entwicklung (Anm. 6), 144.

12 FS Mühlsteiger

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg Kanonistische Anmerkungen zum Problem der Zirkumskripten von Teilkirchen Von Hans Paarhammer

I . Vorgaben und Anregungen des I I . Vatikanischen Konzils Im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus" hat das II. Vatikanische Konzil dazu aufgerufen, unter Bedachtnahme auf eine wirksamere Erfüllung der bischöflichen Hirtenaufgaben und um „dem Heil des Gottesvolkes so vollkommen wie nur möglich" zu dienen, bald eine Überprüfung der Abgrenzung der Diözesen vorzunehmen. In Nr. 22 (letzter Absatz) heißt es diesbezüglich: „ Was nun die Abgrenzung der Diözesen angeht, so bestimmt die Heilige Synode, soweit das Heil der Seelen es verlangt, möglichst bald mit Umsicht eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen. Dabei sollen Diözesen geteilt, abgetrennt oder zusammengelegt, ihre Grenzen geändert oder ein günstigerer Ort für die Bischofssitze bestimmt werden; schließlich sollen sie, wenn es sich um Diözesen handelt, die aus größeren Städten bestehen, eine neue innere Organisation erhalten ,"1 Weiters wird in Art. 23 der Wunsch der Konzilsväter statuiert: „Bei der Überprüfung der Diözesanabgrenzungen soll vor allem die organische Einheit einer jeden Diözese hinsichtlich des Personals, der Ämter und der Einrichtungen sichergestellt werden, damit ein lebensfähiger Organismus entsteht. In den einzelnen Fällen wäge man alle Umstände genau ab und halte sich dabei folgende Richtlinien vor Augen:

1

Karl Rahner ! Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums mit Einführungen und ausführlichem Sachregister, Freiburg i. B., 1966, 270. Vgl. dazu Louis Carlen (Hg.), Neue Bistumsgrenzen - Neue Bistümer (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 37). Freiburg i. d. Schweiz 1992,9.

148

Hans Paarhammer

(1) Bei der Abgrenzung des Diözesangebietes nehme man, soweit möglich, auf die verschiedenartige Zusammensetzung des Gottesvolkes Rücksicht, die viel dazu beitragen kann, die Seelsorge besser auszuüben. Gleichzeitig trage man dafür Sorge, daß demographische Zusammenfassungen der Bevölkerung mit den staatlichen Behörden und sozialen Einrichtungen, die ihre organische Struktur ausmachen, möglichst in ihrer Einheit gewahrt bleiben. Daher soll jede Diözese aus einem zusammenhängenden Gebiet bestehen. Gegebenenfalls achte man auch auf die Grenzen der staatlichen Bezirke und auf die besonderen Eigenheiten der Menschen und der Gegenden, z.B. psychologischer, wirtschaftlicher, geographischer oder geschichtlichen Art. (2) Die Größe des Diözesangebietes und die Zahl seiner Bewohner seien im allgemeinen derart, daß einerseits der Bischof selbst, wenn auch von anderen unterstützt, imstande ist, die bischöflichen Amtshandlungen und die Pastoralvisitationen gebührend vorzunehmen, die gesamte Seelsorgstätigkeit der Diözese in gehöriger Weise zu leiten und zu koordinieren, vor allem aber seine Priester kennenzulernen und auch die Ordensleute und die Laien, die in der Diözesanarbeit tätig sind. Andererseits aber soll ein hinreichendes und geeignetes Arbeitsfeld zur Verfügung stehen, in dem sowohl der Bischof als auch die Kleriker alle ihre Kräfte nutzbringend für den kirchlichen Dienst einsetzen können; dabei darf man die Erfordernisse der Gesamtkirche nicht übersehen. (3) Damit schließlich der Dienst am Heil in der Diözese besser ausgeübt werden kann, gelte als Regel, daß jeder Diözese nach Zahl und Eignung wenigstens genügend Kleriker zur Verfügung stehen, um das Gottesvolk recht zu betreuen. Die Ämter, Einrichtungen und Werke, die für die Teilkirche wesentlich und erfahrungsgemäß für ihre gehörige Leitung und Seelsorgsarbeit notwendig sind, sollen nicht fehlen. Schließlich sollen die Mittel zum Unterhalt des Personals und der Einrichtungen entweder schon vorhanden sein oder wenigstens nach kluger Voraussicht doch späterhin nicht fehlen. Das K o n z i l gab schließlich die Empfehlung an die zuständigen Bischofskonferenzen, bei der Umgestaltung oder Neuerrichtung von Diözesen „diese An-

gelegenheit für ihr jeweiliges Gebiet einer Prüfung zu unterziehen " und wenn es der Sache dienlich sei, sollen die Bischofskonferenzen „eine

besondere

Bischofskommission einsetzen und, nach Anhörung vor allem der Bischöfe der betroffenen Provinzen oder Regionen, ihre Vorstellungen und Wünsche dem Apostolischen Stuhl unterbreiten. " 2

2

Ebd., Art. 24 (mit Hinweis auf Art. 22 und 23).

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg

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Neben diesen Anregungen mit vornehmlich pastoraler und organisatorischer Zielrichtung sind die ekklesiologischen Vorgaben des Konzils näher in Betracht zu ziehen. In der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium" Art. 23 wurde von den Konzilsvätern das personale Moment des Gottesvolkes als konstitutives Element für das Wesen der Teilkirche deutlich herausgestellt. 3 Auch wenn der Begriff „Ecclesia particularis" etymologisch auf „einen Verwaltungsbezirk der Gesamtkirche" hinzudeuten scheint, ist damit ekklesiologisch eine Gemeinschaft von Getauften gemeint. Darauf weist das Dekret über die Hirtenaufgabe „Christus Dominus" A r t . 11 mit der Beschreibung der Teilkirche als „Teil des Gottesvolkes" deutlich hin. „Die so umschriebene Gemeinschaft ist für die Teilkirche konstitutiv. Dagegen hat das Territorium, soweit dieses auf Grund des in der Kirche vorherrschenden Territorialitätsprinzips festlegt, welche Gläubigen näherhin durch Zuordnung zu einem Bischofsamt eine eigene Teilkirche bilden keine konstitutive Bedeutung, sondern besitzt nur determinative Funktion." 4 Diese in C D Art. 11 enthaltene Definition der Diözese wurde wörtlich in den CIC/1983 übernommen. In c. 369 heißt es: „Die Diözese ist der Teil des Gottesvolkes, der dem Bischof in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium zu weiden anvertraut w i r d . Indem sie ihrem Hirten anhängt und von ihm durch das Evangelium und die Eucharistie im Heiligen Geist zusammengeführt wird, bildet sie eine Teilkirche, in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist." Konstitutive Elemente sind demnach für die Diözese folgende vier: Teil des Gottesvolkes dem Bischof anvertraut - in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium - Erscheinungsform der Gesamtkirche. 5 In c. 372 § 1 w i r d schließlich als Grundregel festgelegt, „daß der Teil des Gottesvolkes, der eine Diözese bzw. eine andere Teilkirche bildet, gebietsmäßig genau abzugrenzen ist (certo territorio circumscribatur), so daß er alle in dem Gebiet wohnenden Gläubigen umfaßt." Unter besonderen Gesichtspunkten (wie z. B . Rituszugehörigkeit der Gläubigen) können i m Bereich einer Bischofskonferenz auch Personal-Teilkirchen errichtet werden (c. 372 § 2). Die Errichtung von Teilkirchen ist ausschließlich Sache der höchsten Autorität der Kirche; wenn sie rechtmäßig errichtet sind, besitzen sie von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit (c. 373).

3

Vgl. Hubert Müller, Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen, in: GrNKirchR, 255 ff. A 5

Müller, ebd., 257.

Vgl. Hubert Müller, Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen, in: HdbKathKR 1 , 331 ff.; dazu auch Franz Kalde, Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen: in: HdbKathKR 2 ,420 ff.

150

Hans Paarhammer

I I . Konkordatsrechtliche Entwicklung Das Österreichische Konkordat von 1933/34 handelt in A r t . I I I von der B i stums-Organisation der katholischen Kirche in Österreich und bestimmt dabei

in § 1: Der gegenwärtige Stand der Kirchenprovinzen und Diözesen bleibt, soweit im folgenden nicht anders bestimmt wird, erhalten. Eine in Zukunft etwa erforderlich werdende Änderung bedarf vorheriger Vereinbarung. Letzteres gilt nicht für kleinere Veränderungen, die im Interesse der Seelsorge liegen, und für jene Verschiebungen, die sich in einzelnen Fällen als Folge von Umpfarrungen ergeben. Demnach bleibt die bisherige Einteilung in zwei K i r chenprovinzen mit den entsprechenden Diözesen erhalten. Änderungen in der Bistumsorganisation bedürfen laut Konkordat allerdings einer Vereinbarung mit dem Staat. I m H i n b l i c k auf eine solche künftige Maßnahme wurde in § 2 bereits in Aussicht genommen: Die Apostolische Administratur InnsbruckFeldkirch solle v o m alten Bistum Brixen getrennt und zu einer eigenen Diözese mit dem Sitz in Innsbruck erhoben werden, wobei ein eigenes Generalvikariat für den Vorarlberger A n t e i l mit dem Sitz in Feldkirch vorgesehen werden solle. Für das Burgenland wurde die Errichtung einer sogenannten Praelatura nullius in Aussicht genommen. Nach Durchführung der nötigen Vorkehrungen sollte die Konkretisierung der konkordatär anklingenden späteren Vorhaben „durch besondere Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesregierung" geschehen. I m Jahre 1960 kam es zum „Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich v o m 23. Juni 1960 betreffend die Erhebung der Apostolischen Administratur Burgenland zu einer Diözese". 6 A m selben Tag kam es auch zum Abschluß des sogenannten „Vermögensvertrags" i m „Vertrag z w i schen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich v o m 23. Juni 1960 zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen", der für die Diözesen vor allem eine Reihe von Fragen und Problemen der staatlichen Wiedergutmachung der Folgen der Säkularisation und der Nazi-Diktatur brachte. 7 Beide Verträge (Diözese Eisenstadt und Vermögensvertrag) wurden zudem als klarer Beweis gewertet, daß das Österreichische Konkordat von 1933/34 Rechtsgültigkeit besitzt und eine tragfähige Grundlage für weitere Zusatzverträge bildet.

6

BGBl Nr.l96/1960; dazu Stephan Laszlo, Das Werden und Wachsen der Apostolischen Administratur Burgenland, in: ÖAKR 1 (1950), 195 ff. 7

BGBl Nr.l95/1960; dazu Hans Paarhammer, Die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage des Konkordatsrechtes, in: Hans Paarhammer (Hg.), Kirchliches Finanzwesen in Österreich, Thaur 1989, 189 ff.; vor allem auch Josef Rieger, Die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf Grund der Konvention vom Jahre 1960, in: ÖAKR 15 (1964), 42 ff.

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg

151

Durch den „Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich v o m 7. Juli 1964 betreffend die Erhebung der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch zu einer Diözese" wurden die in A r t . I I I § 2 des Konkordates seinerzeit angesprochenen Vorhaben erfüllt; somit gilt A r t . I I I § 2 aufgrund der Diözesanerrichtungsverträge für „überholt". 8 M i t dem „Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich v o m 9. Oktober 1968 betreffend die Errichtung einer Diözese Feldkirch" kamen der Heilige Stuhl und die Republik Österreich gemäß A r t . I I I § 1 des K o n kordates v o m 5. Juni 1933 überein, „daß in Vorarlberg eine eigene Diözese Feldkirch errichtet werden soll". 9 Dieses neue Bistum „umfaßt das Gebiet des Landes Vorarlberg, für das gemäß A r t i k e l I des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich betreffend die Erhebung der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch zu einer Diözese v o m 7. Juli 1964 ein Generalvikariat mit dem Sitz in Feldkirch besteht." In beiden Diözesanerrichtungsverträgen (Innsbruck-Feldkirch 1964, Feldkirch 1968) w i r d in A r t . I I I auch die Zugehörigkeit zur Kirchenprovinz festgelegt, indem es lapidar heißt: „ D i e Diözese Innsbruck-Feldkirch (bzw. Feldkirch) w i r d der Salzburger K i r chenprovinz zugeteilt." M i t dieser Zuteilung der Suffraganbistümer steht der jeweilige Salzburger Erzbischof als Metropolit fest; sein Metropolitangericht ist Appellationsinstanz für die Diözesangerichte Innsbruck und Feldkirch. Die Salzburger Kirchenprovinz besteht somit „aus der Erzdiözese Salzburg (das Bundesland Salzburg und Nordtirol westlich des Ziller) und den Diözesen Gurk (Kärnten), Graz-Seckau (Steiermark), Innsbruck (Nordtirol östlich des Ziller und Osttirol) und Feldkirch (Vorarlberg)". 1 0 Nicht unerwähnt soll bleiben, daß beide Diözesen Innsbruck und Feldkirch konkordatär die Möglichkeit der Einrichtung eines Kathedralkapitels verbrieft bekommen haben. V o n diesem Recht wurde allerdings nicht Gebrauch gemacht und seitens der Diözesanbischöfe auf die Errichtung eines Domkapitels verzichtet.

8

Vgl. Inge Gampl / Richard Potz / Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht, B d . l , 165, Anm. 19. 9 BGBl Nr.417/1968; vgl. dazu auch W. M. Plöchl, Die Bestrebungen zur Errichtung eines Bistums im Bundesland Voralrberg. Dokumente, in: ÖAKR 11 (1960) 112 ff.; ders., Zur Frage des Vorarlberger Landesbistums, in: FS Franz Arnold. Wien 1963,153 ff.; auch Bruno Wechner, Die Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch, in: ÖAKR 3 (1952) 69 ff. Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht. (MK CIC, Beih. 6). Essen 1992,540.

152

Hans Paarhammer I I I . Rechtshistorische Reminiszenzen

a) M i t der päpstlichen Bulle „Ex imposito" v o m 2. M a i 1818 wurde für T i rol, Vorarlberg und Salzburg eine Neuregelung der Diözesangrenzen vorgenommen. 1 1 A l l e bisher in Osttirol gelegenen und unter Salzburger Jurisdiktion stehenden Pfarren und Orte („Paroeciae seu loca'") wurden v o m Erzbistum getrennt und der Diözese Brixen einverleibt. Dies betraf folgende Orte: LienzSt A n d r ä , Oberlienz, Schlatten, Aineth, St. Johann i m Walde, Kais, Virgen, Prägraten, St. Jakob in Defreggen, A ß l i n g , St. Justina, Dölsach, Nußdorf, Grafendorf, Leisach, Matrei und Hopfgarten i m Defreggental. A l l e Pfarren und Seelsorgestellen i m Unterinntal („Paroeciae et loca"), die bisher schon auf Tiroler Boden zum Erzbistum Salzburg gehörten, sollten weiterhin dem Salzburger Erzbischof unterstehen. Dies betraf Itter, Ebbs, Walchsee, Erl, Kirch-

11

KAS 1/27, Diözesangrenzen Salzburg-Tirol. Siehe besonders Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit des Erzbisthums Salzburg 1858, Anhang 20 ff. Vgl. dazu auch Hans Spatzenegger, Die katholische Kirche von der Säkularisation (1803) bis zur Gegenwart, in: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Hg. v. Heinz Dopsch und Hans Spatzenegger. Bd.II/3. Salzburg 1991, 1433. - Zur damaligen Diskussion um den Tiroler Anteil sehr aufschlussreich Hubert Bastgen, Die Neuerrichtung der Bistümer in Österreich nach der Säkularisation, in: Quellen und Forschungen zur Geschichte, Literatur und Sprache Österreichs und seiner Kronländer. Wien 1914, 309 ff.; die „Zentralisierungs-Hofkommission" hatte 1816 bereits mit folgenden Argumenten den Verbleib des Tiroler Anteils bei Salzburg so begründet: „1. Die kirchliche politische Verfassung im Kreise Salzburg dürfte von jener im Lande Tirol nicht sehr verschieden sein. 2. In Salzburg wird immerhin ein wohlgeordnetes theologisches Studium und ein Diözesanseminarium bestehen. 3. Das erzbischöfliche Seminar in Salzburg besitzt ein Vermögen von mehr als 400.000 Gulden Metallgeld, an dessen Ertrag für Erziehung und Tischtitel der ganze Diözesanklerus teilzunehmen das Recht hat. 4. Würde der Erzdiözese Salzburg auch noch der in Tirol liegende Teil abgenommen, da sie auch den bei Bayern gebliebenen Teil verlieren wird, so sinkt sie zu einer sehr kleinen Diözese herab, was dieser durch ihre Vorrechte einst so ausgezeichneten Erzdiözese nicht angemessen zu sein scheint. 5. Scheint die Schmälerung dieser Vorrechte weder in der Allerhöchsten Absicht zu liegen noch zulässig zu sein, da selbe leicht von der römischen Kurie, der diese Vorrechte ohnehin nicht behagen, gemißbraucht werden können. 6. Auch wird das Gubernium in Innsbruck mit dem Ordinariate von Salzburg als Metropolitan wohl allzeit in einiger Verbindung stehen, und der Umstand, dass die Straße von Innsbruck nach Salzburg durch eine bayrische Strecke führt, kann als eine für die gesamte Korrespondenz zwischen Tirol, Salzburg und Österreich gleich vorhandene Unzukömmlichkeit auf die Ausschließung der Salzburgischen Ordinariatsjurisdiktion in Tirol um so weniger einen entscheidenden Einfluß haben, als die Verhandlungen wegen eines anderen Straßenzuges zur direkten Verbindung von Salzburg und Tirol mit Vermeidung von Reichenhall bereits eingeleitet sind."

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg bichl, Häring, Schwoich, W ö r g l , Kufstein, Niederndorf,

153 Kundl,

Auffach,

Thierbach, Oberau, Rattenberg, Reith, Alpbach, Brixlegg, Bruck, Hart, Stumm, Mayrhofen, Zell am Ziller, Brandberg und Gerlos. Weiters wurden alle jene in T i r o l gelegenen Seelsorgssprengel zum Erzbistum Salzburg geschlagen, die bisher dem Bischof von Freising unterstellt waren. Dies betraf die Orte Angath, Langkampfen, Landl, Zell bei Kufstein, Thiersee, Breitenbach, Mariathal, St.Nikolaus in Voldepp (heute Kramsach), Brandenberg und Steinberg am Rofan. Schließlich wurden noch alle tirolischen Pfarren und Orte, die ehemals zum Bistum Chiemsee gehört hatten, ebenfalls dem Erzbistum Salzburg einverleibt. Dabei handelte es sich um Hopfgarten, Brixen ( i m Thale), Kirchberg, Aschau, Westendorf, Hochfilzen, Fieberbrunn, St. Jakob i m Haus, St. Ulrich am Pillersee, Kitzbühel,

Reith, Going, Jochberg, Aurach, St. Johann,

Kirchdorf,

Schwendt, Kossen, Waidring, Söll, Ellmau, Scheffau und Niederau. Damit war von päpstlicher Seite der Tiroler A n t e i l des Erzbistums Salzburg nunmehr neu umschrieben. Das fürsterzbischöfliche Konsistorium als oberste Verwaltungsbehörde des Erzbistums befaßte sich einläßlich mit dieser Circumscription und teilte am 18. November 1818 den Dekanaten Brixen, St. Johann, Kufstein, K u n d l und Zell am Ziller die neue Situation m i t ; ebenfalls wandte sich das Konsistorium an das k. k. Landesgubernium in Innsbruck und gab diesem bekannt, „daß das erzbischöfliche Ordinariat die oberhirtliche Leitung sämtlicher in den k. k. tirolerischen Landgerichtsbezirken Hopfgarten, Kitzbühel, Kufstein, Pillersee, Rattenberg und Zell am rechten Zillerufer gelegenen Seelsorgestationen mit dem ersten Adventsonntage als dem Beginn eines neuen Kirchenjahres definitiv übernehmen w e r d e n . " 1 2 Einen für das Erzbistum Salzburg folgenschweren Aderlaß seines Jurisdiktionsgebietes brachte die Regelung der Diözesangrenzen i m Bereich der bayrischen Nachbarschaft. Die auf bayrischem Boden gelegenen Pfarreien und Seelsorgsbezirke sollten zum neuen Erz-Bistum München-Freising bzw. zu Passau kommen. Der Salzburger Administrator und inzwischen zum neuen Erzbischof von Wien ernannte Lavanter Bischof Firmian verzichtete am 14. Dezember 1822 auf alle in Bayern gelegenen bisher unter Salzburger Jurisdiktion stehenden Pfarren und trat diese an München-Freising ab. V o n dort aus sollten auch die Grenzen mit Passau abgestimmt werden. Ebenso wurden die in Bayern gelegenen Teile des Bistums Chiemsee dem Erzbistum München-Freising zugeschrieben. Für das ehemals weit ausgedehnte Erzbistum Salzburg bedeuteten

12

Franz Ortner, Säkularisation und Kirchliche Erneuerung im Erzbistum Salzburg 1803-1835. Wien / Salzburg 1979,18.

154

Hans Paarhammer

diese Maßnahmen der Neufestlegung der Bistumsgrenzen den schwersten Gebietsverlust in seiner Geschichte. 1 3 Es handelte sich damals um 109 Pfarreien, 26 Vikariate, 61 Benefizien, 34 Kuratien und Exposituren sowie 35 Kooperaturen, die aus dem bisherigen salzburgischen und chiemseeischen Jurisdiktionsgebiet zu Freising kamen. 1 4 A l l e Jurisidiktionszuteilungen nach der Säkularisation hatten zunächst provisorischen Charakter. „Endgültige Abgrenzungen schufen in Bayern das Konkordat von 1817 und die Zirkumskriptionsbullen der folgenden Jahre. A r t i k e l I I des Konkordates bestimmte, dass die ehemaligen Salzburger Teile und Berchtesgaden teils mit dem Erzbistum München und Freising, teils mit dem Bistum Passau vereinigt würden. In Unkenntnis der geographischen Verhältnisse gab darauf die päpstliche Bulle v o m 8. September 1821 die nördlichen Dekanate Tittmoning, Laufen, Teisendorf und Reichenhall an das Bistum Passau. Eine königliche Entschließung v o m 11. Dezember 1821 kehrte jedoch die Zugehörigkeit um, so dass die Dekanate Burghausen und Neuötting zu Passau, alle übrigen Salzburger und Chiemseer Pfarreien innerhalb des Königreiches Bayern zum Erzbistum München und Freising kamen. Eine neue Bulle v o m 8. Dezember 1822 verlieh dem Austausch kanonische Rechtskraft. Das Konkordat von 1817 ( A r t . I I ) verlegte den Bischofssitz von Freising nach München unter gleichzeitiger Erhebung zum erzbischöflichen Sitz. Die Festlegung des neuen Jurisdiktionsgebietes erfolgte durch die Zirkumskriptionsbulle v o m 1. A p r i l 1818. Sie wurde jedoch erst am 23. November 1821 v o m Nuntius Serra-Cassano verkündet. 1 5 Damit waren auch die auf Tiroler Boden gelegenen „Freisinger Seelsorgsbezirke" endgültig zu Salzburg gekommen. In der Folge kam es auch zu einer schwerwiegenden Neuordnung des Metropolitanverbandes. Die Bistümer Freising, Passau und Regensburg wurden aus der Salzburger Kirchenprovinz ausgegliedert und dem neu errichteten Erzbistum München-Freising einverleibt. M i t der Aufhebung des Bistums Chiemsee war auch das sechs Jahrhunderte lang bestehende Recht des Salzburger Erzbischofs, den Bischof von Chiemsee frei bestellen zu können, erloschen. Papst Leo X I I . bestimmte mit der Bulle „ U b i p r i m u m " v o m 5. März 1825, daß

13

Ebd., 19. Siehe dazu auch KAS 1/27, Diözesangrenzen Salzburg-Tirol.

14

Georg Schwaiger, Das Bistum Freising zwischen Säkularisation und Konkordat, in: Das Bistum Freisin^ in der Neuzeit. Hg. v. Georg Schwaiger. München 1989,581. 15

Schwaiger, ebd., 584. Zum bayrischen Konkordat näher Karl Hausberger, Die Neuorganisation der Kirche in Bayern, in: Georg Schwaiger (Hg.), Das Erzbistum München und Freising im 19. und 20. Jahrhundert. München 1989,16-43.

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg

155

das bisher exemte Bistum Trient dem Erzbischof von Salzburg als neues Suffraganbistum unterstellt werden sollte. 1 6 tropolitansprengel Leoben (das

nunmehr

Brixen,

Somit umfaßte der Salzburger Trient,

Gurk, Seckau, Lavant

seit dem Jahre 1808 v o m Seckauer Bischof verwaltet

1.September 1859 dem Bistum Seckau eingegliedert wurde).

Meund

und mit

17

b) I m Frühsommer 1940 verdichteten sich mehr und mehr Gerüchte, dass die nationalsozialistischen Machthaber eine Änderung der Diözesangrenzen zwischen Salzburg, T i r o l und Kärnten ins Auge fassten. Fürsterzbischof Dr.Sigismund Waitz, kräftig unterstützt von Diözesanarchivar Franz Xaver Traber, richtete deshalb am 27. Juli 1940 an Bischof Wincken i m „Commissariat der Fuldaer Bischofskonferenz" in Berlin ein Schreiben, mit dem er seine Sorgen zur , A n z e i g e " brachte: „ E i n e r verlässlichen Nachricht zufolge hat Gauleiter und Reichsstatthalter Hofer von Innsbruck eine Eingabe an das K i r chenministerium in Berlin gemacht, wonach der Tiroleranteil der Erzdiözese Salzburg der Apostolischen Administratur Innsbruck eingegliedert werden s o l l . " 1 8 Waitz meinte zwar zuversichtlich: „ W i r haben w o h l keine Sorge, dass dieses Bestreben des Gauleiters bei der obersten kirchlichen Behörde eine Zustimmung finden werde. Der Canon 215 des Codex w i r d v o m Kirchenministrium (sie!) jedenfalls beachtet werden müssen." I m folgenden führte der Fürsterzbischof einige bedenkenswerte Argumente an: 1) Die Erzdiözese Salzburg würde „5 Dekanate mit 83.337 Seelsorgsangehörigen verlieren. Dadurch würde die Erzdiözese Salzburg ganz auffällig zur kleinsten Diözese Oesterreichs werden. Während die Apostolische Administratur Innsbruck 430.724 Seelsorgsangehörige zählt und Kärnten 367.324, würde Salzburg, die Diözese des Erzbischofs und Metropoliten, nur mehr 250.454 Seelsorgsangehörige zählen." V o n Salzburg aus sei „die Missionierung eines grossen Gebietes nach Süden und Osten erfolgt". Dem Erzbischof hätten früher folgende Suffragane unterstanden: Säben-Brixen, Freising, Regensburg, Passau, Neuburg; ferner Gurk, Seckau, Lavant. „Einige Zeit reichte das Erzbistum v o m Chiemsee bis zur Theiss, von der Donau bis zur Drau und jetzt sollte das Erzbistum noch mehr Einbusse erleiden als bisher schon, da doch die obengenannten Suffragan-Bistümer selbständig geworden sind." 2) „Das Gebiet, das abgetrennt werden soll, hat gar immer zu Salzburg gehört. Die Bevölkerung dortselbst ist darum ganz und gar verwachsen mit der Erzdiözese Salzburg. Weder i m Klerus, noch in der Bevöl-

16

Die Bulle „Ubi Primum" ist abgedruckt in: Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit des Erzbistums Salzburg, 1858, Anh. Nr. 5 17

Franz Ortner, Säkularisation und Kirchliche Erneuerung im Erzbistums Salzburg 1803-1835. Wien / Salzburg 1979,19 und 126, Anm. 85. 18

KAS 12/6 Tiroler Anteil. Fasz. Abtretungsbestrebungen NS Zeit.

156

Hans Paarhammer

kerung ist irgend eine Sehnsucht nach dieser Umstellung. Quita non movere, soll auch hier gelten". 3) „ D i e Kleinheit der Diözese" sei eine starke Behinderung in finanziellen Beziehungen und Personalfragen. 4) Es sei nicht einzusehen, „warum der bisherige Zustand nicht beibehalten werden soll. Osttirol ist zur Gänze dem politischen Gau Kärnten angeschlossen worden". Dies habe „einen ganz grossen K u m m e r in der Bevölkerung hervorgerufen, und eine schwere Verstimmung besteht noch immer. A b e r die kirchliche Zugehörigkeit zur Administratur Innsbruck ist geblieben." Wenn es aber doch möglich sei, „dass ein Gebiet politisch zu einem anderen Gau gehöre als kirchlich, warum sollte dies nicht auch in Nordtirol möglich sein, w o die kirchliche Zugehörigkeit sich schon längst eingelebt hat." I m fünften Punkt verweist Sigismund Waitz auf den Umstand, dass Innsbruck förmlich überhaupt noch nicht zu einer Diözese erhoben sei, sondern nur eine Apostolische Administratur bilde. Ein weiteres Argument gegen die Abtrennung des Tiroler Anteils sieht der Fürsterzbischof i m Umstand, dass in Innsbruck „ein Priesterseminar von der politischen Behörde aus nicht bestehen kann. Es wurde schon bald nach dem U m sturz erklärt, dass i m Bereiche der Apostolischen Administratur Innsbruck überhaupt kein Priesterseminar bestehen dürfe. Hingegen ist das Priesterseminar in Salzburg erhalten geblieben, wenn auch die Möglichkeit, einen Doktor der Theologie zu erwerben, ausschließlich der Wiener-Theologischen-Fakultät vorbehalten ist." Waitz bezeichnet es als „eine starke Zumutung für den Klerus und die katholische Bevölkerung des Tiroler-Anteiles der Erzdiözese Salzburg sich v o m bisherigen Diözesanverband loslösen zu lassen." Fürsterzbischof Waitz verband mit diesem Brief die Bitte an die Nuntiatur in Berlin, „entsprechende Information nach Rom gelangen zu lassen" und erklärte zum Abschluß seines Schreibens: „Ich richte deshalb als Fürsterzbischof von Salzburg und Metropolit die innigste Bitte an den Heiligen Stuhl, für die Rechte des Erzbischofs von Salzburg energisch eintreten zu w o l l e n . " Bischof Wincken berichtete am 4. August dem Apostolischen Nuntius „von der beabsichtigten Änderung der Diözesangrenzen" und teilte in einem Brief v o m 5. August 1940 dem Salzburger Fürsterzbischof m i t : „Der H . H . Nuntius ist bereit, die Angelegenheit aufzugreifen, benötigt dazu aber eine entsprechende Eingabe ( in 3-facher Ausfertigung)." Konsistorialarchivar Franz Xaver Traber erstellte ein ausführliches Gutachten mit Hinweis auf historische Fakten der Entstehung des Erzbistums Salzburg und seiner seit der Säkularisation bestehenden vermögensrechtlichen Probleme und damit verbundenen finanziellen Sorgen. In einem B r i e f v o m 30. August 1940 an den Apostolischen Nuntius in Berlin, Titularerzbischof Cesare Orsenigo, trug Fürsterzbischof Waitz nochmals seine großen Sorgen hinsichtlich der inzwischen ziemlich konkret gewordenen

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg

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Absichten des Gauleiters Hofer vor. Er betonte: „Gegenüber diesem Plan bin ich als Metropolit und Erzbischof von Salzburg genötigt hinzuweisen auf die zahlreichen Gründe, welche für die Aufrechterhaltung des bisherigen Bestandes der Diözesangrenzen sprechen. Diese Gründe sind erstens geschichtlicher, zweitens verwaltungstechnischer und drittens seelsorglicher Natur." Waitz beklagte in diesem Zusammenhang auch die bestehende Situation der Kirchenfinanzierung: „Nachdem die Staatsleistungen für den Personal- und Sachbedarf der katholischen Kirche in der Ostmark jetzt vollständig aufgehört haben, muss dieser Aufwand in Zukunft durch die Kirchenbeiträge gedeckt werden. Für diese Beiträge ist aber ein entsprechend grosses Einzugsgebiet notwendig, das auch eine finanziell etwas leistungsfähigere Bevölkerung enthält. Das Land Salzburg aber besteht, von der Hauptstadt und ihrem kleinen, nach Norden sich erstreckenden Vorrand abgesehen, nur aus Hochgebirgsgegenden, deren Bevölkerung grösstenteils sehr dürftig ist. Durch den Verlust des Tiroleranteils würde die bessergestellte bäuerische Bevölkerung des Unterinntales von der Erzdiözese Salzburg wegkommen; ebenso würde in der Erzdiözese, welche im ganzen nur sechs Städte zählt, der Verlust von 3 Städten und einigen stattlichen Märkten auch in dieser Hinsicht sehr schmerzlich empfunden. Insbesondere die Aufbringung der Mittel für gemeinsame Diözesanzwecke, wie für die Heranbildung des Klerus, die Altersversorgung der Geistlichkeit, die Erhaltung der Kathedralkirche, ist in einer so kleinen und armen Diözese fast unmöglich." Besonders schwer ins Gewicht würde auch der Wegfall von 71 selbständigen Stellen fallen und der Bischof habe „gar keine Auswahlmöglichkeit" für besonders wichtige Personalentscheidungen. Unter Hinweis auf die politische Situation führte der Fürsterzbischof abschließend noch einige Überlegungen an: „Vielleicht wird von anderer Seite die geplante Abtretung damit begründet, es sei notwendig, die Grenzen kirchlicher und staatlicher Verwaltungsbezirke in Übereinstimmung zu bringen. Demgegenüber darf wohl darauf hingewiesen werden, dass auch im Altreich in sehr vielen Fällen im Norden wie im Süden Diözesangrenzen und die Grenzen von Ländern und staatlichen Verwaltungsbezirken sich nicht decken. Eine solche Übereinstimmung war in früheren Zeitverhältnissen nicht notwendig, sie erscheint noch weniger notwendig in einem Reich, welches die Eigenstaatlichkeit der Länder beseitigt und die Vereinheitlichung von Gesetzgebung und Verwaltung auf das Weitgehendste durchgeführt hat. Und wenn in früheren Zeiten, wo die örtlichen Entfernungen doch mehr ins Gewicht fielen, jene Gegenden von Salzburg aus kirchlich verwaltet werden konnten, so ist das jetzt bei den neuzeitlichen Verkehrsmitteln und beim Wegfall früherer Grenzhindernisse umso leichter möglich." Waitz hob sein „zuversichtliches Vertrauen" hervor, dass der Nuntius in Berlin seine „hochgeneigte Intervention beim Thron seiner Heiligkeit wie bei den in Betracht kommenden staatlichen Stellen der Deutschen Reichsregierung" tätigen werde.

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Hans Paarhammer

Sigismund Waitz dürfte mit seiner Eingabe bei der Nuntiatur in Berlin Erfolg bekommen haben, denn die von Innsbruck ausgehenden Bestrebungen, den Tiroler Anteil von der Erzdiözese Salzburg abzutrennen, wurden in Berlin nicht mehr weiterverfolgt. Offensichtlich konnte der Apostolische Nuntius diesbezüglich die nationalsozialistischen Machthaber von weiteren Maßnahmen abhalten. In seiner Stellungnahme vom 19. Oktober 1965 gegen eine Abtrennung des Tiroler Anteils von der Erzdiözese Salzburg verwies das Salzburger Domkapitel auf diese von Erzbischof Sigismund Waitz im Jahre 1940 getätigten Bemühungen: „Dem NS-Regime war es vorbehalten, durch Gauleiter Hofer 1940 die Angliederung unseres Diözesananteiles an die Apostolische Administratur Innsbruck zu verlangen. Der energische Protest des damaligen Erzbischofs Dr.Sigismund Waitz beim Päpstlichen Nuntius in Berlin und bei den damaligen staatlichen Stellen hat das Ansinnen zunichte gemacht." c) Bestrebungen in den Jahren 1960-1969 Mit dem Abschluß des sogenannten Vermögensvertrages vom 23. Juni 1960 und des Vertrages der Errichtung der Diözese Eisenstadt, ebenfalls vom 23. Juni 1960, war endgültig klargestellt, dass das Österreichische Konkordat von 1933/34 nach wie vor Rechtsgültigkeit besitzt und im Sinne von c. 3 CIC/1917 als Sonderrecht das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche nachhaltig bestimmt. 19 In Zusammenhang mit der Erarbeitung dieser ersten Zusatzverträge zum Konkordat kamen 1959/1960 erste Überlegungen auf, Innsbruck und Vorarlberg zu eigenen Diözesen zu erheben. Dabei kam auch der „Tiroler Anteil" der Erzdiözese Salzburg in Diskussion. Am 19. April 1960 wies Erzbischof Dr. Andreas Rohracher in einem Brief an den Tiroler Landeshauptmann Tschiggfrey diese von politischer Seite kommenden Bestrebungen zurück, wobei er deutlich machte: „Als Erzbischof muß ich mich gegen eine solche territoriale Veränderung aussprechen. Auf jeden Fall erscheint mir die Errichtung einer eigenen Diözese Vorarlberg, bevor die angedeuteten Bedenken nicht in befriedigender Weise beseitigt sind, mindestens verfrüht." 20 Der Tiroler Landeshauptmann Tschiggfrey bestätigte in einem Brief an das Unterrichtsministerium, dass man über die betroffene Bevölkerung des Tiroler Anteils hin-

19

Siehe dazu ausführlich mit zahlreichen Literaturangaben Hans Paarhammer, Die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage des Konkordatsrechtes, in: Hans Paarhammer (Hg.), Kirchliches Finanzwesen in Österreich. Geld und Gut im Dienste der Seelsorge. Thaur 1989,189 ff. 20 KAS Tiroler Anteil. Schreiben des Erzb. Ordinariates vom 28.10.1965 an die eb. Dekanal- und Pfarrämter im Lande Salzburg, Erklärung des eb. Metropolitankapitels vom 19.10.1965 betreffend die „Erhaltung des Salzburgischen Diözesangebietes in Tirol für den Bistumssprengel".

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weg keine Entscheidungen treffen werde: „Dieses Verlangen würde weder dem Willen der betroffenen Bevölkerung noch dem Willen der zuständigen kirchlichen Stellen entsprechen, noch ist es angesichts der geschichtlichen Entwicklung zu rechtfertigen....!" Der Landeshauptmann von Vorarlberg, Dr. Ilg, betonte in einem Brief vom 8. August 1960, dass er nicht verstehen könne, „dass die Tiroler Landesregierung ernstlich gegen den Willen von Klerus und Volk ein solches Ansinnen stellen kann". In einem Brief an Unterrichtsminister Dr. Heinrich Drimmel vom 12. Oktober 1960 schrieb der Salzburger Erzbischof: „Der Errichtung einer Diözese Vorarlberg könnte ich nur unter der Bedingung zustimmen, dass meine im eingangs erwähnten Schreiben geäußerten Bedenken ausgeschaltet werden können". Diese Bedenken betrafen den Tiroler Anteil und damit die Erhaltung der Integrität des Erzbistums Salzburg. Als nach der Erhebung der Apostolischen Administratur InnsbruckFeldkirch zu einer eigenen Diözese im Jahre 1964 die Bestrebungen des Generalvikariates Feldkirch, ein eigenständiges Bistum zu werden, immer stärker wurden, kam erneut eine Diskussion um den Tiroler Anteil auf. Mit Schreiben vom 7. September 1965 richtete die Landesregierung Vorarlberg sowohl an die Österreichische Bischofskonferenz als auch an den Apostolischen Nuntius in Wien und an das Bundesministerium für Unterricht eine Eingabe mit der Bitte, Vorkehrungen zu treffen, um die baldige Errichtung einer eigenen Diözese für das Land Vorarlberg zu ermöglichen. Gleichzeitig richtete der Landeshauptmann von Vorarlberg ein Schreiben an Erzbischof Rohracher, in welchem er auf eine Aussprache mit Bischof Paulus Rusch verwies. Bei dieser Aussprache habe er mit Genugtuung feststellen können, „dass der Hochwürdigste Diözesanbischof sich neuerdings, so wie bei meinem ersten Gespräch, grundsätzlich positiv zu dem Vorarlberger Anliegen ausgesprochen hat. Exzellenz Dr.Rusch gab allerdings zu erkennen, dass ihm - zufolge einer Eingabe der Tiroler Landesregierung vom 15. Juni 1965 an die Österreichische Bischofskonferenz geeignete Kontaktnahmen der Tiroler Stellen mit Salzburg bezüglich des erhobenen Wunsches auf Änderung der Diözesangrenze im Unterinntal erforderlich erscheinen würden". Im weiteren erinnerte der Vorarlberger Landeshauptmann an seinen Besuch beim Salzburger Erzbischof am 13. August 1965, bei welchem er bereits festgestallt habe, „dass die Vorarlberger Landesregierung zwischen dem Vorarlberger Anliegen und dem Tiroler Wunsch auf Änderung der Diözesangrenze im Unterinntal keinen sachlichen Zusammenhang erblicken und einem Junktim nicht zustimmen kann". In dem erwähnten Schreiben der Tiroler Landesregierung vom 15. Juni 1965 an die Österreichische Bischofskonferenz heißt es am Schluß: „Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen darf die Landesregierung ihre Haltung zusammenfassend präzisieren: In Kenntnis der Sachlage erscheint es ihr durchaus möglich, daß dem Verlangen des Landes Vorarlberg auf Errichtung einer eigenen Diözese Rechnung getragen wird. Die Tiroler Landesregierung erhebt, entsprechend ihrer gegenüber

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der Österreichischen Bundesregierung abgegebenen Zusage, keinen Einwand mehr gegen die Errichtung dieser Diözese. Die Landesregierung von Tirol muß dann aber ihrerseits die Forderung stellen, daß der Tiroler Anteil der Erzdiözese Salzburg, d. s. die Dekanate Brixen im Thal, St. Johann in Tirol, Kufstein, Reith bei Brixlegg und Zell am Ziller, dem Gebiet der Diözese Innsbruck angegliedert werde. Für den Fall, daß sich die Österreichische Bischofskonferenz für die Errichtung der Diözese Vorarlberg zu entscheiden gedenkt, richtet die Tiroler Landesregierung an die hohe Bischofskonferenz die dringende Bitte, alle Maßnahmen für die Angliederung des Tiroler Anteiles der Erzdiözese Salzburg an die Diözese Innsbruck so rechtzeitig zu treffen, daß diese Angliederung spätestens gleichzeitig mit der Abtrennung des Landes Vorarlberg von der Diözese Innsbruck erfolgen kann." 21 Dieses Ansinnen der Tiroler Landesregierung führte in der Öffentlichkeit begreiflicherweise zu stärkeren Auseinandersetzungen. Als die Debatten immer heftiger wurden, entschloß man sich im Salzburger Ordinariat, eine Kleruskonferenz der fünf Salzburger Dekanate in Tirol, die im Jahre 1952 zu einem eigenen Generaldekanat zusammengschlossen worden waren, in Wörgl abzuhalten. Unter Vorsitz von Generaldechant und Stadtpfarrer Johann Maier von Kufstein hielt vor den fast vollzählig erschienenen Geistlichen (zwei Pfarrer hatten sich entschuldigt) Generalvikar Dr. Franz Simmerstätter ein Referat zum Thema „Erhaltung des Salzburger Anteiles in Tirol für das Erzbistum Salzburg" und teilte dabei gleich eingangs mit, „daß am kommenden Samstag (23. Oktober 1965) die Österreichische Bischofskonferenz in Rom tagen und sich mit den zwei Fragen: Vorarlberger-Bistum und Tiroleranteil der Erzdiözese Salzburg befassen wird". 2 2 Simmerstätter wies damals darauf hin, daß die Frage nach dem Tiroler Anteil, „falls sie jetzt nicht zu Gunsten Salzburg endgültig verneint wird, neu gestellt wird, wenn einmal unser Erzbischof nicht mehr im Amte sein wird." Wie dem Konferenzprotokoll zu entnehmen ist, wurde das Referat des Generalvikars „wohlwollend applaudiert" und es fand eine sehr rege Aussprache statt. „Sie berührte hauptsächlich jene Umstände im Tiroler Anteil, die für Salzburg ungünstig sind, bei einem Anschluß an Innsbruck günstiger wären." Es wurden dabei die Bildungshäuser in Tirol, die Ausdehnung der Tätigkeit des Kath. Bildungswerkes von Innsbruck „mit Billigung seitens der Erzdiözese auf das ganze Land Tirol aus, weshalb das eigene Katholische Bildungswerk im Tiroler Anteil nicht Boden faßt." Die Zusammenarbeit und Koordination der Aktivitäten der Katholischen Aktion beider Diözesen solle verbessert werden, um Kollisionen zu verhindern. „Ein

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22

Ebd. Ebd., Konferenzbericht.

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weiterer Umstand, der sich im Tiroler Anteil für die Kirche nicht günstig auswirkt, wird darin gesehen, daß die Ausbildung der Lehrer- und Beamtenschaft für unseren Tiroler Anteil in Innsbruck erfolgt, die Ausbildung des Klerus hingegen in Salzburg. So entsteht und besteht eine gewisse Fremdheit zwischen dem Klerus einerseits und der Lehrer- und Beamtenschaft andererseits. Bekannt ist weiterhin, daß sich der Klerus des Tiroler Anteiles in weltlichen Dingen an die Ämter Tirols wenden muß und sich nicht an die Ämter (Landesregierung, Bezirkshauptmannschaft, etc. ...) Salzburgs wenden kann." Kritisch angemerkt wurde von den Seeisorgsvorständen, daß die Landesfeiertage Tirols von Salzburg aus zu wenig gefördert würden; hingegen dringe die Feier des Rupertitages in Tirol nicht so recht durch. Man fühle sich auch vom Seelsorgeamt der Erzdiözese etwas benachteiligt. „Ausdrücklich wurde auf die große Beliebtheit unseres Herrn Erzbischofs hingewiesen, die als sehr positives Motiv zu werten ist". Der Generalvikar machte der Konferenz den Vorschlag, in allen Pfarren „ein Treuebekenntnis für Salzburg vom Seelsorger, von den Vorsitzenden des Pfarrausschusses und Pfarrkirchen rates der einzelnen Pfarren und eventuell auch vom Bürgermeister fertigen zu lassen und am eb. Ordinariat zu deponieren." Als Vorbild wurde dabei die Pfarre Erl gelobt, die schon vorweg eine solche Treuebekundung abgegeben habe. Ein solches Treuebekenntnis müsse freilich „in der Hand und Freiheit jedes Pfarrers" liegen, betonte der Generalvikar. Außerdem solle man vorerst noch das Ergebnis der Bischofskonferenz in Rom abwarten. Generalvikar Simmerstätter gab auch noch ,Aufklärung, daß Abstimmungen, wie sie kirchlicherseits bei Pfarrgrenzänderungen zu erfolgen haben, bei Diözesangrenzänderungen aus begreiflichen Gründen nicht vorgesehen" seien. Bereits am 19. Oktober 1965 hatte sich das Erzbischöfliche Metropolitankapitel Salzburg mit der Bistumsfrage befaßt und dabei einläßlich das Schreiben der Tiroler Landesregierung an die Österreichische Bischofskonferenz diskutiert. Im Protokoll wird dabei auch Erzbischof Rohracher zitiert, der die mehrfach von der Tiroler Landesregierung erhobene „Forderung" nach Angliederung des Salzburger Diözesangebietes in Tirol an die Diözese Innsbruck mit folgenden Worten zurückgewiesen habe: „Wie ich als Kapitelvikar der Diözese Gurk in der NS Zeit das Verlangen der damaligen Potentaten zurückgewiesen habe, mich dafür einzusetzen, daß Osttirol, das damals dem Gaue Kärnten eingegliedert war, auch kirchlich von Tirol abgetrennt und der Diözese Kärnten angegliedert werde, so muß ich jetzt als Erzbischof von Salzburg einer Abtrennung des Tiroler Anteils mich widersetzen." 23 Das Metropolitankapitel setzte sich auch unter kirchenrechtlichen Gesichtspunkten mit der Zulässigkeit der Forderung der Tiroler Landesregierung auseinander und vertrat die „Meinung,

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Ebd., Stellungnahme des Metropolitankapitels Salzburg, S. 2.

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daß es einer Landesregierung nicht zusteht, in dieser Angelegenheit Forderungen bzw. Anträge zu stellen. „Unter Hinweis auf die Interpretation des Artikel III des Konkordates schlossen sich die Salzburger Domherrn der Auffassung des Bundesministers für Unterricht an, der erklärt hatte: „Es ist richtig, daß das Konkordat vom Einvernehmen zwischen Kirche und Staat im Falle von Diözesanveränderungen spricht. Der ganzen rechtlichen Situation, wie sie insbesondere noch durch das Protestantengesetz deutlich wird, entspricht es, daß es dem Staat nicht mehr zukommt, die Kirche zu irgendeiner innerkirchlichen Handlung aufzufordern und an den Verhandlungstisch zu bitten. Ich hielte es für einen ausgesprochenen Mißgriff des Staates, die Kirche unter Berufung auf Artikel III des Konkordates zu Verhandlungen über Diözesan-Neugründungen oder Grenzänderungen von Diözesen aufzufordern. Die Initiative kann nur von der Kirche kommen, weil es sich um einen Vorgang im kirchlichen Bereich handelt. Daß dieser Vorgang allenfalls Auswirkungen im staatlichen Bereich hat, wie etwa zusätzliche oder umgeschichtete staatliche Verpflichtungen, berechtigt den Staat nicht, Änderungen im kirchlichen Bereich zu begehren .... Die Bestimmung des Artikel III hat daher zwar noch formell angewendet zu werden, wenn die Kirche innerkirchliche Änderungen der in dieser Vertragsstelle genannten Art vornehmen will. Der Staat hingegen scheint mir nicht mehr befugt, anhand dieser Stelle seinerseits ein Verlangen bezüglich innerkirchlicher Maßnahmen zu stellen ,...". 24 Mittels Kapitelsbeschluß machten die Domherrn „für die Verteidigung und Wahrung unseres Diözesananteiles in Tirol" folgende „Motive" geltend: „1) Als in der Bevölkerung die Frage der Angliederung unserer fünf Dekanate in Tirol an die Diözese Innsbruck bekannt wurde, wurden unserem hochwst. Oberhirten spontan von kirchlichen und weltlichen Vertretern wärmste Bekenntnisse der Treue zu Salzburg gegeben; selbst der bisherige Herr Landtagspräsident von Tirol hat ein solches Bekenntnis abgelegt. 2) Von Seiten des Klerus und der Katholischen Aktion wird an der Treue zu Salzburg nicht gezweifelt. 3) Ein Vergleich der Zahlen der Katholiken und Seelsorgsorte der Erzdiözese Salzburg mit der Zahl der Katholiken und Seelsorgsorte des Bistums Innsbruck und des Generalvikariates Vorarlberg spricht nach dem Stand der Volkszählung von 1961 ebenfalls klar gegen eine Abtrennung." Als weitere Argumente führten die Mitglieder des Kanonikerkollegiums an, daß es im Falle einer Änderung der Diözesangrenzen zu einer Gefährdung des Priesternachwuchses kommen könnte. „Die Statistik unseres Knabenseminars beweist, daß aus dem Diözesangebiet von Tirol viele Priesterstudenten kommen, daß der Durchschnitt zwischen 1/3 und 1/4 der Gesamtzahl der Seminaristen schwankt, in einigen Jahren sogar 1/3 übertrifft. Ähnlich verhält es sich mit den Philosophie- und Theologiestudenten unseres Priestersemi-

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Ebd., 3 f.

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nars." Schwere Bedenken äußerte das Metropolitankapitel auch in vermögensrechtlicher Hinsicht. Während die Erzdiözese Salzburg durch eine Abtrennung ihres Diözesangebietes in Tirol in eine große personelle und finanzielle Krise geraten würde, wird die Existenzfähigkeit der Diözese Innsbruck auch ohne Vorarlberg sowohl von Landeshauptmann Tschiggfrey wie auch von Landeshauptmann Ilg von Vorarlberg anerkannt." Weitere Argumente sahen die Domkapitulare „im kulturellen Stand" der Erzdiözese: „Salzburg besitzt wieder eine Universität, sie besitzt ein Katholisches Internationales Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften, im salzburgischen Gebiet werden jährlich Hochschulwochen gehalten; Salzburg hat weiters weltbekannte Festspiele, es ist ein Zentrum der ,Christlichen Kunst der Gegenwart' und erwartet die Einrichtung einer Akademie für Bildende Künste. Auch die Passionsspiele in Thiersee und Erl sind in vieler Hinsicht an die Entscheidung des jeweiligen Erzbischofs von Salzburg gehalten." Auch die Ungleichheit der Besiedelung zwischen Stadt Salzburg und dem Land Salzburg war für die Domherrn ein Gesichtspunkt, für den Verbleib des Tiroler Anteils zu plädieren. Schließlich verwiesen sie auch noch auf den Umstand, daß die Erzdiözese Wien über die Bundeshauptstadt hinaus weit in das Gebiet des Landes Niederösterreich hineinreiche und das Bistum St. Pölten nicht mit den Landesgrenzen von Niederösterreich übereinstimme. So kamen die Salzburger Domherrn zum Ergebnis: „Das eb. Metropolitankapitel setzt sich daher einhellig für die Erhaltung des jetzigen regionalen Bestandes der Erzdiözese Salzburg ein und spricht sich gegen die Abtrennung des Tiroler Anteiles aus." 25 Für die aus Innsbruck kommenden Bestrebungen, die Diözesangrenzen mit den Landesgrenzen gleichzuziehen, dürfte insbesondere eine schon am 17. August 1965 in der „Kathpress" veröffentlichte Meldung eine starke Ermutigung bedeutet haben. Unter der Überschrift „Grundlegende Reorganisation der Kirchengebiete Italiens steht bevor - Die Zahl der Bistümer soll von 322 auf 100 reduziert werden - Diözesangrenzen sollen der staatlichen Provinzeinteilung angeglichen werden" wurde auf Bestrebungen des Staatssekretariates aufmerksam gemacht, daß Papst Paul VI. schon seit einiger Zeit ein System „der lautlosen Neuorganisation" der Bistümer verfolge. „Ziel all dieser Bestrebungen ist es, die Grenzen der Bistümer so weit wie möglich der staatlichen Provinzeinteilung anzugleichen. In Norditalien und Südtirol ist dieser Plan schon im grossen und ganzen verwirklicht. Die Grenzen der Bistümer Bozen, Trient, Belluno, Brescia und Vicenza fallen bereits mit den Provinzgrenzen zusammen."26 Im Bereich der Diözese Innsbruck war dies nicht verborgen

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Ebd., 7.

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Kathpress Nr. 189,17. August 1965,3.

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geblieben. Man spürte seitens der höchsten Autorität der Kirche in Rom Rükkenwind für die Erfüllung der eigenen Vorstellungen. Das Metropolitankapitel von Salzburg wandte sich am 19. November 1965 mit seinen Argumenten an den Bundesminister für Unterricht in Wien und ersuchte ihn, seinen bisher schon vertretenen Standpunkt „auch weiterhin festzuhalten und so an der Sicherung des bisherigen Diözesangebietes Salzburgs mitzuwirken." In einer lateinisch abgefaßten Schrift an den damaligen Apostolischen Nuntius in Wien, Erzbischof Opilio Rossi,27 berichteten die Salzburger Domherrn, daß sich Erzbischof Rohracher zu Allerheiligen einige Tage in Salzburg aufgehalten und dabei den Rat des Kapitels approbiert habe, die Angelegenheit der in Frage gestellten Bistumsgrenzen zwischen Salzburg und Tirol unmittelbar der Konsistorialkongregation in Rom vorzutragen. In dieser Bittschrift, die sie dem Nuntius zur Kenntnisnahme vorlegten, trugen die Domherrn ihre ablehnende Haltung hinsichtlich einer beabsichtigten Grenzänderung zwischen Salzburg und Innsbruck vor. Sie verwiesen dabei auch darauf, daß nicht nur der Erzbischof und das Domkapitel, sondern Klerus und Volk des Tiroler Anteils des Erzbistums Salzburg in gleicherweise eine Änderung der Diözesangrenzen ablehnten. Deshalb müsse die Integrität der seit unvordenklichen Zeiten bestehenden Diözesangrenzen gesichert bleiben. In dem unter dem 8. November 1965 abgefaßten Bittschreiben an den Kardinalpräfekten der Konsistorialkongregation (Kardinal Carl Confalonieri) trug Erzbischof Rohracher im wesentlichen alle Argumente vor, die die Domherrn im Oktober bereits in ihrer einmütigen Stellungnahme veröffentlicht hatten. Erzbischof Andreas Rohracher überbrachte persönlich diese Bittschrift anläßlich seiner Rückreise zum II.Vatikanischen Konzil an das genannte Dikasterium des Apostolischen Stuhles. In der Folge wurde von verschiedenen Seiten immer wieder versucht, die Erhebung des Generalvikariates Feldkirch zu einer eigenen Diözese zu koppeln mit einer gleichzeitig erfolgenden Abtrennung des Tiroler Anteils vom Erzbistum Salzburg. Allerdings stellte sich hier nun ein kirchenrechtliches Problem, das für die Bewahrung der Grenzen des Erzbistums Salzburg von wegweisender Hilfe sein konnte. Im Motu Proprio Papst Pauls VI. „Ecclesiae Sanctae" vom 6. August 1966 wurden in Art. 12 Normen zur Ausführung der Nummern 22-24 des Dekretes über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus" promulgiert. Unter der Überschrift „Dioecesium circumscriptiones" heißt es in § 1: „Damit die Diözesangrenzen in angemessener Weise revidiert werden

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KAS Tiroler Anteil, leider ohne Datum; das Schreiben muß aber im November abgefaßt worden sein, weil es auf eine Begegnung des Kapitels mit Erzbischof Rohracher am Allerheiligentag in Salzburg hinweist.

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können, sollen die Bischofskonferenzen, jede für ihr Gebiet, unter Umständen mittels einer besonderen Kommission, die gegenwärtige territoriale Einteilung der Diözesen prüfen. Es ist daher erforderlich, daß der Stand der Diözesen in bezug auf Gebiet, Personen und Mittel genau untersucht werde. Die einzelnen Bischöfe, die es unmittelbar betrifft, aber auch die Bischöfe der ganzen Kirchenprovinz oder Region, innerhalb deren Grenzen die Revision stattfinden soll, sollen dazu gehört werden. Nach Möglichkeit soll die Hilfe von wirklich sachkundigen Geistlichen und Laien in Anspruch genommen werden. In der Natur der Sache liegende Gründe, die etwa zu einer Änderung der Grenzen raten, sollen leidenschaftslos erwogen werden; alle Neuerungen, die vielleicht gemäß Nr. 22-23 des Dekrets Christus Dominus einzuführen sind, sollen überu28 legt werden Der Salzburger Erzbischof hatte von Seiten der Bischofskonferenz die Zusage, daß ohne seine Zustimmung kein Beschluß hinsichtlich der Notwendigkeit einer Abtretung des Tiroler Anteils gefaßt werde. Deshalb lag Salzburgs Hoffnung auf eine günstige Lösung der sich seit Jahren hinziehenden Frage bei der Österreichischen Bischofskonferenz. Die Errichtung der Diözese Feldkirch ging zwar im Jahre 1968 sehr ruhig vonstatten; allerdings blieb das Verlangen der Tiroler Landesregierung, das Bistum Innsbruck um den Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg zu erweitern, nach wie vor aktuell. Der aus dem Tiroler Anteil stammende Regens des Borromäums, Dr. Sebastian Ritter, erstellte im Winter 1968/69 eine Broschüre mit dem Titel „Der Tiroler Anteil der Erzdiözese Salzburg", welche am 20. Februar 1969 an die Mitglieder der Bischofskonferenz, an verschiedene Prälaten des Staatssekretariats, an Bundeskanzler Klaus und die Bundesminister für Unterricht und für Äußere Angelegenheiten, an die Mitglieder der Landesregierung in Innsbruck, an die Bezirkshauptleute des Unterinntales sowie an die Mitglieder des Tiroler-Landeslehrervereins und an alle Seelsorger in der Erzdiözese Salzburg übermittelt wurde. Im Begleitschreiben wiesen Generalvikar Simmerstätter und Ordinariatskanzler Berg darauf hin, daß diese Broschüre „durch das Gespräch veranlaßt worden sei, das seit einigen Jahren über den Diözesananteil der Erzdiözese Salzburg im Land Tirol in Gang gesetzt wurde." Der Verfasser habe diese Broschüre ,glicht über Auftrag, sondern aus eigenem Antrieb und Interesse verfaßt und seine Arbeit dem eb. Ordinariat Salzburg zur Verfügung gestellt. Er kommt mit vielen anderen Mitgliedern der Salzburger Diözesangemeinschaft aufgrund der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung sowie der Gegebenheiten in der Gegenwart zum Schluß: Als Landsleute sind wir Tiroler, kirchlich aber bleiben wir dem Salzburger Erzbischof und Erzbistum

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N K D 3, Trier 1967, 29.

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treu! In sachlicher und klarer Weise werden die gewichtigsten Gründe aufgezeigt, die für das Erzbistum Salzburg und für den Erzbischof maßgebend sind, für die integre Erhaltung des Salzburger Diözesangebietes in der gegebenen Größe einzutreten und gegen eine Abtrennung des in Tirol gelegenen Diözesangebietes Stellung zu nehmen." Mit einem ausführlichen Brief, eigenhändig von allen Domherrn unterzeichnet, wandte sich das Metropolitankapitel am 22. Februar 1968 an Bundeskanzler Dr. Josef Klaus und ersuchte „um tatkräftige Hilfe" in dem Bemühen um Erhaltung der Integrität der bestehenden Grenzen des Salzburger Erzbistums. Die nunmehr neuerdings heftig in Gang gekommene Diskussion und seit Juli 1969 auch von verschiedenen Seiten ziemlich emotional geführte Auseinandersetzung kann an dieser Stelle nicht näher behandelt werden. Das starke Echo in den Medien jedenfalls zeigte, wie stark das Thema „Der Tiroler Anteil" die Gemüter bewegte. Wie ernst die von landespolitischer Seite in Gang gebrachte Diskussion auf Salzburger Seite genommen wurde, geht schließlich in aller Deutlichkeit aus einem Hirtenbrief von Weihbischof und Kapitelvikar Dr.Eduard Macheiner vom 8.September 1969 hervor: In einem „Hirtenwort zum Fest des heiligen Rupertus" (24. September) wollte der interimistische Diözesanordinarius (Kapitelvikar) „über ein Anliegen unserer Diözese informieren, das in letzter Zeit viel Beachtung und Sorge ausgelöst hat." Er tue dies „in voller Übereinstimmung" mit seinen Mitbrüdern im Domkapitel. Wie allen aus Presse und Rundfunk bekannt sei, habe „man offiziell von Seiten des Landes Tirol gleich nach dem Rücktritt unseres Erzbischofs Schritte unternommen, um die Abtrennung der 60 in Tirol liegenden Pfarren unserer Erzdiözese sowie deren Angliederung an die Diözese Innsbruck zu erreichen. Rund 109.000 Katholiken wären von dieser Abtrennung unmittelbar betroffen." Nach einem kurzen Hinweis „auf alles Entgegenkommen und gute Einvernehmen", „das zwischen dem Lande Tirol und der Erzdiözese stets bestanden" habe, geht der Kapitelvikar der Frage nach: ,Aus welchen Gründen weist die Erzdiözese das geschilderte Ansinnen zurück und wahrt ihren Anspruch auf dieses Gebiet?" Der Weihbischof nennt einige Argumente: „Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg ist uraltes Kemland Salzburger Glaubensverkündigung. Schon im Jahre 788 scheinen im Güterverzeichnis des (Erz-) Bischofs Arno die Pfarreien Erl, Ebbs, Kufstein, Kundl, Radfeld und Brixlegg als zum Salzburger Bistum gehörig auf und sie sind es immer geblieben."

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Der Ziller-Fluß als „Diözesangrenze zwischen Salzburg und Innsbruck" sei „mit Abstand die älteste Grenze, die das heutige Tirol kennt. Nur die Orte am nördlichen Innufer, das ist das Gebiet der Alt-Pfarren Breitenbach, Angath und Langkampfen, kamen 'erst' 1818 aus freisingischer Verwaltung hinzu." Ein weiteres Argument nimmt der Kapitelvikar aus der Geschichte des Bistums Chiemsee: „Im Jahre 1215 gründete Erzbischof Eberhard II. zur besseren seelsorglichen Betreuung dieses Gebietes aus völlig freien Stücken das Eigenbistum Chiemsee und hat einen Teil des jetzigen Tiroler Unterlandes dieser Diözese unterstellt. In der Praxis freilich blieb weiterhin Salzburg der kirchliche Mittelpunkt dieses Landes, denn zumeist wohnten die Bischöfe von Chiemsee in Salzburg. Sie waren sehr oft sogar die Generalvikare der Erzdiözese Salzburg und sie leiteten auch von hier aus ihre Diözese." Nach diesen drei „historischen Argumenten" (Güterverzeichnis des Arno, Ziller-Fluß als unvordenkliche Grenze, Bistum Chiemsee) geht Eduard Macheiner auf die aktuelle Situation der Erzdiözese ein und stellt mit soziologischer und pragmatischer Begründung das Axiom auf: , Jedes Gemeinwesen bedarf einer Mindestgröße, um seine Aufgaben leisten zu können!" Die Erzdiözese Salzburg umfasse 204 Pfarreien, die Diözese Innsbruck 224. „Würde eine Abtrennung kommen, dann hätte Salzburg nur mehr 144, Innsbruck jedoch 284 Pfarreien. Alle kirchlichen Stellen in Salzburg, das Borromäum und das Priesterseminar, die Theologische Fakultät, die verschiedenen Gliederungen der Katholischen Aktion, sind auf die derzeitige Größe abgestimmt." Im weiteren führt der Kapitelvikar noch psychologische Argumente an, die an die Adresse der Volksseele gehen: „Ihr alle, liebe Diözesanen, habt in schwierigen Zeiten des geistigen und materiellen Wiederaufbaues nach dem Krieg in großzügiger Weise mitgeholfen, diese Diözesaneinrichtungen sowie den Dom wiedererstehen zu lassen und habt sie in Eure ständige Mitsorge übernommen. Ihr alle habt Jahr für Jahr eine offene Hand gezeigt, um die vielfältigen sozialen Dienste der Diözesan-Caritas zu ermöglichen. Ich bin sicher, daß nicht wenigen von Euch die Glaubenswallfahrt zum Salzburger Dom, die Besinnungstage und die verschiedenen Treffen in Salzburg zum unvergeßlichen Erlebnis geworden sind." Die Erzdiözese Salzburg sei auf die Leistungen der Tiroler in den vergangenen 150 Jahren stolz: „fünf von zehn Erzbischöfen stammten aus Tirol, 25 Domherren kamen über den Paß Strub oder über Hochfilzen nach Salzburg, ganz zu schweigen von den übrigen verdienstvollen Persönlichkeiten, deren Wirksamkeit aus der Geschichte unserer Diözese nicht mehr wegzudenken ist." Unter diesen Persönlichkeiten nennt der Weihbischof Landeshauptmann Prälat Alois Winkler (gest. 1924), Prof. Dr. Peter Adamer (gest. 1961), Weihbischof

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Dr. Johannes Filzer (gest. 1962), Regens Prälat Georg Feichtner (gest. 1963) und Prof. DDr. Matthias Mayer (gest. 1969). Sie seien „stellvertretend für zahlreiche Tiroler Priester" hervorzuheben, „die als volksverbundene Seelsorger, Erzieher, Gelehrte oder Politiker der Heimat unschätzbare Dienste geleistet haben, als Tiroler dem Land Tirol und als Priester der Erzdiözese Salzburg". In einem weiteren Argument beschwört Eduard Macheiner angesichts der Entwicklungen und Herausforderungen der Zeit und der zu bewältigenden Aufgaben den Geist der Einheit: „Sollten wir nicht in einer Zeit, in der die Wirtschaft großräumig plant, auch in der Kirche darüber nachdenken, wie wir auf überdiözesaner Ebene zusammenarbeiten und was wir gemeinsam besser lösen könnten, anstatt eine bewährte Einheit aufgeben zu wollen." In einer deutlichen Diktion resummiert der Kapitelvikar schlußendlich: „Unsere alte Erzdiözese ist eine in Jahrhunderten gewachsene Einheit. Salzburgs Kirche ist unsere Mutter im Glauben. Wozu soll eine Änderung der Grenzen gut sein?" Und er verbindet damit ein persönliches emotionales Element: „Ich bin tief bestürzt, daß die Frage der Diözesanzugehörigkeit in Innsbruck zu einer solchen Prestigeangelegenheit gemacht wurde, als ob es um eine Lebensfrage des Landes Tirol ginge. Ich stelle in aller Deutlichkeit fest, daß die Erzdiözese diesen Streit nicht gewollt und nicht vom Zaun gebrochen hat. Ich stelle ebenso fest, daß die Bestrebungen für die Abtrennung der Tiroler Pfarren unserer Erzdiözese nicht von den Katholiken des Unterlandes ausgegangen sind." Schließlich weist Eduard Macheiner auf die Situation in Niederösterreich und Wien hin: „Es ist völlig unrichtig, von einer Spaltung des Landes zu sprechen. Beide Diözesen haben doch denselben katholischen Glauben! Wer auf Wien und Niederösterreich blickt, wird zugeben müssen, daß die Forderung 'Ein Land - ein Bistum' doch ein allzu einfaches Schlagwort ist."

Alterzbischof Dr. Andreas Rohracher fügte diesem Hirtenwort des Salzburger Kapitelvikars mit ebenso emotionaler und der ihm eigenen rhetorischen Kraft noch eine persönliche Stellungnahme hinzu, bei der er an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: Er füge diese Worte hinzu „mit dem Bekenntnis, daß mir die Eile des Landes Tirol, mit der es die Aktion 'Los von Salzburg' mit der ersten Nachricht von meinem Rücktritt verbunden hat, den Abschied noch schwerer gemacht hat. Schon vor einigen Jahren sollte ich eine mir vorgelegte Erklärung unterschreiben, daß ich im Falle meines Amtsaustrittes mit der Angliederung des Tiroler Anteiles an die Diözese Innsbruck einverstanden sei.

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Ich wies diese Zumutung entrüstet zurück und erklärte, daß gerade der Umstand, daß ein Teil meines lieben Heimatlandes Tirol zur Erzdiözese Salzburg gehöre, ein ganz besonderer Antrieb für mich gewesen sei, die Leitung der Erzdiözese zu übernehmen. In meiner 26jährigen Tätigkeit als Erzbischof erkannte und erlebte ich die organische Geschlossenheit und die lebendige Gemeinschaft der Erzdiözese, für die ich nie einen besseren Namen finden konnte als 'Diözesanfamilie'. Diese geschlossene geistliche Gemeinschaft war der Grund, warum alle Versuche politischer Kräfte - wie Kaiser Maximilian I., Ferdinand II., Josef IL, Hitler - nie die Abtrennung durchsetzen konnten, und ich erinnere mich an die vielen, wiederholten Treueerklärungen für die Kirche von Salzburg, die mir ganz spontan und öffentlich anläßlich der bischöflichen Visitationen und bei anderen Gelegenheiten ausgesprochen wurden." Rohracher nimmt von seiner Sicht her sodann Bezug auf das II. Vatikanische Konzil: „Die angestrebte Veränderung der Diözesangrenzen wäre daher nach meiner Überzeugung gegen den Sinn des II. Vatikanischen Konzils, das so großen Wert auf Mitsorge und Mitverantwortung des Diözesanvolkes in kirchlichen Angelegenheiten legt, und gegen die Bestimmung im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (Nr.22), das das Heil der Seelen als obersten Grundsatz für Änderungen von Diözesangrenzen aufstellt." Der Alterzbischof erinnert schließlich noch an seinen letzten Aufenthalt in Rom: ,3ei meinem letzten Besuch in Rom im Jänner 1969 wurde ich von allen zuständigen Stellen darin bestärkt, daß politische Wünsche für eine so wichtige Angelegenheit, wie es die Änderung von Diözesangrenzen darstellt, unmaßgeblich sind. Der Heilige Vater selbst erklärte mir wörtlich: 'Die Politiker wünschen solche Grenzänderungen, aber für Uns ist das Votum der Bischofskonferenz maßgebend.' Wenn ich auch der Österreichischen Bischofskonferenz nicht mehr angehöre, bin ich mir dennoch gewiß, daß sie einen solchen Antrag auf Grenzänderung nicht stellen wird, zumal die Tendenz besteht, daß nur ein einstimmiger Beschluß als Votum angesehen wird." Andreas Rohracher äußert dazu den „sehnlichen Wunsch", „daß die uralte, gewordene, organische Gemeinschaft nicht gewaltsam zerteilt wird und die Kirche von Salzburg, die nach den napoleonischen Wirren ohnehin so große Teile wie Osttirol und den ganzen Rupertiwinkel verloren hat, nicht noch mehr verkleinert und in ihrem Bestände gefährdet wird."

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I V . Ergebnis und Ausblick In der Beilage „Der Staatsbürger" zu den Salzburger Nachrichten befaßte sich am 10. Februar 1970 Prof. Dr. Theodor Veiter, Feldkirch, mit der Problematik der Diözesangrenzen unter der Überschrift: „Die Nordtiroler Dekanate des Erzbistums Salzburg. Eine Untersuchung der Kontroverse um ihre Zugehörigkeit - Was maßgebend ist." Mit seinen Ausführungen möchte der Autor nach der inzwischen erfolgten Wiederbesetzung des erzbischöflichen Stuhles von Salzburg einen Beitrag leisten, „um diese Kontroverse endgültig aus dem Tagesgeschehen und aus politischen wie anderen Invektiven zu ziehen." Einläßlich setzt er sich dabei mit der Argumentation des Innsbrucker Dozenten Dr. Fridolin Dörrer auseinander, der „auf dem Höhepunkt der Kontroverse Mitte 1969 in edler Winkelried-Gesinnung seinem Landeshauptmann mit einer überaus lesenswerten Schrift als Wissenschafter beigestanden ist." 2 9 Bei Dörrer werde „Salzburg, und zwar nicht den Landesbehörden, sondern den kirchlichen Behörden manch schwerwiegender Vorwurf gemacht. So heißt es für die Tiroler Dekanate sei Salzburg eine 'landfremde Diözese', die fürstliche Stellung der Salzburger Erzdiözese habe bis zur Säkularisation nicht selten stärker als die geistliche deren Verhalten bestimmt, und die Erhaltung der jetzigen Diözesangrenzen würden im Lande Salzburg 'nicht nur unterschwellig als Ehrensache des Landes empfunden, die man ungern gemindert sehen möchte.' Solche Argumente würden besser aus der Diskussion ausgeklammert, denn sie könnten zu einem gleichartigen Gegenargument führen, nämlich daß man in Tirol es als Ehrensache des Landes (ebenfalls nicht nur unterschwellig, wie die 1969er Erklärungen des Tiroler Landeshauptmannes im Nordtiroler Unterland während der Salzburger Sedisvakanz und also zu einem auffallenden Zeitpunkt, zeigen) betrachtet, die Dekanate einem Tirol 'un et indivisible' anzuschließen." Prof. Veiter fügt noch hinzu: „Und von ,landfremd' sollte man eigentlich in kirchlichen Fragen auch nicht sprechen." Das Argument, das für eine Zuweisung der Dekanate an die Diözese Innsbruck am meisten ins Treffen geführt werde, nämlich daß die politischen Grenzen mit den Diözesangrenzen übereinstimmen sollen, verdiene laut Veiter „eine gründlichere Untersuchung". Maßgeblich könne aber „wohl nicht der Wunsch von Bundesländern oder Landesregierungen sein, Landes- und Diözesangrenze kongruent zu machen oder auf dem Weg einer Nichtübereinstimmung sozusagen in einem anderen Bundesland diözesan Geltung zu haben, sondern nur, was der Überlieferung entspricht, was dem Willen von Klerus und Gläubigen in den betreffenden Gebieten entspricht und was seelsorglich sich als zweckmäßig erweist. Wie bekannt, sprechen im Falle der Dekanate des Nordtiroler Unterlandes alle drei Kriterien für die Belassung des gegenwärtigen Zustandes. Der vielleicht nicht unberechtigte Hinweis dar-

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Fridolin Dörrer, Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg. Geschichtliche Bemerkungen. Innsbruck 1969.

Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg

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auf, daß mit der Errichtung der Diözese Innsbruck die schmerzliche Loslösung von Brixen die staatliche Grenze und die Diözesangrenze in Übereinstimmung brachte und überdies die Zuweisung der deutschen Dekanate von der Erzdiözese Trient zur Diözese Bozen-Brixen eine Übereinstimmung auch von italienischen Provinzgrenzen mit der Diözesangrenze hergestellt wurde, ist bei näherem Zusehen kein überzeugendes Argument. Was die Staatsgrenze anlangt, so ist sie schon 1964 zweifellos anerkannt gewesen, und ihr war schon durch die Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch Rechnung getragen, wozu noch kommt, daß mit Südtirol-,Paket' und ,Operationskalender' auch ein österreichischer und ein Südtiroler Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler im Sinne von Gebietsübergang ausgesprochen ist. Die Gläubigen des Bozner Anteils an der Erzdiözese Trient, überwiegend Deutschsüdtiroler, sollten mit den Deutschsüdtirolern der sehr kleinen Diözese Brixen vereinigt werden. Es handelte sich also um eine Diözesangrenzveränderung, die aus Gründen der ethnischen Homogenität und damit aus seelsorgerischen Gründen erfolgte. Da die Tiroler des nordtirolischen Unterlandes sich ethnisch von den Salzburgern überhaupt nicht und auch stammlich und mundartlich so gut wie nicht unterscheiden (die Mundart von Waidring unterscheidet sich kaum von jener in Lofer, jene von Leogang kaum von jener in Weißbach oder Saalfelden usw.) („unmerkliche Dialektübergänge") und auch nicht etwa die volkspsychologischen Gegensätze wie zwischen Tirolern und Vorarlbergern oder Kärtnern und Osttirolern bestehen, kann eine ethnopolitische Forderung nach Änderung der Diözesangrenzen nicht begründet werden. Das widerspräche auch den Grundsätzen moderner Ethnopolitik." Zum Abschluß seines Beitrages bringt Theodor Veiter einen interessanten Hinweis, warum zu Beginn der Siebzigerjahre sehr rasch die Diskussion um eine Grenzänderung beendet wurde. Im Sommer 1969 hatte die polnische Presse wiederholt ,4m Sinne der Tiroler politischen Forderungen" argumentiert und sich diese Gedanken zu eigen gemacht „mit der Begründung, der Vatikan gäbe damit ein Beispiel für die Anerkennung der OderNeiße-Linie als endgültiger staatlicher Grenze und könne dann nicht länger die bisherigen Diözesen und Diözesangrenzen in Ostdeutschland aufrechterhalten. Das Argument war so beunruhigend, daß ein deutscher Bischof sich in Rom für die Belassung der Nordtiroler Dekanate bei der Erzdiözese Salzburg einsetzte. Und im Jänner 1970 wurde in Rom zur Frage der ostdeutschen Diözesen offiziell erklärt, daß der Vatikan keineswegs daran denke, bis zu einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland' den bisherigen Standpunkt zu ändern." Damit war für den ein knappes Jahrzehnt währenden Auseinandersetzungen um den Tiroler Anteil ein jähes Ende bereitet. Auch wenn es nach dem Fall der Berliner Mauer und damit des Eisernen Vorhanges in Deutschland zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen im Bereich der ehemaligen DDR gekommen ist, 30 denkt in Österreich gegenwärtig niemand mehr an eine Änderung der Diözesangrenzen zwischen Tirol und Salzburg. Zwischen der Erzdiözese Salzburg und dem Land Tirol herrscht gutes Einvernehmen, das sich seit

172

Hans Paarhammer

Jahren in vielerlei Belangen niederschlägt, so z. B . insbesondere bei Fragen der Kirchenrenovierungen und der Kulturförderung.

30

Siehe dazu ausführlich Karl Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hg. w.Joseph Listi und Dietrich Pirson. Berlin 1994,354 ff.

I I I . Kirchenrecht

Confoederatìo consociatìonum Von Helmuth Pree I. Fragestellung Das Rechtsinstitut des Vereins ist in sich vielfältig strukturiert und differenziert: in freie Zusammenschlüsse und kanonische Vereine - letztere können privater oder öffentlicher Natur sein - sowie in laikale und klerikale Vereine. Sie unterscheiden sich femer nach dem jeweils verfolgten Zweck sowie hinsichtlich der bestehenden oder nicht bestehenden Rechtsfähigkeit. Die demnach gegebene Vielfalt von Vereinigungsformen einerseits, der mit der Vereinsautonomie (VA) als subjektives Recht gegebene Gestaltungsfreiraum andererseits ermöglichen mannigfache Gestaltungsformen von Vereinszusammenschlüssen. Angesichts der nur rudimentären rechtlichen Erfassung dieser Phänomene im CIC/1983 sollen in der folgenden Kurzanalyse der Begriff des Vereinsverbandes (II.), dessen rechtsdogmatische Grundlagen (III.), des weiteren die nach geltendem Recht zulässigen rechtlichen Gestaltungsformen nach Art einer Typologie im Überblick dargestellt (IV.) und schließlich die Bedeutung der V A innerhalb der Konföderation am Beispiel der Vereinsaufsicht aufgezeigt werden (V.). Vom Begriff der consociano nicht erfasst sind die verschiedenen Typen ordensrechtlicher und ordensähnlicher Zusammenschlüsse (vgl. cc. 573-746 CIC), obwohl es auch in deren Rahmen das Phänomen der confoederatio gibt. Spezifisch ordensrechtliche Fragestellungen bleiben hier ausgeklammert. 1

1 Die sog. Drittorden werden hingegen durch c. 303 CIC explizit dem Vereinsrecht zugewiesen und unterstellt.

176

Helmuth Pree

I L Begriff und Abgrenzungen 1. „ Confoederatio" Der CIC/1983 setzt - ähnlich wie der CCEO 2 - das Rechtsinstitut der confoederatio an verschiedenen Stellen des Gesetzbuches voraus, ohne es näher zu definieren: cc. 313; 582; 684 § 3 CIC. 3 Damit ist immerhin eine positivrechtliche Verankerung gegeben.4 Confoederatio bezeichnet eine kirchliche Vereinigung, deren Mitglieder in der Regel juristische Personen (universitates personarum oder universitates rerum oder beide zusammen) sind.5 Es ist begrifflich nicht ausgeschlossen, dass der Verband neben diesen korporativen Mitgliedern auch physische Personen als Mitglieder führt. Im deutschen Sprachgebrauch finden sich für Vereinszusammenschlüsse besonders folgende Bezeichnungen: Verband 6, Vereinsverband, Dachverband, Gesamtverein, Konföderation. Der Entstehung nach kann man unterscheiden, ob sich eine Mehrzahl bestehender Vereine zusammenschließt (ihorizontal) oder sich ein bestehender einzelner Verein (insbesondere ein Großverein) in einen Vereinsverband aufgliedert (vertikal)?

2

Cc. 575 § 1 ; 438-440; 487; 488 CCEO.

Vgl. c. 1274 § 3 CIC mit der Wendung: Jnstituta inter se foederata". Der Ausdruck bezeichnet hier jedoch keine bestimmte Rechtsform, sondern kann z. B. einen Zusammenschluss mehrerer universitates rerum zu einem Anstaltsverband (der selbst wiederum rechtsfähig oder nicht rechtsfähig sein kann), aber auch rechtlich unselbständige, zweckgebundene Vermögensmassen im Sinne von c. 1303 § 1,2° i. V . m. § 2 CIC bezeichnen, deren Verwaltung und Verwendung durch ein Abkommen zwischen den beteiligten Rechtsträgern geregelt wird. 4

L. Navarro, Diritto di associazione e associazioni di fedeli. Milano 1991,232 f. und 266 f.; H. Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche. Paderborn u. a. 1999,355. 5

Vgl. W. Schulz, Der neue Codex und die kirchlichen Vereine. Paderborn 1986,65.

Zur Frage der Konföderationsfähigkeit freier Zusammenschlüsse: unten IV. 1. a). 6

Dieser Ausdruck wird aber ebenso synonym für „Verein" verwendet; er setzt keine besondere Größe der Vereinigung voraus: vgl. Schulz, Codex (Anm. 5), 65. Zur Problematik des Verbandsbegriffes vgl. auch H. Schnizer, Allgemeine Fragen des kirchlichen Vereinsrechts, in: HdbkathKR 2 ,563-586,565 f. 7

Vgl. W. Aymans, Kirchliche Vereinigungen. Ein Kommentar zu den vereinigungsrechtlichen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici. Paderborn 1988, 37; Aymans / Mörsdorf KanR II, 490 f.

Confoederatio consociatìonum

177

Dem entspricht, wenigstens idealtypischerweise, folgender Unterschied in der Binnenstruktur: I m Falle eines horizontalen Zusammenschlusses 8 bleiben die Mitgliedsvereine rechtlich selbständige Vereine, geben aber in ihren Satzungen i m Interesse der gemeinsamen Zweckverfolgung einen mehr oder weniger großen T e i l ihrer Autonomie an den Vereinsverband ab. Die Einzelmitglieder (physische Personen) der Mitgliedsvereine sind nicht automatisch auch Mitglieder des Vereinsverbandes. Dieser kann das von i h m gesetzte Recht und auf seiner Grundlage ergehende Maßnahmen (z. B . Aufsichtsbefugnisse) gegenüber den Einzelmitgliedern der Mitgliedsvereine nicht unmittelbar zur Geltung bringen, sondern nur mittelbar durch das vereinsautonome Handeln der Mitgliedsvereine (indem diese z. B . Teile der Satzungen des Verbandes übernehmen). Anders bei der vertikalen Untergliederung eines bestehenden Vereins in rechtlich selbständige 9 Untergliederungen: Identität in der Zielsetzung ist vorausgesetzt. Die Mitglieder der Teilvereine sind typischerweise zugleich M i t glieder des Vereinsverbandes. Die Mitgliedschaft i m Gesamtverein w i r d nicht unmittelbar, sondern nur durch Beitritt zu einem Zweigverein erworben. Daher beendet der Austritt aus dem Zweigverein die Mitgliedschaft i m Gesamtverein. Das v o m Verband gesetzte Recht kann die Einzelmitglieder unmittelbar betreffen. l l ) Das geltende kanonische Recht kennt zwar nur den einheitlichen Ausdruck confoederatio consociatìonum , nicht hingegen die soeben aufgezeigte Differenzierung in Vereinsverband (horizontal) und Gesamtverein (vertikal); es schließt diese Gestaltungsformen jedoch keineswegs aus. Vielmehr sind sie in der Gestaltungsfreiheit, die die V A mit sich bringt, zweifellos enthalten.

g

Er setzt nicht zwingend Identität der Zielsetzung aller Mitgliedsvereine voraus; es genügt eine ähnliche Zielsetzung. Der Zusammenschluss dient dazu, einen oder mehrere gemeinsame Zwecke effektiver zu verfolgen. Q Die Untergliederung in rechtlich nicht selbständige Einheiten (z. B. aus organisatorischen bzw. verwaltungstechnischen Gründen) führt lediglich zur Bildung von Abteilungen oder Sektionen mit sachlich oder territorial umschriebenem Zuständigkeitsbereich innerhalb ein- und desselben Vereins, nicht jedoch zur Errichtung eines Vereins10 verbandes. In der deutschen zivilen Vereinsrechtslehre pflegt man die horizontale Variante als „Vereinsverband" zu bezeichnen, die vertikale als „Gesamtverein" oder „Zentralverein" (im Unterschied zu Zweigvereinen). Zu dieser Unterscheidung und ihren Konsequenzen: E. Sauter / G. Schleyer / W. Waldner, Der eingetragene Verein. Eine gemeinverständliche Erläuterung des Vereinsrechts unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung, München 16 1997, Rdnr. 323-332; B. Reichert, Handbuch des Vereinsund Verbandsrechts. Neuwied-Kriftel-Berlin 7 1999, Rdnr. 34-40 und 2758-2778. 14 FS Mühlsteiger

Helmuth Pree

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Im Ordensrecht begegnet das Rechtsinstitut des Zusammenschlusses juristischer Personen zu eigenen rechtsfähigen Verbänden, wobei die beteiligten Institute ihre rechtliche Selbständigkeit (Rechtsfähigkeit) behalten, in folgenden Formen: als monastische oder kanonikale Föderation (Zusammenschluss mehrerer rechtlich selbständiger Abteien oder Chorherrenstifte unter einem gemeinsamen höheren Oberen), als Konföderation (Zusammenschluss mehrerer Föderationen unter einem gemeinsamen Oberen: c. 582 CIC) sowie als Angliederung (Aggregation: c. 580 CIC) eines rechtlich selbständig bleibenden Instituts an ein anderes. 11

2. Abgrenzungen Die Bildung eines Vereinsverbandes ist insbesondere von der Vereinigung (fusio), von der unio exstinctiva und von der bloßen Aufspaltung (divisici) ohne Bildung eines neuen Zusammenschlusses zu unterscheiden. Die Vereinigung (fusio) besteht darin, dass die bislang bestehenden Vereine untergehen und an ihrer Stelle ein neuer Verein entsteht. Von einer unio exstinctiva spricht man, wenn ein Verein in einen anderen bereits bestehenden Verein so eingegliedert wird, dass er in diesem aufgeht, dabei selbst untergeht und das Vermögen (Rechte und Verbindlichkeiten) des untergehenden Vereins in den fortbestehenden Verein übergeht. 12 V o n der Errichtung einer confoederatio Formen der Teilung (vgl. c. 122 CIC):

unterscheiden sich auch folgende



ein Teil eines Vereins wird mit einem anderen, bereits bestehenden Verein vereinigt (in diesen eingegliedert);



aus dem abgegliederten Teil wird ein eigener, v o m Ursprungsverein unabhängiger Verein errichtet. 13

11 Β. Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983 unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz. Freiburg i. Β. 3 1988,33 f.

12

Zur Vereinigung juristischer Personen und ihren Rechtsfolgen: Η. Pree, c. 121, in: MK CIC (Stand: Juni 2000). 13

Zur Teilung im Falle von juristischen Personen allgemein: H. Pree, c. 122, in: MK CIC (Stand: Juni 2000).

Confoederatio consociatìonum

179

I I I . Rechtsdogmatische Grundlagen 7. Begründung in der Vereinsautonomie Die positiv-rechtliche Verankerung des Rechtsinstituts der confoederatio hat ihre entscheidende rechtsdogmatische Grundlage in der V A gemäß c. 215 CIC. Die V A bildet den Kerngehalt des fundamentalen Rechtes eines jeden Christen als solchen, Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung der christlichen Berufung in der Welt frei zu gründen und zu leiten und Versammlungen abzuhalten, um diese Zwecke gemeinsam zu verfolgen. Die V A besteht folglich in der Gründungsfreiheit (libere condere), in der Beitritts- und Aufnahmefreiheit sowie in der Freiheit der Führung und Leitung (libere moderari; v g l . auch c. 321 CIC) einschließlich der inhaltlichen Ausgestaltung des Statuts (vgl. c. 94 §§ 1 und 2 CIC) - stets i m Rahmen des übergeordneten Rechts. M i t der unterschiedlichen Einbindung der verschiedenen Arten von Vereinen in die Rechtsordnung der Kirche geht ein unterschiedlicher Umfang an V A einher: Sie ist am größten beim freien Zusammenschluss (auf Grundlage des c. 215 CIC allein) und beim privaten, nicht rechtsfähigen Verein (vgl. cc. 299 und 321-326 CIC), kleiner beim privaten rechtsfähigen Verein (vgl. c. 322 § 2 CIC) und am geringsten bemessen bei der consociatiopublica (vgl. cc. 301 und 312-320 CIC). In den Einzelheiten ist das Ausmaß der V A bei jeder Art von Vereinen dem jeweiligen Statut zu entnehmen, dessen Regelungen sich freilich innerhalb des übergeordneten Rechts bewegen müssen. Dabei muss das Statut jeweils den nach Zweck, Größe und Bedeutung sowie Rechtsform des Vereins adäquaten Ausgleich zwischen den unveräußerlichen Aufsichtsbefugnissen der hierarchischen Autorität (Vereinsaufsicht) einerseits und der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Vereins ( V A ) andererseits herstellen. Die V A darf jedoch i m Statut nicht beliebig eingeschränkt werden. Dies gilt sowohl gegenüber überdehnten hierarchischen Aufsichtsbefugnissen als auch gegenüber einem zu weitreichenden Autonomieverzicht durch den Verein selbst. Ist der Verein zu keiner nennenswerten selbständigen Willensbetätigung zur Verwirklichung der Vereinszwecke mehr in der Lage, so hört er auf, Verein zu sein (wegen Wegfalls eines Konstitutivelements). Das Gesagte gilt ebenso für Vereinszusammenschlüsse als ganze (im Verhältnis zur hierarchischen Autorität) wie auch i m Innenverhältnis der Konföderation. Die V A gewährleistet die rechtliche Grundlage und Legitimation für die Gründung und eigenverantwortliche Ausgestaltung der internen Struktur eines Vereinsverbandes sowie für die nähere Regelung seiner Führung und Leitung. Die V A , welche dem Verband ebenso wie dem Mitgliedsverein zukommt, gibt aber auch das Maß und setzt den Rahmen für die Gestaltung des Abhängig-

180

Helmuth Pree

keitsverhältnisses von Teilverein und Konföderation. Der Teilverein darf sich auch i m Verhältnis zum Verband nicht so weit seiner Autonomie begeben, dass er aufhört, rechtlich selbständiger Verein zu sein. Die Autonomie der M i t gliedsvereine w i r d implizit auch durch das in c. 119,3° C I C statuierte Prinzip geschützt. Demzufolge bedürfen kollegiale Beschlüsse, die in die Rechtsstellung der einzelnen Mitglieder eingreifen, stets der Einhelligkeit. Dies ist auf das Verhältnis von Vereinsverband und Mitgliedsvereinen anzuwenden. M i t anderen Worten: Der Vereinsverband verletzt die Autonomie der Mitgliedsvereine dann, wenn er, ohne sich auf die Zustimmung aller Mitgliedsverbände stützen zu können, in seiner Satzung Überwachungs-, Eingriffs- oder Sanktionsrechte gegenüber den Mitgliedsvereinen vorsieht. 1 4

2. Begründung aus dem Begriff,,

universitas personarum "

Das Rechtsinstitut der juristischen Person, insoweit sie universitas

sonarum (im Unterschied zur universitas

per-

rerum: c. 115 §§ 1 und 2 CIC) ist,

impliziert jedenfalls die Möglichkeit des Zusammenschlusses rechtsfähiger Vereine zu einem eigenen, ebenfalls rechtsfähigen Verein. Dies ist darin begründet, dass der Rechtsbegriff persona i m Kirchenrecht sowohl die physische (cc. 9 6 - 1 1 2 CIC) als auch die juristische Person (cc. 113-123 CIC) bezeichnet:

,£unt in Ecclesia , praeter personas physicas, personae iuridicae, subiecta scilicet in iure canonico obligationum et iurium quae ipsarum indoli congruunt" (c. 113 § 2 CIC). C. 115 ist kein Hinweis in der Richtung zu entnehmen, dass er nur nui personae physicae anwendbar wäre. 1 5 Zu beachten ist dabei das Erfordernis, dem zufolge eine universitas sonarum

bei der Gründung 1 6 mindestens dreier

per-

Personen bedarf (c. 115 § 2

14

Zur Reichweite des in c. 1193° CIC verankerten, der gefestigten kanonischen Tradition zuzuzählenden Prinzips „Quod autem omnes uti singulos tangit, ab omnibus approbari debet" vgl. //. Pree, c. 119, Rdnr. 7, in: M K CIC (Stand: Juni 2000). Das Einstimmigkeitserfordernis bezieht sich nur darauf, dass jeder Mitgliedsverein die Zustimmung erteilt, nicht jedoch darauf, dass innerhalb jedes Mitgliedsvereins die Willensbildung ebenfalls einstimmig erfolgen müsste. 15

Hier muss der althergebrachte Interpretationsgrundsatz zur Anwendung kommen: „Ubi lex non distinguit, nec nos distinguere debemus". Der Grundsatz entstammt der Glossenliteratur (zu Dig. 6,2,8; sowie zu Cod. Iust. 439,9): D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter. München 5 1991,213. 16

Dieses Erfordernis erstreckt sich nicht auch auf den Fortbestand als juristische Person, wie die Wortlaute des c. 115 § 2 (constitui potest) und des c. 120 § 2 CIC erkennen lassen.

Confoederatio consociatìonum

181

CIC). Es ist nicht ausgeschlossen, dass dem Verband neben juristischen Personen auch physische Personen angehören. 17 Obwohl die Begründung des Rechtsinstituts der confoederatio im Begriff der ,ßniversitaspersonarum" nur für rechtsfähige Vereinsverbände tauglich ist, ist die Bildung nicht rechtsfähiger Vereinsverbände keineswegs unzulässig, da dies in der V A der beteiligten Vereine grundgelegt ist. So lange das Statut des Vereinsverbandes nicht rekognosziert ist, existiert es auf einer rein privatautonomen Rechtsgrundlage und ist der Verband eine vertraglich gebundene Personenmehrheit (gesellschaftsrechtlich). Ab Rekognoszierung erhält die bislang als Vertrag bestehende Ordnung die kirchenrechtliche Qualität eines statutum gemäß c. 94 §§ 1 und 2 CIC und der Vereinsverband selbst nimmt, da nunmehr von einer Norm des objektiven Kirchenrechts geregelt, körperschaftliche Züge an. I V . Typologie Der Versuch einer typologischen Auflistung und Kurzdarstellung orientiert sich am Kriterium der Rechtsstellung (freier Zusammenschluss - consociatio privata - consociatio publica) und nicht zusätzlich an weiteren möglichen Kriterien wie z. B. laikal - klerikal (vgl. cc. 302; 327-329 CIC), mit oder ohne Belobigung bzw. Empfehlung (cc. 298 § 2; 299 § 2 CIC). Alle denkbaren Gestaltungsformen von Vereinszusammenschlüssen bzw. Dach verbänden setzen ein Minimum an Übereinstimmung der Zweckrichtungen aller beteiligten Vereine voraus, d. h. sie müssen entweder gänzlich dieselben oder teilweise dieselben oder wenigstens ähnliche Zwecke verfolgen. 1. Confoederationes privatae Aus der Tatsache der gesetzlichen Erwähnung der confoederationes nur bei den consociationes publicae in c. 313 CIC kann ausweislich der Redaktionsgeschichte des kanonischen Vereinsrechts nicht geschlossen werden, dass es private Konföderationen nicht geben könne oder dürfe: Wie H. Hallermann aufzeigt, ist das Fehlen eines Hinweises auf die confoederatio außerhalb der Re-

17

H.

Pree, c. 115, Rdnr. 3, in: M K CIC (Stand: Juni 2000).

182

Helmuth Pree

gelungen der consociano

publica

lediglich das Ergebnis „radikaler textlicher

Kürzungen und Vereinfachungen i m Lauf der Redaktionsarbeit" 1 8 .

a) A u s freien Zusammenschlüssen Mehrere freie Zusammenschlüsse 19 vermögen mangels Personqualität keinen rechtsfähigen Vereinsverband als universitas personarum zu konstituieren (vgl. c. 115 § 2 CIC). Die beteiligten Gläubigen können jedoch aus dem selben Rechtstitel (c. 215 CIC), der sie zur B i l d u n g eines freien Zusammenschlusses in Ausübung eines Fundamentalrechts berechtigt, ihre freien Zusammenschlüsse wiederum zu einem neuen freien Zusammenschluss verbinden. Mangels Rechts- und Handlungsfähigkeit der freien Zusammenschlüsse als solcher kann es sich bei diesem neuen Gebilde freilich nicht um ein rechtliches Band i m Sinne einer Konventionalordnung zwischen Vereinen handeln 2 0 , sondern wiederum nur u m einen freien Zusammenschluss zwischen physischen Personen: Eine legitime Betätigung des Rechts gemäß c. 215 C I C ohne besondere kanonische Rechtsform. Handelnde bleiben die Träger des Fundamentalrechts, d. h.

18

Hallermann, Vereinigungen (Anm. 4), 355. Vgl. Schema CIC/1977 „De populo Dei" cc. 44 § 2 und 53 § 1; Schema C1C/1980 cc. 679 § 2 und 686 § 1. Vgl. auch Schulz, Codex (Anm. 5), 66. 19 Darunter werden Personenvereinigungen verstanden, deren Kirchlichkeit ausschließlich darauf beruht, dass es sich um einen Zusammenschluss von christifideles in Ausübung ihres Rechtes gemäß c. 215 CIC handelt und dieser Zusammenschluss folglich Zwecke im Sinne dieser Norm erstrebt. Er benötigt ein gewisses Minimum an Stabilität und Struktur, jedoch nicht notwendigerweise eine schriftlich fixierte Satzung. Das rechtliche Band des Zusammenschlusses ist nicht die Rechtsform der Satzung gemäß c. 94 §§ 1 und 2 CIC, sondern die des privaten Vertrages (c. 299 § 1 CIC). Der Rechtsstatus eines kanonischen Vereins wird erst erlangt, wenn der Zusammenschluss der zuständigen Autorität ein schriftlich formuliertes Statut vorlegt und dieses in irgendeiner positiven Weise von der Autorität als unbedenklich anerkannt („rekognosziert": c. 299 § 3 CIC) wird. Ein freier Zusammenschluss kann keine kirchliche Rechtsfähigkeit erlangen (vgl. c. 322 §§ 1 und 2 CIC). Ausführlich zu den Problemen der te il rechtsfähigen bzw. nicht rechtsfähigen Gebilde, besonders hinsichtlich ihrer Prozess- und Parteifähigkeit: V. PrietOy Iniciativa privada y subiectividad iuridica, Pamplona 1999, 125-142; J. Llobell, Associazioni non riconosciute e funzione giudiziaria, in: Monitor Ecclesiasticus 113 (1988) 375-384; L. Navarro , La tutela giudiziaria dei soggetti senza personalità giuridica canonica, in: lus Ecclesiae 9 (1997) 265-287. 20

Vgl. c. 299 § 1 CIC: Die Wendung ,.privata inter se conventione inita " setzt die Rechts- und Handlungsfähigkeit der hier angesprochenen physischen Personen (christifideles) voraus.

Confoederatio consociatìonum

183

die einzelnen Gläubigen. Daher ist die Bezeichnung als confoederatio für dieses Gebilde angemessen. b) Aus privaten Vereinen Ein privater kanonischer Verein, selbst wenn er (noch) nicht über Rechtspersönlichkeit verfügt, besitzt ab dem Augenblick der Statutenrekognoszierung gemäß c. 299 § 3 CIC eine rechtlich geschützte Existenz: Als teilrechtsfähiges Subjekt 21 ist er fähig, Mitgliedsverein in einem Vereinsverband zu sein, sei es, dass dieser seinerseits privater, nicht rechtsfähiger Verein ist, oder sei es, dass der Verband private kanonische Rechtspersönlichkeit besitzt. 22 Im letzten Fall ist zu beachten, dass es zur Gründung des rechtsfähigen Vereinsverbandes neben den eventuell vorhandenen, interessierten nicht rechtsfähigen Vereinen mindestens dreier rechtsfähiger Vereine bedarf: ,JE χ tribus saltern personis" (c. 115 § 2 CIC). Die Gründung einer confoederatio privata geschieht zunächst durch privates Rechtsgeschäft, d. h. durch freie Willenserklärungen der rechtmäßigen Vertreter der beteiligten Vereinigungen (,privata inter se conventione inita u: c. 299 § 1 CIC), und existiert ab Statuten rekognoszierung als privater kanonischer Verein (c. 299 § 3 CIC), dem Rechtspersönlichkeit durch ein eigenes Dekret der zuständigen Autorität verliehen werden kann (c. 322 §§ 1 und 2 CIC). Der föderative Zusammenschluss mehrerer privater kirchlicher rechtsfähiger Stiftungen 23 zu einem rechtsfähigen Dachverband ist stets universitas personarum gemäß c. 115 § 2 CIC, da er auspersonae zusammengesetzt ist 2 4 c) Aus öffentlichen kanonischen Vereinen Die Frage, ob sich mehrere consociationes publicae zu einer Konföderation mit privater Rechtspersönlichkeit zusammenschließen können, wird in der

21

Vgl. z. B. cc. 304; 309 CIC.

22

Vgl. Schulz, Codex (Anm. 5), 66.

23

Dabei handelt es sich um eine universitas rerum bzw.pia fundatio autonoma gem. c. 115 § 3 i. V . m. c. 1303 § 1,1° CIC. Im Falle der Verschmelzung (fusio) zweier oder mehrerer rechtsfähiger privater universitates rerum entsteht eine neue universitas rerum (vgl. c. 121 CIC). Wird eine private rechtsfähige Stiftung einer anderen universitas rerum so einverleibt, dass sie in dieser aufgeht und selbst als Rechtsträger zu bestehen aufhört (unio exstinctiva), besteht die aufnehmende universitas rerum allein weiter.

184

Helmuth Pree

Literatur kontrovers beantwortet. 25 Meines Erachtens kann aus c. 313 CIC, der beim Erfordernis des Errichtungsdekrets neben der consociatio publica nur die confoederationes publicarum consociationum nennt, nicht gefolgert werden, dass andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind, zumal Regelungsgegenstand des c. 313 nur die Errichtung zu einer consociatio bzw. confoederatio publica ist. Die hier gestellte Frage hingegen ist nicht geregelt. Bei ihrer Beantwortung ist zu bedenken, dass der Zusammenschluss öffentlicher Vereine zu einem privaten Vereinsverband grundsätzlich in folgenden drei Formen denkbar ist: (1) als freier Zusammenschluss; (2) als privater Verein ohne Rechtspersönlichkeit; (3) als privater Verein mit Rechtspersönlichkeit. Die Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit der Bildung dieser drei Formen hängt in allen drei Varianten ab vom Umfang an V A , die ein bestimmter öffentlicher Verein kraft Statuts besitzt, und damit indirekt vom Zweck des betreffenden Vereins. 26 In der zweiten und dritten Variante hängt die Beantwortung zusätzlich ab von der Entscheidung der zuständigen Autorität (vgl. c. 312 CIC): Für die Konstituierung der Konföderation als privater kanonischer Verein ohne Rechtspersönlichkeit bedarf es nämlich der Statutenrekognoszierung (c. 299 § 3 CIC) per Einzeldekret (vgl. c. 48 CIC); für die Errichtung eines Vereinsverbandes als privater kanonischer Verein mit Rechtspersönlichkeit bedarf es eines eigenen Dekrets, welches die Rechtspersönlichkeit

25

Verneinend Navarro , Diritto (Anm. 4), 194 Fn 156, der auch die Möglichkeit bestreitet, dass aus consociationes publicae private, nicht rechtsfähige Vereine gebildet werden könnten, aber keine nähere Begründung für seine Ansicht liefert. Bejahend hingegen R. Pagé, Associations of the Faithful in the Church, in: The Jurist 47 (1987) 165-203,184. Die V A kann kleiner oder größer sein, je nachdem, ob sich der Zweck des Vereins in der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe gemäß c. 301 § 1 CIC erschöpft oder ob es sich um Vereinszwecke gemäß c. 301 § 2 CIC handelt, bei denen von vornherein ein größerer Spielraum eigenverantwortlicher Verwirklichung denkbar ist. V g l . L . Martinez Sistach, Asociaciones publicas y privadas de los laicos, in: lus Canonicum 26 (1986) 139-183,171. Die Wendung yquatenus requiritur" in c. 313 CIC (vgl. c. 116 § 1 CIC) lässt erkennen, dass das Handeln einer consociatio publica nicht notwendigerweise und nicht zur Gänze kraft hoheitlicher Beauftragung (missio) geschehen muss, d. h. dass weisungsfreie Aufgabenbereiche durchaus zulässig sind. Vgl. auch c. 315 CIC, der gleichsam als Minimum an eigenverantwortlicher Tätigkeit des öffentlichen Vereins diesem das Recht einräumt, von sich aus Unternehmungen zu beginnen, die mit der Zwecksetzung des Vereins in Einklang stehen.

Confoederatio consociatìonum

185

verleiht (c. 322 § 1 CIC), nach vorgängiger probatio des Statuts (c. 322 § 2 CIC). Für die zuständige Autorität hat bei dieser Entscheidung das grundlegende Kriterium - Ausmaß an Vereinsautonomie der antragstellenden öffentlichen Vereine kraft deren Statuten und deren Zwecke - als Entscheidungsrichtlinie zu dienen. Dabei kann die Autorität in der dritten Alternative höhere Anforderungen (z. B. Sicherung strengerer Aufsichtsrechte im Statut) verlangen als in der zweiten, bei der sich die Autorität mit der recognitio als Unbedenklichkeitsbescheinigung begnügen muss. d) Aus privaten und öffentlichen kanonischen Vereinen Wenn es zulässig ist, dass öffentliche Vereine sich zu einem Vereinsverband in Form eines freien Zusammenschlusses oder eines privaten kanonischen Vereins zusammenschließen, so muss es auch, wenn nicht umso mehr, zulässig sein, dass private und öffentliche Vereine zusammen einen privaten kanonischen Verein gründen, sei dieser rechtsfähig oder nicht. Die Voraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit abhängt, sind identisch mit den soeben unter c) dargestellten. Sie werden dann vorliegen können, wenn die beteiligten öffentlichen Vereine nicht oder wenigstens nicht ausschließlich zu Zwecken gemäß c. 301 § 1 CIC (Vermittlung der christlichen Lehre im Namen der Kirche; Förderung des amtlichen Gottesdienstes; andere Ziele, deren Verfolgung ihrer Natur nach der kirchlichen Autorität vorbehalten ist) errichtet sind. Bei solchen Vereinszwecken, die nicht Ausübung hoheitlich übertragener Sendung nomine Ecclesiae bzw. der Autorität reservierte Zwecke sind, ist kein rechtliches Hindernis ersichtlich, welches einer rechtlichen Verbindung von privaten mit öffentlichen Vereinen im Wege stünde. 2. Confoederationes publicae Ein öffentlicher kanonischer Verein besitzt immer Rechtspersönlichkeit und wird von der Autorität als persona iuridica publica errichtet: cc. 116 § 1; 301 § 3; 313 CIC. Die Bildung eines Vereinsverbandes als persona iuridica publica setzt daher voraus, dass die Bedingungen für die Verleihung der Rechtspersönlichkeit 27 und für die Errichtung als consociatio publica (insb. cc. 301; 304; 314 CIC) gegeben sind. Soweit es um die Entstehung eines Vereinsverbandes mit öffentlicher Rechtspersönlichkeit geht, ist daher der Kreis der tauglichen Rechtssubjekte eingeschränkt und ergeben sich Einschränkungen aus der Zwecksetzung (vgl. c. 301 §§ 1 und 2 CIC).

27

Vgl. cc. 114-118 CIC.

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a) Aus privaten rechtsfähigen kanonischen Vereinen Als juristische Personen sind sie tauglich, sich zu einer neuen universitas personarum unter den Voraussetzungen des c. 115 § 2 CIC zusammen zu schließen. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Errichtung eines Zusammenschlusses mehrerer privater Vereine zu einer consociatio publica ist das besondere Augenmerk auf den Zweck einerseits der bestehenden privaten Vereine, andererseits des zu errichtenden öffentlichen Vereins zu richten. Daraus ergeben sich auch die Grenzen der Zulässigkeit. Denkbar und potentiell sinnvoll kann eine solche Errichtung bei Vorliegen der Bedingungen des c. 301 § 2 CIC sein; mit anderen Worten: wenn die Autorität zu dem Urteil gelangt, die Zweckerreichung der privaten Vereine würde durch einen Zusammenschluss nach Art eines Vereinsverbandes wesentlich gesteigert und dies läge angesichts der Aufgaben dieser Vereine im Interesse des öffentlichen Wohles der Kirche. Ein bestehender Vereinsverband in Gestalt einer consociatio publica kann auch nicht rechtsfähigen kanonischen Vereinen einen Mitgliedschaftsstatus gewähren, jedenfalls sofern dies im Statut des Vereinsverbandes vorgesehen ist. Das Statut kann dabei auch sachlich begründete Differenzierungen im Mitgliederstatuts je nach Rechtsfähigkeit vorsehen. b) Aus öffentlichen kanonischen Vereinen Die Bildung eines Vereinsverbandes in Form einer consociatio publica aus rechtsfähigen Vereinen, die ihrerseits consociationes publicae sind, ist die einzige im Vereinsrecht des CIC explizit vorgesehene Konföderation. Für sie gelten mutatis mutandis die Regeln für die consociationes publicae, nicht zuletzt jene betreffend das Errichtungsdekret und die mögliche hoheitliche Beauftragung (missio): c. 313 CIC. c) Aus privaten und öffentlichen kanonischen Vereinen Wenn die Errichtung eines Vereinsverbandes in Form einer consociatio publica aus mehreren privaten (rechtsfähigen) Vereinen zulässig ist, muss dies umso mehr gelten, wenn die öffentliche Konföderation aus privaten und öffentlichen Vereinigungen gebildet werden soll. Dabei sind besonders die Voraussetzungen und Grenzen wie bei der Bildung aus privaten Vereinen zu beachten. Die entscheidenden Kriterien liegen demnach darin, wie weit die gemäss den Statuten der bestehenden Vereine ausgestaltete V A und inwiefern die Zwecke der bestehenden Vereine die beabsichtigte Konföderation gestatten. Die Entscheidung darüber obliegt der Autorität, der gemäß c. 312 § 1 CIC die Errichtung des Vereinsverbandes als consociatio publica zusteht.

Confoederatio consociatìonum

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V. Kontrollbefugnisse des Dach Verbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen? 1. Allgemeines Zu den in der Praxis oft heikelsten Fragen zählen wohl jene nach möglichen Aufsichts- und Kontroll- oder gar Sanktionsrechten des Dachverbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen, namentlich im Bereich der Vermögensgebarung. An dieser Stelle kann es nicht um eine erschöpfende Darstellung der damit zusammenhängenden Probleme gehen, sondern lediglich um einige ausgewählte Hinweise eher grundsätzlicher Art zur Aufsichtskompetenz der hierarchischen Autorität und zur Möglichkeit vereinsverbandsinterner Aufsicht. 2. Aufsichtskompetenz

der hierarchischen Autorität

Die der hierarchischen Autorität zustehenden Kompetenzen des regimen 28 und der vigilantia 29 bilden per se keine Rechtsgrundlage für Eingriffs-, Weisungs- und Sanktionsrechte der hierarchischen Autorität in Bezug auf öffentliche oder private Vereine, sondern stellen Rechtstitel 30 dar, auf deren Grundlage in der Satzung solche Kontrollrechte verankert werden können. Über die in der Satzung verankerten Kontrollrechte hinaus bestehen lediglich jene, die im uni-

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Regimen drückt die Unterstellung des kanonischen Vereins unter die allgemeine Leitungsbefugnis der kirchlichen Autorität aus. Sie betätigt sich in Akten der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der potestas exsecutiva, wie z. B. im Akt der Statutenrekognoszierung und der Verleihung der Rechtspersönlichkeit. Vgl. G. May, Die kirchlichen Vereine nach den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983, in: FKTh 3 (1987) 281-297,293-295. 29 Vgl. c. 305 CIC. Der vigilantia der Autorität unterstehen alle Arten von Vereinen unter dem Gesichtspunkt der Reinerhaltung von Glaube und Sitte und der Abwehr von Missbräuchen von der kirchlichen Disziplin. Die Autorität besitzt das ausdrücklich verankerte ius invisendi, wobei nicht klar ist, ob es sich dabei um das Visitationsrecht gemäß c. 397 § 1 CIC oder ein allgemeineres Beaufsichtigungsrecht handelt. Jedenfalls können Partikularrecht und/oder Satzung nähere Aufsichtsmaßnahmen einschließlich eines Visitationsrechts vorsehen. Die Bischofskonferenz besitzt gemäß CIC kein Vigilanzrecht für nationale Vereine: Communicationes 12 (1980) 98 f. und 104 f. sowie Communicationes 15 (1983) 84. 30

D. Kiinzel, Die kirchliche Vereinsaufsicht. Eine Untersuchung der Aufsicht der katholischen Kirche über Vereinigungen von Gläubigen nach dem Codex Iuris Canonici und deren Umsetzungsmöglichkeit für eingetragene Vereine im Recht der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1999,56-59; vgl .Heimerl ! Pree VermR, Rdnr. 5/777.

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verseilen Recht (ζ. Β. c. 326 § 1 Satz 2 CIC: Zwangsauflösung als Sanktion gegen private Vereine) oder im Partikularrecht ausdrücklich vorgesehen sind. Bei privaten Vereinen umfasst die vigilantia der zuständigen kirchlichen Autorität außerdem deren Kompetenz, „unter Wahrung der den privaten Vereinen eigenen Autonomie darauf zu achten und dafür zu sorgen, dass eine Zersplitterung der Kräfte vermieden und die Ausübung ihres Apostolats auf das Gemeinwohl hingeordnet wird" (c. 323 § 2 CIC). Auch damit sind keine konkreten Einwirkungsmöglichkeiten legitimiert, sondern Rechtstitel zugunsten von Partikularrecht und Statuten zur Verankerung von Kontrollrechten geschaffen. 31 Die Grenze zwischen hierarchischer Anbindung des Vereins einerseits und Umfang der V A andererseits verläuft unterschiedlich, je nachdem ob es sich um einen privaten oder öffentlichen Verein handelt. Als Beispiel sei diesbezüglich auf die Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung hingewiesen: Wie ein Vergleich der Regelungen cc. 319; 325; 1287 § 1 CIC ergibt, ist die Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung nur bei öffentlichen kanonischen Vereinen zwingend vorgeschrieben und begrenzt damit die V A kraft Gesetzes.32 Bei consociationes privatae kann solches im Statut vorgesehen und der Autorität eingeräumt werden, es ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Das bedeutet: Die Autorität würde die V A eines privaten Vereins verletzen, würde sie die jährliche Rechnungslegung entweder im Zuge der Statutenrekognoszierung oder zu einem späteren Zeitpunkt gegen den Willen des betroffenen Vereins verlangen. Die hierarchische Autorität kann zur Wahrnehmung ihrer Aufsichtsbefugnisse durchaus rechtlich (d. h. im universellen Recht, im Partikularrecht oder/und in der Satzung) vorgesehene Einzelbefugnisse der vigilantia und auch die Befugnis, darüber zu wachen, dass das Vereinsvermögen für die Vereinszwecke verwendet wird (c. 325 § 1 CIC bezüglich privater Vereine) einem Vereinsverband in Bezug auf die nachgeordneten Vereine übertragen bzw. delegieren. Obwohl der CIC einerseits die Beauftragung mit hoheitlichen kirchlichen Funktionen explizit nur für öffentliche juristische Personen bzw. consociationes publicae vorsieht (cc. 116 § 1; 313 CIC), schließt er andererseits die Betrauung privater juristischer Personen mit Einzelaspekten hoheitlicher Funktionen kei-

31

Dies entspricht der generellen Leitungs- und Aufsichtskompetenz des Diözesanbischofs für seine Teilkirche (vgl. cc. 391-398 CIC). Gemäß c. 394 § 1 CIC hat der Diözesanbischof dafür zu sorgen, dass in der ganzen Diözese alle Werke des Apostolats unter Beachtung ihres je eigenen Charakters unter seiner Leitung koordiniert werden. 32

Das Vermögen jeder persona iuridica publica ist Kirchengut {bona ecclesiastica) gemäß c. 1257 § 1 CIC und unterliegt daher den Bestimmungen des Vermögensrechtes des CIC (cc. 1254—1310).

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neswegs aus. Daher kann die hierarchische Autorität z. B. einen Dachverband oder ein bestimmtes Organ desselben mit einzelnen Aufsichts- oder Kontrollrechten in Bezug auf Mitgliedsvereine beauftragen. In diesem übertragenen Bereich handelt das beauftragte Organ nicht kraft V A , sondern kraft übertragener, kirchenamtlicher Funktion und daher in Weisungsabhängigkeit im Rahmen der Beauftragung. 3. Kontrollbefugnisse

kraft Satzung

Neben und unabhängig von den Aufsichtskompetenzen der hierarchischen Autorität über Vereine kann ein Vereinsverband in seinem Innenverhältnis kraft V A satzungsmäßig verankerte Aufsichts-, Kontroll- oder gar Sanktionsrechte statuieren. Die nähere Festlegung derartiger Kontrollrechte hat sich an den Grundsätzen der V A , welche sowohl dem Dachverband als auch den Mitgliedsvereinen zusteht, zu orientieren. Demgemäss ist es zulässig, unter Zustimmung aller betroffenen Mitgliedsvereine 33 in der Satzung des Dachverbandes (und entsprechend in den Satzungen der Mitgliedsvereine) Aufsichtsbefugnisse gegenüber den letzteren vorzusehen, soweit dies zur Erreichung der Vereinszwecke sowohl des Vereinsverbandes als auch der nachgeordneten Vereine erforderlich ist bzw. als zweckmäßig erachtet wird. Dabei darf die Abhängigkeit der Mitgliedsvereine vom Dachverband nicht so weit gehen, dass diese nicht mehr zu nennenswertem eigenverantwortlichen Handeln, insbesondere nicht mehr zu eigener Initiative in der Zweckverwirklichung des Vereins fähig sind und somit des Vereinscharakters verlustig gehen. Wohl aber sind verbandsinterne Kontrollrechte oder Genehmigungsvorbehalte u. ä. hinsichtlich näher bezeichneter Rechtsgeschäfte zulässig. Solche verbandsinterne Kontrollrechte beseitigen das der hierarchischen Autorität zustehende regimen bzw. die vigilantia nicht. Im Verhältnis zu diesen Kompetenzen der Autorität handelt es sich bei den in der Vereinsautonomie gründenden Kontrollinstrumenten um vorgeschaltete Aufsichtsrechte.

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Auf Grund c. 119,1 °CIC: siehe oben III. 1.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung* Von Konrad Breitsching Der vorliegende Beitrag möchte der Beziehung zwischen Menschenrechten, Grundrechten und kirchlicher Rechtsordnung nachgehen.1 Die Menschenrechte werden heute vielfach als das Ethos der modernen Welt angesehen, auf dem eine von Gerechtigkeit und Frieden gekennzeichnete, menschenwürdige Ordnung, innerstaatlicher wie zwischenstaatlicher Verhältnisse, aufgebaut werden kann.2 Wenn sich heute die Menschen rechte immer stärker als Weltethos etablieren, kann dann die kirchliche Rechtsordnung von ihnen unberührt bleiben? Inwieweit können, sollen, ja müssen Menschenrechtsforderungen in die kirchliche Rechtsordnung übernommen werden? Inwieweit sind Menschenrechte Orientierungspunkte für innerkirchliche Rechtsverhältnisse? Bevor wir uns den angesprochenen Fragen zuwenden, seien einige Anmerkungen die Haltung der Kirche zum neuzeitlichen Menschenrechtsdenken betreffend vorgebracht. Die Einschätzung der Menschenrechte durch die Kirche, insbesondere durch das Lehramt, ist ja für die gestaltende Kraft der Menschenrechte innerhalb der kirchlichen Rechtsordnung nicht unerheblich.

* Bei dem Beitrag handelt es sich um einen überarbeiteten Vortrag, den der Verf. auf dem von der Katholischen Hochschulgemeinde Graz im November 1998 veranstalteten Symposion „Menschenrechte. Eine Welt - ein Ethos - ein Recht" gehalten hat. 1

Unter Menschenrechten werden hier „Rechte, die dem Menschen kraft seiner personalen Würde von Natur aus zukommen (sollen)", verstanden, Grundrechte hingegen als die in einer konkreten Rechtsordnung...positivierten Freiheitsrechte. Siehe dazu Christoph Link, Naturrechtliche Grundlagen des Grundrechtsdenkens in der deutschen Staatsrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Dorothea Mayer-Maly / Peter M. Simons (Hg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen. Gedächtnisschrift für René Marcie. Berlin 1983,77-95, hier 79. 2

Vgl. Johannes Schwertländer, Menschenrechte - eine Herausforderung der Kirche, in: ders. (Hg.), Menschenrechte - eine Herausforderung der Kirche (Reihe Entwicklung und Frieden. Materialien 11). München 1979,15-57, hier 15-19.

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I . Katholische Kirche und Menschenrechte In der Haltung der katholischen Kirche zu den Menschenrechten lassen sich eine Phase der Ablehnung und eine der positiven Rezeption unterscheiden.

1. Die Phase der Ablehnung Ein B l i c k in die Geschichte der Menschenrechte lässt uns feststellen: die Menschenrechte sind weder eine Errungenschaft der kirchlichen Staats- und Gesellschaftslehre noch der kirchlichen Rechtskultur. 3 Der genuine Ort der Entwicklung der Menschenrechte ist in der mit der Aufklärung einsetzenden neuzeitlichen Freiheitsbewegung zu suchen. 4 Diese Bewegung erstrebte eine auf den Ideen der Freiheit und Gleichheit aufruhende rechtsstaatliche Gestaltung des öffentlichen Gemeinwesens. 5 In dem Ringen um die Menschenrechte gehörte die Kirche zunächst nicht zu den Verteidigern und Förderern, sondern zu den erklärten Gegnern. 6 W o r i n liegen die Gründe für dieses heute sonderbar anmutende Verhalten der Kirche?

Vgl. Felix Hafner, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiet von Kirche und Staat 36). Freiburg 1992, 3. Vgl. auch Eduard Heinz Tödt, Menschenrechte - Grundrechte, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft 27, Freiburg u. a. 1982, 5-57, hier 6; Wolfgang Huber, Menschenrechte: Ein Begriff und seine Geschichte, in: Conc 15 (1979) 199-204, hier 201; Bernard Plongeron, Konfrontation mit den Menschenrechtserklärungen im 17. Jahrhundert: Anathema oder Dialog der Christen? Vereinigte Staaten und Europa, in: Conc 15 (1979) 218-223, hier 219; Schwertländer, Menschenrechte (Anm. 2), 22; Otfried Höffe, Papst Johannes Paul II. und die Menschen rechte: Philosophische Überlegungen, in: FZPhTh 27 (1980) 36-55, hier 37 u. 42. Vgl. Wilhelm Ernst, Ursprung und Entwicklung der Menschenrechte in Geschichte und Gegenwart, in: ThGl 73 (1983) 452-488, hier 463-472. 5

Vgl. Konrad Hilpert, Die Menschenrechte. Geschichte - Theologie - Aktualität. Düsseldorf 1991,66. 6

Vgl. Hans-Joachim Sander, Macht in der Ohnmacht. Eine Theologie der Menschenrechte (QD 178). Freiburg i. Br. 1999, 4; Josef Isensee, Keine Freiheit für den Irrtum. Die Kritik der katholischen Kirche des 19. Jahrhunderts an den Menschenrechten als staatsphilosophisches Pradigma, in: ZRG KanAbt 73 (1987) 296-336. Allerdings kann man nicht von einer pauschalen Verurteilung der Menschenrechte sprechen: „Objekt der Kritik ist der liberale Freiheitsentwurf in seiner ideologischen Dimension und in jenen Rechten der geistigen Freiheit, die für die hergebrachten Ordnungen der Religion, der Sittlichkeit und des Staates bedrohlich erscheinen." Ebd. 301 f.

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Wenn auch ein großer T e i l des französischen Klerus Berührungspunkte der revolutionären Ideale mit der Bibel, insbesondere der Situation der Urkirche, sah, woraus die Bewegung einer „démocratie chrétienne" hervorging, 7 die den Ansatzpunkt einer sachlichen Auseinandersetzung mit den neuen Ideen, auch bezüglich kirchlicher Reformen, hätte darstellen können, war es gerade die A r t der politischen Umsetzung der „démocratie chrétienne", die einer solchen Auseinandersetzung keine Chancen bot. Unter Missachtung kirchlicher Zuständigkeitsstrukturen wurde von einem nichtkirchlichen Organ, der Nationalversammlung, durch Erlass der „Constitution civile du clergé" von 1790 der französischen Kirche eine neue Organisationsstruktur verliehen. Diese hatte nicht nur eine Angleichung der Diözesen an die staatlichen Departments zum Inhalt, sondern überließ die W a h l der Bischöfe und Priester der in den Departments lebenden politischen Wählerschaft. Damit konnten Nichtkatholiken über die Besetzung kirchlicher Ä m t e r mitentscheiden. Ebenso wurde jegliche Einflussnahme des Papstes auf die Wahlvorgänge ausgeschlossen. 8 Dieser massive A n g r i f f auf die kirchliche Verfassungsstruktur, aber auch die brutale 9 Verfolgung des papsttreuen, die Zivilkonstitution ablehnenden Klerus und andere kirchenfeindliche Maßnahmen sowie die unter der Flagge der Menschen rechte verübten Gräueltaten vergifteten von Anfang an das Gesprächsklima. Kirchenfeindlichkeit begleitete die Menschenrechtsbewegung, insbesondere in der Gestalt des Liberalismus, lange Zeit hindurch. 1 0 Darüber hinaus widersprachen die neuen Staatstheorien der kirchlichen A u f fassung über die Rolle des Staates. Dieser musste aus kirchlicher Sicht gemäß göttlichem Gesetz den Forderungen religiöser und sittlicher Wahrheit, und zwar in kirchenamtlicher Vermittlung und Interpretation, Geltung verschaffen sowie in einem nach christlichen Prinzipien gestalteten Gemeinwesen das Gemein-

η Vgl. Wolfgang Palaver, Die Diskrepanz von Wort und Tat in der katholischen Soziallehre am Beispiel von Kirche und Demokratie, in: ders. (Hg.), Centesimo anno. 100 Jahre Katholische Soziallehre. Bilanz und Ausblick (theologische trends 4). Thaur 1991, 27-63,31 f. 8 Vgl. Pala ver, ebd., 32. g

Im September 1792 wurden in den Pariser Gefängnissen 300 Geistliche ermordet W^L. Palaver, ebd., 33. Vgl. Schwertländer, Menschenrechte (Anm. 2), 36; Gerhard Luf, Menschenrechte. VI. Menschenrechte im Verständnis der Kirchen. 1. Katholische Kirche, in: StL 7 3, 1113 ff., hier 1113; ders., Neuzeitliche Freiheitsgeschichte und Kirchenrecht, in: ÖAKR 30 (1979) 550-571, hier 559; Roger Aubert, Der Syllabus von 1864, in: StdZ 175 (1965) 1-24, hier 4 f.; Isensee, Freiheit (Anm. 6), 303 f. 15 FS Mühlsteiger

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w o h l garantieren. 11 Ein religiös ungebundener, d. h. ein durch den kirchlich vermittelten Glauben ungebundener Staat, war für das kirchliche Lehramt und die i h m folgende Theologie nicht denkbar. Der Glaube galt als Garant der öffentlichen Ordnung und der Verzicht auf diese Garantie konnte nur gesellschaftliches Chaos zur Folge haben und bedeutete zugleich eine Auflehnung gegen G o t t . 1 2 Glaubens-, Gewissens-, Meinungs- und Redefreiheit würden als Wegbereiter des Irrtums nicht nur den Bestand der Kirche gefährden, sondern auch den des Gemeinwesens. 1 3 Insbesondere die Freiheit des Gewissens und die des Glaubens wurden mit scharfen Worten, wie „Wahnsinn" und „seuchenartiger I r r t u m " , 1 4 verurteilt. A u f dem Hintergrund der These, dass der Irrtum kein Recht haben kann, konnte Glaubensfreiheit nur Indifferentismus bedeuten. 1 5 Insgesamt ist festzustellen, dass den eingeforderten Freiheiten auf Seiten der Kirche kein positiver Sinn abgewonnen werden konnte. Sie wurden vielmehr als Zügelosig- und Schrankenlosigkeiten apostrophiert. Noch beinahe 100 Jahre nach der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 1 6 w i r d Papst Leo X I I I . in seiner Enzyklika Imortale Dei v o m 1. November 1885 die Menschenrechte als „zügellose Freiheitslehre" bezeichnen, wenn er auch begann, die sozialen Grundrechte des Menschen einzumahnen. Die Tragik der ganzen Auseinandersetzung liegt darin, dass das Christentum neben der antiken Stoa zu den geistesgeschichtlichen Wurzeln der Menschenrechte gehört. 1 7 Die inhaltliche Nähe des Menschenrechtsdenkens zu Grundge-

11

Vgl. Luf, Freiheitsgeschichte (Anm. 10), 552 ff. u. 558 ff.; ders., Menschenrechte (Anm. 10), 1113 f; Isensee, Freiheit (Anm. 6), 322-325. 12

Vgl. Isensee, ebd., 310-314; 316; 319.

13

Vgl. Gregor XVI., Enzyklika „Mirari vos" vom 15. Aug. 1832, in: Emil Marmy (Hg.) unter Mitw. v. Josef Schafer / Anton Rohrbasser, Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Freiburg/Schweiz 1945,15-31, hier 18, Rdnr. 6; Pius IX., Enzyklika „Qanta cura" vom 8. Dez. 1864, in: ebd. 32-41, hier 33 f., Rdnrn. 26 f. 14 So Gregor XVI., Mirari vos (Anm. 13), 24, Rdnr. 16. 15

Vgl. Gregor XVI., ebd., 23 Rdnr. 15.

16

Die Erklärung findet sich abgedruckt in: Wolfgang Heidelmeyer (Hg.), Die Menschenrechte. Erklärungen, Verfassungsartikel, Internationale Abkommen. Paderborn 1977,57-60. 17

Vgl. Loenard Swidler, Die Menschenrechte. Ein geschichtlicher Uberblick, in: Conc 29 (1990) 98-104, hier 98 f.; Gerhard Luf, Art. Menschenrechte. II. Ideengeschichtliche Entwicklung, in: StL 7 3, 1105 ff., hier 1105; Tödt, Menschenrechte (Anm. 3), 12; Schwertländer, Menschenrechte (Anm. 2), 29; Höffe, Johannes Paul II. (Anm. 3), 41 ; 50; Isensee, Freiheit (Anm. 4), 333 f.

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danken der biblischen Botschaft 18 und einer darauf aufbauenden christlichen Anthropologie wurde leider in der ersten Konfrontation, aber auch lange darüber hinaus, nicht wahrgenommen. 19 Es ergibt sich wohl von selbst, dass unter diesen Umständen an eine Rezeption der Menschenrechte durch die kirchliche Rechtsordnung nicht im Entferntesten zu denken war. Doch die Haltung der Kirche zu den Menschenrechten hat in unserem Jahrhundert einen Wandel erfahren. 2. Die Phase der Rezeption Unter Pius XII. (1939-1958) begann, verstärkt aufgrund der Erfahrungen des faschistischen und stalinistischen Terrors, eine positive Einstellung zu den Menschenrechten Platz zu greifen. 20 Eine wirkliche Aussöhnung mit den Menschenrechten als Gestaltungsprinzipien des gesellschaftlichen und politischen Lebens erfolgte aber erst durch Johannes XXIII., der in seiner Enzyklika Pacem in terris von 1963 ein umfassendes Bekenntnis zu den Menschenrechten in inhaltlicher Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (AEMR) ablegte.21 Diese positive Haltung setzte sich in den Texten des 2. Vatikanischen Konzils und unter dem Pontifikat Pauls VI. fort. 22 Auch in den Lehrschreiben und Ansprachen von Johannes Paul II. nehmen die Menschenrechte einen breiten Raum ein. Man kann heute sagen, dass

18

Zur inhaltlichen Nähe der Menschenrechte zur biblischen Botschaft siehe Hans Heimerl, Menschenrechte und Christen rech te, in: ThpQ 139 (1991) 20-29, hier 21. 19 Vgl. Richard Puza, Menschenrechte an extra und ad intra?, in: Christliche Sozialethik im Anspruch der Zukunft. Tübinger Beiträge zur Katholischen Soziallehre (Studien zur Theologischen Ethik 41). Freiburg/Schweiz 1992, 155-173, 156; Norbert Greinacher, Zur Freiheit sind wir befreit. Zum Problem der Christenrechte in der Kirche, in: „Alle Katholiken haben das Recht...". Freiheitsrechte in der Kirche. Hg. von Leonard Swidler /Patrick Connor. Mit einer Einführung von Norbert Greinacher. München 1990, 13;Luf, Freiheitsgeschichte (Anm. 10), 559;Höffe, Johannes Paul II. (Anm. 3), 37 f. 20

Vgl. Hafner, Kirchen (Anm. 3), 126 f.; Hilpert, Menschenrechte (Anm. 5), 53; Tödt, Menschenrechte (Anm. 3), 18. 21 Vgl. dazu Hafner, Kirchen (Anm. 3), 128 f.; Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 157; Höffe, Johannes Paul II. (Anm. 3), 40; François Refoulé , Bemühungen der obersten kirchlichen Autorität um die Menschenrechte, in: Conc 15 (1979) 240-252, 241. 22 Paul VI. hatte sich bei seinem Eintreten für die Menschenrechte immer wieder ausdrücklich auf die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen bezogen und war sehr um ihre Förderung bemüht. Vgl .Refoulé, ebd., 240.

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die Menschenrechte ein fixer und zentraler Bestandteil der katholischen Soziallehre sind. 2 3 Die Kirche hat sich also von einer Bekämpferin der Menschenrechte zu einer entschiedenen A n w ä l t i n derselben gewandelt, nicht zuletzt auch deshalb, w e i l schließlich doch die Affinität zwischen neuzeitlichem Freiheits- und Menschenrechtsdenken und einer biblisch begründeten Anthropologie erkannt wor-

den ist. So ist in der Botschaft über Menschenrechte und Versöhnung" der Bischofssynode von 1974 zu lesen: „Wenn es richtig ist, daß die Aussagen über die Menschenwürde und Menschenrechte Gemeingut aller Menschen sind, so sind w i r doch der Überzeugung, daß sie am vollkommensten i m Evangelium zum Ausdruck kommen, und w i r Christen schöpfen i m Evangelium auch den tiefsten Beweggrund, uns für die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte einzusetzen." 2 4 Der Sinngehalt der Menschenrechte stellt demnach einen zentralen Ausdruck der Frohbotschaft Christi dar. 2 5 Das kirchliche Engagement für die Menschenrechte gehört nach heutigem Verständnis somit wesentlich zum Sendungsauftrag der Kirche. Die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit ihres Sendungsauftrages w i r d daher auch von der Realisierung des Sinngehaltes der Menschen rechte in ihrer eigenen Rechtsordnung abhängen. 2 6 Insbesondere die Glaubwürdigkeit des kollektiven Zeugnisses der Kirche für die Menschen rechte w i r d daran gemessen werden. So heißt es i m Arbeitspapier ,J)ie Kirche und die Menschenrechte" der Päpstlichen Kommission Justitia et Pax: ,Erzieher für den Frieden und die Achtung der Menschenwürde handeln verantwortungslos, wenn sie diese tiefen Wahrheiten nur als Vorschrift vermitteln, ohne selbst durch ihr Beispiel dafür Zeugnis abzulegen." 2 7 So kehren w i r nun zu den eingangs gestellten Fragen zurück.

23

Vgl .Luf, Freiheitsgeschichte (Anm. 10), 565.

24

Die Kirche und die Menschenrechte, in: HK 28 (1974) 624 f., hier 624. Siehe auch Die Kirche und die Menschenrechte. Ein Arbeitspapier der Päpstlichen Kommission Justitia et Pax (Entwicklung und Frieden. Dokumente, Berichte, Meinungen 5). München 1977, Nr. 40: „Die christliche Sicht des Menschen ist die Grundlage der pastoralen Motivierung der Kirche in ihrer Verteidigung der Menschenrechte, sei es von einzelnen oder von Gruppen." und Nr. 44: „Kurz gesagt, die Verteidigung der Menschen rechte durch die Kirche ist eine wesentliche Forderung ihrer Sendung, für Gerechtigkeit und Liebe im Geiste der Frohbotschaft zu wirken." 25

Vgl .Die Kirche und die Menschenrechte. Arbeitspapier ebd., Nr. 70. Vgl. dazu Höffe, Johannes Paul II. (Anm. 3), 55; Pedro Lombardia, Die Grundrechte des Gläubigen, in: Conc 5 (1969), 608-611, hier 608. 26

27

Die Kirche und die Menschenrechte. Arbeitspapier (Anm. 24), Nr. 96.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

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I I . Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung Die Hinwendung der Kirche zu den Menschenrechten führte insbesondere seit dem 2. Vatikanischen K o n z i l und dem Beginn der Arbeit der Kodexreformkommission zu einer breiten Diskussion u m die Geltung der Menschenrechte in der K i r c h e . 2 8 Die Frage w i r d w o h l zugunsten der Menschen rechte zu entscheiden sein. Dies ergibt sich insbesondere aus den theologischen Begründungsansätzen der Menschenrechte, die in sehr klarer Weise die Affinität der Menschen rechte zur biblischen Botschaft aufzeigen. Folglich kann ein glaubwürdiges Bekenntnis zu dieser Botschaft nur mit der praktischen Achtung von Menschenrechtsforderungen i m innerkirchlichen Bereich Hand in Hand gehen. So heißt es in der N r . 62 des vorhin erwähnten Arbeitspapieres: „Wenn ihre Arbeit i m Geiste des Evangeliums wirksam sein soll, dann muß sich die Kirche vor allem und in erster Linie für die Anerkennung, die Achtung, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Welt einsetzen. Sie muß dabei mit einer Gewissenserforschung bei sich selbst beginnen. Die Kirche muß genau prüfen, wie und in welchem Maße die Grundrechte innerhalb ihrer eigenen Organisation geachtet und angewendet w e r d e n . t t 2 9 Eine ähnliche Äußerung findet sich in der Botschaft über Menschenrechte und Versöhnung" der B i schofssynode von 1974: „Aus Erfahrung weiß die Kirche, daß der Dienst an der Durchsetzung der Menschen rechte in der Welt zu dauernder Gewissenserforschung verpflichtet und zu ununterbrochener Reinigung ihres eigenen Lebens, ihrer Gesetzgebung, ihrer Institutionen und ihrer Handlungsweisen." 3 0 Klarer kann die Bedeutung der Menschenrechte als kritischer Maßstab für die kirchliche Rechtsordnung nicht zum Ausdruck gebracht werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass auch die Kirche deutliche Aspekte einer politisch-sozialen Institution mit politisch-rechtlichen Autoritätsverhältnissen aufweist, die als solche, wenn auch nicht ausschließlich, nach menschenrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sind. 3 1 I m Rahmen der Kodexreform arbeitete man sogar an einem kirchlichen Grundgesetz, einer „Lex Ecclesiae fundamentalis" ( L E F ) mit einem Grundrechtskatalog der Gläubigen. Der c. 3. der L E F enthielt eine Definition der Menschenrechte als Rechte, die allen Menschen zukommen, und brachte damit zum Ausdruck, dass die Menschenrechte auch innerhalb der Kirche Gültigkeit

28

Vgl. Matthäus Kaiser, Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: 1 HdbkathKR ,171-184, hier 173 f. 29 30 31

Die Kirche und die Menschenrechte. Arbeitspapier (Anm. 24), Nr. 62,28 f. Die Kirche und die Menschenrechte, in: HK 28 (1974), 624. Vgl. Höffe, Johannes Paul II. (Anm. 3), 54.

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haben. Das Projekt der LEF wurde jedoch nicht realisiert und dürfte wohl auch so bald nicht mehr in Angriff genommen werden. 32 Realisiert hingegen wurde ein „Grundrechtskatalog", allerdings ohne den c. 3 der LEF. Die Beziehung zwischen den Menschenrechten und der kirchlichen Rechtsordnung kann unterschiedlicher Art sein. Einmal können schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch Mitglieder der Kirche durch das kirchliche Strafrecht belangt werden. 33 Dies geschieht konkret dadurch, dass ζ. B. Mord, Entführung, Verstümmelung oder schwere Verletzung eines Menschen mit einer kirchlichen Strafe belegt werden (c. 1397). 34 Der Schutz des Lebens erstreckt sich im kirchlichen Strafrecht auch auf das Lebensrecht des ungeborenen Kindes, dessen Tötung mit der Tatstrafe der Exkommunikation geahndet wird (c. 1398). Eine weitere Möglichkeit kirchenrechtlichen Menschenrechtsschutzes stellt die kirchenrechtliche Anerkennung von staatlich garantierten Grundrechten dar. So werden in c. 227 die bürgerlichen Freiheiten der Laien anerkannt, die damit ausdrücklich von sehen kirchlicher Amtsträger nicht behindert werden dürfen. Schließlich kann die kirchliche Rechtsordnung auf die Menschen rechte als rechtsgestaltende Prinzipien ihrer eigenen Rechtsverhältnisse zurückgreifen bzw. Menschen rechte als innerkirchlich einforderbare Rechte anerkennen. 1. Der „ Grundrechtskatalog"

im CIC von 198335

Wenn man den CIC von 1983 mit dem von 1917 vergleicht, fällt unter den vielen Veränderungen auch der 1. Titel des II. Buches über das Volk Gottes

32

Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 166 meint, dass dieses Projekt überhaupt gestorben sei. 33 Vgl. Winfried Aymans, Kirchliche Grundrechte und Menschenrechte, in: AfkKR 149 (1980) 389^109, hier 396. Allerdings gibt es nur wenige Fälle, wo die kirchliche Autorität eines ihrer Mitglieder wegen derartiger Menschenrechtsverletzungen, wie sie ζ. B. im Rahmen der Mafia oder in Diktaturen von Katholiken verübt werden, strafrechtlich verfolgt hätte. Vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, „Qui homicidium patrat..." Inwieweit ahndet die Kirche Menschenrechtsverletzungen?, in: Richard Puza / Andreas Weiß (Hg.), Iustitia in caritate. Festgabe für Ernst Rößler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Frankfurt a. M. 1997,643-654, hier 644 mit Anm. 10. 35

Eugenio Cor ecco / Nikolaus Herzog ! Angelo Scola, (Hg.), Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft. Akten des IV. Internationalen Kongresses für Kirchenrecht. Freiburg (Schweiz) 6.-11.X.1980). Freiburg i. Br 1981.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

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„De omnium christifidelium obligationibus et iuribus" auf. Diese Zusammenfassung von Pflichten und Rechten aller Gläubigen stellt in der kirchlichen Rechtsgeschichte, der westlichen wie der östlichen, 3 6 ein N o v u m dar. 3 7 In der Kanonistik w i r d der angesprochene Titel, der nicht ohne Einfluss der neuzeitlichen Menschen- und Grundrechtskataloge sowie der kirchlichen Soziallehre zu erklären ist, 3 8 als „Grundrechtskatalog" bezeichnet, auch wenn die dort zusammengefassten Kanones nicht ausdrücklich als solche benannt werden. 3 9 Allerdings darf dieser „Grundrechtskatalog" aus rechtstechnischer Sicht nicht mit den Grundrechtskatalogen des modernen Rechtsstaates gleichgestellt werden. Denn der „Grundrechtskatalog" des Kodex stellt gegenüber anderen gesetzlichen Bestimmungen kein höherrangiges Recht dar, wie dies bei Grundrechtskatalogen der Staatsverfassungen der Fall ist. 4 0 Dennoch w i r d in der Kanonistik die Meinung vertreten, dass innerhalb der kirchlichen Rechtsordnung die einzelnen Normen ein unterschiedliches rechtliches Gewicht haben und so be-

36

Vgl. Ivan Zuzek, Understanding the Eastern Code (Kanonika 8). Rom 1997,164.

37

Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, c. 204, Rdnr. 2 u. Einführung vor c. 208, Rdnr. 1, in: M K CIC, (Stand: Oktober 1987). Der CIC 1917 war vorwiegend ein Rechtsbuch, das sich mit den Pflichten und Rechten der Kleriker befasst hatte. Die Rechte der Laien hingegen konnten meist nur indirekt aus den Pflichten der Kleriker abgeleitet werden. Vgl. Reinhardt, Einführung ebd.. Siehe auch Eugenio Corecco, Der Katalog der Pflichten und Rechte des Gläubigen im CIC, in: ders. Ordinatio fidei. Schriften zum kanonischen Recht. Hg. v. Libero Gerosa u. Ludger Müller. Paderborn u. a. 1994, 190-219, hier 192; Kaiser, Grundstellung (Anm. 28), 173. Richard Puza beschreibt die neue Ausrichtung des Gesetzbuches mit den Worten: „Das neue Kirchenrecht steht nicht mehr primär im Dienste der Lehre und des Amtes, es steht auch und gerade im Dienste der einzelnen Christgläubigen, deren Rechte es schützen soll." Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 162 f. 38

Vgl. Zuzek, Understanding (Anm. 36), 165; Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 162; Dominicus M. Meier, Recht(e) haben und Recht bekommen sind nicht dasselbe. Anmerkungen zum gegenwärtigen Rechtsschutz in der katholischen Kirche, in: Stephan Haering / Josef Kandier / Raimund Sagmeister (Hg.), Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60 Lebensjahres. Frankfurt a. M. u. a. 1999,439-472, hier 444. 39

Eine solche Bezeichnung enthielt allerdings die letzte Fassung der LEF, wo der Katalog mit „De christifidelium officiis et iuribus fundamentalibus" überschrieben waren. Bei der Redeweise von „Grundrechten" ist jedoch auch die Problematik der freiheitsgeschichtlichen Konotationen, insbesondere im Zusammenhang der sogenannten ,Abwehrrechte", zu berücksichtigen. Vgl. Eugenio Corecco, Erwägungen zum Problem der Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft, in: AfkKR 150 (1981) 421-453, hier 436-439; Lombardia, Grundrechte (Anm. 26), 610. 40 Vgl. Reinhardt, Einführung (Anm. 37), Rdnr. 3.

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stimmte Normen, w i e ζ . B . der „Grundrechtskatalog", übergeordnete Geltung beanspruchen können. 4 1 Der Katalog enthält folgende Grundrechte: 4 2 a) c. 208 spricht zunächst von der grundsätzlichen Gleichheit aller Christgläubigen in ihrer Würde und ihrem Handeln, b) c. 211 verbürgt das Recht aller, bei der Ausbreitung des Evangeliums mitzuwirken, c) c. 212 hält das Petitionsrecht und die Meinungsäußerungsfreiheit 43 fest, d) c. 215 das Recht auf die geistlichen Güter, insbesondere das Recht auf Wortverkündigung und Sakramente 44, e) c. 214 das Recht auf den eigenen Ritus und die eigene Form des spirituellen Lebens, f) c. 215 das Recht auf Vereins- und Versammlungsfreiheit 45 , g) c. 216 das Recht auf apostolische Tätigkeit, h) c. 217 das

41

Vgl. Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 167 f.; Corecco, Erwägungen (Anm. 39), 445 Die LEF mit ihrem Grundrechtskatalog war ursprünglich als ein höherrangiges Recht im rechtstechnischen Sinne intendiert. Vgl. Reinhardt, Einführung (Anm. 37), Rdnr. 3; Aymans, Grundrechte (Anm. 33), 391. 42

Zu den einzelnen Grundrechten siehe im einzelnen Kaiser, (Anm. 28), 176-179.

Grundstellung

Siehe dazu Sabine Demel, Das innerkirchliche Recht auf freie Meinungsäußerung zwischen Konsens und Widerspruch, in: Cesare Mirabell, / Giorgio Feliciani / Carl. G. Fürst j Helmuth Pree (Hg.), Winfried Schulz in memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht (Adnotationes in lus Canonicum 8). Frankfurt a.M. u. a. 1999, 191-207; James A. Coriden, Freedom of Expression in the Church in the Light of Canon 212 (CIC), in: Proceedings of the fifty-seventh Annual Convention. Montréal, Québec October 16-19, 1995. (CLSA Proceedings 57). Washington 1995, 146-165; Schnizer, Helmut, Überlegungen zum normativen Gehalt von c. 212 CIC/1983, in: FS Schmitz, 75-95; Helmuth Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit als Grundrecht des Christen, in: FS Kaiser, 42-85; Ivo Scapolo , Diritto di manifestazione del pensiero nella Chiesa, in: Franco Biffi, (Hg.), I diritti fondamentali della persona umana e la libertà religiosa. Atti del V colloquio giuridico (8-10 marzo 1984). („Utriumque ius". Collectio Pontificiae Universitatis Lateranensis 12). Roma 1985,479-489. 44 Siehe dazu Bruno Primetshofer, Das Recht auf Wort und Sakrament. Ein Grundrecht und seine Verwirklichung, in: Primetshofer Ges.Schr., 199-204; José Maria Diaz Moreno, Los sacramentos corno derecho del fiel, in: Melerò Moreno (ed.), Derecho canònico a los diez afios de la promulgación del Código (Aspectos de la función santificadora de la Iglesia) X I I I Jornadas de la Asociación Espafiola de Canonistas. Madrid, 1 16 abril 1993. Salamanca 1994, 117-166; Carlos Soler, El derecho fundamental a la palabra y los contenidos de la predicación, in: Fidelium Iura 2 (1992) 305-331 ; Agostino Montan, Diritto di ricevere i sacramenti e diritti fondamentali dei Fedeli, in: Biffi (ed.), Diritti fondamentali (Anm. 43), 4 9 1 ^ 9 5 . 45

Siehe dazu Luis Navarro, JE1 derecho de asociación de los fieles y la autoridad eclesiâstica, in: Fidelium Iura 8 (1998) 131-162; ders., El derecho de asociación del Fiel, in: Fidelium Iura 1 (1991) 165-195.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

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Recht auf christliche Erziehung, i) c. 218 das Recht auf Forschungs- und Lehrfreiheit 46 , j) c. 219 das Recht auf freie Wahl des Lebensstandes, k) c. 220 das Recht auf guten Ruf und Schutz der Privatsphäre, worin auch der Schutz der persönlichen Daten inkludiert ist und 1) c. 221 das Recht auf Rechtsschutz47.

2. Ein erster Vergleich mit den Menschenrechts- und Grundrechtskatalogen Der „Grundrechtskatalog" des CIC 1983 enthält durchaus Rechte, die Parallelen zu entsprechenden Menschenrechtsforderungen aufweisen (ζ. B. die Meinungsäußerungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die freie Wahl des Lebensstandes, den Rechtsschutz). Ein Vergleich mit den verschiedenen Menschenrechts- und Grundrechtskatalogen zeigt aber auch, dass der „Grundrechtskatalog" des CIC bedeutend bescheidener ausgefallen ist. Eine aufmerksame Durchsicht des Kodex jedoch wird an vielen anderen Stellen Rechte formuliert finden, die den materialen Charakter von Grundrechten tragen 4 8 So findet man unter den „Pflichten und Rechten der Laien" (cc. 224231) Bestimmungen, die nicht nur auf Laien eingeschränkt werden können, wie das Recht, sich für die Mitwirkung an der Verkündigung des Evangeliums und die Ausübung der apostolischen Tätigkeit die Kenntnis der christlichen Lehre zu erwerben oder das Recht auf theologische Bildung und den Erwerb von akademischen Graden sowie die Befähigung, einen Lehrauftrag in den theologischen Wissenschaften zu erhalten (vgl. c. 229 §§ 1-3). Gleiches gilt für das Recht auf eine angemessen Entlohnung sowie auf Sozial- und Gesundheitsvorsorge kirchlich angestellter Personen (vgl. c. 231 § 2). C. 748 § 2 besagt, dass niemand das Recht hat, „Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen." Aus dem Eherecht sei noch c. 1058 erwähnt, der das Recht auf Ehe festhält. In dem „Grundrechtskatalog" finden sich aber auch Rechte, wie das Recht auf die geistlichen Güter der Kirche, das Recht auf Mitwirkung bei der Ausbreitung des Evangeliums, das Recht auf apostolische Tätigkeit oder auf Wort und Sakrament, die sich nicht in gleicher Weise mit Menschenrechtsforderungen parallelisieren lassen. Es handelt sich hier um sakramental begründete

46

Siehe dazu Marino Mosconi, Commento a un canone. La giusta libertà del teologio (can. 218), in: QDE 11 (1998), 67-85. Sieh dazu Salvatore Berlingò, Il diritto al „processo" (can 221, § 2, C.I.C.) in alcune procedure particolari, in: Fidelium Iura 3 (1993) 339-358; Paolo Moneta, La tutela dei diritti dei fedeli di fronte all'autorità amministrativa, Fidelium Iura 3 (1993) 281— 306. 48

Vgl. dazu Meier, Recht(e) (Anm. 38), 443.

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Rechte, die insbesondere aus Taufe und Firmung hervorgehen und daher auch als spezifische Christen rechte bezeichnet werden, um sie von naturrechtlich begründeten, für alle Menschen geltenden Rechten abzuheben. Es handelt sich hier um Rechte, die zwar von der Kirche vermittelt, aber nicht einfachhin von der kirchlichen Autorität verliehen werden und dieser somit ähnlich wie die Menschenrechte vorgegeben sind. 4 9 Die spezifischen Christen rechte werden mitunter noch weiter differenziert in „Katholikenrechte", d. h. in solche Rechte, die die volle Zugehörigkeit zur katholischen Kirche voraussetzen. 50 Damit w i r d klar, dass die rechtliche Grundstellung des Gläubigen in der Kirche nicht allein aus dem B l i c k w i n k e l der Menschenrechte betrachtet werden kann. 5 1 Ein weiteres M e r k m a l ist, dass nicht nur von Rechten, sondern auch sehr ausgeprägt von Pflichten der Gläubigen die Rede ist, j a dass in der Titelüberschrift die Pflichten an erster Stelle genannt werden, o b w o h l die Tatbestände, die ein Recht formulieren quantitativ überwiegen. 5 2 Allerdings stellen die Rechte vielfach die Kehrseite einer Pflicht dar. Das heißt, das Grundrechtsverständnis des Kodex spiegelt eine Rechtsauffassung wider, die auch in den Stellungnahmen der Kirche zu den Menschen rechten und Grundrechten i m gesellschaftlichen und staatlichen Bereich zu finden ist. Dieses Grundrechtsverständnis betont die Bindung des einzelnen an die Rechtsgemeinschaft, die sich eben auch in Pflichten und nicht nur in Freiheitsrechten äußert, eine Bindung, die gegenüber einer weltanschaulich gebundenen Gemeinschaft, w i e sie die Kirche als Glaubensgemeinschaft darstellt, natürlich stärker ausgeprägt ist als gegenüber dem weltanschaulich neutralen Staat. 5 3 A u c h hier eine Zusammenfassung der Grundpflichten: a) c. 209 spricht von der Pflicht zur Wahrung der kirchlichen Gemeinschaft, b) c. 210 von der Pflicht, ein heiliges Leben zu führen und das Wachstum der Kirche und ihre Heiligung zu fördern, c) c. 212 § 1 von der Gehorsamspflicht gegenüber dem kirchlichen Lehramt, d) c. 222 § 1 von der Beitragspflicht für die materiellen Erfordernisse der Kirche, e) c. 222 § 2 von der Pflicht zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit und zur Armenunterstützung. C. 223 § 1 schließlich nennt allgemeine Grundrechtsschranken, die

49

Peter Krämer, Menschenrechte - Christenrechte. Das neue Kirchenrecht auf dem Prüfstand, in: Ministerium iustitiae. FS Heinemann (60), 169-177, hier 172. 50 Heribert Heinemann, Recht und Rechtsschutz im neuen kirchlichen Gesetzbuch, in: Klaus Ludiche / Hans Paarhammer / Dieter A. Binder, Recht im Dienste der Menschen. Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag. Graz u. a. 1986,331-347,334. 51

Vgl. dazu Lombardia, Grundrechte (Anm. 26), 609.

52

Vgl. Corecco, Katalog (Anm. 37), 206.

53

Vgl. Kaiser, Grundstellung (Anm. 28), 175.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

203

bei der Ausübung der Grundrechte zu berücksichtigen sind, wie das Gemeinwohl der Kirche, die Rechte dritter und die eigenen Pflichten gegenüber der Kirche.

Bevor wir uns einige Grundrechtsforderungen, insbesondere solche, die deutliche Parallelen zu Menschenrechtsforderungen aufweisen, näher ansehen, wenden wir uns c. 208 zu, der von der grundlegenden Gleichheit aller Gläubigen spricht und zugleich für das Verhältnis von Menschenrechten und kirchlicher Rechtsordnung aufschlussreich ist. 3. Die Gleichheit der Gläubigen c. 208 C. 208 lautet: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, in der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken." Auffallend ist hier sofort, dass die Gleichheit nicht mit Blick auf die allgemeine Personenwürde der Menschen begründet wird, sondern im Hinblick auf die aus der Taufe hervorgehende Würde als Christen. Dieser Kanon macht besonders deutlich, dass die Grundstellung der Gläubigen nicht nur aus der Sicht der Menschen rechte betrachtet werden kann. Anders formuliert, die Würde des Gläubigen in der Kirche ist nicht allein in seinem Menschsein, sondern auch und vor allem in seinem Christsein begründet. Der Kanon ist nicht als Gesetz formuliert, sondern als eine theologische Leitaussage, die festhält, was ist und nicht was sein soll. 54 Durch die Aufnahme in den Kodex gewinnt diese Leitaussage an Gewicht und ist aufgrund der Vorschriften zur Gesetzesinterpretation (c. 17) als Interpretationshilfe für gesetzliche Bestimmungen heranzuziehen.55 So ist überall dort, wo eine rechtliche Ungleichheit weder explizit noch implizit angesprochen ist, von einer rechtlichen Gleichheit auszugehen. Der Kanon spricht von einer doppelten Gleichheit, nämlich einer solchen der Würde und einer des Handelns. Gleichheit in der Würde besagt, dass Bischöfe, Priester oder andere Kleriker, aber auch Ordensangehörige nicht ein Mehr an christlicher Würde besitzen als die sogenannten einfachen Gläubigen. 56 Alle

54

Vgl .Norbert Lüdecke, Kanonistische Bemerkungen zur rechtlichen Grundstellung der Frau im CIC/1983, in: Ged.-Schr. Huber, 66-90, hier 68. 55

Vg\. Lüdecke, ebd.

56

Vgl. Aymans, Grundrechte (Anm. 33), 407.

204

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haben in gleicher Weise A n t e i l an den Verheißungen des Erlösungswerkes Christi und alle wirken am gleichen Sendungsauftrag Christi m i t . 5 7 Hinsichtlich dieses Mitwirkens am Sendungsauftrag w i r d jedoch darauf hingewiesen, dass dies von den Gläubigen nicht in gleicher Weise getan w i r d , sondern „secundum propriam condicionem", d. h. gemäß der jeweiligen persönlichen Stellung. Diese persönliche Stellung ergibt sich „ z u m einen aus unterschiedlichen faktischen persönlichen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Lebensverhältnissen und zum anderen aus der jeweiligen Rechtsstellung" 5 8 , die ein Gläubiger b z w . eine Gläubige innerhalb der Kirche einnimmt. Der Kanon hält also fest, dass es i m Bereich der Tätigkeit eine institutionell-rechtliche Ungleichheit gibt. Die bedeutendste institutionelle Ungleichheit ist w o h l die Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien, die es laut c. 207 § 1 aufgrund göttlicher A n w e i s u n g in der Kirche gibt. Diese institutionell-rechtliche Ungleichheit ist demnach eine theologisch bedingte. Selbst wenn die Laien materiell-inhaltlich gesehen nicht an einem anderen Sendungsauftrag Christi mitwirken wie die Kleriker, so ist doch deren Teilhabe an der Sendung Christi nicht nur graduell, sondern essentiell von der Teilhabe der Laien unterschieden, was vor allem in der Vollmachtsfrage seinen Niederschlag findet. 5 9 Dies ist in der Diskussion um eine Demokratisierung der Kirche zu beachten. Dennoch ist festzuhalten, dass die M i t w i r k u n g der Laien am Sendungsauftrag die gleiche Wertschätzung verdient w i e die der Kleriker, w e i l auch diese M i t w i r k u n g , wie das K o n z i l verdeutlichte, 6 0 v o m selben Geist Gottes getragen ist. In der Kirche gibt es aber nicht nur die rechtlich relevante Unterscheidung von Kleriker und Laien. Das Kirchenrecht kennt auch eine rechtlich relevante Unterscheidung von Mann und Frau. Trotz der ebenfalls für die Frau geltenden Gleichheit in der Würde und in der Tätigkeit sind die Umsetzungsmöglichkeiten der M i t w i r k u n g der Frau am Sendungsauftrag der Kirche i m Vergleich zum Manne rechtlich deutlich eingeschränkter, selbst wenn der Kodex der Frau eine Fülle von Mitwirkungsmöglichkeiten offenhält. 6 1 So bestimmt c. 1024: „Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter M a n n . " Papst Johannes Paul II.

57

Vgl. Vatll LG 32 f.

58 5 9 Vgl.Lüdecke,

Bemerkungen (Anm. 54), 71. Vgl .Heinrich J. F. Reinhardt, c. 207, Rdnr. 5, in: M K CIC (Stand: Oktober 1987).

60 61

Vgl .Lüdecke, Bemerkungen (Anm. 54), 72; Vatll LG 32.

Zu diesen Möglichkeiten der Frau siehe im einzelnen Konrad Breitsching, Möglichkeiten der Teilhabe der Frau an der kirchlichen Sendung nach dem CIC 1983, in: ZKTh 118 (1996) FS Mühlsteiger (70), 205-221.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

205

hat darüber hinaus in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis" vom 22. Mai 1994 erklärt, „daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben". 62 Diese Unfähigkeit der Frau zum Empfang der Priester- und Bischofsweihe konkretisiert sich in einer Reihe von der Frau nicht erfüllbaren rechtlichen Möglichkeiten, ζ. B. die Ausübung bindender Lehrverkündigung, die Übernahme von Vorsteher- oder Grundämtern (Papst, Bischof, Pfarrer, Diakon) und von Ämtern, die die volle Seelsorge umfassen, um nur einiges zu nennen.63 Darüber hinaus können nur männliche Laien auf Dauer für die Dienste des Lektors und des Akolythen bestellt werden (c. 230 5 1). Zusammenfassend kann man sagen, dass das Kirchenrecht neben der Unterscheidung von Klerikern und Laien ausdrücklich eine geschlechtsspezifische Rechtsungleichheit kennt, die dazu führt, dass Frauen in der Kirche weniger Rechte haben als Männer. Diese Rechtsstellung der Frau, die eine Konsequenz der authentischen Lehre der kirchlichen Geschlechteranthropologie darstellt, sieht sich heute großer Akzeptanzschwierigkeiten gegenüber. 64 Norbert Lüdekke bringt die gegenwärtige Situation auf den Punkt, wenn er schreibt: „Auf Dauer stabilisiert werden kann das Verhältnis der Frau zur katholischen Kirche nur, wenn es gelingt, die lehramtliche Position und ihre rechtlichen Konsequenzen so zu vermitteln, daß sich die Frauen ihrer in rechtlicher Hinsicht untergeordneten Stellung bewußt sind und sie nicht als Widerspruch zu ihrer den Männern gleichen Würde, sondern als Verwirklichung ihrer spezifischen weiblichen Eigenart und kirchlichen Berufung verstehen." 65 Es sei hier noch auf Vatll LG 32 verwiesen, wo das Konzil über die gottgewirkte Verschiedenheit in den kirchlichen Diensten im Zusammenhang mit der in c. 208 beschriebenen Gleichheit spricht. Dort findet sich nämlich die Aussage, dass es in Christus und der Kirche keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht gibt. Diese Formu-

62 Johannes Paul II., Ap. Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis" v. 22. Mai 1994, in: AAS 86 (1994) 545-548, Nr. 4, hier 548. Siehe auch SC DocFid, Declaratio „Inter insigniores" v. 15. 12. 1976, in: AAS 69 (1977) 98^116. Beide dt. in: VApSt, H. 117; MedhardKehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg 3 1994,450-459. 63

Ausführlicher dazu Lüdecke, Bemerkungen (Anm. 54), 81-85.

64

V g l . d e c i t e , ebd., 89.

65

Lüdecke, ebd., 89. Lüdecke sieht hierin sogar eine Überlebensfrage der Kirche. Vgl. ebd., 90. Siehe auch Kehl, Kirche (Anm. 62), 221. Zur Problematik der Akzeptanz siehe weiters Dieter Emeis, Leben mit Weihemangel (I), in: AnzSS (2000), 51-59, hier, 57 f.

206

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lierung wurde zwar nicht in den Kodex übernommen, verliert aber dadurch nicht seine G ü l t i g k e i t 6 6 D. h. eine rechtliche Ungleichbehandlung der Frau ist nur dort gerechtfertigt, wo sich das theologisch begründen lässt. Hinsichtlich des Ausschlusses der Frau v o m dauerhaften Lektoren- oder Akolythendienst scheint dies jedoch fraglich. 6 7 Bezüglich des Diankonats der Frau ist theologisch und auch lehramtlich noch nicht das letzte Wort gesprochen. 68 Insgesamt kann aber gesagt werden, dass bis auf die genannten Einschränkungen i m Kodex die rechtliche Gleichstellung der Frau gegenüber dem männlichen Laien weitgehendst vollzogen worden ist. 6 9

4. Die Religionsfreiheit

als innerkirchliches

Recht

Artikel 18 der A E M R hat die Gewissens- und Religionsfreiheit zum Inhalt: ,Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden." 7 0 Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich mit der Frage der Religionsfreiheit eingehend beschäftigt und der kirchlichen wie außerkirchlichen Nachwelt ein bedeutendes Dokument zu diesem Thema, die Erklärung über die Religionsfreiheit dignitatis humanae"(yatll D H ) , hinterlassen. 71 M i t diesem Dokument

66

Vgl .Heinrich J. F. Reinhardt, c. 208, Rdnr. 2, in: MK CIC.

67

Vgl. Krämer, Mensche η rechte (Anm. 49), 175.

68

In der Diskussion wäre zu berücksichtigen, dass die Frage nicht im Rahmen der Grundrechtsdiskussion gelöst werden kann, weil es in der Kirche grundsätzlich kein Anrecht auf Weihe gibt, auch nicht für den Mann. Vgl .Krämer, ebd., 175, Emeis, Weihemangel (Anm. 65), 56. Es geht hier also eher um eine theologische als um eine rechtliche Frage. 69 Vgl. Hubert Müller, Zur Frage nach der Stellung des Laien im CIC/1983, in: FS Heinemann (60), 203-216, hier 208.

70

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen, v. 10. 12.1948, in: Bruno Simma /Ulrich Fastenrath (Hg.), Menschenrechte. Ihr internationaler Schutz. 2 1992,5-10, hier 8. 71 Siehe dazu Johannes Mühlsteiger, Glaubens- und Religionsfreiheit, in: GrNKirchR, 435^440; Thomas A. Weitz, Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (DiKa 14). St. Ottilien 1997; Giuseppe M. Siviero, La libertà religiosa dalla Dignitatis humanae ai nostri giorni, in: QDE 11 (1998), 244-265, besonders 251259.

Menschen rechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

207

wurde wohl endgültig die kirchliche Position des 19. Jahrhunderts in dieser Frage überwunden, die anderen Konfessionen und Religionen nicht mehr als eine bloße Duldung entgegenzubringen vermochte. 72 In Vatll DH wird die Religionsfreiheit als ein universales Menschenrecht anerkannt und somit allen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften zugesprochen. Ja die Kirche sieht es heute sogar als ihre Pflicht an, sich für den Schutz der Religionsfreiheit anderer Religionsgemeinschaften einzusetzen, ein Engagement, das früher undenkbar gewesen wäre. 73 Wenn Vatll DH auch primär die Verwirklichung der Religionsfreiheit in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit im Auge hat, so sind seine Aussagen nicht ohne jede Bedeutung für die kirchliche Rechtsordnung. Vatll DH versteht unter Religionsfreiheit die Freiheit von jedem Zwang in religiösen Belangen, d. h. es darf niemand in religiösen Dingen von welcher Instanz auch immer gezwungen werden, weder gegen noch gemäß seinem Gewissen zu handeln, sowohl, was die Annahme einer religiösen Überzeugung als auch, was deren Beibehaltung betrifft (vgl. Vatll DH 2 u. 3). Echte Religiosität lässt sich nach diesem Dokument nur unter der Voraussetzung der Freiheit realisieren. Religiöse Akte können wegen ihrer primären Innerlichkeit letztlich weder befohlen noch verhindert werden (vgl. Vatll DH 3). Diese Auffassung wird in Übereinstimmung mit der katholischen Lehre von der Freiheit des Glaubensaktes gesehen, wonach kein Mensch zur Annahme des Glaubens gezwungen werden darf (vgl. Vatll DH 10). „Es entspricht also völlig der Wesensart des Glaubens, daß in religiösen Dingen jede Art von Zwang von sehen der Menschen ausgeschlossen ist", so das Konzil wörtlich (Vatll DH 10). Begründet wird die Religionsfreiheit in der Lehre von der Würde des Menschen als Person, die, weil in der Offenbarung verwurzelt, von Christen um so

72

Nach dieser Position durfte der Staat, falls die Katholiken in ihm die Mehrheit innehatten, anderen Religionsgemeinschaften nur aus Gründen des Gemeinwohls, ζ. B. um des Friedens willen, eine Toleranz einräumen. War hingegen die katholische Kirche in der Minderheit, so hatte der Staat Religionsfreiheit zu gewähren. Es darf wohl nicht verwundern, dass der Kirche in der Frage der Religionsfreiheit sehr bald der Vorwurf des zweierlei Maßes gemacht wurde. Vgl. dazu Isensee, Freiheit (Anm. 6), 318, Ti

Hans Heimerl spricht im Hinblick auf diese neue Sicht der Religionsfreiheit des Konzils von einer „kopernikanischen Wende". Vgl. Heimerl, Menschenrechte (Anm. 18), 23. Vgl. auch Heinrich J. F. Reinhardt, Religionsfreiheit aus kanonistischer Sicht, in: Klaus Lüdicke /Hans Paarhammer / Dieter A. Binder (Hg.), Neue Positionen des Kirchenrechts, 181-201, hier 181.

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gewissenhafter beobachtet werden muss (vgl. V a t l l D H 9 ) . 7 4 Die Internationale Theologische Kommission hat i m Zusammenhang mit der Religionsfreiheit von einem fundamentalen

Recht gesprochen, das niemals abgeschafft

werden

kann. 7 5 Es ist schwer vorstellbar, dass solche Auffassungen keine rechtsgestaltende W i r k u n g in der kirchlichen Rechtsordnung haben sollten. So finden sich auch i m gegenwärtigen Kodex Bestimmungen, die auf dem Hintergrund der Religionsfreiheit b z w . der Lehre von der Freiheit des Glaubensaktes zu sehen sind. C. 748 § 2 7 6 hält fest, dass niemand zur Glaubensannahme gezwungen werden darf, selbst wenn gemäß § 1 desselben Kanons für alle Menschen die sittliche 7 7 Pflicht besteht, in den Fragen, die Gott und seine Kirche betreffen, die Wahrheit zu suchen. C. 214 spricht jedem Gläubigen das Recht zu, „der eigenen Form des geistlichen Lebens zu folgen". „Der Kodex garantiert damit einerseits eine Vielfalt des spirituellen Lebens in der Kirche, andererseits hält er mit dieser Bestimm u n g zugleich fest, daß der Bereich des spirituellen Lebens einer umfassenden rechtlichen Regelung nicht zugänglich, sondern primär der freien Entscheidung und Verantwortung des einzelnen zugewiesen ist. Seine Grenze findet dieser spirituelle Pluralismus daher nur an der Lehre der Kirche (vgl. c. 214) und an der Forderung, i m eigenen Verhalten immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren ( v g l . c. 209 § 1). Es darf also niemandem eine bestimmte spirituelle Ausrichtung aufgezwungen oder jemand von einer bestimmten Form abgehalten w e r d e n . " 7 8

74

Vgl. auch Heribert Schützeichel, Freiheit und Glaube, in: TThZ 90 (1981) 177189, hier 181. 75

Vgl. Über die Würde und die Rechte der menschlichen Person. Dokument der Internationalen Theologischen Kommission, in: IKZ Communio 15 (1986) 256-270, hier 257. 76

Vgl. dazu Pierantonio Ravanello, Rilevanza del principio della libertà religiosa all'interno dell'ordinamento canonico, in: QDE 11 (1998) 267-283, besonders 268-271. 77

Vgl. Peter Krämer, Kirchenrecht I, Wort - Sakrament - Charisma (Kohlhammer Studienbücher Theologie 24,1). Stuttgart 1992, 39. Reinhardt, Religionsfreiheit (Anm. 73), 185, sieht allerdings in der Formulierung „vi legis divinae" in c. 748 § 1 mehr als eine bloß moralische Verpflichtung angedeutet. 78 Konrad Breitsching, Kanonisches Recht und Spiritualität, in: Christian Kanzian (Hg.), Gott in allen Dingen finden. Theologie und Spiritualität (theologische Trends 7). Thaur 1998, 36-48, hier 38. Klerikern wird darüber hinaus eine am Zölibat orientierte spirituelle Lebensform vorgeschrieben (vgl. c. 277 § 1). „Das Recht auf eigene Form des geistlichen Lebens ist weitreichend und beinhaltet jeglichen Ausdruck des Glaubens..."

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

209

Problematisch wird es, wenn ein Mitglied der katholischen Kirche, vor allem ein Theologe oder eine Theologin, mit dem Lehramt in Konflikt kommt. Inwieweit ist es in einer solchen Situation berechtigt, sich auf die Gewissens- und Religionsfreiheit zu berufen? Es wurde vorhin schon erwähnt, dass zwischen den Gliedern der Kirche als Glaubensgemeinschaft eine stärkere Bindung besteht als zwischen den Bürgern und der staatlichen Gemeinschaft. Die Bewahrung des Glaubens gehört wesentlich zum Sendungsauftrag der ganzen Kirche, insbesondere des Lehramtes. 79 Die Kirche kann darum dem Glauben ihrer Mitglieder nicht neutral gegenüberstehen. 80 So werden die Bischöfe in c.386 § 2 dazu aufgefordert, die Unversehrtheit und Einheit des Glaubens mit ihnen geeignet erscheinenden Mitteln entschlossen zu schützen, allerdings unter Anerkennung einer gerechten Forschungsfreiheit. 81 Bereits c. 218, der den Theologen und Theologinnen eine gebührende Freiheit der Forschung und klugen Meinungsäußerung in den Bereichen zusichert, 82 in denen sie über Sachkenntnis verfügen, spricht vom schuldigen Gehorsam gegenüber dem Lehramt. In solchen Konfliktsituationen darf selbstverständlich der oder die Betreffende nicht zu einer Umkehr gezwungen werden. Die Kirche darf in solchen Fällen grundsätzlich nur solche Maßnahmen ergreifen, die dem Geist des Evangeliums nicht widersprechen. 83 Deshalb wäre die Anregung von Heribert Schmitz, eine Bestimmung in den Kodex aufzunehmen, der jede Form von Zwang hinsichtlich der Glaubensbewahrung ausschließt, sehr sinnvoll gewesen.84 So ist in der Regel zunächst das

Aymans / Mörsdorf KanR II, 99. Vgl. auch Heinrich J. F. Reinhardt, c. 214 Rdnr. 5, in: M K CIC (Stand: Oktober 1987). 79 80

Vgl. Mosconi, Libertà (Anm. 46), 67.

Vgl. Krämer, Menschen rechte (Anm. 49), 171. Unter dem Blickwinkel des Sendungsauftrages der Kirche kann insofern auch von einer Rechtspflicht aller Gläubigen zur Wahrung der Gemeinschaft im Glauben gesprochen werden. Siehe dazu Carlos J. Errâzuriz M., Eiste un diritto di liberta religiosa del fedele all'interno della Chiesa?, in: Fidelium Iura 3 (1993) 79-99, hier 81-85. Siehe auch Mosconi, Libertà (Anm. 46), 84. 81 Zum Begriff der theologischen Forschungsfreiheit siehe Congr. DocFid, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen, v. 24. 05. 1990 (VApSt 98), Nr. 11 f., S.9. 82 Siehe dazu auch Vatll GS 62. 83

Vgl .Krämer, ebd., 172; Hubert Müller, Freiheit in der kirchlichen Rechtsordnung? Die Frage nach individueller und gemeinschaftlicher Verwirklichung von Freiheit im kanonischen Recht. Heinrich Flatten zur Vollendung des 75. Lebensjahres, in: AfkKR 150 (1981) 445-476, hier 466. Siehe Heribert Schmitz, Glaubens- und Bekenntnispflicht, in: GrNKirchR, 438440, hier 439. Aus dieser zusätzlichen Bestimmung könnte aber kein Recht auf Dissens 16 FS Mühlsteiger

210

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seelsorgliche und geschwisterliche Gespräch, die correctio fraterna, aber auch eine private oder öffentliche Disputation anzuwenden, bevor auf förmliche Verfahren und rechtliche Mittel zurückgegriffen wird. 8 5 Bleiben jedoch diese Wege erfolglos, so kann die kirchliche Autorität um der Bewahrung der Authentizität und Identität des Glaubens und des Schutzes der Glaubensgemeinschaft willen nicht auf rechtliche Schritte verzichten, was für den Betroffenen eine Einschränkung seines innerkirchlichen Rechtsstatus zur Folge hat. 86 Da die Verurteilung einer Lehrmeinung für den Betroffenen oder die Betroffene einschneidende Folgen hat, wie Veröffentlichungsverbot, Schweigepflicht, Entzug der Lehrerlaubnis usw., hat die Untersuchung einer möglichen Lehrabweichung mit äußerster Sorgfalt vor sich zu gehen. Diesem Anliegen versucht die neue Ordnung des Lehrprüfungsverfahrens bei der Glaubenskongregation 87 Rechnung zu tragen, das nun stärker die Rechte des Autors schützt als die vorausgehenden Verfahren. 88

abgeleitet werden. Zur Problematik des Dissenses siehe Congr. DocFid, (Anm. 81), Nrn. 32-41, S. 17-23.

Instruktion

85

Vgl. Heinrich Mussinghoff, c. 784, Rdnr. 5, in: M K CIC (Stand: März 1987). Siehe dazu auch Internationale Theologenkommission, Thesen über das Verhältnis von kirchlichem Lehramt und Theologen zueinander. Sitzung vom 25. 09. bis 01. 10. 1975, in: Theologie und Kirche. Dokumentation, 31. 03. 1991 (Arbeitshilfen 86), 42-49, hier 48 f.: These 12. 86

Vgl. Erràzaruiz , Liberta religiosa (Anm. 80), 93.

87

Congr. DocFid, Agendi ratio in doctrinarum examine ν. 29. 6. 1997, in: AAS 89 (1997) 830-835; dt. in: OssRom (dt.) Nr. 36 vom 05. 09. 1997, 8. Zur gegenwärtigen Situation der theologischen Lehrfreiheit siehe auch Johannes Paul II., MP „Ad tuendam fidem" v. 18. Mai 1998, in: AAS 90 (1998) 457-461. Siehe dazu Gerhard Luf, Kirchliches Lehramt und Theologie. Zur Verschärfung lehramtlicher Gehorsamsansprüche gegenüber den Theologen durch das Motu Proprio „Ad tuendam fidem", in: ÖAKR 45 (1998) 14-29. Im Anhang findet sich die dt. Übers, des MP. Vgl. auch Severin Lederhilger, Gibt es ein Recht auf Dissens in der Kirche? Zur Meinungsfreiheit kirchlicher Amtsträger und zum neuen Lehrbeanstandungsverfahren, in: ÖAKR 44 (1995-97) FS H. Schwendenwein, 115-141. 88

Zum Lehrprüfungsverfahren siehe Johann Hirnsperger, Das Lehrprüfungsverfahren bei der Kongregation für die Glaubenslehre. Kirchenrechtliche Überlegungen zur neuesten Rechtsentwicklung, in: Gnade und Recht (Anm. 38), 329-343; Heribert Heinemann , Der Schutz der Glaubens- und Sittenlehre, in: HdbKathKR 2 , 708-721, hier 715-718.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

211

5. Der kirchliche Rechtsschutz 89 Ein Menschenrecht von besonderer Bedeutung stellt das Recht auf wirksamen Rechtsschutz dar. Es besagt, dass jeder bzw. jede den Anspruch hat, seine verletzten Rechte bei den zuständigen Gerichten einzuklagen ( A E M R A r t . 8 ) 9 0 . Ebenso gehört dazu der Anspruch auf ein Urteil, das in einem der Billigkeit entsprechendem und öffentlichen Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gefällt w i r d , weiters die Unschuldsvermutung sowie der Grundsatz „nulla poena sine lege" ( A E M R A r t . 10 u. I I ) 9 1 . In wieweit sind diese Forderungen in der kirchlichen Rechtsordnung verwirklicht? C. 221 § 1 hält fest, dass die Gläubigen das Recht haben, die ihnen in der Kirche zustehenden Rechte rechtmäßig geltend zu machen und sie bei den zuständigen kirchlichen Instanzen nach Maßgabe des Rechts zu verteidigen; § 2 sichert das Recht auf ein den Rechtsvorschriften und der Billigkeit entsprechendes Urteil und § 3 räumt schließlich das Recht ein, dass kanonische Strafen nur nach der N o r m des Gesetzes verhängt werden dürfen. Der kirchliche Rechtsschutz erstreckt sich nicht nur auf die i m Grundrechtskatalog enthaltenen Rechte, sondern erfasst alle Rechte, die den Gläubigen in der Kirche zukomm e n . 9 2 C. 1491 besagt darüber hinaus, dass grundsätzlich jedes Recht durch Klage und Einrede geschützt ist. Das kirchliche Recht kennt sowohl das ordentliche Gerichtsverfahren als auch ein Verwaltungsgerichtsverfahren, wobei letzteres für die Klärung von sich aus Verwaltungsmaßnahmen ergebenden Streitigkeiten zuständig ist (c. 1400, §§ 1. u. 2). Allerdings ist diese Verwaltungsgerichtsbarkeit derzeit nur auf der Ebene des Apostolischen Stuhles verwirklicht, w o die 2. Sektion der Apostolischen Signatur gegenüber den definitiven Verwaltungsentscheiden der röm. Kongregationen als Verwaltungsgericht fungiert. 9 3 Das Vorhaben der Kodexreformkommission, auch auf teilkirchlicher Ebene Verwaltungsgerichte

89

Siehe zum Ganzen Meier, (Anm. 50), 331-347. 90 Vgl. AEMR (Anm. 70), 6 91

Recht(e) (Anm. 38); Heinemann,

Rechtsschutz

Vgl. ebd. 6 f.

92

Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, c. 221, Rdnr. 2, in: M K CIC (Stand: Oktober 1987); Wilhem Rees, Bestrafung ohne Strafgesetz. Die strafrechtliche Generalklausel des c. 1399 des Codex Iuris Canonici, in: FS Schmitz, 373-394, hier 375. 93

Hinsichtlich der Kompetenzen dieser Sektion siehe Johannes Paul II., Apost.Konst. „Pastor Bonus" vom 28. Juni 1988, in: AAS 80 (1988) 841-924, Art. 123. Vgl. dazu Meier, Recht(e) (Anm. 38), 465 f.; Zenon Grocholewski, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Apostolischen Signatur, in: ÖAKR 40 (1991), 3-22.

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zur Kontrolle der Verwaltungsakte der bischöflichen Behörden zu errichten, 94 wurde bedauerlicherweise nicht umgesetzt.95 So verbleibt auf teilkirchlicher Ebene vorerst nur der hierarchische Rekurs (cc. 1732-1739) gegen eine als Unrecht empfundene Verwaltungsmaßnahme, d. h. die Beschwerde bei der übergeordneten kirchlichen Autorität, konkret beim Apostolischen Stuhl. 96 Erst gegen die Entscheidung der zuständigen Kongregation besteht dann die Möglichkeit, sich an die 2. Sektion der Apostolischen Signatur zu wenden. 97 Dabei wäre der verwaltungsgerichtliche Prozessweg für die kirchliche Rechtsordnung kein Fremdkörper gewesen, sondern die Wiederbelebung einer alten kirchlichen Einrichtung, die gegenüber der Anonymität des hierarchischen Rekurses, insbesondere durch die Möglichkeit der Akteneinsicht, mehr Transparenz bedeutet hätte. 98 Der kirchliche Rechtsschutz ist im Verfahrensbereich also noch ausbaufähig und sollte im Sinne eines klaren Bekenntnisses zu diesem Recht auch ausgebaut werden. 99 Letztlich verlangt die Achtung vor der unantastbaren Würde des Menschen aber auch vor der Würde des Christen einen effektiven Rechtsschutz. 100 Darüber hinaus kennt das kirchliche Strafrecht keine Unschuldsvermutung. Es geht vielmehr davon aus, dass bei einer äußeren Verletzung eines Gesetzes oder Verwaltungsbefehls auf sehen des Täters die Bedingungen einer Straftat,

94

Vgl. dazu Heinemann, Rechtsschutz (Anm. 50), 338; Meier, Recht(e) (Anm. 38), 450 ff. 95

„Der ursprüngliche Plan der Codexreformkommission...scheiterte am Widerspruch vieler Bischöfe, die sich außerstande sahen, die organisatorischen, finanziellen und personellen Voraussetzungen für den Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu schaffen." Meier, Recht(e) (Anm. 38), 445 f. Eine Zusammenstellung weiterer Bedenken die Errichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit betreffend mit kritischen Anmerkungen findet sich bei Heribert Schmitz, Wertungen des Codex Iuris Canonici, AfkKR 154 (1985) 19-57, hier 47 f. Vgl.Heinemann, Rechtsschutz (Anm. 50), 340 f. 97

W^. Paolo Moneta, La tutela dei diritti dei fedeli di fronte all'autorità amministrativa, in: Fidelium Iura 3 (1993) 281-306, hier 303; Georg May, Grundfragen kirchlicher Gerichtsbarkeit, in: HdbkathKR 1 . Regensburg 1983, 953-961, 960; Schmitz, Wertungen (Anm. 95), 47. 98

Vgl. Heinemann, Rechtsschutz (Anm. 50), 340 f.

99

Vgl .Puza, Menschenrechte (Anm. 19), 167.

100

Vgl. Heribert Schmitz, Möglichkeit und Gestalt einer kirchlichen Gerichtsbarkeit über die Verwaltung, in: AfkKR 135 (1966) 18-38,26.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

213

nämlich Vorsatz oder Fahrlässigkeit, 1 0 1 erfüllt sind (vgl. c. 1321 § 3 ) . 1 0 2 In der Kanonistik w i r d dies damit begründet, dass die Wirksamkeit des kirchlichen Strafrechtes darunter leiden würde, wenn die Beweislast beim Richter läge. Dieser ist allerdings von A m t s wegen verpflichtet, alle Schuldausschließungsgründe und -milderungsgründe zu prüfen. 1 0 3 Nichts desto trotz scheint mir diese Bestimmung mit der Achtung der Menschenwürde, aber auch mit der Christenwürde, nicht vereinbar zu sein und sollte daher aus dem Kodex gestrichen werden. C. 221 § 3 erwähnt, w i e bereits gesagt, das Recht der Gläubigen, nur nach der N o r m des Gesetzes mit Strafen beschwert zu werden. Jeder w i r d hier wahrscheinlich sofort an den Grundsatz „nulla poena sine lege" denken, der heute eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit bedeutet. Ist dieser Grundsatz in der Formulierung des c. 221 § 3 angesprochen? Dies w i r d man zunächst zugeben müssen. Doch kennt das kirchliche Strafrecht in c. 1399 eine Generalnorm, die nicht anders als eine Durchbrechung dieses Grundsatzes interpretiert werden k a n n . 1 0 4 C. 1399 besagt nämlich, dass bei einer Gesetzesübertretung auch ohne entsprechendes Strafgesetz eine Bestrafung möglich ist, allerdings nur dann, wenn die

101 Zur Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit als subjektive Bedingungen der Straftat siehe Reinhold Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentierung zu den Kanones 1311-1399 des Codex Iuris Canonici. Frankfurt a. M. 1992,49 f. 102 „Nicht das Gericht braucht dem Täter zu beweisen, daß der die Tat vorsätzlich (bzw. fahrlässig) begangen hat; wenn er geltend machen will, daß kein Vorsatz (bzw. Fahrlässigkeit) vorlag, so trifft ihn die Beweislast." Hugo Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht. Gesamtdarstellung. Graz 2 1984, 452. Ähnlich Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht - dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (KStuT 41). Berlin 1993, 380; Albin Eser, Strafrecht in Staat und Kirche. Eine vergleichende Beobachtung, in: Dieter Schwab ! Dieter Giesen / Joseph Listi ! Hans-Wolfgang Strätz (Hg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat. Berlin 1989, 493513, 506. Allerdings wird auch die Meinung vertreten, dass, weil anders als in c. 2200 CIC 1917 explizit nur mehr von „imputabilitas praesumitur" die Rede ist, im Falle des Vorsatzes die Beweislast beim Richter liege. Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1321, Rdnr. 17, in: M K CIC (Stand: November 1992); Audomar Scheuermann, Zum Strafrecht des CIC/1983, in: FS May, 203-210, 207. Zur Interpretationsproblematik des c. 1321 § 3 siehe Helmuth Pree, Imputabilitas - Erwägungen zum Schuldbegriff des kanonischen Strafrechts, in: ÖAKR 38 (1989), 226-243, hier 238 f. 103 Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 102), 380. 1

Vgl. dazu Rees, Bestrafung (Anm. 92), 381; Bruno Primetshofer, Vom Geist des Codex Iuris Canonici 1983, in: Primetshofer, Ges.Schr., 203-224, hier 223.

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Schwere der Gesetzesverletzung oder die Notwendigkeit, eventuellen mit der Gesetzesübertretung verbundenen Ärgernissen zuvorzukommen oder sie zu beheben, eine Bestrafung geradezu fordert. Dieser Kanon ist in der Kanonistik (und nicht nur in ihr) durchaus nicht unumstritten 1 0 5 und war es auch nicht in der für das Strafrecht zuständigen Studiengruppe der Kodexreformkommission. 1 0 6 Das Unbehagen konzentriert sich v o r allem auf den Punkt, dass die Bestrafung hier ganz i m Ermessen des kirchlichen Richters liegt und sich daher der Gefahr der W i l l k ü r nicht v ö l l i g erwehren kann. Gerade ein an den Menschen rechten orientiertes Rechtsempfinden w i r d hier seine Bedenken anmelden. Es ist zweifellos richtig, dass der spezifische Charakter der Kirche als Heilsund Glaubensgemeinschaft Angriffsflächen bietet, die von vornherein nicht alle kalkulierbar sind und dass sich die Kirche auch vor unvorhergesehenen schwerwiegenden Rechtsverletzungen um ihrer Identität und Glaubwürdigkeit w i l l e n schützen m u s s . 1 0 7 Es ist aber auch richtig, dass die kirchliche Rechtsordnung nicht nur i m Dienste der Bewahrung der Identität der Kirche und der Einheit des Glaubensbekenntnisses steht, sondern auch i m Dienste der Rechte der Gläubigen, weshalb das Prinzip der Rechtssicherheit nicht allzu sehr eingeschränkt werden darf. Jedenfalls löst diese N o r m auf dem Hintergrund der modernen Rechtskultur einiges Befremden aus, 1 0 8 wenn auch zugegeben werden muss, dass der Spielraum des Richters i m Falle des c. 1399 durchaus sehr eingeschränkt i s t . 1 0 9 I m Sinne eines effektiven Bekenntnisses zu den Menschenrechten sollte auf diese Generalnorm verzichtet w e r d e n . 1 1 0 U m schwerwiegenden Rechtsverletzungen angemessen entgegenwirken zu können, verfügt das kirchliche Strafrecht ohnedies über das Instrument des Strafbefehls. 1 1 1 M i t einem Strafbefehl kann jederzeit ein schweres Vergehen unter Strafandrohung verboten werden. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass sich durchaus

105

Einen Überblick über diese Kritik bietet Rees, Bestrafung (Anm. 92), 385 f.

106

Siehe dazu, Klaus Ludiche , c. 1399, Rdnrn. 1 u. 3 f., in: M K CIC (Stand: Nov.

1993). 107

Vgl. Richard A. Strigi , Die einzelnen Straftaten, in: HdbkathKR 1 , 941-950, hier

948. 108

Vgl. Eser, Strafrecht (Anm. 102), 510 f.

109

Vgl. dazu Roberto Gottero, La „norma generale" del diritto penale canonico (can. 1399), in: QDE 10 (1997), 343-354, hier 344 f. Vgl. Primetshofer, Geist (Anm. 104), 224. Dass die kirchliche Rechtsordnung auch ohne eine solche Generalnorm auskommt beweist der CCEO, der keine derartige Bestimmung enthält. Vgl. dazu Gottero, Norma (Anm. 109), 354. 111

Vgl. Lüdicke y (Anm. 106), Rdnrn. 2 u. 4.; Gottero, Norma (Anm. 109), 353

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ernstzunehmende Gründe für die N o r m des c. 1399 finden lassen. 1 1 2 Dies verdeutlicht zugleich, dass die innerkirchliche Umsetzung der Menschenrechtsforderungen nicht ausschließlich die innerstaatliche zum Maßstab nehmen kann. Letztes Kriterium muss das theologisch begründete Wesen der Kirche sein.

6. Kirchliche Mitbestimmung A r t i k e l 21 der A E M R 1 1 3 hält das Recht auf Teilnahme jedes Menschen an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten des eigenen Landes, und zwar unmittelbar oder durch gewählte Vertreter, fest. Ebenso besteht das Recht eines jeden Menschen auf Zulassung zu den öffentlichen Ämtern des eigenen Landes. Schließlich w i r d festgestellt, dass die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt i m W i l l e n des Volkes liegt, einem W i l l e n , der durch periodische freie und geheime Wahlen zum Ausdruck zu bringen ist. Ein Vergleich mit der Organisation der öffentlichen kirchlichen Leitung w i r d hier w o h l die gravierendsten Abweichungen feststellen können. Gemäß c. 377 § 1 ernennt der Papst die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten. Freie Ernennung bedeutet, dass der Papst bei der Bestellung eines Bischofs nicht auf Mitwirkungsrechte Dritter Rücksicht nehmen muss. Ein solches Mitwirkungsrecht besteht i m zweiten Fall, w o es um die Bestätigung eines rechtmäßig Gewählten geht. Hier kommt die Designation des Kandidaten einem Wahlkörper zu und der Papst ist in so einem Fall verpflichtet, dem Gewählten das A m t zu übertragen, falls er die v o m Recht vorgesehenen Qualifikationen für das Bischofsamt mitbringt. Die Bischofswahl spielt jedoch derzeit eine untergeordnete Rolle und fällt kaum ins Gewicht, was sich auch darin zeigt, dass der Kodex keine speziellen Regeln für die Bischofswahl enthält. Das Bischofswahlrecht ist ausschließlich i m Konkordatsrecht geregelt und ist auch hier nur auf sehr kleine Wahlkörper, die Domkapitel, beschränkt. 1 1 4 Darüber hinaus sind die Wahlmöglichkeiten mitunter sehr einge-

112

Siehe ζ. B. den Begründungsversuch bei Rees, Bestrafung (Anm. 92), 387-394. Siehe auch die Zusammenstellung von Pro-Argumenten bei Gottero, Norma (Anm. 109), 348 f. Zu einem möglichen Anwendungsfall des Kanons siehe Günter Haas, „Qui abortum procurât..." Täterschaft bei c. 1398 CIC und Enzyklika „Evangelium vitae", in: AfkKR 164 (1995) 4 3 7 ^ 4 6 , hier 444 ff. 113 Vgl. AEMR (Anm. 70), 8. Vgl. dazu Bruno Primetshofer, Die Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, in: ZkTh 118 (1996) FS Johannes Mühlsteiger (70), 169186 (neu abgedr., in: Primetshofer, Ges. Sehr., 425-446; Aymans/Mörsdorf, KanR II, 330 f.

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schränkt: Auswahl aus einer von R o m erstellten Dreierliste ( ζ . B . in der Erzdiözese Salzburg 1 1 5 ). Die freie Ernennung stellt somit den kirchenrechtlichen Normalfall dar. Ebenso gilt das Prinzip der freien Ernennung auf diözesaner Ebene, w o die Bestellung von Pfarrern, Kaplänen, Diakonen usw. in der Regel in der Hand des Diözesanbischofs liegt. W i e bekannt, wurde in den letzten Jahren rund um bestimmte Bischofsernennungen das Prinzip der freien Ernennung zuweilen einer heftigen K r i t i k unterzogen. 1 1 6 Andererseits vollzieht sich die freie Ernennung nicht v ö l l i g ohne M i t w i r kungsmöglichkeiten der Ortskirche, wenn diese auch aus dem B l i c k w i n k e l einer demokratischen Rechtskultur als m i n i m a l zu bezeichnen sind. Die freie Ernennung ist von einem Listenverfahren begleitet, einem absoluten und einem relativen. 1 1 7 B e i m absoluten Verfahren, geregelt in c. 377 § 2, sind, unabhängig von der aktuellen Vakanz eines Bischofsstuhls, normalerweise von den Bischöfen einer Kirchenprovinz alle drei Jahre in gemeinsamer Beratung und geheim Listen mit den Namen von für das Bischofsamt geeigneten Priestern, auch Ordensprie-

115 Vgl. dazu Art. 4 § 1 des Österreichischen Konkordats von 1933. Text und Kommentar bei Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht. ( M K CIC Beiheft 6). Essen 1992, 540 ff. Ähnliche Regelungen gelten auch für die Diözesen der neuen Bundesländer in der Bundesrepublik. Vgl. Stephan Haering, Staatliche Beteiligung an der Besetzung kirchlicher Ämter. Die aktuelle vertragliche Rechtslage für katholische Kirchenämter in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin, in: Gnade und Recht (Anm. 38), 293-328, hier 304; Aymans/Mörsdorf, KanR II, 333. Diese Regelungen entsprechen den Bestimmungen des Preußischen Konkordats. Siehe dazu Art. 6 des Preußischen Konkordats, in: Joseph Listi, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. 2. Bd. Berlin 1987, 715 f. Zum Bischofswahl recht in der Schweiz siehe Heinz Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz (MthStkan 36). St. Ottilien 1977. 116 Die Forderung nach mehr Mitbestimmung bei der Bestellung von Bischöfen gehörte auch zu den Anliegen des Kirchenvolksbegehrens und wurde auf der Delegiertenversammlung vom. 23. bis 26 Oktober 1998 in St. Virgil in Salzburg im Rahmen des „Dialogs für Österreich" behandelt. Vgl. Dialog für Österreich. Arbeitsdokument zur Delegierten Versammlung vom 23. Oktober bis 26. Oktober 1998 in St. Virgil, Salzburg. Wien 1998,107-110.

117

Siehe dazu, Giangiacomo Sarzi Sartori, La designazione del vescovo diocesano nel diritto ecclesiale, in: QDE 12 (199) 7-34, besonders 16-25. Das Listenverfahren kann durch konkordatäre Bestimmungen gegenüber dem Kodex Modifizierungen erfahren. Vgl. Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbkathKR 2 , 425-442, hier 428430; Primetshofer, Ernennung (Anm. 114).

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stern, zu erstellen und nach Rom zu übersenden. Unabhängig davon kann dies auch ein jeder Diözesanbischof für sich selbst tun. Sinn dieses Verfahrens ist es, „daß jederzeit und für alle Regionen der lateinischen Kirche aktuelle Listen deijenigen Priester vorliegen, die für das Bischofsamt in Frage k o m m e n " . 1 1 8 C. 377 § 3 regelt das relative Listenverfahren 1 1 9 , das hinsichtlich der konkreten Besetzung eines vakanten Bischofsstuhles oder der Bestellung eines Koadjutors mit Nachfolgerecht angewandt w i r d . In diesem Verfahren übt der päpstliche Legat eine Schlüsselrolle aus. 1 2 0 Er ist es nämlich, der in Einzelkonsultationen einen Dreiervorschlag ermittelt und diesen dem Apostolischen Stuhl mit einem V o t u m , zusammen mit der Information über die Vorschläge der Bischöfe der betroffenen Kirchenprovinz sowie des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, übersendet. Darüber hinaus hat der Legat Mitglieder des Konsultorenkollegiums (vgl. c. 502) und des Domkapitels zu hören. Weitere Personen aus dem Welt- oder Ordensklerus oder gar Laien braucht er nur zu befragen, wenn er es für angebracht hält. Die Beteiligung des Klerus und der Laien, in der Kodexreformkommission mehrheitlich befürwortet, wurde letztendlich nicht verpflichtend vorgeschrieben. 1 2 1 Hinsichtlich der beschriebenen Mitwirkungsmöglichkeiten der Ortskirche ist jedoch zu berücksichtigen, dass weder die Ergebnisse des absoluten Listenverfahrens noch die des relativen Listenverfahrens für den Apostolischen Stuhl bindend s i n d . 1 2 2 Der Apostolische Stuhl kann grundsätzlich auch Kandidaten ernennen, die ihm von anderer Seite vorgeschlagen worden sind, oder die er selbst für geeignet erachtet. 1 2 3 Es ist durchaus berechtigt zu fragen, ob in Ortskirchen, die in einer demokratisch geprägten Rechtskultur leben, nicht stärker das Moment der Mitver-

118 Georg Bier, c.377, Rdnr. 8, in: M K CIC (Stand: Aug. 1997). Vgl. dazu auch Schmitz, Diözesanbischof (Anm. 117), 427.

119

Hinsichtlich der Interpretationsschwierigkeiten des § 3 siehe Bier, (Anm. 118), Rdnrn. 120 20 f. Vgl. Bier, ebd., Rdnr. 22; Vgl. Luigi Chiappetta, Prontuario di diritto canonico e concordatario. Roma 1994,1272; Aymans /Mörsdorf, KanR II, 332 f. 121 Vgl. Bier, (Anm. 118)., Rdnr. 24. 122 Vgl. Bier, ebd., Rdnr. 28; Matthäus Kaiser , Besetzung der Bischofsstühle. Erfahrungen und Optionen, in: AfkKR 158 (1989) 69-90, hier 75. Eine Verpflichtung auf derartige Listen kann allerdings in einem Konkordat festgeschrieben sein wie ζ. B. im BayK (Art. 14 § 1). Text in: Listi, Konkordate Bd. I. (Anm. 115), 289-302, hier 301. 123 Vgl. Bier, (Anm. 118), Rdnr. 28.

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antwortung bei der Bestellung von Bischöfen in Betracht zu ziehen w ä r e . 1 2 4 Das hat nichts mit einer demokratischen Umstrukturierung der Kirche zu tun, die aufgrund der unmittelbaren Herkunft der kirchlichen Vollmacht von Christus her nicht möglich ist. In der Kirche geht die Vollmacht nicht von V o l k e aus, sondern von Gott und w i r d dem Betreffenden grundlegend durch die Weihe verliehen. Eine stärkere Beteiligung des Kirchenvolkes an der Bestellung von Bischöfen wäre in der Kirche kein N o v u m . Über Jahrhunderte hindurch war die W a h l des Bischofs durch Klerus und V o l k die kanonische, d. h. kirchenrechtliche Weise der Bischofsbestellung schlechthin. 1 2 5 Papst Leo I. (440-461) formulierte i m H i n b l i c k auf die Bischofsbestellung: „ N o n sunt habendi inter episcopos, qui nec a clericis eliguntur, nec a plebibus expetuntur." 1 2 6 Es soll also unter den Bischöfen keinen geben, der nicht von den Klerikern gewählt und v o m V o l k nicht gewünscht w i r d . 1 2 7

124 „Im Lichte ihres Verkündigungsauftrages besteht für die Kirche die Notwendigkeit, die christliche Botschaft in einer den konkreten gesellschaftlich-geschichtlichen Bedingungen adäquaten Weise zu entfalten, was auch die Forderung beinhaltet, die institutionellen Garantien dieses Verkündigungsauftrages in Übereinstimmung mit dem herrschenden Rechtsbewußtsein zu gestalten." Luf, Freiheitsgeschichte (Anm. 10), 550.

125

Vgl. Chiappetta, Prontuario (Anm. 120), 1271; Kaiser, Besetzung (Anm. 122), 69 ff. Unter „Wahl" darf man aber in der Geschichte der Bischofsbestellung nicht immer dasselbe verstehen, was wir heute unter Wahl meinen. Vgl. ebd. 70. Vgl. zum Ganzen auch Peter Stockmeier, Die Wahl der Bischöfe durch Klerus und Volk in der frühen Kirche, in: Conc 18 (1980) 463-467; Hervé-Marie Legrand, Der theologische Sinn der Bischofswahl nach ihrem Verlauf in der alten Kirche, in: Conc 8 (1972) 494-500; Klaus Schatz, Bischofswahlen. Geschichtliches und Theologisches, in: StdZ 207 (1989) 291307, hier 291-295. Ein stärkeres ortskirchliches Gewicht weist die Bestellung der Bischöfe in den katholischen Ostkirchen auf, wo diese, z. B. in den Patriarchatskirchen, in der Regel von den jeweiligen Bischofssynoden, wenn auch nicht ohne Mitwirkung des Apostolischen Stuhls, gewählt werden. Vgl. c. 181 § 1 i. V. m. c. 182 §§ 1 u. 3 CCEO. Zur Bischofsbestellung im CCEO siehe Lorenzo Larusso, La designazione dei vescovi nel Codex Canonum ecclesiarum orientalium, in: QDE 12 (1999) 46-57; Hans Paarhammer , Bischofsbestellung im CCEO. Patriarchen- und Bischofswahl und andere Formen der Bischofsbestellung, in: AfkKR 160 (1991) 390-407. Siehe auch Joseph Khoury, Die Bischofswahlen in den Ostkirchen, in: Conc 17 (1981) 549-555. 126 Dec. Gra., D. 62, c. 1. 127

Vgl. dazu auch Bruno Primetshofer, Bischofsernennungen, in: Bernhard Körner / Maria E. Aigner / Georg Eichberger (Hg.), Bischofsbestellung - Mitwirkung der Ortskirche? Mit einer kommentierten Bibliographie zum Thema Demokratie in der Kirche von Peter Inhoffen / Michael HölzL (Theologie im kulturellen Dialog 3). Graz ohne Jahresangabe, 61-81, hier 78.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

219

Eine stärkere Mitbestimmung der Ortskirche lässt sich sowohl in der Würde des Menschen (Schöpfungsordnung) rechtfertigen, die Freiheit und Eigenverantwortung bedeutet und in der Taufe nicht verlorengeht, als auch durch den sakramental (Taufe, Firmung: Erlösungsordnung) begründeten Status der Gläubigen, der v o m K o n z i l und v o m Kodex allgemein mit der Teilnahme am dreifachen A m t Christi umschrieben w i r d . Die Gläubigen sind Subjekte des kirchlichen Sendungsauftrages. Schließlich w i r k t der Geist Gottes in allen zum A u f bau der Kirche (vgl. V a t l l L G 12), so dass das V o t u m der Ortskirche für die Kandidatenfindung, aber auch in anderen Fragen, nicht als belanglos gelten kann.128 Die derzeitige Form der freien Ernennung muss sich fragen lassen, ob der Subjektcharakter der Gläubigen hinreichend ernst genommen w i r d . Es ist zweifellos richtig, dass die Letztverantwortung in kirchlichen Entscheidungen theologisch bedingt beim geweihten Amtsträger liegt, insbesondere beim Papst. Aber Letztverantwortung bedeutet nicht Alleinverantwortung. Für die Ausarbeitung von Modellen der Mitbestimmung ist es daher w i c h t i g , beide Aspekte, den der Letztverantwortung und den der Mitverantwortung, zu berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die freie Ausübung der Primatialgewalt des Papstes ( v g l . V a t l l L G 22) muss i m subsidiären Sinne gewahrt bleiben. 1 2 9 Das Prinzip der Mitverantwortung ist den theologischen Gegebenheiten der kirchlichen Verfassungsstruktur anzupassen. Es sei noch angemerkt, dass der Kodex in vielfältiger Weise Möglichkeiten der Mitverantwortung eröffnet, so die Mitarbeit in diversen Räten, wie Pfarrgemeinderat, Pastoralrat, Priesterrat, Diözesansynode u s w . 1 3 0 Man mag zwar die hauptsächlich nur beratende Funktion dieser Gremien bedauern, aber es darf nicht vergessen werden, dass Teilhabe an der Entscheidungskompetenz ein bedeutender, aber nicht der einzige und mitunter nicht einmal der einflussreichste W e g der Mitverantwortung ist. V o n nicht zu unterschätzender Bedeutung 128 Vgl. Roman Siebenrock, Kirche als Communio. Versuch einer systematischen Spurensicherung zum Thema, in. Józef Niewiadomski (Hg.), Verweigerte Mündigkeit? Politische Kultur und die Kirche (theologische trends 2). Thaur 1989, 219-245, hier 233-239; Patrick Granfield, Der „sensus fidelium" und die Ernennung der Bischöfe, in: Conc 16 (1980) 483-488. Hinsichtlich der stärkeren Einbindung der Gläubigen bei Bischofsbestellungen siehe auch Sarzi Sartori, Designazione (Anm. 117), 27-34. 129 Vgl. dazu Kaiser, Besetzung (Anm. 122), 82. Siehe auch das von Kaiser entwikkelte Modell ebd., 86-89. Weiter Anregungen zu einer Revision des Rechtes der Bischofsernennung siehe bei Primetshofer, Bischofsernennungen (Anm. 127), 76-81; Valentin Zsifkovits, Subsidiäre Amtsbestellung, in: Bischofsbestellung (Anm 127), 8296, hier 91-96. 130

Vgl. dazu Müller, Frage (Anm. 69), 209 f.

220

Korad

reitsching

sind die Vorarbeiten und Vorüberlegungen, die zu einer Entscheidung führen. Stichhaltige und überzeugend vorgebrachte Argumente, Alternativen, Sachverhaltsdarstellungen usw. sind j a in der Regel die eigentlichen Weichensteller. Kluge Entscheidungsträger werden normalerweise gegenüber vernünftigen und theologisch fundierten Argumenten offenen Ohres s e i n . 1 3 1 Eine weitere A b w e i c h u n g von A r t i k e l 21 der A E M R betrifft die periodische Wiederholung von Wahlen in öffentliche Funktionen. A u c h hier ereignet sich aufgrund des kirchlichen Amtsverständnisses, das in der Weihe eine In-DienstNahme durch Christus auf Lebensdauer (character indelebilis) beinhält, 1 3 2 eine theologisch begründete Modifikation. Ebenso ist das Moment der spezifischen B e r u f u n g 1 3 3 zu berücksichtigen, das mit einem demokratischen allgemeinen Amtszugang nicht kompatibel ist. Grundsätzlich gilt, dass die Frage des kirchlichen Amtszuganges und der kirchlichen Amtsvollmacht keine rein naturrechtliche bzw. philosophische Frage darstellt, sondern eine theologische, 1 3 4 weshalb die Frage der Mitbestimmung nicht primär, und schon gar nicht ausschließlich, auf der Ebene der Menschenrechte diskutiert werden kann. Zusammenfassend kann in der Frage der kirchlichen Mitbestimmung gesagt werden, dass sich sowohl Parallelen zu entsprechenden Menschenrechtsforderungen als auch bedeutende Abweichungen finden lassen, die zum T e i l begründet, aber auch hinterfragbar sind.

I I I . Schlusswort Es ist festzuhalten, dass die Frage der Menschen rechte in der kirchlichen Rechtsordnung noch kein ausdiskutiertes Thema ist. Einerseits werden von der kirchlichen Rechtsordnung sehr w o h l Menschenrechtsforderungen umgesetzt. Andererseits stellte sich aber auch heraus, dass die Kirche aufgrund ihrer besonderen Eigenart als eine Gemeinschaft, in der ein göttliches und ein menschliches Element zusammenwirken (vgl. V a t l l L G 8), Menschenrechtsforderun-

131

Vgl. zu dem Ganzen R. T. Kennedy , Shared Responsibility in Ecclesial DecisionMaking, in: StudCan 14 (1980) 5-23. „Persuasive consultation often runs the world." Ebd. 10. 132

Siehe dazu Franz-Josef Nocke, Spezielle Sakramentenlehre, in: Theodor Schneider, (Hg.), Handbuch der Dogmatik Bd. 2, Düsseldorf 2 1995, 226-376, hier 354; Franz Courth, Die Sakramente. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis der Theologie. Freiburg u.a. 1995,305. 133 Siehe dazu Emeis, Weihemangel (Anm. 65), 52 ff. 134

Vgl. Wilhelm Bertrams , Papst und Bischofskollegium als Träger der kirchlichen Hirtengewalt. München u. a. 1965,41.

Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung

221

gen nicht einfach unbesehen übernehmen kann, da sie zu sehr auf die staatliche Rechtsordnung zugeschnitten sind. Sie müssen vielmehr mit der spezifischen Eigenart kirchlicher Vergesellschaftung in Einklang gebracht werden, was berechtigte Modifizierungen nach sich ziehen kann. 135 Darüber hinaus lassen sich kirchliche Grundrechte nicht allein aus dem Blickwinkel der Menschenrechte beantworten, sondern es muss vor allem der sakramental, insbesondere durch Taufe und Firmung, begründete Grundstatus der Gläubigen berücksichtigt werden.

135

V g l . / V a , Menschenrechte (Anm. 19), 161 f.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient* V o n Stephan Haering OSB

In den vergangenen Monaten konnte man in verschiedenen Printmedien, kirchlichen wie nichtkirchlichen, immer wieder Beiträge zum Thema Bischofsstuhlbesetzung finden. Der Hintergrund solcher A r t i k e l ist die Ernennung neuer Diözesanbischöfe, die in nächster Zeit in zahlreichen deutschen Bistümern nach der Emeritierung der gegenwärtigen Amtsinhaber ansteht. Die Autoren erörtern dabei häufig auch Namen möglicher Kandidaten und darüber hinaus die A b sichten und Folgen, die mit der Nennung bestimmter Personen verbunden sein könnten. Über die Seriosität der Äußerungen kann man geteilter Meinung sein. Immerhin aber zeigen solche A r t i k e l , daß es sich bei der Bischofsbestellung um ein Thema handelt, das weitere Kreise interessiert. In dem hier gegebenen Rahmen kann es nicht darum gehen, sich an journalistischen Spekulationen zu beteiligen. Es ist vielmehr Aufgabe des Kanonisten, in der Gegenüberstellung zweier Rechtskreise einen Überblick über förmlich geordnete Verfahrensabläufe zu bieten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Prozesse hervorzuheben und schließlich auch eine Bewertung abzugeben. Diese Aufgabe soll in den folgenden Schritten angegangen werden: Einleitend w i r d in groben Zügen die historische E n t w i c k l u n g der Bestellung des Diözesanbischofs aufgezeigt (I). Dann wenden w i r uns dem geltenden Recht zu, zunächst der Bischofsbestellung in der katholischen Kirche des Abendlandes, wobei besonders die Eigenheiten des deutschsprachigen Raums zur Sprache kommen ( I I ) . I m dritten Abschnitt geht es um die Bischofsbestellung i m orientalischen Rechtskreis. Konfessionell bleiben w i r dabei innerhalb der katholischen Kirche, allerdings gibt es parallele Regelungen in der Orthodoxie ( I I I ) . Daran schließt sich ein bewertender Vergleich des lateinischen und des orientalischen Rechts an ( I V ) . M i t einem kurzen Ausblick findet der Beitrag seinen Abschluß ( V ) .

Vortrag, gehalten am 28. Oktober 2000 im Ostkirchlichen Institut der Augustiner an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg; für den Druck mit den nötigen Belegen versehen.

224

Stephan Haering

Z u m Titel des Beitrags ist klärend anzumerken, daß es um die Bischofsbestellung (vornehmlich die Bestellung der hierarchischen Vorsteher von Teilkirchen und Teilkirchenverbänden) innerhalb der katholischen Kirchen des Westens und des Ostens geht, nicht aber um eine Konfrontation von katholischer und nichtkatholischer kirchlicher Disziplin.

I . Historische Streiflichter 1 Das I I . Vatikanische K o n z i l hat in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „ L u m e n gentium" und i m Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus D o m i n u s " in Übereinstimmung mit der kirchlichen Tradition festgestellt, daß das Petrusamt und das Bischofsamt v o m Herrn selbst in seiner K i r che eingesetzt sei. Zusammen mit dem päpstlichen A m t gehört das Bischofsamt zu den unverfügbaren Bauelementen der Kirchenverfassung, es ist - kanonistisch gesprochen - positiven göttlichen Rechts 2 . Zur Verfahrensweise bei der Besetzung des Bischofsamtes fehlt jedoch eine in der Offenbarung gründende Vorschrift, und so ist es theologisch legitim, daß i m L a u f von zwei Jahrtausenden Kirchengeschichte unterschiedliche Modalitäten zur Anwendung gekommen sind. Wenn man von der Ergänzung des Zwölferkreises durch die Nachwahl des Apostels Matthias, bei der man es zweifellos nicht mit der Bestellung eines Diözesanbischofs zu tun hat, und von neutestamentlich bezeugten Einsetzungen von Gemeindevorstehern einmal absieht, dann liegen die ersten Zeugnisse für

1 Hier können zum Thema nur grobe geschichtliche Linien gezeichnet werden. Für die eingehendere Information liegt eine reiche Literatur vor. Insbesondere wird verwiesen auf: Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 5 Bde.. Wien / München Bd. I, 2. Aufl. 1960, Bd. II, 2. Aufl. 1962, Bd. III, 2. Aufl. 1970, Bd. IV 1966, Bd. V 1969; Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln / Wien 1972; Hubert Müller, Der Anteil der Laien an der Bischofswahl. Ein Beitrag zur Geschichte der Kanonistik von Gratian bis Gregor IX. Amsterdam 1977 (= KStuT, Bd. 29); Matthäus Kaiser, Besetzung der Bischofsstühle. Erfahrungen und Optionen, in: AfkKR 158 (1989) 69-90; Anton Landersdorfer, Die Bestellung der Bischöfe in der Geschichte der katholischen Kirche, in: MThZ 41 (1990) 271-290; Gerhard Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung. Geschichte und Aktualität. Graz / Wien / Köln 1990 (= Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und Kirchlichen Zeitgeschichte, Bd. 5); die Werke bieten auch die Quellennachweise und weitere Literaturangaben. - Einen lexikographisch knappen Überblick zum Thema bietet neuerdings (interessanterweise unter dem Stichwort „Bischofswahl") Jean-Claude Périsset , Bischofswahl I. Kath., in: LKStKR 1,285-288. 2

Vgl. Vatll LG 18-20; CD 2.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

225

das Verfahren zur Einsetzung von Gemeindeleitern i m 1. Clemensbrief und in der Didache vor, also in Schriften um die Wende des 1. Jahrhunderts. Dem 1. Clemensbrief ist zu entnehmen, daß angesehene Männer die Vorsteher mit Zustimmung der Gemeinde bestimmen, während nach der Didache eher bei der gesamten Gemeinde die Verantwortung liegt. Ausführlicher beschreibt die Traditio Apostolica (Anfang 3. Jahrhundert), als deren A u t o r herkömmlich Hippolyt von Rom genannt w i r d , das Einsetzungsverfahren (c. 2), und hier ist auch klar, daß es sich um die Bestellung des Bischofs handelt. Die Traditio Apostolica geht von der W a h l des Bischofs durch Klerus und V o l k aus und von der Weihe durch die benachbarten Bischöfe. Cyprian von Karthago (3. Jahrhundert) berichtet mehrfach in Briefen über Bischofseinsetzungen. Mehrere Elemente machen das Verfahren aus: das Urteil Gottes, das Zeugnis des Klerus und die A b s t i m m u n g des Volkes sowie die Zustimmung der Nachbarbischöfe. M i t der sog. Konstantinischen Wende Anfang des 4. Jahrhunderts setzte bezüglich des Bischofsamtes insoweit eine Veränderung ein, als mit der nun gegebenen politischen Bedeutung des Amtes auch nichtkirchliche Interessen bei der Besetzung eine Rolle zu spielen begannen. Das zahlenmäßige Wachstum der christlichen Gemeinden machte eine Bischofswahl durch die ganze Gemeinde schwieriger. Das K o n z i l von Nicäa 325 betonte die Rolle der Konprovinzialbischöfe und des Metropoliten bei der Bischofsbestellung (c. 4) und ging auf die M i t w i r k u n g der Gemeinde nicht ein. Spätere Zeugnisse aus dem Westen des Reiches, etwa ein Brief Papst Cölestins I. (422-432) an die gallischen B i schöfe und mehrere Briefe Papst Leos des Großen (440-461), treten dafür ein, niemand gegen den W i l l e n der Gemeinde zum Bischof zu bestellen bzw., positiv formuliert, den zum Bischof zu machen, der von Klerus und V o l k gewünscht w i r d . Damit werden auch nichtkirchlich motivierte Versuche der Einflußnahme zurückgewiesen. In groben Zügen gezeichnet ergibt sich für die Bischofsbestellung i m Altertum eine verantwortliche M i t w i r k u n g von Nachbarbischöfen, Klerus und Gemeinde der Gläubigen. I m frühen Mittelalter trat auch i m Westen des Reiches eine Entwicklung ein, die i m Osten zumindest bereits i m 5. Jahrhundert festzustellen ist, die zunehmende und schließlich weithin bestimmende Einflußnahme weltlicher Autoritäten auf die Einsetzung der Bischöfe. Verschiedene Synoden versuchten vergeblich, diese Tendenz zurückzudrängen. Das germanische Eigenkirchenwesen verbreitete aber auch auf unterer Ebene die Einsetzung von Geistlichen in ihre Ä m t e r durch Laien und trug damit zur Legitimation der Einsetzung von Bischöfen durch weltliche Große bei. M i t der Schaffung des ottonischen Reichskirchensystems und der Erhebung der Bischöfe zu Reichsfürsten, wurde die Übertragung des Bischofsamtes in der Praxis schließlich vollends zu einer Sache des Königs.

17 FS Mühlsteiger

226

Stephan Haering

Für die kirchliche Reformbewegung des hohen Mittelalters war der Kampf gegen den bestimmenden königlichen Einfluß bei der Bestellung der Bischöfe eines der Hauptanliegen. Die Proponenten der Gregorianischen Reform sahen die Freiheit der Kirche dadurch zutiefst verletzt, daß der König die Investitur der Bischöfe vornahm. Zum Abschluß kam die heftige Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser, die das Reich jahrzehntelang in unversöhnliche Parteien gespalten hatte, 1122 im Wormser Konkordat. Diese Vereinbarung schrieb wieder die Rückkehr zur Bischofsbestellung mittels kanonischer Wahl durch Klerus und Volk vor. Faktisch wurde die Wahl als kanonischer Vorgang durch fest umschriebene Wahlkollegien vorgenommen, die aus Klerikern bestanden. Der Kampf gegen die Bischofseinsetzung durch den König war ja nicht zuletzt ein Kampf gegen die Investitur durch einen Laien gewesen. Dies wirkte sich nun dahingehend aus, daß auch anderen Laien größerer Einfluß auf die Bischofsbestellung verwehrt wurde. In der Concordia discordantium canonum, der ersten allgemein rezipierten Kirchenrechtssammlung des Magister Gratian aus Bologna (1140) heißt es zur Bischofswahl lapidar: „Electio clericorum est, consensus plebis." 3 . Papst Innozenz III. legte 1200 den Wahlkörper genauer fest und bestimmte, daß die Bischofswahl Aufgabe der Domkapitel sei. Die Weihe und damit quasi die Bestätigung der Wahl war Aufgabe des Metropoliten. Allerdings behielten sich in der Folge die Päpste zunehmend selbst die Bestätigung der Wahl des Domkapitels vor oder besetzten bei Streitigkeiten oder unter anderen besonderen Umständen die Bistümer frei. Das Große Abendländische Schisma des 14./15. Jahrhunderts verhinderte die Durchsetzung eines gesteigerten päpstlichen Anspruchs auf die freie Besetzung der Bischofsstühle. Nach der Beseitigung der Spaltung durch das Konzil von Konstanz und der Zurückdrängung der konziliaristischen Strömungen wurde 1448 im Wiener Konkordat für das Reich grundsätzlich vereinbart, daß die Bischöfe durch die Domkapitel gewählt und die Wahlen vom Papst bestätigt werden. Der Papst machte jedoch verschiedenen Fürsten als seinen Bundesgenossen gegen den Konziliarismus Zugeständnisse und verlieh ihnen für bestimmte Diözesen das Privileg der Ernennung der Bischöfe mit nachfolgender päpstlicher Bestätigung. Im 15. und 16. Jahrhundert erhielten die Habsburger das sog. Landesfürstliche Nominationsrecht für zahlreiche Diözesen; den Köni-

3 „Die Wahl ist Sache der Kleriker, die Zustimmung Sache des Volkes."; Dist. 62, Dictum Gratiani (abgedr.: Corpus Iuris Canonici. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludovici Richteri curas ad libro rum manu scriptorum et Editionis Romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg, Pars I: Decretum Magistri Gratiani. Leipzig 1879 [ND Graz 1959], 234)

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

227

gen von Frankreich, Spanien, Portugal und Savoyen/Sardinien wurde dieses Privileg für alle Bistümer ihrer Länder übertragen 4 . Dieses System der Bischofsbestellung blieb i m wesentlichen bis zur Französischen Revolution bzw. bis zum Ende des Alten Reiches erhalten, wenngleich manche Bistümer infolge der Reformation untergegangen sind. I m 19. Jahrhundert wurde durch verschiedene Konkordate teilweise eine erneuerte Verfahrensweise bei der Bischofsernennung eingeführt. Das Französische Konkordat von 1801 sah wieder ein Nominationsrecht des Staatsoberhaupts vor, auch für Bayern wurde 1817 das königliche Nominationsrecht vereinbart. In den übrigen deutschen Ländern wurde i m wesentlichen folgendes Verfahren eingeführt: die Domkapitel wählen den Bischof aus einer selbst aufgestellten Liste von Kandidaten, von welcher der Landesherr nicht genehme Personen streichen kann. In Österreich blieb das Nominationsrecht der Habsburger Herrscher erhalten, die sich bei dessen Ausübung des Rats der anderen Bischöfe bedienten. Die Einsetzung bzw. Bestätigung aller nominierten oder gewählten Bischöfe lag beim Papst. Die nächste Zäsur in der geschichtlichen Entwicklung des Bischofsbestellungsrechtes bildete der Zusammenbruch der Monarchien in Deutschland und Österreich am Ende des I. Weltkriegs bzw. der i m selben Jahr in Kraft getretene CIC. In c. 329 § 2 des Gesetzbuchs heißt es lapidar: „Der Papst ernennt die Bischöfe frei." In der Folge gelang es auch, dieses Prinzip fast überall durchzusetzen, nur i m mitteleuropäischen Raum mußte sich der Apostolische Stuhl anläßlich neuer Konkordatsabschlüsse für eine Anzahl Bistümer auf Modifikationen dieses Postulats einlassen. Sie sind geltendes Recht, darum ist erst i m folgenden Abschnitt auf sie einzugehen. Zu Recht kann man einwenden, daß sich dieser historische Durchblick vor allem auf die Entwicklung i m Westen konzentriert hat. Deshalb werfen w i r noch einen kurzen B l i c k auf den Osten des römischen Reichs. Ä h n l i c h wie i m Westen nahmen die Herrscher des Ostreichs in der Spätantike faktisch Einfluß auf die Bischofsbestellungen, ohne ein förmliches Recht dazu zu besitzen. Die breite Beteiligung des Volkes an der Bischofswahl war aus praktischen Gründen, nämlich der größeren Zahl von Gläubigen, schwer zu handhaben. Das K o n z i l von Nicäa (787) traf in seinem c. 3 eine Regelung, welche die Bestellung eines neuen Bischofs in bischöfliche Hände legte: Die Konprovinzialbischöfe sollten drei Kandidaten für den vakanten Sitz bestimmen, von denen der Metropolit den würdigsten weihte. Dieses Verfahren sicherte theoretisch die freie Amtsbesetzung durch kirchliche Organe, doch war in der Praxis immer

4

Vgl. Adolf Kindermann, Das landesfürstliche Ernennungsrecht. Warnsdorf 1933; Hans-Jürgen Becker, Nominatio, in: HRG Bd. 3, Berlin 1984,1023-1025.

228

Stephan Haering

wieder ein starker Einfluß weltlicher Autoritäten zu verzeichnen. Das Bestätigungsrecht des Metropoliten, das i m Ordinationsrecht enthalten war, wurde teilweise von übergeordneten Bischöfen beansprucht. A u c h hat der Kaiser immer wieder in Bischofsbestellungen eingegriffen, sei es durch Bestätigung einer Wahl, sei es durch Ernennung des Bischofs (mit nachfolgender Prüfung des Ernannten auf seine kanonische Eignung durch kirchliche Organe). A l l g e mein lassen sich folgende leitende Prinzipien für die Bischofsbestellung i m Orient in nachantiker Zeit festhalten: Die herrschende Praxis der Auswahl der Bischöfe war die W a h l durch Bischöfe, wobei auf den Wahlsynoden teilweise auch einzelne Vertreter des Volkes in nicht generell zu bestimmender Weise mitgewirkt haben, etwa durch zustimmendes Zeugnis. Die Einsetzung in das A m t wurde in der Regel von einem Oberbischof vollzogen, zumeist v o m Metropoliten. Bei der Bestellung der Vorsteher autokephaler Kirchen, die keinen Oberbischof mehr über sich hatten, nahm nach der Bestimmung eines oder mehrerer Kandidaten der Kaiser die Einsetzung in das A m t vor.

I I . Geltendes Recht der lateinischen Kirche 1. Allgemeines Recht Das I I . Vaticanum ist auf Detailfragen der Bestellung der Bischöfe nicht eingegangen, sondern hat nur in allgemeiner Form postuliert, daß diese ein ausschließliches Recht der zuständigen kirchlichen Autorität sei und daß künftig weltlichen Autoritäten kein Wahl- oder Nominationsrecht zugebilligt werde 5 . Der CIC/1983 normiert in c. 377 § 1 mit knappen Worten: „Episcopos libere Summus Pontifex nominat, aut legitime electos confirmât ," 6 Was hier als theoretisch gleichrangige Alternative neben der freien päpstlichen Ernennung steht, nämlich die W a h l des Bischofs durch einen i m Gesetz selbst nicht bestimmten Wahlkörper, ist weltkirchlich nur eine fast verschwindende in etwa einem Prozent der Diözesen der lateinischen Kirche. Gleichwohl ist diese Veränderung des Gesetzestextes gegenüber dem CIC/1917 begrüßt worden, w e i l sie an prominenter Stelle die Möglichkeit der Bischofswahl anzeige. Die freie Ernennung eines Bischofs bzw. die Bestätigung von dessen W a h l bildet erst der letzte Schritt in dem Vorgang, der Gegenstand dieses Beitrags ist. Zuerst müssen mögliche Kandidaten für das Bischofsamt gefunden werden.

5

Vgl. Vatll CD 20.

„Der Papst ernennt die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten." Ein knapper Überblick zum Recht der Bischofsbestellung in der lateinischen Kirche bei Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR 2 ,425-442, hier 427 f.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

229

Das kanonische Recht sieht dazu i m C I C und in einer speziellen Vorschrift ein bestimmtes Verfahren der Kandidatenermittlung vor. Zunächst aber benennt der Gesetzgeber abstrakt die Eignungskriterien für das Bischofsamt (c. 378 § 1 CIC): In Betracht kommen Männer, die 35 Jahre alt und seit wenigstens fünf Jahren Priester sind, den Doktor- oder Lizentiatengrad in H l . Schrift, Theologie oder kanonischem Recht besitzen oder wenigstens tatsächlich über eine solide Bildung in diesen Disziplinen verfügen. Sie müssen sich eines guten Rufs erfreuen und einen festen Glauben, gute Sitten, Frömmigkeit, Seeleneifer, Lebensweisheit, Klugheit und menschliche Tugenden besitzen sowie über jene Eigenschaften verfügen, die sie für das konkrete A m t , um das es geht, qualifizieren. U m solche Personen ausfindig zu machen und bei einer konkreten Amtsbesetzung den richtigen Mann zum Bischof zu erheben, sieht das Recht ein zweifaches Listen verfahren vor, das absolute und das relative Listenverfahren (c. 377 §§ 2, 3 C I C ) 7 . Unter absolutem Listen verfahren ist die Ermittlung von Kandidaten für den bischöflichen Dienst unabhängig von einem konkreten Besetzungsfall zu verstehen: Die Bischöfe einer Kirchenprovinz und gegebenenfalls auch die nationale Bischofskonferenz reichen dem Apostolischen Stuhl regelmäßig - wenigstens alle drei Jahre - Listen mit den Namen von Priestern ein, die für das Bischofsamt geeignet erscheinen. Diese Listen sind von den genannten Gremien auf Sitzungen zu beraten und mit Mehrheitsbeschluß zu verabschieden. Daneben hat jeder einzelne Bischof unabhängig von diesen Kollegialorganen das Recht, dem Apostolischen Stuhl jederzeit Namen von Priestern mitzuteilen, die er für den bischöflichen Dienst geeignet und seiner würdig hält. A u f diese Weise hat der Apostolische Stuhl ständig einen aktuellen Überblick über das Reservoir an Personen, das in den Teilkirchen für hervorragende kirchliche Leitungsaufgaben zur Verfügung steht. Es bleibt den Organen, die Listen einreichen müssen oder dürfen, überlassen, eventuell durch eine ausdrückliche Reihung der Namen auf der Liste die Präferenz für bestimmte Kandidaten auszudrücken. Das relative Listenverfahren kommt zur Anwendung, wenn die Ernennung eines Diözesanbischofs ansteht oder auch eines Bischofskoadjutors, der j a für die spätere Leitung der Diözese vorgesehen ist. In diesem Fall spielt der A p o stolische Nuntius die Schlüsselrolle. Er hat dem Apostolischen Stuhl eine drei Namen umfassende Liste von Kandidaten für das zu besetzende A m t vorzulegen. Zur Vorbereitung dieser Tema muß der Nuntius den Metropoliten und die übrigen Diözesanbischöfe der betreffenden Kirchenprovinz sowie den Vorsit-

7

Vgl. dazu Georg May, Listen von Bischofskandidaten in den deutschen Konkordaten und Kirchenverträgen, in: FS Listi, 739-760, hier 743-747.

230

Stephan Haering

zenden der Bischofskonferenz nach ihren Vorschlägen befragen. Außerdem soll er einzeln und geheim Mitglieder des Konsultorenkollegiums und des Kathedralkapitels nach ihrer Ansicht fragen sowie gegebenenfalls andere Kleriker und Laien; dazu ist ein spezieller Fragebogen in Gebrauch. Dem Dreiervorschlag muß der Nuntius neben seinem eigenen begründenden und erläuternden V o t u m auch die Vorschläge der einbezogenen Bischöfe beifügen. Wenn davon die Rede war, daß dem Apostolischen Nuntius i m relativen Listenverfahren eine Schlüsselrolle z u k o m m t , dann liegt nun die Begründung für diese Feststellung auf der Hand: Er wählt - abgesehen von den obligatorisch einzubeziehenden Bischöfen - die Personen aus, die u m Rat gefragt werden, er stellt den Dreiervorschlag zusammen und er kann in seinem V o t u m auch die Vorschläge der lokalen Bischöfe kritisch bewerten. Trotz der Möglichkeit des Nuntius, die Weichen bei der Neubesetzung eines Bischofsstuhls zu stellen, liegt nicht die letzte Entscheidung bei i h m . Sie bleibt dem Papst vorbehalten, der nach allgemeinem Recht der lateinischen Kirche volle Freiheit bei der Ernennung der Bischöfe genießt und sogar jemanden berufen kann, dessen Name weder i m relativen Verfahren noch auf einer anderen Liste genannt worden ist. Die schließlich v o m Papst ernannte Person w i r d mit der Besitzergreifung von der Diözese und der Bischofsweihe mit vollen Rechten Diözesanbischof und Glied des Bischofskollegiums.

2. Partikulare

Besonderheiten

I m deutschsprachigen Raum gibt es bei der Bestellung von Diözesanbischöfen einige Abweichungen v o m allgemeinen Recht, die konkordatär begründet sind 8 . I m einzelnen können hier nur die Rechtsverhältnisse der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland dargelegt werden. Für die bayerischen Diözesen (einschließlich des Bistums Speyer) sind nach A r t . 14 des Konkordats von 1924 9 besondere absolute und relative Listen ver-

8

Vgl. Bruno Primetshofer, Die Ernennung von Bischöfen in Osterreich, Deutschland und der Schweiz, in: ZKTh 118 (1996) 169-186 (wieder abgedr.: in: Primetshofer Ges.Schr., 425-446); Schmitz, Diözesanbischof (Anm. 6), 428 f. 9 Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924, abgedr.: Joseph Listi (Hg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 2 Bde. Berlin 1987, Bd. I, 289-302; vgl. dazu Joseph Listi , Die konkordatäre Entwicklung von 1817 bis 1988, in: Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. III. St. Ottilien 1991, 427-463 (wieder abgedr.: Josef Isensee / Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees [Hg.], Joseph Listi, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

231

fahren vereinbart. A l l e drei Jahre reichen die Bischöfe und die Domkapitel dem Apostolischen Stuhl Listen mit den Namen von geeigneten Kandidaten für das Bischofsamt ein. I m konkreten Besetzungsfall reicht darüber hinaus das Kapitel der betreffenden Diözese einen weiteren Listenvorschlag für die Leitung des Bistums geeigneter Geistlicher ein. Die Anzahl der Personen, die auf diesen Listen aufgeführt werden, ist nicht näher bestimmt. Nach oben gibt es zahlenmäßig keine Grenze; als Mindestzahl w i r d man allerdings drei Namen annehmen müssen, da sonst kaum von einer Liste gesprochen werden kann. Der A p o stolische Stuhl hat sich verpflichtet, zum Diözesanbischof eines bayerischen Bistums nur jemanden zu ernennen, dessen Name auf einer der genannten L i sten aufgeführt war. In den außerbayerischen Diözesen Deutschlands gibt es das Recht des D o m kapitels, aus einem päpstlichen Dreiervorschlag den Diözesanbischof zu wählen. Rechtsgrundlage dafür sind das Preußische Konkordat ( 1 9 2 9 ) 1 0 , das Badische Konkordat ( 1 9 3 2 ) 1 1 , das Reichskonkordat ( 1 9 3 3 ) 1 2 und die mit den territorial betroffenen Bundesländern 1994 abgeschlossenen Verträge des H l . Stuhls 1 3 zur Errichtung der (Erz-)Diözesen H a m b u r g 1 4 , E r f u r t 1 5 , Magdeburg 1 6 und Gör-

Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Berlin 1996 [= Staatskirchenrechliche Abhandlungen, Bd. 25], 544-590). Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle vom 14. Juni 1929, abgedr.: Listi (Hg.), Konkordate (Anm. 9), Bd. II, 709-724. 11

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom 12. Oktober 1932 (mit Zusatzprotokoll vom 7./10. November 1932), abgedr. ebd., Bd. I, 136151. 12

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933, abgedr. ebd., Bd. 1,34-61. Vgl. dazu Stephan Haering, Die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern aus den Jahren 1994 bis 1998, in: FS Listi, 761-794, hier 767778. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg vom 22. September 1994, in: AAS 87 (1995) 154-164; Hamburgisches GVB1.1995, 31-34. - Abdruck: José Τ Martin de Agar, Raccolta di concordati. 1950-1999. Città del Vaticano 2000 (= Collectio Vaticana, Bd. 3), 402—410. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen über die Errichtung des Bistums Erfurt vom 14. Juni 1994, in: AAS 87 (1995) 145-154; GVB1. für den Freistaat Thüringen 1994, 791-794. - Abdruck: Martin de Agar, Raccolta (Anm. 14), 394—401.

232

Stephan Haering

l i t z 1 7 . Bei der konkret anstehenden Besetzung eines Bischofsstuhls reicht neben den zuständigen Bischöfen das Domkapitel des betreffenden Bistums dem Apostolischen Stuhl eine Liste mit kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung der Vorschlagslisten benennt der Apostolische Stuhl dem Kapitel drei Kandidaten, aus denen der Diözesanbischof zu wählen ist. Der Apostolische Stuhl ist nicht dazu verpflichtet, Personen zu benennen, die auf den Vorschlagslisten aufgeführt worden sind. Allerdings ist er für die (Erz-)Diözesen Freiburg, Rottenburg-Stuttgart, Mainz und Dresden-Meißen die Verpflichtung eingegangen, wenigstens einen der Diözese angehörenden Kandidaten zu benennen. I m übrigen gilt sowohl für die bayerischen als auch für die nichtbayerischen Diözesen, daß der Apostolische Nuntius beim konkreten Besetzungsfall auch das v o m allgemeinen Recht vorgesehene Informativ- und Vorschlagsverfahren durchführt, damit der Apostolische Stuhl für seine Entscheidung eine genügend breite Informationsbasis erhält. Erwähnenswert ist bei den Besetzungsverfahren für die deutschen Bistümer noch das Recht der Regierungen, vor der Ernennung eines neuen Bischofs allgemeine politische Erinnerungen gegen den Kandidaten geltend zu machen. Damit ist kein staatliches Vetorecht gegen die Ernennung eines bestimmten Bischofs begründet, aber die kirchliche Seite w i r d in die Lage versetzt, gegebenenfalls einen Kandidaten zurückzuziehen, bei dessen Bestellung Schwierigkeiten zu erwarten sind. In neueren Abmachungen ist für die betroffenen Diözesen dieses staatliche Beteiligungsrecht auf eine vorgängige Mitteilungspflicht der kirchlichen Seite über die bevorstehende Bischofsernennung reduziert w o r d e n 1 8 .

16 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Freistaat Sachsen über die Errichtung des Bistums Magdeburg vom 13. April 1994, in: AAS 87 (1995) 129-137; GVB1. für das Land Sachsen-Anhalt 5 (1994) 771775; GVB1. für das Land Brandenburg 5 (1994) 203-213; Sächsisches GVB1. 1994, 1046-1057. - Abdruck: Martin de Agar, Raccolta (Anm. 14), 380-387. 17

Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg sowie dem Freistaat Sachsen über die Errichtung des Bistums Görlitz vom 4. Mai 1994, in: AAS 87 (1995) 138-145; GVB1. für das Land Brandenburg 5 (1994) 215-225; Sächsisches GVB1.1994,1059-1069. - Abdruck: Martin de Agar, Raccolta (Anm. 14), 388-393. 18 Vgl. Stephan Haering, Staatliche Beteiligung an der Besetzung kirchlicher Amter. Die aktuelle vertragliche Rechtslage für katholische Kirchenämter in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin, in: Stephan Haering ! Josef Kandier / Raimund Sagmeister (Hg.), Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Frankfurt am Main u. a. 1999,293-328, hier 300 f. 304-309.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

233

Partikulare Besonderheiten bei der Bischofsbestellung gibt es auch in Österreich und der Schweiz. Das Salzburger Metropolitankapitel besitzt das Recht, den Erzbischof aus einer päpstlichen Terna zu wählen 19 . In der Schweiz gibt es Bischofswahlrechte für die Bistümer Chur, St. Gallen und Basel, hier auch mit einer Möglichkeit des Staates, auf die Erstellung der Kandidatenliste Einfluß zu nehmen 20 . Zusammenfassend ist zur Bestellung der Diözesanbischöfe im lateinischen Rechtskreis festzuhalten, daß gegenwärtig die Ernennung der Bischöfe nahezu ausschließlich in der Hand des Papstes liegt. In Mitteleuropa gibt es konkordatär fundierte Sonderrechte, welche die Beteiligung ortskirchlicher Organe in objektiv nachprüfbarer Form gewährleisten, ohne jedoch den päpstlichen Einfluß auf die Bischofsbestellung wesentlich zu beeinträchtigen. I I I . Orientalisches Recht Werfen wir nun einen Blick auf die geltende Rechtsordnung der katholischen Kirchen des Orients. Bei der Betrachtung der einschlägigen Bestimmungen des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) sollten wir im Auge behalten, daß wir es - wenngleich dieses Gesetzbuch aus anderen Traditionen gespeist wird - doch mit demselben Gesetzgeber zu tun haben wie beim lateinischen Recht. Denn beide Codices hat der Papst als Inhaber des Petrusamtes promulgiert, dabei aber für den Gegenstand Bischofsbestellung unterschiedliche Regelungsmodelle in Kraft gesetzt21. In den katholischen Kirchen des Orients werden nicht sämtliche Bischöfe nach demselben Verfahren bestellt. Das Bestellungsverfahren ist abhängig vom Rang der betreffenden Kirche eigenen Rechts und von der Lage der Eparchie.

19

Vgl. dazu Peter Putzer, Von der Reichskirche zum Ternavorschlag. Bemerkungen zur Geschichte des Bischofswahl rechtes des Salzburger Metropolitankapitels, in: Hans Paarhammer / Franz Pototschnig / Alfred Rinnerthaler (Hg.), 60 Jahre Österreichisches Konkordat. München 1994 (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg. Neue Folge, Bd. 56), 315-337; Johann Hirnsperger, Das Bischofswahlrecht des Salzburger Metropolitankapitels. Überlegungen zu Art. 4 des Österreichischen Konkordats 1933/34, ebd., 339-361. 20 Vgl. dazu Heinz Maritz, Das Bischofswahl recht in der Schweiz. Unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung im Bistum Basel nach der Reorganisation. St. Ottilien 1977 (= MthStkan, Bd. 36). 21

Vgl. Hans Paarhammer, Bischofsbestellung im CCEO. Patriarchen- und Bischofswahl und andere Formen der Bischofsbestellung, in: AfkKR 160 (1991) 390-407.

234

Stephan Haering

Grundsätzlich sind zu unterscheiden die Bischofsbestellung durch synodale W a h l und die Bischofsbestellung durch päpstliche Ernennung.

1. Wahlverfahren Durch W a h l werden folgende Bischöfe bestimmt: die Patriarchen, die Großerzbischöfe und die innerhalb des angestammten Gebiets einer Patriarchalkirche tätigen Bischöfe dieser Kirche, seien es Eparchen oder andere Bischöfe. Das Wahlgremium für die Bischofswahlen ist die Synode der Bischöfe der Patriarchalkirche b z w . der Großerzbischöflichen Kirche. Die stimmberechtigten Mitglieder dieser Synode sind ausschließlich Bischöfe, und zwar grundsätzlich alle bischöflichen Amtsträger der betreffenden Kirche. I m einzelnen ist nun die Bestellung der Patriarchen und Großerzbischöfe von dem Bestellungsverfahren für die übrigen Bischöfe einer Patriarchalkirche zu unterscheiden 2 2 . Die Patriarchenwahl (und die hier stets mitgemeinte W a h l des Großerzbischofs; v g l . c. 153 § 1 CCEO) gestaltet sich so, daß der Administrator der Kirche in der Regel innerhalb eines Monats nach Eintritt der Sedisvakanz die Synode einberuft. Zur Beschlußfähigkeit der Synode ist die Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der zur Teilnahme berechtigten und verpflichteten Bischöfe (abzüglich der rechtmäßig Verhinderten) erforderlich. Für die Wahl des Patriarchen fordert der CCEO die Zweidrittelmehrheit der Wähler, läßt allerdings partikulare Sonderreglungen der einzelnen Kirchen in gewissem Umfang zu. Wenn allerdings die Synode nicht innerhalb von 15 Tagen einen Patriarchen wählt, devolviert die Amtsbesetzung an den Papst. Gehen w i r aber v o m Regelfall der Wahl des Patriarchen aus, so ist der Gewählte mit der Annahme der W a h l noch nicht mit allen Rechten Patriarch, sondern es bedarf noch weiterer Schritte. Ist der gewählte Patriarch bereits geweihter Bischof, kann die Inthronisation sofort in Gegenwart der Synode vollzogen werden. Die Synode informiert den Papst und die Patriarchen der übrigen orientalischen Kirchen über die erfolgte W a h l und Inthronisation, und der neue Patriarch erbittet in einem persönlichen Brief v o m Papst die Gewährung der kirchlichen Gemeinschaft. Dann ist er uneingeschränkt mit allen Befugnissen i m A m t . Wenn der gewählte Patriarch aber noch nicht proklamierter

22

Vgì.John D. Fans, The Eastern Catholic Churches: Constitution and Governance. According to the Code of Canons of the Eastern Churches. New York 1992, 227-239; Victor J. Pospishil , Eastern Catholic Church Law. According to the Code of Canons of the Eastern Churches. Brooklyn 1993, 113-115; Johannes Madey , Quellen und Grundzüge des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium. Ausgewählte Themen. Essen 1999 (= M K CIC Beih., Bd. 22), 71-75.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

235

Bischof ist, dann sind erst die noch zu erwähnenden Schritte der bischöflichen Proklamation zu tun (cc. 63-77 CCEO). - Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß ein Großerzbischof zwar in derselben Weise gewählt wird, diese Wahl aber bestätigungsbedürftig ist und der Großerzbischof mit der Konfirmation der Wahl durch den Papst zu seinem Amt kommt (c. 153 § 2 CCEO). Die Synoden der Bischöfe der Patriarchal- und der Großerzbischöflichen Kirchen sind auch die Wahlgremien für die innerhalb des Gebiets des Patriarchats (bzw. der Großerzbischöflichen Kirche) tätigen Bischöfe 23 . Bevor eine Synode allerdings zur Bischofswahl schreiten kann, müssen Kandidaten ermittelt werden. Vorschlagsrecht besitzen dabei nur die Mitglieder der Synode, die bei ihren Vorschlägen die Eignungskriterien für das Bischofsamt berücksichtigen müssen; sie entsprechen den beim lateinischen Recht bereits genannten. Die Synode prüft dann die Vorschläge und stellt in geheimer Abstimmung eine Liste von Bischofskandidaten zusammen. Diese Liste sendet der Patriarch (Großerzbischof) an den Apostolischen Stuhl und erbittet die Zustimmung (assensus) des Papstes zu den Kandidaten. Es handelt sich hier um ein absolutes Listenverfahren, das der Patriarchalkirche ein Reservoir von Bischofskandidaten sichert. Wenn dann ein konkretes Bischofsamt zu besetzen ist, kann die Synode ohne weitere Verfahrensschritte den Bischof aus den Personen wählen, die den erteilten und nicht widerrufenen Assens des Papstes besitzen. Nach Annahme der Wahl durch den Gewählten muß deren Ergebnis dem Papst nur noch mitgeteilt werden. Sollte die Synode jedoch einen Priester wählen, der noch nicht den päpstlichen Assens erhalten hat, dann ist vom Patriarchen erst die päpstliche Zustimmung einzuholen, bevor der Gewählte unterrichtet werden darf. Ebenso ist bei einer Patriarchenwahl zu verfahren (cc. 180-189 CIC). 2. Ernennungsverfahren

Alle Bischöfe der orientalischen katholischen Kirchen, die nicht zu den vorgenannten Gruppen gehören, kommen durch Ernennung seitens des Papstes in ihr Amt. Es handelt sich um die hierarchischen Häupter der Metropolitankirchen und anderen Kirchen eigenen Rechts sowie die Bischöfe der Patriarchalund großerzbischöflichen Kirchen außerhalb des angestammten Gebiets, und die sonstigen Bischöfe der verschiedenen orientalischen Kirchen. Dabei bestehen aber teilweise Vorschlagsrechte. Bei der Bestellung der Metropoliten, die Metropolitankirchen eigenen Rechts leiten, und der Bischöfe dieser Kirchen muß der Hierarchenrat der betreffenden Kirche dem Apostolischen Stuhl eine Vorschlagsliste mit minde-

23

Vgl.J. D. Faris, Eastern Catholic Churches (Anm. 22), 411-435.

236

Stephan Haering

stens drei Namen einreichen. Dem Hierarchenrat gehören mit beschließendem Stimmrecht nach dem CCEO die Eparchialbischöfe und Bischofskoadjutoren der betreffenden Kirche an. Vor der Erstellung der Liste kann auch die Meinung von Klerikern und Laien über einen Kandidaten eingeholt werden (c. 168 CCEO). Der Apostolische Stuhl ist bei der Ernennung an die Vorschlagsliste rechtlich nicht gebunden. Ähnlich verhält es sich mit der Bestellung jener Bischöfe einer Patriarchalkirche, die nicht von der Synode der Bischöfe dieser Kirche zu wählen sind. Hier besitzt die Synode ein Vorschlagsrecht gegenüber dem Papst. Die wenigstens drei Namen umfassende Vorschlagsliste wird wie bei einer Bischofswahl erstellt (c. 149 CCEO). Gebunden ist der Papst an die Liste nicht. Alle übrigen Bischöfe orientalischer Kirchen werden vom Papst ernannt (c. 181 § 2 CCEO). Es handelt sich lediglich um die Bischöfe einfacher Kirchen sui iuris. Ein besonderes Konsultations- oder Vorschlagsverfahren ist hierfür vom allgemeinen Recht nicht vorgesehen, kann aber partikular- oder gewohnheitsrechtlich üblich sein. Für alle Formen von Eparchialbischöfen gilt, daß sie die volle Leitung ihres Bistums erst nach Empfang der bischöflichen Weihe und der Besitzergreifung von der Eparchie wahrnehmen können (c. 187-189 CCEO). So viel sei gesagt zu den katholischen Kirchen des Orients. In den orthodoxen Kirchen sind aufgrund derselben Rechtstradition ähnliche Formen der Bischofsbestellung vorzufinden, natürlich ohne Beteiligung des Papstes. Die wichtigste Parallele ist die Praxis der synodalen Bischofswahl. Inwieweit heute noch staatliche Autoritäten bei der Amtseinsetzung der hierarchischen Häupter der autokephalen Kirchen beteiligt sind, wie es zumindest zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Regel war 2 4 , muß hier dahingestellt bleiben. I V . Vergleich Wenn wir die rechtliche Ordnung der Bischofsbestellung in der lateinischen Kirche und in den orientalischen Kirchen des katholischen Erdkreises vergleichen, dann ist natürlich auf den ersten Blick unübersehbar, daß hierfür unterschiedliche Verfahrensordnungen gelten. Das ist völlig legitim, weil zwar, wie eingangs betont, das bischöfliche Amt als solches göttlichen Rechts ist, nicht aber ein bestimmtes Verfahren der Amtsbesetzung. In ersten Würdigungen des CCEO nach dessen Promulgation 1990 wurde das Gesetzbuch als katholische

24

Vgl. Nikodemus Milasch, Das Kirchenrecht der morgenländischen Kirche, 2. verb, und verm. Aufl. Mostar 1905,331-335.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

237

Alternative z u m C I C bezeichnet, und bis heute w i r d als bevorzugtes Beispiel für eine vollberechtigt katholische Alternative zur lateinischen Disziplin, die i m Osten zu finden ist, neben einer verheirateten Priesterschaft vor allem die B i schofswahl genannt 2 5 . In der Tat sticht sie bei der Betrachtung der ostkirchlichen Ordnung besonders ins Auge und ist Menschen, die in einer demokratischen K u l t u r beheimatet sind, sehr sympathisch. Allerdings ist festzuhalten: Beide Gesetzbücher, der C I C und der CCEO, kennen sowohl die Bischofswahl als auch die Bischofsernennung. Freilich bleibt die Möglichkeit der Bischofswahl i m lateinischen Rechtskreis ein marginales Phänomen, und es ist nicht zu erkennen, daß der Apostolische Stuhl dort, w o er einmal das Recht zur freien Ernennung der Bischöfe erlangt hat oder es von Anfang an innehatte, sich dieses Recht durch eine verbindlich wirksame Teilhabe anderer kirchlicher Organe schmälern lassen möchte. Z u m orientalischen Rechtskreis hingegen gehört trotz der dominierenden W a h l der Bischöfe durchaus auch die Ernennung von Bischöfen durch den Apostolischen Stuhl. Die frühchristliche Praxis der Bischofsbestellung kannte drei Instanzen, die an einem solchen Vorgang mit wechselndem Gewicht beteiligt waren: Klerus und gläubiges V o l k , die Nachbarbischöfe und den Oberbischof (Metropoliten). Klerus und V o l k gaben Zeugnis für einen geeigneten Kandidaten, die Nachbarbischöfe wählten, der Oberbischof bestätigte ihn und erteilte die Weihe; die Beteiligung des Volkes oder vornehmer Vertreter des Volkes konnte auch in der A k k l a m a t i o n zur erfolgten Wahl bestehen, die Weihe konnte auch von anderen erteilt werden. Die drei genannten Instanzen sind auch heute i m lateinischen w i e i m orientalischen Rechtskreis an der Bischofsbestellung beteiligt, wobei die Beteiligung von Klerus und V o l k i m Westen und i m Osten am schwächsten rechtlich ausgebildet ist. Die Bischöfe haben ein gesetzlich gesichertes Wahl- oder Vorschlagsrecht, der Oberbischof, d. h. der Papst, besitzt das Ernennungsrecht für die Bischöfe oder ein vorgängiges Zustimmungs- bzw. ein nachfolgendes Bestätigungsrecht bei der W a h l von Bischöfen. Klerus und V o l k können befragt werden. I m Osten wie i m Westen ist die Bischofsbestellung eine Angelegenheit der Bischöfe. Das Bischofskollegium ergänzt sich selbst, w i e das Apostelkollegium sich bei der W a h l des Matthias selbst ergänz-

25

Vgl. Carl Gerold Fürst, Katholisch ist nicht gleich lateinisch. Der gemeinsame Kirchenrechtskodex für die katholischen Ostkirchen, in: HK 45 (1991) 136-140; Richard Potz, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium 1990 - Gedanken zur Kodifikation des katholischen Ostkirchenrechts, in: Festg. Potoschnig, 399-414; Potz hat seine entsprechende Einschätzung auch in späteren Beiträgen in der Standardliteratur bekräftigt: Richard Potz, Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: LThK 3 2,12411243; ders., Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: HdbKathKR 2 , 77-89, bes. 86-89; ders., Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: LKStKR 1,342-345.

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Stephan Haering

te. Etwas zugespitzt könnte man sogar behaupten, daß die Beteiligung von Klerus und V o l k i m Westen wenigstens mancherorts besser verankert sei als in den orientalischen Kirchen. Denn die Domkapitel, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz rechtsverbindlich A n t e i l haben an der Bischofsbestellung durch Einreichen von Vorschlagslisten und durch W a h l aus einem päpstlichen Vorschlag, sind Priesterkollegien, denen nur einzelne Bischöfe angehören. Hier ist also eine direkte und obligatorische Beteiligung des Klerus gegeben. In wenigen Worten zusammengefaßt: Ein Vergleich zwischen orientalischer und lateinischer Praxis ergibt kein Schwarz-Weiß-Bild. Je nach kirchenpolitischem Standpunkt können da oder dort Defizite b z w . Vorzüge namhaft gemacht werden. Nicht zu übersehen ist etwa, daß die Beteiligung eines kirchlichen Organs, das zugleich Völkerrechtssubjekt ist, des H l . Stuhls nämlich, Bischofsbestellungen gegen innerstaatliche Pressionen weitgehend immun macht. A u f jeden Fall aber ist festzuhalten, daß es der Tradition und dem ekklesiologischen Rang der großen orientalischen Kirchen, d . h . der Patriarchate, angemessen ist, daß deren Vorsteher nicht v o m Papst ernannt werden, der den Orientalen immer auch als Patriarch des Abendlandes gegen übertritt.

V. Ausblick Das Recht der Bischofsbestellung hat sich in bestimmten historischen K o n texten entwickelt und differenziert ausgeformt. Mancher geschichtliche Ballast hat sich angehäuft und konnte wieder abgeschüttelt werden. Zu denken ist vor allem an die Einflußnahme politischer Autoritäten auf Bischofsbestellungen (bis hin zur Papstwahl), die i m 20. Jahrhundert weitgehend beseitigt werden konnte, von gewissen Resten in der Schweiz abgesehen. Regelungen wie die sog. „Politische Klausel" und der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat, die für die meisten deutschen Diözesen gelten, können von kirchlicher Seite hingenommen werden, w e i l sie keine - i m übrigen auch verfassungsrechtlich verbotene - staatliche M i t w i r k u n g an der Bischofsbestellung begründen. Das Recht der Bischofsbestellung ist entwicklungsfähig. Hier soll kein M o dell entworfen werden, wie dieses Recht sich weiterentwickeln könnte oder sollte; es gibt deren genug 2 6 . Bei einem Kanonisten darf man zwar eine Wertschätzung formaler Gesichtspunkte erwarten, nicht zuletzt, w e i l sich darin auch Inhaltliches widerspiegelt. A b e r dennoch sei davor gewarnt, allein aus neuen Verfahren das H e i l , sprich den guten Bischof, zu erwarten. Ein kürzlich er-

26

Vgl. etwa Kaiser, Besetzung (Anm. 1), bes. 85-89; Bruno Primetshofer, Dezentralisierung wäre angebracht. Kirchenrechtliche Überlegungen zu den Bischofsbestellungen, in: HK 50 (1996) 348-352.

Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient

239

schienener Beitrag über Listen von Kandidaten für das Bischofsamt schließt mit den Worten: „Das vorzüglichste Verfahren zur Ermittlung von Bischofskandidaten erbringt kein gutes Ergebnis, falls entsprechend qualifizierte Personen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen."27 Es steht zu hoffen, daß es der Kirche in Ost und West nie an guten Bischöfen fehle.

27

May, Listen (Anm. 7), 760.

Dechant und Dekanat Bemerkungen zum universellen Recht und zu den Salzburger Rechtsverhältnissen V o n Johann Hirnsperger

Die Bischöfe sprachen sich sowohl vor als auch während des I I . Vatikanischen Konzils nachdrücklich dafür aus, das Institut des Dekanates und i m Zusammenhang damit das Dechantenamt in Rücksicht auf die geänderten seelsorglichen Erfordernisse neu zu konzipieren. Das Dekanat sollte künftig nicht mehr so wie bisher primär als organisatorische Größe verstanden werden, sondern eine pastorale Einheit auf mittlerer Ebene zwischen Pfarre und Diözese bilden. Die Konzilsväter gingen dabei davon aus, daß die Seelsorger i m Dekanat Gemeinschaft pflegen sollten und i m pastoralen Handeln Zusammenarbeit anzustreben sei. Den Dechanten komme die Aufgabe der Leitung und der K o ordinierung und damit besondere seelsorgliche Verantwortung zu. 1 Bedingt durch den Verzicht auf rechtliche Normierungen und aus redaktionellen Rücksichten erwähnt das Konzilsdekret „Christus D o m i n u s " über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in A r t . 30 Nr. 1 den Dechanten nur am Rande. 2 Erst in den Ausführungsbestimmungen, die Papst Paul V I . i m M P „Ecclesiae Sanctae" v o m 6. August 1966 in Punkt I 19 zur genannten Konzilsstelle erließ, wurden die Anliegen der Konzilsväter wieder aufgegriffen. 3 Darin wurde u . a .

1

Vergleiche dazu u. a. Rüdiger Althaus, Amt und Aufgaben des Dechanten im katholischen Kirchenrecht ( M K CIC Beih., 17), Essen 1996, bes. 80-92. Zu Dekanat und Dechant siehe auch besonders Edward John Kurtyka, The Vicar forane. An historico-canonical study (= CLSt 538), Washington 1991; Paolo Urso, I vicari foranei, in: Il Codice del Vaticano II. Diritto da A. Longhitano. Bd. 4: La parrochia e le sue strutture. Bologna 1987, 147-182; Hans Paarhammer, cc. 553-555, in: MK CIC, Stand: November 1989; Ernesto Cappellini, in: Commentario exegético2 II/2, 13271337; Aymans / Mörsdorf KanR II, 442-446; Peter Krämer, Dekan, in: LThK 3 3, 68 f.; ders., Dekanat, in: LThK 3 3, 69; Karl-Theodor Gehringer, Das Dekanat, in: HdbKathKR 2 ,481-483. 2

Vgl. AAS 58 (1966) 673-696,688.

3

Vgl. AAS 58 (1966) 757-787, bes. 768.

18 FS Mühlsteiger

242

Johann Hirnsperger

normiert, daß es Aufgabe der Dechanten ist, die gemeinsame seelsorgliche Arbeit in ihrem Gebiet zu fördern, und daß sie hiefür v o m Diözesanbischof mit den erforderlichen Vollmachten ausgestattet werden müssen. Dem Bischof wird empfohlen, i m Fall der Ernennung, Versetzung und Enthebung von Pfarrern die zuständigen Dechanten zu hören. Bezüglich der

Eignungsvoraussetzungen

ordnet „Ecclesiae Sanctae" an, daß zu Dechanten nur Priester bestellt werden dürfen, die sich in der Lehre und i m apostolischen Eifer auszeichnen. Schließlich darf das A m t nicht mehr mit einem bestimmten Pfarrsitz verbunden sein und nur mehr auf Zeit verliehen werden. Der Diözesanbischof sollte den Dechanten jederzeit frei abberufen können. Das von der Bischofskongregation am 22. Februar 1973 herausgegebene „Directorium de Pastorali Ministerio Episcoporum" betrachtet das Dekanat vor allem als seelsorgliche Einrichtung. 4 Vorgesehen ist u. a., daß Dekanate nicht nur territorial, sondern auch personell, rituell oder funktional umschrieben werden können (184). Das Dekanat bildet gleichsam eine Lebenszelle des diözesanen Presbyteriums, in der die Pfarrer und die pastoralen Amtsträger des Sprengeis unter der Leitung des Dechanten zusammenwirken (185). Die B i schöfe werden dazu verpflichtet, unter Einbeziehung des Priesterrates in Form der Anhörung ein diözesanes Dechantenstatut zu erlassen. Darin sind v . a. zu regeln: die Zusammensetzung der einzelnen Dekanate, die genaue Amtsbezeichnung, die Zielsetzung des Dekanats als Gemeinschaft der Kleriker und Ort umfassender seelsorglicher Zusammenarbeit unter Einbeziehung der Laien, weiters die Vollmachten, die der Dechant besitzt, sowie die Rechtsgrundlagen für das Handeln i m Dekanat (186). Was die Aufgaben des Dechanten angeht, betont das Direktorium besonders, daß er keineswegs nur Aufsichtspflichten wahrzunehmen hat, sondern vor allem mit apostolischem Eifer i m Dekanat das Leben i m Presbyterium fördern und das pastorale Handeln unterstützen muß, alles gemäß dem Geist und den Dokumenten des Konzils. Daraus resultieren spezifische Eignungskriterien, die über die in „Ecclesiae Sanctae" genannten hinausgehen: ein Priester, der den seelsorglichen Dienst ausübt, der i m Dekanat lebt und wegen seiner hervorragenden Eigenschaften Ansehen bei Klerus und V o l k genießt, den der Bischof mit Vollmachten ausstattet und der zur Förderung der Pastoral fähig ist. Eine bedeutende Neuerung gegenüber „Ecclesiae Sanctae" ist ferner die Vorschrift, wonach der Bischof v o r der Bestellung des Dechanten den Priesterrat anhören muß und - soweit es der Bischof für angebracht hält - auch die Priester des Dekanats. Hinsichtlich der Befristung der Amtszeit, der Trennung des Dechantenamtes von einer bestimmten Pfarre und der Anhörung des Dechanten bei der Bestellung, Versetzung oder Enthebung des Pfarrers übernimmt das Direktorium inhaltlich i m Kern die Positionen von

4

Vgl. Ochoa Leges V, Nr. 4174, Sp. 6462-6539, bes. 6522 f.

Dechant und Dekanat

243

„Ecclesiae Sanctae" (187). Eine bedeutende Neuerung stellt die Weisung dar, wonach der Bischof zu den festgesetzten Zeiten Dechantenkonferenzen einberufen lassen muß. Außerdem wird nahegelegt, einige Dechanten als Mitglieder für den Priesterrat und für den Pastoralrat zu benennen (188). Die neuen Akzentsetzungen, die im Recht von Dekanat und Dechant in der postkonziliaren Rechtsentwicklung eingetreten waren, bzw. auch wesentliche Bestimmungen des bischöflichen Direktoriums von 1973 und des MP „Ecclesiae Sanctae" fanden in das kirchliche Gesetzbuch von 1983 Eingang, das in den cc. 374 § 2 und 553 bis 555 die einschlägigen Vorschriften zusammenfaßt. Die Vigilanzfunktion des Dechanten wurde aber vom Gesetzgeber wieder deutlicher betont.5 Wie schon der Codex Iuris Canonici von 1917 (vgl. cc. 217, 445 - 450) beschränkt sich auch das geltende kodikarische Recht darauf, weithin Vorgaben rahmenrechtlicher Art zu machen, die im Teilkirchenrecht zu konkretisieren und zu ergänzen sind.6 I . Zu den universalrechtlichen Vorgaben 1. Das Dekanat Gemäß c. 374 § 2 versteht man unter dem Dekanat den Zusammenschluß benachbarter Pfarren mit der Zielsetzung, die Seelsorge durch gemeinsames Vorgehen zu fördern. Wie sich aus der Zusammenschau mit den Bestimmungen über die Amtsaufgaben des Dechanten ergibt, ist das Dekanat aber keineswegs ausschließlich seelsorgliche Einrichtung, sondern nach wie vor auch eine wirkliche Verwaltungseinheit, die der Überwachung und Aufrechterhaltung der Kirchendisziplin zu dienen hat.7

5

Zur Redaktionsgeschichte siehe Communicationes 4 (1972) 42 f.; 12 (1980) 283285; 13 (1981) 303-311; 17 (1985) 97,104. Zur Frage der Weitergeltung jener Vorschriften im „Directorium de Pastorali Ministerio Episcoporum", die in das neue Gesetzbuch nicht übernommen wurden, siehe Althaus, Amt (Anm. 1), 119 f. 6 Im CCEO wird das Dekanat nicht genannt. Die Aufgaben des Protopresbyters entsprechen aber im wesentlichen jenen des Dekans (vgl. cc. 276-278 CCEO). η Vgl. Gehringer, Dekanat (Anm. 1),481; ders., Die diözesane Region, in: HdbKathKR 2 ,479 f. Zum folgenden siehe auch bes.Althaus, Amt (Anm. 1), 93-122.

244

Johann Hirnsperger

Die Bezeichnungen, unter denen diese Organisationsform begegnet, sind unterschiedlich. 8 Die i m geltenden Recht verwendete fachliche Benennung „vicariatus foraneus" (Außenvikariat) deutet auf eine ursprünglich außerhalb der Bischofsstadt bestehende Seelsorgeorganisation hin, an deren Spitze ein bischöflicher V i k a r steht. 9 Universalrechtlich ist die Einrichtung von Dekanaten nicht zwingend vorgeschrieben. 1 0 In dem Fall, daß Dekanate nicht errichtet werden und keine Ersatzformen bestehen, müssen die Aufgaben des Dechanten v o m Bischof selbst oder von seinem Beauftragten wahrgenommen werden. Für die Errichtung von Dekanaten ist der Diözesanbischof zuständig. Dies w i r d i m Gesetzbuch zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber naheliegend, w e i l dem Bischof die Regelung der pfarrlichen Strukturformen auch sonst zusteht. 1 1 Nach allgemeinem Recht besitzt das Dekanat die kirchliche Rechtspersönlichkeit nicht, w o h l aber kann dies auf teilkirchlicher Ebene vorgesehen sein. In diesem Fall ist das Dekanat den juristischen Personen öffentlichen Rechts nach c. 116 § 1 zuzurechnen. W i e weit die staatliche Anerkennung der kanonischen Rechtspersönlichkeit Platz greifen kann, richtet sich nach den jeweiligen staatskirchenrechtlichen Vorschriften. Das geltende österreichische Konkordatsrecht enthält einschlägige Anerkennungsregelungen für die Rechtspersonen der katholischen K i r c h e . 1 2

Vgl. c. 217 CIC/1917: vicariatus foraneus, decanatus, archipresbyteratus etc. Siehe dazu bes. Hans Paarhammer, Einführung vor c. 553, in: M K CIC, Stand: November 1989. 9

Vgl. Aymans / Mörsdorf

KanR II, 443.

10

Der Gesetzgeber sah keine Notwendigkeit, die Errichtung von Dekanaten allgemein anzuordnen, weil in verschiedenen Kirchengebieten andere rechtliche Formen zur interpfarrlichen Koordinierung der Seelsorgearbeit eingeführt sind. Vgl. Communicationes 12 (1980) 284. 11

Im c. 217 CIC/1917 wurde die bischöfliche Zuständigkeit ausdrücklich normiert. Siehe dazu Aymans / Mörsdorf KanR II, 443. 12

Vgl. bes. Art. II des Konkordats vom 5. Juni 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll, in: AAS 26 (1934) 249-283, bes. 251; BGBl. II Nr. 2/1934.

Dechant und Dekanat

245

2. Der Dechant a) Das Amt des Dechanten Dechant ist jener Priester, der einem Dekanat vorsteht. Er wird auch Dekan, Außenvikar oder Erzpriester genannt oder trägt eine andere Amtsbezeichnung (c. 553 §1). Der Dechant wird vom Diözesanbischof frei ernannt. Dieser hat zuvor nach seinem klugen Ermessen den Rat der im betreffenden Dekanat Dienst tuenden Priester einzuholen. Das Partikularrecht kann allerdings weitergehende Bindungen des Bischofs vorsehen, ζ. B. durch Wahlrechte (c. 553 § 2). Nach dem allgemeinen Kirchenrecht ist das Dechantenamt nicht mit einer bestimmten Pfarre verbunden und es wird nicht einmal verlangt, daß der Amtsinhaber einen sonstigen Dienst im Dekanat ausübt. Der Bischof darf das Amt aber nur einem Priester verleihen, den er nach Abwägung der örtlichen und zeitlichen Umstände für geeignet hält (c.554 § 1). Besitzt nach seiner Beurteilung ein gewählter Priester nicht die geforderte Eignung, ist die Bestätigung der Wahl zu versagen. 13 Vor allem muß der Bischof prüfen, ob der betreffende Priester über jene Eigenschaften verfügt, die für die ordnungsgemäße Erfüllung der mit dem Dechantenamt verbundenen Aufgaben erforderlich sind. Da das Gesetzbuch darauf verzichtet, in diesem Zusammenhang einschlägige Vorgaben zu machen, sind weiterhin jene Eignungskriterien zugrundezulegen, die im bischöflichen Direktorium von 1973 aufgezählt sind. 14 Der Dechant ist nicht auf Dauer, sondern nur für eine bestimmte Amtszeit, die partikularrechtlich zu determinieren ist, zu bestellen (c. 554 § 2). Wenn nach dem klugen Ermessen des Diözesanbischofs ein gerechter Grund dafür gegeben ist, kann er den Dechanten frei, also ohne Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, seines Amtes entheben (c. 554

§3). b) Amtsaufgaben Der Kreis der mit dem Dechantenamt verbundenen Rechte und Pflichten ergibt sich einerseits aus dem Partikularrecht (Partikularkonzilien, Diözesanrecht, Gewohnheitsrecht) und andererseits aus den universellen Rechtsvorschriften. Nach dem allgemeinen Recht kommen ihm folgende Aufgaben zu:

13

Vgl. Aymans /Mörsdorf

14

Vgl. Ochoa Leges V , Nr. 4174, Sp. 6523 (187).

KanR II, 444.

Johann Hirnsperger

246

Was die allgemeine Seelsorge betrifft, weist c. 555 § 1 η . 1 dem Dechanten die Förderung und Koordinierung der gemeinsamen pastoralen Tätigkeit i m Dekanat zu. Diese sehr allgemein gehaltene N o r m , in der die konziliare Neuakzentuierung besonders deutlich sichtbar w i r d , bedarf der teilkirchenrechtlichen Konkretisierung. Die angesprochenen Aufgabenfelder betreffen ζ . B . folgende Bereiche: Anpassung von auf der Ebene des Bistums (gegebenenfalls auch der Region) getroffenen Planungen und Entscheidungen für das eigene Dekanat, Sorge um spezielle pastorale Angebote und Dienste (Zielgruppenseelsorge) oder allgemein Fragen i m Zusammenhang mit der Koordinierung und Abstimm u n g der seelsorglichen Arbeit zwischen den einzelnen Pfarren. 15 Das kodikarische Gesetzbuch sieht in diesem Zusammenhang allerdings keine einschlägigen Weisungsrechte für den Dechanten vor und verlangt auch nicht ausdrücklich, daß i h m auf teilkirchenrechtlicher Ebene Weisungsbefugnisse zugeteilt werden müssen. 1 6 Die Seelsorge an den Priestern, die „zu den vorzüglichsten Aufgaben des D e k a n s " 1 7 gehört, umfaßt die Vorsorge dafür, daß die erforderlichen geistlichen Hilfen für die Priester zur Verfügung stehen, besonders aber die Sorge u m jene Priester, die sich in Schwierigkeiten befinden oder Probleme haben (c. 555 § 2 n. 2). Wenn ein Pfarrer schwer erkrankt, hat der Dechant für geistliche und notfalls auch für materielle Hilfe zu sorgen; i m Todesfall ist ein würdiges Begräbnis zu veranlassen (c. 555 § 3). Bezüglich der Weiterbildung des Dekanatsklerus muß sich der Dechant bemühen, daß die Kleriker zu den festgesetzten Zeiten an Vorlesungen, theologischen Zusammenkünften oder Konferenzen entsprechend den dafür erlassenen teilkirchlichen Regelungen teilnehmen (c. 555 § 2 η. 1 i. V . m . c. 279 § 2). Die Sorge um die theologische und spirituelle Weiterbildung der Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter w i r d allgemeinrechtlich nicht erwähnt, könnte aber natürlich teilkirchenrechtlich in die Kompetenz des Dechanten fallen. 1 8 Aufgrund der i h m übertragenen Aufsichtspflicht ist der Dechant gehalten, Vorsorge dafür zu treffen, daß die Kleriker ein Leben führen, das dem eigenen Stand entspricht, und daß sie ihren Amtspflichten gewissenhaft nachkommen (c. 555 § 1 n. 2). Weiters richtet sich die Aufsicht auf die Einhaltung der liturgischen Vorschriften, auf den Schmuck und die Sauberkeit der Gotteshäuser und der heiligen Geräte, v o r allem bei der Feier und der Aufbewahrung der

15

Vgl. Gehringer, Dekanat (Anm. 1), 481.

16

Vgl. Aymans / Mörsdorf

17

Gehringer, Dekanat (Anm. 1), 482 f.

18

Vgl. Hans Paarhammer, c. 555 Rdnr. 6, in: M K CIC, Stand: November 1989.

KanR II, 445.

Dechant und Dekanat

247

heiligen Eucharistie. Ferner sind die Führung der pfarrlichen Bücher und die kirchliche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen. Der Vigilanz unterliegt schließlich auch das Pfarrhaus, für das mit der gebührenden Umsicht zu sorgen ist (c.555 § 1 n. 3). Der Dechant hat Vorkehrungen dafür zu treffen, daß bei Erkrankung oder Tod eines Pfarrers Kirchenbücher, Dokumente, liturgische Geräte oder sonstiges Kircheneigentum nicht verlorengehen oder weggeschafft werden (c. 555 § 3). Die konkrete Durchführung dieser sehr allgemein gehaltenen Normen zur Aufsicht des Dechanten ist auf teilkirchlicher Ebene näher zu regeln. Ein sehr bedeutendes Instrument für die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht bildet die Visitation, die der Dechant nach den einschlägigen Bestimmungen des Diözesanbischofs in den Pfarreien seines Dekanates durchzuführen hat (c.555 §4). Auch der Codex Iuris Canonici von 1983 räumt dem Dechanten nur wenige besondere Rechte ein: Er ist von Rechts wegen Mitglied der Diözesansynode (c. 463 § 1 n. 7). Bei der Besetzung einer freigewordenen Pfarre muß ihn der Diözesanbischof anhören (c.524); bei der Ernennung eines Pfarrvikars soll auch der Dechant gehört werden, sofern es der Bischof für angebracht hält (c. 547). I I . Zum Salzburger Dechantenrecht Die Grundlage für das gegenwärtig geltende Recht bildet das von Erzbischof Dr. Georg Eder mit Wirksamkeit vom 1. Juni 1997 erlassene „Statut für die Dechanten der Erzdiözese Salzburg" 19 , durch das das Dechantenstatut vom 1. November 1986 20 außer Kraft trat. Sowohl das vormalige als auch das aktuelle Dechantenstatut sind keine Statuten im eigentlichen Sinn gemäß c. 94 §§ 1 u. 2, sondern Vorschriften, die kraft gesetzgebender Gewalt erlassen und promulgiert wurden und die daher den Normen über die Gesetze unterliegen (vgl. c. 94

§3). In Österreich war schon bisher das Recht von Dekanat und Dechant nach Diözesen unterschiedlich geregelt gewesen. Auch bei der Reform, die nach dem Inkrafttreten des kirchlichen Gesetzbuches von 1983 durchgeführt wurde, war nicht intendiert, die Vorschriften zu harmonisieren. Vielmehr ging man von den bestehenden einschlägigen Normen aus und entwickelte sie in den einzelnen Diözesen in unterschiedlicher Weise weiter. Dabei scheint es neben der Einarbeitung der neuen kodikarischen Bestimmungen besonders darum

19

Vgl. VOB1. der Erzdiözese Salzburg 80 (1997) 66-73.

20

Vgl. VOB1. der Erzdiözese Salzburg 69 (1986) 137-145.

248

Johann H i s p e r g e r

gegangen zu sein, dort, w o sich Regelungen in der Praxis als unzulänglich erwiesen hatten, Korrekturen anzubringen. V o r allem machten Änderungen, die nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches i m teilkirchlichen Recht eingetreten waren, auch entsprechende Abstimmungen und Anpassungen beim Recht von Dechant und Dekanat erforderlich. 2 1 Das erneuerte Salzburger Dekanats- bzw. Dechantenrecht, dessen wichtigste inhaltliche Positionen anschließend kurz vorgestellt werden, ist in hohem Maß eigengeprägt und weicht in vielen Bestimmungen von den entsprechenden Normen in den anderen österreichischen Diözesen ab. Gewisse Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen den Rechtssystemen sind natürlich gegeben, allein schon von den gemeinsamen universalrechtlichen Grundlagen her.

1. Dekanatsorganisation In Salzburg sind Dekanate flächendeckend eingerichtet. Es bestehen derzeit 20 Dekanate, die auf drei Generaldekanate verteilt sind: Generaldekanat Stadt Salzburg (4 Dekanate), Generaldekanat Land Salzburg (11 Dekanate) und Generaldekanat Tiroler A n t e i l der Erzdiözese (5 Dekanate). 2 2 Jedes Generaldekanat w i r d von einem Generaldechant geleitet. Er ist nicht Dechant i m eigentlichen Sinn; i h m kommen nur wenige Befugnisse in den zu seinem Sprengel gehörenden Dekanaten zu, besonders i m Zusammenhang mit der W a h l und der Amtseinführung der Dechanten. Die Rechtsfigur des Generaldechanten scheint aber vor allem deswegen eingeführt worden zu sein, um ein Organ zu schaffen, das die Visitation in der Pfarre, die der Dechant leitet, vornimmt analog zu den v o m Dechanten durchzuführenden Visitationen in den z u m Dekanat gehörenden Pfarren.

21

Vgl. Statut und Dienstanweisung für die Dechanten der Diözese Gurk, in: Kirchliches VOB1. für die Diözese Gurk v. 5. April 1991, 24. (Der Text, der amtlich nicht veröffentlicht worden ist, liegt nur in einer für den internen Gebrauch bestimmten Fassung vor: Bischöfl. Gurker Ordinariat [Hg.], Statut und Dienstanweisung für die Dechanten der Diözese Gurk, Klagenfurt 1991); Statut für die Dechanten, in: Kirchliches VOB1. für die Diözese Graz-Seckau 1996, 33-37; Dekanatsordnung für die Diözese Innsbruck, in: VOB1. der Diözese Innsbruck 70 (1995) 1-6; Dekanestatut der Diözese Feldkirch, in: Feldkircher DiözBl. 17 (1985) 17-19. Amt, Stellung und Person des Dechanten, in: Wiener DiözBl. 125 (1987)68-70; Statut für die Dechanten und Dekanatskämmerer in der Diözese Linz, in: Linzer DiözBl. 144 (1998) 89-95; Statut für die Dechanten der Diözese St. Pölten, in: St. Pöltner DiözBl. Nr. 13 v. 15. November 1988, 147-151; Dekanatsordnung, in: Amtliche Mitteilungen der Diözese Eisenstadt Nr. 436 v. 10. Jänner 1997,13-17; 17-21. 22

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), Einleitung.

Dechant und Dekanat

249

2. Dechant - Seelsorgepersonal - Diözesanbischof Das Salzburger Recht geht davon aus, daß die Sorge des Dechanten um die Pfarrgemeinden Teilnahme an der Hirtenaufgabe des Diözesanbischofs ist und der Dechant das A m t in enger Bindung an den Bischof ausübt. 2 3 Für die in der Seelsorge tätigen Personen hat der Dechant besondere Verantwortung. Das Recht trägt dem insofern Rechnung, als es dem Dechanten eine mittlere Stellung zwischen dem Bischof und dem Seelsorgepersonal des Dekanats zuweist mit der ausdrücklichen Verpflichtung, die Anliegen der Priester und der Mitarbeiter/innen beim Bischof zu vertreten. Was die Pflichten gegenüber dem Bischof betrifft, ist festgelegt, daß der Dechant dafür Sorge trägt, daß bischöfliche Entscheidungen - gegebenenfalls nach erforderlichen Anpassungen - i m Dekanat umgesetzt werden. Zu seinen Aufgaben zählen ferner die Vertretung des Bischofs, sofern der Bischof einen entsprechenden Auftrag erteilt hat, sowie allgemein die Kontaktpflege mit weltlichen und sonstigen außerkirchlichen Institutionen. Der Dechant ist dazu verpflichtet, an den Dechantenkonferenzen teilzunehmen, die der Diözesanbischof einberuft. 2 4

3. Das Amt des Dechanten a) Eignungserfordernisse I m H i n b l i c k auf die mit dem Dechantenamt verbundenen Aufgaben verlangt die Rechtsordnung sehr spezifische Eignungserfordernisse, deren Vorhandensein vor der Ernennung v o m Bischof überprüft werden muß. Grundlegende Eignungsvoraussetzung ist der Priesterstand. Der betreffende Kandidat muß a) sich durch Wissen - gemeint ist nicht nur das erforderliche theologische und pastorale Fachwissen - und apostolischen Eifer auszeichnen; b) die seelsorgliche Situation des Dekanates kennen bzw. bereit sein, sie so bald w i e möglich kennenzulernen und c) Eignung dafür nachweisen, die seelsorgliche Zusammenarbeit mit Priestern und Laienmitarbeitern/innen - Diakone sind nicht ausdrücklich genannt, aber natürlich mitgemeint - zu fördern und zu lenken. In diesem Zusammenhang w i r d die Kontaktfähigkeit eigens genannt. 2 5 Aufgrund

23

In Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 8 wird das Dechantenamt als „bischöfliches Stellvertretungsamt" bezeichnet. 24 Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), I. 5

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. .

250

Johann Hirnsperger

dieser Kriterien w i r d i m Regelfall für das Dechantenamt nur ein Priester in Frage kommen, der bereits auf eine mehijährige erfolgreiche Tätigkeit in der pfarrlichen Seelsorge verweisen kann.

b) Dechantenwahl Der Diözesanbischof ernennt den Dechanten aufgrund der i m Dekanat durchgeführten W a h l . 2 6 Passiv wahlberechtigt sind alle Pfarrer des betreffenden Dekanates, „die die nötigen Voraussetzungen für diese Aufgabe haben und bereits angemessene Zeit als Seelsorger gearbeitet haben." 2 7 Dieser Bestimmung mangelt es an der gerade bei Wahlen notwendigen Klarheit, w e i l sie nicht geeignet ist, den Kreis der passiv wahlfähigen Personen eindeutig abzugrenzen. Zudem w i r d keine Aussage darüber getroffen, wer dafür kompetent ist festzustellen, ob ein Pfarrer die einschlägigen Kriterien erfüllt und damit wählbar ist. Die passive Wahlfähigkeit fehlt jedenfalls Priestern, die nicht Pfarrer sind, bzw. jenen Pfarrern, die nicht i m betreffenden Dekanat tätig sind. Auffallend ist, daß sich die Eignungserfordernisse für das Dechantenamt und die Voraussetzungen für die passive Wahlfähigkeit nicht ganz decken. Aktives Wahlrecht besitzen die i m Dekanat in der Pastoral tätigen Priester und Diakone sowie alle für die Seelsorge durch Dekret bestellten Laienmitarbeiter/innen. V o n den Laien sind jedenfalls wahlberechtigt: Pastoralassistenten/innen, Jugendleiter/innen, Pfarramtsleiter/innen - nunmehr Pfarrassistenten/innen genannt 2 8 - , der oder die Sprecher/in der Religionslehrer/innen und der oder die Dekanatsvertreter/in der Pfarrgemeinderäte. 29 Die Stimmen der Kleriker und die der Laien sind in ihrem Gewicht gleich, so daß der Fall nicht ausgeschlossen ist, daß die Kleriker von den Laien überstimmt werden.

26

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 9.

27

Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 11.

28

Die Umbenennung wurde durch diözesane Verordnung vom 5. Mai 1999 vorgenommen. Dies geschah mit ausdrücklicher Bezugnahme auf den in der Sitzung vom 3. bis 5. November 1998 gefaßten Beschluß der Österreichischen Bischofskonferenz, den Diözesen zu empfehlen, für den Dienst der Laien, die in den Pfarrgemeinden, wo der Priester nicht am Ort wohnt, Leitungsverantwortung übernehmen, die Bezeichnung „Pfarrassistent/in" zu verwenden. Vgl. VOB1. der Erzdiözese Salzburg 82 (1999) 73. 2

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19),

.

Dechant und Dekanat Was den Ablauf

der Dechantenwahl

251

angeht, sind die Wahlvorschriften des

kirchlichen Gesetzbuches (vgl. cc. 164 ff. CIC) anzuwenden, soweit nicht einschlägige statutarische Regelungen getroffen sind. Nach dem Statut ist vorgesehen, daß der Generaldechant die Wahl leitet. Er beruft die aktiv Wahlberechtigten zur Dekanatskonferenz (Wahlsitzung) ein und führt den Vorsitz. N u r die persönlich Anwesenden können das Wahlrecht ausüben, Stimmübertragung und Briefwahl sind nicht zulässig. A l s gewählt g i l t , wer die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Die Wahlentscheidung erfolgt spätestens i m dritten Wahlgang. Denn nach zwei ergebnislosen Wahlgängen ist eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten Stimmenanzahl durchzuführen. Bei Stimmengleichheit gilt von Rechts wegen als gewählt, wer das höhere Weihealter hat, bei gleichem Weihealter der nach Lebensjahren ältere. 3 0 Über die W a h l ist ein Protokoll zu erstellen, das v o m Vorsitzenden, den beiden Stimmzählern und v o m Schriftführer zu unterzeichnen ist. 3 1 I m Fall der Nichtannahme der Wahl ist eine Neuwahl abzuhalten. Bezüglich des Zeitpunktes bestehen keine normativen Vorgaben, so daß die Neuwahl bei der gleichen Wahlsitzung angesetzt werden könnte oder zu einem späteren T e r m i n . 3 2

c) Amtsdauer und Vakanz Der Dechant w i r d v o m Generaldechant in das A m t eingeführt. 3 3 Bezüglich des Zeitpunktes der Amtseinführung finden sich i m Statut keine Bestimmungen. Sie darf aber ohne schwerwiegenden Grund nicht aufgeschoben werden ( v g l . c. 151). Die Amtsperiode beträgt sechs Jahre. Das Statut sieht die Möglichkeit der Wiederwahl vor, läßt aber nicht klar erkennen, ob eine einmalige oder eine mehrfache Wiederwahl gemeint ist. 3 4 Amtsverlust tritt ein durch A b l a u f der Amtsperiode, Annahme des Verzichts, Übernahme eines Amtes außerhalb des Dekanates und nach Vollendung des 75. Lebensjahres sowie durch Amtsenthebung. Läuft die Amtsperiode in der Zeit

30

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 12,13.

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 15. Bei den Stimmzählern und beim Schriftführer wird im Text des Dechantenstatuts nur in der männlichen Form gesprochen. Hier dürfte es sich um ein redaktionelles Versehen handeln. Jedenfalls ist kein Grund ersichtlich, Frauen von diesen Aufgaben auszuschließen. 32

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 14.

33

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 22. Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II.

.

252

Johann Hirnsperger

der Vakanz des erzbischöflichen Stuhles aus, bleibt der Dechant von Rechts wegen solange i m A m t , bis das Bischofsamt neu besetzt ist. 3 5 Erledigung des Dechantenamts tritt von Rechts wegen schließlich auch mit dem Freiwerden der v o m Dechanten geleiteten Pfarre ein. Die Neuwahl des Dechanten darf in diesem Fall erst durchgeführt werden, nachdem die Pfarre neu besetzt ist. 3 6

d) Dekanatsakten und -archiv B e i m Wechsel i m A m t des Dechanten sind die Dekanatsakten und das Dekanatsarchiv dem neuen Dechanten zu übergeben. Dieser Vorgang w i r d v o m Generaldechant geleitet und ist zu protokollieren. Ort des Dekanatsarchivs ist jene Pfarre, nach der das Dekanat benannt ist; die Transferierung in eine andere Pfarre bedarf eines speziellen bischöflichen Auftrags. Der Dechant ist für die Aufbewahrung der Dekanatsakten verantwortlich. Jeweils nach A b l a u f der Amtsperiode sind sie dem A r c h i v einzuverleiben. Der Generaldechant verfügt über ein eigenes A r c h i v . 3 7

e) Dechant-Stellvertreter Der Dechant-Stellvertreter ist ebenfalls durch W a h l zu ermitteln und w i r d v o m Erzbischof ernannt. Die W a h l geschieht unmittelbar i m Anschluß an die Dechantenwahl nach der gleichen Ordnung wie diese. A l s Aufgaben des Dechant-Stellvertreters werden genannt: Vertretung des Dechanten in Einzelfällen auf dessen Ersuchen hin; Führung der Agenden des Dechanten bei dessen Erkrankung oder Verhinderung; Übernahme der Aufgaben des Dechanten bei dessen T o d bis zur Neubestellung eines Dechanten. Die Amtszeit des Dechant-Stellvertreters endet immer mit der Neubestellung des Dechanten. 3 8

35

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 18,19.

36

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 17.

37

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 20, 21.

38

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), II. 23, 24.

Dechant und Dekanat

4. Aufgabenfelder

253

im einzelnen

a) Sorge um die Priester, Diakone und Laienmitarbeiter/innen A n erster Stelle nennt das Statut die Verpflichtung des Dechanten, für die theologische und spirituelle Weiterbildung der i m Dekanat tätigen Priester und Laienmitarbeiter/innen Sorge zu tragen. 3 9 Hinsichtlich der Art und Weise, wie dieser Verpflichtung nachzukommen ist, sieht das Statut vor, daß die auf überpfarrlicher Ebene angebotenen Hilfen zu nützen sind. 4 0 Auffallend und in der Praxis in bestimmten Fällen möglicherweise von Nachteil ist, daß Weisungsrechte in diesem Zusammenhang dem Dechanten nicht eingeräumt werden. 4 1 Der Dechant muß sich besonders jener annehmen, die in den Seelsorgedienst neu eintreten, die erkrankt sind oder sich in irgendwelchen sonstigen Schwierigkeiten befinden. Wenn ein Priester stirbt, sorgt der Dechant für ein würdiges Begräbnis. I m Statut ist eine diesbezügliche Rechtspflicht beim T o d eines Diakons oder eines/er Laienmitarbeiters/erin nicht ausdrücklich vorgesehen. In Rücksicht darauf, daß diese Mitarbeiter genauso w i e die Priester der Sorge des Dechanten anvertraut sind, ist aber w o h l auch hier von einer Verpflichtung des Dechanten auszugehen, wenigstens in jenen Fällen, w o ein würdiges Begräbnis auf andere Weise nicht gesichert erscheint. 4 2 Zu den einschlägigen Dechantenaufgaben zählt schließlich die Sorge dafür, daß die pastorale Kooperation in bestmöglicher Weise geschieht und die Seelsorger i m Dekanat Gemeinschaft pflegen. 4 3

b) Koordinierung der Seelsorge Die einschlägigen Dechantenpflichten betreffen erstens die Förderung der notwendigen Abstimmungen bzw. der Einheitlichkeit in der Seelsorgearbeit in den Pfarren des Dekanates. Konkret werden folgende Bereiche aufgezählt: Feier der Gottesdienste; A b s t i m m u n g der Gottesdienstzeiten; möglichst ein-

39

Die Diakone werden nicht ausdrücklich genannt, sind aber mitgemeint.

40

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), IV. 30a.

41

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), III. 25, 26.

42

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), III. 26.

43

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), III. 26 - 28.

Johann Hirnsperger

254

heitliches Vorgehen bei der Sakramentenspendung und bei Begräbnissen; gegenseitige Leistung von Seelsorgeaushilfen und Vertretungen. 4 4 In den Kompetenzkreis des Dechanten fallen zweitens die Planung, Koordinierung und Durchführung von Aktionen, die in den überpfarrlichen Bereich hineinreichen. Er hat dabei bestehende Zuständigkeiten der diözesanen Stellen zu beachten. A n einschlägigen Aufgabenfeldern werden exemplarisch genannt: der schulische Religionsunterricht, Jugendarbeit, Tourismusseelsorge, religiöse Erwachsenenbildung, spirituelle Weiterbildung der Mitarbeiter/innen,

Vor-

überlegungen bezüglich der Errichtung neuer Seelsorgestellen und Pfarren, Planungen bei der Einrichtung von Pfarrverbänden, der Mitversorgung kleinerer Pfarren und bei der Betrauung von Pfarrseelsorgern mit überpfarrlichen Aufgaben, Wallfahrten, Treffen von Pfarrgemeinderäten und ähnliche gemeinsame Veranstaltungen. 4 5 Was die M i t w i r k u n g bei der Vorbereitung von Personalentscheidungen angeht, besagt das Statut: „In Angelegenheiten der Besetzung von Pfarren soll der Dechant v o m Personalreferenten der Erzdiözese kontaktiert werden." 4 6 Zu überlegen wäre, ob der Dechant nicht weitergehende Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Besetzung der Seelsorgestellen in seinem Dekanat erhalten sollte. Meiner Meinung nach würden doch beachtliche Argumente dafür sprechen, gerade i m H i n b l i c k darauf, daß dem Dechanten nunmehr besondere Verantwortung für die Pastoral i m Dekanat und für die Mitarbeiter/innen zukommt. Das wichtigste Instrument zur Erfüllung der dem Dechanten obliegenden seelsorglichen Koordinierungsaufgaben bildet die Dekanatskonferenz, die i m Regelfall monatlich abgehalten werden s o l l . 4 7 Das Dechantenstatut enthält weder Angaben über die Zusammensetzung und Arbeitsweise dieser Konferenzen noch zur rechtlichen Qualität der Beschlüsse. A u c h fehlt der Hinweis, daß einschlägige Geschäftsordnungen zu erlassen sind. Insgesamt fällt auf, daß der Gesetzgeber dem Dechanten für seine Tätigkeit als Koordinator der Seelsorge keine Weisungsbefugnisse einräumt und damit seine Gestaltungsmöglichkeiten stark einengt.

44

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), IV. 29.

45

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), IV. 30a.

46

Statut: Salzburg (Anm. 19), IV. 30b.

47

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), IV. 31.

Dechant und Dekanat

255

c) Visitation der Pfarrseeisorge Was die Häufigkeit der Visitation der Pfarren durch den Dechanten angeht, w i r d angeordnet, daß sie einmal jährlich stattfinden muß, aber nur in jenen Jahren, in denen die Pfarren des Dekanats nicht v o m Bischof visitiert werden. Für die Visitation der v o m Dechanten geleiteten Pfarre ist der Generaldechant zuständig. 4 8 Die Visitation besteht i m wesentlichen darin, daß der Pfarrer den Pfarrbericht vorlegt und der Dechant diesen mit i h m ausführlich bespricht. Darüber hinaus muß der Dechant bestrebt sein, sich einen persönlichen Eindruck von der seelsorglichen Lage in der Pfarre zu verschaffen. Zu diesem Zweck nimmt er nach Möglichkeit einmal jährlich an einer Pfarrgemeinderatssitzung teil. Außerdem kann er einmal i m Jahr den Pfarrgottesdienst selbst zelebrieren. Ausdrücklich vorgeschrieben ist, daß der Dechant i m Rahmen der Visitation Gespräche mit den kirchlichen Angestellten über ihre Arbeit zu führen hat 4 9 Was die Visitation des Pfarrhauses angeht, normiert der Gesetzgeber folgendes: Dem Dechanten ist die Sorge dafür auferlegt, daß jeder Pfarrer nach Möglichkeit eine Pfarrhaushälterin hat und daß für ihre berufliche und geistliche Weiterbildung Vorsorge getroffen ist sowie Entlohnung, Versicherung und Pensionszahlungen sozialgerecht geregelt sind. 5 0 Bezüglich der Art und Weise, wie der Dechant diesen Verpflichtungen nachzukommen hat, werden keine näheren Weisungen bzw. Empfehlungen gegeben. Er könnte sich ζ . B . Unterlagen bezüglich Entlohnung und Sozialversicherung vorlegen lassen. Jedenfalls geht das Dechantenstatut davon aus, daß der Pfarrhaushälterin eine bedeutende Rolle i m Pfarrhaus bzw. in der Seelsorge zukommt und erteilt damit indirekt bisweilen aufkommenden Meinungen, auf die Anstellung einer Pfarrhaushälterin - aus welchen Gründen auch immer - zu verzichten, eine deutliche Absage. Der Dechant muß die Ergebnisse der Pfarrvisitation i m Visitationsbericht schriftlich festhalten, der dem erzbischöflichen Ordinariat vorgelegt w i r d . 5 1 A m Ende der Bestimmungen über die Pfarrvisitation werden Aufgaben genannt, die dem Dechanten i m Fall des Pfarrerwechsels bei der Übergabe der

48

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), V. 32, 37. Im Rahmen der bischöflichen Pfarivisitation, die in jedem fünften Jahr stattfindet, werden die pfarrliche Seelsorgearbeit vom Diözesanbischof selbst, die Kanzleiführung vom Generaldechanten und die Vermögensgebarung von der Finanzkammer überprüft. Der bischöflichen Visitation unterliegt auch die Visitationstätigkeit des Dechanten. Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), V. 36. 49

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), V. 33,34.

50

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), V. 35.

51

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VI. 46.

Johann Hirnsperger

256

pfarrlichen Güter und der Pfarrakten zukommen. Schließlich wiederholt das Statut kodizielle Weisungen, wonach bei Krankheit und Tod eines Pfarrers der Dechant dafür Sorge tragen muß, daß das Kircheneigentum, besonders die heiligen Geräte, Bücher, Dokumente und Pfarrakten, nicht verlorengehen oder weggeschafft werden (vgl. c. 555 § 3 ) . 5 2 Diese Normierungen vermögensrechtlicher A r t hätten systematisch zutreffender unter Punkt V I I i m Statut eingeordnet werden sollen, w o die Aufsicht über die Verwaltung der pfarrlichen Güter geregelt w i r d . 5 3

d) Visitation des schulischen Religionsunterrichtes Der Dechant ist befugt, den Religionsunterricht in den Pflichtschulen zu v i sitieren. Er besitzt dabei die Stellung eines „berufenen Organs" i m Sinn von A r t . 1 § 4 Abs. 2 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich v o m 9. Juli 1962 zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen. 5 4 Der Dechant-Stellvertreter ist zur Schulvisitation nur berechtigt, wenn er dazu v o m Dechanten delegiert worden ist. 5 5 Kennzeichnend ist, daß nach der ausdrücklichen Weisung des Statuts bei den Zwecken der Schulvisitation nicht Aufsicht und Kontrolle i m Vordergrund stehen dürfen, sondern die Information und die Unterstützung der Priester und der Laien-Religionslehrer/innen. Außerdem dient die Visitation dazu, das Interesse der Kirche an der Institution Schule und ihre Verantwortung für die Verkündigung in spezifischer Weise nach außen hin zu bekunden. 5 6 Das Dechantenstatut macht bezüglich der Häufigkeit der Visitationen keine näheren Angaben, so daß es i m Ermessen des Dechanten steht zu entscheiden, w i e oft er den Religionsunterricht visitiert. Schon aus praktischen Gründen ist allerdings die Koordinierung mit den zuständigen diözesanen Stellen erforderlich. Bemerkenswert ist, daß das Statut die Möglichkeit einräumt, als Ersatz für die Schulvisitation eine pfarrliche bzw. dekanatliche Religionslehrer/innenKonferenz abzuhalten 5 7 Da bezüglich der Voraussetzungen und Umstände,

52

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), V. 38,39.

53

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VII.

54

Vgl. AAS 54 (1962) 641-652, 645; 64 (1972) 478-481; BGBl. Nr. 273/1962 (EB RV 767 NR GP IX) i.d.F. 289/1972 (EB RV 288 NR GP XIII). 55

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VI. 40.

56

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VI. 41.

57

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VI. 42.

Dechant und Dekanat

257

unter denen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, keine rechtlichen Vorgaben getroffen werden, liegt die Entscheidung letztlich i m freien Ermessen des Dechanten, der natürlich stets den seelsorglichen Nutzen i m Auge haben muß. Neben der Visitation i m engeren Sinn sind dem Dechanten in seiner Funktion als Schulvisitator eine Reihe weiterer nicht unbedeutender Aufgaben zugewiesen: Er ist dafür verantwortlich, daß die Ortsseelsorger Kontakte mit den Schuldirektoren/innen pflegen und regelmäßige Besprechungen mit den Religionslehrern/innen stattfinden. Was die Förderung der dekanatlichen Zusammenarbeit in Fragen der Schüler/innen- und Religionslehrer/innen-Pastoral betrifft, sieht das Statut zwar eine grundsätzliche Zuständigkeit des Dechanten vor, legt aber fest, daß von der Dekanatskonferenz und von den Religionslehrern/innen ein „Dekanats-Schulseelsorger" - früher „Dekanatsschulkoordinator" genannt bestellt werden soll, der für die Abdeckung dieses Aufgabenbereichs primär kompetent ist. Zu den Eignungskriterien und zum Modus der Bestellung des Dekanats-Schulseelsorgers äußert sich das Statut nicht. Priesterstand w i r d jedenfalls nicht gefordert, so daß auch Laien diese Funktion ausüben können. A l s Art der Bestellung w i r d in der Regel die Wahl in Betracht kommen, sie ist aber nicht vorgeschrieben. Die gänzliche Übertragung der mit der Schulseelsorge zusammenhängenden Agenden an den Dekanats-Schulseelsorger ist jedoch nicht vorgesehen. Der Dechant muß zumindest an den Veranstaltungen am Beginn des Schuljahres persönlich teilnehmen und die i m Religionsunterricht Tätigen zur Fortbildung persönlich einladen. Mangels entsprechender Befugnisse kann der Dechant auch in diesem Bereich keine Weisungen erteilen. Bei dem v o m Dechanten abzufassenden pfarrlichen Visitationsbericht ist auf die Situation des schulischen Religionsunterrichts sowie der Religionslehrer/innen- und der Schüler/innen-Pastoral eigens einzugehen. 5 8

e) Visitation der pfarrlichen Vermögensverwaltung Der Visitation des Dechanten unterliegt die gesamte Vermögensverwaltung in der Pfarre einschließlich der kirchlichen Gebäude. Bezüglich der Art und Weise, in der die Visitation zu geschehen hat, verweist das Dechantenstatut auf einschlägige Anordnungen der erzbischöflichen Finanzkammer. Die Bestandverzeichnisse sind jedenfalls wenigstens stichprobenartig zu überprüfen. Die

58

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VI. 43-46.

19 FS Mühlsteiger

258

Johann Hirnsperger

Prüfung der Vermögensverwaltung in der v o m Dechanten geleiteten Pfarre obliegt dem zuständigen Generaldechanten. 59

f) Visitation der Testamente Anläßlich der Vermögensvisitation sind auch die Testamente der i m Dekanat wohnhaften Priester zu visitieren. Diese haben das Testament verschlossen vorzuweisen und dem Dechanten den Ort bekannt zu geben, w o es aufbewahrt w i r d . Der Gesetzgeber äußert den Wunsch, daß am Sitz des Dekanats ein Verzeichnis der Aufbewahrungsorte aufliegt, das jährlich auf den letzten Stand zu bringen ist. Dem Dechanten steht das Recht auf Öffnung der Testamente der verstorbenen Priester zu. Er soll dazu stets zwei Zeugen beiziehen, nach M ö g lichkeit Mitglieder des Pfarrkirchenrates. Die Priester sind dazu verpflichtet, neben dem Testament eine letztwillige Verfügung über das eigene Begräbnis zu treffen. Der Dechant hat darauf zu achten, daß diese Verfügung getrennt v o m Testament aufbewahrt w i r d und i m Bedarfsfall v o m Dechant unverzüglich eingesehen werden kann. 6 0

I I I . Dechantenrechte und spezielle Vollmachten M i t dem A m t des Dechanten ist das Vorrecht verbunden, ein eigenes Amtssiegel zu führen. 6 1 Der zuständige Dechant ist zu hören, wenn der Bischof für eine Pfarre einen neuen Pfarrer ernennt (vgl. c. 524). Ein Anhörungsrecht vor der Bestellung von Kooperatoren oder Laienmitarbeitern/innen scheint i m Salzburger Partikularrecht nicht auf. Der Dechant ist dafür kompetent, die Pfarrer i m Auftrag des Bischofs in das A m t einzuführen, und die Pfarrprovisoren und Pfarramtsleiter/innen - jetzt Pfarrassistenten/innen genannt - der Pfarrgemeinde vorzustellen 6 2 Was die Befugnisse des Dechanten i m Fall der Vakanz von Pfarren bzw. der Amtsbehinderung des Pfarrers angeht, wiederholt das Dechantenstatut die einschlägigen Verfügungen der Österreichischen Bischofskonferenz in leicht mo-

59

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VII. 47,50.

60

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VII. 48,49.

61

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VIII. 51.

62

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VIII. 52,53.

Dechant und Dekanat

259

difizierter F o r m : 6 3 Die interimistische Leitung der betreffenden Pfarre übernimmt bis zur Bestellung des Provisors, Administrators bzw. des neuen Pfarrers: der Kooperator ( i m Fall einer Mehrzahl von Kooperatoren der Ersternannte), in Pfarren ohne Kooperator der Dechant, in der Pfarre des Dechanten der Dechant-Stellvertreter. 6 4 Der Dechant hat schließlich die Vollmacht, Reversionen und Konversionen durchzuführen und dabei von allfälligen Zensuren zu absolvieren. Diese V o l l macht ist auf seine Person beschränkt und nicht delegierbar. 6 5

I V . Abschließende Bemerkungen Die revidierten Salzburger Normen zeigen beachtliche Neuansätze, besonders was die dem Dechanten aufgetragene Unterstützung und die Förderung der in der Seelsorge Tätigen bzw. die umfangreichen Aufgabengebiete i m Zusammenhang mit der Koordinierung der Seelsorge i m Dekanat angeht. Die Neubestimmung des Dechantenamtes, die auf dem I I . Vatikanischen K o n z i l bzw. in der postkonziliaren Rechtsentwicklung vorgenommen wurde, findet einen deutlichen Niederschlag. Insgesamt konzipiert das revidierte Statut das Dechantenamt in viel höherem Maß, als dies früher der Fall war, als spezifisches Seelsorgeamt, wenngleich die traditionelle Sichtweise, in der die i m Auftrag des Bischofs wahrzunehmende Aufsichtsfunktion i m Vordergrund steht, weiterhin greifbar bleibt. Der Dechant steht vor der Herausforderung, sein A m t in einer Weise wahrzunehmen, so daß die Ausführung seines seelsorglichen Auftrags nach Möglichkeit nicht durch die Verpflichtungen als A u f sichtsorgan beeinträchtigt wird. Der Aufgabenbereich, der nach dem Salzburger Recht dem Dechanten zuk o m m t , geht in einigen Punkten über den i m allgemeinen Recht abgesteckten Rahmen weit hinaus. Die i h m zusätzlich übertragene Verantwortung betrifft vor allem die Sorge um die Laien, die i m Dekanat seelsorglich tätig sind, und die Förderung bzw. die Beaufsichtigung des schulischen Religionsunterrichts. Einerseits stattet die erneuerte teilkirchliche Rechtsordnung das Dechantenamt mit sehr umfangreichen Zuständigkeiten aus, andererseits ist sie aber bei der Zuteilung von Weisungsbefugnissen auffallend zurückhaltend. Dies kann

63

Vgl. Dekret über die Leitung einer Pfarre ab Eintritt von Vakanz oder Amtsbehinderung (can. 541), in: ABl. der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 1 vom 25. Jänner 1984, 9, Nr. 20. 64

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VIII. 54.

65

Vgl. Statut: Salzburg (Anm. 19), VIII. 55.

260

Johann Hirnsperger

insofern von Nachteil sein, als der Dechant kaum rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten vorfindet und auch Entscheidungen, die von der Sache her i m Dekanat getroffen werden sollten, auf die diözesane Ebene verlagert werden müssen. Möglicherweise spielt auf Seiten des Gesetzgebers die Überlegung eine Rolle, daß durch die Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen an den Dechanten die Einheitlichkeit der Pastoral in der Diözese wenigstens in bestimmten Bereichen nicht mehr i m wünschenswerten Ausmaß garantiert werden könnte. In seiner Gesamtheit ist das erneuerte Recht aber so angelegt, daß dem Dechanten auch in Zukunft eine bedeutende Funktion wenigstens bei der Vorbereitung von Entscheidungen zukommen w i r d . Unter formalrechtlichen Gesichtspunkten könnte man die Frage stellen, ob es in Anbetracht der Vielschichtigkeit der Regelungsmaterie nicht angemessen wäre, das Dechantenstatut etwas zu straffen und nur Vorschriften grundlegender A r t aufzunehmen, dafür aber zusätzlich eine eigene Geschäftsordnung zu erlassen. Durch das Instrument der Geschäftsordnung, in der ζ . B . der A b l a u f der Wahlen, die Dekanatskonferenzen oder die Visitationen zu normieren wären, könnte die Rechtsordnung noch transparenter werden, vor allem aber wäre die Anpassung der Normen an die sich ändernden Verhältnisse leichter möglich.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu V o n Ulrich Rhode SJ

Was der Begriff „Eigenrecht der Gesellschaft Jesu" meint, ist nicht sehr verschieden von dem, was Jesuiten herkömmlich i m Anschluß an den hl. Ignatius als „Institut der Gesellschaft Jesu" bezeichnen. Genau deckungsgleich sind die beiden Begriffe allerdings nicht. Der Ausdruck „Institut" hat in der Tradition der Gesellschaft Jesu eine spezifische Bedeutung, die über die rein rechtliche Ebene hinausgeht. Er bezeichnet „sowohl die A r t und Weise unseres Lebens und Wirkens als auch die schriftlichen Dokumente, durch die diese Art und Weise authentisch und verbindlich dargestellt w i r d . Diese Dokumente sind teils Gesetze i m strengen Sinn, teils beschreiben sie bewährte Überlieferungen der Gesellschaft." 1 Demgegenüber meint die Formulierung „Eigenrecht der Gesell-

1

31. GK, D. 4, Nr. 2.

Verwendete Abkürzungen: ARSJ = Acta Romana Societatis Jesu, Rom 1910 ff.; D. = Dekret; EN = Ergänzende Normen zu den Satzungen der Gesellschaft Jesu; GK = Generalkongregation; Sa = Satzungen der Gesellschaft Jesu (einschließlich des „Examens") Einzelne zitierte Dokumente: a) Originalfassungen: Collectio decretorum Congregationum Generalium Societatis Iesu, 1. Ausgabe, in: ARSJ 4 (1923) 23-138; 2. Ausgabe, Rom 1961; 3. Ausgabe, Rom 1977; Compendium practicum iuris Societatis lesu, 1. Ausgabe, Rom 1977; 2. Ausgabe, Rom 1986; Constitutiones Societatis Iesu et Normae Complementariae, Rom 1995; die Anmerkungen zu den Satzungen und die Ergänzenden Normen auch in: ARSJ 21 (1995) 953-1174; Decreta Congrégations Generalis X X X I , in: ARSJ 14 (1966) 805-1020; Decreta Congregationis Generalis X X X I I , in: ARSJ 16 (1974) 269-471; Decreta Congregationis Generalis X X X I I I , in: ARSJ 18 (1983) 1039-1111; Decreta Congregationis Generalis X X X I V , in: ARSJ 21 (1995) 191-1285; Epitome Instituti Societatis Iesu, Rom 1924; letzte Ausgabe: Societatis Iesu Constitutiones et Epitome Instituti, Rom 1962; Manuale practicum iuris Societatis Iesu, Rom 1997; Practica quaedam, Rom 1997 b) Deutsche Übersetzungen: Dekrete der 31. bis 34. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu, hg. von der Provinzialskonferenz der Zentraleuropäischen Assistenz, München 1997; Satzungen der Gesellschaft Jesu und Ergänzende Normen, hg. von der Provinzialskonferenz der Zentraleuropäischen Assistenz, München 1997 (darin auch der revidierte Text der Formula Instituti)

Ulrich Rhode

262

schaft Jesu"2 - entsprechend der Bedeutung, die der Ausdruck „Eigenrecht" im CIC hat3 - einfach die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich speziell an die Gesellschaft Jesu richten. Im Jahre 1983 gab die 33. Generalkongregation dem Generaloberen den Auftrag, „die Revision unseres Eigenrechts und unserer Privilegien, die die nächste Generalkongregation durchzuführen hat, durch geeignete Untersuchungen vorzubereiten". 4 Bei der damit angesprochenen „Revision" des Eigenrechts handelt es sich allerdings nur um eine bestimmte Etappe eines länger andauernden Überarbeitungsprozesses, der bereits zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils begonnen hatte und der auch nach der 34. Generalkongregation, die im Jahre 1995 stattfand, noch nicht völlig zum Abschluß gekommen ist. Wenn im folgenden von der „Revision" des Eigenrechts gesprochen wird, ist dieser gesamte Überarbeitungsprozeß gemeint, der sich etwa über ein Drittel Jahrhundert erstreckte. 5 I. Etappen der Revision Das Zweite Vatikanische Konzil hatte in seinem „Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens" dazu aufgefordert, daß die Ordensgemeinschaften ihre Konstitutionen und sonstigen Rechtssammlungen „mit den Dokumenten dieser Heiligen Synode in Einklang bringen" 6 . Papst Paul VI. hatte dazu im Motu Proprio „Ecclesiae Sanctae" von 1966 nähere Anweisungen gegeben.7 Insbesondere hatte er angeordnet, daß alle Ordensgemeinschaften

2 Einige Beispiele für Dokumente der Gesellschaft Jesu, die den Begriff „Eigenrecht der Gesellschaft Jesu" verwenden: 31. GK, D. 2, Nr. 2; D. 50, Nr. 118 § 1; D. 53,1°; 33. GK,3 D. 6, II, Nr. 2. Vgl. cc. 307 § 3,598 § 2,600,607 § 2,616 § 1,622, 623,624 §§ 2 und 3 usw. 4

33. GK, D. 6, II, Nr. 2.

Vgl. zu diesem Thema: U. Valero, Del espiritu a la letra; de la letra al espiritu (La renovation de las Constituciones de la Comparila de Jesus.), in: Manresa 68 (1996) 115— 131; ders., Revision of Our Law and of Our Life, in: CIS (Centrum Ignatianum Spiritualitatis) 25 (1994) 108-113; S.Rendina, I Gesuiti e la revisione delle loro Costituzioni, in: Rassegna di teologia 35 (1994) 534-554. 6 7

Dekret „Perfectae caritatis", Nr. 3.

MP ,Ecclesiae Sanctae" vom 6.8.1966, II. Normae ad exsequendum decretum Ss. Concilii Vaticani II „Perfectae caritatis", in: AAS 58 (1966) 775-782.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

263

innerhalb von zwei bis drei Jahren Generalkapitel abhalten sollten, um sich dieser Aufgabe anzunehmen. 8 Schon i m Jahr zuvor, i m M a i 1965, war in der Gesellschaft Jesu die 31. Generalkongregation zusammengetreten, um für den verstorbenen Generaloberen, P. Johannes B . Janssens, einen Nachfolger zu wählen. Nach der W a h l von P. Pedro Arrupe zum neuen Generaloberen hatte sich die Kongregation zwei M o nate lang mit den Fragen der Erneuerung des Lebens und der Sendung der Gesellschaft Jesu beschäftigt und dann entschieden, ein Jahr später i m Herbst zu einer zweiten Sitzungsperiode zusammenzukommen. 9 Neben der Fülle der zu bewältigenden Arbeit war die Entscheidung zu einer solchen - in der Geschichte der Gesellschaft Jesu bislang einmaligen - Unterbrechung auch durch den Wunsch veranlaßt, zunächst den Abschluß des Zweiten Vatikanums abzuwarten, dessen letzte Sitzungsperiode in der Zwischenzeit abgehalten werden würde. A u f Anfrage des neuen Generaloberen teilte die Religiosenkongregation m i t , die zweite Sitzungsperiode der 31. Generalkongregation erfülle die Anforderungen des i m M o t u Proprio „Ecclesiae Sanctae" verlangten besonderen Generalkapitels zur Umsetzung der Konzilsbeschlüsse. 1 0 Tatsächlich ist in den 56 Dekreten dieser Generalkongregation der Einfluß des Zweiten Vatikanums allgegenwärtig, und auch das M o t u Proprio „Ecclesiae Sanctae" hat darin deutliche Spuren hinterlassen. Dekret 2 trägt die Überschrift „ D i e Erneuerung unserer Gesetze" und legt die Leitlinien für die geplante Revision des Eigenrechts dar. In deutlichem A n k l a n g an das K o n z i l , das von einer „zeitgemäßen Erneuerung" (accommodata renovatio) des Ordenslebens gesprochen hatte, spricht die Generalkongregation von einer „zeitgemäßen Erneuerung" der Gesellschaft Jesu. 11 Ausdrücklich w i r d die von Papst Paul V I . erwähnte 1 2 Möglichkeit hervorgehoben, dazu auch Experimente durchzuführen, die ggf. gegen das Eigenrecht des Ordens und auch gegen das allgemeine Kirchenrecht verstoßen können, vorausgesetzt, daß der Apostolische Stuhl entsprechende Erlaubnisse erteilt. 1 3 D e m K o n z i l folgend, unterscheidet die Generalkongregation zwischen den „grundlegenden und bleibend gültigen Elementen des Instituts ... und seinen geschichtlich be-

8

MP „Ecclesiae Sanctae", II, Nr. 3.

9

Vgl.31.GK,D.49.

10

SC de Religiosis, Brief vom 12.11.1966, in: ARSJ 14 (1966) 1008; auch abgedruckt in: Ochoa Leges III 5052 (Nr. 3488). 11

31. GK, D. 2, Nr. 3.

12 1 3 MP

„Ecclesiae Sanctae", II, Nr. 6. 31. GK, D. 2, Nr. 2; vgl. ARSJ 14 (1966) 710 f.

264

Ulrich Rhode

dingten Inhalten, die nach den Verhältnissen und Erfordernissen der Zeit veränderlich sind" 14 . Als Grundlage für die Durchführung dieser Unterscheidung befaßt sich Dekret 4 in allgemeiner Weise mit der „Bewahrung und Erneuerung des Instituts" und gelangt dabei zu einer Neubestimmung der „Substantialia", d.h. jener Vorschriften, die für das Institut der Gesellschaft Jesu wesentlich und grundlegend sind. Zuletzt hatte sich im Zuge der Neuordnung des Eigenrechts nach dem Erscheinen des CIC/1917 die 27. Generalkongregation im Jahre 1923 intensiv mit dieser Frage beschäftigt und als Ergebnis eine Liste von etwa 35 „Substantialia" zusammengestellt.15 Die 31. Generalkongregation hat dieses eher starre System beseitigt. Als „Substantialia" sollten fortan vor allem die Bestimmungen der „Formula Instituti", der von Papst Julius III. im Jahre 1550 erlassenen „Regel" der Gesellschaft Jesu, gelten und außerdem diejenigen anderen Bestimmungen, die eine Generalkongregation für wesentlich erklärt. 16 In etlichen Einzelfragen beschloß die 31. Generalkongregation wichtige Veränderungen des Eigenrechts, etwa in den Dekreten über die Zulassung zu den Letzten Gelübden 17 , das Gebet 18 , die Provinzkongregation 19, den Generaloberen 20 sowie seine Assistenten 21. In anderen Fragen hat die Kongregation zu Experimenten aufgefordert, um zunächst Erfahrungen zu sammeln, auf deren Grundlage eine spätere Generalkongregation neue Beschlüsse würde fassen können. Das betrifft ζ. B. den ständigen Diakonat 22 , die Studienordnung 23, das Tertiat 24 sowie die interprovinzielle Zusammenarbeit 25. Für bestimmte Fragestellungen wurden Kommissionen eingesetzt, die durch genauere Untersuchungen spätere Entscheidungen vorbereiten sollten; dabei ging es um die Frage der

14

31. GK, D. 2, N r . l .

15

Siehe: Collectio decretorum, 1. Ausgabe, 1924, Nr. 13, in: ARSJ 4 (1923) 32-35.

16

31. GK, D. 4, Nr. 3. Vgl. G. E. Ganss, The „Substantial" of the Institute of the Society of Jesus, in: Studies in the Spirituality of Jesuits 4 (1972) 117-126.

bets). 19 20 20

D. 40 (zur Frage der Zusammensetzung der Provinzkongregation). D. 41, Nr. 2 (Ermöglichung des Rücktritts).

21

D. 44.

22

D. 6, Nr. 2.

23

D. 9, Nr. 15.

24

D. 11, Nr. 3-5.

25

D. 48, Nr. 7-8.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

265

Grade, d. h. der Unterscheidung zwischen Professen und Koadjutoren 2 6 , die Brüder

, die „Ratio Studiorum"

und v o r allem um das Armutsrecht

. Die

Behandlung wieder anderer Fragen wurde dem Generaloberen aufgetragen; das betrifft z.B. die Frage der Anbindung von Laien an den O r d e n 3 0 , die Bücherzensur 3 1 und den ganzen Bereich der „Regeln", die sich auf Verhaltensweisen i m alltäglichen Leben und auf die Pflichten der verschiedenen Amtsträger bezogen

32

Was das Armutsrecht angeht, hatte die Generalkongregation in bestimmten Einzelfragen bereits selbst Entscheidungen getroffen. Da eine Reihe dieser Beschlüsse die Formula Instituti berührten, die päpstliches Recht darstellt, wurde beschlossen, daß die betreffenden Passagen „zur Bestätigung oder wenigstens zur Information dem Heiligen Vater vorgelegt w e r d e n " 3 3 sollten. Papst Paul V I . gewährte noch vor Beginn der zweiten Sitzungsperiode seine Bestätigung der gefaßten Beschlüsse. 34 I m übrigen setzte die Generalkongregation vier „Definitoren" ein und trug ihnen auf, zusammen mit dem Generaloberen „einen Entwurf für die zeitgemäße Erneuerung und Revision unseres gesamten A r mutsrechts vorzubereiten" 3 5 . Die 32. Generalkongregation, die 1974/1975 stattfand, beschäftigte sich weit weniger mit rechtlichen Fragen als mit dem Wunsch nach einer Neuformulie-

26

D. 5, Nr. 1-2. Die Bezeichnungen „Professe" und „(formierter) Koadjutor" beziehen sich auf die Frage, zu welchen („Letzten") Gelübden ein Jesuit nach Abschluß seiner Ausbildungszeit zugelassen wird. Die „Professen" legen feierliche, die „Koadjutoren" einfache Gelübde ab. Zu den Gelübden der „Professen" können nur Priester zugelassen werden. Sie legen entweder nur die drei üblichen Ordensgelübde ab oder das ist der Normalfall - auch das vierte Gelübde des besonderen Gehorsams gegenüber dem Papst in bezug auf Sendungen. Die „formierten Koadjutoren" legen nur die drei üblichen Ordensgelübde ab. Sie sind teils Priester („geistliche Koadjutoren"), teils Brüder (früher als „zeitliche Koadjutoren" bezeichnet). 27

D. 7, Nr. 8.

28

D. 9, Nr. 15.

29

D. 18, Nr. 20.

30

D. 34.

31

D. 54, Nr. 1.

32

D. 19, Nr. 14.

33

D. 18, Nr. 21.

34

Secretarla Status, Brief vom 6.6.1966, in: ARSJ 14 (1966) 1006 f., auch abgedruckt in: Ochoa Leges, III 4987 (Nr. 3443). 35

D. 18, Nr. 20 c).

Ulrich Rhode

266

rung der Sendung der Gesellschaft Jesu, die als „Dienst am Glauben und Förderung der Gerechtigkeit" bestimmt w u r d e . 3 6 Dennoch standen auch auf rechtlichem Gebiet neben einigen weniger wichtigen Angelegenheiten 3 7 mindestens zwei Themen von größerer Bedeutung an: zum einen die Frage der Grade, zum anderen erneut das Armutsrecht. Was die erste Frage angeht, tendierte die K o n gregation dahin, die v o m hl. Ignatius eingeführte Unterscheidung zwischen Professen und geistlichen Koadjutoren abzuschaffen; außerdem gab es den Wunsch, daß auch die Brüder zu denselben vier feierlichen Gelübden wie die Professen zugelassen werden sollten. Papst Paul V I . hatte jedoch von Beginn der Kongregation an zu verstehen gegeben, daß er den dazu erforderlichen Änderungen der Formula Instituti nicht zustimmen werde; nach einigem H i n und Her mußte das Anliegen deshalb von der Kongregation ad acta gelegt werden. 3 8 I m Armutsrecht gelang ihr demgegenüber eine umfassende Neuordn u n g . 3 9 Die dazu erforderliche Bestätigung wurde von Papst Paul V I . zunächst nur „ad experimentum" gewährt 4 0 ; Papst Johannes Paul I I . gewährte sie später jedoch jedoch endgültig. 4 1 I m Jahre 1978 errichtete der Generalobere eine Kommission, die einen Entw u r f für ein umfassendes Gesetzbuch der Gesellschaft Jesu vorbereiten sollte, in das sowohl die Satzungen als auch die Dekrete der Generalkongregationen Eingang finden sollten. 4 2 Der von dieser Kommission entworfene Text stieß jedoch auf vielfache K r i t i k ; der Haupteinwand lautete, die Satzungen würden darin zu sehr untergehen. Der Entwurf wurde daraufhin fallengelasssen; das Anliegen, das Eigenrecht in einer besser geordneten Form zusammenzufassen, blieb freilich bestehen und wurde auf der 33. Generalkongregation i m Jahre 1983 wieder aufgegriffen.

36

32. GK, D. 4.

37

Vgl. etwa die Frage nach dem ständigen Diakonat (D. 9), dem Zeitpunkt der Letzten Gelübde (D. 10), den Allgemeinen Regeln (D. 11, Nr. 54) und der Zusammensetzung der Provinzkongregation (D. 14). 38 Vgl. 32. GK, D. 8. 39

D. 12.

40

Secretarla Status, Brief vom 2.5.1975, in: ARSJ 16 (1975) 456-461; auch abgedruckt in: Ochoa Leges V , 7021 (Nr. 4379). 41

Secretarla Status, Brief vom 3.11.1983, in: ARSJ 18 (1983) 1100 f.; auch abgedruckt in: Ochoa Leges VI, 8713 (Nr. 5007). 42

Siehe ARSJ 18 (1980) 220; vgl. dazu: J. M. Diaz Moreno , San Ignacio y la ley (Reflexiones sobre la actualization y renovation del Derecho de la Comparila de Jesus), in: Manresa 68 (1996) 139.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

267

Diese Generalkongregation war zur Wahl eines neuen Generaloberen zusammengetreten. P. Arrupe hatte nach einem Schlaganfall seinen Rücktritt angeboten; als sein Nachfolger wurde P. Peter-Hans Kolvenbach gewählt. Was einzelne rechtliche Veränderungen angeht, hat die 33. Generalkongregation vor allem die Vorschriften über die Zusammensetzung der Generalkongregation revidiert. 4 3 Die Anpassung des Eigenrechts an den Codex Iuris Canonici von 1983 wollte die Generalkongregation nicht selbst in die Hand nehmen. V i e l mehr übertrug sie dem Generaloberen die nötigen Vollmachten und trug ihm i m übrigen auf, seine diesbezüglichen Entscheidungen der nächsten Generalkongregation zur Überprüfung vorzulegen. 4 4 Darüber hinaus gab sie dem Generaloberen, wie bereits erwähnt, den Auftrag, eine umfassende Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu vorzubereiten. 4 5 Der Sache nach war i m H i n b l i c k auf eine solche Revision seit der 31. Generalkongregation bereits v i e l geschehen. Der Auftrag der 33. Generalkongregation zielte demgemäß in erster Linie daraufhin, dem erneuerten Eigenrecht auch in formaler Hinsicht eine klarere Struktur zu geben, ähnlich wie es die 27. Generalkongregation i m Jahre 1923 nach dem Erscheinen des CIC/1917 getan hatte. Die entscheidenden Weichenstellungen für die Neuordnung wurden v o m Generaloberen zusammen mit seinen Beratern vorgenommen und fanden die Zustimmung der Provinziäle des Ordens, die i m Jahre 1990 in Loyola zur einer „Kongregation der Provinziäle" versammelt waren. Weitere Etappen der Revision waren Beratungen mit Fachleuten aus allen Teilen des Ordens sowie die Beratungen auf den Provinzkongregationen, die die 34. Generalkongregation vorzubereiten hatten. Die 34. Generalkongregation, die i m Jahre 1995 stattfand, hat die Revision des Eigenrechts zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht. 4 6 A l s Ergebnis daraus erschien eine durch Anmerkungen auf den neuesten Stand gebrachte Ausgabe der Satzungen der Gesellschaft Jesu sowie - unter dem Titel „Ergänzende Normen zu den Satzungen der Gesellschaft Jesu" - eine Neuzusammenstellung der Dekrete aller 34 Generalkongregationen, soweit diese Dekrete von bleibender Bedeutung waren. Z u den relativ wenigen inhaltlichen rechtlichen Veränderungen, die die 34. Generalkongregation vorgenommen hat, zählen Vorschriften über die interprovinzielle Zusammenarbeit 4 7 , die verschiedenen Kongrega-

43

D. 3.

44

D. 6, II, Nr. 1. Der Generalobere erließ die notwendigen Vorschriften in den Jahren 1985/1986; siehe dazu ARSJ 19 (1985) 251-253; 19 (1986) 505-507. 45

D. 6, II, Nr. 2.

46

Vgl. 34. GK, D. 1, Nr. 1.

47

D. 21.

268

Ulrich Rhode

tionen 4 8 und die Assistenten und Berater des Generaloberen 4 9 . Was die dem Papst vorbehaltenen Angelegenheiten angeht, hatte man bereits i m Vorfeld der Kongregation i m H i n b l i c k auf die bereits vorliegenden Postulate beim Apostolischen Stuhl vorgefühlt. In bezug auf drei Fragen hatte Papst Johannes Paul I I . eine Behandlung durch die Generalkongregation ausgeschlossen. Dabei ging es um die Zulassung von Brüdern zum vierten Gelübde, die Zulassung aller Jesuiten zu feierlichen Gelübden sowie die Wahl des Generaloberen auf bestimmte Zeit. In bezug auf alle anderen Fragen hatte der Papst, auch wenn sie das päpstliche Recht berühren sollten, gegen eine Behandlung auf der Generalkongregation nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß nicht die grundlegende Struktur der Gesellschaft Jesu in Frage gestellt würde. Tatsächlich hat sich die Generalkongregation

in einigen Punkten für Änderungen

des päpstlichen

Rechts ausgesprochen 50 und dafür v o m Papst auch die notwendige Bestätigung erhalten. 5 1 Wenngleich sich die Darstellung der voranstehend genannten Etappen der Revision des Eigenrechts v o r allem an den vier letzten Generalkongregationen und damit an den Veränderungen des von den Generalkongregationen abhängigen Rechts orientiert hat, darf doch nicht übersehen werden, daß in der Z w i schenzeit auch auf der Ebene des untergeordneten Rechts, das v o m Generaloberen abhängt und z.T. nur das Gebiet einzelner Provinzialskonferenzen oder Provinzen betrifft, tiefgreifende Veränderungen vor sich gegangen sind. Darauf w i r d i m folgenden Abschnitt näher eingegangen, der sich der Frage zuwendet, wie sich die Revision des Eigenrechts in den einzelnen rechtlichen Dokumenten der Gesellschaft Jesu niedergeschlagen hat.

I L Die Revision der einzelnen Dokumente A n der von Papst Julius I I I . i m Jahre 1550 erlassenen „Formula Instituti", die innerhalb des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu den obersten Rang einn i m m t , wollte die Gesellschaft Jesu über mehr als vierhundert Jahre hin nichts verändern, weder dem Wortlaut noch der Sache nach. Die 32. Generalkongregation konnte sich mit ihrem Wunsch, in der Frage der Grade Veränderungen vorzunehmen, beim Papst - wie gesagt - nicht durchsetzen. Zu Veränderungen der „Formula Instituti" kam es erst durch die 34. Generalkongregation. Sie hat zwar den Wortlaut unangetastet gelassen, i h m aber zwei Anmerkungen hinzu -

48

D. 23, A , B, C und D.

49

D. 23, E.

50

Siehe Formula Instituti Julius' III., Nr. 2, Anm. 2 und 3; EN 139 § 1.

51

Secretarla Status, Brief vom 10.6.1995, in: ARSJ 21 (1995) 126 f.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

269

gefügt, die darauf hinweisen, daß die betreffenden Bestimmungen der Formula Instituti auf ihren Wunsch hin v o m Papst aufgehoben wurden. Dabei geht es zum einen darum, daß die Aufhebung von Kollegien nun nicht mehr der Generalkongregation vorbehalten ist, sondern - unter Berücksichtigung bestimmter Beispruchsrechte - v o m Generaloberen selbst vorgenommen werden kann. 5 2 Der in der Formula Instituti enthaltene Vorbehalt hatte sich als unpraktikabel erwiesen und dazu geführt, daß in der Vergangenheit jede Generalkongregation von neuem dem Generaloberen die Vollmacht übertragen hatte, solche Aufhebungen selber vorzunehmen. Die andere geänderte Bestimmung betrifft die Zusammensetzung der Generalkongregation. Die vollberechtigte Teilnahme an ihr war nach der Formula Instituti nur für Professen 53 möglich. Aufgrund der nun vorgenommenen Änderung können auch formierte Koadjutoren nicht nur als sogenannte „Prokuratoren ad negotia", sondern mit vollem aktiven Stimmrecht teilnehmen. Aufgrund eines entsprechenden Wunsches des Apostolischen Stuhls wurde der A n t e i l der formierten Koadjutoren unter den Mitgliedern der Generalkongregation allerdings auf höchstens 10 Prozent begrenzt. 5 4 Den zweiten Rang an Würde und Autorität nehmen innerhalb des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu die v o m hl. Ignatius verfaßten „Satzungen" (Constitutiones) 5 5 ein, die ihre rechtliche Geltung daraus ableiten, daß sie nach seinem T o d von der 1. Generalkongregation i m Jahre 1558 beschlossen wurden. Aufgrund eines von Papst Paul I I I . i m Jahre 1544 verliehenen Privilegs ist die Generalkongregation in der Lage, die Bestimmungen der Satzungen zu verändern, ohne dafür einer besonderen päpstlichen Bestätigung zu bedürfen; vielmehr gelten die vorgenommenen Änderungen als ohne weiteres mit päpstlicher Autorität bestätigt. 5 6 Bereits die 3. Generalkongregation hatte i m Jahre 1573

52

EN 402 § 3.

53 54

Zu den Begriffen „Professe" und „formierter Koadjutor" siehe oben Anm. 26. 34. GK, D. 23, A , Nr. 2,1 °-2°.

Der Ausdruck „Satzungen" ist hier im weiten Sinne gebraucht. Er umfaßt sowohl das »Allgemeine Examen" als auch die „Satzungen" im engeren Sinn, jeweils zusammen mit den zugehörigen Erläuterungen („Declarationes"). 56

Paul III., „Iniunctum Nobis", vom 14.3.1544, in: Monumenta Ignatiana, Series tertia: Sancti Ignatii de Loyola Constitutiones Societatis Iesu, torn. I: Monumenta Constitutionum praevia, Roma 1923, 81-86. Vgl. Compendium privilegiorum Societatis Iesu (1997), Nr. 12-13, in: Manuale practicum, 195 f., Nr. 375-376. Die Satzungen der Gesellschaft Jesu sind nicht mit den in c. 587 genannten „Konstitutionen" identisch. „Was aufgrund der Anweisung des allgemeinen Kirchenrechts in das 'grundlegende Rechtsbuch, der Institute des geweihten Lebens eingefügt werden muß, ist in der Formula Instituti enthalten und wird erklärt an den entsprechenden Stellen der Satzungen

270

Ulrich Rhode

angeordnet, daß der Wortlaut der Satzungen als solcher nicht verändert werden sollte und etwaige Änderungen statt dessen in anderer Weise niedergelegt werden sollten. 5 7 A l s Folge davon kam es zu Ausgaben der Satzungen, die mit Anmerkungen versehen waren, aus denen hervorging, welche Bestimmungen i m Laufe der Jahrhunderte durch Veränderungen des allgemeinen Kirchenrechts oder durch Beschlüsse späterer Generalkongregation aufgehoben, geändert oder verbindlich ausgelegt worden waren 5 8 Während solche Anmerkungen in der Vergangenheit nur die Autorität des jeweiligen Herausgebers besaßen, fügte die 34. Generalkongregation dem Text der Satzungen erstmals Anmerkungen („Notae") hinzu, die mit der Autorität der Generalkongregation beschlossen worden waren. M i t der Hinzufügung von Anmerkungen zu den Satzungen wurde nach den Worten des Generaloberen „die Hoffnung verbunden, daß die Satzungen ihre erste und ursprüngliche inspirierende und normative Kraft für das Leben der Gesellschaft wiedergewinnen würden und daß sie nicht ein bloß geistliches und lehrhaftes Dokument blieben, das an vergangene Zeiten gebunden und deswegen veraltet w ä r e " 5 9 . Die von der 34. Generalkongregation beschlossenen Anmerkungen beginnen mit einem der Worte „ A b r o g a t u m " (aufgehoben), „Obrogatum" (geändert) oder „Declaratum" (erklärt). Die A n merkungen der ersten beiden Arten gehen teils auf Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts, teils auf Beschlüsse von Generalkongregationen zurück; die Anmerkungen der dritten Art beziehen sich notwendigerweise auf Auslegungen, die von einer Generalkongregationen vorgenommen wurden. Die Zahl der Anmerkungen, die von ihrem Inhalt her auf Beschlüsse von Generalkongregation zurückgehen, beträgt etwas über hundert. Etwa zwei Drittel davon gehen auf Beschlüsse der letzten vier Generalkongregationen zurück, vor allem auf die 31. und 34. Generalkongregation. Bei den einschlägigen Beschlüssen der 31. Generalkongregation handelt es sich ganz überwiegend um Auslegungen, nicht u m eine eigentliche Aufhebung oder Änderung von Bestimmungen der Satzungen. Die 32. Generalkongregation hat an den Satzungen einige wenige Änderungen vorgenommen, die sich vor allem auf das Armutsrecht beziehen. 6 0 Die 33. Generalkongregation hat die Vorschrift über die Zusammenset-

und der Dekrete der Generalkongregationen, die die Satzungen in bezug auf jene Angelegenheiten erklären oder ändern." (EN 14). 57

Vgl. Collectio decretorum, 1. Ausgabe, Rom 1924, Nr. 14 § 4 Satz 2.

58

Eine solche mit Anmerkungen versehene Ausgabe der Satzungen wurde im Jahre 1937 von der Kurie der Gesellschaft Jesu veröffentlicht. 59 P.-H. Kolvenbach, Vorwort, in: Satzungen der Gesellschaft Jesu und Ergänzende Normen, Deutsche Übersetzung, 17, Nr. 3,1°. 60 Siehe Sa 555, Anm. 9, Sa 561, Anm. 14, und Sa 562, Anm. 15.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

271

zung der Generalkongregation geändert. 61 Die 34. Generalkongregation hat über zwanzig Bestimmungen der Satzungen als „aufgehoben" gekennzeichnet; dabei handelt es sich überwiegend um Vorschriften, die seit längerem obsolet geworden waren ( ζ . B . das Verbot, in den Häusern der Gesellschaft Jesu Spiele und Musikinstrumente zu haben 6 2 ), bei denen nun also nur formell nach vollzogen wurde, was ohnehin längst praktiziert worden war. Zu jenem T e i l des Eigenrechts, der die Autorität der Generalkongregation besitzt, gehören nach den Satzungen zweitens die übrigen Dekrete der Generalkongregationen, drittens die sogenannten „Formulae" (d. h. Geschäftsordnungen) der Kongregationen sowie viertens eine Reihe von Regelsammlungen. Die Dekrete der Generalkongregationen waren, soweit sie bleibende rechtliche Bedeutung hatten, seit der 27. Generalkongregation in der „Collectio decretor u m " zusammengestellt. Diese i m Jahre 1923 erstellte Sammlung hatte gegenüber der „Epitome Instituti", von der weiter unten die Rede sein w i r d , eher ein Schattendasein geführt. Sie war aber i m Jahre 1961, d. h. nach der 30. Generalkongregation, wieder auf den aktuellen Stand gebracht worden. I m Zuge der nachkonziliaren Revision des Eigenrechts hat man i m Jahre 1977 noch einmal eine dritte Ausgabe der „Collectio decretorum" veröffentlicht, in die die rechtlich relevanten Dekrete der 31. und 32. Generalkongregation eingearbeitet waren. Die 34. Generalkongregation beendete jedoch diese Tradition und ersetzte die „Collectio decretorum" durch eine Sammlung neuer A r t , die den Namen „Ergänzende Normen zu den Satzungen der Gesellschaft Jesu" (Normae Complementariae Constitutionum Societatis Iesu) erhielt. W i e der Titel schon deutlich macht, sollten die Dekrete der Generalkongregationen in eine größere Nähe zu den Satzungen gerückt werden. Das kommt auch in dem Beschluß zum Ausdruck, daß die Ergänzenden Normen fortan nur zusammen mit der Formula Instituti und den Satzungen in ein und demselben Band veröffentlicht werden sollten. 6 3 Eine enge Beziehung zwischen Satzungen und Ergänzenden Normen wurde auch dadurch hergestellt, daß die Anmerkungen zu den Satzungen in den meisten Fällen einfach nur Verweise auf die einschlägigen Nummern der Ergänzenden Normen enthalten. Durch die Zuordnung zu den Satzungen erhielten die Dekrete der Generalkongregationen subjektiv ein weitaus höheres Gewicht, als es die „Collectio decretorum" besessen hatte. Dieses Gewicht wurde auch dadurch erhöht, daß die neue Ausgabe der „Satzungen und

61

Siehe Sa 682, Anm. 12. Siehe Sa 268, Anm. 10.

63

EN, Einführungsdekret, 4°. In der Generalskurie fühlte man sich - wohl zu Recht zu einer Ausnahme von dieser Bestimmung berechtigt, als man in den Acta Romana Societatis Iesu 21 (1995) 993-1174 den Text der Ergänzenden Normen veröffentlichte, ohne daß die Satzungen in demselben Band veröffentlicht worden wären.

272

Ulrich Rhode

Ergänzenden N o r m e n " an die einzelnen Ordensangehörigen verteilt wurde, ähnlich wie früher die „Epitome Instituti" an die einzelnen verteilt worden war. Aber auch v o m Inhalt her sind die Ergänzenden Normen gegenüber der vorausgegangenen Sammlung sehr verschieden. Die „Collectio decretorum" war von Bestimmungen geprägt, die deutlich rechtlichen Charakter trugen und klare praktische Konsequenzen hatten. Demgegenüber wurden in die Ergänzenden Normen viele Aussagen aus den Beschlüssen der 31. bis 34. Generalkongregation aufgenommen, die sich in eher allgemeiner, richtungweisender Form mit dem Leben und der Sendung der Gesellschaft Jesu befassen und die man nur mit Mühe als „Rechtsnormen" bezeichnen kann. Diese Vorgehensweise w i r d besonders deutlich i m H i n b l i c k auf die Dekrete der 31. und 32. Generalkongregation. In die dritte Ausgabe der „Collectio decretorum" hatte man nur vergleichsweise wenige Aussagen dieser beiden Generalkongregationen aufgenommen, eben jene Aussagen, die deutlich einen rechtlichen Charakter trugen. In die Ergänzenden Normen hat man demgegenüber etwa ein Zehnfaches an Aussagen dieser beiden Generalkongregationen aufgenommen. Insgesamt stammt etwa ein Drittel des Materials der Ergänzenden Normen von den ersten dreißig Generalkongregationen; zwei Drittel stammen von den letzten vier Generalkongregationen. Das bedeutet, von jeder der ersten 30 Generalkongregationen sind durchschnittlich etwa z w ö l f Entscheidungen oder Formulierungen irgendwie in die Ergänzenden Normen eingegangen; von jeder der letzten vier Generalkongregationen hingegen durchschnittlich 200. Offensichtlich sollten in die Ergänzenden Normen alle wichtigen Aussagen der letzten vier Generalkongregationen aufgenommen werden, unabhängig davon, ob sie rechtlichen Charakter haben oder nicht. Während die „Collectio decretorum" in allen Teilen den Eindruck einer gewissen „ Z u f ä l l i g k e i t " macht, der davon herrührt, daß einfach das zusammengestellt wurde, was sich i m Laufe der Geschichte angesammelt hatte, sind zumindest mehrere Teile der Ergänzenden Normen offensichtlich um Vollständigkeit bemüht: Sie wollen alle Aspekte zur Sprache bringen, die heute i m H i n b l i c k auf einen bestimmten Gegenstand als w i c h t i g erscheinen. Die „Formulae", d. h. Geschäftsordnungen, der Kongregationen waren i m Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert worden. Insbesondere in der Formula der Generalkongregation und der Provinzkongregation wurden sehr häufig Veränderungen vorgenommen. Das gilt erst recht für die Zeit seit dem Zweiten V a t i k a n u m . 6 4 Einige wichtige Veränderungen seien hier kurz erwähnt:

64

Fundorte der geltenden Fassungen: Formula der Generalkongregation: ARSJ 22 (1998) 453-500; Formula der Prokuratorenkongregation: ARSJ 22 (1996) 97-104; Formula der Provinzkongregation: ARSJ 22 (1997) 175-213; Formula der Kongregation zur Wahl eines Generalvikars auf Zeit: ARSJ 22 (1996) 91-95.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

273

- A n der Generalkongregation hatten nach den Satzungen jeweils der Provinzial und zwei andere Professen aus jeder Provinz teilzunehmen. 6 5 Die 33. Generalkongregation hat statt dessen ein System entwickelt, wonach die Provinzen je nach ihrer Mitgliederstärke unterschiedlich viele Teilnehmer zur Generalkongregation entsenden. 66 Dieses neue System sollte auf der nächsten Generalkongregation überprüft werden. 6 7 Die 34. Generalkongregation hat es bestätigt, allerdings nach w i e vor „ad experimentum". 6 8 Zugleich hat die 34. Generalkongregation mit päpstlicher Genehmigung auch Formierten Koadjutoren die vollberechtigte Teilnahme an der Generalkongregation ermöglicht. 6 9 - Das herkömmliche System der „Prokuratorenkongregation", wonach alle drei Jahre Prokuratoren aus allen Provinzen zusammenzukommen hatten, um über die Notwendigkeit einer Generalkongregation zu entscheiden, wurde von der 31. Generalkongregation dahingehend verändert, daß jedes zweite M a l anstelle der Prokuratorenkongregation eine „Kongregation der Provinziäle" stattfinden sollte. 7 0 Man hielt daran fest, daß die Prokuratorenkongregation (und ebenso die Kongregation der Provinziäle) keine gesetzgebende Gewalt haben sollte; immerhin erlaubte man ihr aber, „unter der Leitung des Generaloberen in allgemeiner Weise die Lage und die Angelegenheiten der Gesellschaft zu besprechen" 7 1 . V o r allem, w e i l festgelegt worden war, daß das alternierende System der beiden Kongregationen nach einer Generalkongregation in jedem Fall wieder mit einer Prokuratorenkongregation beginnen sollte, hat in den drei Jahrzehnten zwischen der 31. und der 34. Generalkongregation nur eine einzige Kongregation der Provinziäle stattgefunden. 72 Der 34. Generalkongregation schien dann die Idee einer Kongregation der Provinziäle generell fragwürdig, w o m ö g l i c h w e i l sie einen weniger „demokratischen" Charakter hat als die Kongregation der (gewählten) Prokuratoren, und sie hat diese A r t von Kongregation wieder abgeschafft. 73 Zugleich wurde festgelegt, daß die Prokuratorenkongregation fortan alle vier Jahre stattfinden sollte. 7 4 A l s eine Art Aus-

65

Sa 682.

66

33. GK, D. 3.

67

Ebd. Nr. 4.

68

34. GK, D. 23, A , Nr. 1,1°.

69

34. GK, D. 23, A , Nr. 2.

70

31. GK, D. 39, Nr. 1.

71

31. GK, D. 39, Nr. 2,2°.

72

Sie wurde 1990 in Loyola abgehalten.

73

34. GK, D. 23, C, Nr. 3.

74

34. GK, D. 23, C, Nr. 2.

20 FS Mühlsteiger

Ulrich Rhode

274

gleich für die frühere Kongregation der Provinziäle wurde festgelegt, daß der Generalobere etwa alle sechs Jahre ein Treffen aller Provinziäle einberufen sollte, „ u m die Lage, die Probleme und Initiativen der gesamten Gesellschaft zu erörtern, wie auch die internationale und provinzübergreifende

Zusammenar-

beit"75. - Die Provinzkongregation, die vor General- und Prokuratorenkongregationen stattzufinden hat, um die Vertreter der betreffenden Provinz zu wählen und über das Vorbringen von „Postulaten" zu befinden, war bis zur 31. Generalkongregation neben jenen, die von A m t s wegen teilnahmen, aus den der Profeß nach ältesten Provinzangehörigen mit vier Gelübden zusammengesetzt. Die gestiegene Lebenserwartung hatte dabei zwangsläufig zu einem immer höheren Durchschnittsalter der Teilnehmer der Provinzkongregationen geführt. In A n betracht dessen hat die 31. Generalkongregation entschieden, daß die Teilnehmer der Provinzkongregation durch eine auf Provinzebene durchzuführende Briefwahl bestimmt werden sollten. Dabei wurde auch den Formierten Koadjutoren aktives und passives Wahlrecht gewährt. 7 6 Die 32. Generalkongregation hat die Vorschriften über die Zusammensetzung der Provinzkongregation erneut revidiert und dabei innerhalb gewisser Grenzen auch jenen, die noch keine Letzten Gelübde abgelegt haben, aktives und passives Wahlrecht eingeräumt. 7 7 Die betreffenden Vorschriften sollten von der nächsten Generalkongregation überprüft werden. 7 8 In einem Brief des Staatssekretariats wurde die Ausweitung des Wahlrechts kritisiert und gefordert, die Frage auf eine „angemessenere Weise" zu lösen. 7 9 Dennoch wurden die betreffenden Vorschriften von der 33. Generalkongregation vorläufig 8 0 und von der 34. Generalkongregation endgült i g 8 1 bestätigt. Zugleich wurde die Kompetenz der Provinzkongregation durch die Bestimmung erweitert, zu Beginn der Kongregation werde „der Provinzial einige Fragen zur Lage der Provinz vorlegen, damit die Kongregation unter Leitung des Provinzials eine Beratung über die Situation der Provinz abhalten kann".82

75

34. GK, D. 23, C, Nr. 4.

76

31. GK, D. 40, Nr. 2.

77

32. GK, D. 14, Nr. 6-12.

78

32. GK, D. 14, Nr. 11 c).

79

Secretarla Status, Brief vom 2.5.1975, Anhang, letzter Abschnitt; in: ARSJ 16 (1975) 461, auch abgedruckt in: Ochoa Leges V , 7021 (Nr. 4379). 80 33. GK, D. 5,1°. 81

34. GK, D. 23, D, Nr. 7.

82

34. GK, D. 23, D, Nr. 8.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

275

- A u c h die letzte der vier Arten von Kongregationen, die „Kongregation zur Wahl eines Generalvikars 8 3 auf Z e i t " , die in dem Fall, daß der Generalobere aus seinem A m t ausscheidet, für eine Übergangszeit einen Vertreter zu wählen hat, wurde einigen Veränderungen unterzogen. 8 4 Diese Kongregation hat ihre praktische Bedeutung jedoch weitgehend verloren, da der Generalobere verpflichtet wurde, i m voraus für den Fall, daß er aus dem A m t ausscheidet, einen Vertreter zu bestimmen

85

Die Kongregation w i r d also nur noch nötig, wenn er diese

Ernennung unterlassen hat oder wenn der Ernannte aus irgendeinem Grund nicht zur Verfügung steht. Z u m Bereich der „Regeln", die die Autorität der Generalkongregation besitzen, gehörten bis zur 31. Generalkongregation das „Summarium der Konstitutionen", die ,Allgemeinen Regeln" (Regulae communes), die v o m hl. Ignatius verfaßten „Regeln der Bescheidenheit" (Regulae modestiae), die Amtsvorschriften des Generalvikars sowie die Regeln der Assistenten des Generaloberen und des Admonitors des Generaloberen. 86 Die 31. Generalkongregation entschied sich, die Zuständigkeit für das Summarium der Konstitutionen und die Allgemeinen Regeln an den Generaloberen zu übertragen. 8 7 Zugleich empfahl sie i h m , „möglichst bald" eine Revision aller Regeln durchzuführen, auch jener, die von seiner eigenen Autorität abhingen. 8 8 Zu dieser Revision war es aber in den acht Jahren bis zur 32. Generalkongregation nicht gekommen. Die 32. Generalkongregation hat daraufhin die ,Allgemeinen Regeln", deren Einhaltung in der Zwischenzeit ohnehin weitgehend außer Übung gekommen war, einfach aufgehoben. 8 9 A l s Ersatz dafür empfahl sie dem Generaloberen, „nach seinem Ermessen eine Zusammenfassung der Dekrete der 31. und 32. Generalkongregation und seiner eigenen Briefe an die Gesellschaft seit der 31. Generalkongregation zu veröffentlichen. Dieses Summarium könnte als eine Sammlung der wesentlichen Punkte unseres Ordenslebens g e l t e n . " 9 0 Der Generalobere kam dieser Aufforderung i m Jahre 1976 durch die Veröffentlichung des Büchleins „Ordensleben in der Gesellschaft Jesu - Geistliche Weisung" nach. 9 1 Es wurde vierzehn Jahre später durch das Büchlein ,Jesuit sein heute"

83 8 4 Hier

im Sinne von: Stellvertreter des Generaloberen. 34. GK, D. 23, B.

85

EN 368 § 1.

86

Siehe Collectio decretorum, 2. Ausgabe (1961), Nr. 3 § 2,3°.

87

31. GK, D. 19, Nr. 15.

88

31. GK, D. 19, Nr. 14.

89

32. GK, D. 11, Nr. 54.

90

Ebd., Nr. 54 a).

91

Lateinische Originalfassung in: ARSJ 16 (1976) 632-675.

276

Ulrich Rhode

ersetzt, das zugleich auch die vorausgegangene Ausgabe des Summariums der Konstitutionen ersetzte. 92 Da die genannten Büchlein nur eine Auswahl von Zitaten aus anderen Dokumenten darstellen, werden sie nicht mehr als eigenständige Rechtsquellen angesehen. Die dargestellten Entwicklungen

haben

dazu geführt, daß heute nur noch vier mit der Autorität der Generalkongregation erlassene Regelsammlungen in Geltung stehen, nämlich die - leicht überarbeiteten 9 3 - Amtsvorschriften des Generalvikars sowie die - unveränderten

-

Regeln der Bescheidenheit, der Assistenten und des Admonitors des Generaloberen. 9 4 Eine gewisse Zwischenstellung zwischen dem von der Generalkongregation und dem v o m Generaloberen abhängigen Recht nehmen die „Statuten über die A r m u t " (Statuta de paupertate) ein, die für eine Übergangszeit von 1967 bis 1997 eine eigenständige Rechtsquelle darstellten. Sie gehen zurück auf eine von der 31. Generalkongregation eingesetzte Kommission, die den Auftrag hatte, einen Entwurf für die Revision des gesamten Armutsrechts vorzubereiten, und wurden i m Jahre 1967 v o m Generaloberen versuchsweise bis zur nächsten Generalkongregation in Kraft gesetzt. 95 Aufgrund der Neuordnung des Armutsrechts durch die 32. Generalkongregation hat er i m Jahre 1976 eine überarbeitete Fassung der Statuten in Kraft gesetzt. 9 6 Die 34. Generalkongregation hat die Bestimmungen der Statuten weitgehend in die „Ergänzenden Norm e n " aufgenommen; die restlichen Bestimmungen der Statuten wurden im Jahre 1997 in das „Manuale practicum" aufgenommen. Die Statuten haben seitdem ihre Bedeutung als eigenständige Rechtsquelle verloren. 9 7 Das v o m Generaloberen erlassene Recht w i r d mit den Ausdrücken „Regeln" und ,Anordnungen" bezeichnet. 9 8 Was die „Regeln" für verschiedene Personen und Angelegenheiten angeht, waren zur Zeit der 31. Generalkongregation etwa 50 verschiedene Sammlungen in Geltung, etwa die Regeln für Provinziäle, für Hausobere, für Novizenmeister, für Reisende usw. Die 31. Generalkongregation trug dem Generaloberen die Revision dieser Regeln auf. Dazu kam es aber nicht; vielmehr geriet die Einhaltung der Regeln einfach weitgehend außer

92

Englische Originalfassung unter dem Titel „To Live as a Jesuit Today", Rom 1990. 93

Siehe 31. GK, D. 43, Nr 2 und 3; vgl. auch 31. GK, D. 41, Nr. 2.

94

Siehe EN 12 § 1 , 3 ° .

95

Siehe ARSJ 15 (1967) 58-90.

96

97 98

Siehe ARSJ 16 (1976) 911-942. Siehe: Manuale practicum, Animadvertendum, 2° (s. V). Vgl. EN 13 § 1.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

277

Übung. Der Generalobere hat daraus im Jahre 1990 die Konsequenz gezogen und alle Regelsammlungen auch formell außer Kraft gesetzt." In den Jahren 1975/1976 waren allerdings - nun nicht mehr in lateinischer, sondern in englischer Sprache - einige neue Sammlungen in Kraft gesetzt worden, die der Sache nach an die Stelle früherer Regeln traten, in ihrem Titel jedoch nicht mehr als „Regeln", sondern als „Richtlinien" (Guidelines) bezeichnet wurden. Dabei handelt es sich um die ,Richtlinien für Provinziäle" 100 , die „Richtlinien für Hausobere" 101 sowie die ,Richtlinien für die Unterscheidung und die wechselseitige Beziehung zwischen dem Leiter eines Werkes und dem Oberen" 102 . Die 34. Generalkongregation hat dem Generaloberen empfohlen, diese drei Dokumente zu überarbeiten; bei zweien dieser Dokumente ist das inzwischen geschehen.103 Was die ,Anordnungen" (ordinationes) der Generaloberen angeht, hatte die 27. Generalkongregation im Jahre 1923 bestimmt, daß alle noch geltenden Anordnungen in die „Epitome Instituti" 104 aufgenommen werden sollten; andernfalls seien sie - ausgenommen diejenigen, die sich auf die Studien beziehen - als aufgehoben anzusehen.105 Die beiden Ausgaben des „Compendium practicum iuris Societatis Iesu", das die „Epitome" ablöste, enthielten eine ähnliche Aussage. 106 Das „Manuale practicum iuris Societatis Iesu", das 1997 seinerseits das „Compendium" ablöste, stellt ebenso fest, nicht darin aufgenommene Anordnungen der Generaloberen hätten keine Geltung mehr. Anschließend wird allerdings auf die Fortgeltung einiger Dokumente hingewiesen, die nicht in das Manuale aufgenommen wurden, aber nach wie vor in Geltung stehen, nämlich die ,Allgemeinen Normen über die Studien der Jesuiten" 107

99

Brief vom 1.1.1990, in: ARSJ 20 (1990) 302-304.

100

Englisches Original in: ARSJ 16 (1975) 560-594.

101

Englisches Original in: ARSJ 16 (1975) 595-610.

102

ARSJ 16 (1976) 1036-1047.

103

Im Jahre 1998 sind überarbeitete Fassungen der „Richtlinien für Hausobere" (ARSJ 22 [1998] 365-379) und der „Richtlinien für die Beziehung zwischen dem Oberen und dem Leiter eines Werkes" (ARSJ 22 [1998] 381-391) herausgegeben worden. Eine überarbeitete Fassung der „Richtlinien für Provinziäle" ist bislang (Stand: September 2000) nicht herausgegeben worden. 104

105

Nähere Informationen über die „Epitome" siehe unten S. 251 Collectio decretorum, 1. Ausgabe (1923), Nr. 8 § 1,4°, in: ARSJ 4 (1923) 30.

106

Compendium practicum iuris Societatis Iesu, 1. Ausgabe, Rom 1977, S. IV, letzter Absatz; 2. Ausgabe, Rom 1986, S. IV, letzter Absatz. 107

ARSJ 17 (1979) 903-938.

278

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und die „Instruktion über die Vermögensverwaltung" 1 0 8 . I m Anhang des Manuale sind die i m Jahre 1987 erlassenen 1 0 9 Bestimmungen über die Veröffentlichung von Büchern und anderen für die Veröffentlichung bestimmten Werken abgedruckt 1 1 0 , deren Fortgeltung sich auch aus den „Ergänzenden Normen" ergibt. 1 1 1 Außerdem wurden i m Jahre 1997 die „Practica quaedam" in einer überarbeiteten Fassung herausgegeben; dabei handelt es sich um „Richtlinien für die Korrespondenz mit Pater General und die Erledigung konkreter Angeleg e n h e i t e n " 1 1 2 . Schließlich sind noch eine Reihe von Dokumenten des Generaloberen zu nennen, die einzelne Aspekte oder Abschnitte der Ausbildung betreffen und zumindest teilweise ebenfalls den Charakter von Anordnungen des Generaloberen tragen. Darin geht es vor allem um die geistliche A u s b i l d u n g 1 1 3 , das N o v i z i a t 1 1 4 , die Zeit zwischen Noviziat und M a g i s t e r i u m 1 1 5 und den „Pries t e r m o n a t " 1 1 6 . Für alle voranstehend genannten Dokumente, die Anordnungen des Generaloberen enthalten, g i l t , daß sie in der Zeit seit dem Zweiten Vatikanischen K o n z i l entweder erstmals oder zumindest in tiefgreifend überarbeiteter Form herausgegeben wurden. Die Fülle der von verschiedenen Autoritäten - Papst, Generalkongregation, Generaloberer - stammenden, häufig aber dieselben Gegenstände betreffenden Rechtsnormen hatte es schon länger angeraten erscheinen lassen, ein Handbuch für die Praxis zusammenzustellen, das diese Normen nach Themen geordnet zusammenstellt. Die 27. Generalkongregation hatte i m Zuge ihrer Neuordnung des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu auch die Veröffentlichung einer neuen Ausgabe eines solchen Handbuchs beschlossen, das auch die einschlägigen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici von 1917 mit aufführen sollte. Der Sekretär der Gesellschaft Jesu veröffentlichte daraufhin i m Jahre 1924 die „Epitome Instituti Societatis Iesu additis praecipuis praescriptis ex iure comm u n i regularium". Die „ E p i t o m e " war keine primäre Rechtsquelle; sie refe-

108

ARSJ 17 (1979) 939-1076. Es handelt sich dabei um die überarbeitete Fassung eines ursprünglich im Jahre 1935 erlassenen Dokuments. 109

Siehe ARSJ 19 (1987) 1018-1026. Manuale practicum, Nr. 171-179.

111

112 359.

Siehe EN 296. So der Untertitel. Um die „Practica quaedam" geht es der Sache nach auch in EN

113

Lateinisches Original: ARSJ 15 (1967) 103-133.

114

Spanisches Original: ARSJ 22 (1998) 329-338.

115

Französisches Original: ARSJ 20 (1988) 80-106.

116

Englisches Original: ARSJ 17 (1979) 1077-1081.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

279

rierte nur die Bestimmungen, die aus anderen Quellen (dem CIC, der Formula Instituti, den Satzungen usw.) hervorgingen. Eine gewisse Sonderstellung nahm sie allerdings, w i e schon erläutert, i m H i n b l i c k auf die Anordnungen der Generaloberen ein. Die Epitome wurde seit 1924 noch mehrmals überarbeitet und erschien später zusammen mit den Satzungen der Gesellschaft Jesu in ein und demselben Band; die letzte Ausgabe wurde i m Jahre 1962 veröffentlicht. I m Jahre 1977 wurde sie durch das „Compendium practicum iuris Societatis Iesu" ersetzt, das eine ähnliche Funktion erfüllte. Das Compendium konzentrierte sich allerdings, wie schon sein Vorwort deutlich machte, mehr auf Vorschriften „administrativer" und „rechtlicher" A r t . Den Unterschied zwischen der „Epitome" und dem „ C o m p e n d i u m " könnte man in Analogie zu dem eingangs erläuterten Unterschied zwischen den Begriffen „Institut" und „Eigenrecht" verstehen. A l s Grund für den gegenüber der „ E p i t o m e " veränderten Charakter des „ C o m p e n d i u m " wurde angegeben, man könne für die weniger rechtlichen und mehr geistlichen und apostolischen Aspekte des Instituts inzwischen auf andere Quellen zurückgreifen, namentlich auf die Satzungen, die inzwischen in mehreren modernen Sprachen vorlagen, die Dekrete der Generalkongregationen sowie das Büchlein „Ordensleben in der Gesellschaft Jesu - Geistliche Weis u n g " . 1 1 7 I m Jahre 1986 wurde eine überarbeitete Ausgabe des „Compendium practicum" veröffentlicht, die durch das Erscheinen des Codex Iuris Canonici von 1983 veranlaßt war. Das „ C o m p e n d i u m " wurde zwei Jahre nach der 34. Generalkongregation durch das „Manuale practicum iuris Societatis Iesu" abgelöst. Gegenüber dem „ C o m p e n d i u m " hat das „Manuale" einen deutlich verringerten Umfang. Aufgrund des hohen Stellenwerts, den die Satzungen und Ergänzenden Normen eingenommen hatten, wollte man in das „Manuale" vor allem diejenigen Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts und des Eigenrechts aufnehmen, die sich in den Satzungen und Ergänzenden Normen nicht finden. Das „Manuale" behandelt die einzelnen Gegenstände daher nicht mehr in umfassender Weise, sondern enthält zunächst häufig nur Verweise auf die entsprechenden Abschnitte der Satzungen und Ergänzenden Normen und fügt anschließend nur die darüber hinausgehenden Bestimmungen an. Das Vorwort erklärt, wenngleich sich das Manuale an alle Jesuiten richte, bestehe doch die Hoffnung, daß es in besonderer Weise den Oberen, ihren Konsultoren sowie den Amtsträgern eine Hilfe sein w ü r d e . 1 1 8 I m Anhang des „ M a n u a l e practicum" ist ein neues Kompendium der Privilegien der Gesellschaft Jesu abgedruckt. 1 1 9 Die 33. Generalkongregation hatte

117

So das „Animadvertendum" zum Compendium practicum, III; vgl. auch ARSJ 17 (1978) 228. 118 1 1 9Manuale

practicum, Animadvertendum, III. Manuale practicum, Nr. 364-419 (190-213).

Ulrich Rhode

280

dem Generaloberen aufgetragen, eine Revision der Privilegien vorzubereiten. 1 2 0 Der Sache nach handelte es sich dabei vor allem um den Auftrag, zu untersuchen, welche der i m Laufe der Jahrhunderte v o m Papst bzw. Apostolischen Stuhl sowie v o m K o n z i l von Trient verliehenen Privilegien angesichts der inzwischen eingetretenen rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen nach wie vor in Geltung stehen. Das neue Kompendium zählt 56 Privilegien auf, die allerdings von sehr unterschiedlicher praktischer Bedeutung sind. Einige von ihnen schützen die Eigenart der Gesellschaft Jesu gegen eine übertriebene Vereinheitlichung, die eine Anwendung der Vorschriften des C I C in den betreffenden Angelegenheiten mit sich bringen würde. Das betrifft etwa die Besonderheiten der Gelübde in der Gesellschaft Jesu. Bei etlichen anderen Privilegien handelt es sich hingegen eher um historische Relikte, die nur noch wenig praktische Bedeutung haben dürften. Was jene Rechtsquellen angeht, die sich nicht an die gesamte Gesellschaft Jesu, sondern nur an bestimmte geographische Gebiete wenden, waren bis in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils hinein vor allem die „Consuetudinarien" der einzelnen Provinzen zu nennen, in denen Fragen des Alltagslebens bis in die kleinsten Einzelheiten hinein geregelt w u r d e n . 1 2 1 Ihr Inhalt ergab sich, wie der Name schon sagt, aus den in den betreffenden Provinzen herrschenden Gewohnheiten. Die „Consuetudinarien" wurden jedoch v o m Generaloberen approbiert 1 2 2 und erhielten dadurch den Charakter von schriftlichen Rechtsquellen. Eine ausdrückliche Aufhebung der Consuetudiarien hat es gleichwohl nicht gegeben; vielmehr ist einfach, wie es dem Charakter von „Consuetudinarien" vielleicht auch eher entspricht, ihre Befolgung - zumindest in den meisten Teilen der Gesellschaft Jesu - schon in den ersten Jahren nach dem K o n z i l außer Gewohnheit geraten. Die vergangenen Jahrzehnte haben allerdings eine Vielzahl neuer rechtlicher Dokumente hervorgebracht, die nur auf Provinzebene oder auf interprovinzieller Ebene Geltung beanspruchen. U m Gesetzeskraft zu haben, bedürfen solche Dokumente nach wie vor der Approbation seitens des Generaloberen. 1 2 3 Das vielleicht wichtigste Beispiel sind die für die einzelnen Gebiete erlassenen

120

33. GK, D. 6, II, Nr. 2.

121

Das letzte Consuetudinarium der deutschen Provinzen erschien im Jahre 1956 unter dem Titel „Consuetudines Provinciarum Germaniae Societatis Iesu"; das letzte Consuetudinarium der österreichischen Provinz erschien im Jahre 1915 unter dem Titel „Consuetudines Provinciae Austriae et Missionis Croatiae Societatis Iesu". 122 Vgl. Epitome Instituti, Nr. 776. 123

Vgl. 32. GK, D. 11, Nr. 54 b); EN 330.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

281

Ausbildungsordnungen, deren Veröffentlichung von der 31. Generalkongregation angeordnet worden w a r . 1 2 4

I I I . Inhaltliche Grundzüge der Revision A u f viele einzelne Inhalte der Revision des Eigenrechts wurde i m Voranstehenden bereits hingewiesen. I m folgenden sollen noch einige andere Grundzüge und Bereiche dieser Revision dargestellt werden. Dabei ist in Anbetracht der Fülle des Rechtsmaterials natürlich nur eine gewisse Auswahl möglich. Für die Weise, wie ein Jesuit, der vor dem K o n z i l in die Gesellschaft Jesu eingetreten war, die seitdem eingetretenen Veränderungen auf dem Gebiet des Eigen rechts erlebt hat, war vermutlich vor allem der Wegfall vieler Reglementierungen des Alltagslebens prägend, das zuvor von der Einhaltung der , A l l g e meinen Regeln" und des Consuetudinariums der betreffenden Provinz bestimmt gewesen war. Die auf diesem Gebiet eingetretenen Veränderungen waren freilich nicht so sehr auf eine formelle Revision der betreffenden Vorschriften zurückzuführen, sondern ergaben sich einfach aus dem Einfluß der veränderten Zeitumstände, die sich i m übrigen auch in anderen Ordensgemeinschaften ähnlich ausgewirkt hatten. Was die Revision des Eigenrechts angeht, stellte sich die Frage, w i e auf diese Veränderungen rechtlich gesehen reagiert werden sollte. Die faktische A n t w o r t lautete, daß die eingetretenen Veränderungen wenn auch mit einer mehr oder weniger großen zeitlichen Verzögerung nachträglich weitgehend auch formell-rechtlich legitimiert wurden. Zwar hat man die außer Gebrauch geratenen Dokumente durch andere zu ersetzen versucht, etwa durch das Büchlein „Jesuit sein heute". Derartige Dokumente erreichten jedoch auch nicht annähernd die Bedeutung der alten Regeln und Consuetudinarien. Das liegt nicht nur daran, daß die neuen Dokumente nicht oder jedenfalls nur selten bei Tisch vorgelesen wurden und deswegen v i e l weniger bekannt wurden als die früheren Dokumente; es liegt vor allem am Inhalt der neuen Dokumente, die viel seltener konkrete Verhaltensweisen vorschreiben und statt dessen eher Weisungen allgemeiner und geistlicher A r t vorlegen, deren konkrete Anwendung höhere Ansprüche an das Beurteilungsvermögen des einzelnen stellt.

124 31. GK, D. 9, Nr. 16; vgl. 32. GK, D. 6, Nr. 50. Für die deutschsprachigen Provinzen siehe: Grundlinien der Ausbildung in den deutschsprachigen Provinzen der Gesellschaft Jesu, hg. im Auftrag der Provinzialskonferenz der Zentraleuropäischen Assistenz, München 1996. (Auf dem Titelblatt heißt es fälschlich: „... der Deutschen Assistenz".)

Ulrich Rhode

282

Manche Regelungsgegenstände, die das Eigenrecht früher weltweit einheitlich ordnete, sind i m Zuge der Revision in die Zuständigkeit einzelner Provinzen oder - häufiger - Provinzialskonferenzen gelegt worden. Das Beispiel der Ausbildungsordnungen wurde bereits genannt. Andere Gegenstände, für die eine von Gebiet zu Gebiet unterschiedliche Normierung gefördert wurde, sind etwa Vorschriften über das Gemeinschaftsleben 1 2 5 , insbesondere die Tischle1

1

ι

sung und die Klausur , sowie die interprovinzielle Zusammenarbeit . Diese „Dezentralisierung" des Eigenrechts ging bisweilen mit der Schaffung neuer Kommissionen einher, etwa der Ausbildungskommission 1 2 9 und der „ K o m m i s s i o n für die Auswahl der A r b e i t e n " 1 3 0 . Was die rechtlichen Unterschiede zwischen Brüdern und Priestern, Mitbrüdern mit Ersten und Letzten Gelübden, Koadjutoren und Professen angeht, ist es zu der von der 32. Generalkongregation angestrebten „großen Lösung", wie bereits gesagt, nicht gekommen. Gleichwohl sind i m Laufe der Zeit etliche einzelne Unterschiede beseitigt worden, so daß das faktische Gewicht der genannten Unterscheidungen deutlich verringert wurde: - Zu einer Beseitigung unnötiger Unterschiede zwischen Brüdern und Priestern bzw. Scholastikern sowie zu einer Verbesserung der Ausbildung der Brüder hatte bereits das K o n z i l aufgerufen. 1 3 1 Dementsprechend betonen die neueren Normen der Gesellschaft Jesu mit Nachdruck die Teilhabe von Brüdern und Priestern an ein und derselben apostolischen Berufung der Gesellschaft Jesu. 1 3 2 Sie fordern ein gemeinsames Noviziat von Brüder- und Scholastikernovizen 1 3 3 und die Beseitigung aller Unterschiede i m Kommunitätsleben. 1 3 4 Die Notwendigkeit des Tertiats war i m Prinzip bereits von der 30. Generalkongregation i m Jahre 1957 auf die Brüder ausgedehnt w o r d e n . 1 3 5 Später wurde auch das Verbot

125

Vgl. 31. GK, D. 19, Nr. 7 g) und h).

126

31. GK, D. 20, Nr. 1.

127

34. GK, D. 8, Nr. 23; vgl. EN 327 § 2.

128

Vgl. 31. GK, D. 48, Nr. 7; 34. GK, D. 21, Nr. 17.

129

Vgl. 31. GK, D. 8, Nr. 12; 32. GK, D. 6, Nr. 31 a) und b); EN 61 § 3.

130

31. GK, D. 21, Nr. 15; D. 22; D. 27, Nr. 11; D. 28, Nr. 8; EN 260.

131

Vatll PC, Nr. 15.

132

Vgl. 31. GK, D. 7, Nr. 2; 34. GK, D. 7, Nr. 2 bis 7.

133

EN 43 § 1 .

134

Vgl. 31. GK, D. 7, Nr. 6 a).

135

30. GK; D. 42, in: ARSJ 13 (1957) 333. Vgl. auch Sa 512, Anm. 8; EN 125 § 1.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

283

der Satzungen aufgehoben, das den Brüdern verwehrt hatte, Studien zu treiben.136 - I m Bereich des Wahlrechts zu bzw. der Teilnahme an Kongregationen wurden die Unterschiede zwischen Professen und Formierten

Koadjutoren

abgebaut. 1 3 7 I m H i n b l i c k auf das aktive und passive Wahlrecht bei der W a h l zur Provinzkongregation wurde auch die Ungleichbehandlung von Mitbrüdern mit bzw. ohne Letzte Gelübde verringert. 1 3 8 - Für die Entscheidung, ob ein Priester zu den Letzten Gelübden eines Professen oder eines geistlichen Koadjutors zugelassen w i r d , wollte man die Bedeutung der früher weitgehend allein ausschlaggebenden umfassenden Prüfung über die Inhalte des philosophisch-theologischen Studiums auf ein M i n i m u m begrenzen. 1 3 9 Die 31. Generalkongregation legte fest, daß zum Nachweis der für die Zulassung zur Profeß notwendigen B i l d u n g das Lizentiat oder ein gleichwertiger akademischer Grad in den heiligen Wissenschaften ausreichend s e i . 1 4 0 Die 32. Generalkongregation verlangte dann aber zugleich, daß möglichst alle das Lizentiat in Theologie oder Philosophie erwerben. 1 4 1 I m übrigen hatte schon die 31. Generalkongregation die Möglichkeit eröffnet, geistliche Koadjutoren nachträglich zur feierlichen Profeß zuzulassen. 1 4 2 In der Zusammenschau legen diese Bestimmungen die Vermutung nahe, daß der Grad der geistlichen Koadjutoren auf dem Wege der Zulassung möglichst vieler Priester zu den Profeßgelübden mehr oder weniger beseitigt werden sollte. Was den Inhalt der einzelnen Gelübde angeht, hat sich die Revision des Eigenrechts vor allem mit dem Armutsrecht beschäftigt. Noch in der „Epitome Instituti" von 1962 erfährt man gleich zu Anfang, die Gesellschaft Jesu sei von ihrem Institut her ein Bettelorden. 1 4 3 Entsprechend dem Auftrag des Konzils, die Ordensleute sollten sich „dem allgemeinen Gesetz der Arbeit verpflichtet w i s s e n " 1 4 4 , erklärte jedoch die 31. Generalkongregation, „daß außer Almosen

136

Siehe Sa 117, Anm. 65; EN 81 § 3,83 § 3,98,243 § 2.

137

31. GK, D. 40, Nr. 2 a); 33. GK, D. 5,2°; 34. GK, D. 23, A , Nr. 2.

138

32. GK, D. 14, Nr. 11 ; 33. GK, D. 5 , 1

139

34. GK, D. 23, D, Nr. 7.

Vgl. 31. GK, D. 9, Nr. 29; D. 11, Nr. 3 und 4; 32. GK, D. 6, Nr. 51; EN 93 §§ 1 und 2; 121 § 2 . 140

31. GK, D. 11, Nr. 3 § 1; EN 121 § 2 .

141

32. GK, D. 6, Nr. 38; EN 92.

142

31. G K , D . 11, Nr. 5; EN 122.

143

Epitome Instituti, Nr. 2 § 1.

144

Vatll PC, Nr. 13.

284

Ulrich Rhode

und Einkünften, wie sie in den Satzungen zugelassen werden, auch der Lohn oder die Vergütung für Arbeiten, die dem Institut gemäß geleistet werden, eine rechtmäßige Quelle der materiellen Güter ist, die für den Lebensunterhalt und die apostolischen Arbeiten der Jesuiten notwendig s i n d " 1 4 5 . Die in den Satzungen geforderte Unentgeltlichkeit der Dienste der Jesuiten verlangte demzufolge nach einer angemessenen Neudefinition, die die Unentgeltlichkeit i m wesentlichen auf die i m engeren Sinne „geistlichen Dienste" beschränkte. 1 4 6 Den w o h l wichtigsten Beitrag zur Revision des Armutsrechts leistete die 32. Generalkongregation, die das unpraktikabel gewordene Armutsrecht der Satzungen an die veränderten Verhältnisse anpaßte. Die Unterscheidung der Satzungen zwischen „ K o l l e g i e n " , denen feste Einkünfte erlaubt waren, und „Profeßhäusem", denen sie verwehrt waren, hatte i m Laufe der Zeit dazu geführt, daß es so gut wie keine Profeßhäuser mehr gab. Eine einfache Lockerung der Armutsvorschriften für die Profeßhäuser war der Generalkongregation nicht möglich, da ihre Teilnehmer entsprechend den Satzungen das Gelübde abgelegt hatten, sich zu einer derartigen Lockerung nicht bereitzufinden. 1 4 7 Das Dilemma wurde gelöst durch eine Unterscheidung zwischen Kommunitäten und apostolischen Werken. A u f die Kommunitäten wurden fortan die Vorschriften der Satzungen über Profeßhäuser angewandt, während die apostolischen Werke den Vorschriften über die Kollegien unterstellt wurden, so daß sie über feste Einkünfte verfügen durften. Es wurde zwar nicht i m strengen Sinne vorgeschrieben, aber doch gewünscht, daß Kommunitäten und apostolische Werke nicht nur in der Vermögensverwaltung, sondern auch räumlich voneinander getrennt w u r d e n . 1 4 8 I m übrigen legen die neueren Vorschriften über das Armutsrecht hohen Wert darauf, daß sich der Inhalt des Armutsgelübdes nicht nur in rechtlichen Strukturen, sondern auch in einem einfachen Lebensstil zeigen muß; den Dokumenten fehlt es nicht an konkreten Anweisungen darüber, was das näherhin h e i ß t . 1 4 9 Die wesentlichen Änderungen i m H i n b l i c k auf die verschiedenen Arten von Kongregationen, die in der Gesellschaft Jesu abgehalten werden, wurden bereits dargestellt. Was i m übrigen die Leitung der Gesellschaft Jesu angeht, bestand auf örtlicher Ebene die w o h l wichtigste Neuerung in der Trennung zwischen der Leitung der Kommunität und der apostolischen Werke. A l s Kon-

145

31. GK, D. 18, Nr. 15.

146

Siehe 31. GK, D. 18, Nr. 16.; vgl. EN 181-187.

147

Sa 553-554; vgl. 31. GK, D. 18, Nr. 14; EN 134; 137; vgl. auch ARSJ 16 (1973)

9 f.

15.

148

31. GK, D. 19, Nr. 7 f); 34. GK, D. 9, Nr. 8; vgl. EN 179 § 2.

149

Vgl. 31. GK, D. 18, Nr. 7; 32. GK, D. 12, Nr. 7,12 und 14; 34. GK, D. 9, Nr. 8 -

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

285

sequenz daraus gab es fortan etwa an den Schulen und Hochschulen nebeneinander zwei verschiedene Rektoren mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Diese Trennung ergab sich allerdings nicht zwingend aus den Vorschriften des Eigenrechts, sondern aus anderen rechtlichen und sachlichen Notwendigkeiten. Was den Bereich der höheren Oberen angeht, hat die interprovinzielle Zusammenarbeit sehr an Bedeutung zugenommen. 1 5 0 Für den Generaloberen wurde die Möglichkeit des Rücktritts eingeführt. 1 5 1 I m H i n b l i c k auf die Kurie des Generaloberen hat man mehrere Reformen durchgeführt, um ein effizienteres Arbeiten zu ermöglichen. Insbesondere wurde klar unterschieden zwischen den vier Assistenten „ad providentiam", die i m Auftrag der Gesellschaft Jesu eine gewisse Aufsicht über den Generaloberen führen, und dem Generalsrat als ganzem, der den Generaloberen bei der Leitung der gesamten Gesellschaft Jesu unterstützt. 1 5 2

I V . Bewertung und Ausblick In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Gesellschaft Jesu vieles verändert, nicht nur ihr Eigenrecht. Die Erneuerung des Eigenrechts kann nicht angemessen bewertet werden, wenn man sie nicht in einem größeren Zusammenhang betrachtet, der geprägt ist von der Umsetzung des Zweiten Vatikanums, der Neuformulierung der Sendung des Ordens und nicht zuletzt der Neuentdeckung der ignatianischen Spiritualität. Innerhalb dieses Gesamtzusammenhangs kommt der Erneuerung des Eigenrechts eine zwar bescheidene, aber doch notwendige Rolle zu. Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Erneuerung auf ihre Weise dazu beigetragen hat, den Auftrag zu erfüllen, der der Gesellschaft Jesu v o m Zweiten Vatikanischen K o n z i l her gestellt war, ihr Ordensleben an die veränderten Verhältnisse der Gegenwart anzupassen. Einerseits forderte dieses „aggiornamento" die Behandlung einer Reihe von Fragen, die das K o n z i l ausdrücklich vorgegeben hatte, w e i l sie viele oder alle Ordensgemeinschaften betrafen, wie etwa die Frage der Brüder oder des Armutsrechts. Z u m anderen ging es aber auch u m ein „aggiornamento" jener Probleme, die sich in besonderer Weise der Gesellschaft stellten, wie etwa die Frage der Grade oder die Frage der Umsetzung der in den Satzungen enthaltenen Armutsvorschriften. Die voranstehenden Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, daß rechtliche Veränderungen häufig nicht der erste Schritt waren, der eine Erneuerung in Gang gebracht hat, sondern eher der letzte Schritt, durch den in einer

150

Vgl. 31. GK, D. 48; 34. GK, D. 21.

151

31. GK, D. 41, Nr. 1-2.

152

Vgl. 31. GK, D. 44; 32. GK, D. 15, Nr. 1-2; 34. GK, D. 23, E.

286

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formellen Weise legitimiert wurde, was sich in der Praxis bereits eingespielt hatte, einer Praxis, die häufig genug von - rechtmäßigen oder rechtswidrigen Experimenten geprägt w a r . 1 5 3 Nicht alle diese Experimente waren erfolgreich; von manchen muß man aus heutiger Sicht sagen, daß sie in die Irre führten. So gesehen erfüllen die Normen des Eigenrechts die Funktion, in verbindlicher und unmittelbar nachprüfbarer Weise festzuhalten, welche dieser Experimente i m H i n b l i c k auf das Ziel, das der Orden verfolgt, aus der Sicht der gesetzgebenden Organe des Ordens als weiterführend betrachtet wurden, und welche als eher schädlich eingeschätzt wurden, so daß sich ein weiteres „Experimentieren" in den betreffenden Richtungen verbietet. Man w i r d kaum behaupten können, daß das Institut der Gesellschaft Jesu unter Jesuiten wieder dieselbe Wertschätzung genießen würde, die man ihm früher einmal entgegengebracht hatte. Gleichwohl scheint es, daß das Bewußtsein für den Sinn und Wert der Vorschriften des Eigenrechts heute deutlich höher ist als etwa vor dreißig Jahren. Ein kleines, unter Jesuiten weitgehend unbemerktes Zeichen dafür, daß man sich mit einem beziehungslosen Nebeneinander von Recht und Praxis nicht abfinden wollte, war die von P. Peter-Hans Kolvenbach i m Jahre 1990 verfügte formelle Aufhebung der alten, längst in Vergessenheit geratenen Regelsammlungen. Ein großes, unübersehbares Zeichen für dieselbe Absicht war die von der 34. Generalkongregation i m Jahre 1995 veröffentlichte Neuausgabe der Satzungen, die durch die Hinfügung der bis in minutiöse Einzelheiten hineingehenden - Anmerkungen keinen Zweifel daran ließ, daß die Satzungen nicht nur ein „geistlicher Wegbegleiter" sein sollen, sondern zugleich ein Rechtstext, der Befolgung verlangt. Ob die Revision des Eigenrechts von ihrer formellen Seite her in jeder Hinsicht gelungen ist, ist eine andere Frage. Zweifel erheben sich in dieser Hinsicht v o r allem in bezug auf die von der 34. Generalkongregation erlassenen „Ergän-

153

In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Vorschriften des Eigenrechts über die Bildung von Gewohnheitsrecht interessant. Die 27. GK hatte in die „Collectio decretorum" eine Bestimmung aufgenommen, wonach in der Gesellschaft Jesu ein Gewohnheitsrecht „contra ius" nicht zugelassen wird (Collectio decretorum, 1. Ausgabe [1924], Nr. 16). Die 31. GK hatte präzisiert: „contra ius nostrum", und dadurch die Bildung von Gewohnheitsrecht, das dem allgemeinen Kirchenrecht entgegensteht, nicht mehr ausgeschlossen (31. GK, D. 4, Nr. 3). Die 34. GK hat die genannte Bestimmung ganz aufgehoben; das wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber daraus, daß die genannte Bestimmung nicht aus der Collectio decretorum in die Ergänzenden Normen übernommen wurde. Seit der 34. GK richtet sich die Bildung von Gewohnheitsrecht in der Gesellschaft Jesu demnach nach den Vorschriften des Allgemeinen Kirchenrechts. Es liegt nahe, diese Entscheidung der 34. GK als eine Frucht aus den Erfahrungen der vorausgegangenen Jahrzehnte anzusehen.

Die Revision des Eigenrechts der Gesellschaft Jesu

287

zenden Normen". Z u m einen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis z w i schen den Ergänzenden Normen und dem nachgeordneten, v o m Generaloberen erlassenen Recht, das etwa i m „ M a n u a l e practicum" greifbar ist. In der Vergangenheit hatte man die Satzungen in ein und demselben Band zusammen mit der „Epitome Instituti" veröffentlicht und an die einzelnen Ordensangehörigen verteilt, denen auf diese Weise eine umfassende Kenntnis des Eigen rechts ermöglicht wurde. Die jetzt zusammen mit den Satzungen abgedruckten „Ergänzenden Normen" beschränken sich demgegenüber auf die von den Generalkongregationen erlassenen Dekrete und geben dem einzelnen auf diese Weise gerade nicht einen Einblick in die Gesamtheit des Eigenrechts. Man war sich bei der Herausgabe der Ergänzenden Normen dieses Problems vermutlich nicht sehr bewußt; es dürfte aber für das Rechtsbewußtsein der Ordensangehörigen nicht förderlich sein. Z u m anderen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Ergänzenden Normen und den vollständigen Texten der Dekrete der Generalkongregationen. Es läßt sich fragen, ob die vollständigen Texte der Dekrete nicht dadurch eine Abwertung erfahren haben, daß man alle wichtigen Aussagen noch einmal in die „Ergänzenden N o r m e n " aufgenommen hat. Die Alternative wäre gewesen, diesen Dekreten ihre besondere Funktion zu belassen, und in eine Sammlung von „ N o r m e n " nur diejenigen Aussagen aufzunehmen, die tatsächlich „normativen" Charakter haben. Fragen dieser A r t werden sich auch künftigen Generalkongregationen stellen. Denn auch in Zukunft w i r d man sich wieder sowohl mit der Sendung der Gesellschaft Jesu in der Gegenwart als auch mit rechtlichen Detailfragen zu befassen haben. 1 5 4 Wenn sich künftige Generalkongregationen entscheiden, alle ihre Anliegen, die ihnen w i c h t i g erscheinen, in die Ergänzenden Normen einzubauen, werden sie sich fragen, ob es sich lohnt, dasselbe in eigenen Dekreten noch einmal, mehr oder weniger überflüssigerweise, ausführlicher zu sagen. Wenn sie hingegen - was w o h l wahrscheinlicher ist - i m wesentlichen Dekrete i m herkömmlichen Sinn veröffentlichen, ohne allzu viel in die Ergänzenden Normen einzugreifen, stehen diese in Gefahr, zu einem zeitgebundenen Doku-

154

Für eine Behandlung auf der 35. Generalkongregation sind eine Reihe von rechtlichen Fragen bereits abzusehen: Die 34. GK hat dazu aufgefordert, in den darauffolgenden zehn Jahren eine rechtliche Anbindung einzelner Laien zu erproben; zugleich hat sie die nächste Generalkongregation gebeten, diese Versuche auszuwerten (34. GK, D. 13, Nr. 23; vgl. dazu auch ARSJ 22 [1999] 530-533). Die Vorschriften über die Zusammensetzung der Generalkongregation, die von der 33. GK geändert wurden, gelten nach wie vor nur „ad experimentum" (34. GK, D. 23, A , Nr. 1, 1°); auch hier legt sich eine Auswertung durch die 35. GK nahe. Ähnliches gilt für die in der Geschäftsordnung der Generalkongregation enthaltenen Vorschriften über ihre Vorbereitung und Vorgehensweise (vgl. 34. GK, D. 23, A , Nr. 5).

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ment zu werden, das nach und nach veraltet. Die Auswahl des Materials der Ergänzenden Normen macht überaus deutlich, daß man unter den 34 Generalkongregationen der Gesellschaft Jesu v o r allem die letzten vier in den Vordergrund rücken wollte; in dieser Entscheidung spiegelt sich ein großes Selbstbewußtsein der nachkonziliaren Erneuerung. Ob künftige Generalkongregationen aber tatsächlich hinter dem Gewicht der vergangenen vier wieder zurückfallen werden, w i r d erst die Zukunft zeigen - oder widerlegen - können.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht V o n Hugo Schwendenwein

Das kirchliche Gesetzbuch wendet sich an verschiedenen Stellen dem Hochschulwesen zu: bei der Regelung des Studiums in den Priesterseminarien, in den Canones über die kirchlichen Fakultäten und Einrichtungen für Hochschulstudien und in den Bestimmungen über die katholischen Universitäten. Es handelt sich dabei um 3 voneinander zu unterscheidende Rechtsgebiete, die auch in Rechtsvorschriften außerhalb des Codex Iuris Canonici Ergänzungen erfahren haben.

I . Katholische Universitäten 1 und Institute für Hochschulstudien Das von der Kirche beanspruchte Recht der Errichtung und Führung von Schulen betrifft auch die Bildungsstätte der höchsten Stufe, die Universität (c. 807, v g l . auch c. 800 § 1). Indem die Kirche (in c. 807) nicht nur das Interesse an diesem Bereich bekundet, sondern auch das Recht auf Führung und Errichtung von Universitäten betont, wendet sie sich gegen ein staatliches Hochschulmonopol 2 und bringt ihren auch den Hochschulbereich umgreifenden Bildungsauftrag deutlich zur Geltung. Die Bedeutung der Universität. Nach c. 807 dienen die Universitäten der höheren K u l t u r des Menschen, der volleren Entfaltung der menschlichen Person. Sie tragen zur Erfüllung des Verkündigungsdienstes der Kirche bei (c. 807). 3 I m Bewußtsein dessen, daß die menschliche K u l t u r für die Offenba-

1

Siehe hiezu A G. Urru , L' educazione cattolica, in: Diritto nel Mistero della Chiesa I I , Quaderni del Apollinaris 9, a cura del Gruppo Italiano Docenti di Diritto Canonico. Roma 1990,661/662. 2 Peter Krämer, Die Katholische Universität. Kirchenrechtliche Perspektiven, in: AfkKR 160 (1991) 27. 3 JJ. Conn, Catholic Universities in the United States and Ecclesiastical Authority (Analecta gregoriana, Series Facultatis iuris canonici, Sectio B, n.51). Roma 1951, p. 244. 2

21

FS Mühlsteiger

290

Hugo Schwendenwein

rung und die Transzendenz offen ist, ist die Universität Ort für einen fruchtbaren Dialog zwischen Evangelium und K u l t u r (vgl. auch E C E 4 nr. 43). Die neuzeitliche Entwicklung hat, insbesondere i m Gefolge der Aufklärung und der Französischen Revolution, den kirchlichen Einfluß 5 auf die Universitäten beseitigt bzw. zurückgedrängt. 6 I m deutschen Sprachraum haben sich, anders als in den romanischen Ländern, die an den staatlichen Universitäten bestehenden theologischen Fakultäten erhalten 7 , und es ist zu konkordatarischen Regelungen bezüglich derselben gekommen. Seit dem 19. Jh. sind in verschiedenen Ländern neue Universitäten bzw. Fakultäten als kirchlich initiierte Gründungen entstanden. Dabei handelt es sich aber nicht nur um akademische Lehr- und Forschungsstätten der Theologie und der mit ihr verbundenen kirchlich relevanten Wissenschaftszweige, sondern auch u m auf Hochschulebene stehende Einrichtungen für andere Studien. Sie alle figurieren i m derzeitigen kanonischen Recht unter der Bezeichnung: „universitates catholicae" bzw. „studiorum superiorum instituta catholica". I n der Terminologie des C I C 1983 sind kirchliche Universitäten (Fakultäten) solche, die ausschließlich auf theologische oder offenbarungsbezogene (theologiebezogene) Wissenschaften ausgerichtet sind, während die „universitas catholica" grundsätzlich allen wissenschaftlichen Disziplinen offen steht. 8 Hier soll zunächst von den katholischen Universitäten und den i m Zusammenhang mit dieser i m CIC genannten „studiorum superiorum instituta" gehandelt werden. Das von der CInstCath zusammen mit dem päpstlichen Laienrat und dem päpstlichen Rat für die Kultur unter dem 22. Mai 1994 herausgegebene Schreiben über die Präsenz

4 Apostolische Konstitution Papst Johannes Paul II ,,Εχ corde Ecclesiae" (ECE) vom 15.58.1990, in: AAS 82 (1990) 1475-1509. Bezüglich desselben in der vorausgehenden Zeit vgl. Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Bd. IV. Berlin 1888, Neudruck Graz 1959, 654; Franz X. Wernz, lus Decretalium III. Romae 1901, n. 85, 79; Rudolf Ritter v. Scherer, Handbuch des Kirchenrechtes, Bd. II. Graz / Leipzig 1898, insbes. 52-55. 6

η

Vgl. Wernz y lus Decretalium III (Anm. 5), n. 85,81-82.

Scherer, Handbuch (Anm. 5), 58; Johann B. Flaring , Grundzüge des Katholischen Kirchenrechtes. Graz 1910,326. £

Hugo Schwendenwein, Katholische Universitäten und kirchliche Fakultäten. Begriffliche und kompetenzmäßige Klärungen in der neueren kirchlichen Rechtsentwicklung, in: Ecclesia peregrinans. J. Lenzenweger zum 70. Geburtstag, Hg. K. Amon u. a. Wien 1986,379-389.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

291

der Kirche an der Universität und in der universitären Kultur 9 betont: Unter den verschiedenen institutionellen Formen, in denen die Kirche in der universitären Welt präsent ist, muß die Katholische Universität hervorgehoben werden, die selbst eine Institution der Kirche ist. Die einschlägige kirchliche Normengebung. A m 15 A u g u s t 1990 erging die apostolische Konstitution

„Ex corde Ecclesiae" (ECE), die den

CIC

(cc. 8 0 7 - 8 1 4 ) 1 0 näher ausführende Bestimmungen über die Katholischen Universitäten bringt. Diese Konstitution versteht sich als Rahmengesetz, das für weiterer Konkretisierung offen ist (vgl. ECE A r t . 1). Errichtung. Der C I C spricht nicht aus, wer „universitates catholicae" und „instituta superiora catholica" errichten bzw. wer für sie die kirchliche Anerkennung aussprechen kann. Entsprechende Normen enthält ECE. Nach ECE A r t . 3 § 1 können Katholische Universitäten errichten oder als solche anerkennen: Der Apostolische Stuhl, die Bischofskonferenzen 1 1 und die Diözesanbischöfe. Unter bestimmten Voraussetzungen steht das Recht der Errichtung einer Katholischen Universität auch Ordensgemeinschaften, anderen öffentlichen juristischen Personen und gegebenenfalls auch Einzelpersonen, Klerikern wie Laien zu (vgl. A r t . 3 §§ 2 und 3). Die Bezeichnung 'Katholische Universität'. Eine Universität darf, selbst wenn sie „de facto" katholisch ist, die Bezeichnung oder den Titel 'Katholische Universität' nur führen, wenn dies mit Zustimmung der kompetenten kirchlichen Autorität geschieht (c. 808). Wenn also die Errichtung der Universität nicht durch die zuständige kirchliche Autorität ( H l . Stuhl, Bischofskonferenz, Diözesanbischof) sondern seitens anderer bzw. seitens ziviler Autoritäten (z. B . Staat, Region usw.) erfolgt, so bedarf das Führen des Namens 'Katholische Universität' eines eigenen Zustimmungsaktes. Nach P. Krämer, der sich dabei auf PB A r t . 116 bezieht, w i r d dies in der Regel die Congr. InstCath, die die oberste Leitung für das katholische Universitätswesen innehat, sein. 1 2 Planungskompetenz der Bischofskonferenzen. Die Bischofskonferenzen haben dafür zu sorgen, daß, soweit möglich und ratsam, in geeigneter Weise in ihrem Territorium verteilt Universitäten oder wenigstens Fakultäten bestehen, in denen die verschiedenen Wissenschaften unbeschadet ihrer wissenschaftli-

9

II, 1.

10

Für das Ostkirchenrecht siehe can. 640-645 CCEO.

11

Verschiedentlich spricht die Konstitution von Bischofskonferenzen und anderen Organen der kirchlichen Hierarchie. Damit will man den Ostkirchen Rechnung tragen. Vgl. Krämer, Universität (Anm. 2), 28, Anm. 4. 12

Krämer,

ebd., 28.

292

Hugo Schwendenwein

chen Autonomie in Forschung und Lehre unter Berücksichtigung der katholischen Lehre gepflegt werden (c. 809). 1 3

Wissenschaftliche Autonomie und weltanschauliche Bindung 14 . Die zuletzt zitierten Worte des c. 809 lassen die Grundsätze erkennen, nach welchen die einzelnen Wissenschaften an einer katholischen Universität zu pflegen sind: In diesem Zusammenhang ist festzuhalten: aa) In institutioneller Hinsicht k o m m t die Leitung der Universität der akademischen Institution selbst zu. bb) Die Autonomie bezieht sich in individueller Hinsicht auf die Freiheit von Forschung und Lehre 1 5 , cc) Das Spezifische einer katholischen Universität liegt in ihrer christlichen Ausrichtung (weltanschauliche Bindung). In die Arbeit einer katholischen Universität müssen die Inspiration und das Licht der christlichen Botschaft einbezogen werden (ECE A r t . 14). Es geht um eine Reflexion der jeweiligen Erkenntnisse auf dem Hintergrund des katholischen Glaubens (ECE A r t . 13). 1 6 Aufsicht - Lehr- und Forschungsfreiheit. Die Bischofskonferenzen und die beteiligten Diözesanbischöfe haben die Pflicht und das Recht, darüber zu wachen, daß in diesen Universitäten die Grundsätze der katholischen Lehre getreu beachtet werden (c. 810 § 2). Dies hindert freilich nicht, daß den Trägern des akademischen Lehramtes - nach dem Maß ihrer Fachkompetenz 1 7 - Forschungs- und Lehrfreiheit zukommt ( V g l . V a t l l GE A r t . 10, ECE A r t . 2 § 5, siehe auch c. 218). ECE A r t . 2 § 5 1 8 zeichnet den Rahmen, i n dem diese Freiheit besteht: es müssen die Rechte des Einzelnen und die der Gemeinschaft geschützt werden, es muß dem Anspruch der Wahrheit und des Gemeinwohls Rechnung getragen werden. 1 9 Das bedeutet aber, daß sich wissenschaftliche Experimente, die die Würde des Menschen, die Grundrechte der Person tangieren (Menschenversuche), nicht auf die Freiheit der Forschung berufen können.

13

Urru, Educazione (Anm. 1), 662.

14

Siehe hiezu auch M. López-Alarcón , La Universidad católica ante el Derecho del Estado, in: lusCan 38 (1998) 3 9 9 ^ 3 3 , hier 403 f. 15

Vgl. ECE Nr. 12; Art. 2 und §§ 1 und 5; Krämer, Universität (Anm. 2), 28.

16

Krämer, ebd, 29. Vgl. auch Vatll GS Art. 36 Abs. 2.

17

C. 218 bezieht sich auf die theologische Forschung, doch handelt er von der Forschungsfreiheit, und diese kommt, wie ausgeführt, auch bei anderen Disziplinen zum Tragen. Der Canon scheint mit den Worten „qui disciplinis sacris incumbunt" eine Abstufung (in der Gewährleistung dieses Rechtes) nicht auszuschließen. Dies wird vor allem dort in Frage kommen, wo es gradmäßige Abstufungen unter den Lehrenden gibt, die auch dem Grad der wissenschaftlichen Qualifikation Rechnung tragen. 18

Siehe auch ebd. Nr. 12,29.

19

Vgl. auch Vatll GS Art. 59.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

293

Wenn bei der hier zur Besprechung stehenden Grenzziehung auch der A n spruch der Wahrheit genannt w i r d , so weist dies auf die Offenbarung hin. Soweit es sich um Wissenschaften handelt, die sich als katholische Theologie verstehen, muß naturgemäß der Bezug zur Offenbarung gegeben sein. Es versteht sich von selbst, daß nicht jede beliebige an Hand wissenschaftlicher Methoden erfolgende Überlegung für sich in Anspruch nehmen kann, Katholische Theologie zu sein. Die Abgrenzung, was (noch) Katholische Theologie ist, und was nicht (mehr), ist dem kirchlichen Lehramt anvertraut. Statuten. Der konkrete Aufbau einer katholischen Universität, ihre Gliederung und die Leitungsfunktionen sind den Statuten und unter bestimmten U m ständen auch dem staatlichen Recht zu entnehmen (siehe ECE A r t . 1 § 2). Gemäß A r t . 3 § 4 ECE müssen die Statuten von der zuständigen kirchlichen Autorität genehmigt werden. A l s zuständige Autorität w i r d man w o h l die für die Errichtung bzw. die für die Zuerkennung der Bezeichnung „katholisch" kompetente Stelle bezeichnen. Akademische Lehrer. Aufgabe der nach den Statuten zuständigen Autorität ist es, vorzusorgen, daß an katholischen Universitäten akademische Lehrer („docentes") bestellt werden, die sich außer durch wissenschaftliche und pädagogische Eignung durch Rechtgläubigkeit und untadeliges Leben auszeichnen (c. 810 § 1). Nichtkatholische Lehrer. Das in c. 810 § 1 in Bezug auf die akademischen Lehrer aufgestellte, auf Integrität der Lehre zielende Erfordernis wird v o m Gesetzgeber nicht dahingehend verstanden, daß die Berufung v o m Nichtkatholiken ausgeschlossen ist. ECE A r t . 4 § 3 (vgl. auch ebd. A r t . 26) rechnet mit der M ö g l i c h k e i t , daß auch nichtkatholische Lehrer an eine Katholische Universität berufen werden. Dabei ist an akademische Lehrer gedacht, die einer anderen Kirche, kirchlichen Gemeinschaft oder Religion angehören, oder sich zu keinem religiösen Glauben bekennen. A u f jeden Fall müssen nichtkatholische Dozenten 2 0 den katholischen Charakter der Universität achten. 2 1 Nach A r t . 4

20

Nach ECE, Art. 27 muß auch die Universität die Religionsfreiheit der nichtkatholischen Mitglieder achten. 21 Nach Art. 4 § 2 sind die Professoren verpflichtet, den katholischen Charakter der Universität zu fördern oder - und dies scheint für die nichtkatholischen Professoren angefügt zu sein - wenigstens zu beachten. Vgl. hiezu Krämer, Universität (Anm. 2), 31.

294

Hugo Schwendenwein

§ 4 ECE dürfen die nichtkatholischen Lehrenden der Universität (bzw. der akademischen Einrichtung) nicht die Mehrheit bilden. 2 2 Abberufung akademischer Lehrer. Wenn die in c. 810 § 1 genannten Erfordernisse nicht mehr gegeben sind, so ist es Aufgabe der nach den Statuten zuständigen Autorität, daß nach dem in den Statuten festgelegtem Verfahren die Entfernung des Betreffenden

aus dem A m t erfolgt (c. 810 § 1). Zweifels-

ohne kann gesagt werden: Ein katholischer Dozent kann i m Rechtsforum belangt werden, wenn er zum katholischen Glauben in Lehre oder Lebensführung in einem schwerwiegendem und offenkundigem Widerspruch steht, ein nichtkatholischer Dozent, wenn er sich nicht loyal verhält, wenn er der Zielsetzung einer katholischen Universität entgegenarbeitet. 23 Studenten. Es bleibt den Statuten überlassen, ob und wie sie die Zulassungsvoraussetzungen für das Studium an der Katholischen Universität 2 4 umschreiben. 2 5 Nach ECE A r t . 4 § 4 gilt die Zugehörigkeit zur Katholischen K i r che nicht als Voraussetzung der Zulassung. Doch sind alle Studierenden gehalten, den katholischen Charakter der Universität anzuerkennen und zu beachten. Theologie an der Katholischen Universität. Die zuständige kirchliche Autorität soll dafür Sorge tragen, daß in den katholischen Universitäten eine

theologische Fakultät, ein Institut oder wenigstens eine theologische Professur errichtet w i r d , an denen Vorlesungen auch für Laienstudenten gehalten werden (c. 811 § 1). A n jeder katholischen Universität sind Vorlesungen zu halten, in denen v o r allem die theologischen Fragen, die einen Bezug zu den Disziplinen der dort geführten Fakultäten haben, behandelt werden (c. 811 § 2). Das Besondere einer Katholischen Universität liegt darin, daß ein Dialog zwischen Glaube und Vernunft in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Forschens stattfindet. Ein solcher Dialog ist umso eher möglich, wenn die Theologie an der Universität selbst durch eine Fakultät oder wenigstens durch einen Lehrstuhl vertreten ist (ECE Art. 4 § 5). Falls an einer Katholischen Universität eine theologische Fakultät begründet w i r d , so bedarf diese in jedem Falle der Errichtung oder wenigstens der Anerkennung durch den H l . Stuhl (c. 816 § 1). Auch sind ihre Statuten und ihre

22

Nach der Intention des Gesetzgebers soll eine Gefährdung des katholischen Charakters der Universität vermieden werden. 23

Krämer, Universität (Anm. 2), 32. Nach Vatll GE 10,4 sollen sie besonders den entsprechend Talentierten, auch wenn sie den Armen zuzurechnen sind, und vor allen Studierenden aus den jungen Völkern offenstehen. 24

25

Unter Umständen können auch staatliche Vorschriften hiebei maßgeblich sein.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

295

Studienordnung der Approbation durch den H l . Stuhl zu unterstellen (c. 816 § 2 ) . 2 6 Dies gilt für die Theologische Fakultät auch dann, wenn die Universität, der sie zugehört (zugehören soll), von der Bischofskonferenz oder v o m Bischof errichtet wurde oder - i m Falle einer Errichtung durch Einzelpersonen - v o m H l . Stuhl die Anerkennung als 'katholische' erhalten hat. M i t anderen Worten, die theologische Fakultät hat an der Katholischen Universität einen besonderen Rechtsstatus. Das ' M a n d a t ' für Lehrer der Theologie. W e r in 'höheren Studien dienenden Instituten' („studiorum superiorum instituta") - gedacht ist hiebei in erster Linie an Einrichtungen auf Hochschul- bzw. Universitätsebene - theologische Disziplinen vertritt, bedarf des „mandatum" (der Beauftragung) 2 7 durch die zuständige kirchliche Autorität (c. 8 1 2 ) ^ .

26

Nur so hat sie das Recht, akademische Grade der Theologie zu verleihen, die in der Kirche Rechtswirkungen haben (c. 817). 27

Der Gesetzgeber spricht hier von „mandatum" (Auftrag der Kirche) und verwendet nicht den Terminus „missio canonica" (kanonische Sendung). Vgl. auch Comm 15 (1983), 104 f. Durch die Wahl des Terminus „mandatum" hofft man, dem Mißverständnis, es sei durch diesen Akt die Freiheit in Forschung und Lehre nicht gegeben, vorzubeugen. Nach Krämer, Universität (Anm. 2), 35, ist das Wort „mandatum" weitergefaßt als „missio canonica" und läßt verschiedene Realisierungsweisen zu. Es kann in unterschiedlicher Form erteilt werden, eben als „missio canonica", als bischöfliches oder päpstliches „nihil obstat" oder als „venia legendi". Aber welche Form auch gewählt wird, beim Lehren der Theologie beinhaltet das „mandatum" die Teilhabe an der kirchlichen Lehrverkündigung (daß der Betreffende zur wissenschaftlichen Darbietung des katholischen Glaubens verpflichtet ist), ohne daß dadurch die eigene Verantwortlichkeit des Lehrenden eingeschränkt oder aufgehoben ist. Vgl. Heribert Schmitz, Mandat und Nihil obstat des Theologieprofessors, in: ThPQ 139 (1991), insbes. 268. So gesehen erscheint das Mandat in die Nähe der „missio canonica" gerückt, doch ist die zit. Aussage von Schmitz nicht nur für eine Auffassung, die „mandatum" und „missio canonica" identifiziert, offen, sondern auch für ein Verständnis, nach welchem der Ausdruck „mandatum" gewählt wurde, um auszudrücken, daß - ungeachtet einer deutlichen Nähe zur „missioi canonica" - keine volle Deckung mit deren Wesen gegeben ist. 28

In kirchlichen Vorschriften ist die Möglichkeit vorgesehen, bei Widerspruch zur katholischen Lehre das Mandat wiederum zu entziehen. Zuständig ist der verantwortliche Jurisdiktionsträger (Diözesanbischof, gegebenenfalls Ordinarius, unter Umständen, d.h. falls für die betreffende Einrichtung ein Großkanzler mit entsprechender Vollmacht bestellt wurde, dieser). Die im Bereich der DBK (Lehrbeanstandungsverfahren bei der Deutschen Bischofskonferenz v. 21. 9. 1972 i. d. F. vom 10. 3./4.5.1981, zuf. KAB1 Münster 1981) und der SBK (Verfahrensordnung für das Lehrprüfungsverfahren bei der Schweizer Bischofskonferenz vom 2. 9. 1985, in: SKZ 39 [1985] 586-588) bestehenden

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Hugo Schwendenwein

Universitätsseelsorge. Während c. 813 CIC/1983 primär die Studentenseelsorge vor Augen hat, betont ECE Art. 6 § 1, daß die Universitätsseelsorge auf alle Angehörigen der Universität, also auch auf die Lehrenden und auf die in der Verwaltung Tätigen zu beziehen ist. ECE bringt auch zum Ausdruck, was in c. 813 nicht eigens betont wird, daß nicht nur Priester sondern auch Laien (auch Ordenschristen) in der Universitätsseelsorge tätig sein können (Art. 6, § 2): alle Mitglieder der Universitätsgemeinschaft sind zur Mitwirkung an der Universitätsseelsorge eingeladen. Andere Einrichtungen auf Hochschulebene· Die für Universitäten gegebenen kirchlichen Vorschriften gelten in gleicher Weise auch für andere auf der Ebene des Hochschulstudiums stehende Einrichtungen (c. 814). I I . Priesterseminarien und Ordensstudentate Im Rahmen der priesterlichen Ausbildung ist vom Kirchenrecht die Absolvierung eines theologischen Studienganges, der auch philosophische Kurse mit umgreift, vorgeschrieben. Seit dem Konzil von Trient gelten die Priesterseminarien als die eigentlichen Stätten der priesterlichen Formation des Weltklerus. Diesen Seminarien sind in einer das ganze Leben umfassenden Hausgemeinschaft nicht nur die spirituelle Vertiefung und Bildung der Alumnen zur Gesamtpersönlichkeit, sondern auch die Sorge für deren studienmäßige und praktisch-pastorale Berufsausbildung anvertraut. Soferne das Studium nicht am Seminar selbst vermittelt wird, muß für den Besuch einer entsprechenden theologischen Lehranstalt vorgesorgt werden (z. B. Placierung des Seminars an einem Ort, an dem eine theologische Studienstätte besteht). Der Codex Iuris Canonici (1983) trifft in den cc. 232-264 eine relativ eingehende Regelung der Priesterbildung. Die stärker ins Detail gehende und sich als

Lehrprüfungsverfahren ändern nichts an der Entscheidungskompetenz des Jurisdiktionsträgers. Sie versuchen Hilfe für eine objektive, auch den Rechtsschutz des Betroffenen berücksichtigende Entscheidung zu bieten (H. Mussinghoff, c. 812, Rdnr. 9 in: M K CIC [Stand: Mai 1986]). Die Glaubenskongregation hat für Verfahren, die bei ihr abgeführt werden, eine eigene Verfahrensordnung erlassen (Agendi ratio in doctrinarum exsamine), die unter dem 29. 6. 1997 in neuer Fassung vorgelegt wurde (AAS 89 [1997)] 830-835). Endet ein Lehrbeanstandungsverfahren bei der Glaubenskongregation mit der Feststellung, daß die Lehren eines Autors der Lehre der Kirche widerstreiten oder sie verfälschen, so führt dies zur Rücknahme des Mandates Theologie zu lehren (Mussinghoff, c. 812, Rdnrn. 8 und 9 in: M K CIC).

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

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Hilfe für die Erstellung nationaler Priesterbildungsordnungen verstehende Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis v o m 6. 1. 1970 2 9 ist unter dem 19. 3. 1985 3 0 neu gefaßt worden. A m 25. März 1992 erging das päpstliche Schreiben „Pastores dabo v o b i s " 3 1 , das die Ergebnisse der Herbst 1990 abgehaltenen B i schofssynode, die dem Thema „Priesterbildung unter den gegenwärtigen Verhältnissen" gewidmet war, zusammenfaßte. Angesichts der großen Verschiedenheit der V ö l k e r und Gebiete sollen, wie es i m Priesterbildungsdekret des I I . Vatikanischen Konzils heißt, die allgemeinrechtlichen Vorschriften den regionalen Verhältnissen angepaßt werden. Darum schreibt c. 242 § 1 C I C in Anlehnung an V a t l l O T A r t . 1 die Erstellung von Priesterbildungsordnungen auf nationaler Ebene v o r . 3 2 Jede Bischofskonferenz muß für ihren Bereich i m Rahmen der von der höchsten Autorität der Kirche gegebenen Normen eine Priesterbildungsordnung, die der Apostolischen A p probation zu unterstellen ist, erlassen (c. 242 § 1 CIC). Zu den allgemeinrechtlichen Vorgaben, die in diesen Ordnungen zu beachten sind, zählt die Norm über die Errichtung von Priesterseminarien und das der priesterlichen Ausbildung dienende Studium. Hier soll Folgendes festgehalten werden:

Das Priesterseminar (Seminarium maius) gehört zur obligatorischen Ausstattung der Diözese. Das K o n z i l von Trient hat die bis dahin oft ungenügende, der partikulären Regelung bzw. Vorsorge überlassene Ausbildung der Kandidaten des Priestertums einer allgemeinrechtlichen Regelung zu- und die Priesterseminarien als hiefür bestimmte Bildungsstätten verpflichtend eingeführt. 3 3 Das I I . Vatikanum hat in seinem Bestreben um die Erneuerung der Kirche der Priesterausbildung solches Gewicht beigemessen, daß es diesem Thema ein eigenes Konzilsdekret („Optatam totius" v o m 28. Oktober 1965) gewidmet hat. 3 4 Dieses hat das Priesterseminar als unerläßliche Einrichtung

29

AAS 62 (1970) 321-384.

Diese Neufassung ist nicht in den AAS publiziert worden. Sie findet sich bei Ochoa Leges VI, Sp. 9069-9109. 31

AAS 84,1992,657-804.

32

Hugo Schwendenwein, Das Neue Kirchenrecht - Gesamtdarstellung. Graz / Wien / Köln 2 1984,140. 33 Sessio X X I I I , c. 18. Das Tridentinische Recht hat nicht zwischen Großem und Kleinem Seminar unterschieden. Auch die humanistischen Studien der jüngeren Jahrgänge wurden am Seminar absolviert. Erst die Rechtsbestimmungen des CIC des Jahres 1917 haben das „Seminarium minus" vom „Seminarium maius" deutlich abgehoben. Vatll OT hat dem Kleinen und dem Großen Seminar verschiedene Erziehungsziele zugrunde gelegt, nämlich dem ersteren das Leitbild Jesu Christi des Erlösers (Art. 3 Abs. 1) und dem letzteren das

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Hugo Schwendenwein

der institutio

clericalis

beibehalten und entsprechend den neuen Akzentuierun-

gen flexibler zu gestalten versucht. Diese Linie wurde in der Folge verschiedentlich bekräftigt. A u c h der C I C 1983 hält daran fest. Das kanonische Recht stellt die Forderung auf, daß jede Diözese ihr eigenes Seminar haben muß, läßt aber für den Fall, daß dies nicht möglich oder zweckmäßig wäre, auch die Möglichkeiten sowohl der Entsendung der Kandidaten in das Seminar einer anderen Diözese (c. 237 § 1) als auch der Errichtung eines interdiözesanen 3 5 , mehreren Diözesen gemeinsamen Seminars (c. 237 § 2) z u . 3 6 A u f jeden Fall ist so für die Ausbildung der Alumnen der Diözese in einem Seminar Vorsorge zu treffen. Folglich stehen dem Diözesanbischof, was die Ausbildung seiner A l u m n e n betrifft, v o m allgemeinen Recht her drei M ö g lichkeiten offen, wobei freilich die Errichtung eines interdiözesanen Seminars davon abhängt, daß auch andere Diözesen (oder zumindest noch eine andere Diözese) mittun. Nach dem CCEO ist ein „Seminarium maius" für die Eparchie oder als gemeinsames Seminar, sei es für die gesamte „Ecclesia sui iuris", sei es für einige Eparchien derselben, die dies vereinbart haben, oder für Eparchien verschiedener „Ecclesiae sui iuris" der gleichen Region oder Nation zu errichten (can. 332 § 2). Wenngleich es wünschenswert ist, dass Seminare den Alumnen einer Rituskirche reserviert werden, so ist doch auch - im Hinblick auf besondere Umstände - die Zulassung von Alumnen verschiedener Kirchen eigenen Rechtes möglich (can. 333). Das Eparchialseminar wird vom Eparchialbischof, das für mehrere Eparchien gemeinsame Seminar von den beteiligten Eparchialbischöfen oder von der übergeordneten Autorität errichtet. Der Metropolit einer „Ecclesia metropolitana sui iuris" bedarf hiezu der Zustimmung des „Consilium Hierarcharum", der Patriarch der Zustimmung des „Synodus Episcoporum Ecclesiae patriarchal is" (can. 334 § 1).

Leitbild Jesu Christi des Lehrers, Priesters und Hirten (Art. 4 Abs. 1). Es darf aber bemerkt werden, daß, wie der seinerzeitige Sekretär der für die Erarbeitung von Vatll OT zuständig gewesenen Kommission betont, bei Bestimmung des Leitbildes des Kleinen Seminars der Terminus „Redemptor" nicht in der Absicht gewählt wurde, das „Christus Sacerdos" aus dem geistigen Horizont des Kleinen Seminars zu verbannen, sondern um eine schrittweise Einbeziehung des priesterlichen Leitbildes nahezulegen 04. Mayer, Introduzione e Norme generali, in: Decreto sulla Formazione sacerdotale, a cura della Conferenza Italiana Superiori Maggiori, Roma o. J., 58). 35

Vgl. hiezu: Hugo Schwendenwein, lus Seminariorum interdioecesanorum a Schemate commissionis CIC recognoscendo novissime publicatum, in: ME, 103 (1978) 3 -

11. Vgl. hiezu: Hugo Schwendenwein, Rechtsfragen in Kirche und Staat. Graz 1979, 67 f.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

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Interdiözesane Seminarien. Wenn sich Diözesanbischöfe zur Errichtung eines interdiözesanen Seminars zusammenschließen, so bedürfen sie sowohl für die Errichtung als auch für die für ein solches Seminar zu erstellenden Statuten der vorausgehenden Approbation des Hl. Stuhles (c. 237 § 2). Handelt es sich um ein für das gesamte Territorium der Bischofskonferenz bestimmtes Semin a r 3 7 , 3 8 , so ist diese für die Errichtung und die Statutengebung, die natürlich auch in diesem Fall der vorherigen Apostolischen Approbation zu unterstellen sind, kompetent (c. 237 § 2). Nach der Textierung des c. 237 § 2 stellen die sich zur Errichtung eines interdiözesanen Seminars zusammenschließenden Bischöfe, die offenbar zu diesem Zweck ein Gremium bilden, bzw. die Bischofskonferenz die das interdiözesane Seminar errichtende bzw. m i t Statuten ausstattende A u t o r i t ä t 3 9 dar. Das Seminar als juristische Person. Rechtmäßig errichtete Seminarien sind „ipso iure" kirchliche juristische Personen (c. 238 § 1) des öffentlichen Rechts (vgl. c. 116 § l ) . 4 0 Sie werden in allen Angelegenheiten v o m Rektor (Regens) vertreten, wenn nicht für bestimmte Angelegenheiten die zuständige Autorität anderes festgelegt hat (c. 238 § 2). 4 1 Demnach könnte, um ein Beispiel zu nennen, die zuständige Autorität (Diözesanbischof) dem Ökonomen des Seminars (c. 239 § 1) oder der Diözese (c. 494) die Rechtsvertretung des Seminars in wirtschaftlichen Fragen zuschreiben. Der Diözesanbischof kann bestimmte Aufgaben der Seminarvertretung nicht nur anderen, sondern auch sich selbst vorbehalten. Dabei kann er - nach der Textierung von c. 238 § 1 - dem Seminarrektor die betreffenden Vertretungsaufgaben entziehen. Ein solcher Entzug ist nur rücksichtlich eines Teiles der Vertretungsaufgaben möglich („de certis negotiis"), nicht aber kann dem Seminarrektor die Vertretung des Seminars zur Gänze entzogen werden.

37

Im vorausgehenden Schema JDe populo Die" war nur für auf der Ebene der Bischofskonferenz bestehende Seminarien die Unterstellung unter die Apostolische Approbation gefordert. Vgl. Hugo Schwendenwein, Obispo Diocesano, Conferencia episcopal y Santa Sede en el nuevo esquema canònico de Seminarios interdiocesanos, in: EstE, Bd. 54,87 f. 38

In der Vergangenheit wurde in bezug auf interdiözesane Seminarien mancherorts der Ausdruck „Regionalseminarien" gebraucht. Dies insbesondere dort, wo man die Teilkirchen größerer Bereiche zusammengefaßt und Seminarien für eben diese Regionen errichtet hat. Vgl. Schwendenwein, ebd. 39 Das Approbationserfordernis ändert nichts daran, daß die Akte der Errichtung und der Statutengebung durch die beteiligten Bischöfe bzw. durch die BK gesetzt werden. 40 Can. 335 § 1 CCEO. Can. 335 § 2 CCEO verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit anderslautender Festlegungen durch das Partikularrecht.

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Bischöfliche Seminarleitung. Die Seminarien unterstehen der Leitungsgewalt des Diözesanbischofs. Diesem kommen die die höhere Leitung und Verwaltung („superius regimen et administrationem tr) betreffenden Entscheidungen zu (c. 259 § 1). Selbstverständlich ist er dabei an die Vorschriften des HL Stuhles und der Bischofskonferenz (Priesterbildungsordnung) gebunden. Bei interdiözesanen Seminarien liegt diese oberhirtliche Seminarleitung in der Hand der am betreffenden Seminar beteiligten Bischöfe („Episcopi quorum interest") (c. 259 § l ) . 4 2 Mitunter wird von diesen die Wahrnehmung bestimmter bischöflicher Leitungsaufgaben an Einzelpersonen oder kleinere Gremien delegiert (z. B. dem Bischof, in dessen Diözese das interdiözesane Seminar gelegen ist). Die Leitung des Seminars obliegt dem Rektor (Regens) (c. 239 § 1) 4 3 Während dem Diözesanbischof die höhere Leitung und Verwaltung („superius regimen et administrationem' 4) zukommt, trifft den Rektor die Sorge für die täglichen Leitungsaufgaben („quotidianum moderamene (c. 260). Er ist dabei an die Priesterbildungsordnung und an die „ordinatio propria" des jeweiligen Seminars gebunden (c. 260). Alle Amtsträger des Seminars müssen in Erfüllung ihrer Aufgabe seinen Weisungen, wenn sie sich im Rahmen des Rechtes bewegen, Folge leisten (c. 260). Sie unterstehen seiner dienstlichen Aufsicht. Lehrer. Wenn die theologische Lehranstalt am Priesterseminar besteht, müssen natürlich auch Lehrer für die verschiedenen Disziplinen eingestellt werden (c.239 § 1). Als Lehrer in den philosophischen, theologischen und kirchenrechtlichen Disziplinen dürfen vom Bischof bzw. (bei interdiözesanen Seminarien) von den an der Seminarleitung beteiligten Bischöfen nur solche ernannt werden, die sich durch ihre Tugenden auszeichnen und an einer vom Hl. Stuhl anerkannten Universität oder Fakultät den Grad eines Doktors oder Lizentiaten erworben haben (c. 253 § l ) . 4 4 ' 4 5 Selbstverständlich müssen, auch wenn die

42

Nach can. 336 § 1 CCEO steht dem mehreren Diözesen gemeinsamen Seminar der Hierarch vor, der von den am Seminar beteiligten Bischöfen designiert wird. 43

Bezüglich des Rekors (Regens) und seiner Aufgaben vgl. im CCEO can. 338. Die Bestellung eines Ökonomen ist im CCEO nicht zwingend vorgeschrieben (can. 338 § 1). 44

Auch der CCEO betont die Notwendigkeit einer angemessenen Zahl entsprechend fachkundiger und graduierter Lehrer (can. 340 § 1). 45 So wie alle Amtsträger des Seminars werden auch die Professoren des Priesterseminars vom Bischof bzw. bei interdiözesanen Seminarien von den beteiligten Bischöfen bestellt (c. 253 § 1). Bei Vorliegen von Pflichtverletzungen solcher Schwere, daß sie eine Absetzung erfordern, ist die für die Bestellung zuständige Autorität auch für diesen Vorgang kompetent (c. 253 § 3).

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

301

theologische Lehranstalt vom Priesterseminar getrennt ist, außer der eben entfalteten auch die Vorschriften über die personalmäßige Mindestausstattung ( z . B . Vorschriften über die Aufstellung eigener Professoren für bestimmte Fächer) gewahrt werden. Wenn die Alumnen an theologischen Fakultäten studieren, gelten für die Lehrer derselben die erhöhten Eignungserfordernisse des kirchlichen bzw., wenn es sich um staatliche (konkordatarische) Fakultäten handelt, auch die meist ( ζ . B. in Österreich und Deutschland) noch weitaus höheren des staatlichen Hochschulrechtes. Der Regens (Rektor) sowie - unter seiner Autorität - die anderen Seminarvorstände und gegebenenfalls auch die Professoren sollen es sich je für ihren Teil angelegen sein lassen, daß die Alumnen die Vorschriften der Priesterbildungsordnung und der Seminarordnung treu befolgen (c. 261 § l ) . 4 6 Zusammenarbeit 47 aller. In den Statuten des Seminars soll Vorsorge getroffen werden, wie an der Sorge des Rektors (Regens), insbesondere bezüglich Einhaltung der Ordnung, auch die anderen Seminarvorstände und Professoren 48 und auch die Alumnen selbst 49 teilnehmen können (c. 239 § 3).

Priesterliche Studien. 5 0 Die zu vermittelnde wissenschaftliche Bildung zielt darauf hin, daß die Alumnen zusammen mit einer allgemeinen, den Bedürfnissen des Ortes und der Zeit entsprechenden Kultur eine umfassende und tiefe Kenntnis in den theologischen Disziplinen erwerben, so daß sie in dem dadurch gefestigten und von daher genährten eigenen Glauben imstande sind, den Menschen ihrer Zeit die Lehre des Evangeliums in geeigneter, ihren Anlagen entsprechender Weise zu verkünden (c. 248).

46 Wenn am Priesterseminar eine theologische Schule ohne akademischen (universitären) Charakter besteht, kann der Seminarrektor bzw. der Leiter dieser Schule auch Vorsorge treffen, daß die Lehrer derselben ihr Amt entsprechend der Priesterbildungsordnung und der Lebensordnung des Seminars erfüllen (c. 261 § 2). 47

In can. 340 § 2 CCEO wird auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Professoren und Seminarvorstände mit dem Blick auf das gemeinsame Erziehungs- und Bildungsziel hingewiesen. 48

Daran wird vor allem zu denken sein, wenn sich der Studienbetrieb am Seminar abspielt. 49

Beispielsweise wäre diese in Form eines gelegentlichen Anhörungsrechtes realisierbar. 50 Selbstverständlich wird im Ostkirchen recht der Bezug der Ausbildung zur Tradition der eigenen „Ecclesia sui iuris" betont (can. 330 § 3 CCEO).

302

Hugo Schwendenwein

Die cc. 248 - 254 über die wissenschaftliche Ausbildung der Priesterkandidaten gelten für die theologischen Lehranstalten der Priesterseminarien, der Ausbildungsstätten der Orden und anderen Personalverbände, für die Theologischen Fakultäten und andere der philosophisch-theologischen Ausbildung von Priesterkandidaten dienende Einrichtungen. Die theologischen Fakultäten müssen darüber hinaus die Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" und der in ihrer Durchführung ergangenen „Ordinationes" beachten. Für unter Konkordatsrecht stehende Einrichtungen gelten natürlich auch die sich aus dem Konkordat ergebenden Normen. In der v o m zit. Canon 248 gebotenen inhaltlichen Zielsetzung der wissenschaftlichen Ausbildung der A l u m n e n , spiegeln sich von V A T I I ausgedrückte Anliegen wider ( ζ . B . GS A r t . 56 und 62; A G A r t . 1 - 6 ; O T A r t . 13). Wenngleich - gerade nach diesem Text und seinem konziliaren Hintergrund - die Inkulturation als wichtiges, das studienmäßige Bildungsziel prägendes Anliegen erscheint 5 1 , so gibt es doch für das Studium der Priesterkandidaten überall, w o auch immer es erfolgt, geltende, v o m allgemeinen Kirchenrecht festgelegte Vorgaben, eben die der hier zur Besprechung stehenden cc. 248 - 254. Der Ausbildungsphase des Priesterseminars entspricht die Zeit der philosophisch-theologischen Studien, die mitunter auch eigentlich-kirchliche Studien („studia proprie ecclesiastica") genannt werden. Voraussetzung. Die die Voraussetzung für den Zugang zu diesen bietende gymnasiale (humanistisch-naturwissenschaftliche) Ausbildung (c. 234 § 2) sollte i m Normalfall vor Beginn der eigentlich-priesterlichen ( d . h . der philosophisch-theologischen) Studien abgeschlossen sein (z. B . mit der Reifeprüfung, Abitur). Gegebenenfalls kann jedoch ein Teil der gymnasialen Bildung, insbesondere wenn es sich um einen kleineren, noch fehlenden Teil derselben (z. B . u m eine Sprache) handelt, in den ersten eigentlich-kirchlichen Studienjahren i m Seminar ergänzt werden. Die philosophischen und theologischen Studien i m Seminar können - nach Maßgabe der Priesterbildungsordnung - entweder nacheinander oder miteinander verbunden geboten werden. Sie müssen zusammen mindestens sechs Jahre dauern und zwar so, daß die den philosophischen Studien gewidmete Zeit vollen zwei und die den theologischen Studien gewidmete Zeit vollen vier Jahren entspricht (c. 2 5 0 ) . 5 2 Die philosophische Ausbildung muß sich auf das immer gültige philosophische Erbe stützen. Es sollen aber auch die philosophischen Forschungen der

51

F.J. Reinhardt, c. 248, Rdnr. 1, in: M K CIC (Stand: November 1996).

52

Ähnlich can. 348 § 1 CCEO.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

303

fortschreitenden Z e i t 5 3 berücksichtigt werden. Sie ist so zu vermitteln, daß sie die menschliche Bildung der A l u m n e n vervollkommnet, ihren Verstand schärft und eine entsprechende Basis für die Bewältigung der theologischen Studien bietet ( c . 2 5 1 ) . 5 4 Die theologische Ausbildung ist i m Licht des Glaubens unter Führung des Lehramtes so zu erteilen, daß die A l u m n e n die ganze katholische, auf der göttlichen Offenbarung beruhende Lehre kennenlernen, sie zur Nahrung ihres eigenen geistlichen Lebens machen und sie bei der Ausübung ihres kirchlichen Dienstes in rechter Weise verkünden und schützen können (c. 252 § l ) . 5 5 A l l gemeinrechtlich vorgeschrieben sind Vorlesungen in der Heiligen Schrift, in Dogmatik, Moraltheologie, Kirchen recht, Kirchengeschichte, Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft (c. 252 § 3). Dazu kommen Vorlesungen aus anderen Disziplinen (aus Hilfs- und Spezialwissenschaften) nach Maßgabe der Vorschriften der Priesterbildungsordnung (c. 252 § 3). Eigens merkt der CIC an: In der HL Schrift sind die A l u m n e n mit besonderer Sorgfalt zu unterrichten, so daß sie einen Überblick über die ganze Heilige Schrift erlangen (c. 252

§ 2) 5 6

Bezüglich der dogmatischen Theologie verlangt c. 252 § 3, daß sich die Vorlesungen immer auf das geschriebene Wort Gottes zusammen mit der hl. Tradition stützen müssen; mit deren Hilfe sollen die A l u m n e n die Heilsgeheimnisse, vor allem unter der A n l e i t u n g des H l . Thomas als Lehrer, tiefer zu durchdringen lernen. Besonders gewichtete Fächer. I m Interesse einer soliden Ausbildung, die für ein zentrales Fach ein volles Engagement, entsprechende Vertiefung und Spezialisierung erfordert, muß unbedingt vermieden werden, daß einem Lehrer nicht zwei bedeutsame Fächer übertragen werden. Dementsprechend verlangt c. 253 § 2 ausdrücklich, daß für Heilige Schrift, Dogmatische Theologie, M o ral, Philosophie, Kirchenrecht, Kirchengeschichte, Liturgiewissenschaft und andere Disziplinen mit eigener Methode verschiedene Lehrer zu bestellen sind.

53

„... philosophicae inverstigationis progredientis aetatis ..." Damit ist die Philosophie der neuesten Zeit einschließlich der Philosophie der Gegenwart und ihre jeweilige Weiterentwicklung gemeint. 54

Vgl. auch can. 349 § 1 CCEO.

55

Ähnlich can. 350 § 1 CCEO, der auch den Bezug zum kulturellen Kontext hervor-

hebt. 56

Auch im CCEO wird die zentrale Rolle der Hl. Schrift im Theologiestudium unterstrichen (can. 350 § 2). Can. 350 § 3 hebt die Bedeutung des Faches Liturgie hervor.

304 Gesamtkirchliche

Hugo Schwendenwein Anliegen.

Man soll den Alumnen auch gesamtkirchliche

Anliegen nahebringen, so daß sie sich u m die Förderung von Berufen bemühen und von Fragen der Mission, der Ökumene 5 7

58

u n d von anderen dringenden

Fragen, auch von der sozialen Frage, bewegt werden (c. 256 § 2). Kennenlernen anderer „Ecclesiae sui iuris". Ergänzend sei angemerkt, daß can. 41 CCEO - auch für die Lateinische K i r c h e 5 9 - die Verpflichtung ausspricht, daß jene, die „ratione officii, ministerii vel muneris „ häufig mit Gläubigen anderer Kirchen eigenen Rechtes zu tun haben, in die Kenntnis und die Liturgie der betreffenden Kirche(n) eingeführt werden. Diese Einführung in die Kenntnis fremder Rituskirchen hat sich nach dem A m t , der Aufgabe oder dem Dienst 6 0 des Betreffenden zu richten. Eine solche Einführung ist also in erster Linie dort aktuell, w o der Seeisorgsdienst des Priesters entsprechend starke Berührungen mit anderen „ E c c l e s i a e sui iuris" bzw. mit einer anderen „Ecclesia sui iuris" bringt. Das Urteil darüber, wann eine „frequentatio alius Ecclesiae sui Iuris" eine solche Intensität erreicht hat, daß eine entsprechende Vorbereitung der Priesterkandidaten durch can. 41 CCEO gefordert ist, liegt bei den für die Erstellung der Priesterbildungsordnung und gegebenenfalls 6 1 , bei dem für die Erstellung der Seminarstatuten verantwortlichen Hierarchen. A u c h die für die kirchlichen Fakultäten Verantwortlichen können Ausbildungsmaßnahmen (Vorlesungen usw.) i m Sinne von can. 41 CCEO festlegen. Gesamtschau und wissenschaftliches Niveau. Den Lehrern soll bei der Vermittlung ihrer Disziplinen die innere Einheit und Harmonie der gesamten Glau-

57

Was die ökumenische Dimension der Ausbildung betrifft vgl. das Ökumenische Direktorium. Diese Normen wurden in einem Studiendokument des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen näher ausgeführt (in deutscher Sprache veröffentlicht vom Sekretariat der DBK, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles, 134). 58

Im CCEO wird die ökumenische Orientierung des Theologiestudiums, die für alle Fächer maßgeblich ist, besonders hervorgehoben. 59 „... etiam Ecclesiae Latinae". „... pro gravitate officii, ministerii vel muneris, quod implent, instituantur". Carl G. Fürst weist ausdrücklich darauf hin, daß diese Norm nicht nur Orientalen verschiedener Kirchen eigenen Rechts untereinander und Lateiner gegenüber Orientalen verpflichtet, sondern auch Orientalen gegenüber Lateinern, also auch dort, wo ein orientalischer Jurisdiktionsbezirk nicht von einem lateinischen Jurisdiktionsbezirk 'überlappt' ist, wo eine 'exklusive Terri to ri alitât' der ostkirchlichen Hierarchie besteht (Zur Interdependenz von lateinischem und orientalischem Kirchenrecht, in: FS Schmitz, 546). 60

61

Wenn die BK wegen der Verschiedenheiten in ihrem Bereich eine für alle ihrer Ordnung unterliegenden Seminarien keine Regelung dieser Frage trifft.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

305

benslehre 6 2 stets ein Anliegen sein (c. 254 § l ) . 6 3 Die A l u m n e n sind so zu unterweisen, daß sie auch selbst fähig werden, Probleme in eigenen entsprechenden Forschungen und m i t wissenschaftlicher Methode zu behandeln; daher sind Übungen anzusetzen, in denen sie unter der Leitung von Lehrern die Lösung wissenschaftlicher Fragen durch eigene Arbeit erlernen (c. 254 § 2 ) . 6 4 Pastorale Ausbildung i m engeren Sinn. 6 5 Wenngleich die gesamte Ausbildung der A l u m n e n von der pastoralen Zielsetzung bestimmt ist, so dient doch ein T e i l derselben der pastoralen Ausbildung i m engeren Sinn. I m Rahmen derselben sollen sie die maßgeblichen Grundsätze und Fertigkeiten für die Ausübung des dem V o l k Gottes zu leistenden Dienstes der Lehre, der Heiligung und der Leitung - unter Berücksichtigung der jeweiligen zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten - erlernen (c. 255). Sorgfältig sind die Alumnen in dem zu unterrichten, was in besonderer Weise zum geistlichen A m t gehört, vor allem in der Ausübung der Katechese und der Predigt, i m Gottesdienst und in besonderer Weise in der Feier der Sakramente, i m Umgang mit den Menschen, auch mit Nichtkatholiken und Nichtglaubenden, in der pfarrlichen Verwaltung und in den übrigen wahrzunehmenden Aufgaben (c. 256 § 1). Damit die A l u m nen die Ausübung des Apostolates auch in der Praxis erlernen, sind sie schon während des Studiums, vor allem in der Ferienzeit, durch geeignete, ihrem Alter und den örtlichen Bedingungen angepaßte, nach dem Urteil des Ordinarius festzulegende Übungen unter der Führung eines erfahrenen Priesters mit der seelsorglichen Praxis vertraut zu machen (c. 258).

Vorbereitung auf besondere seelsorgliche Aufgaben. Der Diözesanbischof soll dafür sorgen, daß Kleriker, die aus der eigenen in die Teilkirche eines anderen Gebietes überzuwechseln beabsichtigen, entsprechend vorbereitet werden, damit sie dort den geistlichen Dienst ausüben können. Sie sollen sich die Sprache der betreffenden Region aneignen und Kenntnis ihrer Einrichtungen, sozialen Gegebenheiten, Gebräuche und Gewohnheiten erlangen (c. 257

§2).

62

Im CCEO weist can. 348 § 2 auf dieses Anliegen hin.

63

Die Alumnen sollen das Studium der verschiedenen theologischen Disziplinen gleichsam als eine Wissenschaft erfahren (c. 254 § 1). Es wird sogar das Anliegen ausgesprochen, daß, um dies zu erreichen, sich jemand im Seminar der Ordnung des gesamten Studiums annehmen möge (c. 254 § 1). 64

Im CCEO wird im can. 349 § 2 das Anliegen der Offenheit für theologische Erkenntnisse, der denkerischen Begegnung mit ihnen und mit dem Geschichtlichen und die Nutzbarmachung für das Gespräch mit den Menschen angesprochen. 65

Für das Ostkirchenrecht vgl. can. 352 CCEO.

22 FS Mühlsteiger

306

Hugo Schwendenwein

Die Studienstätten der Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften. Selbstverständlich müssen auch die Priesterkandidaten der Ordens- und ordensähnlichen Gemeinschaften eine philosophisch-theologische Ausbildung absolvieren, die der sich aus den vorausgehend entfalteten Bestimmungen ergebenden entspricht. Die entsprechend diesen mit Lehrpersonal ausgestatteten Ordensstudentate sind in Ordensniederlassungen integriert b z w . als von Orden geführte Anstalten errichtet. Selbstverständlich ist auch in diesen Fällen die Entsendung der A l u m n e n an Theologische Fakultäten oder andere i m Umkreis der Ordensniederlassung bestehende Priesterseminare oder Studentate anderer Orden möglich. Das v o m Priesterkandidaten verlangte theologische Studium zielt nach dem allgemeinem Kirchenrecht nicht auf die Erwerbung der akademischen Grade der Theologie sondern auf die priesterliche Berufsausbildung ab. In der Vergangenheit hat man diesbezüglich v o m „cursus seminaristicus" oder „cursus m i n o r " gesprochen, dem der auf die Erlangung der akademischen Grade abzielende „cursus"academicus" oder „cursus m a i o r " , dem die theologischen Fakultäten dienen, gegenübersteht. Mancherorts hat es sich herausgebildet, daß man die unteren Kurse der Theologie nur am Priesterseminar absolvieren kann, und die theologische Fakultät nur ein diese Kurse voraussetzendes zusätzliches Studium für die Grade vorsieht. Zuallermeist bieten jedoch die „cursus academ i c i " der theologischen Fakultäten das Studium in einer Form, die von Anfang an sowohl der priesterlichen Berufsvorbereitung als auch der gradmäßigen Qualifizierung dient, wobei für die letztere zusätzliche Erfordernisse erfüllt werden müssen. 6 6 In einer Reihe von Ländern freilich weist die Entwicklung in eine andere Richtung. Angemerkt sei, daß die Bischofskonferenzen die Möglichkeit haben, in den von ihnen zu erstellenden Priesterbildungsordnungen die für die theologischen Universitätsfakultäten geltenden Studienvorschriften z u m Maßstab für die studienmäßige B i l d u n g der Priesterkandidaten zu nehmen und gegebenenfalls sogar einen dem Doktorat vorgeschalteten akademischen Abschluß (z. B . Bacccalaureus, Diplomtheologe, Magister der Theologie) oder einen diesem gleichwertigen Bildungsstand zur Voraussetzung für den Zutritt zur Weihe zu machen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz studiert der überwiegende

66 Vgl. Hugo Schwendenwein, Grundfragen der Entwicklung des theologischen Studienrechtes in Österreich seit Beginn des 20. Jahrhunderts., in: Domus Austriae. Eine Festgabe für Hermann Wiesflecker zum 70. Geburtstag, Hg. v. W. Höflechner u. a. Graz 1983,371.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

307

Teil der Priesterkandidaten - zumindest, was die Kandidaten des Weltklerus betrifft, - an theologischen Fakultäten mit Graduierungsrecht. Die i m Konnex mit dem Priesterseminar bestehende Theologische Hochschule St. Pölten ist mit der theologischen Fakultät der Universität Wien so verbunden, daß die Studenten durch i m Zusammenwirken mit der Wiener Fakultät abzuführende Prüfungen den theologischen Magistergrad erlangen können.

I I I . Kirchliche Universitäten und Fakultäten Die i m vorausgehenden behandelten 'katholischen Universitäten und Einrichtungen für Hochschulstudien' können den verschiedensten Wissenschaftszweigen zugeordnet sein. Besondere Regelungen trifft die Kirche für jene Universitäten oder Fakultäten, die den 'heiligen oder den mit diesen verbundenen Wissenschaften' („disciplinas sacras vel cum sacris connexas"), also ganz speziell als kirchlich zu qualifizierenden Wissenschaftsbereichen und Studiengängen dienen 6 7 . Sie werden i m Recht als „universitates vel facultates ecclesiasticae" (früher „universitates vel facultates studiorum ecclesiasticorum") bezeich. 68 net. Die Kirche führt, wie es i m c. 815 heißt, kraft ihres Auftrages, die geoffenbarte Wahrheit zu verkünden, eigene kirchliche Universitäten oder Fakultäten zur Erforschung der theologischen („disciplinas sacras") und der mit diesen verbundenen Wissenschaften sowie zur wissenschaftlichen Ausbildung der Studenten in diesen Disziplinen. Für diese Studien und die ihnen dienenden akademischen Studienstätten (eben für die „universitates vel facultates ecclesiasticae") gibt die A p . Konst. Papst Johannes Pauls II. „Sapientia Christiana" eine Rahmenordnung 6 9 . - Disciplinae Sacrae sind jene Forschungs- und Lehrgegenstände, die sich insbesondere mit der christlichen Offenbarung befassen und mit solchen Fragestellungen, die mit dieser verbunden sind und deshalb i m engeren Sinn zum

67

Vgl. hiezu auch J. A. Fuentes Alonso, La funcion de ensenar, in: Manual de Derecho canonico, Pamplona 2 1991,454. 68 Nach Art. 2 SapChrist gelten jene Universitäten und Fakultäten als „ecclesiasticae", die nach kanonischer Errichtung oder Approbation durch den Hl. Stuhl die Glaubenswissenschaft und hiemit verbundene Wissenschaften betreiben und lehren und mit dem Recht akademische Grade in der Autorität des Hl. Stuhles zu verleihen, ausgestattet sind. 69

Diese führen die kodiziellen Bestimmungen (cc. 815-821, ergänzt durch cc. 810, 812 und 813) näher aus. Für das Ostkirchenrecht vgl. can. 646-650 CCEO.

308

Hugo Schwendenwein

eigentlichen Verkündigungsauftrag der Kirche gehören. 7 0 Naturgemäß werden die Studien der „disciplinae sacrae" und die diesen dedizierten Einrichtungen in ganz besonderer Weise von der Kirche gefördert. 7 1 - Disciplinae cum sacris connexis. Einen Zusammenhang mit der kirchlichen Verkündigung kann es auch bei jenen Wissenschaften geben, die zwar keine direkte Verbindung mit der christlichen Offenbarung haben, aber doch eine gute Hilfestellung bei der Aufgabe der Verkündigung bieten können. 7 2 Aus diesem Grunde werden die ihnen dienenden akademischen Studienstätten von der Kirche geschätzt und als kirchliche Fakultäten errichtet, wodurch sie eine ganz spezielle Beziehung zum Hirtenamt der Hierarchie bekommen. 7 3 So reicht der Begriff der Universitäten und Fakultäten für kirchliche Studien über den Kreis der den „disciplinae sacrae" zugeordneten Einrichtungen hinaus. Den Erfordernissen

der Kirche

dienende Disziplinen.

Außer den theologi-

schen, kirchenrechtllichen und philosophischen Fakultäten sind noch andere kirchliche Fakultäten kanonisch errichtet oder können unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Kirche errichtet werden, um einige besondere Ziele zu erreichen, wie zum Beispiel ( v g l . SapChrist A r t . 84): a)

eine gründliche Forschung in einigen bedeutsamen Bereichen innerhalb der theologischen, rechtlichen und philosophischen Disziplinen;

b)

die Förderung anderer Wissenschaften, vor allem der Humanwissenschaften, die enger mit den theologischen Disziplinen oder dem Werk der Evangelisierung verbunden sind;

c)

die Pflege der Literatur, die in besonderer Weise hilft, die christliche Offenbarung besser zu verstehen und mit größerer Wirksamkeit das Werk der Evangelisierung durchzuführen;

d)

schließlich eine noch gründlichere Vorbereitung sowohl der Kleriker als auch der Laien, u m einige besondere apostolische Aufgaben angemessen ausführen zu können.

70

Johannes Pauls //., Ap. Konst. 1979, Einleitung, III. Typ. Pol. Vat. 1979. 71 Ebd.

„Sapientia

72

Christiana" vom

15.

April

SapChrist, Prooemium III, 4. Abs. Vgl. auch OrdSapChr Art.. 4: Die Teilnahme an der Evangelisierungstätigkeit betrifft das Wirken der Kirche in der Seelsorge, im Ökumenismus und in den Missionen und zielt in erster Linie auf die Vertiefung, Verteidigung und Verbreitung des Glaubens ab; sie erstreckt sich ferner auf den gesamten Bereich der Kultur und der menschlichen Gesellschaft. 73

Zuf. „Sapientia Christiana", Einleitung, III.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

309

Auflistung der Fachrichtungen, denen kirchliche Fakultäten, Institute und Sektionen dienen· Außer den theologischen, kanonistischen und philosophischen 7 4 Fakultäten bestehen zufolge der von der SC InstCath nach dem Stand v o n 1979 i m Anschluß an die Promulgation von SapChrist gegebenen Aufstellung 7 5 auch für folgende der Spezialisierung dienende Studien bzw. Wissenszweige kirchliche Fakultäten, Institute oder Sektionen: Studium der Arabistik und Islamistik; Studium der christlichen Archäologie; Studium des Atheismus; Studium der Bibelwissenschaften; Studium der Erziehungswissenschaften; Studium der Katechetik; Studium der Kirchengeschichte; Studium der Kirchenmusik; Studium der klassischen und christlichen Literatur; Studium der Liturgie; Studium der Mariologie; Studium des Mittelalters; Studium der Missiologie; Studium der Moral; Studium des Ökumenismus; Studium der Orientalistik; Studium der ostkirchlichen Wissenschaften; Studium der Pädagogik; Studium der Pastoral; Studium der Patristik; Studium der Psychologie; Studium der vergleichenden Rechtswissenschaft (kanonisches - staatliches Recht); Studium der Religionen und des religiösen Phänomens; Studium der katholischen Religionswissenschaft; Studium der Soziologie; Studium der Spiritualität; Studium der Theologie des Ordenslebens.

Apostolische Errichtung oder Approbation. In c. 816 § 1 ist festgelegt, daß kirchliche Universitäten und Fakultäten nur a) durch Errichtung seitens des H L Stuhles oder b) durch Approbation seitens desselben begründet werden können. Dabei ist zu beachten, daß kirchliche Fakultäten (Universitäten) bzw. universitäre Einrichtungen für kirchliche Studien nicht nur i m Verband katholischer Universitäten oder als katholische Hochschuleinrichtungen, sondern auch i m Verband ziviler ( ζ . B . staatlicher) Universitäten bzw. als zivile Einrichtungen bestehen können. Entscheidend ist die apostolische Approbation, die gegebenenfalls auch in einer Vereinbarungen ( ζ . B . in einem Konkordat) enthalten sein kann.

Akademische Grade, die Rechtswirkungen

in der Kirche haben sollen, kann

eine Universität oder Fakultät nur verleihen, wenn sie v o m Apostolischen Stuhl errichtet oder anerkannt ist (c. 817). Die kanonische Gültigkeit eines akademischen Grades bedeutet, daß der betreffende Grad zur Übernahme der kirchlichen Ä m t e r befähigt, für die er erforderlich ist; dies gilt insbesondere für den

74

Vgl. „Sapientia Christiana", Art. 66 ff., und OrdSapChr Art. 50,56,59.

75

Vgl. die gemäß Art. 64 der eben zitierten Instruktion von der SC InstCath gegebene Aufstellung.

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Hugo Schwendenwein

Unterricht in theologischen Fächern an Fakultäten, Priesterseminarien

und

gleichrangigen Instituten (OrdSapChr A r t . 7 § l ) . 7 6 Höhere Leitung - Statuten. Der c. 816 § 1 bestimmt, daß die oberste Leitung („superius moderamen") kirchlicher Universitäten und Fakultäten dem Apostolischen Stuhl zukommt. Die einzelnen kirchlichen Universitäten und Fakultäten 7 7 bedürfen eigener Statuten und Studienordnungen, für die die A p probation des H l . Stuhles gefordert ist (c. 816 § 2 ) 7 8 . Dies gilt auch dann, wenn sie unter der Leitung eines Institutes des geweihten Lebens stehen. Großkanzler und Ortsoberhirte. Der für die kirchliche Universität (Fakultät) zuständige kirchliche Amtsträger, von dem diese abhängt, ist der Großkanzler („magnus cancellarius"). Doch können auch andere Regelungen getroffen werden. Beispielsweise ist für die staatlichen theologischen Fakultäten in Deutschland und in Österreich in der Regel der Diözesanbischof der konkordatsmäßig zuständige Amtsträger, ohne die Bezeichnung Großkanzler zu führen. W o das A m t des Großkanzlers und des Ortsordinarius auseinanderfallen, sollen Normen aufgestellt werden, die es den Trägern beider Ä m t e r gestatten, ihren jeweiligen Zuständigkeiten in gegenseitigem Einverständnis nachzukommen (SapChrist A r t . 14). Rechtsvorschriften. Die näheren Bestimmungen für kirchliche Universitäten und Fakultäten sind in der A p . Konst. Papst Johannes Pauls I I . „Sapientia Christiana" v o m 15. A p r i l 1979 und den einschlägigen Durchführungsnormen 7 9 enthalten. Die für die katholischen Universitäten in c. 810 (betreffs der Lehrenden und der kirchlichen Aufsicht), c. 812 (kirchliche Beauftragung) und c. 813 (Studentenseelsorge) gegebenen Vorschriften gelten auch für die 'kirchlichen

76

Kirchlich anerkannte akademische Grade sind Voraussetzungen für den Zutritt zu bestimmten kirchlichen Ämtern und Aufgaben (ζ. B. c. 1420 § 4 Offizial; 1421 § 3 Diözesanrichter; Art. 40 Abs. SapChrist für bestimmte Lehrämter, siehe aber auch Art. 25 § 1 Nr. 2 der zit. Ap. Konst.). Zum Teil wird das Erfordernis der akademischen Graduierung in alternativer Weise aufgestellt (ζ. B. in c. 378 § 1, 5° für den Bischof: „...laurea doctoris vel saltem licentia in sacra Scriptura , theologia aut iure canonico ... vel saltem in iisdem disciplinis vere peritus" oder in c. 478 § 1 für den Generalvikar und für den Bischofsvikar: „...in iure canonico aut theologia doctores vel licentiati vel saltem in iisdem diciplinis vere periti"). 77 78

Fakultäten für kirchliche Studien.

Soweit sie Konkordatsrecht unterliegen, sind natürlich die sich aus diesem ergebenden Besonderheiten zu beachten. 79 Vgl. insbesondere die Ausgabe Typ. PoL Vat. 1979.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

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Universitäten und Fakultäten' („universitates et facultates ecclesiasticae") (c. 818). Lehrbeföhigung. Nach „Sapientia Christiana" Art. 50 § 1 befähigt der akademische Grad des Lizentiates zur Lehrtätigkeit an Priesterseminarien und das Doktorat zur Lehrtätigkeit an kirchlichen Fakultäten80. Im deutschen Sprachraum gelten für die Lehrtätigkeit an den staatlichen theologischen Fakultäten, die sich vertraglicher, zumeist konkordatarischer Abdeckung erfreuen, regelmäßig besondere (zumeist höhere) Eignungserfordernisse (für Professoren wird regelmäßig die Habilitation im betreffenden Fach oder eine gleichwertige Eignung verlangt). 81 Studenten. Die Aufgaben, auf deren Erfüllung sich die Studenten vorbereiten, können rein wissenschaftlicher (Forschungs- und Lehrtätigkeit) oder beruflicher Natur sein (OrdSapChr Art. 3,1. Satz). Vorrang des Konkordats- und sonstigen Vertragsrechtes. Es ist zu beachten, daß nach „ S a p i e n t i a C h r i s t i a n a " Art. 8 Konkordatsrecht und überhaupt Vertragsrecht dem kirchlichen Hochschulrecht vorgeht. Auch Verträge nicht völkerrechtlichen Charakters, z. B. mit einer zivilen Universität geschlossene, haben Vorrang. Mit anderen Worten, was sich aus der konkordatarisch oder vertraglich abgedeckten Eingliederung kirchlicher Fakultäten usw. in zivile Bildungsstätten ergibt, wird durch die kirchlichen Bestimmungen nicht berührt. 82

Soweit natürlich die obzit. rechtlichen Grundlagen solcher Studienstätten auf die kanonischen Bestimmungen verweisen, sind diese zu wahren. So verweist beispielsweise das ÖK (Art. V) auf die kirchlichen Studienvorschriften. Dies hat zur Folge, daß man bestrebt ist, das Studium der katholischen Theologie an den staatlichen Fakultäten 83

Österreichs in Anlehnung an die jeweiligen kirchlichen Normen zu regeln.

In der

80

Der CIC spricht keine Beschränkung für den Zugang von Nicht-Priestern zum theologischen Lehramt aus. Die „Ratio fundamentalis" vom 19. 3.1985 (Editio apparata post Codicem Iuris Canonici promulgatum, Romae 1985) hält an dem Regelerfordernis des Priesters als Hochschullehrer für die Priesterbildung fest. Da in den deutschsprachigen Konkordaten die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen als zentrale Aufgabe der theologischen Fakultäten genannt wird, erscheint für den Lehrkörper dieser Fakultäten eine ausgewogene zahlenmäßige Gewichtung zwischen Priestern und Laien erstrebenswert (H. Mussinghoff, c. 812, Rdnr. 8, in: M K CIC (Stand: Mai 1986). 81 Dabei soll freilich nicht geleugnet werden, daß es „in praxi" bei Beurteilung dieser Erfordernisse (insbes. der Gleichwertigkeit) zu unterschiedlichen Gewichtungen kommen kann. „In concreto" geht es zumeist darum, aus den zur Verfügung stehenden Kandidaten eine möglichst optimale Auswahl zu treffen. 82 83

In der Regel werden es vertragliche Grundlagen sein (insbes. konkordatarische). Dies betrifft die Studienvorschriften, nicht das Organisationsrecht.

Hugo Schwendenwein

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österreichischen Praxis stellt sich dies so dar, daß die kath.-theol. Studienvorschriften in staatlichen Rechtsformen ergehen und an den jeweiligen kirchlichen Vorschriften orientiert bzw. in Einvernehmen mit dem Hl. Stuhl erstellt sind.

Zusammenarbeit. Die leitenden Organe und die Professoren der kirchlichen Universitäten und Fakultäten sollen sich darum bemühen, daß die verschiedenen Fakultäten der Universität, soweit ihr Gegenstand es zuläßt, sich gegenseitig Hilfe leisten und, daß zwischen der eigenen Universität oder Fakultät und anderen Universitäten und Fakultäten, auch nichtkirchlichen, eine wechselseitige Zusammenarbeit besteht. Durch gemeinsames Bemühen, durch Tagungen, durch aufeinander abgestimmte Forschungen und auf andere Weise sollen sie auf größere Entfaltung der Wissenschaften hinwirken (c. 820). Theologische Fakultäten. Die Theologische Fakultät hat das Ziel, die katholische Lehre mit größter Sorgfalt aus der göttlichen Offenbarung zu erheben, sie nach der ihr eigenen wissenschaftlichen Methode tiefer zu durchdringen und systematisch darzulegen sowie im Lichte der Offenbarung sorgsam nach Lösungen für die menschlichen Probleme zu suchen (SapChrist Art. 66). Nach OrdSapChr Art. 50 müssen die theologischen Fächer so unterrichtet werden, daß ihr innerer Zusammenhang klar hervortritt und die verschiedenen Dimensionen, die der Lehre der Kirche zu eigen sind, ins rechte Licht gerückt werden. Darüber hinaus müssen die Studenten zu einem tiefen Verständnis des Gegenstandes und gleichzeitig zu einer persönlichen Synthese sowie zur Kenntnis der Methoden wissenschaftlicher Forschung hingeführt werden, damit sie lernen die Lehre der Kirche gebührend darzulegen.

Pflichtfächer für die Grundausbildung an den Theologischen Fakultäten, die nach OrdSapChr Art. 52 einen fünfjährigen Zyklus umfaßt, sind (OrdSapChr Art. 52): die für das Studium der Theologie erforderlichen philosophischen Fächer, also vor allem die systematische Philosophie in ihren wichtigsten Teilen und in ihrer historischen Entwicklung; die Heilige Schrift, Einführung und Exegese; die Fundamentaltheologie, unter Bezugnahme auf die Problematik des Ökumenismus, der nichtchristlichen Religionen und des Atheismus; die dogmatische Theologie; die Moraltheologie und Spiritualität; die Pastoraltheologie; die Liturgie;

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die Kirchengeschichte, Patristik und Archäologie; das Kirchenrecht. Dazu kommen nach den zit. OrdSapChr Art. 31 die Nebenfächer, d. h. einige Zweige der Humanwissenschaften, die lateinische Sprache, die biblischen Sprachen, soweit sie für die nachfolgenden Studienzyklen erforderlich sind. Selbstverständlich müssen in der Grundausbildung der theologischen Fakultäten die für die Priesterbildung gegebenen Vorschriften beachtet werden. So insbes. die über die Aufstellung eigener Professuren für bestimmte Fächer (c. 253 § 2). 84 Zu beachten sind natürlich auch die Desiderata im Bereich der pastoralen Ausbildung (cc. 255-258), wozu auch eine Ausbildung in Katechese85 und Homiletik gehört. Freilich muß nicht unbedingt die gesamte pastorale Ausbildung im Rahmen der Fakultät vermittelt werden, bei Fakultäten mit vorwiegend internationaler Hörerschaft kann es sich sogar nahelegen, Verschiedenes aus dieser Ausbildung für die Applikation im jeweiligen Heimatland vorzusehen. Höhere akademische Ausbildung von Klerikern. Insoweit es das Wohl einer Diözese, einer Ordensgemeinschaft oder gar der ganzen Kirche erfordert, müssen die zuständigen Diözesanbischöfe bzw. die zuständigen Oberen der Institute junge Leute, Kleriker bzw. Angehörige des Institutes, die sich durch Charakter, Tugend und Begabung auszeichnen, zum Studium an kirchliche Universitäten und Fakultäten entsenden (c. 819). Verantwortung für das Vorhandensein entsprechender Hochschuleinrichtungen. Bischofskonferenz und Diözesanbischof sollen dafür Sorge tragen, daß nach Möglichkeit Hochschuleinrichtungen für religiösen Wissenschaften gegründet werden, in denen die theologischen Disziplinen und andere zur christlichen Kultur gehörende Wissenschaften gelehrt werden (c. 821). 84

C. 253 § 2 verlangt dies für Hl. Schrift, Dogmatische Theologie, Moral, Philosophie, Kirchenrecht, Kirchengeschichte und Liturgik. Es geht dem Gesetzgeber darum, daß diese Fächer von den für sie verantwortlichen Professoren mit vollem Engagement vertreten werden können. An Fakultäten impliziert dieses Engagement naturgemäß eine starke Präsenz des Professors in der wissenschaftlichen Forschung. Da die Theologischen Fakultäten nach dem Wunsch der Kirche den wissenschaftlichen Standard des betreffenden Landes wahren sollen, erscheint es angebracht, daß die Professoren dieser Fächer jene personelle und sachliche Ausstattung erhalten, mit der Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit im betreffenden Land ausgestattet sind. 85

In Deutschland und Österreich gibt es vielfach eigene Professuren für Katechetik (Religionspädagogik). Dies hängt mit dem Religionsunterricht, der an den meisten staatlichen Schulen Pflichtfach ist, zusammen.

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Zur staatskirchenrechtlichen Situation der Theologie an den Universitäten. Schließlich soll noch kurz ein Blick auf die staatskirchenrechtliche Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz geworfen werden. Deutschland. In Deutschland bestehen an den staatlichen Universitäten Augsburg, Bochum, Bonn, Freiburg i. Br., Mainz, München, Münster, Passau, Regensburg, Tübingen und Würzburg sowie an der Gesamthochschule Bamberg katholisch-theologische Fakultäten bzw. Fachbereiche. An der Universität Göttingen ist die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät vorgesehen. Bezüglich der theologischen Fakultäten gibt es in Reichs- und in Länderkonkordaten, ζ. T. auch in speziellen Verträgen (betreffend Mainz), in Landesverfassungen und anderen Rechtsvorschriften besondere Regelungen. Im übrigen unterliegen staatliche Fakultäten dem staatlichen Hochschul recht. Die Professoren der Theologie sind in gleicher Weise wie andere Universitätsprofessoren Staatsbeamte, doch ist durch besondere Regelungen gewährleistet, daß niemand ohne kirchliches Einverständnis an der theologischen Fakultät lehren darf (Befragung des Bischofs bei Bestellung akademischer Lehrer, wobei allfälligen entsprechend schweren, insbesondere die Lehre oder die Lebensführung betreffenden bischöflichen Bedenken gegen einen Lehrer Rechnung getragen werden muß; im Falle eines späteren Vorbringens des Bischofs gegen einen bereits bestellten Lehrer Ausschluß desselben von der Lehrtätigkeit an der theologischen Fakultät). Die Studienordnungen der staatlichen theologischen Fakultäten orientieren sich im wesentlichen an den kirchlichen Vorstellungen über das Theologiestudium. Partikuläre Besonderheiten (statt der drei Grade Doktorat - Lizentiat - Bakkalaureat meist nur zwei Grade: Doktorat - Diplomtheologe; geringfügige Verkürzung der Studiendauer), die sich herausgebildet haben, betreffen im großen und ganzen nicht die Substanz des Studiums. Auch außerhalb der theologischen Fakultäten finden sich an Universitäten bzw. Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland (insbesondere für die Religionslehrerausbildung) theologische und religionspädagogische Lehrstühle, Sektionen (ζ. B. in Frankfurt a. M. und Gießen im Fachbereich Religionswissenschaft eine Betriebseinheit „Katholische Theologie"), ja Fachbereiche (an der Universität Osnabrück usw.). 86 Zudem begegnen uns auch religionspädagogische und gegebenenfalls auch theologische Professuren an Pädagogischen Hochschulen. Auch hier gibt es vielfach kirchliche Mitwirkungsrechte bei der Bestellung ( bzw. die Möglichkeit, aus entsprechendem Anlaß kirchlicherseits die Nichtweiterverwendung im betreffenden Fach zu erwirken). Darüber hinaus gibt es an einer Reihe von Universitäten in Fächern wie Philosophie und Geschichte bzw. in Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik sogenannte Konkordatsprofessuren (vertragsmäßig mit katholischen Gelehrten zu besetzende Professuren). Hier sind die kirchlichen Mitwirkungsrechte geringer als bei theologischen Profes-

86

Beispielsweise besteht auch an der Technischen Universität Dresden ein Ausbildungsgang in katholischer Religion und katholischer Theologie. Vgl. das sächsische Konkordat vom 2. Juli 1996, Art. 5, in: AAS 89 ( 1997) 617.

Das Hochschulwesen im kanonischen Recht

315

suren. Die kirchlichen theologischen Lehranstalten sind zu einem großen Teil staatlicherseits anerkannt, insofern ihnen der Charakter wissenschaftlicher Hochschulen zuerkannt wird. Allerdings haben sie nur dann Promotionsrecht, wenn ihnen dies von der 87

Kirche gegeben ist (Trier, Paderborn, die Jesuitenhochschulen München

88

und Frank-

furt, Eichstätt und Erfurt; ζ. T. auch staatliche Anerkennung dieser Grade) . Unter dem 1. Januar 1983 erging seitens der SC InstCath ein Dekret über die katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und und Anwendung der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" und der ihr beigefügten „Ordinationes" 89 . 90

Id Österreich bestehen katholisch-theologische Fakultäten an den staatlichen Universitäten 91 Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg (die theologische Fakultät Innsbruck ist in personeller Hinsicht dem Jesuitenorden anvertraut). Sie sind in das österreichische Hochschul recht integriert. Sonderbestimmungen sind insbesondere im österreichischen Konkordat (Art. V) festgelegt. Lehrer der theologischen Fakultäten bedürfen bei ihrer 93

Bestellung des bischöflichen Placet. Bei Entzug desselben dürfen sie diese Lehrtätigkeit nicht mehr ausüben. Studienordnung und Studienplan orientieren sich im wesentlichen an den kirchlichen Vorstellungen. 94 Ähnlich wie an den staatlichen deutschen Fakultäten begegnen uns partikuläre Besonderheiten (ζ. B. zweistufiges Graduierungssystem: Doktorat - Magister, geringe Verkürzung der Mindeststudiendauer). 87 88

Bei dieser handelt es sich um eine philosophische Fakultät.

Erwähnt sei auch die Theologische Fakultät Fulda (die vor allem der Diözese Fulda dient), die theologische Fakultät der Pallotiner in Vallendar, die Theologische Fakultät der Salesianer in Benediktbeuren, die philosophisch-theologische Hochschule der Franziskaner und Kapuziner in Münster, die Hochschule der Gesellschaft des Göttlichen Wortes in St. Augustin bei Siegburg. 89 Prot. Nr. 234/78; AAS 75,1983,336-342. 90

Siehe Hugo Schwendenwein, Das staatliche theologische Studienrecht in Osterreich, in: Festg. Heinemann (70), 339-354. 91 Vgl. hiezu auch Hugo Schwendenwein, Die rechtliche Verankerung der Theologie an der Österreichischen Universität, in: Folia Theologica, Vol. 7,1996,59-67 92 Vgl. auch das Dekret der SC InstCath vom 1. November 1983 über die katholischtheologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" und der ihr beigefügten „Ordinationes", in: AAS 76 (1984), 616-621. 93

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hugo Schwendenwein, Die Universität im Spannungsfeld von Kirche und Staat (Sitzungsberichte der Philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 516). Wien 1988,16-23. 94 Des Näheren siehe Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht. Essen 1992,556-557.

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In Österreich besteht auch eine rein kirchliche theologische Fakultät (Linz), deren Grade staatlich anerkannt sind. Ebenso haben die an den päpstlichen Hochschulen in Rom erworbenen Grade unmittelbar aufgrund des Konkordates in Österreich Geltung. Mit Dekret der SC InstCath vom 1. Okt 1996 wurde in Gaming ein Theologisches Institut für Studien zu Ehe und Familie errichtet 95 . Erwähnt seien auch die von der Diözese St. Pölten getragene Philosophisch-Theologische Hochschule St. Pölten und die Klosterlehranstalten des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz und der Steyler Missionare St. Gabriel. In der Schweiz gibt es theologische Fakultäten an der Universität Freiburg 96 und in Luzern. Die Fakultäten stehen in Abhängigkeit vom jeweiligen Kanton. Die Bestellung der akademischen Lehrer ist ohne kirchliche Zustimmung nicht möglich. Bei späterer kirchlicher Ablehnung eines bereits bestellten Lehrers wird dieser von der Lehrtätigkeit an der Fakultät entfernt. Bezüglich der Theologischen Fakultät der staatlichen (kantonalen) Universität Freiburg ist das Abkommen zwischen dem Dominikanerorden, der Schweizer Bischofskonferenz und dem Kanton Freiburg vom 8. Juli 1985, durch welches die bei der Gründung der Universität 1889 getroffene Vereinbarung ersetzt wurde, maßgeblich. Die Professoren werden staatlich angestellt und bezahlt. Der Generalmagister des Dominikanerordens (Großkanzler) hat ein Vorschlagsrecht, er verleiht oder entzieht nach Anhörung der Schweizer Bischofskonferenz die Missio Canonica und führt Lehrprüfungsverfahren durch 97 . Für die Theologische Fakultät Luzern wurde 1971 eine Vereinbarung zwischen dem Bischof von Basel und der Regierung des Kantons Luzern getroffen. 98 Das Recht des Bischofs auf Erteilung und Entzug der „missio canonica" wird von der Regierung respektiert. Dementsprechend kommt ihm eine Ingerenz bei Besetzung von Professuren zu (Änderung der Reihung, Rückweisung des Fakultätsantrages). Bei Entzug der „missio canonica" durch den Bischof entzieht, soferne das Verfahren, das dem Betroffenen volles rechtliches Gehör zusichert, eingehalten worden ist, die Regierung diesem die Lehrerlaubnis für katholische Theologie. Erwähnt sei die von der Kirche getragene Theologische Hochschule in Chur, die Theologische Fakultät in Lugano und die Ordenslehranstalt der Benediktiner in Einsiedeln. Die von der Kirche getragene theologische Fakultät in Lugano strebt die Eingliederung in die Universität an.

95

AAS 88 (1996) 900 f. Vgl. hiezu auch AnPont 1999, 1772; D. Squicciarini, Die Apostolischen Nuntien in Wien, Vatikanstadt 1999,300 f.. 96 Großkanzler der Theologischen Fakultät Freiburg ist der Generalmagister des Dominikanerordens. Vgl. L. Carlen, Kirche und Staat in der Schweiz nach dem neuen Codex Iuris Canonici, in: FS. Schwendenwein, 590. 97 98

1320.

L. Carlen, in: HdbKathKR 2 ,1319 f.. zuf. L. Carlen, Kirche und Staat in der Schweiz, 590; ders., in: HdbKathKR 2 ,

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck Kirchenrechtler und Selbstverständnis des Faches in Vergangenheit und Gegenwart Von Wilhelm Rees 26 Jahre hindurch hat der Jubilar zunächst als Dozent (ab 8. Juni 1968), vom 1. September 1970 bis 30. September 1994 als Ordinarius und Leiter des Instituts für Kirchenrecht das Fach Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck vertreten und ihm eine eigene Prägung gegeben. Gegenwärtig tangieren große Umwälzungen nicht nur die Theologischen Fakultäten in Österreich und die Theologie insgesamt, sondern auch die einzelnen theologischen Disziplinen. Seit 24. Juni 1999 steht die Theologische Fakultät Innsbruck unter dem UOG 1993. Die bisher elf Institute haben sich zu fünf Großinstituten zusammengeschlossen. Das Kirchenrecht bildet zusammen mit der Pastoraltheologie sowie der Katechetik und Religionspädagogik / Fachdidaktik das Institut für Praktische Theologie. Die vom Universitätsstudiengesetz 1997, das das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (AHStG) ablöste, geforderte Reform der Studienpläne für die an der Fakultät eingerichteten Studienrichtungen steht an. Diese neuen Studienpläne werden den Theologie-Standorten in Österreich ein je eigenes Profil geben.1 So wurde für Salzburg eine Vertragsprofessur für „Theologie interkulturell" und „Studium der Religionen" genehmigt. Dafür müssen andere Fächer, wie Kirchengeschichte und Kirchenrecht, ihr Angebot kürzen. 2 Insgesamt spiegelt sich die gegenwärtige Situation in der treffenden zusammenfassenden Charakterisierung wider: ,Jährende und Studierende an den Theologischen Fakultäten und Hochschulen Österreichs sind gegenwärtig mit einer Reihe von grundlegenden Fragen ihrer Identität im akademischen und kirchlichen Leben konfrontiert. In der politischen Öffentlichkeit wird - jüngst vom Liberalen Forum - immer wieder problematisiert, daß es überhaupt Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten gibt. Aus den

1

Vgl. Theologische Fakultäten „profilieren" sich, in: KathPress-Tagesdienst Nr. 233, 9.10.1999, 3 f.; Theologische Fakultäten im Umbruch: Vier Schwerpunkte und Bakkalaureat, in: Die Presse 12.10.1999. 2 Vgl. Theologie über den Kirchturm hinaus, in: Salzburger Nachrichten, 2.11.2000.

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budgetären und organisatorischen Engpässen des gesamten Wissenschaftsbereiches ergaben sich schon Überlegungen, theologische Fächer oder ganze Fakultäten zusammenzulegen, um so Professorenstellen einsparen zu können. Aber auch im innerkirchlichen Leben hat Theologie als Wissenschaft keineswegs ein unbestrittenes Dasein. Religiosität, Frömmigkeit und Seelsorge - so empfinden und sagen nicht wenige - sollten möglichst unabhängig sein von wissenschaftlicher Erforschung, kritische Rationalität habe dem Glauben eigentlich nur geschadet".3 Wie versteht sich in diesem Umfeld das Fach Kirchenrecht. Ist es nur ein Annex der Theologie? Oder besitzt es nicht integrierende, kommunikative Funktion? Für den Versuch einer Klärung und Standortbestimmung soll im Folgenden zunächst ein Blick auf die Geschichte des Faches Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck geworfen werden. In einem zweiten Schritt sollen die kirchlichen Erwartungen an das Fach Kirchen recht dargestellt und näher beleuchtet werden. Schließlich geht es im dritten Kapitel um das Selbstverständnis des Faches Kirchenrecht und dessen Einordnung in den theologischen Fächerkanon. I . Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck Kirchenrecht in Innsbruck ist von der Geschichte her eng verbunden mit den Jesuiten und zunächst mit der Juridischen Fakultät. Kaiser Leopold I. gründete mit allerhöchster Entschließung vom 15. Oktober 1669 die Universität Innsbruck als Landesuniversität. 1671 wurde die Juridische Fakultät errichtet. Im selben Jahr konnte auch die Theologische Fakultät ihre Lehrtätigkeit aufnehmen.4 Zunächst wurde Kirchenrecht auch für Studenten der Theologie an der

3

So Johann Weber, „Mentes tuorum visita". Eine Ermutigung zur Theologie als Wissenschaft, in: 150 Jahre Österreichische Bischofskonferenz 1849-1999. Hg. vom Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz. Wien 1999,103-107, hier 103; vgl. auch Richard Puza, Ändert sich das Verhältnis von Kirche und Staat? Eine Analyse der aktuellen Situation in Deutschland mit einem Blick auf Frankreich, in: Cesare Mirabelli / Giorgio Feliciani / Carl Gerold Fürst / Helmuth Pree (Hg.), Winfried Schulz in Memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht (= AIC, Bd. 8). Frankfurt a. M. u. a. 1999,677-688, bes. 685 f. Vgl. vor allem Gottfried Mraz, Geschichte der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck von ihrer Gründung bis zum Jahre 1740 (= Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte III). Innsbruck 1968; Andreas Falkner, Geschichte der Theologischen Fakultät Innsbruck 1740-1773 (= Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte IV). Innsbruck 1969; Manfred Brandl, Die Theologische Fakultät Innsbruck 1773-1790 im Rahmen der kirchlichen Landesgeschichte (= Forschungen zur Innsbruk-

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

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Juridischen Fakultät gelehrt. I m Jahre 1672 übertrug die Regierung die Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Juridischen Fakultät dem Jesuiten Johann Stotz (auch Stoz geschrieben; 1619-1696), 5 der nach der Verlegung der Moraltheologie v o m Gymnasium an die Universität auch die Vorlesungen der Kontroverstheologie übernahm. Bis 1770 blieb die Gesellschaft Jesu i m Besitz dieser kanonistischen Lehrkanzel. 6 In diesem Jahr und damit bereits drei Jahre vor der Aufhebung des Jesuitenordens hielt der bisherige Professor für Kirchenrecht, Pater Franz Xaver H o l l SJ i m Februar seine letzte Vorlesung. M i t der Berufung von Georg Sigmund L a k i c z 7 geht die Lehrkanzel für Kirchenrecht in Laienhände über. Ein Statut von 1673 legte das juristische Studium auf vier Jahre an. Kanonisches Recht wurde „als der wichtigste Teil dieses Studiums betrachtet" und anhand der fünf Bücher der Dekretalen gelehrt. 8 I m Zeitalter der Aufklärung änderte sich der Inhalt der kirchenrechtlichen Vorlesungen grundlegend. A n die

ker Universitätsgeschichte V). Innsbruck 1969; Enterich Coreth, Die Theologische Fakultät Innsbruck. Ihre Geschichte und wissenschaftliche Arbeit von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 212). Innsbruck 1995; Hermann Zschokke, Die theologischen Studien und Anstalten der katholischen Kirche in Österreich, Wien und Leipzig 1894, bes. 236-252; Peter Leisching, Zur Rechtsgeschichte der Innsbrucker „Jesuitenfakultät", in: Tiroler Heimat 39 (1976) 101-124. 5

Vgl. Mraz, Geschichte (Anm. 4), 39 ff.; ferner auch Emerich Coreth, Das Jesuitenkolleg Innsbruck. Grundzüge seiner Geschichte, in: ZKTh 113 (1991) 140-213, hier 150. 6

Vgl. dazu Nikolaus Grass, Die Kirchenrechtslehrer der Innsbrucker Universität von 1672 bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte Österreichs, in: Veröffentlichungen des Museums Ferdinandeum, 31. Bd. Innsbruck 1951,157-212; abgedr. in: ders., Österreichs Kirchenrechtslehrer der Neuzeit. Besonders an den Universitäten Graz und Innsbruck (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 27). Freiburg i. d. Schweiz 1988, 255-314, hier bes. 256-266; ferner auch Coreth, Jesuitenkolleg (Anm. 5), 154 f. η Vgl. dazu Johann Friedrich v. Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, Bd. I I I / l . Stuttgart 1880, Nachdruck Graz 1956, 777. In Wien wurde die Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät am 10.1.1767 aufgehoben, da, wie betont wurde, von keinem Religiösen und am wenigsten von einem Jesuiten eine gedeihliche, zeitgemäße und dem modernen Staat gerechtwerdende Darbietung des kanonischen Rechts zu erwarten sei. Vgl. Johann Haring, Das Lehramt der katholischen Theologie. Festschrift der Grazer Universität für 1926. Graz, 1926, 26. 8 Vgl. Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 263, unter Hinweis auf Jakob Probst, Geschichte der Universität Innsbruck seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1860. Innsbruck 1869,19 und 44 f.

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Stelle der sacri canones traten die staatlichen Gesetze und Verordnungen über das Kirchenwesen, d. h. das Staatskirchen recht. 9 Mit Paul Joseph Riegger, Georg Sigmund Lakicz, Johann Valentin Eybel, Josef Johann Nep. Pehem und Franz Xaver Jellenz stand das österreichische Kirchenrecht noch lange unter dem Einfluß des Josephinismus. Mit Wirkung vom 14. September 1782 wurde die Universität zu einem Lyzeum umgestaltet. Im Jahre 1783 ordnete Josef II. die Errichtung eines staatlichen Generalseminars für die Priesterausbildung in Innsbruck an. Nach dem Tod Josephs II. erfolgte 1790 die Auflassung des Generalseminars. Am 30.11.1791 wurde die Universität durch Leopold II. wiederhergestellt. Als die Universität Innsbruck durch königliche Entschließung vom 25. November 1810 zum zweiten Male aufgehoben wurde und in ein Lyzeum mit philosophischem und theologischen Studium, jedoch ohne juridische und medizinische Studien umgewandelt wurde, mußte eine eigene Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Theologie errichtet werden. Diese übernahm der aufgeklärte Kirchenhistoriker Johann B. Bertholdi im Jahre 1811. 10 Die Verbindung von Kirchengeschichte und Kirchenrecht in einer Person war, worauf Nikolaus Grass verweist, seit der josephinischen Zeit an anderen Theologischen Fakultäten, so z. B. in Graz, üblich. 11 Mit Bertholdi bricht jedoch der Geist der Aufklärung auch in die Theologie in Innsbruck ein. Infolge des Wiedererstehens der Priesterseminare in Brixen und Trient wurde das theologische Studium in Innsbruck im Jahre 1822 geschlossen. An den Juridischen Fakultäten fand seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, bedingt durch die historische Kirchen rechtsschule sowie nach dem Vorbild protestantischer Rechtswissenschaftler, eine Hinwendung zur rechtshistorischen Forschung statt. 12 Für Innsbruck sind hier vor allem Georg Philipps (seit 1849 in Innsbruck), Ernst Freiherr von Moy de Sons (seit 1851 in Innsbruck), der Begründer der kanonistischen Fachzeitschrift ,Archiv für katholisches Kirchenrecht", Friedrich Maassen (seit 1855 in Innsbruck) sowie dessen Schüler Heinrich Singer (1891 in Innsbruck), Rudolph

9 Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 270-274; vgl. Coreth, Fakultät (Anm. 4), 30 f.; s. auch Andreas Mitterbacher, Der Einfluß der Aufklärung an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck (1790-1823) (= Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte, Bd. 2). Innsbruck 1962; Brandl, Fakultät (Anm. 4), 45 ff.; 60 f. 10

Vgl. v. Schulte, Quellen I I I / l (Anm. 7), 310; vgl. auch Coreth, Fakultät (Anm. 4), 55-59; Mitterbacher, Einfluß (Am. 9), 116-143. 11

Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 269, m. w. N.

12

So ausdrücklich Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. IV: Die Konfessionen. Wien 1985,1-247, hier 112 f.

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

321

Ritter von Scherer (Graz und Wien) sowie Ludwig Wahrmund (1896 in Innsbruck) 13 zu nennen. Kaiser Franz I. stellte 1826 die Universität Innsbruck wieder her, die zunächst nur eine philosophische und juridische Fakultät, bis 1857 noch keine Theologie und bis 1869 keine volle Medizinische Fakultät hatte. Bereits im Jahre 1851 waren mit der Verordnung vom 16. Januar auch dort, wo juridische Fakultäten bestanden, eigene Dozenturen für Kirchenrecht an den Theologischen Fakultäten errichtet worden. 14 Dies hatte zur Folge, daß auch an der mit allerhöchster Entschließung vom 4. November 1857 wiedererrichteten und dem Jesuitenorden übertragenen Theologischen Fakultät eine eigene Lehrkanzel für Kirchenrecht errichtet wurde. 15 Es hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, daß es notwendig sei, Kirchenrecht den Theologen auf eine andere Weise vorzutragen als dies für Juristen erforderlich ist. Ausdrücklich wurde Kirchenrecht in der nach vorherigen Beratungen mit den Bischöfen verabschiedeten Verordnung des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 29. März 1858 als eigenständiger Lehrgegenstand ausgewiesen.16 Erster Kanonist an der wiedererrichteten Theologischen Fakultät war Joseph Staffier (1857-1861). 17 Bereits im Jahre 1859 wurde auf Anregung von Karl Ernst Moy de Sons Nikolaus Nilles (1828-1907) als ao. Professor ernannt. 18 Nilles wirkte von 1860 bis 1898 als ordentlicher Professor für Kirchenrecht, zugleich als Regens (1860-1875) des

13

Vgl. Alfred Rinnerthaler, Der Fall Wahrmund. Politische, rechtliche und diplomatische Turbulenzen im Umfeld von Modernismus und Antimodemismus in Österreich, in: Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Hans Paarhammer und Alfred Rinnerthaler. Frankfurt a. M. u. a. 2001, 187-246; zu Rudolf von Scherer vgl. Philipp Helm, Rudolf Ritter v. Scherer. Das Handbuch des Kirchenrechts, oben in diesem Band. 14 Vgl. Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 16. Januar 1851, RGBl. Nr. 19; dazu Zschokke, Studien (Anm. 4), 95 f.; Haring, Lehramt (Anm. 7), 38 f. 15 Dazu Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 308-314; vgl. Peter Goller, Katholisches Theologiestudium an der Universität Innsbruck vor dem Ersten Weltkrieg (18571914) (= Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte, Bd. 19). Innsbruck / Wien 1997. Vgl. Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 29. März 1858, § 5, RGBl. Nr. 50/1858; dazu Johann B. Haring, Einführung in das Studium der Theologie, Graz 1911,36 f.; die Verordnung ist, ebd., 61-66, hier 63, abgedruckt. 17

Zu Staffier vgl. Coreth, Jesuitenkolleg (Anm. 5), 167.

18

Zu Nilles vgl. Johannes Mühlsteiger, Art. Nilles, Nikolaus, in: Neue deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 19. Berlin 1999, 277 f.; ders., Nikolaus Nilles S. J. (1828-1907), unten in diesem Band; Coreth, Fakultät (Anm. 4), 77. 23 FS Mühlsteiger

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Theologenkonvikts im Nikolaihaus. Bereits in seiner Zeit als Kaplan und Pfarrer hatte sich Nilles mit liturgierechtlichen Fragen beschäftigt. Beachtung verdient seine anhand rechtstheologischer Quellen erarbeitete Geschichte der Herz Jesu Verehrung. Sein Kalendarium der West- und Ostkirchen, erschienen in den Jahren 1879 bis 1885, ist von größter Bedeutung, nicht zuletzt unter ökumenischer Hinsicht. 1899 erreichte Michael Hoffmann der Ruf auf den Innsbrucker Lehrstuhl für Kirchenrecht. Als Hoffmann 1919 zum Rektor des Germanikums nach Rom bestellt wurde, übernahm Artur Schönegger die Innsbrukker Lehrkanzel, 1919 als Dozent für Kirchenrecht, in den Jahren 1923 bis 1947 als Ordinarius. 19 Schönegger besorgte u. a. auch die Neuauflagen von Noldins „De censuris" und „De poenis ecclesiasticis". In den Jahren 1882 und 1890 war auch Josef Biederlack als Dozent für Kirchenrecht sowie für Moral- und Pastoraltheologie an der Fakultät tätig, im Jahre 1910 Max Führich als Dozent für Moral- und Pastoraltheologie, philosophische Einleitungswissenschaften und kanonisches Recht sowie in den Jahren 1916 bis 1920 als Extraordinarius für kanonisches Recht. Schwere Jahre trafen die Innsbrucker Fakultät und damit auch das Kirchenrechtsstudium als am 20. Juli 1938 die Theologische Fakultät Innsbruck als erste Fakultät an einer staatlichen Universität im Deutschen Reich von den nationalsozialistischen Machthabern durch Staatsgewalt aufgelöst wurde. 20 Das theologische Studium wurde auf kirchlicher Ebene fortgeführt durch die Übersiedlung des Canisianums nach Sitten (Schweiz). Nach der Wiedererrichtung der Theologischen Fakultät im Jahre 1945 übernahm Godehard Josef Ebers, damals Kanonist an der Juridischen Fakultät, für das Studienjahr 1945/46 die alleinige Vertretung des Faches Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät mit speziellen kirchenrechtlichen Vorlesungen für Theologen, da ein eigener Kanonist nicht zur Verfügung stand. Ebers hatte zu Beginn des Wintersemesters 1936/37 die Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Juridischen Fakultät übernommen, obwohl sich die überwiegende Mehrheit der Fakultät für den Kanonisten der Innsbrucker Theologischen Fakultät Arthur Schönegger SJ

19

Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 309 f.; Arthur Schönegger, Die kirchenpolitische Bedeutung des „Constitutum Constantini" im frühem Mittelalter (bis zum Deere tum20Gratiani), in: ZKTh 42 (1918) 327-371; 541-590. Vgl .Andreas Batlogg, Die Theologische Fakultät Innsbruck zwischen Anschluss" und Aufhebung (1938), in: ZKTh 120 (1998) 164-183; Karl H Neufeld, Aufhebung" und Weiterleben der theologischen Fakultät Innsbruck (1938-1945). Fakten, Reaktionen und Hintergründe während des Zweiten Weltkrieges, in: ZKTh 119 (1997) 27-50; Hugo Rahner, Die Geschichte eines Jahrhunderts. Zum Jubiläum der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck 1857-1957, in: ZKTh 80 (1958) 1-65, hier 62 f.

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

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ausgesprochen hatte.21 Ebers war auch nach der Ende des Sommersemesters 1938 erfolgten Aufhebung der Theologischen Fakultät die Kirchenrechtsvorlesung an dem damals neu errichteten Priesterseminar in Matrei am Brenner übertragen worden. Im Jahre 1947 übernahm Gottfried Heinzel (1903-1968), seit 1946 bereits als Dozent in Innsbruck, den kirchenrechtlichen Lehrstuhl und zugleich auch die moraltheologischen Vorlesungen. 22 1947 wurde ihm Alphons Gommenginger als Lehrbeauftragter zur Seite gestellt, der in den Jahren 1950 bis 1954 auch als Dozent für Kirchenrecht an der Fakultät wirkte. Heinzel war es, der nach Noldins Tod die stete Neubearbeitung und Herausgabe dessen Summa theologiae moralis übernahm und sie insbesondere um kirchenrechtliche Entscheidungen ergänzte. Es ist wohl auch das Verdienst Heinzeis, daß nach langwierigen Verhandlungen mit dem Ministerium, das auf die strikte Einhaltung des Konkordats bedacht war, ab 1965 auch Nichtjesuiten zur Habilitation an der Theologischen Fakultät zugelassen werden konnten. 23 Der Umstand, daß Kirchenrecht sowohl an der Juridischen als auch an der Katholisch-Theologischen Fakultät gelehrt wurde, hatte durchaus zu einer je eigenen Darstellung und Schwerpunktsetzung in Lehre und Forschung geführt. Die Kanonisten an der Theologischen Fakultät blieben in ihren wissenschaftlichen Bemühungen, wie Grass bemerkt, „anscheinend ohne nähere Berührung mit der rechtshislorischen Richtung" 24 , vielmehr wurde „das Hauptgewicht auf die praktische Seite des Kirchenrechts gelegt" 25 . Auch die enge Verbindung mit anderen theologischen Fächern, so insbesondere mit der Moraltheologie, fällt an der Theologischen Fakultät auf 2 6 Was Grass wohl eher bemängelte, änderte sich mit der Berufung von Pater Johannes Mühlsteiger SJ auf den Lehrstuhl für Kirchenrecht am 1. September 1970. Er verband die praktische Seite des Kir-

21

Zu Godehard Josef Ebers vgl. insbesondere Nikolaus Grass, Godehard Josef Ebers +, in: ZRG Kan.Abt. 45 (1959) X I I I - X X X I ; abgedr. in: ders., Österreichs Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 315-333, bes. 326-329; ferner ders., Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 301-306. 22

Coreth, Fakultät (Anm. 4), 136; vgl. auch Gottfried Heinzel, Hieronymus Noldin und sein Werk, in: ZKTh 80 (1958) 200-210, bes. 207; ferner J. Miller, In memoriam Gottfried Heinzel, SJ, in: ZKTh 90 (1968) 329 f. 23 Dazu Coreth, Fakultät (Anm. 4), 157; vgl. auch ÖBK, Dekret über die Habilitation und Berufung von Professoren an den Katholisch-Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten Österreichs vom 10. November 1994, in: ABl. ÖBK, Nr. 15, 11. August 1995,2 f. Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 312. 25

Grass, ebd., 313; vgl. auch Nikolaus Hilling, Studium und Wissenschaft des Kirchenrechts in der Gegenwart, in: AfkKR 101 (1921) 1-28. 26

Grass, Kirchenrechtslehrer (Anm. 6), 311.

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chenrechts mit der Rechtsgeschichte. In seinen Forschungen wendet er sich besonders den kirchlichen Rechtsquellen sowie dem frühchristlichen Kirchenrecht zu. In seiner Habilitationsschrift beschäftigte er sich mit dem josephinischen Eherecht. 27 Mit seinen Artikeln „Sanctorum Communio", „Der Kampf der Salzburger Kirche um das Einweisungsrecht in die Temporalien", „Der erste Versuch zum Abbau der josephinischen Ehegesetzgebung", „Zum Verfassungsrecht der Frühkirche", „Glaubens- und Religionsfreiheit", „Exomologese", „Rezeption - Inkulturation - Selbstbestimmung. Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Gemeinschaften" bis hin zum jüngsten Beitrag „Die sogenannten Canones Apostolorum" folgten wissenschaftliche Abhandlungen zur Verfassungsstruktur der frühen Kirche, zum Bußwesen, zum Grundrecht der Religionsfreiheit, zur Inkulturation und Rezeption des kirchlichen Rechts sowie zur Frage der kirchlichen Communio. 28 Bis zum 30. September 1994 hatte Mühlsteiger den Lehrstuhl für Kirchenrecht inne und ihn sowie das Institut für Kirchenrecht mit seiner bekannten Gewissenhaftigkeit betreut. I I . Das Fach Kirchenrecht in kirchlichen Bestimmungen und Verlautbarungen Seit der Abgrenzung von der Dogmatik ist Kirchenrecht immer als eigenständige Disziplin im theologischen Unterricht ausgewiesen worden. Kein geringerer als Bischof Walter Kasper hat jüngst in einem Beitrag bemerkt, daß das Kirchenrecht gegenwärtig bei den meisten Seelsorgern ,glicht hoch im Kurs" steht. 29 Das Kirchenrecht gelte als starr und unflexibel, als lebensfern, abstrakt und als unfähig, den vielfältigen, höchst unterschiedlichen menschlichen Situationen und der konkreten Lebenswirklichkeit gerecht zu werden. „Sehr oft wird darum dem rechtlichen Denken eine pastorale Einstellung und Lösung gegenübergestellt" und „das Recht oft gegen die Barmherzigkeit ausgespielt" 30 . Zudem begegnen Theologiestudierende erfahrungsgemäß besonderen sachlichen Schwierigkeiten, wenn sie kanonistisch denken und arbeiten sol-

27

Johannes Mühlsteiger, Der Geist des josephinischen Eherechtes (= Forschungen zur Kirchengeschichte Österreichs, Bd. 5), Wien 1967. 28

Die einzelnen Abhandlungen sind unten im zweiten Teil des Bandes abgedruckt; s. auch Laudatio, oben in diesem Band. 29 Walter Kasper, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Überlegungen zu einer Applikationstheorie kirchenrechtlicher Normen, in: Festg. Rößler, 59-66, hier 59. 30 Kasper, ebd., 59.

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len. 31 Trotz dieser Probleme und Schwierigkeiten zählt Kirchenrecht auch heute zu den zentralen Fächern des Theologiestudiums (vgl. c. 252 § 3 CIC/1983). Bereits 1975 hat die Kongregation für das katholische Bildungswesen in einem Rundschreiben über das kirchenrechtliche Studium für Priesteramtskandidaten auf die Notwendigkeit kirchenrechtlicher Studien verwiesen. 32 So dürfe an keiner theologischen Fakultät ein Lehrstuhl des kanonischen Rechts fehlen (vgl. Grundordnung für die Ausbildung der Priester Nr. 34). Auch müsse das Kirchenrecht als Pflichtfach aufscheinen (III. 1). Ebenso sind in der Fortbildung der Kleriker und in den Pastoralinstituten Fragen aus dem kanonischen Recht zu behandeln (III. 9). In gleicher Weise sehen auch die zur Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana ergangenen Ordinationes das Kirchenrecht als obligatorische theologische Disziplin für alle, die an einer theologischen Fakultät studieren (Art. 51 OrdSapChrist). 33 Die kirchenrechtlichen Vorlesungen verfolgen nach Aussage des Rundschreibens von 1975 zunächst das Ziel, auf die allgemeine theologische Grundlegung des Kirchenrechts hinzuweisen, um so die pastorale Zielsetzung dieses Rechts zu offenbaren (III. 2). Das kanonische Recht solle derart vorgetragen werden, daß der künftige Priester sich dessen Prinzipien und Normen im Hinblick auf die pastorale Tätigkeit aneigne (III. 3). Femer soll eine ausreichende Kenntnis des Zivilrechts des jeweiligen Landes, soweit es mit dem kirchlichen Recht in Berührung steht, vermittelt werden. Dies gilt vor allem für diejenigen Angelegenheiten, die Staat und Kirche berühren (III. 3). Unter ökumenischem Aspekt ist die Behandlung jener Normen gefordert, die Liturgie und Sakramente regeln (III. 4). Letztlich geht es um die Aneignung der Prinzipien und Normen des kanonischen Rechts im Blick auf die konkrete zukünftige pastorale Tätigkeit (III. 3). Bedauerlicherweise kranken die Weisungen und Normen, die der Heilige Stuhl über die Ausbildung im Kirchenrecht verabschiedet, wie Georg May zu

31

Vgl. Georg May ! Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode. Regensburg 1986,11; zum Kirchenrechtsstudium vgl. auch Georg May, Kirchenrechtswissenschaft und Kirchenrechtsstudium, in: HdbKathKR 2 , bes. 95-101 ; Aymans / Mörsdorf KanR 1,74 f. 32 Vgl. SC InstCath, Rundschreiben vom 2. April 1975 über das kirchenrechtliche Studium für die Priesteramtskandidaten (Prot.-Nr. 194/74), in: Ochoa Leges V, Sp. 7012-7016; abgedr. in: AfkKR 144 (1975) 139-144; dt. in: ÖAKR 27 (1976) 189-191. 33 SC InstCath, Verordnung zur richtigen Anwendung der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" vom 29. April 1979, Nr. 51, in: AAS 71 (1979) 500-521, hier 513; abgedr. in: AfkKR 148 (1979) 128-142; dt. VApSt 9, 2. Aufl., Bonn 1983, 31-55, hier 42.

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Recht betont, „meist an dem Mangel, daß sie lediglich auf die Priesteramtskandidaten abstellen", während im deutschsprachigen Raum heute in immer stärkerem Maße Nichtpriester, Diakone und Laien, Theologie studieren und in einem kirchlichen Dienst tätig würden. „Ihnen ist die Kenntnis des Kirchenrechts ebenfalls unentbehrlich 4434 . Auf die auch für Laien bestehende Notwendigkeit, das kanonische Recht zu studieren, habe bereits Paul VI. am 25. Mai 1968 35 verwiesen. Der Codex Iuris Canonici von 1983 wird diesem Wandel insofern gerecht, als er in c. 229 § 2 den Laien, Männern und Frauen, das Recht zuspricht, jene tieferen Kenntnisse in den theologischen Wissenschaften zu erwerben, die in kirchlichen Universitäten oder Fakultäten oder in Instituten für religiöse Wissenschaften gelehrt werden, indem sie dort Vorlesungen besuchen und akademische Grade erwerben. Ebenso können sie den Auftrag zur Lehre in theologischen Wissenschaften erhalten (c. 229 § 3 CIC/1983). Mit c. 229 CIC/1983 findet daher auch die für die Katholisch-Theologischen Fakultäten in Österreich charakteristische Entwicklung einer Verlagerung der Hörerinnen und Hörer durch die große Zahl von studierenden Laien eine grundrechtliche Begründung im Kirchenrecht. 36 Die kirchlichen Aussagen über die Notwendigkeit des kirchenrechtlichen Studiums sowie über dessen Ziele, Methoden und Inhalte gelten daher wohl für jede Form theologischer Studien. Dies zeigt sich vor allem auch an den von der Deutschen Bischofskonferenz erlassenen Rahmenordnungen. So werden in der Rahmenordnung für die Priesterbildung, die die Deutsche Bischofskonferenz am 23. Februar 1988 verabschiedete, die Studienziele für das Fach Kirchenrecht für angehende Priester genau festgelegt und umschrieben. Ziel ist die „Einführung in die rechtlichen Normen, die Verfassung und Leben der Kirche bestimmen" 37 . Die Priester-

34

May, Kirche η rech tswissenschaft (Anm. 31), 96.

35

Vgl. Paul VI., Ansprache vom 25. Mai 1968 Disciplinarum Iuris Canonici cultoribus, qui interfuerunt coetui ex omnibus nationibus Romae habito, in: AAS 60 (1968), 337-342, hier 341 f. So ausdrücklich Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung, Bd. 2. Zusammengestellt von Inge Gampl / Richard Potz ! Brigitte Schinkele, Wien 1993, Nr. 33.6.1., Anm. 8,548. Vgl. Rahmenordnung für die Priesterbildung. Nach Überarbeitung der Fassung vom 1. Mai 1978 verabschiedet von der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 23. Februar 1988. Rekognosziert von der Kongregation für Seminare und Studieneinrichtungen am 28. Mai 1988. Datum des Inkrafttretens: 1. Dezember 1988. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 42). Bonn 1988, Nr. 117, 57; vgl. bereits Rahmenordnung für die Priesterbildung. Verabschiedet von der Deutschen Bischofskonferenz in der Vollversammlung vom 13.-16. Februar 1978. Approbiert von der Kongregation für das katholische Bildungswesen am 9. März 1978.

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amtskandidaten „sollen ein theologisch fundiertes und rechtlich orientiertes Verständnis der Kirche erhalten. Außer den dazu erforderlichen kirchenrechtlichen Kenntnissen sollen sie die Fähigkeit erwerben, den priesterlichen Dienst in Wahrung der Rechtsordnung und in Kenntnis der rechtlichen Möglichkeiten zu vollziehen, und befähigt werden, die kirchenrechtliche Relevanz konkreter Sachverhalte zu erkennen und zu werten" 38 . Als Studien- und Prüfungsinhalte werden ausdrücklich festgelegt: theologischer Ort und ekklesiologische Funktion des Kirchenrechts; kirchen rechtliche Grundbegriffe und Grundnormen; verfassungsrechtlicher Aufbau der Kirche; rechtliche Ordnung des Verkündigungsdienstes; rechtliche Ordnung des Heiligungsdienstes; Kirche und Staat 39 Bei der Behandlung des Stoffes sollen auch rechtsgeschichtliche Zusammenhänge aufgezeigt werden. Ebenso soll auf die verfahrensrechtlichen Normen und das Disziplinar- und Strafrecht hingewiesen werden. Die Richtlinien für die ökumenische Praxis und die ökumenischen Rechtsprobleme sind anzusprechen. Schließlich ist auch das deutsche Teilkirchen recht in besonderer Weise zu berücksichtigen. 40 Ebenso ist auch für die haupt- und nebenberuflichen Diakone 41 sowie für die Gemeindereferentlnnen 42 und Pastoralreferentlnnen 43 eine berufsadäquate und spezifische kirchenrechtliche Ausbildung erforderlich.

Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 15). Bonn 1978, Nr. 101 f., 49 f. 38

DBK, Rahmenordnung, Nr. 117, ebd., 57 f.

39

DBK, Rahmenordnung Nr. 118, ebd., 58.

40

DBK, Rahmenordnung, Nr. 118, ebd., 58.

41

Rahmenordnung für Ständige Diakone in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Februar 1994. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 50). Bonn 1994, Nr. 4, 12-18; vgl. bereits Rahmenordnung für Ständige Diakone in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland vom 10. März 1987. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 40). Bonn 1987, Nr. 3 3 ; 4 3 ; 4.4, 11; 14-17; vgl. SC InstCath / SC Cler, Grundnormen für die Ausbildung der Ständigen Diakone und Direktorium für den Dienst und das Leben der Ständigen Diakone vom 22. Februar 1998. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= VApSt 132). Bonn 1998. 42 Rahmenstatut für Gemeindereferenten / Gemeindereferentinnen in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland vom 10. März 1987. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 41). Bonn 1987, Nr. 4.1, 10 f.; Rahmenordnung für die Ausbildung, Berufseinführung und Fortbildung von Gemeindereferenten / Gemeindereferentinnen vom 10. März 1987, Nr. 13, ebd., 21 f. 43

Rahmenstatut für Pastoral re fere n te η / Pastoralreferentinnen in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland vom 10. März 1987, Nr. 3.3; 4.1, ebd., 36 f.; Rahmenordnung für die Ausbildung, Berufseinführung und Fortbildung von Pastoralreferenten / Pastoralreferentinnen vom 10. März 1987, Nr. 6; 12, ebd., 42 f., 46.

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Schließlich halten die Deutschen Bischöfe für die Lehramtsstudiengänge in Katholischer Religion kirchenrechtliche Kenntnisse für notwendig und unverzichtbar: Für das Lehramt in der Hauptschule, in der Realschule bzw. in der Sekundarstufe I Kenntnisse über die rechtlichen Strukturen der Kirche, insbesondere über die Verfassung der Kirche und den Dienst des Religionslehrers, für das Lehramt in Gymnasien, in Beruflichen Schulen bzw. in der Sekundarstufe II darüber hinaus auch Kenntnisse über die Grundnormen des Sakramentenrechts, insbesondere des Eherechts. 44 Die Österreichische Bischofskonferenz hat im Jahre 1989 die von der Deutschen Bischofskonferenz auf ihrer Vollversammlung vom 13.-16. Februar 1978 verabschiedete Rahmenordnung für die Priesterbildung als „Ratio nationalis" für die Priesterausbildung in den österreichischen Diözesen weitgehend übernommen. 45 Wenngleich es an Ausführlichkeit fehlt und Kirchenrecht hier nicht explizit aufscheint, dürften die Grundsätze der deutschen Rahmenordnung als Anliegen und Desiderat implizit übernommen worden sein. Für die Ausbildung von Theologinnen für den kirchlichen Dienst, die Ausbildung von Diakonen 46 und ebenso für die Ausbildung von Religionslehrerinnen dürfte wohl ähnliches gelten bzw. sind nicht zuletzt auch aufgrund der in den letzten Jahren stark gewandelten Verhältnisse ähnliche Zielvorstellungen und damit auch ein Handeln der Österreichischen Bischofskonferenz zu fordern. Gemäß der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" vom 15. April 1979 gelten die Bestimmungen dieser Konstitution auch für die staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten (Art. 8 SapChrist). 47 Ausdrücklich betont Art. V § 1 Abs. 3 ÖK, daß die innere Einrichtung und der Lehrbetrieb der staatlichen österreichischen Theologischen Fakultäten nach den jeweiligen kirchlichen Bestimmungen geregelt wird. Damit hat sich der österreichische

44

Kirchliche Anforderungen an die Studiengänge für das Lehramt in Katholischer Religion an Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen bzw. in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II vom 23. September 1982. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= DDB 33), 2. neubearb. Aufl., Bonn 1986, Nr. III, 9 und 12. 45

Vgl. OBK, Rahmenordnung für die Ausbildung von Priestern, in: ABl. OBK, Nr. 3,15. April 1989,27-40. Vgl. ÖBK, Der Ständige Diakonat. Rahmenordnung der Österreichischen Diözesen, in: ABl. ÖBK, Nr. 3,15. April 1989,40-45. Johannes Paul //., Ap. Konst. „Sapientia Christiana" vom 15. April 1979 über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten, in: AAS 71 (1979) 469-499; abgedr. in: AfkKR 148 (1979) 107-127; dt. VApSt 9, 2. Aufl., Bonn 1983, 4-30; vgl. dazu vor allem Heribert Schmitz, Kirchliche Hochschulen nach der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana von 1979, in: AfkKR 150 (1981) 45-90; 477-527.

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Staat verpflichtet, das Studium der Katholischen Theologie „den jeweiligen kirchlichen Normen gemäß" zu regeln. 4 8 Das Studienrecht der staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten Österreichs muß sich somit am kirchlichen Studienrecht orientieren, d. h. gegenwärtig an den Bestimmungen der cc. 815— 821 CIC/1983, der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" v o m 15. A p r i l 1979 und den zugehörigen „Ordinationes" der Kongregation für das katholische Bildungswesen v o m 29. A p r i l 1979. Hinzu kommt für Österreich das von der Kongregation für das katholische Bildungswesen am 1. November 1983 erlassene sogenannte Akkommodationsdekret. 4 9 Die i m Jahre 1966 erfolgte Neuordnung des Hochschulrechts in Österreich durch das Bundesgesetz über die Studien an den wissenschaftlichen Hochschulen (Allgemeines Hochschulstudiengesetz - A H S t G v o m 15. Juli 1966; B G B l . N r . 177/1966) hatte eine umfassende Neuregelung des Theologiestudiums eingeleitet, die insbesondere durch kirchliche Neuerungen angezeigt schien. 5 0 Ergebnis dieser theologischen Studienreform in Österreich war das Bundesgesetz über katholisch-theologische Studienrichtungen v o m 10. Juli 1969 ( B G B l . Nr. 293/1969). 5 1 Für die i m einzelnen für das Studium der katho-

48

So ausdrücklich Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (= M K CIC Beih. 6). Essen 1992, 556-559, hier 557; vgl. dazu auch ders., Das Hochschulwesen im kanonischen Recht, oben in diesem Band; ferner auch Wilhelm Rees, Theologische Fakultäten als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Vorgaben für die Neuordnung des theologischen Studiums, in: Paarhammer / Rinnerthaler, Österreich (Anm. 13), 443-469. 49

SC InstCath, Dekret über die katholisch-theologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" und der ihr beigefügten „Ordinationes" (Nr. 95/80), in: AAS 76 (1984) 616-621; abgedr. in: ÖAKR 34 (1983/84) 355-359; dt. in: ABl. ÖBK, Nr. 2, 1. Juni 1984,22 ff.; vgl. Hugo Schwendenwein, Das staatliche theologische Studienrecht in Österreich, in: Festg. Heinemann (70), 339-354; ders.. Aktuelle Rechtsfragen theologischer Fakultäten in Österreich. 1969-1993, in: FS Schmitz, 477-495; s. auch Josef Ammer, Art. Akkommodationsdekret, in: LKStKR I, 47 ff.; Georg May, Die Hochschulen, in: HdbKathKR 2 ,749-777. ' Siehe dazu vor allem Rees, Theologische Fakultäten (Anm. 48), 1.5. u. II. 51 Zur Neuordnung des österreichischen Theologiestudiums in den Jahren 1969 bis 1972 s. insbes. Hugo Schwendenwein, Grundfragen der Entwicklung des Theologischen Studienrechtes in Österreich seit Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Höflechner / Mezler / Andelberg / Pichl (Hg.), Domus Austriae. Festgabe Hermann Wiesflecker zum 70. Geburtstag. Graz 1983, 371-380; abgedr. in: ders., Ius et Iustitia. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Aufsätze (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von

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lischen Theologie vorgesehenen drei Studienrichtungen, nämlich die fachtheologische, die selbständige religionspädagogische und die kombinierte religionspädagogische Studienrichtung, wurden 1971 neue Studienordnungen 52 erlassen. Da die Fachtheologische Studienrichtung insbesondere der Ausbildung der Priesteramtskandidaten dient, war ihre Studienordnung auf die kirchlichen Vorgaben abgestimmt. Diese Studienordnungen haben im Blick auf das Pädagogikum gravierende Änderungen erfahren. Auf die im Rahmen der Novellierung (vgl. Novellierung vom 21. April 1988, BGBl. Nr. 227/1988, und Novellierung vom 15. Juni 1988, BGBl. Nr. 351 und 352/1988) im Fach Kirchenrecht vorgenommenen Kürzungen der Lehrveranstaltungen in der Fachtheologischen Studienrichtung auf 6 Semesterwochenstunden und in der Selbständigen und Kombinierten religionspädagogischen Studienrichtung auf 2 Semesterwochenstunden hatte die Kongregation für das katholische Bildungswesen in einer Stellungnahme vom 15. September 1986 reagiert und die zu geringe Stundenzahl im Kirchenrecht eindringlich angemahnt. Zugleich hat sie „modifiche" zum Zwecke der Beachtung der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" und der dazu ergangenen Ordinationes „im Lichte des Konkordates und des Akkommodationsdekrets" vorgeschlagen. 53 Gegenwärtig wird Kirchenrecht in der Fachtheologischen Studienrichtung in 8 Semesterwochenstunden gelehrt, in der Selbständigen religionspädagogischen Studienrichtung sowie der Kombinierten religionspädagogischen Studienrichtung in 2 Semesterwochenstunden. Inzwischen hat der Österreichische Staat im Jahre 1993 ein neues Universitätsorganisationsgesetz erlassen (UOG 93). Gemäß § 73 UOG 93 „Sonderbestimmungen für Theologische Fakultäten" bleibt das Österreichische Konkordat in Geltung. Zugleich löste im Jahre 1997 das Universitätsstudiengesetz Kirche und Staat, Bd. 45). Freiburg i. d. Schweiz 1996, 362-381, hier 371 ff.; ders., Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 48), 562 f. 52

Vgl. Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Verordnung vom 18.2.1971 über eine Studienordnung für die fachtheologische Studienrichtung und für die selbständige religionspädagogische Studienrichtung (BGBl. Nr. 86/1971); dass., Verordnung vom 18.2.1971 über eine Studienordnung für die kombinierte religionspädagogische Studienrichtung (BGBl. 87/1971); zum Doktoratsstudium s. Verordnung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung vom 18.2.1971 (BGBl. 89/1971); dazu Schwendenwein, Das staatliche theologische Studienrecht (Anm. 49), 344-350. 53 SC InstCath, Modifiche da apportarsi al „Bundesgesetz vom 10. Juli 1969 ueber katholisch-theologische Studienrichtungen (BGBl. Nr. 293)" ed alle relative „Verordnungen des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 18. Feber 1971: BGBl. Nr. 86 e 87" vom 15. September 1986, bes. Β 1, 2, 3; dazu Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 48), 558, Anm. 154; 563, Anm. 180; ferner Rees, Theologische Fakultäten (Anm. 48), 1.5.

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(UniStG) das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (AHStG) ab. Im Juni 1999 haben sich an der Theologischen Fakultät Innsbruck die bisher selbständigen Institute zu 5 Großinstituten zusammengeschlossen. Die von staatlicher Seite vorgegebenen neuen Strukturen sind nun mit entsprechendem Leben zu füllen. D. h. es sind neue Studienpläne zu erstellen, „deren Ziel ein fundiertes und den neuen kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werdendes Theologiestudium ist" 5 4 . Da das UOG 93 ausdrücklich auf das Österreichische Konkordat und dieses wiederum auf die kirchlichen Bestimmungen Bezug nimmt, muß sich auch das neu zu verabschiedende Studienrecht der KatholischTheologischen Fakultäten Österreichs am jeweils geltenden kirchlichen Studienrecht orientieren. Dies gilt auch bezüglich der Aussagen zum Kirchenrecht. I I I . Kirchenrecht als praktisch-systematische Wissenschaft im Rahmen einer auf Dialog und Interaktion ausgerichteten Theologie Die Kanonistik hat sich als erste unter den theologischen Disziplinen durch die seit der Mitte des 12. Jahrhunderts von der dogmatischen Theologie erfolgte Trennung zu einer selbständigen Wissenschaft emanzipiert, wenngleich ihre Arbeit zunächst weithin parallel zur dogmatischen Theologie erfolgte. 55 1. Kanonistik und Kirchenrecht Die Kanonistik versteht sich als die Erforschung und Darstellung des Rechts der Kirche, zunächst und näherhin des Rechts der katholischen Kirche. Von dieser Kirche sagt das Zweite Vatikanische Konzil, daß sie Glaubens-, Heilsund Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit ist (vgl. Vatll LG Art. 8 ) 5 6 Kirchenrecht ist somit nicht etwas, was von außen an die Kirche herangetragen wird. Es erwächst vielmehr „aus der Wesensart der in Wort und Sakrament sich

54 Vgl. Regina Brandl, Und wie gehen wir nun vor? Vom UniStG zu den neuen Studienplänen, in: baustelle theologie. Fakultätszeitung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, 2. Jg., 2/1999,5. 55 Vgl. Libero Gerosa, Das Recht der Kirche. Amateca. Lehrbücher zur katholischen Theologie, Bd. XII. Paderborn 1995, 87-106; Aymans /Mörsdorf KanR I, 57-73; May / Egler, Einführung (Anm. 31), 37-104. 56 Vgl. Joseph Listi , Art. Kirche. II. Katholisch, in: EvStL 3 , Bd. 1, 1529-1539; abgedr. unter dem Titel „Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche", in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 25). Berlin 1996,945-956.

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vollziehenden Sendung" 5 7 . Kirchenrecht hat Anteil am sakramentalen Wesen der Kirche und ist somit „ E l e m e n t des Mysteriums Kirche" selbst.58 Gerade die radikale Infragestellung eines Rechts in der Kirche, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den evangelischen Juristen Rudolph Sohm (1841-1917) und auch später immer wieder erfolgt ist, hat dazu geführt, daß sich Kanonisten vorrangig um eine theologische Begründung und Verankerung des kirchlichen Rechts bemüht haben. Kirchenrecht ist somit „das Recht, das im Dienste der Kirche steht, d. h. konkret: im Dienste des Heilsauftrages der Kirche in der Welt" 5 9 . Als Recht des Volkes Gottes dient es dem Aufbau und Leben der Kirche, indem es für Ordnung, Friede und Sicherheit, aber auch für Freiheit in der Kirche sorgt. In rechter Weise verstanden ist das Recht ,glicht Hindernis, sondern pastorale Hilfe; es tötet nicht, sondern macht lebendig. Seine Hauptaufgabe ist nicht, zu unterdrücken, zu hemmen oder gar gegen etwas anzugehen, sondern es soll anregen, fördern, behüten und den echten Freiheitsraum schützen" 6 0 . So kann es auch keineswegs Zweck des kirchlichen Gesetzbuches sein, „den Glauben, die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe im Leben der Kirche oder der Gläubigen zu ersetzen. Im Gegenteil, der Codex zielt vielmehr darauf ab, der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und den Charismen Vorrang einräumt und gleichzeitig deren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie auch der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert 4"61. Seinen Daseinsgrund hat das Kirchenrecht im „Dienst an der kirchlichen communio". Es dient ihr, wie Rouco

57

So Winfried Aymans, Die Kirche HdbKathKR 2 ,3-12, hier 7. Aymans, ebd., 10.

Das Recht im Mysterium Kirche, in:

59

Vgl. Sabine Demel, Kirchenrecht für Frieden und Freiheit der und in der kirchlichen Gemeinschaft, in: Theologie in der Universität. Wissenschaft - Kirche - Gesellschaft. Festschrift zum Jubiläum: 350 Jahre Theologie in Bamberg (= Bamberger Theologische Studien, Bd. 10). Frankfurt a. M. u. a. 1998, 209-224, hier 210; vgl. auch Thomas Schüller, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste der salus animarum. Ein kanonistischer Beitrag zu Methodenproblemen der Kirchenrechtstheorie (= FzK, Bd. 14), Würzburg 1993. 60 Paul VI., Ansprache vom 19.2.1977 an den Internationalen Kongreß für Kirchenrecht anläßlich der 100 Jahr-Feier der Kanonistischen Fakultät der Gregoriana, in: AAS 69 (1977), 208-212; dt. in: OssRom (dt.), 18. März 1977,4 f. So Johannes Paul II., Ap. Konst. „ S a c r a e Disciplinae Leges" vom 25. Januar 1983, in: AAS 75 (1983), Pars II (Separatfaszikel), X I ; lat./dt. in: Codex Iuris Canonici - Codex des kanonischen Rechtes. Lat.-dt. Ausgabe. Hg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Luxemburg, von Lüttich, von Metz und von Straßburg, 4. Aufl., Kevelaer 1994, X V I I I / X I X .

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Varela betont, „erstens dadurch, daß es ihre Existenz selbst ermöglicht. Ohne kanonisches Recht gäbe es de facto keine 'kirchliche Communio', also keine Kirche". Zweitens dadurch, „daß es durch eine Aktualisierung des Ordo Ecclesiae' - der kanonischen Ordnung - zu ihrer pastoralen Fruchtbarkeit beiträgt 4462 . Oberstes Ziel aller kirchlicher Normsetzung und Normanwendung muß daher die „salus animarum 44 sein (vgl. c. 1752 CIC/1983). So ermöglicht Kirchenrecht kirchliche Praxis und kirchliches Leben, setzt aber zugleich auch gewisse Grenzen. 2. Kirchenrecht

als wissenschaftliche

Disziplin

Kirchenrecht ist eine wissenschaftliche Diziplin. 63 In diesem Sinn hat Kirchenrecht Anteil an der Wissenschaftlichkeit der Theologie insgesamt. Gerade als Wissenschaft ist Theologie mit ihren einzelnen Disziplinen unaufgebbar für die Universität. Universitäten als öffentliche Einrichtungen mußten und müssen sich, worauf Erhard Busek verweist, immer in zweifacher Weise legitimieren: „erstens durch Wissenschaftlichkeit - das ist die unabdingbare Voraussetzung - , und zweitens doch auch immer durch öffentliches Interesse 4464. Gerade der aufgeklärte, religionsneutrale Staat müsse größtes Interesse daran haben, daß die Religionsgemeinschaften und Konfessionskirchen, die in der Bevölkerung vorherrschen, eine wissenschaftliche Theologie betreiben. So sind die staatlichen Theologischen Fakultäten nicht nur für die Ausbildung von Theologinnen und deren berufliche Qualifikationen, sondern auch ,4m Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung und den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch an den Hochschulen und Universitäten unverzichtbar 4465. Mit

62 Antonio Maria Rouco Varela, Das kanonische Recht im Dienst der kirchlichen Communio, in: ders., Schriften zur Theologie des Kirchenrechts und zur Kirchenverfassung. Hg. von Winfried Aymans / Libero Gerosa ! Ludger Müller. Paderborn u. a. 2000, 291-309, hier 308. 63

Vgl. dazu May / Egler, Einführung (Anm. 31), 13-16; Herbert Kalb, Juristischer und theologischer Diskurs und die Entstehung der Kanonistik als Rechtswissenschaft, in: Öarr 47 (2000) 1-33. 64

Vgl. Erhard Busek, Universität - Theologie - Europa, in: ÖAKR 44 (1995-97) 420-431, hier 424; vgl. Heribert Schmitz, Zukunft katholisch-theologischer Fakultäten in Deutschland, in: MThZ 51 (2000) 292-308; Bindung an die Kirche oder Autonomie? Theologie im gesellschaftlichen Diskurs. Hg. von Albert Franz (= QD 173). Freiburg i. B . / B a s e l / W i e n 1999. Vgl. Staatliche Theologische Fakultäten unverzichtbar. 12. Gespräch zwischen Bischöfen und Theologieprofessoren in Mainz, in: Mainzer Bistumsnachrichten Nr. 19, 24.5.1995, 4; Bischöfe und Theologen: Theologie-Fakultäten unverzichtbar, in: KNA

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allem Nachdruck haben sich daher in der jüngsten Diskussion auch die Dekane der Theologischen Fakultäten Graz und Wien gegen die Idee gewandt, anstelle der Einführung von Studiengebühren die Katholisch-Theologischen Fakultäten an den Universitäten abzubauen.66 Nicht zuletzt haben auch die katholischen Bischöfe und Theologen des deutschsprachigen Raums „vor einer einseitigen Bevorzugung naturwissenschaftlich-technischer Bereiche in der Bildungspolitik" gewarnt 6 7 Theologie und Philosophie ließen sich kaum ökonomisch verzwecken, seien aber für den gesellschaftlichen Diskurs, für die menschliche Sinnfrage und für das interdisziplinäre Gespräch unverzichtbar. Ist in diese Richtung angesichts eines vielfachen Ökonomismus heute nicht auch ein stärkerer Einsatz österreichischer Theologinnen und insbesondere auch der österreichischen Bischöfe sowie der Bischofskonferenz notwendig und gefordert? Jedoch ist der Staat nicht an einer irgendwie betriebenen Theologie interessiert, sondern „an einer solchen, die im Namen der Kirche gelehrt wird" 6 8 . Entgegen der Infragestellung der kirchlichen Anbindung durch den Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg, Heinrich Schmidinger, muß die kirchliche Beheimatung der wissenschaftlichen Theologie gerade die „Gewähr dafür sein, bei aller Freiheit des Denkens und Forschens den sicheren Boden der Wahrheit nicht unter den Füßen zu verlieren" 69 . In diesem Sinn spricht das Österreichische Akkommodationsdekret der Bischofskonferenz die Aufgabe zu, unter Wahrung der Eigenständigkeit der Wissenschaft im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils den wissenschaftlichen Fortschritt der theologischen

Länderdienst Rheinland Pfalz - Saarland, Nr. 40, 25. Mai 1995; vgl. auch Katholische Fakultäten: Kampf um Mindeststandard, in: KNA-ID Nr. 5/2.2.2000,5. 66

Zulehner: Theologie an Universitäten muss bleiben, in: KathPress-Tagesdienst Nr. 228, 2./3.10.2000, 11; „Einsparung der Fakultäten Salzburg und Graz hätte nur Mini-Effekt", in: KathPress-Tagesdienst Nr. 222, 25726.9.2000, 7 f.; dazu auch Stephan Baier, Eine freischwebende Theologie ohne Konkordate? Der Salzburger Theologe Schmidinger stellt die kirchliche Anbindung seines Fachs in Frage, in: Die Tagespost, Nr. 124,17. Oktober 2000,6. 67

Bischöfe und Theologen brechen Lanze für Geisteswissenschaft, in: KathPressTagesdienst, 10.5.2000; vgl. auch Karl Lehmann, Der Auftrag von Theologie und Kirche in der modernen Gesellschaft. Festvortrag anläßlich der Feierlichkeiten zur Neueröffnung der renovierten ,Alten Universität", Katholisch-Theologische Fakultät der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck am 10. März 1999, in: Korrespondenzblatt des Canisianums. H. 2 des Studienjahres 1998/99, Jg. 132,12-19. 68 Vgl. Georg May, Errichtung und Erweiterung katholisch-theologischer Studieneinrichtungen an staatlichen Hochschulen. Überlegungen zu einer jüngst erschienenen Studie, in: FS Schmitz, 415-440, hier 422. 69

Baier, Theologie (Anm. 66), 6.

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

335

Fakultäten zu fördern und um deren wissenschaftliche und kirchliche Natur besorgt zu sein. Ausdrücklich wird im Unterschied zur Apostolischen Konstitution „Deus Scientiarum Dominus" (vgl. auch Vatll GE Art. 11 Abs. 1), die an erster Stelle Lehre und Ausbildung nannte, in „Sapientia Christiana" die wissenschaftliche Forschung als erste Aufgabe einer theologischen Fakultät genannt (Art. 3 § 1 SapChrist). Zugleich wird in Art. 3 § 2 SapChrist (vgl. Vatll OT Art. 4) die Pflicht betont, die Studierenden zu hoher Qualifikation heranzubilden und sie für ihre künftigen Aufgaben sinnvoll vorzubereiten. Insgesamt sind die wissenschaftlichen Erfordernisse sorgfältig mit den pastoralen Notwendigkeiten des Volkes Gottes in Einklang zu bringen (Art. 39 § 2 SapChrist). So werden gegenwärtig Katholisch-Theologische Fakultäten verstärkt und in Zukunft noch mehr daran gemessen, „ob Forschung gesellschaftlich oder wirtschaftlich erfolgreich umsetzbare Ergebnisse zeitigt oder ob die Lehre eine praktische Berufsausbildung mit Aussicht auf einen Arbeitsplatz eröffnet" 70 . Gerade die neuzuerstellenden Studienpläne müssen diesen Aspekt der berufsspezifischen Ausbildung im Auge haben. Kann und muß das theologische Studium hier nicht praxisnäher gestaltet und im Blick auf die je spezifisch geforderte fachliche Qualifikation verbessert werden? 3. Kirchenrecht

als theologische Disziplin

Nach den Ordinationes zur Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana" zählt Kirchenrecht zu den theologischen Disziplinen (Art. 51 OrdSapChrist). In diesem Sinn hat bereits das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Ausbildung der Priester getreu der ekklesiologischen Akzentsetzung dieses Konzils gefordert, im Unterricht des kanonischen Rechts den Blick auf das Mysterium der Kirche zu lenken (Vatll OT Art. 16). In dieselbe Richtung zielt die Kongregation für das katholische Bildungswesen mit der Forderung, bei der Darlegung dieser Disziplin zunächst auf die allgemeine Grundlegung des Kirchenrechts wie auch auf die besondere des einzelnen Rechtsinstituts hinzuweisen.71 Ebenso wurden im Zusammenhang der CIC-Reform und der Frage der Schaffung einer Lex Ecclesiae Fundamentalis Grundaussagen über den theologischen Ort des Kirchenrechts formuliert. 72 Insbesondere war es 70

Vgl. Weber, Mentes tuorum (Anm. 3), 105; ferner auch Schmitz, Kirchliche Hochschulen (Anm. 47), 58 ff.; Anstellungsbedingungen für Theologiestudierende der Diözese Innsbruck vom 13.1.1997, in: ABl. Innsbruck 72 Jg., Feber 1997, Nr. 1,4 f. 71 SC InstCath, Rundschreiben (Anm. 32), Art. III, Nr. 2, 7015 = 142 = 190; zur theologischen Grundlegung s. inbes. Péter Erdö, Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, in: HdbKathKR 2 ,20-33. 72

Vgl. Communicationes 6 (1974) 69 ff.

Wilhelm Rees

336

Paul V I . , der in einer Ansprache v o m 20. Januar 1970 i m Anschluß an die Aussage des Konzils forderte, das Kirchenrecht tiefer in der Heiligen Schrift und in der Theologie zu begründen, w i e das kanonische Recht aus dem Wesen und der Verfassung der Kirche abzuleiten sei. 7 3 Kirchenrecht hat somit wesentliche Bezüge zur katholischen Theologie, zugleich jedoch auch solche zur Rechtswissenschaft. 7 4 Es ist i m Schnittfeld von Theologie und Recht angesiedelt und zugleich auch eine praktische w i e systhematische Disziplin. Wenn man Theologie, je nach Schwerpunkt und Inhalt, in biblische, historische, systhematische und praktische Theologie einteilt, zählt Kirchenrecht, da es auf Handeln ausgerichtet ist, mit der Pastoraltheologie, der Liturgiewissenschaft, der H o m i l e t i k , der Religionspädagogik und der Katechetik zur Praktischen Theologie. Die Sicht des Kirchenrechts als praktischer Wissenschaft besagt, „daß sie eine besondere Nähe z u m Leben, genauer z u m kirchlichen Leben besitzt. Sie ist dazu berufen, dieses Leben zu ihrem T e i l zu ordnen und zu gestalten. Sie dient auf ihre Weise der Sendung der Kirche, vor allem indem sie Ordnung, Frieden und Sicherheit in der Kirche zu ihrem T e i l garantiert" 7 5 . M i t Recht verweist Sabine Demel aber auch darauf, daß Kirchenrecht zugleich auch eine systhematische Wissenschaft ist, da es sich nicht begnügt, „die geltenden Rechtsbestimmungen zur Kenntnis zu nehmen, auszulegen und anzuwenden, sondern darüber hinaus die Aufgabe hat, die Rechtsnormen auf ihre theologische Legitimität hin zu überprüfen, d. h. ihre theologischen Grundlagen w i e auch Grenzen aufzuweis e n " 7 6 . Kirchen recht werde so von einem geschlossenen zu einem „offenen System", dessen Grundfrage laute: „Ist das überkommene Gesetz geeignet, und zwar am besten geeignet, zu einem freiheitlichen und friedlichen Leben der kirchlichen Gemeinschaft w i e auch des/der einzelnen in der kirchlichen Gemeinschaft zu verhelfen?" 7 7 .

73

Paul VI., Ansprache vom 20. Januar 1970 Ad clarissimum Virum Romanae Studiorum Universitatis Rectorem ceterosque Iuris Canonici peritos, qui Coetui International! interfuerunt Romae habito, in: AAS 62 (1970) 106-111, hier 108 f.; ferner auch Christian Huber, Papst Paul VI. und das Kirchenrecht (= M K CIC, Beih. 21). Essen 1999. May /Egler, 210 ff.

Einführung (Anm. 31), 17-22; Demel, Kirchenrecht (Anm. 59),

75

May ! Egler, Einführung (Anm. 31), 16.

76

Demel, Kirchenrecht (Anm. 59), 212; vgl. auch Aymans / Mörsdorf

77

Demel, Kirchenrecht (Anm. 59), 213.

KanR 1,72.

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

4. Kirchenrecht

im interdisziplinären

337

Gespräch

Wenngleich sich Kirchen recht vorrangig als praktisch-systematische Disziplin versteht, hat es Verbindung zu allen übrigen theologischen Disziplinen und ist auf diese angewiesen, j a es steht in einem „Wechselverhältnis des Gebens und Nehmens" 7 8 . So greift die Kanonistik die für ihre Arbeit relevanten Ergebnisse anderer theologischer Fächer auf. Insbesondere zeigt die Dogmatik dem Kanonisten den Glauben der Kirche und den jeweiligen Sicherheitsgrad der einzelnen theologischen Sätze auf. Die Moraltheologie entwickelt Prinzipien der Sittlichkeit, klärt Gesetz und Gewissen. Die Sozialethik befaßt sich mit der gottgewollten sittlichen Ordnung der Gesellschaft, stellt die gesellschaftlichen Lebensordnungen, wie Ehe und Familie, Staat und Völkergemeinschaft, dar und klärt darüber hinaus Begriffe und Prinzipien, wie Gemeinwohl, Subsidiarität und Solidarität. Die Exegese des Neuen Testaments zeigt die Wurzeln und erste Entwicklungen des Kirchen rechts auf. A u f der anderen Seite gibt das Kirchenrecht auch. A l l e theologischen Disziplinen stehen, wie Georg May und Anna Egler w o h l zu Recht erklären, „unter Normen, die sie bei ihrer Arbeit zu beachten haben" 7 9 . Dies gelte für die Normen über den Umgang mit der Bibel und mit den Äußerungen des kirchlichen Lehramtes, über den Gottesdienst, die Predigt und den Religionsunterricht. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen sieht Heinz Schuster in dem von Karl Rahner mitherausgegebenen Handbuch der Pastoraltheologie i m B l i c k auf Pastoraltheologie und Kirchenrecht durch zwei Momente bedingt, nämlich der praktischen, berufsbezogenen Ausbildung und dem wissenschaftstheoretischen Aspekt. In der praktischen Ausbildung müssen „notwendig die Ergebnisse und Prinzipien der praktischen Theologie mit den Normen und Daten des Kirchenrechts zusammengeschaut und eventuell mit ihnen konfrontiert werden". Unter wissenschaftstheoretischem Aspekt „zeigt sich die Kanonistik als eine Grundlagenwissenschaft für die Praktische Theologie, insofern in der Kanonistik die rechtliche, geschichtliche und gesellschaftliche Verfaßtheit der Kirche, soweit sie in Gesetze und Vorschriften gefaßt ist, reflektiert w i r d " . Zugleich verweist Schuster darauf, „daß die Normen um so eher einer möglichen oder notwendigen Abänderung oder Absetzung ausgesetzt sind, je mehr sie sich mit dem detaillierten, konkreten V o l l z u g der Kirche beschäftigen, der von seinem Wesen her dem Einfluß der wechselnden Gegenwartssituation ausgesetzt ist". Die Erforschung jener Momente der gegenwärtigen Situation, die vielleicht einmal die Neufassung eines Gesetzes notwendig machen, ist „nicht primär Aufgabe der Kanonistik bzw. des K i r chenrechts ... aber gerade Aufgabe der praktischen Theologie". So hat die

78 79

Dazu und zum Folgenden May ! Egler, Einführung (Anm. 31), 22 ff., hier 22. Vgl. dazu May /Egler, ebd., 24.

24 FS Mühlsteiger

338

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Praktische Theologie einerseits die rechtliche und gesetzlich gefaßte Struktur der Kirche ihren eigenen Überlegungen vorauszusetzen und die bestehenden Normen des konkreten Vollzugs der Kirche ihren eigenen, der Gegenwartsanalyse entnommenen Ergebnissen zu konfrontieren, andererseits „jene strukturellen Veränderungen, die i m Vorfeld der Rechtssetzung der Kirche geschehen, irgendeinmal die Neufassung eines Gesetzes notwendig machen können und insofern von der Kanonistik vorausgesetzt werden", zu erforschen, wenn sie sich mit dem „ius condendum" befaßt. 8 0 In die gleiche Richtung weisen auch Hans Heimerl und Helmuth Pree: Die Pastoraltheologie „hat den Selbstvollzug der Kirche unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Situation bzw. der Zukunft zu planen. Dabei ist das Verhältnis zur Kanonistik von zwei gegenläufigen Tendenzen gekennzeichnet: Einerseits muß die Pastoraltheologie das Kirchenrecht voraussetzen - als T e i l des verbindlichen Handelns der Kirche und ihrer geltenden Struktur; das geltende Recht bestimmt j a den gegenwärtigen V o l l z u g der Kirche. Andererseits muß das Kirchenrecht die Pastoraltheologie unter dem Aspekt der Kirchenrechtspolitik voraussetzen; d . h . , die Pastoraltheologie stellt das wichtigste Sensorium für die Gestaltung des künftigen Kirchenrechts d a r . " 8 1 So schärft letztlich die Pastoraltheologie „den B l i c k des Kanonisten für die seelsorgliche Verantwortung und für die seelsorglichen Chancen des K i r chenrechts" 8 2 . Die gemeinsame Bezogenheit läßt sich für spezifische Bereiche, w i e Sakramentenpastoral, Erwachsenenbildung, Schule und Religionsunterricht, auch für die Katechetik und Religionspädagogik aufzeigen 8 3 Die Notwendigkeit des gegenseitigen Kommunizierens w i r d auch deutlich, wenn Ilona Riedel-Spangenberger in ihrem Beitrag über die Rechtsstellung der in kirchlich ungültiger Ehe lebenden Katholiken bemerkt: „Der zur Debatte stehende Sachverhalt stellt allerdings nicht nur ein kirchenrechtliches, sondern ebenso ein bibeltheologisches, dogmatisches und moraltheologisches Problem innerhalb der wissenschaftlichen Theologie d a r . " 8 4 Es liegt in der Natur der Sache, daß

80

Vgl. Heinz Schuster, Wesen und Aufgabe der Pastoraltheologie als praktischer Theologie, in: Handbuch der Pastoraltheologie, Bd. 1. Hg. von Franz Xaver Arnold / Karl Rahner / Viktor Schurr / Leonhard M. Weber. Freiburg / Basel / Wien 1964, 93114,bes. 111-114. 81

Hans Heimerl ! Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft). Wien / New York 1983,21. 82 May / Egler, Einführung (Anm. 31), 23. 83

Vgl. Gemeinsames Forschungsprojekt Religionsunterricht und Schule (www.uibk. ac.at/fodok/fkl/). 84 Ilona Riedel-Spangenberger, Die Rechtsstellung der in kirchlich ungültiger Ehe lebenden Katholiken. Kirchenrechtliche Aspekte und Lösungsangebote zum Problem von Scheidung und Wiederheirat, in: Geschieden - wiederverheiratet - abgewiesen?

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

339

das Problem der wiederverheirateten Geschiedenen nur „ i m gemeinsamen Bemühen der verschiedenen theologischen Disziplinen zu lösen i s t " 8 5 . Entsprechendes gilt i m B l i c k auf ökumenische Fragen, ohne hier vorschnell die „plena c o m m u n i o " vorwegnehmen zu w o l l e n . 8 6 Gerade das Ökumenische Direktorium von 1993 verweist hier auf ein „interdisziplinäres Lehren" auch i m B l i c k auf das Kirchenrecht. 8 7 Neben den Beziehungen zu anderen theologischen Fächern pflegt das kanonische Recht auch solche zu nichttheologischen Disziplinen, wie dem staatlichen Recht. Hier kommen neben dem Bürgerlichen Recht ( Z i v i l recht) vor allem Fragen des öffentlichen Rechts in den B l i c k , nicht zuletzt auch Fragen i m B l i c k auf das immer stärker zusammenrückende Europa. 8 8 Ebenso ist die Philosophie, v o r allem i m B l i c k auf L o g i k , Ethik und Naturrecht, für die Ausbildung i m Kirchenrecht notwendig. Die Geschichtswissenschaft liefert methodische Erkenntnisse. I m Eherecht ist das Kirchenrecht besonders auf die Erkenntnisse der Humanwissenschaften verwiesen. 8 9 In diesem Sinn leistet Kirchenrecht durchaus einen wesentlichen Beitrag i m Rahmen einer kommunikativen Theologie. Diese von der Sache her gegebene Verwiesen- und Verbundenheit sollte Ansporn auch zum gemeinsamen Lehren und Forschen sein.

Antworten der Theologie. Hg. von Theodor Schneider (= QD 157). Freiburg / Basel / Wien 1995,236-253, hier 236. 85

Riedel-Spangenberger, ebd., 249. Vgl. dazu Wilhelm Rees, Communicatio in sacris und consortium totius vitae. Kirchenrechtliche Überlegungen im Blick auf die konfessionsverschiedene Ehe, in: DPM 7 (2000) 69-95, und die darin skizzierten Bemühungen der ökumenischen Forschungsgruppe an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck; ferner auch ders., Taufe, Ökumene, Kirchenrecht. Von den Ansätzen des Zweiten Vatikanischen Konzils hin zu neueren Texten und Aussagen, in: Iustitia et Aequitas Canonica. Festschrift für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag (erscheint 2001). 86

87

Vgl. PontConsUnit, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über die Normen des Ökumenismus vom 25. März 1993, Nr. 78, in: AAS 85 (1993) 10391119, hier 1071; dt. VApSt 110. Bonn 1993, 47; vgl. auch PontConsUnit, Die ökumenische Dimension in der Ausbildung / Bildung derer, die in der Pastoral tätig sind von 1998, VApSt 134. Bonn 1998. 88

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wilhelm Rees, Konkordate und Kirchenverträge als sachgerechte Form der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche Anmerkungen im Blick auf die Europäische Union, in: Ringvorlesung am Zentrum für Europäisches Recht (Recht und Europa 3). Hg. v. Fritz ReichertFacilides. Wien 1999, 115-138; ferner Markus Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS Listi, 29-47. 89 Vgl. Richard Puza, Katholisches Kirchenrecht (= Uni-Taschenbücher 1395), 2. überarb. Aufl., Heidelberg 1993,285 f.

340

Wilhelm Rees

Diese oben genannten Prinzipien und Vorgaben versucht das Fach Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck zu verwirklichen. Bewußt hat sich das Fach mit der Pastoraltheologie sowie mit der Katechetik und Religionspädagogik zum Institut für praktische Theologie zusammengeschlossen unter Einbindung eines systhematischen Theologen , 9 0 Darin zeigt sich die Eingebundenheit des Kirchenrechts in die Dogmatik und zugleich dessen pastorale Ausrichtung. Dabei konzentriert sich die Lehre entsprechend der kirchlichen Praxis und der Einteilung des Codex Iuris Canonici schwerpunktmäßig auf den Bereich der Allgemeinen Normen und die Begründung des kirchlichen Rechts, auf das kirchliche Verfassungsrecht, den Verkündigungs- und Heiligungsdienst sowie das kirchliche Eherecht. Darüber hinaus werden Fragen aus anderen Rechtsbereichen, w i e dem kirchlichen Vermögensrecht, dem Straf- und Prozeßrecht und dem Staatskirchenrecht aufgegriffen. Besonderes Gewicht w i r d auf das österreichische Teilkirchenrecht, insbesondere die Diözesangesetze sowie die Gesetze der Österreichischen Bischofskonferenz, gelegt, ohne aber aufgrund der internationalen Zusammensetzung der Studierenden den weltkirchlichen Bezug zu vernachlässigen. Insgesamt geht es nicht nur u m die Darlegung des Rechts der Lateinischen Kirche, sondern i m B l i c k auf die zahlreichen Studieren aus den katholischen Ostkirchen auch um das Recht dieser mit Rom unierten Kirchen. Hinzu kommt der B l i c k auf die Rechtsordnungen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften, so die orientalischen Kirchen sowie die kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind. Insgesamt sollen die Studierenden der katholischen Theologie befähigt werden, das Recht der Kirche in der Praxis sachgemäß anzuwenden bzw. kirchliches Handeln aus der Sicht der kirchenrechtlichen Bestimmungen und Vorgaben sachgemäß zu beurteilen. Dies gilt für Studierende, die den priesterlichen Dienst bzw. einen anderen kirchlichen Dienst anstreben, ebenso, w i e für diejenigen, die sich als Religionslehrerinnen und -lehrer in den Dienst der Schule stellen wollen. Die Beschäftigung mit dem kirchlichen Recht an der Theologischen Fakultät unterscheidet sich in Lehre und Forschung von dessen Behandlung an juridischen Fakultäten sowie an einer evangelisch-theologischen Fakultät. Da sich entgegen der Tradition an der Juridischen Fakultät Innsbruck seit dem Tod von Peter Leisching 9 1 kein eigener Lehrstuhl für Kirchenrecht befindet, kann die Theologische Fakultät mit ihrem Lehrangebot b z w . mit speziellen Lehrveranstaltungen auch Studierenden der Juridischen Fakultät Einb l i c k in das kirchliche Recht bzw. das Staatskirchen recht geben. Dieses Ange-

90

Vgl. im einzelnen Profil des Instituts für Praktische Theologie an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Innsbruck (http://praktheol.uibk.ac.at/profil/ ). 91 Vgl. dazu Wilhelm Rees, Nachruf auf Peter Leisching, in: AfkKR 168 (1999) 109-

112.

Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck

341

bot trägt wesentlich auch zur geforderten und notwendigen Kooperation mit anderen Fakultäten bei. Insgesamt gilt es aber in Zukunft w o h l stärker, die gesellschaftliche Relevanz des Kirchen rechts, aber auch der Theologie insgesamt wieder in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit bewußt und beheimatet zu machen. Ist das Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät heute etwas gänzlich Neues? In der Vergangenheit war an der Innsbrucker KatholischTheologischen Fakultät Kirchenrecht immer mit der Theologie insgesamt verbunden und unter dem Aspekt des Praktischen gesehen worden, ohne auf rechtsgeschichtliche Bezüge zu verzichten. Gerade der Jubilar hat sich dem Grundsatz „Traditio - Lehrmeisterin der Zukunft" in seinem Forschen und Lehren immer verpflichtet gewußt. Wenngleich das Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Innsbruck heute zunächst auf die Praxis und damit auf die je berufsspezifische Ausbildung der Studierenden hin orientiert ist, so möchte, j a kann und darf es auch in Zukunft das Leitmotiv des Jubilars nicht aus den Augen verlieren. Oder anders gesagt: Nur wer sich seiner Vergangenheit bewußt ist, hat Z u k u n f t . 9 2

92

2001.

Werbeslogan der Israelitischen Kultusgemeinde, Wien, in Österreich im Januar

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie Von Albert Haunschmidt

I . Grundlegung Die Eucharistie ist zentraler Selbstvollzug, Wesensausdruck und Auferbauung der Kirche. 1 Gerade bei der Eucharistie realisiert sich die Kirche als Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung der Menschen mit Gott und untereinander. 2 Die Eucharistie zielt also auf die Communio zwischen Gott und Menschen und den Menschen untereinander. ,3eim Brechen des eucharistischen Brotes erhalten wir wirklich Anteil am Leib des Herrn und werden zur Gemeinschaft mit ihm und untereinander erhoben." 3 Die sinnvolle und fruchtbare Mitfeier der Eucharistie setzt seitens des Teilnehmers voraus, dass der Partizipant und Kommunikant innerlich bereit und offen ist für dieses Ziel der Communio.4 Sowohl die Wirklichkeit der Sünde als Absonderung von Gott und den Menschen5 wie auch ein objektiver Sachverhalt (wie z.B. das gutgläubige Festhalten an irrigen Glaubensauffassungen oder die

1 Vatll LG 11 Abs. 1; Hans Bernhard Meyer, Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral, in: Hans Bernhard Meyer / Hansjörg Auf der Maur / Balthasar Fischer u. a. (Hg.), Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Teil 4. Regensburg 1989, 33 f.; Reinhild Ahlers, Eucharistie, in: Reinhild Ahlers / Libero Gerosa / Ludger Müller (Hg.), Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht. Paderborn 1992,13-25, hier 13. 2

Vatll LG 1 Abs. 1; cc. 897, 899 § 2; Ahlers, Eucharistie (Anm. 1), 14; Georg May, Die kirchliche Ehre als Voraussetzung der Teilnahme an dem eucharistischen Mahle (EThSt 8). Leipzig 1960,8 u. 12 f. Vatll LG 7 Abs. 2: „In fractione panis eucharistici de Corpore Domini realiter participantes, ad communionem cum Eo ac inter nos elevamur." Dt. Übersetzung: L T h K 2 Konzilskommentar, Bd. 1,167. 4

Vgl. auch A E M , 1. Kap., Nr. 55.

Vgl. die Erwähnung des Geistbesitzes in Vatll LG 14 Abs. 2 als inneres Element der vollen Kirchenzugehörigkeit.

344

Albert Haunschmidt

subjektiv guten Gewissens vollzogene Verweigerung der Gemeinschaft mit den Gliedern, insbesondere den Hirten der katholischen Kirche) konterkarieren das Sinnziel der Eucharistiefeier wie der Kirche, nämlich das Ziel der Einheit 6 , sodass sich daraus Einschränkungen in Bezug auf die Zulassung zur Eucharistiefeier ergeben. Das Stehen in der Communio ecclesiastica ist Voraussetzung für die Zulassung zur Communio eucharistica. Dies ist die von Anfang an geltende Glaubensauffassung und Glaubenspraxis in der Kirche gewesen.7 Auch die für den Eucharistieempfang festgelegten Voraussetzungen der eucharistischen Nüchternheit, der Beschränkung bezüglich der Häufigkeit des Empfangs, eines gewissen Mindestwissens sowie der sittsamen Kleidung lassen sich im Hinblick auf dieses Sinnziel der Eucharistie verstehen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen gewährleistet nämlich, dass das Sinnziel der Eucharistie jedenfalls leichter oder vollkommener erreicht wird. Dass die Taufe Vorraussetzung für den Eucharistieempfang ist, erklärt sich daraus, dass der ordentliche Heilsweg, die Rechtsfertigungsgnade zu empfangen, die Taufe ist 8 und die Taufe zugleich die Eingliederung in die Kirche schafft. 9 I I . Begriffliche Differenzierung Unter der anstehenden Thematik sollen zwei Bereiche rechtlicher Wirklichkeit erörtert werden, einerseits die Zulassung zur Eucharistie im weiten Sinn, das heißt die Zulassung von Rechts wegen - diese Zulassung ist identisch mit dem subjektiven Recht auf Empfang der heiligen Kommunion - , andererseits die Zulassung seitens des Spenders der heiligen Kommunion. In diesem Sinn sagt P. Krämer, freilich die anstehende Frage ins Negative gewendet, dass zu unterscheiden sei zwischen „Nichtberechtigung" und „Nichtzulassung" 10 .

6

Vgl. Cyprian, De cath. eccl. unitate, 7 (CSEL, Bd. 3/1, Wien 1868, 215 f.); Alexander Gerken, Theologie der Eucharistie. München 1973,85 f. u. 91 f. 7 Vgl. 1 Kor 5,1 ff; 1 Kor 11,17 ff.; Richard A. Strigi , Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, in: HdbKathKR 1 , 923-929, hier 923 f.; Peter Neuner, Ein katholischer Vorschlag zur Eucharistiegemeinschaft, in: StdZ, 443-450, hier 445 f.; vgl. auch c. 96: „..., quatenus in ecclesiastica sunt communione...".

g

Konzil von Trient, 6. Sitzung am 13.1.1547, Dekret über die Rechtfertigung, Kap. 4 u. 7 (D 1524 u. 1529). 9 Vgl.cc. 96 u. 849. Peter Krämer, Kirchenrecht I. Wort - Sakrament - Charisma (Kohlhammer Studienbücher Theologie 24/1). Stuttgart 1992,73.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

345

Beide Begriffe der Zulassung sind also nicht gänzlich deckungsgleich. Nicht jedes Mal, wenn das Recht auf die heilige Kommunion verwirkt ist, ist der Spender zugleich verpflichtet, die heilige Kommunion zu verweigern. 11 Bisweilen richtet sich das Verbot des Kommunionempfangs nur an den Bittsteller um die heilige Kommunion, der es an sich selbst zu vollziehen hat, nicht jedoch an den Spender. 12 „Der Kreis derer, die nicht zum Kommunionempfang berechtigt sind, ist also größer, als der Kreis derer, die abgewiesen werden müssen." 13 Dennoch wird man diese grundsätzliche Differenzierung wieder ein wenig relativieren müssen, denn c.912 räumt nur jenen ein Recht auf die heilige Kommunion ein, die rechtlich nicht gehindert sind, und zugleich gesteht c. 843 § 1 den Amtsträgern einschlussweise die Möglichkeit 14 zu, die Sakramente zu verweigern, wenn ein rechtlicher Hinderungsgrund vorliegt. Aus c. 843 § 1 lässt sich freilich keine Verweigerungspflicht ableiten. Wenn also gewisse den Kommunionempfang einschränkende Normen sich auch an den Empfänger wenden, so kann doch der Spender im Ausnahmefall, etwa um Ärgernis zu vermeiden, im Sinne der salus animarum (als suprema lex) die heilige Kommunion verweigern. Dies trifft jedoch niemals für die Norm des c. 916 zu, da sich die Beurteilung innerer Vorgänge einem Außenstehenden stets entzieht.15 Anwendbar scheint mir diese Überlegung aber bei jenen von den Normen der cc. 917,919 und 1722 geregelten Materien zu sein.

11

Vgl. z. B. c. 915 mit c. 916 oder c. 915 mit c. 1331 § 1 n. 2.

12

Vgl. z. B. c. 916; Matthäus Kaiser, Wer darf nicht zur heiligen Kommunion zugelassen werden? Zur Interpretation von c. 915 CIC mit besonderer Berücksichtigung der Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene davon betroffen sind, in: FS Schmitz, 175206, hier 179. 13

Krämer, Kirchenrecht I (Anm. 10), 73; vgl. auch Heribert Schmitz, Taufe, Firmung, Eucharistie. Die Sakramente der Initiation und ihre Rechtsfolgen in der Sicht des CIC von 1983, in: AfkKR 152 (1983), 369-407, hier 404.407. Vgl. die Formulierung „denegare non possunt" in c. 843 § 1. 15

Vgl. Helmuth Pree, „Unio Irregularis" - Der Sakramentenempfang von Geschiedenen, geschiedenen Wiederverheirateten, ehelos Zusammenlebenden und nur zivil verehelichten Katholiken nach kanonischem Recht, in: Klaus Ludiche / Hans Paarhammer / Dieter A. Binder (Hg.), Neue Positionen des Kirchenrechts. Graz 1994, 119-152, hier 145.

346

Albert Haunschmidt

I I I . Das Recht auf Empfang der heiligen Kommunion Dass das Recht auf Empfang der Sakramente (c. 213) ein grundlegendes Recht darstellt, ergibt sich aus dem theologischen Grunddatum des allgemeinen Heilswillens Gottes. Gott wirkt sein Heil vor allem durch die Sakramente 16, und dabei nimmt die Eucharistie eine besondere Stellung ein. Das Recht auf den Kommunionempfang ist weit zu interpretieren. 17 C. 843 § 1 legt nun dieses Grundrecht auf Empfang der Sakramente auf den Spender um und macht ihm die Spendung der Sakramente unter bestimmten Voraussetzungen zur Pflicht. 18 Vorausgesetzt ist die Opportunität der Bitte, das heißt die Amtsträger sind nicht jederzeit und an jedem Ort zur Spendung verpflichtet, sondern es muss eine Angemessenheit bestehen, die auch von der aktuellen Dringlichkeit des Sakramentenempfangs abhängt.19 Weiters vorausgesetzt ist die rechte Disposition, das heißt, der Empfänger muss die Intention haben, das Sakrament zu empfangen, und er muss durch Glauben und sittliche Haltung (Reue oder Gnadenstand) bereitet sein für den (fruchtbaren) Empfang der sakramentalen Gnade.20 Als dritte Voraussetzung ist verlangt, dass kein rechtlicher Hinderungsgrund gegeben ist. Die Formulierung des c. 912, der die Pflicht des Spenders im Hinblick auf die heilige Kommunion konkretisiert, wirft Interpretationsprobleme auf, insofern c. 912 weder die Opportunität der Bitte noch die rechte Disposition als Voraussetzung nennt, sondern lediglich verlangt, dass der betreffende Empfänger rechtlich nicht gehindert ist.

16 Konzil von Trient, 6. Sitzung am 13.1.1547, Dekret über die Rechtfertigung, Kap. 4 u. 7 (D 1524 u. 1529) u. 7. Sitzung am 3. 3. 1547, Dekret über die Sakramente, Vorwort u. Kan. 4 (D 1600, 1604),Ludwig Ott, Grundriß der katholischen Dogmatik. Freiburg i. B. 10 1981, 408 f.; vgl. auch Helmuth Pree, Das Recht auf die Heilsgüter (c.213), in: HID 48 (1994), 273-291, hier 273. 17

Pree, Recht (Anm. 16), 274 u. Anm. 10 auf 274; vgl. auch Vatll LG 37 Abs. 1, worin das Recht der Christgläubigen angesprochen ist, von ihren Hirten aus den geistlichen Gütern reichlich („abundanter") zu empfangen. 18

Klaus Lüdicke, c. 843, Rdnr. 1, in: M K CIC (Stand: April 1996); Frederick Marius, c. 843 § 1, in: TCCL, 609. 19 20

R. Mc

Klaus Lüdicke, c. 843, Rdnr. 3, in: M K CIC (Stand: April 1996).

Leo Scheffczyk, Art. Disposition III. Theologisch, in: LThk 3 3, 267 f., hier 268. Vgl. auch Konzil von Trient, 7. Sitzung vom 3. 3. 1547, Dekret über die Sakramente, Kan. 6 (D 1606), welcher die Disposition rein negativ als Freisein von einem „obex" gegenüber der Gnade bestimmt, womit auch der Sakramentenempfang desjenigen, der noch nicht zum usus rationis gelangt ist, als durchaus sinnvoll ausgewiesen ist (ζ. B.: Säuglingstaufe).

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

347

Wenn R. Ahlers und H. J. F. Reinhardt c. 912 als lex specialis zu c. 843 § 1 ansehen, sodass also im Fall des Eucharistieempfangs bloß das Erfordernis des Freiseins von rechtlichen Hindernissen gälte 21 , hieße dies konsequentenveise, dass der Spender auch zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Spendung der Eucharistie verpflichtet wäre. Wenn man aber zugibt, dass das Erfordernis der Opportunität der Bitte gemäß c.843 §1 auch für den Eucharistieempfang gilt, wieso sollte dies nicht auch für das Erfordernis der Disposition gelten? Dagegen ließe sich freilich einwenden, dass c. 912 nur das grundsätzliche Recht auf Zulassung anspricht, nicht jedoch ein jederzeit ausübbares Recht. Der Verweis von R. Ahlers 22 auf c. 916, dass nämlich dieser Canon die Frage der Disposition im Hinblick auf den Eucharistieempfang regle, vermag ihre Ansicht nicht zu erhärten, da nicht allein der fehlende Gnadenstand, sondern auch andere Sachverhalte einen Mangel der Disposition zu bewirken vermögen. 23 J. Cleve weist darauf hin, dass die Worte „rite dispositus" mit Bedacht im Text des c. 912 weggelassen worden sind 24 , was den Schluss nahelegt, dass die mangelnde Disposition kein für sich bestehender Grund zur Verweigerung der Eucharistie ist, es sei denn, der Mangel an Disposition stellte zugleich ein rechtlich festgelegtes Hindernis dar. J. Hendriks vermutet dagegen, dass die Auslassung der Wortfolge „rite dispositus" in der Formulierung des c. 912 lediglich besagen soll, dass der Spender nicht nachforschen muss und soll, ob der Empfänger auch disponiert ist. 25 Steht dagegen die Indisponiertheit offenkundig fest, kann 26 der Spender die

21

Ahlers, Eucharistie (Anm. 1), 19; Reinhild Ahlers, Eucharistie und Kirche. Kirchenrechtliche Implikationen einer eucharistischen Ekklesiologie, in: ThPQ 140 (1992), 35-40, hier 39; Heinrich J. F. Reinhardt, Das Recht der Gläubigen auf Sakramentenempfang, in: Kat. Bl. 116 (1991), 614-621, hier 619. 22 23

Ahlers, Eucharistie (Anm. 1), 19. Vgl. c. 913.

Jürgen Cleve, Die Interpretation von c. 915 CIC im Kontext der fundamentalen Pflichten und Rechte aller Gläubigen, in: Festg. Heinemann (70), 385-396, hier Anm. 5 auf 385; vgl. Communicationes 13 (1981), 411: Demnach wurde der Vorschlag eines Konsultors zu c. 73 CIC Schema 1975 - dem Vorläufer-Canon von c. 912 - noch die Wortfolge „rite dispositus" einzufügen, seitens des Coetus specialis de Sacramentis abgelehnt - eine Begründung dafür ist in den Communicationes nicht veröffentlicht. 25

Jan Hendriks, „Ad sacram communionem ne admittantur...". Adnotationes in can. 915, in: PerRMCL 79 (1990), 163-176, hier 164 f. Hendriks, ebd., 163-176 spricht diese Konsequenz nicht an. Aus dem Wortlaut von c. 843 § 1 ergibt sich freilich nicht ohne weiteres eine rechtlich festgelegte Pflicht

348

Albert Haunschmidt

heilige Kommunion aufgrund von c. 843 § 1 auch verweigern. Doch auch diese Ansicht ist problematisch, da ein nicht disponierter Empfänger, der jedoch rechtlich nicht gehindert ist 2 7 , nach c. 912 weiterhin das Recht auf Empfang der heiligen Kommunion hat. Mir scheint, dass sich die Canones 843 § 1 und 912 bei einer wortgetreuen Auslegung für den Fall, dass zwar kein rechtlicher Hinderungsgrund vorliegt, wohl aber eine offenkundige Indisponiertheit, nicht miteinander in Einklang bringen lassen, es sei denn, man nähme an, dass die Formulierung „iure prohiberi" in c. 912 auch die Bedingungen der Opportunität der Bitte und der Disposition nach c. 843 § 1 einschlösse, das heißt dieselbe Formulierung in den cc. 843 § 1 und 912 einen abweichenden Bedeutungsinhalt hätte. Im Konfliktfall wird man im Sinne der salus animarum als suprema lex entscheiden müssen, das heißt, dass das Wohl des um die Sakramentenspendung Bittenden wie auch das Wohl der Eucharistie feiernden Gemeinde und all ihrer Glieder gegeneinander abzuwägen ist. I V . Die Nichtzulassung zur heiligen Kommunion Unter diesem Titel sollen jene Tatbestände erörtert werden, die für den Spender einen rechtlich festgelegten Grund darstellen, dass er die heilige Kommunion zu verweigern hat. 1. Die auf Grund eines Feststellungs- oder Verhängungsurteils oder -dekrets Exkommunizierten oder Interdizierten und die hartnäckigen Sünder (c. 915) Während der erste Teil der Tatbestandsbeschreibung (abgekürzt in der Folge: c. 915 I) eigentlich keinerlei Interpretationsprobleme mit sich bringt - zu beachten ist nur, dass eine Pflicht zur Verweigerung für den Spender erst dann entsteht, wenn die Strafe festgestellt ist oder die betreffende Person unter den zweiten Teil der Tatbestandsbeschreibung fällt - , gilt dies umso mehr für den zweiten Teil der Tatbestandsbeschreibung: „aliique in manifesto gravi peccato obstinate perseverantes" (abgekürzt in der Folge: c. 915 II). * ,

Dabei muss gleich zu Beginn eine fehlerhafte Interpretation zurückgewiesen werden, nämlich die Ansicht jener, die aus c. 915 I ableiten, dass ipso facto Exkommunizierte oder Interdizierte, deren Strafe nicht festgestellt ist, in kei-

zur Verweigerung, sollte eine der hier genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sein. So bleibt es dem Spender ja auch anheim gestellt, ob er eine nicht opportun gestellte Bitte um Sakramentenempfang erfüllt oder nicht. 27

Z. B. ein offenkundig schwer Betrunkener, der sich zufällig in der Kirche „verirrt".

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

349

nem Fall von der Kommunion abgewiesen werden dürften, da die Zuziehung der Strafe nicht rechtsnotorisch sei. 28 Dieser Umkehrschluss ist nicht zulässig, da bei denjenigen, deren Tatstrafe noch nicht festgestellt ist, ja zugleich die Tatbestandsmerkmale des c. 915 II zutreffen können. Ebenso ist K. Lüdickes Vorschlag 29 , dass „ne admittere" in c. 915 auch nur das Abraten in pastoralem Gespräch bedeuten könnte, mit Verweis auf c. 912 abzulehnen. Oder meint K. Lüdicke, dass das Recht auf die heilige Kommunion gemäß c. 912 nur darin bestehe, dass der Spender bloß den Gang zur Kommunion empfehle? Ich möchte noch auf eine weitere - wie mir scheint - fehlerhafte Interpretation hinweisen: Eine Reihe von Autoren 30 geben dem Ausdruck „manifestus" die Bedeutung von „allgemein bekannt", sodass eine Kommunionverweigerung nur dann in Frage käme, wenn die Sünde des Betreffenden allgemein bekannt wäre. ,Manifestus" bedeutet jedoch nicht „öffentlich" oder „allgemein bekannt", sondern meint die sichere Evidenz eines Sachverhalts, die gesteigerte Gewissheit, die Beweisbarkeit in foro externo und kommt im Bedeutungsgehalt dem zweiten Bestandteil der notorietas facti (im Sinne von c. 2197 n. 3 CIC/1917) sehr nahe.31 Somit ist eine Offenkundigkeit denkbar, „... die nur wenigen verschwiegenen Personen zugänglich ist . . . " 3 2 „Manifestus" leitet sich etymologisch ab aus der Zusammensetzung von „manus" und „fendo" 33 und bedeutete wohl ursprünglich „bei dem Diebstahl

28

Klaus Lüdicke, Auch ich verurteile dich nicht Aufgabe und Grenzen des Kirchenrechts am Beispiel der Eucharistiezulassung, in: Franz Pototschnig / Alfred Rinnerthaler (Hg.), Im Dienst von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck, (Kirche und Recht 17), 497-517, hier 513·, Ahlers, Eucharistie und Kirche (Anm. 21), 39; Richtig dagegen: Kaiser, Kommunion (Anm. 12), 175; 190. 29 So: Lüdicke, Aufgabe ( Anm. 28), 514. 30

Hans Heimerl / Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht (Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft). Wien 1983, 271 f; Pree, „Unio Irregularis" (Anm. 15), 142; Klaus Lüdicke, c.915, Rdnr. 4 u. 5, in: M K CIC (Stand: Erstausgabe); John M. Huels, cc. 915 u. 916, in: TCCL, 653; Schmitz, Taufe (Anm. 13), 400, welcher sich irrtümlich auf Mörsdorf R, 365 mit Anm. 23 beruft, obwohl K. Mörsdorf hier in Bezug auf c. 1240 § 1 n.6 CIC/1917 festhält, dass die Aneinanderreihung von „publiais" und „manifestus" der faktischen Notorietät gleichkomme, „manifestus" für sich allein also gerade nicht die Publizität miteinschließe. 31

May, Ehre (Anm. 2), Anm. 5 auf 96.

32

May, ebd., 96 f.

350

Albert Haunschmidt

mit der Hand ergriffen". 34 So ergab sich die Bedeutung: „auf frischer Tat ertappt; handgreiflich; offenbar". 35 In c. 867 Schema CIC 1980 wurde die Publizität der Sündentat als Tatbestandsmerkmal noch ausdrücklich angeführt. Zur heiligen Kommunion durften demnach nicht zugelassen werden: „..., qui publice deliquerunt et in contumacia manifesto persévérant". Aus dieser Formulierung geht hervor, dass man sich der unterschiedlichen Bedeutung von „manifestus" und „publicus" bewusst war. Leider ist nicht klar, wieso bei der Überarbeitung des CIC Schemas 1980 das Element der Publizität wieder gestrichen wurde. C. 913 CIC Schema 1982 ist wortgleich mit c. 915. Dass „manifestus" bloß die gesteigerte Gewissheit meint, nicht jedoch die Publizität, ergibt sich auch aus einer Analyse der entsprechenden Canones. 36 Eine manifeste Sünde ist somit jene Sünde, die keine reine Gedankensünde ist, die also sinnlich wahrnehmbar und gewiss ist. Das aus der Beichte gewonnene Wissen kann selbstverständlich nie eine Offenkundigkeit im Sinne von c. 915 begründen. 37 Insofern ist also auch geheimen Sündern die heilige Kommunion zu verweigern, sofern nur ihr hartnäckiges Verharren in der Sünde offenkundig ist. Um Ärgernis - die Verweigerung der heiligen Kommunion könnte ja zum Bekanntwerden einer bisher geheimen Sünde führen und somit Ärgernis erst auslösen - und Verwirrung - Gläubige wagten unter Umständen nicht mehr um die heilige Kommunion zu bitten, selbst dann, wenn sie recht disponiert sind, da ihnen die Abweisung als unverständlich erscheinen muss, wenn die Sünde geheim ist - unter den Gläubigen zu vermeiden, wird man jedoch im Sinne der

33

Heinrich Georges / Karl E. Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Bd. 2. Tübingen 9 1951,797. 34 Alois Walde / Johann B. Hofmann, Lateinisches-Etymologisches Wörterbuch, (Indogermanische Bibliothek. Erste Abteilung: Lehr und Handbücher. II. Reihe: Wörterbücher), Bd. 1. Heidelberg 1938,698. 35

Walde jHofmann, ebd., 698.

36

Für den CIC/1917 vgl. Mörsdorf

R, 365.

Für den CIC vgl. cc. 41; 749 § 3,831 § 1;1645 §§ 1 f.; 1654 § 2. Vgl. auch Hendriks, „Ad sacram communionem . . . " (Anm. 25), 170; Royce R. Thomas, c. 1184, in: TCCL, 840. 37

Vgl. cc. 983 § 1; 984 §§ 1 u. 2; 1388 § 1.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

351

Würdigung der rechtlichen Tradition 38 (c. 6 § 2) und auf Grund der Grundausrichtung des kirchlichen Rechts auf die salus animarum (c. 1752) nach der in c. 855 § 2 CIC/1917 gegebenen Regel vorgehen müssen, das heißt, geheimen Sündern darf und muss die heilige Kommunion gewöhnlich nur dann verweigert werden, wenn sie im Geheimen darum bitten. Während es bei der Zurückweisung des öffentlichen Sünders vor allem um die Vermeidung von Ärgernis und die Sicherstellung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Sendung geht, geht es bei der Zurückweisung des geheimen Sünders um dessen Besserung. Im Sinne von c. 855 § 2 CIC 1917 muss auch beim geheimen Sünder die Besserung nach außen sichtbar werden, dass er wieder zur Eucharistie zugelassen werden kann. Dass c. 915 II nicht von der Publizität der Sünde spricht, hängt m. E. damit zusammen, dass andernfalls ja keine rechtliche Legitimation für die Verweigerung der heiligen Kommunion an einen geheimen Sünder im Fall der geheimen Bitte bestünde. M.E. wäre zu wünschen gewesen, wenn c. 915 wie früher c. 855 CIC/1917 genauer differenziert hätte. Zur Beantwortung der Frage, welche Tatbestände als schwere Sünde zu qualifizieren sind, hat man sich an die loci theologici proprii zu halten.39 Insbesondere den Entscheidungen des kirchlichen Lehramts kommt dabei große Bedeutung zu. 40 Unter den Kanonisten besteht auch eine Meinungsverschiedenheit, ob mit der Tatbestandsbeschreibung des c. 915 II die subjektiv 41 oder die objektiv 42 schwere Sünde gemeint ist.

38

Die mit Quellenangaben versehene, von der PCI herausgegebene Edition des CIC/1983 gibt nicht nur § 1, sondern auch § 2 des c. 855 CIC/1917 als Quelle für c. 915 an. § 2 regelt die Frage des geheimen Kommunionempfangs. Zu bedenken ist freilich, dass die Quellenangaben nicht immer zur Gänze zutreffen müssen. 39 Vgl. Josef Mausbach /Gustav Ermecke, Katholische Moraltheologie. Die allgemeine Moral, Bd. 1, Münster 8 1954,43. 40 Vgl. cc. 750,752,753; 41 So: Klaus Lüdicke, c. 915, Rdnr. 4 u. 5, in: M K CIC (Stand: Erstausgabe); Klaus Lüdicke, Tathaftung oder Schuldhaftung? Zur Problematik der wiederverheirateten Geschiedenen angesichts der Grundprinzipien des kirchlichen Sanktionenrechts, in: Theodor Schneider (Hg.), Geschieden Wiederverheiratet Abgewiesen? (QD 157). Freiburg i. Bg. 1995, 254-266, hier 265 f.; John M. Huels, c. 915, in: TCCL, 653; Schmitz, Taufe (Anm. 13), 403 f.; Patrick J. Travers , Reception of the Holy Eucharist by Catholics attempting Remarriage after Divorce and the 1983 Code of Canon Law, in: Jurist 55 (1995) 187-217, hier 198-200; 203.

352

Albert Haunschmidt

Die Erklärung des päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten vom 24. 6. 2000 zu c.915 will diese Meinungsverschiedenheit zugunsten der These vom objektiven Sündenbegriff entscheiden: „Die drei geforderten Bedingungen sind: a) die schwere Sünde, im objektiven Sinn, denn die subjektive Anrechenbarkeit könnte der Kommunionspender nicht beurteilen..." 43 Zu dieser Erklärung ist manches kritisch anzumerken: Vorab stellt sich die formelle Frage nach der Autorität, welche dieser Erklärung zukommt. Nach Art. 155 Ap. Konst. PastBon handelt es sich nur dann um eine authentische Interpretation, wenn dafür eine Bestätigung seitens der päpstlichen Autorität gegeben worden ist. In der Veröffentlichung der vorstehenden Erklärung lässt sich keine Bemerkung darüber ausmachen, dass eine solche päpstliche Bestätigung gegeben worden wäre, weshalb der Schluss naheliegt, dass es sich um eine nicht-authentische Interpretation handelt 44 , welche nach den üblichen Regeln der kanonistischen Diskussion gemäß cc. 17 u.18 bewertet werden kann. Die Erklärung begründet den Vorzug für die objektive These nicht vom Wortlaut des Kanon her, sondern ausschließlich aus der Überlegung der Anwendbarkeit heraus, „...denn die subjektive Anrechenbarkeit könnte der Kommunionspender nicht beurteilen ," 4 5 Die Erklärung scheint jedoch den Vorzug für die objektive These nicht konsequent durchzuhalten. 46 Vorbehaltlich einer später vielleicht noch folgenden authentischen Interpretation schlage ich daher eine Auslegung von c. 915 II vor, die zwar einerseits das subjektive Moment auf der Seite des Sünders bis zu einem gewissen Grad berücksichtigt, andererseits die Anwendbarkeit von c. 915 II nicht grundsätzlich in Frage stellt. Bei meiner Überlegung möchte ich ausgehen von einem Vergleich zwischen c. 915 I und c. 915 II. Die von der Kommunionverweigerung betroffene Person ist nach c. 915 I jene, die durch ein Feststellungs- oder ein Verhängungsurteil oder -dekret exkommuniziert oder interdiziert ist. Ein solches Strafurteil oder -dekret

42

So: Pree, „Unio irregularis" (Anm. 15), 142-144; Georg May, Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen im kanonischen Recht, dargestellt an den cc. 915/916 CIC/1983, in: FKTh 9 (1993) 117-130, hier 122; Hendriks, „Ad sacram communionem..." (Anm. 25), 170-172; Adam Zirkel, Die kirchlichen Weisungen über die wiederverheiratet Geschiedenen. Wie sie zu verstehen und warum sie berechtigt sind, in: Klbl 71 (1991) 127-132, hier 128; Bruno Primetshofer, Zur Frage der Rechtsfolgen eines Kirchenaustritts aus finanziellen Gründen, in: FS Kaiser, 187-199, hier 195 f. 43 Dt. Übersetzung abgedruckt in: LOsservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache Nr. 28/29 v. 14.7. 2000,10. 44

Vgl. c. 131 § 3 . Erklärung (Anm. 43), Nr. 2a.

46

Siehe unten, 355.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

353

darf nur verhängt bzw. ausgefertigt werden, wenn die subjektive Zurechenbarkeit wenigstens im Sinne von c. 1321 § 3 feststeht. 47 Gründe, welche die strafrechtliche Zurechenbarkeit mindern oder aufheben, werden in cc. 1323 u. 1324 genannt. Gemessen an der Formulierung von c. 915 I läge es also nahe, auch bei c. 915 II die subjektive Situation des Sünders insoweit zu berücksichtigen, als offenkundige, nach außen in Erscheinung tretende objektive Faktoren diese Zurechenbarkeit einschränken. Das Tatbestandsmerkmal der Offenkundigkeit („manifestus") der Sünde scheint gleichfalls darauf abzuzielen, dass auch die subjektive Verantwortung für die Sünde gewiss ist. 48 Desgleichen ist das verwendete Adjektiv „obstinate" eher ein Hinweis darauf, dass die subjektive Sünde gemeint ist, denn die Hartnäckigkeit gründet ja in der Willenshaltung 49 (des Sünders). Freilich ist damit nicht ausgeschlossen, dass die Sünde wegen Mängel im Erkennen nicht voll zurechenbar ist. Schließlich weist auch das Erfordernis der strikten Auslegung gemäß c. 18 in die selbe Richtung. Objektive Gründe, welche die subjektive Zurechenbarkeit ausschließen, sind in Analogie zu cc. 1323 u. 1324 vor allem mangelnder Vernunftgebrauch, unverschuldete Unkenntnis von der sittlichen Norm, die übertreten wird 5 0 , und zu geringes Alter 5 1 .

47

Vgl. auch c. 1717 § 1 u. Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht - dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (KStuT 41). Berlin 1993,380. Travers, Reception (Anm. 41), 201; Travers schlägt vor, dass der Priester im pastoralen Gespräch die subjektive Verantwortlichkeit des Betroffenen klären solle. Der Priester solle den Betroffenen bitten, bis zu dieser Klärung im Gespräch nicht zur Kommunion zu gehen.(Tra vers, ebd., 212) Im Hinblick auf den Vorschlag Travers ist zu bedenken, dass die betroffene Person durch den Priester weder zu einem pastoralen Gespräch noch zu einem vorübergehenden Verzicht auf die hl. Kommunion verpflichtet werden kann. 49

Siehe unten, 354 f.

50

Unverschuldete Unkenntnis von einer Norm des natürlichen Sittengesetzes kann bei einem Menschen, der sich des Vernunftgebrauchs erfreut, kaum angenommen werden. (Mörsdorf Lb., Bd. 3,322; vgl. auch Rom 2,14). 51

Man wird davon ausgehen können, dass die Fähigkeit zur Begehung einer subjektiv schweren Sünde etwa mit der Pubertät eintritt. (Vgl. c. 1323 n. 1 i. V . m. c. 1321 § 1 u. c. 1413 § 1 CCEO i. V. m. c. 1414 § 1 CCEO;) Dies war auch schon allgemeine 25 FS Mühlsteiger

354

Albert Haunschmidt

Für jenen Bereich von Normen, die nicht Gegenstand einhelliger und klarer kirchlicher Verkündigung sind, muss, selbst wenn das päpstliche Lehramt die Normen an und für sich klar und deutlich lehrt, mit unverschuldeter Unkenntnis, ja mit unüberwindbarem Gewissensirrtum, geradezu gerechnet werden. 52 Diesfalls ist die heilige Kommunion nicht zu verweigern. Es entfällt ja auch der Gesetzeszweck, da ja nicht die Spendung der heiligen Kommunion, sondern die divergierende Verkündigung der sittlichen Lehre im Bereich der Kirche die eigentliche Ursache für das Ärgernis ist, und das sittliche Wertempfinden von daher bereits zerstört ist. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal von c. 915 II ist das Verharren („perseverare") in der Sünde, das nicht nur im wiederholten Begehen einer schweren Sündentat bestehen kann, sondern auch dann gegeben ist, wenn zwar nur eine schwere Sünde begangen worden ist, dieselbe jedoch offenkundig nicht bereut wird. Aus der Dauerhaftigkeit der Sünde kann nicht schon auf die Hartnäckigkeit geschlossen werden, denn sonst wäre das Wort „obstinate" überflüssig. Zu fragen ist also, was der Begriff „obstinate" zur Tatbestandsbeschreibung des c. 915 II hinzufügt. Das Wort „obstinate" kommt im CIC nur zweimal vor, einmal in c. 915, dann in c. 1007 5 3 Aus dem Zusammenhang dieser beiden Fundstellen lässt sich nichts in Bezug auf den Bedeutungsgehalt von „obstinate" ableiten. „Obstinare" meint ursprünglich „entgegenstemmen".54 Das dazugehörige Partizip Perfekt passiv „obstinatus" bezeichnet die Beharrlichkeit, die feste Entschlossenheit und Hartnäckigkeitsowohl im Guten wie im Bösen.55 „Obstinate" kann in unserem Zusammenhang folglich folgende Bedeutungsaspekte haben: entweder wollte der Gesetzgeber vor allem auf die innere Entschlossenheit abstellen, das heißt, die Auffassung, dass ein peccatum materiale genüge, ausschließen. Oder der Gesetzgeber wollte mit dem Ausdruck „obstinate" vor

Ansicht der Theologen des Mittelalters (Herbert Vorgrimler, (HDG 4/3). Freiburg i. B. 1978,107).

Buße und Krankensalbung

52

Dies könnte gegenwärtig für verschiedene Fragen der Sexualethik gelten. Dem betroffenen Katholiken ist ja nicht ohne weiteres einsichtig, dass er die Lehre des Papstes in jedem Fall der davon abweichenden Ansicht seines Bischofs oder Pfarrseelsorgers oder eines Theologieprofessors vorziehen muss, üben doch auch letztere ein Amt der Verkündigung im Namen der Kirche aus. 53

Vgl. Hartmut Zapp, Codex Iuris Canonici. Lemmata nis. Freiburg i. Β. 1986,486. 54 Walde /Hofmann, Wörterbuch (Anm. 34), 344. Georges / Georges, Handwörterbuch (Anm. 33), 1273.

Stichwortverzeich-

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

355

allem eine äußere Hartnäckigkeit im Tun umschreiben, das heißt, dass die Hartnäckigkeit ein reaktives Verhalten meint, dass also jemand trotz Mahnungen sein sündhaftes Verhalten fortsetzt. Nach J. M. Huels 56 ist dann von Hartnäckigkeit zu sprechen, wenn die betreffende Person „... does not heed the warnings of church authorities or adhere the church teachings." Demnach kann von Hartnäckigkeit nur gesprochen werden, wenn sich jemand bewusst ist, dass er mit seinem Handeln der kirchlichen Lehre widerspricht. Im Sinne der strikten Auslegung müsste man wohl beide Bedeutungselemente kombinieren. 57 Zu „gekünstelt" wirkt jedoch jene Interpretation, dergemäß eine Hartnäckigkeit immer erst nach einer individuellen Mahnung seitens des zuständigen Seelsorgers sicher feststehe, das heißt, die heilige Kommunion immer erst nach einer quasi - amtlichen Mahnung verweigert werden dürfte. Der Kommunionspender kann auch auf andere Weise zur Überzeugung von der Hartnäckigkeit des Sünders kommen: etwa wenn der Sünder auf allgemeine Mahnungen nicht reagiert, wobei es sicher feststeht, dass der Sünder von diesen Ermahnungen Kenntnis erlangt hat, oder wenn andere dem Sünder bereits Vorhaltungen gemacht haben, diese jedoch ergebnislos geblieben sind. Die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten zu c. 915 interpretiert das hartnäckige Verharren als „Bestehen einer objektiven Situation der Sünde, die in der Zeit fortdauert und die der Gläubige nicht aus der Welt schaffen will; es sind keine anderen Erfordernisse notwendig (herausforderndes Verhalten, vorausgehende Ermahnung usw.), damit die Situation in ihrer grundsätzlichen Schwere eintritt." 58 Auffallend ist, dass die Erklärung hier doch ein subjektives Moment mitberücksichtigt wissen will. 5 9 Wenn der Sünder sein Sündigen aufgibt, was natürlich nach außen in Erscheinung treten muss 60 , oder wenn die Sünde aufhört, nachweisbar zu sein, entfällt seitens des Spenders die Pflicht zur Verweigerung.

56

John M. Huels, c. 915, in: TCCL, 653.

57

Vgl. auch Schmitz, Taufe (Anm. 13), 401, der beide obig angeführten Inhalte im Ausdruck „obstinate perseverare" umfasst sieht. 58 Erklärung (Anm. 43), Nr. 2b. 59

Vgl. den Ausdruck „ w i l l " im obigen Zitat. Das Mitbeten des Schuldbekenntnisses bei der Messfeier kann freilich nicht genügen, denn dies ist keine eindeutige Distanzierung von einer bestimmten Sünde. Ebensowenig genügt ein rein innerer Akt der Reue im Sinne von c. 916, da diesfalls c. 915 schlichtweg nie angewendet werden könnte, weil der Kommunionspender niemals sicher ausschließen kann, dass der Sünder unmittelbar vor Empfang der heiligen Kommunion innerlich bereut hat. 60

356

Albert Haunschmidt

a) Exkurs: Die Situation der wiederverheirateten Geschiedenen Die bereits erwähnte Erklärung des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten zu c. 915 vom 24. 6. 2000 ist eine Reaktion auf jene Autoren, die in Frage stellen, ob auf jene Personen, die, trotzdem sie durch eine gültige oder wenigstens als gültig zu vermutende Ehe gebunden sind, eine weitere bloß zivile Ehe eingehen, die Tatbestandsmerkmale von c. 915 zutreffen, solange dieselben in der bloß zivilen Ehe verbleiben. 61 Die Einwände konzentrieren sich im allgemeinen auf zwei Tatbestandsmerkmale: So wird oftmals bestritten, dass der Geschlechtsverkehr innerhalb einer solchen irregulären Beziehung bzw. das Aufrechterhalten der Beziehung insgesamt überhaupt eine subjektiv 62 oder objektiv 63 schwere Sünde sei. Gegenüber diesen Argumenten muss man festhalten, dass bezüglich der objektiven Schwere der Sünde das Urteil des päpstlichen Lehramts maßgeblich ist. 64 Das päpstliche Lehramt aber sieht die Wiederverheiratung als objektiv schwere Sünde 65 , des gleichen auch den Intimverkehr innerhalb einer solchen irregulären Beziehung. 66

61

Es können hier weder die gesamte zu diesem Thema erschienene Literatur noch inhaltlich alle geäußerten Thesen Berücksichtigung finden. 62

Vgl. Reinhild Ahlers, Communio Eucharistica. Eine kirchenrechtliche Untersuchung zur Eucharistielehre im Codex Iuris Canonici (Est X X I X ) . Regensburg 1990, 144; Klaus Lüdicke, c. 915, Rdnr. 6, in: M K CIC (Stand: Erstausgabe);. John M. Huels, c. 915, in: TCCL, 653. Vgl. Kaiser, Kommunion (Anm. 12), 202; Matthäus Kaiser, Warum dürfen wieder-verheiratet Geschiedene (nicht) zu den Sakramenten zugelassen werden?, in: StdZ 211 (1993), 741-751; Ahlers, Communio Eucharistica (Anm. 62), 137, Hans Rotter, Fragen der Sexualität. Innsbruck 2 1984, 70-73; Bernhard Häring, Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens. Bd. 2. Freiburg i. Β. 1980, 515. 64

Vatll LG 25 Abs. 1.

65

K K K Nrn. 1650, 2384, 2400.

Dies ergibt sich einschlussweise auch aus dem Apostolischen Schreiben „Familiaris Consortio" vom 22. 11. 1981 Art. 84 Abs. 4 f. (AAS 74 (1982), 81-191, hier 185 f.), da ansonsten der Empfang der Kommunion und der Absolution nicht vom Verzicht auf den Intimverkehr abhängig gemacht worden wäre. Vgl. auch K K K Nr. 1650 u. 2353; Ilona Riedel-Spangenberger, Die Rechtsstellung der in kirchlich ungültiger Ehe lebenden Katholiken. Kirchenrechtliche Aspekte und Lösungsangebote zum Problem von Scheidung und Wiederheirat, in: Theodor Schneider (Hg.), Geschieden Wiederverheiratet Abgewiesen? (QD 157). Freiburg i. B. 1995, 236253, hier 241 ; Kaiser, Kommunion (Anm. 12), 192 f.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

357

Die bereits erwähnte Erklärung des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten zu c. 915 vom 24. 6. 2000 weist daraufhin, dass c. 915 lediglich die objektive Situation des Sünders in den Blick nimmt, weswegen c. 915 ohne Unterschied auf alle wiederverheiratet Geschiedenen Anwendung finden muss.67 In diesem Zusammenhang möchte ich auf die schon weiter oben geäußerte Kritik dieses Schreibens verweisen. Die subjektive Zurechenbarkeit ist demnach mitzubedenken und so lange anzunehmen, als nicht die objektive Situation das Gegenteil nahe legt. 68 So könnte eine allgemeine Verwirrung des sittlichen Bewusstseins in Bezug auf die moralische Qualifizierung von Wiederheirat nach Scheidung69 tatsächlich die subjektive Zurechenbarkeit objektiv fassbar in Frage stellen, sodass eine Anwendung von c. 915 II auf die obig genannte Personengruppe nicht jedes Mal in Frage käme. Ein weiterer Einwand gegen die Anwendbarkeit von c. 915 II auf die wiederverheirateten Geschiedenen stützt sich auf das Element der Offenkundigkeit der Sünde in der Tatbestandsbeschreibung. Da wiederverheiratete Geschiedene ja unter Umständen70 auch schon dann zur Absolution und zur Kommunion 67

Erklärung (Anm. 43), Nr. 2a.

68

Siehe oben, 353 f.

69

Vgl. dazu den Hirtenbrief der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz und die diesem angefügten Grundsätze „Zur seelsorglichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen und von wiederverheirateten Geschiedenen" vom 10. 7. 1993. Einen guten Einblick in die Verschiedenheit der Ansichten zur sittlichen Bewertung einer Zweitehe nach Scheidung gibt Alfons Auer, Zur Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen. Theologisch-ethische Anmerkungen, in: ThQ 175 (1995) 84—96. P. J. Travers meint, dass insbesondere unschuldig Geschiedene kaum einzusehen vermögen, dass eine Wiederverehelichung auch in ihrer Situation eine schwere Sünde sei. Travers , Reception (Anm. 41), 214. Er verweist auch darauf, dass manche Paare nicht imstande sind, auf Dauer enthaltsam zu leben. Travers , ebd., 215 f. Die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten zu c. 915 spricht in diesem Zusammenhang gleichfalls von einer „Verformung der Gewissen". Erklärung (Anm. 43), Nr. 1. Die Frage sei erlaubt, ob das Gewissensurteil in diesem Bereich nicht eher durch geduldige Überzeugungsversuche denn durch autoritäre Maßnahmen beeinflusst werden kann. 70

Die Trennung der Partner einer solchen irregulären Beziehung ist z.B. für den Fall, daß gemeinsame Kinder da sind, oder einer der beiden Partner pflegebedürftig ist, nicht gefordert. Johannes Paul 77., Familiaris Consortio Art. 84 Abs. 5, in: AAS 74 (1982) hier: 186; Schreiben der Glaubenskongregation vom 14. 9. 1994, Pkt. 4, in: AAS 86 (1994) 974—979, hier 976.

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zugelassen werden könnten, wenn sie ernsthaft bereit seien, wie Bruder und Schwester zusammenzuleben - die Aufhebung der äußeren Lebensgemeinschaft also nicht in jedem Fall unabdingbare Voraussetzung sei, könne der Kommunionsspender niemals sicher wissen, ob die Betroffenen eucharistiefähig seien oder nicht, da sie ja ernsthaft um die Cohabitatio fraterna bemüht sein und bereits gebeichtet haben könnten. 71 Demgegenüber ist zu betonen, daß die Praxis, die der Papst hier anspricht, - wie sich aus der rechtlichen Tradition ergibt - eine bloß in foro interno anzuwendende Praxis ist 7 2 , das heißt die Paare dürfen gewöhnlich nur dort zur Kommunion gehen, wo ihr Status nicht allgemein bekannt ist. Aus diesem Grund erinnern sowohl das Schreiben der Glaubenskongregation vom 14. 9. 1994 wie auch die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten in Bezug auf den Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen, die geschwisterlich zusammenleben, an die Voraussetzung der Vermeidung von Ärgernis. 73 Außerdem sind wiederverheiratete Geschiedene durch ihren Eheschließungsversuch und ihr Verbleiben in dieser Beziehung objektiv anfänglich stets als hartnäckige schwere Sünder anzusehen, da sie ja wohl nicht schon von Anfang an wie Bruder und Schwester zusammenleben wollen. Wenn sie aber wie Bruder und Schwester zusammenleben, dann muss ihre Besserung auch nach außen hin sichtbar werden. Andernfalls hören sie nicht auf, hartnäckige Sünder im Sinne von c. 915 II zu sein. Der Verzicht auf die Intimgemeinschaft bzw. das ernsthafte Bemühen darum ist freilich gewöhnlich keine ausreichend nach außen in Erscheinung tretende Verhaltensweise.

71

So: BernhardLiss, Krise - Scheidung - Neubeginn. Pastorale Erfahrungen in einer menschenfreundlichen Kirche. Würzburg 1990, 53; Riedel-Spangenberger, Die Rechtsstellung (Anm. 66), 246; Klaus Lüdicke, c. 915, Rdnr. 6, in: M K CIC (Stand : Erstausgabe); Lüdicke, Tathaftung (Anm. 41), Anm. 23 auf 259. 72

Pree, „Unio irregularis" (Anm. 15), 147; vgl. zur Entwicklung dieser Praxis: Josef Wenner, die Erlaubnis zur Cohabitatio fraterna bei unheilbar nichtiger Ehe, in: ThGl 48 (1958) 279-293, hier 282-293; vgl. auch die amtliche Interpretation des Schreibens der Glaubenskongregation vom 11.4.1973, in: Ochoa Leges V, 6572 f., Nr. 4187, durch ein vom Sekretär der Glaubenskongregation an den Vorsitzenden der US-Amerikanischen Bischofskonferenz gerichtetes Schreiben vom 21.3.1975, wonach ein Kommunionempfang seitens wiederverheirateter Geschiedener, die geschwisterlich zusammenleben, nur in jenen Kirchen, „...in which they are not known so that they will not create any scandal..." 0Ochoa Leges V I , 7605 f. Nr. 4657), gestattet ist. 73

Pkt. 4, AAS 86 (1994), 976; Erklärung (Anm. 43), Nr. 2 unten; vgl. auch Heinrich Flatten , Nichtigerklärung, Auflösung und Trennung der Ehe, in: HdbKathKR 1 , 815826, hier 818 f.

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359

Dass den wiederverheirateten Geschiedenen nach dem Willen des Gesetzgebers die heilige Kommunion gemäß c. 915 II zu verweigern ist - der bereits erörterte Fall der allgemeinen Zerrüttung des sittlichen Bewusstseins in unseren Breiten sei jetzt einmal ausgeklammert - dürfte sich schließlich aus einer Äußerung des obersten Gesetzgebers selbst ergeben: In Art. 6 § 1 Ziff. 2 des MP „Iusti Iudicis" vom 28. 6. 1988 74 werden diejenigen, die bloß in ziviler Ehe verbunden sind, unter jene gereiht, die „... manifesto in gravi peccato persévérant." Der inhaltliche Zusammenhang ist die Frage, wer aus der Anwaltsliste für Prozesse bei der Apostolischen Signatur und für hierarchische Rekurse bei den Dikasterien der Römischen Kurie zu streichen ist. Die angeführte Formulierung erinnert doch sehr deutlich an den Wortlaut von c. 915 II, sieht man vom hier fehlenden Ausdruck „obstinate" ab. 2. Die nicht angemessen Bekleideten

75

In unserem Zusammenhang ist auch auf die Instruktion der Konzilskongregation „De inhonesto feminarum vestiendi more" vom 12.1.193076, gerichtet an die Diözesanordinarien, einzugehen: Diese Instruktion erinnert die Ortsoberhirten an ihre Pflicht, die Frauen im Sinne von l T i m 2,9 f. zu ermahnen, sich sittsam zu kleiden. Zur Unterstützung dieses wichtigen Anliegens „... haec Sacra Congregatio, de mandato Sanctissimi Domini, ea quae sequuntur ad rem statuere decrevit:" Die schließlich folgende Norm Nr. IX lautet: „Puellae et mulieres, quae inhonestas vestes induunt, a Sancta Communione et a munere matrinae in sacramentis Baptismi et Confirmationis arceantur, atque si casus ferat, ab ipso ecclesiae ingressu prohibeantur." 77 Aus dem Vorwort der Instruktion ergibt sich, dass nicht schon schmutzige, schlampige oder ungewöhnliche Kleidung als inhonest im Sinne der Norm Nr. IX gilt, sondern nur jene Art von Kleidung, die andere zur Sünde contra Sextum aufzureizen imstande ist. Es stellt sich die Frage, ob diese Norm auch

74

AAS 80 (1988), 1258-1261, hier 1260.

75

Die in diesem Abschnitt erörterte Fragestellung ist auch gegenwärtig von Aktualität: Dem Verfasser sind Seelsorger bekannt, welche Frauen, die ihrer Meinung nach nicht sittsam gekleidet sind, aus der Kirche verweisen oder ihnen coram publico die hl. Kommunion verweigern. Es stellt sich also die Frage nach der rechtlichen Grundlage ihres Tuns. 76

AAS 22 (1930), 26-28.

77

Ebd., 27.

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gegenwärtig fortgilt: M.E. handelt es sich bei der in Frage stehenden Norm nicht bloß um eine Instruktion im Sinne von c. 34 § l 7 8 , sondern um ein Gesetz. Die Bezeichnung des Dokuments als Instruktion ist für sich genommen nicht aussagekräftig, denn der CIC/1917 enthält keine, dem c. 34 § 1 entsprechende Sprachregelung, ja der Ausdruck „instructiones" kann im CIC/1917 auch gesetzliche Bestimmungen meinen. Es lassen sich Beispiele von Instruktionen der Römischen Kurie nennen, die eindeutig Gesetzescharakter haben.79 Für den Gesetzescharakter spricht vor allem, dass in der Instruktion nirgends ein zugrundeliegendes Gesetz angeführt wird, worauf sich die vorliegende Instruktion bezöge, sowie die Rede davon, dass die Kongregation die Regeln „statuere decrevit". Der Ausdruck „statuere" ist ein gewichtiges Indiz dafür, „dass eine hoheitliche Äußerung gesetzlichen Charakter hat." 80 Die Normen sind außerdem ordnungsgemäß promulgiert, ebenso besteht ein ausdrückliches Mandat seitens des Papstes, sodass auch an der Kompetenz zur Gesetzgebung kein Zweifel sein kann. Zu fragen ist, ob die zu erörternde Norm im Widerspruch zu einer Norm des CIC steht und folglich gemäß c. 6 § 1 n. 2 aufgehoben wäre: C. 912 lässt durch seinen allgemeinen Verweis „qui iure non prohibeatur" auch Raum für eine außerkodikarische Einschränkung des Rechts auf die heilige Kommunion. Da die Norm nur weibliche Gläubige betrifft, scheint ein Widerspruch zu c. 208 vorzuliegen. Doch ist m.E. die unterschiedliche Behandlung von weiblichen und männlichen Gläubigen sachlich in der allgemein menschlichen Erfahrung begründet, dass Männer im geschlechtlichen Bereich auf optische Reize stärker reagieren als Frauen. 81 Auch die einschlägigen Stellen der heiligen Schrift sprechen bezüglich der Kleidungsfrage nur die Frauen an. 82 Dass diese Norm gemäß c. 6 § 1 n. 4 außer Kraft getreten ist, scheint mir nicht vertretbar, da das neue Recht ja die in Frage stehende Materie gar nicht

78

Sollte es sich doch um eine instructio im Sinne von c. 34 § 1 handeln, dann wäre als Rechtsgrundlage wohl c.1178 CIC/1917 heranzuziehen, welcher in c. 1210 seine inhaltliche Nachfolger-Norm hätte und die instructio würde gleichfalls fortgelten. 79 Mörsdorf R, 63. 80

Georg May I Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode. Regensburg 1986,153. 81 Seinen Grund hat dies in dem entwicklungsgeschichtlich bedingten Unterschied zwischen Mann und Frau hinsichtlich der Kriterien der Partnerwahl. (Vgl. dazu Athanasios Chasiotis /Eckart Voland, Geschlechtliche Selektion und Individualentwicklung, in: Heidi Keller [Hg.], Lehrbuch Entwicklungspsychologie. Bern 1998,563-595,570 f.) 82 Vgl. 1 Tim 2,9 f.u. 1 Petr 3 3 f.

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361

regelt. Allenfalls könnte man die Ansicht vertreten, dass die Norm wegen desuetudo ihre Verpflichtungskraft verloren hat. 8 3 Bei der Frage, welche Kleidung zur Sünde contra Sextum aufzureizen imstande ist, ist wohl auf das Durchschnittsempfinden der jeweiligen Eucharistiegemeinde abzustellen. Auf Grund des Grundrechts auf Empfang der Sakramente ist eine Verweigerung der heiligen Kommunion bzw. eine Hinausweisung aus der Kirche nur im Extremfall zulässig und geboten. Die Norm zielt nicht primär darauf, Unwürdige von der heiligen Kommunion abzuhalten, sondern die Norm will die Disposition insbesondere der männlichen Mitfeiernden vor Ablenkung schützen. 3. Die (noch) nicht zum Vernunftgebrauch Gelangten sowie die (noch) nicht ausreichend Vorbereiteten C. 913 wendet sich an den Spender der heiligen Kommunion und macht die erlaubte 84 Kommunionspendung an „pueris" vom Vorliegen gewisser Voraussetzungen, die nach außen hin überprüfbare Elemente der Disposition darstellen, nämlich ausreichende Erkenntnis und sorgfältige Vorbereitung, abhängig, womit umgekehrt zu schließen ist, dass an „pueris", bei denen auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, die heilige Kommunion nicht gespendet werden darf. 85 Mit diesen Erlaubtheitsvoraussetzungen steht natürlich auch die in C.914 genannte Voraussetzung des erlangten Vernunftgebrauchs im Zusammenhang, dessen Erlangung mit Vollendung des siebten Lebensjahres vermutet wird (c. 97 §2). Gemäß c.914 kommt dem Pfarrer die Pflicht zu, darüber zu wachen, dass jene nicht zur heiligen Kommunion zugelassen werden, die noch nicht den Vernunftgebrauch erlangt haben oder nicht ausreichend vorbereitet sind. Der Pfarrer hat diesbezüglich wohl eine Weisungsbefugnis gegenüber allen Kommunionspendern in seiner Pfarrei. Im Zweifel, ob der Vernunftgebrauch oder eine ausreichende Vorbereitung gegeben ist, ist zugunsten des Rechts auf die heilige Kommunion zu entscheiden.86 In Bezug auf die Geisteskranken vertritt J. M. Huels 87 - er stützt sich dabei auf c. 913 § 2 - die Ansicht, dass dieselben, selbst wenn es ihnen an der intel83

Vg\. Aymans / Mörsdorf KanK 1,192; Siehe aber oben, Anm. 75. „possit" ist hier natürlich nicht im Sinne einer Befähigung, sondern im Sinne einer Erlaubnis zu nehmen. 84

85

Klaus Lüdicke, c. 913, Rdnr. 3, in: M K CIC (Stand: Jänner 1986).

86

John M.Huels, cc. 913 u. 914, in: TCCL, 652. Huels, ebd., 652 f.

362

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lektuellen Fähigkeit fehlt, den Unterschied zwischen der Eucharistie und der gewöhnlichen Speise zu artikulieren, dennoch zugelassen werden könnten, wenn sie gestützt durch den Glauben ihrer Umgebung, die Heiligkeit der Eucharistie wertzuschätzen („appreciate") vermöchten, das heißt, es gehe nicht so sehr um eine abstrakt-denkerische Fähigkeit, sondern mehr um ein ganzheitliches Erkennen. Zweierlei ist in diesem Zusammenhang zu bedenken: c. 913 § 2 spricht von Todesgefahr: Als Todesgefahr gilt es auch, wenn jemand in Gefahr ist, den Vernunftgebrauch zu verlieren, nicht aber wenn er den Vernunftgebrauch bereits verloren hat. C. 914 untersagt ja den Kommunionempfang für jene, die noch nicht zum usus rationis gelangt sind. Jemand, der nicht in etwa die intellektuellen Fähigkeiten hat, die gewöhnlich einem Siebenjährigen zukommen, ist außer in Todesgefahr nicht zuzulassen. Für den Fall physischer Todesgefahr des Geisteskranken mag die Überlegung von J. M. Huels aber berechtigt sein. 4. Die Bewerber um die Erstkommunion

y

die noch nicht gebeichtet haben

C. 914 statuiert die Pflicht, dass der Erstkommunion eine sakramentale Beichte voranzugehen hat. Es stellt sich somit die Frage, ob die Beichte gleichfalls eine Erlaubtheitsvoraussetzung für die Zulassung zur Erstkommunion ist. Der Pfarrer hat ja gemäß c. 914 dafür zu sorgen, dass nur ausreichend disponierte Kinder zur heiligen Kommunion hinzutreten. Die Tatsache der Beichte dürfte jedoch nicht zu der vom Pfarrer zu prüfenden Disposition gehören. Dies aus mehreren Gründen: Kinder im Alter von etwa sieben Jahren können gewöhnlich noch keine subjektiv schwere Sünde begehen, weswegen sie auch ohne vorausgehende Beichte im Gnadenstand sind. 88

88

Vgl. die mündliche Mitteilung des Präsidenten der PCI vom 24.2.1920, wonach der Vernunftgebrauch, der erforderlich sei, um zum Empfang der heiligen Kommunion zugelassen zu werden, nicht identisch sei mit jenem Vernunftgebrauch, der Voraussetzung zur Begehung einer subjektiv schweren Sünde sei. Vielmehr handle es sich um jenen Vernunftgebrauch, der zur Begehung einer subjektiv lässlichen Sünde befähige. (Veröffentlicht in: AfkKR 101 (1921) 68 f.). Auch im Addendum de primo accessu ad Sacramenta Paenitentiae et Eucharistiae des Directorium Catechisticum generale vom 11.4.1971, in: AAS 64 (1972) 173-176, wird die Erstbeichte im Alter von etwa sieben Jahren nicht damit begründet, dass in diesem Alter schon Todsünden vorkommen könnten, sondern damit, dass der Empfang des Bußsakraments die Gnade vermehre. Außerdem könne das Kind in diesem Alter schon zur Einsicht gelangen, dass die Sünde die Beziehung zu Gott verletze, und infolgedessen auch die Vergebung von Gott ersehnen. Addendum, nn. 3 u. 5, ebd. 174-176.

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363

Da auch für das Kind freie Beichtvaterwahl besteht, könnte der Pfarrer bloß das äußere Faktum, dass das Kind bei der Beichte war, beurteilen (c. 991). Entscheidend für die Disposition ist jedoch, ob wirklich Reue vorhanden ist und die Absolution erlangt worden ist. Hierüber darf jedoch wegen des Beichtgeheimnisses (c. 983 § 1) keine Auskunft erteilt werden. Selbst wenn der zuständige Pfarrer selber die Beichte der Erstkommunionbewerber hört, darf er das Beichtwissen weder bei der äußeren Leitung verwenden, noch in einer für den Beichtenden belastenden Weise gebrauchen (c. 984). Da weder außerhalb des kodikarischen Rechts noch in der traditio canonica89 eine Verweigerungspflicht der Erstkommunion im Fall der Unterlassung der Erstbeichte festgelegt ist, ist zu schließen, dass zwar eine Beichtpflicht für das Erstkommunionkind besteht, die Zulassung zur Erstkommunion aber nicht von der Erfüllung dieser Pflicht abhängig gemacht werden darf. 90 Ganz sicher ausgenommen von dieser Beichtpflicht sind jene, die nach Erlangung des Vernunftgebrauchs innerhalb der Messfeier sowohl das Taufsakrament wie auch die Eucharistie empfangen. Es bleibt ja kein liturgischer Platz für die Beichte 91 , außerdem würde eine Beichte unmittelbar nach der Taufe das Verständnis des Taufsakraments als Sakrament der Vergebung verdunkeln. 5. Die nicht-katholischen

Christen

Insofern in c. 844 § 1 der Grundsatz ausgesprochen ist, dass der katholische Spender die Sakramente in der Regel nur an katholische Gläubige 92 spenden darf, abgesehen von den in §§ 3 u. 4 desselben Canon genannten Ausnahmen, ist der Umkehrschluss angebracht, dass der katholische Spender nicht-

89

Vgl. besonders SC Sacr, Decretum de aetate admittendorum ad primam communionem eucharisticam „Quam singulari" vom 8.8.1910, in: AAS 2 (1910) 577-583, u. c. 854 §§ 4 u. 5 CIC/1917 u. SC Sacr et SC Cler, Declaratio de praemittendo Sacramento Poenitentiae primae puerorum Communioni vom 245.1973, in: AAS 65 (1973) 410, u. SC SacrCult et SC Cler, Responsum ad propositum dubium vom 20.5.1977, in: AAS 69 (1977) 427. 90 J. M . Huels meint gleichfalls, dass Kindern, die nicht zur Beichte gingen, deshalb nicht die Erstkommunion verweigert werden dürfte. Vgi.John M. Huels, cc. 913 u. 914, in: TCCL, 653. 91 Vgl. cc. 852 § l u . 866. 2

Vgl. c. 1 .

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katholische Empfänger immer dann abweisen muss, wenn nicht einer der genannten Ausnahmefälle vorliegt. In § 3 wird in Anlehnung an Vatll OE 27 im Hinblick auf die Christen, die einer nicht-katholischen orientalischen Kirche angehören, eine großzügige Ausnahmeregelung statuiert. Der Grund liegt darin, dass bei den orientalischen Kirchen das in der apostolischen Sukzession stehende (bischöfliche) Priestertum erhalten ist, somit sämtliche Sakramente gültig gefeiert werden und auch der katholische Glaube bezüglich der Sakramente geteilt wird. 93 Welche Kirchen 94 nun in derselben Situation sind wie die orientalischen Kirchen, obliegt dem Urteil des Heiligen Stuhls. Meines Wissens nach ist noch keine sich auf c. 844 § 3 beziehende offizielle Erklärung des Heiligen Stuhls im Hinblick auf andere Kirchen ergangen. Im Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanum ist jedoch auch die Rede von (getrennten) Kirchen im Abendland 95, was wohl bedeutet, dass es nach dem Urteil der Konzilsväter auch im Abendland christliche Gemeinschaften gibt, die hinsichtlich der Sakramente in der gleichen Lage sind, wie die orientalischen Kirchen. Nach Ansicht einiger Theologen besteht dieselbe Situation etwa bei den altkatholischen Kirchen der Utrechter Union. 96 Mit der neuerdings in manchen altkatholischen Kirchen gegebenen Möglichkeit der Frauenpriesterweihe

93

Vatll UR 15 Abs. 3; vgl. auch Congr. DocFid, Erklärung über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der einen Kirche „Dominus Jesus" vom 6. 8. 2000, Art. 17; Ahlers, Communio (Anm. 62), 150; Das jüngste Direktorium über den Ökumenismus vom 25.3.1993, in: AAS 85 (1993) 1039-1119, ergänzt § 3 durch Art. 125, in: AAS 85 (1993) 1087, dahingehend, dass die Ordnung der orientalischen Kirchen für ihre eigenen Gläubigen beachtet und jeder Anschein von Proselytismus vermieden werden muss. 94

Zur sprachlichen Differenzierung zwischen Kirche und kirchlichen Gemeinschaften vgl. auch den Kommentar von A. Grillmeier zu Vatll LG 15, in: LThK 2 Konzilskommentar, Bd. 1,200-205, bes. 202 f. Das entscheidende Kriterium sind die Elemente der apostolischen Sukzession und damit zusammenhängend die Gültigkeit der Sakramente, insbesondere der Eucharistie und der Priesterweihe (Direktorium über den Ökumenismus vom 253.1993, Art. 122, in: AAS 85 (1993) 1086 f.; Congr. DocFid, Erklärung (Anm. 93), Art. 17; Ahlers, Communio Eucharistica (Anm. 62), 155. 95

96

Vgl. Vatll UR 19: „... Ecclesiis ... in Occidente ...". "

2

Vgl. J. Feiner, Kommentar zum Dekret über den Okumenismus, in: LThK Konzilskommentar. Bd. 2, 40-123, hier 110; Klaus Lüdicke, c. 844, Rdnr. 5, M K CIC (Stand: April 1996); Matthäus Kaiser, Ökumenische Gottesdienstgemeinschaft, in: HdbKathKR 1 ,641-647,644.

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365

sowie mit der seitens der altkatholischen Kirchen erklärten Anerkennung der anglikanischen Weihen und mit der in jüngster Zeit gepflogenen Praxis der Beauftragung anglikanischer Geistlicher auch für die Seelsorge an altkatholischen Christen ist die Situation hinsichtlich der Sakramente jedoch eine komplexere geworden. 97 Im Bereich des Altkatholizismus ist somit genau zwischen den einzelnen Ortskirchen und Pfarrgemeinden zu differenzieren. Auffallend ist jedoch, dass das Direktorium über den Ökumenismus vom 25.3.1993 unter der Überschrift „Partage de vie sacramentelle avec les Chretiens d'autres Eglises et Communautés ecclesiales" (vor Art. 129 ff.) nicht weiter differenziert zwischen den Kirchen und den kirchlichen Gemeinschaften, weswegen auch auf die Mitglieder der sogenannten anderen Kirchen § 4 von c. 844 anzuwenden ist. Dies lässt sich insofern mit der Rechtslage nach dem CIC vereinbaren, als ja gemäß § 3 des c. 844 ein Urteil des Heiligen Stuhls erforderlich ist. Was die Ausnahmeregelung des § 4 angeht, so ist vor allem der Ausdruck „gravis necessitas" näher zu bestimmen, da dazu, soweit ich sehe98, bis jetzt keine Erklärung eines Diözesanbischofs oder einer Bischofskonferenz im deutschsprachigen Raum ergangen ist. Das frühere Direktorium über den Ökumenismus vom 14.5.196799 nannte als Beispiele für eine solche schwere Notlage in Nr. 55 u. a. Verfolgung und Gefängnishaft, sprach aber auch von anderen dringenden Notfällen, bei welchen der Ortsoberhirte oder die Bischofskonferenz entscheiden sollten. 100 In einer späteren Stellungnahme des Sekretariats für die Einheit der Christen vom 1.6.1972 101 - es handelt sich um die Instructio de peculiaribus casibus admittendi alios Christianos ad communionem eucharisticam in Ecclesia catholica - werden diese anderen dringenden Notfälle sehr weit interpretiert als Fälle schwerer geistlicher Not („... gravi necessitate spirituali ...")

1πο

1πι

und als Beispiel wird auch die Diasporasituation genannt.

97

Vgl. Ohne Autor, England-St. Willibrord Gesellschaft, in: Jahrbuch der Christkatholischen Kirche in der Schweiz 110 (2000) 102-104. 98

Zu diesem Befund führte die Durchsicht der einschlägigen Abschnitte über den Erlass partikularrechtlicher Normen seitens der Bischofskonferenzen und der Diözesanbischöfe im deutschsprachigen Raum im AfkKR ab 152 (1983) bis 167 (1998). 99 AAS 59 (1967) 574-592. 100

Ebd., 590.

101

AAS 64 (1972) 518-525.

102

Nr. 6, ebd., 524 f.

103

Nr. 6, ebd., 525.

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In den beiden von §§ 3 und 4 geregelten Fällen, bei welchen der Ortsoberhirte oder die Bischofskonferenz entscheiden sollen, sind die partikularrechtlichen Bestimmungen, die gemäß § 5 erlassen worden sind, im Sinne von Art. 130 des Direktoriums über den Ökumenismus vom 253.1993 1 0 4 zu beachten und dürfen die Sakramente nur in Übereinstimmung mit diesen Normen gespendet werden. Im Hinblick auf § 5 legt Art. 130 desselben Direktoriums ergänzend fest, dass der Diözesanbischof bei Erlass diesbezüglicher Normen die Vorschriften der Bischofskonferenz und der Synoden der katholischen Ostkirchen zu beachten hat. 105 6. Die Ungetauften C. 912 statuiert nur für die Getauften ein Recht auf die Zulassung zur heiligen Kommunion. Dass Ungetaufte vom Empfang der heiligen Kommunion abzuweisen sind, ergibt sich m.E. nicht aus c. 842 § 1 - die Feststellung, dass die Zulassung zu den Sakramenten ungültig sei, ist im Hinblick auf die heilige Kommunion ohnedies problematisch - , sondern gleichfalls aus dem Grundsatz des c. 844 § 1. 7. Diejenigen, welche die heilige Kommunion außerhalb der Messfeier erbitten Da die Grundregel der Empfang der heiligen Kommunion innerhalb der Messfeier ist (c. 918), bedarf es eines gerechten Grundes, dass der Spender der heiligen Kommunion verpflichtet ist, die heilige Kommunion außerhalb der Messe zu spenden. Als gerechte Gründe kommen in Betracht: Krankheit, Todesgefahr, oder auch die Tatsache, dass am betreffenden Ort (wegen Priestermangel) nur selten die Eucharistie gefeiert wird und die Gläubigen ansonsten die Gnade der heiligen Kommunion für längere Zeit entbehren müssten. 106 Sollte kein gerechter Grund vorliegen, kann der Kommunionspender die Spendung der heiligen Kommunion verweigern. Eine diesfalls eintretende Pflicht zur Verweigerung wird man schwerlich behaupten können, da der Kommunionempfang innerhalb der Messe nicht geboten, sondern lediglich nachdrücklich empfohlen wird. Es besteht anscheinend ein Ermessensspielraum auf der Seite des Spenders.

104

AAS 85(1993), 1089.

105

Ebd., 1089.

106

John M. Huels, c. 918, in : TCCL, 654.

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Zu beachten sind auch die liturgischen Normen der allgemeinen Einführung des Rituale Romanum. Editio typica „De Sacra Communione et de Cultu Mysterii Eucharistici extra Missam" vom 21. 6. 1973, Nr. 16 a - c, wonach am Gründonnerstag und Karfreitag die Kommunion außerhalb der Messe bzw. der Karfreitagsliturgie nur Kranken gespendet werden darf, am Karsamstag überhaupt nur jenen, die sich in Todesgefahr befinden. V. Die Nichtberechtigung zur heiligen Kommunion Unter diesem Titel sollen jene Tatbestände erörtert werden, die ein Kommunionverbot für den Empfänger begründen, ohne dass der Spender zur Verweigerung der Kommunion rechtlich verpflichtet wäre. 1. Diejenigen, die sich einer schweren Sünde bewusst sind Insofern der Verlust des Gnadenstandes der eigentliche Grund für das gesetzliche Verbot des Eucharistieempfangs nach c. 916 1 0 7 ist, kann mit „peccati gravis" nur die subjektiv bzw. formell schwere Sünde gemeint sein. 108 Nach J. M. Huels bedeutet „conscius", dass sich der Betreffende sicher („certain") ist, eine schwere Sünde begangen zu haben. 109 Der Betroffene hat an sich selbst den Ausschluss zu vollziehen. Die sakramentale Beichte (natürlich nur jene, die in die sakramentale Lossprechung mündet) ist der einzige ordentliche Weg, um die Rechtfertigungsgnade und somit auch das Recht auf Eucharistieempfang wieder zu erlangen. 110

107

Diese Bestimmung geht auf das Konzil von Trient zurück. 13. Sitzung vom 11.10.1551, Dekret über das Sakrament der Eucharistie, Kap. 7 u. Kan. 11, in: D 1646 f. u.1661. 108 109

Lüdicke, Tathaftung (Anm. 41), 258; Ahlers, Communio (Anm. 62), 126. John M. Huels, cc. 915 u. 916, in: TCCL, 653.

110

Das Konzil von Trient, 13. Sitzung vom 11.10.1551, Dekret über das Sakrament der Eucharistie, Kap. 7, in: D 1647, spricht in diesem Zusammenhang von einer „ecclesiastica consuetudo". Die Forderung der Beichte nach jeder schweren Sünde kam erst ab dem achten Jahrhundert auf. Vgl. Peter Browe, Die Pflichtkommunion im Mittelalter, Münster (Westf.) 1940, 3-16. Zuvor war die allgemein anerkannte Praxis für den Fall weniger schwerer Todsünden, die in der Regel nicht die öffentliche Buße erforderten, derart, dass der Sünder sich durch Gebet, Almosen und andere private Bußübungen für den Kommunionempfang disponieren sollte.

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Wenn jedoch ein schwerer Grund gegeben ist und die Gelegenheit zur Beichte fehlt, genügt auch ein Akt der vollkommenen Reue, der den Vorsatz einschließt, möglichst bald zu beichten. Als schwerer Grund gilt Todesgefahr (vgl. c. 921), ebenso die Gefahr eines schweren Ärgernisses oder einer Rufschädigung (vgl. c. 1352 § 2), dann die Voraussicht, ansonsten lange nicht mehr kommunizieren zu können, sowie bei einem Priester auch die Verpflichtung zur Zelebration der Messe. 111 2. Diejenigen, die von der nicht festgestellten Tatstrafe der Exkommunikation oder des Interdikts betroffen sind Die Beugestrafen der Exkommunikation und des Interdikts, nicht aber der Suspension, verbieten den Empfang der Sakramente und somit auch der heiligen Kommunion (cc. 1331 § 1 n. 2,1332). Sofern nicht zugleich c. 915 zutrifft, hat der von der Strafe Betroffene selbst das Verbot an sich zu vollziehen. In Todesgefahr und bei Gefahr einer Rufschädigung oder eines schweren Ärgernisses ist das Verbot unter bestimmten Umständen ausgesetzt (c. 1352 §§ 1 u. 2). Auf Grund von c. 916 bleibt jedoch auch in diesem Fall die Verpflichtung zur vorhergehenden Beichte oder zur vollkommenen Reue aufrecht. Das aus der Beugestrafe stammende Verbot bleibt natürlich auch dann aufrecht, wenn der Betroffene durch einen Akt der vollkommenen Reue disponiert wäre, ausgenommen die obig genannten Fälle. 3. Die im Strafprozess Angeklagten (cA722) C. 1722 räumt dem Ordinarius unter anderem die Möglichkeit ein, dem im Strafprozess Angeklagten während des Verlaufs des Prozesses, „... publicam sanctissimae Eucharistiae participationem prohibere." Die Teilnahme an der Eucharistie kann im weitesten Sinn als Teilnahme an der Gottesdienstfeier (ohne Übernahme eines besonderen liturgischen Dienstes) oder im strikten Sinn als Teilnahme an der heiligen Kommunion verstanden werden. Auf Grund von c. 18 und des Sprachgebrauchs des CIC 1 1 2 sowie der rechtlichen Tradition 113 und der Tatsache, dass nicht einmal die schärfste Kirchenstrafe der Exkommunikation die einfache Teilnahme am Gottesdienst der

111

Mörsdorf stausgabe).

Lb., Bd. 2, 60; Klaus Lüdicke, c. 916, Rdnr. 3, in: M K CIC (Stand: Er-

112

Vgl. die Überschrift vor c. 912: „De sanctissima Eucharistia panicipanda".

113

Vgl. c. 1956 CIC 17.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

369

Eucharistie verbietet, ist letztere Bedeutung vorzuziehen. Ein Rekurs gegen die Maßnahme des Ordinarius ist möglich. 114 Das Verbot endet automatisch mit dem Ende des Prozesses. 115 Die öffentliche Teilnahme meint in diesem Fall die nicht-geheime, also die mehreren Leuten zur Kenntnis kommende Teilnahme. Nicht verboten ist also der geheime Kommunionempfang. M. E. ist auch der Kommunionempfang an jenen Orten, wo der Status des Beklagten nicht allgemein bekannt ist, erlaubt. Dies ergibt sich aus dem Gesetzeszweck der Vermeidung von Ärgernis - ein Ärgernis kann ja diesfalls gar nicht entstehen - und aus dem Grundrecht auf Sakramentenempfang. Das Verbot wendet sich zwar direkt an den im Strafprozess Angeklagten, u. U. muss es aber auch vom Kommunionspender urgiert werden. 116 4. Diejenigen, die das Gebot der eucharistischen Nüchternheit nicht beachten Eine weitere Voraussetzung zum Empfang der Eucharistie ist das Gebot der eucharistischen Nüchternheit gemäß c. 919. Zu beachten ist, dass die Frist vom Zeitpunkt der Kommunion an, nicht vom Zeitpunkt des Beginns der Messfeier, zu berechnen ist. 1 1 7 Das eucharistische Fasten - nachweislich ab dem vierten Jahrhundert üblich und vorgeschrieben - ist eine Weise der spirituellen Vorbereitung auf den Kommunionempfang sowie ein Ausdruck der Ehrfurcht vor diesem Sakra-

114

Thomas J. Green, c. 1722, in: TCCL, 1026;

Andere Ansicht: Hans Paarhammer, Das Strafverfahren, in: HdbKathKR 2 , 1212— 1222, 1219: „Rechtsmittel gegen diese vorsorglichen Maßnahmen gibt es keine." M. E. ist die Ansicht Th. J. Greens vorzuziehen, da diese vorsorglichen Maßnahmen ja Akte der hoheitlichen Verwaltung, nicht der richterlichen Gewalt darstellen. Dies ergibt sich aus c. 2222 § 2 CIC/1917, auf den c. 1956 CIC/1917 verweist. In c. 1956 CIC/1917 heißt es, dass diese vorsorglichen Maßnahmen „... non habent rationem poenae." Außerdem schließt der CIC an keiner Stelle die Rekursmöglichkeit für diese Fälle aus, wie es noch in CIC/1917 ausdrücklich vorgesehen war. Bei einem etwaigen Rekursverfahren wäre nicht die Schuldfrage zu prüfen, sondern ob die Maßnahme wirklich nötig ist im Hinblick auf die vom Gesetz vorgesehenen Zwecke. 115

Thomas J. Green, c. 1722, in: TCCL, 1026.

116

Siehe oben, 295.

K. Mörsdorf ist in Bezug auf den entsprechenden Vorgänger - Canon (c. 1956 CIC/1917) der Ansicht, dass die von einem solchen Verbot Betroffenen stets amtlich von der heiligen Kommunion fernzuhalten sind. Vgl. Mörsdorf Lb., Bd. 2,57. 117

John M. Huels, c. 919, in: TCCL, 655.

26 FS Mühlsteiger

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370

ment. 118 Es soll dem Gläubigen deutlich werden, „... daß das Brot des Lebens die erste und wichtigste Nahrung des Christen ist." 1 1 9 K. Lüdicke zufolge kann aus dem Wortlaut des c. 919 nicht geschlossen werden, dass der Kommunionempfang im Falle der Missachtung des Gebots der eucharistischen Nüchternheit verboten wäre. M. E. scheint jedoch der Zusammenhang mit § 3 von c. 919 und dessen Formulierung 120 gerade den gegenteiligen Schluss nahezulegen, dass nämlich für den, der nicht im Sinne von § 1 nüchtern ist, der Empfang der heiligen Kommunion verboten ist, da es ja andernfalls sinnlos wäre, in § 3 älteren Leuten und Kranken den Kommunionempfang ausdrücklich zu gestatten, auch wenn sie nicht die Bedingungen des § 1 erfüllt haben. Auch die rechtliche Tradition führt uns zum dargelegten Resultat. 121 5. Diejenigen, die mehrmals am Tag die heilige Kommunion zu empfangen wünschen Eine weitere Erlaubtheitsbedingung 122 zum Empfang der heiligen Kommunion ist die Voraussetzung, dass der Empfänger die heilige Kommunion entweder am selben Tag noch nicht empfangen oder erst einmal empfangen hat und ein zweites Mal innerhalb einer Messfeier darum bittet oder auch schon einmal oder zweimal empfangen hat und nun nochmals darum bittet, weil er sich in Todesgefahr befindet. 123 Diese Normen wenden sich an den Empfänger der heiligen Kommunion. Da jedoch kein Recht auf den Kommunionempfang besteht, wenn nicht eine der genannten Voraussetzungen erfüllt ist, kann gegebenenfalls unter besonderen

118

*

Huels, ebd.; Mörsdorf Üb., Bd. 2,60.

19

120 121

Mörsdorf Lb., Bd. 2,60. Vgl. die Ausdrucksfolge „accipere possunt". Vgl. cc. 808,858 §1 u. 2321 CIC/1917.

122

„Non potest" meint hier ein Nicht-Dürfen. Vgl. cc. 917 u. 921 § 2 u. Resp. PCI vom 11. 7. 1984 zu c. 917, in: AAS 76 (1984) 746. C. 921 § 2 schließt vom Wortlaut her nicht aus, dass auch deijenige, der schon zweimal am selben Tag die heilige Kommunion empfangen hat, nochmals am selben Tag kommuniziert, wenn er in Lebensgefahr gerät. (Kaiser, Kommunion (Anm. 12), 179. 123

Zur Vorgeschichte von c. 917 vgl. Hubert Dobiosch, Über die Häufigkeit des Kommunionempfanges mit besonderer Berücksichtigung des c. 917 des neuen CIC, in: ThPQ 133 (1985) 17-27, hier 22-25.

Die Zulassung zum Sakrament der Eucharistie

371

Umständen 1 2 4 auch eine Verweigerung der heiligen K o m m u n i o n seitens des Spenders erfolgen. 1 2 5

124

Siehe oben, 345. Ζ. B. wenn jemand in einer kleinen Ordensgemeinschaft diese Normen bewusst und bekanntermaßen dauernd verletzt. 125

Vgl. auch c. 843 § 1.

Ehe und Nachkommenschaft Überlegungen zur „Hinordnung" der Ehe gemäß c. 1055 § 1 CIC Von Bruno Primetshofer CSsR

I . Das „bonum prolis" nach CIC/1917 und CIC/1983 Wenn man die in weltlichen Rechtsordnungen gebräuchliche Wortfolge Eheund Familienrecht im Auge hat und dann einen Blick in das kanonische Recht wirft, dann fällt auf, dass dieses in erster Linie Ehe-, und erst in zweiter Hinsicht Familiem tc\\i ist. Das kanonische Eherecht aber war und ist ein besonders sorgfältig ausgearbeiteter Teil des kanonischen Normengefiiges, und es schlagen hier, wenngleich auch mit einem gewissen Verzögerungseffekt, grundsätzliche theologisch-ekklesiologische wie auch profanwissenschaftliche Prämissen, insbesondere aus dem Bereich der Anthropologie und Psychiatrie, 1 in signifikanter Weise zu Buche. Hierbei war es vor allem die forensische Interpretation durch kirchliche Gerichte, vorab der SRR, die, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung des Begriffes der psychischen Ehe(un)fähigkeit einen weitreichenden Wandel im Bereich der einschlägigen Tatbestandsbilder mit sich gebracht hat.2 Wie wenig Aufmerksamkeit noch der Gesetzgeber von 1917 diesem Problem geschenkt hatte, erhellt u. a. aus der Tatsache, dass das materielle Eherecht des CIC/1917 überhaupt keinen direkten 3 Hinweis auf

1

Dazu Nikolaus Schöch, Die kirchenrechtliche Interpretation der Grundprinzipien der christlichen Anthropologie als Voraussetzung für die eheprozeßrechtliche Beurteilung der psychischen Ehekonsensunfähigkeit. Eine kanonistische Studie unter besonderer Berücksichtigung der päpstlichen Allokutionen und der Judikatur der römischen Rota. Adnotationes in lus Canonicum, Bd. 15. Frankfurt a. M., 1999. Zu den einschlägigen Entwicklungslinien der Rechtsprechung der SRR vg\. Aurelio Sabattani, L'évolution de la jurisprudence dans les causes de nullité de mariage pour incapacité psychique, in: StudCan 1 (1976) 150; Alexander Dordett , Eheschließung und Geisteskrankheit in der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota. Wien 1977,14-19. 3

Indirekt konnte aus dem Gesetzestext selbst die Relevanz von Geisteskrankheit (amentia) insofern erschlossen werden, als c. 1089 § 3 CIC/1917 bei der Eheschließung

374

Bruno Primetshofer

Geisteskrankheit als Konsensmangel enthielt; einen dem heutigen c. 1095, 1 CIC/1983 parallelen Tatbestand gab es i m e/ierechtlichen Teil des CIC/1917 nicht. Bekanntlich sprach lediglich das Prozeßrecht

dieses Codex (c. 1982 ) von

einem „defectus consensus ob amentiam" 4 . Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Eherecht des CIC/1917 ein stark biologistisch geprägtes Ehebild gezeichnet hatte. Primärzweck der Ehe war Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft (c. 1013 § 1), der Ehekonsens wurde umschrieben als „ius i n corpus" zur Vornahme der actus per se apti ad prolis generationem (vgl. c. 1081 § 2). Diese Aussagen haben schon vor Jahrzehnten zu der zwar sarkastischen, aber doch treffenden Feststellung von Pier Antonio Bonnet geführt, das kanonische Eherecht betrachte den ehelichen Willensakt als „diritto copulatorio" und die Ehe vorwiegend als „società copulatoria" (Begattungsgesellschaft) 5 . Der Konsummationsbegriff der Ehe stellte einseitig auf die Vornahme der physiologischen Komponente des Geschlechtsakts ab, 6 ohne die personale Einigung der Ehegatten in den B l i c k zu nehmen, wie dies nunmehr c. 1061 § 1 CIC/1983 mit der Wendung „humano m o d o " tut. 7

durch Stellvertretung den Hinweis enthielt, dass die Eheschließung ungültig sei, wenn der Mandant vor Ausführung des Mandats in Geisteskrankheit verfällt. 4 In den eherechtlichen Handbüchern wie auch in Gesamtdarstellungen des kanonischen Rechts in der Zeit vor dem CIC/1983 wird dem Problem der psychischen Eheunfähigkeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt und wenn ja, dann allenfalls in Zusammenhang mit Geisteskrankheit (amentia). Signifikanterweise aber wird teilweise selbst das Problem einer (zweifelhaften) Erkenntnisfähigkeit nicht so sehr im Hinblick auf die persönliche Ehefähigkeit der Partner in den Blick genommen, sondern unter dem Aspekt des Primärzwecks der Ehe, nämlich einer möglichen Auswirkung von Geisteskrankheit eines Partners auf die Nachkommenschaft. So schreibt etwa Linneborn kurz nach der Promulgation des CIC/1917, dass bei Ehen von Schwachsinnigen an sich die zur Eingehung einer Ehe notwendige Erkenntnisfähigkeit gegeben sein könnte; derartige Ehen seien aber wegen Gefahr für den Nachwuchs unerlaubt, weil die Erblichkeit von Geistesstörung feststehende Tatsache sei. Johannes Linneborn, Grundriß des Eherechts nach dem Codex Iuris Canonici. Paderborn 3 1922,270 f. 5

Pier Antonio Bonnet, L'essenza del matrimonio canonico. Contributo allo studio dell' amore coniugale. Padova 1976, 195. Mit Recht kritisierte D'Avack das einseitig betonte „Ius in corpus" als Gegenstand des Ehevertrages nach dem CIC/1917. Pietro d'Avack, Per una riforma giuridica del matrimonio, in: DirEccl 85 (1964/1) 6. 6

Signifikant in diesem Zusammenhang eine Entscheidung der SRR aus dem Jahre 1955, worin es u. a. heißt: „quoties enim in definitione matrimonii sermo est de traditione „corporis", ad modestiam hie terminus assumitur, nam propria quae in contractu habetur cessio est sexuum". SRR Dec 37 (1955) 365 Nr. 3. (Hervorhebung von mir). η Das Hl. Offizium hatte in einer Anfragebeantwortung am 2. 2. 1949 eine Ehe als konsummiert bezeichnet, bei der ein Ehevollzug nur unter Einnahme von den Vernunft-

Ehe und Nachkommenschaft

375

Es wurde vor dem CIC/1917 sogar die zu bizarren Konsequenzen führende Auffassung vertreten, für den Ehevollzug sei überhaupt kein „actus humanus" erforderlich. 8 Ein Rundschreiben der Kongregation für die Sakramente stellte (1986) klar, dass für den Ehevollzug ein „actus humanus ex utraque parte" erforderlich sei. 9 Die von GS 4 8 - 5 0 getragene Grundaussage von c. 1055 § 1 CIC/1983, in dem es keine Ehezwecke mehr gibt, sondern w o von zwei unter sich gleichrangigen „Grundausrichtungen" (vielleicht könnte man das „ordinatum" so übersetzen) die Rede ist, hat einen weitreichenden Wandel i m kanonistischen Weltbild mit sich gebracht. 1 0 Zu diesem Wandel in (kanonistischen) Grundsatzfra-

gebrauch vorübergehend ausschaltenden Drogen möglich war. Die Anfrage hatte gelautet: „An matrimonium haberi debeat inconsummatum si essentialia copulae elementa posita sint a coniuge qui ad unionem sexualem non pervenit nisi adhibitis mediis aphrodisiacis, rationis usum actu intercipientibus". Die Antwort lautete „Negative". Ochoa Leges II, Nr. 2024. - Vgl. Dazu William J. Tobin , Homosexuality and Marriage. A Canonical Evaluation of the Validity of Marriage in the Light of Recent Rotai Jurisprudence. Rome 1964,196 ff. g

So stellte sogar ein so renommierter Kanonist wie Cappello noch 1950 die Notwendigkeit eines „actus humanus" für den Ehevollzug rundweg in Abrede. Während für den Ehekonsens ein actus humanus mit all seinen Voraussetzungen in Bezug auf Vernunftgebrauch und Willensfreiheit erforderlich sei, könne dies nicht in gleicher Weise für den Ehevollzug gesagt werden; hier sei ohne jede Berücksichtigung der seelischen Komponente lediglich das äußere Faktum des physiologischen Vorgangs einer „copula perfecta" ausschlaggebend: „Consummatio matrimonii... postulat tantum factum externum perfectae copulae naturalis, sive haec fiat per actum humanum sive alio modo, sive libere ac scienter ponatur, sive coacte et inadver tenter, sive iuste sive iniuste". Felix M. Cappello, Tractatus canonico-moralis de Sacramentis, vol. V: De matrimonio, Taurini / Romae, 6 1950,383 f. (Hervorhebungen von mir). Congregatio pro Sacramentis: Litterae circulares de processu super matrimonio rato et non consummato vom 20. Dezember 1986; Gutiérrez Leges (Anm. 7), VIII (1998) Sp. 10851-10855; hier 10851: „...ad habendam consummationem matrimonii oportet ut actus sit humanus ex utraque parte, sed sufficit ut sit virtualiter voluntarius, dummodo non violenter exigitus." 10

Zuvor schon war die Enzyklika „ Casti connubii" Pius' XI. (1930) von dieser Auffassung des CIC/1917 deutlich abgerückt. Zwar hält die Enzyklika noch am Primärzweck der Ehe fest, andererseits aber wird die gegenseitige innere Formung der Ehegatten, das ständige Bemühen, sich wechselseitig zu vervollkommnen, als vornehmlicher Grund und Sinn der Ehe bezeichnet. Dies alles „sofern man nur die Ehe nicht im engeren Sinn als Vereinigung zur rechtmäßigen Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft, sondern im weiteren Sinn als eine Vereinigung, Vertrautheit und Gemeinschaft des ganzen Lebens auffaßt". AAS 22 (1930) 548 f. Heinrich Denzinger / Peter Hüner-

376

Bruno Primetshofer

gen sei die Zwischenbemerkung gestattet, dass die Kirche bisweilen von früher festgehaltenen Positionen abrückt, ohne diese indes ausdrücklich zu widerrufen. 1 1 Noch 1944 hielt es bekanntlich das H l . Offizium für notwendig,

in einer

Verlautbarung darauf hinzuweisen, dass die von einigen Autoren vertretene Auffassung einer Gleichrangigkeit

der i m CIC/1917 (c. 1013 § 1) in ihrem

Rang deutlich unterschiedenen Ehezwecke (finis primarius: procreano atque educatio prolis; secundarius: mutuum adiutorium et remedium concupiscentiae) 1 3 nicht angängig sei. Es müsse sowohl am Inhalt des Primärzwecks der Ehe festgehalten werden w i e auch daran, dass dieser den Sekundärzwecken vorgeordnet sei. 1 4 Zuletzt hat Pius X I I . 1951 in der Ansprache an die Hebammen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund des göttlichen Schöpferwillens der Primärzweck der Ehe keinesfalls in einer V e r v o l l k o m m nung der Eheleute bestehe, sondern vielmehr in der Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft. Andere von der Natur intendierte Ehezwecke stünden nicht auf derselben Stufe wie der Primärzweck, sondern seien diesem wesenhaft nachgeordnet. 15 - Damit ist ziemlich genau das verurteilt worden, was

mann (Hg.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen Freiburg i. Br. 3 7 1991, Nr. 3707. Bezüglich des Wandels im Tatbestandsbild der Impotenz als Ehehindernis sei an die jahrelange Kontroverse zwischen der SRR und der Kongregation des Hl. Offizium (heute Kongregation für die Glaubenslehre) erinnert, die durch das Dekret dieser Kongregation vom 13. 5.1977 (AAS 69 [1977] 426) ihren (vorläufigen) Abschluß gefunden hat. Die Formulierung des c. 1084 § 1 Jmpotentia coeundi" ist auf dem Hintergrund dieser Entscheidung der Glaubenskongregation zu sehen. Reinhold Sebott /Corrado Marucci, Il nuovo diritto matrimoniale della Chiesa. Napoli, 1985,104. 12

Dekret des Hl. Offiziums vom 1. 4. 1944; AAS 36 (1944) 103. Denzinger / Hünermann, Kompendium (Anm. 10), Nr. 3838. - Zuvor schon (1941) hatte Pius XII. in einer Ansprache an die SRR vor einer Überbewertung der personalen, d. h. auf die Ehepartner bezogenen Zwecke der Ehe gewarnt. AAS 33 (1941) 423. 13

Vgl. Heinrich Doms, Vom Sinn und Zweck der Ehe. Breslau 1935; Bernhard Krempel, Die Zweckfrage der Ehe begriffen aus dem Wesen der beiden Geschlechter im Lichte der Beziehungslehre des heiligen Thomas. Einsiedeln 1941. 14 Dieses Beharren des Hl. Offiziums auf der Position des CIC/1917 steht allerdings in einem gewissen Gegensatz zu der bereits in „Casti connubii" (1930) von Papst Pius XI. geäußerten umfassenderen Sicht der Ehe, wonach diese nicht nur auf Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet sei, sondern vorrangig als „totius vitae communio, consuetudo, societas" zu verstehen sei. Vgl. Anm. 10. 15 Pius XII., Ansprache an die Generalversammlung der katholischen Hebammen Italiens vom 29.10.1951, in: AAS 43 (1951) 835-854; Ochoa Leges II, Nr. 2242, Sp. 2926-2936, bes. Sp. 2934: „...il matrimonio...in virtù della volontà del Creatore, non ha come fine primario e intimo il perfezionamento personale degli sposi, ma la procreazio-

Ehe und Nachkommenschaft

377

wenige Jahrzehnte später der CIC/1983 in c. 1055 § 1, basierend insbesondere auf GS 48, als Grundlage des nachkonziliaren Eheverständnisses festgelegt hat. Der Umstand, dass das gegenwärtige Recht des CIC/1983 in c. 1055 § 1 keine Ehezwecklehre mehr enthält und (nur) von einer Hinordnung der Ehe auf das „bonum coniugum" einerseits und die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft andererseits spricht, hat unmittelbar nach Promulgation des Gesetzbuches die Frage auftauchen lassen, ob nicht das Abrücken von der bisherigen Position auch einen weitreichenden Wandel hinsichtlich der Gültigkeitsvoraussetzungen des Ehekonsenses im Zusammenhang mit der Willensausrichtung der Eheleute auf Nachkommenschaft nach sich ziehe. Sebott meinte schon 1983, dass „zukünftig kaum mehr eine Ehe für ungültig erklärt werden dürfte, wenn die Eheleute den Kindersegen verhindern" 16 . Auch andere Kanonisten sehen sich veranlaßt, aus der geänderten Sichtweise des CIC/1983 weitreichende Konsequenzen zu ziehen, und zwar in der Richtung, dass die Frage der in einer konkreten Ehe zu verwirklichenden ehelichen Fruchtbarkeit nur mehr entfernt Gegenstand einer rechtlichen Regelung sei. Die in c. 1055 § 1 enthaltene Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft zeitige keine (rechtlich relevanten) Auswirkungen auf das einzelne Ehepaar; dieses habe es vielmehr in der Hand, diese Hinordnung Wirklichkeit werden zu lassen oder nicht. 17 Den Ehepartnern sei es völlig anheimgestellt, über das Ob und die Zahl ihrer Kinder frei zu entscheiden. Es gebe keine Rechtspflicht der Ehegatten, ihre Ehe fruchtbar, zeugungsoffen zu gestalten. Die Ehe sei nicht deswegen ungültig, wenn die Ehepartner gemeinsam die Kinderlosigkeit wollen, denn sie seien niemandem gegenüber zu Kindern verpflichtet und beeinträchtigen die eigenen Rechte, die die Eheschließung ihnen gegeben hat, durch ihre Verabredung nicht. 18 Ein gegen Nachkommenschaft gerichteter gemeinsamer Wille der

ne e la educazione della nuova vita. Gli altri fini, per quanto anch' essi intesi dalla natura, non si trovano nello stesso grado del primo, e ancor meno gli sono superiori, ma sono ad esso essenzialmente subordinati". Das Gesagte habe, so fährt der Papst fort, auch Geltung für die kinderlose Ehe. - Es fällt auf, dass Pius XII. in dieser Ansprache auf die zu gegenteiligen Schlüssen berechtigende Teile der Enzyklika seines Vorgängers Pius X I . „iCasti connubii" (vgl. vorige Anm. u. Anm. 10) mit keinem Wort eingeht. Zustimmende Erwähnung findet hingegen die auf die Rangordnung der Ehezwecke Bezug nehmende Erklärung des Hl. Offizium vom 1.4.1944 (vgl. Anm. 10). 16

Reinhold Sebott, Das Neue im neuen kirchlichen Eherecht, in: StdZ 20 (1983) 269.

17

Norbert Lüdecke, Eheschließung als Bund. Genese und Exegese der Ehelehre der Konzilskonstitution „Gaudium et spes" in kanonistischer Auswertung. Würzburg 1989, 11,938 f. 18

Klaus Lüdicke, Matrimonium ordinatum ad prolem. Ehe und Nachkommenschaft nach dem Recht des CIC/1983, in: RDC 43 (1993), 116.

378

Bruno Primetshofer

Ehegatten verstoße gegebenenfalls gegen das christliche Eheideal und ein tieferes Verständnis fruchtbarer Liebe, es komme ihm aber keine kanonistische, d. h. die Gültigkeit tangierende Relevanz zu. 19 - Eine Ehe sei allerdings wegen Ausschlusses des Rechts auf Elternschaft dann ungültig, wenn ein Partner oder auch beide, aber jeder für sich und ohne Verständigung mit dem anderen, mit der Absicht geheiratet habe, dem anderen die entsprechenden Rechte ganz zu verweigern oder sie nur nach eigenem Ermessen zu gewähren. 20 - Diese Positionen führen im Grunde genommen zu dem Ergebnis, dass eheliche Nachkommenschaft prinzipiell dem ausschließlichen Belieben der Ehepartner anheimgegeben sei. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass sie einen diesbezüglichen Beschluß gemeinsam fassen. Der Frage, ob sie sich zu Kindern entschließen oder nicht, komme ausschließlich moralische Relevanz zu, die kanonische Gültigkeit der Ehe werde davon in keinem Fall berührt. I I . Die Rechtsprechung der Rota Die hier niedergelegte Auffassung findet allerdings bis zur Stunde keine ungeteilte Zustimmung. Es steht ihr vor allem die rotale Rechtsprechung entgegen, deren Tenor dahingehend zusammengefaßt werden kann, dass aus der Änderung des Gesetzestextes, insbesondere was den Wechsel vom Primärzweck der Ehe zu einer (bloßen) Hinordnung derselben auf Nachkommenschaft anlangt, keineswegs so weitreichende Konsequenzen wie die eben geschilderten gezogen werden können. So heißt es etwa in einer Entscheidung der SRR vom 28. 4. 1992 coram Colagiovanni, die Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft gehöre zu deren Wesen und wenn diese willentlich auf irgendeine Weise vereitelt werde, sei die Ehe nichtig. 21 Die Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft als das zum Wesen der Ehe gehörende „prokreative Element" dürfe niemals ausgeschlossen werden 2 2 Noch deutlicher einige Jahre zuvor ein Urteil coram Stankiewicz vom 26. 5. 1983, demzufolge die „ordinatio ad procreationem" zur ontologischen Struktur des ehelichen Aktes gehöre; ein willentlicher gänzlicher Ausschluß dieser Hinordnung ziehe die Nichtigkeit der

19

Klaus Lüdicke, c. 1101, Rdnr. 9, lit. c, in: M K CIC.

20

Lüdicke, ebd. Vgl. Bruno Primetshofer, Ordinatio ad prolem. Überlegungen zu einer rechtlichen Tragweite von c. 1055 § 1, in: FS Listi, 824 f. 21

„Ordinatio ad prolem est de essentia matrimonii, quae si in suo principio ablatur quovis modo, nullum contrahitur matrimonium". PerRCan 84 (1995) 729 Anm. 28. 22 SRR 28. 3. 1995, coram Giannecchini: „Elementum ergo procreativum, in ordinatione ad prolem consistens, est de essentia matrimonii et nemini illud excludere fas est", in: SRR Dee 87 (1998) 241.

Ehe und Nachkommenschaft

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Ehe nach sich. 2 3 Objekt des ehelichen Konsenses sei das Recht und die Pflicht bezüglich der „actus vere coniugales", deren Leistung v ö l l i g dem W i l l e n der Ehepartner anheimgegeben sei. 2 4 Der Ausschluss von Nachkommenschaft ziehe aber die Ungültigkeit der Ehe auch dann nach sich, wenn die Entscheidung für Nachkommenschaft von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängig gemacht werde, 2 5 mithin also aufschiebend bedingt sei. - Das i m Ehekonsens gründende wechselseitige Sich-Schenken und Annehmen umfasse auch die Fähigkeit zur Weckung neuen Lebens. W e r dieses Geschenk der Fruchtbarkeit negiere, dessen W i l l e sei zur Begründung einer Ehe nicht ausreichend. Wer die Fruchtbarkeit ausschließe, der verweigere den ganzheitlichen Aspekt der ehelichen Hingabe und nehme auch den anderen Partner in der vollen ehelichen Dimension der Person nicht an 2 6 Aufgrund der Aussage von c. 1055 § 1 übernehmen die Ehepartner beim Eheabschluß eine der Ehe wesensimmanente Verpflichtung, ihre Sexualkraft in den Dienst der Weckung neuen Lebens zu stellen, 2 7 oder jedenfalls dem Walten der Natur kein Hindernis in den W e g zu stellen. 2 8 Diese Auffassung steht in Einklang mit Aussagen von Moraltheologen, wie etwa Bernhard Häring, der prägnant formuliert hat „Der willkürliche

23

DirEccl 95/11, 328 f. Vgl. dazu SRR 24. 11. 1995, coram Huber: „Semper verum manet eum invalide contrahere, qui in consensu praestando intentionem generandi excludit", in: SRR Dec 87 (1998) 635. 24

SRR 28.3.1995, coram Giannecchini; SRR Dec 87 (1998) 241.

25

SRR 5.4.1995, coram Lanversin; SRR Dec 87 (1998) 254.

SRR 19. 10. 1995, coram Cormac Burke: „Talis donatio/acceptatio mutuae ac complementariae potentiae procreativae...essentialis est. ...Si unus aliave nupturientium positive excludit donum procreativitatis, insequitur quod consensus praestitus ad matrimonium constituendum inadaequatus est. Procreativitatem nempe excludens, quis reapse nec se donat, nec alteram partem accipit, in plena coniugali dimensione personae". SRR Dee 87 (1998), 560. - Burke zeigt an anderer Stelle ein Bezugsverhältnis zwischen dem körperlichen, prokreativen Aspekt der ehelichen Geschlechtsgemeinschaft und deren seelischer Komponente auf, das man allerdings kaum nachvollziehen kann: „The greatest expression of a person's desire to give himself is to give the seed of himself. ...Giving one's seed is much more significant, and in particular is much more real, than giving one's heart". Cormac Burke , Matrimonial consent and the „bonum prolis", in: ME 114 (1989) 399. 27

Burke , ebda, 403: „This ordering to the transmission of the gift of human life constitutes an essential element of matrimony, the exclusion of which, through a positive act of the will, therefore renders marriage itself invalid" (Hervorhebung im Original). 28

SRR 18. 12. 1995, coram Civili: „Obligatio essentialis quam contrahentes adsumunt, in totius vitae consortio, ordinandi suam sexualem activitatem intuitu generationis prolis sin minus non impediendi opus naturae in eundem sensum destinatum". SRR Dec 87 (1998) 697.

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Ausschluß der Weitergabe des Lebens von der Ehe insgesamt würde den Ehevertrag ungültig... machen" 29 . Eine Autonomie der Ehegatten, über die Frage von Nachkommenschaft selbständig in gemeinsamer Absprache zu entscheiden, wird von der SRR rundweg in Abrede gestellt. In voller Deutlichkeit kommt dies in einer Entscheidung coram Stankiewicz vom 21. 7. 1987 zum Ausdruck: Aus der ontologischen Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft sei zu folgern, dass diese auch als Wesenselement jeder einzelnen Ehe anzusprechen sei. 30 Ein Ausschluß dieser Hinordnung durch positiven Willensakt mache die Ehe ungültig. 31 Ebenso deutlich eine Entscheidung vom 27. 6.1990 coram De Lanversin, wonach dem bloßen Wunsch, keine Kinder zu haben, als solchem noch keine rechtliche Bedeutung zukomme. Sobald aber ein fester und dauernder Vorsatz vorliege, die Zeugung von Kindern auszuschließen, sei die Ehe auf jeden Fall ungültig, und zwar unabhängig von der Frage, ob einem solchen Ausschluß eine gemeinsame Absprache der Ehegatten zugrunde liege oder bloß ein einseitiger diesbezüglicher Vorsatz. 32 Entscheidend sei selbstverständlich, dass ein solcher Vorsatz bereits vor der Eheschließung gefaßt wurde. I I I . Zur kanonistischen Problematik von Sterilität und Impotenz Im Zusammenhang mit der Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft war es weder zur Zeit des CIC/1917 noch zur Zeit des CIC/1983 für die Kanonistik ein Problem, die Frage der vom tatsächlichen Willen der Partner unabhängigen Erreichbarkeit dieses Zieles differenziert zu betrachten und es zumindest zu einem Teil aus dem Bereich der Relevanz als Ehehindernis auszuklammern. Sterilität war und ist kein ehehindernder Tatbestand (Ehehindernis), es könnte ihr allenfalls, dann aber als Konsensmangel, rechtliche Bedeutung im Zusammenhang mit arglistiger Täuschung (c. 1098), oder eventuell als Irrtum über eine „direkt und hauptsächlich" angestrebte Eigenschaft des Partners (c. 1097 § 2) zukommen. - Anders verhält es sich mit der Frage der Impotenz (impotentia coeundi). Hier drängt sich ein, sagen wir, erratischer Block des Kirchen-

29

Bernhard Häring, Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens. Freiburg / Basel / Wien 1989, II, 493. 30 Das „bonum prolis" sei ein Wesenselement der Ehe; eine Übertragung des Rechts (ipsum ius) auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft sei zur Gültigkeit der Ehe erforderlich. SRR 24. 7.1997 coram Stankiewicz, in: ME 124 (1999) 636,638. 31 Dazu Burke, Consent (Anm. 26), 403. 32

Entsch. der SRR Nr. 00084, in: lus canonicum et iurisprudentia Rotalis. CD-Rom, edizione 1995, Roma 1995, Nr. 6.

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rechts in das Blickfeld. Das Nicht-Erreichen-Können der ontischen Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft ist nur solange irrelevant, als die physiologische Fähigkeit der Ehepartner zum coniugalis actus (wir müssen nunmehr hinzufügen: „humano modo", vgl. c. 1061 § 1) außer Streit steht. Ist nämlich diese in Form eines dauernden, der Eheschließung vorausgehenden Unvermögens nicht vorhanden, was der CIC/1983 nun mit der Formel „impotentia coeundi" (c. 1084 § 1) ausdrückt, dann liegt ein trennenden Ehehindernis vor, von dem die Kirche zumindest bislang keine Dispens erteilt. Die Frage, was unter Impotenz zu verstehen sei, hat eine lange und verwirrende Geschichte, mit der sich vor nicht allzu langer Zeit sogar die Kongregation für die Glaubenslehre (!) 3 3 beschäftigt und eine Eingrenzung des rechtlich relevanten Tatbestands vorgenommen hat. 34 - Der Frage, ob der kanonische Gesetzgeber im CIC/1983 vom naturrechtlichen Charakter dieses Hindernisses abgerückt ist oder nicht (es wird in c. 1084 § 1 CIC/1983 nicht von „ipso naturae iure dirimit" gesprochen wie in c. 1068 § 1 CIC/1917, sondern nur mehr von „ipsa eius [matrimonii] natura" 35 ), braucht hier nicht nachgegangen zu werden. Aber immer dringender wird in neuerer Zeit die Frage gestellt, warum die Kirche überhaupt ein eigenes Hindernis der Beischlafsunfähigkeit aufstellt. Weltliche Rechtsordnungen, wie etwa das österreichische ABGB (es enthielt in seiner bis 1938 geltenden Fassung einen einschlägigen Tatbestand [§ 60] unter der bezeichnenden Rubrik ,Abgang des Vermögens zum Zwecke") haben längst auf einen diesbezüglichen Tatbestand verzichtet. Die Frage nach der Berechtigung eines kanonischen Hindernisses der Impotenz stellt sich unter mehrfachen Gesichtspunkten, wovon die Ausrichtung der Ehe auf Nachkommenschaft nur einen der selben darstellt. Man kann sich mit Recht fragen, warum die Kirche auf der geschlechtlichen Potenz der Ehepartner besteht und einen Bewertungsunterschied im Verhältnis zur Sterilität in der Weise festlegt, dass bei Vorliegen von Impotenz die Ehe ungültig ist, während Sterilität keine Auswirkungen auf die Gül-

33

Dekret vom 13. 5. 1977, in: AAS 69 (1977)426, Adolf Zirkel, Das Dekret der Kongregation für die Glaubenslehre über das trennende Ehehindernis der Impotenz vom 13. Mai 1977, in: AfkKR 147 (1978) 50-70. 34

Alexander Dordett, Der Impotenzbegriff in der Rotajudikatur, in: FS für Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag. Innsbruck 1977, 333-346; ders., Impotenz als Ehehindernis nach der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota. Wien 1980. 35

Dazu Hartmut Zapp, Das kanonische Eherecht. Freiburg i. Br. ? 1988, 109-111; ders., Die rechtliche Ehefähigkeit und die Ehehindernisse, in: HdbKathKR 2 , 921. Andere Autoren halten demgegenüber weiterhin am naturrechtlichen Charakter des Hindernisses der Impotenz fest. Klaus Lüdicke, c. 1084, Rdnr. 8, in: M K CIC: Dispens vom Hindernis der Impotenz sei „aufgrund seines naturrechtlichen Charakters nicht möglich". Ebenso Sebott / Marucci, Diritto (Anm. 11), 101: „L'impotenza...è quindi impedimento dirimente di diritto naturale".

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tigkeit hat. Im einen wie im anderen Fall ist ja die Verwirklichung der (ontischen) Ausrichtung der Ehe auf Nachkommenschaft unmöglich, 36 und die Frage nach dem Ob und Wie einer Geschlechtsgemeinschaft der Ehepartner könnte die Kirche ohne weiteres der Privatautonomie der Betroffenen, d. h. dem Ehepaar, überlassen. Hierbei müßte sich die Kirche nur auf ihre eigene (Rechts)geschichte besinnen, derzufolge sie lange Zeit (bis zum Pontifikat Innozenz' III., 1198-1216) die Ehe von Beischlafsunfähigen zugelassen hat. 37 Kein Geringerer als Thomas von Aquin hat den Tatbestand der von ihm so bezeichneten „impotentia coeundi" vom Bereich der trennenden Ehehindernisse abgelöst und dem der Konsensmängel zugewiesen. Demzufolge sollte der Impotenz nur dann eheverungültigende Wirkung zukommen, wenn sich ein Partner in Unkenntnis oder Irrtum bezüglich der Behinderung auf Seiten des anderen befindet, oder gar, wenn er diesbezüglich arglistig getäuscht wurde. Sofern die Behinderung aber vor der Eheschließung beiden Partnern bekannt war, stehe einem gültigen Eheabschluß nichts im Wege. 38 Wer im Wissen um die Impotenz seines Partners trotzdem mit ihm eine Ehe eingehe, bringe damit zum Ausdruck, dass er in seiner Ehe etwas anderes als Geschlechtsgemeinschaft suche. Und das sei ausreichend für die Begründung einer gültigen Ehe. 39 Gegenwärtig mehren sich die Stimmen in der Kanonistik, die eine ersatzlose Streichung des Hindernisses der Impotenz fordern. Es ist hier nicht der Ort, auf die diesbezüglich vorgebrachten Argumente im einzelnen einzugehen. Sicherlich zu weit geht m. E. Lüdecke, der schlechthin einer generellen Unanwendbarkeit der im derzeitigen kanonischen Recht bestehenden Bestimmungen über Impotenz das Wort redet. Nach Lüdecke besteht nämlich ein doppelter Rechtszweifel in Bezug auf die Rechtsgrundlage des Hindernisses selbst wie auch hinsichtlich der Frage, ob es sich überhaupt um eine legitime Einschränkung des Rechts auf Eheschließung handle. Infolgedessen dürfe auch bei offenkundiger Beischlafsunfähigkeit die Eheschließung nicht verweigert werden. 40 Derartige Überlegungen, die de lege ferenda durchaus in Betracht zu ziehen sind, stellen allerdings, was die lex lata anlangt, nicht Auslegung des Gesetzes,

36

Pierre Hayot , Réflexions sur le thème „Mariage et procréation", in: StudCan 31 (1997) 200. 37

Vgl. dazu die Debatte in der CIC-Kommission über den naturrechtlichen Stellenwert38 des Hindernisses der Impotenz, in: Communicationes (1975) 54-56. Nachweise bei Bruno Primetshofer, Impotenz, Ehehindernis oder Konsensmangel? Überlegungen zur kirchenrechtlichen Einordnung der „impotentia coeundi", in: Im Dienste von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck. Wien 1985,481-496. 39 40

Ebd. mit weiteren Quellennachweisen. Lüdecke, Eheschließung (Anm. 17), 963.

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sondern schlichtweg dessen Nichtbeachtung dar. Das kann aber nicht Gegenstand einer sich ihrer Grenzen bewußten Interpretation einer bestehenden Rechtsnorm sein. Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber mit Nachdruck auf seinen diesbezüglichen Handlungsbedarf hingewiesen werden muss. I V . Verantwortete Elternschaft und „ordinatio ad prolem" Eine gewisse Bewegung in der ,Landschaft" um die Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft war schon zur Zeit der Geltung des CIC/1917 zu beobachten, als es noch den „Primärzweck" der Ehe gem. c. 1013 § 1 CIC/1917 gab. So vertrat der kürzlich verstorbene Augsburger Offizial Paul Wirth schon in einem 1981 erschienenen Aufsatz die Ansicht, die u. a. vom Konzil ausgesprochene Lehre von der verantworteten Elternschaft gebe Eheleuten das Recht, nicht nur über die Frage der Zahl ihrer Kinder zu entscheiden, sondern gegebenenfalls auch, ob sie überhaupt Kindern das Leben schenken wollen. Allerdings knüpfte Wirth die Gültigkeit der Ehe unter den genannten Umständen an die Bedingung, dass Ausschluß bzw. Einschränkung von Kindern nach den von der Kirche erlaubten Methoden der Geburtenkontrolle vorgenommen werde. 41 Von anderen Autoren wurde dagegen vermerkt, dass, sofern man die grundsätzliche Berechtigung einer Familienplanung kanonistisch nicht infrage stelle, die moraltheologische Komponente, d. h. die Wahl einer sittlich erlaubten oder unerlaubten Methode der Geburtenkontrolle, keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe haben könne. 42 Somit hängt also die Frage einer Begrenzung der Kinderzahl bzw. gegebenenfalls eines vollständigen Ausschlusses von Nachkommenschaft von der Frage ab, ob dies im Rahmen der von der Kirche vertretenen Lehre von der verantworteten Elternschaft ihren Platz findet. Hierbei werden es, wenn gänzlicher Ausschluß von Kindern vorgenommen wird, Gründe von entsprechender Gewichtigkeit sein müssen. Diesbezügliche Grundsätze hat Papst Pius XII. bereits 1951 niedergelegt, wenn er einerseits zwar die grundsätzliche Pflicht der Ehegatten anspricht, für den Fortbestand des Menschengeschlechts zu sorgen, andererseits aber nicht minder deutlich das Recht der Ehegatten betont, aus

41

Paul Wirth, Eherechtliche Fragen zur Familienplanung, in: ÖAKR 32 (1981) 227-

247. 42

Lüdicke, in: M K CIC, c. 1101, Rdnr. 9, lit. c.Hans Heimerl / Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht. Wien-New-York 1983, 226; Bruno Primetshofer, Der Ehekonsens, in: HdbKathKR 2 ,939.

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schwerwiegenden Gründen die Zahl der Kinder zu begrenzen, ja solche gegebenenfalls überhaupt auszuschließen.43 Ein nicht im Rahmen verantworteter Elternschaft, sondern aus reiner Beliebigkeit vorgenommener Ausschluß von Kindern hat Nichtigkeit der Ehe zur Folge. Die „ordinatio ad prolem" des c. 1055 § 1 hat nicht nur eine Bindung der Ehe gewissermaßen „in abstracto" zum Gegenstand, sondern wirkt sich grundsätzlich auch auf jedes konkrete Ehepaar aus, soweit es physiologisch (noch) zu Kindern fähig ist. Die insbesondere von Lüdicke vertretene grundsätzliche Autonomie der Ehepartner, wonach sie, ohne dass die Gültigkeit der Ehe infrage gestellt wird, nach freiem, allerdings gemeinsamem Ermessen über die Frage entscheiden können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, 44 findet m. E. in der gegenwärtigen Rechtslage keine Deckung. Es ist freilich zu bemerken, dass nicht zuletzt die Ehegerichtsbarkeit hier leicht an eine Grenze der Judiziabilität stoßen kann. Denn da die Gründe für Ausschluß von Kindern zumeist in der subjektiven Lage der Ehepartner begründet sind, wird es nicht selten für einen Außenstehenden schwer fallen zu entscheiden, ob diese Gründe im Rahmen der verantworteten Elternschaft Platz finden oder nicht. Und dies gar erst dann, wenn die Ehepartner im Augenblick des Eheabschlusses subjektiv der Meinung waren, ausreichende Gründe für einen Ausschluß von Kindern gehabt zu haben. Wer wird nach Jahren, vielleicht Jahrzehnten die Meßlatte anlegen, um die objektive Wahrheit zu erforschen? Es mag sozusagen glatte Fälle geben, wo etwa eine allgemeine hedonistische Lebenseinstellung auch zu einer grundsätzlich negativen Haltung gegenüber (eigenen) Kindern führt. Die Nichtigkeit der Ehe wegen Ausschlusses von Nachkommenschaft wird sich hier möglicherweise ohne größere Schwie-

43

PiusXII. , Ansprache an die Hebammen 29. 10 1951 (Anm. 14), Nr. III; Ochoa Leges II, Sp. 2932: „E questa la prestazione caratteristica che fa il valore proprio del loro (d. h. der Eheleute) stato, il bonum prolis....Da questa prestazione positiva obbligatoria possono esimere, anche per lungo tempo, anzi per Tintera durata del matrimonio, seri motivi, come quelli che si hanno non di rado nella cosiddetta »indicazione' medica, eugenica, economica e sociale. (Hervorhebung im Originai). Allerdings weist der Papst an dieser Stelle darauf hin, dass die Geburtenkontrolle nur dann erlaubt sei, wenn sie mittels der Beobachtung der „unfruchtbaren Tage" („tempi infecondi") vorgenommen werde. 44

Klaus Lüdicke, Zum Verhältnis zwischen Ehe und Nachkommenschaft - Konsequenzen für die kirchenrechtliche Judikatur. Referat auf der Offizialentagung in Freising 13. 4. 2000, 29 (Manuskript): „Der Ausschluß der Nachkommenschaft ist, ohne Rücksicht auf irgendwelche zeitlichen Einschränkungen, dann Grund für die Nichtigkeit der Ehe wenn (und weil) er die Verneinung des Rechts des je anderen Partners ist, über die Fruchtbarkeit der Ehe gleichberechtigt mitzuentscheiden".

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rigkeiten nachweisen lassen, wenngleich in Fällen dieser Art mit hoher Wahrscheinlichkeit noch ein anderer Nichtigkeitsgrund (etwa Eheführungsunfähigkeit) vorliegen mag. Aber was ist mit den vielen anderen Fällen, bei denen der Sachverhalt nicht so klar gegeben ist? V . Ius-exercitium iuris? Auf ein Problem ist noch einzugehen: Im Zusammenhang mit der Frage von Willensvorbehalten gegen Nachkommenschaft ist in Lehre und Judikatur die Unterscheidung zwischen der für die Gültigkeit der Eheschließung unbedingt erforderlichen Übertragung des Jus ipsum" und einer Ausübung dieses Rechtes (exercitium iuris) aufgekommen. Ohne in diesem Zusammenhang auf die von der SRR selbst erkannte und gelegentlich kritisch beurteilte Berechtigung dieser Unterscheidung einzugehen,45 muss der bisher herrschenden Lehre und Rechtsprechung zufolge folgendes festgehalten werden. Die Ehegatten müssen einander im Augenblick des Eheabschlusses bei sonstiger Nichtigkeit der Ehe das Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft übertragen; sie können gleichzeitig aber die Modalitäten festlegen, ob sie überhaupt (Fall der Josefsehe) und wenn ja, wie sie von diesem Recht Gebrauch machen wollen. 46 Ausschluß des Rechts als solchem würde Nichtigkeit der Ehe im Gefolge haben. Auch im Falle einer vereinbarten Josefsehe müßten die Ehepartner bereit sein, jederzeit auf Verlangen des anderen die Geschlechtsgemeinschaft aufzunehmen.47 Diese Verpflichtung beider Ehepartner, einander im Augenblick des Eheabschlusses das Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft einzuräumen, stößt m. E. an eine Grenze, und zwar, wie ich meine, der Vernünftigkeit, die ja oberstes Gebot jeder Rechtsnorm sein muss. Nehmen wir einmal den Fall an, dass eine Frau weiß, eine Schwangerschaft würde für sie mit hoher Wahrscheinlichkeit lebensbedrohend sein, oder einer der Ehepartner weiß, dass akute Gefahr erbkranker Kinder besteht. Dass diese Sachverhalte keine Einschrän-

45

In einer Entsch. der SRR vom 31. 3. 1969 heißt es: „... voluntas sese obligandi et voluntas non adimplendi, plerumque inter se componi non posse". Vgl .Arturo di Jorio, Causae nullitatis matrimonii secundum novissimam iurisprudentiam Rotalem, in: Annali di dottrina e giurisprudenza canonica. Bd. 2: Il dolo nel consenso matrimoniale. Città del Vaticano 1972,215 (Nr. 197). 46

Sebott / Marucci, Diritto (Anm. 11), 143.

47

Sebott ! Marucci, ebd., „II diritto proprio e corrispondentemente il dovere di esaudire il diritto del coniuge alla copula su sua richiesta, non possono tuttavia essere esclusi". 27 FS Mühlsteiger

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kung des Rechts auf Eheschließung nach sich ziehen, dürfte außer Streit stehen. Nun muss aber, der bislang herrschenden Auffassung zufolge, bei sonstiger Nichtigkeit des Ehekonsenses das Recht (ius ipsum) auf empfängnisoffenen Verkehr übertragen werden, wenn auch gleichzeitig eine Übereinkunft mit dem Ehepartner getroffen werden kann, von diesem Recht entweder überhaupt nicht (Josefsehe) oder nur in einer Weise Gebrauch zu machen, dass Nachkommenschaft ausgeschlossen ist. Kann in Fällen dieser Art wirklich verlangt werden, ein Recht zu übertragen, wenn dessen Ausübung lebensbedrohende Folgen oder gravierende Nachteile anderer Art nach sich ziehen kann? Muss man nicht vielmehr zu dem Schluß kommen, dass unter den gegebenen Umständen zwar das Recht auf Geschlechtsgemeinschaft als solche, nicht aber auch das Recht auf deren Empfängnisoffenheit übertragen werden muss, und dass ein Ausschluß des letzteren keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe haben kann? Zu diesem Ergebnis könnte man auch aufgrund folgender Überlegung kommen: C. 1055 § 1 enthält eine zweifache Hinordnung der Ehe, nämlich auf das Wohl der Ehegatten (bonum coniugum) und auf Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft (generatio et educatio prolis). Diese beiden „Sinnziele" der Ehe können aber dergestalt in Konkurrenz treten, dass, wie in unserem vorliegenden Fall, das erstere sogar verlangt, dass das zweite nicht realisiert wird. Das „bonum coniugum" wäre nicht gewährleistet, wenn dem Ehepartner nicht Sicherheit darüber gegeben würde, dass eine lebensbedrohende Schwangerschaft nicht eintreten wird. Die Lehre von der verantworteten Elternschaft geht m. E. so weit, dass es mit der Gültigkeit der Ehe vereinbar ist, das „ius ipsum" auszuschließen und nicht bloß eine Vereinbarung hinsichtlich der Ausübung dieses Rechts zu treffen. In der Praxis werden solche Fälle wahrscheinlich nicht selten mit Hilfe eines bereits vor Eingehung der Ehe vorgenommenen chirurgischen Eingriffs gelöst, der eine Schwangerschaft wenn schon nicht überhaupt, so doch mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad ausschließt.48 Aber bei einer eventuell vor einem kirchlichen Gericht eingereichten Nichtigkeitsklage „ob exclusionem boni prolis" stellt sich die Frage, ob einem Klagebegehren aus diesem caput nullitatis nicht vielleicht stattgegeben würde. Folgt man der in der Literatur schon

48

Als einzige moralisch vertretbare Lösung zur Hintanhaltung von Risikoschwangerschaften betrachtet Pius XII. allerdings nur die vollständige Enthaltsamkeit der Ehegatten. In seiner Ansprache an die Hebammen vom 29. 10. 1951 weist er unmißverständlich darauf hin, „che anche in questi casi estremi ogni manovra preventiva ...è in coscienza proibito ed escluso, e che una sola via rimane aperta, vale a dire quella dell' astinenza da ogni attuazione completa della facoltà naturale". Ochoa Leges II, Sp. 2932.

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mehrfach glossierten Entscheidung der SRR in einem in erster Instanz in der Diözese Passau zur Behandlung stehenden Fall (1995), 49 der in dritter Instanz von der SRR entschieden wurde, dann müßte man auch in diesem Fall zu einem „Constare-Urteil" kommen, weil die Hinordnung der Ehe auf das „bonum prolis" von einer Partei willentlich ausgeschlossen worden war. - Im gegenständlichen Urteil der SRR ging es zwar in weiterer Folge um Probleme der kanonistischen Beurteilung einer künstlichen Insemination mit dem Sperma des eigenen Ehemannes, das dieser vor Durchführung einer Vasektomie in einer Samenbank deponiert hatte; zunächst aber stand die Frage nach dem Ehewillen dieses Mannes zur Beurteilung, der bei Eingehung der Ehe keine Nachkommenschaft wollte. Das Erstgericht wie auch die in 3. Instanz in die causa involvierte SRR sahen hier einen Ehenichtigkeitsgrund „ob exclusionem boni prolis" und fällten ein Constare-Urteil. 50 Zu einem solchen auf den traditionellen Prämissen aufbauenden Urteil 51 müßte das Gericht wohl auch in dem hier in Rede stehenden Fall gelangen, in dem eine Frau vor Eheabschluß einen chirurgischen Eingriff an sich vornehmen läßt, der (lebensbedrohende) Schwangerschaft ausschließt. Dieses Ergebnis wäre aber äußerst befremdend. Nach meinem Dafürhalten sind die Lehre von der verantworteten Elternschaft und die daraus gezogenen kanonistischen Konsequenzen auf den Fall der Frau anzuwenden, für die Schwangerschaft Lebensgefahr bedeuten würde. Und die Konsequenzen gehen so weit, dass in der vorliegenden Fallkonstruktion auch eine Verweigerung des Rechts als solchem mit der Gültigkeit der Ehe vereinbar sein muss. Eine andere Lösung, die eine Nichtigerklärung der Ehe

49

SRR 15. 6. 1994 coram De Lanversin, in: ME 120 (1995) 183-197. Dazu Jean Werckmeister , Les nouvelles formes de fécondation artificielle dans une sentence récente de la Rote, in: RDC 45 (1995)321-330. Primetshofer , Ordinatio (Anm. 20), 832-836. Klaus Lüdicke, Künstliche Befruchtung und Eheungültigkeit. Anmerkungen zu einem nicht alltäglichen Fall, in: ÖAKR 44 (1995-97) 155-165. Primetshofer, Ordinatio (Anm. 20), 832-836. Eine ähnlich gelagerte Entscheidung des Diözesangerichts von Cagliari (1961) wird zustimmend von Sabattani zitiert. Ein wegen eines in seiner eigenen Familie vorgekommenen Falles von Inzest zwischen Vater und Tochter an einem psychischen Trauma leidender Mann wollte in seiner Ehe unter keinen Umständen Kinder. Aus diesem Grunde heiratete er eine Frau, deren Sterilität ihm bekannt war. Das Diözesangericht fällte ein Constare-Urteil „ob exclusionem boni prolis". Zur Urteilsbegründung führte das Gericht aus: „Qui absolute velit excludere filios a matrimonio suo, licet velit actus per se ad prolis generationem aptos, revera non habet in sua voluntate, et ideo in suo consensu, tamquam obiectum societatem ad prolis generationem, sicuti vult lex naturae". Aurelio Sabattani, Exclusio boni prolis ad tempus, in: AfkKR 144 (1975) 458.

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wegen Ausschlusses des Rechts auf Nachkommenschaft, genauer gesagt, Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft zum Gegenstand hat, wäre nicht nur lebensfremd, sondern würde auch an der primären Hinordnung der Ehe auf das bonum coniugum vorbeijudizieren. Dies kann aber weder Ziel einer auf das Seelenheil als primärem „Gesetz" verpflichteten RechtsSetzung (vgl. c. 1752), noch einer neben anderen Grundsätzen auch und nicht zuletzt auf die aequitas canonica (c. 19) verwiesenen Rechtsanwendung sein. V I . Gegenwärtige Position des kanonischen Rechts und ihre Korrektur Die gegenwärtige Position des kanonischen Rechts könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Die Ehe ist legitimer Ort der geschlechtlichen Begegnung, und ein Recht auf diese muss bei sonstiger Nichtigkeit der Ehe übertragen werden. Wer ein solches Recht nicht übertragen kann, der ist zur Ehe unfähig. Daher stellt Impotenz als Beischlafsunfähigkeit im Gegensatz zur bloßen Sterilität ein trennendes Ehehindernis dar. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Aussage des früheren c. 1081 § 1 CIC/1917 auch heute noch normativer Charakter zu, wenn es dort heißt, dass Gegenstand des Ehekonsenses die „actus per se apti ad prolis generationem" sind. Die Frage, ob aus einer Ehe tatsächlich Nachkommenschaft hervorgeht, bildet kein rechtlich relevantes Problem. Allerdings müssen die Ehepartner einander im Augenblick des Eheabschlusses das Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft für die ganze Dauer der Ehe einräumen, sonst käme diese nicht gültig zustande.52 Ob und in welchem Umfang sie von diesem Recht Gebrauch machen, bleibt im Rahmen der verantworteten Elternschaft ihrem Ermessen überlassen. Ein Ausschluß von Kindern oder auch nur eine Begrenzung der Kinderzahl, der nicht in diesem Rahmen seine Deckung findet, zieht Nichtigkeit der Ehe nach sich. Eine Korrektur dieser Position müßte m. E. in zweifacher Hinsicht erfolgen. Zum einen wäre davon auszugehen, dass Ehe keinesfalls grundsätzlich, weder

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So mit besonderer Deutlichkeit Papst Pius XII. in der Ansprache an die Hebammen vom 29. 10. 1951: „Se già nella conclusione del matrimonio almeno uno dei coniugi avesse avuto l'intenzione di restringere ai tempi di sterilità lo stesso diritto matrimoniale, e non soltanto il suo uso, in modo che negli altri giorni l'altro coniuge non avrebbe neppure il diritto di richiedere l'atto, ciò implicherebbe un difetto essenziale del consenso matrimoniale, che porterebbe con sè l'invalidità del matrimonio stesso, perché il diritto derivante dal contratto matrimoniale è un diritto permanente, ininterrotto, e non intermittente, di ciascuno dei coniugi di fronte all'altro. Se invece quella limitazione dell'atto ai giorni di naturale sterilità si riferisce non al diritto stesso, ma solo all'uso del diritto, la validità del matrimonio resta fuori di discussione." Ochoa Leges II, Sp. 2931 f. (Hervorhebungen im Originai).

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zur Gültigkeit noch zur Erlaubtheit, eine Übertragung des Rechts auf Geschlechtsgemeinschaft (ius ipsum) impliziert. Dies würde zunächst bedeuten, dass Ehewerber mit impotentia coeundi von der Eingehung einer Ehe nicht ausgeschlossen sind. Auch ein Ehepartner, der dieses Recht nicht übertragen kann, wäre demnach ehefähig. Die ganze Frage der Fähigkeit bzw. Unfähigkeit der Ehe wegen „impotentia coeundi" wäre in den Bereich eines (eventuellen) Konsensmangels im Zusammenhang mit rechtlich relevantem Eigenschaftsirrtum, d . h . Irrtum über eine „direkt und hauptsächlich angestrebte Eigenschaft" (c. 1097 § 2) oder arglistiger Täuschung (c. 1098) zu verlagern, wie dies gegenwärtig in Bezug auf die Sterilität der Fall ist. - Zum anderen wäre aber auch Gedas Erfordernis der Übertragung eines Rechts auf empfängnisoffene schlechtsgemeinschaft zu hinterfragen. Im angeführten Beispiel der Frau, für die eine Schwangerschaft entweder mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit Lebensgefahr oder zumindest Gefahr eines großen körperlichen Schadens bedeuten würde, kann nicht wirklich bei sonstiger Nichtigkeit der Ehe gefordert werden, dass sie ein Recht auf etwas überträgt, dessen Ausübung die in Rede stehenden negativen Konsequenzen für sie nach sich ziehen kann. Mit anderen Worten: Die Unterscheidung zwischen Jus ipsum" und „exercitium iuris" mit der Folge, dass die Übertragung des ersteren zur Gültigkeit der Ehe erforderlich wäre und lediglich hinsichtlich des letzteren eine Vereinbarung zulässig wäre, erweist sich als lebensfremd und daher nicht brauchbar. Es kann im Bereich des Eherechts angesichts der primären Hinordnung der Ehe auf das Wohl der Ehegatten keine Pflicht geben, die gegen das Grundrecht des Menschen auf Leben verstößt und somit dem bonum coniugum entgegensteht. Hier muss wohl auch die Regula Juris V I Anwendung finden: „Nemo potest ad impossibile obligari". Wenn somit aber die Übertragung des Rechts auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft nicht unter allen Umständen als zur „essentia matrimonii" gehörig anzusehen ist, dann wäre es an der Zeit, die diesbezügliche Unterscheidung zwischen Jus ipsum" und „exercitium iuris" überhaupt zu hinterfragen. Vielmehr ist von folgenden Überlegungen auszugehen: Die Ehegatten sind grundsätzlich verpflichtet, einander das Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft einzuräumen. Diese wechselseitige Übertragung bzw. Annahme von Recht und entsprechender Pflicht steht aber unter mehrfachen Vorbehalten: Ist einer der Ehepartner aufgrund physischer Impotenz (impotentia coeundi) nicht in der Lage, dem anderen das Recht auf Geschlechtsgemeinschaft überhaupt zu übertragen oder ist er aus anderen entsprechend schwerwiegenden Gründen (Lebensgefahr im Falle einer Schwangerschaft, begründete Gefahr erbkranken Nachwuchses) nicht willens, ein Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft zu übertragen, dann kann in beiden Fällen eine Ehe trotzdem gültig eingegangen werden, sofern der andere Partner von dieser besonderen Lage in Kenntnis gesetzt wurde und trotzdem die Ehe eingehen

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will. Hat der andere Ehepartner keine Kenntnis vom Willensvorbehalt des anderen, dann stellt dieser Sachverhalt offensichtlich den Tatbestand der arglistigen Täuschung aufgrund eines „illoyalen Verschweigens" 53 einer in c. 1098 angesprochenen Eigenschaft dar. 54 Dabei stellt sich die Frage, ob der andere Ehepartner mit dem Vorbehalt des anderen gegen empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft auch einverstanden sein muss, oder ob eine Ehe auch gültig wäre, wenn dem anderen Partner diese Gründe nicht (voll) einsichtig sind und er sie nicht oder nicht in vollem Umfang akzeptiert. Dies etwa dann, wenn die vom einen Ehepartner angenommene Gefahr für das eigene Leben oder die Gefahr erbkranker Kinder dem anderen Partner nicht genügend plausibel erscheint und er zumindest mit der Erwartung in die Ehe geht, sein Ehepartner werde sich überzeugen lassen und werde von seiner Haltung im Verlauf der Ehe Abstand nehmen. Abgesehen von der Frage, ob unter solchen Umständen die für eine Eheschließung erforderliche Harmonie der Ehegatten gegeben ist und es somit wegen dieser Divergenzen überhaupt zu einer Eheschließung kommt, halte ich es für möglich, dass die Ehe gültig ist, auch wenn hinsichtlich des Rechts auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft keine oder jedenfalls keine volle Einigung unter den Ehegatten erzielt werden kann. Daraus würde sich im Endeffekt ergeben, dass die in c. 1055 § 1 angesprochene Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft für den einzelnen Ehepartner eine Pflicht auf Übertragung des Rechts auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft nur insoweit nach sich zieht, als ihm dies tatsächlich (physiologisch) möglich ist und, soweit möglich, auch zumutbar ist. Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Übertragung des in Rede stehenden Rechts, und - im Falle der Unzumutbarkeit - ein Willensvorbehalt gegen Nachkommenschaft, steht der Gültigkeit der Ehe nicht im Wege. Dies selbst dann nicht,

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Pompedda spricht in Zusammenhang mit c. 1098 auch von einem „silenzio sleale", dem rechtliche Relevanz zukommt. Mario F. Pompedda , Annotazioni sul diritto matrimoniale nel nuovo Codice canonico, in: Zenon Grocholewski / Mario F. Pompedda / Cesare Zaggia (Hg.), Il matrimonio nel nuovo Codice di diritto canonico. Padova 1984, 62. 4 Der Tatbestand des dolus gemäß c. 1098 umfaßt nicht nur die bewußte Herbeiführung eines mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Verstandesurteils (Irrtum error dolose causatus), sondern auch eine diesbezügliche Unwissenheit des Partners, die „wenigstens billigend in Kauf genommen wird, um den Willen des Getäuschten mit dem des Täuschenden in Übereinstimmung zu bringen". Bernhard Bohlen, Täuschung im Eherecht der katholischen Kirche. C. 1098 CIC in der kanonistischen wissenschaftlichen Judikatur. (MK CIC Beih. 9). Essen 1994, 156; Georg Bier, Probleme der Anwendung des „dolus" in der Rechtsprechung, in: DPM 1 (1994) 169 f.; Kenneth E. Bocca/ola, Deceit and induced error about a personal quality, in: ME 124 (1999) 705 f.

Ehe und Nachkommenschaft

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wenn - im Falle der von einem Ehepartner angenommenen Unzumutbarkeit empfängnisoffener Geschlechtsgemeinschaft - der andere Partner mit einem diesbezüglichen Willensvorbehalt nicht einverstanden sein sollte. Entscheidend ist dabei allerdings, dass dieser Ehepartner von dem Willensvorbehalt vor der Eheschließung in Kenntnis gesetzt wird. Im Zusammenhang mit dem Fallbeispiel, in dem von einem Ehepartner Unzumutbarkeit der Übertragung des Rechts auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft angenommen und ein dementsprechender Willensvorbehalt gesetzt wird, könnte noch der Frage nachgegangen werden, ob die Gründe für diesen Vorbehalt objektiv gegeben sein müssen, so dass die Gültigkeit der Ehe von der tatsächlichen Existenz dieser Gründe abhängt. Es wäre demzufolge zu fragen, ob der Vorbehalt gegen empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft nur dann keine eheverungültigende Wirkung zeitigt, wenn die Gründe, um derentwillen dieser Vorbehalt gesetzt wird, der Wirklichkeit entsprechen. Typologisch liegt Tatsachenirrtum vor, d.h. der Ehepartner beurteilt ein ihn selbst betreffendes Faktum („factum proprium") falsch. Zwar haben weder CIC/1917 oder CIC/1983, noch auch der CCEO die RJ 13 „Ignorantia facti non iuris excusat" ausdrücklich übernommen, sondern begnügen sich mit der Feststellung, dass keinerlei /?ec/iteunkenntnis vor der Wirkung irritierender oder inhabilitierender Gesetze schützt (c. 15 § 1; c. 16 § 1 CIC/1917; c. 1497 § 1 CCEO); es besteht aber kein Zweifel, dass unverschuldete Tatsachenunkenntnis bzw. unverschuldeter diesbezüglicher Irrtum von den Wirkungen des Gesetzes entschuldigt.55 Auf die diesbezüglich angestellten Präsumptionen, unter welchen Umständen Tatsachenunkenntnis in Bezug auf welche Fakten anzunehmen sei (c. 15 § 2, c. 16 § 2 CIC/1917, c. 1497 § 2 CCEO), braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. V I I . Zusammenfassung a) Die in c. 1055 enthaltene Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft bedeutet eine grundsätzliche Verpflichtung für jedes Ehepaar, soweit es physiologisch überhaupt fähig ist, Kinder zu haben, diese ontische Ausrichtung in ihrer eigenen Ehe insoweit Wirklichkeit werden zu lassen, dass sie einander das Recht auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft übertragen.

55

Gommarus Michiels, Normae generales iuris canonici, vol. I. Parisiis / Tornaci / Romae 2 1949, 452; Julio Garcia Martin , Le norme generali del Codex Iuris Canonici. Roma 1995,92.

392

Bruno Primetshofer

b) Dieses Recht und die damit korrelierende Pflicht stellen nicht in allen Fällen zwingendes Recht dar, sondern stehen unter mehrfachen Vorbehalten: •

Das Vorliegen von ,impotentia coeundi", d.h. wenn einer oder gegebenenfalls beide Ehepartner nicht in der Lage sind, einander Geschlechtsgemeinschaft zu gewähren, bedeutet keine Unfähigkeit, eine Ehe einzugehen. Impotenz wäre von der Ebene eines trennenden Ehehindernisses auf die eines eventuell vorhandenen Konsensmangels (Irrtum, arglistige Täuschung) zu verlagern.



Wenn schwerwiegende Gründe der Weckung neuen Lebens entgegenstehen, berechtigt die Lehre von der verantworteten Elternschaft die Ehegatten nicht nur zur Beschränkung der Kinderzahl, sondern allenfalls auch zum völlig Ausschluß von Nachkommenschaft. Hierbei hat die moralische Frage, mit welchen Mitteln die Empfängnisregelung erfolgt, auf die Beurteilung der Gültigkeit der Ehe keinen Einfluß.



Wenn Gründe dieser Art vorliegen, dann ist es zur Gültigkeit der Ehe nicht erforderlich, dass jeder der Ehegatten im Augenblick des Eheabschlusses dem anderen das Recht (ius ipsum) auf empfängnisoffene Geschlechtsgemeinschaft überträgt.



Ein nicht von den Rahmenbedingungen der verantworteten Elternschaft gedeckter Ausschluß von Kindern zieht Ungültigkeit der Ehe nach sich, wobei es unerheblich ist, ob dieser Ausschluß von einem Eheteil allein oder von beiden in gemeinsamer Absprache erfolgt ist.

Verteidigungsrecht oder Mitwirkungsrecht? Überlegungen zu Natur und Stellenwert des „ius defensionis" der „pars conventa" im kanonischen ordentlichen Streitverfahren und im kanonischen Ehenichtigkeitsverfahren Von Bertram Zotz

I . Einleitung Ein Mann beantragt beim kirchlichen Gericht die Nichtigerklärung seiner Ehe. Das von ihm vorgelegte Beweisangebot begründet die berechtigte Hoffnung, das Verfahren erfolgreich in seinem Sinne führen zu können. Der Antragsteller hat seit der Scheidung keinen Kontakt mehr zu seiner geschiedenen Gattin und auch dem Gericht gelingt es trotz intensivster Nachforschungen nicht, deren Wohnsitz oder Aufenthaltsort zu eruieren. Oder: Eine Frau beantragt die Annullierung der Ehe mit ihrem Mann, der wegen eines Mordversuches an ihr im Gefängnis einsitzt. Aufgrund von wiederholten Drohungen gegen ihr und ihrer Kinder Leib und Leben, wohnt die Frau mittlerweile an einer anderen Adresse, die mit Hilfe von Vorkehrungen auch in den staatlichen Verzeichnissen völlig geheimgehalten wird. 1 Ist der Richter in diesem Fall dazu verpflichtet, den Mann den geltenden Verfahrensvorschriften entsprechend vom Verfahren in Kenntnis zu setzen und ihn daran zu beteiligen? Solche und ähnliche Situationen konfrontieren den kirchlichen Richter in seinem vorrangig ehegerichtlichen Alltag 2 mit dem Problem der Beteiligung des nichtantragstellenden Gatten und lenken so seinen Blick auf eine Größe, der im Prozeß- und Eheprozeßrecht der katholischen Kirche gemeinhin eine besondere Bedeutung beigemessen wird: auf das Verteidigungsrecht der Partei-

1

Diesen Fall schildert Klaus Lüdicke, Der kirchliche Ehenichtigkeitsprozeß - ein processus contentiosus?, in: ÖAKR 39 (1990) 307, Anm. 25. 2

\g\.Lüdicke, thé.,

295.

394

Bertram Zotz

en. Diese Stellung, die dem Verteidigungsrecht in Kanonistik und in der ständigen und einheitlichen Judikatur der obersten kirchlichen Gerichte zu Fragen der Urteilsnichtigkeit zugemessen wurde und wird, unterstreicht auch der oberste kirchliche Gesetzgeber selbst. So ζ. B. durch c. 221 3 , durch dessen Einordnung in den Titel I des Buches II des CIC das Verteidigungsrecht als eines der Grundrechte aller Getauften ausgewiesen wird, sowie durch die Norm des c. 1620 n. 7, derzufolge die Verweigerung dieses Rechts im kanonischen Prozeß die unheilbare Nichtigkeit jeder richterlichen Entscheidung nach sich zieht. Zudem bekräftigt Papst Johannes Paul II. im Bemühen, „die Bedeutung des Verteidigungsrechtes bei kanonischen Prozessen, insbesondere bei Ehenichtigkeitsprozessen hervorzuheben", mit den Worten aus c. 1598 § 1 „den Grundsatz, der die gesamte richterliche Tätigkeit der Kirche leiten muß: ,Das Verteidigungsrecht muß stets unbeeinträchtigt bleiben'" 4 . Diese Hochschätzung, die im wesentlichen dem Grundverständnis des kirchlichen Prozesses als „processus contentiosus" zu entspringen scheint, wird aber in jüngster Zeit für den Ehenichtigkeitsprozeß kritisch hinterfragt. Ausgehend von einer Analyse des Gegenstandes und der Funktion eines solchen Prozesses wird besonders im Hinblick auf c. 1691 festgestellt, daß (zumindest) „das ,Verteidigungsrecht' der pars conventa kritischer zu betrachten ist als im eigentlichen Parteienstreitverfahren" 5. Auch wird darauf hingewiesen, daß dem Verteidigungsrecht in verschiedenen Verfahrensarten jeweils unterschiedliche Bedeutung zukommen würden. 6 Ziel der folgenden Überlegungen ist es, ausgehend von den Prozeßnormen des geltenden CIC die Bedeutung und den grundsätzlichen Stellenwert des Jus defensionis" für beide genannten Verfahrensarten zu erheben und darzustellen. 3

Nummern von Canones ohne erläuternden Zusatz beziehen sich auf die Normen des CIC von 1983. Die deutsche Wiedergabe von Zitaten daraus erfolgt, so nicht anders vermerkt, nach dem Codex des Kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Kevelaer 3 1989. 4 Johannes PaulII., Ansprache v. 26.1.1989 an die Mitglieder der Römischen Rota. In: AAS 81 (1989) 922-927. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Ludger Müller, in: AfkKR 158 (1989) 130 ff. 5 Klaus Lüdicke, c. 1400, Rdnr. 4, in: M K CIC; Klaus Lüdicke, Der kirchliche Ehenichtigkeitsprozeß nach dem Codex Iuris Canonici von 1983. Normen und Kommentar. Essen 2 1996 (= M K CIC Beih. 10), 3, Rdnr. 4; vgl. Lüdicke, Ehenichtigkeitsprozeß (Anm. 1), 302.

Vgl. Reinhild Ahlers, Der Stellenwert des Verteidigungsrechtes im Ehenichtigkeitsverfahren, in: DPM 2 (1995) 287; vgl. auch John G. Johnson, Publish and be damned: The dilemma of implementing the canons on publishing the acts and the sentence, in: Jurist 49 (1989) 218.

Verteidigungsrecht oder Mitwirkungsrecht?

395

Dazu sollen nach etymologisch-begriffsgeschichtlichen Überlegungen das Wesen des kirchlichen Prozesses an sich beleuchtet, Struktur und Gegenstand eines ordentlichen St reit Verfahrens dargelegt und eine Begründung für den Stellenwert des Verteidigungsrechts darin erhoben werden. Ausführungen zum Inhalt und zur prozeßrechtlichen Umsetzung des Verteidigungsrechts leiten über zur exemplarischen Darstellung möglicher Sachverhalte, die einer Verweigerung des Verteidigungsrechts gleichkommen und im „processus contentiosus" die Urteilsnichtigkeit gem. c. 1620 n. 7 nach sich ziehen. Nachfolgend sollen einander die „klassische" und eine „alternative" Sichtweise von der Natur des Ehenichtigkeitsprozesses gegenübergestellt und darauf aufbauend die systematische Bedeutung des Verteidigungsrechts der „aufgerufenen bzw. nichtklagenden" Partei im Ehenichtigkeitsverfahren herausgearbeitet werden. Abschließend sei versucht, Lösungsansätze für die einleitend genannten Sachverhalte anzudenken. I I . Etymologische Vorbemerkungen 1. Die Bedeutung der Begriffe

„ Verteidigungsrecht"

und „ ius defensionis"

Die heute gebräuchlichen deutschen Begriffe „ Verteidigung" und „verteidigen" 1 haben ihren etymologischen Ursprung im mittelhochdeutschen „vertagedingen", „verteidingen", das aus den althochdeutschen Stämmen „tag" und „ding" und der Vorsilbe „ver" gebildet ist. Aus den Begriffsinhalten von „ tag", das den „Gerichtstermin" meint, und von „ding", das für „Gerichts- oder Volksversammlung", aber auch für „die Rechtssache und die Verhandlung" selbst steht, erschließt sich für das althochdeutsche „tagading" und das mittelhochdeutsche „teidinc(g)" die Bedeutung der „auf einen bestimmten Tag anberaumten (gerichtlichen) Verhandlung" 8 . Zusammen mit dem Praefix „ver" , das den Gedanken der Stellvertretung bzw. das Handeln im Namen eines anderen repräsentiert, bedeutet das am Ursprung unseres heutigen „verteidigen" stehende „Vertagedingen" das „ Vertreten eines anderen vor Gericht". Damit ist zunächst ausschließlich die Tätigkeit des „Munts" in der uns heute geläufigen prozessrechtlichen Funktion eines Tutors bzw. Kurators gemeint; erst später auch eine Tätigkeit als „Vorsprecher" bei Gericht, vergleichbar der heutigen Aufgabe eines „advocatus".

7 Die Ausführungen dazu folgen im wesentlichen Karl-Theodor Geringer, Das Recht auf Verteidigung im kanonischen Prozeß. Wien 1976 (= Wiener Beiträge zur Theologie Band L), 19-20.

g

Geringer, ebd., 19.

Bertram Zotz

396

Das lateinische „defensio" leitet sich vom Verb „defendere" ab, einem Kompositum aus der Vorsilbe „de-" und dem Wort „fendere" 9, das im Lateinischen sonst nur noch als Bestandteil von „offendere" vorkommt. 10 Das Praefix „de" meinte zunächst soviel wie „in Richtung", erhielt später aber auch die Bedeutung von „von - weg", die das Wort in vielen Komposita mit anderen Verben einnimmt. Das Wort „fendere " heißt soviel wie physisch „schlagen, dreschen, stoßen". Als ursprünglichste Wortbedeutung für „defendere" - und damit auch für „defensio" - ergibt sich somit jene von „zurückschlagen, von sich wegstoßen" im Sinne des reaktiven Abwehrens eines mit physischer Gewalt vorgetragenen Angriffs. 11 Wohl die Erfahrung, daß einem Individuum nicht nur durch physische sondern auch durch nicht-physische Gewalt Schaden drohen kann, führte dann dazu, daß auch in letzterem Fall von „zurückweisen, wegstoßen" gesprochen wurde und „defendere" in dieser analogen Bedeutung Eingang in das römische Recht und hier vor allem in das Prozeßrecht fand. 12 „Defensio" wird in beiden Verwendungsweisen heute zu deutsch mit „ Verteidigung" wiedergegeben; einem Terminus, der so gegenüber seinem mittelhochdeutschen Ursprungswort begriffsinhaltlich zweifach erweitert erscheint: Zum einen ist der exklusive Aspekt der stellvertretenden Verteidigung um jenen der Selbstverteidigung erweitert, und zum anderen ist durch ihn nicht mehr nur ein Handeln vor Gericht angesprochen. 13 Somit läßt sich als gemeinsame Bedeutung beider Termini die „ reaktive Abwehr eines Angriffs carnifice crudelior, idoneum sceleris sui ministrum diaconum suum elegit Caecilianum; idemque lora et flagra cum armatis ante fores carceris ponit y ut ab ingressu atque aditu cunctos qui victum potumque in carcerem martyribus afferebant, gravi affectos iniuria propulsarci..." . Ebenda findet sich dazu eine kritische Anmerkung des französischen Kirchenhistorikers und Kanonisten Stephan Baluzius (+ 1718), die der Darstellung den Wert von

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

689

Bis zu diesem Zeitpunkt läßt sich ein offener Bruch zwischen Karthago und Numidien noch nicht feststellen. Eine Änderung an diesem Verhältnis sollte nicht lange auf sich warten lassen. Da Mensurius einen Diakon namens Felix, der unter Maxentius von der Regierung wegen laesa maiestas gesucht wurde, versteckt hatte, mußte er an das kaiserliche Hoflager und wurde einem Verhör unterzogen, bekam aber die Erlaubnis heimzukehren. 27 Auf der Rückreise ereilte ihn der Tod. Für die Absenzperiode hatte er dem Klerus die Leitung der karthagischen Kirchengemeinde übertragen. Daß Cäcilian als Vertrauter des Bischofs Mensurius und als Archidiakon auf Grund seiner rechtlichen Zuständigkeit über den Presbytern stehend im Leitungsgremium eine Sonderstellung einnahm, versteht sich von selbst. Die unerwartete Todesnachricht rückte mit einem Schlage die Nachfolgefrage in den Vordergrund. Die rund ein Jahrhundert zuvor von Tertullian formulierte Aussage, wonach Streit um das Bischofsamt die Mutter von Spaltungen sei, 28 erhält in Karthago volle Aktualität. Die ohnehin schon seit geraumer Zeit in der Ortskirche von Karthago offenen Spannungen trieben einem Höhepunkt zu. Die Lage verschärfte in diesem Falle eine alte Rivalität zwischen Karthago und Numidien. Seit Cyprians Zeit kam vermutlich auf gewohnheitsrechtlichem Wege - dem Senior (Primas) der Bischöfe von Numidien das Recht der Weihe des Primas von Karthago als des Metropoliten der Africa proconsularis zu. Wegen der unerwarteten Reise nach Rom verblieb Mensurius keine Zeit, die Gold- und Silberschätze seiner Kirche zu vergraben, weshalb er sie einigen Senioren seiner Kirchengemeinde anvertraute. Da bekanntlich Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist, überließ er eine Kopie des Inventarverzeichnisses einer alten Dame articula") mit dem Auftrag, sie möge es, sollte er sterben, seinem Nachfolger übergeben. Da die Senioren sich für die Übergabe nicht auf einen Kandidaten einigen konnten und die Kleriker Botrus und Celestus, die sich zur Übernahme erbötig gemacht hatten, aber keine Approbation dafür erhalten hatten, fiel die Wahl auf Cäcilian, dem die Senioren den Kirchenschatz übergeben sollten. 29 Wenngleich die Bürgerschaft die Übergabe an den Archidiakon guthieß, die Akzeptanz beim Volk und einem Teil des Klerus fehlte ihm. Selbst für den Fall, daß die geschilderten Grausamkeiten gegen die gefangenen Märtyrer ihm nicht

augenscheinlichen Lügen beimißt mit der Begründung, daß der eine ja Bischof war und der andere später zum Bischof geweiht wurde. 27

Vgl. Optatus von Mileve, Lib. 1,17 (CSEL 26,19).

28

Vgl. Tertullian, De Baptismo, 17 (CSEL 20, 215): „Episcopatus aemulatio schismatum mater est. " 29 Vgl. Optatus von Mileve, Lib. 1,17.18 (CSEL 26,19 f.). 46 FS Mühlsteiger

690

Johannes Mühlsteiger

als Täter zuzurechnen sind, Tatsache bleibt, daß er über ein Jahrzehnt als Gegner einer übertriebenen Wertschätzung der Märtyrer angesehen wurde. 30 Mit der Übergabe des Kirchenschatzes an Cäcilian war aber nicht von selbst seine Bestellung zum Bischof verbunden, vielmehr wird man sie als Vorwahl bezeichnen können, mit der er zum Kandidaten für das Bischofsamt von Karthago der Öffentlichkeit gleichsam präsentiert wurde. Seine Anhänger setzten nun alle Hebel in Bewegung, um einer Initiative seitens des Primas von Numidien zu vorzukommen. Zur Wahl eines Bischofs von Karthago als Primas der ganzen Kirche Afrikas wäre, einer Tradition entsprechend, die Einladung der Bischöfe von Numidien vorgesehen gewesen. Der karthagische Klerus sträubte sich gegen ein so geartetes Privileg und vermied es deshalb, eine entsprechende Einladung nach Numidien abzusenden. Zur Wahl versammelte sich einzig der Klerus von Karthago mit einigen Nachbarbischöfen. Die Stimmen fielen ohne Ausnahme Cäcilian zu. Man schrieb das Jahr 312, als Bischof Felix von Abthugni als Hauptkonsekrator, Novellus von Thizica und Faustinus von Thuburbo Maius als Mitkonsekratoren Cäcilian die Hände auflegten. 31 Eigentlich waren es Botrus und Celestius gewesen, die sich Wahl und Weihe zu sichern hofften, falls es gelingen sollte, die Numidier auszuschalten und an ihrer Stelle nur Nachbarbischöfe ihre Teilnahme zugesagt hätten.32 Enttäuscht über die sämtlich mißlungenen Versuche, an ihr Ziel zu kommen, verbanden sie sich mit jenen Senioren der Gemeinde, denen die Kirchenschätze anvertraut worden waren und die übersehen hatten, daß das Verzeichnis der Wertgegenstände bei einer Drittperson aufbewahrt wurde. Ihnen gesellte sich eine einflußreiche und parteiische Frau namens Lucilla zu, die von Cäcilian wegen unlauterer Reliquienverehrung einen Verweis erhalten hatte und ihm deshalb zürnte. 33 Umgehend wandten sie sich an Secundus von Tigisi mit der Forderung, eine Untersuchung über die Gültigkeit der Weihe Cäcilians einzuleiten. Ohne Zögern und vergrämt ob des Traditionsbruches berief der numidische Primas eine Synode nach Karthago ein. 34 In Begleitung von rund 70 Bischofs-

30

Vgl.Frend, Donatist Church (Anm. 25), 17.

31

Optatus von Mileve, Lib. 1,18 (CSEL 26, 20): „... suffragio totius populi Caecilianus32eligitur et manum inponente Felice Autumnitano episcopus ordinatur. " Optatus von Mileve, Lib. 1,18 (CSEL 26, 19 f.): „Botrus et Celestius, ut dicitur, apud Carthaginem ordinari cupientes operant dederunt ut absentis Numidis soli vicini episcopi peterentur, qui ordinationem apud Carthaginem celebrarent. " 33 Optatus von Mileve , Lib. 1,16 (CSEL 26,18 f). 34

Augustinus, Psalmus contra Partem Donati (CSEL 51, 5): „Erant quidam traditores librorum de sane ta lege episcopi de Numidia , et non quilibet de plebe. Cum Cartha-

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

691

kollegen traf er dort ein und nahm in einem Privathaus die Beratungen auf, während Cäcilian in seiner Bischofskirche mit der karthagischen Gemeinde auf die Entscheidungen der Synodenväter wartete. Allein die Wahl des Versammlungsortes mußte deutlich machen, wie sehr sich der Riß zwischen den Bischöfen und ihren Gesinnungsgenossen vertieft hatte. Es genügte nicht mehr, damit eine atmosphärische Störung zu signalisieren, es galt vielmehr, ein Zeichen zu setzen, an dem man ablesen konnte, daß der Ortsbischof nicht gewillt war, auf die „Sedes" seiner rechtlichen Zuständigkeit zu verzichten. Noch viel weniger konnte er den angereisten Amtsbrüdern die Kompetenz von Synodenmitgliedern und Richtern auf eigenem Territorium zuerkennen. Augustinus gibt die Szene mit folgenden Worten wieder: „Quibus omnibus rebus cum eos non veros iudices sed inimicos atque corruptos Caecilianus convenisse cognosceret..." 35 Folgende Klagepunkte standen zur Beratung an: Weigerung Cäcilians, sich den versammelten Synodalen zu stellen, Durchführung der Weihe durch Traditoren, Verhinderung der Versorgung mit Nahrung der gefangenen Märtyrer in seiner Funktion als Diakon. Besonders harte Wort fanden sie für den Hauptkonsekrator Felix von Abthugni mit der Qualifikation: „fons malorum omnium" . Das von Secundus von Tigisi verkündete und den übrigen Bischöfen bestätigte Endurteil lautete auf Aufhebung der Communio mit Cäcilian und seinen Kollegen: „ ...expresserunt se Caeciliano et colle gis eius non communicare Ζ' 36 Aus Überzeugungen bzw. Gesinnungsunterschieden hatten sich Parteien entwickelt, die sich zu Gegnerschaften verhärteten und durch eine Abfolge von auseinanderstrebenden Vorgehensweisen eine Eigendynamik in Richtung Spaltung erhielten. Der formellen Aufkündigung der kirchlichen Communio folgte auf dem Fuße die Erklärung einer nicht erfolgten Bestätigung der Wahl Cäcilians, was einer Vakanzerklärung des Bischofsstuhles von Karthago gleichkam. Bis zur Neubesetzung bestellte man einen „interventor" der mit „stellvertretender Vollmacht" ausgestattet, die Leitung des vakanten Bischofssitzes wahrnehmen sollte. Angeblich soll er binnen kurzer Zeit Cäcilians Häschern zum Opfer

ginem venissent episcopum ordinare , invenerunt Caecilianum sede. Irati sunt, quia ipsi non potuerunt ordinare. "

iam ordinatum

in sua

35 Augustinus, Ep. 43,18 (CSEL 34, 100). Vgl. Grasmück, Coercitio (Anm. 1), 22, Anm. 39. 36

Augustinus, Brev. coli. 111,14,26 (CSEL 53,75 = CChr.SL 149A, 292).

692

Johannes Mühlsteiger

gefallen sein. 37 Cäcilian forderte seine Gegenspieler auf, offen auf den Tisch zu legen, was sie gegen ihn vorzubringen hätten, und gegebenenfalls ihn nochmals zu weihen, sollte es zutreffen, daß die Weihehandlung durch Felix von Abthugni ohne sakramentale Wirkung geblieben war. 38 Wäre Cäcilians Vorschlag ernst gemeint gewesen, hätte er die Wirkung der Weihehandlung selbst in Frage gestellt. Afrikanischen Kirchengewohnheiten nachkommend, gab jeder Bischof am Ende einer Synode eine Erklärung ab. Einer von ihnen namens Marcianus beschloß sie mit den Worten: „Daher sollte niemand mit Cäcilian, der von Traditoren im Schisma die Weihe erhielt, Gemeinschaft pflegen". 39 Die einhellige Verurteilung Cäcilians durch die in Karthago versammelten Bischöfe Numidiens erfolgte in Abwesenheit, d. h. ohne Anhören der angeklagten Partei, sondern einzig auf die Anklage eines irregeleiteten und aufgehetzten Pöbels.40 Die Bischöfe kehrten jedoch nicht auf ihre afrikanischen Bischofssitze zurück, ohne zuvor für einen Nachfolger Cäcilians gesorgt zu haben. Ein Gesinnungsfreund der bereits erwähnten, wohlhabenden Spanierin Lucilla, 41 der Lektor Maiorinus, wurde auf Beschluß der versammelten Numidier anstelle von Cäcilian zum Bischof von Karthago gewählt und geweiht. 42 Da Karthago das kirchliche Zentrum von ganz lateinisch Afrika war, dortselbst aber unter den Christen eine Situation der Spaltung herrschte, konnte eine Folgewirkung in der Provinz nicht lange ausbleiben, so daß den einzelnen Gemeinden cäcilianische bzw. maiorinische Bischöfe ihrer Gefolgschaft vorstanden. Die letzte Phase des Auseinanderdriftens der Beziehungen zwischen den zwei höchsten Verantwortungsträgern in der Kirche Nord-Afrikas gibt

37

Augustinus, Ep. 44,8 (CSEL 34,116): „Hunc ergo inventorem in suo conventiculo a nostris dicebat occisum. " 38 Vgl. Optatus von Mileve, Lib. 1,19 (CSEL 26,20 f.). 39

Augustinus, Libellus contra Fulgentium Donatistam, 26 (CSEL 53, 310): „ Unde Caeciliano in schismate a traditoribus ordinato non communicare oportet. " 40

Vgl .Augustinus, Ep. 43,14 (CSEL 34,96).

41

P. Monceaux meint, daß Zufälle in ihrem Leben sie zu einer reichen Karthagerin gemacht hatten. Vgl. P. Monceaux, Histoire littéraire de l'Afrique chrétienne depuis les origines jusqu'à l'invasion arabe, IV: Le Donatisme. Paris 1912 (Neudr. 1963), 15. Zur Affäre um die angebliche Bestechung, mit der Lucilla eine Reihe numidischer Bischöfe für ihren Kandidaten zu gewinnen suchte, siehe Aussagen in den Gesta apud Zenophilum in Optatus von Mileve, Appendix I (CSEL 26,189.194.196). 42

Vgl. Optatus von Mileve, Appendix I (CSEL 26,189): „ ...ut fier et Maiorinus episcopus, et inde factum est schisma... "

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

693

Optatus von Mileve mit den Worten wieder: „altare contra altare erectum est" 43. An anderer Stelle beschreibt derselbe Autor die neuentstandene Lage mit den Worten: „ ...et in Africa sicut et in ceteris provinciis una erat ecclesia , antequam divideretur ab ordinatoribus Maiorini, cuius tu hereditariam cathedram sedes. Videndum est, quis in radice cum toto orbe manserit, quis foras exierit, quis cathedram sederit alteram , quae ante non fuerat, quis contra altare altare erexerit..." 44 Altar und Kathedra sind Symbol, sichtbares Zeichen der Einheit in der Kirche. Da nur der rechtmäßig bestellte Bischof sich der Kathedra bedienen konnte, ist diese auch Inbegriff der apostolischen Sukzession. Jahre später wird Augustinus in einem ausführlichen Schreiben an seine Bischofskollegen Wahl und Weihe Cäcilians zum Bischof von Karthago kommentieren, die nächster Anlaß der Spaltung der Kirche Nordafrikas werden sollten. Wiederholt drückt er darin sein Bedauern über die zerstörte, zerrissene „communio" , „unitas Christi" und „pax" aus.45 Die folgende nahezu durchgehende Verdoppelung der Bischöfe in den einzelnen Städten geben einen eindeutigen Hinweis auf das rasche Wachstum des neuen „hierarchischen" Zweiges in Afrikas Kirche. Augustinus wird Secundus von Tigisi den späten Vorwurf nicht ersparen, durch seine „synodalen" Entscheidungen gerade für Karthago die „pax unitatis" so verletzt zu haben, daß Konsequenzen sich für das ganze christliche Afrika ergaben. 46 Dem ersten, wahrscheinlich im Sommer 313 verstorbenen schismatischen Bischof von Karthago Maiorinus folgt unmittelbar Donatus von Casae Nigrae. 47 Er sollte über 40 Jahre die Geschicke seiner Gefolgschaft lenken. Von ihm erhielt sie auch den Namen (,,pars Donati"). Die neue Bewegung beabsichtigte indes keineswegs, durch Innovationen auf sich aufmerksam zu machen und durch Werbung Anhänger zu gewinnen. Mit Bewahrung des traditionellen Rahmens sowie der landeseigenen Disziplin und Hierarchie sollte der Eindruck erweckt werden, als einzige Gemeinschaft Afrikas die universelle Kirche in ihrer ursprünglichen Reinheit zu repräsentieren. 48

43

Optatus von Mileve, Lib. 1,19 (CSEL 26,21).

44

Optatus von Mileve, Lib. 1,15 (CSEL 26,17 0-

45

Augustinus, Ep. 43,1.4.6.8.9.11 (CSEL 34,85.87-94).

46 „ Tanto magis enim timere debuit, ne pax unitatis violaretur, quanto erat Carthago civitas ampia et inlustris, unde se per totum Africae corpus malum , quod ibi esset exortum, tamquam a vertice effunderet. " Augustinus, Ep. 43,7 (CSEL 34,90). 47 Optatus von Mileve, Appendix I (CSEL 26, 185). Gesta apud Zenophilum: „ ...Maiorinum, cui Donatus successit. " 48

Vgl. Monceaux, Histoire (Anm. 41), 19 f.

694

Johannes Mühlsteiger

Verfolgungen und Martyrien sollten weiterhin das bestimmende Kennzeichen für die einzig wahre und katholische Kirche bilden. Die Frage, auf welcher Seite die wahre katholische Kirche sich befand, stand zwar zu diesem Zeitpunkt nicht im Zentrum einer theologischen Auseinandersetzung. Doch in Anbetracht der stets wachsenden donatistischen Gemeinschaft auf dem afrikanischen Boden und der damit sich steigernden Spannung zwischen beiden Lagern, von denen beide für sich wahre Katholizität buchen wollten, konnte ein theologischer Vergleich („collatio") früher oder später nicht ausbleiben. Dies um so mehr, als in der Zwischenzeit unter den Bischöfen auf beiden Seiten eine Generation qualifizierter Theologen heranwuchs. Donatus gelang es auf Grund seiner herausragenden Führungsqualitäten, die Gemeinschaft seiner Anhänger zu festigen und anziehend zu gestalten. Kein Echo jedoch fanden seine Tätigkeiten auf dem alten Kontinent. Cäcilians Bischofsweihe war seitens der Kirche in ihrer Rechtswirksamkeit bestätigt. Es sollte nicht lange dauern, bis auch seitens des Staates ihm die gebührende Anerkennung und Unterstützung zuteil wurde. I I . Gemeinsame Sache von Staat und Kirche Für Konstantin, der seinem Vater in der Herrschaft über Gallien und Britannien gefolgt war, brachte das Jahr 312 eine entscheidende Wende. Nach der Beseitigung des Usurpators der italischen und afrikanischen Provinz Maxentius, konnte er, nachdem der Herrscher der asiatischen Provinzen Maximinus dem Licinius unterlegen war, sich mit diesem die Herrschaft über das römische Weltreich teilen. Am Beginn des folgenden Jahres traf Konstantin mit seinem Mitregenten Licinius die Vereinbarung, die für alle Bürger des Reiches, vornehmlich aber für die Christen, eine uneingeschränkte Religionsfreiheit gewährte. Während privater Besitz der einzelnen Christen nicht restituiert wurde, war die Rückgabe und die Wiederherstellung aller Versammlungsorte und sonstigen Güter an die Körperschaft der Christen Corpus Christianorum") vorgesehen. Dem Begriff „ Corpus" für die Gemeinschaft der Christen in jenem Dokument, das der Kirche im Reiche Konstantins Öffentlichkeitsrecht verlieh, sei an dieser Stelle deshalb ein besonderes Augenmerk geschenkt, weil er durch den Theologen und Juristen Tertullian in seinem „Apologeticum" (a. 197) erstmals auf afrikanischem Boden einen rechtlichen Akzent erhalten hat. Im Mittelpunkt der Erörterungen des Apologeticums 49 stehen die gegen die Christen vorge-

49

Tertullian,

Apologeticum (CSEL 69,1-121; CChr.SL 1,85-171).

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

695

brachten politisch-rechtlichen Anschuldigungen. Der heidnischen Götterwelt und den Bräuchen bei heidnischen Zusammenkünften werden der christliche Gottesgedanke und die Lebensart der Christen gegenübergestellt. Die antithetische Darstellungsweise wird besonders in cap. 39 sichtbar. Christliches Gemeindeleben erscheint als ungefähres Gegenteil zum Treiben in den verschiedenen verbotenen Gruppierungen („factiones illicitae" , c. 38), ob man es vom politischen oder allgemein sittlichen Standpunkt aus betrachtet. Im Unterschied zu den gemeinschaftszersetzenden Vorgängen (Opposition, Umsturz, Zerstörung) unter den Heiden, zeichnet die Christen eine innere Verbundenheit aus, die u. a. keine Vorbehalte beim Teilen der Güter kennt, und in der alle alles miteinander teilen, mit Ausnahme der Frauen. 50 Den abzuwertenden Zusammenkünften der Heiden hält Tertullian die guten entgegen bona ostendam "): „Wir sind eine Körperschaft zusammengehalten durch die Gottesverehrung, die sittlichen Bestrebungen und das Band der Jenseitshoffnung." 51 Eine Weiterentfaltung des Corpus-Christi-Gedankens von IKor 12,12-26 im Sinne der griechisch-römischen Antike kann man im 1. Clemensbrief (um 96) 37,5 beobachten. Nach einem Hinweis auf die Ordnung des römischen Heeres wird der Leib als Vorbild dafür genommen, daß jedes Glied, auch das geringste, für das Ganze des Leibes notwendig und nützlich ist. Das Thema von der Einheit des Leibes war auch im Hellenismus beheimatet. Der Clemensbrief folgt, nach dem Dafürhalten von Joseph A. Fischer eher der stoisch geprägten Profanliteratur. 52 Wenn Tertullian in seiner apologetischen Schrift an den Kaiser Septimius Severus (193-211) mit der Bitte um Duldung der Gemeinschaft der Christen, der er sich selbst zugehörig weiß, herantritt, war es selbstverständlich, daß er damit für den Ausdruck „ Corpus" nicht den paulinischen Sinngehalt verwenden konnte, sondern jenen juridisch-sozialen, der den Rechtskategorien der Zeit entsprach.

50

Tertullian,

Apol. 39,11 (CSEL 69, 93): „ ...omnia indiscreta

apud nos praeter uxo-

res. " 51

„Corpus sumus de conscientia religionis et disciplinae unitate et spei foedere" Tertullian , Apol. 39,1 (CSEL 69, 91). Die Gemeinsamkeit dieses corpus soll in den drei Elementen sichtbar werden: „ conscientia" (Mitwissen), „unitate", „foedere". Ausdrükke, die den Charakter des sozialen Organismus betonen (Apol. 39,4): „communicatio orationis et conventus et omnis sancti commercii. " 52

Vgl. J. A. Fischer (Hg.), Apostolische Väter. Darmstadt 1956, 73, Anm. 224; L Sanders, L'héllenisme de saint Clément de Rome et le Paulisme. Louvain 1943, 8591; G. Schneider (Hg.), Clemens v. Rom, 157, Anm. 219.

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Der Apologet und Provinzial-Jurist vom Ende des 2. Jahrhunderts steht am Wendepunkt der römischen Sozialgeschichte, an dem sich das römische Reich in einen Korporationsstaat neu zu strukturieren begann, die Bedeutung von Corpus aber noch nicht voll in der iuridischen Terminologie verankert ist. 53 Arnold Erhardt kann sich vorstellen, daß Juristen römischer Provinzen besonderes Interesse an der Frage nach der Personstandschaft fanden und sich von daher die Verwendung des Corpusbegriffes durch Tertullian erklärt. 54 Ja, er hält sogar dafür, den im Apologeticum vorfindlichen Kirchenbegriff als entscheidend für die Bildung des iuristischen Begriffes „ Corpus" im Sinne einer korporativen religiösen Verbandes zu sehen 5 5 In der Verfolgungszeit waren die äußeren Umstände nicht dazu angetan, in den Gemeinden theologisch-iuridische Reflexionen die gesellschaftlichen Grundstrukturen betreffend anzustellen. Mit dem Toleranzedikt des Kaisers Galerius von 311, das von seinem Zeitgenossen und Erzieher des Konstantin Sohnes Crispus in lateinischer Sprache überliefert ist, 56 änderte sich die Rechtslage der Christen wesentlich. Sie werden aufgefordert, die christliche Lebensform wieder aufzunehmen („ denuo sint christiani"), zu Gott für die Gesundheit des Kaisers und das Wohl des Staates zu beten, damit dieser in allen Belangen unversehrt erhalten bleibe. Die Mahnung, nichts gegen die „ disciplina " zu unternehmen, richtete sich zunächst an die Einhaltung der gemeindeinternen Ordnungen der Christen, dann aber gleicher Maßen an die Beobachtung der staatlichen Ordnung. 57 Das Toleranzedikt brachte den christlichen Glaubensgemeinschaften nicht die volle Anerkennung und die öffentliche Annahme. Erkannt und geschätzt wurde hingegen der Wert ihrer Lebensgemeinschaften für das Wohl der Staatsgemeinschaft. Mit dem fortschreitenden An- und Zusammenwachsen der christlichen Gemeinden nach dem Inkrafttreten des Ediktes rückte deren staatstragende Bedeutung immer stärker in das Licht der Öffentlichkeit. Die rechtlichen Folgen auf staatlicher Ebene sollten nicht lange auf sich warten lassen. Aus der „factio illicita " hatte sich nicht nur eine „ licita " entwickelt,

53 Vgl. A. Erhardt, Das Corpus Christi und die Korporationen im spät-römischen Recht, in: ZRG. RomAbt. (1953) 299-374, hier 336. 54

Vg\. Erhardt

ebd., 347.

Vgl. A. Erhardt, Das Corpus Christi und die Korporationen im spät-römischen Recht, in: ZRG. 71 Rom. Abt. (1954) 2 5 ^ 0 , hier 34. Laktanz, De mortibus persecutorum 34 (CSEL 27, 2,2, 212 f.). Die griechische Redaktion findet sich bei Eusebius, h. e. VIII, 17,3-10 (GCS 9,2,791 ff.). 57

Vgl.//. Dörries, Das Selbstzeugnis Kaiser Konstantins. Göttingen 1954,228.

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

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sondern vielmehr ein Organismus, der voll in die Staatsgemeinschaft integriert und aller Rechte und Pflichten einer staatlich anerkannten Körperschaft teilhaftig wurde, eben der Corpus Christianorum im Reiche Konstantins.58 In Ansehung der aus der Verfolgungszeit in den afrikanischen Provinzen sich ergebenden Sondersituation verordnete ein kaiserliches Schreiben an den Prokonsul Anullinus, sich umgehendst für die Rückgabe aller den kirchlichen Gemeinden früher gehörenden Güter (Immobilien und sonstige Dinge) zu verwenden. 59 Die neuerworbene Zuständigkeit für Afrika bewog den Kaiser, dem Bischof von Karthago Cäcilian zu versichern, daß die finanziellen Mitteln an alle Provinzen in Afrika, in Numidien und Mauritanien für die Diener des katholischen Kultus freigemacht würden. Die Empfängerliste würde ihm durch Bischof Hosius zugestellt. Um zusätzlich benötigte Zuschüsse möge er sich an den procurator rei privatae (Anwalt der kaiserlichen Privatkasse) wenden. Im letzten Absatz seines Schreibens teilte er mit, den Anullinus und den Vicarius Africae Patricius beauftragt zu haben, die Störenfriede, die das katholische Volk der Kirche abspenstig machen wollen, zu überwachen und sich ohne Bedenken an die genannten Richter zu wenden, um jene, die in ihrer Wahnidee („μανία")™ verharrten, zum Einlenken zu bewegen.61 Daß die Restitutionsaufträge an Anullinus als auch die Unterstützungszulagen für die Wiederherstellung der Gottesdienststätten nicht nur kirchliche bzw. kulturelle Maßnahmen darstellten, sondern gleichzeitig die Befriedung der verfeindeten kirchlichen Parteien im Auge hatten, macht der eben erwähnte Absatz aus dem Schreiben an Cäcilian deutlich. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die verfeindeten Adressaten sich für den Empfang der kaiserlichen Gaben und Privilegien in gleicher Weise berechtigt ansahen. Eine neuerliche Anordnung Konstantins vom März 313 an Anullinus schaffte Klarheit. Während der erste Brief Konstantins an Anullinus keine Unterscheidung zwischen katholischer und donatistischer Partei erkennen ließ, werden in einem neuerlichen kaiserlichen Schreiben an denselben Adressaten „die Männer in der von Cäcilian geleiteten katholischen Kirche", die darin ihren Dienst verrichten

58

Vgl. Laktanz, De mort. pers. 48,9 (CSEL 27, 2,2, 232); Eusebius, h. e. X,5.10 (GCS 9,2,886). 59

Vgl. Eusebius, h. e., X^,15-17 (GCS 9,2,887).

60

Dieser Begriff, der bei Konstantin hier zum ersten Mal aufscheint, wird von ihm nun häufig gegen die Donatisten und Arianer verwendet. Vgl. Grasmiick (Anm. 1), 28, Anm .87. 61

142.

Vgl. Eusebius, h. e., X,6,l-5 (GCS 9,2, 890) und Maier, Dossier (Anm. 1), 140-

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und „Kleriker" heißen, „von allen staatlichen Lasten" befreit. Den Grund für die Immunitätsverleihung sieht der Kaiser in dem von den Priestern geleiteten Gottesdienst, den er für das Staatswohl nicht nur als förderlich, sondern gleichermaßen für notwendig hält. Die Immunität befreite den Bürger von den meisten Leistungen gegenüber dem Staat (ζ . B. Steuer, Getreideabgaben, Heeresversorgung, Erhalt öffentlicher Gebäude und dgl). 62 Die exklusive Verleihung des Immunitätsprivilegs an den Klerus des Bischofs Cäcilian 63 mußte den Dissidenten die endgültige Klarheit vermitteln, auf welcher Seite der Augustus stand. Verunsichert durch diese und andere Entscheidungen, unternahmen die Donatisten ihrerseits nun alle Anstrengungen, um in den transmarinen Gebieten Verständnis und Anerkennung für ihr Anliegen zu finden. In dieser Absicht entsandten sie Abordnungen an die Hauptkirchen Italiens, Galliens und Spaniens.64 Der Empfang für die afrikanischen Emissäre fiel eher kühl aus, auch schenkte man ihren Anliegen kaum Gehör 6 5 Am 25. April 313 66 konnte Anullinus dem Kaiser in Rom versichern, den Bischof und Klerus von Karthago von dem großen Privileg der öffentlichen Immunität, d. h. der Befreiung von den Pflichtleistungen gegenüber der Gemeindeverwaltung, in Kenntnis gesetzt zu haben 6 7 Kurze Zeit darauf seien Gegner Cäcilians, begleitet von einer Volksmenge, beim Prokonsul erschienen und hätten bei diesem Anlaß zwei Urkunden zur Übersendung nach Rom überreicht. Ein versiegeltes und in Leder gehülltes Schreiben trug die Aufschrift: „Libellus ecclesiae catholicae criminum Caeciliani traditus a parte Maiorini" 6 8 und präzisierte die Klagegründe gegen Cäcilian. Das zweite unversiegelte

62 Vgl. Eusebius, h. e., X,7,l-2 (GCS 9,2, 891); Η. ν. Soden (Hg.), Urkunden zur Entstehungsgeschichte des Donatismus. Bonn 1913, Nr. 9, 11 f.; Maier, Dossier (Anm. 1), 142-144;//. Kraft, Kaiser Konstantins religiöse Entwicklung. Tübingen 1955, 164 ff.

Diese Formulierung will nicht Cäcilian als kirchliches Oberhaupt der gesamten Proconsularis bezeichnen, d.h. er besitzt keine Iurisdiktion über die Bischöfe der Provinz. 64 65

Vgl. Augustinus, Contra epistulam Parmeniani 1,2,2 (CSEL 51,20 ff.). Vgl. ebd., 1,2,3.

66 Es handelt sich bei diesem Datum um die erste genaue und sichere Zeitangabe seit dem Beginn des Donatistenstreites. Vgl .Maier, Dossier (Anm. 1), 144. 67

Vgl. Eusebius, h. e., X , 7 , l - 2 (GCS 9,2, 891); Maier, Dossier (Anm. 1), Nr. 14, 144-146. 68

Vg\. Augustinus, Ep. 88,2 und Ep. 93,13 (CSEL 34,408 und 457).

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Schriftstück beinhaltete nach der Überlieferung des Optatus69 eine Petition (auch „libellus precum", „preces" genannt) der Dissidenten an den Kaiser, Richter aus Gallien, als einem von der Schandtat der Verfolgungen nicht betroffenen Land, mit der Klärung ihrer Angelegenheit zu betrauen. Der Anullinusbericht bietet ein unzweideutiges Zeugnis für den endgültigen Bruch mit der Catholica. Die Restitution der vor den Verfolgungen der Kirche gehörigen Güter allein an die Catholica und die Begünstigung des katholischen Klerus durch die Befreiung von den öffentlichen Dienstleistungen durch die kaiserlichen Verfügungen hatte eine sozial-wirtschaftliche Abgrenzung zu den Donatisten zur Folge. Die 312 durch die karthagische Synode der numidischen Bischöfe ausgesprochene Exkommunikation des Bischofs von Karthago Cäcilian vervollständigte die Abkoppelung von den Donatisten auf der kirchlichen Ebene. Nach der aus donatistischem Selbstverständnis entstandenen Überzeugung war Cäcilian ein Nicht-Bischof, ein den Traditoren zugehöriger, ein „filius gehennae"70. Adressat ihrer Petitionen und Appellationen war konsequenterweise nicht mehr die katholische Kirche in ihren Vertretern, sondern der oberste staatliche Gesetzgeber und Richter. Das römische Staatsrecht („ius publicum romanum ") stand in engster Verbindung mit der Rolle des Kaisers als „pontife χ maximus". 71 Der römische Jurist Ulpian (170-228) beschrieb das ius publicum als ein Recht, „quod ad statum rei Romanae spectat... Publicum ius in sacrisy in sacerdotibus, in magistratibus consistit", 72 Es umfaßt alle Bereiche des römischen Gemeinwesens, die von öffentlichem Interesse und Nutzen sind, folglich auch jene der Religion, d . h . des Kultes, der Priester und der Gerichtsbarkeit. 73 Zum neu gewählten Rechtstitel der Donatisten, sich mit der Petition an den Kaiser in seiner Eigenschaft als Pontifex Maximus zu wenden, gesellte sich seit Februar 313 jener der ad „securitatem publicam " getroffenen Abmachung mit Licinius in Mailand, „ut daremus et Christianis et omnibus liberam potestatem

69

Optatus von Mileve, Lib. 1,22 (CSEL 26,25 f.).

70

Optatus von Mileve, Lib. II, 7 (CSEL 26,43).

71

Ab dem 7. März des Jahres 12 v. Chr. war Kaiser Augustus auch Pontifex Maximus. Kaiser Gratian legte den Titel 379 ab. Vgl. Der große Ploetz. Freiburg / Würzburg 31 1992,228. 72

Ulpian, Dig., 1.1.1.2.

Vgl. W. Ulimann, The Constitutional Significance of Constantine the Great's Settlement, in: JEH 27 (1976) 5 ff.

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700

sequendi religionem y quam quisque vo luis set... u.74 Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses für jedermann betrachtete Konstantin als eine der tragenden Säulen des Friedens und der Sicherheit im Reiche. In seinem staatsrechtlichen Zuständigkeitsbereich lag es deshalb, dem zu wehren, was die genannten Werte störte oder zu zerstören drohte. Das Zerbrechen der kirchlichen Einheit in Nordafrika konnte nicht ohne Erschütterung für das gesamte Reichsgefüge bleiben. Daß die Donatisten auf dem Hintergrund der Mailänder Abmachungen einzig bei Konstantin eine Anerkennung ihrer Gemeinschaft erwarten durften, lag nahe. In der Hoffnung für ihr Vorgehen gegen die Catholica vom Kaiser eine zustimmende Stellungnahme zu erhalten, übermittelten sie ihm durch den Prokonsul Afrikas die beiden libelli, von denen das eine über crimina Cäcilians informieren sollte und das andere die Bitte nach einem objektiven Gerichtsspruch äußerte. Allgemein wird mit dem offenen libellus die eben erwähnte Petition um Richter aus Gallien identifiziert, die Optatus von Mileve um 366/367 in seinem Werk gegen den donatistischen Bischof Parmenian mitteilte. 75 Der Petitionstext nach der Optatusüberlieferung läßt nach Inhalt und Echtheit Fragen offen. Die Historiker, die sich kritisch mit ihm befassen, kommen zu unterschiedlichen Deutungsresultaten. Einer der ersten unter ihnen, Otto Seeck, sieht darin eine Fälschung;76 Hans Ulrich Instinsky weist als Erster darauf hin, daß keine kirchlichen Instanzen erbeten wurden, sondern weltliche Würdenträger als Richter gemeint waren; 77 nach Ernst Ludwig Grasmück zitiert Optatus den Inhalt des entsprechenden Dokumentes in knapper Form aus dem Gedächtnis;78 Heinz Kraft führt eine Reihe von Gründen an, aus denen man schließen kann, daß es sich „um das Exzerpt eines echten Schreibens handelt" 7 9 ; Klaus Girardet bewertet sie als „fingierte preces" 80; Bernhard Krieg-

74 Laktanz, De mort, pers., 48 (CSEL 27, 2,2, 228-233). Abgedruckt in den Analecta. Kürzere Texte zur Geschichte der alten Kirche und des Kanons, zusammengestellt ν. E. Preuschen. Freiburg i. B. /Leipzig 1893,89-91, hier 89. 75

Optatus von Mileve, Lib. 1,22 (CSEL 26, 25 f.); Maier, Dossier (Anm. 1), 146-

148. 76

Vgl. O. Seeck, Urkundenfälschungen des 4. Jahrhunderts, in: ZKG 30 (1909) 181227, hier 215. 77

70 79

Vgl.//. U. Instinsky, Bischofsstuhl und Kaiserthron. München 1955,70. Vgl. Grasmück, Coercitio (Anm. 1), 33, Anm. 107. Kraft,

Kaiser (Anm. 62), 33-35, hier 35.

80

Girardet,

Kaisergericht (Anm. 1), 17-26, hier 26.

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bäum hält den Precestext „mit hoher Wahrscheinlichkeit zwar nicht für gefälscht", er entspräche aber auch nicht dem Wortlaut des Originals. 81 Girardet widmete dieser Fragestellung eine eigene ausführliche Untersuchung, die ihn zum Ergebnis führte, daß der Precestext ,glicht als authentisch - d . h . weder als wörtliches Zitat noch als sachgerechte Inhaltsangabe - betrachtet werden" kann. 82 I I I . Das „episcopale judicium44 zu Rom 313 Die Überraschung des Augustus über das an ihn gestellte Ansinnen, Richter in einem kirchlichen Rechtsstreit zu sein, kommt in der von Optatus überlieferten Reaktion zum Ausdruck: „Ihr fordert von mir einen weltlichen Urteilsspruch, wo ich selbst mir ein Urteil Christi erwarte" 83 . In dem Schreiben Konstantins an die zum Appellationsgericht versammelten Bischöfe in Arles 314, das sich gleichfalls bei Optatus überliefert findet, begegnen wir dem eben angezogenen Gedankengang wieder: „Sie erwarten ein Urteil von mir, der ich selbst Christi Urteil erwarte. Ich sage nämlich, um die Wahrheit zu besitzen, muß das Urteil der Priester so beschaffen sein, als ob der auf dem Thron sitzende Herr selbst Recht spräche. Ihnen, den Priestern, ist es nicht erlaubt, etwas anderes zu denken oder anders zu urteilen, als was sie aus der Lehre Christi erfahren haben." 84 „Und dennoch" kam Konstantin der Bitte der Donatisten entgegen und bestellte Richter („Et tarnen dati sunt iudices")· 85 Die erwählten Männer waren sehr wohl Gallier, aber nicht von der Art, die die Donatisten sich gewünscht

81

B. Kriegbaum, Zwischen den Synoden von Rom und Arles: Die donatistische Supplik bei Optatus, in: ΑΗΡ 28 (1990) 23-61, hier 58 f. 82 Vgl. Κ Girardet, Die Petition der Donatisten an Kaiser Konstantin (Frühjahr 313) - historische Voraussetzungen und Folgen, in: Chiron 19 (1980) 185-206, hier 189 u. 196. In verschiedenen Schriften Augustins begegnet man Aussagen, die den Prokonsul Anullinus als Vermittler beim Kaiser erwähnen, damit dieser durch Bestellung von gallischen Richtern dem Streit in der Kirche Afrikas ein Ende setze. Augustinus, Contra Cresconium 111,61,67 (CSEL 52, 473); ders., Ep. 43,4.5.13 (CSEL 34, 87 f. 95); 53,5 (CSEL 34, 155); 76,2 (CSEL 34, 327); 93,13 (CSEL 34, 457 f.); 105,8 (CSEL 34, 600 f.); Ep. ad cath. 18,46 (CSEL 52, 291). Vgl. dazu Maier, Dossier (Anm. 1), 146148. 83

„ Petitis a me in saeculo iudicium, cum ego ipse Christi iudicium expectem ". Optatus von Mileve, Lib. 1,23 (CSEL 26, 26). 84 Optatus von Mileve, Appendix V (CSEL 26,209); Maier, Dossier (Anm. 1), 169. 85

Optatus von Mileve, Lib. 1,23 (CSEL 26,26).

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hatten, sondern von Konstantin mit richterlichen Vollmachten ausgestattete Bischöfe. Die Richter-Bischöfe Reticius aus Autun, Maternus aus Köln und Marinus aus Arles sollten sich gemeinsam mit dem Bischof von Rom Miltiades in Rom und nicht in Gallien als Schiedsgericht konstituieren. Sicherlich entsprach es nicht in erster Linie einer „kirchlichen consuetudo", daß Miltiades als Ortsbischof von Rom im Richterkollegium den Vorsitz übertragen erhielt, wie Gerwin Roethe vermutet. 86 Durch den jahrelangen Aufenthalt Konstantins in Gallien kann man seine genauere Kenntnis der dortigen kirchlichen Verhältnisse ebenso wie jener der von ihm ausersehenen Bischofspersönlichkeiten annehmen. Wie sehr dem Kaiser daran gelegen sein mußte, der dornenvollen Angelegenheit von Afrika, das ihr gemäße Ende zu setzen, zeigt der Einsatz, mit dem er ein gründliches und geordnetes Verfahren vorzubereiten suchte. Der Prokonsul Anullinus wurde angewiesen, dafür Sorge zu tragen, daß Cäcilian selbst mit zehn Bischöfen aus den Reihen seiner Ankläger und zehn anderen, die er nach eigenem Urteil für seine Angelegenheit als nötig erachtet („ quos ipse causae suae necessarios existimet"), sich nach Rom einschiffe. 87 Die Art, in der sich die Dinge auf europäischem Boden entwickelten, entsprach in der Tat nicht dem, was die Vertreter der Donatisten in den an den Kaiser übermittelten beiden libelli für die Klärung des Falles vorgeschlagen hatten. Ihnen schwebte sehr wahrscheinlich eine Versammlung analog jener der rund siebzig Bischöfe unter dem Vorsitz des Bischofs Secundus von Tigisi des voraufgegangenen Jahres in Karthago vor. Mit der Bestellung eines Richterkollegiums aus Gallien, diesmal durch die weltliche Obrigkeit, sollte eine Instanz geschaffen werden, um unbefangen und unparteiisch über das Anliegen der Kirche in Afrika, also vor Ort zu entscheiden. Die Bedeutsamkeit der zu treffenden Entscheidung für die Einheit der afrikanischen Kirche und die Absicht des Herrschers, innerkirchliche Angelegenheiten auch kirchenintern regeln zu lassen, mögen Papst Miltiades (311-314) zur Entscheidung angeregt haben, dem Tribunal fünfzehn zusätzliche italische Bischöfe ins Richterkollegium zu kooptieren, um ein unterbesetztes Gerichtsforum zu einem personal ausgeglicheneren, synodenähnlichen Bischofsgremium zu verstärken. Da der Quellenlage zufolge den Zusatzrichtern keine eigene Rolle oder Aufgabe im Rahmen des Gerichtes eingeräumt erscheint, wird man sie den vom Kaiser Bevollmächtigten in ihrer gerichtlichen Zuständigkeit an die Seite stellen können. 86 G. Roethe, Geistige Grundlagen römischer Kirchenpolitik. Zur Geschichte der römischen Synoden im 3. und 4. Jahrhundert. Stuttgart 1937,60. 87

Eusebius, h. e., X^,18-20 (GCS 9,2,887); Maier, Dossier (Anm. 1), 149 f.

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Die personelle Gerichtsauffüllung ließe sich auch mit einer größeren Ausgewogenheit der beiden Gerichtsseiten erklären, wobei das ethnische und kirchliche Gleichgewicht (Europa-Afrika) eine Rolle gespielt haben könnte. Das Richterkollegium setzt sich aus 19 europäischen Kirchenprovinzen zugehörigen Bischöfen zusammen. Der Bischof von Rom als Vorsitzender, drei gallische und fünfzehn italische Richter-Bischöfe. 88 Aus den afrikanischen Kirchenprovinzen hatten zu erscheinen: Cäcilian, dessen Wahl und Weihe zum Bischof von Karthago es nach Gültigkeit und Legitimität durch das Gericht zu prüfen galt, und die zehn donatistischen Bischöfe sowie zehn für die Klärung der Causa für notwendig erachteten Bischöfe als Zeugen. Die einberufene Versammlung setzt sich damit aus der runden Zahl von vierzig Personen zusammen, die alle, vorbehaltlich des noch gerichtlich zu klärenden Falles, Bischöfe waren. Erich Caspar vertritt die Auffassung, dernach der Kaiser „selbst jedenfalls nicht" die zusätzlichen Richter bezeichnet und berufen hat. 89 Hans Ulrich Instinsky sieht im Vorgehen des Miltiades eine selbstverständliche Handlungsweise eines jeden Römers, angefangen vom pater familias bis hin zum Kaiser, „wenn eine Entscheidung von Gewicht zu fällen war". 90 Die Zusammenführung von Kaiser- und Papstberufenen in ein und dasselbe Richterkollegium mit gemeinsamen Vollmachten stellte zweifellos eine Novität im Bereich der kirchlichen und staatlichen Rechtsgeschichte dar. Die Zeit, in der Schwierigkeiten der in Rede stehenden Art vom Bischof von Rom allein hätten bewältigt werden können, scheint noch in ferner Zukunft zu liegen. Die bei der Erweiterung des Richterkollegiums von Miltiades entwickelte und von Konstantin offensichtlich nicht beeinspruchte Eigeninitiative führte zu einer Verschränkung christlich orientierter Maßnahmen des Kaisers mit Elementen der innerkirchlich bereits ausgeformten Verfassungsinstitution Synode. Die daraus wie durch Zufall entstandene Konstruktion sollte ein Muster für die künftige Reichspolitik sein. Eine Nebenwirkung des neuen Gebildes schien unvermeidlich zu sein. Unversehens geriet die Kirche in das Räderwerk der kaiserlichen Administration. Das beginnt allein schon bei einer äußeren Voraussetzung des gemeinsamen Unternehmens, wie dem Versammlungsort. Als solchen stellte man für die Gerichtsversammlung die domus Faustae in Laterano, d. h. den Lateranpalast zur Verfügung. 91 Maximianus Herculius hatte seine 88

Frend, (Anm. 25), 147 läßt Miltiades aus Afrika stammen: „himself an African". H. U. Instinsky meint hingegen er sei: „Wohl römischer Herkunft". Art.: Miltiades, in: 2 LThK 7, 421. 89 Vgl.£. Caspar, Kleine Beiträge zur älteren Papstgeschichte. Die römische Synode von90313, in: ZKG 46 (1928) 333-346 hier 343. 91

Instinsky, Miltiades (Anm. 77), 77. Optatus von Mileve, Lib. 1,23 (CSEL 26, 26).

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Tochter im Jahre 307 dem zu Trier residierenden Konstantin vermählt. Als Mitgift erhielt sie von ihrem Vater den Lateranpalast. Maximianus Herculius war seit 293 Mitregent des Kaisers Diokletian für den Westen (Italien, Spanien, Afrika) und galt als einer der grausamsten Betreiber der Christenverfolgung unter Diokletian, die 304 ihren Höhepunkt erreichte. Rund zehn Jahre später sollte im Palast desselben Augustus einer Spätfolge der Christen Verfolgungen in Afrika, der sich dort anbahnenden Spaltung unter Christen, gegengesteuert werden. Die Kenntnis der weiteren Vorgänge, besonders der Verhandlungen beruht auf einer geringen Zahl von Aussagen Konstantins, auf Protokolle des Optatus von Mileve, einigen Briefen des Augustinus und den „Gesta Collationis Carthaginiensis" vom Jahre 411. Am 30. September 313 92 trat das Bischofsgericht (,>episcopale iudicium") 93 unter dem Vorsitz des Bischofs von Rom, Miltiades, zusammen.94 Maßgeblich für das Zustandekommen eines bis dahin nicht gekannten Geflechts aus staatlichen und kirchlichen Zuständigkeiten war zum einen eine kirchlich anstehende Causa, deren Klärung die Donatisten nicht bei der katholischen Kirche suchten, sondern vom Kaiser erbaten, zum anderen besaß die entstandene Situation die Note hoher Dringlichkeit für die Befriedung sowohl für die Kirche als auch für das Reich. Nichts sprach dagegen, daß oberste Gesetzgeber in Kirche und Staat ein gemeinsames Anliegen in gegenseitigem Einvernehmen an bestehenden Gesetzen und Gewohnheiten vorbei zu regeln suchten. Die Ad-hocKonstruktion aus zivilgerichtlichen und synodalähnlichen Elementen barg die Möglichkeit in sich einerseits eines Schiedsspruches, wenn schon nicht nach geltenden positiven Normen des Staates, so doch nach reichspolitischen Kalkülen des Herrschers, andererseits einer gleichzeitigen Entscheidung mit innerkirchlicher Rechtsverbindlichkeit. Die „Einzigartigkeit" der aus gemeinsamem Interesse geborenen Entscheidungsinstanz erübrigt, so will es auf dem Hintergrund des Gesagten scheinen, die Klärung der Frage, ob es sich im gegenständlichen Fall um die zivilrechtliche Form eines Kollegialgerichtes oder um ein

92

Im Anschluß an das in Optatus von Mileve, Lib. 1,23 angegebene Datum wurde irrtümlich anstelle des Eröffnungstages jener der Urteilsfällung angegeben. 93 Augustinus, Brev. coli. 111,12,24 (CSEL 53,72 = CChr.SL 149 A, 289). 94

Vgl. Optatus von Mileve, Lib. 1,23 (CSEL 26, 26). Von Augustinus bestätigt in: Contra epistulam Parmeniani, 1,5,10: „ ...praefuit Miltiades Romanus urbis episcopus." (CSEL 51, 29); ders., in: De unico baptismo 16,28 (CSEL 53, 29): „...Miltiade tum episcopo Romanae ecclesiae praesidente ex praecepto imperatoris. "

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sog. Consilium handelte.95 G. Roethe übernimmt mit der Auffassung, daß die dem eigentlichen Schlußurteil des Vorsitzenden voraufgehenden Meinungsäußerungen der anderen Gerichtsmitglieder „als Ratschläge zu werten" seien, die Consiliums-These.96 K. Girardet sieht in den 18 am Gericht beteiligten Bischöfe nach staatlicher Gerichtspraxis das mit beratender Funktion an der Urteilsfindung mitwirkende Consilium. Der Bischof von Rom urteilt „in diesem synodalen Prozeß formal wie ein magistratischer Einzelrichter im Kognitionsverfahren". 97 Nach den Aussagen der Quellen gelten alle ins Kollegium berufenen Bischöfe als gleichberechtigte Richter 98 mit dem Gerichtsvorsitzenden als primus inter pares. Unter diesem Aspekt entspräche es der Form eines zivilen Kollegialgerichtes und gleichzeitig der einer kirchlich-synodalen Versammlung mit der Aufgabe einer kollegialen Urteilsfindung in einer theologischdisziplinären Angelegenheit. In der Form des Consiliums stand einzig dem Vorsitzenden als iudex das Recht zu, Urteile zu fällen, und zwar nachdem zuvor die Consiliarii ihren Standpunkt zum Fall geäußert hatten. Für den Fall eines Kollegialgerichtes kannte das römische Recht nicht die Beiziehung eines Consiliums. Das Prinzip der Beratung und jenes der Majorität schlossen sowohl „in der Theorie wie in der Praxis einander aus". 99 Eine formelle Majoritätsfindung gehört nicht zum Wesen des Aktes eines Gerichtes, das mit Ratmännern besetzt ist. 1 0 0 Die verlorengegangenen Protokolle der drei Gerichtssitzungen können zum Teil anhand der Analysen Augustins rekonstruiert werden. 101 In den Anmerkungen zu den Texten werden die die Gerichtsverhandlungen betreffenden Zitate besonders Augustinusschriften entnommen. Die Eröffnungssitzung sollte sich als die entscheidendste der ganzen Verhandlung erweisen.

95

V g\. Instinsky y Miltiades (Anm. 77), 68 ff., 76 ff. und dessen revidierte Position im Artikel: Offene Fragen um den Bischofsstuhl, in: RQ 66 (1971) 73 ff. 96 Roethe y Grundlagen (Anm. 86), 78. 97

Girardet, Kaisergericht (Anm. 1), 31. Vgl .Augustinus Brev. coli. 111,1731 (CSEL 53, 80 = CChr.SL 149A, 296); Optatus von Mileve, Lib. 1,24 (CSEL 26, 27): „His decern et novem consedentibus episcopis"; ebd., 25 (CSEL 26, 27): „ ...Donatum tot sententiis esse percussum..." \ ebd., 26 (CSEL 26, 28): „...sententiam decern et novem episcoporum iamdudum datam dissolvi non posse. " 98

99

Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht I. Leipzig 1887,309. Vgl. ebd., 319.

100

Eine Zusammenstellung der einschlägigen Aussagen findet sich bei Soden, (Anm. 62), Nr. 13 Α-D, S.14-16. 47 FS Mühlsteiger

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Nach den bei Gericht üblichen Einleitungsformalitäten wurde der Streitgegenstand aufgerufen: „ Causa Donati et Caeciliam in medium missa est" u)2 und das Wort dem Ankläger Donatus, dem Sprecher der Cäcilian anfeindenden Partei, erteilt. Man wird füglich annehmen dürfen, daß Donatus bei der ihn auszeichnenden Redegabe es verstanden hat, im Rahmen der Verteidigung seiner Position eine Attacke an die Adresse der Ankläger zu reiten, die er als Traditoren und deren Anhänger betrachtete. Als in den Quellen überlieferte Ereignisse werden von ihm die Synode der 70 Bischöfe in Karthago angeführt, in der Cäcilian in Abwesenheit verurteilt worden ist, und zwar aus den bereits bekannten Klagepunkten: von einem Traditor geweiht zu sein, sich der Bischofsversammlung nicht gestellt zu haben und als Diakon die Versorgung gefangener Märtyrer unterbunden zu haben. Hart ging man mit dem Hauptkonsekrator Cäcilians Felix von Abthugni durch die erneute Anschuldigung, Quelle allen Übels zu sein (,,fons omnium malorum"), ins Gericht. 103 Die von Donatus gemachten Geständnisse finden sich in den von Optatus gedrängt gefaßten „sententiae" überliefert: Wiedertaufe von Apostaten und erneute Weihe von abtrünnigen Bischöfen. Augustinus weiß außerdem zu berichten, Donatus a Casis Nigris sei der Tatsache überführt worden, noch als Diakon sich von der katholischen Kirche getrennt zu haben.11)4 Im Gegenzug zum Angriff auf Bischof Felix von Abthugni als Quelle allen Übels durch Donatus erhielt dieser vom Vorsitzenden des Richterkollegiums die Bezeichnung eines „Urhebers des gesamten Übels" (,,totius mali princeps"). 105 Zu welchem Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens die Aussage der Donatuszeugen zur Person Cäcilians gemacht wurden, läßt sich nicht mehr erheben. Optatus faßt zusammen: „Die von Donatus beigebrachten Zeugen gestehen, nichts zu haben, was sie gegen Cäcilian vorbringen könnten." 106 Die Sentenzen aller Richter-Bischöfe, einschließlich jener des Gerichtsvorsitzenden Miltiades, erkannten auf Schuldlosigkeit: „Da festgestellt wurde, daß Cäcilian vor denen, die mit Donatus gekommen sind, nach ihren Aussagen nicht angeklagt ist, und er in keiner Weise von Donatus überführt worden ist, so urteile ich („censeo"), daß er verdientermaßen als untadeliger („integro statu") der Kirchengemein-

102

Optatus von Mileve, Lib. 1,24 (CSEL 26,27); Soden, (Anm. 62), Nr. 13 A.

103

Augustinus, Brev. coli. 111,14,26 (CSEL 53,75 = CChr.SL 149A, 291 f.)

104

Vg\. Augustinus, Brev. coli. 111,12,24 (CSEL 53,72 = CChr.SL 149A, 289).

105

Augustinus, Ep. 43,16 (CSEL 34,98).

106

Optatus von Mileve, Lib. 1,24 (CSEL 26, 27). Inhaltlich gleichlautend bei Augustinus, Brev. coli. 111,12,24 (CSEL 53,72); ders., Ep. 43,14 (CSEL 34, 97).

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

707

schaft zu belassen ist." 1 0 7 Mit dem „censeo" galt die Sentenz des ersten Richters als abgeschlossen, wie im übrigen jede römische Gerichtsentscheidung dieser Art. Die Erneuerung der vom Kaiser den Christen gewährten Privilegien war eine unmittelbare Folge dieses Gerichtsbescheides. Nach dem Optatusbericht über die „Synode" von Karthago 312 hatte Cäcilian an die versammelte Bürgerschaft die Aufforderung gestellt, Klage und Beweis vorzubringen, so etwas gegen ihn vorliege. Damals konnte von so vielen, die ihm feindlich gesinnt waren, nichts vorgebracht werden. 108 An dieser Stelle drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, was von Donatistenseite wohl im Schilde geführt wurde, wenn am status quo Cäcilians sich nichts geändert hat, weil nichts geändert werden konnte und die Selbstanklagen des Donatus keinen Neuheitswert besaßen. Denkt man an die Genese der Entfremdung innerhalb der Christen von Karthago, hätte man sich eine Fülle von Anklagen aus dem Munde der Donatuszeugen vorstellen können. Ausgehend von einer Augustinusaussage in einem Schreiben an afrikanische Bischofskollegen 109 , glaubt Gerwin Roethe die verhaltene Art der Donatisten nicht als Nichtkönnen, sondern als Nichtwollen deuten zu müssen. 110 Ihre Vorgangsweise verrät nämlich die Absicht, den Prozeß nach Karthago zu verlegen, wo die donatistische Gemeinde als ganze in den Zeugenstand hätte treten können. 111 Nach einem Grundsatz des römischen Prozeßrechtes konnte eine „turba" vor Gericht nicht Klage erheben, da die Hauptvoraussetzung dafür, die persönliche Fähigkeit, einem Volkshaufen („turba") nicht zukommt. 112 Hier bestätigt der kaiserliche Notar des Karthager Religionsgesprächs von 411 Marcellinus denselben römisch-rechtlichen Grundsatz mit den Worten: „Numquam habere potuit certam multitudo personam ,

107 Optatus von Mileve, Lib. 1,24 (CSEL 26, 27); Soden, Urkunden (Anm. 62), Nr. 13A, S.15. 108 Optatus von Mileve, Lib. 1,19 (CSEL 26, 20 f.): „Illo tempore a tot inimicis nihil in illum potuit confìngi... " 109 Augustinus, Ep. 43,14 (CSEL 34,96): „ ...nihil eos habuisse, quod in Caecilianum dicerent, sed totam causam in plebem de parte Maiorini, hoc est seditiosam et ab ecclesiae pace alienatam multitudinem transferre voluisse... " 110 111

Vgl. Roethe, Grundlagen (Anm. 86), 70.

Augustinus, Ep. 43,14 (CSEL 34, 96: „ ...totam causam in plebem de parte Majorini... transferre ... ut ab ea videlicet turba Caecilianus accusar etur. " 112 Vgl. Augustinus, Ep. 43,15 (CSEL 34, 97) mit Gesta Conlationis Carthaginiensis 1,34 (CChr.SL 149A, 74f = Mansi IV, Sp. 70).

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cum hoc etiam in publicis actionibus atque corporibus soleat custodiri, ordinatas atque firmatas omnia peragantur." U3

ut per

Die Richter-Bischöfe vermochten den gewünschten Forderungen nicht zu entsprechen, vielmehr mußten sie für die Verhandlungszeit die Präsenz von Zeugen und Kläger mit persönlicher Klagefähigkeit einmahnen. Die Zeugen, die Donatus auf Anordnung Konstantins nach Rom mitgebracht hatte und die am Prozeßbeginn vermutlich zugegen waren, wurden im weiteren Verlauf durch des Donatus Einwirkung in der Absicht abgezogen, das Verfahren in der vom Kaiser vorgesehenen Form zu vereiteln und damit für die Klägerpartei einen für sie günstigeren Ausgang abzusichern. Ohne Auftreten der „testes", „accusatores" konnte die Abfolge der vorgeschriebenen Akte und damit die Rechtswirksamkeit der Prozeßführung nicht garantiert werden. 114 Das Versprechen der Gegner Cäcilians, in den kommenden Versammlungen zugegen zu sein, 115 war offensichtlich nicht ernst gemeint. Auf jeden Fall wartete das Gerichtskollegium für die restlichen Tage vergebens auf ihr Erscheinenm Im Anschluß an diesen ungewöhnlichen Verlauf des gerichtlichen Geschehens berichtet Augustinus von einem dem Richtergremium vorgelegten „Denuntiationis libellus adversus Caecilianum". Die daraus sich entwickelnde Diskussion agitata cognitio") erbrachte das bereits bekannte Ergebnis. Wer immer am Zustandekommen der Schrift beteiligt gewesen sein mag, der Hauptangeklagte stand unschuldiger als je zuvor vor seinen Anklägern. 117 Die

113

Vgl. Roethe, Grundlagen (Anm. 86), 70. Zum stehenden terminus des römischen Rechtes: Personam habere, siehe Gaius Augustinus, lib. 1. § 1, C. 6, 60 oder lib. 11, C. 5, 34. Vgl. dazu: H. Heumann IE. Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts. Graz 1 1 1971,425. 114

Augustinus, Ep. 43,15 (CSEL 34, 97): „ ...requisiti.. .vel accusatores vel testes vel quoquo modo causae necessarii, qui simul cum eis ex Africa vénérant et eos praesentes fuisse atque a Donato subtractos esse diceretur." Vgl. dazu auch ders., Brev. coli. III, 12,24 (CChr.SL 149A, 289). Vgl .Augustinus, ebd., : „ ...promiserunt idem adversarii pr aesenta tur os... "

Caeciliani alio die se re-

116

Augustinus, Ep. 43,15 (CSEL 34, 97): „Promisit idem Donatus, quod eos esset exhibiturus. Quod cum non semel, sed saepius promisisset, amplius ad illud iudicium accedere noluit, ubi iam erat tanta confessus, ut nihil aliud deinceps non accedendo nisi praesens damnari noluisse videretur, cum tarnen ea, quae damnanda essent, eo praesente atque interrogato manifestata fuerint. " 117

Augustinus, ebd.: „Accessit aliud, ut a quibusdam adversus Caecilianum denuntiationis libellus daretur. Post quod factum quem ad modum sit rursus agitata cognitio

Donatismus, verfassungsrechtliche Wirkungen einer Kirchenspaltung

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zeitliche Eingliederung der Diskussion über den libellus in den Prozeßlauf läßt sich nicht mehr bestimmen. Roethe glaubt in der vorgelegten Schrift den „Libellus criminum Caeciliani" wiederzuerkennen oder sonst eine im Umlauf stehende Schrift. 118 Die 3. Sitzung brachte mit der Urteilsverkündigung den Prozeßabschluß. Die 19 Richter wurden der Reihe nach zur abschließenden Stellungnahme aufgefordert. Ihrem Spruch wurden im Prozeßprotokoll auch die Begründungen beigefügt. Jene „sententia" des Gerichtes, die eine Synthese der Einzelsentenzen darstellte, enthielt folgende Hauptpunkte: Die Tatsache der Weihe des Donatus zum Bischof in einer schismatischen Gemeinschaft bewirkte nicht ihre Ungültigkeit. Der Ausschluß aus der Kirchengemeinschaft erfolgte auf die in seiner Eigenschaft als Bischof gespendeten Wiedertaufen und Bischofsweihen. Für Cäcilian erfolgte der Freispruch mit der Anerkennung als legitimer Bischof von Karthago. 119 Im Rahmen der Schlußsitzung wurden noch Zusatzregelungen getroffen. Man entschied, dem Donatus und seinen Anhänger-Bischöfen eine Rückkehr nach Afrika zu untersagen. 120 Für jene Bischöfe, die sich in das Schisma verstrickt hatten, sah man eine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Kirche und ihre Wiedereinsetzung in Amt und Würden vor. Davon ausgenommen sollte Donatus bleiben. Ein die „ ήεγούμενοι, προηγούμενοι "), Alte („πρεσβύτεροι"), Junge („ νέοι") und Frauen auf. Die Grenze zwischen der amtlichen und patriarchalischen Autorität der ,Altesten" erscheint als fließend, insofern in 1,3 und 21,6 die Unterordnung unter die Führer und die geziemende Ehre gegenüber den Alten zusammen genannt werden. Ebenfalls geht aus dem Kontext klar hervor, daß der Ausdruck „πρεσβύτεροι " benützt wird, um damit in erster Linie Amtsträger zu bezeichnen. Wenn beispielsweise 54,2 von „eingesetzten Presbytern" (,> ··· μετά των καθεσταμένων πρεσβυτέρων") spricht, kann dies keine Altersbezeichnung sein. Hier wird vielmehr vorausgesetzt, daß es sich um eine feste Personengruppe handelt, deren Mitglieder durch Wahl bestellt oder abgewählt werden können. Das ist aber unmöglich, wenn eine bloße Altersbezeichnung ist 2 6 8 Woraus erklärt sich der Doppelgebrauch von „ πρεσβύτεροι" für ,Alte" und für „gewählte Amtsinhaber"? Schon bei anderen Gelegenheiten wurde darauf hingewiesen, daß der Spezifizierung eine gemeinsame Bedeutung zugrunde liegt. Presbyter ist zunächst eine Standesbezeichnung (Alter, lange Zugehörigkeit zur Gemeinde, Bewährung). Aus den Reihen der Männer, denen die eben genannten Eigenschaften zukommen, werden die Funktionsträger mit spezifischen Gemeindenaufgaben durch Wahl ausgesondert 2 6 9 Mit dieser Interpretation wird auch die Unterscheidung verständlich, die nach 1,3 und 21,6 für die

267

Vgl. Bornkamm , πρέσβυς (Anm. 45), 672.

268

Vgl. Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 163 f.

269

Vgl. P. Mikat, Die Bedeutung der Begriffe Stasis und Aponoia für das Verständnis des 1. Clemensbriefes (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein Westfalen 155). Köln / Opladen 1969,15, Anm. 32.

Zum Verfassungsrecht der Frühkirche

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Alten als Zugehörige zu einem Stand „geziemende Ehrfurcht" und für die „προηγούμενοι", als die Führer, Gehorsam und Hochachtung verlangt. 270 1 Petr 5,5 verlangt ebenfalls von den „ νεώτεροι " Unterordnung unter die „ πρεσβύτεροι ". Wegen der Gegenüberstellung denkt man hier zunächst an Alte und Junge; in 5,1 sind aber mit „ πρεσβύτεροι " zweifellos die Amtsträger angesprochen. Hier würde also die vorhin gegebene Erklärung für die Auswechselbarkeit der Begriffe zutreffen. R. Zollitsch meint, daß man auch in diesem Fall daran denken kann, daß Gemeindeglieder der jüngeren Generation sich gegen Presbyter, die Amtsträger waren, aufgelehnt haben 2 7 1 Auffallend ist jedenfalls die Ähnlichkeit der Formulierung der Unterordnungsaufforderung: „ ύποτάγητε ( τοΐς) πρεσβυτέροις" (vgl. 1 Clem 57,1 mit 1 Petr 5,5). Wenn eine solche Mahnung nicht auf eine gemeinsame Situation der Umstrukturierung zutrifft, so läßt sie zumindest den Schluß auf eine gemeinsame Quelle zu. Der Kontext im ersten Clemensbrief macht deutlich, daß der Streit in Korinth im Zusammenhang mit kultischen Funktionen steht. Die Presbyter „bringen" wie die Priester des A T „Gaben dar" (1 Clem 44,4). Sie sind die Leiter des Gottesdienstes und sprechen bei der Eucharistiefeier das Gebet für die Gemeinde. „Die Funktion dieser Presbyter wird nun als „ επισκοπή " bezeichnet, und ihre Unabsetzbarkeit durch die apostolische Einsetzung der „ έπίσκοποι" und „ διάκονοι ",272 Dem Verfasser geht es darum, nachzuweisen, daß das in Korinth angefochtene Amt „Darstellung und Träger gottgewollter und gottgestifteter Ordnung" ist. 2 7 3 Wenn Clemens die Korinther zur Ordnung ruft und die Wiedereinsetzung der abgesetzten Presbyter verlangt, so möchte er bewußt darauf hinweisen, daß es nicht darum geht, etwas bisher nie Dagewesenes zu verlangen, sondern nur darum, eine alte, bis dahin gültig gewesene Ordnung zu restituieren und zu urgieren. Clemens entwickelt für diese Auffassung folgende Gedankenführung: Die Apostel haben ihre „ E r s t l i n g e " h vorausgegangener Prüfung zu Bi2 7 4

n a c

270

Vgl. Knopf y Zeitalter (Anm. 16), 163. Das Verhältnis Presbyteroi - Episkopoi kann kurz so gedeutet werden: Die Episkopoi sind Presbyter (44,45), aber nicht alle Presbyteroi sind Episkopoi. Vgl.K.Müller, Die älteste Bischofswahl und -weihe in Rom und Alexandrien (Kleine Beiträge zur alten Kirchengeschichte 16), in: ZNW 28 (1929) 275. 271 Vgl. Zollitsch, Amt (Anm. 83), 73. Vgl. dazu Nauck, Probleme (Anm. 95), 200220 und Michl, Presbyter (Anm. 95), 52 f. 272 27 3

Lietzmann, Verfassungsgeschichte (Anm. 19), 136. Bornkamm, πρέσβυς (Anm. 45), 673.

274

Der Begriff Erstlinge" für die zuerst Bekehrten findet sich bereits in den Paulusbriefen. Vgl. Rom 16,5; 1 Kor 16,15.

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schöfen und Diakonen für die künftigen Gläubigen eingesetzt (42,4). Die Apostel ihrerseits sind von Christus gesandt, so wie Christus von Gott gesandt ist. Und beides vollzog sich „in schöner Ordnung („ευτάκτως": Tagma-Motiv) nach Gottes Willen" (42,1-2). Um die Tatsache von Vorgegebenem und Institutionalisiertem zu unterstreichen, zieht er als Schriftbeweis ein Jesajazitat an: „Ich will einsetzen ihre Bischöfe in Gerechtigkeit und ihre Diakone in Treue" (Jes 60,17). In Wirklichkeit lautet die Stelle bei Jesaja nach der Septuaginta: „Und ich will dir geben meine Herrscher in Frieden und deine Vorsteher in Gerechtigkeit." 275 Offenbar lag es in der Absicht des Briefverfassers, darauf aufmerksam zu machen, daß das Amt der Episkopè bereits im A T geweissagt ist und deshalb auf göttlichen Willen zurückgeht. In diesem Sinn wird das „ εύτάκτως " in Kap. 42,2 näher erklärt und darauf hingewiesen, daß es bezüglich des Amtes eine genaue Ordnung gegeben hat. Nur der Stamm Levi hatte das Priesteramt inne. Als die zwölf Stämme untereinander stritten, welcher von ihnen Priesterstamm werden solle, wurde diesem Stamm durch ein Wunder (der blühende und fruchttragende Stab Aarons) diese Würde bestätigt. Ähnlich haben auch die Apostel, da sie im voraus wußten, daß des Amtes wegen Streit entstehen würde, eine feste Ordnung verfügt. 276 Für die Inhaber des Presbyter- bzw. Episkopen-(Diakonen-)amtes weist Clemens eine genau festgelegte Sukzession nach: Gott hat Christus gesandt, Christus hat die Apostel bestellt, diese die Erstbekehrten, nach deren Tod dann bewährte Männer das Amt übernehmen. Die Bestellung von Presbytern geht auf den göttlichen Willen und auf die Einsetzung durch die Apostel zurück. Deswegen und weil die Presbyter ihr Amt untadelig verwaltet haben, sind sie unabsetzbar. 275

Fischer, Väter (Anm. 261), 79, Anm. 248, meint, daß sich Clemens die Änderung des Jesajatextes erlaubte, liege in der Absicht, die Ankündigung des Episkopates und Diakonates schon im AT nachzuweisen. Harnack sieht darin eine in der Gnosis übliche Interpretationsart, d. h. der Hl. Geist hat den menschlichen Geist so geheiligt, daß dieser nicht nur das Recht allegorischer Auslegung, sondern auch das Recht der Wortveränderung habe, um zum richtigen Verständnis des Wortlautes zu kommen. Vgl. A. Harnack, Einführung in die Alte Kirchengeschichte. Das Schreiben der römischen Kirche an die korinthische aus der Zeit Domitians übers, und den Studierenden erklärt. Leipzig 1929, 115. Gerke, Stellung (Anm. 265), 81, empfindet es nicht als etwas Absonderliches, daß der Schreiber das AT als Weissagung und den christlichen Äon als Erfüllung ansieht. Es sei auch nicht spezifisch clementinisch, sondern allgemein christlich und zur Zeit Jesu und des Paulus üblich gewesen, v. Campenhausen Amt (Anm. 85), 99, Anm. 1: „Von Fälschungen ist in solchen Fällen nicht zu reden." 276 Vgl. Num 17,16-26. Die Darstellung ist jedoch gegenüber Numeri um einige Einzelheiten ausgeschmückt, die anderweitigen jüdischen Traditionen entstammen dürften. Vgl. Fischer, Väter (Anm. 261), 79, Anm. 250.

Zum Verfassungsrecht der Frühkirche

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Die Einsetzung bzw. Wahl wird durch eine Gruppe „angesehener Männer 4 vorgenommen. Die gesamte Gemeinde gibt die Zustimmung (443' ,,συνευδοκησάσης της έκκλεσίας πάσης"). Unter den „angesehenen Männern 4 wird man die Presbyter verstehen können. Über die Art, wie sich die Gemeinde an der Einsetzung beteiligte, sind wir nicht näher informiert. Es ist denkbar, daß das Kollegium der Presbyter sich selbst ergänzte und dabei die Stimme der Gemeinde hörte; man kann aber nach dem Wortlaut des Schreibens den Bestellungsmodus dahingehend interpretieren, daß die Gemeinde die Episkopen und Diakone formell wählte, die dann von den Presbytern anschließend eingesetzt wurden. 277 Jedenfalls läßt die von Clemens erwähnte Zustimmung durch die Gemeinde mit Recht vermuten, daß Presbyter sicher nicht gegen den Willen der Gemeinde eingesetzt wurden (1 Clem 44,3). 27S Der folgende Vers unterrichtet uns über die Funktionen der Presbyter, wenn er von ihnen berichtet, daß sie untadelhaft und heilig die Opfer dargebracht haben (44,4: „ προσενεγκόντας τό δώρα"). Welches sind diese Gaben bzw. Opfer? Der Kontext legt nahe, daß die Gaben der Gemeinde einen Bezug zum Kultus haben und das Darbringen der Gaben eine kultische Tätigkeit, einen Dienst C>λειτουργία" , 40,2; 44,2 f.6) darstellt, nämlich die Eucharistiefeier. Im Zusammenhang mit den Funktionen erklärt R. Knopf, es zeige sich keine Spur, die darauf hinwiese, daß die Episkopen und Diakone etwas mit der Lehre zu tun hatten. 279 Dieses Stillschweigen kann aber damit zusammenhängen, daß man ihre Tätigkeit als Lehrer für so selbstverständlich ansah, daß man sie gar nicht für erwähnenswert erachtete. Eine diesbezügliche Tätigkeit legt der Clemensbrief selbst nahe, der ja einen Episkopen zum Verfasser hat. 280 Bei der im ersten Clemensbrief festgelegten Ältestenordnung oder Verfassung geht es nicht mehr um einmal erwählte Einzelpersonen, denen die Apostel eine Funktion oder Aufgabe in der Gemeinde übertragen haben, sondern wir haben eine Institution vor uns, die als solche anzuerkennen ist und in ihren Trägern geachtet werden muß. Deshalb werden diese an sich als „unabsetzbar44 erklärt. Eine Absetzung ohne Grund, ohne erwiesenes Verschulden gilt als Unrecht und als ein Angriff auf die Institution. H. v. Campenhausen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß durch die Formalisierung des Amtsbegriffes die Presbyter nicht mehr in unbestimmter Allgemeinheit „Hirten und

277

W. Wrede, Untersuchungen zum Ersten Klemensbrief. Göttingen 1891, 22 f. Zum Ausdruck „angesehene Männer4 siehe die Spekulation bei G. Brunner, Die theologische Mitte des Ersten Klemensbriefes (FTS 11). Frankfurt 1972,114 f. 278 Vgl. Mikat, Bedeutung (Anm. 269), 17. 279

Vgl .Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 167.

280

Vgl. Gewiess, Grundlagen (Anm. 2), 22.

800

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Führer" ihrer Gemeinden sind, sondern „daß ihrer Stellung jetzt ein ganz bestimmter Dienst entspricht, den sie und sie allein nach festen Regeln zu erfüllen h a b e n " 2 8 1 . Die Absonderung für bestimmte Kultfunktionen in Anlehnung an die alttestamentlichen bildete den Ansatz für die Unterscheidung zwischen „Priester" und „Laie' (1 Clem 4 0 , 5 ) . 2 8 2 Wenn man i m Clemensbrief den Befriedungszweck 2 8 3 nicht aus dem Auge verlieren darf, so ist es für das Verständnis des Schreibens unerläßlich, auf das Mittel zu achten, mit dem Clemens dieses Ziel zu erreichen sucht. Die A b l ö sung der missionarischen Betreuung der frühkirchlichen Gemeinde durch ortseigene Vorsteher verursachte zunächst eine Autoritätskrise. 2 8 4 Eine solche Situation forderte eine theologische Begründung für das neue A m t und seine verfassungsrechtliche Verankerung. Gerbert Brunner bezeichnet die institutionelle Sicherung der Autorität als solcher als die theologische Mitte des Briefes. 2 8 5

281 282

v. Campenhausen, Amt (Anm. 85), 100.

D. Völler, Die Apostolischen Väter. I. Teil: Clemens, Hermas, Barnabas. Leiden 1904, 104: „In erster Linie kommt es Clemens darauf an, zu zeigen, daß der christliche Cultus die unmittelbare Fortsetzung des alttestamentlichen ist, daß der christliche Gottesdienst darum ein Opferdienst und das christliche Gemeindeamt ein mit dem Vollzug dieses Opferdiensts speciell betrautes dem Laienstand gegenüber scharf abgegrenztes Priesteramt ist. Daraus ergibt sich dann ganz von selbst, daß ebensowenig als beim alttestamentlichen Cultus beim christlichen irgend welche willkürliche Veränderungen und Eingriffe, sowohl was die Zeit und den Ort der Opfer als die darbringenden Personen betrifft, zulässig sind." Λ. Schwegler, Das nachapostolische Zeitalter in den Hauptmomenten seiner Entwicklung II. Tübingen 1846, 131: „... das System der Hierarchie beruht überhaupt auf einer Parallelisirung der alttestamentlichen und der neutestamentlichen Religionsverfassung, auf einer Übertragung des alttestamentlichen Cultus und Priesterthums auf die Verhältnisse der Christenheit.". 283 Vgl. K. Beyschlag, Clemens Romanus und der Frühkathofizismus (BHTh 35). Tübingen 1966,350. 284

Auf Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der strukturellen Umgliederung der frühchristlichen Gemeinde scheint ein Text aus der apokryphen Apokalypse Ascensio Isaiae (3,29) hinzuweisen: „Und es wird unter ihnen große Zwietracht entstehen zwischen Hirten und Ältesten untereinander." Vgl. Die Himmelfahrt des Jesaia, übers. v.J. Flemming / H. Duensing: E. Hennecke j W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen II. Tübingen 1964,458; O. Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur II. Freiburg i. Br. 2 1914, 702 f. 285 Vgl. Brunner Mitte (Anm. 277), 162. Gerke, Stellung (Anm. 265), 104, resümiert seine Untersuchung über die Stellung des ersten Clemensbriefes innerhalb der Entwicklung der altchristlichen Gemeindeverfassung folgendermaßen: „Der erste Clemensbrief zeigt uns eine Vorstufe des Kirchenrechtes: er zieht die rechtliche Konsequenz aus

Zum Verfassungsrecht der Frühkirche

801

Ohne die vielen und immer noch sehr dunklen Fragen literargeschichtlicher A r t über den Hirten

des Hermas hier näher zu behandeln, 2 8 6 kann man folgen-

des festhalten: Das Buch ist geschrieben in Rom zur Zeit des Papstes Pius I. (140-155) von Hermas, dem Bruder Pius' I. (Frgm. M u t . 7 6 ) . 2 8 7 Die einzelnen Teile der Schrift sind i m Laufe eines längeren Zeitraumes entstanden. Die in 1 Clem vorfindlichen Titel für die Gemeindeämter begegnen uns hier wieder. Zunächst finden w i r die alte Trias der Apostel, Propheten und Lehrer. Die Apostel, die an verschiedenen Stellen genannt werden (Vis I I I 5,1; Sim I X 15,4; 16,5; 17,1; 2 5 2 ) , bilden eine Größe der Vergangenheit 2 8 8 i m Sinne der Urapostel (,, oi δώδεκα ").289 Hermas beschäftigt sich ausführlich mit der Unterscheidung zwischen wahren und falschen Propheten ( M a n d X I ) . Propheten haben aber nicht mehr eine amtsähnliche Aufgabe in der Gemeinde zu erfüllen wie etwa in der Didache, sondern „sie üben die Prophetie in freier Tätigkeit 2 9 0 wie Hermas selbst 2 9 1 aus und sind den Führern der Gemeinde (Presbytern bzw. Episkopen) untergeordnet. Aus der Schilderung des wahren Propheten in Mand

der irdischen Verhaftung der Lokalgemeinde und zeigt, daß diese Konsequenz notwendig ist. Damit erweist er die Notwendigkeit des Kirchenrechts für die Kirche, die sich als ekklesia katholike zur irdischen Erscheinung formiert." 286

Griechische Textausgaben: F. X. Funk (Hg.), Die Apostolischen Väter (SQS, 2. Reihe, 1. Heft). Tübingen / Leipzig 1901, 145-239; M. Whittaker, Die Apostolischen Väter I, Der Hirt des Hermas (GCS 48). Berlin 1956; R. Joly, Hermas le Pasteur (SC 53). Paris 1958. Deutsche Ausgabe: Die Apostolischen Väter IV: Der Hirt des Hermas. Erkl. von M. Dibelius (HNT Ergbd.). Tübingen 1923 (= Dibelius, Hermas). 287

Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 183: „Hermas schrieb sein Buch zu Rom spätestens 50 Jahre nachdem die römische Gemeinde durch I Clem ihre Mahnungen nach Korinth geschickt hatte." A. Lelong, Le Pasteur d'Hermas (Les Pères Apostoliques 4). Paris 1912, X X X I V : „entre 130 et 140"; Dibelius , Hermas, 422: „... auf das dritte, allenfalls das vierte Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts ..." Joly, Hermas (Anm. 286), 14: „... milieu du second siècle..."; L. W. Barnard , Studies in the Apostolic Fathers and their Background. Oxford 1966, 156: „I should not place the completion of this book later than c.A.D. 135. Most probably, it was composed over a period of 30-40 years, the earliest parts dating from the end of the first century." 288 Vgl .Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 185. 289 Vgl. E. Dorsch, Zur Hierarchie des „Hirten", in: ZKTh 28 (1904) 260; Dibelius, Hermas, 466: „... zum mindesten werden die Apostel im ganzen Buch nicht mehr als Zeitgenossen vorausgesetzt."

290 291

Loening, Gemeindeverfassung (Anm. 43), 96.

Hermas selbst nennt sich niemals Prophet trotz seines apokalyptischen und visionären Schreibens. Er hat die Weisung bekommen, sein Buch „den Presbytern" zu übergeben und in ihrer Gegenwart der Gemeinde vorzulegen (Vis II 4,2 f.). 53 FS Mühlsteiger

802

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X I 8-10 ergibt sich eindeutig, daß das Prophetentum nicht mehr in Konkurrenz mit den Amtsträgern in der Gemeinde erscheint. 292 Die Bedeutung der Lehrer scheint bei Hermas auch in den Hintergrund getreten zu sein (Vis III 5,1; Mand IV 3,1; Sim IX 15,4; 16,5; 19,2; 2 5 ^ ) 2 9 3 : Berechtigterweise wird man annehmen, daß die Funktion des Lehrens als wesentlicher Bestandteil in das Amt der Gemeindeführung integriert worden ist. Sowohl Apostel als auch Lehrer werden so dargestellt, „daß sie deutlich als Ämter der Vorzeit erscheinen" 294 . In der Gemeinde, die der Verfasser des Hirten beschreibt, gibt es Presbyter (Vis II 4,3; Vis III 1,8), Episkopen (Vis III 5,1; Sim IX 27,2) und Diakone (Vis III 5,1; Sim IX 26,2). Die Verbindung von Episkopen und Diakonen findet sich allerdings nur einmal (Vis III 5,1). Die Begriffe Presbyter und Episkopos dekken sich ebenso wie in 1 Clem nicht. Der inhaltlich weitere Begriff Presbyter gilt auch als Altersbezeichnung (Vis III 11,2.3). Übrigens kommt er auch in der Femininform (Vis II 1,3; 4,1) vor. Die Presbyter werden ausdrücklich als Vorsteher der Gemeinde (Vis II 4,3: „ προϊστάμενοι της εκκλησίας ") bezeichnet. Sie sind ihre Führer (Vis I I 2,6; III 9,7: „προηγούμενοι") und nehmen die ersten Plätze ein (Vis III 9,7: „ πρωτοκαθεδριταις "). 295 Über die Zuständigkeit der Presbyter erfahren wir, daß sie „die Erwählten des Herrn erziehen" sollen (Vis III 9,10), wobei wir unter Erziehung den Unterricht in der Lehre und allgemein seelsorgliche Führungsaufgaben verstehen dürfen. Sicherlich nicht ausgeschlossen ist dabei die Durchführung der christlichen Gemeindedisziplin (Vis III 9,10; Sim IX 31,5-6). Wenn über diesbezügliche Funktionen der Vorsteher bei Hermas auch keine formellen Hinweise gegeben werden, so wird man doch berechtigterweise annehmen dürfen, daß es

7Q7 Vgl. Dibelius, Hermas (Anm. 286), 454.457.635; Bornkamm, πρεσβυς (Anm. 293 45), 674. Lietzmann Verfassungsgeschichte (Anm. 19), 137, Anm. 1 hält dafür, daß die Lehrer sicher kein besonderes Gemeindeamt innehatten. Jeder Presbyter, der unterrichtet, kann als „ διδάσκαλος " bezeichnet werden. Nach Hermas ist der Lehrer ebensowenig Amtsträger wie der Prophet. 294 Lietzmann, ebd., 137. 295

Ob Hermas mit dem Einnehmen der ersten Plätze einen inneren Zusammenhang zum Kennzeichen eines falschen Propheten, der im Streben nach einem ersten Platz besteht, herstellen will, steht nicht fest. Dibelius, Hermas (Anm. 286), 476, meint, daß mit der Bezeichnung „ πρωτοκαθεδρίτης" eine Rüge nicht ausgeschlossen sei. Auch Lemaire, Ministères (Anm. 22), 156, schließt die Nuance eines impliziten Vorwurfs nicht aus. Die Parallele zu „ προηγούμενοι " legt vielmehr nahe, daß es sich um einen Funktionstitel handelt.

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Sache des oder der Vorsteher war, ein Gemeindeglied bei schweren Vergehen aus der Gemeinschaft auszuschließen und nach der Besinnung wieder aufzunehmen. 296 Das Streben um die ersten Sitze (Vis III 1,8; 9,7; Sim V I I I 7,4) kann seinen Ort nur in der Gemeindeversammlung gehabt haben. Diese aber ist wesentlich für die kultischen Funktionen da. Die Presbyter als Inhaber der ersten Plätze werden damit indirekt als Leiter der Eucharistiefeier charakterisiert. 297 Wenn in Vis II 4,3 die Presbyter allein als Vorsteher der Gemeinde angesprochen werden, so besteht doch kein Zweifel, daß auch die Episkopen zuzuzählen sind. 298 Aus dem Text ist eine genaue Zuordnung von spezifischen Funktionen an die mit den beiden Titeln Bedachten nicht möglich. Die Parallelisierung der Episkopen mit den Aposteln (Vis III 5,1) zeigt ihre hohe Würde und ihr Ansehen in der Gemeinde. Da die Apostel der Vergangenheit angehören, sind die mit ihnen in einem Atemzug genannten Episkopen den Aposteln und Lehrern gleichgeachtet und sind als deren Nachfolger anerkannt. 299 Die Tätigkeit der Episkopen (Vis III 5,1: „ έπισκοπεϊν") erfährt eine nähere Differenzierung mit dem Hinweis auf die Pflicht zur Gastfreundschaft gegenüber durchreisenden Brüdern und auf die Sorge für die Armen (Sim IX 27,2). Mit dieser Zuständigkeit war die Verwaltung der Gemeindefinanzen 300 sowie eine der Gaben und des Gemeindevermögens verbunden. 301 Bei diesen Sonderobliegenheiten standen ihnen die Diakone zur Seite (Vis III 5,1; Sim IX 26,2), denen zusätzlich die besondere Sorge für die Witwen und Waisen anvertraut war (Sim IX 26 und 27). Wenn Hermas die Vorsteher „Hirten" nennt und ihre Verantwortlichkeit unterstreicht (Sim IX 31,5 f.), so ist damit ein in der Tradition 302 vorgegebener Sammelbegriff wieder aufgenommen, der die Fülle der Aufgaben und die Bedeutung der Stellung, die mit der Leitung der Gemeinde verbunden sind, zum Ausdruck bringen will.

296

Vgl. B. Poschmann, Paenitentia secunda. Die kirchliche Buße im ältesten Christentum bis Cyprian und Origenes (THEOPHANEIA 1). Bonn 1940,186 f. 297 Vgl. Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 184. 298

Vgl .Zollitsch, Amt (Anm. 83), 114.

299 300 301

Vgl. v. Campenhausen, Amt (Anm. 85), 103.

/

Vgl. Dibelius, Hermas (Anm. 286), 634; Bornkamm, πρεσβυς (Anm. 45), 674. Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 183.

302

Vgl. Eph 4,11; 1 Petr 5,2; Apg 20,28 ff. (Hebr 13,17).

804

Johannes Mühlsteiger

Der in Vis II 4,3 erwähnte Presbyter Clemens wird nach der allgemeinen Deutungstradition als Verfasser des Korintherbriefes angesehen.303 Die Tatsache, daß der Name ohne nähere Bestimmung der Funktionen genannt ist, kann als Hinweis gelten, daß es sich um einen allgemein bekannten und einflußreichen Mann der Gemeinde handelt. Seine Zuständigkeit für die Übersendung der Schrift des Hermas an andere Städte deutet auf eine zentrale Position für die Kontaktaufnahme mit den anderen Christengemeinden hin. Zusammen mit seiner Verantwortung für die durchreisenden Brüder weist dies nach der Meinung von Zollitsch darauf hin, daß wir in Clemens einen Episkopen und den verantwortlichen Repräsentanten der Gemeinde in Rom sehen müssen. 304 Außer den eben genannten Aussagen lassen keine weiteren Hermasstellen eine Deutung auf die besondere Stellung des Clemens zu. Für den Fall, daß es im Presbyterion zu Rom mehrere Episkopen gibt, kann seine Sonderstellung dennoch bestanden haben. Hermas spricht an verschiedenen Stellen von Spannungen und Streitigkeiten (Vis II 2,6; Vis III 9,7; Sim V I I I 7,4; IX 31,5.6) und ermahnt die angesprochenen Amtsträger und Geistträger zur Einheit. Worauf die Differenzen zurückzuführen sind, wird nicht ganz deutlich. In den Sim V I I I 7,4 handelt es sich eindeutig um Vorrangsstreitigkeiten. Dibelius hält es für weniger wahrscheinlich, daß die Auseinandersetzungen um Geist und Amt Anlaß zum Streit waren, noch weniger, daß die Einführung des monarchischen Episkopates dabei zur Debatte stand. 305 Knopf hingegen ist der Ansicht, daß das Aufkommen des monarchischen Episkopates, der sich um 150 durchsetzte, sehr wohl mit Auseinandersetzungen verbunden gewesen sein kann und daß diese Kämpfe die Mahnungen des Hermas veranlaßt haben könnten, sie nötigen aber nicht zur Annahme von solchen Differenzen. 306 Wenn wir auf Grund der Ausführungen des „Hirten" auch nicht in der Lage sind, eine sichere und einheitliche Interpretation für die Unruhen zu geben, so lassen diese doch mit einiger Berechtigung vermuten, daß die Schwierigkeiten mit der Ablösung einer alten Gemeindeordnung durch eine neue in Zusammenhang stehen. Jedenfalls wird deutlich, daß die Neubildung der Gemeindeverfassung, von der der „Hirt" spricht, noch nicht abgeschlossen ist.

303

So u. a. Lietzmann, Verfassungsgeschichte (Anm. 19), 138: „...unzweifelhaft identisch mit dem Verfasser des 1. Klemensbriefes", v. Campenhausen, Amt (Anm. 85), 103: Mit dem Korrespondenten Clemens „ist gewiß der berühmte Verfasser unseres Korintherbriefes gemeint". Zur Frage der Verfasserschaft und die Diskussion darüber siehe Dibelius, Hermas (Anm. 286), 422 f. 304 Zollitsch, Amt (Anm. 83), 115. 305

Dibelius, Hermas (Anm. 286), 635.

306

Knopf, Zeitalter (Anm. 16), 186, Anm. 1

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805

Unter allen Quellen des nachapostolischen Zeitalters zeigen die IgnatiusBriefe die am weitesten fortgeschrittene Entwicklung der kirchlichen Verfassung, insbesondere was die Stellung des Bischofs in der Gemeinde betrifft. 307 Dies war auch einer der Gründe, weshalb lange Zeit hindurch die Autorschaft des antiochenischen Bischofs bestritten wurde. 308 Zieht man einen Vergleich zu den zeitgenössischen Dokumenten, so ist man über den Grad der Ausformung der hierarchischen Gemeindetrias und der kirchlichen Ordnung überrascht. Wie überragend die leitende Stellung des Bischofs in der Gemeinde ist, wird nicht nur durch die theologische Qualifikation, die sie durch Ignatius erhält, deutlich, sondern sie wird auch noch durch die Häufigkeit, 309 mit der er als Leiter der Gemeinde angesprochen wird, unterstrichen. Im Unterschied zur Didache und zum ersten Clemensbrief figurieren bei Ignatius die Presbyter als selbständige Gruppe, die sich sowohl bezüglich des Zuständigkeitsumfanges als auch der Bezeichnung deutlich von den Episkopen abhebt und in der Gemeindeleitung die zweite Stelle einnimmt. Bisweilen werden sie mit dem Kollektivausdruck Presbyterion benannt. 310 An dritter Stelle werden Diakone, als dem Bischof und dem Presbyterion zugeordnet, erwähnt. 311 Die Trias begegnet immer in der Abfolge: Episkopos (stets im Singular), Presbyteroi bzw. Presbyterion, Diakonoi. 312 Die Abstufung drückt sich auch in den Beiwörtern aus, mit denen sie bedacht werden. 313 Ignatius kennt den Episkopos als letztverantwortlichen Leiter der Gemeinde nicht nur in seiner eigenen Person, sondern auch in den Briefadressaten der

307 Bihlmeyer, Väter (Anm. 241), 88-113; Fischer, Väter (Anm. 261), 109-225. Deutsche Ausgabe: W. Bauer, Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Polykarpbrief: Apostolische Väter II (HNT Ergbd.). Tübingen 1920,185-298.

308

Fischer, Väter (Anm. 261), 113. Zur Echtheitsfrage der Ignatiusbriefe siehe: Bauer, Briefe (Anm. 307), 187 f.; G. Kräger, Briefe des Ignatius und Polykarp, in: E. Hennecke (Hg.), Handbuch zu den neutestamentlichen Apokryphen. Tübingen 1904, 191 f.; hier309 wird ein kurzer Bericht über die ältere Literatur zur Echtheitsfrage geboten. Die Episkopen werden über 50mal als solche angesprochen. Als Presbyter werden sie 9mal bezeichnet: Mg 2; 6,1; 7,1; Tr 3,1; 12,2; Phd-Inscr. 10,2; Pol 6,1. Der Ausdruck Presbyterion ist 13mal gebraucht: Eph 2,2; 4,1; 20,2; Mg 2,13; Tr 2,2; 7,2; 13,2; Phd 4; 5,1; 7,1; Sm 8,1; 12,2. 310

311 312

Die Gemeindediakone werden 18mal genannt.

Mg 2; 6,1; Phd-Inscr. 10,2; Pol 6,1; Episkopos, Presbyterion, Diakonoi: Mg 13,1; Tr 7,2; Phd 4; 7,1; Sm 8,1; 12,2. 313 Der Bischof ist gotteswürdig (,, όξιόθεος"), die Presbyter sind würdig (,, άξιοι") und die Diakone Mitknechte (,, συνδουλοι"). Vgl. Mg 2.

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kleinasiatischen Gemeinden. Einen Episkopos, der diese Stellung in der Einzelkirche nicht innehätte, findet sich in seinen Briefen nicht. Vom Bischof heißt es, daß er vom Herrn gesandt ist (Eph 6,1). Des Bischofs Sache ist Gottes Sache (Eph 5 3 ; Mg3; Phd 3,2; Sm 9,1; Pol 6,1), denn er führt den Vorsitz an Gottes Statt. Dieser Umstand rückt ihn so schlechthin auf die oberste Stelle, daß jedermann, der mehr als der Bischof angesehen ist, für den Bischof von Antiochien „dem Verderben verfallen" ist (Pol 5,2). Die Gemeinde kann der Würde des Bischofs dadurch entsprechen, daß sie alles mit dem Bischof und nichts ohne ihn tut (Sm 8,1). Alle kirchlichen Aktivitäten erhalten durch ihn ihre rechte Weihe (Mg 4,1; Tr 2,2; 7,2; Phd 7,2; Sm 8,1.2; 9,1; Pol 5,2). Bei einer solchen theologischen Bewertung der Stellung des Bischofs in der Gemeinde ist es nicht verwunderlich, daß auch seine Zuständigkeit eine universale ist. Ihm obliegt die Sorge für die Einheit aller (Mg 6,1; Phd 4). Deshalb versucht Ignatius alle wesentlichen Funktionen auf den Bischof zu konzentrieren und wenn jemand anderer eine solche ausüben will, dann nur in seinem Auftrag (Sm 8). Eine Eucharistiefeier ist nur unter seinem Vorsitz oder in seiner Gegenwart rechtmäßig, ebenso wie man eine Taufe ohne ihn nicht vollziehen darf (Sm 8,2). Auch die Ehe soll nach Möglichkeit nicht ohne Zustimmung des Bischofs geschlossen werden (Pol 5,2). Steht der Bischof an Gottes und Christi Statt in der Gemeinde, so vertritt das Presbyterion als „Ratsversammlung des Bischofs" (Phd 8,1: „ συνέδριον του επισκόπου ") das von Christus berufene Apostelkollegium. 314 Aus der Parallellsierung mit den Aposteln (Mg 6,1; Tr 3,1) und der Tatsache, daß sie als „ προκαθήμενοι" (Mg 6,1) angesprochen werden, kann man berechtigterweise folgern, daß sie nicht nur dem Bischof beratend und ausführend zur Seite stehen, 315 sondern daß sie an den Entscheidungen mitbeteiligt sind 3 1 6 und damit an der Leitung der Gemeinde. Das hindert nicht, daß sie wie die Gläubigen dem Bischof Gehorsam schuldig sind (Tr 12,2; Mg 3,1). Im übrigen kann dem Presbyterkollegium kein höheres Lob zuteil werden, als wenn man ihm nachsagt, mit dem Bischof ein harmonisches Ganzes zu bilden wie die Saiten mit der Zither (Eph 4,1). Über die Zuständigkeit und die Tätigkeiten des Presbyterions im einzelnen werden wir nicht genauer unterrichtet. Das Presbyterion wird in den Ignatianen als aus dem Episkopenamt ausgegliedert dargestellt. Die Vollmachten der nichtepiskopalen Presbyter erscheinen in einer den neuen pastora-

314

Mg 6,1 ; 7,1 ; Tr 2,2; 3,1 ; Sm 8,1.

315

Vgl .Bauer, Briefe (Anm. 307), 202.

316

Vgl. Zollitsch, Amt (Anm. 83), 182, Anm. 33.

Zum Verfassungsrecht der Frühkirche

807

len Bedürfnissen angepaßten reduzierten Form vermittelt. 317 Als Gruppe mit einem eigenen Zuständigkeitsbereich bilden die Presbyter einen eigenen Stand und bekleiden ein eigenes Amt in der Gemeindeleitung.318 Die Diakone der Ignatiusbriefe werden immer in Verbindung mit dem Bischof und dem Presbyterion dargestellt (Eph 2,1; Mg 2; 6,1; Tr 3,1; 7,2; Phd 4; 7,1; 10,2). Weil ihr Helferamt nicht Einsatz für die genannten Personen als solche bedeutet, sie vielmehr „mit dem Dienst Jesu Christi betraut" sind (Mg 6,1; Tr 2,3), werden sie von Ignatius auch als „Gehilfen der Kirche Gottes" bezeichnet (Tr 2,3; Phd 10,1). Darum werden die Gläubigen aufgefordert, alle Diakone wie Jesus Christus zu achten (Tr 3,1; 2,3; Phd 11,1; Sm 8,1), ja ihnen sogar Gehorsam zu leisten wie dem Episkopen und den Presbytern (Pol 6,1; Tr 7,2; Phd 7,1). Den Aufgaben des Bischofs und seines Presbyterions entsprechend erstreckt sich ihr Dienst in gleicher Weise auf Wort (Phd 11,1) und Sakrament (Phd 4; Tr 2,3). Genauere Auskunft über ihre Funktionen erhalten wir von Ignatius nicht. Ein konkreteres Bild ihres Aufgabenbereiches läßt sich am ehesten aus ihrer Stellung in der Gemeindeleitung rekonstruieren. Eine einheitliche Ausformung der kirchlichen Gemeinde in der nachapostolischen Zeit ist nach dem, was wir bisher gesehen haben, wegen der verschiedenen lokalen Traditionen nicht leicht denkbar. Trotzdem kann nicht geleugnet werden, daß eine starke Tendenz am Werk ist, dem Stifterwillen treu zu bleiben und bei aller unvermeidbaren Vielheit und Vielfältigkeit die kirchliche Einheit zu bewahren. Die auseinanderstrebenden Bewegungen, die uns unter dem Namen Judenchristentum, Heidenchristentum oder Gnostizismus bekannt sind, 319 bringen für die nachapostolische Kirche keine geringen Gefahren. Umso nachdrücklicher ist die Sorge um die Einheit. Die junge Kirche ist sich dessen bewußt, daß sie in letzter Instanz von ihrem messianischen Hirten unsichtbar geleitet ist, daß er allein das eigentliche Einheitsprinzip darstellt 320 und daß die Kirche nach seinem körperlichen Scheiden für ihren irdischen Weg stellvertretende Hirten in den Aposteln erhalten hat. Nach ihrem Tode stellt sich die Frage nach dem Repräsentanten der Einheit von neuem und in sehr dringlicher Weise.

317

Vgl. M. Schmaus, Das katholische Priestertum - ein soziologisches oder theologisches Problem?, in: lus Sacrum. Festgabe f. K. Mörsdorf. Hg. v. A. Scheuermann / G. May. München / Paderborn / Wien 1969,7. 318 Vgl.Zollitsch, Amt (Anm. 83), 183. 319

Vgl .Barnard, Studies (Anm. 287), 23 f.

320

Vgl. Merklein, Amt (Anm. 3), 370.

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Ignatius entwirft nun das Modell eines solchen Repräsentanten für die Einzelgemeinde. 321 Schon der römische Bischof Clemens hat in seinem Brief an die Korinther eine Bischofstheologie entwickelt und mit seiner Sukzessionslehre (Gott-Christus-Apostel-Bischöfe) versucht, Spaltungs- und Auflösungstendenzen zu steuern (1 Clem 42,1-5). Die theologische Abstützung des Episkopenamtes bei Ignatius will im Endeffekt nichts anderem als der Einheit der Gemeinde dienen. Sichtbarer Ausdruck des Einheitsauftrages des Episkopos ist der Vorsitz in der Gemeindeversammlung besonders dann, wenn sie zur Eucharistiefeier zusammenkommt und wenn er seine Stimme erhebt, um vor falschen Lehren zu warnen. Der Bischof wird gerade in dieser Funktion zum „ τύπος του πατρός ", zum Abbild des Vaters (Tr 3,1), der der Bischof aller ist (Mg 3,1: „ επίσκοπος πάντων"). Die ignatianische Formulierung „ εις έπίσκοπος" gibt das im Nachfolger der Apostel, im Bischof, sichtbar gewordene Einheitsprinzip wieder. 322 Selbst jugendliches Alter oder menschliche Unvollkommenheit vermögen seiner Geltung keinen Eintrag zu tun (Mg 3; Eph 6). Damit wird ein Amt aufgebaut, das unabhängig von seinem Träger und seinen Fähigkeiten für die Kirche wirksam werden muß. Man pflegt die ,Jurisdiktionsfülle" des ignatianischen Episkopos in der Gemeinde und für sie als monarchischen Episkopat zu benennen. Zeitbedingte Umstände, die zur Ausbildung und Beschleunigung eines so gestalteten Bischofsamtes beigetragen haben, werden folgende genannt: Josef Gewiess meint, daß der Kollegialcharakter des Presbyterions selbst dazu gedrängt habe, sich eine ordnende und führende Spitze zu geben. Die Koordination der Tätigkeiten eines Kreises von Männern bedarf einer Persönlichkeit, die den Einsatz der Kräfte ordnet, besonders wenn es sich darum handelt, ein einheitliches Vorgehen gegen die Irrlehre zu sichern. 323 J. A . Fischer faßt seine Begründungen zusammen im „Bedürfnis nach Einheit und Schutz der Lehre und des Kultes, namentlich der Eucharistiefeier" 324 . Die Übertragung des zentralen Leitungsschemas des paulinischen Missionsgebietes auf die Einzelgemeinde führt Gewiess als weiteren Grund an. Paulus „war gewissermassen der Bischof für seinen Missionsbezirk". Mit seinem Tode mußte sich das Bedürfnis nach einer führenden Persönlichkeit innerhalb der Gemeinde regen, die dann zum Teil Aufgaben übernahm, die vorher in der Hand des Apostels lagen, damit aber

321

'

Vgl. dazu O. Perler , L'Eveque, représentant du Christ selon les documents des premiers siècles: L'Épiscopat et l'Église universelle (Unam Sanctam 39). Paris 1962, 35-43. 322 -17-1 Tr 324

11,2. Vgl. dazu J. Cohort , Les fonctions ecclésiales. Paris 1954,220 f.

Vgl. Gewiess , Grundlagen (Anm. 2), 23. Fischer, Väter (Anm. 261), 127.

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auch die Stellung dieser Persönlichkeit zusehends festigte und sich Aufgaben reservierte, die bisher vom Presbyterion wahrgenommen wurden. 325 Im Zusammenhang mit dem Bestreben, die innere Einheit der Kirche mit Hilfe der Bischofsfigur aufzubauen oder wiederherzustellen, lassen sich die wiederholten Mahnungen der Ignatianen, nichts ohne den Bischof zu tun und sich ihm unterzuordnen, verstehen. 326 Edgar Loening spricht die Vermutung aus, daß die Einführung des monarchischen Episkopates in manchen Gemeinden nicht ohne innere Kämpfe vor sich gegangen ist. 3 2 7 Peter Stockmeier vertritt ebenfalls die Ansicht, daß die zahlreichen Mahnungen, die Einheit der Kirche zu wahren und dies durch Unterordnung unter den Bischof zu bezeugen, darauf hindeuten, daß die Theologie des Bischofsamtes sich nicht überall durchgesetzt hat. 328 Er verweist dazu auf eine diesbezügliche Meinung von Walter Bauer, der die ignatianische Einheitstheologie als den Versuch einer Minderheit bezeichnet, mit Hilfe eines entschlossenen Führers eine neue Ordnung durchzusetzen. 329 Tatsache ist, daß die in den Ignatianen mit Insistenz durchgehaltenen Aufforderungen, die Einheit und Unterordnung zu wahren, ihren Grund haben müssen. Wir haben es ja mit einer bis dahin nicht gekannten Durchgliederung der Struktur der Einzelgemeinde zu tun. Eine solche einschneidende Umstrukturierung löste bei der üblichen Beharrungstendenz des Volkes verständlicherweise Reaktionen aus. Die missionarische bzw. kollegiale Gemeindeleitung hatte das Problem der Einordnung nicht in jener Schärfe gestellt, wie dies in einer straff einheitlich geführten Gemeinde der Fall war. Die Mahnungen treffen entweder eine bereits eingetretene Situation, ansonsten sind sie präventiv für die Zeit der Umstellung gedacht. Jedenfalls ist der Leser der Ignatiusbriefe auf dem laufenden über die Verteilung der Zuständigkeiten und Verantwortungen in der Leitung der Einzelgemeinde. Er wird dabei aber auch inne, daß in der Situation der Zwischenzeit die Integration in eine von Menschen geleitete Gemeinde ein Christus selbst geleisteter Gehorsam ist (Phd 3,2). Und deijenige, der zum Episkopos für die neutestamentliche Gemeinde bestellt ist, weiß ein

325

Gewiess y Grundlagen (Anm. 2), 23. Eph 20,2; Mg 2; 3,1 f.; 6,1; 7,1; 13,2; Tr 2,1; 7,1; 12,2; 13,2; Phd 2,1; 7,1; Sm 8,1; 9,1; Pol 1,2; 2,1; 6,1. 326

327 328

Vgl .Loening, Gemeindeverfassung (Anm. 43), 123.

Vgl. Ρ. Stockmeier y Bischofsamt und Kircheneinheit bei den Apostolischen Vätern, in: TThZ 73 (1964) 332 f. 329 Vgl. Stockmeier, ebd., 333, Anm. 55. Vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum. Mit Nachtrag von G. Strecker (BHTH 10). Tübingen 2 1964, 66 f.

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Gnadenamt empfangen zu haben (vgl. Paulus, Rom 12,7), das zum Aufbau des Leibes Christi bestimmt ist. Das Infragestellen hergebrachter Kirchenstrukturen hat den Anstoß gegeben, aufs neue in jenes Quellgebiet vorzustoßen, aus dem der Strom kirchlicher Rechtstradition seine Wasser bezieht. Die Vielzahl und die Vielfalt der Zeugnisse erschweren die Rekonstruktion eines genauen, sich allseitig deckenden Ablaufs der Ereignisse, sie gestalten aber die Arbeit auch reizvoll, weil sie der Kombinationsgabe einen breiteren Spielraum bieten.

Sanctorum Communio*

Über den Ursprung des Ausdrucks „sanctorum communionem" im dritten Artikel des Apostolischen Taufsymbols, über die Zeit sowie die Motive seiner Aufnahme in dasselbe und schließlich über den Sinn, den man ihm ursprünglich beilegen wollte, fehlt es noch an geschichtlicher Aufklärung. Diese Feststellung, die um die Jahrhundertwende von einem Fachmann1 gemacht wurde und die in eine Zeit fiel, in der mehrere Gelehrte sich der Klärung dieser Fragen widmeten,2 hat im Grunde bis heute ihre Aktualität behalten. Wenn in den nun folgenden Ausführungen vornehmlich die Frage nach dem Sinn dieses dogmatischen Terminus gestellt wird, so erhebt der Schreiber dieser Zeilen durchaus nicht den Anspruch, eine peremptorische Antwort gefunden zu haben, sondern will aufs neue nach einer Antwort suchen. Der Terminus „ κοινωνία* 1, lateinisch „communio", ist ein Lieblingsausdruck der alten Kirchenordnung. Für das Verständnis des alten Christentums gibt er geradezu einen Zentralbegriff 3 wieder. Aber seine Bedeutung ist derart vielfältig, 4 daß es nicht leicht fällt - die Interpretationsgeschichte beweist dies zur Genüge - , aus einer solchen Fülle den Sinn, den er im Kontext des Taufsymbols besitzt, festzulegen. Eine ganze Reihe kanonischer Normen hat in dieser Einrichtung der urkirchlichen Disziplin ihr theologisches Fundament. Wenn neben der theologischen Deutung auch der Versuch einer juristischen

* Erschienen in: ZKTh 92 (1970) 113-132. 1 J. Köstlin, Art. Gemeinschaft der Heiligen, in: RE 3 VI, 503 f. 2 Siehe dazu die Abhandlungen über die Taufsymbole von C. P. Caspari, G. v. Zezschwitz, Th. Zahn, A. Harnack u. G. Morin. L.Hertling, Communio, Chiesa e Papato nell'antichità cristiana. Rom 1961,5. 4

Über die mannigfaltige Bedeutung des Terminus „ κοινωνία " in den Schriften des NT mit Berücksichtigung der profanen Literatur gibt reichen Aufschluß das Werk von H. Seesemann, Der Begriff ΚΟΙΝΩΝΙΑ im NT. Gießen 1933. Vgl. dazu die Rezension von H. J. Vogels, in: ThRv 33 (1934) 14 f. Vgl. ebenso F. Hauch, Art. Κοινωνός etc., in: ThWNT III, 798-810.

812

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Auslegung dieses Terminus des Apostolischen Symbolums unternommen wird, so geschieht eine solche einseitige Betrachtungsweise bewußt; sie ist aber auch berechtigt. Der Begriff „ κοινωνία " ist für rechtliche Sachverhalte nicht willkürlich gewählt worden, sondern ist eine organische Ausweitung des bibeltheologischen Grundgehaltes. Die Kirche als konkrete Gemeinschaft der Getauften, mit einer Verfassung, mit bestimmten Institutionen und Beziehungen zu anderen Gemeinschaften, ist das Zeichen, unter dem das Heil Gottes der Welt endgültig zugesagt ist. Wenn in der Apostelgeschichte (Kap. 2,42) berichtet wird, daß die Christen an der Lehre der Apostel, an der „ κοινωνία", am Brotbrechen 5 und am Gebet festhielten, so werden damit nicht beliebige Vollzüge genannt, sondern vier Merkmale hervorgehoben, die für das Leben der jungen Gemeinde konstitutiv sind. Welches ist nun der Sinn von „ κονωνία"Ί Auf Grund des übernächsten Verses (Apg 2,44), in dem ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die Gläubigen alles gemeinsam hatten, wäre zunächst die Interpretation als Gütergemeinschaft denkbar. 6 Inhaltlich und formell ähnlichen Ausdrücken begegnen wir zwei Kapitel später (Apg 432). Abgesehen davon, daß an den letztgenannten zwei Stellen das Eigenschaftswort „κοινός" und nicht das Substantiv gebraucht wird, scheint jene Interpretation, welche unter „ κοινωνία" eine Gütergemeinschaft verstehen will, zu äußerlich und materiell zu sein. Jene Deutung hingegen, die unter „ κοινωνία '' etwas Innerliches, eine geistige Eigentümlichkeit der Urgemeinde, versteht, nämlich die Einigkeit, die das Zusammenleben der Gemeindeglieder auszeichnet,7 weist eine für den Zusammenhang zu spiritualisierende Tendenz auf. Auf diese Einmütigkeit kommt die Apostelgeschichte ausdrücklich zu sprechen (Apg 2,46.47). „Κοινωνία" hat Apg 2,42 fast den Charakter eines Fachausdruckes und steht in einer Reihe mit anderen konkreten und fundamentalen Lebensäußerungen der Pfingstgemeinde. Diese beruhen auf den Rechten und Pflichten, die die jungen Christen bei der Taufe erhalten und übernommen haben. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung über die Taufriten in Palästina und Syrien (150 v. Chr. bis 300 n. Chr.) 8 ist bezüglich der christlichen Taufe zu folgendem Ergebnis gekommen: Seit den

5

Bemerkenswert ist, daß in der Vulgata der zweite und dritte Begriff zusammengezogen sind in: communicatione fractionis panis. 6

Zur Diskussion über die Bedeutung von „ κοινωνία " als Gütergemeinschaft vgl. Seesemann, Begriff (Anm. 4), 88 f. j Seesemann, ebd., 89. g

J. Thomas , Le mouvement baptiste en Palestine et Syrie (150 av J. C. - 300 ap. J. C.). Gembloux 1935. Die Rez. dazu: W. G. Kümmel , ThLZ 62 (1937) 346 ff.; M. MeinertZy ThRv 38(1939) 185 f.

Sanctorum Communio

813

ersten Zeiten der Kirche existierte im Verein mit der Verkündigung die christliche Taufe als Ritus der Einweisung in die Gemeinschaft und des Sündennachlasses. In diesen Belangen unterscheidet sich die christliche Taufe nach außen hin in nichts von der des Johannes. Es wird der Herr Jesus verkündet als deijenige, der nach Johannes kommen sollte und in der Tat schon gekommen ist. Man wird auf seinen Namen getauft, was so viel besagt, als daß man durch diesen Ritus in den Bereich Christi eingeführt wird und so auf irgendeine Weise ihm geweiht ist. Beinhaltet denn die christliche Taufe etwas Zusätzliches? Der Autor gibt zur Antwort, man würde meinen, nichts, wenn man sich an den Inhalt des Berichtes der Apostelgeschichte hält. In Wirklichkeit wird selbst vom Schreiber der Apostelgeschichte mehr gesagt. Insofern nämlich die Taufe für das messianische Reich weiht, muß sie als jener Akt betrachtet werden, der das Recht auf die Güter dieses Reiches verleiht. Darin liegt ihre Überlegenheit über die Taufe des Johannes. Diese übertrug das Recht der Teilnahme am kommenden, zukünftigen Reich. Die christliche Taufe hingegen nimmt in das bereits errichtete Gottesreich auf und gewährt das Recht auf die Güter dieses Reiches.9 Dieses Recht der Teilhabe an den Heilsgütern könnte den Sinn des Ausdrucks,, κονωνία" treffen. Wenn in den nun folgenden Ausführungen nach dem Sinn der Formel sanctorum communio " im Apostolischen Taufsymbol gefragt wird, so wird der Versuch einer Antwort von diesem bibeltheologischen Ansatz aus unternommen. Im Interesse einer abgerundeten Darstellung kann auf die geschichtliche Entwicklung dieser Symbolformel nicht verzichtet werden. I. Das Symbolglied sanctorum communio " ist im Abendland zum ersten Male im 5. Jahrhundert nachweisbar, und zwar fast nur in gallischen Taufbekenntnissen. In der Kirche Afrikas und Italiens finden sich für diesen Beisatz um diese Zeit keine Spuren, in Spanien nur im mozarabischen Taufsymbol. 10 Das erste sichere Zeugnis für die Zugehörigkeit der Worte sanctorum communio" zum Taufsymbol erhalten wir durch Faustus, den Bischof von Reji (Riez) in Südgallien aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Seine Homilia II de symbolo 11 bietet eine Erklärung der einzelnen Symbolglieder. Die Zu9

J. Thomas, Mouvement (Anm. 8), 387.

10

F. Kattenbusch, Das Apostolische Symbol II. Leipzig 1900,927.

11

C. Ρ. Caspari, Ungedruckte, unbeachtete und wenig beachtete Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel II. Christiania 1869, 191-199; ders., Kirchenhistorische Anecdota. Christiania 1883,328-341.

814

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sammenfassung der genannten Glieder ergibt mit einer geringen Abweichung 12 die heutige Form des Apostolikums. 13 In der vom gallischen Bischof gegebenen Credoerklärung findet sich keine Deutung der Formel. Der Verfasser schließt daran bloß die Mahnung, die Heiligen in rechter Weise zu verehren. Unter „Heiligen" versteht er jene Menschen, die die persönliche Vollendung bereits erreicht haben, also die Heiligen im spezifischen Sinn. Am Ende des 4. Jahrhunderts hat eine starke Märtyrer- und Heiligenverehrung eingesetzt, und zwar zunächst hauptsächlich im gallischen Raum. Bezeugt wird dies beispielsweise durch die Predigt, die Victricius von Rouen im Jahre 396 gehalten hat, als die Reliquien ankamen, die ihm Ambrosius zugesandt hatte.14 Die Worte des gallischen Bischofs zeigen, wie er und seine Zuhörer die Reliquien so betrachteten, daß durch sie die wahre und begnadete Gegenwart der Märtyrer selbst vermittelt wurde und durch sie die besondere Gegenwart Gottes, mit dem sie vereint waren. Wenige Jahre später treffen wir den Beisatz im Taufsymbol des Bischofs Caesarius von Arles (+ 543). 15 Man kann deshalb wohl mit einiger Berechtigung annehmen, daß diese Worte nicht nur in den Symbola der Kirchen der beiden Bischöfe vorhanden waren, sondern daß die Teilkirchen Südgalliens um die Mitte des 5. Jahrhunderts das Glied „sanctorum communio " in ihren Symbola als festen Bestandteil enthielten. Außerdem begegnen wir ihm von dieser Zeit an in den uns erhaltenen Taufsymbolen fast ohne Ausnahme, und zwar in

12

Statt remissionem peccatorum steht abremissionem peccatorum. Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der alten Kirche, hg. v. L. Hahn / A. Harnack. Breslau 3 1897,70-72. 13

14

Victricius, episcopus Rotomagensis, De laude sanctorum. Paris 1895. Vgl. J. Mulders, Victricius van Rouaan, Leven en leer. Nijmegen 1956 u. ZKTh 80 (1958) 589. 15

„ ..crédité sanctam ecclesiam catholicam, crédité sanctorum communionem, crédité carnis resurrectionem ..." siehe Hahn / Harnack (Anm. 13), 72 f. u. PL 39, 21942195. Diese Formel ist enthalten im pseudoaugustinischen Sermo 244, der den Titel trägt: „De symboli fide et bonis operibus", und ist zuerst von Benediktiner Gelehrten dem Caesarius von Arles zugeschrieben worden. Vg}.F.Kattenbusch, Das Apostolische Symbol I. Leipzig 1894,165-170 und das Werk „Sancti Caesarii Arelatensis Sermones" 11, hg. v. G. Morin. Maretioli 1937, 934. Morin hat diesen Sermo nicht in sein Werk aufgenommen, sondern verweist auf die Veröffentlichung einer „Expositio fidei" bei C. P. Caspari, Anecdota (Anm. 11), 283-289. Caspari ediert an dieser Stelle eine Auslegung des Taufsymbols und zeigt die inhaltliche Verwandtschaft dieser Auslegung mit dem Sermo 244, von dem die Benediktiner sagen (PL 39, 2194 Anm. b), daß er „ Caesarium revera sapit, non Augustinum ".

Sanctorum Communio

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der angeführten Wortstellung. In umschreibenden Formeln und Erklärungen findet sich bisweilen auch die umgekehrte Wortfolge. 16 Zurück in das achte Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts führt uns die von Germain Morin OSB entdeckte „Fides Hieronymi" 17 . Damit wäre diese „Fides" das älteste bis jetzt nachweisbare Zeugnis für das Vorkommen der Formel „sanctorum communio ". Morin spricht die Vermutung aus, daß dieses Bekenntnis dem Hieronymus während seines Aufenthaltes in der Wüste von Chalkis, südostwärts von Antiochien, in den Jahren zwischen 374 und 379 abverlangt wurde. 18 Daß dieses Bekenntnis altertümlichen, und zwar antiochenischen Charakter trägt, hat Th. Zahn nachzuweisen versucht. 19 Der dritte Artikel in der „Fides Sancti Hieronymi" lautet: „ Credo et in Spiritum sanctum , Deum non ingenitum, neque genitum, non creatum neque factum, sed Patri et F ilio coaeternum. Credo remissionem peccatorum in saneta ecclesia catholica, sanctorum communionem, carnis resurrectionem et vitam aeternamEin Taufbekenntnis der armenischen Kirche zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit der „Fides" des Hieronymus. Sie ist zu charakteristisch, meint Morin, als daß sie dem reinen Zufall zugeschrieben werden könnte. 20 In dem armenischen Bekenntnis heißt die uns interessierende Stelle: „Wir glauben an die Vergebung der Sünden in der heiligen Kirche und in der Gemeinschaft der Heiligen." Caspari nennt dieses armenische Symbol eine Art Glaubensregel und macht darauf aufmerksam, daß es an verschiedenen Stellen an das Abendland erinnere. So wenn es die ganze heilige Dreifaltigkeit als Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Dinge bezeichnet, ferner die Ausdrücke „Vergebung der Sünden in der heiligen Kirche" und „Gemeinschaft der Heiligen" 21 . Hahn bemerkt dazu, daß das Bekenntnis den Eindruck erwecke, seinem Kern nach von hohem Alter zu sein, während es in seiner erhaltenen Gestalt wegen seines monophysitischen Charakters nicht vor der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts entstanden sein könne. 22 Dies läßt nach Morin die Annahme zu, daß eine viel ältere Formel benützt wurde, zweifellos die nämliche, die auch der „Fides Hieronymi" zugrunde

16

So in einem Gemeindesymbol aus dem Anfang, des 12. Jahrhunderts: „In Honorii Augustodunensis Speculum ecclesiae sive Sermones tarn de tempore quam de sanetis. " Vgl.Hahn/Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 113 f. u. PL 172,823 f. 17

G. Morin, Un symbole inédit attribué à Saint Jerome, in: RBen 1 (1904) 1 ff. Text nach Cod. 28 de St. Mihiel, 9. Jhd. 18 G. Mor in, ebd. 19

90 21 22

Th. Zahn, in: NKZ 16 (1905) 249 ff. G. Morin , Sanctorum communionem, in: RHLR 9 (1904) 227. Caspari, Quellen II (Anm. 11), 10-12. Hahn ! Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 155, Anm. 475.

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lag. 23 Was aber unser neues Symbolglied betrifft, so läßt sich daraus weiter schließen, daß es in der Gegend Antiochiens spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts gebräuchlich gewesen sein muß, und damit nicht gallischen, sondern griechischen Ursprungs wäre. Der Umstand, daß die Formel in den Symbola fast ausnahmslos in derselben Wortfolge angeführt wird, läßt an sich den Schluß einer gemeinsamen Quelle zu. Nach der Quellenlage zu urteilen, müßte die Formel ihren Weg vom Orient in den Okzident genommen haben. Nach diesen mehr historischen Vorfragen über den Ursprung der Formel stellt sich die nicht weniger dornige Frage nach ihrem Sinn, ihrer Bedeutung und dem Anlaß ihrer Entstehung. Dies um so mehr, als vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute verschiedene Antworten auf diese Frage gegeben wurden. Damit in Zusammenhang interessiert die Frage, ob diesem Glied der westlichen Taufsymbole in jenen des Ostens eine äquivalente Formel zugrunde liegt, die dazu beitragen kann, den Sinn von „sanctorum communio " aufzuhellen. Um gleich die Antwort auf die zweite Frage vorwegzunehmen, ist festzustellen, daß in einigen östlichen Taufbekenntnissen sanctorum communio " durch „βάπτισμα" ersetzt ist. Dies ist der Fall im nicänischen Glaubensbekenntnis, das aller Wahrscheinlichkeit nach von Antiochien über Konstantinopel kommt. Aber auch die Glaubensbekenntnisse des Cyrill von Jerusalem, 24 die kürzere und die längere Formel nach Epiphanius,25 sowie das nestorianische,26 das längere armenische 27 und das äthiopische Taufbekenntnis 28 enthalten den genannten Ausdruck. Nach dem Geiste der Urkirche konnte das Zusammenleben der Christen nicht von jenem Ritus getrennt gedacht werden, durch welchen sie zum erstenmal als gemeinsamen Besitz jenen Geist erhalten hatten, dessen lebendiger Ausdruck ihre Gemeinschaft war. 29 Dieser Akt hat ihnen aber nicht nur göttliches Leben vermittelt, sondern durch die Aufnahme in die Heilsgemeinschaft auch die Rechte auf ihre Güter gegeben. Um zum ersten Fragepunkt zurückzukehren, so lassen sich die Sinndeutungen der verschiedenen Autoren in folgende Hauptgruppen zusammenfassen. Wenn Kattenbusch erklärt, daß ihm scheine, der Ausdruck sei im Symbol von 23 24

Morin y Sanctorum Communionem (Anm. 20), 229. Hahn /Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 132-134. Vgl. dazu DS 30.

25

Hahn ! Harnack, ebd, 134-137.

26

Hahn ! Harnack, ebd., 144-146.

27

Hahn /Harnack, ebd., 151-154.

28

Hahn /Harnack, ebd., 159.

29

123.

F.J. Badcock, Sanctorum communio as an Article in the Creed, in: JThS 21 (1920)

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817

vorneherein ebenso persönlich wie sachlich gemeint, weil eben beide Ideen im Glauben der alten Kirche zusammengehörten, 30 so tendiert er bei der Interpretation der einzelnen Texte doch stark auf ein sachlich sakramentales Verständnis im Sinne einer Teilhabe an der Abendmahlsgemeinschaft oder an den heiligen Dingen im allgemeinen.31 Dieselbe Deutungstendenz zeigt W. Eiert in seinem Werk ,Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens" 32 , obwohl auch er andere Sinngehalte nicht grundsätzlich ausschließt. Diese sachlich-sakramentale Interpretationsrichtung stützt sich hauptsächlich auf eine Aussage Basilius d. Großen, 33 welche, wie die eben genannten Autoren und andere meinen, eindeutig im eucharistischen Sinn zu verstehen ist. 34 Einen hauptsächlich personalistischen Gehalt im Sinne von Gemeinschaft der Vollendeten, die zwar auch die Gerechten auf Erden miteinbezieht, hat Johann Peter Kirsch in seinem Werk „Die Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen im Altertum" herausgelesen.35 Wenn nun dem Sinn der Formel nachgespürt werden soll, so geschieht dies naturgemäß an Hand einiger Interpretationen und Erklärungen.

30

F.Kattenbusch,

31

Symbol II (Anm. 10), 943.

Kattenbusch, ebd., 931-950

32

W. Eiert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens. Berlin 1954. Siehe die beiden ersten Exkurse im Anhang seines Werkes, 165-177. Eiert kommt zu dem Schluß (ebd. 169): „Nimmt man noch hinzu, daß bei dem personalistischen Verständnis auch die sancti noch ganz verschieden gemeint sein können, und schließlich, daß sanctorum auch Genitiv von sancta sein kann, so ist die lateinische Credo-Formel sanctorum communio nicht nur zweideutig, sondern drei-, vier-, oder noch mehrdeutig. Ihre ursprüngliche Bedeutung ist vollkommen unsicher." 33 Basilius d. Gr., Regulae brevius tractatae, Interr. 109 (PG 31, 1301 C): „Et των συνήθων και κατά φυσιν γινομένων τι vi, χρή τολμαν εις κονωνίαν των αγίων παρέρχεσθαι 34

G. ν. Zezschwitz, System der christlich kirchlichen Katechetik II. Leipzig 1872, 124; Kattenbusch, Symbol II (Anm. 10), 931, Anm. 114; Eiert, Abendmahl (Anm. 32), 181; A. Piolanti, Art. Gemeinschaft der Heiligen, in: LThK 2 4, 652. Ein normannischfranzösischer Symboltext nach einer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert interpretiert sanctorum communionem sachlich-sakramental: Ieo crei el Seint Espirit; seinte eglise catholica; la communiun des seintes choses, remissium des pecchiez: Hahn / Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 83. 35

J. P. Kitsch, Die Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen im christlichen Altertum. Mainz 1900, 224-226; dieselbe Bedeutungstendenz vertreten Köstlin, Gemeinschaft (Anm. 1), 503-505 und E. Kahler, Art. Gemeinschaft der Heiligen, in: RGG 3 III, 1348 f.;D. Bonhoeffer, Sanctorum communio. München 3 1960,16.156.167.173. 54 FS Mühlsteiger

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Ein Zeugnis, das wegen seiner Art und wegen seines Alters für die Findung des Sinngehaltes des Apostolikums im allgemeinen und unseres Terminus im besonderen von ausschlaggebender Bedeutung ist, stellt die „Explanatio Symbols des Niketas von Remesiana dar. Der Verfasser wirkte um 400 als Missionsbischof in Dacien (im heutigen Serbien). 36 Besondere Beachtung verdient seine Symbolerklärung schon deshalb, weil er als ältester nachweisbarer Kommentator zugleich der ausführlichste und klarste ist und am ehesten den theologischen Gehalt der Formel wiederzugeben scheint. Das Werk dieses Bischofs, der sich mit der Glaubensverbreitung am Balkan abmühte, beweist eine überdurchschnittliche theologische Bildung. Zwar liegt in seiner „Explanatio" bloß eine Andeutung vor, daß die Formel im Taufsymbol seiner Kirche vorhanden war; man kann aber mit einer gewissen Berechtigung deren tatsächliche Existenz annehmen. Nun erhebt sich die Frage: Hat Niketas das Symbol - er lebt ja an einem Schnittpunkt zwischen Ost und West vom Orient oder von der Kirche Südgalliens übernommen? Morin glaubt nachweisen zu können, daß der Bischof von Remesiana mehrere Eigentümlichkeiten orientalischer Herkunft gekannt und benützt hat. Außerdem meint der belgische Benediktiner, daß in seiner Gemeinde sich zweifellos Nachfahren jener Goten befanden, deren erste Missionare zum Teil Gefangene waren, die zur Zeit der großen Invasion durch Valerian und Gallienus vom Pontus und von Kappadozien dorthin verschleppt worden waren. 37 Wegen der Lage des Missionsgebietes hat die östliche Kirche sicher einen Einfluß auf sein theologisches Denken ausgeübt. Anderseits scheint Niketas in den Kirchen Galliens in besonders hohem Ansehen gestanden zu sein. So ist es beispielsweise ein Gallier, Gennadius von Marseille, der uns die einzige Beschreibung, die wir von seinen literarischen Werken besitzen, hinterlassen hat. 38 Für Harnack ist die Tatsache besonders interessant, daß Ni-

36 Diese Symbolerklärung ist abgedruckt bei Caspari, Anecdota (Anm. 11), 341-360, ebenso PL 52, 865 ff. Caspari schreibt sie einem Niketas von Aquileia zu, weil der Codex Chisianus, den Caspari unter anderen benützt, einen Bischof von Aquileia, namens Niketas, als Verfasser bezeichnet. Nach den Untersuchungen Hümpels (E.Hümpel, Niceta v. Remesiana. Erlangen 1895 [Diss.], zusammengefaßt, in: RE 3 14, 26 ff.) darf als gesichert gelten, daß der Autor der Explanatio Symboli der mit Paulinus von Nola befreundete Missionsbischof Niketas v. Remesiana ist. 37 RHLR 9 (1904) 233-234. Ebenso weist E . Burn , Niceta of Remesiana. Cambridge 1905, an mehreren Stellen ostkirchliches Gedankengut nach.

38

Gennadius, De viris illustribus. Münster 1898,56.

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ketas durchweg das Symbol aus den Katechesen des Cyrill von Jerusalem, zum Teil sogar wörtlich, erläutert. 39 Kirsch hält es nicht für unmöglich, daß Niketas seine Jugend in Gallien verbracht und dort seine theologische Bildung erhalten hat. 40 Nach dieser Hypothese wäre die Ähnlichkeit oder Verwandtschaft des Symbols, welches Niketas bei seiner Tätigkeit als Missionsbischof benützte, mit den Taufsymbolen Galliens am besten zu erklären. Eine andere Hypothese wäre immer unter der Voraussetzung der geistigen Beziehungen, die zwischen dem Orient und Südgallien bestanden haben, noch denkbar. Danach hätte sich die Formel „sanctorum communio " durch allmähliche und unwillkürliche Bereicherung des Textes auf dem Weg der Auslegung gebildet. 41 In seiner Symbolerklärung gibt Niketas zunächst eine kurze Definition der Kirche als „sanctorum omnium congre gatio". Er fährt dann mit der Beschreibung jener Personen fort, die zu dieser Versammlung von Heiligen gehören, und sieht in den Patriarchen, Propheten, Märtyrern und allen Gerechten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die eine Kirche. Ein Leib, dessen Haupt Christus ist, sind sie durch den einen Glauben und Lebenswandel sowie durch die Besiegelung42 mit dem Heiligen Geist geworden. Diesem Bund der Heiligen zählt Niketas auch die Engel und die himmlischen Mächte bei. An den Taufbewerber richtet er dann die Mahnung: „ Ergo in hac una ecclesia crede te communionem consecuturum esse sanctorum" 43. Zwei Sym-

39

Art. Apost. Symbolum, in: RE 3 1,753 f.

40

Kirsch , Lehre (Anm. 35), 220. Zezschwitzy System (Anm. 34), 124.

42

„....uno spiritu signati ..." „Signati " ist ein sakramentarischer Ausdruck, der sich wahrscheinlich auf das Kreuzzeichen bezieht. Die Wendung selbst scheint paulinisches Gedankengut wiederzugeben: Eph 1,13: „ ...έσφραγισθητε τω πνεόματι ... τω αγίω"\ Eph 4,4; 4,30; 2 Kor 1,22; 1 Kor 12,13. 43

Die aus der Explanatio rekonstruierte Taufformel siehe bei Hahn / Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 47 ff. Der Abschnitt aus der Explanatio, der für unsere Fragestellung von Bedeutung ist, lautet: „Post professionem beatae trinitatis, iam profiteris te credere sanctae ecclesiae catholicae. Ecclesia quid aliud, quam sanctorum omnium congregatio? Ab exordio enim saeculi sive patriarchae, Abraham et Isaac et Jacob, sive prophetae, sive apostoli , sive martyres , sive ceteri iusti, qui fuerunt, qui sunt, qui erunt una ecclesia sunt, quia unafide et conversatione sanctifìcati, uno spiritu signati, unum corpus effecti sunt; cuius corporis caput Christus esse perhibetur, ut scriptum est. Ad huc amplius dico : etiam angeli, etiam virtutes et potestates supernae in hac una confoederantur ecclesia, apostolo nos docente, quia in Christo reconciliata sunt omnia, non solum quae in terra sunt, verum et quae in caelo. Ergo in hac una ecclesia crede te

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bolglieder verbindend fährt er dann fort: „Scito unam hanc esse ecclesiam catholicam in omni orbe terrae constitutam, cuius communionem debes firmiter retinere." Weil diese Kirche die eine bleibt, obgleich sie sich über alle Zeiten und Räume hinweg erstreckt, beinhaltet „ communio " den Ausschluß jeglicher Teilnahme an Lehren und Praktiken von Sekten, die sich den Namen Kirche widerrechtlich angemaßt haben.44 Nimmt man an, daß Niketas ein Symbol aus der südgallischen Kirche auslegt, dann könnte man aus der Aussage: „ crede te communionem consecuturum esse sanctorum " schließen, daß die Formel im Symboltext bereits vorhanden war. Schließt man sich hingegen der Hypothese an, daß die Auslegung des Taufbekenntnisses durch Niketas eine Bereicherung des Textes zur Folge hatte, was ihm bei der Kenntnis und Benützung des theologischen Gedankengutes und der Liturgie der östlichen Kirche möglich war, so wäre diese „Explanatio" der Ort, an dem diese Formel der Sache nach ins Apostolikum eingefügt wurde. Die Verbindung von „ communio " mit dem Genitiv einer Mehrzahl von Personen ist um diese Zeit in der christlichen Literatur vorhandene. 45 Der erste Deutungsversuch dessen, was „sanctorum communio " bedeutet, soll vom Text dieses ältesten Symbolkommentars aus geschehen. „ Congregano" sagt primär Vereinigung mit Menschen, Versammlung. Niketas gibt auch den Grund an, weshalb die „iusti, qui fuerunt, qui sunt, qui erunt" zu dieser einen ,fongregatio", die die Kirche ist, gehören: es ist die Einheit im Glauben, im Lebenswandel und die Besiegelung mit dem einen Geist. Durch diese Elemente sind sie ,jinum corpus" und ,£onfoederantur in hac una ecclesia ". So sehr ,forpus" in erster Linie die organische, geisterfüllte Einheit des Leibes

communionem consecuturum esse sanctorum. Scito unam hanc esse ecclesiam catholicam in omni orbe terrae constitutam; cuius communionem debes firmiter retinere. Sunt quidem et aliae pseudoecclesiae, sed nihil tibi commune cum Ulis, ut puta Manichaeorum y Cataphriguarum, Marcionistarum, vel ceterorum haereticorum sive schismaticorum, quia iam desinunt istae ecclesiae esse sanctae; siquidem daemoniacis deceptae doctrinis, aliter credunt, aliter agunt, quam Christus Dominus mandavit, quam apostoli tradiderunt" 44 45

Siehe den Text der Explanatio bei Caspari, Anecdota (Anm. 11), 357.

Hieronymus, ep. 82,2 (CSEL 55, 109): „Nos nec ecclesiam scindimus nec a patrum communione dividimur, et ab ipsis y ut ita dicam, incunabulis catholico lacte nutriti ." Cyprian v. Karth. ep. 69,9 (CSEL [Härtel] 3, 1, 758): „communione malorum"; Hilarius v. Poit., Liber II ad Constantium c. 2 (CSEL 65, 198): „episcoporum communione Opt. v. Mileve, Lib. V c. 10 (CSEL 26,140): „communione fidelium"\ Conc. III Carth. c. 42: „communionem fratrum", Text: Die Kanones der wichtigsten altkirchlichen Concilien nebst den Apostolischen Kanones, hg. v. F. Lauchert. Freiburg i. Br. / Leipzig 1896,170.

Sanctorum Communio

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und „foedus" ein durch innere Gemeinschaft entstandenes Bündnis ausdrückt, so sind damit doch Ausdrücke verwendet, die von der zeitgenössischen juristischen Literatur gebraucht wurden, um eine rechtliche Gemeinsamkeit mit auszusagen. Tertullian hat in einem berühmt gewordenen Satz beide Ausdrücke vereint: „Corpus sumus de conscientia religionis et disciplinae unitate et spei foederis. " 46 Die Konsequenz für den Täufling - an seine Adresse ist ja die Erklärung des Taufbekenntnisses gerichtet - liegt darin, daß sein Glaube mit dem Empfang der Taufe die Wahrheit, in dieser einen Kirche die „communio " zu erhalten, annehmen muß. Durch das christliche Initiationssakrament werden die Getauften dem Leib der Kirche eingegliedert. Die Glieder dieses Leibes sind die verstorbenen, lebenden und noch kommenden Gerechten. Wir fragen nach dem Sinngehalt des Terminus „communio". Bedeutet er Gemeinschaft zwischen Personen oder Teilhabe an einem Gut? Oder wird von einer Gemeinschaft von Personen gesprochen durch Teilhabe an einem Gut? Oder ist gar von der Gemeinschaft der Glaubenden in der Gegenwart oder in der himmlischen Zukunft die Rede? Aus dem (in Anm. 43 gebotenen) Kontext resultiert eindeutig, daß die Begriffe „congregatio" und „communio " sich inhaltlich nicht decken, also keine Wechselbegriffe sind, sondern daß „ communio" als Abstraktum im Gegensatz zu „ congregatio" die Teilhabe an einem Gut besagt, daß sie also eine Folge der Eingliederung in die „congregatio sanctorum " ist. Diese „ communio " erscheint wie etwas, was die „ ecclesia " bewilligt oder versagt. Worin besteht dieses Gut? Es sind doch wohl die Rechte, die dem

46 Tertullian, Lib. Apologeticus, c. 39 (PL 1, 468 ff.). Verschiedene Anhaltspunkte des Corpus-Begriffes bei L. Schnorr v. Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person. München 1933, 147-216. Tertullian, der dem Kaiser Septimius Severus den Lib. Apol. vorlegte, verfolgte damit den Zweck, der zu jener Zeit juristisch noch nicht definierten Kirche eine rechtliche Stellung zu verschaffen, die es ihr ermöglichen sollte, ihre Mitglieder gegen die polizeilichen Verfolgungen zu schützen. Tertullian gibt in Anschluß an den oben zitierten Satz eine juristische Beschreibung der Kirche. Drei Überlegungen haben nach A. Ehrhardt, ZRG Rom Abt. 70 (1953) 304 den afrikanischen Schriftsteller dazu bestimmt, so zu argumentieren. Einmal eine theologische, daß die Kirche von Anfang an als „Corpus Christi" bezeichnet würde; eine philosophische, daß der CorpusBegriff gerade auch auf politische Körperschaften anzuwenden wäre, und eine juristische, wonach der Ausdruck „corpus" noch nicht mit der Last des Vereinsverbotes belegt war. Eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem Text des Tertullian und jenem des Niketas drängt sich auf, weil bei beiden Autoren in einem inhaltlich ähnlichen Zusammenhang die Termini: „corpus sumus, confoederare" bzw. „spei foedere" und „unus spriritus" gebraucht werden. „Corpus de conscientia religionis" bedeutet in erster Linie eine Gemeinde von „Mitwissern", Anhängern und Bekennem der christlichen Religion.

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Neophyten aus der neuerworbenen übernatürlichen Gemeinschaft zuteil geworden sind. 47 Gemeinschaft sagt aber im Grunde nichts anderes, als das Recht der Teilhabe an den gemeinsamen Gütern, welcher Natur sie auch immer sein mögen. Es sind ganz allgemein die Rechte, jene Mittel, die das Leben dieser Gemeinschaft unter jeder Rücksicht ermöglichen, zu gebrauchen. Zu den vorzüglichsten Rechten, welche die „communio " in sich schließt, gehört jenes der Teilnahme am eucharistischen Mahl. Mit diesen fundamentalchristlichen Rechten ist aber auch die Pflicht 48 verbunden, die notwendigen Heilsgüter zu benützen. Deshalb richtet der Bischof an die Neugetauften die Aufforderung: „ cuius (ecclesiae) communionem debes firmiter retinere ". Ein Träger von Rechten und Pflichten wird im kirchlichen wie auch im römischen Recht Person genannt.49 Nach c. 87 des CIC wird der Christ durch die Taufe Subjekt von Rechten und Pflichten in der Kirche. 50 „ Communio " würde demnach so viel bedeuten, daß der Neophyt mit allen Rechten und Pflichten in die Gemeinschaft der Kirche eingegliedert wird, da er, nach der kanonischen Rechtsterminologie „persona in Ecclesia " wird, oder um es mit den Worten des Symbolkommentators auszudrücken, zu den „iusti" zählt, „qui sunt", und damit in die Gemeinschaft derer aufgenommen wird, deren Recht auf die Heilsgüter sich bereits in vollen Besitz gewandelt hat oder die dieses Recht

47

Wenn F. Hauch, ThWNT III, 804 schreibt, Paulus verwende „ κοινωνία " für die religiöse Gemeinschaft (Anteilschaft) des Gläubigen an Christus und den christlichen Gütern und für die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander, so drückt er damit denselben Gedanken aus, wenn er auch nicht die rechtliche Seite dieser Teilhabe berücksichtigt. 48 Die Taufe hat für Paulus auch einen symbolischen Wert, insofern sie durch die Art und Weise, wie sie gespendet wird, Symbol der eingegangenen Pflichten ist. Der Christ muß der Sünde absterben, weil er durch die Taufe mit Christus begraben ist. Vgl. Rom 6 3 f·; Kol 2,12. Über den Pflichtcharakter der Taufe siehe O. Heggelbacher, Die christliche Taufe als Rechtsakt nach dem Zeugnis der frühen Christenheit. Freiburg / Schw. 1953,110 ff.

49

Das Wort „persona " wird im römischen Recht zwar nicht selten im gewöhnlichen Sinn gleichbedeutend mit „homo" und deshalb auch von einem Sklaven gebraucht; im technischen Sinn aber bezeichnet es teils ein rechtsfähiges Subjekt, teils die Rechtsfähigkeit, bald im allgemeinen, bald in bezug auf bestimmte Rechtsverhältnisse; in diesem Sinn wird „persona" dem Sklaven abgesprochen. Vgl. F.A. Schilling, Lehrbuch für Institutionen und Geschichte des Rom. Privatrechts II. Leipzig 1837,85. 50 „ Baptismate homo constituitur persona in Ecclesia cum omnibus christianorum iuribus et ojficiis." Siehe dazu A. A. Reed, The juridical aspect of incorporation into the church of Christ - canon 87. Ohio 1960.

Sanctorum Communio

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noch erhalten werden. Nach der biblischen Terminologie decken sich aber die Begriffe „ iustus " und „ sanctus " .51 Daraus scheint zu folgen, daß mit „sanctorum communio" nicht in erster Linie auf die eucharistische „ communio " angespielt sein kann, sondern daß ganz allgemein vom Recht der Teilhabe an den Heilsgütern die Rede ist. Das Recht der Teilhabe am Herrenmahl ist eine Wirkung dieser Inkorporation, sie ist das vornehmlichste Zeichen des Rechtsbesitzes der messianischen Heilsgüter. Die Apostelgeschichte (Kap. 2,42) hebt eindeutig die „ κοινωνία" von der „ κλάσις του άρτου" ab. Dogmatisch auf gleicher Linie mit der Auslegung des Niketas steht die Symbolerklärung im Pseudo-Augustinischen Sermo 241. 52 Es heißt dort: „Credentes ergo sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum habentes communionem, quia ubi est fides sancta , ibi est sancta communio." Wo der heilige Glaube ist, dort ist auch die heilige Gemeinschaft. Deshalb besitzen diejenigen, welche im wahren Glauben in der Kirche leben, die „sanctorum communio ". Diese aber beinhaltet die sakramental bewirkte, gnadenhafte Verbindung zum Haupt des Leibes Christi und seinen Gliedern, den Besitz der Rechte und die Übernahme der Pflichten als Glied dieser Gemeinschaft. Aus der Reihe der Symbolerklärungen soll noch eine aus der Zeit um das Jahr 800 herausgegriffen werden, in der „communio" ausdrücklich in Zusammenhang mit der Kirchengliedschaft gebracht wird. In seinem „Liber de ordine baptismi" gibt Bischof Theodulf von Orleans (+ 821) eine Umschreibung des Symbols, aus der sich zwar schwerlich ein Bild des Taufsymbols gewinnen läßt, die aber gerade wegen der freien, paraphrasenartigen Behandlung des Textes etwas mehr Licht auf den Sinn der in Rede stehenden Formel wirft. An die Neugetauften stellt der Bischof die Glaubensforderung: „ Credant eiusdem sanctae Trinitatis domum esse sanctam ecclesiam, a cuius communione discedentes schismatici et haeretici vocantur (et) in aeterna damnatione ponuntur. In eius vero communione permanentes et membra Christi esse et remissionem peccatorum percipere..." 53 Hier wird deutlich, daß die Taufe die Kirchengliedschaft und damit die „communio " verleiht, durch die der Täufling Rechtssub-

51

Bei Paulus und in der Apokalypse ist der Terminus „ άγιοι" regelmäßig ein Synonym für Christen. Bei Ignatius v. Antiochien und Polykarp ist dieser Ausdruck schon teilweise durch „ όδελφοί " ersetzt worden. Das schließt aber den weiteren Gebrauch von „ άγιοι " nicht aus. 52

PL 39, Appendix 2191.

53

PL 105, 223 (VII), vgl. Kattenbusch

y

Symbol I (Anm. 15), 180.

824

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jekt in der Kirche wird. Wer durch Unglauben die Kirche verläßt, geht der „communio " verlustig und damit der Rechte, die sie gewährt. Der Umstand, daß „sanctorum " nicht erwähnt wird, ändert nicht den Sinn des Glaubensartikels und spricht vielmehr dafür, daß y y communio" bereits ein stehender Ausdruck ist, der dieser Ergänzung nicht immer bedurfte. Daß ,,sanctorum communio" nicht einfach als Apposition zu „ecclesia sancta" zu verstehen ist, 54 kann aus einer Reihe von Symbola und Symbolerklärungen geschlossen werden. Dabei wird keineswegs in Abrede gestellt, daß jedes einzelne Symbolglied eine integralere Sicht der Kirche vermitteln soll. Wenn Niketas, wie wir bereits gesehen haben, die Taufbewerber im Taufunterricht auffordert zu glauben, daß sie die „communio sanctorum" in der Kirche erlangen werden, so decken sich die Begriffsinhalte von „ecclesia " und „communio" nicht, wenngleich diese auch ein Gut ist, das einzig in der Kirche verwirklicht werden kann. In einer legendenhaften Ausschmückung der Taufformel, wie sie dem Bischof Pirminius, dem Gründer des Klosters Reichenau am Bodensee (724), zugeschrieben wird, sind die Symbolglieder einzelnen Aposteln in den Mund gelegt: „ Jacobus Alf ei dixit : Credo in spiritu sane to. Simon Zelotis ait: Sanctam ecclesia catholica. Judas Jacobi dixit: Sanctorum communionem!, remissionem peccatorum. Item Thomas ait: Carnis resurrectione vitam aeternam. " 55 Ein lateinisch-althochdeutscher Symboltext nach Notkers Katechismus aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts 56 unterstreicht durch seine erklärenden Beifügungen zu den einzelnen Symbolgliedern ebenfalls die Meinung, nach der „sanctorum communio" nicht als Apposition zu verstehen ist. Zum Artikel „sancta ecclesia catholica" wird folgender erläuternder Beisatz angefügt: „i (sie!) universalem congregationem christianorum ". Dieser Zusatz hat übrigens

54

Vgl. Eiert, Abendmahl (Anm. 32), 9 f.; J. Wod/ca, Art. Das Mysterium der Kirche in kirchengeschichtlicher Sicht, in: Mysterium Kirche, hg. v.F. Holböck / Th.Sartory I. Salzburg 1962, 381; W. Beinert, Um das dritte Kirchenattribut II. Essen 1964, 374. Der Autor gibt eine kurze zusammenfassende Darstellung über den Begriff ,fommunio u 369-379. 55

Hahn / Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 96 f. Diese legendenhafte Taufformel ist einer Schrift entnommen, die den Titel trägt: „Dicta abbatis Pirminii de singulis libris canonicis scarapsus." Sie ist in einem barbarischen Latein verfaßt und will eine Unterweisung in der christlichen Glaubens- und Sittenlehre sein. Eine korrekte Ausgabe des in einem Codex des Stiftes Einsiedeln enthaltenen Textes wurde von Caspari, Anecdota (Anm. 11), 151-193 besorgt. Vgl. auch PL 89, 1034. Eine ähnliche Darstellungsweise bietet die Legendenformel nach einer Karlsruher (Reichenauer) Handschrift des 10. Jhd., siehe Text bei Hahn /Harnack, Bibliothek (Anm. 13), 103. 56

Hahn / Harnack, ebd., 104 f.

Sanctorum Communio

825

eine starke Ähnlichkeit mit der Kirchendefinition des Niketas. „Sanctorum communio " hingegen hat die Erklärung beigefügt: Geloubo ze habenne deno heiligon gemeinsami. „ Communio " ist dargestellt als etwas, was die Kirche mit der Taufe vergibt, ist also nicht ein Wechselbegriff für „ecclesia catholica abgesehen davon, daß „communio" nicht eine körperschaftliche Personenmehrheit bedeutet. Ein Gemeindesymbol aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts 57 setzt in seiner Art von Aufgliederung ebenfalls voraus, daß „sanctorum communionem" einen eigenen, selbständigen Begriffsinhalt hat: „Credo sanctam Ecclesiam (catholicam et apostolicam), credo sanctorum communionem..." Nicht dem Sinn eines Taufbekenntnisses scheint jene Auffassung zu entsprechen, welche annimmt, daß der Täufling sich in die Gemeinschaft der Heiligen als der bereits vollendeten und verklärten Personen aufgenommen wissen soll. In diesem Fall müßte die Formel eher lauten: „credo communionem cum sanctis". Auf die Vollendung und die Teilnahme des persönlich Erlösten am himmlischen Eschaton und damit an der Gemeinschaft jener, die dessen schon teilhaftig geworden sind, wird ausdrücklich im letzten Symbolglied hingewiesen, in dem von der „ vita aeterna" die Rede ist. Daß ein solcher Glaube an eine mystische Gemeinschaft mit den vollendeten Gerechten in der alten Kirche von großer Bedeutung war, hat'J. P. Kirsch in der bereits angeführten Abhandlung gezeigt. Aber trotzdem war das keine Glaubenstatsache, deren Fehlen im Symbol zur Ergänzung herausforderte, weil sie ja doch schon in der Wahrheit vom „ewigen Leben" artikuliert wurde. II. Nachdem wir den Sinn der Symbolformel an Hand der Taufbekenntnisse und deren Erklärungen zu erhellen gesucht haben, sollen zu diesem Zwecke noch einige Zeugnisse außerhalb der Symbolliteratur untersucht werden. Ein Zeugnis, das jenem des Bischofs Niketas zeitlich sehr nahe kommt, sich aber weder in einem Taufbekenntnis noch in einer Erklärung findet, ist Canon 1 des Konzils von Nimes (Nemausus) vom Jahre 396 (394?). 58 Die Verfügung

57

PL 172,823.

58

Text nach F. Lauchert, Die Kanones (Anm. 45), 183 f.: „Episcopi per Gallias et Septem provincias salutem. Cum ad Nemausensem ecclesiam, ad tollenda ecclesiarum scandalo discessionemque sanandam pacis studio venissemus, multa utilitati congrua secundum regulam disciplinae, placuit provided. Canon 1: In primis quia multi, de ultimis Orientis partibus venientes, presbyteros et diaconos se esse confingunt, ignota cum suscriptione apostholia (epistolia?) ignorantibus inger entes, quidam (qui dum?)

826

Johannes Mühlsteiger

dieses gallischen Nationalkonzils richtet sich gegen die „Vielen, die vom äußersten Osten kommen", sich für Presbyter und Diakone ausgeben und unter zweifelhaften Machenschaften sich ein Gepräge fingierter, erheuchelter Orthodoxie verschaffen. Um den Altardienst versehen und vor allem daraus einen Vorteil ziehen zu können, verfertigen sie Empfehlungsschreiben mit gefälschten Unterschriften, um damit Unwissende zu täuschen. Sie dachten, so beweisen zu können, daß sie zur „sanctorum communio " gehörten, d. h. daß sie im vollen Genuß jener Rechte seien, die dem durch die Taufe in die kirchliche Gemeinschaft Eingegliederten zukommen. Um deren habsüchtige Machenschaften zu vereiteln, entschied das Konzil, sie als Eindringlinge zu betrachten, ihnen die Rechte der „ sanctorum communio " nicht zu gewähren und natürlich erst recht nicht den Dienst am Altar zu gestatten. Weder vom Inhalt noch von der Aussageweise her ist es erfordert, unter „sanctorum communio " unmittelbar an eine Teilnahme an der Eucharistie zu denken, wie es etwa Kattenbusch tut. 5 9 Allein der Umstand, daß es sich um einen Konzilskanon handelt, deutet auf den rechtlich-disziplinarischen Charakter der Maßnahme hin. Acht Jahre vor der Synode von Nimes begegnen wir in einem kaiserlichen Reskript 60 der Formel „sanctorum communio ". Dieses Schreiben der Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius an den Praefectus praetorio Cynegius vom Jahre 388 richtet sich gegen die Apollinianer. Danach sollen alle Apollinianer und die übrigen Anhänger der verschiedenen Sekten nebst anderen Sanktionen „a sanctorum communione" ausgeschlossen sein. Die Bischöfe, die den falschen Lehren anhingen, sollten „ab humana communione" überhaupt ausgeschlossen sein. Sie waren ja die von Gott bestellten Hüter der wahren Lehre. Gegen diese Maßnahme wurde allen Obgenannten sogar jede Appellationsmöglichkeit an den Kaiser versagt. spem infidelium (specie fidelium?) sumptum stepemque captantur (captant?), sanctorum communioni speciae (speciem?) simulatae religionis inpraemunt (inprimunt?): placuit nobis , si qui fuerint eiusmodi, si tarnen communis ecclesiae causa non fuerit, ad ministerium altarii non admittantur" Vgl. C.7. v.Hefele, Conciliengeschichte II, 61 ff. 59 60

Kattenbusch, Symbol II (Anm. 10), 930.

Cod. Theodosianus, hg. v. Th.Mommsen, 1/2, Lib. X V I , 5,14: „Apollinaris ceterosque diversarum haeresum sectatores ab omnibus locis iubemus inbiberi, a moenibus urbium, a congressu honestorum , a communione sanctorum ; instituendorum clericorum non habeant potestatem; colligendarum congregationum vel in publicis vel in privatis ecclesiis careant facultate. Nulla his episcoporum faciendorum praebeatur auctoritas: ipsi quoque episcopi nomine destituii appellationem dignitatis huius amittant. Adeant loca y quae eos potissimum quasi vallo quodam ab humana communione secludant. His etiam illud adnectimus, ut supra memoratis omnibus adeundi atque interpellandi serenitatem nostram aditus denegetur" Dat. VI Id. Mart. Thessalonica Theodosio A. II et Cynegio conss.

Sanctorum Communio

827

Schon früher, und zwar in einem Reskript vom Jahre 383 61 , war den Apollinianern und anderen Sekten die Gemeindebildung in den Städten und auf dem Land untersagt worden. Ein Reskript vom Jahre 384 62 verfügte von neuem, daß deren geistliche Amtsträger alle ohne Gnade aus den Schlupfwinkeln der Hauptstadt zu vertreiben seien. Man gestattete ihnen, sich an anderen Orten aufzuhalten vermehrte ihnen jedoch vollkommen die „bonorum congressus". Offenbar hatten diese letzten Verfügungen ihre Wirkung verfehlt, da das Reskript vom Jahre 388 sich nun in gleicher Weise gegen die Laien richtet und gegen die Hirten mit den strengsten Sanktionen vorgeht. Da wir es bei diesen Reskripten mit gesetzlichen Maßnahmen zu tun haben, versteht es sich von selbst, daß das „inhiberi a communione sanctorum " für alle Sektierer und das Abtrennen von der „humana communio " für alle Bischöfe Rechtssanktionen beinhalten. Das bedeutet aber so viel, daß alle Sektierer der kirchlichen Rechte, die sie mit der Taufe erhielten, verlustig gingen, die Bischöfe aber noch zusätzlich die bürgerlichen, ja die menschlichen überhaupt verloren. Die Tatsache, daß nicht der Ausdruck „ab humana societate", sondern „communione" verwendet wurde, mag darauf hindeuten, daß es sich primär um die Grundrechte, die jedem Glied der menschlichen Gesellschaft zukommen, handelt. Eine ähnliche Aberkennung sowohl kirchlicher als auch ziviler Rechte, wobei „communio " ausdrücklich in Zusammenhang mit Jus" gebracht wird, sieht der Codex Theodosianus63 für die Anhänger der Sekte der Eunomianer vor. Dort wird verfügt, daß sie „in totum utriusque iuris communione priventur". Die Zugehörigkeit zu einer Sekte wird nach diesen Gesetzen als Vergehen gegen Staat und Kirche geahndet und hat eine Beschneidung der Rechte zur Folge. Vom Begriff „communio " im römischen Recht wird später noch ausführlich die Rede sein. Der Terminus „sanctorum communio " hat eine praktische Anwendung in einem Synodalschreiben des Bischofs Theophilus von Alexandrien vom Jahre 401 an die Bischöfe von Palästina und Cypern gefunden. 64 Darin wird berichtet, daß der Presbyter und Vorsteher des alexandrinischen Armenwesens „ a multis episcopis propter varias causas a communione sanctorum fuerat separatus". Daß dies, wie Eiert meint, 65 nicht Exkommunikation, auch nicht Deposition, sondern nur die Suspension bedeuten kann, ist mehr als zweifelhaft. Schon aus 61

Ebd. 5,12.

62

Ebd. 5,13.

63

Ebd. 5,49.

Der Brief wurde von Hieronymus übersetzt und ist unter seinen Briefen aufbewahrt. Vgl. Hieronymus, Ep., 92,3 (CSEL 55,150,20). 65

Eiert, Abendmahl (Anm. 32), 175.

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dem Kontext des Rundschreibens und der Geschichte des Streites mit den ,fangen Brüdern" geht hervor, daß nur eine Aberkennung der Rechte der kirchlichen Gemeinschaft intendiert gewesen sein kann. 66 Von einem priesterlichen Vollzug der Eucharistiefeier ist im Zusammenhang der ganzen Auseinandersetzung nicht die Rede. Dabei bleibt überhaupt fraglich, ob Isidor, der Presbyter, „von mehreren Bischöfen" tatsächlich ausgeschlossen wurde. Es liegt eher die Annahme nahe, daß der Ausschluß dem Angeklagten vom Patriarchen unterschoben wurde, um seine Schuld zu unterstreichen. Bereits zu Beginn der Ausführungen wurde darauf hingewiesen, daß die afrikanische Kirche den Beisatz „sanctorum communio " in ihren Taufsymbolen nicht kennt. Mehr als bloß angebracht ist es, wenn man dennoch in den Schriften des größten Theologen der genannten Kirche, Augustinus, nach diesem Terminus forscht. Sein Wirken fällt ja in die Zeit des Aufkommens dieser Formel in den Taufbekenntnissen der südgallischen Kirche. 67 Gerade in der Auseinandersetzung Augustins mit den Donatisten steht die Frage nach der Taufe und ihren Wirkungen im Mittelpunkt; mit der Taufe, wie überhaupt mit den Sakramenten, verknüpft er den Begriff der „Caritas". Im Fehlen dieser „Caritas" sieht der Bischof von Hippo das eigentliche Wesensmerkmal des Donatismus. Angenommen, die Sakramente der Donatisten sind gültig, so ermangeln sie nach der Meinung des Kirchenvaters immer noch einer wesentlichen Sache, um zur „ecclesia catholica" zu gehören, und zwar der „Caritas", 68 Daraus, so folgert Ratzinger, 69 läßt sich eine Doppelstruktur dessen ermitteln, was der augustinische Begriff „Caritas" beinhaltet. Zunächst hängt „Caritas" offenbar an der konkret-rechtlichen Gliedschaft in der „ecclesia catholica" und steht damit in Zusammenhang mit ihrer Rechtsordnung. Anderseits ist die Mitteilung der „Caritas" an den liturgischen Akt der Handaufle-

66

Zur Auseinandersetzung zwischen Theophilus v. Alex. u. Isidor siehe Ch. Baur OSB, Der hl. Johannes Chrysostomus u. seine Zeit II. München 1930,166-177. 67 Vgl. dazu C. Eichenseer OSB, Das Symbolum Apostolicum beim Heiligen Augustinus. St. Ottilien 1960. Zum Begriff „ sanctorum communio " siehe 377-387. Über die Tauftheologie des Augustinus handelt ausführlich F. Hofmann, Der Kirchenbegriff des Hl. Augustinus. München 1933,353-390. 68

Augustinus, Co. Cresc. II 12, 15 (CSEL 52, 374): „Mundantur ipsa quae supereminet omnibus caritate." Ders., De bapt. 1 9,12 (CSEL 51,157): „ Videant quam multa et quam magna nihil prosint, si unum quiddam defuerit et videant, quid ipsum unum. Nec me in hoc audiant, sed apostolum: Si Unguis hominum loquar et angelorum, caritatem autem non habeam..." 69

J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, in: MthSt(S) 7 (1956) 137.

Sanctorum Communio

829

gung gebunden. Diese aber bedeutet Taufvollendung durch die Mitteilung des Hl. Geistes. Die „ Caritas" erscheint hier als das innere Gut der Heilsgnade, das zwar durch den äußeren Kirchenrahmen angezeigt wird, aber doch grundlegend von ihm verschieden ist. Auf eine kurze Formel gebracht kann man sagen: diese Caritas" besteht in der Teilnahme an der „communio " der „ ecclesia catholica ": „ Ipsa est enim Caritas, quam non habent, qui ab ecclesiae catholicae communione praecisi sunt" 10. „Caritas" besagt also nach Augustinus so viel wie communio" im integralen Sinn. In den Schriften des Augustinus ist der Terminus selbst gebraucht, wenn auch in umgekehrter Wortfolge. Er spricht von der Sekte der Patripassianer und erklärt: „et removit istos ecclesia catholica a communione sanctorum, ne aliquem deciperent, ut separati litigarent . " 7 1 In der Symbolerklärung des Niketas wird die Kirche als jene Gemeinschaft dargestellt, die dem Taufbewerber die „communio" mitteilt. Hier liegt eine analoge Konzeption der Kirche zugrunde, nur gewährt sie in diesem Fall nicht die „ communio ", sondern nimmt sie jenen, die sie besaßen. Die „ communio sanctorum " verleiht das Recht der Teilhabe an den Heilsgütern. Damit geschieht die Eingliederung in die Gemeinschaft jener, die bereits in den Genuß dieser Rechte gekommen sind. Nicht durch eine Defacto-Teilnahme an den Sakramenten wird man in den Verband der Kirche aufgenommen, sondern nur der durch die Taufe Geheiligte wird gnadenhaft und damit auch rechtlich in den Leib Christi, der die Kirche ist, eingegliedert. 72 Augustinus bezeichnet die Gemeinschaft jener, die die „Caritas" besitzen, nicht selten als „congregatio" oder „societas sanctorum"? 3 Diese Termini können als Apposition zu „sancta ecclesia catholica" verstanden werden. Wer in dieser „societas et congregatio sanctorum " lebt, steht in der ,μnitas communionis sacramentorum" 14. Die „communio sacramentorum" ist als eine

70

Augustinus, De bapt. III 16,21 (CSEL 51, 212).

71

Sermo 52 (PL 38,357).

72

C. litt. Pet. II 108, 247 (CSEL 52, 159): „Nec ideo putandi sunt esse in Christi corpore, quod est ecclesia, quia sacramentorum eius corporaliter participes fiunt." Bapt. I, 17, 26 (CSEI, 51, 170): Nicht aufgenommen wird in den Verband der Kirche, wer „ congregatone sanctorum" sich nur äußerlich zugesellt. 73

De fide et symbolo 9, 21 (CSEL 41, 27): „Congregatio societasque hominum, in qua fraterna Caritas operatur". Ep. 98,1 (CSEL 34, 520): ,JSancta compages corporis ChristiBapt. VII 53,102 (CSEL 51, 374): „Societas credentiumIn loan. ev. 26, 17 (PL 35, 1614): „Societas sanctorum" ; Civ. Χ 6 (CSEL 40, 456): „ Tota redempta civitas, hoc est, congregatio societasque sanctorum. " 74 De unie. bapt. 14, 24 (CSEL 53, 24); Sermo 214, 11 (PL 38,1071); Ep. 108, 3, 8, 6,19 (CSEL 34,612); Civ. I 35 (CSEL 40,57).

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Wirkung der Taufe zu sehen und damit der „communio" überhaupt, denn das Teilnahmerecht an den Sakramenten ist eine Folge der Zugehörigkeit zur Kirche. Da die Donatisten die kirchlichen Sakramente für unrein hielten, versteht es sich, daß sie die katholische Kirche als „communio malorum" 75 bezeichneten und aus der Reinheit ihrer Sakramente folgerten, nur ihre Gemeinschaft sei die wahre Kirche und damit die „sanctorum communio" . In einem Verdammungsschreiben gegen einen gewissen Priminianus erklärten die Donatisten: „Decrevimus omnes sacerdotes dei..., hunc eundem Priminianum, ... quod incestos cum sanctorum communione miscuerit ... quod communionem Demetrio presbytero pernegaverit, ut cogeret filium abdicare , quod in basilica caesi sint seniores , quod indigne ferrent ad communionem Claudanistas admitti," 76 Kattenbusch meint zur eben angezogenen Stelle aus dem donatistischen Synodalschreiben, daß es wohl nicht angängig sei, den Ausdruck „sanctorum communio" anders zu fassen als das bloße „communio ", das noch zweimal folgt. Ebenso ist es für ihn ausgemacht, daß es sich dabei um die Abendmahlsfeier handelt.77 Sicher sind in dem Schreiben nicht Taufbewerber angesprochen, aber es hieße dem Text Gewalt antun, wollte man unbedingt für alle drei Fälle in dem Ausdruck die eucharistische „communio" sehen. Entsprechend dem donatistischen Verständnis und Sprachgebrauch wird unter „communio" die geschlossene Gemeinschaft der Reinen zu verstehen sein, die sich, so wie die katholische Kirche, das Recht vorbehält zu beurteilen, wem die Rechte dieser Gemeinschaft zukommen und wem sie verweigert werden sollen. Ein Brief der Donatisten an den Tribunen Flavius Marcellinus spricht von der notwendigen „puritas Ecclesiae", und zwar in dem Sinn, daß alle Glieder derselben rein sein müßten. Das Bild vom Unkraut, das geduldet werden muß bis zum Ende, beziehe sich auf die Welt und nicht auf die Kirche: „ Quoniam si apostoli in ecclesia zizania i. e.filios diaboli pullulantes y in sanctorum communionem dimittendos didicissent, nunquam Simonem ... ecclesiae liminibus eiecissent. Immo si ita esset, vacaret totum praeconium scripturarum divinarum, quo iubentur pollutie medio sanctorum diligentia separari," 78 Wieder folgert Kattenbusch aus dem Text entsprechend seiner grundsätzlichen Auslegungstendenz, daß „sanctorum" das Neutrum von „sancta" ist und deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die gemeinte Sache „auch hier die participatio an den

75

De bapt. II 6,8 (CSEL 51,181); De bapt. VII 25,49 (CSEL 51,358).

76

Augustinus, Enarrationes in Ps. 36, Sermo II 20 (PL 36,379).

77

Kattenbusch, Symbol II (Anm. 10), 932.

78

PL 43,835.

Sanctorum Communio

831

sancta ist" 7 9 . Daß es jedoch nicht primär um die sakramentale „participatio" geht, sondern wiederum eher um das rechtlich-soziale Moment der Zugehörigkeit zum Kirchenverband, scheint auch das Bild vom Unkraut und dem Weizen, beziehungsweise von der Trennung der beiden, nahezulegen. Als „tertium comparationis" ist offenbar die völlige Trennung der Nicht-Reinen vod den Reinen anzusprechen. Zunächst geht es um das kirchlich-rechtliche „membrum esse" und nicht so sehr um die sittliche Disposition, die einem Glied der Kirche die würdige Teilnahme an der Eucharistie ermöglicht. Eucharistie ist das Sakrament der Getauften, die innerlich und äußerlich bereits der Kirche angehören und nicht zuletzt deshalb „fideles" heißen, weil sie an die „mensa Domini" glauben.80 Eiert meint, 81 offenbar in Anlehnung an Kattenbusch,82 daß Augustinus selbst, mit Ausnahme der Zitate aus donatistischen Quellen, den Ausdruck „sanctorum communio" nur einmal verwende und dieser zudem nicht die genaue Formel des Apostolikums wiedergebe. Augustinus benützt den Terminus aber auch an einer anderen Stelle 83 und dann nicht im Zusammenhang mit der Eucharistie, sondern mit der Taufe: „Ipsae omnes gentes... in nomine trinitatis baptizantur. In nomine patris et ftlii et spiritus sancii credentes innovantur f ut pertineant ad societatem communionemque sanctorum " Zugegeben, daß die Formel nicht in der Wortfolge des Apostolikums wiedergegeben ist, sie steht aber doch, wie eben das Taufbekenntnis, im Zusammenhang mit dem Taufgeschehen. Dies scheint die Schlußfolgerung zu gestatten, daß die veränderte Wortstellung nicht in jedem Fall auch den Begriffsinhalt ändern muß. Wenn die Kirche Nordafrikas um das Jahr 400 die Formel auch nicht als festen Bestandteil ihres Taufsymbols kennt, so könnte der Gebrauch durch Augustinus doch darauf hinweisen, daß sie in der Liturgie oder im Schrifttum der alten Kirche vorhanden war.

79

Kattenbusch, Symbol II (Anm. 10), 933.

80

Augustinus, Sermo 21, 5 (PL 38, 145) u. Sermo 113, 2 (PL 38, 424); In loan. ev. 113 (PL 35,1803-1805); De pecc. mer. et rem. 1, 20,26 (CSEL 60, 26): „Nemo rite nisi baptiza tus accedit. " 81

Eiert, Abendmahl (Anm. 32), 10.

82

Kattenbusch, Symbol II, (Anm. 10), 932.

83

Sermo 149,9 (PL 38,803).

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III. Eine Stütze für die juridische Auslegung des Begriffes „ communio " bietet schließlich auch das römische Recht. Für die antike griechische Philosophie bildete „ κοινωνία*' den Oberbegriff für verschiedene Arten von Verbänden. So faßt Aristoteles Personenvereinigungen unterschiedlicher Ordnung oder Struktur, vom Staat angefangen bis zu den „έρανοι"™ unter dem Terminus „κοινωνία" zusammen.85 Mit größter Entschiedenheit hat er jede besondere ,,κοινωνίά' als Teil und Mittel der in sich vollendeten und sich selbst genügenden „κοινωνία πολι τική" bezeichnet und damit auf die notwendige Eingliederung jedes engeren Gemeinschaftslebens in die staatliche Gemeinschaft hingewiesen.86 Die römische Philosophie war auch hier durch das griechisch Vorbild geprägt und gebrauchte den Ausdruck „societas" in gleich allgemeinem Sinn. Deshalb war man einerseits geneigt, in jeder Gemeinschaft ein organisches Element zu sehen, wodurch die verbundene Mehrheit als Ganzes erschien. Anderseits kam man um so mehr mit der Vorstellungsform einer kollektiv geeinten Vielheit aus, deren Rechtssphäre teils in das„ κοι νόν" und teils in das ,, ίδιον" fiel 8 7 In der römischen Rechtssprache hat der Ausdruck „communio" eine vielfache Verwendung gefunden. Es ist hier nicht der Ort, allen einzelnen Bedeutungen in ihrer historischen Entwicklung nachzugehen. Ein paar Hinweise, die dem Zweck unserer Untersuchung dienen und die versuchte Interpretation von „sanctorum communio" unterstreichen oder zumindest beleuchten können, mögen hier genügen.

84

„ έρανοι " hießen ständige Genossenschaften für regelmäßige gemeinschaftliche Mahlzeiten auf gemeinschaftliche Kosten oder auf Zeit aufgestellte gegenseitige Unterstützungsvereine etwa für den Fall von Verarmung. 85

Ethica Nicomachea 1159b:,, πάσα/ δή φαίνονται ai κοινωνίαι μόρια της πολιτικής είναι" Vgl. Λ. Steinwenter , Aus dem Gesellschaftsrecht der Papyri, in: Studi in onore di Salvatore Riccobono I. Palermo 1936,488 f. 86

Vgl. Aristoteles, Polit. I, Kap. 1-13; Eth. Nicom. VIII c. 9 u. 11: Stamm-, Gau-, Opfer-, Heeresgemeinschaften und Verbindungen zu Unternehmungen verschiedenster Art, wie sie aus der sozialen Natur des Menschen entspringen, sind alle Teile des Staates, der nicht bloß den Nutzen eines Teils, sondern der Gesamtheit, nicht bloß einen einzigen menschlichen Zweck, sondern die Totalität der Zwecke, nicht bloß den Nutzen des Augenblicks, sondern den des ganzen Lebens im Auge hat. 87

O. Gierke , Das deutsche Genossenschaftsrecht III. Berlin 1881,30.

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833

Egon Weiß gibt folgende Begriffsbestimmung für „communio": „Unter communio im allgemeinen versteht die römische Rechtssprache das Zustehen eines Vermögensrechtes an mehrere." 88 So spricht man beispielsweise von „communio" an obligatorischen 89 oder an dinglichen Rechten,90 Ein gemeinschaftliches Eigentum mehrerer Personen an Sachgütern und Sklaven kennt das altrömische Recht anfangs nur bei „consortium ercto non cito", also bei der Erbengemeinschaft und der ihr künstlich nachgebildeten Verbrüderung. Es handelt sich hier, nicht um eine Vergemeinschaftung der Vermögen, sondern um eine familienrechtliche Verbrüderung, die den Genossen eine gleiche Rechtsstellung gibt. Dieses „consortium " ist vermutlich keine bloße Vermögensgemeinschaft, sondern als Nachfolger der „familia" ein familienrechtliches Verhältnis. 91 Solange die Gemeinschaft besteht, haben die einzelnen keine quotenmäßigen oder sonstwie berechenbaren Anteile am „consortium" als Ganzem oder an den gemeinschaftlichen Rechten. Es ist vielmehr so, daß jedem alle gemeinschaftlichen Rechte zustehen, die jedoch beschränkt werden durch die gleichen Rechte der Gemeinschaftsmitglieder. Dieses „ consortium " wurde immer mehr zurückgedrängt und ist im klassischen Recht verschwunden. 92 Daneben entwickelte sich ein Miteigentum nach Bruchteilen, die „communio pro indiviso" , bei dem jeder Gemeinschafter nicht über die ganze Sache, wohl aber unabhängig von den anderen über seinen Anteil daran verfügen kann. Diese „communio" ist eine Rechtsgemeinschaft, bei der mehrere Personen an einer Sache so berechtigt sind, daß jeder Gemeinschafter daran einen ideellen, rechnerischen Anteil hat. Bilden mehrere rechtlich selbständige Sachen eines oder mehrerer Eigentümer eine zusammengesetzte Einheit, dann sind sie eine „ communio pro diviso" Ρ Die Scholiasten der Basiliken 94 haben ebenfalls das Wort „κοινωνία " für verschiedene Formen von Rechtsgemeinschaften gebraucht. Bisweilen sind sie

88

E. Weiß, Communio pro diviso und pro indiviso, in: Archiv für Papyrusforschung IV. Leipzig 1908,330. D 17, 2, 31: „Incidimus in communionem, ut evenit in re duobus legata, item si a duobus simul empta res sit..." 90

D 10, 3, 19, 2: „ Si per eundem locum via nobis debeatur et in eam impensa facta sit, durius ait Pomponius communi dividundo vel pro socio agi posse: quae enim communio iuris separatim intellegipotesti" 91

M. Käser, Das römische Privatrecht I. München 1955,88.

92

Cels. Ulp., D 13,6,5,15: Quorum quidem in solidum dominium vel possessionem esse non posse" 93 Käser, Privatrecht (Anm. 91), 323. 94

Die Kommentatoren der griechischen Gesetzesausgaben. 55 FS Mühlsteiger

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gezwungen, lateinische Ausdrücke zu verwenden, so z. B. wenn sie den Unterschied zwischen „societas" und „communio " hervorheben wollen. 95 In der Regel besagt „communio " so viel wie Miteigentum. Zuweilen bedeutet es „so viel wie Rechtsgemeinschaft, d.h. gemeinsamer Anteil an gewissen Rechtsinstituten"96. Diese letztere Begriffsbestimmung kommt der Bedeutung dessen, was wir unter „sanctorum communio " im Apostolischen Symbol mitenthalten wissen wollten, nahe. Die Verbindung von „ κοινωνία " mit dem Genitiv der Personen ist selten. Aber gerade in dieser Kombination hat der Ausdruck in der griechischen Rechtssprache die Bedeutung von Rechts- bzw. Besitzgemeinschaft, etwa auf Grund einer Erbfolge oder eines Gesellschaftsvertrages. Seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus begegnet man dem Ausdruck „ κονωνίοΓ mit diesem Sinngehalt in den Papyri sehr häufig. 97 In diesem Zusammenhang mag noch darauf hingewiesen werden, daß von frühchristlichen Schriftstellern bisweilen zivilrechtliche Institute herangezogen wurden, um theologische Wahrheiten zu erklären. Nach den Darstellungen von Alexander Beck 98 schien dem Iurisconsultus Tertullian die Begriffswelt seines Fachwissens geeignet, um das Dogma der Dreieinigkeit zu verdeutlichen. Die drei göttlichen Personen bilden auf Grund ihrer gemeinsamen Substanz ein „consortium", eine Miterbengemeinschaft. „Das Miteigentumsverhältnis der Drei an der einen Substanz, das dieser Konstruktion zugrunde liegt, vermag in der Tat unter allen möglichen juristischen Hilfsbegriffen wohl am besten die Einheitlichkeit und Ungeteiltheit der Substanz zu kennzeichnen."99 Mit der in der vorliegenden Arbeit gegebenen Deutung von „sanctorum communio " als Recht der Teilhabe an den Gütern der Heilsgemeinschaft soll keinesfalls der Anspruch erhoben werden, dem Sinn des Ausdrucks die letzte Klärung gegeben zu haben. Über Ursprung, Zeit und Motive der Aufnahme der Formel ins Apostolische Symbol bleiben noch viele Fragen offen. Um über den

95

Steinwenter, Gesellschaftsrecht (Anm. 85), 489, Anm. 6. R. Leonhard, Art. Communio, in: Pauly / Wissowa IV/1, III. So wird bei Gaius, III 179 die „communio civis cum peregrino " hinsichtlich der ,^ponsio" verneint, d. h. die Möglichkeit diesen Vertrag abzuschließen; Ulpianus begründet Dig. 28,1, 20, 7 die Unfähigkeit des Sklaven zum Testamentszeugnis damit, daß er „iuris civilis communionem non habeat in totum, ne praetor is quidem edicti 96

97 98

Seesemann, Begriff (Anm. 4), 15.

A.Beck, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian. Aalen 1967. Beck glaubt die Identität Tertullians mit dem gleichnamigen Pandektenjuristen nachweisen zu können, siehe Seite X. Vgl. dazu die Rez. des Buches:A. Steinwenter, ZRG Rom.Abt. 52 (1932) 412-416 und J. Vögtle, AfkKR 112(1932) 693-697. 99 Beck, Römisches Recht (Anm. 98), 48.

Sanctorum Communio

835

Sinn der Formel mehr Aufschluß zu erhalten, wurde vornehmlich auf den Adressaten der Symbolerklärungen geachtet. Daß mit dem untersuchten Ausdruck nicht ein formales Rechtsprinzip ausgesprochen worden ist, wie es der CIC in c. 87 tut, bedarf keiner Erklärung. Aber daß dem Täufling die Bejahung und Anerkennung der Rechte und Pflichten, die mit der zu erwerbenden Kirchengliedschaft gegeben sind, als expliziter Gegenstand seines Glaubensbekenntnisses vorgelegt wurden, kann man sicher mit Recht annehmen.

Exomologese*

I . Fragestellung Im Zuge der nachkonziliaren theologischen Neubesinnung wird der Bußtheologie und damit im Zusammenhang der Bußpastoral besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zweifellos steht der feststellbare Wandel im Verständnis des Bußsakramentes in einem inneren Konnex mit der Bewertung der Sünde bzw. mit einer differenzierten Beurteilung der Kriterien für das Sündigwerden. 1 Diesem Umstand hat die Kirche durch eine Neuordnung der Bußpraxis Rechnung getragen. Ihren konkreten Ausdruck hat sie gefunden im Ordo Paenitentiae und in den Normae Pastorales für die Erteilung der sakramentalen Generalabsolution.2 Beide Dokumente gehen auf einen ausdrücklichen Wunsch der Konzilsväter zurück, den Ritus und die Bußformeln so zu revidieren, daß Natur und Wirkung des Sakramentes deutlicher zum Ausdruck kommen.3 Das Sakrament der Vergebung erhält seine ganze Bedeutung und Wirklichkeit, wenn es Ausdruck der dauernden Bemühung der christlichen Gemeinde ist, die heilig und gleichzeitig dazu aufgerufen ist, sich immerfort zu reinigen. 4

* Erschienen in: ZKTh 103 (1981) 1-32.129-155.257-288. K. Rahner, Bußandacht und Einzel be ich te. Anmerkungen zum römischen Erlaß über das Bußsakrament, in: StdZ 190 (1972) 363-372, hier 365 ff.; ders., Bußgottesdienst und Einzelbeichte, in: Gottesdienst 7 (1973) 12 f. u. 20 f. (Auszug aus dem Aufsatz in StdZ); L. Scheffczyk, Die spezifische Heilswirkung des Bußsakramentes (Sinn und Sendung 3). St. Augustin b. Bonn 1978,18 ff. 2 OPaen, in: AAS 66 (1974) 172 f.; deutsch: Die Feier der Buße nach dem neuen Rituale Romanum. Studienausgabe. Hg. von den Liturg. Instituten Salzburg-Trier-Zürich. Einsiedeln-Freiburg i. Br. 1974. Congr. DocFid, Normae pastorales circa absolutionem sacramentalem generali modo impertiendam [=NP] v. 16.6.1972, in: AAS 64 (1972) 510-514; deutsch: NKD 42,7-21. 3 Vatll SC 72, in: AAS 56 (1964) 118: „Ritus et formulae Paenitentiae ita recognoscantur ut naturam et effectum sacramenti clarius exprimant. "

Johannes Mühlsteiger

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Der neue Ritus sieht drei Formen der Feier des Bußsakramentes vor. 5 Die erste Form ist die der individuellen Versöhnung. Sie ist auf die freie und persönliche Mitarbeit des einzelnen angelegt, der sich bekehren und sein geistliches Leben vertiefen will. Diese Art der Versöhnung kann dazu beitragen, daß der Christ sich besser vor Gott kennenlernt. Die gemeinschaftliche Versöhnung mit persönlicher Anklage und Absolution als zweite Form 6 bringt die soziale Seite der Sünde zum Bewußtsein und die Verbundenheit des Sünders mit der Kirche. In dieser Form wird das private Bekenntnis beibehalten, das offenbaren soll, daß jeder in der Gemeinde persönlich für die Sünde, und zwar für eine ganz bestimmte, verantwortlich ist. Andererseits aber hat die Sünde eine soziale Komponente, insofern es sich für jeden Christen ziemt, sich als Sünder vor der Gemeinde zu bekennen. Auf diese Weise kommt besser zum Ausdruck, daß die Vergebung Gottes uns in und durch die Kirche zuteil wird. Die Absolutionsformel macht deutlich, daß der Priester „durch den Dienst der Kirche" die Sünde vergibt. Die dritte Form, die gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit allgemeinem Bekenntnis und Generalabsolution 7, ermöglicht den Empfang des Sakramentes unter bestimmten Umständen, unter denen es sonst nicht möglich wäre. Diese dritte Weise, das Sakrament zu empfangen, macht die Wichtigkeit der inneren Bekehrung deutlich. Sowohl der Ordo Paenitentiae als auch die Normae Pastorales legen die Verpflichtung des Bekenntnisses der schweren Verfehlungen vor einer neuerlichen Generalabsolution auf, es sei denn, es liegt ein gerechter Grund für eine Verhinderung vor. 8 Der bisherige Katalog der Ausnahmen wird nur um die Situation der „schwerwiegenden Notwendigkeit" („gravis necessitas") erweitert. Eine solche sieht das Dokument dort verwirklicht, wo wegen des Priestermangels die Zahl der Beichtväter zu gering ist, um innerhalb einer angemessenen Zeit die Beichte der einzelnen Gläubigen in

4

Vgl. OPaen, Praenotanda 3.

5

OPaen nn.15-21; 41-47. Vgl. dazu Η. Β. Meyer, Die Feier der Buße. Der neue Römische Ordo Paenitentiae, in: Gottesdienst 8 (1974) 25-27. 6

OPaen nn. 22-30; 48-59.

7

OPaen nn. 31-35; 60-66.

g

OPaen, Praenotanda 34: „Ii, quibus communi absolutione gravia peccata remittuntur, ad confessionem auricularem accédant, antequam novam huiusmodi absolutionem sint recepturi, nisi iusta causa impediantur. Omnino autem debent, nisi obstet moralis impossibilitas, accedere ad confessarium infra annum." Vgl. NP VII.

Exomologese

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gebührender (rite) Weise zu hören, so daß die Pönitenten lange - ohne ihre Schuld - die Gnade des Sakramentes oder die hl. Kommunion entbehren müssen.9 Ob bei der schwerwiegenden Notwendigkeit allein an den Mangel an Beichtvätern gedacht wurde, oder ob darüber hinaus noch andere als die herkömmlichen Notsituationen gemeint sind, ergibt nach der Meinung einiger Autoren der Wortlaut des Dokumentes nicht eindeutig. 10 Die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat beschlossen, die Generalabsolution in den deutschen Diözesen nicht einzuführen, weil sie die Voraussetzungen für eine solche als nicht gegeben betrachtet. 11 Die Verpflichtung, zu gegebener Zeit die schweren Sünden in der Einzelbeichte zu bekennen, bereitet, wie Kommentare zu OPaen und NP zeigen, eine gewisse Schwierigkeit. Demjenigen, der „generalabsolviert" wurde, stellt sich nämlich die Frage: Warum noch ein Detailbekenntnis, wenn die aufrichtig bereute Sünde durch die sakramentale Generalabsolution vergeben ist? Schwierig scheint für einen der Autoren schon einmal die sichere Bestimmung der schweren Sünde zu sein. Die Auflage einer zusätzlichen Anklage schwerer Sünden bewertet er als ziemlich formalistisch und auf einer zu juridischen Auffassung vom Bußsakrament beruhend. Denkt man an die verschiedenen Arten der Bußpraxis in der Kirchengeschichte des Ostens und des Westens, in denen das Bekenntnis nicht immer erfordert war, so könnte man annehmen, daß es

OPaen, Praenotanda 31: „Praeter casus in quibus agitur de mortis periculo, licet sacramentaliter absolvere una simul plures fideles generice tantum confessos, sed apte ad paenitentiam revocatos, si accedat gravis necessitas, nimirum quando , attento paenitentium numero, confessariorum copia praesto non est ad rite audiendas singulorum confessiones intra congruum tempus, ita ut paenitentes - absque sua culpa - gratia sacramentali, vel sacra communione diu car er e cogantur" 10

J.Gallen, General sacramentai Absolution: pastoral remarks on pastoral norms, in: TS 34 (1973) 114-121, hier 121. 11 NKD 42, 22 ff. Der österreichische Episkopat gelangte zu einem ähnlichen Schluß wie der deutsche, billigte hingegen als Ausnahme eine unvorhersehbare große Zahl von Pönitenten. Vgl. Verlautbarung d. öst. Bischöfe über die Verwendung der Studienausgabe „Die Feier der Buße", in: ABl. f. d. Diözese Innsbruck 49 (1974) 61. Die Bischöfe der Schweiz stellen fest, daß die Situation der Notwendigkeit einer sakramentalen Generalabsolution in ihrem Lande eintreten kann. Das Urteil über eine solche Notwendigkeit steht den Pfarrern zu. Vgl. Weisungen der Schweizerischen Bischofskonferenz über die Buße, in: SKZ 45 (1974) 733 ff. Die franz. Bischöfe erachten zwei Situationen als necessitas gravis. Einmal den großen Zustrom von Pönitenten unter gewissen Umständen, vorausgesetzt, daß die Einzelbeichten nicht zu bewältigen sind. Zum anderen die Anwesenheit einer Schar von Kindern, die das Bußsakrament zu empfangen wünschen. Vgl. J. Baumgartner, Neuordnung der Bußpraxis in der Schweiz, in: Gottesdienst 8 (1974) 169-172, hier 171.

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genügt, daß der Pönitent seinen Zustand als Sünder einbekennt, was aber nicht unbedingt eine Offenlegung des Schuldzustandes im einzelnen zur Folge hat. 12 H. B. Meyer hält die Beichtpflicht für schwere Sünden nach empfangener Generalabsolution noch nicht in jeder Hinsicht für geklärt und wünscht eine überzeugende, nicht nur aus dem Verweis auf die Lehrtradition gewonnene, sondern auf einsichtige theologische Sachgründe gestützte Begründung dafür. 13 Für H. Boelaars bestehen beispielsweise keine dogmatischen Schwierigkeiten für die Einführung gemeinschaftlicher sakramentaler Bußfeiern neben der Ohrenbeichte, in denen die Todsünden erkannt und auch nachgelassen werden können ohne Verpflichtung eines nachfolgenden Detailbekenntnisses.14 Es genügt nun nicht, historisch eine Änderung im Ablauf der Einzelakte des Entsündigungsprozesses nachzuweisen, um dann zu behaupten, daß durch diese Tatsache selbst die Möglichkeit für weitere Änderungen gegeben ist. Es gilt vielmehr, die genauen historischen Beweggründe der erfolgten Änderung festzuhalten und den theologischen Gehalt der in Aussicht genommenen Neuerungen zu prüfen. So erscheint die Verlegung der Genugtuung nach der Absolution als möglich und gerechtfertigt, weil sich die Überzeugung gebildet hatte, daß das Bekenntnis selbst wegen der damit verbundenen Beschämung ein entsprechender Ersatz für die Genugtuung sei. Besteht nun wegen der komplexen, innerlich jedoch eng zusammenhängenden Struktur der Buße die Möglichkeit, daß Bekenntnis und Genugtuung dieselbe Aussagekraft besitzen, um die Gesinnungsänderung (metanoia) auszudrücken oder zu aktualisieren? Auf unseren Fall angewandt muß die Frage lauten: Kann die Reuekundgabe mittels eines allgemeinen Bekenntnisses als hinreichender Ersatz für ein spezifisches Bekenntnis gesehen werden? Bis zu welchem Grad kann ein generisches Bekenntnis mit dem Votum einer späteren spezifischen Offenlegung der Schuld den judiziellen Charakter der priesterlichen Absolution ersetzen?15 In der Antwort auf diese Fragen wird es darauf ankommen, die Gründe für die Notwendigkeit eines spezifischen Bekenntnisses aufzuzeigen. Es wird zu klären sein, ob die geforderte Beichte der durch Generalabsolution nachgelassenen Sünden bloß deklaratorischen Wert besitzt oder ob es sich um eine neu-

12

N. Provencher , Le sacrement de la réconciliation selon lOrdo Paenitentiae, in: StudCan 9 (1975) 267-276, hier 272. 13 H. B. Meyer, Zur Bußpraxis nach dem Erscheinen des neuen Ordo Paenitentiae, in: LJ 26 (1976) 156-164, hier 139. H. Boelaars, Celebrazioni sacramentali di penitenza, in: Teologia del presente 2 (1972) 85. 15

Vgl. D. Tettamanzi, In margine alle „normae pastorales" suirassoluzione sacramentale generale, in: ScC 100 (1972) 255-289, hier 283.

Exomologese erliche Unterwerfung der Sünden unter die „potestas

841 clavium"

der Kirche

handelt. Für den amerikanischen Theologen John Gallen SJ ist es keine Frage, daß nach der Darstellung der Pastoralnormen der Versöhnungsprozeß im Falle einer Generalabsolution zu einem vollen Abschluß gekommen ist. Er bedauert dabei die Aussageweise des Dokumentes (er bezeichnet sie als ,/ragwürdig" und „magisch"), weil sie nahelegt, daß die Vergebung als Wirkung allein der Absolution dargestellt wird, ohne den Bußprozeß zu erwähnen, der durch das Wirken des Hl. Geistes in Gang gesetzt wurde. 1 6 Das Dokument über die Generalabsolution als ganzes betrachtet er als einen Schritt auf dem Weg zur vollen Annahme der gemeinsamen Bußfeier als einer normalen und gewöhnlichen Form des Sakramentes. 17 Ähnlich deutet die Pastoralnormen der Dogmatiker Josef Finkenzeller, wenn er schreibt, daß das römische Dokument einer Situation Rechnung trägt, in der die Spendung der Generalabsolution die regelmäßige, ja nahezu ausschließliche Form der Spendung des Bußsakramentes wird. Für ihn liegt die grundsätzliche Tendenz der pastoralen Richtlinien darin, „daß einerseits die Generalabsolution erlaubterweise nur in Notfällen vorgesehen ist, daß aber andererseits gerade in diesen Notsituationen ein Nachholen des Bekenntnisses in der Regel nicht nur moralisch, sondern auch physisch unmöglich ist" 1 8 . Es mag an dieser Stelle von Interesse sein, einen Versuch zu erwähnen, der die pastoralen Möglichkeiten der Generalabsolution ausschöpfen wollte, um vor allem Fernstehende zur kirchlichen Praxis zurückzuführen. Der Bischof der jungen Diözese Memphis, Tennessee ( U S A ) , Carroll T . Dozier, „spürte" nach dem Studium des Dokumentes, daß es sich um ein sehr brauchbares pastorales Instrument handle, das auf jeden Fall zum Tragen kommen sollte. Und zwar stellte er sich vor, daß es von der Kirche als ein erster Versuch benützt werden sollte, um nicht praktizierende Christen in das Leben der kirchlichen Gemeinde zurückzuholen und um ihnen zu zeigen, daß die Kirche sich um sie sorgt. 19 Nr. I I I der Pastoralen Normen schien jedoch der Verwirklichung des Planes wegen der verschiedenen Interpretationsmöglichkeit Schwierigkeiten zu bereiten. Die genaue Stelle lautet: „Dann nämlich, wenn angesichts der Zahl der Beichtwilligen nicht genügend Beichtväter zur Verfügung stehen, um innerhalb einer angemessenen Zeit die Beichte der einzelnen auf rechte Weise zu hören, so daß

16

Gallen, Absolution (Anm. 10), 119.

17

Vgl. Gallen, ebd., 121

18

J. Finkenzeller, Einzelbeichte, Generalabsolution und Bußgottesdienst aus dogmatischer Sicht (Theologisches Kontaktstudium 3). München 1978, 90. 19

C. T. Dozier, A call to reconciliation. Memphis 1976,38 f.

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diese - ohne ihre Schuld - die Gnade des Sakramentes oder die heilige Kommunion lange entbehren müßten." Der Oberhirte prüfte dazu die verschiedenen Meinungen jener, deren Urteil er schätzte, und entschied schließlich, die pastorale Initiative zu ergreifen und einen Aufruf zur Versöhnung (a call to reconciliation) zu erlassen, wobei er von der Möglichkeit der Generalabsolution Gebrauch machen wollte. 20 „Es hängt davon ab, was man als Notsituation bestimmt. Wenn beispielsweise 10.000 Leute oder ein Gutteil davon erscheinen, so kann man dies als Notsituation bewerten. tt21 Nach aufklärenden Einführungspredigten in den einzelnen Pfarreien und einem gezielten Einsatz der Massenmedien folgten dem Aufruf an die 12.000 Menschen am 5. Dezember 1976 ins „Coliseum" von Memphis. Zwei Tage später waren es 2000 im „Civic Center" von Jackson.22 Das Beschreiten dieses pastoralen Neulandes hatte ein starkes Echo ausgelöst, darunter auch in Rom. Der Präfekt der Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst ließ den Vorsitzenden der Nationalen Bischofskonferenz und Erzbischof von Cincinnati wissen, daß sein Amtsbruder und Oberhirte der Kirche von Memphis gegen mehrere der pastoralen Richtlinien für die Erteilung der sakramentalen Generalabsolution verstoßen habe. Es wurde ausgesetzt, daß die Bußfeiern Monate vorher angekündigt worden seien und eine beachtliche Publizität erhalten hätten, sowie daß die Generalabsolutionen unter Umständen erteilt worden seien, die nicht Notsituationen, wie sie in Nr. III vorgesehen sind, entsprächen. Die Versöhnungszeremonien seien als Teil der Eucharistie gefeiert worden entgegen der Norm X , die eine von der Eucharistiefeier getrennte Absolutionserteilung vorsieht. Es wird dann darauf verwiesen, daß durch das Vorgehen des Ortsoberhirten für jene Katholiken, die in einer unrechtmäßigen Ehesituation leben, eine schwere Verwirrung entstanden sei (vgl. Nr. XI). Bemängelt wird noch das unterlassene vorhergehende Anhören der Amtskollegen im Sinne der Norm V . 2 3 Noch ein Jahr später kam Papst Paul VI. in der Ansprache an eine Gruppe von Bischöfen aus USA, die zu einem Ad-Limina-Besuch in Rom weilten, auf die strikte Einhaltung der pastoralen Normen für die Generalabsolution zu sprechen. Ohne den Fall von Memphis ausdrücklich zu erwähnen, schärfte er die Beachtung der für die Erteilung der Generalabsolution vorgesehenen Be-

20

Dozier, ebd., 39.

21

„National Catholic Report" vom 17. Dez. 1976,3, Sp. 3.

22

Ebd. Sp. 1 ; Dozier, Call (Anm. 19), 35 f.

23

Schreiben des Präfekten der Kongregation für die Sakramente u. den Gottesdienst an den Vorsitzenden der Nationalen Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten v. 25. März 1977. Prot. N. 1564/76, 2 f.

Exomologese

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dingungen der Norm III ein und betonte, daß es den Ordinarien nicht anheimgestellt sei, die erforderten Bedingungen zu ändern oder sie durch andere zu ersetzen. Der Papst interpretierte also die nicht ganz eindeutige Stelle der Norm III strikt, wenn er wörtlich bemerkte: „Die Generalabsolution ist einzig für die außerordentlichen Situationen einer schweren Notwendigkeit, wie in der Norm III angegeben, gestattet."24 Daß sich bei einer solch extensiven Deutung der Möglichkeiten für eine Generalabsolution das Problem der Pflicht eines späteren Detailbekenntnisses besonders stellt, ist jedermann einsichtig. Die Programme, die zur Feier der beiden Bußliturgien verteilt wurden, enthielten als Hinweis auf diese Pflicht die Anmerkung: „Es wird empfohlen, daß sie innerhalb eines Jahres ihren geistlichen Ratgeber/Beichtvater als Folge (result = Ergebnis) der Generalabsolution aufsuchen." 25 Gegenstand dieser Studie wird es weniger sein, die Beichtpflicht bzw. den Grad und die Häufigkeit der Verpflichtung zu untersuchen. Ihr Anliegen ist es vielmehr, die Offenlegung der persönlichen Schuldsituation im Bekenntnis als einen wesentlichen Bestandteil des Entsündigungsprozesses und als Grunderfordernis für die pax cum Ecclesia zu sehen. Der Rückblick will in erster Linie die lehrhaften Dokumente berücksichtigen 26 und die Gründe hervorheben, die ein solches Bekenntnis als notwendig erscheinen lassen. Damit soll auch deutlich werden, wie sehr das jeweilige Bußverständnis die Abfolge der einzelnen Bußakte wie deren Schwerpunkt bestimmt hat.

24

OssRom v. 28.4.1978,2, Sp. 1.

25

Dozier, Call (Anm. 19), 40. Die entsprechenden Texte in den pastoralen Richtlinien lauten Nr. VI: „...gleichzeitig muß er [= der Gläubige] sich vornehmen, zu gegebener Zeit die schweren Sünden einzeln zu beichten." Nr. VII: „Wer durch eine Generalabsolution die Nachlassung schwerer Sünden erhalten hat, muß (soll), bevor er erneut eine solche Lossprechung empfangen wird, eine Ohrenbeichte ablegen, es sei denn, daß er aus gerechtem Grund daran gehindert ist. Auf jeden Fall aber ist er verpflichtet, innerhalb eines Jahres zu beichten, vorausgesetzt, daß dies moralisch nicht unmöglich ist." 26 Die liturgischen Dokumente werden hier deshalb nicht in eine nähere Betrachtung gezogen, weil sie weniger für die theologische Begründung der Notwendigkeit des Bekenntnisses beibringen, sondern mehr hortativen Charakter haben. Über das Bekenntnis in der Liturgie siehe die vortreffliche Studie von W. Lentzen-Deis, Buße als Bekenntnisvollzug. Versuch einer Erhellung der sakramentalen Bekehrung anhand der Bußliturgie des alten Pontificale Romanum (FThSt 86). Freiburg i. Br. 1969.

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I I . Zum Begriff Exomologese Sowohl in der Schrift als auch bei den Kirchenschriftstellern findet sich im Zusammenhang mit der Aufforderung zu Reue und Vorsatz auch jene zum Bekenntnis. Die Ausdrücke, die den Begriff Bekenntnis wiedergeben, sind vielfältig. Im griechischen Schrifttum der Kirche sind es hauptsächlich zwei: ,, έξομολογεΤσθαι " und,, έξαγορεύει ν ". Der letztere Ausdruck begegnet in der vor- und außerchristlichen Literatur im Sinne von Bekenntnis im Zusammenhang von Schuld. 27 Die Septuagintaübersetzer verwenden ihn für ein ins Detail gehendes Bekenntnis. Der Ausdruck wird sowohl in der Septuaginta als auch bei den griechischen Vätern ausschließlich im pönitentialen Zusammenhang gebraucht. 28 Deshalb bereitet ,, έξαγορεύει v" im Gegensatz zu „ έξομολογεΐσθαι" in der Untersuchung der Bußpraxis des kirchlichen Altertums weniger Schwierigkeiten. Für einen Bekenntnisakt werden in den patristischen Schriften außerdem folgende sinngleiche Ausdrücke gebraucht: „ φανερόω, κατεγορέω, δηλόω, έκφαίνειν, ; έξαγγέλλω, έκλαλεΐν." Sie haben alle die Grundbedeutung von: gestehen, Verborgenes offenbaren. 29 Schwieriger ist es hingegen, die Bedeutung von ,, έξομολογεΐσθαι " zu bestimmen. Dieses griechische Zeitwort bedeutet in seiner zusammengesetzten Form (,, έξ+όμολογέω") soviel wie: frei heraus bekennen, offen eingestehen.30 In griechischen Papyrusurkunden findet der Ausdruck Verwendung für Zeugenaussagen bei Prozessen.31 Wenn R. J. Ledogar meint, daß vor der Abfas-

27

So in den knidischen Fluchinschriften; vgl. Sylloge Inscriptionum graecarum. Hg. W. Dittenberger (=SIG) Bd. 2. Leipzig 3 1915, Nr. 813, S. 674 u. Nr. 815, S. 676; Plutarch , Περι δεισιδαιμονίας" 7 D (BiTeu 1705, 347): „Πολάκις δε γυμνός έν πηλω κυλινδουμενος έξαγορεύει τινός αμαρτίας αύτου και πλημμελείας ." Vgl. auch Fr. van de Paverd, „Confession" (exagoreusis) and „Penance" (exomologesis) in De lepra of Methodius of Olympus, in: OrChrP 44 (1978) 309-341 ; 45 (1979) 45-74. 28 « Gregor v. Nazianz , Oratio X L in sanctum Baptisma (PG 36, 397): „Μη άπαξ ι ώσης έξαγορεΰσαι σου την αμαρτίαν..." Gregor ν . Nyssa , Epistola canonica ad S. Letojum Meltines Episcopum (PG 45, 229): '„Ομεν γαρ αφ'έαυτοΰ προς την έξαγόρευσι ν της άρματίας όρμήσας, au τ ω το καταδέξασθαι δι ' οικείας ορμής γενέσθαι των κρυφίων κατήνορος." Johannes Chrysostomus , Horn IX. in Epist. ad Hebraeos (PG 63,80). Vgl. dazu Ps 21, 5. 6. 29

Fr. Frank , Die Bußdisciplin der Kirche von den Apostelzeiten bis zum siebenten Jahrhundert. Mainz 1867,48. 30 W. Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. Wien 1908,290. 31

The Vocabulary of the Greek Testament. Hg. v.J. H. Moulton / G. Milligan. London 1914/29,224; Greek-English Lexicon. Hg. v. H. G. Liddell / R. Scott. Bd. 1. Oxford

Exomologese

845

sung der Septuaginta sich kein Beispiel für den Gebrauch des Wortes nachweisen lasse, so kann eine solche Aussage in dieser Absolutheit doch nicht ganz bestehen.32 Die Antike kennt den Ausdruck bereits in der Bedeutung eines Bekenntnisses von Sünden, die eine Beleidigung der Gottheit darstellen 3 3 Der Bekenntnisakt selbst wird in lydischen und phrygischen Sühneinschriften durch dieses Verbum wiedergegeben. 34 Eine kleinasiatische Inschrift macht uns mit der damals herrschenden Auffassung bekannt, dergemäß Krankheit oder körperliches Leiden als Folge der Sünde angesehen werden. Mit dem Bewußtsein, gefehlt zu haben, geht für den Büßenden Hand in Hand das Bemühen, durch Versöhnung der Gottheit das Leiden fernzuhalten. 35 Außer Opfern und Sühnegaben vermag nach dem Glauben dieser kleinasiatischen Völkerschaften vor allem ein demütiges und offenes Bekenntnis der Fehler die Gottheit zu besänftigen. Auf diese Weise gewinnt der Sünder die Huld Gottes zurück und damit die Gesundheit.36 Wert und Wirkung der durch das Bekenntnis erbetenen Sündenvergebung liegen auf der Ebene der Befreiung von Krankheit und eines über den Menschen hereingebrochenen Unheils. 37 Für unsere Untersuchung erscheint die Frage nach der Eigenart eines solchen Sündenbekenntnisses von besonderem Interesse. Und zwar geht es konkret um die Frage: Hatte das Bekenntnis privaten oder öffentlichen Charakter, d. h.

1925/40, 597; Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden. Hg. v. E. Kießling. Supplement 1 (1940-1966). Amsterdam 1969,97. 32 Vgl. R.J. Ledogar, Acknowledgment, Praise-Verbs in the early Greek anaphora. Rom 1968, 72. Die seit Alexander d. Gr. (336-323) fortschreitende Hellenisierungswelle hat die einheimischen Sprachen Kleinasiens rasch zurückgedrängt. Dies kann man vor allem für die Küstengebiete Kleinasiens und für die städtischen Zentren des Landesiiineren annehmen. Vgl. Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung. Hg. v. W. Kroll. Bd. 13. Stuttgart, 1927, 2162. Siehe auch R. Hiersche, Grundzüge der griechischen Sprachgeschichte bis zur klassischen Zeit. Wiesbaden 1970,38.

Fr. Steinleiter, Die Beichte im Zusammenhang mit der sakralen Rechtspflege in der Antike. Leipzig 1913, 108 f.; über sakrale Bußriten bei den Naturvölkern siehe R. Pettazoni, La confessione del peccati. Bd. 1. Bologna 1929 u .J. Höh, Beichte bei den Naturvölkern, in: ThGl 29 ( 1937) 195-202. 34

W. M. Ramsay , The cities and bishoprics of Phrygia. Bd. 1/1. Oxford 1895, 151, Nr. 46.48.49; 152, Nr. 52. 35

Ramsay, ebd., 150, Nr. 43.

36

Ramsay, ebd., 152, Nr. 52.

37

Steinleitner,

Beichte (Anm. 33), 110.

846

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wurde es von einem Vertreter der Kultgemeinschaft bzw. einer Kultperson entgegengenommen? Der Kranke bzw. der vom Unheil Getroffene (= Sünder) legt sein Bekenntnis vor dem Priester ab. Der Sünder wendet sich an den Priester als Stellvertreter der Gottheit und Verkünder ihres Willens. Das Bekenntnis allein vermag jedoch noch nicht die volle Genugtuung zu leisten. Das Bekenntnis als Teil des Sühneprozesses, das auf das Öffentlichwerden der Schuld hintendierte, erreichte seinen Höhepunkt und Abschluß in der „Errichtung einer Säule, auf welcher die Sünde und Strafe mit dem Namen des Sünders notiert waren" 38 . Die Aufstellung einer Sühnesäule bzw. Stele im hl. Bezirk, sowie die Reinigungs- und Sühneopfer, die der Aufstellung vorangingen, weisen deutlich darauf hin, daß es sich um einen öffentlichen Kultakt handelt und damit ein Bezug zu einer Kultgemeinde hergestellt wird. Die Stele mit dem Verzeichnis der Verfehlungen und dem Namen des Büßenden sind gleichzeitig sichtbares Zeugnis eines öffentlichen Dankes an die Gottheit. 39 Dieses reale, sichtbare Zeichen des Bekenntnisses und der Sühne wird deshalb bisweilen mit „ ευλογία M bzw. „ ευχή" 40 oder „ ευχαριστήριον" 41 wiedergegeben. Mit dem Dank soll gleichzeitig der Lobpreis auf die Macht der Gottheit zum Ausdruck gebracht werden, denn Dank will in letzter Analyse nichts anderes sein als die Anerkennung der Abhängigkeit des Menschen von einer ihn transzendierenden Macht. Ein solcher Akt kommt sachlich einem Lobpreis gleich. Daß der Öffentlichkeitscharakter der Errichtung einer solchen Säule eine Präventivmaßnahme im Sinne des Strafrechtes impliziert, versteht sich von selbst. Die babylonischen Sühneriten weisen eine große Ähnlichkeit mit den eben genannten auf. Auch hier ist ein verbales und reales Bekenntnis festzustellen. Nach dem Muster eines Sündenkatalogs wurden auf einer Tafel die Vergehen aufgereiht und bei der Sühnehandlung vorgelegt, „vielleicht auch vorgelesen als Sündenbekenntnis" 42 . Das Schuldbewußtsein des Büßers findet seine Ausdrucks- und

38

Steinleitner, ebd., 111. Als technischer Ausdruck für die Aufforderung zur öffentlichen Sühne begegnet uns in den lydischen Inschriften das Verbum „ έπιζητείν" (= aufsuchen, nach etwas oder nach jemandem verlangen; „ ...W παρά τινός " = etwas von jemandem verlangen); vgl. die inschriftlichen Zeugnisse bei Steinleitner, ebd., Nr. 1, Vers 7. 39 * Ramsay , Cities (Anm.34), 153, Nr.53: Ein Gneios Aphias „ευχαριστώ Λητώ δτι έξ άδονάτων δυνατά ποεΐ( sic!)". 40 Ramsay , Cities (Anm. 34), 152, Nr. 52; bzw. 153,53. 41 42

Μητρι

Steinleitner , Beichte (Anm. 33), 43, Nr. 14.

W. Schrank, Babylonische Sühnriten besonders mit Rücksicht auf Priester und Büßer (LSSt 3/1). Leipzig 1908, 46. Schrank ist im übrigen der Auffassung, daß die Stilgattung der Sünden- u. Lasterkataloge, die uns des öfteren begegnen (Rom 1, 29 ff.; Gal

Exomologese

847

Bekenntnisform auch in Liedern und Litaneien. Aus kurzen Klagerufen entwikkelte sich allmählich eine längere oder kürzere Litanei. Diese bildet dann einen wesentlichen Teil des Klageliedes.43 Solchen Anrufungen haftet nicht in erster Linie poenitentialer Charakter an, sondern sie bezwecken die Beschwichtigung des Zornes Gottes, der durch ein Vergehen erregt worden ist. 44 Die oft schematischen und formelhaften Beschwörungen wollen einen Gnadenspruch der Gottheit erwirken. Ihm folgen Dank und Lobpreis des Büßenden 4 5 Hand in Hand mit dem verbalen Bekenntnis geht das reale, das sich in verschiedenen Sühnehandlungen äußert wie das Sichhinwerfen vor der Gottheit als äußeres Zeichen der Verdemütigung, um den Zorn der Gottheit zu besänftigen und ihre Gnade zu erflehen. Als begleitende Handlung der Klagelieder und Bußlitaneien werden auch das Knien und Weinen genannt. Die Darbringung von Opfern und Weihegaben, die Vornahme von Waschungen und das Emporheben von Sühnegeräten vervollständigen den Entsündigungsprozeß. Die Bitte des Büßers um Befreiung vom Bösen und Gewährung von Heil zielen auf Vergebung und Gnade46 und schließen das Bekenntnis ab. Der im verbalen Bekenntnisbereich liegende Sinn von ,, έξομολογεΐσθαι " als Akt des Lobpreises begegnet häufig in der Septuaginta. Als Ausdruck für einen Akt des Sündenbekenntnisses wird er von den Septuagintaübersetzern lediglich im Buch Daniel (9,4.20) gebraucht. 47 Die Verwendung von ,, έξομολογεΐσθαι " für einen Akt des Lobpreises stellt einen Hebraismus dar. Das hebräische Verbum „jadah" hat im Hiphil die Bedeutung von bekennen und lobpreisen. 48 Die Doppelbedeutung der hebräischen Form ist dann auf ,, έξομολογεΐσθαι " übergegangen, obwohl allein schon die griechische Bedeutung des Wortes einen zweifachen Gebrauch des Begriffes zuläßt. Hinter dieser philologischen Möglichkeit steht aber eine sachliche Nähe der beiden Bedeutungen. Das Bekenntnis der eigenen Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit

5,19 ff.), wohl auf diesen babylonischen Prototyp zurückzuführen sein wird. Vgl. ebd., 47. 43

Schrank, ebd., 47-54. M.Jastrow, Die Religion Babyloniens und Assyriens. Bd. 2. Gießen 1922,6 ff.

45

Vgl. Schrank, Sühneriten (Anm. 42), 55-58.

46

Schrank, ebd., 58-69;Jastrow, Religion (Anm. 44), 1-137.

47

Vgl.Ledogar, Acknowledgement (Anm. 32), 72.

48

Frank, Bußdisciplin, (Anm. 29), 33 u. O. Michel, Art. όμολογέω, έξομολογέω usw., in: ThWNT 5, 199-206, hier 204: „Der hebräische Sprachgebrauch von ΠΤ (hiphil u. hithpael) bezeichnet...beides." F. Horst, Die Doxologien im Amosbuch, in: ZAW 47 (1929) 45-54, hier 52; G. v. Rad, Theologie des Alten Testamentes. Bd. 1. München 1962,368 ff. (Der Lobpreis Israels).

Johannes Mühlsteiger

848

impliziert die Anerkennung Gottes als Schöpfer, Richter und barmherziger Vater. Ein Schuldbekenntnis besagt Besinnung auf den Gott zu leistenden Gehorsam und die Anerkennung seiner Oberhoheit über den Menschen. 4 9 A l s ursprüngliche und eigentlich zutreffende Bedeutung von „

έξομολογέισθαι"

bezeichnet Fr. Frank jedoch jene v o m Bekennen der Sünden. 5 0 In den Schriften des N T w i r d der Ausdruck in den eben besprochenen Bedeutungen verwendet. A l s Sündenbekenntnis beispielsweise bei M t 3,6; L k 1,5; A p g 19,18; Jak 5,16 und als Lobpreis 5 1 bei M t 11,25; L k 10,21; Rom 15,9 (vgl. Dtn 32,43). 5 2 Sündenvergebung ist i m N T in Beziehung gebracht zu „Bekenntnis". Bei der Bußtaufe des Johannes wurde ein Sündenbekenntnis abgelegt ( M t 3,6 u. M k 1,5), und nach A p g 19,18 bekennen die bereits gläubig Gewordenen die Sünden

49

Vgl. dazu Augustinus, Confessiones XI 1 (CSEL 33,280): „ Affectum ergo nostrum patefacimus in te confitendo tibi miserias nostras et misericordias tuas super nos." Ders., Enarr. II in Ps. 29 (CChr. SL 38, 185): „Confessio gemina est aut peccati aut laudis. Quando male est, in tribulationibus confiteamur peccata nostra, quando bene est, in exultatione justitiae confiteamur laudem Deo.( i Michel, όμολογέω (Anm. 48), 29; B. Poschmann, Paenitentia secunda (Theoph. 1). Bonn 1940, 117; Die Apostolischen Väter. Hg. v. J. A. Fischer, München 1956, 89 Anm. 308: Fischer meint, daß „ έξομολογεΤσδαι " in 1 Clem 52,2 im Zusammenhang des Zitates sinngemäß mit Lobpreis wiederzugeben wäre, daß jedoch der Gesamtkontext des Briefes eine Übersetzung im Sinne von Sündenbekenntnis fordert. Der frühscholastische Theologe Petrus Manducator zeigt die Doppelbedeutung auf, wenn er schreibt: „ Confessionis duo sunt genera: laudis et peccati " (De Sacramentis [SSL 17, App. 85]). Ders., Sermo X X V (PL 171, 648): „Sed est confessio peccati, secundum quam dicitur confitens; et est laudis, secundum quam confessor diciturC. Vogel faßt die beiden Aspekte des Ausdrucks Exomologese wie folgt zusammen: ,Par aveu il faut entendre tout d'abord que le pécheur se reconnaît coupable devant Dieu et se met dans les dispositions requises pour la vrai conversion; dans ce sens, aveu est synonyme de faire pénitence et équivaut à une louange fait à Dieu." C. Vogel, Le pécheur et la pénitence dans l'Eglise ancienne (CTT 15). Paris 1960,15. 50 Frank, Bußdisciplin (Anm. 29), 33. Über die Bedeutung des Ausdrucks „ έξομολογεΐσθαι " in der Profangräzität, in der Septuaginta und im nachexilischen Judentum siehe Michel , όμολογέω (Anm. 48) u. E. Lipinski, La liturgie pénitentielle dans la Bible (LeDiv 52). Paris 1969,35-41 u. 71 ff. 51

„ έξομολογεΐσθαι

" mit dem Dativ der Person.

52

Vgl. J. C. Suicerius, Thesaurus Ecclesiasticus e patribus graecis ordine alphabetico exhibens quaecumque Phrases, Ritus, Dogmata, Haereses et huiusmodi alia spectant. Bd. 1. Amsterdam 2 1728, 1143 ff.; Novum Lexicon graeco-latinum in Novum Testamentum. Hg. v.J. Fr. Schleusner, Bd 1. Leipzig 4 1819, 856. In Lk 22,6 und Rom 14,11 kommt der Ausdruck in der seltenen Bedeutung von „spondere", versprechen, vor.

Exomologese

849

des Aberglaubens. 53 Jak 5,16 mahnt zum „gegenseitigen" Bekenntnis der Sünden und zum Gebet. Jedenfalls kommt damit deutlich zum Ausdruck, daß das Sündenbekenntnis ein wesentliches Moment im Entsündigungsprozeß darstellt und daß dem Gebet der Presbyter, das die Vergebung bewirkt, das Sündenbekenntnis vorausgegangen sein wird. Näherhin wird das Bekenntnis im Zusammenhang dieser Stelle des Jakobusbriefes als Motivation zu verstehen sein, um die Fürbitte der anderen zu erwirken. Dabei muß die Frage offen bleiben, ob es sich um ein spezielles oder allgemeines Bekenntnis handelte.54 Eine Notwendigkeit des Bekenntnisses vor der Gemeinde ergab sich für den Sünder in der alten Kirche wegen des durch die Todsünde gestörten Verhältnisses zur Kirche, das er eingestehen mußte, weil er sonst die öffentliche Buße nicht übernehmen konnte. Damit wurde die öffentliche Buße als Eingeständnis und amtliches Sichtbarwerden der fehlenden vollen Kirchengliedschaft betrachtet. Sie bezweckt die Beseitigung der Täuschung, die die Zugehörigkeit zur Kirche hervorruft. Exomologese kann damit als Eingeständnis des wahren Verhältnisses des Sünders zur Kirche in der Öffentlichkeit der Kirche angesprochen werden. 55 Auch heute geschieht im Schuldbekenntnis und seiner Entgegennahme durch die Kirche in letzter Analyse das gleiche wie in der Exkommunikationsbuße der alten Kirche. Durch die Selbstanklage zerstört der Reuige den falschen Schein, zu dem die Sünde seine Kirchengliedschaft gemacht hat. Das Bekenntnis vor der Kirche macht den Sünder vor ihrem Forum zu dem, der er durch die Sünde vor dem Forum Gottes geworden ist. Das Bekenntnis will den wahren ekklesiologischen Sachverhalt, in den der Mensch durch die Sünde geraten ist, darstellen 5 6 So wird das Bekenntnis nicht nur der psychologische, sondern auch der theologische Ansatzpunkt für eine Annäherung zwischen Sünder und Kirche.

53

Zur Diskussion, ob es sich um ein Bekenntnis von Gläubigen, die die Taufe bereits empfangen haben, oder ob es sich um ein Bekenntnis vor der Taufe handelt, analog jenem, das Johannes forderte, siehe J. Bellamy , Art. Actes des Apôtres, X I X , 18, in: DThC 1, 352 ff.; E . Mangenot, Art. Confession dans la Bible, in: DThC 3, 833 f.; Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 17 ff. 54

Vgl. Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 59. Jak 5,16 galt bis ins hohe Mittelalter als klassischer Text für das Gebot der sakramentalen Beichte. Origenes ζ. B. sieht das Jakobuswort erfüllt in dem Sündenbekenntnis vor „dem Priester des Herrn": Origenes, In Lev. Horn. 2,4 (PG 12, 419) u.Johannes Chrysostomus, De Sacerdotio 3, 6 (PG 48, 644). Vgl. dazu P. Galtier, De Paenitentia. Paris 2 1931,312. 55

K. Rahner, De Paenetentia (hektographiertes Skriptum). Innsbruck 3 1955,552.

56

Vg\. Rahner, ebd., 554.

56 FS Mühlsteiger

850

Johannes Mühlsteiger

Gerade der ekklesiale Bezug der Sünde und ihres Bekenntnisses gibt dem Wortfeld von Exomologese eine breitere Basis. Dieser Begriff hat übrigens in den bereits besprochenen religionsgeschichtlichen Fakten ein sachliches Analogon. Exomologese erweist sich nämlich in der frühchristlichen Literatur und Liturgie nicht nur als Akt eines verbalen und formellen Schuldbekenntnisses. Sie schließt vielmehr alle jene nach außen in Erscheinung tretenden Akte ein, die das gesamte Bußverfahren ausmachen (Gebet, Fasten, Wallfahrten, gute Werke, Werke der Genugtuung und Buße) und wegen der öffentlichen Ableistung Bekenntnischarakter besitzen.57 Das ausdrückliche Schuldbekenntnis vor der kirchlichen Gemeinde oder ihrem Vertreter erhält insofern ein besonderes Gewicht, als davon das Ausmaß der zu leistenden Buße abhängt und insofern es für sich alleine schon einen besonders qualifizierten Sühneakt darstellt. 58 Tertullian fordert, daß die Sünde nicht der „humana noticia" entzogen werde (De Paen. 10,7). Ob die „publicatio sui " (De Paen. 10,1), wie sie in der Exomologese geschieht, sich nur auf die öffentliche Ableistung der Bußverpflichtungen oder auf eine Öffentlichkeit des Bekenntnisses, der bestimmten geheim begangenen Sünden erstreckt, läßt sich nicht eindeutig festlegen. 59 Reiche Information über das Bußwesen seiner Zeit gibt uns der Afrikaner Cyprian von Karthago (+ 258). Die Tatsache der Übernahme des griechischen

57

Cyprian, Epist. 17,2 (CSEL 3/1, 522): „ Exomologesis fit inspecta vita eius, qui agit paenitentiam" Tertullian, De Paenitentia 9,3 (CSEL 76, 163): „Exomologesis prosternendi et humilificandi disciplina est." G. Albaspinaeus, De Veteribus Ecclesiae Ritibus Observationum Libri Duo. Helmstadt 1672, 235, definiert die Exomologese: „ ..£sse actus externos poenitentiae ut lacrymas, fletus, jejunia, macerationes, et publicam illam suorum criminum detestationem " Frank, Busdisciplin, (Anm. 29), 34 f. Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 286. 419. K. Rahner, Die Bußlehre des hl. Cyprian v. Karthago, in: ZKTh 74 (1952) 257-276. 381-438, hier 260. S. Hübner, Kirchenbuße u. Exkommunikation bei Cyprian, in: ZKTh 84 (1962) 49-84. 171-185, hier 175 f. Lentzen-Deis, Buße (Anm. 26), 39. Vgl. dazu auch Vogel, Pécheur (Anm. 49), 20. 58

Tertullian, De Paenitentia 9,2 (CSEL 76, 162 f.): „Exomologesis est qua delictum nostrum domino confitemur, non quidem ut ignaro , sed quatenus satisfactio confessione disponitur, confessione paenitentia nascitur y paenitentia deus mitigatur." Vgl. Frank , Bußdisciplin (Anm. 29), 35. 59 Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 288 f. K. Rahner ist der Auffassung, daß zur Zeit Tertullians das kirchliche Bußetun in zwei Phasen ablief: ein Bitten um Zulassung zur eigentlichen Exomologese, die vor der Kirche geschah, und eine Bußleistung in der Kirche an einem eigenen Platz, was ein lokales Eingeführtsein in den Kirchenraum voraussetzt. Dies läßt nicht den Schluß zu, daß die Zuerkennung der eigentlichen Kirchengemeinschaft ein Akt gewesen sei, der sachlich verschieden und zeitlich früher gewesen sei als die Rekonziliation des Sünders. Vgl. Rahner, De Paenitentia (Anm. 55), 109, Anm. 1; J. Gartmeier, Die Beichtpflicht. Regensburg 1905,94 f.

Exomologese

851

Ausdrucks „Exomologesis" durch die afrikanischen Väter legt nahe, daß es sich um einen Terminus handelt, der in der Bußtheologie und Praxis bereits einen festen Platz innehatte,60 wenngleich der Begriff inhaltlich variieren konnte. In seiner Schrift De Lapsis, 28 61 hält Cyprian den Libellatikern das Beispiel jener vor, die in der Verfolgung standhaft geblieben sind, aber mit dem Gedanken gespielt hatten, das geforderte Opfer darzubringen oder in den Besitz eines Libellus zu gelangen. Von diesen Gedankensündern schreibt Cyprian, daß sie daran dachten, „hoc ipsum aput [sic!] sacer dotes Dei dolenter et simplieiter confitentes exomologesim conseientiae faciant, animi sui pondus exponant" . Exomologesis ist an dieser Stelle wie an manch anderen 62 aus dem Zusammenhang heraus als Bekenntnis im weitesten Sinn zu deuten. Während Josef Grotz den zusammengeordneten Begriff „exomologesim conscientiae" als ein Bekenntnis aus dem Gewissen heraus interpretiert, 63 sieht Siegfried Hübner in dem Genitiv „conscientiae" den Gegenstand des Bekenntnisses, was an dieser Stelle inhaltlich mit Bekenntnis des bedrückten oder belasteten Gewissens wiederzugeben wäre. 64 An einigen Stellen der Schriften Cyprians kann die Formulierung „exomologesim facere" nicht das Bekenntnis sein, mit dem der Bußprozeß vor dem Bischof eingeleitet wird, weil er als der Bußleistung (,,poenitentiam agere") folgend dargestellt wird. Eine Buße ohne Bekenntnis war aber nicht sinnvoll. Es muß sich demnach um eine Bekenntnisform handeln, die nicht mehr einzeln artikulierte Sünden bekannte. In der Epistula 55,29 65 wird zwischen „confessio" und „exomologesis" unterschieden. Will man eine Tautologie nicht annehmen, so ist „confessio", die als etwas von der Exomologese

60

Frank,

61

Bußdisciplin (Anm. 29), 35.

Cyprian, De Lapsis 28 (PL 4,488; CSEL 3/1, 257).

62

Cyprian, De Testimoniis III 114 (CSEL 3/1, 182). „In Psalmo VI: Apud inferos autem quis confitebitur tibi. Item in Psalmo XXVIIII: Numquid exomologesim faciei tibi pulvis? Item alibi exomologesim faciendam: Paenitentiam peccatoris malo quam mortem. " Ders., De Lapsis 31 (CSEL 3/1, 260): „Azariasprecatus est et aperuit os suum et exomologesim faciebat Deo simul cum sodalibus suis in medio igni. u 63 J. Grotz, Die Entwicklung des Bußstufenwesens in der vomizänischen Kirche. Freiburg i.Br. 1955,90. 64

Hübner, Kirchenbuße (Anm. 57), 184. Der Autor setzt sich in diesem Artikel sehr ausführlich mit der Deutung der Bußtheologie Cyprians, insbes. auch mit seinem Exomologesebegriff durch J. Grotz auseinander. 65

test

CSEL 3/1, 647: „Quia apud inferos confessio non est nec exomologesis fieri po-

852

Johannes Mühlsteiger

Verschiedenes dargestellt wird, als ein das Bußverfahren einleitendes Bekenntnis zu verstehen. 66 Neben „ confessio" und „ exomologesis" in der oben angeführten weiteren Bedeutung läßt sich verschiedentlich für den letzteren Ausdruck ein engerer technischer Sinn präzisieren. Er wird für jenen Abschnitt des Bußverfahrens verwendet, der zwischen der Bußleistung und der Rekonziliation liegt. Genauerhin handelt es sich um jenen, der sich vor dem Bischof und dem Klerus sowie der versammelten Gemeinde unmittelbar vor der die „pax" gewährenden Handauflegung durch den Bischof steht: Epist. 16,2: „ ..jtondum paenitentia acta y nondum exomologesi facta, nondum paenitentia episcopo et clero imposita" 67 Exomologese bedeutet bei Cyprian im engeren Sinn ein Bekenntnis des Sünderseins durch das Einnehmen eines besonderen Platzes in der Kirche und durch das kniefällige Bitten um Rekonziliation vor der Gemeinde und ihrem Vertreter. Faßt man die Bedeutungsanalyse des Ausdrucks zusammen, so kann man feststellen, daß bei den griechischen ebenso wie bei den lateinischen Vätern (namentlich bei Tertullian und Cyprian) Exomologesis sowohl die Bedeutung von Sündenbekenntnis im eigentlichen Sinn hatte als auch jene äußeren Akte bezeichnete, die im Rahmen des Bußverfahrens öffentlichen Charakter besaßen. 68 Offenbar wurde auf das Bekenntnis ein solcher Wert gelegt bzw. das Bekenntnis als ein so wesentlicher Aspekt im Entsündigungsprozeß angesehen, daß dem Ganzen der Name eines Teiles gegeben wurde. 69 Im Bekenntnis und der damit verbundenen Beschämung sah man ein gutes Stück „Buße" als bereits geleistet. Irenäus berichtet beispielsweise von der Frau eines Diakons, die nach der Verführung und Schändung durch einen Zauberer sich bekehrte und

66 Albaspinaeus, De Veteribus Ecclesiae Ritibus (Anm. 57), 238; Rahner, Bußlehre (Anm. 57), 259. Beide Autoren interpretieren die beiden Termini als begriffsinhaltlich verschieden, während Poschmann sie an der oben angeführten Stelle und in De lapsis, 28 als inhaltlich gleichbedeutend auslegt. Vgl. Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 419. 67

CSEL 3/1, 519. Vgl. auch Epist. 15,1; 17,2; 18,1; 19,2; 20,3; Albaspinaeus, De Veteribus Ecclesiae Ritibus (Anm. 57), 237 f.; Benedikt XIV., De Synodo Dioecesana. Bd. 1. Augsburg 1769, lib. VII, c. X V I , 316; J. A. Binterim, Die vorzüglichsten Denkwürdigkeiten der Christ-Katholischen Kirche aus den ersten, mittlem und letzten Zeiten. Bd. 5/2. Mainz 1829, 213; E. Vacandard, Art. Confession du I e r au X I I I e siècle, in: DThC 3,838-894, hier 854 f. 857. 68 Vgl. C.A. G. v. Zezschwitz, System der christlich kirchlichen Katechetik. Bd. 1: Der Katechumenat oder die Lehre von der kirchlichen Erziehung. Leipzig 1863,464 f. 69

Gartmeier, Beichtpflicht (Anm. 59), 82, Anm. 2.

Exomologese

853

den Rest ihres Lebens in der Exomologese zubrachte. 70 Erst mit dem allmählichen Verschwinden der öffentlichen Buße „kommt Exomologesis gar nicht mehr oder doch höchst selten in der Bedeutung: Buße oder Bußwerk vor, sondern es wird immer gebraucht, um Sündenbekenntnis zu bezeichnen"71. Bisweilen wurde der Ausdruck in späterer Zeit für Bußprozessionen und Litaneien verwendet, wahrscheinlich als Reminiszenz an jene Übungen, die im Rahmen des Bußverfahrens verrichtet wurden. 72 Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Bedeutung von ,, έξομολογεΐσθαι " hat man die Frage erörtert, ob der Ausdruck je für die geheime Ohrenbeichte gebraucht worden ist. Der Bischof von Orléans und bedeutende Patristiker Gabriel Albaspinaeus (de Γ Aubespine, + 1619) widmet in seinen „Observationes de veteribus ecclesiae ritibus" dem Fragepunkt eine ganze „Observatio" (XXVI) und versucht anhand der wichtigsten Väterstellen nachzuweisen, daß die Exomologesis eine verschiedene inhaltliche Breite haben, niemals aber ausschließlich die Ohrenbeichte damit gemeint gewesen sein kann. 73 In diesem Sinne äußerte sich Benedikt X I V . in seinem berühmten Werk „De Synodo Dioecesana".74 Im 19. Jahrhundert entspann sich darüber neuerlich eine Diskussion, wobei die eine Partei durch evangelische bzw. anglikanische, die andere durch katholische Theologen vertreten war. 75

70 Irenaeus, Adv. Haer. I 13,5 (PG 7, 588 bzw. Ed. W. W. Harvey [Canterbury 18571 1,122): „ τον ώταντα χρόνον έξομολογουμένη διετέλεσε 71

Frank , Bußdisciplin (Anm. 29), 37.

72

So ζ. Β. wird im c. 6 des 17. Konzils von Toledo (a. 694) eine allgemeine Bußprozession auf folgende Weise angeordnet: „Exomologeses votis gliscentibus celebrentur: quatenus dum generalem omnipotens Dominus afflictionem perspexerit, et delictis omnibus miseratus indulgeat, et saevientis diaboli incitamenta ab animis omnium procul efficiat." (Conciliorum collectio regia maxima. Ed. Joh. Harduinus. Bd. 3, 1810.) Die Synode von Mainz (a. 813) macht einen Unterschied zwischen „Litaniae" und „Exomologeses": „ Inter litanias et exomologeses hoc differì , quod exomologeses pro sola peccatorum confessione agantur: litaniae vero indicantur propter rogandum deum et impetrandam in aliquo misericordiam ejus. Sed nunc jam utrumque vocabulum sub una designatione habetur(Ebd. Bd. 4, 1014.) Vgl. dazu Binterim, Denkwürdigkeiten (Anm. 67), 208 f. 73 74 75

Albaspinaeus, De Veteribus Ecclesiae Ritibus (Anm. 57), 232-239. BenediktXIV., De Synodo Dioecesana (Anm. 67), Bd. 1, c. XVI, N. VI, 316.

Binterim, Denkwürdigkeiten (Anm. 67), 211-216; Frank, Bußdisciplin (Anm. 29), 36-48. Insbesondere haben sich dazu geäußert der evangelische Theologe Joh. Chr. W. H. Augusti (+ 1841), der anglikanische Theologe J. Bingham (+ 1723) und die katholischen Theologen H. Klee (+ 1840) sowie A. J. Binterim (+ 1855).

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I I I . Notwendigkeit des Bekenntnisses Über die Buße als Sakrament finden wir in der Kirche lange Zeit keine systematisch-lehrhaften Darlegungen. Vielmehr sind es schriftliche Zeitdokumente über die Praxis, die uns Einblick in die Bußdisziplin gewähren. Wie oft im Leben, ging auch hier die Praxis der Theorie voraus. 76 Die Worte Jesu an die Apostel: „Welchen ihr die Sünden nachlaßt, denen sind sie nachgelassen und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten" (Joh 20,23; vgl. Mt 16,18) setzen beim Empfänger dieser Vollmacht eine Beurteilungsmöglichkeit und einen Akt richterlicher Entscheidung voraus. 77 Es gehört zur Eigenart richterlichen Vorgehens, daß man sich ihm nicht entziehen kann. Könnte man nämlich Lossprechung unabhängig von dieser Gewalt erwirken, wäre sie illusorisch. Wenn der Sündiggewordene eine solche richterliche Gewalt nach seinem Belieben annehmen oder von sich weisen könnte, dann nur, falls ihm ein anderes Mittel zur Verfügung stünde, um dieselbe notwendige Wirkung zu erreichen. Ein solches Mittel kann an sich, d. h. außer im Falle einer Notwendigkeit, nach den Aussagen der Schrift niemals die Sakramente ersetzen. Dies wird bei der Taufe als Rechtfertigungssakrament durch Glaube und Liebe deutlich sichtbar. Wenngleich der Glaube es ist, der rechtfertigt, so ersetzt er das Sakrament dennoch nicht. Sakramente werden nicht nach Belieben durch subjektive innere Akte des Menschen ersetzt, sondern sind die geschichtliche Konkretisierung dieser Akte in der Kirche. Würde demnach vollkommene Reue ohne inneren Bezug auf Bekenntnis und Sühne rechtfertigen, könnte man dies mit gleichem Recht von Glaube und Liebe in Bezug auf die Taufe sagen. Auf diese Weise würde aber die spezifisch christliche Heilsökonomie, in der die unsichtbare Gnade durch das fleischgewordene Wort unter uns sichtbar und greifbar geworden ist, in Frage gestellt. 78 Wenn also feststeht, daß die nach der Taufe begangenen Sünden nach dem Willen des Herrn der Gewalt seiner Kirche zu unterwerfen sind, ist auch die Notwendigkeit des Bekenntnisses gegeben, denn ohne dieses gibt es keine Kenntnis. Wer vergibt, muß aus der Natur der Sache heraus wissen, was er vergibt. Was man nämlich im Stande der Unkenntnis verzeiht, wird eigentlich nur per accidens vergeben. Weil aber in der Buße die Vergebung der Schuld als formale Wirkung des Sakramentes anzusprechen ist, wird die Kenntnis der Schuld erfordert, nicht nur und gerade deswegen, damit der Absolvierende weiß, ob er zu vergeben in der Lage sei, sondern hauptsäch-

76

Vgl. Galtier, De Paenitentia (Anm. 54), 314.

77

Cone. Trid., sess. XIV., c. 5, cc. 6 ff.; Galtier, De Paenitentia (Anm. 54), 311.

78

Rahner, De Paenitentia (Anm. 55), 543 ff.

Exomologese

855

lieh aus dem Grunde, damit er wisse, was er vergibt. 79 Diesem richterlichen Urteil sind auch die durch vollkommene Reue getilgten Sünden zu unterwerfen, denn für das Bußgericht ist jene Schuld als noch nicht getilgt anzusehen, die nicht direkt durch das Sakrament vergeben worden ist. Die Frage, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, nach erhaltener Generalabsolution auf jeden Fall innerhalb eines Jahres, vorausgesetzt, daß dies nicht unmöglich ist, die Sünden zu bekennen,80 wird von dem inneren Bezug, der zwischen Reue und Bekenntnis besteht, ihre Klärung finden müssen. Die für den Nachlaß der Sünde auf der Ebene der Kirche erforderliche Trias von Seiten der Sündiggewordenen sind Reue, Bekenntnis und Buße. Ohne Bekenntnis würde eines jener Elemente fehlen, die sowohl Schrift als auch Tradition als unabdingbar ansehen. Von Anfang an betrachtete der vor Gott und der Kirche Schuldiggewordene eine Unterwerfung unter die kirchliche Gewalt als unabdingbare Forderung. Auch Sühne und Bußleistung geschahen in und mit Hilfe der kirchlichen Gemeinde.81 Das vielleicht älteste außerbiblische Dokument, 82 das einen etwas detaillierten Einblick in die Ausformung der kirchlichen Gemeindeordnung gewährt, ist die Didache. In Did 4,14 vernimmt man die Forderung: „In der Versammlung (,, έκκλεσίοΓ) bekenne (,, έξομολογήση") deine Sünden und tritt zu deinem Gebet nicht mit schlechtem Gewissen heran." Für die sonntägliche Eucharistiefeier wird vorgesehen (Did 14,1): „Am Herrentag aber kommt zusammen, brechet Brot und danket, nachdem ihr eure Sünden bekannt habt (,> προεξομολογησάμενοι "), damit euer Opfer rein sei." Die Tatsache, daß beide Stellen das Sündenbekenntnis in den Rahmen einer gottesdienstlichen Versammlung, genauerhin einer Eucharistiefeier stellen, läßt nicht unbedingt darauf schließen, daß es sich um ein gemeinschaftliches Bekenntnis handelt, das rituellen, liturgischen Charakter trägt. 83 Es kann durchaus der Fall sein, daß der einzelne sich durch diese Aufforderung angesprochen fühlen sollte, im Sinne der Mahnung von 1 Kor 11,28 sich selbst zu prüfen, bevor er von diesem Brot ißt, und sein Versagen zu bekennen.84 Ein Anhaltspunkt für ein Bekenntnis, das eine sakra79

Vgl. P. Charles, Doctrine et pastorale du sacrament de pénitence, in: NRTh 75 (1953) 449-470, hier 464. 80 NP (Anm. 2), Nr. VII. 81

P.Anciaux, Das Sakrament der Buße. Mainz 1961, 121. Uber den notwendigen Gemeinschaftsbezug der Sünde im A T siehe R. Knierim, Die Hauptbegriffe für Sünde im Alten Testament. Gütersloh 1965, bes. 57 f. 98 f. 107 f. 82 7. P.Audet, La Didaché. Instructions des Apôtres (EtB). Paris 1958,197. 83

Gartmeier, Beichtpflicht, (Anm. 59); Audet, Didaché (Anm. 82), 345 u. 461.

84

Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 89.

856

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mentale Wirkung einschließt, liegt vielleicht in dem Umstand, daß die Versammlung bzw. die Kirche als Kirche Gottes erscheint (Did 9,4), in der der Bischof im Namen Gottes spricht und sein Zuchtrecht ausübt (Did 4 3 ; 15,3).85 Am ehesten wird man unter,, εξομολογείσθαι " ein individuelles Bekennen der Schuld vor Gott in Form eines Gebetes oder einer allgemeinen Bekenntnisformel verstehen können, mit der Bitte um Reinigung des Gewissens als Erfordernis für ein wirksames Gebet und Gott wohlgefälliges Opfer. Eine allgemeine Anklage durch den Sünder selbst kennt sowohl das Judentum im Rahmen des wöchentlichen Synagogengottesdienstes als auch das ganze christliche Altertum mit der stehenden Bezeichnung Sündenbekenntnis. Dieses wird häufiger im Sinne eines allgemeinen Bekenntnisses vor Gott denn als ein spezielles und individuelles vor den Vorstehern der kirchlichen Gemeinde verstanden. 86 Daß die Kirche bereits in ihren ersten Anfängen ein Bekenntnis der einzelnen Sünden gekannt hat, wird damit nicht geleugnet, nur läßt sich dies nicht mit der gewünschten Klarheit aus der Didache beweisen.87 Die Aufforderung zum Bekenntnis der eigenen Schuld, wie es in der Didache dargestellt wird, meint vor allem eine Grundhaltung desjenigen, der sich durch Gebet und Opfer an Gott wendet. Im 1. Clemensbrief erhält die Forderung des Bekenntnisses bereits den Charakter einer unabdingbaren Leistung für die Erlangung der Verzeihung: „Briider, der Herr bedarf nichts von allem; er braucht von niemand etwas, außer daß man ihm ein Bekenntnis ablege" (1 Clem 52,1). Das Schreiben des Clemens richtet sich an die Gemeinde von Korinth, insbesondere aber an die Adresse jener Gemeindemitglieder, die die Absetzung der Presbyter auf dem Gewissen haben. Der Bischof von Rom ruft sie zur Umkehr und Buße mit den Worten auf: „Denn es ist für einen Menschen besser, die Fehltritte zu bekennen, als sein Herz zu verhärten" (1 Clem 51,3). Wenn auch die Tat der Anführer des Aufruhrs in der Gemeinde bekannt war,

oc

Gartmeier, Beichtpflicht (Anm. 59), 73; Rahner, De Paenitentia (Anm. 55), 94 f. J. Höh, Die kirchliche Buße im II. Jahrhundert (BSHT 22). Breslau 1932, 108; Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 90 f.; Audet, Didachè (Anm. 82), 345 u. 461. Er weist bes. auf Psalm 51 (50) hin. A. Strobel, Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde in neutestamentlicher Zeit (AzTh Reihe 1, H. 37). Stuttgart 1968,28 ff. 86

87

F. A. Weiß, Die Sündenvergebung in der Didache, in: ThQ 97 (1915) 113-128, hier 128. Vgl. dazu Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 90 f. u. W. Rordorf, La rémission des péchés selon la Didachè, in: Iren. 46 (1973) 283-297. H. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung (HDG 4/3). Freiburg i. Br. 1978,38, formuliert den Tatbestand absolut: „Das Bekenntnis vor den Menschen, das zugleich Bekenntnis vor Gott, Voraussetzung und Bestandteil des Gebetes ist, darf nicht als individuelle Beichte verstanden werden." Vorsichtiger drückt sich W. Rordorf, La doctrine des Douze Apôtres (SC 248). Paris 1978,68 , aus: „On ne nous dit pas toutefois en quoi consistait la confession des péchés."

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wird von ihnen dennoch ein offenes Eingeständnis des Fehlverhaltens verlangt. Ein solcher Akt des Eingestehens ist der Anfang der inneren Umkehr und hat schon in sich einen besonderen Sühnewert. Die Bereitschaft, jene Werke der Buße zu verrichten, die notwendig sind, um hinreichende Sühne zu leisten, gehört zu dem, was Clemens mit den Worten ausdrückt: „Beuget die Knie eures Herzens" (1 Clem 57,1). Der 1. Clemensbrief bezeugt bereits das, was wir als verbales und reales Bekenntnis bezeichnet haben und als unabdingbar für die Versöhnung mit Gott und der Gemeinde gefordert wird. Josef Höh, der vom Bekenntnis, das große Überwindung kostet, Schmach bringt und Verurteilung einträgt, auf einen öffentlichen Bußakt schließt, 88 scheint mehr aus dem Text herauszulesen, als es die dort geschilderten Umstände unbedingt erforderten. 89 Daß die Gemeinde als solche bei der Entsühnung den Fehlenden eine Hilfestellung zu leisten hatte, stand außer Zweifel und ist durch die altkirchliche Literatur weitgehend belegt. Im sog. 2. Clemensbrief, der ältesten uns erhaltenen Gemeindepredigt 90, werden die Gläubigen aufgefordert, solange sie am Leben sind, Buße zu tun, denn wenn wir aus der Welt geschieden sind, können wir dort nicht mehr bekennen oder Buße tun (,, έξομολογήσασθαι ή μετανοεί ν " 2 Clem 8,3). Als wichtigste Forderungen der Buße gelten für den Verfasser des Schreibens der Bruch mit der Sünde, der Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes (8,4; vgl. 16,2; 17,7) sowie das ,bekennen" (3,3-4) bzw. die „ B u ß e a u s aufrichtigem Herzen" (9,7), die der Mensch als Gegengabe für die Heilung anbietet.91 „'Εξομολογείσθαι" und ,,μετανοεΤν" erscheinen in 2 Clem 8,3 als Wechselbegriffe für Buße, 92 insofern das mündliche Bekennen einen wesentlichen Bestandteil des gesamten Bußprozesses ausmacht, bzw. die gesamte Bußleistung als Bekenntnis anzusehen ist. Wenn Ignatius von Antiochien den Christen von Philadelphia schreibt, daß der Herr allen Bekehrungswilligen vergibt, sofern sie sich zur Einheit mit Gott und der Ratsversammlung des Bischofs bekehren (Phil 8,1), dann ist von einem Bekenntnis nicht ausdrücklich die Rede, aber es setzt ein solches voraus, insofern die Beiräte des Bischofs die nötigen Informationen zu liefern und ihn bei

88

Vgl. Höh, Buße (Anm. 86), 6.

89

Vgl. Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 117, Anm. 4. Vgl. K. Bihlmeyer, Die Apostolischen Väter (SQS 2. Reihe, 1. Heft, 1. Teil). Tübingen 1956, X X I X f. B., der die Schrift im Gegensatz zu D. Völter als literarische Einheit ansieht, setzt die Abfassungszeit ungefähr für das Jahr 140 fest. 90

91

Vgl. Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 129.

92

Vgl. Höh, Buße (Anm. 86), 37.

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Johannes Mühlsteiger

der Untersuchung des Falles zu unterstützen hatten, so daß er in der Lage war, das entsprechende Urteil zu fällen und eine zweckmäßige Buße zu verhängen. 93 Nach der Thematik der beiden Wege des Lichtes und der Finsternis bringt der Barnabasbrief in den Kap. 18-20 eine Paränese, die in der Hauptsache deijenigen im ersten Teil der Didache entspricht. In Analogie zu Did 4,14 liest man im Barnabasbrief (19,12): „Du wirst Deine Sünden bekennen (,, έξομολογήση επί άμαρτίαις σου"); du wirst nicht mit bösem Gewissen zu deinem Gebet gehen, das ist der Weg des Lichts." Von einem Bekenntnis in der gottesdienstlichen Versammlung ist in dieser Schrift nicht die Rede. Ob in den Worten: „Das ist der Weg des Lichts" die Notwendigkeit eines speziellen Bekenntnisses, wie Fr. Frank es meint, „unstreitig ausgesprochen" ist, 94 mag dahingestellt bleiben. Die formale Verwandtschaft mit der Aussage in der Didache läßt jedenfalls auch eine Interpretation im Sinne eines allgemeinen Eingeständnisses eigener Sündhaftigkeit, das der einzelne vor seinem Gebet oder Opfer macht, zu. Von Sündenbekenntnis im Zusammenhang mit Gebet ist auch im Hirten des Hermas die Rede (Vis 1 1 3 ; I I I 1,5). Wenn Hermas schreibt, „daß Gott denen ihre Sünden nicht nachträgt, die sie bekennen" (Sim IX 23,4), wird die sühnende Kraft der Selbstanklage vor Gott deutlich, sagt aber damit weder etwas über die Art des Bekenntnisses noch über das Forum, vor dem dies zu geschehen hat, aus.95 Das Schrifttum der Apologeten und ihrer Zeitgenossen ist viel umfangreicher als jenes der vorausgehenden Generation und macht uns in reicherem Maße mit den Verhältnissen in der Kirche vertraut. So beispielsweise mit der Lage der Büßenden, für die man eine Ordnung der kanonischen Exomologese entwickelt. Entsprechend dem Inhalt von ,Adversus Haereses", dem Hauptwerk des Bischofs von Lyon, Irenaus, wird darin von der Bekehrung von Häretikern gehandelt und im Zusammenhang damit von der von ihnen abzuleistenden Buße. So wird von einem gewissen Cerdon berichtet (III 4 ß ) 9 6 , daß er zur Kirche gekommen (,, εις την έκκλησίαν έλθών") sei und seine Schuld bekannt habe {„έξομολογουμενος"), daß er bald insgeheim Irrlehren vorgetragen, bald aber wieder seine Verfehlungen eingestanden habe {„πάλιν έξομολογούμενος "),

93

Vgl. Gartmeier, Beichtpflicht (Anm. 59), 78.

94

Frank, Bußdisciplin (Anm. 29), 55.

95

Vgl. A. d' Ales , La discipline pénitentielle au II e siècle en dehors dΉermas, in: RSR 4 (1913) 201-222, hier 206. Vgl. Hoh y Buße (Anm. 86), 14 f.; Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 186 f. 96

PG 7,856 f.; Harvey (Anm. 70), 2,17.

Exomologese

859

bis er schließlich überführt wurde und sich von der kirchlichen Gemeinschaft ganz trennte. „In die Kirche Gottes zurückgekehrt" („έπιστρέψασαι εις τήν έκκλησίαν του θεού") sind jene Frauen, die von Anhängern der gnostischen Sekte zu Unzuchtssünden verführt worden waren. Sie haben ihre Verfehlungen eingestanden (,, έξομολογήσαντο"), ebenso alles andere, worin sie in der Gemeinschaft mit den Häretikern schuldig geworden sind (I 6 3 ) . 9 7 Von einer Rückkehr zur Kirche Gottes und von einem Bekenntnis („ έξομολογήσαντο ") wird über Frauen berichtet, die von einem Gnostiker namens Markos verführt worden sind (I 13,5) 9 8 Ebenfalls ein Opfer gnostischer Sektierer wurde eine Gruppe von Frauen, von der jedoch ein Teil im Gewissen gedrängt „offen ihre Schuld bekennen" (,,εις φανερόν έξομολογουνται "), während ein anderer dies zu tun sich scheut und wieder ein anderer unschlüssig bleibt (,,μήτε έξω μήτε εσω ουσαι 13,7)." Es fällt auf, daß in allen Stellen, von denen wir noch den griechischen Text besitzen, nicht das Substantiv „ έξομολόγησις" , sondern das Verbum „ έξομολογεΤσθαι" verwendet wird. Der gemeinsame Sinn des Ausdrucks in den angezogenen Stellen läßt sich wie folgt umschreiben: Das vor der Öffentlichkeit abgelegte Bekenntnis für ein Fehlverhalten. 100 Um jede Verwechslung mit der Pseudokirche der Gnostiker zu vermeiden, präzisiert Irenäus die Gemeinschaft, in die die Schuldiggewordenen zurückzukehren beabsichtigen, als „ έκκλησία του θεου" , denn nur diese ist die Gnadengemeinschaft, die für jeden Christen unumgänglich notwendig ist. 101 Es wäre jedoch voreilig, aus den untersuchten Texten auf eine ausgeformte Institution der Buße in der Kirche zu schließen. Mit Sicherheit kann man für das

97

PG 7,588-592; Harvey (Anm. 70), 1,56.

98

PG 7,588; Harvey (Anm. 70), 1,121.

99

PG 7,592; Harvey (Anm. 70), 1,126 f.

V g l . / / . Holstein, L'Exomologèse dans Γ „Adversus Haereses" de Saint Irénée, in: RSR 35 (1948) 282-288, 285. E. Klebba hat in seiner Übersetzung von ,Adversus Haereses" (Des Heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien [BKV]. Bd. 1, 215) den Ausdruck „ έξομολογούμενος" in III 4 3 mit Glaubensbekenntnis wiedergegeben. Da er für diese Übersetzung keine Erklärung gibt, kann man annehmen, er verwende diesen Ausdruck aus der Überlegung heraus, daß es sich um Häretiker handelt, die ihre Rückkehr in die Kirche durch das Bekenntnis des wahren Glaubens bewerkstelligen. Im Bekenntnis eigener Irrwege in Sachen Glauben liegt ein Bekenntnis zum wahren Glauben. Diese Interpretation von „ έξομολογούμενος" hat aber kaum Anhänger gefunden. Vgl. Höh, Buße (Anm. 86), 98 f. 101 Irenäus von Lyon, Adv. Haereses III 24,1 (Harvey [Anm. 70], 2, 132): „ Ubi enim Ecclesia ibi et Spiritus Dei; et ubi Spiritus Dei , illic Ecclesia , et omnis gratia: Spiritus autem Veritas " Zu „ έπιστρέφει ν εις την έκκλησίαν του θεου" siehe J. Stufler , Die Sündenvergebung bei Irenäus, in: ZKTh 32 (1908) 488-497, hier 489 f.

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Ende des 2. Jahrhunderts annehmen, daß als erste und notwendige Bedingung für die Wiederaufnahme ein Bekenntnis vor der kirchlichen Gemeinschaft erforderlich war. 1 0 2 Dies läßt den Schluß auf eine bestimmte Praxis im Entsündigungsprozeß zu. 1 0 3 Für Clemens von Alexandrien stellt die Buße das vom Herrn vorgesehene Heilmittel für jene Sünden dar, welche man nach der Taufe begangen hat. Diese „zweite Buße" bewirkt für den Menschen Verzeihung durch Reue und Beschämung, „weil er nicht mehr gewaschen wird zur Sündenvergebung" (Str. II 13,58,l). 104 Die Beschämung ist aber eine Wirkung des Bekenntnisses der eigenen Schuld, denn für Clemens säen in Tränen und ernten in Freuden, die in Reue bekennen (Str. II 13,59,3). Im Kontext bedeutet,, έξομολογεΐσθαι " nicht bloß Bekenntnis, sondern das gesamte Bußverfahren mit einer beschämenden Note, bzw. Beschämung begreift Bekenntnis und alle Akte der Buße in sich. 105 Der christliche Gnostiker - im Sinne des Clemens ein Idealchrist - bemitleidet jene, „die nach dem Tode gezüchtigt werden und durch die Strafe unfreiwillig zum Bekenntnis kommen" (Str. V I I 12,78,3). Die Buße muß nun unfreiwillig geleistet werden, nachdem man sie im Leben nicht voll geübt hat, wie es eben der Gnostiker tut, „der ein gutes Gewissen und stete Bereitschaft zum Abscheiden" hat. 106 Man kann die Notwendigkeit des Bekenntnisses kaum dringlicher aufzeigen, als wenn man sie selbst für jene für erforderlich erachtet, die nicht mehr am Leben sind. Der bedeutendste unter den griechischen frühchristlichen Schriftstellern, Origenes, hat sich verschiedentlich mit Fragen, die im Zusammenhang mit der Buße standen, beschäftigt. Die Tatsache, daß Kirchenväter und Schriftsteller häufig und bisweilen ausführlich dieses Thema behandeln, gibt Zeugnis dafür, wie neu und einschneidend die Forderungen der christlichen Buße im Leben der Gemeinde waren. Das verlangte eine Einschulung in das Verständnis dieser neuen Situation. Es ist klar, daß die geistige Hilfe durch die Führer der Gemeinden zu leisten war.

102 Die Notwendigkeit eines Bekenntnisses in den Umstand zu legen, daß die Unzuchtssünden geheime Vergehen waren, ist eine Voraussetzung, die nicht unbedingt zutreffend sein muß. Ebenso scheint es konstruiert zu sein, wenn Fr. Frank deswegen ein mündliches Bekenntnis annimmt, weil die Schuldigen sich so geschämt hätten. Vgl. Frank, Bußdisciplin (Anm. 29), 65. 103 Vgl. D'Alès, Discipline (Anm. 95), 211. 1

T. Fl. Klemens von Alexandria, Die Teppiche (Stromateis). Übers, v. Fr. Overbeck, hg. v. C. A. Bernoulli IL. Früchtel. Basel 1936,274. 105

Vgl. Höh, Buße (Anm. 86), 121.

Klemens, Teppiche (Anm. 104), 622.

Exomologese

861

In der 3. Homilie in Leviticum mahnt Origenes seine Hörer, daß alle in Gedanken und Worten begangenen Sünden Gegenstand eines Bekenntnisses sein müssen, welches vor dem Priester zur Heiligung der Seele und zum Nachlaß der Sünde abgelegt wird. Deijenige, der uns zur Sünde reizt, der Widersacher, wird beim Jüngsten Gericht mit dem Verzeichnis aller Sünden, und wären sie auch die verborgensten, gegen uns auftreten. Er muß aber davon abstehen, wenn wir, ihm zuvorkommend, alles, was er gegen uns vorbringen will, selbst offenbaren und bekannt machten. 107 Dieselbe Aufforderung, die Sünde zu bekennen, kehrt in seiner 2. Homilie in Ps. 37 wieder, wo er den Sünder mit jenen vergleicht, die durch eine unverdauliche Speise sich im Magen beschwert fühlen und erst dann eine Linderung erfahren, wenn sie sich davon befreien. Verschweigt er hingegen seine Verfehlungen, wird er „von dem Schleim der Sünde gleichsam erdrückt und erlischt bald" 1 0 8 . Der Exomologese schreibt der Alexandriner in der 1. Homilie in Ps. 36 die Kraft zu, die Sünde der „fornicatio" zu tilgen. 109 An anderer Stelle konnte bereits darauf hingewiesen werden, daß uns Tertullian in besonderer Weise den Sinn und die Bedeutung des Ausdrucks Exomologese zur Kenntnis bringt. Allein die Tatsache, daß er den Ausdruck aus der orientalischen Bußpraxis übernommen hat, ohne ihn zu übersetzen, läßt den Schluß zu, daß man ihm in der latinisierten Form dieselbe Bedeutung beilegen darf, die wir bei den griechischen Schriftstellern kennengelernt haben. 110 Dort dient das Wort zunächst zur Bezeichnung des Sündenbekenntnisses im eigentlichen Sinn, dann aber auch zur kollektiven Bezeichnung jener Bußwerke, die der öffentlichen Ableistung wegen Bekenntnischarakter haben. Diese sowohl verbale als auch reale Exomologese kann mit Tertullian als „ ministeri um paenitentiae", als Bestätigung der Buße, die „vom Herrn selber zur Wiederherstellung des Sünders eingesetzt ist", umschrieben werden (De Paen. 12,7.8). Die Notwendigkeit eines doppelten Bekenntnisses wird deutlich, wenn Tertullian präzisiert, daß „durch das Bekenntnis die Genugtuung vorbereitet wird, aus dem Bekenntnis die Buße entsteht, durch die Buße aber Gott besänf-

107

Vgl. Origenes, In Levit. Horn. III 4 (GCS 29,308).

108

Origenes, In Psal. 37 Horn. II (PG 12,1386).

109

Origenes, In Psal. 36 Horn. I (PG 12,1328): „Si malorum tibi conscius aliquorum fueris, noli occultare , sed per exomologesim, id est confessionem, revela ea Domino, et spera in eum, et ipse faciei . Hoc est, cum confessus fueris, et revelaveris ei delieta tua, spera in eum quod possis ab eo veniam promer eri, et ipse faciet." Zum ganzen Fragenkreis siehe auch H. J. Vogt, Das Kirchenverständnis bei Origenes (BoBKG 4). Köln 1974,179-187. 110 Vgl. Gartmeier, Beichtpflicht (Anm. 59) 94. Vgl. dazu auch M. Fr. Berrouard, La pénitence publique durant les six premiers siècles. Histoire et sociologie, in: MD 118 (1974) 92-130,106 f.

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tigt wird" (De Paen. 9,2). Jene, die Bedenken gegen die Exomologese hegen, fordert er auf, doch im Herzen zu überlegen, daß „diese die Hölle auslöschen wird" (De Paen. 9,1), und fragt dann weiter: „Wenn Du weißt, daß es gegen die Hölle außer jener ersten Schutzwehr, der Taufe des Herrn, noch einen zweiten Schutz in der Exomologese gibt, warum läßt Du Dein Heil im Stich?" (De Paen. 9,5). An dieser Stelle wird die Exomologese zusammen mit der Taufe als eine der beiden Planken des Heils dargestellt. Damit wird aber die Exomologese für jeden Getauften, der sündig geworden ist, zum unabdingbaren Mittel des Heils. So sehr die „zweite Buße" als persönliche Sühneleistung anzusehen ist, hat sie doch immer auch einen wesentlichen Bezug zur Gemeinde, denn der „Akt" (De Paen. 9,1.2) der Exomologese vollzieht sich notwendigerweise vor der Gemeinde, denn sie „ist eine Anleitung für den Menschen ... zum Herrn zu rufen Tag und Nacht, vor den Priestern niederzufallen, den Lieblingen Gottes die Knie zu umfassen" (De Paen. 9 , 4 ) . i n Der Weg, „durch rein persönlichprivate Buße Gott zu versöhnen, kommt gar nicht in Betracht". 112 Wenn jemand mit einem sündiggewordenen Bruder mitleidet und für ihn betet, ist die Kirche tätig geworden, die „Kirche aber ist Christus" (De Paen. 10,6), so daß in Wahrheit Christus für ihn leidet und beim Vater für ihn bittet, wenn jene sich für ihn einsetzen, und „leicht wird stets erlangt, um was der Sohn bittet" (De Paen.

10,6).

Eine differenziertere Sicht der Institution besitzt Cyprian von Karthago, wenn er auch Gedankensünden als notwendiges Objekt der Exomologese be-

111

Tertullian, De Paenitentia 9,1-14 (CSEL 76, 162-165): „Huius igitur paenitentiae secundae et unius quanto in arto negotium est tanto operosior probatio ut non conscientia sola praeferatur, sed aliquo etiam actu administretur. Is actus, qui magis Graeco vocabulo exprimitur et frequentatur, exomologesis est qua delictum nostrum domino confitemur, non quidem ut ignaro , sed quatenus satisfactio confessione disponitur, confessione paenitentia nascitur, paenitentia deus mitigatur. Itaque exomologesis prosternendi et humilificandi hominis disciplina est conversationem iniungens misericordiae inlicem, de ipso quoque habitu atque victu : mandat sacco et cineri incubare , corpus sordibus obscurare, animum maeroribus deicere , ilia quae peccant tristi tractatione mutare; ceterum pastum et potum pura nosse, non ventris scilicet sed animae causa; plerumque vero jeiuniis preces alere, ingemiscere, lacrimari et mugire dies noctesque ad dominum deum tuum , presbyteris advolvi, [et] aris dei adgeniculari , omnibus fratribus legationem deprecationis suae iniungere" 10,6: „In uno et altero ecclesia est , ecclesia vero Christus: ergo, cum te ad fratrum genua protendis, Christum contrectas, Christum exoras" Vgl. Albaspinaeus , De Veteribus Ecclesiae Ritibus (Anm. 57), 232 f.; Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 288; Höh, Buße (Anm. 86), 55. 119 Poschmann, Paenitentia (Anm. 49), 288.

Exomologese

863

trachtet (De Lapsis 28,20) 113 . Und wenn er wünscht, daß im Bußverfahren die „ causae et voluntates et necessitates " der einzelnen geprüft werden müssen (Epist. 55,6; vgl. auch Epist. 22,2) 114 , so ist damit auch der innere Grund dieser Bekenntnispflicht angegeben. Basilius dem Großen (+ 379) ist die Pflicht, ein Sündenbekenntnis abzulegen, aus der Überlieferung bekannt. Zu einem solchen Bekenntnis erklärt der Kirchenvater, daß es nicht bloß im stillen Kämmerlein des Herzens abgelegt werden soll, sondern vor jenen, denen die Ausspendung der göttlichen Geheimnisse anvertraut ist. 1 1 5 In der Interrogatio 46 präzisiert er die Notwendigkeit eines Bekenntnisses mit dem Hinweis, daß „jedes Vergehen nach der Anordnung des Herrn dem Vorsteher geoffenbart werden muß, entweder von demjenigen, der gesündigt hat oder von den Mitwissern, wenn sie es nicht selbst heilen können, denn eine Sünde, die verschwiegen wird, ist eine eiternde Krankheit in der Seele" 116 . Wenn Johannes Chrysostomus (+ 407) den Sünder auf die Notwendigkeit aufmerksam macht, zu den Priestern, die ihn von den Banden der Sünde lösen und vom Aussatz heilen können, Zuflucht zu nehmen und sich ihrer Gewalt zu unterwerfen, da ihnen alle Gewalt von Jesus Christus übergeben ist, dann fragt es sich, ob er mit dieser Vergebung und Unterwerfung ein Bekenntnis der Sünden vor dem Priester für notwendig hält. Diese Fragestellung ist um so mehr berechtigt, als verschiedene Autoren 117 aus den Schriften des Kirchenvaters herauslesen zu können glaubten, daß er nicht im Sinne der übrigen Tradition (wie etwa bei Origenes, Basilius und Ambrosius) an der Notwendigkeit des Bekenntnisses festhalte. 118 Es ist zuzugeben, daß Chrysostomus an verschiedenen Stellen seiner Schriften in erster Linie von einem Geständnis der Sündhaftigkeit, einem Bekenntnis vor Gott spricht. Aber jedes Bekenntnis vor dem Stellvertreter Gottes will und muß letztlich eines vor diesem selbst sein. So führt Chrysostomus in der 9. Homilie über den Hebräerbrief neben Reue und Bußwerken das Bekenntnis als Wesenskomponente der Buße auf. 1 1 9 Dieses ist

113

CSEL 3,257 f.

114

CSEL 3,647 u. 535.

115

Basilius, Interrogationes 228 (PG 31,1284).

116

PG 31,1036.

117

So etwa Johannes Dallaeus (Jean Daillé + 1670) in seiner Disputatio de sacramentali sive auriculari Latinorum confessione. Genf 1661, und G. E. Steitz in seinem Buch: Das römische Bußsakrament. Frankfurt a. M. 1854. 118 Frank, Bußdisciplin (Anm. 29), 61; Gartmeier, Beichtpflicht (Anm. 59), 119 f. 119 PG 63, 80, 4: „ κατάγνωσις φροσύνη πολλή" .

των αμαρτημάτων ; έξαγόρευσις"

und „ ταπεινο-

864

Johannes Mühlsteiger

jedoch nicht oder nicht nur im Sinne einer allgemeinen Anklage oder eines allgemeinen Eingeständnisses der Sündhaftigkeit zu verstehen, da in derselben Homilie weiter unten gesagt wird: „Wenn aber einer sagt: ich bin ein Sünder, sie jedoch nicht nach ihrer Art durchgeht und sagt: Diese und jene habe ich getan, der wird niemals aufhören, immer wird er bekennen, aber seine Besserung wird er nicht beachten." 120 In der 48. Homilie zu Mt 14, wo von der Herodias die Rede ist, die ihr Verbrechen durch die Ermordung Johannes des Täufers zu verbergen gesucht hatte, erklärt Chrysostomus, daß die Sünde nicht durch Hinzufügung von Sünden, sondern durch Buße und Bekenntnis verhüllt wird. 1 2 1 Nicht weniger als Chrysostomus betont der Bischof von Mailand, Ambrosius (+ 397), das für jede Sündenvergebung unerläßliche Bekenntnis vor Gott, selbst dort, wo man wegen der verwendeten Ausdrücke wie „pudor", „erubescere" auf ein Bekenntnis vor den Menschen schließen würde. 122 Ambrosius war aber gerade in seinen Auseinandersetzungen mit den Novatianern bemüht, die Schlüsselgewalt der Kirche zu unterstreichen. Der novatianische Rigorismus bei der Wiederaufnahme von schweren Sündern in die Kirche veranlaßte ihn, die Höhe der Bußauflagen entsprechend dem Vergehen zu bemessen.123 Dies setzt aber voraus, daß die Priester Kenntnis von der Sünde erhielten. Mag jemand auch noch so gefehlt haben, meint der Bischof von Mailand, so steht den Sündern doch der Weg zur Kirche offen, „si ex toto corde et manifesta confessione peccati paenitentiam gérant" 124. Die Notwendigkeit des Bekenntnisses und dessen Sühnewert werden hier besonders deutlich. Die „manifesta confessio" braucht nicht als „publica confessio" verstanden werden. Eher wird man darin ein aufgegliedertes Bekenntnis sehen müssen, ein solches, das also nicht allgemeinen Charakter hatte, sondern den Zustand des Sünders „augenschein-

120

Ebd. 81,5.

121

PG 58, 493: „ * Αμαρτία γαρ ούχ άμαρτίας προσθήκη κρύπτεται άλλα μετανοία και έξομολογήσει." In der 4. Homilie zum 2. Korintherbrief (PG 61,417-427) bespricht der Kirchenvater die Heilmittel für die Seelenwunden und zählt dazu das Bekenntnis auf. 122 Ambrosius, De Paen. II 1,5 (CSEL 73,164): „Et nos ergo non erubescamus fateri domino peccata nostra . Pudor est, ut unusquisque crimina sua rodati De Paen. 117,52 (CSEL 73,184): „ Timeamus dominum, praeveniamus confitendo peccata nostra ..." De Paradiso 14,71 (CSEL 32,1,328 f.): „ Veniabilis culpa, quam sequiturprofessio delictorum ... Neque enim potest quisquam iustificari a peccato, nisi fuerit peccatum ante confessus. " 123 Vgl. E. Göller, Analekten zur Bußgeschichte des 4. Jahrhunderts, in: RQ 36 (1928) 235-298,278. 124 Ambrosius, De Paen. II 3,19 (CSEL 73,171).

Exomologese

865

lieh" machte. Daß man sich zum Zweck der inneren Läuterung nicht bloß an Gott, sondern auch an seine Vertreter zu wenden habe, kommt in den Worten zum Ausdruck: „Willst Du gerechtfertigt sein, dann bekenne Deine Missetat. Das Band der Verbrechen wird durch ein schamerfülltes Bekenntnis gelöst." 125 Die Fastenzeit als besonders geeignet für die Ablegung eines solchen Bekenntnisses anzusehen, empfiehlt Ambrosius mit den Worten: „Seht, jetzt ist die Zeit erschienen, in welcher ihr eure Sünden Gott und dem Priester bekennen sollt. Warum errötet der Sünder, sein Vergehen aufzudecken, die Gott und allen Engeln und allen auserwählten Seelen bekannt und eröffnet sind. Das Bekenntnis befreit vom Tode, öffnet das Paradies und gibt Hoffnung auf die Seligkeit." 1 2 6 Den Ausdruck „confessio" an der jeweiligen Stelle begriffsinhaltlich genau zu bestimmen, ist nicht immer leicht. Von der inneren Anklage Gott gegenüber über das allgemeine öffentliche bzw. geheime und ins einzelne gehende Bekennen vor dem Vertreter der Kirche bis zum Bußetun mit seinen vielfältigen äußeren Genugtuungsakten kann alles unter den Terminus subsumiert werden. 127 Ebenfalls mit dem Novatianismus, insbesondere mit den Thesen eines gewissen Sympronianus setzt sich der Bischof von Barcelona, Pacian (+ 392), auseinander. Der Novatianer leugnet die Bußmöglichkeit nach der Taufe mit der Begründung, daß die Kirche keine Vergebungsgewalt für schwere Sünden besitze und sich selbst zugrunde richte, wenn sie schwere Sünder aufnehme. Einen Abriß der kirchlichen Bußlehre gibt Pacian in seiner „Paraenesis sive exhortatorius libellus ad paenitentiam". Diese Abhandlung darf nach Emil Göller wegen der eingehenden und präzisen Behandlung der Bußlehre und der damit zusammenhängenden Fragen als eine der bedeutendsten Bußschriften bezeichnet werden. 128 Der dritte Teil der Paränese will aufzeigen, daß der Bußauflage ein Schuldbekenntnis, eine Aufdeckung der Vergehen vorauszugehen hat. Pacian verwendet im Gegensatz zu Ambrosius wieder den Begriff Exomologese, meist jedoch ohne ihn näher zu bestimmen. 129 In Abhängigkeit von Cyprian (Ep. 55,17 u. 55,29) 130 erklärt Pacian am Beginn des letzten Kapitels der Paränese: „Me-

125

Ambrosius, De Paen. II 6,40 (CSEL 73,181).

126

Ambrosius, Sermo 25, de S. Quadragesima 9 (PL 17,654 f.).

127

Vgl. Göller, Analekten (Anm. 123), 279.

128 Vgl. Göller, ebd., 250 f. Vgl. auch D. Borobio, La penitencia en la Iglesia hispanica del siglo IV al VII (Nueva Biblioteca de Teologia 40). Bilbao 1978,41 ff. 129 Vgl. Göller, Analekten (Anm. 123), 259, Anm. 58. 130

Vgl. Anm. 73.

57 FS Mühlsteiger

Johannes Mühlsteiger

866

mentote, fratres, quia apud inferos exomologesis non est; nec poenitentia tunc tribui poterit , consumpto tempore poenitendi " (De Paen. 12). 131 Damit unterscheidet der Bischof die Exomologese von der Pönitenz in dem Sinn, daß erst auf die Exomologese hin die Bußauflage erteilt wird. Im übrigen scheint er im Gebrauch des Begriffes Exomologese mehr von Tertullian abhängig zu sein, der, wie erinnerlich, die Exomologese als ein Bekenntnis der Sünde vor Gott bestimmt, durch das die Genugtuung vorbereitet wird mit der Wirkung, daß daraus die Buße hervorgeht. Es finden sich aber auch Stellen, die eine inhaltliche Gleichsetzung von Exomologese und Pönitenz nahelegen, so der Satz im dritten Brief Pacians: „ ...ceterum paenitentia malum non est, cum David dicat: bonum est exomologesim facere" (Epist. 3,17). 132 Eine Sinngleichheit der beiden Ausdrücke ergibt jene Stelle der Paränese, die von Personen spricht, die zwar ihre Vergehen bekannt haben, aber die „ remedia paenitentiae actusque ipsos exomologesis" nicht kennen oder zurückweisen (Par. c. 9). 1 3 3 Man kann dabei an jene Akte denken, die nach Tertullian unter dem Sichhinwerfen zu verstehen waren und nach Pacian in jenen Vollzügen, „die vom Bischof gesehen werden konnten", und im „fiere in conspectu ecclesiae, ... presbyteris advolvi y exoratricem ecclesiam deprecari " bestanden (vgl. Par. c. 10 mit Tertullian, De Paen. 9,4). 134 Aus der Fülle der im Schrifttum Augustins (+ 430) zu unserem Fragepunkt enthaltenen Aussagen seien nur einige wenige herausgegriffen, die besonders charakteristisch sind. Den Evangelienbericht über die Auferweckung des Lazarus bei Johannes nimmt Augustinus zum Anlaß, den Sünder aufzufordern, aus seinem Grabe hervorzutreten, „denn tot lagst du in deinem Herzen wie in einem Grabe, gleichsam vom Stein der bösen Gewohnheit niedergedrückt. Erhebe dich und tritt hervor! Was bedeutet das: erhebe Dich und tritt hervor? Glaube und bekenne, denn wer glaubt, ist auferstanden, wer bekennt, ist hervorgetreten. Warum sagen wir, der Bekennende ist hervorgetreten? Weil er, bevor er bekannte, verborgen war. Wenn er aber bekennt, tritt er aus der Finsternis an das Licht hervor." 135 Welch grundlegende Bedeutung der afrikanische Kirchenvater

131

PL 13,1089.

132

PL 13,1075.

PL 13, 1086. Bei Hieronymus finden wir einen Hinweis auf die Bedeutungsgleichheit der zwei Termini, wenn er aufmerksam macht, daß an vielen Stellen „ confessio" nicht „paenitentiasondern „laus" bedeutet. Vgl. Commentarium in Danielem Lib., c. IX (PL 25,541). 134

PL 13, 1088 u. CSEL 76, 163. Vgl. Hieronymus, Comm. in Ioel., c. 2 (PL 25,

969). 135

Augustinus, In Jo(h)annis Evang. tract. 22, c. 7 (CChr.SL 36,227).

Exomologese

867

dem Bekenntnis im Prozeß der Sühnung und vollen Wiedereingliederung in die Kirche beimißt, bezeugen folgende Aussagen: „Der Anfang unserer Gerechtigkeit ist das Bekenntnis der Sünden." 136 „Wer seine Sünden bekennt und seine Vergehen anklagt, der setzt sich bereits mit Gott in Verbindung." 137 „Bevor du deine Sünden bekanntest, hattest du den Weg Gottes zu dir versperrt, es war kein Weg, auf dem er zu dir kommen konnte. Enthülle das Leben, und du öffnest den Weg, und Christus wird kommen." 138 Ebenso wie Augustinus knüpft Papst Gregor d. Große (+ 604) an den Bericht über die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-44) an, um die Notwendigkeit des Bekenntnisses zu unterstreichen, wenn er schreibt, daß jeder Sünder, solange er seine Schuld im Gewissen versteckt, innerlich verborgen und in seinem Innersten zugedeckt bleibt. „Aber der Tote kommt heraus, wenn der Sünder sein Vergehen bekennt." 139 Derselbe Gregor reiht als einer der ersten jene drei Akte, die von einem wirklich Reuigen geleistet werden müssen, zur Bußfeier zusammen. Es sind dies die geistige Umkehr, das mündliche Bekenntnis und die Strafe für die Sünde. 140 In zunehmendem Maße beginnen die kirchlichen Dokumente vom Bischof bzw. Priester als jener Person zu sprechen, vor der das Bekenntnis abzulegen ist. Durch einen Brief Papst Leos d. Großen (+ 461) an die Bischöfe von Kampanien, Samnium und Picenum werden wir auch über die Art und Weise des Bekennens belehrt. In seinem Schreiben will der Papst jedes Drängen zum öffentlichen Bekenntnis und zur öffentlichen Buße hintanhalten und macht darauf aufmerksam, daß ein öffentliches Verlesen der Sünden gegen die apostolische Regel verstoße. Es genüge vielmehr, daß die Schuld dem Priester allein in einem geheimen Bekenntnis eröffnet werde. ,Jenes Bekenntnis ist hinreichend, das zuerst Gott dargebracht wird, dann auch dem Priester, der für die Sünden der Pönitenten als Fürbitter eintritt." 141 Schließlich macht Leo auf

136

Augustinus, In Epist. Joh. ad Parthos tract. 4, c. 3 (PL 35, 2006).

137

Augustinus, In Joh. Evang. tract. 12, c. 13 (CChr.SL 36,128).

138

Augustinus, Enarr. in Ps. 84, c. 16 (CChr.SL 39, 1175). Weitere Stellen zum Thema Notwendigkeit des Sündenbekenntnisses siehe im Index generalis in: PL 46, 181. 139

Gregor d. Gr., Homiliarum in Evangelia lib. 2, hom. 26 (PL 76,1200 f.).

140

Gregor d. Gr., In Reg. expos. VI 2, 33 (PL 79, 439): „ Tria quippe in unoquoque considerando sunt veraciter poenitente videlicet conversio mentis, confessio oris e vindicta peccati :" Von diesem Kommentar meint Galtier, Paenitentia (Anm. 54), 272, Anm. 1, daß er nicht mit Sicherheit Gregor d. Großen zuzuschreiben ist, daß er aber im Mittelalter als solcher betrachtet wurde. 141

Leo d. Gr., Epistola „Magna indignatone" ad universos episcopos per Campaniam, Samnium et Picenum, 6. Mart. 459 (PL 54,1210 Cs. Vgl. DS 323).

868

Johannes Mühlsteiger

die Gefahr, die ein öffentliches Bekennen für den Sünder in sich birgt, aufmerksam, daß nämlich eine Offenlegung der Sünden eine Bestrafung seitens des bürgerlichen Gerichtes nach sich ziehen und so die Gläubigen vom Bekenntnis der Sünden überhaupt abschrecken könne. 142 Ausdrücklich unterstreicht der Papst die Notwendigkeit des Bekenntnisses in einem Brief an den oströmischen Kaiser Marcian (450-457) mit der Begründung, daß „die Tilgung der Sünde durch nichts erlangt wird, als durch ein wahres Bekenntnis" 143 . Besonders augenscheinlich kommt die Notwendigkeit des Bekenntnisses zum Ausdruck, wenn Isidor von Sevilla (+ 636) von der Wirksamkeit des bekennenden Aktes schreibt, daß er heilt, rechtfertigt, die Verzeihung der Sünde schenkt, daß jede Hoffnung in ihm gelegen und der Ort der Barmherzigkeit dort zu finden sei. 144 Die Zeugnisse der Kirchenväter und Schriftsteller über die Notwendigkeit eines Bekenntnisses, sobald jemand sündig geworden ist, sind eindeutig. Wenn der Ausdruck Exomologese - auch insofern er allein im pönitentialen Bereich verwendet wird - begriffsinhaltlich nicht immer genau bestimmbar ist, so ist er doch jener Terminus, der in formaler Hinsicht auf das Öffentlichwerden hinweist und unter materialem Aspekt den ekklesialen Bezug einer Verfehlung mit der entsprechenden Offenlegung vor der Kirche und der Versöhnung durch sie zum Inhalt hat. Die Synoden der ersten sieben Jahrhunderte haben sich mit der Notwendigkeit zum Bekennen direkt kaum beschäftigt. Es finden sich aber einige Kanones, die indirekt zum Gegenstand handeln und einen Schluß auf die Bekenntnispflicht ermöglichen. Die keltische Kirche und ihre Bußbücher haben eine entscheidende Wende im abendländischen Bußwesen ausgelöst. Die Bestimmungen des altkirchlichen Bußverfahrens lagen für alle Pönitenten gleich oder doch wenigstens für alle, die wegen schwerer Delikte die Buße übernommen haben. Deswegen ist die Buße im wesentlichen gleich. Die Differenzierung liegt hauptsächlich in der Dauer bis zur Gewährung der Rekonziliation, nach der der Pönitent immer noch ein Christ minderen Rechts blieb. Das Hauptanliegen bei dieser Art von Bußdisziplin ging deshalb dahin, festzustellen, ob die vorliegende Sünde die Buße verlange oder nicht. Im Bußverfahren der keltischen Kirche, in der die

142

Ebd.; vgl. auch H. J. Schmitz, Die Bussbücher und die Bussdisciplin der Kirche. Mainz 1883,67. 143 144

PL 54,931: „ ... cum abolitionem peccati non obtineat, nisi vera confessio "

Isidor von Sevilla, Synonymorum de lamentatione animae peccatricis libri II. Lib. I, 53 (PL 83, 839): „Confessio sanat, confessio justificat, confessio peccati veniam donat, omnis spes in confessione consistit, in confessione locus misericordiae est" Über die Bußtheologie Isidore siehe auch Borobio, Penitencia (Anm. 128), 289.

Exomologese

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einmalige öffentliche Buße mit endgültigen Folgen nicht mehr gegeben ist, vielmehr die wiederholbare Buße als selbstverständlich vorausgesetzt wird, erhebt sich für den Verwalter dieser Bußweise die Frage, welche Bußwerke dem Pönitenten aufzuerlegen sind. Seine Aufgabe ist es, die Größe der Schuldhaftigkeit bei den einzelnen Vergehen abzuschätzen und eine entsprechende Bußleistung in Form bestimmter guter Werke aufzuerlegen. Die Bußbücher wollen bei dieser Aufgabe eine Hilfestellung bieten. Sie stellen für möglichst alle in der Praxis vorkommenden Fälle die entsprechenden Strafsätze auf. 145 Der französische Bußhistoriker Boudinhon hat dieses System deshalb als „pénitence tarifée" (Tarifbuße) 146 bezeichnet. Daß im Rahmen eines solchen Bußverfahrens ein Sündenbekenntnis verlangt wurde, ergibt sich aus der Natur der Sache. Ohne ein solches war eine Tarifbußauflage gar nicht möglich. Es war sogar ein sehr differenziertes Bekennen verlangt, da die Bußauflage genau auf alle konkreten Umstände der Sünde abzustimmen war. Das Bekenntnis bekommt so psychologisch für das Bewußtsein der Menschen ein größeres Gewicht als in der alten Praxis, wo bei den für alle Büßer gleichen Endfolgen der Bußübernahme auf die Genauigkeit des Bekenntnisses vielleicht weniger Wert gelegt wurde. Die große Zahl der inzwischen auch in Frankreich entstandenen Bußbücher, ihre weite Verbreitung und ihre immer neuen Kombinationen zeigen, wie sehr im 8. Jahrhundert die neue Bußart im Leben der Kirche Eingang gefunden hat. Die Überlagerung der bodenständigen Bußdisziplin durch die keltischfränkische hat eine große Verwirrung und Ungleichheit und damit Laxheit in der Bußdisziplin zur Folge gehabt. Auf Veranlassung Karls des Großen wurden nun im Frankenreich in einer Reihe von Reformsynoden (allein im Jahre 813 zu Tours, Chalon, Reims) Vorkehrungen getroffen, um dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten. Die Möglichkeit der Wiederholung des Bußsakramentes nach der neuen Bußpraxis rückte im Laufe der Zeit das Problem der Häufigkeit der Beichtpflicht in den Vordergrund. Seit Ende des 8. Jahrhunderts ist für die fränkische Kirche eine periodische Pflichtbeichte, sei es einmal oder dreimal im Jahr, bezeugt. 147 Es scheint aber, daß das neue Gesetz nicht überall widerspruchslos hingenommen wurde. Gegen die Verweigerung der Annahme der neuen Verpflichtung wendet sich unter anderen Alkuin.

145

Vgl. B. Poschmann, Die abendländische Kirchenbuße im frühen Mittelalter (BSHT 16). Breslau 1930,8 f. 146

A. Boudinhon, Sur l'histoire de la pénitence, in: RHLR 2 (1897) 497.

147

Vgl. Poschmann, Kirchenbuße (Anm. 145), 179.

870

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Man muß es als Verdienst Alkuins (+ 804) bezeichnen, die lehrhafte Seite der Notwendigkeit des Bekenntnisses besonders entwickelt und die entsprechenden Belegstellen aus der Schrift beigebracht zu haben. 148 In einem Schreiben an die ,3nider und Väter" im westgotischen Gallien (zwischen Rhône und Pyrenäen) bringt er seine Entrüstung über die dort eingerissene Unsitte zum Ausdruck, wonach niemand von den Laien sein Bekenntnis den Priestern abzulegen bereit sei. 149 Durch den Ausdruck „inoluisse" gibt er zu verstehen, daß es sich um eine Gewohnheit handelt, die bereits älteren Datums ist. Ebenso legt die Formulierung „Niemand von den Laien" die Vermutung nahe, daß die gerügte Gewohnheit auf eine grundsätzliche und vorsätzliche Überlegung zurückzuführen sein wird. Diese Annahme findet ihre Bestätigung in dem Bemühen des angelsächsischen Theologen, die Frage der Bekenntnisnotwendigkeit von Grund auf, vor allem durch das Studium der einschlägigen Schriftstellen, zu erörtern. Nach einem Hinweis auf die Binde- und Lösegewalt, die Christus dem Petrus und seinen Mitaposteln übertragen hat, fragt er, was wohl die priesterliche Vollmacht zu lösen vermag, wenn der Verwalter des Bußsakraments die Bande, die den Sünder festhalten, nicht kennt. Die Ärzte, so meint Alkuin, werden ihre heilende Tätigkeit einstellen, sobald die Kranken sich weigern, ihre Wunden zu zeigen. Um wie viel mehr erfordern die Wunden der Seele die heilende Hand des geistlichen Arztes. 150 Direkt an die Adresse der Bekenntnisverweigerer gerichtet sagt Alkuin: „Mensch, du willst Gott bekennen, dem, ob man will oder nicht, nichts verborgen bleiben kann. Und der Kirche Christi, in der du schuldig geworden bist, vernachlässigst Du, Abbitte zu leisten. Warum hat Christus den von ihm (vom Aussatz) Gereinigten befohlen, sich den Priestern vorzustellen (Mt 8,4) und warum hat er anderen befohlen, den nach vier Tagen zum Leben erweckten Lazarus von den Banden zu lösen (Joh 11,44)?" 151

148 Vgl. A Teetaert , La confession aux laïques dans l'Eglise latine depuis le V I I I e jusqu'au X I V e siècle (Universitas Catholica Lovaniensis, Series. II. torn. 17). Wetteren 1926,18.

149

Alkuin , Epistola CXII (PL 100, 337): „Nos quoque mutuo charitatis officio vestrae sanctitati aliquantulas piae admonitionis litterulas dirigere curavimus, propter quasdam consuetudines quae vestris inoluisse feruntur regionibus. Dicitur vero neminem ex laicis suam velie confessionem sacerdotibus dare , quos a Deo Christo cum sanctis apostolis ligandi solvendiquepotestatem accepisse credimus" 150 Alkuin, ebd.: „Si vulnera corporis carnalis medici manus exspectant, quanto magis vulnera animae spiritalis medici solatia deposcunt ?" 151 Alkuin, ebd.: „Deo vis , ο homo, confiteri, quem nolens volens latere non poteris: Ecclesiae Christi, in qua peccasti , satisfacere negligis. Cur ipse Christus leprosum quem mundavit, sacerdotibus se jussit ostendere? Cur Lazarum quatriduanum resuscitatum alios solvere jussit ?"

Exomologese

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Die Aufforderung des Apostels Jakobus, einander die Sünden zu bekennen, besagt nach Alkuin, daß der Mensch sich an den Menschen, der Schuldige an den Richter, der Kranke an den Arzt wenden soll. Den salomonischen Spruch: Wer seine Sünden verheimlicht, hat keinen Erfolg, doch wer sie bekennt und meidet, findet Erbarmen (Sprüche 28,13), legt er dahin aus, daß niemand auf den Weg des Heils geführt werden kann, der versucht, seine Sünden zu verbergen. 152 Alkuin beruft sich dann noch auf eine Reihe von Stellen aus dem AT, um die Notwendigkeit des Dazwischentretens eines menschlichen, priesterlichen Helfers für die Sündenvergebung aufzuzeigen. Das Schreiben, das sich noch eingehender mit der angezogenen Thematik auseinandersetzt, stellt ein besonders hervorragendes Zeugnis des Bewußtseins davon dar, daß die Sünde eine ekklesiologische Dimension besitzt und daß ebenso ihre Vergebung einer „menschlichen" Komponente bedarf. Die Betroffenheit der Kirche durch die Sünde bzw. die Eingebundenheit der Kirche beim Sündennachlaß bringt Alkuin durch einen Gedanken Augustins zum Ausdruck 1 5 3 , wonach nicht jeder Glaube und jede Liebe zum Sündennachlaß genügen, sondern vielmehr ein in der Einheit der Kirche stehender Glaube und eine ebensolche Liebe sündentilgend wirken. 154 Wie sehr Alkuin die Frage der Notwendigkeit des Bekenntnisses beschäftigt, zeigt auch ein Schreiben an die Adresse religiöser Gemeinschaften in Irland, in dem er die Mitglieder auffordert, sich nicht zu schämen, die Sünden zu bekennen, und durch Buße wiedergutzumachen, was sie gegen den Willen Gottes getan haben. Denn, so meint der Theologe, es ist besser, einen Menschen als Zeugen der eigenen Sünden zum eigenen Heil zu haben, als die Anklage der Teufelslist vor dem Richter aller Zeiten, vor dem Chor der Engel und der Men-

152

Alkuin , ebd. (PL 100, 338): „ Quid ad haec dicitis, quae in eadem epistola leguntur: Confitemini alterutrum peccata vestra, ut deleantur delicta vestra? Quid est, quod dixit : alterutrum? Nisi homo homini, reus ludici, aegrotus medico? Ipsa quoque Sapientia per Salomonem dixit : Qui abscondit scelera sua, non dirigetur (Prov. XXVIII, 13); id est,153non dirigetur in viam salutis, qui peccata sua celare studet." Augustinus, Tractatus 32 in Joannem, n. 8 (PL 35,1645 f.). Alkuin, Comment, in Joannem lib. 4, c. 18 (PL 100, 852): „Accipimus ergo et nos Spiritum Sanctum, si amamus Ecclesiam, si charitate compaginamur si catholico nomine et fide gaudemus. Igitur quantum quisque amat Ecclesiam Christi, tantum habet Spiritum Sanctum. Habemus ergo Spiritum Sanctum, si amamus Ecclesiam ; amamus autem, si in eius compage et charitate consentimus, quam apostolus omnibus virtutibus fiducialiter praeposuit. Quicumque ipsam habet cuncta habebit bona, quia sine ilia nihil proderit, quidquid habere potuerit homo (1 Cor 13)." Vgl. dazu auch Werner von St. Blasien, Deplorationes sanctorum Patrum (PL 157, 925). 154

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ge des ganzen Menschengeschlechtes zu erleben. 155 Solange der Mensch in dieser Welt lebt, bleiben das Bekenntnis und die Buße fruchtbar. Mit auffallender Eindringlichkeit und Ausführlichkeit wendet sich Alkuin an Jugendliche und deren Erzieher, um ihnen klar zu machen, wie notwendig das Bekenntnis der eigenen Schuld ist. Das Bekenntnis ist die Medizin, um die Wunden des Gewissens zu heilen, es ist das sicherste Mittel des Heils. 1 5 6 Dem Sünder, der Ekel vor der Menge seiner Sünden empfindet, empfiehlt der Theologe, um so intensiver sich der Arznei des Bekenntnisses zu bedienen. Wer sich nämlich schämt, dem Arzt die Vielfalt seiner Wunden zu zeigen, wird an der Fäulnis seiner Sünden zugrunde gehen. 157 Die Aufmerksamkeit des Briefschreibers ist so offenkundig auf das Sündenbekenntnis und seine Notwendigkeit gerichtet, daß die Reue als sündentilgendes Moment in seiner Argumentation nicht mehr besonders zum Tragen kommt. Ebenfalls ist in diesem Schreiben der reiche Gebrauch der Schrift zu vermerken, und zwar in einem Umfang, wie er auch später bei der Behandlung dieser Frage kaum mehr festzustellen ist. Eine theologische Vertiefung erfährt die Frage nach der Notwendigkeit des Bekenntnisses durch den Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus, der den verpflichtenden Charakter des Bekenntnisses nicht in dem Umfang wie sein Lehrer Alkuin durch Schrifttexte zu erhellen, sondern die Gründe für die Verbindlichkeit aus der Analyse des Begriffes selbst zu erheben sucht. 158 Ohne Bekenntnis, erklärt der hochangesehene Theologe, kann der geistliche Arzt in der Tat sich keine Rechenschaft über den Stand der Krankheit, an der die Seele leidet, geben, noch kann er die Wunden heilen, die durch die Sünde geschlagen worden sind. Das Bekenntnis ist aber außerdem deshalb besonders gefordert, weil es ein Motiv und zugleich einen hinreichenden Grund darstellt, um den Nachlaß der Sünden durch Gott wegen der Verdemütigung, die es hervorbringt, und

155

Alkuin, Epistola CCXXV (PL 100, 502): „ Melius est habere unum hominem testem peccatorum suorum in salutem animae suae, quam spedare accusationem diabolicae fraudis ante Judicem omnium saeculorum, et ante angelorum choros, et totius humani generis multitudinem 156

Alkuin, Epistola et admonitio Albini ad pueros et adolescentulos, id est, de confessione (PL 101, 652): „ Confessio tua medicina est vulnerum tuorum, et salutis tuae certissimum subsidium. " 157

Alkuin , ebd. (PL 101, 653): „Sed dicis forsan: me terrei meorum magnitudo peccatorum , quinimo tanto magis insistendum est tibi , ο pecca tor, in medicina confessionis, ne pereas in putredine vulnerum, si medico erubescit aperire multiplices ulcerum dolores." 158 Teetaert , Confession (Anm. 148), 34.

Exomologese

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wegen der Zerknirschung, die der Sünder erleidet, zu erreichen. 159 Für Hrabanus Maurus liegt der Grund für die Sündenvergebung nicht mehr in etwas, was dem Bekenntnis äußerlich ist, wie dies etwa noch bei Beda Venerabiiis gesehen wird. Nach dessen Bußverständnis wird nämlich die Vergebung der läßlichen Sünden durch das Gebet der Gläubigen bewirkt und jene der schweren durch die Bußauflage seitens des Priesters. 160 Für den Mainzer Erzbischof ist der Grund der Sündenvergebung vielmehr dem Bekenntnis immanent wegen der Verdemütigung und Bestürzung, die durch dieses hervorgerufen werden. Das Bekenntnis ist es also, das dem Sünder die Verzeihung vermittelt und ihn vor Gott rechtfertigt. 161 Die Notwendigkeit des Bekenntnisses ist also nicht mehr der Buße nachgeordnet, das Bekenntnis ist vielmehr in sich notwendig. Das neue Verständnis des Wertes des Bekenntnisses durch den Mainzer Theologen will indes die Wirkkraft der Bußleistung nicht mindern, sondern vielmehr den Sühnewert des Bekenntnisses unterstreichen. Im ersten Teil der Homilie 55 stellt er nämlich eine Abfolge der Entsündigungsakte auf, in der die „delictorum indulgentia" unmittelbar durch die „poenitentia" bewirkt erscheint. 162 Unter dem Einfluß dieser Auffassung verlagerte sich der Schwerpunkt im Entsündigungsgeschehen, der in den vorausgehenden Jahrhunderten stärker mit der Bußleistung verbunden wurde, nun auf das Bekenntnis. Dieses wird jetzt als Hauptteil und Wesenselement der Buße dargestellt, und die Wirkungen, die bisher als jene der Buße galten, werden nun dem Bekenntnis zugeschrieben.

159

Hrabanus Maurus , Homilia 55 (PL 110,102): „ Non quod Deus indigeat confessionis nostrae, cui omnia praesto sunt quae cogitamus, loquimur aut agimus; sed nos aliter salvi fieri non possumus, nisi confiteamur poenitentes quae inique gessimus négligentes Ebd. (PL 110, 103): „Quomodo potest medicus vulnus sanare quod aegrotus ostendere erubescit? Deus enim confessionem nostrum desiderai, ut justam habeat causam ignoscendi. Qui peccata sua occultât et erubescit salubriter confiteri, Deum quem testem habet, iterum habebit eum ultorem" 160 Beda Venerabilis, Expositio super epistolam catholicam D. Jacobi, c. V (PL 93,39 f.): „In hac sententia (d. i. confìtemini alterutrum peccata vestra, Jak. 5, 6), ilia debet esse discretio et quotidiana leviaque peccata alterutrum coaequalibus confiteamur, eorumque quotidiana credamus oratione salvari. Porro gravioris leprae immunditiam iuxta legem sacerdotii pandamus, atque ad eius arbitrium qualiter et quanto tempore iusserit purificare cur emus." 161

Hrabanus Maurus, Homilia 55 (PL 110, 103): „ Confessio justificat, confessio venia m peccatis donat. Omnis spes veniae in confessione consistit, confessio opus est misericordiae, salus aegroti, unicum est viribus nostris medicamentum poenitentiae 162

Hrabanus Maurus, Homilia 55 (PL 110,101): „Compunctis igitur cordis ex humilitatis virtute nascitur, de compunctione confessio peccatorum, de confessione poenitentia, de poenitentia vera proveniet delictorum indulgentia

Johannes Mühlsteiger

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Hinkmar , Erzbischof von Reims (+ 882), legt seine Auffassung vom Wert des Bekenntnisses in einem Brief an Hilbold, Bischof von Soissons, nieder. Dieser klagt sich, durch Krankheit behindert, über seine Sünden schriftlich an. Hinkmar gewährt ihm die Absolution mit der Begründung, daß Christus dem Bekennenden die Sünden vergibt und ihn von aller Schuld reinigt. 163 Die Sündenvergebung wird unmittelbar mit dem Bekenntnis in Zusammenhang gebracht. Von einer Buße, die dieselbe Wirkung hervorbringen könnte, findet sich im Schreiben des Erzbischofs von Reims keine Erwähnung, was jedoch nicht bedeuten soll, daß die Sühneleistung aus dem Blickfeld verschwindet oder aus der Bußtrias ausgeschieden wird. Fragt man nach den Ursachen der Akzentverschiebung, so stellt sich die Abfolge der Dinge folgendermaßen dar. Mit der Einführung der Tarifbuße beginnt ein ständiges Schwinden der Bedeutung der Buße. Die Buße, die ursprünglich einen Stand im eigentlichen Sinn des Wortes dargestellt hat, wird nun durch ein Bündel von Bußübungen, deren Umfang an der Verfehlung orientiert ist, abgelöst. Die Pönitenzen konnten bisweilen so beschwerlich und langdauernd sein, daß sie für den Pönitenten unerträglich wurden, falls sie nicht der Priester als Verwalter des Bußsakramentes verminderte oder kommutierte. Mit der Abnahme der Ernsthaftigkeit solch tarifbestimmter Bußauflagen verringerte sich die Bedeutung der Buße selbst, und es rückte gleichzeitig die Wirkkraft des Bekenntnisses als Sühnemöglichkeit stärker ins Bewußtsein und damit in den Mittelpunkt theologischer Überlegungen. 164 Hinzu trat in weiterer Folge, daß das durch die karolingischen Reformsynoden geförderte System der arbiträren Bußbemessung die Bußleistung in ihrer Werthaftigkeit noch mehr schmälerte. Die Pönitentialen hatten nämlich in der Bestimmung der Bußwerke keine Rücksicht auf Alter, Geschlecht und persönliche Verfassung genommen. So wurde es notgedrungen Sache des Priesters, die letzte Bestimmung des Sühneleistungsausmaßes zu treffen. 165 Durch die Gesetzessammlungen des Regino von Prüm 166 und Burchard von Worms 1 6 7 werden wir belehrt, daß sie in ihren

163 Hinkmar v. Reims, Epistola 26. Ad Hildeboldum episcopum Suessionensem (PL 126, 173): „Fideliter confitentibus nobis dimittit Christus nobis peccata nostra , et emundat nos ab omni iniquitate Bei dem schriftlichen Bekenntnis des Bischofs handelt es sich um eine „confessio generalis", d. h. um ein allgemeines Sündenbekenntnis. Hinkmar erinnert ihn nämlich daran, daß er außerdem noch „specialiter et singillatim Deo et sacerdoti " die Sünden bekennen solle. 164

Vgl. Teetaert, Confession (Anm. 148), 39 f.

165

Vgl.7eetaerf,ebd.,40.

166

Regino von Prüm , De ecclesiasticis disciplinis et religione Christiana, libri duo, Lib. I, c. 288 (PL 132,245).

Exomologese

875

Weisungen für die Beichtväter wenig Wert auf die Anwendung der alten Tarifbuße legen. Es bleibt dem Priester überlassen, die Schwere der Schuld abzuwägen und den Umfang der Bußleistung zu bestimmen. Nach diesem System der willkürlichen Bußbemessung werden die Bußwerke derart gemildert, daß sie beim Volk an Prestige verlieren, während das Bekenntnis an Wert zunimmt. Die Theologen ihrerseits versuchen dieses Phänomen zu rechtfertigen. Sie gehen von der Tatsache aus, daß ohne Genugtuung keine Vergebung der Sünden gegeben sein kann. Sie verlegen nun die sündentilgende Kraft in das Bekenntnis selbst, insofern sie dieses als eine Sühne betrachten wegen der Beschämung, die es hervorruft, und der Verdemütigung, die daraus entsteht.168 Damit ist aber genaugenommen die alte These von der sündentilgenden Kraft der Buße nicht fallengelassen, da das Bekenntnis selbst als Buße und sogar als Buße schlechthin gewertet wird. Dabei darf nicht vergessen bleiben, daß bereits Tertullian auf den inneren Bezug zwischen Exomologese und „erubescentia" bzw. „pudor" hingewiesen hat. 169 Alkuin spricht vom „sacrificium confessionis", das das köstliche Geschenk der Verzeihung gewährt. 170 Man kann jedenfalls festhalten, daß zu Beginn des 11. Jahrhunderts die Auffassung, die aus dem Bekenntnis den entscheidendsten Teil des Bußgeschehens macht, nicht mehr allein eine theoretische Überlegung der Theologen geblieben ist. 1 7 1 So berichtet beispielsweise der Bischof von Merseburg Thietmar (+ 1018), daß ein sterbender Priester, nachdem er bereits gebeichtet hatte, seine Sünden auch noch schriftlich dem Beichtvater mit der Begründung vorlegte, daß durch diesen Akt die Beschämung größer würde. 172 Die neue theologische Überlegung findet sich zum ersten Mal ausdrücklich im pseudoaugustinischen Traktat „ D e vera et falsa poenitentia" als Lehre formuliert. 173 Der Sünder, so argumentiert der Verfasser der Schrift, ist so wie die 167

Burchard von Worms, Decretorum Libri X X , über decimus nonus, c. 2 (PL 140,

949). 168

Vgl. Teetaert, Confession (Anm. 148), 40.

169

De Paen. 9 u. 10.

170

Alkuin, De confessione peccatorum ad pueros sancti Martini (PL 101,651). Vgl. Teetaert, Confession (Anm. 148), 42.

171

172

Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon, lib. IX, c. 10. Ed. I. M. Lappenberg, recogn. Fr. Kurze (Scriptores rerum germanicarum in usum scholarum 54). Hannover 1889,245. 173 Wegen der bis ins 15. Jahrhundert dem Traktat zugeschriebenen Autorität des Augustinus hatte er für die Zeit der Scholastik ein unantastbares Ansehen. Vgl. K. Müller, Der Umschwung in der Lehre von der Buße während des 12. Jahrhunderts, in: FS K. F. Weizsäcker. Freiburg i. Br. 1892,292 f.

876

Johannes Mühlsteiger

Aussätzigen des Evangeliums gehalten, sich persönlich dem Priester zu zeigen; er darf sein Bekenntnis nicht vermittels eines Boten dem Priester zur Kenntnis bringen oder sich einer schriftlichen Mitteilung bedienen. Wer selbst gefehlt hat, soll auch persönlich Beschämung erfahren, denn gerade diese hat Anteil an der Vergebung der Sünden. Dadurch nämlich, daß jemand persönlich dem Priester bekennt und die Scham aus Furcht vor Gott, den er beleidigt hat, überwindet, geschieht die Vergebung der Schuld. Wer dem Boten Gottes von all dem, was er begangen hat, nichts verschweigt, leistet eine große Genugtuung, weil er die Beschämung auf sich nimmt. 1 7 4 Die sühnende Kraft des Bekenntnisses liegt in der Überwindung der „erubescentia". Wenn sie auch die Sünde nicht direkt tilgt, so macht sie doch das „peccatum mortale" zu einem „venia/ e " 1 7 5 , wobei „ veniale " nicht im engeren, heutigen Sinn von läßlicher Sünde zu nehmen ist, sondern in der ursprünglichen Bedeutung von verzeihbar, so daß der Sünder des Erbarmens Gottes würdig wird. Je stärker die Beschämung, umso größer die Verzeihung. Der Mensch wird des Erbarmens Gottes würdig, wenn er durch geistige Anstrengung um Gnade bittet. Die Bemühung des Geistes liegt in der Überwindung der Scham durch das Bekenntnis. „Weil das Erröten eine große Bestrafung darstellt, ist jener des Erbarmens würdig, der schamrot für Christus wird. Folglich wird jener um so leichter die Gnade der Verzeihung erlangen, der mehreren gegenüber auf Vergebung hoffend die Schande seiner Fehler bekennt. Die den Priestern übertragene Binde- und Lösegewalt hat ihre Grenzen in der Disposition des Pönitenten, die sich im Bekenntnis kundtut. 176 Welch große

174

De vera et falsa poenitentia, c. X (PL 40, 1122): „Praecepit enim Dominus mundandis, ut ostenderent ora sacerdotibus (Luc. XVII, 14): docens corporali praesentia confitenda peccata, non per nuntium, non per scriptum manifestanda... Sed qui per vos peccastis, per vos erubescatis. Erubescentia enim ipsa partem habet remissionis: ex misericordia enim hoc praecepit Dominus, ut neminem poeniteret in occulto. In hoc enim quod per se ipsum dicit sacerdoti, et erubescentiam vincit timore Dei offensi, fit venia criminis." 175

Ebd.: „ Fit enim per confessionem veniale, quod criminale erat in operatione ; et si non statim purgatur, fit tamen veniale, quod commiserat mortale. Multum enim satisfactionis obtulit, qui erubescentiae dominons, nihil eorum, quae commisit, nuntio Dei denegavit." 176 Ebd.: „Sed dignus est misericordia, qui spirituali labore petit gratiam. Laborat enim mens patiendo erubescentiam. Et quoniam verecundia magna est poena, qui erubescit pro Christo, fit dignus misericordia. Unde patet quod quanto pluribus confitebitur in spe veniae turpitudinem criminis, tanto facilius consequetur gratiam remissionis. Ipsi enim sacerdotes plus jam possunt proficere , plus confitentibus parcere: quibus remittunt, remittit Deus."

Exomologese

877

Wirkkraft der Verfasser der Bußschrift dem Bekenntnis beimißt, geht aus dem Rat hervor, daß man für den Fall des Fehlens eines Priesters dem Nächsten ein Bekenntnis ablegen könne. Die priesterliche Lossprechungsvollmacht

wird

dabei nicht eingeschränkt, w e i l der Bekennende die Vergebung „ex desiderio sacerdotis"

erhält. Die „Laienbeichte" bewirkt allerdings die Verzeihung nicht

so schnell wie die Lossprechung durch den Priester. 1 7 7 Die Auffassung von der dem Bekenntnis innewohnenden und durch die Beschämung bewirkten Sühnekraft nimmt i m 12. Jahrhundert so an Bedeutung zu, daß sie zur vorherrschenden Auffassung der Theologen und Kanonisten wird. Das Bekenntnis w i r d als notwendig und verpflichtend erachtet, w e i l Verdemütigung, Zerknirschung und Beschämung, die es bewirkt, den Hauptteil der Sühneleistung darstellen. Petrus Damianus bewertet das Bekenntnis als erste Planke des Heils nach der Sintflut und als A k t , der leicht Vergebung e r w i r k t . 1 7 8 In diesem Sinne lehren auch Burchard von W o r m s 1 7 9 und Ivo von Chartres 1 8 0 , um nur einige der einflußreichsten Männer der Kirche zu nennen.

177

Ebd.: „ Tanta itaque vis confessionis est, ut si deest sacerdos, confiteatur proximo Saepe enim contingit, quod poenitens non potest verecundari coram sacerdote , quem desideranti nec locus nec tempus offert . Et si ille cui confitebitur potestatem solvendi non habet, fit tarnen dignus venia , ex desiderio sacerdotis qui socio confitetur turpitudinem criminis. Mundati enim sunt leprosi, dum ibant ostendere ora sacerdotibus , antequam ad eos pervenirent (Luc. XVII, 14). Unde patet Deum ad cor respicere, dum ex necessitate prohibentur ad sacerdotes pervenire. Saepe quidem eos quaerunt sani et laeti: sed dum quaerunt et antequam perveniant ad eos, moriuntur. Sed Dei misericordia est ubique, qui et iustis novit parcere, etsi non tam cito, sicut si solverentur a sacerdote ." 178

Petrus Damianus, Opusculum 49, De Perfecta Monachi informatone (PL 145, 725): „Peccasti aliquando? Non est enim homo qui non peccet; et forte in notitiam venit quia prima post naufragium tabula est culpam simpliciter confiteri ; prompta confessio facilepariat veniam." 179 Burchard von Worms, Decretorum Libri X X , lib. X V I I I , c. 2 (PL 140, 938): „Si ergo infirmi in peccatis sint, et haec presbyteris Ecclesiae confessi fuerint, ac perfecto corde ea derelinquere atque emendare sategerint, dimittentur eis. Neque enim sine confessione emendationis queunt dimitti." Im folgenden Kapitel (ebd.) macht er jedoch die Vergebung nicht nur vom Bekenntnis, sondern auch von der Buße abhängig: „Infirmus qui necessitate mortis urgente confitetur peccata sua, sub ea conditione a sacerdote reconcilietur ut, si ei Dominus vitam donaverit, sanitatemque reddiderit, secundum qualitatem delicti, et secundum canonum statuta et poenitentialium probatorum poeniteat." 180

Ivo von Chartres, Decretum, Pars X V De Poen., c. 27 (PL 161,863): „Neque enim sine confessionis emendatione queunt dimitti." Ebd. c. 48 (PL 161, 869): „Propter ... nudum gemitum et propter illud nudum nomen poenitentiae nullus salvabitur, sed per

878

Johannes Mühlsteiger

Hatten die Theologen dieses Zeitabschnittes das Bekenntnis selbst als vornehmlichstes Bußwerk gesehen, so sollte die immer stärkere Verbreitung der Privatbuße von neuem eine Akzentverschiebung in der Wertung der Einzelelemente der Bußtrias nach sich ziehen. Die theologische Reflexion über die Praxis der Privatbuße führte zu einer deutlichen Unterscheidung zwischen der „poenitentia interna" als Reue und der „poenitentia externa" als Buße im Sinne der Genugtuung. Reue und Buße rückten in Theorie und Praxis so auseinander, daß man die Heilsbedeutung im Entsündigungsprozeß auf die Reue verlagerte und die Zuständigkeit der Kirche und ihres sakramentalen Handelns allein auf die Genugtuung beschränkte. 181 Im Klartext bedeutet dies, daß nicht die „poenitentia externa" die Sündenvergebung vermittelt, sondern daß Gott allein auf Grund der Reue die Vergebung schenkt. Damit wurde die Auffassung, die bis dahin allein für die Sterbenden galt, wonach nämlich die „poenitentia interna" eine höhere Wertigkeit und Wirkkraft als die „poenitentia externa" hatte, auf eine allgemeinere Basis gestellt. 182 Die Sünde wird vergeben wegen der Reue, die aus der Liebe zu Gott erweckt wird. Der Wert der inneren Disposition für die Sündenvergebung wird bereits in der Schrift „De vera et falsa poenitentia" deutlich. Es sei offenkundig, schreibt der anonyme Autor, daß Gott auf das Herz schaut für den Fall, daß der Poenitent aus einer Notwendigkeit heraus nicht zum Priester kommen kann. 183 Ivo von Chartres macht darauf aufmerksam, daß der Reueschmerz einen größeren Einfluß auf Gott ausübt als das Zeitmaß der Buße 184 , und Regino von Prüm mahnt seine Leser, daß die wahre Hinkehr zu Gott weniger eine Sache der Zeit als des Geistes ist. 1 8 5 Der Bedeutung und Stellung der Reue innerhalb des

veram confessionem, et saeerdotis intelligentis consilium et per charitatis per eleemosynarum fructum peccatorum moles subruitur."

affectum,

181

Vgl. L. Hödl, Die Geschichte der scholastischen Literatur und der Theologie der Schlüsselgewalt. Teil 1 (BGPhMA Bd. 38, H. 4). Münster 1960,376. 182 Vgl. Teetaert, Confession (Anm. 148), 87. 183

De vera et falsa poenitentia, c. X (PL 140, 1122): „ Unde patet Deum ad cor respicere, dum ex necessitate prohibentur ad sacer dotes pervenire ." 184 Ivo von Chartres , Decretum, Pars X V De Poen., c. 26 (PL 161, 862): „ Vera ad Deum conversio in ultimispositorum, mente potius aestimanda est quam tempore." Ebd. c. 43 (PL 161, 867): „ Vera conversio in ultimo tempore potest esse, quia Dominus non solum temporis sed etiam cordis inspector est" Ebd. c. 49 (PL 161, 869): „Apud Deum non tarn valet mensura temporis quam doloris ... Propter quod tempora poenitentiae fide et conversatione poenitentum abbrevianda praecipiunt 185

Regino von Prüm, Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis, lib. I, c. 110 (PL 132, 213): „ Vera ergo ad Deum conversio in ultimis positorum mente

et

879

Exomologese

Rechtfertigungsprozesses und ihrer Beziehung zum Bekenntnis und zur Genugtuung wird die Theologie der Folgezeit besondere Beachtung schenken.

I V . Die theologische Diskussion über die Notwendigkeit des Bekenntnisses im 12.Jahrhundert Die bisherigen Darlegungen haben gezeigt, daß die „actio poenitentiae" nicht nur und nicht in erster Linie wegen der Auferlegung einer bestimmten Bußleistung erforderlich ist, sondern daß das Bekenntnis in sich einen bedeutenden Sühneanteil durch die Beschämung, die es hervorruft, besitzt. Theologische Abhandlungen des 12. Jahrhunderts haben sich das Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses als zentrales theologisches Anliegen ausdrücklich gestellt. Dies nicht etwa wegen der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten, die es bietet, sondern weil die Sache in sich komplex ist. 1 8 6

1. Die Problemstellung am Beginn des 12. Jahrhunderts Die Frage nach dem Bekenntnis und seiner Notwendigkeit stellt die Sakramententheologie der Frühscholastik im allgemeinen im Rahmen von Bußtraktaten. Unter den Ausdruck „ confessio" subsumieren die Autoren einmal den gesamten Bußvollzug", dann das Schuldbekenntnis als Voraussetzung zur Erlangung der Absolution. Auch die Laienbeichte ist bisweilen damit gemeint, schließlich auch das Confiteor am Beginn der Messe. Das hat zur Folge, daß man in Einzelfällen zu prüfen hat, welcher der genaue Sinn des Ausdrucks ist. 1 8 7 Allgemein erklären die Autoren, daß die Verfehlungen offengelegt werden müssen, um Verzeihung zu erlangen. Ohne den Charakter der Verpflichtung bzw. des Bekenntnisses näher zu umschreiben, lehren sie, daß der Sünder seine Schuld dem Priester zu bekennen habe. 1 8 8 Bisweilen geschieht es, daß Autoren

potius est aestimanda quam tempore; propheta hoc taliter ingemueris tunc salvus eris."

asseruit:

cum conversus

186 P. Anciaux, La théologie du Sacrement de Pénitence au XII e siècle (Universitas Catholica Lovaniensis, Dissertationes. Series II, Tomus 41). Louvain / Gembloux 1949, 164.

187

Die allgemeinere Anwendung des Wortes „ confessio" im Sinne der eigentlichen Beichte für die kirchliche Buße datiert erst seit der Zeit der Ablösung des öffentlichen durch das private Bußverfahren. Vgl. Poschmann, Kirchenbuße (Anm. 145), 169. 188 Gottfrid von Vendôme, Opuscula VII, De Area Foederis (PL 157, 224 f.): „Argentum ad decorem tabernaculi offerimus, cum per veram et sanetam confessionem

Johannes Mühlsteiger

880

eine große Anzahl von Stellen aus der Schrift und den Vätern zugunsten ihrer Sentenz zitieren, ohne aber auf den Sachsinn des Ausdrucks „confiteor " jeweils näher einzugehen. 1 8 9 Beda Venerabiiis

unterscheidet zusammen mit anderen Autoren, daß einzig

die schweren Sünden dem Priester offengelegt werden müssen, es hingegen genüge, die läßlichen einem Gläubigen zu bekennen. 1 9 0 Schrift- und Vätertexte, aus dem Zusammenhang der gesamten Schriften genommen, bieten bisweilen die scheinbare Möglichkeit die Notwendigkeit des Bekenntnisses zu leugnen. So beziehen sich mit Vorliebe Autoren des 12. Jahrhunderts auf Ambrosius, der sich in seiner Erklärung des Lukasevangeliums dahingehend äußert, daß dem Apostel Petrus seine Tränen die Verzeihung der Schuld erwirkt haben. Für den Fall, daß die Scham vor dem Bekennen unüberw i n d l i c h ist, können Tränen für den Nachlaß der Sünden genügen. 1 9 1 Eine solche Lehre macht zumindest auf den ersten B l i c k das Bekennen überflüssig. Anselm von Laon192

begegnet diesem Einwand, indem er bei der Sündenver-

gebung auf den Unterschied der Rolle Gottes und jener des Menschen hinweist,

animas nostras ab omni contagione peccati et criminis mundamus. Sed ubi, et cui, et quando confessio ipsa fiat, scire debemus. Ubi? Non apud haereticos, sicut saepe solet, fieri sed in Ecclesia catholica unumquemque Christianum necesse est confiteri. Cui ? Suo pastori praecipue, si tamen talis est ille, qui sua et aliena vulnera curare sciat germana charitate non per superbiam detegere et publicare." Bruno von Asti, Expositio in psalmos. Psalmus L X I (PL 164, 919): „ Omnis fidelium multitudo et quicumque in centro divitiarum spem non habetis, effundite coram ilio corda vestra, id est, quidquid i corde habetis, illi revelate et manifestate. Et sicut scriptum est : confitemini alterutrum peccata vestra et orate pro invicem ut salvemini. Deo enim confiteris quod eius vicariis, id est episcopis et sacerdotibus confiteris ." 189

Vgl.Anciaux, Théologie (Anm. 186), 167.

190

Die Sentenz Bedas ist wiedergeben bei Alger von Lüttich, Liber de Misericordia et Justitia, Pars II, c. 37 (PL 180, 912; 0. Lottin, Nouveaux fragments théologiques de Γ école d'Anselme de Laon. Fragment 97, in: RThAM 12 [1940] 49-77, 65 f.): „Beda presbyter venerabilis hune locum ita exponit : confitemini alterutrum peccata vestra (lac. V , 16): ,In hac, inquit, sententia debet ilia discretio esse, ut quotidiana leviaque peccata, alterutrum et coaequalibus confiteamur, eorumque credamus quotidiana oratione salvari. Porro gravioris leprae immunditiam, juxta legem, sacerdoti pandamus, et ad eius arbitrium qualiter et quanto tempore jusserit purificare curemus " 191 Ambrosius, Expositio in evangelium sec. Lucam 10,88 (PL 15, 1826): „Pievit (Petrus) ut lacrymis suum posset lavare delictum : et tu si veniam vis mer eri, dilue lacrymis culpam tuam: eodem momento, eodem tempore respicit te Christus." 192

Anselm von Laon lebte von ca. 1050 bis 1117. Zusammen mit seinem Bruder Radulph leitete er die Schule von Laon und stand in hohem Ruf als Gelehrter. Er gilt als

Exomologese

881

und benützt dafür als Vergleichsbild die Auferweckung des Lazarus. Gott ist es, der dem Sünder das Leben wiederschenkt, er überläßt aber seinen Dienern die Aufgabe, die Bande zu lösen, die den zum Leben erweckten Menschen noch behindern. W e m Gott die Vergebung schenkt, von dem verlangt er noch die Unterwerfung unter den Priester und die Sühnung der Schuld, deren Beginn das Bekenntnis darstellt. Sache des Priesters ist es, die erforderliche Sühne anzugeben.193 Zusammen mit dem Bericht über die Auferweckung des Lazarus w i r d jener über die Heilung der zehn Aussätzigen häufig von den Kirchenschriftstellern gebraucht, u m sowohl das Wirken Gottes als auch jenes des Priesters bei der Sündenvergebung zu illustrieren. Der Aussatz gilt als Symbol der schweren Sünde. Sowohl i m A T als auch i m N T werden die Aussätzigen verpflichtet, sich dem Priester zu zeigen. Durch ihre Vermittlung erhält der Aussätzige die Heilung von seiner Krankheit und der Sünder die Lossprechung von der Schuld. Nach Bruno von Asti 194 obliegt dem Priester die Aufgabe, die gewährte Heilung zu erklären, die Versöhnung mit der Kirche und die Zulassung zu den Sakramenten auszusprechen. 195 Hier w i r d deutlich, daß zur vollen Wiederher-

Mitverfasser der lange Zeit hindurch Walahfrid Strabo zugeschriebenen Glossa interlinearis und ordinaria zu den Psalmen und Paulusbriefen. Vgl. A. M. Landgraf, in: LThK 2 1,595 f. 193

Anselm von Laon, Sententia nr. 171 (F. Bliemetzrieder, Trente-trois pièces inédites de l'oeuvre théologique d'Anselme de Laon, in: RThAM 2 [1930] 54-79, 70): ,,Ιηveniuntur quedam in scripturis, que veritati obviare videntur, ut verbi gratia in ambrosio super lucam : Laerimas petri lego, penitentiam non lego; lacrime delent peccata, que pudor est voce confiteri. Ecce piane videtur velie, quod si aliquem pudeat confiteri, fletus tamen impetret. Quod contra fidem est. Si enim pro pudore dimittit confiteri, superbia est , in qua nemo potest salvari. herum resuscitato lazaro dicitur discipulis: Solvite eum. In quo monstratur aperte, quia peccator ingemiscens a deo vivificatur, sed nunquam nisi per ministros ecclesie solvitur. Agit igitur superior scriptura de eo quod dominus per se facit ad hominem, id est, dimittit peccata, sic tamen ut ille solvatur a sacerdote. Sic enim dimittitur peccatum, ut pena solvatur, cuius inicium est pudor qui in confessione habetur. Cum autem dicitur : Lacrime delent peccata quod voce pudor est confiteri, illud tamen deus dimittit, postquam peccator vere penituerit, ita tamen ut ille penitens a sacerdote solvatur ." 194 Bruno, geboren 1045/49 zu Solero (Piémont), wurde von Gregor VII. zum Bischof von Segni geweiht und war Freund und Berater mehrerer Päpste. 1102 trat er in die Abtei Montecassino ein und wurde später deren Abt. Er starb 1123 und gilt als einer der besten Exegeten des Mittelalters. Vgl. St. Hilpisch, in: LThK 2 2,733. 195

Bruno von Asti, Expositio in Leviticum, c. 13 (PL 164, 421-427. 429): „Moyses autem per lepram corporis nobis lepram animae invisibilem ostendere voluit, utriusque 58 FS Mühlsteiger

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Johannes Mühlsteiger

Stellung des alten Zustandes allein die Vergebung durch Gott nicht genügt. Es muß vielmehr die Aufnahme in die kirchliche Gemeinschaft durch den Priester geschehen. Noch klarer spricht von der Notwendigkeit der ekklesialen Intervention für die volle Eingliederung in die Kirche Geoffroy

Babion,

wenn er

v o m Schuldiggewordenen erklärt, daß er als Geheilter v o m Priester in die K i r che aufgenommen werden m u ß . 1 9 6 A u s der Tatsache, daß die Aussätzigen bereits auf dem W e g zu den Priestern geheilt worden sind, deduziert von Autun 197

Honorius

die Erkenntnis, daß allein schon der Vorsatz zum Bekenntnis von

der Sünde r e i n i g t . 1 9 8 I m Befehl Jesu an die Aussätzigen, sich den Priestern zu

leprae manifesta ponens argumenta. Homo igitur, qui in anima sua plagam leprae esse cognoverit, ducat earn ad Aaron et ad filios eius; ducat earn ad episcopos et sacerdotes ... His autem per actis, si dignus fuerit , absolvatur homo, lavetur et reconcilietur. Ut quid enim peracta poenitentia absolvitur homo et reconciliatur , nisi quia sacerdotis absolutione lavatur atque mundatur ... Quare enim secundo lavantur quae pura sunt , nisi quia, quamvis poenitentia sit homo mundus, attamen nisi a sacerdote sit reconciliatus et absolutus, adhuc a sacramentis abstinet ut immundus: quamvis enim mundus sit, mundus tamen non videtur, nisi cum caeteris fidelibus ecclesiasticis communicet sacramentis. Primo ergo lavatur poenitentia; secundo vero reconciliatione et absolutione Ders., Commentarius in Matthaeum, c. 8 (PL 165,137): „ Sed cur eum ad sacerdotem mandas, Domine Jesu ? Quare iubes ut sacerdoti se ostendat, quem tu sacerdotum omnium maximus curas? Quis eum judicare audebit, qui a tuo judicio mundus redit? Hoc igitur agis, ut legis sacramentis consentire agnoscans. Ille enim mundus est, qui sacerdotum judicio mundus judicatur: illorum enim est bonum a malo, justum ab injusto, et mundum ab immundo separare ." 196

Geoffroy Babion (= Hildebert von Lavardin), geb. 1056 u. gest als Erzbischof von Tours 1134, zählt zu den hervorragenden Gestalten des gallischen Episkopates seiner Zeit. Zu seiner Person vgl. /. P. Bonnes, Un des plus grands prédicateurs du X I I e siècle: Geoffroy du Loroux, dit Geoffroy Babion, in: RBen 47 (1935) 15-21. In seinem Sermo X V I (PL 171, 419) erklärt er: „Praeceptum enim erat in veteri lege, ut si aliquis leprosus esset, extra castra ejiceretur, et, sanus factus, ostenderet se sacerdoti. Similiter criminalibus reus, extra Ecclesiam debet esse, et per sacerdotem sanus in Ecclesiam recipi. " 197

Honorius von Autun, scholast. Theologe des 12. Jahrhunderts, versucht in seinen zahlreichen Werken, durch eine popularisierende Darstellung das moralische und geistige Niveau des Klerus zu heben. Vgl. A Hamman, in: LThK 2 5, All f. 198

Honorius von Autun, Speculum Ecclesiae, Dominica XIII post Pentec. (PL 172, 1061): „ Decern viri leprosi er ant omnes homines, decern praeceptorum transgressione vel decern plagarum Aegypti percussione maculosi. Qui a Domino ad sacerdotes destinantur sed in itinere mundantur, quia dum peccatores delieta sua confiteri ad sacerdotes currunt, protinus veniam de commissis habebunt. "

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stellen, sieht Hervaeus von Déols 199 einen Beweis für den verpflichtenden Charakter des Bekenntnisses. So wie die Aussätzigen vor Erreichen der Priester rein wurden, ebenso ist der Sünder bereits vor seinem Bekenntnis frei von Schuld, denn allein der Vorsatz zum Bekennen begreift die Reue und den Willen, nicht mehr zu sündigen, in sich. Sehr deutlich bringt Hervaeus den kirchengesellschaftlichen Aspekt der Sünde zum Ausdruck, wenn er sagt, „daß jene, die bereits vor Gott gereinigt sind, durch den Urteilsspruch der Priester auch den Menschen als rein vorgestellt werden" 200 . Bruno von Asti zeigt die ekklesiale Dimension am Beispiel der Auferweckung des Lazarus auf. Gott schenkt dem Sünder das Gnadenleben wieder, so wie Christus den Lazarus zum Leben erweckt hat. Wenngleich der Schuldiggewordene seinen Sündennachlaß im Augenblick der Bekehrung erhält, so bleibt er doch bis zu dem Zeitpunkt des priesterlichen Tätigwerdens gebunden. Aufgabe des Dieners der Kirche ist es, den Sündennachlaß zu erklären und den Sünder durch die Zulassung zu den Sakramenten mit der Kirche zu versöhnen. 201 Die auf die Umkehr des Sünders hin gewährte Verzeihung durch Gott ist nicht wirksam, es sei denn, der Sünder bekennt dem Priester. Die Schule des Anselm von Laon 2 0 2 arbeitet durch die Analogie mit der Lazaruserweckung sehr genau heraus, was für die Sündenvergebung konstitutiv und was zur Rechtswirksamkeit des erfolgten Nachlasses

199

Hervaeus von Déols OSB, Mönch der Abtei Bourg-Déols (Diöz. Bourges), gest. 1149, bekannt wegen seiner exegetischen und liturgischen Schriften. Einige seiner exegetischen Kommentare standen lange unter den Schriften Anselms von Canterbury. Vgl. PL 158. 2(H)

Hervaeus von Déols , Homilia XIII (PL 158, 662): „ Quos ut intuitu clementiae vidit, dixit: Ite ostendite vos sacerdotibus id est per humilem oris confessionem sacerdoti bus veraciter manifestate omnes interioris leprae vestrae maculas , ut mundari possitis. Et quod rogabant factum est dum irent ad sacerdotes, quia scilicet, mundati sunt, quoniam peccatores, licet gravi criminum lepra sint foedati, euntes tamen ad confitendum purgantur in ipsa confessione propter poenitentiam quam acturi sunt. Dum irent, mundati sunt, quia ex quo iter hoc intrant incipiunt operari justitiam; et justitiae operatio est eorum mundatio. Dum irent, mundati sunt, quia ex quo tendentes ad confessionem et poenitentiam, tota deliberatione mentis peccata sua damnant, et deserunt; liberantur ab eis in conspectu interni inspectoris. Unde et per prophetam Dominus ipse testatur quia impietas impii non nocebit ei in quacumque die conversus fuerit ab impietate sua (Ezech. 33, 12). Perveniendum tamen est ad sacerdotes, et ab eis quaerenda solutio , ut qui jam coram Deo sunt mundati sacerdotum judicio etiam hominibus ostendantur mundi." Vgl. dazu Bruno von Asti, Commentarius in Lucam, c. 17 (PL 165, 427) u. Honorius vonAutun, Speculum Ecclesiae, Dom. in Quadragesima (PL 172,681). 201 Bruno von Asti, Commentarius in Johannem, c. 11 (PL 165,545): „Ligatus tamen adhuc esse videtur, donec ab episcopis solutus, Ecclesiae sacramentis reconcilietur. 202 Vgl. dazu Α. M. Landgraf, in: LThK 2 1,595 f.

"

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erforderlich ist. Den Lazarus hat Christus zum Leben erweckt, nicht die Diener; die Jünger haben ihn nur von den Banden gelöst; und was hätte ihm die Wiedererweckung genützt, wenn er immer gebunden im Grab gelegen hätte, oder was nützt die Lösung, wenn nicht die Wiedererweckung vorausgegangen wäre? Wenn der Sünder bitter bereut und seine Vergehen entsprechend sühnt, wird er von Gott zum Leben erweckt, bekennt er sie aber nicht dem Priester, so nützt es ihm nichts. Er ist zwar ein zum Leben Erweckter, er kann aber, weil gebunden, sich nicht fortbewegen. 203 Mit dieser Analogie soll verdeutlicht werden, daß sowohl Reue als auch Bekenntnis für die volle Wiedereingliederung in die kirchliche Gemeinde erforderlich sind. Bekenntnis und priesterliche Absolution können im Falle der Unmöglichkeit fehlen, ohne ein Hindernis für das Heil zu bilden. Wenn hingegen der Sünder es vernachlässigt, seine Verfehlungen zu bekennen, oder wenn er aus Verachtung gegenüber dem Stellvertreter Christi sich weigert, sie zu bekennen, wird er wegen seines Ungehorsams Gott gegenüber bestraft. 204 Die Bekenntnispflicht dem Priester gegenüber beruht auf mehreren Motiven. Die durch das Bekenntnis hervorgerufene Beschämung ist der Beginn der Sühne, die Gott für die Verzeihung fordert. 205 Zum anderen ist der Priester durch das Bekenntnis in der Lage, zu beurteilen, ob der Sünder tatsächlich zum Leben der Gnade erweckt worden ist; 2 0 6 auf diese Weise ist es ihm auch möglich, die zu leistende Sühne zu bestimmen. 207

203

Sententiae Scholae Anselmi Laudunensis, nr. 369 (Ο. Lottin, Nouveaux fragments, in: RThAM 13 [1946] 261-281, hier 274): „Lazarum Christus suscitavit, non ministri , eumque nonnisi discipuli solver uni, et illi quid valeret vivificatio si semper iaceret ligatus in sepulcro , vel quidprodest solutio nisi praecesserit vivificatio? Sic dum iustus peccator amare compungitur et mer ens punit quod deliquit, a Deo vivificatur, ... sed nisi sacerdoti confiteatur, nihil prodest : vivificatus est , sed ligatus non potest abire. " 204 Sententia nr. 279 (Ο. Lottin, Nouveaux fragments, in: RThAM 13 [1946] 202222, hier 209): „... si necessitate et impossibilitate sua non solvitur a vicario , periculum ei est y non perditio; sed si negligentia vel contemptu vicarii quasi conscientiae securitate, mors ei est propter inoboedientiam. " 205

Anselm von Laon, Sententia nr. 171 (Bliemetzrieder [Anm. 193], 70): „ Sic enim dimittitur peccatum, ut pena solvatur, cuius inicium est pudor quo in confessione habetur. " 206

Sententiae Scholae Anselmi Laudunensis, Sententia nr. 493 (H. Weisweiler, Das Schrifttum der Schule Anselms von Laon und Wilhelms von Champeaux in deutschen Bibliotheken. Ein Beitrag zu Verbreitung der ältesten scholastischen Schule in deutschen Landen [Beiträge Bäumker, Bd. 33, Fasz. 1-2]. Münster 1936, 105): „Sciendum tarnen est, quod Christus tantum vivificator est; vicarius suus solutor; et ideo vicarius

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Der verbindliche Charakter des Bekenntnisses wird am Beginn des 12. Jahrhunderts von den Theologen allgemein angenommen. Alle behalten Gott die Vollmacht vor, die Sünde zu vergeben und den Menschen zu begnaden. Die Mitwirkung des Priesters wird unterschiedlich gesehen: die einen schreiben ihm die Vollmacht zu, die erfolgte Vergebung offiziell bekanntzumachen und den Sünder mit der Kirche zu versöhnen; andere hingegen sehen die Aufgabe des Priesters im Auferlegen der Buße. Trotz differenter Sicht der Mitwirkungsweise sind sie bezüglich der Notwendigkeit des Bekennens einer einheitlichen Meinung. 208 a) Petrus Abaelard Die Bußtheologie des 12. Jahrhunderts steht unter dem dominierenden Einfluß des Petrus Abaelard. 209 Bevor wir jedoch die Aufmerksamkeit auf das Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses lenken, erscheint eine Bestimmung von Sünde und ihrer Vergebung aufgrund der Aussagen Abaelards angebracht. Sünde ist Zustimmung zum Bösen, ist eine Fehlleistung der Seele, die ihr die Verdammung einbringt und sie Gott gegenüber schuldig macht. Sünde begreift eine Verachtung Gottes in sich und stellt damit eine Beleidigung Gott gegenüber dar. 210 Sünde nachlassen bedeutet soviel wie sie vergeben, genauer-

non debet eum solvere , donee perpendat Christum vivificasse. Perpendet vero ex confes sione, que et ideo statuta est." Rupert von Deutz (gest. 1129/30), Commentarius in Johannem, Lib. X, c. 11 (PL 169, 644): „Statim prodit, id est reatum suum confitetur, et quia jam vivit, solvite illum, inquit Jesus. Dixit enim: , Quaecumque alligaveritis super terram, etc. ' Cavendum autem est eis, quorum hoc officium, vel potestas est, ne hunc modum praetereant, id est ne ligent nisi mortuum, neque solvant nisi voce confessionis significante redivivum eumdem esse de sepulcro productum. Nam si pro arbitrio vel animo suo, illum viventem ligent , hunc autem mortuum solvant, videlicet condemnantes justum, et justificantes impium, ipsi ilia non sua, sed Christi potestate se privant; et viventem quidem ligando sic mortificare nequeunt, mortuum autem solvendo, non solum non vivificant, verum etiam fetorem cunctorum naribus ingerunt. " 207

Sententiae Scholae Anselmi Laudunensis, Sententia nr. 394 (Lottin [Anm. 203], 279): „Confessio que soli Deofit, quod iustorum est, peccata pur gat. Ea vero que sacerdoti fit docet qua liter ipsa peccata purgantur. " 20S Anciaux, Théologie (Anm. 186), 174. 209

Teetaert, Confession (Anm. 148), 88.

210

Anciaux, Théologie (Anm. 186), 177.

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hin, sie nicht mehr bestrafen wollen. Sünde und Strafe sind auf diese Weise gewissermaßen Synonyme. 211 Im Entsündigungsprozeß unterscheidet Abaelard drei Elemente: die Buße, das Bekenntnis und die Sühne. 212 Die wahre Buße ist die Reue über den Fehler aus Liebe zu Gott. Sie schließt die Verachtung Gottes und die Zustimmung zum Bösen, d. h. die Sünde selbst, aus. Wo es wahre Herzensreue gibt, dort kann keine Sünde bestehen. Vom Augenblick wahrer Reue an ist der Mensch nicht mehr der Verdammnis würdig, die ewige Strafe ist ihm erlassen. Die Reue rettet den Sünder umgehend. Mit der Bereitschaft zum Bekennen und zur Erfüllung der Sühneauflage ist der Sünder mit Gott versöhnt. 213 Daraus wird deutlich, daß im Bemühen, frei von der Sünde zu werden, der Schwerpunkt auf der Wirkkraft der Reue liegt. D. h. noch bevor der Pönitent sein Bekenntnis dem Priester ablegt, um dessen Intervention im Bußgericht zu erwirken, befindet er sich schon im Genuß der Verzeihung durch Gott. 214 Damit erhebt sich aber die Frage, ob das Bekenntnis der eigenen Sünden sich bei einer solchen Valorisierung des Reueaktes als überflüssig erweist? Wie erinnerlich, verlangt Abaelard in seiner Ethik 2 1 5 für den Sündennachlaß zusammen mit der Reue auch das Bekenntnis und die Sühne, aber immer in dem

211

Abaelard, Ethica seu Liber dictus Scito te ipsum, c. 14 (PL 178, 654): „Poena etiam peccati dicitur peccatum sive maledictum, iuxta quod dicimus peccatum dimitti, hoc est poenam condonari. " 212

Abaelard, ebd., c. 17 (PL 178,661): „ Cum igitur peccando Deum offendimus, superest quibus ei modis reconciliari possimus. Tria itaque sunt in reconciliatione peccatoris ad Deum, poenitentia scilicet, confessio, satisfactio. " 213 Abaelard, ebd., c. 19 (PL 178, 664): „ Cum hoc autem gemitu et contritione cordis, quam veram paenitentiam dicimus, peccatum non permanet, hoc est contemptus Dei, sive consensus in malum, quia Charitas Dei hune gemitum inspirans, non patitur culpam. In hoc statim gemitu Deo reconciliamur, et praecedentis peccati veniam assequimur, juxta illudprophetae: quacumque hora peccator ingemuerit, salvus erit. u Ebd. c. 20 (PL 178, 665): „ Ubicumque igitur vera est poenitentia, ex amore scilicet solo proveniens, nullus Dei contemptus remanet." Vgl .Abaelard, Expositio in Epistolam ad Romanos, Lib. II, c. IV (PL 178,840). Abaelard, Ethica, c. 25 (PL 178,671 f.): „Nec jam in subjectis culpa remanet qua moriantur, quos jam antea paenitentia Deo, ut diximus, reconciliaverat, prius scilicet quam ad confessionem venirent, vel satisfactionis institutionem suseiperent. " 215

Vgl. Anm. 212.

Exomologese

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Sinn, daß der Reue, und zwar der vollkommenen, die entscheidende Wirkkraft beim Sündennachlaß z u k o m m e . 2 1 6 Abaelard unternimmt dann den Nachweis, weshalb der Sünder, obschon durch vollkommene Reue mit Gott versöhnt dennoch dem Priester seine Sünden zu bekennen und Sühne zu leisten hat. So wie Lazarus dem A u f r u f Jesu folgend aus dem Grabe heraustritt, so hat der Sünder seine Schuld durch ein freimütiges Bekenntnis dem geistlichen Arzt offenzulegen. 2 1 7 Der Meinung, es genüge, allein Gott zu bekennen, begegnet Abaelard mit dem Hinweis, daß es keinen Sinn habe, jenem zu bekennen, der ohnehin alles w e i ß . 2 1 8 Eine Ausnahme von der Bekenntnispflicht sieht Abaelard für jenen Fall vor, in dem die Offenlegung einer Schuldsituation ein grobes Ärgernis für die Kirche bedeutet.2'9 Es stellt sich aber genauerhin die Frage, welche Sonderwirkung dem Bekenntnis bei der sündentilgenden Wirkkraft der vollkommenen Reue zukommt? Dazu ist es zunächst von besonderem Interesse festzustellen, daß Abaelard bei der Betonung des Bekenntnisses als notwendigem M i t t e l für die Versöhnung

216

Abaelard , Ethica, c. 19 (PL 178,664): „ Et haec quidem revera fructuosa est poenitentia peccati , cum hic dolor, atque contritio animi ex amore Dei , quem tarn benignum attendimus, potius quam ex timore poenarum procedit. Cum hoc autem gemitu ex contritione cordis , quam veram poenitentiam dicimus, peccatum non permanet ...In hoc statim gemitu Deo reconciliamur, et praecedentis peccati veniam assequimur. " 217

Abaelard, Sermo in Ramis Palmarum II (PL 178,440): „Lazare, veni foras ... hoc est, per temetipsum culpam, quae est in mente, propala confessione, et spiritali medico vulnus ostende, a quo suscipias cataplasma medicinae. Vocat Dominus Lazarum, cum peccatori salubris poenitentiae inspirât gemitum.... et quia post poenitentiam confessio restât peccati, vocatus Lazarus foras exit, dum se poenitens per confessionem peccatorum prodit, et deprofundo vitiorum tamquam de sepulcro surgit . " Ebd. 441 : „ Quotidie nos Dominus per Scripturam invitât ad confessionem ..." Abaelard verweist in diesem Zusammenhang häufig auf die Stelle des Jakobusbriefes: „ Confitemini alterutrum peccata vestra et orate pro invicem ut salvemini. " Vgl. Jak 5,16. 218 Abaelard, Ethica, c. 24 (PL 178, 668): „Sunt qui soli Deo confitendum arbitrantur, quod nonnulli Graecis imponunt. Sed quid apud Deum confessio valeat, qui omnia novit; aut quam indulgentiam nobis lingua impetret, non video. " 219

Abaelard, ebd., c. 25 (PL 178, 669): „Sciendum tamen nonnunquam salubri dispensatione confessionem vitari posse, sicut de Petro credimus, cuius lacrymas denegatione sua novimus, satisfactionem vero aliam, vel confessionem non legimus." Ebd.: „Si enim propter hoc unum confiteri verecundabatur, ne, cognito peccato suo vilior haberetur, profecto superbus erat, et honoris sui gloriae magis quam animae saluti consulens. Sin autem verecundia non tam sua, quam Ecclesiae retinebatur, non est hoc improbandum."

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mit Gott dieses Bekenntnis nicht als aktuelle Offenlegung von Sünden vor dem Priester betrachtet, sondern es vielmehr als Willensvorsatz, als Verfassung der Seele ansieht, die Sünden zu offenbaren. Bei einem solchen Verständnis des Bekenntnisses wird deutlich, daß dieses nicht einen Akt darstellt, der von der Reue verschieden ist, sondern vielmehr in ihr als notwendiges Erfordernis eingeschlossen ist. 2 2 0 Wegen des inneren Bezuges der vollkommenen Reue zum Bekenntniswillen wird sowohl der ersteren als auch letzterem die Wirkung der Wiederversöhnung mit Gott zuzuschreiben sein. Beide sind als ein und derselbe Akt der Gottesliebe zu betrachten, nur das eine Mal mehr vom Wesen, das andere Mal mehr vom Verwirklichungsansatz her gesehen.221 Anders liegt die Fragestellung, wenn das Bekenntnis als aktuelle Offenlegung der Sündensituation dem Beichtvater gegenüber zu verstehen ist. Auch in diesem Sinne hält Abaelard ein Bekenntnis für die Wiederversöhnung des Sünders mit Gott für notwendig. Es erhebt sich aber gleich die Frage, woher diese Notwendigkeit abgeleitet werden kann, wenn der Pönitent bereits vor dem Bekenntnis in den Genuß der Verzeihung gelangt ist. Damit ist einmal mehr die Kernfrage unserer Untersuchung formuliert. Unter den vielen Gründen, die Abaelard anführt, um für den Bekenntnisakt Notwendigkeit zu beanspruchen, lautet jener, den er mit besonderer Insistenz anführt, so: „Erst das Bekenntnis ermöglicht es dem Priester, dem Pönitenten eine entsprechende Sühneleistung für den Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen aufzuerlegen." Für diese These geht Abaelard von der Überlegung aus, daß beim Sündennachlaß durch die Liebesreue nicht die ganzen Sündenstrafen

220

Abaelard, Sermo in Ramis Palmarum V I I I (PL 178, 443 f.): „Quisquis enim jam poratus est ad confessionem, et suscipiendam inde peccati satisfactionem, ex hoc statim suo proposito ita reconciliatus est Deo, ut si aliquo casu praeventus hoc implere praepediatur, nequaquam de eius salute sit desperandum, cum in eo non remanet quod totis appétit desideriis." Vgl. auch ders., Ethica, c. 20 (PL 178, 665): „Si enim amor Dei ... ad hoc me inducit, atque animum trahit , ut de hoc consensu doleam propter hoc tantum quia in eo Deum offendi, non video qualiter idem amor de ilio contemptu eadem de causa poenitere non cogat; hoc est, in eo proposito mentem meam statuai, ut quis excessus meus memoriae occurrerit, de ipso similiter doleam, et ad satisfaciendum paratus sim. u Ebd. c. 25 (PL 178, 671): „Nec tarnen desperandum est subjectis a misericordia Dei, cum ad satisfactionem omnino parati praelatorum suorum, quamvis caecorum, arbitrio se tradunt... " 221 Im Sermo in Ramis Palmarum VIII (PL 178, 440. 443) finden sich Aussagen für beide Aspekte: „Qua hora peccator ingemuerit peccatum suum, salvus erit. u und „Quisquis enim iam paratus est ad confessionem ...ex hoc statim suo proposito ... reconciliatus est Deo. "

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nachgelassen werden, sondern nur die ewigen. 222 Es verbleiben zeitliche Sündenstrafen, für deren Tilgung satisfaktorische Werke auferlegt werden. Die Notwendigkeit des Bekenntnisses rechtfertigt der Autor mit der Überlegung, daß nur ein solches es dem Priester als geistlichem Arzt ermöglicht, den Zustand des Kranken zu erkennen und ihm die notwendigen Heilmittel zu verabreichen. 223 Es handelt sich dabei um eine abgeschwächte Notwendigkeit, wenn man bedenkt, daß die Wirksamkeit des Bekenntnisses hauptsächlich auf den Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen beschränkt bleibt. Abaelard kennt kein göttliches Gebot, das das Bekenntnis als notwendig erklärte. Zugunsten des Bekenntnisses führt er einzig den Text im Jakobusbrief an: „Confitemini alterutrum peccata vestra" (5,16), der aber nicht Gebotscharakter, sondern den einer Empfehlung besitzt. Stellt nun die Auflage von satisfaktorischen Werken den Hauptgrund für das Bekenntnis dar, dann ließe sich dieses unter Umständen aus der Bußdisziplin ausklammern, da jeder aus eigenem sich eine Sühneleistung auferlegen kann. 224 Einer solchen Schlußfolgerung kommt Abaelard zuvor, indem er eine Reihe von Motiven anführt, die Bußleistungen nach dem Urteil des Priesters nahelegen, so jenes der Gerechtigkeit und Sicherheit , da bekanntlich niemand ein gerechter Richter in eigener Sache ist. Schließlich

222

Abaelard y Ethica, c. 19 (PL 178, 665): „ Non enim Deus cum peccatum poenitentibus condonai , omnem poenam eis ignoscit, sed solummodo aeternamDers., Ex positio in Epist. Pauli ad Rom., Lib. II, c. 4 (PL 178, 840): „ Tunc autem tecta sunt peccata, quando in hoc saeculo satisfactio sequitur. Quae quidem satisfactio et purgatorias extinguit saeculi alterius poenas, cum prius poenitentia poenas deleverit damnatorias et gehennales." 223

Abaelard, Sermo in Ramis Palmarum VIII (PL 178, 442): „Sunt animae morbi, sicut et corporis. Et ideo divina pietatis medicos utrisque sanandis praevidit. Ipse quippe Dominus Jesus se spiritalem medicum appellans, ait: Non est opus valentibus medico, sed male habentibus (Mt 9,12). Huius locum sacerdotes in Ecclesia tenent, quibus tanquam animarum medicis peccata confiteri debemus, ut ab eis satisfactionis cataplasma sumamus. " 224 Abaelard, Ethica, c. 25 (PL 178, 672): „ ...jejunando, vel orando, vigilando vel quibuscumque modis carnem macerando, vel quae nobis subtrahimus egenis impendendo ..." 225

Abaelard, ebd., c. 24 (PL 178, 668): „ Ut qui male arbitrio suo et superbe usi sunt Deum contemnendo, alienae potestatis arbitrio corrigantur. " 226 Abaelard, ebd.: „ Tanto securius id agant, quanto melius praelatis suis obediendo non tarn suam quam illorum voluntatem sequuntur. "

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sind Scham vor dem Bekennen und Verdemütigung von Gott gewollte Mittel, um die vollständige Verzeihung zu erlangen. 227 Bei einer derart relativen Notwendigkeit des Bekenntnisses nimmt es nicht wunder, wenn es nach Abaelard in gewissen Fällen möglich ist, das Bekenntnis auszulassen. Sein diesbezügliches Prinzip lautet: „Sciendum tarnen est, nonnunquam salubri dispensatione confessionem vitari posse. " 2 2 8 Und zwar betrachtet unser Theologe die Reuetränen des Petrus als Paradigma für eine solche Ausnahmemöglichkeit. 229 Das stärkste Argument gegen die Notwendigkeit des Bekenntnisses in der Theologie Abaelards bleibt allerdings die entscheidende Wirkkraft der Liebesreue. Damit erhält das Bekenntnis im Entsündigungsprozeß den Stellenwert einer Ergänzung. Das Bekenntnis ist nicht ein in sich notwendiges Mittel zum Sündennachlaß. Durch die überhöht starke Betonung der Wirksamkeit der Reue und das Auseinanderrücken der Rolle der verschiedenen Elemente der Buße (Gott, Mensch, Reue, Bekenntnis, Sühne) hat Abaelard die besondere Aufmerksamkeit der Theologie auf die Wechselbeziehung dieser Elemente gelenkt. 230 b) Magister Hermannus OSB Der Schüler Abaelards und Mönch von St. Gallen, Magister Hermannus 231 , hält in seinen „Sentenzen" 232 in Anlehnung an seinen Lehrer Herzensreue,

227

Abaelard, Sermo in Ramis Palmarum V I I I (PL 178, 442 f.): „Confusio quippe duplex est erubescentiae: altera quidem salubris, cum erubescimus nos turpia commisisse in conspectu Dei ; altera lethalis, cum magis homines quam Deum verentes ad confessionem venire nos pudet ... Ad hanc utique Babylonem id est confusionem laudabilem, cum pervenimus, ut de peccato scilicet erubescamus, ab ipso statim liberabimur, parati iam ad confessionem et condignam satisfactionem ... Delictum suum cognitum Deo facit, qui vicario eius locum ipsius in Ecclesia tenenti confiteri peccatum nequaquam erubescit. " 228 Abaelard, Ethica, c. 25 (PL 178, 669). Übrigens wird das ganze Kap. 25 dieser Möglichkeit und ihrer Begründung gewidmet. 229

Abaelard, ebd.: „Sicut de Petro credimus, cuius lacrimas denegatione sua novimus ... confessionem non legimus. " Mit der Problematik der Ausnahmemöglichkeit befaßt sich D. F. Carpino , Una difficoltà contro la confessione nella scolastica primitiva - Abelardo, in: DT(P) Ser. 3,20 (1943) 94-102. 230 Anciaux, Théologie (Anm. 186), 181. 231

Siehe dazu F. Stegmüller, in: LThK 2 5,254.

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mündliches Bekenntnis und Genugtuung durch Werke als notwendig für die Rekonziliation des Sünders mit Gott. 233 In einer weiteren Analyse qualifiziert er dann das Bekenntnis als auch sehr nützlich. 234 Da der Mensch durch die Sünde seine Freiheit mißbraucht hat, ist es angemessen, daß ihm Gott eine Verdemütigung auferlegt. Der Sünder muß sich dem Priester als Stellvertreter Christi unterwerfen, ihm seine geistliche Krankheit eröffnen, um von ihm als Seelenarzt die notwendigen Heilmittel in Form einer Sühneleistung zu erhalten. Dadurch erhält der Sünder den Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen. 235 Keine wahre Reue hat jener, der aus Verachtung oder Nachlässigkeit nicht bekennt. Wenn hingegen ein unerwarteter Tod den Sünder am Bekenntnis hindert, so ersetzt Gott die Abwesenheit seines Stellvertreters. In Anlehnung an die Lehre seines Meisters kann auch nach Hermannus deijenige in gewissen Fällen von einem Bekenntnis Abstand nehmen, wenn er damit ein schweres Ärgernis in der Kirche verhindert 236 c) Hugo von St. Viktor und seine Schüler Abaelard, der den Schwerpunkt seiner Bußlehre in die Reue verlegt hatte, stellt mit dieser Auffassung die Bußtheologie vor die Aufgabe, die traditionellen Positionen neu zu überdenken.

232 "

Uber die Identität der Petri Abaelardi Epitome Theologiae Christianae in PL 178, 1695-1758 u. der „Sentenzen" des Magister Hermannus vgl. die Studie von H. Ostlender,233Die Sentenzenbücher der Schule Abaelards, in: ThQ 117 (1936) 210-215. Mag. Hermannus, Sentenzen, c. 35 (PL 178, 1756): „In reconciliatione peccatori ad Deum tria necessaria sunt: cordis contritio, oris confessio, operum satisfactio. " 234 Mag. Hermannus, ebd., c. 36 (PL 178, 1756): „De confessione quoque sciendum quod est valde utilis. " 235

Mag. Hermannus, ebd.: „ Cum enim in sua potestate homo positus a Deo discesserit, conveniens erat, ut idem sub alio positus cum humilitate et devotione rediret. Ideoque instituit Deus sacerdotem vicarium et quasi medicum, cui sua peccata quasi vulnera ad sanandum delegarentur, ut non a se, sed ab alio maioris humilitatis causa, modum satisfactionis accipiat." Ebd. c. 37 (PL 178,1757): „Aeterna ... poena relaxata, temporalis relinquetur, ut quod animae illicita delectatione seu etiam carnali voluptate commissum est ; satisfactionis amaritudine digne purgetur. " 236 Mag. Hermannus, ebd., c. 36 (PL 178, 1756 f.): „Notandum tamen, quod si articulo necessitatis imminente non confiteatur, non propter hoc aeternaliter punietur. Si autem ex contemptu vel ex neglegentia remanserit, de hac aeternaliter puniendum asserimus. Neque enim veram cordis contritionem habuisse videtur et si habuerit, ex hoc tamen quod instituta Ecclesiae contemnit, aeternaliter puniendus esse convincitur. "

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Eine erste Reaktion auf Abaelards Thesen ist in den Schriften Hugos von St. Viktor festzustellen. Den berühmten Lehrer an der Augustiner-Klosterschule von St. Viktor zu Paris beschäftigen in diesem Zusammenhang zwei Probleme: zum einen jenes der Autoritäten, auf denen die Verpflichtung zum Bekennen beruht; zum anderen jenes, ob die Sünden allein durch die Liebesreue vor dem Bekenntnis und der Sühneleistung vergeben werden. 237 In seiner Schrift „De sacramentis christianae fidei" erklärt Hugo von St. Viktor, daß jene sich gründlich irren, die behaupten, daß es keine Schriftaussage gebe, die ein Bekenntnis verlange. 238 Er verweist darauf, daß schon im A T das Gesetz die Sünder verpflichtet habe, ihre Vergehen den Priestern zu eröffnen 2 3 9 , und stellt sich dann die Frage, warum Christus nicht ausdrücklich das Gebot zum Bekennen ausgesprochen habe, so wie er etwa den Aposteln und seinen Nachfolgern die Vollmacht zum Sündennachlaß übertragen hatte. Seine Antwort: Christus wollte, daß der Sünder sich freiwillig dem Priester zeige, um ihm die Schuld zu bekennen. Er habe wohl den Ärzten den Auftrag gegeben, die Kranken zu heilen, aber es schien ihm nicht nötig, die Kranken zu verpflichten, Abhilfe zu suchen. Die Krankheit selbst sollte sie anspornen, den Arzt aufzusuchen. Als die Apostel die Saumseligkeit der Kranken feststellten, Heilung zu suchen, haben sie diese durch Ratschläge dazu aufgefordert und durch das Gebot zum Bekenntnis dieses verbindlich vorgeschrieben. Das ist der Sinn der Stelle Jak5,16. 240

237 238

Anicaux, Théologie (Anm. 186), 186.

Hugo von St. Viktor , De sacramentis christianae fidei, Lib. Il, Pars X I V , c. 1 (PL 176, 549 f.): „De confessione et praecepto eius. Multa est malitia hominis. Nemo quando male agere vult auctoritatem quaerit, quando autem dicimus hominibus ut faciant bona et ut confiteantur mala quae fecerunt, dicunt nobis: Date auctoritatem. Quae Scriptura hoc praecipit ut confiteamur peccata nostra? Si ergo Scriptura peccata confiteri non praecipit , respondete modo si Scripturam habetis quae peccata jubeat tacere. Si ergo confiteri non vultis, quia auctoritatem confitendi non habetis , quare tacere vultis cum auctoritatem tacendi non habeatis?" 239 Hugo von St. Viktor, ebd. (PL 176,550 f.). 240

Hugo von St. Viktor , ebd. (PL 176, 552): „Sed dicis fortassis: Quare non similiter Christus praeceptum dedit hominibus peccata sua confitendi sicut discipulis potestatem dedit confitentium peccata dimmitendi. Audi quare voluit Christus ut a temetipso surgeret , ut non quasi extorta vel coacta videtur confessio tua. Idcirco quod ad se pertinuit officium suum discipulis suis peragendum injunxit, ut medicorum more aegros ad se venientes exciperent et sanarent. Medicis ergo dixit ut curarent, sed infirmis non dixit u ad medicos curandi venirent. ... Tamen ipsi medici postea quia négligentes in curatione sua aegrotos invenerunt, eos ad salutem quaerendam, et admonitione sua excitaverunt, et praecepto attraxerunt. Confìtemini , inquit apostolus Jacobus , alterutrum peccata

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Die Demut, die bei einer solchen Offenlegung der Sünden zutage tritt, ist in sich schon ein Element der Heilung. Der Sünder findet im Sinne der Aufforderung des Jakobusbriefes immer bei einem Mitmenschen die nötige Hilfe, um ihn von seinen Fehlern zu heilen. Daraus leitet Hugo die Lehre ab, daß das Bekenntnis verpflichtend ist, denn ohne Bekenntnis gibt es kein Heil. 2 4 1 Gegenüber jenen Vätertexten, die die Wirkkraft der Reuetränen hervorheben und die damit die Notwendigkeit des Bekenntnisses zu leugnen scheinen, meint Hugo von St. Viktor, daß diese Stellen keineswegs gegen die Verpflichtung zum Bekenntnis aussagen, im Gegenteil, sie ermuntern die Gläubigen, ihre Sünden zu bekennen.242 Das Problem der Autoritäten, d.h. der Schriftaussagen bezüglich des Bekenntnisses löst er mit dem Hinweis, daß das Bekennen dem Priester schon im A T angeordnet worden sei. Den Priestern des NT hat Christus die Vollmacht der Sündenvergebung vermittelt, die Apostel haben das Gebot des Bekennens für verbindlich erklärt. 243 Wie reagiert nun Hugo von St. Viktor auf die These Abaelards von der Wirkkraft der Reue, die die Vollmacht des Priesters zu einem rein deklaratorischen Akt reduziert? Er unterstellt ihr zunächst eine falsche Auffassung von den Folgen der Sünde. Diese verursacht einen doppelten Schaden. Einmal wird der Geist des Menschen abgestumpft, zum anderen verfällt der Sünder der ewigen Strafe. Seinen eigenen Kräften überlassen, ist der Mensch außerstande, wieder aufzustehen. Einzig die Gnade kann das Leben wiedergeben. Wenn Gott den Geist zur Buße erweckt, befreit er den Menschen von der Sünde. Aber so wie Christus den Lazarus durch seine Jünger von den Banden befreien läßt, nachdem er ihn zum Leben erweckt hat, ebenso verpflichtet Gott den Sünder, sich dem Priester zu zeigen, nachdem er ihn von seinen Sünden befreit hat. Der

vestra et orate pro invicem ut salvemini. Quid est alterutrum, alter alteri , homo homini? Non solum homo Deo, sicut verus ille confessor ait: Dixi: Confìteor, etc., sed homini propter Deum. " 241

Hugo von St. Viktor , ebd. (PL 176, 552): „Plus enim facit qui servo humiliatur propter Dominum, quam qui ipsi Domino humiliatur. Propterea: Confitemini alterutrum peccata vestra. ... Quid est confitemini ut salvemini? Hoc est non salvamini , nisi confiteamini. ... Non tibi placet quod dicitur, quod ii qui confiteri nolunt peccata sua salvari non possunt. ... Augustinus dicit: Non potest quis justificari a peccato, nisi confessus fuerit ante pecca tum. Item Beda in eandem epistolam Jacobi de qua super ius testimonium sumpsimus. Sine confessione, inquit, nequeunt dimitti peccata. " 242

Hugo von St. Viktor, ebd. (PL 176,553): „Imo multo magis ibi confitendum est, ut humilitas confessionis adjuvet lacrymas contritionis. " 243

Hugo von St. Viktor, Miscellanea, Lib. VI, tit. 100 (PL 177, 858). An dieser Stelle verweist der Autor auf die verschiedenen Arten von Bekenntnissen und die Notwendigkeit, die Sünden zu bekennen.

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Priester muß i h m die Strafe der ewigen Verdammung erlassen, die ihn noch b i n d e t . 2 4 4 V o n dem Augenblick an, da der Sünder sich vornimmt zu bekennen, verzeiht i h m Gott die Ruchlosigkeit seines Vergehens. Die Sünde als ewige Strafe w i r d nachgelassen i m Bekenntnis durch Vermittlung des Priesters. 2 4 5 Das Bekenntnis ist demnach nicht nur notwendig, w e i l verpflichtend auferlegt, es ist vielmehr in sich unentbehrlich für die Sündenvergebung. In der Tat hätte Gott auf die menschliche Vermittlerhilfe verzichten können. U m aber das Heilmittel dem zu heilenden Übel anzupassen, hat er Menschen als Diener des Heils aufgestellt. Jede Sünde hat ihre Wurzel i m Stolz, deshalb muß die Buße auf der Demut aufbauen. A u s diesem Grund hat sich der Sünder demütig dem Urteil eines anderen Menschen zu unterwerfen, um die Vergebung der Sünden zu erlangen und der ewigen Verdammung zu entgehen. 2 4 6

244 Hugo von St. Viktor , De sacramentis christianae fidei, Lib. II, Pars X I V , c. 8 (PL 176, 565): „ Duobus modis ... peccator ligatus est. Ligatus est obduratione mentis , ligatus est debito futur ae damnationis. ... Sed quia nemo sua virtute post ruinam peccati surgere valeret, nisi divina misericordia gratuito praeveniens eum suscitar et, ideo necesse est ut Deus gratiam suam quam peccantibus nobis iuste subtraxerat, quando ad poenitentiam vivificandi sumus, sola misericordia nullis nostris meritis praecedentibus reddat. ... Hoc bene in resuscitatione Lazari signatum est , quem ipse Dominus per se prius intrinsecus a vinculo mortis absolvit, vivificatum autem deforis ministerio ipsorum apostolorum solvi praecepit. Sic namque in sancta Ecclesia nunc mortuos peccatis per solam gratiam suam interius vivificans ad compunctionem accendit , atque vivificatos per confessionem foras venire praecipit : ac sic deinde confitentes per ministerium sacerdotum ab exterior i vinculo, hoc est, a debito damnationis absolvit. " 245

Hugo von St. Viktor, ebd. (PL 176, 568): „Quod si quis hoc de quolibet delicto velit accipere; sciat tarnen aliud peccatum esse, aliud impietatem peccati. Impietas namque peccati ipsa rectissime obduratio cordis accipitur, quae primum in compunzione solvitur, et postmodum in confessione peccatum ipsum, id est debitum damnationis absolvitor." Vgl. dazu P. Schmoll, Die Bußlehre der Frühscholastik (VKHSM 3. Reihe, Nr. 5). München 1909,52. 246 Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei, Lib. II, Pars X I V , c. 8 (PL 176, 569): „Sed fortassis iterum quaerit aliquis quid opus sit Deo ad solvenda peccata hominum, homines cooperatores quaerere quasi per se quod voluerit non valeat adimplere. Sed certissime scire debemus quod in abolendis peccatis nequaquam Deo humana cooperatio suffragatur. Ideo tarnen hominem cooperatorem fieri, quia salus peccatoris eo modo competentius perficitur. ... Conveniens ergo valde est ut nos qui peccando Deo contumaces fuimus poenitendo hominibus etiam servis Dei supplices simus, et homo qui ad Dei gratiam conservandam mediatorem non eguit, jam earn recuperare non nisi per hominem possit. "

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d) Summa Sententiarum In einer „Summa Sententiarum", die aus den Sentenzensammlungen A n selms von Laon schöpft, an Abaelards Denken orientiert, von Hugo inspiriert und von Odo von Lucca redigiert i s t 2 4 7 , werden die drei bekannten Elemente für den Sündennachlaß gefordert. Eines ohne das andere, d. h. Reue allein ohne Bekenntnis, genügt n i c h t . 2 4 8 Der Redaktor formuliert dann das anstehende Problem sehr deutlich: Wenn die Sünde durch die Reue getilgt ist, welcher Nutzen kommt dem Bekenntnis zu und worin besteht die V o l l m a c h t , die den Priestern gewährt wurde? Odo von Lucca unterscheidet eine doppelte W i r k u n g der Sünde: einmal die Blindheit des Geistes, zum anderen die ewige Verdammnis. Durch die Reue z u m Leben erweckt und von der inneren Blindheit befreit, bleibt der Sünder noch der Kirche gegenüber gebunden. Durch die Auflage einer Sühneleistung löst ihn Gott durch den Priester von der ewigen Strafe. 2 4 9

247

Vgl. L. Hödl, Art. Sentenzen in: LThK 2 9, 670-674, hier 671. Diese Summa Sententiarum wurde in der PL unter die Schriften Hugos v. St. Viktor aufgenommen. Siehe PL 176, 42-174. Vgl. dazu insbes. H. Weisweiler, La „Summa Sententiarum" source de Pierre Lombard, in: RThAM 6 (1934) 143-183; F. Bliemetzrieder, Note sur la „Summa Sententiarum", in: RThAM 6 (1934) 411 f. 248

Summa Sententiarum, Tract. VI, c. 10 (PL 176, 146 f.): „In poenitentia considerando sunt tria haec: compunctio, confessio, satisfactio. Compunctio est in contritione cordis, quae nascitur ex recordatione praeteritorum malorum et ex timore judicii futuri. Confessio est proprii actus cum sui accusatione exsecratio ... Satisfactio post confessionem fit per jejunia, orationes et caetera bona opera. ...In his qui habent tempus haec tria sunt necessaria , nec sufficit unum sine aliis. Non enim sufficit corde confiteri nis ore confiteatur qui tempus habet, nisi etiam fructus poenitentiae faciat. " 249

Ebd. c. 11 (PL 176,147 f.): „Solet quaeri utrum solvatur homo a peccato, ut primum habet ver am cordis contritionem ... Sed si per contritionem cordis solutus est a peccato, in confessione oris non solvitur ... Et si ante confessionem solutus est a peccato, ad quid ergo confessio oris est utilis? Sed si per contritionem cordis solutus est a peccato; a quo solvit eum sacerdos? ... Sed ut apertius videamus qualiter Deus sine homine solvat, et qualiter per hominem; prius inspiciamus quomodo ipse peccator ligatus sit. Duobus enim peccator ligatus est : Caecitate mentis, videlicet et pro ea debito futurae damnationis; peccato enim et poena peccati tenetur. Per veram cordis contritionem solvitur a caecitate mentis; qui enim mortuus fuerat, jam vivit, et quia vivit interius illuminatus est; sed tamen adhuc debitor est donec satisfaciat Ecclesiae. Ecce quod iam de monumento prodiit, sed adhuc ligatus est; quia a debito futurae poenae nondum solutus. Venit ad sacerdotem, non ut se justum ostendat, sed peccatorem. Confitetur peccatum suum sacerdoti , qui ei justam satisfactionem injungit ; non enim ad arbitrium

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Auf Einwände eingehend erklärt Odo, daß das Fehlen eines Priesters in einer Notsituation dem Pönitenten nicht zum Schaden gereicht. Das bedeutet jedoch nicht, daß der reuige Sünder noch vor dem Bekenntnis frei von der ewigen Strafe ist. Durch die Reue begibt sich der Sünder zwar auf den Weg des Heils, muß aber nachher dem Priester seine Schuld bekennen und die entsprechende Sühne leisten. Mit Ausnahme eines Falles, in dem die Umstände einen Bekenntnisakt ausschließen, schenkt Gott die Verzeihung von der Ruchlosigkeit der Sünde im Reueakt und erläßt die ewige Strafe vermittels des Priesters im Bekenntnis. 250 Dieses ist nicht auf Grund eines Gebotes gefordert, sondern ist in sich selbst unentbehrlich. Die Verpflichtung zum Bekennen beruht auf einer inneren und direkten Beziehung zwischen Bekenntnis und Sündennachlaß. Die Darlegung des Redaktors der Sentenzensumme ist für unsere Untersuchung deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie ausdrücklich den ekklesiologischen Aspekt für den integralen Entsündigungsprozeß ins Treffen führt. e) Gratian und sein Dekret Gratian widmet der Frage der Wirkkraft der Reue und jener der Notwendigkeit des Bekenntnisses im Rahmen des Bußtraktates einen breiten Raum. Die Kernfrage unserer Untersuchung formuliert er wie folgt: Kann die Sünde durch das Bekenntnis des Herzens allein vergeben werden 251 , bzw. kann jemand allein

suum, sed juxta arbitrium sacerdotis satisfaeere debet, et tunc solvit eum sacerdos a debito futurae damnationis, id est Deus per sacerdotem. " 250

Ebd. (PL 176, 148 f.): „ Sed opponitur quod a praedicto debito jam prius solutus erat per cordis contritionem ... Ad quod dicimus, quod vere invisibilis sacerdos cum qui vult confiteri et non potest ab hoc debito solvi ; sed quandiu illud potest, nisi ore confiteatur, non absolvitur. Certum namque est quod ille qui habet cor contritum vult confiteri; sed istam bonam voluntatem deserere potest. Nihil enim vult homo dum est in hac vita, quod non possit nolle ; et si hac voluntate amissa nollet confiteri et tunc moreretur, nulli est dubium eum damnari pro ilio peccato quod confiteri noluit. Nullum enim peccatum impunitum, aut enim homo punit, aut Deus. Liquet itaque eum a debito futurae poenae non fuisse solutum in contritione. Hoc ideo dicimus, quia soient quidam dicere eum non pro peccato ilio puniendum, sed pro contemptu. Apparet igitur quod solus Deus dimittit peccata vivificando interius per gratiam ; et quod sacerdos dimittit non intus vivificando , sed a debito futurae poenae absolvendo per eam quam injungit satisf actionem ... Impietas peccati rectissime ipsa mentis excommunicatio dicitur, quae solvitur in compunzione; nondum tamen, ut diximus, piene solutus est . " 251

Gratian , Decretum, Dictum ante c. 1, C. X X X I I I , q. 1 (Corpus Iuris Canonici. Hg. v.A. Friedberg. Bd. 1. Leipzig 1879,1148).

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durch die Herzensreue und durch geheime Abbitte ohne mündliches Bekenntnis Gott genugtun? 252 Zunächst führt Gratian eine Reihe Schrifttexte an, die nach der Väterinterpretation jene Sentenz erhärten, wonach jede Sünde ohne Bekenntnis vor der Kirche und ohne priesterlichen Richterspruch nachgelassen werden kann, so jene Stelle, in der Lukas (22,62) von den Reuetränen des Petrus spricht, dann die Evangelienberichte von der Heilung der Aussätzigen und der Auferwekkung des Lazarus. 253 Ebenso werden für die Gegenposition, wonach kein Sünder ohne Bekenntnis und Sühne die Verzeihung seiner Sünden erlangen kann, Schrift- und Vätertexte, die wir zum Teil schon kennen, gesammelt. 254 In der distinctio I des Bußtraktates bietet Gratian eine erstaunliche Fülle an Dokumentation. Zur Argumentationsweise des Bologneser Magisters meint Paul Anciaux, daß er zwar zu Beginn den Fragestand sehr klar artikuliert, im Laufe seiner weiteren Ausführungen jedoch mit verwandten Fragen vermischt. 255 Gratian weicht in der Tat vom Thema ab, insofern er nicht mehr so sehr von der Notwendigkeit des Bekenntnisses, sondern vielmehr von der Notwendigkeit der Buße im allgemeinen und der praktischen Verpflichtung, dem Priester zu bekennen, spricht. Anciaux führt den Mangel an Klarheit auf die Komplexität des anstehenden Problems zurück. 256 Mit seiner Art der Darlegung des Problems beeinflußt Gratian den Leser nicht, sich für eine bestimmte Position zu entscheiden. Ihm lag offenbar hauptsächlich daran, die Gegensätzlichkeit der beiden Lösungen zu entwickeln, und bot damit eine gute Zusammenfassung der Sentenzen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. 2. Weiterentwicklung

und Annäherung der beiden Auffassungen

Die Reaktion der Viktoriner, die man in gewisser Hinsicht als Gegenposition bestimmen kann, hat es nicht verhindern können, daß Abaelard weiterhin prominente Parteigänger für seine Auffassung fand. Die Lehrmeinung der Viktoriner hatte jedoch die Anhänger Abaelards gezwungen, ihre Position zu differenzieren.

252 253

Gratian, ebd., Dictum ante c. 1, D. I de poen. (Ed. Friedberg 1159). Gratian, ebd., cc. 1-37, D. 1, de poen. (Ed. Friedberg 1159-1167).

254

Gratian, ebd., cc. 37-90, D. I, de poen. (Ed. Friedberg 1167-1190).

255

Anciaux, Théologie (Anm. 186), 206.

256

Anicaux, ebd., 207.

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Rolandus Bandinelli, der nachmalige Papst Alexander III., bleibt den Vorstellungen Abaelards treu. Die Fragestellung bezüglich der Bekenntnisverpflichtung formuliert Magister Rolandus bereits deutlich in seinem Kommentar zum Dekret Gratians. 257 In seinen Sentenzen erklärt er dann, daß die Sünde allein durch die Herzensreue vergeben wird. 2 5 8 Seine These erhärtet er durch Schriftzitate und aus der entsprechenden Väterexegese. 259 Im anschließenden Vernunftbeweis ergänzt Magister Rolandus, daß das Bereuen einen der begangenen Sünde entgegengesetzten Willen beinhaltet. Ebenso setzt Reue die Liebe voraus, diese wiederum schließt die Präsenz der Sünde in der Seele aus. 260 Theologisch bedeutsam erscheint dabei die Auffassung des Rolandus von der Funktion des Priesters im Bußgeschehen. Sie wird klargemacht anhand der Rolle der Jünger bei der Lazaruserweckung. Sie haben den bereits zum Leben Zurückgerufenen von den Banden zu lösen. Die Priester haben den reuigen Sünder auch von den Banden zu lösen, genauer gesagt „durch das mündliche Bekenntnis als von den Banden gelöst zu erweisen". Daraus folgert Rolandus, „daß die Sünde in der Liebesreue erlassen, im mündlichen Bekenntnis aber die Kirche der erfolgten Vergebung vergewissert wird" 2 6 1 .

257

Die Summa Magistri Rolandi. Hg. v. F. Thaner. Innsbruck 1874, 193. Dieses Werk trägt im Cod. S. 2 den Titel „Stroma", „weil Roland das Decretum Gratiani gleichsam in lauter Fäden zerpflückte und daraus ein neues Werk zusammensetzte" (ebd., S. XLI). „Stroma" ad C. X X X I I I , q. 3 (Ed. Thaner 193): „ Tertio quaeritur, utrum sola contritione cordis et secreta satisfactione absque oris confessione possit quis Deo satisfacere. " 258 Vgl. Die Sentenzen Rolands nachmals Papstes Alexander III. Hg. \.A. M. Gietl. Freiburg i.Br. 1891,243. 259 Gietl, ebd.: „Quodpeccatum remittitur in sola cordis contricione, probatur auctoritate Domini dicentis per prophetam: , in quacumque hora peccator conversus fuerit et ingemuerit, omnium peccatorum ejus non recordabor', et alibi :,peccator quacumque hora conversus fuerit, vita vivet et non morietur'. Item David: ,dixi, confitebor, et tu remiSisti impietatem peccati mei Augustinus super locum ilium: , magna pietas Dei vel ad solam promissionem peccata remittit. Nondum enim est in ore confessio, et tamen iam est facta in corde remissio " 260 Gietl, ebd., 244 f.: „Item, si cordis contricionem quis habet, et habet voluntatem contrariam illi voluntati , qua commisit peccatum : dimissum est ergo ei illud peccatum. Ut enim dicit Augustinus, omne peccatum, quod voluntate committitur, contraria voluntate deletur . Item, si habet veram cordis contricionem et habet caritatem. Si habet caritatem ergo omnium mortalium habet remissionem, quia, ut dicit Augustinus, caritatem habere, et malus esse quis potest? Apparet ergo, quod in sola cordis contricione peccatorum quis consequitur remissionem. "

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U m den Einwänden leichter zu begegnen, unterscheidet er in Anlehnung an Augustinus i m Begriff „Sünde" einen doppelten Inhalt. Sünde kann sowohl den begangenen Fehltritt als auch die dafür verdiente Strafe bezeichnen. Durch die Reue w i r d die Sünde getilgt, i m Bekenntnis w i r d sie als vergeben aufgezeigt. Das mündliche Bekenntnis und die Werke der Genugtuung sind nach der Auffassung Rolands sichere Zeichen der geschehenen Vergebung. In diesen beiden Vollzügen w i r d die Sünde, d. h. die gebührende zeitliche Strafe für die Sünde nachgelassen bzw. verringert. 2 6 2 Wenn die Väter in ihren Schriften auf die Notwendigkeit eines Bekenntnisses hinweisen, so kann dies bedeuten, daß sie das Bekenntnis fordern, damit die Kirche in die Lage versetzt w i r d , die durch Gott gewährte Vergebung zu deklarieren. Es kann sich aber ganz einfach um eine Aufforderung zum Bekennen handeln. Schließlich kann damit aber auch das Bekenntnis des Herzens gemeint sein, das zur Versöhnung mit Gott unentbehrlich i s t . 2 6 3 Die reinigende W i r k samkeit der Reue macht indes das mündliche Bekenntnis nicht unnütz bzw. überflüssig, denn durch die Offenlegung des Sündenzustandes und die entspre-

261 Gietl, ebd.: „ Quod beatus Gregorius exponens per Lazarum fetidum quemlibet peeeatorem vieiorum fetoribus involutum intellegit, qui ad vocem divine inspiracionis de monumento, id est, fetore vieiorum per contrieionem cordis vivus, id est, mundus egre ditur; nondum tamen est, id est, apparet solutus, unde precipitur discipulis, scilicet sacerdotibus discipulorum figuram gerentibus, ut eum solvant , id est per oris confessionem solutum demonstrent. Unde manifeste colligitur, quod in cordis contricione peccatum remittitur, sed in oris confessione de remissione facta ecclesia certificatur. " 262

Gietl, ebd., 247 f.: „Ad hoc notandum est, quia, ut dicit Augustinus, peccati nomine censetur tarn pena quam culpa. Dicimus ergo, quod peccatum, id est, culpa remittitur in cordis contricione, remittitur quoque in oris confessione operisque satisfactione, sed aliter in cordis contricione remittitur, id est, penitus aboletur, in oris confessione operumque satisfactione remittitur, id est, remissum monstratur. Oris enim confessio operisque satisfactio sunt certa signa facte remissionis, in quibus duobus peccatum, id est, pena temporalis pro peccato remittitur, id ist, minor a tur. " 263

Gietl, ebd., 248 f.: „ Quid est ergo quod dicit Johannes Os aureum, quod ille tantum habet fructuosam et perfectam penitenciam, qui cordis contricionem, etiam oris confessionem, in opere totam habet humilitatem? Hoc quidem dumtaxat de habente tempus confitendi, satisfaciendi intelligendum est; qui sic tempus habet et non confitetu nec satisfacit, inutilis sibi erit cordis contricio, que sola sufficit, si confitendi et satisf ciendi defuerit. Sequitur: ,dic tu iniquitas tuas , ut iustificeris', ita sana exponendum es confitearis peccata, ut ab ecclesia iustificatus, id est, a peccata mundatus comproberis. Quod autem dicitur : , confitemini alterutrum etc/, dicimus, hoc esse exortatorium, quo ad confessionem invitamur , non quod ea peccatum remittatur, sed ut per ipsam remissum ostendatur. Sequitur : ,ηοη potest quis a peccatis iustificari ect.' Ad hoc notandum est, quod duplex est confessio, alia oris, alia cordis. Absque confessione cordis nulli

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chende Sühneleistung w i r d gegenüber der Kirche, die der Sünder durch sein Versagen beleidigt hat, Genugtuung geleistet. 2 6 4 Omnebene265,

der sich sachlich eng an Magister Rolandus anschließt, inso-

fern er Gott allein als Sündenvergebenden und den Priester als denjenigen, der die Strafe nachläßt, ansieht, führt einige Motive an, weshalb der Sünder seine Verfehlungen dem Priester bekennen muß. Die Sünden sind nicht zu bekennen, damit sie vergeben werden; das geschehe bereits durch die Herzensreue. Sie sind i m Bekenntnis offenzulegen, w e i l der Sünder der Kirche Ärgernis gegeben und Gott beleidigt hat. Ein Bekenntnis sei auch erforderlich, um damit unseren Körper mit seinen Trieben und Leidenschaften zu züchtigen sowie unsere Demut unter Beweis zu stellen und uns zu beschämen. 2 6 6 Zacharias von Besançon267 bringt in die These Abaelards einen neuen, differenzierenden Gesichtspunkt für jenen Fall ein, daß ein Sünder ohne Reue zur

peccatum remittitur , de qua confessione loquitur hec auctoritas Ambrosii cum duabus sequentibus." Vgl. Johannes Chrysostomus, Homilia De Diabolo Tentatore, 2, 6 (PG 49 263 f.): „Prima est penitentiae via: damnatio peccatorum. Die enim tu primus peccata tua , ut iustificeris. " 264 Gietl (Anm. 258), 249: „Quod autem dictum est , superfluere confessionem, si remit ta tur peccatum in cordis contricione, dicimus hoc verum non esse, ut apparet in hoc simili. In prima enim baptismatis immersione peccatum remittitur, non tamen alie due immersiones superfluunt; sic licet in cordis contricione sit peccatum remissum, non tamen superfluit oris confessio seu operis satisfactio. Peccando enim Deum et ecclesiam offendimus, Deum offendimus male cogitando, ecclesiam scanda lizamus perverse agendo, et sicut duos offendimus et duobus satisfacere debemus, Deo per cordis contricionem, ecclesie per oris confessionem et operis satisfactionem, si temporis qualitas exposcit. " 265

Auch Omnibonus, Kanonist (+ 1185), war Magister in Bologna und wurde Bischof von Verona. Er ist Verfasser theologischer Sentenzen, die weitgehend von Abaelard, Roland und der „Summa Sententiarum", auch Hugo v. St. Viktor und Gratian abhängig sind. Vgl. L. Ott, in: LThK 2 7, 1154; A. M. Landgraf, Einführung in die Geschichte der theologischen Literatur der Frühscholastik. Regensburg 1948,66 f. 266

Omnebene, Sententie (Handschrift Clm 19134, fol. 205, Bayr. Staatsbibhothek, München; Handschrift Cod. 386, fol. 7 9 \ Montecassino). 267

Zacharias von Besançon, Ο. Praem, auch Chrysopolitanus genannt, war von 1131-38 Kanonikus und Vorsteher der Domschule von Besançon. Sein Kommentar zur Evangelienharmonie „In unum ex quatuor sive De concordia evangelistarum libri IV" hat weite Verbreitung gefunden und hat Bedeutung für die Diatessaronforschung. Vgl. O. Schmid, Zacharias Chrysopolitanus und sein Kommentar zur Evangelienharmonie, in: ThQ 68 (1886) 531-547; 69 (1887) 231-275, sowie I. Schmid, in: LThK 2 10,1301.

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Beichte k o m m t . Bisweilen kommt es vor, daß ein Sünder nur aus Furcht oder kirchlicher Gewohnheit sich zur Beichte begibt und erst durch die Vermittlung des Priesters einen A k t der Liebesreue zu setzen v e r m a g . 2 6 8 In einem solchen Fall läßt Gott durch den Dienst des Priesters sowohl Sünde als auch Sündenstrafe n a c h . 2 6 9 Petrus Lombardus 270

hat die 17. Distinctio des 4. Buches seiner „Summa

Sententiarum" dem komplexen Problem des Bekenntnisses gewidmet. Drei Fragen stellt der A u t o r : 1. Kann die Sünde ohne Sühne und ohne Bekenntnis allein durch die Liebesreue getilgt werden? 2. Genügt es bisweilen, Gott allein ohne Dazwischentreten des Priesters zu bekennen? 3. Welchen Wert hat das einem gläubigen Laien gegenüber abgelegte Bekenntnis? 2 7 1 Der Magister Sententiarum stellt eingangs fest, daß die Theologen zu diesen Fragen entgegengesetzte Lösungen vorgelegt haben. Die einen sind der Auffassung, daß ohne mündliches Bekenntnis und Sühneleistung niemand von der Sündenschuld befreit werde, sofern i h m dafür Zeit zur Verfügung stand. Andere hingegen meinen, daß die Sünde von Gott vor dem Bekenntnis und der Süh-

268

Zacharias von Besançon, In unum ex quatuor (PL 186, 316): „Evenit itaque cor prius contritum et humiliatum confirmari in confessione ; et plerumque peccator solo timore vel Ecclesiae consuetudine sacerdoti praesentatus, per sacerdotale officium vere compungitur, ac plenus charitate recedit. Nonnulli etiam nec tunc ex corde redeunt, sed tamen forma poenitentiae quam suscipiunt, paulatim nutrii in eis humilitatem cum charitate " 269

Zacharias von Besançon, ebd. (PL 186, 317): „Ex praedictis itaque manifestum est, quod aliis dimittit Deus per ministerium sacerdotum, et peccatum, et poenam peccati, aliis solam temporalem poenam, quia jam peccati tenebras et gehennae vinculum solverai, quod per Lazarum ostendit. " 270 Petrus Lombardus („Magister Sententiarum"), um 1095 als Sohn langobardischer Eltern geboren, machte zunächst seine Studien in Bologna. 1133 unternahm er eine Studienreise nach Frankreich, wo er bald eine Einladung zum theologischen Unterricht an der Domschule von Paris erhielt. Ein Jahr vor seiner Berufung zum Erzbischof v. Paris (1159) vollendete er sein Hauptwerk: „Libri IV Sententiarum". Er starb 1160. Vgl. J. Ghellink, Le mouvement théologique du ΧΙΓ siècle (ML.H 10). Brügge 1948, 213— 222. 27 1 Petrus Lombardus, Sententiarum Libri IV, Lib. IV, D. X V I I , c. 1 (PL 192, 880): „ Hic oritur quaestio multiplex. Primo enim quaeritur, utrum absque satisfactione et oris confessio per solam cordis contritionem, peccatum alicui dimittatur. Secundo, an alicui sufficiat confiteri Deo sine sacerdote. Tertio, an laico fideli facta valeat confessio. "

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neleistung vergeben werde unter der Voraussetzung, daß der Vorsatz zum Bekenntnis vorhanden s e i . 2 7 2 In Analogie zu Gratian entfaltet der Sentenzenmagister Beweisreihen von Schrifttexten und den entsprechenden Väterkommentaren für beide Position e n 2 7 3 , um dann zu resümieren, daß die Sünde ohne mündliches Bekenntnis und ohne äußere Sühneleistung allein durch die Liebesreue vergeben ist. Gott schenkt dem Sünder die Verzeihung in dem Augenblick, in dem er in reuiger Gesinnung den Vorsatz faßt, seine Sünden zu bekennen. Die Verachtung des Bekenntnisses bildet ein Hindernis für die Rechtfertigung. 2 7 4 Da das Bekenntnis verpflichtend ist, kann es keine wahre Reue geben ohne W i l l e n zum Bekenntnis. Dieses ist übrigens wie die Reue und der Sündennachlaß ein Werk Gottes. Einerseits muß der Sünder bekennen, sofern dafür die Zeit reicht, auf der anderen Seite ist die Sünde vor dem Bekenntnis vergeben, und zwar von dem A u genblick an, in dem der Sünder sich vornimmt zu bekennen. 2 7 5

272

Petrus Lombardus, ebd.: „In his enim etiam docti diversa sentire inveniuntur, quia super his varia ac pene adversa tradidisse videntur doctores. Dicunt enim quidam, sine confessione oris et satisfactione operis, neminem a peccato mundari, si tempus ilia faciendi habuerit. Alii vero dicunt, ante oris confessionem et satisfactionem, in cordis contritione, peccatum dimitti a Deo, si tamen votum confitendi habeat. " 27 3 Petrus Lombardus, ebd. (PL 192,880 f.). Petrus Lombardus, ebd., c. 2 (PL 192, 881): „Quid ergo super his sentiendum? Quid tenendum? Sane, quod sine confessione oris et solutione poenae exterioris, peccata delentur per contritionem et humilitatem cordis. Ex quo enim aliquis proponit mente compuncta se confessurum, Deus dimittit; quia ibi est confessio cordis , etsi non oris, per quam anima interius mundatur a macula et contagio peccati commissi, et debitum aeternae mortis relaxatur. Illa ergo, quae superius dicta sunt de confessione et poenitentia, vel ad confessionem cordis et ad exteriorem poenam referenda sunt. Sicut illud Augustini: Quod nullus dicitur veniam consequi, nisi prius quantulamcumque peccati solverit poenam; vel de exteriori poena accipiendunm sunt, et ad contemnentes vel négligentes referendum, sicut illud: Nemo dicat: Occulte ago, etc. Nonnulli enim in vita peccata confiteri negligunt vel erubescunt, et ideo non merentur iustificari. " 275

Petrus Lombardus, ebd.: „Sicut enim praecepta est nobis interior poenitentia, ita et oris confessio et exterior satisfactio, si adsit facultas: unde nec vere poenitens est, qu confessionis votum non habet. Et sicut peccati remissio munus Dei est, ita poenitentia et confessio, per quam peccatum deletur, non potest esse nisi a Deo, ut Augustinus ait : Jam, inquit, donum Spiritus sancii habet qui confitetur et poenitet, quia non potest esse confessio peccati et compunctio in homine ex se ipso : Cum enim irascitur sibi quisque et displicet, sine dono Spiritus sancii non est. Oportet ergo, poenitentem confiteri peccata, si tempus habeat; et tamen antequam sit confessio in ore, si votum sit in corde, praestatur ei remissio. "

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A u f die Frage, ob es genüge, allein Gott zu bekennen, oder ob ein Bekenntnis dem Priester gegenüber erforderlich sei, weist der Sentenzenmagister darauf hin, daß Autoren mit Berufung auf Schrift- und Vätertexte behaupteten, daß ein Bekenntnis vor Gott ohne ein solches vor der Kirche und ohne priesterliche Lossprechung genüge. 2 7 6 Gegenüber einer solchen Auffassung hält der L o m barde fest, daß ein Bekenntnis v o r Gott und dem Priester, soweit dies möglich ist, nicht nur i m Jakobusbrief, sondern bei einer großen Anzahl anderer Autoren gefordert w i r d . 2 7 7 Schließlich sucht Lombardus eine Antwort auf die Frage nach dem Wert des Bekenntnisses einem Laien gegenüber. 2 7 8 Wahre Bußgesinnung schließt den W i l l e n z u m Bekennen wesentlich ein. Wegen des verpflichtenden Charakters des Bekenntnisses muß der Pönitent alles in seinen Kräften Liegende tun, um sich dem Richterspruch des Priesters, der die Binde- und Lösegewalt besitzt, zu unterwerfen. Für den Fall, daß sich ein Priester nicht finden läßt, kann er seine Sünden einem Laien bekennen. 2 7 9 Und er präzisiert an einer anderen Stelle, daß

27 6

Petrus Lombardus , ebd., c. 3: „Jam secundum quaestionis articulum inspiciamus, scilicet utrum sufficiat peccata confiteri soli Deo, an oporteat confiteri sacerdoti Quibusdam visum est sufficere, si soli Deofìat confessio sine iudicio sacerdotali et confes sione Ecclesiae, quia David dixit : Dixi, confiteor Domino, et tu remisisti, etc.; non ait sacerdoti, et tamen remissum sibi peccatum dicit. Item Ambrosius: Ideo flevit Petrus, quia ... Hoc idem etiam Maximus dicit episcopus. Item Joannes Chrysost.: Non tibi dico, ut teprodas ... Idem : Peccata tua quotidie dicito, ut deleas illa. Sed si confunderis alicui ... Item Prosper: Illi quorum peccata humanam ...Et infra: Facilius sibi Deum ... His auctoritatibus innituntur qui sufficere contendunt Deo confiteri peccata sine sacerdote. Dicunt enim, quod si quis timens detegere culpam suam apud homines , ne inde opprobrio habeatur, vel alii suo exemplo ad peccandum accingantur, et ideo tacet homini et revelat Deo, consequitur veniam. " 277

Petrus Lombardus , ebd. (PL 192, 882 f.): „Sed quod sacerdotibus confiteri oporteat, non solum ilia auctoritate Jacobi: confitemini alterutrum peccata vestra etc., sed etiam aliorum pluribus testimoniis comprobatur. ...Ex his aliisque pluribus indubitanter ostenditur, oportere Deo primum et deinde sacerdoti off erri confessionem , nec aliter posse pervenire ad ingressum paradisi, si adsit facultas. " 278

Petrus Lombardus, ebd., c. 5 (PL 192, 883): „ Quod enim secunda quaestio continebat , scilicet, an sine confessione et iudicio sacerdotis soli Deo confiteri sufficeret, expeditum est ; et certificatum praemissis testimoniis, quod non sufficit confiteri Deo sine sacerdote; nec est vere humilis et poenitens , si non desiderai et requirit sacerdotis iudicium. Sed nunquid aeque valet alicui confiteri socio vel proximo suo, saltem cum deest sacerdos ? " 279

Petrus Lombardus , ebd. (PL 192, 883 f.): „Sane ad hoc potest dici, quod sacerdotis examen requirendum est studiose, quia sacerdotibus concessit Deus potestatem

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schwere Verfehlungen einem Laien bekannt werden müssen, leichte hingegen können. Sicherer und vollkommener aber ist es, beiderlei Arten von Sünden dem Priester als Inhaber der Binde- und Lösegewalt offenzulegen. 2 8 0 Z u m Wert des Bekenntnisses als solchen übergehend, meint der Lombarde, daß dieses eine Prüfung für die Demut sei und daß die Beschämung, die es hervorruft, als Strafe für die Sünde und als T e i l des göttlichen Gerichtes gelte. Es ermöglicht dem Priester, die Situation des Pönitenten zu beurteilen und ihm die entsprechende Sühneleistung aufzuerlegen. 2 8 1 Eine Generalbeichte ist nach der Meinung des Autors ein M i t t e l , um nicht nur läßliche, sondern auch schwere Sünden, und zwar jene, deren sich der Sünder nicht mehr erinnert, nachzulassen. 282 Der Lombarde kennt die Grundpositionen Abaelards und der Viktoriner. Er übernimmt die Lehre des ersteren,

ligandi et solvendi; et ideo quibus ipsi dimittunt, et Deus dimittit. Si tamen defuerit sacerdos, proximo vel socio confessio est facienda. Sed curet quisque sacerdotem quaerere, qui sciat ligare et solvere : Talem enim esse oportet, qui aliorum crimina dijudicat ... Quaerendus est sacerdos sapiens et dis er et us, qui cum potestate simul habeat judicium, qui si forte defuerit, confiteri debet socio. " 280

Petrus Lombardus, ebd. (PL 192, 884): „ Beda vero, super Epist. Jacobi 5, inter confessionem venialium et mortalium distinguit super ilium locum: Confitemini alterutrum peccata vestra. Ait enim: Coaequalibus quotidiana et levia, graviora vero sacerdoti pandamus, et quanto jusserit tempore purgare curemus, quia sine confessione emendationis, peccata nequeunt dimitti. Sed et graviora coaequalibus pandenda sunt, cum deest sacerdos, et urget periculum. Venialia vero, etiam sacerdotum oblata copia, licet confiteri coaequali, et sufficit, ut quibusdam placet, si tamen ex contemptu non praetermittatur sacerdos. Tutius est tamen et perfectius utriusque generis peccata sacerdotibus pandere, et consilium medicinae ab eis quaerere, quibus concessa est potestas ligandi et solvendi. " 281

Petrus Lombardus, ebd., c. 6 (PL 192,885): „ Ubi ... superbia régnât et hypocrisis humilitas locum non habet. Sine humilitate vero alicui veniam sperare non licet. ...jubemur confiteri peccata, ut erubescentiam patiamur pro poena, nam hoc ipsum pars est divini judieii. Si ergo quaeritur an confessio sit necessaria, cum in contritione jam deletum sit peccatum, dicimus quia quaedam punitio peccati est, sicut satisfactio operis. Per confessionem etiam intellegit sacerdos qualiter debeat judicare de crimine. Per eam quoque peccator fit humilior et cautior. " 282 Petrus Lombardus , ebd., D. X X I I , c. 5 (PL 192, 897): „Post haec considerandum est quid prosit confessio illa, ubi singula peccata quae quisque fecit, non exprimuntur. Sane dici potest quod omnia criminalia semel saltern oportet in confessione exprimi, nisi aliqua a mente exciderint. Sed quia nemo delicta intellegit omnia, generaliter saltern ea confitere, quorum memoria non habes, et sic nihil celasti de sceleribus tuis. Venialia vero ... quia innumerabilia sunt, sufficit generaliter confiteri, nisi aliqua sint frequenter iterata ; perfectius est tamen etiam illa exprimere si vales. "

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fordert aber viel akzentuierter das Vorhandensein des Bekenntniswillens für den inneren Reueakt. Die Argumente der Viktoriner dienen i h m besonders dazu, die Bekenntnispflicht zu unterstreichen. 2 8 3 Robert Pullus ( P u l l e y n ) 2 8 4 hat für unsere Untersuchung insofern eine besondere Bedeutung, als er mehr, als es bisher geschehen ist, neue Wege in Richtung einer Synthese der Schulen Abaelards und der Viktoriner sucht. In seinem Sentenzenbuch, 2 8 5 in dem er die „confessio" als zweite Rettungsplanke nach dem Schiffbruch bezeichnet, hält es der A u t o r für notwendig, vor dem Bekenntnis das Herz v o m Giftstoff der Sünde zu befreien. 2 8 6 Reue und mündliches Bekenntnis sind beide unentbehrlich, d. h. die Reue des Herzens ohne mündliches Bekennen hat keine Gültigkeit, ebenso wie ein Bekenntnis ohne Reue immer ohne Wert b l e i b t . 2 8 7 Wer sich weigert, sei es aus Menschenfurcht, sei es aus Scham wegen seiner begangenen Verfehlungen, seine Schuld zu bekennen, kann keine Vergebung erlangen. 2 8 8 Die Verpflichtung, dem Priester zu bekennen, bezieht sich lediglich auf die schweren Verfehlungen. Sie können i m Falle einer Notwendigkeit auch einem Gläubigen offengelegt w e r d e n . 2 8 9

283

V&. Anciaux, Théologie (Anm. 186), 230.

284

Robertus Pullus (Pulleyn), um 1080 in Südwestengland geboren, studierte Theologie an der Kathedralschule von Paris und lehrte später in Oxford und Paris. 1144 wurde er Kardinal und das Jahr darauf Kanzler der Hl. Rom. Kirche. Sein theologisches Denken ist geprägt durch die Beziehungen zu den Schulen von Laon und St. Viktor zu Paris sowie seine Auseinandersetzungen mit Petrus Abaelard. Er starb 1146 zu Rom. V g l . ! . Hödl, in: LThK 2 8,1342. 285 Robertus Pullus, Sententiarum Libri VIII (PL 186,639-1010). 286

Robertus Pullus, ebd., Lib. V, c. 30 (PL 186, 851 f.): „ Quoniam pactum baptismi subditi adhuc vanitati non servamus, secundum post naufragium nobis refugium constituitur confessio ... Sed ante confessionem, ubi virus evomitur, necesse est virus ipsum separar i a corde ... Nihil ergo valet confessio, nisi pretium sumat ex affect ione mentis. " 287

Robertus Pullus , ebd., Lib .VI, c. 51 (PL 186, 900): „Plane sciens poeniteniam cordis absque confessione oris numquam valere; confessionem autem absque poenitentia 288 semper infructuosam esse. " Robertus Pullus , ebd. (PL 186, 896): „Quisquis enim facinora sua sacerdoti pandere noluerit, aut timore mundi perterritus, aut inhonestate rei verecundatus, is nulla ratione veniam impetrai; aut si prius confiteri optabat, jam id agit ut impetratam perdat ... Undepatet quod confessione peccatorum valde opus est. " 289

Robertus Pullus, ebd. (PL 186, 897): „Si quotidianis, et his sine quibus non vivitur urgeris, sufficit huiusmodi confiteri comparibus, imo nonnunquam et minoribus : quo more presbyteri usitate et quotidie indifferenter circumstantibus confitentur ... Auctori tatem ergo sequentes gravioris leprae immunditiam sacerdoti pandamus, et quanto iusserit tempore purgare curemus. "

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Es stellt sich ähnlich wie bei den anderen Autoren folgendes Problem: Wenn Reue und Vorsatz zum Bekenntnis den Pönitenten sowohl von der Sünde als auch von der ewigen Sündenstrafe befreien, aus welchem M o t i v erweist sich ein Bekenntnis darüber hinaus als n o t w e n d i g ? 2 9 0 Robert Pullus antwortet zunächst mit dem Hinweis auf zwei äußere Gründe. Einmal, w e i l es sich bei der Beichte um einen von der Kirche vorgeschriebenen A k t handelt. Z u m anderen, w e i l die Übernahme der Sühneleistung vor größeren zeitlichen Strafen i m Fegefeuer bewahrt und der Erkenntnis die Tat folgen muß. Der innere Grund liegt schließlich darin, daß sie die Absolution von den Sünden in sich schließt. 2 9 1 M i t dem Begriff der Absolution bringt Pullus einen neuen Aspekt in den Entsündigungsvorgang ein. Hier erhebt sich nämlich die Frage, w o v o n absolviert w i r d , wenn das Freisein von Sünde die Voraussetzung für das Bekenntnis und dieses die Vorbedingung für die Absolution ist. Der Mensch ist sowohl durch die Sünde als auch durch die Sündenstrafe gebunden. Durch seine Verfehlungen w i r d er gefangengehalten, sei es w e i l er noch i m Zustand der Sünde ist, sei es w e i l er auch als Reuiger noch v o m Bösen angezogen und durch die begangenen Fehlleistungen geschwächt ist. Die Sündenstrafe besteht einerseits in der Ableistung der Sühneauflage, andererseits in der Trennung von der K i r che.292

290 Robertos Pullus , ebd., Lib. VII, c. 1 (PL 186, 911 f.): „Nimirum dupliciter culpa dimittitur ... Primo genere vitia condonantor, quam cito cor compunctione conter itur,... Idem illi qui se apud sacerdotem accusare proponit, remittit non solum peccatum, verum etiam peccati impietatem, id est, et quod peccavit, et quod toties talique tempore, talique loco, tali item modo, et si quae similia sunt aliis quotquot generibus deliquit. " 291 Robertos Pullus , ebd., Lib. VI, c. 59 (PL 186, 908): „Sed si cordis ex compunctione, et ex spe veniaepotest esse salus, quidpostea opus est confessione? Quid denique fructus poenitentiae? Quoniam secundum statuta Ecclesiae, quisquis ad illa duo attingere potest contemnit, ei salus dépérit. Est quoque opus illis quoniam praesens poena diligenter suscepta, a futura longe graviori defendit purgatoria. Opus est ergo confessione, non solum quoniam obedientiae supersedendum non est, verum quoque ut quid debeat fieri agnoscas. Opus est post agnitionem executione , ne frustra quod fieri oportuit agnoveris. Opus quoque est confessione, quoniam in ipsa digne celebrata peccatorum est absolutio. " 292

Robertos Pullus, ebd., c. 60 (PL 186,908 f.): „Sed ut absolutionis ratio manifestius declaretur, prius quid sit ligari, ut solvi necesse sit, praevideator. Ligantor homines vinculis spiritualibus aut peccati aut poenae peccati. Poena autem peccati, sicut modo accepimus, aut lamenta sunt poenitentium, aut sequestratio excommunicatorum; sed qui extra Ecclesiam, imo et Ecclesiae beneficia, ligamine anathematis detinetur, is reconciliatione foederata absolvitor. Vinculo peccati constringitur, quisquis aut dum amat culpam a recto itinere praepeditus, aut si Vitium jam deposuit, quasi a languore qui

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Für die Absolution von der Sünde bietet dem A u t o r die Auferweckung des Lazarus ein aussagekräftiges Symbol. Der durch Jesus zum Leben Erweckte hat noch Augen und Hände gebunden. Dem durch die Gnade zum übernatürlichen Leben befreiten Sünder ist noch die Sicht verstellt, und die Glieder sind festgebunden. Diesen Reuigen, aber g e h i n d e r t e n " hat der Priester zu lösen, zu absolvieren. Das Bekenntnis ermöglicht die Absolution, d. h. die Lösung von der Behinderung der Sicht und der G l i e d e r . 2 9 3 Das Bekenntnis besitzt denselben Wert w i e die Taufe eines Erwachsenen, der durch den Glauben gerechtfertigt ist. Glaube und Reue vermitteln das Leben, Taufe und Bekenntnis die H e i l u n g . 2 9 4 Robertus betrachtet das Bekenntnis als innerlich mit der Sündenvergebung verbunden, insofern es nicht bloß ein Mittel darstellt, um zeitliche Sündenstrafen zu sühnen, sondern w e i l es auch als Heilmittel gegen die Folgen der Sünde wirksam w i r d . 2 9 5 Er versteht hiemit den Ausdruck Sündenvergebung in einem integralen Sinn. A u f die oben beschriebene Absolution trifft der Sakramentsbegriff insofern zu, als sie das Zeichen der in der „contritio"

bewirkten Vergebung i s t . 2 9 6 W i e

recenter convaluerit, ita a vitio noviter curatus, consuetudine mala libere quid agat retardatur. " 293 Robertus Pullus , ebd. (PL 186, 909): „Hic est Lazarus resuscitatus, facie velatus, institisque circumligatus: Quisquis vero justitiae restitutus, praeteritae ignominiae molestia, quasi quibusdam institis a recto gressu retardatur, is sacerdotali confessione ad viam veritatis tenendam praeparatur; sicque difficultas bene agendi, quae prius inerat, paulatim consuetudine boni allevia tur. Hic est Lazarus discipulorum officio solutus et abire permissus. " 294 Robertus Pullus, ebd., Lib. V, c. 10 (PL 186, 838): „Sicut ergo sanctorum Patrum Abraham prius ex fide iustificatus, post sacramentum circumcisionis in signum interioris iam perceptae accepit, ita filii ejus per fidem, ex fide prius justificantur, post sacramentum ablutionis in signum interioris jam perceptae assumunt. Et sicut ille in percepta jam iustitia non permanerei, si mandatum Dei negligens circumcidi respueret, ita isti prius justi mox fierent injusti , si contra oboedientiam baptizari recusarent. Sic corde contrito et humiliato mox venia conceditur peccati, necesse est tamen postea confiteri. Si quis tamen corde contrito ante confessionem morte fuerit praeoccupatus, ne pereat compunctio intercedit. " 295 \g\. Anciaux, Théologie (Anm. 186), 235. 296

Vgl. Robertus Pullus, Sententiarum Libri Vili, u. zwar Lib. V, c. 10 (PL 186, 838): „Sicut ergo sanctorum Patrum Abraham prius ex fide justificatus, post sacramentum circumcisionis in signum interioris jam perceptae accepit, ita filii ejus per fidem, ex fide prius justificantur, post sacramentum ablutionis in signum interioris jam perceptae assumuntMit Lib. VI, c. 61 (PL 186, 910): „Absolutio quae peccata confessione super poenitentem a sacerdote fit, sacramentum est, quoniam sacrae rei signum. Et cujus sacrae rei est signum, nisi remissionis et absolutionis? Nimirum confi-

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die Analogie mit der Taufe jedoch gezeigt hat, handelt es sich um einen eingeengten Sakramentsbegriff, da in beiden Fällen - bei der Taufe durch die „fides" und bei der Buße durch die „compunctio" - die Sündenschuld bereits weggenommen ist. Die Rechtfertigung geschieht nicht durch das sakramentale Zeichen, sondern durch die Liebesreue. Der Sakramentsvollzug bewirkt die Tilgung der zeitlichen Sündenstrafen, ist Heilmittel gegen die Sündenfolgen und Deklaration (signum) der Tatsache der Sündenvergebung. 297 Dem Bekenntnis schreibt Robert Pullus eine reale Wirksamkeit in der Seele des durch die Reue mit Gott Versöhnten zu. Er betrachtet es als Anfang der Befreiung der Seele von den Folgen der Sünde und von der geistigen Stumpfheit, die an das Böse fesselt, sowie als innere Disposition, um den Weg der Wahrheit zu beschrei.

298

ten. Richard von St. Viktor 299 macht den Versuch einer differenzierten Synthese der beiden Grundpositionen, die von den Theologen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vorgebracht wurden. In seinem berühmten „Tractatus de Potestate ligandi et solvendi" 300 wendet er sich scharf gegen jene Theologen, die die Absolutionsvollmacht des Priesters auf eine einfache Deklaration einer von Gott gewährten Verzeihung verdünnen. Um zu bestimmen, in welcher Phase des Entsündigungsprozesses die Schlüsselgewalt wirksam wird, bringt er einige Unterscheidungen im Objekt der Nachlassungsvollmacht an. Durch seine Verfehlung entsteht dem Sünder eine Schuldverhaftung obligatio ad culpam"), d. h. er wird gleichsam gefangengesetzt vinculum captivitatis"), weil er sich aus dieser Situation ohne Hilfe Gottes nicht befreien kann. Deshalb wird die Sünde auch als Tod der Seele bezeichnet. Die Sünde tentibus a sacerdote facta a peccatis absolutio remissionem peccatorum, quam antea peperit cordis contritio , désignât. " 297

Vgl. Schmoll, Bußlehre (Anm. 245), 60 ff.

298

Robertos Pullus, Sententiarum Libri VIII, Lib. VI, c. 60 (PL 186, 909): „ Quisquis vero justitiae restituais, praeteritae ignominiae molestia, quasi quibusdam institis a recto gressu retardatur, is sacerdotali confessione ad viam veritatis tenendam praeparatur; sicque difficultas bene agendi quae prius inerat, paulatim consuetudine boni alleviator. " 299

Richard von St. Viktor, geb. in Schottland, trat in St. Viktor ein und bekleidete seit 1162 das Amt eines Priors. Seine Bibelkommentare sind von den Grundsätzen Hugos von St. Viktor beeinflußt und forschen auf ihre Weise nach dem dreifachen (literalen, allegorischen u. mystischen) Sinn der Hl. Schrift. Gleichzeitig ist er auch ein Theologe, der sich intensiv mit Zeitfragen auseinandersetzt. Er starb 1173. Vgl. L. Ott, Untersuchungen zur theol. Briefliteratur der Frühscholastik (BGPhMA 34). Münster 1937,549-657 n.J. Chatillon, in: LThK 2 8,1293 f. 300 PL 196,1159-1178.

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hält aber nicht nur gefangen, sondern versetzt in einen Zustand der Knechtschaft („ vinculum servitutis"). m Z u m anderen entsteht dem Sünder aus seinem Vergehen die Strafverhaftung (,,obligatio ad poenam"), d. h. er ist verdammungswürdig („ vinculum damnationis"). Die Schrift spricht v o m Zweiten Tod. Wen jedoch Gott zur aufrichtigen Reue bewegt, dem nimmt er die Verdammungswürdigkeit. A n die Stelle der Verdammungswürdigkeit tritt die Sühvinculum expiationis"). 302 Durch die aufrichtige Reue zerstört Gott nepflicht die dreifache W i r k u n g der Sünde: Er befreit den Menschen von seinem Zustand des Gefangen- und Knechtseins, er wandelt die Verdammungswürdigkeit in Sühnepflicht und die ewige Strafe in eine zeitliche Bestrafung. 3 0 3

301

Richard von St. Viktor, Tractatus de Potestate ligandi et solvendi, c. 2 (PL 196, 1160 f.): „ In primis itaque notandum quod peccatorum obligatio consideratur circa duo. Alia est ejus illa obligatio per quam homo obligatur ad culpam, et alia est illa per quam obligatur ad poenam. In uno obligatur vinculo captivitatis. In altero vero obligatur debito damnationis. Si enim homo in aliquod grave peccatum ceciderit, jam non est in ejus potestate ut per semetipsum resurgere possit: per semetipsum potest a Domino recedere, sed per semetipsum non potest ad ipsum redire ... Hinc est quod obligatio culpae dicitur mors animae, quia sicut per mortem exteriorem corpus restringitur ab operibus quae sunt ad vitam, sic anima per obligationem culpae mortificatur ad opera quae sunt ad vitam aeternam. Sed homo semel vinetus atque captivatus utinam teneretur ad solam captivitatem, sed quod miserrimum est tenetur etiam ad peccandi servitutem. ... Culpae itaque obligatio versatur circa duo. In uno accenditur vinculum captivitatis, in alio debitum servitutis. " 302

Richard von St. Viktor, ebd., c. 3 (PL 196,1161): „Ad cumulum namque miseriae tenetur praevaricator merito praevaricationis suae non solum vinetus ad culpam, verum etiam addictus ad poenam. Eo ipso siquidem quo illud committit quod quantum in se in aeternum corrigere non possit, et in ipsius injuriam qui in aeternum vivit, eo ipso, inquam, aeternae damnationis debitum ineurrit. Damnatio autem aeterna in sacra scriptum dicitur mors secunda, nam, sicut ex obligatione culpae retrahitur anima a beneplacito divino , sic ex inflictione damnationis aeternae alienatur anima ab omni beneplacito proprio. Hominem autem ejusmodi vinculis obligatum solus ille solvere potest qui vere omnipotens est , et omnia potest ... Quando ergo ille qui omnia potest praevaricatorem ad veram poenitentiam compungit, quid aliud, quaeso, quam perpetualem culpam, et eo ipso perpetualem poenam terminabilem facit? Sic utique, sic transit poena in poenam, aeterna in transitoriam, et qui prius tenebatur debito damnationis, modo jam tenetur debito expiationis. " 303

Richard von St. Viktor, ebd., c. 4 (PL 196,1162): „Notandum autem quod sub uno eodemque momento ad consensum criminis consentientis animus triplici funiculo astringitur, et vinculis captivitatis, servitutis, damnationis, quantum in se solo, insolubiliter figatur. ... Hoc autem funiculus triplex ad rumpendum difficilis eo ipso disrumpitur, quo anima peccatrix ab eo qui omnia potest ad veram poenitentiam compungitur. Praevaricator itaque sub uno eodemque tempore solvitur a culpae obligatione et a debito dam-

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V o n Richard erfahren w i r auch, welche vier Elemente die sündentilgende Reue in sich begreift: sie hat die Sünde zu verabscheuen mit dem Vorsatz, im Guten auszuharren. Die Notwendigkeit dieser beiden Elemente stellt das Gewissen fest. Über die Notwendigkeit des Bekenntniswillens werden w i r durch die Aufforderung des Apostels Jakobus, einander die Sünden zu bekennen (Jak 5,16), belehrt und über die Notwendigkeit oder Pflicht, die Sühneleistung zu erfüllen, durch die Mahnung Johannes des Täufers, würdige Früchte der Buße zu bringen ( M t 3,8 u. L k 3 , 8 ) . 3 0 4 Solange dem Pönitenten Zeit gegeben ist, ein Sündenbekenntnis abzulegen und die Sühneauflage zu leisten, muß er von der priesterlichen Absolution Gebrauch machen. 3 0 5 Das Tätigwerden des Priesters ist wesentlich für die Sündenvergebung erforderlich. Die Verdammungswürdigkeit w i r d durch Gott und durch den Priester aufgehoben. Gott erläßt die ewige Sündenstrafe auf Grund des Herzensbekenntnisses, der Priester auf Grund des Verbalbekenntnisses. 3 0 6 Der Straferlaß ist von Seiten Gottes nur hypothetisch gewährt, denn Gott nimmt dem Sünder seine Verdammungsbestimmung unter der Bedingung, daß er die Lossprechung durch den Priester erhalte und nach dessen Ermessen Sühne

nationis aeternae. Ex eo enim quod ejus culpa finem accepit, simul et illud obtinuit, ut ejus poenafinem accipere posset , et poena aeterna in poenam transitoriam transiret. " 3()4

Richard von St. Viktor, ebd., c. 5 (PL 196,1163). „ Vera poenitentia est abominano peccati cum voto cavendi, confitendi et satisfaciendi. Quatuor namque ista debet habere poenitentia vera . Duo ex his nos docet conscientia propria, reliqua duo doctrina authentica. Quem enim propria conscientia non doceat, quod accepta injuria nec homo ab alio quam ab homine placari valeat, nisi eum de illata injuria poenitere et iterare nolle confidai? De remedio autem confitendi est, illud beati Jacobi apostoli: confitemini, inquit, alterutrum peccata vestra. De exhibenda autem digna satisfactione, habet illud Joannis Baptistae: Facite, inquit, dignos fructus poenitentiae. " 305

Richard von St. Viktor, ebd.: „ Praevaricator itaque et poenitens debito confitendi et satisfaciendi tenetur quamdiu divinitus tempus et opportunitas ei in hoc ipsum conceditur. Eget ergo sacerdotis absolutione quamdiu datur hoc posse. Solus namque ille sub hac conditione non tenetur, cui exsequendi facultas divinitus denegatur. " 306 Richard von St. Viktor, ebd., c. 7 (PL 196, 1165): „Recte quidem dicitur quod Dominus vere poenitentem a vinculo damnationis absolvit, recte nihilominus quod sacerdos hoc facit. Et Dominus quidem ad confessionem cordis, et sacerdos ad confessionem oris. Sola enim cordis confessio poenitenti ad salutem animae sufficit veraciter, cum articulus necessitatis oris confessionem et sacerdotis absolutionem excludit: unde recte dicimus quod tunc Deus absolvit. Sed quoniam oris confessio et sacerdotis absolutio a vere poenitente exigitur quandiu divinitus ei in hoc ipsum facultas conceditur, recte quidem debitae damnationis absolutio etiam sacerdoti adscribitur. "

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leiste. 307 Für den Notfall, in dem der Priester nicht erreichbar ist, genügt das Bekenntnis des Herzens, für den Normalfall sind das mündliche Bekenntnis und die Genugtuung unentbehrlich. Die Mitwirkung der Priester bei der Heilung der Aussätzigen und jener der Jünger bei der Erweckung des Lazarus sind für Richard von St. Viktor die Beispiele für die Notwendigkeit des Tätigwerdens des Priesters zum Nachlaß der ewigen Sündenstrafen. 308 Damit im Zusammenhang stellt er sich die Frage: Wie kann der Priester die Strafverhaftung der Verdammnis aufheben, wenn der Pönitent vor der priesterlichen Lossprechung durch aufrichtige Reue sich sozusagen bereits selbst von ihr gelöst hat? M. a. W., wie kann nach Lösung vom „debitum culpae" noch das „debitum damnationis" aufrechterhalten werden? Auch über diese Schwierigkeit hilft er sich mit einer Unterscheidung hinweg. Von den Gerechten des Alten Bundes (Patriarchen, Propheten) weiß er „ohne Zweifel", daß sie zwar in der Liebe Gottes standen, daß sie aber dennoch verdammungswürdig und erlösungsbedürftig blieben. Den sachlichen Widerspruch von Rechtfertigung und Noch-nicht-Rechtfertigung löst Richard mit dem Hinweis auf die dreifache Art, Glied Christi sein zu können, nämlich 1. „praedestinatione": durch göttliche Vorausbestimmung zum Leben; 2. „praeparatione": wenn ein „falscher Christ" (= sündiggewordener Christ) echt bereut; 3. „incorporatone" : wenn ein solcher Christ durch die Absolution des Priesters der Kirche Christi eingegliedert wird. 3 0 9

307

Richard von St. Viktor, ebd., c. 8 (PL 196, 1165): „Notandum quod vinculum damnationis Dominus solvit conditionaliter, minister vero Domini simpliciter, et, ut sic dicam, integraliter. Poenitentem namque a debito damnationis Deus absolvit sub tali conditione, ut eum oporteat, prout potest, sacerdotis absolutionem quaerere, et ad ejus arbitrium debito more satisfacere. " 308

Richard von St. Viktor , ebd., c. 14 (PL 196, 1169): „Et si vultis recipere, emundatio leprosi non est tantum una, sed terna . Unam ex his tantum facit Dominus per semetipsum, caeteras duas per ministrum suum." Ebd. c. 18 (PL 196, 1171): „ Distinguamus diligenter quid Dominus faciat per semetipsum, quid faciat per ministrum suum. Per semetipsum resuscitai mortuum, per ministros solvit ligatum. ... Post emundationem leprae sacerdotali officio interveniente, ejectus prius in sua reducitur, quando aeternae quietis mansionem quam peccando amiserat per injunctam satisfactionem recuperasse cognoscitur. Institis involutus , et a Domini ministris solutus, abire et ad sua redire permittitur, quando per absolutionem et consilium sacerdotis et ad vitae novitatem reforma tur. " 309 Richard von St. Viktor, ebd., c. 19 (PL 196, 1171): „Ad ea quae superius dicta sunt quidam quidem opponunt et dicunt: qui veraciter de suis criminibus poenitent, pro certo jam charitatem habent. Alioquin quod scribitur quomodo de eis recte intelligitur: quacumque hora peccator ingemuerit, salvus erit? Nemo enim qui charitatis capax est,

9

Johannes Mühlsteiger M i t dieser Unterscheidung gibt Richard eine A n t w o r t auf die Frage, weshalb

ein sündiggewordener Christ, obwohl aufrichtig reuig, nicht den Leib und das Blut des Herrn empfangen darf. Ein reuiger Sünder ist vor der priesterlichen Absolution Glied der Kirche Christi „praeparatione" poratione"

und nicht schon

„incor-

. 3 1 ( ) M i t der genannten Distinktion gibt unser A u t o r eine direkte

Interpretation des c. 856 C I C . Richard von St. V i k t o r wendet sich besonders heftig gegen die Lehre des Petrus Lombardus von der rein deklaratorischen Bedeutung der priesterlichen A b s o l u t i o n 3 1 1 und verteidigt die Lehre Hugos, wonach Gott allein die Schuld und der Priester durch die Lossprechung die ewige Strafe nachläßt. Er differenziert allerdings die These Hugos durch den Begriff der bedingten Absolution, d. h. Gott erläßt die Straffolge bedingt (,,conditionaliter"), der Priester endgültig C, definitive " bzw. „ integr aliter " ). Robert

von Melun 312,

ein Zeitgenosse des Petrus Lombardus, berührt die

Frage der Notwendigkeit des Bekenntnisses gelegentlich der Behandlung von

sine charitate salvari potest. Sed, ut putant, qui charitatem habet debito aeternae damnationis teneri non valet. Quomodo ergo sacerdos eum ab ejusmodi debito absolvit, si ante sacerdotalem absolutionem charitate interveniente absolvi jam meruit? Sed absque ulla dubitatione patriarchae et prophetae charitatem habuere, et tamen tenebantur debito damnationis aeternae. ... Quomodo... poter it esse membrum Christi et debito damnationis teneri ?" Ebd. c. 20 (PL 196, 1172): „Sed ut a pie quaerentibus omnem scrupulum amoveamus, dicimus quod triplici modo mebrum Christi dici solemus: praedestinatione, praeparatione, concorporatione. Praedestinatione, qui ad vitam divinitus praeordinatur; praeparatione, quando paganus et falsus christianus veraciter compungitur, et ad veritatem et charitatem imbuitur; concorporatione, quando ille per corporis absolutionem, iste per sacerdotis absolutionem Ecclesiae Christi consociatur. " 310

Richard von St. Viktor, ebd., c. 21 (PL 196, 1173): „Audacter dico, si ante sacerdotis absolutionem ad communionem corporis et sanguinis Christi accesserit, judicium sibi pro certo manducai et bibit, etsi eum peccasse iam multum poeniteat, et vehementer doleat et ingemiscat. " 311 Die Sentenz jener, die meinen, daß der Priester keine Vollmacht zu binden und zu lösen besitze, sondern nur in der Lage sei, aufzuzeigen, daß Menschen gebunden oder gelöst seien, bezeichnet Richard „tarn frivola, ut ridenda videaturpotius quam refellenda". Vgl. Tractatus de Potestate ligandi et solvendi, c. 12 (PL 196, 1168). Zur These Richards v. St Viktor siehe auch Schmoll, Bußlehre (Anm. 245), 57 ff. 312

Robert von Melun, um 1100 in England geboren, starb als Bischof von Hereford 1167. Seine Studien absolvierte er in Oxford und Paris, wo er 1137 Nachfolger Abaelards als Magister artium wurde. Später leitete er die Schule von Melun und wurde in der Folge wiederum Lehrer in St. Viktor zu Paris. 1163 wurde er zum Bischof von Hereford ernannt. Vgl. U Horstin, in: LThK 2 8, 1341. Vgl. auch Fr. Bliemetzrieder, Robert von Melun und die Schule Anselms von Laon, in: ZKG 53 (1934) 117-170.

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sachverwandten Problemen, die sich bei der Interpretation von Schrifttexten ergaben. Im Zusammenhang mit einer Frage, die sich auf die Sündenstrafen bezog, erklärt er, daß der Sünder für eine schwere Schuld eine ewige Strafe verdient, die jedoch durch die Reue in eine zeitliche umgewandelt werde. 313 Auf das Problem der priesterlichen Vollmacht bei der Sündenvergebung kommt der Verfasser in seinen Schriften mehrere Male zu sprechen; dabei schneidet er auch beiläufig die Frage der Notwendigkeit des Bekenntnisses an. Seine ebenfalls nur angedeutete Antwort geht dahin, daß zwar mit der Reue die ewige Schuld erlassen wird, die Erfüllung der äußeren Genugtuung jedoch noch ausstehe. Für den Fall der Vernachlässigung der Sühne wird die Schuld nicht vergeben. Mit der Sühneleistung jedoch verdient der Schuldiggewordene die Absolution, womit die Sünde vollkommen vergeben ist. 3 1 4 Wenn der Sünder seine Schuld bekennt, gewährt ihm der Priester die Absolution von der ewigen Strafe, an die er gebunden wäre, wenn er das Bekenntnis vernachlässigt hätte. 315 Robert stellt die Frage, wovon der Priester den Sünder genauerhin absolviere. Dazu gibt er eine Reihe unterschiedlicher Meinungen verschiedener Autoren wieder. Eine von ihnen lautet, daß der priesterliche Spruch dem Sünder die Gliedschaft Christi einbringe und ihm dadurch die Teilnahme an den Sakramenten vermittle, deren er bisher unwürdig war. 3 1 6 Ohne Bekenntnis und Sühne gibt es nach Robert von Melun keine vollständige Sündenvergebung. Nach seiner Vorstellung vergibt Gott die Sünde, der Priester aber erläßt die ewige Strafe, indem er durch die Sühneauflage den Sünder endgültig von seiner Schuldsituation befreit. 317

313

Robert von Melun, Questiones de Divina Pagina, q. 64 (R. M. Martin, Oeuvres de Robert de Melun [SSL 13]. Bd. 1. Louvain 1932, 34): „ Peccando ad mortem promeruit penam eternam, sed ingemiscendo promeruit ut de eterna fier et temporalis. " 314

Robert von Melun, ebd., q. 72 (Ed. Martin, 38): „ Cum primo ingemiscit peccator remittitur ei reatus. Sed adhuc tenetur debito satisfactionis exterioris; quam si neglexe rit facere non absolvitur ab reatu. Si vero exteriorem satisfactionem compleverit, absolvi merebitur; et sie omnino dimissum fuerit peccatum. " 315

Robert von Melun, ebd., q. 26 (Ed. Martin 17): „Sequitur a quo ilium absolvat. A pena eterna eum absolvit cum confitetur ei peccata peccator, quam ineurreret si confiteri contemneret. " 316 Robert von Melun, ebd., q. 73 (Ed. Martin 38): „ Sed quaeritur a quo absolvat eum sacerdos, cum videatur pocius eum ligare. Hic diversi diversa dicunt. Quidam , quod absolvit eum a futura poena, si occulta fuerit penitencia. Alii dicunt, quod per sacerdotem meretur effici membrum Christi et sic participare sacramentis Christi, quibus ante indignus erat. " 317

Vgl. Anm. 314.

60 FS Mühlsteiger

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Johannes Mühlsteiger

In der Schule des Robert von Melun wird die Abfolge des Entsündigungsprozesses so präzisiert: Wirklich bußfertig ist deijenige, der von Herzen bereut, mit dem Munde bekennt und die gebührende Buße verrichtet. 318 Das Bekenntnis ist nicht nur verpflichtend, sondern auch notwendig. Aus eben dieser Schule stammt eine exegetische Schrift mit dem Titel „Allegoriae in Novum Testamentum", in der erklärt wird, daß deijenige irrt, der meint, daß in einer echten Liebesreue die Sünden bei Gott nachgelassen sind, noch bevor der Pönitent zum Priester kommt, und sie deshalb nicht vom Priester nachgelassen werden müssen. Der Sachverhalt liegt für den unbekannten Autor vielmehr so: Gott vergibt zunächst vom Augenblick der Reue an; er vergibt „in ähnlicher Weise im Bekenntnis durch den Dienst des Priesters und nochmals in der Sühneleistung". Die Begründung liegt darin, daß eine Schuld so lange abzutragen ist, als noch etwas zu ihrer Tilgung erforderlich ist. Ist die Sündenschuld einmal getilgt, dann ist es auch die Sünde selbst. 319 Somit ist die in der Liebesreue gewährte Vergebung erst mit dem Bekenntnis und der Sühneleistung vollständig. Gott schenkt dem Sünder die Verzeihung seiner Sünde unter der Voraussetzung, daß er sie bekennt und die Buße verrichtet. So gesehen löst sich auch jede Gegensätzlichkeit zwischen der Wirksamkeit der Reue und des Bekenntnisses auf. Eine ähnliche Mittlerstellung zwischen Petrus Abaelard und den Viktorinern nimmt Magister Simon in seinem Traktat „De sacramentis" ein. 3 2 0 In den Überlegungen zum Weihesakrament handelt er unter anderem auch von den Verheißungen an die Apostel. Vorher erörtert er aber die Frage, in welchem Sinn man von einer Sündenvergebung durch den Priester sprechen kann, und unterscheidet eine Doppelbedeutung des Ausdrucks Sünde als Schuld und Strafe. Der Schuldnachlaß ist Sache Gottes. Die Verheißung Christi an die Nach-

318

Der Verfasser der „Quaestiones et Decisiones in Epistolas S. Pauli" aus der Schule des Robert von Melun fordert in seinem Kommentar zum Römerbrief in der questio 52 (PL 175, 446 f.) drei Elemente für eine echte Reue: „ Vere poenitens est, qui corde conteritur, et ore confitetur y et condignam exhibet satisf actionem. " 319

Allegoriae in Novum Testamentum, Lib. V (PL 175,877): „Si quis autem dicat in vera cordis contritione peccata ante esse remissa apud Deum, quam ad sacerdotem veniat qui poenitet, et sic non oportere a sacerdote remitti: dieimus quod non est ita ; sed et Deus prius, ex quo vere ingemiscit, remittit; et similiter in confessione per ministerium sacerdotis, et etiam in executione satisfactionis remittit. Tandiu enim debitum remitt dicitur, quandiu de debito aliquid restât faciendum, et cum debitum pro peccato dimittitur320merito et ipsum peccatum dimitti dicitur. " Simon, Magister einer (niederrheinischen) Kloster- oder Kathedralschule, verfaßte 1140/50 den für die scholastische Sakramententheologie bedeutsamen Traktat „De Sacramentis". Vgl. L. Hödl, in: LThK 2 9,769 f.

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folger der Apostel - gemeint ist jene in Joh 20,23 - beinhaltet, daß deijenige, dem der Priester die Sünden vergibt, d. h. die Sündenstrafe nachläßt, nicht die ewige Strafe erdulden wird. 3 2 1 Die Aufgabe des Priesters liegt darin, die Höhe der zeitlichen Strafe zu bestimmen. 322 3. Fortschritte in der Erkenntnis des Stellenwertes des Bekenntnisses in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Das Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses erfährt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit einer differenzierteren Sicht der damit zusammenhängenden Aspekte eine bedeutende Vertiefung. Den Autoren dieser Periode geht es nicht einfach nur um eine Harmonisierung der Doktrin von der Wirksamkeit der Reue mit der These von der Notwendigkeit des Bekenntnisses. Auch handelt es sich nicht darum, die Objektionen gegen die Bekenntnispflicht zu widerlegen. Als ihr Anliegen erweist sich die Sinnfindung des von Christus promulgierten Bekenntnisgebotes.323 a) Die Interpreten des Petrus Lombardus Der Verfasser eines Auszuges aus den Sentenzen des Lombardus namens Bandinus 324 leitet die drei Elemente der Buße von den drei Arten, mit denen wir

321

Mag. Simon, De Sacramentis (H. Weisweiler, Maitre Simon et son groupe, De sacramentis [SSL 17]. Louvain 1937, 74): „Iam verba ilia salvatoris videnda sunt: Quorum remiseritis peccata , remittuntur eis etc. Hic notandum est, quod peccati nomine aliquando culpa, aliquando vero pena designatur. Sic itaque intelligendum est: Quorum remiseritis peccata etc.: peccatum, id est culpam; cui remiseritis remittitur ei, id est, sie familiares et secretarli mei eritis, ut ex familiaritate cui peccata remissa sunt apud me, agnoscere et aliis nunciare possitis. De pena vero: Cuicumque peccata, id est penam peccati, remiseritis, dimittetur ei, id est non amplius eterna pena punietur. " 322

Mag. Simon, ebd.: „In sacerdotum vero arbitrio est, penam pro ipso peccato temporaliter nunc maiorem nunc minorem pro modo culpe ei aliis consideratis imponere. Unde etsi pro magna culpa levis eorum iudicio pena iniungatur, si in caritate suscipiatur, peccatum deletur, nisi adeo simplex et stolidus sacerdos sit, qui ex indiscretione su de peccato iudicare non possit. " 323 Anciaux, Théologie (Anm. 186), 392. 324

Die bekannteste und meisterwähnte Abbreviation der Sentenzen des Petrus Lombardus trägt im Titel den Namen des Magisters Bandinus. Der Auszug ist in zahlreichen Handschriften überliefert und im Druck (PL 192, 965-1112) verbreitet. Über den Magister Bandinus selbst wissen wir so gut wie nichts. Eine von Schulte vermutete Identität des Magisters Bandinus mit Roland Bandinelli hat sich durch die Identifizierung der

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Gott beleidigen, ab: im Herzen, durch unseren Mund und durch unsere Tat. Dementsprechend geschieht die Versöhnung mit Gott durch die Reue des Herzens, durch das Bekenntnis des Mundes und durch die sühnende Tat. 3 2 5 Auch Bandinus sieht in Gott den alleinigen Vergeber der Sünde bei Liebesreue. Er fragt sich aber, woher sich dann die zusätzliche Notwendigkeit eines Bekenntnisses vor dem Priester, d. h. der Kirche, herleitet? Dazu äußert er sich in dem Sinn, daß unter den verschiedenen anzuführenden Gründen jener als der entscheidendste zu bezeichnen sei, der besagt, „daß durch dieses Sakrament die Einheit, die zwischen Christus und der Kirche besteht, empfohlen wird" 3 2 6 . Das Bekenntnis vor dem Priester wird im Sinne des NT gefordert als Symbol der Einheit zwischen Christus und der Kirche. 327 Es fällt auf, wie sich bei Bandinus bereits der ekklesiologische Aspekt durch den inneren Zusammenhang, den er zwischen Bekenntnis und Kirche sieht, abzuzeichnen beginnt. In den „Quaestiones" des Zisterzienserabtes und scharfsinnigen Dialektikers Odo von Ourscamp 328 ist es ebenfalls Gott, der allein die Sündenschuld in der Reue erläßt. 329 Als „ vera cordis contritio " tilgt sie die Sünde in ihrem ganzen Ausmaß. Die Gnade wirkt in der Reue nicht sukzessiv, sondern augenblickSentenzen des Roland Bandinelli erübrigt. Vgl.Hödl, Geschichte (Anm. 181), 197. Vgl. auch L. Ott, in: LThK 2 1,1218. 325

Mag. Bandinus , Sententiarum Libri Quatuor, Lib. IV, D. X V I (PL 192,1099): „In poenitentia ... tria considerando sunt : cordis compunctio , oris confessio , operis satisfactio; sicut enim tribus modis offendimus , sic tribus modis satisfacere debemus, corde ore, opere. " 326 Mag. Bandinus, ebd., D. XIX (PL 192, 1101): „Sed cum in contritione Deus dimittit peccatum, cur oportet quemquam deinceps sacerdoti, hoc est Ecclesiae confiteri ? Arbitror inter caeteras causas hanc esse praecipuam: ut per hoc sacramentum, unitas quae est inter Christum et Ecclesiam, commendetur : ut sicut sunt duo in carne una, et in voce una, ita et duo sint in confessione una. "

327

328

Mag. Bandinus, ebd.

Odo von Ourscamp (auch Odo von Soissons) wirkte von 1145-65 als Kanoniker und Scholastiker in Paris, trat 1165 in den Zisterzienserorden ein und bekleidete von 1167-70 das Amt eines Abtes. Ein Jahr nach seiner Ernennung zum Kardinalbischof von Tusculum starb er 1171. Die Quaestionenliteratur des 12. Jahrhunderts erwähnt häufig seinen Namen. Vgl. L. Hödl, in: LThK 2 7, 1102 und ders., Geschichte (Anm. 181), 116-149. Vgl. auch A M. Landgraf, Quelques collections de „Quaestiones" de la seconde moitié du X I I e siècle, in: RThAM 6 (1934) 368-393; 7 (1935) 113-128. 329 Odo von Ourscamp, Quaestiones II 321 (Quaestiones Magistri Odonis Suessionensis. Ed. J. B. Pitra [Analecta novissima spicilegii solesmensis. Altera continuatio. 2]. Paris 1888, 153): „In vera cordis contritione dimittitur peccatum; ergo antequam confiteatur quis, dimissum est ei illud peccatum; ergo non habet peccatum, ergo non debet puniri. "

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lieh. 3 3 0 In welchem Sinn kann man dann von einer Absolution durch den Priester sprechen? Dazu muß man sich vor Augen halten, daß neben der Sündenschuld, die durch Gott allein gewirkt wird, zwei Folgen der Sünde beachtet werden müssen, die für eine Absolution in Frage kommen. Eine ist die „poena" oder Bußstrafe; von ihr befreit sich der Sünder durch die Leistung der auferlegten Buße. Die zweite ist ein Mittelzustand zwischen Schuld und Strafe und besteht in der Trägheit und Saumseligkeit zu guten Werken sowie in der geistigen Unfähigkeit, den Weg der Wahrheit zu beschreiten. Die Befreiung von diesem Hindernis ist nun die Wirkung der Absolution durch den Priester. 331 Jede dieser drei Arten von Lossprechung kann als „remissio peccati " angesprochen werden. Obwohl in den beiden letztgenannten Absolutionsarten keine Sündenschuld erlassen wird, können sie dennoch zu Recht als „ remissio peccati " bezeichnet werden, denn sowohl die Trägheit als auch die Strafe leiten ihren Ursprung von der Sünde selbst her. 332 An einer anderen Stelle beschreibt Odo von Ourscamp die Befreiung vom Sündenstatus so: Wer sündigt, lädt Schuld auf sich und verdient dafür Strafe. Durch wahre Reue wird die Sündenschuld, nicht aber die Strafe nachgelassen. Die Strafverhaftung wird durch die gewissenhafte Durchführung dessen, was von der Kirche aufgrund des Bekenntnisses als Buße auferlegt worden ist, weggenommen.333 Dabei wird zwar eine ekklesiale Intervention beim Entsün-

330

Schmoll, Bußlehre (Anm. 245), 76.

331

Odo von Ourscamp, Quaestiones 1134 (Ed. Pitra 35): „Sed qualiter huiusmodi solutio fiat per sacerdotem? A reatu enim non solvit , haec enim solutio est in corde contrito et humiliato, quia quacumque hora ingemuerit peccator, (Deus miserebitur) ei. Sed sciendum est quod una est solutio a culpa, et haecfit a Deo solo: quacumque hora ingemuerit peccator etc., alia a poena. Neutra istarum fit a sacerdote. Est autem tertia media, inter primam, quae est a culpa, et ultima, quae est a poena. Nam licet homini a Deo per compunctionem cordis peccatum dimissum sit , tamen adhuc tardus est et piger ad bene operandum et habet mentem caliginosam et impeditam, ne possit recto calle veritatis incedere ... Peccator igitur ab hoc tarditatis impedimento per indulgentiam sacerdotis solvitur, cum sibi dicitur: Abosolutionem et remissionem omnium peccatorum etc. " 332

Odo von Ourscamp, ebd.: „Est tamen quaelibet harum remissio peccati , prima scilicet a reatu quod facit Deus, secunda tar ditate, quam facit sacerdos, tertia a poena, quam facit ipse peracta poenitentia iniuneta, et hae duae licet in ipsis a nullo peccato solvatur homo, tamen remissio peccati dicuntur, quia tarditas ipsa et poena a peccato originem ducat. " 333 Odo von Ourscamp, ebd., II 321 (Ed. Pitra 153): „Quicumque peccai , duobus modis se obligat, et culpae et poenae. Vera cordis contritione solvitur diligenti executione eius quod pro poena iniungitur ab Ecclesia in confessione et caetera. "

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digungsprozeß sichtbar gemacht, eine bestimmte absolutorische Tätigkeit des Priesters bleibt aber unerwähnt. Einer der ersten Glossatoren der Sentenzen des Petrus Lombardus namens Petrus Comestor mentis"

335

oder Manducator 3 3 4 handelt in seinen „Sententiae de Sacra-

ausführlich v o m Bußsakrament. Ausgehend v o n der traditionellen

Trias: Reue, Bekenntnis und G e n u g t u u n g 3 3 6 , unterscheidet er eine innere und äußere „satisfactio".

Erstere besteht in der Reue und i m Reueschmerz. Durch

diese w i r d Gott Sühne für die Sünde geleistet, wenn andere Formen der Sühneleistung nicht möglich sind. Diese A r t der „satisfactio" Buße bezeichnen. Die äußere „satisfactio"

kann man auch als

besteht i m verbalen und realen

Bekenntnis, d . h . konkret i m Gebet, Fasten und Almosengeben. 3 3 7 W i r d nun die Sünde ohne Bekenntnis nachgelassen? Der Pariser Lehrer beweist die Notwendigkeit des Bekenntnisses, das er als Gabe des H l . Geistes bezeichnet 3 3 8 mit einer Reihe von Väteraussagen. 3 3 9 Wenn er zur Sündenverge-

334 Petrus Comestor (Manducator) (Pierre Mangeur) ist um 1100 zu Troyes geboren und an der dortigen Kathedralschule groß geworden. Von 1164-68 war er Kanzler der Kathedralschule von Paris. Seit ca. 1169 wirkte er in St. Viktor in Paris. Er war einer der ersten Glossatoren der Sentenzen des Petrus Lombardus. Vgl. L. Hödl, in: LThK 2 8, 357 f.; ders., Geschichte (Anm. 181), 205.

335

R. M. Martin, Pierre le Mangeur, De Sacramentis. (Als Appendix zu der von H. Weisweiler Maitre Simon [Anm. 321] besorgten Ausgabe von unedierten Texten des Magisters Simon.) 336 Petrus Manducator, Sententiae de Sacramentis (Ed. Martin 62*): „In vera et perfecta penitentia tria sunt necessaria: conpunctio cordis, confessio oris , satisfactio operis. " 337

Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 66*): „Satisfactio vero quedam est interior, quedam exterior. Interior est contricio cordis et conpunctio, gemitus scilicet interiores, dolor et planctus. Per hec enim Deo satisfacimus de peccato, quando scilicet nécessitas excludit aliam. Et hec satisfactio vocari potest penitentia. Exterior autem satisfactio dicitur et oris confessio et operis executio. De oris confessione postea dicetur. Operis autem executio que satisfactio dicitur in tribus consistit: in oratione, jeiunio et elemosina." 338 339

Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 85*): „ Confessio donum est Spiritu Sancii. "

Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 97*f.): „Queritur, utrum remittatur peccatum sine oris confessione et exterioris operis satis factione. Audi Ysaiam: Die tu iniquitates tuas, ut iustificeris: quasi diceret, nisi dixeris non iustificaberis. Item Ambrosius i libro De paradiso: Non potest quisquam iustificari a peccato, nisi peccatum fuerit ante confessus. Idem: Confessio libérât animam a morte. Confessio aperit paradisum. Confessio tribuit spem salutis, quia non meretur iustificari qui in vita sua peccatum nun vult confiteri. Item Augustinus, super ilium locum : Non absorbeat me profundum, etc.; Pu-

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bung außer einer wahren Reue den Vorsatz z u m Bekennen fordert, so ist er einer jener Theologen, der dies in der echten Reue notwendig enthaltene Element ausdrücklich heraushebt und als wesentlich für den Sündennachlaß hinstellt. W e m es zeitlich möglich ist, der muß bekennen. Wer diese Pflicht vernachlässigt oder sich schämt, sie zu erfüllen, der erlangt keine Rechtfertigung.340 Einen verhältnismäßig breiten Raum widmet Petrus der Frage, ob Gott allein die Sünde nachläßt oder auch der Priester, b z w . wenn Gott allein vergibt, was läßt dann der Priester nach? D e m Väterbeweis für die Vergebung durch G o t t 3 4 1 läßt er jenen „ ex ratione"

folgen. Niemand bereut aufrichtig, es sei denn in der

Liebe. W e r aber diese besitzt, ist des Lebens würdig, denn niemand kann gleichzeitig des Lebens und des Todes w ü r d i g sein. Der Sünder erhält nicht die Vergebung durch den Priester, dem er bekennt. Damit stellt der A u t o r jedoch nicht in Abrede, daß auch der Priester die Sünden vergibt. I h m ist nach Joh 20,23 dazu die Vollmacht gegeben. 3 4 2

teus inquid[!], est profundum iniquitatis, in quem si cecideris, non claudet super te puteus os suum, nisi clauseris os tuum. Confitere ergo et die: De profundis clamavi etc., et evades. Claudit autem super ilium qui existens in profundo peccatorum negligit ea et contempnit. Item, quod sine exteriori satisfactione nemo liberatur a peccato, testatur Augustinus: Nemo, inquid, debite pene aeeipit veniam, nisi qualemcumque, etsi longe minorem quam debeat, solverit penam. "

340 Petrus Manduca tor , ebd. (Ed. Martin 98*): „Hiis auetoritatibus probatur, quod nullus sine oris confessione et exteriori satisfactione solvitur a peccato. Si vera sit con tricio et votum habeat in mente confitendi, fit peccati remissio; oportet tamen confiteri s tempus habuerit. Nam qui negligit vel erubescit confiteri, non meretur iustificari. " 341

Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 98*f.): „ Queritur utrum solus Deus peccata dimittat an etiam sacerdos ; vel si solus Deus peccata dimittit, quid est quod sacerdos dimittit? Quod solus Deus peccata dimittat, probatur auctoritate Domini per Ysaiam dicentis. Ego solus deleo iniquitatem populi. Item, Ambrosius: Ille solus peccata dimittit qui solus pro peccatis mortuus est. Item Augustinus: Nemo tollit peccata nisi solus Christus, qui est Agnus tollens peccata mundi. Tollit autem et dimittendo que facta sunt et adiuvando nefiant, et perducendo ad vitam ubi omnino fieri non possunt. " 342 Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 99*): „Ratione quoque probatur quod solus Deus peccata dimittit. Nemo de peccato vere conpungitur, habens cor contritum et humiliatum, nisi in karitate. Qui autem karitatem habet dignus est vita. Nemo autem dignus est simul vita et morte. Solutus est ergo a peccato. Non igitur per sacerdotem cui postea confitetur ab ilio solvitur, sed a quo iam solutus est. Patet autem auctoritate et ratione quod solus Deus peccata dimittit. Et sicut quedam dimittit ita et quedam retinet. Non tamen ideo negamus quin sacerdotes peccata dimittant, quibus dictum est a Domino: Quorum remiseritis peccata remit tuntur eis, et quorum retinueritis retenta sunt. "

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Um die Richtigkeit beider Aussagen zu rechtfertigen, unterscheidet Petrus eine für Gott und den Priester je verschiedene Weise der Vergebung. Gott läßt die Sünde nur in dem Sinn nach, daß er die Seele vom inneren Makel reinigt und von der Verhaftetheit an den ewigen Tod befreit. Der Makel der Seele besteht in der durch die Sünde hervorgebrachten Gottunähnlichkeit der Seele. Von den beiden genannten Sündenfolgen kann nur Gott befreien. 343 Vom Priester kann man auf dreifache Weise aussagen, daß er Sünden erläßt bzw. behält. Einmal durch das „ostendere", das Aufzeigen, daß jemandem die Sünde durch Gott vergeben worden ist. Der Aufwels geschieht durch die Versicherung, daß durch Reue und Sühne der Betroffene von der Sünde befreit ist und nicht mehr ewig für seine Sünde bestraft wird. Zum anderen kann man von einer Sündenvergebung in dem Sinn sprechen, daß der Priester den Sünder von der Sündenstrafe befreit. Wenn beispielsweise der Priester eine Buße auferlegt, verpflichtet er zu einer zeitlichen Strafe, um vor der ewigen zu retten. Erläßt nun der Priester einen Teil der Sündenstrafen, so befreit er von der Sünde in dem Sinn, daß er eine Strafe erläßt, an die der Büßer durch die Sünde gehalten war. Schließlich kann man vom Priester sagen, daß er die Sünden behält bzw. vergibt, wenn er Menschen aus der Kirche, aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausschließt bzw. sie wieder aufnimmt. 344 Gott löst und bindet also, aber auch der Priester. Gott aus eigener Machtvollkommenheit, der Priester durch .

345

sein Dienstamt. Als einen Summisten aus der Pariser Schule des beginnenden 13. Jahrhunderts, der die ,gleiste Individualität des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens" verrät, qualifiziert Martin Grabmann 346 den Magister Simon von Tour-

343

Petrus Manducator, ebd. (Ed. Martin 99*): „ Videndum est, quod aliter dimittit Deus peccatum, aliter sacerdos. Deus enim per se tantum dimittit, ita quod animam mundat ab interiori macula et a debito mortis eterne solvit. ... Macula vero anime est dissimilitudo Dei que inest anime ex peccato. " 344 Petrus Manducator , ebd. (Ed. Martin 100*f.): „Sacerdos autem tribus modis dicitur peccata dimittere vel retinere. Primo , cum ostendit peccatum esse dimissum vel retentum. ... Secundo quoque modo dicitur sacerdos peccata dimittere vel retinere , cum peccator es scilicet solvit a pena, ut ait Augustinus, vel eos ligat per penam. ... Tercio etiam modo dicitur sacerdos dimittere peccata vel retinere, id est solvere vel ligare, quando scilicet excommunicat homines vel excommunicatos absolvit... " 345

Petrus Manducator , ebd. (Ed. Martin 101*): „Solvit ergo Deus et ligat ; solvit sacerdos et ligat. Sed Deus potestate, sacerdos ministerio. " 346

M. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode. Bd. 2. Freiburg i. Br. 1911,535.

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nai. 347 In seiner „Summa" 348 behandelt dieser die Bußtheologie einmal im Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre und dann im Rahmen seiner Sakramentendoktrin. In den Ausführungen, die sich ausdrücklich mit der Reue und der Sündenvergebung befassen, legt er zum Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses eine besondere Lösung vor. So wie die zeitgenössischen Theologen stellt er die Frage nach der Wirkung der Reue, d.h.: Werden die Sünden durch die Reue oder durch das Bekenntnis nachgelassen?349 Simon schreibt die sündentilgende Wirkung eindeutig der Reue zu. Wenn Gott vergibt, wozu ist das Bekenntnis noch notwendig und nütze, da es ja zur Vergebung nichts beitragen kann? Simon entgegnet diesem Einwurf mit einer theologischen Analyse des Reueaktes. In der Präposition „con" bzw. „cum", die im Wort „contritio" steckt, sieht der Pariser Magister einen sprachlichen Ausdruck für die umfassende theologische Wirklichkeit der vollkommenen Reue als Zerknirschung des Herzens, verbunden mit dem Vorsatz, nicht mehr in die begangenen Sünden zurückzufallen, und mit dem Vorsatz, die Sünden zu bekennen. Fehlt einer der beiden Vorsätze, kann man nur mehr von einer „attritio" sprechen. Mit derselben zusammenfassenden Funktion versehen sieht Simon die genannte Präposition im Wort „confessio": Bekennt jemand mit dem Munde seine Sünde, bleibt er aber ohne Zerknirschung und ohne Vorsatz, in die begangenen Fehler nicht zurückzufallen, dann kann man nur mehr von einem „fateri" oder „profiteri",

347 Er ist um 1130 in Tournai geboren, weshalb die Handschriften ihn als Simon Tornacensis bzw. Simon de Tomaco bezeichnen. Eine enge Freundschaft verband ihn mit Stephan von Tournai, dem Abt von St. Geneviève in Paris. Seine Denkform ist durch eine dialektische Schärfe in der Problemstellung, durch systematische Klarheit und Kürze bestimmt. Er starb 1201 in Paris. Vgl. Hödl, Geschichte (Anm. 181). 222 f.; vgl. ebenso ders., in: LThK 2 9,771 f.

Codex latinus 14886, Nationalbibliothek Paris. 349

Simon von Tournai, Summa (Cod. lat. 14886, fol. 32): „Quaeritur an peccatum remittatur in cordis contritione iuxta illud (Ps. 50,19): Cor contritum et humiliatum Deus non despicies." Abgedruckt bei Hödl, Geschichte (Anm. 181), 225. An anderer Stelle wird die Wirkung allerdings eingeschränkt, insofern Simon v. Tournai die Reue nicht als Formalursache für die Sündenvergebung sieht. Gott tilgt allein, ohne vorausgehendes Verdienst des Menschen die Sünde. Selbst die Reue ist schon eine, Wirkung der Liebe Gottes. Vgl. Summa (Cod. lat. 14886, fol. 61): „Quod autem potius causa est remissio contritionis quam contrìtio remissionis docet apostolus dicens: Non ex operibus que fecimus et cetera; et illud: Cum peccatores essemus, prior dilexit nos. Unde constat contritionem causam non esse remissionis, sed quia Deus nos dilexit, nobis remissum est." Abgedruckt bei H. Weisweiler, Die Bußlehre Simons v. Tournai, in: ZKTh 56 (1932) 190-230, hier 195, Anm. 26.

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nicht aber von einem „confiteri"

sprechen. 3 5 0 Simon hat das Bekennen so in

den Begriffs- und Wesensbereich der Reue einbezogen, daß die „ confessio"

als

Funktion der Reue erscheint. I m Bekenntnis verwirklicht nämlich der Sünder den in der „contritio"

gefaßten Vorsatz z u m Bekennen.

Der scholastische Lehrer urgiert seine Schwierigkeit mit der Frage, was denn i m Bekenntnis vergeben w i r d , wenn die Sünde schon vorher nachgelassen wurde? Die Sündenvergebung, die v o m Priester ausgesagt und auch Absolution genannt w i r d und die in die Zuständigkeit des priesterlichen Dienstamtes fällt, ist das Aufzeigen b z w . die Bestätigung der durch Gott bereits gewirkten Vergebung der Sünden. 3 5 1 A u f der Linie der Tradition steht Simon, wenn er als

350

Petrus Manducator, ebd. (fol. 32-33): „Ad quid ergo necessaria est post remissionem confessio? Redditur: In hoc nomine contritio con praepositio complexiva complectitur tria : attritionem cordis pro peccatis commissis, propositum non relabendi in eadem et propositum ore fatendi ad erubescentiam iuxta illud (Ps. 31, 5): Dixi, confitebor Domine, et tu remisisti impietatem peccati mei. Auctoritas quoque habet: poenitere est commissa fiere et flenda non committere. Si quis ergo atteratur de commissis et non habet propositum non relabendi et ore confidendi, atteri dicitur, sed non vere conteri. Ergo necesse habet proponere confiteri et propositum exsequi. Sic quoque con praepositio in hoc nomine confessionis complecitur tria: oris fassionem, cordis attritionem, propositum non relabendi : Si ergo quis ore fatetur peccatum nec atteritur nec propositum habet non relabi, fateri dicitur, non vere confiteri. " Abgedruckt bei Hödl, Geschichte (Anm. 181), 225. Der innere Bezug zwischen Reue und Bekenntnis kommt noch in folgender Stelle zum Ausdruck: Ebd. (fol.58): „ Contritio autem in tribus consistit: in attritione cordis de commissis, in proposito non relabendi et proposito ore fatendi. Unde dicitur contritio , ut cum prepositio predictorum trium sit complexiva. Alioquin si atteratur quis de commissis manens in proposito relabendi et commissa silendi, dicitur attritio et est insufficiens ad remissionem. Contritio vero trium complexiva sufficien Confessio eisdem tribus continetur quibus contritio, in hoc differens quia in actu habet cordis attritionem, a qua non denominatur, in proposito ne relabatur. Sic ergo cum prepositio in nomine confessionis ut contritionis trium est complexiva. Ubi ore confessio fit sine duobus insufficiens professio dicatur potius quam sufficiens confessio. Utrumli bet autem tarn contritio quam confessio dicitur penitentia a puniendo. Contritio punit attritione, confessio erubescentia." Abgedruckt bei Anciaux, Theologie (Anm. 186), 401. 351

Ebd. (fol. 33): „ Quid remittitur in oris confessione? Quaeritur, quid remittatur in confessione oris, si prius est remissum in cordis contritione. Redditur: quae a sacerdote fit remissio tantum est demonstratio factae a Deo remissionis. Huius autem remissionis, quae dicitur absolutio a peccatis, diligentior erit prosecutio infra in tractatu de poenitentia. " Abgedruckt bei Hödl, Geschichte (Anm. 181), 225.

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zusätzliche Begründung für die Notwendigkeit des Bekenntnisses die Beschämung bezeichnet, durch die der Bekennende getroffen werden soll. 3 5 2 Gerade die Frage, inwieweit ein Sündenbekenntnis bei getilgter Schuld noch erforderlich ist, hat eine Reihe von Theologen dieser Epoche dazu geführt, bereits in der Begriffsbestimmung der Reue den Vorsatz zum Bekenntnis als konstitutives Element hervorzuheben. Damit soll der innere Bezug aufgezeigt werden, der zwischen dem Schmerz über die begangene Sünde und dem Vorsatz zum Bekennen besteht.353 Der Nachfolger des Petrus Comestor im theologischen Lehramt an der Domschule zu Paris und spätere Kanzler der dortigen Universität, Petrus von Poltiers 354 , befaßt sich mit Bußfragen im Rahmen seiner Darstellung der Rechtfertigungslehre. 355 Nach der Feststellung, daß die „ contritio " sündentilgend wirkt, stellt auch er sich die Frage nach der zusätzlichen Notwendigkeit eines Bekenntnisses. Für die Forderung, daß dieses nicht unterlassen werden darf, führt Petrus eine Reihe von Gründen an: Einmal, weil wir nicht wissen, ob die Sünden durch die Reue ganz und gar nachgelassen sind. Außerdem würden wir als Verächter des Bekenntnisses qualifiziert, wenn wir es trotz Gelegenheit nicht ablegten. Wir machten uns damit einer schweren Sünde schuldig, was ein Wiederaufleben des alten Schuldzustandes zur Folge hätte. Schließlich ergibt sich eine Bekenntnispflicht aus der Sühnewirkung, die mit dem Offenlegen der Schuld verbunden ist; denn drei Dinge gehören wesentlich zur Buße: die Reue, das mündliche Bekenntnis und die Ausführung der auferlegten Sühne. 356

352

Vgl. die Texte in der Anmerkung 350, wo vom „propositum ore fatendi ad erubescentiam" die Rede ist und gesagt wird: „confessio (punit) erubescentia 353 Vgl. Anciaux, Théologie (Anm. 186), 402-412. 354

Um 1130 geboren, starb er 1205 in Paris. Er war Schüler des Petrus Lombardus und verfaßte unter starker geistiger Anlehnung an seinen Meister das Hauptwerk: Sententiarum libri V. Petrus behandelt mit Vorliebe jene Themen und Probleme, die Gegenstand der quaestio und disputatio sind. Die theologische Absicht geht deshalb nicht auf die Erbauung, sondern auf die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas. Vgl. J. N. Garvin , in: LThK 2 8, 377; Hödl, Geschichte (Anm. 181), 210; Schmoll, Bußlehre (Anm. 245), 77 f. 355 Davon handelt Petrus im III. Buch seines Sentenzen Werkes. 356 Petrus von Poitiers, Sententiarum libri V, Lib. III, c. 12 (PL 211, 1066): „Cum superius dictum sit quod peccatum deletur per contritionem, non est tamen praetermittenda ideo oris confessio. Multae enim sunt causae quare debemus confiteri peccata nostra post contritionem. Primo , quia nescimus utrum peccata omnino dimissa sunt; si enim non essent dimissa , sequeretur error pejor priore. Praeterea tenemur confiteri peccata nostra , cum habeamus et locum , et tempus, et cui confiteamur. Si enim cum

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Der Pariser Magister wirft dann die Frage nach dem Grad der Notwendigkeit des Bekenntnisses für das Heil auf, da sich ein Bekenntnisgebot i m Evangelium nicht findet. Einerseits gilt das Bekenntnis als heilsnotwendig, andererseits findet sich kein entsprechendes Gebot i m Evangelium. Also ist nicht jedes heilsnotwendige Gebot i m Evangelium enthalten. Es ergibt sich vielmehr, daß das Bekenntnis eine Institution aus der Zeit vor dem Evangelium ist, da Johannes der Täufer das Bekenntnis von denjenigen forderte, die sich taufen lassen wollten. Petrus gibt zu, daß ein ausdrückliches Bekenntnisgebot i m Evangelium nicht enthalten ist, hält dieses aber deswegen nicht für unzureichend begründet, w e i l i m N T andernorts „genügend" darüber zu finden ist, so beispielsweise i m Jakobusbrief 5,16, w o die Aufforderung zum Bekenntnis nach Petrus allerdings nur für die läßlichen Sünden vorgesehen ist. Ohne Vorbehalte aber spricht er v o m Bekenntnisgebot in der Aufforderung Jesu an die Aussätzigen, sich den Priestern zu zeigen ( L k 17,14). 3 5 7 I m übrigen betrachtet Petrus von Poitiers das Bekenntnis als ein Sakrament des A T , w e i l es nicht bewirkt, was es anzeigt. 3 5 8

hujusmodi habeamus, non confessi fuerimus, contemptores erimus, et ita peccatum mortale incurremus, et tunc redibunt omnia peccata per contritionem deleta. Item, confiteri debemus peccata , quia confessio pars est satisfactionis: tria enim in confessione attenduntur, scilicet contritio , oris confessio , operis executio , sicut peccatum tribus modis committitur: cogitando, loquendo, operando. " Gegen die Behauptung eines Wiederauflebens der Schuld bei Vernachlässigung des Bekenntnisses wendet man ein: Die Sünden sind getilgt bezüglich der Schuld durch die Reue, durch das Bekenntnis werden sie weder bezüglich der Schuld noch bezüglich der Strafe getilgt, also wird die Sünde vergeblich geoffenbart. Petrus widerlegt den Einwand mit dem Hinweis, daß die Sünden bekannt werden, um Sühne zu leisten. Die Beschämung, die durch die Selbstanklage entsteht, ist ein Teil der Strafe (ebd.). 357

Petrus von Poitiers, ebd., c. 13 (PL 211,1070): „ Cum ergo per contritionem deleantur peccata quantum ad reatum, necessaria est confessio, ne propter contemptum redeant peccata. Sed objicitur: Confessio necessaria est ad salutem, sed praeceptum confessionis non habetur in Evangelio. Ergo non omne praeceptum, quod est necessarium ad salutem continetur in Evangelio. Ergo Evangelium insufficiens est. Item, Joannes baptizabat ante Evangelium, docebat homines confiteri peccata sua. Ergo confessio instituta fuit ante Evangelium, et ipsa in Evangelio non est praecepta. Ergo confessio non est necessaria ad salutem vel insufficiens est Evangelium. ...Ad hoc dicimus quod Evangelium non dat expressum mandatum de confessione, nec tamen est insufficiens, quia alibi in Novo Testamento satis invenitur ut in Epistola canonica : Confitemini alterutrum peccata vestra. Quod tamen credimus dictum fuisse de confessione venialium, quae fit bis in die et in completorio. Dicimus etiam quod confessio praecepta fuit ibi : Ite , ostendite vos sacerdotibus. " 358

Petrus von Poitiers, ebd.: „Sciendum est quod confessio est sacramentum veter is testamenti, nec efficit quod figurât, sicut nec conjugium. Alii autem dicunt quod confes-

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Der Lehrer an der Domschule von Notre-Dame zu Paris Petrus Cantor 359 den Beinamen erhielt er wegen seines zusätzlichen Amtes als Domkantor an der dortigen Kathedrale - beschäftigt sich in seiner „ S u m m a de sacramentis et animae c o n s i l i i s " 3 6 0 ausführlich mit der Bußlehre. Das Bekenntnisgebot findet er in einer Reihe von Schriftstellen des A T und N T begründet. Für die Nützlichkeit und Notwendigkeit des Bekenntnisses führt er eine Reihe von Motiven auf. Einmal hält er ein solches für notwendig, damit der Mensch durch die Offenlegung der Schuld vor dem Priester Beschämung erfahre, die den größten T e i l der Sühneleistung darstellt. Z u m anderen sieht er es erfordert, damit der Pönitent durch den Priester die Schwere seiner Schuld und die A r t , sie zu meiden, erfahre sowie welche Buße er für die begangenen Fehler zu verrichten habe. Schließlich sei es für den Priester als geistlichen Arzt notwendig, zu wissen, welche Heilmittel er dem Kranken zu verschreiben habe. 3 6 1 Die Notwendigkeit eines Bekenntnisses stützt Petrus Cantor in seinem Werk „ V e r b u m abbreviatum" auf einen äußeren Grund, insofern die Offenlegung des Schuldzustandes Gegenstand eines Gebotes des H e i m ist, der den Aussätzigen befahl, sich den Priestern zu zeigen. 3 6 2 In dem Zusammenhang zeigt er auch die Ele-

sio non est sacramentum, sed sacramentale sicut aqua benedicta et panis benedictus. Verius tamen videtur quod confessio sit sacramentum. " 359

Um 1130 zu Gerberoy (Diöz. Bauvais) geboren, erhielt er seine theologische Ausbildung an der Domschule zu Reims, wo er durch seinen Lehrer, einen Schüler Anselms v. Laon, mit der Theologie seiner Zeit bekannt wurde. Um 1170 wurde er Professor der Theologie an der Domschule von Notre-Dame zu Paris. 1197 übernahm er das Amt eines Domdekans zu Reims, starb aber im selben Jahr auf der Reise dorthin in der Zisterzienserabtei Longpont. Vgl. Ph. Delhaye, in: LThK 2 8, 353; Hödl, Geschichte (Anm. 181), 309. 360 Pierre le Chantre , Summa de Sacramentis et animae consiliis. Hg. v.J. A. Duganquier (AMNam 4 u. 7). 2 Bde. Löwen / Lille 1954 und 1957. 361

Pierre le Chantre , ebd. (AMNam 7, 282 f.): „ Hie notandum est quod propter très causas necessaria et utilis est confessio; et primo facienda. Prima est quod ipsa est magna pars satisfactionis et exterioris penitentie, adeo quidem quod si vellet aliquis coram pluribus erubescere sacerdotibus et confiteri turpia scelera sua sufficeret ei ad penitentiam ; sed ideo hoc alicui non iniungunt sacerdotes quia vix uni possumus propter erubescentiam confiteri. Secunda causa est ut sciai peccans per sacerdotem qui hoc confidenti revelare tenetur, quantum fuerit eius peccatum, ut per ipsum sciat penitens quantum debeat deinde tale vitare peccatum et quam pro commisso agere penitentiam. Tertia causa est ut sciat sacerdos qui medicus est spiritualis quam suo egroto debeat apponere medicinam et quam iniungere penitentiam. " 362

Petrus Cantor , Verbum abbreviatum, c. 143 (PL 205, 342): „Est autem confessio adpoenitentiam triplex: Cordis, quae Deofit ;oris, quae vicario Christi imperantis: ,Ite, ostendite vos sacerdotibus, Luc. XVI Γ; et operis. "

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mente an, die für eine hinreichende, vollkommene und integrale Buße erfordert sind. Es sind dies die Gnadeneingießung, die innere Reue, das mündliche Bekenntnis und die würdige Sühneleistung.363 Das mündliche Bekenntnis wurde nach seinem Dafürhalten aus einer dreifachen Überlegung in der Kirche eingeführt. Einmal, um im Stolzen und Hartnäckigen Demut, Ehrerbietung und Beschämung zu wecken. Zum anderen stellt das mündliche Bekenntnis den Hauptanteil der Sühneleistung dar. Einen letzten Grund sieht der Autor in der Notwendigkeit der Kenntnis des Schuldzustandes. Vor dem Bekenntnis sei es oft der Fall, daß jemand seine Verfehlung als gering einschätzt, während sie doch schwer war. Durch die Belehrung seitens desjenigen, der das Bekenntnis entgegennimmt, wird der Irrtum beseitigt. 364 Der von Petrus Comestor stark beeinflußte theologische Lehrer in Paris und spätere Kardinal Petrus von Capua d. 7. 3 6 5 sieht, um die These von der Heilsnotwendigkeit des Bekenntnisses halten zu können, im Befehl Jesu an die Aussätzigen, sich dem Priester zu zeigen, ein stillschweigendes Gebot zum Bekennen. Ausdrücklich wird dieser sein Wille in der Aufforderung des Apostels Jakobus zum gegenseitigen Bekennen kundgetan. 366 Der Kardinal urgiert die „Widersprüchlichkeit" von sündentilgender Reue und Bekenntnisnotwendigkeit durch folgende Beweisführung: Die Sünden scheinen nicht durch die vollkommene Reue getilgt zu sein, weil das Bekennt-

363

Petrus Cantor , ebd., c. 141 (PL 205, 339): „Adpoenitentiae sufficientiam, perfectionem et integritatem, quatuor sunt necessaria , scilicent gratiae infusio, cordis contritio , oris confessio , operis digna satisfactio. Tria sine primo insufficientia sunt. Inutilite enim conterimur, confitemur, satisfacimus, et labore poenae affligimur, sine infusione gratiae , sine fide operante per dilectionem. " 364 Petrus Cantor , ebd., c. 143 (PL 205, 342 f.): „ Confessio autem oris ad poenitentiam triplici ex causa indicta et introducta est in Ecclesiam : ut superbo prius et cervicoso incutiatur, humilitas y et verecundia , et erubescentia ... tum etiam , quia ipsa oris confessio , maxima pars est satisfactionis. ... Tum etiam propter peccati et leprae cognitionem. Saepe enim quis ante confessionem criminale peccatum putabat veniale, et crimen maius minus; de quo errore curatur a confessore per doctrinam. " 365

Er lehrte ungefähr von 1200-1218 in Paris. 1219 wurde er Patriarch von Antiocheia sowie Kardinal und starb 1242. 366

Petrus von Capua, Summa (Cod. Vat. lat. 4304, fol. 37 va ): „Sed (non) videtur confessio precepta in evangelio, cum tamen sit necessaria ad salutem. Quare non videtur evangelium integram continere sufficientiam salutis. Responsio. Precepit eam Dominus (non) expresse (sed) tacite , ut cum dixit : Ostendite vos sacerdotibus, et reliquit eam expresse apostolis precipiendam, quod enim Dominus tacite Jacobus manifeste precepit , dicens: Confitemini alterutrum peccata vestra Zit. bei Anciaux, Théologie (Anm. 186), 421.

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nis dem Sünder durch Gebot aufgetragen ist. Die Verpflichtung zum Bekennen leitet sich deshalb von einem Herrengebot her. Bekennt der Fehlende nicht, so bleibt er sündig. Wenn aber auf der anderen Seite die Sünden allein durch die Liebesreue vergeben werden, so erlangt er das Heil ohne Bekenntnis. Also ist das Bekenntnis nicht heilsnotwendig. Die erste Beweisführung hält der Autor nicht für schlüssig, weil dem Sünder nicht geboten ist, hier und jetzt zu bekennen, sondern wenn Zeit und Priester zur Verfügung stehen. Die Situation des Sünders ist jener eines Taufbewerbers analog. Wer reuig sich taufen lassen will, der muß getauft werden. Er wird aber nicht schuldig, wenn er sich nicht gleich taufen läßt, weil ihm nicht aufgetragen ist, dies gleich, sondern zu gegebener Zeit zu tun. Es ist also der Satz: ohne Bekenntnis erlangt jemand das Heil, richtig, wenn darunter ein tatsächlich abgelegtes und ausdrückliches Bekenntnis zu verstehen ist. Falsch hingegen ist die Aussage, wenn das im Vorsatz enthaltene Bekenntnis gemeint ist. Die These: durch die Reue werden die Sünden nachgelassen, ist richtig, wenn der Bekenntnisakt selbst und die Sühneleistung ausgeschlossen werden. Die Behauptung ist hingegen falsch, wenn der Vorsatz zum Bekennen ausgeschlossen wird. Die Sünden werden durch die vollkommene Reue nicht nachgelassen, wenn darin nicht der Vorsatz zum Schuldbekenntnis vorhanden ist. 3 6 7 Ein beträchtlicher Teil der „Quaestiones" 368 des Pariser Lehrers Stephan Langton 369 befaßt sich mit dem Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses,

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Petrus von Capua, ebd.: „Non videtur quod per solam eontritionem sint peccata remissa, quia confessio est isti precepta. Ergo iste tenetur ex precepto confiteri . Sed ist nec confitetur, nec confessus est. Ergo transgressor , ergo malus est. Non ergo sunt ei peccata remissa. Preterea si per solam cordis eontritionem alicui remittuntur peccata, ergo aliquis potest salvari sine confessione. Non est ergo confessio necessaria ad salutem. Responsio. Prima illatio non valet, quia non est isti preceptum ut nunc confiteatur sed ut tempore congruo, cum si fuerit ante sacerdotem. Sicut iste qui contrito corde querit baptismus, preceptum est baptizari, non tamen transgressor quamvis non baptizatur adhuc, quia non est ei preceptum ut nunc baptizetur, sed tempore congruo. Hec vero determinanda est : per solam eontritionem remittuntur peccata, si excludatur ipsa confessio et satisf actio verum est, sipropositum confitendi falsum. Non enim remittuntur per eontritionem nisi habeat propositum confitendi. Sed ilia: absque confessione potest salvari, si intelligas: absque confessione facta et expressa, verum est ; si absque confessione proposito id est habita in proposito, falsum. Tenetur vero habere propositum confitendi et etiam semper abstinendi. " 368

Die bisher nicht edierten Manuskripte der „Quaestiones" liegen in der Pariser Nationalbibliothek, Codex lat. 14556 und 16385, sowie in der Vatikanischen Bibliothek, Codex lat. 4297.

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auch wenn die Sünde bereits durch Reue vergeben ist. Daß die Sünde allein durch Reue erlassen w i r d , geht nach Langton eindeutig aus der Parabel v o m verlorenen Sohn hervor. Noch bevor er dem Vater etwas zu sagen in der Lage war, lief dieser dem Sohn entgegen, fiel i h m um den Hals und küßte ihn. Die Erklärung der Glosse, daß Gott trotz seiner Allwissenheit das bekennende Wort der Fehlenden erwarte, wäre falsch gedeutet, wollte man sie so verstehen, daß Gott vor dem Bekenntnis die Gnade nicht schenkt bzw. die Sünde nicht nachläßt. Der Sinn ist vielmehr dieser, daß er das Bekenntnis erwartet, d. h. er verlangt es, sofern dem Sünder dafür zeitlich und örtlich Gelegenheit gegeben ist. Das ist auch der Grund, weshalb der verlorene Sohn erst nach dem Kuß des Vaters das Bekenntnis ablegt: Vater, ich habe gegen den H i m m e l und vor D i r gesündigt. 3 7 0 Langton wirft auf Grund dieser Feststellung die weitere Frage nach der Wirksamkeit des Bekenntnisses auf. Dieses hält er für „sehr nützlich"; denn wenn zwei Menschen das gleiche „angestellt" haben und in gleicher Weise bereuen, dabei aber der eine bekennt und der andere nicht und beide sterben, w i r d jener, der ein Bekenntnis abgelegt hat, u m vieles weniger bestraft, w e i l die Beschämung vor dem Priester einen nicht geringen T e i l der Genugtuung darstellt. 3 7 1

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Er zählt zu den bedeutendsten Theologen an der Schwelle des 13. Jahrhunderts. Um 1150 in England geboren, absolvierte er sein theologisches Studium in Paris als Schüler des Petrus Comestor. Seit 1180 war er ebenda Magister. Sein umfangreiches theologisches und vor allem exegetisches Werk wurde bis heute noch nicht forschungsmäßig aufgearbeitet. Im Jahre 1206 wurde er Kardinal und im Jahr darauf zum Erzbischof von Canterbury ernannt. 1228 starb er zu Slindon. Das Mittelalter gab ihm den Ehrennamen „Doctor nominatissimus". Vgl. Hödl, Geschichte (Anm. 181), 342 f.; Teetaert, Confession (Anm. 148), 180 f.; J. Gründel, in: LThK 2 9,1045. 370

Stephan Langton, Quaestiones: „Quod autem per solam eontritionem dimittatur peccatum, patet in parabola de fdio prodigo . Nam antequam ille aliquid diceret patri, occurrit pater cadens super Collum eius et osculatus est eum. Dicit tamen ibi glosa quod etsi Deus omnia sciat, expectat tamen vocem peccatoris. Ex quo videtur quod non det gratiam vel dimittat peccatum ante confessionem, quod non est verum. Sed est sensus: expectat, id est exigit dummodo peccator habeat locum et tempus. Unde filius prodigus, postquam osculatus est a pâtre, ait: Pater, peccavi in celum et coram te. " Abgedruckt bei Anciaux, Théologie (Anm. 186), 423. 371 Stephan Langton, ebd. (Anciaux 424): „Item cum peccata dimittantur ex sola contritione, videtur quod nihil valeat confessio, quia si sacerdos alicui contrito iniungat penitentiam minus condignam et ille qui suseepit, peracta iniuneta penitentia, statim decedat, residuum condigne in purgatorio supplebit. Non enim sacerdos quantumeumque discretus condignam penitentiam semper iniungit, quia potest falli per signa exterior a; et ita quidquid iniungat sacerdos nihilominus hie vel intus sustinebit peccator

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Eine Verdeutlichung des Problems möchte Langton durch die Frage erreichen, ob die Sünde in der vollkommenen Reue schlechthin (,,simpliciter ") oder bedingungsweise nachgelassen wird. Für einen bedingten Nachlaß scheine der Umstand zu sprechen, daß die Sünde ohne Buße nicht nachgelassen wird. Buße aber begreift in sich Reue, Bekenntnis und Genugtuung. Also wird ein Bekenntnis gefordert. Dazu mag man sagen, daß dieses nicht absolut, sondern bedingt gefordert wird in dem Sinn, daß die Verpflichtung zum Bekennen bei gegebener Gelegenheit urgent ist. Wenn der Sünder Gelegenheit hat, jedoch nicht bekennt, wird ihm die Schuld nicht nachgelassen, wie sehr er auch bereut. Langton hält dem entgegen, daß die Sünde durch die vollkommene Reue einfachhin und ohne Bedingung nachgelassen wird. Derjenige, dem die Sünde erlassen wird, ist zu einem Bekenntnis verpflichtet, sofern ihm Gelegenheit geboten ist. Dabei versteht man unter Gelegenheit nicht irgendeine, sondern eine vernünftige. Auch kann nicht eine bestimmte Zeit angegeben werden, in der das Bekenntnis abzulegen ist. Man kann also nicht sagen: jemand ist daran gehalten, wenn er dazu Gelegenheit hat, und wenn er niemals bekennen wird, bleibt ihm die Sünde behalten. 372 Das Bekenntnis behält aber trotzdem selbst dann noch seinen verpflichtenden Charakter, wenn die Reue sowohl Schuld als auch Strafe getilgt hat. 373

penam condignam. Ad quid ergo necessaria est confessio? Dicimus quod multum utilis est confessio. Nam si duo paria commiserunt et pariter conteruntur et alter confiteatur , alter non, et sic discedant, longe minus punietur in purgatio [!] confessus, quia illa erubescentia in facie sacerdotis pars est non modica satisfactionis. " 372

Stephan Langton, ebd.: „Item quaeritur utrum peccatum pure sive simpliciter dimittatur in contritione, an conditionaliter. Videtur quod sub conditione, quisa sine penitent ia non dimittitur peccatum. Penitentia vero complectitur contritionem, confessionem, satis f actionem. Ergo confessio exigitur. Forte dicis, quod non absolute exigitur, sed sub conditione, quod tenetur confiteri si copiam habet. Ergo si copiam habet et non confitetur, ei peccatum non dimittitur quantumcumque conteratur. Ergo si non fuerit confessurus, ex tanta conditione non dimittitur ei peccatum, et ita non simpliciter dimittitur ei, sed sub conditione. Dicimus quod simpliciter et sine conditione dimittitur ei peccatum in contritione. Tamen ille cui dimittitur tenetur confiteri si copiam habet, id est si copiam habet et non confitetur omittit. Sed intellige si copiam habet rationabilem non qualemcumque. Nec tamen potest assignari aliquod instans in quo confiteri teneatur. Unde non valet hoc argumentum: tenetur confiteri si copiam habet, et numquam confitebitur, ergo non dimittitur ei peccatum. " 373

Stephan Langton, ebd. (Anciaux 427): „Item iste sufficienter conteritur de peccato ita quod illa contritio sufficiat ad deletionem culpe et pene. Ergo non est debitor pene. Contra. Iste tenetur confiteri, et si confitetur sacerdos iniunget ei penitentiam et si iniungatur ei, tenetur illam subire. Et si subeat sive recipiat illam est debitor pene ex precepto Dei dicentis : Omnia quecumque dixerint vobis servate et facite. Ergo est debitor 61 FS Mühlsteiger

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Die Wertigkeit der Reue i m Rechtfertigungsprozeß ist bei Langton eine andere als bei den Schülern des Gilbert Porreta. Reue ist nicht nur Äußerung und Nachweis der Sündenvergebung, sondern ist ihre Wirkursache. Der Reue gehen jedoch der Einfluß der Gnade und die Glaubensbewegung voraus. Die gläubige Hinwendung zu Gott verdient dem Sünder die Reue und damit die Vergebung der Sünden. 3 7 4 Die Intensität der Reue ist ausschlaggebend für die Bestimmung des Ausmaßes der B u ß e . 3 7 5 Die Motivierung für eine zusätzliche Bekenntnispflicht findet der A u t o r in der Vermehrung der Andacht, in der Steigerung der Beschämung als T e i l der Buße und in der Leistung der Genugtuung. 3 7 6 Der berühmteste Schüler des Petrus Cantor und spätere Kanzler der Pariser Universität Robert von Courçon 377

schenkt in seiner S u m m a 3 7 8 ebenfalls dem

Problem der Notwendigkeit des Bekenntnisses seine Aufmerksamkeit, das sich

pene. Ex precepto enim Dei debet subire penam a sacerdote sibi iniunctam et male faciat nisi subeat, maxime cum nesciat quando contritio sit sufficiens vel quando non. " 374

Stephan Langton, Quaestiones (Paris, Cod. lat. 14556, fol. 181 va ): „ Remittuntur ei peccata multa , quoniam dilexit multum... Hanc auctoritatem solvebat Magister Gilbertus dicens, quod remissio peccatorum praecedit natur aliter infusionem gratiae... Propter quod dico , hoc scilicet quod remittuntur ei peccata multa , quorum remissio apparet per hoc quoniam dilexit multum .... et ita videtur per glossam, quia hoc verbum dilexit copulai caritatem , quod sic oportet, quia haec vox causaliter teneatur, quia Caritas est causa remissionis, sed non e converso ". Ebd. fol 189 va : Jn iustificatione hominis concurrunt IV: gratia, motus fidei, contritio, remissio peccati. " Abgedruckt bei Hödl , Geschichte (Anm. 181), 348 f., Anm. 243. 375 Stephan Langton, ebd. (fol. 189 vb ): „Secundum quantitatem contritionis attenditur quantitas dimissionis poenae." Abgedruckt bei Hödl, Geschichte (Anm. 181), 349, Anm. 5. 376

Stephan Langton, ebd. (fol. 258 ra ): „Propter tria autem fit confessio, propter augmentum devotionis, propter pudorem, qui est pars poenitentiae et ita satisfactionis. Abgedruckt bei Hödl, Geschichte (Anm. 181), 349, Anm. 6. 377

Um 1155/66 in England geboren, vollendete er seine theologischen Studien in Paris. Seine Bußlehre gibt Zeugnis von seiner großen Kenntnis des weltlichen und kanonischen Rechtes. Nach seiner Tätigkeit als theologischer Lehrer in Paris zum Kardinal ernannt, beteiligte er sich maßgeblich an der Vorbereitung des Lateranense IV (1215). Sein Tod fällt in das Jahr 1219. Vgl. Hödl, Geschichte (Anm. 181), 320; ders., in: 2 LThK 8,1338. 378 Der volle Titel lautet: „Summa caelestis philosophiae". Das Werk gliedert sich in drei Teile: Glaubenslehre, Sittenlehre und Sakramentenlehre. Der erste Teil ist nicht erhalten geblieben. Der zweite Teil wird mit ausführlichen Überlegungen über die Buße eingeleitet. Sie wurden ediert von V. L. Kennedy in: Mediaeval Studies 7 (1945) 291336. Innerhalb der Sakramentenlehre kommt der Autor wieder auf die Buße zu sprechen. Vgl. Hödl, Geschichte (Anm. 181), 321 u. LThK 2 8,1338.

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besonders dann stellt, wenn durch die Reue sowohl die Schuld als auch die Strafe getilgt sind. Wieviel die „contritio" zu leisten vermag, zeigt der Magister am Beispiel des Lazarus und der zehn Aussätzigen auf. In der Aufforderung an den Lazarus, aus dem Grabe herauszutreten, wird deutlich, daß er zuerst wiedererweckt wird, bevor er durch die Jünger von seinen Banden befreit wird. Die Wiedererweckung ist aber nichts anderes als die Rechtfertigung und die Lösung von den Banden nichts anderes als die Absolution, die durch den Priester beim mündlichen Bekenntnis geschieht. Dasselbe gilt für die Heilung des Aussätzigen. Diese geht dem mündlichen Bekenntnis voraus. Da aber das Bekenntnis der vorausgegangenen Reinigung nichts hinzufügt, scheint es überflüssig zu sein. Dagegen meint Robert von Courçon, daß die vollkommene Reue ohne jedes mündliche Bekenntnis zur Tilgung von Schuld und Strafe genüge, besonders dort, wo es keine Gelegenheit gibt, einen Priester anzugehen. Wo diese aber gegeben ist, wird ein Bekenntnis gefordert. Denn durch die Beschämung, die dieses bewirkt, wird der Großteil der Sühne geleistet. Wer hingegen das Bekenntnis verachtet, obwohl ihm die Möglichkeit geboten ist, der macht sich schuldig. 379 Nochmals fragt der Autor einige Zeilen weiter, wie es denn geschehen könne, daß das Bekenntnis mit der Verpflichtung eines Gebotes auferlegt wird, da es doch Fälle gibt, in denen der Sünder ohne Bekenntnis sein Heil erlangt. Sei-

379

Robert von Courçon , Summa caelestis philosophiae (Ed. Kennedy 304 f.): „Item cum per se sufficiat contricio ad deletionem macule et pene in casu, ad quid superadditur confessio que nichil omnino tollit in isto cum omnia deleta sint prius per veram contricionem; quod patet per illud evangelicum: Lazare exi foras; prius enim suscitatur quam a discipulis solvatur; sed eius suscitatio non est nisi iustificatio; solutio autem non est nisi illa absolutio que fit a sacerdote in confessione oris et ita prius iustificatur quis per contricionem quam fiat absolutio per veram oris confessionem. Hoc idem arguitur per hoc quod dominus prius mundavit decern leprosos quam dixit: Ire, ostendite vos sacerdotibus; in quibus piene precessit lepre mundatio oris confessionem et cum oris confessio nichil addat precedenti mundationi videtur quod omnino superflua sit oris confessio... Solutio. Dicimus quod contricio in casu sufficit ad deletionem pene et culpe [sine] omni confessione oris precipue ubi non habetur copia sacerdotis nec alicuius cui confiteatur. Sed ubi habetur copia sacerdotis coexigitur confessio oris in qua est magna pars penitentie scilicet erubescentia; et ideo bonum est pluribus confiteri sacerdotibus quia tanto maior confitendi incurritur verecundia; et valet confessio oris cum contricione cordis propter hoc quod sacerdos iniungit penitentiam, recepii penitentem in suffragi/i ecclesie et se ei constituit patrem spiritualem ut tamquam pro filio proprio amodo propentius oret, et ut magis per erubescentiam confundatur confitens; et ideo qui contemnit confiteri ore cum possit delinquit. "

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ne A n t w o r t lautet: Nach dem Zeugnis des A T und N T ist das Bekenntnis für alle jene verpflichtend, die dazu Gelegenheit haben. 3 8 0 Sehr breit setzt sich der A u t o r der Summa „Ne ad mensam" 381 mit demselben Problem auseinander. Er pflichtet dem bei, daß das Bekenntnis nicht notwendig zum Sündennachlaß ist. Für erforderlich hält er es, damit der Sünder tatsächlich als Büßer erscheine und der Priester wisse, auf welche Weise er die kirchliche Binde- und Lösegewalt anwenden soll. Ebenso ist die Genugtuung nicht zur Sündenvergebung erfordert, sie ist es aber, um Gerechtigkeit und Demut zu üben und um der Kirche gegenüber zu sühnen, die der Sünder beleidigt h a t . 3 8 2 Ein Schüler Stephan Langtons, Gottfried von Poitiers 383, begründet in seiner theologischen Summa die Notwendigkeit des Bekenntnisses mit dem Hinweis, daß die Reue Gott gegenüber geschieht, der alles weiß, das Bekenntnis hingegen dem Priester gegenüber, der die Geheimnisse des Herzens nicht kennt,

380

Robert von Courçon, ebd. (Ed. Kennedy 305): „Item cum penitentia sit in precepto sicut ait Johannes: Agite penitentiam quia appropinquabit regnum celorum, queritur utrum confessio et contricio et satisfactio operis sint in precepto; quia in Johele precipitur contricio ubi dicitur: Scindite corda vestra et non vestimenta vestra; et in Osee propheta precipitur confessio oris ibi: Effunde sicut aquam cor tuum; iterum: Effundite coram eo corda vestra; unde Jacobus : Confitemini alterutrum peccata vestra. Satisfactio autem precipitur in Johanne ibi : Facite dignos fructus penitentie. Sed contra ita est quod sine confessione est salus in casu ut ostensum est; quomodo est confessio in precepto? Solutio. Omnia predicta sunt in precepto ei qui potest ilia exercere quantum in eo est, et sicut in novo precipitur ita in vetere testamento sub umbra precipiebatur. Veluti de leprosis proiectis extra castra et postmodum intra receptis. " 381

382

Fundstelle: Florenz, Biblioteca Laurenziana. Cod. lat. Plut. X X 38.

Summa „Ne ad mensam" (Anm. 381, fol. 77): „Si forte queratur cum sit ei dimissum peccatum ad cordis eontritionem, ad quid est necessaria oris confessio vel operis satisfactio , responderi potest quod licet non sit necessarium ad peccati remissionem , tamen necessarium est oris confessio ut appareat vere penitens et sacerdos sciat qualiter debeat circa ipsum Ecclesie claves exercere y scilicet ligando et solvendo. Operis satisfactio necessaria est non ad remissionem peccati , sed ad exercendam iustitiam et humilitatem et ut Ecclesie satisfaciat quam leserat. " Abgedruckt bei Anciaux , Théologie (Anm. 186), 435. 383

Er war am Beginn des 13. Jahrhunderts Lehrer der Theologie an der Universität von Paris. Sein Hauptwerk ist eine ungedruckte theologische Summe, die weitgehend von seinen Lehrern Stephan Langton, Praepositinus von Cremona und Robert von Courçon sowie anderen Theologen abhängig ist. V g l . ! . Ott, in: LThK 2 4,1139 f.

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wenn sie ihm nicht geoffenbart werden. Da er nun über alles zu befinden hat, muß ihm auch alles offengelegt werden. 384 Die „Notule [sic!] in IV Librum Sententiarum" eines unbekannten Autors sind für unseren Fragestand wegen der Motivation, die sie für die Notwendigkeit des Bekenntnisses bringen, von Interesse. Aus sechs Gründen wird ein Bekenntnis abgelegt: um den frommen Sinn zu wecken und um ihn zu vermehren; zum Nachlaß der Sündenstrafen, der durch die Schlüsselgewalt geschieht; zur Kenntnis der Art und des Umfangs der Sünde; zur Vermeidung der Sünde; um die Erinnerung an die Sünde wachzuhalten, nicht jedoch um sich daran zu ergötzen, sondern um sie zu bereuen. 385 b) Die Dekretisten Die ersten Kommentatoren des Dekrets Gratians übergehen zum Großteil den Bußtraktat mit Schweigen. Einige von ihnen kommen nur beiläufig darauf zu sprechen. So schließt sich Rufin der, wie er selbst sagt, fast einhelligen Meinung an, wonach die Sünde allein in der Herzensreue nachgelassen wird. Einen solchen Nachlaß hält er aber in jenem Fall für fruchtlos, ja sogar für nichtig, in dem der Sünder nicht die Gelegenheit zu einem Bekenntnis wahrgenommen hat. 386 Nach Stephan von Tournai ist die Herzensreue allein sündentilgend, wenn dem Sünder keine Gelegenheit zum Bekennen geboten ist. Ist sie ihm

384 Gottfried von Poitiers , Summa (Brügge, Cod. 220, fol. 114 v a -114 v b ): „Item contritio una sufficit pro omnibus. Quare similiter non una confessio de omnibus? Contritio fit Deo, qui omnia novit, confessio sacerdoti, qui non novit occulta cordis nisi ei revelentur. Unde cum habeat iudicare de omnibus, necesse est ut omnia confiteantur. Non enim posset iudicare de nescitis, qui scire non potest nisi per confessionem. " Abgedruckt bei Anciaux, Théologie (Anm. 186), 435 f. 385

Notule in IV Librum Sententiarum (Cod. Reg. lat. 411, fol. 73r Vat. Β ibi.): »Sex de causis fit confessio. Propter devotionem ut detur, vel ut data excitetur; ut devotio augmentetur ; ad remissionem pene que fit ex vi clavium; ad peccatti cognitionem quale et quantum sit; ad peccati evitationem; ad iugem memorie non ad delectandum sed ad dolendum." Abgedruckt bei Anciaux, Théologie (Anm. 186), 438 f. 386

Rufin, Summa Decretorum, C. X X X I I I , q. 3 (Die Summa Decretorum des Magister Rufinus. Hg. ν. H. Singer . Paderborn 1902, 501): „Questionis de penitentia longus est tractatus, discretus in distinctiones septem, in quorum prima agitur, an in sola cordis contritione peccata remittantur. Ubi pro utraque parte questionis controversantes auctoritates alternatis sepe vicibus introducit, tandem cui partium potius favendum sit, lectoris arbitrio reservat. Nostra vero et plurimorum, quin immo prope omnium sententia hec est, ut in sola cordis contritione peccata dimittantur, que tamen remissio et quas nulla iudicabitur, si parata copia sacerdotis et temporis oris confessio non sequatur. "

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Johannes Mühlsteiger

jedoch gegeben und er bekennt nicht, dann hat er nach der Meinung einiger Autoren überhaupt keine Vergebung erhalten, nach der Ansicht anderer fällt er in den alten Sündenzustand zurück. 387 Ähnlich sehen den Sachverhalt die Verfasser der Summa Parisiensis und der Summa Lipsiensis. 388 Als einziger Dekretist geht Huguccio in seiner „Summa in Decretum" ausführlicher auf Fragen der Bußdisziplin ein. Er ist ein entschiedener Parteigänger der Sentenz von der sündentilgenden Kraft der Reue. Die gegenteilige Ansicht hält er für „vulgär und oberflächlich". Seinen Standpunkt präzisiert er folgendermaßen: Sobald ein erwachsener, zum Vernunftgebrauch gelangter Mensch aufrichtig seine Sünde bereut und den Vorsatz faßt, vor weiteren Rückfällen sich zu hüten, die Sünde zu bekennen und dafür nach dem Urteil der Kirche Sühne zu leisten, wird die Sünde sogleich nachgelassen, selbst wenn niemals ein mündliches Bekenntnis oder eine Genugtuungsleistung folgt. 3 8 9 Huguccio unterscheidet ein inneres und ein äußeres Bekenntnis. Das innere Bekenntnis bedeutet soviel wie ein prüfendes Wiedererkennen der Sünde und beinhaltet den Vorsatz, die Sünde zu bekennen, oder die Gnade, durch welche der Mensch disponiert wird, seine Sünden zu überdenken und sie nach der Vorschrift der Kirche zu bekennen sowie dafür Genugtuung zu leisten, wenn es zeitlich und örtlich möglich ist. Ohne ein solches Bekenntnis wird dem Erwachsenen die Sünde niemals nachgelassen. Das äußere Bekenntnis hingegen ist nach Huguccio jenes, das dem Priester mündlich oder „ lingua corporis" abgelegt wird. Dieses Bekenntnis ist nicht zur Sündenvergebung erfordert.

387

Stephan von Tournai , Summa in Decretum, C. X X X I I I , q. 3 (Die Summa des Stephanus Tornacensis über das Decretum Gratiani. Hg. v.J. T. v. Schulte. Gießen 1891, 246 f.): „Notandum, quia eorum, qui de peccatis suis cordis eontritionem habent, alii tempus habent confitendi, alii non. Qui non habent tempus confitendi, sola cordis eontritione peccati remissionem consequuntur; qui tempus habent et non confitentur, secundum quosdam non consecuti sunt remissionem, secundum alios recidunt in id ipsum. Item dicas de confessione et poenitentia. Intermisso interim prolixo ilio tractatu de poenitentia transitum faeimus ad quartam quaestionem. " 388 In beiden Summen: C. X X X I I I , q. 3.

389 Huguccio, Summa in Decretum (Bamberg, cod. can. 41, fol. 395 r a -395 r b u. Vatikan, cod. Vat. lat. 2280, fol. 292 r b -293 v a ): „Hec opinio satis est vulgaris et superficialis, nec tangit medullam veritatis et ideo cum affirmantibus sentimus dicentes quod per solam cordis eontritionem sine oris confessione et operis satisfactione dimittitur adulto et discreto peccatum. Ex quo enim adultus et discretus interius compungitur et conteritur et penitet de peccato et proponit ab aliis abstinere et illud confiteri et de ilio satisfacere secundum iudicium Ecclesie , statim dimittitur ei peccatum illud, etsi numquam postea sequatur oris confessio vel operis satisfactio. " Abgedruckt bei Anciaux, Théologie (Anm. 186), 444 f.

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Wenngleich das äußere Bekenntnis und die Sühneleistung für den Sündennachlaß nicht erforderlich sind, so sind doch beide durch ein Gebot vorgeschrieben, sofern die Möglichkeit vorhanden ist, es einzuhalten. Wenn nun jemand durch die Liebesreue frei von Sünde wird, das Bekenntnis und die entsprechende Buße aber nicht leistet, obwohl er es könnte, so sündigt er schwer. Die nachgelassene Schuld wird aber nicht wieder wirksam 3 9 0 Wenn aber Reue Sünde tilgt, wozu sind das äußere Bekenntnis und die Sühneleistung geboten? Huguccio hält zwar ein mündliches Bekennen für nicht zur Sündenvergebung erfordert, verlangt es jedoch, damit der Mensch als wirklich Büßender in Erscheinung trete. Das kann eben aus dem Umstand geschlossen werden, daß er sich nicht schämt, seine verfehlte Handlungsweise zu bekennen. Zum andern fordert er ein Bekenntnis, damit der Priester wisse, in welcher Weise er die Schlüsselgewalt der Kirche dem Sünder gegenüber in Anwendung bringen kann. In Analogie dazu wird die Bußleistung nicht zur Sündentilgung gefordert. Sie bezweckt vielmehr die Übung der Tugend der Demut und der Gerechtigkeit sowie die Abbitte gegenüber der Kirche. Bekenntnis und Bußleistung werden aber als notwendig erachtet, um den Fehlenden selbst wie auch andere zur Vorsicht zu mahnen und um aufzuzeigen, daß die Sünde vergeben ist. 3 9 1 Bei kaum einem anderen Autor wird die Bereitschaft zum Bekennen so

390

Huguccio , ebd.: „Auctoritates autem, que videntur dicere peccatum non dimitti sine confessione et satisfactione, intelliguntur de interiore confessione et interiore satisfactione, sine quibus nulli adulto et discreto dimittitur peccatum. Interior confessio e recognitio peccati, scilicet propositum confitendi peccatum vel gatia qua sic homo disponitur, ut peccatum suum recognoscat et velit sibi dimitti et illud confiteri et de ili satisfacere secundum preeeptum Ecclesie si tempus habuerit et locum. Sine tali confessione peccatum numquam dimittitur adulto et discreto. Exterior confessio est que fit sacerdoti ore sive lingua corporis. Hec confessio non est necessaria ad dimissionem peccati. Si alieubi inveniatur quod sit necessaria ad dimissionem peccati sic intelligimus, id est ad ostendendum peccatum esse dimissum. ... Sed licet exterior confessio et exterior satisfactio non sint necessarie ad dimissionem peccati, sunt tamen et hec et illa precepte, si adsit facultas. Unde si dimisso peccato per cordis contritionem quis contempnat confiteri et satisfacere cum possit, peccai mortaliter. Peccatum tamen iam remissum non redit. " 391

Huguccio, ebd.: „Ad quid ergo postquam peccatum est dimissum per cordis contritionem precipitur et est necessaria exterior confessio et satisfactio? Responsio. Oris confessio, scilicet exterior est necessaria non ut peccatum dimittatur, sed ut homo appareat vere penitens, quod presumitur ex quo non erubescit confiteri turpitudinem suam, e ut sciat sacerdos qualiter in eum claves Ecclesie debeat exercere, id est qualiter eum ligare vel solvere debeat. Satisfactio vero exterior similiter est necessaria non ut pec catum dimittatur , sed ad humilitatem et iustitiam exercendam, et ut satisfaciat Ecclesie. Quare sic necessaria etiam sunt ista duo ad cautelam sui et aliorum. Per hec enim ipse

Johannes Mühlsteiger

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deutlich als konstitutiv für die Reue artikuliert und zugleich v o m tatsächlichen Bekenntnis als Ausdruck der inneren Gesinnung abgehoben. Der theologische Hintergrund, auf dem die Bedeutung des Bekennens verständlich w i r d , liegt in der These Huguccios, wonach nur jenen die Sünden nachgelassen werden, die durch die Liebe an der Einheit der Kirche teilhaben. 3 9 2 Zeitmäßig sind w i r damit an das von Innozenz I I I . einberufene IV.

Lateran-

konzil des Jahres 1215 herangekommen. I m can. 21 schreibt die Kirchenversammlung vor, daß jeder Gläubige, der zum Gebrauch der Vernunft gekommen ist, wenigstens einmal i m Jahr seine Sünden bekenne und zumindest in der Osterzeit die Eucharistie empfange. 3 9 3 Der Neuheitscharakter der konziliaren Vorschrift scheint weniger darin zu bestehen, daß der Osterkommunion eine

peccator et alii redduntur cautiores quia magis cavent a peccatis ex quo vident quod pro peccato debet homo sic confiteri et satisfacere. Et ne homo in aliud peccatum incidat , scilicet in contemptu Ecclesie , que constituit ut homo sic confiteatur et satisfaciat. Tandem necessaria sunt hec duo ad ostendendum peccatum esse dimissum. " 392

Huguccio kommentiert dabei jenes Kapitel aus dem Dekret Gratians (c. 140, D. IV, de cons.), das dem Kommentar des Augustinus zu Johannes 20, 23 entnommen ist (In Joan. Evang. tract. 121, η. 4 [PL 35,1958]): „ Ecclesiae karitas, que per Spiritum Sanctum diffunditur in cordibus eorum, qui participes sui sunt, peccata dimittit ; eorum , qui non sunt, tenet." Der Kommentar Huguccios dazu (Codex Bambergensis, can. 40, fol. 275 v ): „Dimittit peccata eorum, qui participes sunt sui scilicet caritatis vel ecclesie id est unitatis ecclesie, id est solum Ulis peccata dimittuntur, qui participant unitate ecclesie per caritatem vel qui participant caritate, per quam peccata dimittuntur ... quemadmodum ,tenet' Caritas ecclesie vel ipsa ecclesia K peccata*; id est non dimittit peccata, eorum, qui non sunt participes sui, id est Ulis, qui gratia caritatis careni et in ecclesie unitate non sunt, peccata tenentur, id est non remittuntur, id est imputantur ad dampnationem." Im selben Sinn spricht Barth. Brixiensis in seiner Glossa ordinaria (Cod. Bamb., can. 13, fol. 265 v ): „Idem est, quod alibi dicitur: si cui remiseritis peccata, remissa erunt, et cui retinueritis, retenta erunt. Et alibi : Spiritus Sanctus aut per seipsum remissionem facit aut per columbe membra ... sic itaque intelligemus, quod hic dicitur: ecclesie Caritas etc., id est peccata dimittuntur eis, qui participes sunt ecclesie per caritatem ecclesie, id est, qua subsistit ecclesia. Que per Spiritum Sanctum etc., id est que unitur per Spiritum Sanctum. Fideles enim sunt in ecclesia et in ipsis ... ecclesie Caritas tenet peccata, id est ipsa ecclesia vel ecclesie unitas, id est eis qui in unitate ecclesie non sunt, tenentur peccata, id est eis non remittuntur. " Ebenso Johannes de Deo (Cod. Bamb., can. 41, fol. 321): „...licet dona Spiritus Sanciipossint habere extra, ut donum scientie et intellectus. Non tamen Spiritum Sanctum potest aliquis habere extra ecclesiam, ,Spiritum ' id est vinculum caritatis... " Die Stellen aus dem Bamberger Codex sind dem Artikel von Α. Landgraf, Sünde und Trennung von der Kirche in der Frühscholastik, in: Schol. 5 (1930) 220 f. entnommen. 393

DS 812. Vgl. dazu L. Braeckmans, Confession et communion au moyen âge et au concile de Trente (RSSR.M 6). Gembloux 1971,22 f.

Exomologese

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Beichte vorausgehe - i m 12. Jahrhundert und auch schon vorher empfingen die Gläubigen die Eucharistie nicht ohne vorherige B e i c h t e 3 9 4 , - als darin, daß jenen, die gegen diese Anordnung verstoßen, verboten w i r d , eine Kirche zu betreten, und daß ihnen das kirchliche Begräbnis verweigert w i r d . Wenn die Konzilsväter mit dem Gebot der Jahresbeichte auch keine i m p l i zite Lehraussage über die allgemeine Notwendigkeit des Bekenntnisses zu machen beabsichtigten, so hat die konziliare Verfügung doch die Frage nach der Quelle für die Verbindlichkeit des Bekenntnisses wach werden lassen. Tatsächlich übernimmt die unmittelbar nach dem Lateranense I V erschienen e 3 9 5 Glossa Ordinaria zum Dekret Gratians des Johannes Teutonicus die Lehre seiner Dekretistenkollegen H u g u c c i o 3 9 6 und Laurentius Hispanus (Glossa Palatina u m 1214). Nach deren Auffassung ist die Einrichtung des Bekennens ihrem Ursprung nach nicht auf eine alt- oder neutestamentliche Aussage zurückzuführen, sondern auf eine allgemeine kirchliche Tradition, die w i e ein Gebot verp f l i c h t e . 3 9 7 Die Qualifikation als positiv kirchliche Verfügung ist deshalb gege-

394

Vgl. P. Browe, Die Kommunionvorbereitung im Mittelalter, in: ZKTh 56 (1932) 375^15; ders., Die Pflichtbeichte im Mittelalter, in: ZKTh 57 (1933) 335-383. Vgl. St. Kuttner, Repertorium der Kanonistik. Città del Vaticano 1937,93. 396

Vgl .Huguccio , Summa in Decretum (Anm. 390).

397

Johannes Teutonicus, Glossa ordinaria zum Dekret, De Poenitenia, dist. 5, c. 1: „ ...videndum est quando oris confessio fuerit instituta, utrum necessaria sit vel tantum voluntaria ... Dicunt quidam institutam fuisse in paradiso statim post peccatum, dicente Domino ad Adam: ,Adam ubi es?' Ideo enim quaesivit ut, ipso confitente peccatum, daretur forma aliis in posterum confitendi, sed quia in illa interrogatione Dominus minus expresse videbatur ad confitendum monuisse, ideo post exquisivit a Cain fratricida expressius: , Ubi est Abel fra ter tuus?' Alii dicunt quod sub lege fuit primo instituta, quando Josue praecepit Achor crimen suum confiteri, et lapidatus est: 45 dist. ,sed illud'. Alii dicunt quod in Novo Testamento a Jacobo dicente: , Confitemini alterutrum peccata vestra. ' etc. - Sed melius dicitur eam institutam fuisse a quadam universalis Ecclesiae traditione potius quam ex Novi vel Veteris Testamenti auctoritate . Et traditio Ecclesiae obligator ia est ut praeceptum, ar. 11 dist. ,In his rebus'. Ergo necessaria est confessio in mortalibus apud nos. Apud Graecos non, quia non emanavit apud illos traditio talis, sicut nec conficiunt in azimis, sed in fermentatis.... Illud ergo Jacobi, , Confitemini alterutrum peccata vestra fuit consilii primo, alioquin ligaret et Graecos, non obstante eorum consuetudine ." Zit. bei P. M. Gy , Le précept de la confession annullée et la nécessité de la confession, in: RSPM 63 (1979) 529-547, hier 532, Anm. 12. - Zum Vergleich dazu die Stelle aus dem Glossenapparat des Laurentius Hispanus: „ Melius autem dicitur quod fuit instituta quadam universali traditione Ecclesie potius quam Novi vel Veteris Testamenti auctoritate. Traditio Ecclesie ligat ut preceptum, ut supra D. XI. ,Ιη hiis autem'. Necessaria confessio in mortali apud nos propter traditionem Ecclesie, non autem apud Graecos, qui talem traditionem non admittunt. Id autem:

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ben, w e i l die Griechen eine solche Verpflichtung nicht kennen, weshalb man nicht eine Schriftstelle für die Verbindlichkeit des Bekenntnisses heranziehen kann. Wegen der Autorität, die der Glosse des Teutonicus zukommt, bleibt seine Erklärung hinsichtlich des Ursprungs der Bekenntnispflicht in den folgenden Jahrhunderten der Bezugstext schlechthin. 3 9 8 Die Dekretalisten haben der Frage keine oder nur beiläufige Aufmerksamkeit zugewendet. Nikolaus de Tudeschis, auch Panormitanus genannt (+ 1445), macht insofern eine Ausnahme, als er ausdrücklich die Frage stellt, ob die Institution der Bekenntnispflicht göttlichen oder menschlichen Rechtes ist. Seine A n t w o r t ist zunächst eine inhaltliche Zitation der oben angezogenen Stelle aus der Glosse des Teutonicus. Die Bekenntnispflicht w i r d demnach als kirchlichen Rechtes qualifiziert. A n sie ist allerdings auch der Papst gehalten, w e i l es sich um die Verfassung der Gesamtkirche handelt, gegen die der Papst nicht vorgehen könne, w e i l diese allgemein von allen Päpsten wie von den anderen Christen der lateinischen Kirche angenommen worden s e i . 3 9 9

Confitemini etc., locum habet in venialibus, vel est consilium: aliter ligaret Grecos, eorum consuetudine non obstante. " Laurentius Hispanus, Glossa Palatina, Handschrift aus d. Nationalbibliothek, Paris, Cod. lat. 14317, fol. 265 ra . Zitiert im Art. von Gy, Précept (Anm. 397), 531, Anm. 6. 398

Gy, Précept (Anm. 397), 533.

399

Nicolaus Tudeschius, In Quartum et Quintum Decretalium Librum Commentarla. Venedig 1569. Lib. V, tit. 38, c. 12, fol. 208 v -209 r : „Extravagans glossa pro declaratione totius materiae. Primo quaero quo iure fuit instituta confessio, et an sit de iure divino aut humano. Et de hoc multae opiniones ponuntur De Poenitentia, dist. 5... Sed glossa ibi tenet quod potius sit instituta ex quadam generali traditione Ecclesiae unde Graeci non peccant non utendo confessione. ...Ex hoc solvitur alia quaestio, numquid Papa teneatur confiteri, ita quod eum liget constitutio huius canonis [c. 25 des Lat. IV]. Joannes Andreae habet et latius in c., Significasti', De foro competenti. Dicit quod mens huius constitutionis eum ligat cum ipse peccet et habeat confiteri de peccato et subiectus sit iuri divino. Sed die melius, ut praedixi, quod ex decisione praecedentis quaestionis elicitur decisio huius. Aut enim confessio est de iure divino, et tunc indubie Papa tenetur confiteri, art. 25 q. 1 in c. ,Sunt quidam ', sed non ligatur verbis huius constitutionis ut teneatur confiteri tempore hic deputato vel petere ab alio licentiam, cum ipse non sit alicui subiectus et ,par in parem non habet Imperium in c. Jnnotuit', De electione. Et forte hoc voluit Joannes Andreae dum dixit quod mens huius constitutionis eum ligat, quasi non ista constitutio. Aut confessio est de iure positivo, etiam si ex dicto Jacobi: Et tunc Papa non arctaretur quia maiorem potestatem habet Papa quam habent Jacobus, cum ille non fuerit Papa, et esto quod fuisset, tamen ,par in parem non habet imperium, etc. ' Sed ex alio puto Papam indubie confiteri teneri, quia haec confessio saltem est inducta ex generali Ecclesiae traditione, et concernit universalem statum Ecclesiae,

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Die konziliare Entscheidung des can. 21 hat, und zwar ab dem Jahre 1240, den Unterricht der Theologen über die Notwendigkeit des Bekenntnisses beeinflußt. Albert der Große, Bonaventura und Thomas von Aquin halten dafür, daß jene Meinung, die das Bekenntnis im Rahmen der Buße als dispensabel betrachtet, auf Grund der Konzilsentscheidung als Häresie zu qualifizieren ist. 400 Die übereinstimmende Meinung von Theologen solchen Ranges läßt den Schluß zu, daß die Diskussion über die Notwendigkeit des Bekenntnisses durch

contra quem Papa non potest venire, cum ab omnibus Summis Pontificibus christianis latinis haec constitutio fuerit communiter recepta. " 400

sicut ab aliis

In seinem Sentenzenkommentar (In IV Sent., d. 17, art. 33) unterscheidet Albert der Große eine ausdrückliche und eine implizite Häresie. Zur letzteren Häresie erklärt er: „ Implicita autem haeresis est assertio ex qua sequitur haeresis, sicut est ipsa : quia licet modo non teneamur confiteri episcopis vel duobus, si tamen praecipiatur ab Ecclesia, tunc tenemur. Unde si ego dico non esse confitendum episcopis illis ex hoc sequitur quod non sit obediendum potestati et ordinationi clavium , et ideo haeresis est. Et talem iudico assertionem istam quia, licet quandoque homo non confiteretur homini enarrando peccata ore, sicut modo, tamen ex praecepto Ecclesiae tenetur ad illud. " - Bonaventura, In IV Sent., d. 17, P. 2, Dubia circa Litteram Magistri I. (Opera omnia, Commentarla in Quatuor Libros Sententiarum, T. IV. Quaracchi 1889, 448): „In parte ista sunt dubitationes circa litteram, et primo de hoc quod dicit Magister:, Quibusdam visum est sufficere, si soli Deo fiat confessio. ' Quaeritur ergo, utrum tales fuerint haeretici. quod non, videtur: quia Magister récitât hoc tamquam opinionem probabilem. - Sed contra hoc est, quia negans confessionem negai absolutionem, ac per hoc negai clavium virtutem, et ita manifeste est contra Scripturam et ita contra fidem. Respondeo : Dicendum quod, si quis esset modo huius opinionis, esset ut haereticus reprobandus, quoniam in Concilio generali hoc determinatum est sub ìnocentio tertio. Sed ante hanc determinationem hoc non erat haeresis, quia ipsi non negabant clavium potestatem, sed negabant necessitatem ; et bene concedebant quod utile erat confiteri, et sacerdotes poterant absolvere. Ideo Magister et Gratianus in Decretis hoc referunt tanquam opinionem; tamen uterque improbat hoc et determinai in contrarium et si quis pertinaciter assereret contrarium, esset haereticus iudicandus." - Thomas v. Aquin, In IV Sent., d. 17, Expositio Textus, Nr. 533 (Ed. M. F. Moos. Paris 1947, 920): „Quibusdam visum est, etc. [sufficere soli Deo fiat confessio sine iudicio sacerdotali et confessione Ecclesiae]. Hoc quod ponitur hie pro opinione haeresis est, non quod explicite sit contra aliquem articulum, vel praecedens vel sequens ad ipsum, implicite aliquid contrarium fidei continet; sed quia sequitur quod claves Ecclesiae non sint necessariae ad salutem. Et in talibus, antequam determinetur per Ecclesiam quod ex eis sequitur aliquid contrarium fidei, non iudicatur haeresis esse haec opinio. Et sie Magister et Gratianus hoc pro opinione ponunt. Sed nunc, post determinationem Ecclesiae sub Innocentio III factam, haeresis reputanda est. "

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die Entscheidung des 4. Laterankonzils nicht nur auf der disziplinären, sondern auch auf der doktrinären Ebene als entschieden erachtet worden i s t . 4 0 1 Die Notwendigkeit des Bekenntnisses w i r d von ihnen unterschiedlich begründet. Während Albert der Große das Schuldbekenntnis i m Rahmen der sakramentalen Buße in verschiedene Teilaspekte auflöst, wie etwa den A k t des Bekennens selbst, das A m t des Spenders, die W i r k u n g des Sündennachlasses usw., und dafür je eigene Texte als Begründung ihrer Institution aufzählt 4 0 2 , übernimmt Thomas das Argument des Augustinus, wonach die Notwendigkeit des Bekenntnisses der Sünden in der V o l l m a c h t , sie nachzulassen, enthalten i s t . 4 0 3 I m Sentenzenkommentar erklärt Thomas die Bekenntnispflicht aus der Heilsnotwendigkeit: Das Leiden Christi, ohne das weder die Erbsünde noch die aktuelle Sünde nachgelassen werden, w i r k t in uns durch den Empfang der Sa-

401

Vgl. Gy, Précept (Anm. 397), 538.

402

Albertus Magnus, De Sacramentis, Tr. 6, Pars 2, q. 2, art. 3. (Opera Omnia. Münster/Westf. 1958, 96): „Sicut baptismus instituitur multipliciter, scilicet quantum ad actum et quantum ad materiam etc., sicut supra de baptismo dictum est, ita et confessio multipliciter instituitur quoad multa , quae sunt in confessione. Quantum enim ad actum confitendi instituitur in praedicatione Johannis, ubi dicitur quod ,veniebant ad eum confitentes peccata sua ' (Mc 1,5). Inquantum vero est Veritas umbrae, quae praecessit in veter e lege, sic instituitur ubi dicitur: ,Ite ostendite vos sacerdotibus 1, ut dictum est (Lc 17,14). Sed quoad officium ministrorum instituitur ibi, ubi dicitur eis, quod solvant Lazarum. Quantum veto ad effectum clavium, qui est in confessione, instituitur post resurrectionem, ubi dicitur: ,Accipite Spiritum Sanctum etc . ' (Jo 20/22). Sed quoad usum instituitur a Jacobo, ubi dicit: , Confitemini alterutrum etc. ' " 403

Thomas v. Aquin , Summa ctr. Gentiles, Lib. IV, c. 72 (Ed. Leonina Manualis S. 536, Sp. 2): „ Per hoc autem excluditur quorundam error qui dixerunt hominem posse peccatorum veniam consequi sine confessione et proposito confitendi: vel quod per praelatos Ecclesiae dispensari potest quod ad confessionem aliquis non teneatur. Non enim hoc possunt praelati Ecclesiae ut ,claves frustrentur Ecclesiaein quibus tota eorum potestas consistit , neque ut sine sacramento a passione Christi virtutem habente, aliquis remissionem peccatorum consequatur; hoc enim est solius Christi, qui est sacramentorum institutor et auctor. Sicut igitur dispensari non potest per praelatos Ecclesiae ut aliquis sine baptismo salvetur, ita nec quod aliquis remissionem sine confessione et absolutione consequatur ." - Vgl. dazu Augustinus , Sermo 392, 3 (PL 39, 1711): „Agite poenitentiam, qualis agitur in Ecclesia, ut or et pro vobis Ecclesia. Nemo sibi dicat:, Occulte ago, apud Deum ago. ' Ergo sine causa dictum est: , Quae solveritis in terra, soluta sunt in coelo ( (Mt 18,18)? Ergo sine causa sunt claves datae Ecclesiae Dei? Frustramus Evangelium, frustramus verba Christi? Promittimus vobis quod ille negat? Nonne vos decipimus? Joh dicit : ,Si erubui in conspectu populi confiteri peccata mea' (Jh 31,33)..." Vgl. ebenso Gratian , Dekret, De Poenitentia, dist. 1, c. 87, § 10. Über die Textausgabe des augustinischen Sermo vgl. P. P. Verbraken, Études critiques sur les sermons authentiques de S. Augustin. Steenbrugge / La Haye 1976,156.

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kramente, die ihre Wirksamkeit aus der Passion Christi erhalten. So bedarf es zur Sündenvergebung des Sakramentes der Kirche, sei es „actu", sei es „ voto" für den Fall, daß nicht Verachtung, sondern ein Hindernis den Sakramentenempfang verunmöglicht. Folglich sind jene Sakramente, die gegen eine Verfehlung gerichtet sind, die mit dem Heil inkompatibel ist, heilsnotwendig. ... Wer die Taufe erbittet, unterwirft sich den Dienern der Kirche, die das Sakrament spenden; ebenso unterwirft sich jemand durch die Tatsache des Sündenbekenntnisses dem Diener der Kirche, damit er durch die Spendung des Bußsakramentes den Sündennachlaß erhalte. Der Diener der Kirche kann aber nicht das entsprechende Heilmittel anwenden, wenn er nicht die Sünde kennt, das geschieht aber durch das Bekenntnis des Sünders. Das Bekenntnis ist demnach heilsnotwendig für denjenigen, der in eine aktuelle schwere Sünde gefallen ist. 4 0 4 Für einen solchen Fall qualifiziert Thomas das Bekenntnis als „ iure divino" verpflichtend. Hingegen trifft die Verpflichtung aus can. 21 des 4. Laterankonzils alle und bindet „ ex praecepto iuris positivi" 405. Theologen wie Richard von Mediavilla (,>doctor solidus", + 1302/08), Duns Skotus doctor subtilis", + 1308) und andere sehen den Ursprung der Bekenntnispflicht im positiv göttlichen Recht mit der Begründung, daß eine solche Verpflichtung eine zu große Bürde für den Menschen darstellt, als daß sie durch eine kirchliche Verfügung allein hätte auferlegt werden können. Zu keinem Konsens sind sie allerdings hinsichtlich der neutestamentlichen Aussagen als Grundlage für die Verbindlichkeit eines Bekenntnisses gekommen. Über ein

41)4

Thomas v. Aquin, In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 1, ad P m quaest. (Ed. Moos, Nr. 359 f., S. 888 f.): „Dicendum ad primam quaestionem quod passio Christi, sine cuius virtute nec actuate nec originale peccatum dimittitur, in nobis operatur per sacramentorum susceptionem, quae ex ipsa efficaciam habent. Ideo ad culpae remissionem et actualis et originalis requiritur sacramentum Ecclesiae, vel actu susceptum, vel saltem voto , , quando articulus necessitatis , non con temp tus, sacramentum excludit'. Et per consequens illa sacramenta quae ordinantur contra culpam cum qua salus esse non potest, sunt de necessitate salutis. ... Sicut autem aliquis per hoc quod baptismum petit, se ministris Ecclesiae subjicit ad quos pertinet dispensatio sacramenti; ita etiam, per hoc quod confitetur peccatum suum, se ministro Ecclesiae subjicit, ut per sacramentum poenitentiae ab eo dispensatum remissionem consequatur . Qui congruum remedium adhibere non potest nisi peccatum cognoscat; quod fit per confessionem peccantis. Et ideo confessio est de necessitate salutis eius qui in peccatum actuale mortale cecidit. " 405

Thomas v. Aquin, In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 1, ad 3 a m quaest. (Ed. Moos, 891): „Ad tertiam quaestionem dicendum quod ad confessionem dupliciter obligamur. Uno modo ex iure divino, hoc ipso quod est medicina. Et secundum hoc non omnes tenentur ad confessionem, sed illi tantum qui peccatum mortale incurrunt post baptismum. Alio modo, ex praecepto iuris positivi. Et sic tenentur omnes ex illa institutione Ecclesiae edita in concilio generali sub Innocentio III. "

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Jahrhundert später schließt sich Gabriel B i e l , ein Vertreter der devotio moderna, eng an die Sentenz des Skotus an, wenn er meint, daß das Gebot eines Bekenntnisses i m Rahmen des Bußsakramentes von Christus den Aposteln und vermittels dieser der Kirche durch Wort und Tat ohne schriftliches Zeugnis promulgiert worden i s t . 4 0 6 Die scholastische These, die eine Rechtfertigung des Bekenntnisgebotes nur in der göttlichen Autorität sah, konnte in der Theologie der devotio moderna, die stark auf den Menschen, d . h . auf praktisch-religiöse Ziele eingestellt war, w e n i g Verständnis f i n d e n . 4 0 7 I m Fehlen einer solch göttlichen Komponente des Gebotes w i r d man auch den Grund für die heute bestehende Ablehnung einer Bekenntnispflicht vermuten k ö n n e n . 4 0 8

V . Exomologese als Wesenselement der pax cum Ecclesìa Die vorausgegangene geraffte Darlegung der Diskussion um die Notwendigkeit des Bekenntnisses ergibt, daß die theologischen Lehrer des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts, einschließlich Gratian, die sündentilgende Kraft der „ contritio " bei gleichzeitiger Verteidigung des verpflichtenden Charakters des

406

Gabriel Biel, Collectorium circa quattuor libros Sententiarum 1V/2, dist. 17, q. 1 (Ed. W. Werbeck / U. Hofmann. Tübingen 1977, 475-479): „Cum itaque sacramentalis confessio non est de lege naturae , oportet quaerere legem positivam. Et quia haec est duplex, divina et humana, circa hoc sunt diversae opiniones. Una est, quod sit de lege positiva Ecclesiae, quam tenet Glossa De Paenitentia d. V, cap. I, ubi post diversas opiniones recitatas subdit: , Melius dicitur earn institutam esse a quadam generali sive universali Ecclesiae traditione potius quam ex Novi vel Veteris Testamenti auctoritate. Et hanc opinionem sequitur Panormitanus in cap. Omnis, De paenitentiis et remissionibus... Sed contra hanc opinionem communiter sunt theologi, et arguii contra eam Scotus: Primo, quia non videtur quod Ecclesia tarn onerosum et arduum praeceptum imponeret omnibus christianis (contra illud Mt 11,30 ,Jugum meum suave, et onus meum leve 1) nisi esset praeceptum divinum..." (475 f.) „Nec aliquod tantae gravitatis praeceptum in tota veteri historia reperitur. Unde non est probabile quod Ecclesia mater tantum onus imponeret fïliis suis, nisi fuisset a Deo praeceptum... Ideo aliter dicunt communiter theologi, quod confessio est de lege positiva divina. Sed a quo et ubi instituta sit, non similiter sentiunt. Sanctus Bonaventura dicit... Sed boc reprobat Scotus..." (476 f.). „Ideo aliter propositum probat Richardus distinctione praesenti, quod confessio sacramentalis est de iure divino expresso in evangelio... Sed haec solutio non excludit replicam... " (478 f.). „Et propter hoc videtur finaliter dicendum, prout etiam Scotus tangit, quod praeceptum de confessione sacramentali promulgatum est a Christo apostolis et per ipsos apostolos promulgatum est Ecclesiae verbo et facto sine omni Scriptural (479). 407

Vgl. R. Haass, Art. Devotio moderna, in: LThK 2 3,314.

408

Gy, Précept (Anm. 397), 546.

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Bekenntnisses vertreten. Für die Harmonisierung der beiden Thesen bringen sie eine Reihe biblischer und patristischer Aussagen bei, haben es dabei aber nicht unterlassen, auch Gründe theologisch-praktischer Ordnung zu entwickeln. 409 Der Eintritt der Rechtfertigung wird von den vorscholastischen Theologen eindeutig mit der Reue verbunden. Insofern kommt diesem Element der Bußtrias für die Sündenvergebung die hauptsächlichste Bedeutung zu. Das Bekenntnis ist äußeres Zeichen der inneren Bußgesinnung; denn nur jener Pönitent, der sich nicht schämt, seine Sünden zu bekennen, kann in der Tat als reuig angesprochen werden. Einhellig ist die Lehre der Theologen und Dekretisten, nach der erst das Bekenntnis dem Priester die Möglichkeit bietet, die Absolution zu erteilen. Absolvieren bedeutet in der Sprache der vorscholastischen Bußlehre soviel wie offiziell die Sündenvergebung erklären. Einige betonen die Notwendigkeit eines Bekenntnisses aus dem Umstand, daß nur auf diese Weise der Priester eine dem Schuldstand entsprechende Bußleistung aufzuerlegen in der Lage ist. Sehr häufig wird seit dem 11. Jahrhundert insbesondere als Notwendigkeitsmotiv für das Bekenntnis die „erubescentia", die es bewirkt, genannt. Die Beschämung stellt den Hauptteil an der Sühne dar und vermittelt dem Pönitenten die Disposition, die für die Erlangung des Sündennachlasses erforderlich ist. Andere Gründe, die für die Notwendigkeit des Bekenntnisses aufgezeigt werden, sind die Einbeziehung der Kirche als sichtbarer Heilsgemeinschaft in den Entsündigungsprozeß, die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Kirche, der Erlaß der ewigen Strafen und der zeitlichen Sündenstrafen und andere mehr. Die aufgeführten Gründe enthalten ausdrücklich und formal nur vereinzelt einen ekklesiologischen Bezug, einen sachlichen aber enthalten sie alle. Sowohl die Forderung nach äußerer Zeichenhaftigkeit der inneren Reue als auch nach einer offiziellen Erklärung der in der Reue gewirkten Sündenvergebung sowie nach der Voraussetzung für eine gemäße Bußauflage hat einen Bezug zur äußeren Struktur der Kirche, zu ihrem gesellschaftlichen Charakter. Die genannten Aspekte können deshalb adäquat unter den Begriff einer realen Exomologese subsumiert werden. Alle in der Diskussion vertretenen Bußsentenzen zeigen bei aller Betonung der Notwendigkeit der kirchlichen Buße, daß die eigentliche Sündentilgung der subjektiven Buße zuzuschreiben ist. Dies festzuhalten, ist deshalb von Bedeutung, weil von dieser theologischen Ausgangsbasis her deutlich wird, wie man zur Lehre kommt, daß die „actio poenitentis" Materie des Bußsakramentes ist und deshalb an dessen sündentilgender Kraft teilhat.

409

Vgl. Teetaert, Confession (Anm. 148), 239.

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Von der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts an wird es in der Theologie üblich, die Zusammensetzung des sakramentalen Zeichens aus der äußeren Sache bzw. Handlung und dem hinzutretenden Wort mit der Zusammensetzung der körperlichen Substanz aus Materie und Form zu vergleichen und dementsprechend bei den Sakramenten die Sache (bzw. äußere Handlung) als Materie, das Wort aber als Form des sakramentalen Zeichens zu bezeichnen. Als man nach dem „Zeichen" des Bußsakramentes zu fragen begann, richtete man verständlicherweise zunächst die Aufmerksamkeit auf die subjektive Buße. Wegen des Fehlens einer „Sache" als Materie war die Anwendung des Begriffspaares Materie - Form auf das Bußsakrament nur zögernd vor sich gegangen.410 Der Adaptationsprozeß erscheint erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts durchgeführt. Im Zeichen des Bußsakramentes, das die Akte des Pönitenten und des absolvierenden Priesters bilden, sind die Akte des Pönitenten die Materie und die Absolution des Priesters die Form 4 1 1 Die Akte beider fließen in eine Einheit zusammen, d. h. in die eine Zeichenhandlung, welche die sakramentale Wirkung hervorbringt. Dies geschieht nicht durch die Absolution allein. Weil im Zeichen die Akte des Pönitenten einen Wesensbestandteil bilden, haben diese auch an der Tilgung der Schuld ihren wirkursächlichen Anteil 4 1 2 Die Einheit des sakramentalen Zeichens kommt dadurch zustande, daß die Akte des Pönitenten auf die Schlüsselgewalt hingeordnet werden. Zur Materie gehören „contritio" , „confessio" und „satisfactio". Insofern diese Akte, „geformt" ^informantur") durch die priesterliche Absolution, in die Einheit des sakramentalen Zeichens eintreten und so sakramental wirksam werden 413 und die erste und unmittelbare Wirkung des ganzen sakramentalen Zeichens die „poenitentia interior" (,>res et sacramentum") ist, bilden die Akte des Pönitenten nicht bloß die Materie, sondern sind auch wirkursächlich an der inneren Buße beteiligt 4 1 4

410

Thomas v.Aquin, Theologica III, q. 84, art. 1, ad 1.

411

Thomas v.Aquin, ebd., III, q. 84, art. 3c; art. 4, ad 3; q. 86, art. 6c; q. 89, art. 1, ad 21; In IV Sent., dist. 16, q. 1, art. 1, solutio 1 et seqq. Vgl. dazu V. Heynck, Zur Bußlehre des hl. Bonaventura, in: FS 36 (1954) 65 ff. 412 413

Thomas v.Aquin, In IV Sent., d. 22, q. 2, art. 1, solutio 2.

„ Sic autem explicari potest eos ( = actus poenitentis) concurrere ad collationem gratiae: Considerati prout a poenitente simpliciter procedunt, sunt tantummodo disposino subjecti ad gratiam suscipiendam et dici possunt materia sacramenti remota; sed actione sacerdotis informantur et elevantur ad esse sacramentale seu fiunt signum efficax gratiae. " Galtier, Paenitentia (Anm. 54), 284.

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Wir haben gesehen, daß im Ganzen dessen, was in der scholastischen Bußlehre bis auf Thomas als Bußsakrament bezeichnet wurde, den Akten des Pönitenten sündentilgende Kraft zugeschrieben wird. Dies gilt etwa nicht bloß für den außersakramentalen Weg des Sündennachlasses, sondern innerhalb des Sakramentes selbst wurde die eigentliche Ursache der Rechtfertigung in die „contritio " gelegt. Die Absolution hat bloß deklaratorischen Charakter. Daß die Akte des Pönitenten sakramentales Geschehen sind, daß sie zum sakramentalen Zeichen gehören müssen, das hat Thomas aus der Tradition übernommen. Seine theologische Argumentation zielte aber darauf ab, nachzuweisen, daß die Absolution des Priesters eine ursächliche Wirkung auf die Tilgung der Sünde hat. Wenn nun die Akte des Pönitenten im Sinne der traditionellen Lehre gnadenwirkend bleiben, dasselbe aber für die Absolution durch den Priester gelten sollte, ohne daß dabei zwei Sakramente entstanden, dann war die einzig mögliche Konsequenz, beide als Teile des einen und selben sakramentalen Zeichens zu verstehen. 415 Die Lehre, daß die Absolution nicht nur Deklaration der Sündenvergebung, sondern ihre Wirkursache ist, ist durch Thomas zur endgültigen Anerkennung gekommen. Sein Verdienst bleibt es, dem sachlichen Gehalt nach die sakramentale Ursächlichkeit der Akte des Pönitenten aus der Tradition bewahrt zu haben. Allerdings verlagert sich von nun an der Schwerpunkt der Betrachtung auf die priesterliche Absolution. Obgleich die „poenitentia interior " in der Theologie des 11. und 12. Jahrhunderts bis zu Thomas auf Seiten des Menschen als einzige Wirkursache der Vergebung der Schuld als solcher angesehen wurde, so war nichtsdestoweniger das Bewußtsein lebendig geblieben, daß im Bußsakrament auch eine Versöhnung mit der Kirche stattfindet. Hatte man also zwar dem kirchlichen Tätigwerden in der Absolution keine Wirkung auf die eigentliche Schuld zugesprochen, so hat man doch ausdrücklich gewußt und geschrieben, daß die Sünde Gott und die Kirche beleidige und daß man beiden Genugtuung zu leisten habe: Gott durch die Herzensreue und der Kirche durch ein mündliches Bekenntnis sowie tätige Sühne. Wenngleich aufgrund der Herzensreue die Sünde nachgelassen werde, erübrigten sich deswegen das mündliche Bekennen und die Bußleistung dennoch nicht, meint der Magister Rolandus Bandinelli; denn durch die Sünde werden Gott und die Kirche beleidigt. Gott beleidigen wir durch böse

414

Zum Problemkreis der „Materie" im Bußssakrament siehe K. Rahner, Vergessene Wahrheiten über das Bußsakrament, in: GuL 26 (1953) 339-364 (= Schriften zur Theologie 2. Einsiedeln 1955,161-171). 415

Vgl. A Landgraf, Grundlagen für ein Verständnis der Bußlehre der Früh- und Hochscholastik, in: ZKTh 51 (1927) 192 ff.; R. Gerardi, La confessione „etiam layco", in: RTM 28 (1975) 548 f. 62 FS Mühlsteiger

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Gedanken, der Kirche geben wir Ärgernis durch verkehrtes Handeln. Haben wir beide beleidigt, so müssen wir auch beiden Genugtuung leisten: Gott durch die Reue und der Kirche durch ein mündliches Bekenntnis sowie durch Sühneleistung. 416 Wie wir im vorausgehenden Kapitel gesehen haben, hat eine Reihe von Theologen auf die Wirkung der Sünde vor Gott und vor der Kirche hinge417

wiesen. Wie sehr die Absolution selbst als „declaratio" bzw. „ostensio" der erfolgten Vergebung einen ekklesiologischen Aspekt zur Darstellung bringt, macht Robert Courçon deutlich, wenn er den sachlich-theologischen Gehalt des „declarare" bzw. „ostendere" analysiert. Nach dem Nachlaß aller Sünden des Pönitenten „per infusionem prime gratie et contritionis interne" hat der Priester „ in suo foro suum modum ... remittendi ea eadem peccata" . D. h. der Priester approbiert in seinem Forum und Gericht, was Gott vorher gewirkt hat, und wie durch einen Heroldsruf zeigt er auf („ostendit"), daß die Sünden vergeben sind. „Diese „ostensio" wird hier „ remissio" genannt." Und das bedeutet hier sehr viel, weil durch eine solche ,pstensio" der Sünder „in gremium Ecclesie " aufgenommen wird, um all ihrer Fürbitten teilhaftig und als ihr geistlicher Sohn aufgenommen zu werden, und auch zu dem Zweck, daß er „merito et numero " zur Kirche gehöre und ein auserlesenes Glied der Kirche sei, damit er nicht von anderen angeklagt werden könne, weil er jetzt das Zeugnis seiner Unschuld und Reinigung erhalten hat. 418 So erhält die absolutio-declaratio-Sentenz der früh-

416

Ed. Gietl (Anm. 258), 249: „...sie licet in cordis contricione sit peccatum remissum, non tamen superfluit oris confessio seu operis satisfactio. Peccando enim Deum et ecclesiam offendimus y Deum offendimus male cogitando, ecclesiam scandalizamus perverse agendo, et sicut duos offendimus, et duobus satisfacere debemus, Deo per cordis contricionem, ecclesie per oris confessionem et operis satisfactionem, si temporis qualitas exposcit." Vgl. auch Omnebene, Sententie (Handschrift Clm 19134, fol. 205, Bayerische Staatsbibliothek, München): „Non ideo confitemur peccata et ieiunamus ut nobis remittantur, quia sunt dimissa in vera cordis contritione. Sed ideo quia Ecclesiam scandalizavimus et Deum offendimus, et ut carnem nostram maceremus et affligamus cum vitiis et concupiscentiis. " Vgl. dazu Anm. 266. 417 So z. B. Petrus Lombardus, Magister Hermannus Bandinus, Odo von Ourscamp, Huguccio. 418

Robert von Courçon, Summa Theologiae moral is (Handschrift Cod. 247, fol. 20 -21 v a , Bibl. comm, Bruges): „Nos...dicimus quod aliud est forum penitentiale, quod est intra Ecclesiam militantem, et aliud illud archanum propitiationis et electionis in quo Dominus sine omnibus meritis precedentibus per infusionem prime gratie et contritionis interne remittit omnia peccata penitentis. Et postmodum sacerdos in suo foro suum modum habet remittendi ea eadem peccata, scilicet quando ipse percepii contriva

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scholastischen Theologen, die auf den ersten Blick der Mitwirkung der Kirche bei der Entsündigung einen eher unerheblichen Stellenwert einzuräumen scheint, einen echt ekklesiologischen Gehalt. Durch die „absolutio" erhält der Sünder in der Dimension der kirchlichen Sichtbarkeit und Gesellschaftlichkeit seine Wiederaufnahme. Nach Alanus von Lille (+ 1202) vergeht sich jeder Sünder gegen Gott und gegen den Nächsten; gegen Gott, weil er gegen sein Gebot handelt, und gegen den Nächsten wegen des schlechten Beispiels. Aufgabe des Priesters ist es, zeitliche Strafen nachzulassen, und wenn feststeht, daß eine zur Vergebung aller Sünden hinreichende Reue nicht vorhanden war, hat er auch die Schuld durch die sakramentale Absolution zu vergeben und den Sünder durch Versöhnung in die Kirche aufzunehmen. 419 Man könnte die Zahl der Zeugnisse, die neben der sündentilgenden Wirkung der Reue auch die Wiederaufnahme des Sünders in die volle Einheit der Kirche erwähnen, noch vermehren. Der Umstand, daß Theologen dieser Zeitperiode bisweilen die ekklesiologische Komponente des Bußsakramentes nicht ausdrücklich erwähnen, läßt nicht den Schluß zu, daß sie diesen Aspekt der Bußwirkung nicht kennen. Die Änderung der äußeren Bußgestalt hat zwar bewirkt, daß die Wahrheit von der Absolution als Rekonziliation mit der Kirche zurückgedrängt wurde,

tionem in isto et percepii quod Deus sua auctoritate omnia dimisit in eo, certum siquidem approbat in suo foro et iudicio, quod Deus prius fecit, et quasi pr econia voce ostendit dimissa peccata ipsius. Que ostensio hic dicitur remissio. Et hoc plurimum valet quia per ta lem ostensionem recipitur in gremium Ecclesie, ad participium omnium suffragiorum eius et in fdium spiritualem ipsius et ad hoc ut sit de Ecclesia merito et numero ut sit electum membrum ipsius ne ab alienis possit accusari, quia testimonium habet ab Ecclesia sue innocentie et purgationis facte." Abgedruckt bei Anciaux , Théologie (Anm. 186), 524 f. 419

Alanus von Lille , Liber de Fide catholica, Lib. Il, c. 10 (PL 210, 387): „ ...dicimus quod homo, quando peccai, delinquit contra Deum et contra proximum : contra Deum, quia facit contra ejus praeceptum, contra proximum per pravum exemplum. Cum ergo penitus remittitur ei peccatum quoad reatum, id est quantum ad debitum poenae aeternae, remissum est quoad Deum. Sed quia peccavit etiam contra proximum , restât poena temporalis ei injungenda. Praeterea quia nemo certus est utrum revera habeat veram eontritionem per quam ei omnia peccata remissa sint; ideo datum est a Deo officium sacerdotibus, ut poenitentibus sacramentum absolutionis impendant, et secundum quod viderint illos dispositos, majorem aut minorem injungant satisf actionem. Itaque sacerdos solvit per culpae et poenae relaxationem, et quando per reconciliationem, in Ecclesia inducit. "

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aber sie war auch in der Zeit der Hochscholastik noch nicht aus dem Bewußtsein der Kirche verschwunden. 420 Thomas selbst kennt die Wiederversöhnung mit der Kirche als Wirkung des Sakramentes: „Per sacramentum homo non solum Deo sed etiam Ecclesiae oportet quod reconcilietur." 421 Weil dem Sündiggewordenen die Liebe fehlt, gehört er zwar noch y y numero" , aber nicht mehr „merito" zur Kirche. 422 Durch die Absolution des Priesters wird er mit der Kirche wiederversöhnt und mit ihr verbunden, so daß er an ihrer Heiligkeit teilhat. 423 Die Caritas ist das Band, das ihn mit der Kirche verbindet. Mag auch nach der Darstellung des Thomas der Rechtfertigungsprozeß eher so konzipiert gewesen sein, daß die durch das Sakrament vermittelte Gnade den Menschen rechtfertigt und ihn erst dadurch in die Einheit der Kirche bringt, entscheidend ist, daß er die Wiederversöhnung mit der Kirche als Wirkung des Bußsakramentes sieht. Als aber Bartholomäus F.M. Xiberta OCC in seiner Doktorarbeit 1922 424 sich die Aufgabe gestellt hatte, den Nachweis zu erbringen, daß die unmittelbare und eigentliche Wirkung der sakramentalen Lossprechung (res et sacramentum) die Rekonziliation mit der Kirche sei, stieß er wegen dieser „vergessenen Wahrheit" 425 zunächst auf die Kritik und Ablehnung bedeutender zeitgenössischer Theologen. 426 Wenn jedoch frühchristliche Schriftsteller wie etwa Tertullian, Cyprian und Origenes verlangen, daß der Todsünder „exkommuniziert" werden muß 4 2 7 , so

420

Bonaventura, In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 2 fundam. 2: „ Confessio ad hoc directe instituta est, ut homo reconcilietur Ecclesiae et ostendatur reconciliatus a Deo. " 421

Thomas v.Aquin, In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 3, q. 2, ad 3.

422

Thomas v.Aquin, In IV Sent., d. 16, q. 1, art. 2, q. 5 dubium.

423

Thomas v.Aquin, In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 3, q. 1 solutio; In IV Sent., d. 17, q. 3, art. 3, q. 2, ad 3. 424

B. F. M. Xiberta, Clavis Ecclesiae. De ordine absolutionis sacramentalis ad reconciliationem cum Ecclesia. Rom 1922. Vgl. dazu Vorgrimler, Buße (Anm. 87), 195, Anm. 46. 425

Rahner, Wahrheiten (Anm. 414), 363. Siehe dazu auch M. Schmaus, Reich Gottes und Bußsakrament, in: MThZ 1 (1950) 26-31. 426

Siehe dazu die Rezensionen von A dAlès : RSR 12 (1922) 372-377; J. Stufler, ZKTh 7 (1923) 453 ff.; G. Esser, in: ThRv 22 (1923) 278-282.

in:

Tertullian, De Pudicitia (CSEL 20): VII 21: „statim homo de ecclesia expellitur"; X V 16 „extra gregem detur"; XIII 12 „auferri de medio" , XII 21.26 „projectus, ejectus".- Origenes, In hom. 2,5 in lud. (PG 12, 961): „..peccatores pro delictis suis a Christi corpore separanturIn hom. 4 in Ps. 36 (PG 12, 1353): „Jam quomodo possum ego salvus fieri qui cecidi? ...quomodo audere possum accedere ad Deum? Quomodo in Ecclesiam redire?" - In hom. 12,5 in Jer (PG 13, 385): „...peccavit

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ist damit nicht eine Maßregelung im Sinne einer „Zensur" nach dem heutigen kirchlichen Strafrecht zu verstehen, sondern der Ausschluß von der Eucharistie nach c. 856 CIC. 4 2 8 Und wenn sie erklären, daß der Sünder nur durch die Exkommunikationsbuße die Verzeihung seiner Sünden erlangen kann, so ist damit das Sakrament der Buße selbst gemeint, insofern es der Akt der Kirche ist, durch den in der Entgegennahme des Bekenntnisses der Sünder als solcher deklariert und das gestörte Verhältnis des Sünders zur Kirche in der Öffentlichkeit derselben sichtbar wird, wenn auch praktisch und äußerlich gesehen noch so geheim. Die Geheimhaltungspflicht ändert grundsätzlich nichts an der Gesellschaftlichkeit des Geschehens. In der sakramentalen Exkommunikationsbuße steht die Wiedelversöhnung mit der Kirche so sehr im Vordergrund der Überlegungen der alten Kirche, daß sie nicht irgendeinen Effekt darstellte, sondern als etwas wesentlich Tragendes und unmittelbar aus dem sakramentalen Geschehen Resultierendes angesehen wurde. Ausdrücke wie „communio" , „pax cum Ecclesia" , „reconciliari altari" , „restitutio", „concorporari Ecclesiae" und andere 429 sind zugleich Begriffe, die etwas Wesentliches über die Wirkung der sakramentalen Exkommunikationsbuße aussagen. Wenn die kirchliche Buße mit der Kirche, aber auch mit Gott versöhnt, dann kann man die beiden Sachverhalte am ehesten so logisch zusammenordnen, daß man die Versöhnung des Sünders mit der Kirche als vermittelnde Ursache der Versöhnung mit Gott betrachtet. 430 Rekonziliation mit der Kirche hebt die Trennung quispiam et post peccatum postulet communionem. " - In der Doktorthese von B. Xiberta finden sich viele Zeugnisse dieser Art: Clavis Ecclesiae (Anm. 424), 23-79. 428

Dieses Bannen besagt, daß die volle Gliedschaft des Getauften am Leib der Kirche verlorengegangen ist. Diese Bannung wird auf der sichtbar gesellschaftlichen Ebene durch das Fernhalten von der Eucharistie (und die Zuordnung zur Klasse der Büßer) wirksam. Vgl. O. Semmelroth, Die Kirche als sichtbare Gestalt der unsichtbaren Gnade, in: Schol. 28 (1953) 23-39. Daß das Bewußtsein von einem sichtbaren Gebanntsein heute weitgehend verlorengegangen ist, liegt in Umständen, die dem Wesen der Sache selbst äußerlich sind. Die Tatsache, daß die Bannung als solche in der heutigen Bußpraxis nicht auffällt, besagt nicht, daß sie nicht gegeben ist. Vgl. Rahner, Wahrheiten (Anm. 414), 156. Vgl. auch J. A. Jungmann, Die lateinischen Bußriten in ihrer geschichtlichen Entwicklung (FGIL 3-4). Innsbruck 1932, 241-243; A. Gommenginger, Bedeutet die Exkommunikation Verlust der Kirchengliedschaft?, in: ZKTh 73 (1951) 27-34; Lentzen-Deis, Buße (Anm. 26), 19 ff. 429 Tertullian, De Pudicitia X V 5 (CSEL 20): „recipere in communicationem, concorporari rursus ecclesiaeXXII 2: „communicator es revertuntur"; X I V 17: „in castra ecclesiae reversura caro ". 430 Vgl. Vatll, LG 11, Abs. 2; PO 5, Abs. 1. Vgl. K. Rahner, „... Reconciliantur cum Ecclesia", in: Populus Dei. FS A. Card. Ottaviani. Bd. 2: Ecclesia (Communio 11). Rom 1966, 1087-1113. Die Frage über den inneren Zusammenhang von Vergebung der Schuld vor Gott und der Rekonziliation mit der Kirche bzw. die Frage, ob Wiederver-

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des Sünders von der Kirche, die durch die Sünde objektiv hervorgebracht worden war, auf. Sie löst das „Gebundensein" 431 , das der Sünder der Kirche gegenüber verursacht hat. Der Wiedereintritt in die Einheit der Kirche ist jedoch nicht die Wirklichkeit, die vom Sündennachlaß verschieden wäre, sondern ist ein Teilaspekt ein und derselben Wirklichkeit 4 3 2 , d. h. die Rekonziliation mit der Kirche ist die eigentliche und unmittelbare Frucht der Absolution und zugleich wirksames Zeichen der göttlichen Vergebung. In der theologischen Schulsprache ausgedrückt: „ res et sacramentum " des Bußsakramentes. 433 Die Sakramente als Konkretisierung des Ursakraments, das die Kirche ist, richten den Empfänger der Gnade auf eine nach der Eigenart des Sakramentes verschiedene Weise auf die Kirche hin aus. Durch diese ekklesiale Beziehung, die durch das Sakrament angezeigt und bewirkt wird, entsteht das, was man als „res et sacramentum" bezeichnet. 434 Eine solche Kirchenbezogenheit ist Zeichen der Gnade und bedeutet - recht verstanden - zugleich Recht auf Gnade, die Christus seiner Kirche verliehen hat und die er allen jenen gewähren will, die ein Sakrament empfangen. Wenn aber der bleibende Bezug zur Kirche als konstitutives Element des Sakramentes anzusehen ist, dann wird deutlich, daß „res et sacramentum" ekklesiale Bedeutung hat. Die unmittelbare Wirkung der Taufe, auch der bloß gültigen, ist der Taufcharakter, der den Taufempfänger für immer auf den mystischen Leib hinordnet und ihm völlig eingliedert. Die unmittelbare Wirkung der „tabula secunda", des Bußsakramentes, ist die Wiedereingliederung in die Kirche, die zugleich wirksames Zeichen der Versöhnung mit Gott ist. Nun ist es aber nicht so, daß diese „pax cum Ecclesia" von dem Zeitpunkt an als „res et sacramentum" bezeichnet wurde, von dem an seitens der allgesöhnung mit der Kirche deshalb gegeben ist, weil Schuldvergebung vorausgegangen ist oder umgekehrt, beantwortet das Konzil nicht. K. Rahner schließt sich der Meinung jener Theologen an, die die Versöhnung mit der Kirche als „res et sacramentum" der Vergebung der Schuld betrachten. Siehe dazu Β. Poschmann, Die innere Struktur des Bußsakramentes, in: MThZ 1 (1950) 13 f. und Schmaus, Reich Gottes (Anm. 425), 26 ff. 431

Vgl. H. Vorgrimler, Das „Binden und Lösen" in der Exegese nach dem Tridentinum bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: ZKTh 85 (1963) 460-477; ders., Matthieu 16,18 et le Sacrement de Pénitence, in: L'homme devant Dieu. Mélanges offerts au Père Henri de Lubac. Bd. 1 (Théologie 56). Paris 1964,55-61; W. Doskocil, Der Bann in der Urkirche (MThS.K 11). München 1958, 15 f.; Rahner, „...Reconciliantur cum Ecclesia" (Anm. 430), 1097 f. 432

Z. Alszeghy, Carità ecclesiale nella penitenza cristiane, in: Gr. 44 (1963) 5-31,11.

433

Rahner, De Paenitentia (Anm. 55), 705 f.

434

Rahner, ebd., 685 f.

Exomologese

meinen Sakramentensystematik die Schulbegriffe Materie und Form, „res et sacramentum, res sacramenti " und andere geprägt worden waren. Gerade die Diskussion über die Notwendigkeit des Bekenntnisses hat deutlich gemacht, wie sehr bei den frühscholastischen Theologen bezüglich des Bußgeschehens der Schwerpunkt der Überlegungen auf der subjektiven Buße und ihrer Wirkung lag. Unter den Voraussetzungen der Theologie des 11. und 12. Jahrhunderts bis zu Thomas konnte man, wenn man nach „res et sacramentum" im Bußsakrament suchte, gar nicht anders sagen, als daß die „poenitentia interior " „res et sacramentum" in der Buße sei; denn sie galt auf der Seite des Menschen als einzige Wirkursache der Vergebung. 435 Nach dem bisher Gesagten stellten sich die Dinge so dar, daß sowohl die Versöhnung mit der Kirche als auch die innere Buße als direkte und unmittelbare Wirkung des Bußsakramentes bezeichnet werden. Man kann sich nun die Frage stellen, ob die beiden Auffassungen sachlich auseinandergehen. Die Lehre des Thomas von der „poenitentia interior " als „ res et sacramentum " des Bußsakramentes wird nur dann richtig gedeutet, wenn man nicht übersieht, daß in der inneren Buße das „votum sacramenti" enthalten ist und damit eine Hinordnung auf die Kirche und ihre Schlüsselgewalt. Wahre Reue ist ohne Ausrichtung auf die „communio ecclesiastica" undenkbar. Eine Reue, die nicht die Einheit mit Gott und der Kirche erreichen will, ist nicht sündentilgend. Die dem Bußsakrament wesenseigene Struktur besteht gerade darin, daß die rechtfertigende Gnade durch die „pax cum Ecclesia" vermittelt wird. 4 3 6 Von dieser Basis aus läßt sich ein Zugang zum Verständnis jener Lehre finden, nach der man die Rechtfertigung durch einen Akt der vollkommenen Reue vor dem Empfang des Sakramentes erhält, aber eben unter der Voraussetzung, es empfangen zu wollen. Die Rechtfertigung, die außerhalb des Sakramentes erreicht wird, geschieht durch jenen Akt der Reue, der dem Pönitenten einen Platz unter den lebendigen Gliedern der Kirche wiedergibt. Der Reueakt wird nun aber sowohl im Rahmen des Bußsakramentes als auch außerhalb desselben unter dem Einfluß der heiligmachenden Gnade gesetzt. Die Gnade wird aber in beiden Fällen von Gott durch die Vermittlung der Kirche gegeben, die aktives und wirksames Prinzip der Versöhnung ist. Beim Empfang des Bußsakramentes wird das Wirken der Kirche in der Absolution sichtbar. Außerhalb des Sakramentes wird die Rechtfertigung nicht durch eine zukünftige Absolution, die die Gnade vorauswirken läßt, sondern durch die Kirche selbst bewirkt, die

435

Rahner, ebd., 701.

436

Alszegky, Carità (Anm. 432), 27.

Johannes Mühlsteiger

aufgrund ihrer Stiftung durch Christus wirksames Zeichen des Heilswillens Gottes in dieser Welt ist. 4 3 7 Wie immer man aber die Wirkursächlichkeit dieses Sakramentes, das die Kirche ist, verstehen mag, entscheidend ist das Vorhandensein eines Elementes, das den einigenden und lebensspendenden Einfluß aktiv werden läßt. Er besteht im ernsten und aufrichtigen, wenn auch bisweilen impliziten Entschluß, das Sakrament der Kirche zu empfangen. Dieses „votum sacramenti " verbindet den Pönitenten mit der Heilsinstitution der Kirche. Der genannte Entschluß versetzt den Pönitenten in die Lage, einen Reueakt zu setzen, der rechtfertigt. Deshalb erhält der Vorsatz, das Sakrament zu empfangen, gegenüber anderen lobenswerten und auch notwendigen Vorsätzen im Prozeß der Rechtfertigung einen wesentlich höheren Stellenwert. Der Vorsatz zum aufrichtigen Bekennen bringt den Pönitenten mit der Kirche in Verbindung und vermittelt ihm auf diese Weise die Gnade; dies zwar nicht „ex opere operato" , aber insofern der Pönitent für den Empfang jener Gnaden disponiert wird, die ihn schließlich zur rechtfertigenden „ contritio " führen. 438 Weil das so verstandene „ votum sacramenti" sich als unabdingbar für die Erlangung des Heils erweist, laufen die „beiden Wege" der Rechtfertigung (jener durch den personalen Akt allein und jener über das Sakrament) in einen einzigen zusammen. Damit wird aber im Rückblick deutlich, daß der Wiedereintritt in die Gemeinschaft der Kirche und die innere Buße nicht zwei disparate Wirkungen des Sakramentes sind, sondern zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit. Wendet man auf dem Hintergrund des Gesagten die Aufmerksamkeit entsprechend dem Zweck unserer Untersuchung auf die Begründungen, die im Laufe der Zeit für die Notwendigkeit des Bekenntnisses aufgeführt wurden, dann wird man feststellen, daß sie mit dem je verschiedenen Schwerpunkt der Bußdoktrin variieren. Sieht man das Bekenntnis als entscheidenden Sühnefaktor, wird man folgerichtig sagen müssen, daß ein solches sich als notwendig erweist, um eine richtige Beurteilung für eine gerechte und gemäße Bußauflage zu erhalten. Wird aber die innere Reue als Hauptfaktor des Bußvorganges angesehen, dann gilt das Schuldbekenntnis als notwendiges äußeres Zeichen der Aufrichtigkeit, als Ausdruck einer inneren vollzogenen Rückkehr. Wer sein Versagen eingesteht, distanziert sich innerlich davon und verurteilt die begangene Tat. Wird hingegen die Absolution durch den Priester als formal entscheidendes Element des Bußvorganges in den Vordergrund gerückt, dann wird das Bekenntnis notwen-

437

Alszegky, ebd., 27 f.

438

Rahner, De Paenitentia (Anm. 55), 705 f.

Exomologese

953

dig wegen der Beziehung, die zwischen dem Pönitenten und dem Priester entsteht. Der Spender des Sakramentes, Arzt und Richter in einem, kennt auf diese Weise den Fall, den er zu beurteilen hat. Daß ein Richter in voller Kenntnis des Falles handeln muß, ist eine sachentsprechende Überlegung, trifft aber die Beziehung, die im Bußsakrament zwischen Priester und Pönitent hergestellt wird, eher am Rande und von einer mehr formalen Seite. Welche Überlegungen können außerdem die Notwendigkeit eines Bekenntnisses begründen? Nach Michael Schmaus ist das Bekenntnis die Vollendung der Reue; denn auf Grund der leib-seelischen Verfaßtheit des Menschen muß sich ein seelisch-geistiger Vorgang verleiblichen. Und das geschieht im Wort. Solange die Sünde nicht mit Namen bezeichnet wird, ist sie nicht vollständig erkannt und bereut. Es gibt deshalb kein echtes Bereuen ohne einen Ausdruck, der dies sichtbar macht. Weil die Sünde die ganze Gemeinschaft der Kirche betrifft, muß die im Bekenntnis artikulierte und verleiblichte Reue öffentlich in der Kirche wahrgenommen werden. 439 Die angestellte Überlegung zeigt sehr deutlich auf, weshalb jeder Sünder vor der Gemeinschaft zu bekennen hat. Aber damit ist noch nicht geklärt, warum das vor der Gemeinschaft abgelegte Bekenntnis mit vollem Recht als notwendige Gültigkeitsbedingung in das sakramentale Zeichen zu integrieren ist. Es stellt sich nämlich nicht nur und nicht in erster Linie die Frage eines Bekenntnisses vor der Gemeinschaft der Kirche, sondern jene einer Verpflichtung, durch die Kirche hindurch in einer vollen Offenlegung des Gewissens die Vergebung zu erlangen. Es geht vor allem darum, nachzuweisen, daß die Zeichenhaftigkeit des Sakramentes selbst ein solches Bekenntnis verlangt. 440 In den Akten des Pönitenten, zu denen das Bekenntnis als integrierender Bestandteil gehört, und in der durch den Priester gewährten Absolution wird das sakramentale Zeichen in seiner Ganzheit sichtbar und wirksam. Wenn man nun erklärt, daß die Wirkung der Absolution in erster Linie die Rekonziliation mit der Kirche ist, und wenn diese Begegnung mit der Kirche als „sacramentum et res" zudem in ihrem Vollzug Teil des sakramentalen Geschehens ist, dann legt dies die Überlegung nahe, von dieser Versöhnung auszugehen, um die Notwendigkeit eines Bekenntnisses zu erklären und zu rechtfertigen. Weil das Bußsakrament das Sakrament der Versöhnung in und mit der Kirche ist, verlangt es nach C. Dumont ein Bekenntnis; denn jede Versöhnung will eine geistige Begegnung von Personen sein, und dazu ist eine Offenlegung des

439 440

M Schmaus, Katholische Dogmatik. Bd. 4/1. München 6 1964,640 f.

C. Dumont, La réconciliation avec l'Eglise et la nécessité de Paveu sacramentel, in: NRTh 81 (1959) 577 ff., hier 591 f.

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Gewissens in gegenseitigem Einvernehmen erfordert. Eine Versöhnung kann ohne Selbsterkenntnis und -bekenntnis nicht Zustandekommen; ohne daß jemand von seinem verfehlten Tun durch ein Bekenntnis Abstand nimmt, gibt es keine Reintegration des eigenen Lebens in jenes der Gemeinschaft. Im Bußsakrament gibt es ein Bekenntnis, weil in der Versöhnung die innere Gemeinschaft wiederhergestellt wird, weil eine Rückkehr in die Gemeinschaft jener zustandekommt, die durch die Taufe dieselben Rechte und Pflichten erhalten haben. Um diese Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Vaterhaus gleichsam zu objektivieren, steht das Bekenntnis als eminent ausdrucksvolles Zeichen und Zeugnis dafür, daß der Sünder von nun an das verwirft, was ihn außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gestellt und gehalten hat. Das Bekenntnis hält Dumont überdies deshalb für erforderlich, weil die Wiederversöhnung mit der Kirche einer Wiederaufnahme des Pönitenten in ihre Obsorge gleichkommt. Wirksam mit der Kirche versöhnen bedeutet für die Kirche, daß sie den Sünder, den sie auf dessen Bekenntnis hin wieder anerkennt, in die Zahl der Gerechten aufnimmt, d. h. indem sie ihn „gerecht macht" durch denselben Akt, durch den sie ihn von neuem teilnehmen läßt an der Gemeinschaft der Heiligen. 441 Diesen Überlegungen kann man noch folgende hinzufügen. So wie eine Person durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften individualisiert wird, so ist auch der Sünder durch die an Zahl und moralischem Gewicht differenzierten Verfehlungen ein ganz bestimmter. Wenn nun Exomologese, wie wir sahen, erreichen will, daß der Sünder sich nicht mehr als solcher hinter der Würde eines Gliedes der Kirche verberge, dann ist erfordert, daß er durch die Nennung der Schuld sich als dieser ganz bestimmte deklariere. Wenn der Pönitent nun nicht ein anonymes, sondern ein ganz bestimmtes Glied der Kirche ist, dann will und soll ein persönliches Bekenntnis ihn nicht zu einem anonym Rehabilitierten oder Amnestierten, sondern zu einem bestimmten Gerechten machen. Es ist sicher sachentsprechend, daß der Spender des Sakramentes wissen muß, worauf die Verzeihung, die er gewährt, sich bezieht. Vergebung ist aber ein im höchsten Maß personaler Akt, ein Akt, mit dem die Liebe Gottes durch die Heilsinstitution der Kirche einen Menschen erreichen will, der durch ganz bestimmte Verfehlungen individualisiert ist. Man wird außerdem sagen müssen, daß eine artikulierte Nennung der Verfehlungen erst dann notwendig und sinnvoll wird, wenn die sozialekklesiologische Dimension ins Spiel kommt; denn Gott kann die subjektive Verfaßtheit des Pönitenten nicht verborgen bleiben. Versöhnung im Vollzug C,in fieri") ist der Akt, in dem der Pönitent der Kirche entgegengeht und in

441

Dumont, ebd., 592 f.

Exomologese

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dem Kirche auf ihn zukommt. In dem Zugehen auf die Kirche ist der Pönitent gehalten, durch Offenlegung seines Zustandes sich gleichsam auszuweisen; denn die Kirche will nicht irgendeinem unpersönlichen Glied der Kirche entgegenkommen. So kann gerade die patristische These, die in der Versöhnung mit der Kirche die unmittelbare Wirkung der Absolution sieht, einen Zugang zum Verständnis für die Notwendigkeit des Bekenntnisses öffnen. Das Konzil von Trient hat gegen die reformatorische Ansicht, welche die göttliche Anordnung des speziellen Sündenbekenntnisses geleugnet hatte 442 definiert, daß der Christ kraft göttlichen Rechtes iure divino") gehalten ist, alle Todsünden zu bekennen, um im Bußsakrament den Sündennachlaß zu erhalten. 443 Dieser can. 6 der 14. Sessio des Tridentinums und die folgenden sind bis auf den heutigen Tag sehr häufig erklärt und gedeutet worden. 444 Das Anliegen der vorliegenden Untersuchung ging aber dahin, unabhängig und vorgängig zur tridentinischen Definition aufzuzeigen, daß der Prozeß der Metanoia erst dann als vollständig durchlaufen anzusehen ist, wenn es ein Bekenntnis gegeben hat, gleichgültig an welcher Stelle es in diesem Prozeß geleistet wurde. Von Seiten des Pönitenten bleibt das Bekennen die entscheidendste Leistung für die Entsündigung, gleichgültig ob die Sünde bereits vor dem Bekennen durch die Liebesreue oder durch Generalabsolution nachgelassen wurde. Exomologese hat sich als ein ganzmenschlicher Vollzug erwiesen, der in einer Abfolge von Akten besteht, die vom inneren Bekenntnis vor Gott in der Reue über das mündliche Bekennen vor dem Priester als Vertreter der Kirche bis zum Bußwerk als sühnendem Tun vor der Gemeinde reichen. Das bedeutet aber die Verwirklichung der Forderung der traditionellen Bußtrias. Die Sünde als personale Tat des ganzen Menschen bleibt nie auf den rein inneren Bereich beschränkt, sondern wird immer auch in der leiblich-sichtbaren Dimension

442

Vgl. Martin Luther, Contra malignum Johannis Ecci iudicium super aliquot articulis a fratribus quibusdam ei suppositis Martini Lutheri defensio (1519), art. 7 (WA 2, 645); ders. De captivitate Babylonica, De sacramento paenitentiae (WA 6, 543 ff., bes. 546). Luther und die Protestanten geben zwar die psychologische Möglichkeit des Bekenntnisses zu, leugnen aber einmütig die iure divino Verpflichtung des Bekenntnisses, insbesondere des vollständigen. 443

Vgl. Cone. Trid., sess. X I V , can. 6.7.8 (DS 1706 ff.); siehe dazu das Kapitel 5 derselben Sitzung (DS 1679-1683). 444 Siehe dazu die umfangreiche Bibliographie bei A. Amato , I pronunciamenti tridentini sulla necessità della confessione sacramentale nei canoni 6-9 della sessione XIV (25 novembre 1551) (BThS.F 7). Rom 1974, 354-363; A. Duval , Le Concile de Trente et la confession, in: M D 118 (1974) 131-180.

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wirksam. Die volle Distanzierung vom schuldhaften Werk ist erst dann geschehen, wenn alle Phasen und Formen des Bekennens durchlaufen, wenn alle Stadien und Möglichkeiten der Exomologese verwirklicht sind. Exomologese im integralen Sinn erweist sich somit als ein Prozeß, der eine dynamische Einheit bildet. Der Exomologese im engeren Sinn als verbales Bekenntnis kommt dabei eine wesentliche Funktion zu. Dies nicht nur aus dem Grund, weil die aufrichtige Offenlegung der eigenen Schuldsituation durch die Beschämung, die sie hervorruft, einen Hauptteil der Sühne ausmacht, sondern weil sie die Bestimmung des Standortes des Sünders in der Öffentlichkeit der Kirche darstellt, weil sie die Heimholung dieses bestimmten Sünders in die kirchliche Gemeinschaft bewerkstelligen soll. In einer Zeit, in der die Gemeinschaftsbezogenheit des Handelns eines Gliedes der Kirche wieder tiefer in das Bewußtsein des Volkes Gottes gedrungen ist, sollte eine solche Wahrheit, selbst wenn sie empfindlich trifft, nicht verdunkelt werden. In der heutigen Form der privaten Buße bleibt der soziale Bezug des Geschehens stark verborgen. Die Praxis der Bußandachten kann deshalb in der Bußdisziplin unserer Zeit etwas sehr Wesentliches einbringen und ergänzen. Die angestellten Überlegungen finden einen gerafften Ausdruck in den Weisungen der Schweizerischen Bischofskonferenz über die Buße: „Die Forderung, selbst nach Empfang der sakramentalen Generalabsolution die schweren Sünden in der Einzelbeichte zu bekennen, hat ihren tiefen Sinn. Weil es um die Wiederversöhnung eines Pönitenten geht, der sich durch sein Verhalten von der Kirche getrennt hat, ist von ihm nach der apostolischen Praxis und der bisher ununterbrochenen Gewohnheit der Kirche ein persönliches Bekenntnis vor dem Priester gefordert. Indem der Sünder sich dem bevollmächtigten Vertreter der Kirche stellt, verleiht er seiner Umkehrgesinnung einen besonders deutlichen Ausdruck. Andererseits verhilft ihm dieser Schritt dazu, sich von der Schuld entschiedener zu distanzieren und seine Bußbereitschaft zu vertiefen." 445

445

Weisungen der Schweizerischen Bischofskonferenz über die Buße, in: SKZ 45 (1974) 733 ff.; vgl. auch: Buße in den Gemeinden. Übersicht und Ausschnitt aus den neuen Schweizer Weisungen, in: Gottesdienst 8 (1974) 175, Nr. 2.8.1.8. - Johannes Paul II, Ansprache an die Mitglieder der Apostolischen Pönitentiarie und an alle Kollegien der ordentlichen und außerordentlichen Beichtväter an den Patriarchalbasiliken Roms, in: Osserv. Rom. v. 31. 1. 1981,1 f; ders., Ansprache an die Bischöfe Japans, in: Osserv. Rom. v. 23. 2.1981,2.

Nikolaus Nilles S. J. (1828-1907)*

Die vor einigen Jahren ergangene Einladung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, einen „kurzen Beitrag über den Jesuiten und Kanonisten Nikolaus Nilles" für die „Neue Deutsche Biographie" 1 zu erstellen, bot die Gelegenheit, Person und Werk des Gelehrten näher kennen zu lernen. 2 Dabei fiel auf, daß die dritte und letzte Auflage des ,Lexikons für Theologie und Kirche" im Unterschied zu den zwei vorausgehenden Nilles nicht mit einem Beitrag würdigt. 3 Im Zuge einer ersten näheren Untersuchung sollte sich Nilles nicht nur als bedeutender Vordenker auf dem Gebiet der Ökumene erweisen, sondern gleichfalls als qualifizierter Rechtsberater des katholischen Episkopates der Vereinigten Staaten bei den im Auf- und Ausbau befindlichen Strukturen ihres Landes. Der Wunsch, die treibenden Kräfte eines so breit gefächerten und nicht minder in die Tiefe gehenden Wirkens dieses Mannes sichtbarer zu machen, regte dazu an, sich erneut mit ihm zu befassen. Über Grenzen und Kontinente hinwegzudenken, ist im Zeitalter zunehmender Globalisierung keine Besonderheit. Außergewöhnlich war dies jedoch in einer Epoche des schärfsten europäischen Nationalismus, von dem die Kirche

* Erstveröffentlichung 1 J. Mühlsteiger, Art.: N. Nilles, in: NDB 19. Berlin 1999,277 f. 2 Würdigungen seiner Lebensarbeit, besonders seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, in den Nachrufen: Korrespondenzblatt des Priestergebetsvereins 41 (1907) 37-42; L. Fonck, in: ZKTh 31 (1907) 396-400.

Im LThK 1 7, 593 f. spricht A. Manser von Publikationen zur Unterstützung der Bemühungen um die Wiedervereinigung der getrennten Kirchen des Orients und der slavischen Kirchen mit Rom. LThK 2 7, 1004 gibt lediglich die wichtigsten Personaldaten wieder. LThK 3 sowie TRE bringen über die Person Nilles keinen Beitrag.

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nicht unbeeinflußt geblieben ist. 4 Nilles war ein Mann der Kirche in dieser Zeit. Ihm ging es in seinem theologischen Denken und Forschen darum, Engführungen seiner Zeit zu überwinden. Schon in jungen Jahren kam ihm dabei der Umstand zugute, in Stätten seiner Formation und Tätigkeit entsprechende Anregungen erhalten zu haben. Dem aus Luxemburg stammenden Studenten bot sich an der päpstlichen Universität Gregoriana zu Rom reichlich Gelegenheit, mit Kollegen aus aller Herren Länder Kontakte zu knüpfen. Die Erfahrungswerte, die er während eines halben Dutzend Jahren in der Weltstadt speichern konnte, trugen wesentlich zur Erweiterung seines geistlichen Horizonts bei. Mit dem Eintritt in die österreichische Provinz des Jesuitenordens befand sich Nilles im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie, einer funktionierenden Vorwegnahme der „Europäischen Gemeinschaft". In der Österreichisch-ungarischen Monarchie gab es nicht nur eine Anzahl orthodoxer Kirchengebiete, sondern auch mit Rom verbundene Christen östlichen Ritus (1910 waren es deren über 5 Millionen) vornehmlich in Galizien und Ungarn. Nicht alle Eparchien verfügten über einheimische Ausbildungsstätten für ihre Priesteramtsanwärter, was die Notwendigkeit bedingte, anderswo entsprechende Angebote ausfindig zu machen. Eine davon gab es an der theologischen Fakultät bzw. im Nikolai-Konvikt von Innsbruck. Nilles glaubte, in seinem Fachgebiet Kirchenrecht über Raum zu verfügen, um seine Forschungen den Rechtsstrukturen der verschiedenen ostkirchlichen Riten und deren Liturgien widmen zu können, mit dem Ziel, deren Gemeinsamkeiten sichtbar und für das Einigungsstreben der Kirche nutzbar zu machen. Zeitgleich bekleidete er über eineinhalb Jahrzehnte das Amt eines Regens des internationalen Alumnenkonvikts mit einer Anzahl von Studenten aus den Ostkirchen und den Diözesen der Vereinigten Staaten. Die beiden Ämter in Personeinheit bildeten eine unvorhergesehene Voraussetzung, in Theorie und Praxis Vorarbeiten für die Unionsbewegung in Angriff zu nehmen. I . Leben5 bis zum Eintritt in den Jesuitenorden Als jüngerer von zwei Söhnen des Landwirtes Nilles und der Anna Maria Hommel am 21. Juni 1828 in dem zur Pfarre Useldingen gehörigen Dorf Ripp-

4 Vgl./?. Lill, Der Kulturkampf in Preußen und im Deutschen Reich, in: HKG(J) 6/2, 28-48. 5 Für den Lebenslauf bis zu seinem Eintritt in den Jesuitenorden, also von 1828 1858, halte ich mich in den Hauptlinien an die biographische Darstellung seines Luxemburger Landsmannes und Zeitzeugen Af. Blum im Werk: Das Collegium germanicum zu Rom und dessen Zöglinge aus dem Luxemburger Lande. Card. Andreas Steinhuber gewidmet. Luxemburg 1899,76-109.

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weiler (Kanton Redingen) geboren, nahm ihn der dortige Pfarrer Mathias Herman nach Beendigung der Grundschule in den auf Eigeninitiative gegründeten Lehrgang auf, in dem er begabte Knaben seiner Gemeinde und der Nachbardörfer für die Aufnahme ins Athenäum des Großherzogtums vorbereitete. 1842 in die 3. Klasse eingegliedert, Schloß er dieses ebenso wie die folgenden Studienjahre mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Unter seinen Lehrern war es jener der griechischen Sprache gewesen, dem es gelang, im Schüler Nilles eine besondere Vorliebe für diese Sprache und Literatur zu wecken. Zum Anlaß der Preisverteilung an die das Studium abschließenden Schüler hatte der Griechischlehrer ihm die ehrenvolle Aufgabe übertragen, eine Rede in griechischer Sprache zu halten. Wegen eines unvorhersehbaren Hindernisses kam es nicht dazu. Die Kenntnis der Hellenensprache sollte jedoch ein höchst wertvolles Instrumentarium für die Bearbeitung der von ihm bevorzugten Forschungsgebiete werden. Einem Wunsch des begabten Abiturienten nachkommend, entsandte ihn der Apostolische Vikar des Großherzogtums Luxemburg, Johann Theodor Laurent, an eine durch das Verbot Joseph's II unterbrochene Tradition anknüpfend ans Collegium germanicum - hungaricum in Rom zum Studium der Philosophie und Theologie. Am 22. September 1847 kam Nilles mit seinem Luxemburger Studienkollegen in Rom an. Infolge der Ereignisse um die Französische Revolution 1798 war das Collegium germanicum samt Gütern beschlagnahmt worden.6 Erst ab dem Jahre 1818 sollten auf Geheiß Pius V I I die neuangekommenen Alumnen im Profeßhaus der Jesuiten in Rom aufgenommen werden. 7 In eben diesem Haus fand Nilles 1847 seine erste und vorläufige Aufnahme. Bekanntlich trägt zur Erkenntnis und Bewertung einer Persönlichkeit wesentlich seine Verhaltensweise in Situationen besonderer Herausforderung bei. Die Ereignisse des Jahres 1848, des ersten nach seiner Ankunft in Rom, sollten für das Leben der Alumnen den Beginn eines schmerzlich gestörten Zeitabschnittes bedeuten. Der Druck der von Mazzini und Garibaldi getragenen Bewegung für die politische Einigung Italiens auf Papst Pius IX (1846 - 1878) wurde für diesen zusehends unerträglicher. Um die Situation im Kirchenstaat in den Griff zu bekommen, erließ er am 14. März 1848 ein „Statuto fondamentale" 8 für eine Volksvertretung im Staat und bald darauf eine Amnestie für politi-

6

Vgl. A. Steinhuber, Geschichte des Kollegium Germanikum Hungarikum in Rom, 2. Bd., 5. Buch, 6. Kap. Freiburg i. Br. 2 1906, 206 f. 7

g

Vgl.. Steinhuber, ebd., 6. Buch, 1. Kap., 440-442.

Vgl. G. Mollai , La Question Romaine de Pie VI à Pie XI (Bibliothèque de l'enseignement d l'histoire ecclésiastique). Paris 2 1932, 213 ff. Die Maßnahmen der erlassenen Konstitution begründet Pius IX einleitend mit dem Hinweis, sein Staatsvolk nicht gerin-

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sehe Gefangene. Schon Ende März 1848 war der Papst durch öffentliche Demonstrationen gezwungen worden, die Jesuiten, die man allgemein für reaktionär und pro-österreichisch hielt, zu ersuchen, sein Hoheitsgebiet zu verlassen.9 Noch im selben Monat lösten sich die Kommunitäten der römischen Häuser auf. Die Mehrheit der Alumnen des Germanikums teilte das Los ihrer Lehrer an der Gregoriana und verließ Rom. Zum Fähnlein der zehn Aufrechten, die den Mut aufbrachten, sich der Gewalt nicht zu beugen, zählte Nikolaus Nilles. Der Historiograph des Germanikums Kardinal Andreas Steinhuber sieht im Verhalten der Verbliebenen einen möglichen Grund für den späteren Weiterbestand des Germanikums. 10 In der inneren Spannung zwischen verständlichen patriotischen Gefühlen gegenüber Italien und den an ihn herangetragenen politischen Druck gegen Fremdherrschaften auf der Halbinsel militärisch zu intervenieren, lehnte der Papst in seiner berühmten Rede vom 29. April 1848 zum einen eine militärische Intervention gegen Österreicher, die ebenso wie die Italiener seine geistigen Söhne seien, ab, zum anderen wehrte er sich dagegen, in eine italienische Gesamtrepublik einzutreten. Ein gewaltsames Vorgehen erweckte in ihm außerdem die Furcht eines Schismas im deutschen Volk. 1 1 Auch die in den Truppen nachweislich vorhandene Neigung, mit dem Volk zu fraternisieren, riet dem päpstlichen Landesherm, vom Eintritt in einen Krieg Abstand zu nehmen.

ger zu schätzen und ihm nicht weniger Vertrauen zu schenken, als dies Nachbarstaaten tun, die ihr Volk nicht nur für eine beratende, sondern auch für eine beschließende Vertretung für würdig erachten. 9

Vgl. R. Aubert, Die Thronbesteigung Pius IX und die Krise von 1848, in: HKG(J) 6/1. Freiburg / Basel / Wien 1971, 484. Am 25. August 1848 folgte ein Gesetz König Alberts von Piemont-Sardinien, das nach Art. I den endgültigen Ausschluß der „padri" der Gesellschaft Jesu und der sacrè-Coeur Schwestern verfügte. Häuser und Kollegien sind aufgelöst und jedwede Versammlung, in welcher Personenzahl auch immer, verboten. Art. II: Gebäude, bewegliche als auch unbewegliche Güter jeder Art, Erträge u. Kredite besagter Gesellschaft werden der Verwaltung der Azienda Generale delle Finanze übertragen. Vgl. den italienischen Text der Verordnung, in: PII IX pont. max. acta, pars P, vol. II, 122-124, hier 122 f. Siehe dazu das Protestschreiben des Kardinal Staatssekretärs G. Antonelli vom 23. Sept. 1848 ebd., Nr. XIII, S. 124-131. 10 11

Vgl.Steinhuber, Geschichte (Anm. 6), 451.

PII IX acta (Anm. 9), pars I a , vol I, Allocutio habita in consistorio secreto die 29 aprilis 1848, 92-98. Vgl. J. Schmidlin, Papstgeschichte der neuesten Zeit II. München 1934, 31 f.; Aubert, Thronbesteigung (Anm. 9), 483. Über die gegenläufigen Empfindungen des Papstes in dieser für ihn so schwierigen Situation siehe: G. Martina, in: Rassegna storica del Risorgimento 53 (1966) 527-582; 54 (1967) 40-47.

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Um sich vor einem drohenden Aufstand in Sicherheit zu bringen, entschloß sich der Papst in der Nacht vom 24. zum 25. November 1848, nach Gaëta ins Neapolitanische zu fliehen. Die Standhaftigkeit der in der politisch unruhigen Stadt Rom Verbliebenen erreichte bisweilen die Grenzen des Erträglichen. Versuchungen, den Ort in besonders kritischen Phasen zu verlassen, hielten sie Stand. Vorbeugend tauschten sie ihren roten Talar mit einem schwarzen. 12 Nach der Rückkehr des Papstes aus Gaëta am 12. April 1850 nach Rom normalisierte sich die politische Lage und die alte Ordnung stellte sich rasch wieder ein. Die Leitung der zurückkehrenden Germaniker lag nun wieder in den Händen jener, die sie schweren Herzens ins Exil ziehen lassen mußten. Da ein Teil des Profeßhauses von den französischen Soldaten besetzt war, wies ihnen der Papst den Palazzo Borromeo (das heutige Collegio Bellarmino) als vorübergehende Unterkunft an. Mit dem Beginn des Studienjahres 1851 fand eine 33-jährige Gastfreundschaft im römischen Profeßhaus ihr Ende. Die für die Erlangung des Doktorates aus Philosophie vorgesehenen Rigorosen konnte Nilles in Anbetracht der kriegerischen Ereignisse des Sommersemesters 1849 nicht ablegen. Kompensiert wurde der Ausfall des philosophischen Doktorates durch jenes aus Kirchenrecht nach Abschluß des theologischen Studiums. Die durch unvorhergesehene Umstände entstandene Umstellung sollte sich für die Zukunft des jungen und stets erfolgreichen Studenten als besondere Fügung der Vorsehung erweisen. Am Karsamstag des Jahres 1852 empfing Nilles aus der Hand des Kardinals Constantino Patrizi Naro in der Lateranbasilika die Priesterweihe. Ein Privileg Gregor X I I I von 1582 gewährte einem der Alumnen des Germanikums die Auszeichnung, alljährlich am Allerheiligenfest in Gegenwart des Papstes und der Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle eine Predigt in lateinischer Sprache zu halten. 1852 wurde es dem Neupriester Nilles zuteil. Nach Erlangung des Grades eines Doktors der Theologie und des Kirchenrechtes beschloß er 1853 seinen Aufenthalt in Rom. In die Heimat zurückgekehrt wirkte Nilles von 1853 - 1858 in der Pfarrei Tüntingen zunächst als Kaplan der Außenstelle Asemberg und dann als Pfarrer. Während dieser pastoralen Lernzeit befaßte er sich in einigen in lateinischer Sprache verfaßten Schriften vornehmlich mit liturgierechtlichen Fragen. Aus ihnen ging die Doppelreihe der „Quaestiones selectae in ius liturgicum" hervor, die im 1. Band der Zeitschrift ,Archiv für Katholisches Kirchenrecht" (1857) erschien. Die kanonistische Qualität der Abhandlungen weckte das Interesse des Begründers der genannten Zeitschrift und Inhabers der Lehrkanzel für Kir-

12

Vgl. Blum, Collegium (Anm. 5), 8; Steinhuber, Geschichte (Anm. 6), 452.

63 FS Mühlsteiger

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chenrecht an der iuridischen Fakultät der Universität Innsbruck Karl Ernst Moy de Sons am Verfasser. I I . Lehr- und Erziehertätigkeit in Innsbruck Die frisch geknüpften wissenschaftlichen Bande sollten durch den Entschluß Nilles' in die Gesellschaft Jesu einzutreten jäh, jedoch nur kurz, unterbrochen werden. Der Pfarrübergabe folgte die Aufnahme in das Noviziat zu Baumgartenberg (Oberösterreich) am 28. März 1858. Dort gab es ein Wiedersehen mit Kollegen aus der römischen Studienzeit (Andreas Steinhuber, dem nachmaligen Kardinal, Hugo Hurter, Joseph Jungmann). Nach überraschend kurzer Zeit sollten sie sich zu einer gemeinsamen Lehrtätigkeit an der Innsbrucker theologischen Fakultät wiederfinden. Am 4. November 1857 hatte Kaiser Franz Joseph I die Wiedererrichtung der genannten Fakultät genehmigt.13 Gemäß der Gründungsurkunde oblag dem Oberen der österreichisch-ungarischen Jesuitenprovinz die Aufgabe, acht Professoren aus dem Orden für den Lehrbetrieb bereitzustellen. Für das Studienjahr 1857 / 1858 waren jedoch nur sechs verfügbar. Aber bereits im folgenden Jahr stießen vier junge Mitbrüder, die ihre Ausbildung und Erziehung in Rom genossen hatten und zugleich auf wissenschaftlichem Gebiet vielversprechend waren, dazu. 14 Nilles erhielt - nicht ohne Befürwortung durch Moy de Sons 1859 die Berufung zum außerordentlichen Professor für Kirchenrecht. Bereits im folgenden Jahr konnte er die Lehrkanzel als Ordinarius übernehmen, die er bis zur Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze 1898 innehaben sollte. 15 Auf seine von 1860 - 1875 dauernde Tätigkeit als Regens des neu errichteten internationalen Theologenkonviktes im sogenannten Nikolai-Haus werden wir noch später zurückkommen. Als ausschlaggebend für die frühe Berufung in dieses so hohe Anforderungen stellende Amt sind ohne Zweifel seine Lehrer und das geistige Umfeld zu nennen, in dem er die entscheidenden Jahre seiner Ausbildung genoß. Eine ausgeprägte Veranlagung und Neigung zu Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit und

13

Vgl. H. Rahner, Die Geschichte eines Jahrhunderts. Zum Jubiläum der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck 1857 - 1957, in: ZKTh 80 (1958) 10 f. 14 15

Vgl. ebd., 15 f.

Das Amt eines Dekans hatte er sieben Mal inne; 1863-64; 1869-70; 1875-76; 1882-83; 1890-91; 1891-92; 1894-95. Nicht unerwähnt bleibe die Entschließung Kaiser Franz Joseph I vom 26. Juni 1866, mit der er der theologischen Fakultät von Innsbruck das Recht zur Promotion zum theologischen Doktorgrad verlieh. Vgl. Korrespondenz 1867, Nr. 3,26 f.

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Ehrlichkeit geben gleichfalls einen Grund für die Erfolge seines wissenschaftlichen Arbeitens ab. Die „Betriebspause", die durch die politischen Ereignisse von 1848 in Italien an der Gregoriana 16 verursacht wurde, hatte ein Teil ihrer Professoren zu Auslandsaufenthalten genutzt. Die von ihnen bei dieser Gelegenheit geknüpften Kontakte mit Fachkollegen sowie die Möglichkeit, andere Methoden der Vermittlung von theologischem Wissen kennen zu lernen, wirkte sich anregend und bereichernd auf ihre bisher geübte Art des Unterrichtes aus.17 Aus der Reihe jener Lehrer, die aus dem Exil zurückgekehrt waren, um das Fach Dogmatik zu betreuen, seien vor allem zwei Namen genannt: Der Piemontese Giovanni Perrone (+ 1876) und der aus der Toskana stammende Carlo Passaglia (+ 1887). Perrone, seit 1815 Lehrer am Collegio Romano, zählte zu seinen Freunden John Henry Newman (+ 1890) und lehnte sich in seinen ekklesiologischen Positionen sowie in der Traditionslehre stark an Johann Adam Möhler (+ 1838), einen der überragenden Theologengestalten des 19. Jahrhunderts, an. Perrones Bestreben in Lehre und Forschung ging dahin, sich den Herausforderungen der neuen theologischen Strömungen und Kontroversen zu stellen (G. Hermes und L. E. M. Bautain). Großen Wert legte er darauf, die Tradition für das Verständnis der Theologie zu aktualisieren, ein Bemühen, das in der immensen Erudition seiner Werke deutlich zu Tage tritt. Gegenüber der spekulativen Theologie bevorzugte er eine positiv-apologetische Methode (theologia positiva). 18 Von ihm weiß man zu berichten, daß ihm im Vortrag die Brillanz

16

Diese Bezeichnung erhielt das Collegium Romanum nach der Errichtung durch Papst Gregor XIII, 1582-84. 17

H. Schauf, Art.: Clemens Schräder (1820 - 1875), in: Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert, hg. w.H. Fries / G. Schwaiger, Bd. 2. München 1975, 368-385, hier 369. 18

Der Versuch, die alten Geisteszeugnisse so weit als möglich in ihrem ganzen Umfang kennen zu lernen, bildet den Beginn dessen, was dann als Humanismus bezeichnet wurde und am Beginn des 16. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. Das übliche Verständnis von theologia positiva entfaltete sich im 17. Jahrhundert, als katholische Theologen (so Dionysius Petavius [Petau], + 1652) unter dem Einfluß der humanistischen Bewegung eine stärkere Berücksichtigung der Quellen mit autoritativ-normativem Charakter wie die Hl. Schrift, kirchliche Lehraussagen, Konzilsbeschlüsse und die ursprüngliche Meinung der griech. und lat. Väter für das theologische Arbeiten für erforderlich hielten. Vgl. D. Petavius (Petau), Opus de theologicis dogmatibus expositum et auctum collatis studiis Carlo Passaglia et Clemens Schräder, vol. I u m . Rom 1857, Prolegomena, cap. IX, 9, S. 48; L. Karrer, Die historisch-positive Methode des Theologen Dionysius Petavius (MThS.S 37). München 1970, 18. Diese Form der Theologie unterläßt es nicht, im Sinne der scholastischen Methode die Inhalte der authentischen Texte

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seines Mitbruders und Fachkollegen Carlo Passaglia und die Solidität seines Mitbruders und späteren Kardinals Johannes Baptist Franzelin fehlte. Er war aber Wegbereiter für beide von ihnen, ja für eine ganze Theologengeneration (Römische Schule). 19 Passaglia wußte sich ebenso wie Perrone besonders der Tradition verpflichtet und verstand es, die patristischen Schätze gepaart mit der Kraft seiner stringenten Argumentationsweise in den Dienst seiner theologischen Botschaft zu stellen. Mit Perrone war er auch durch ein umfangreiches Werk an den Vorarbeiten für die dogmatische Definition von Maria als der unbefleckt Empfangenen maßgeblich beteiligt. 20 Die von ihm an der Scholastik und besonders an Thomas von Aquin geübte Kritik 2 1 sowie eine an pastoralen Anliegen kaum orientierte Theologie, ließen zusehends die Akzeptanz seiner Lehrtätigkeit schwinden, so daß er bereits 1857 um Entpflichtung vom Unterricht bat. Seiner Veranlagung als Querdenker entsprach u. a. seine ablehnende Haltung zum Prinzipat des Papstes über den Kirchenstaat. 22 Nach dem 1859 erfolgten Ordensaustritt trieb ihn vornehmlich diese Einstellung in jenes politische Lager, das mit allen Mitteln auf die politische Einheit Italiens zustrebte. Auf seine hohen Geistesgaben und die anscheinend ungetrübt gebliebenen Beziehungen zu Pius IX setzend, sah man in ihm den für den politischen Augenblick berufenen Mann, um die Rolle eines Vermittlers zwischen Turin und dem Vatikan zu übernehmen. Der überraschende Tod Cavours am 6. Juni 1861

dem begrifflichen Verständnis zu öffnen sowie ihn kritisch-rational zu prüfen und zu begründen. „Positive und scholastische Theologie machen erst die wahre Theologie aus: denn ohne Scholastik ist die positive Theologie keine eigentliche Wissenschaft u. ohne positive Theologie bleibt die Scholastik Philosophie." Mit dieser Aussage bringt Heribert Schauf das Wesen der Theologie bei Passaglia und Schräder auf den Punkt. H. Schauf, Carl Passaglia und Clemens Schräder. Beitrag zur Theologiegeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Rom 1938, 35. Vgl. W. Kasper, Art.: G. Perrone, in: LThK 2

8, 282. 19

Vgl. Ch. Boyer, Art.: Perrone, in: DThC 12,1255 f.

20

C. Passaglia, De Immaculato Deiparae semper Virginis conceptu, 3 Bde. Rom 1854- 1855. 21 Vgl. K. Gutberiet, Eine Selbstbiographie, hg. v. K. A. Leimbach. Fulda 1930, 100; P. d Ercole , Carlo Passaglia. Cenno Biobibliografico e ricordo. Torino 1888,46 ff. 22

„...et spiritu hostili se opposuit principatui praesertim temporali romani pontificis." in: H. Hurter , Nomenclator literarius theologiae catholicae, Bd. 5, pars IP, 1870-1910. Innsbruck 1913,1499-1500.

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setzte der offiziellen Tätigkeit Passaglias ein Ende, noch bevor es zu einer Lösung der „questione romana" gekommen war. 23 Die eingehendere Behandlung der beiden gelehrten Theologenpersönlichkeiten schien u. a. durch eine Bemerkung im Brief eines gewissen Anton Aloysius Harpes aus der Heimatpfarrei Useldingen von Nilles, eines ehemaligen Mitschülers an der dortigen Privatschule, erforderlich. Dort kann man nämlich lesen: „In al Gesù hörte Nilles mit großem Interesse und Erfolg die beiden berühmten Professoren Passaglia und Perrone, was man in Luxemburg ungern hörte und nicht ganz billigte, und wenig Aussicht auf Bevorzugung verlieh". 24 Die von den erwähnten Lehrern angewandten Methoden und vertretenen theologischen Positionen scheinen in Nilles Heimat deshalb Unbehagen hervorgerufen zu haben, weil man für ihn eine Minderung der Berufungschancen in eine qualifizierte kirchliche Stellung für möglich hielt. Dergleichen Befürchtungen sollten sich jedoch als hinfällig erweisen, denn der Ordenseintritt des jungen Landsmannes in die österreichische Jesuitenprovinz und die Situation, die sich aus der wiedererrichteten theologischen Fakultät in Innsbruck ergab, waren wie geschaffen, um seine Begabung und den Ausbildungsvorsprung innerst kürzester Zeit voll in Einsatz zu bringen. Neben der Aufgabe als Erzieher einer ethnisch und sprachlich gemischten Schar von Theologiestudierenden oblag Nilles die nicht weniger fordernde eines akademischen Lehrers, ganz zu schweigen von seiner intensiven Forschungsarbeit mit den entsprechenden Veröffentlichungen. Wie sich zeigen wird, verstand es Nilles, die zahlreichen und vielgestaltigen Wirkbereiche in einen harmonischen Bezug zueinander zu verweben. I I I . Die Herz-Jesu-Theologie, ein Zeitanliegen Nicht ohne Grund fragt man sich, was Nilles als Kanonist bewogen haben mag, die Theologie der Herz-Jesu-Verehrung so eingehend zu bearbeiten. Ein Blick zurück in die Zeit der theologischen Ausbildung in Rom und der Gedanke an den Ort und die Art seiner Tätigkeit in Innsbruck mögen als Verständnisbrücke dienen. Nilles begann sein Theologiestudium zu einem Zeitpunkt, in dem die HerzJesu-Verehrung ansetzte, sich von ihrem eher mystischen Charakter zu lösen. Die Vorstellung vom Gnadenquell aus der Seitenwunde Jesu, die in der Vä-

23

L. Berrà , Art.: Cavour, in: Dizionario Ecclesiastico 1,1953,558. Vgl. auch Mollai , Question (Anm. 8), 328-334 u. 338-340. 24 Blum , Collegium (Anm. 5), 85, Anm. 1.

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tertheologie ihren Ursprung hatte, entwickelte sich im frühen Mittelalter zu einem Grundkonzept der Herz-Jesu-Verehrung. Die Mystik dieser Zeitperiode brachte menschliche Denk- und Fühlenskategorien in diese Art der Verehrung ein. Motive wie Schmerz und Mitleid für den Herrn wegen des erlittenen Unrechts, Sühne ob der Beleidigung durch die Sünde(r), die Notwendigkeit der Ergänzung dessen, „was am Leiden Christ noch fehlt", standen im Vordergrund. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Herz-Jesu-Verehrung durch eine Abfolge gegenläufiger theologischer Stellungnahmen gekennzeichnet gewesen. So hatte die jansenistisch eingefärbte Synode von Pistoia 1786 auch Aussagen zu dieser Art von devotio gemacht. Unter den 85 propositiones der Synode wird in der 62. festgehalten, daß es unter den verschiedenen Andachtsformen jene zum Herzen Jesu gibt, die „neu, irreführend oder zumindest gefährlich ist". Die päpstliche Konstitution ,Auctorem fidei" vom 28. August 1794 hielt dieser propositio entgegen, daß sie „falsa, temeraria, perniciosa, piarum aurium offensiva, in Apostolicam Sedem iniuriosa" ist. 25 Der Satz 63 von Pistoia setzt an der Herz-Jesu-Verehrung aus, daß sie nicht beachte, daß das Fleisch Christi oder ein Teil davon oder selbst die menschliche Natur als ganze nicht durch Anbetung verehrt werden kann, wenn sie von der Gottheit getrennt ist. Dagegen wirft das päpstliche Dokument ein: Gegenstand der Verehrung ist das HerzJesu, d. h. das Herz der Person des Wortes (Logos), mit dem es untrennbar verbunden ist, und zwar in der Weise, daß diese Einheit während des Todes Christi in keiner Beziehung gelöst wurde. 26 Den Theologen, die dazu beitrugen, der Herz-Jesu-Frömmigkeit ein theologisch tragendes Fundament zu vermitteln, war Giovanni Perrone beizuzählen. Der Löwener Kirchenhistoriker Roger Aubert vermutet ihn „als wahrscheinlich erstem" der Theologen, der für die bis dahin gepflegte Art der Herz-JesuFrömmigkeit in seinem christologischen Traktat „De Incarnatione" eine theologische Erkenntnisquelle erschlossen hat. Mit Bezug auf die Aussage von „Auctorem fidei" zu Satz 63 stellt Perrone die Frage, wie sich in Christus die göttliche Hypostase zur menschlichen Natur und ihren Teilen verhalte. Seine Antwort lautet: Die hypostatische Union ist unmittelbar mit der gesamten Menschennatur Christi und den einzelnen Teilen derselben gegeben. Die hypostatische Einheit des Wortes mit der Menschennatur bildet die Formalursache für die Existenz der Menschennatur selbst und ihrer einzelnen Teile. Aus der Wahrheit, daß die Menschheit Christi ganz und in allen Teilen unmittelbar im

25 Denzinger / Schönmetzer, Enchiridion symbolorum, definitionum, declarationum. Freiburg i. Br. 36 1976, Nr. 2662 (1562), 535. 26

Vgl .Denzinger / Schönmetzer, ebd., Nr. 2663,535 f.

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Wort (Logos) subsistiert, folgt, daß sowohl die Menschennatur als auch deren einzelne Teile Gegenstand der Anbetung wegen der Person des göttlichen Wortes sind. 27 Für den jungen Lehrer an der Hohen Schule und zugleich Priesterausbildner im neugegründeten Nikolai-Konvikt zu Innsbruck bedeuteten die geistigen und geistlichen Schätze, die er in Rom sammeln und in seinem theologischen Gepäck mit in die Heimat bringen konnte, eine beachtliche Handreichung für die Formation der ihm Anvertrauten. Die Herz-Jesu-Verehrung hatte sich mittlerweile zu einer modernen und motivstarken Bewegung in der Kirche entwickelt. Kein Wunder, daß Nilles sie für seine Erzieheraufgabe voll zu nutzen suchte. Nicht unerwähnt bleibe, daß der Geist jenes Ortes, in der diese Frömmigkeitsform eine starke Verbreitung erfahren hat, seine Wirkungen gleichfalls im Konvikt nicht verfehlte. Zusammen mit der Theologischen Fakultät befand sich dieses auf dem Territorium jenes Landes, das die Herz-Jesu-Verehrung seit der Zeit der großen Volksmissionen kannte und pflegte. In einer Zeit schwerer Not setzte das Volk seine Hoffnung auf die Hilfe Gottes und weihte das ganze Land 1796 dem Herzen des göttlichen Herrn. I V . Werke In der ersten Phase seines Innsbrucker Wirkens bildete die Herz-JesuVerehrung den Hauptgegenstand auch seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Eines seiner umfangreicheren, in lateinischer Sprache abgefaßten Werke, das in der Zeit zwischen 1867 und 1885 fünf Auflagen erlebt hatte, trägt den Titel: „De rationibus festorum SS. Cordis Jesu et purissimi Cordis Mariae e fontibus juris canonici erutis libri IV." Der erste Teil des 1. Buches behandelt anhand von einschlägigen kirchlichen Dokumenten die Geschichte des Herz-JesuFestes. Der folgende Teil ist dogmatischen Fragen gewidmet, so u. a. jener nach dem eigentlichen Objekt und jener nach der Art des Zweckes der Andacht zum Herzen-Jesu. Eine ausführliche Übersicht über jene Personen, die in der Vergangenheit sich durch ihre vorbildliche Lebensweise sowie durch wissenschaftliche Abhandlungen ausgezeichnet haben und deren Gutachten von der Ritenkongregation für maßgeblich zur Einführung des Herz-Jesu-Festes erachtet wurden, bilden den abschließenden Teil. Eine Dokumentation der Einführung des Herz-Marien-Festes ergibt den Inhalt des 2. Buches. Das mit dem Titel „Asceticus" bedachte 3. Buch bietet ein buntes Bild der Frömmig-

27

21

Vgl. G. Perrone, Praelectiones theologicae VI, De Incamatione. Regensburg 1854, 219 f.

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keitsübungen, die sich im Laufe der Zeit um die Herz-Jesu-Verehrung gerankt haben. Im letzten, als „Literarius" überschriebenen Buch, einer umfangreichen und nach Sprachen geordneten Bibliographie, scheinen unter den in lateinischer Sprache verfaßten Schriften deren neun auf, die Nilles zum Verfasser haben. Das Werk kann als wahre Fundgrube an Dokumentation bewertet werden, die sich unter historischem, theologischem, kanonistisch-pastoralem Aspekt mit der Thematik befaßt hat. Die Abfassung eines beträchtlichen Teiles der 167 Veröffentlichungen in lateinischer Sprache läßt darauf schließen, daß als Benützer nahezu ausschließlich der Klerus und Theologiestudierende in Frage kamen. Das liturgiegeschichtliche Handbuch zum kirchlichen Festkalender (Heortologium) der Ost- und Westkirche: „Kalendarium manuale utriusque Ecclesiae orientalis et occidentalis" (Innsbruck 1872 - 1881) gilt als das bedeutendste seiner Werke. Erneut erhebt sich die Frage nach der Zuständigkeit eines Kanonisten für einen liturgischen Themenbereich, Berührungspunkte anzugeben, der sich nicht mit dem facheigenen deckt. Als klärend könnte sich die Antwort erweisen, die Nilles auf das Ersuchen, sich aktiv an den Arbeiten der historischen Sektion des großherzoglichen Institutes von Luxemburg zu beteiligen, gegeben hat. Darin weist er auf die vielen außerordentlichen Arbeiten hin, welche ihm „in Folge unabweisbaren hohen Auftrags, in Sachen der vom Hl. Vater angestrebten Union der Kirche", eine aktivere Mitarbeit am genannten Werk verunmöglichen. 28 Das Unionsanliegen des Papstes machte sich nun Nilles zu einem eigenen, indem er ein Studium der Heortologie (wissenschaftliche Darstellung der kirchlichen Feste) der Ost- und Westkirche in Vorlesungen und wissenschaftlichen Übungen (Akademien, Seminarien) anbot. Eine vertiefte und differenzierte Untersuchung dieses theologischen Teilbereiches ergab sich gleichfalls aus der notwendig gewordenen Berücksichtigung der verschiedenen Riten, denen Alumnen aus dem Osten zugehörten. Fragen, die die kirchlichen Feste betreffen, kommen zwar in verschiedenen theologischen Teildisziplinen zur Sprache (Kirchengeschichte, christliche Archäologie, Kirchenrecht, Kontroverstheologie, Liturgie, Pastoraltheologie), sie werden meist jedoch nur kurz und im Vorübergehen berührt. 29

28 29

Blum, Collegium (Anm. 5), 94.

Vgl. N. Nilles, Kalendarium manuale utriusque Ecclesiae orientalis et occidentalis II. Innsbruck 2 1897,X f.

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Die Heortologie-Seminare waren nach der Vorstellung von Nilles wie folgt strukturiert: A m Beginn eines Studienjahres wurden zur Einführung der Sitzungen ausgewählte päpstliche Dokumente über die Schönheit und Würde der verschiedenen Riten der Ostkirche zur Kenntnis gebracht. Die verbleibende Zeit diente zur Einschulung in Texte der Bollandisten oder anderer Hagiographen. Die Abfolge in den wöchentlichen Sitzungen begann mit dem vereinbarten Kurzreferat. Ihm folgte eine Analyse der zur kirchlichen Feier gehörenden Rubriken, denen sich vergleichende Überlegungen zu den einzelnen Riten anschlossen.30 Mit einer Synopse der unterschiedlichen Riten und Gewohnheiten konnte man sich rasch ein Bild über die Gemeinsamkeiten bzw. Abweichungen machen. Die Kenntnis des kirchlichen Kalenders in Ländern mit unterschiedlichen Riten und Bräuchen hatte eine besondere Bedeutung. Da für die Vorbereitung der Seminarsitzungen angesichts der beträchtlichen Fächeranzahl nicht genügend Zeit verfügbar war, sowie Bücher und zu konsultierende Unterlagen erst zusammengetragen werden mußten, dachte Nilles mit der Abfassung des Handbuches eine nützliche und den Forschungserfolg aufwertende Handreichung geboten zu haben.31 Ein geraffter Überblick soll eine Erstinformation über den Inhalt des zweibändigen Werkes vermitteln. Vorwort und Einleitung des 1. Bandes setzen sich zusammen aus einer Reihe von kurzen, informativen Untersuchungen: So über den Stand der Diözesen des griechischen und armenischen, sowohl unierten als auch nicht unierten Ritus, die zu den österreichischen Erblanden bis zu deren Auflösung gehörten; über den Gebrauch der slavonischen Sprache in einigen Kirchen des lateinischen Ritus; über die alten und neuen Kaiendarien der orientalischen Kirchen; über die liturgischen Bücher und die dafür verwendeten termini technici; über die Genehmigung von neuen Festen und deren Würde. Die Kenntnis der genannten liturgischen Teilaspekte ist nicht nur nützlich, sondern unverzichtbar für denjenigen, der sich mit der vergleichenden Liturgie beschäftigt. Das Korpus des 1. Bandes besteht aus einem Kommentar zu den unbeweglichen Festen des gesamten Kirchenjahres. Im Hauptteil wird eine Erklärung des griechischen Kalenders nach der in Konstantinopel gültigen Form geboten. Die Rubrik des jeweiligen Festes wird in lateinischer, slavonischer, rumänischer und häufig auch in arabischer und syrischer Sprache wiedergegeben. Es folgen Details über den Ursprung und die

30

Vgl.M//es, ebd., XI f.

31

Vgl. M//es, ebd., XII.

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Bedeutung des jeweiligen Festes. Handelt es sich um einen Heiligen, findet sich eine kurze Notiz aus dem Menologium der Basilianer oder dem römischen Martyrologium, aus den Acta Sanctorum oder anderen h agiographischen Sammlungen. Es folgt der liturgische Kalender der Westkirche. Den griechischen Kalenderkommentar ergänzt Nilles mit den Kirchenkalendern der katholischen Ruthenen in Rußland, dem arabischen nach der Berechnung aller fünf Nationen, der Lateiner, Melchiten, Armenier, Syrer, Maroniten, dem serbischen der griechischen Orientalen, der Bulgaren, des reinen syrischen Ritus und des Ritus der Syro-Maroniten. Einen abschließenden Abschnitt widmet der Verfasser dem Status der orientalischen Kirchen in den österreichischen Erblanden. Bd. 2 befaßt sich mit den beweglichen Festen. Die drei Kapitel des 1. Buches handeln von der Verteilung der kirchlichen Feste während des Jahres. Das Triodion reicht vom 10. Sonntag vor Ostern bis zum Karsamstag. Das Pentekostarion entspricht der Osterzeit und der Oktoechos umfaßt den Rest des Kirchenjahres. Für jedes Fest sind die in den verschiedenen Einheimischen- oder Vulgärsprachen üblichen liturgischen Ausdrücke angegeben und mit einer kurzen historischen Notiz oder irgendwelchen liturgischen oder patriotischen Texten dem Festanlaß entsprechend versehen. Im 2. Buch wird der Leser mit den Kaiendarien von vier Nationen des Orients vertraut gemacht: Armenier, Kopten, Syrer und Chaldäer. Der koptische Kalender gilt deshalb als besonders erwähnenswert, weil sich in diesem Ritus Spuren alter Bräuche aus der Kirche von Alexandrien erhalten haben. Als Besonderheiten im koptischen Festkalender seien erwähnt: 16. Nov., Fest der vier symbolischen Tiere der Apokalypse; 2. Dez., Fest der 24 alten Männer, die um den Thron Gottes sitzen; 18. Juni, Gebet für die Zunahme der Wassermenge im Nil; 31. Mai, Fest der Ankunft Christi in Ägypten. 32 Eine Reihe von Appendices zu Gebräuchen in einigen Liturgien sowie ein Generalindex der Namen, Sachen und Orte in den zwei Bänden runden die umfangreiche Untersuchung ab. Den beiden Kalendariumsbänden folgte im Jahre 1885 in Innsbruck als dritter und ergänzender Teil (pars IIP, addititia) das in 2 Bände und 5 Bücher ge-

32

Nilles, ebd., Buch 2, Kap. V, 705-724.

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gliederte Werk mit dem Titel: „Symbolae 33 ad illustrandam historiam ecclesiae orientalis in terris coronae S. Stephani". Es handelt sich hier um die Sammlung wissenschaftlicher Beiträge zur Geschichte der orientalischen Kirche in den Ländern der Stephanskrone. Der größte Teil der Dokumente stammt aus den Archiven von Rom, Österreich, Transsilvanien, Kroatien, des Ordens der Gesellschaft Jesu und anderen damals nicht leicht zugänglichen Quellen. Nach einem synoptischen und einem umfassenden analytischen Index werden im 1. Buch drei Fragen behandelt: zum einen jene über den Gebrauch des griechischen Ritus durch die lateinische Mission, zum anderen jene über die Notwendigkeit der Wiederholung der Weihen der Griechen nach der Union und schließlich, was die Missionare, die bei den Orientalen für die Union arbeiten, hauptsächlich berücksichtigen müssen. Die Bücher 2-5 enthalten Beiträge zur Geschichte der Union der Rumänen, Serben, Ruthenen und Armenier mit Rom. Das 6. Buch, ein Zusatzbuch „Parerga" enthält Ergänzungen zu den vorausgehenden 5 Büchern. Daß Nilles mit dem eben besprochenen Werk nicht nur ein eher brachliegendes Wissensfeld beackert hat, sondern ein stets drängendes Anliegen der katholischen Kirche aufgriff, steht außer Frage. Als besonders wertvoll für das Verständnis der wichtigsten liturgischen Bücher der orientalischen Riten wird von den Kritikern die genetische Erklärung der in ihnen vorkommenden Begriffe und Ausdrücke erwähnt. 34 Die Methode, die Nilles für seine vielen Forschungen anwandte, war auf Authentizität und auf Genauigkeit angelegt. Dazu richtete er sich in erster Linie nach dem Grundsatz des Hieronymus (+ um 420) aus. Um in der wissenschaftlichen Untersuchung die Wahrheit aufzuspüren, ist man dazu verhalten (,,cogi~ mur"), deren Quelle ausfindig zu machen, und nicht so sehr ist sie „aus Bächlein" zu schöpfen. 35 Seiner Vorstellung vom wissenschaftlichen Arbeiten entsprach in gleicher Weise die sokratische Lehrmethode. Nach ihr ebnet die Untersuchung des Na-

33

\

Symbola (συμβολή): Geldbeitrag zu einem öffentlichen, gemeinsamen Gastmahl (seit Plautus [+ 184]) im „Epidicus 125g" auch scherzhaft eine Tracht Schläge. Im übertragenen Sinn: Beiträge zu einem wissenschaftlich zu behandelnden Thema. Vgl. W.-H. Maigne D'Amis (Hg.), Lexicon manuale ad scriptores mediae et infimae latinitatis. Paris 1890, 2154; K. E. Georges (Hg.), Lateinisch-deutsches Handwörterbuch 2, 2990. 34 Nilles, Kalendarium I, S. XLIV - L X I X . 35

CIC(L) Hieronymus c.7, dist. 76: „Cogimur ... seientiae veritatem quam de rivulis querere. "

de fonte magis

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mens durch Rückführung auf ihre Urform bzw. auf ihren wirklichen Stamm den Weg zur Erkenntnis der Sache bzw. des wahren Sachverhaltes (,, ετυμον ").36 Durch die Analyse der Namen sollte man zur Erkenntnis der Sache selbst vordringen und sich darüber klar werden, was jedes einzelne der Dinge sei. 37 V. Wegbereiter der Ökumene Die Kenntnis und Wertschätzung der orientalischen Liturgien erweist sich als Wesensbedingung für das apostolische Arbeiten mit den getrennten Kirchen des Ostens. So wie es umgekehrt eminent wichtig ist, daß die Orientalen über die Liturgie den Westen kennen lernen. Auf diese Weise schien es besser als durch jedes andere Mittel möglich zu sein, die Konformität der römischen Dogmen mit den Glaubensinhalten der Anderen hervorzuheben, ebenso wie das Aufzeigen der Ähnlichkeit der rituellen Praktiken die substantielle Identität des Kultes des jeweils anderen sichtbar macht. 38 Im Hirtenbrief vom 2. Februar 1895 teilt der Erzbischof von Sarajewo Joseph Stadler seinem Klerus mit, von Papst Leo X I I I zum Apostolischen Kommissar zur Wiederherstellung des Friedens und der Einheit mit der römischen Kirche bei jenen Völkern, die sich von ihr abgewandt haben, bestellt worden zu sein. Als erste von beiden Seiten erforderliche Annäherungsbedingung sieht der Erzbischof einen ehrlichen und loyalen Wunsch nach Einheit im Bemühen, sich gegenseitig kennen zu lernen und zu verstehen. Liturgie und alles, was damit zusammenhängt, Feste, Fasten, Zeremonien und Frömmigkeitsübungen, sollten Gegenstand eines vertieften Studiums, einer wohlwollenden Deutung, einer gerechten Wertschätzung und verdienten Hochachtung werden. Als weitere Verständigungsbedingung wünscht sich der neuemannte Kommissar für die Union die Vermeidung jedweder Art von Polemik und dafür eine aufrichtige,

36

Die sokratische Methode wurde seit Jahrhunderten Epiktet zugeschrieben, der sie in seine „Dissertationes (Διατρίβαι) aufgenommen hat. Epictetus, Dissertationes ab Arriano digestae I, 17, 12 ed. maior, H. Schenkt (BSGRT 1302). Leipzig 1916, 63: „ 'Αρχή παιδεύσεως ή των ονομάτων έπίσκεψις." 37 Ebd.: „Σωκράτης δ'ου λέγει...δτι ήρχετο άπό της των ονομάτων επισκέψεως τι σημαίνει εκαστον ." Ν. Nilles befaßte sich kurz mit der somatischen Methodenlehre im Art.: „Über das Tischkompliment und wünsche wohl zu speisen, ,proficiat' und dergleichen, in: ZKTh 16 (1892) 336-343, hier 337. Als Beispiele der Anwendung dieser Methode werden aus dem Dekret Gratians zitiert: Clerus, dist. 21, c. 1 ; episcopatus, Causa 8, q 1, c. 11. 38

Nilles, Kalendarium II (Anm. 29), Selecta quaedam specimina judiciorum in citatis fontibus publice latorum. Ex Actis: „Revue Anglo-Romaine", 862.

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klare und im Stil ruhige sowie besonnene Darlegung der unterschiedlichen Standpunkte nach Vorgabe der geltenden liturgischen Texte und den Büchern über die Heiligen der Ostkirche. Als ein Werk, das den erwähnten Anforderungen entspricht, empfiehlt Stadler den Klerikern der unterschiedlichen Riten das in der ganzen Welt rezipierte Kalendarium des Nilles. 39 Kein geringerer als Adolf Harnack äußerte sich bald nach dem Erscheinen der beiden Auflagen (1. Auflage 1870/71; 2. Auflage 1896/97). In der „Theologischen Literaturzeitung" zur 2. Auflage schreibt er: Man empfängt „in Bezug auf viele Tatsachen der neuesten römisch orientalischen Kirchengeschichte Belehrung, ferner exquisite Quellen und Literaturnachweise, die dem Symboliker und Liturgie-Historiker sehr nützlich sind. Mit besonderem Interesse habe ich die ganz neu gearbeiteten Darstellungen der verschiedenen Kirchenjahre der Orientalen und den Abschnitt ,de festis propriis popularibus italico-graecis' 40 durchgelesen. Es ist eine überaus mühsame und aufopferungsvolle Arbeit, der sich der verdiente Verfasser zum zweiten Mal unterzogen hat; aber er hat dafür die Genugtuung, daß ihm Dank in allen Zungen gespendet wird und daß er ein Werk vollendet hat, welches jedem Theologen nicht nur ,utriusque' sondern ,cuiusque ecclesiae4 nützlich ist." 41 In der zweiten und erweiterten Auflage wurde eine Reihe von kritischen Stellungnahmen (specimina judiciorum) zur Erstausgabe aufgenommen 4 2 Die Anerkennung des Festekalenders seitens der russisch-orthodoxen Kirche erhält ihren besonderen Stellenwert, als sie ihm von der „heiligsten dirigierenden Synode von Ganz-Rußland" zuteil wurde. Zur 2. Auflage des Werkes ließ sie nämlich einen Festbilderatlas herstellen, für den der Kalendariumstext die

39

Nilles , ebd., Lettre circulaire de Mgr. Joseph Stadler, archevêque de Vhrbosna, commissaire apostolique, à tout le vénérable clergé établi dans les limites de son commissariat, en date du 2 fevrier 1895,862-864. 40 Nilles, ebd., 547-551. 41

Rezension zum Hauptwerk von Α. Harnack, in: ThLZ 5 (1880) 635 f.; 7 (1882) 213; 21 (1896) 350-352; 23 (1898) 112 f. 42

Nilles, Kalendarium II (Anm. 29) 860-869. Hier einige Kostproben:

Ex Actis: „The American Ecclesiastical Review": „It gives us a complete and most accurate insight into the condition and mutual relation of the Eastern and Western liturgies". S. 865-868, hier 865. Ebd. 866: „... with a diligence and rare exactness of erudition ...". Ex Actis: „Österreichisches Literaturblatt": Nille's Werk verdient „mit seiner ausserordentlichen Kenntniss und Verwerthung der gesammten einschlägigen, z. Th. seltenen Literatur die grösste Beachtung ..." S. 869.

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Grundlage für die offizielle orthodoxe Illustration bildete. Das vom Oberprokurator der eben genannten Synode K. P. Pobedonoszew von St. Petersburg 1899 übersandte Geschenkexemplar trägt den Titel: Ephemerides figuratae graecoslavicae „Festbilderatlas zu Nicolai Nilles SJ., Prof. Oenipont. Kalendarium Manuale utriusque Ecclesiae orientalis", Moskau 1897. Die im Gefolge sich ergebenden persönlichen Kontakte zu ihm sowie zu Probst Dr. A . v. Maltzew gaben der Unionsbewegung kraftvolle Impulse. Die rumänische Akademie der Wissenschaften ehrte Nilles durch eine hohe Auszeichnung. 43 V I . Dissitae Americae filii 44 Mit der Wiedererrichtung der theologischen Fakultät in Innsbruck durch Entschließung Kaiser Franz-Joseph I im Jahre 1857 stellt sich zugleich die Frage nach der Betreuung jener Studenten, die von auswärts kamen, um das Studium der Theologie in Innsbruck zu absolvieren und sich in einem auf den Priesterberuf vorzubereiten. Allein schon wegen der örtlichen Nähe zur Fakultät bot sich als vorläufige Lösung das 1852 von der Gesellschaft Jesu wiedererworbene Nikolai-Haus an, das bereits vor den Wirren von 1848 für 10 Jahre als Unterkunft für die Professoren des Jesuitengymnasiums gedient hatte und in dem einigen Scholastikern Räume für ihr privates theologisches Studium zur Verfügung standen.45 Im Herbst des Jahres 1858 öffnete das Nikolai-Haus nun als TheologenKonvikt die Tore für 37 Studenten. Im September 1861 trafen die ersten zwei Konviktoren aus Diözesen der Vereinigten Staaten ein. Die Leitung lag in den Händen des Theologieprofessors Johann Baptist Wenig SJ. Ihm folgte zwei Jahre später mit derselben Aufgabe der Kirchenrechtsprofessor Nikolaus Nilles. Wegen der vielfältigen Verpflichtungen stellte man dem neuen Leiter, nun als Regens betitelt, einen Präfekten zur Seite. Innerhalb der ersten 10 Jahre war die Konviktorenzahl auf 113 angewachsen 4 6

43 L. Fonck, Art.: Nikolaus Nilles SJ. in: ZKTh 31 (1907) 396-400, hier 399 f.; Nachruf auf Altregens P. Nikolaus Nilles SJ., in: Korrespondenzblatt des Priestergebets-Vereins 41 (1907) 37-42, hier 39 f.

Mit diesen Worten pflegte Papst Pius IX in verschiedenen Schreiben an die Alumnen des Theologenkonvikts von Innsbruck jene aus den Vereinigten Staaten stammenden anzusprechen, z. B. im Schreiben vom 4. Dezember 1873. Siehe Korrespndenzblatt Nr. 27-28, vom 24. Februar 1874. 45

N. Nilles, Historia Domus S. Nicolai Oeniponte, Cap. IX. Innsbruck 1870,8.

46

M. Hofmann, Das Nikolaihaus zu Innsbruck einst und jetzt. Innsbruck 1908, 36-

42.

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Die fortschreitende Intensivierung der Beziehungen zwischen den amerikanischen Diözesen und der theologischen Fakultät sowie dem Konvikt in Innsbruck brachten eine volle Bestätigung der von den Vätern des 3. Plenarkonzils von Baltimore 1884 (9. Nov. - 7. Dez.) ausgesprochenen Empfehlung. Im Synodaldekret Nr. 185 wird nämlich den Bischöfen aufgetragen, dafür zu sorgen, Alumnen, auf die man größere Erfolgshoffnungen setzen könne, an die amerikanischen Kollegien von Rom oder Löwen oder auch nach Innsbruck zu schikken. 47 Drei Jahre nach Inkrafttreten der Synodaldekrete war die Zahl der „dissitae Americae filii" (Pius IX) im Nikolai-Konvikt auf 31 angestiegen.48 Freudig überrascht ob der offiziellen Empfehlung für Innsbruck, bedankten sich die Professoren in einem gemeinsamen Schreiben an den einflußreichsten Oberhirten der amerikanischen Kirche und Vorsitzenden des III. Plenarkonzils James Kardinal Gibbons. 49 Dann bekundeten sie die Absicht, der wissenschaftlichen Ausbildung in den theologischen Fächern als auch im Kirchenrecht dem Eigencharakter der Kirche in den Vereinigten Staaten besondere Aufmerksamkeit zu schenken.50 Als Antwort auf die Empfehlung des amerikanischen Episkopates und in der erklärten Bereitschaft der theologischen Lehrer Innsbrucks, in der Fachausbildung die Anliegen der großen und hoffnungsstarken Kirche Amerikas präsent zu halten, veröffentlichte der Kanonist der Fakultät Nilles einen Kommentar zum Partikularrecht der amerikanischen Kirche, wie es in den Acta et Decreta Concilii Plenarii Baltimorensis III festgeschrieben ist. 51 Eine besondere Hirtensorge Papst Leos X I I I (1878-1903), des Nachfolgers Pius XI, galt nicht nur der Einheit mit den geschichtsträchtigen Kirchen des

47

Vgl. Acta et Decreta Concilii Plenarii Baltimorensis Tertii 1884, Titulus V, Cap. III, Nr. 185. Baltimore 1886,94. N. Nilles, Commentarla in Concilium Plenarium Baitimorense Tertium, Pars I Acta concilii. Innsbruck 1888, 153 f.: Catalogus americanorum s. theologiae auditorum in oenipontana c. et r. universitate anno 1887. 49

Schreiben der Professoren der Theologischen Fakultät von Innsbruck vom 18. Juni 1886 an Kard. J. Gibbons v. Baltimore. Text in: N. Nilles, Commentarla (Anm. 48), 151 f. 50 Vgl.M//es, ebd. Die pars Γ des Kommentars: Acta Concilii erschien 1888, die pars IP, Decreta Concilii 1890, jeweils in Innsbruck. Unter „acta" versteht man all das, was am Konzil behandelt und bestimmt wurde sowie amtlich, d. h. im Auftrag der Konzilsteilnehmer niedergeschrieben wurde. „Decreta" sind Synodalsatzungen bzw. Beschlüsse, die nach gründlicher und gewissenhafter Behandlung die Dauerverbindlichkeit von Gesetzen erhalten.

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Ostens, nicht weniger sah er sich dem Westen gegenüber in seine oberste Hirtenpflicht genommen, und zwar vornehmlich der jungen und dynamischen Kirche der neuen Nation der Vereinigten Staaten von Amerika. Stand im Osten das Festhalten an den überkommenen religiösen Formen als Problem im Vordergrund, so scheint es im Westen die überquellende Lust an der Freiheit gewesen zu sein, die die Achtung vor jenen Gesetzen bedrohte, die die Würde des Menschen zu schützen hatten. Die breite Möglichkeit, religiöse Überzeugungsformen zu entfalten, stellte deshalb die Kirche vor die Notwendigkeit, einen Klerus auszubilden, der sich in der Lage sah, den Weizen vom Unkraut zu unterscheiden. 52 Eine große Gefahr für ihre Einheit erkannte die Katholische Kirche in den von den Freimaurern beeinflußten amerikanischen Schulprogrammen, die vom Geist des Indifferentismus und Naturalismus durchsetzt waren. Das Bundesgesetz für Jugenderziehung sah volle Lehrfreiheit vor. Um staatliche Zuwendungen zu erhalten, hatten sich die Schulen der Leitung und Inspektion eines Schulkomitees (school board) zu unterwerfen. 53 Einen entscheidenden Schritt zur Förderung der religiösen Erziehung, vor allem der Jugend, setzte das III. Plenar-Konzil von Baltimore, das auf Initiative Leos X I I I und nach seinen Direktiven von den Erzbischöfen Amerikas vorbereitet und 1884 veranstaltet wurde. Um die Schäden einer säkularen Erziehung von der katholischen Jugend fernzuhalten, ordnete die Synode die Schaffung von katholischen Pfarrschulen dort an, wo solche noch nicht bestanden, und zwar innerhalb von zwei Jahren. Priester, die aus Nachlässigkeit die Errichtung einer so vorgeschriebenen Schule verabsäumten oder verhinderten, sollten es verdienen, von ihrer Gemeinde veijagt zu werden. Die Eltern wurden dazu

52

Leo XIII, Littera Apostolica vom 4. 1. 1884 an die Bischöfe und Erzbischöfe der Vereinigten Staaten: „... ad evellandos funditusque tollendos, si qui irrepserint, abusus, ad ecclesiasticam disciplinant confirmandam, ad dioecesium statum ita ordinandum, ut propius ad commune Ecclesiae ius, quatenus fieri possit, accedat, et ad Catholicam religionem latius propagandam provehendamque, opportuna in Domino iudicaverint, proponant." In: Leonis X I I I pontificis maximi Acta IV (Corpus Actorum RR. Pontificum. Rom 1881 - 1905, Neudruck, Graz 1971), S. 1 f. 53

Vgl. Leo XIII, Enzyklika „Humanuni Genus" Gegen die Freimaurerei v. 20. April 1884, in: Denzinger / Schönmetzer, 36 1976, Nr. 3156-3158; C. De T'Serclaes, Le pape Léon XIII, 2. Bd. Paris/Lille, 1894, 255; L. Hertling, Geschichte der kath. Kirche in den Vereinigten Staaten. Berlin 1954,202-206; HKG(J) 6/2,165-169.

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angehalten, ihre Kinder in katholische Schulen zu schicken. Entschuldigungsgründe zu bewerten, blieb dem Ermessen der Bischöfe vorbehalten. 54 Die gewissenhafte Durchführung des synodalen Auftrags erhielt am 14. Dezember 1891 durch eine Konvention, die der Erzbischof von St. Paul (Minnesota) John Ireland mit den zivilen Behörden getroffen hatte, einen unerwarteten Einbruch. Kraft des Abkommens sollten Pfarrschulen unter gewissen Voraussetzungen entpflichtet werden, der bischöflichen Zuständigkeit unterstellt zu sein, um jener des school board zu werden. Die Unterrichtsprogramme und ihre Anwendung standen ausschließlich im Kompetenzbereich der bürgerlichen Schulbehörde. Während der Unterrichtszeit mußte die Schule, was Lehrer und Schüler betraf, nach ihren Vorschriften geführt werden. 55 Die Ausnahmeregelung hatte nach dem großen, vom Plenar-Konzil geforderten Einsatz einen verständlichen Sturm der Entrüstung zur Folge. Die Initiative des Erzbischofs war von der Grundsatzüberlegung ausgegangen, daß eine neutrale Schule dann eine nächste Gefahr für das Seelenheil eines jungen Menschen darstellt, wenn ein Glaubensverlust nicht auszuschließen ist. Kann nun eine nächste Gefahr zu einer entfernten werden oder in einem besonderen Fall überhaupt nicht bestehen, dann könne eine neutrale Schule aus schwerwiegenden Gründen und in besonderen Fällen geduldet werden. 56 Die Konvention sollte jedoch nicht einem Prinzip gleichkommen, vielmehr ging es darum, für den Fall einer Tatsachensituation eine verantwortbare Regelung handlungsbereit zu haben. Die Deutungspositionen der Konvention erwiesen sich als so unterschiedlich, und die Diskussion darüber verlief so heftig, daß die obersten Verantwortungsträger der Kirche sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen konnten. Die Entscheidung über die rechtliche Verbindlichkeit des Übereinkommens sollte einer Kardinalskommission der Propaganda Fide übertragen werden. In der Tat erkannte sie am 21. April 1892 auf den Weiterbestand des Dekretes des Konzils von Baltimore über die Provinzschulen. Das von Erzbischof Ireland stipulierte Übereinkommen konnte, nach Abwägung aller Umstände, toleriert werden. Noch am selben Tag approbierte der Papst die Kardinalsentscheidung 5 7

54

Vgl. Acta et decreta Concilii plenarii Baltimorensis tertii, 1884, Tit. VI, cap. 1, 99110, hier 104\De T'Serclaes, Le pape Léon X I I I (Anm. 53), 256. 55

Vgl .De T'Serclaes, ebd., 257 f.

56

Vgl. De T'Serclaes, ebd., 258.

57 Text der Entscheidung in: ZKTh 17 (1893) 272 f.: „Ad dubium: qual giudizio debba portarsi sul raccomodamento adottato dal l'Arci vescovo Ireland riguardo alle due 64 FS Mühlsteiger

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Ein Jahr nach der Bestätigung der Konvention durch die zuständigen Behörden in Rom erschien in der „Zeitschrift für katholische Theologie" 17 (1893) 245-299 aus der Feder von Nilles eine umfangreiche Studie mit dem Titel „Tolerari potest" über den iuridischen Wert eines Toleranzpatentes im allgemeinen, gefolgt von einer eingehenden Analyse der römischen Entscheidung. Wenngleich keine dokumentarische Abstützung für den Abfassungsauftrag einer solchen Studie durch die Propaganda Fide an Nilles ausfindig zu machen ist, so läßt sich der Gedanke an eine Beauftragung zur Erhebung der Grundlagen für die genannte Entscheidung durch ihn nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Nach der römischen Weisung bleibt das Baltimore-Dekret bezüglich der Pfarrschulen in seiner vollen Wirkkraft. Der von Erzbischof Ireland erreichte Ausgleich (accomodamento) für zwei seiner Schulen bedeutete jedoch eine Pflichtigkeitsminderung der synodalen Verordnung. Eine Absenkung der gesetzlichen Verbindlichkeit kommt zustande entweder durch den ausdrücklichen oder durch den präsumierten, d. h. vermuteten Willen des Gesetzgebers. Zur letzteren zählt die sog. Epikie. Es handelt sich dabei nicht um eine Auslegung des Gesetzes selbst, sondern um eine solche der Absicht bzw. des Willens des Gesetzgebers. Das trifft dann zu, wenn man annehmen zu dürfen glaubt, daß wegen besonderer Sach- und Zeitumstände das Gesetz in einem nicht geringen Ausmaß von seiner natürlichen Gerechtigkeit (aequitas) abweicht. Dann hält man nämlich dafür, daß aus der vermuteten Absicht des Gesetzgebers besagter Fall im Gesetz nicht vorgesehen ist. D. h. man nimmt an, daß der Gesetzgeber in einem solchen Fall nicht wollte, daß die Verbindlichkeit eines Gesetzes in voller Wirklichkeit erhalten bleibt. 58 Eine Reihe von Abhandlungen, die so wie jene über die Toleranz aus gegebenem Anlaß verfaßt wurden, finden sich zusammengefaßt im Werk: „Selectae disputationes academicae juris ecclesiastici", Innsbruck 1886. Die Titel der einzelnen „Disputationes" sind in 6 Faszikel geordnet. Eigens genannt seien der „Commentarius in proemium Breviarii et Missalis de computu ecclesiastico, usui clerico rum accomodatus", 2. Auflage, Innsbruck 1864; „De rationibus festorum mobilium utriusque Ecclesiae occidentalis et orientalis commentarius,

scuole di Faribault e Stillwater, in casu respondendum censuerunt: Affirmative et: Firmis in suo robore manentibus decretis conciliorum baltimoriensium supra scholas parochiales, compositio inita a R.P.D. Archiepiscopo Ireland relate ad scholas de Faribault et Stillwater, perpensis omnibus circumstantiis, tolerari potest. In audientia habita eodem die 21. April is Ssmus supradictam Emorum resolutionem approbare dignatus est." 58

N. Nilles , Tolerari postesi, in: ZKTh 17 (1893) 245-296, hier 174.

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usui clericorum accomodatus. Accedunt breves quaedam animadversiones in novam kalendarii rationem a CI. Maedler propositam", Innsbruck 1868. Kleinere Monographien behandeln Fragen vor allem aus dem Bereich des Kirchenrechts, der Geschichte, Aszetik und Liturgiewissenschaft, ebenso die zahlreichen Artikel in: Zeitschrift für Katholische Theologie, Archiv für Katholisches Kirchenrecht, Revue des sciences ecclesiastiques, u. a. Die „Bibliographie Luxembourgoise", verfaßt von Martin Blum, Luxemburg 1902 - 1932, erhielt einen Reprint mit Ergänzungen von Carlo Hury, München 1981 und führt in Bd. II (SS. 189-199) insgesamt 167 Titel von Nilles an. V I I . Der Priestererzieher Eine Würdigung von Nikolaus Nilles, ohne auf das Amt als Regens des Nikolai-Konviktes einzugehen, würde bei aller Bedeutung seiner bereits dargestellten Tätigkeiten wohl jene übergehen, die die größte Breiten- und Langzeitwirkung hatte, nämlich die eines Priestererziehers. Drei Jahre nach seinem Eintritt in die Gesellschaft Jesu bereits zum ordentlichen Professor berufen, oblag ihm zusammen mit der noch kleinen Zahl an Professorenkollegen der Auf- und Ausbau der wiedererrichteten Fakultät. Mit der Lehrtätigkeit, die bei ihm immer auch von Forschung begleitet war, hatte man ihm 1860 die Leitung des Konvikts übertragen, die er bis zum Jahre 1875 innehaben sollte. Die drei Aufgabengebiete sind nicht als parallel laufende Arbeitsbereiche, sondern als ineinander verwobene, einander ergänzende Dienste zu betrachten. Hätten sie nicht in der Person des Ausführenden eine innere Einheit gefunden, wären sie wohl nicht zu bewältigen gewesen. Die Verantwortung für die Konviktoren aus so verschiedenartigen Herkunftsländern beschränkte Nilles nicht auf einen technisch reibungslosen Tagesablauf im Studienhaus. Sein Erziehungsziel sah er in der inneren Formung der ihm anvertrauten jungen Menschen mit dem Blick auf die Herausforderungen, die mit ihrer Berufung zum Priester und der ihnen später übertragenen Verantwortung zu erwarten waren. Der persönliche Freiraum, innerhalb dessen die geistige Entwicklung jemanden zur unauswechselbaren und unverwechselbaren Persönlichkeit formt, blieb für ihn unantastbar. Ihm lag vor allem daran, die Vorgaben des Begabungskapitals zu aktivieren, um es seinem künftigen Oberen zu ermöglichen, jenes Arbeitsfeld ausfindig zu machen, in dem er am fruchtbarsten wirken kann. Nach einer nahezu zehnjährigen Erfahrung als Verantwortungsträger im Konvikt machte er sich daran, eine „kleine" „Magna Charta" für den Konviktsalltag festzuschreiben, die „Consuetudines convictus theologorum ad S. Nicolai, Oeniponte 1869."

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Daß es ihm nicht leicht angekommen sein mochte, einen Stil des Zusammenlebens für eine von solcher Buntheit geprägte Gemeinschaft zu entwerfen, kann man sich gut vorstellen. Mußte sie doch für Alumnen von Ostriten und jenen aus dem Süden der Vereinigten Staaten nicht nur (nach)vollziehbar sein, sondern früher oder später auch das Gefühl einer gewissen Beheimatung vermitteln. Es ging ja nicht nur darum, Studienerfolge einzubringen, sondern in einer Gemeinschaft zu leben, in der jeder in seiner Einzigartigkeit jedem etwas für die Zukunft als Priester mit auf den Lebensweg geben konnte. Die ökumenischen Visionen, zu deren Verwirklichung Nilles umfangreiche und profunde Studien angestellt hatte, geben Zeugnis von der Geisteshaltung einer Persönlichkeit, für die die Einheit und die Harmonie in der Kirche ein Herzensanliegen darstellten. Im Umgang mit ihm sollten die seiner Verantwortung Anvertrauten das geistige Rüstzeug im Bemühen um die Einheit der Kirchen erhalten. In der Synthese von Wissenschaft und Erziehung entwickelte sich das Konvikt zu einem Übungsplatz für die Achtung von Andersartigkeiten in der Denkweise und in der Gefühlssprache der Hausgemeinde. Nur so konnte bei aller Vielfalt ein: „Cor unum et anima una" Apg 4,32 erreicht werden. Das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit über die nationalen Grenzen hinaus sollte die Signatur des Canisianums werden. Was Nilles auf der Ebene der Weltkirche als Ziel vor Augen hatte, die Einheit in der Vielheit, das versuchte er im internationalen Minimundus des Konviktes verwirklicht zu sehen. Wer ein solches Vorhaben zu seiner Lebensaufgabe macht und mit all seinen Begabungen in die Tat umzusetzen trachtet, muß im innersten Kern seines Wesens über eine entsprechende Veranlagung verfügen. Die Erreichung eines so hohen Zieles verlangt ein demgemäßes Training. Die Richtlinien dafür sind in den Consuetudines überliefert. Die Gemeinschaft mit Gott im Sakrament und in den verschiedenen Formen des Gebetes als Basis für jene der Alumnen untereinander bildet den Ausgangsund Orientierungspunkt für jede Consuetudo (Cons. § 2). Die Wissenschaft als Entfaltung der Geisteskräfte im Denken und Wollen zielt auf die Einheit der Persönlichkeit des Einzelnen ab, der in Hinkunft sein Leben in den Dienst der Menschen zu stellen gedenkt. (Cons. § 6). Nicht fehlen durfte bei der Auflistung der Lebensregeln für eine Gemeinschaft die vielgepriesene und -beschworene „brüderliche Liebe". Die soziale Harmonisierung so starker Herkunftsunterschiede bedurfte entsprechender „Verkehrsregeln", damit die Liebe nie ihr Gastrecht verliert und durch entsprechende Verhaltensweisen gestützt und geschützt wird (Cons. § 4). In einer plurinationalen Gemeinschaft gilt es besonders darauf zu achten, nicht abwertend über das Heimatland anderer zu sprechen. Gemeinschaftsstörend wirken sich besonders Privatfreundschaften und Gruppenbildungen aus, da sie Ausgrenzungen mit sich bringen (vgl. ebd.).

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Neben den Angelpunkten für ein Zusammenleben werden in den Consuetudines außerdem Detailvorschriften gegeben, die den äußeren Tagesablauf regeln, was unweigerlich nach Uniformität aussieht. Die Frage nach dem gebührenden Freiraum für die Ausformung der Eigenpersönlichkeit stellt sich für Menschen in der Phase der Intensiventwicklung mit besonderem Nachdruck. Gerade die Einübung in das selbständige Arbeiten im eigenen Raum bietet eine optimale Voraussetzung für Selbstgestaltung und -entfaltung. Im Schweigen, im Einüben des Alleine- oder bisweilen Einsamseins werden die Wege bereitet für das Gelingen des priesterlichen Lebens. Die zu Gebote stehende Stille und Ruhe zwingen zu Reflexion und Selbstfindung. Die Schulung in dieser strengen, aber auf freie und innere Motivation abgestellten Lebensform, war den jungen Menschen, die daraus hervorgingen, durch das ganze Leben anzumerken. Die Ausbildung entsprach in ihren Grundlinien den von Ignatius von Loyola für die pastorale Arbeit gegebenen. Zum Schluß ein Wort zur Sprache der Consuetudines: Für ein Ohr, das sich an die theologische Diktion von heute gewöhnt hat, mag die Aussageweise der Consuetudines fremd (ungewohnt) wirken, nicht weniger der Führungsstil, den man sich für eine internationale Gemeinschaft vorstellt. Für die Zeit des Verfassers und für seine Vorstellungen von Priesterbildung galten sie als richtunggebend. Den Beweis dafür liefern die Priestergenerationen, die nach dieser Magna Charta geformt worden sind. Als Ergebnis der konsequenten Formungsarbeit des Regens ist es zu werten, wenn sechs Jahre nach seiner Amtsübernahme ihm die Konviktoren den Vorschlag unterbreiten, einen Priesterverein zu gründen. Dessen Publikationsorgan („Correspondenzblatt") sollte jenen, die nicht mehr actu am Konviktsleben teilnehmen können, das Bewußtsein erhalten, weiterhin an ihrer inneren Communio teilhaben zu können. In der 1. Nummer des Korrespondenzblattes mit dem Versanddatum 10. November 1866 konnte als Erstnachricht die große Begeisterung bekannt gemacht werden, mit der der Organisationsentwurf des Vereins von allen im NikolaiHaus zur Zeit lebenden Alumnen aufgenommen wurde. 59 In dem unmittelbar danach angefügten Statutenentwurf wird als ,Absicht" des Vereins das „Band brüderlicher Liebe", das damit zu einem „dauernden Bund" erweitert wird, bezeichnet, in dem die Herz-Jesu-Verehrung in der Form des Gebetsapostolates als Quellgrund der inneren Verbundenheit gepflegt wird. Die Leitung des Vereins liegt nach § 4 jeweils in den Händen eines der Professoren der Theologi-

59

Vgl. Correspondenz des Priestervereines unter dem Schutze des göttlichen Herzens Jesu bestehend aus Alumnen des theologischen Convictes in Innsbruck, Nr. 1 (1866) 1. (Zit.: Korrespondenzblatt).

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sehen Fakultät. 60 Der erste vom zuständigen Ordensoberen für diese Aufgabe, einem einhelligen Wunsch der Konviktoren entgegenkommend, bestellte Professor war Regens P. Nilles. 61 Ein Begleitschreiben des Bischofs von Münster zu einem Statut für eine Weltpriestergemeinschaft in seiner Diözese lieferte dem Redaktor des Korrespondenzblattes die Inspiration und Motivation für die eigenen Vereinsstatuten. Dem Bischof bereiten vor allem die Gefahren, die mit der „Vereinzelung" des Weltpriesters verbunden sind, große Sorgen. Die in der Vergangenheit gemachten Versuche einer vita communis erwiesen sich trotz aller Bemühungen, wenn nicht als erfolglos, so doch als nur in begrenztem Maße durchführbar. Als Ersatz schwebt ihm ein Priesterverband vor, der trotz lokaler Getrenntheit der Mitglieder durch einen regelmäßigen, regen und anregenden Informationsaustausch immer enger zusammenwächst und so zu einer großen Einheit des Lebens und Strebens erstarken kann. 62 Das „Correspondenzblatt" aus dem Nikolai-Haus betrachtete der Verein als einen „Brief Aller an Alle" durch geeignete gegenseitige Mitteilungen und Gedankenaustausch. Konkret dachte man vor allem an Berichte über pastorale Ereignisse und Tätigkeiten. Selbstverständlich erwartete man Stellungnahmen zu aktuellen theologischen „heißen Eisen" und Strömungen. 63 In der Nr. 3 des Korrespondenzblattes wird die Veröffentlichung des zweibändigen Werkes von Nilles mit den Dokumenten zu einer authentischen, aktenmäßigen Geschichte und Erläuterung der Herz-Jesu-Verehrung angezeigt.64 „Ist dieses Werk an sich schon eine interessante, weil in ihrer Art ganz neue, kanonistische Specialstudie, so ist dasselb für unsern Verein, in Hinsicht auf dessen Zweck, so zu sagen ein eigentliches Familien- oder HausUrkundenbuch." 65 Im Dezember 1886 feierte der Priesterverein das zweite Dezennium des Stiftungsfestes. Als Festredner zog der erste Präses des Vereins, Nilles, Bilanz über die vergangenen 20 Jahre. Mit dem Dank an die gnädige Fügung Gottes 60

Vgl. ebd., 1 f.

61

Vgl. Korrespondenzblatt 2 (1867) 19.

„Bischöfliches Begleitschreiben zu dem Statut für die Weltpriester-Congregation von Kevelaer, in: Münsterisches Pastoralblatt IV. Jahrg. (1866) Nr. 9. Teilabdruck in: Korrespondenzblatt Nr. 1, (1866) 2 f. 63

Vgl. Korrespondenzblatt 1 (1866) 5.

64

Der volle Titel des Werken: De rationibus festorum Sacratissimi Cordis Jesu et purissimi Cordis Mariae, 2 Bde. Innsbruck 1867. 65

Korrespondenzblatt, 3 (1867) 29.

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für die Verwirklichung des erklärten Vereinszweckes trotz des mörderischen Bruderkrieges wünschte er sich, daß mit dem Verlassen des Konviktes man den darin erworbenen priesterlichen Geist bewahre, pflege und in den apostolischen Arbeiten bezeuge.66 V I I I . Der Emeritus Die Zeit der Emeritierung bot Nilles die Gelegenheit zur Abfassung weiterer, wenn auch weniger umfangreicher Publikationen. Die Möglichkeit, als Emeritus Vorlesungen anzubieten, nützte er dazu, um Themenbereiche zu behandeln, in die er sich durch wissenschaftliche Untersuchungen eingearbeitet hatte. Die beträchtliche Zahl an Hörern aus den Vereinigten Staaten hätte kaum eine entsprechendere Einführung in die partikularrechtlichen Verhältnisse der amerikanischen Kirche erhalten können als durch Nilles, der durch seine Gutachtertätigkeit für die überseeischen Bischöfe in dieser Materie besonders beheimatet war. 67 Mit zunehmendem Alter zogen sich die Grenzen seiner körperlichen Kräfte immer enger. Vor allem war es ein Herzleiden, das ihm seit geraumer Zeit zu schaffen machte und zusehends seine Lebensqualität minderte. Eine lebhafte Anteilnahme am Geschehen in der Kirche, an der theologischen Fakultät und, wie könnte es anders sein, an jenem des Konvikts begleiteten ihn bis hin zu den letzten Lebenstagen. Um l h morgens des 31. Januar 1907 schlossen sich seine Augen für diese Welt. 68 Das heute noch bestehende und mit demselben Auftrag betraute theologische Konvikt, das nach dem Neubau von 1910/11 den Namen „Canisianum" erhielt, läßt in den Grundzügen der Hausverfassung nach wie vor die Handschrift von Nikolaus Nilles erkennen. Seine Consuetudines prägen noch immer den Alltag des Konvikts, wenngleich die Zeitläufe Spuren in den herkömmlichen Strukturen hinterlassen haben.

66

Die Zentralaussage der Rede sei hier in der „Ursprache" wiedergegeben: „...ut convictores in sanctissimo Corde dulciter sociato, cor unum et anima una effecti, viribus unitis, spiritum vere sacerdotalem in Convictu sibi acquirant, acquisitumque e Convictu egressi conservent, foveant et laboribus apostolicis exhibeant." Korrespondenzblatt 4. Folge, Nr. 9 (1886) 119-122, hier 121. Das Korrespondenzblatt erscheint im Studienjahr 2000/01 als Jahrgang 133. 67

Vgl. Korrespondenzblatt 41 (1907) 37-42, hier 38.

68

Vgl. ebd., 41.

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Nilles mit heute geltenden pädagogischen und wissenschaftlichen Kategorien bewerten zu wollen, würde ein verfälschtes Bild seiner Persönlichkeit abgeben. Als einen Mann, der die Grenzen der Durchschnittlichkeit sowohl in den Vorgaben seiner Begabungen als auch im Einsatz mit ihnen zu wirken, beachtlich überschritt, wird man ihn zu sehen haben. Sein weiter geistiger Horizont widerstand Engem, Begrenzendem. Sein wacher Realitätsbezug hinderte ihn nicht, die Grenzen des Örtlichen und Gegenwärtigen zu überwinden. Dies äußerte sich in der Entscheidung, den ihm beengend scheinenden Tätigkeitsbereich in seiner Heimat zu verlassen, um eine Gemeinschaft zur Verwirklichung seines Lebenswerkes, das ins Weite führt, zu wählen. Wissenschaftliche Tätigkeit am Katheder und in der Forschung geben Zeugnis von seinem inneren Drang, geistige, politische und kirchliche Absperrungen aufzubrechen, nicht um zu stören, sondern um neu zu gestalten, zu bereichem, zu beschenken. Christliche Gemeinschaften, die die „Stammkirche" verlassen haben, standen deshalb im Zentrum seiner wissenschaftlichen Untersuchungen, um Gemeinsamkeiten zu orten, die den Boden für eine künftige Einheit abgeben könnten. „Tolerari potest" ist nicht nur Titel einer seiner rechtsgeschichtlichen Studien, die ein besonderes Echo in der Neuen Welt gefunden hat, sondern kann gleichermaßen als Leitspruch für eine Verhaltensweise, die sich überall dort gefordert sah, gelten, wo der Einheit in der Kirche Gefahren drohten und durch Nachsicht Hoffnung auf Abwendung bestand. Als Weg über die Grenzen der eigenen Konfession hatte Nilles nicht den des persönlichen Dialogs gewählt, sondern jenen der wissenschaftlichen Erforschung der verschiedenen theologischen, rechtlichen und besonders liturgischen Positionen. Sie bietet so auch heute noch eine Vorleistung für ein fundiertes ökumenisches Gespräch.

I I . Grundfragen

Rezeption - Inkulturation - Selbstbestimmung* Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Gemeinschaften

Unter den mannigfaltigen pastoralen Aufgaben stellt sich der Kirche stets auch jene einer zeitgemäßen Gesetzgebung. Diesem Anliegen wird durch Novellierung von Gesetzen und insbesondere durch die Revision des kirchlichen Gesetzbuches gerecht zu werden versucht. Man wird indes sicher nicht behaupten können, daß für die Leitung der Kirche und die Erfüllung ihrer pastoralen Obliegenheiten nicht eine hinreichende Gesetzgebung zur Verfügung stünde. Die Frage aber ist, ob eine Gesetzgebung, die sowohl historisch als auch geographisch hauptsächlich auf den europäischen Kulturraum zugeschnitten ist, der Vielfalt der Kulturen und den pastoralen Bedürfnissen der National- und Lokalkirchen entspricht. Man kann mit Fug und Recht annehmen, daß ein so allgemeines Gesetz nicht in der Lage ist, ortsgebundenes Brauchtum zu berücksichtigen. Je stärker aber das Volk Gottes für mehr Verantwortlichkeit und größere Zuständigkeiten in der Gemeinschaft Kirche sensibilisiert wird, um so mehr wird der kirchliche Gesetzgeber eine Beteiligung des Volkes Gottes an der Bestimmung dessen, was für eine Kommunität Allgemeinwohl darstellt, annehmen müssen. Jedem Gesetzgeber wird es angelegen sein, ein den Zeitgegebenheiten entsprechendes Recht zu schaffen. Es kann nun der Fall eintreten, daß allgemeine kirchliche Gesetze wegen anders liegender oder gegenteiliger Verhaltensweisen des Volkes nicht die entsprechende Aufnahme bei diesem finden. Kommt aber eine Rezeption nicht zustande, steht dann der Gemeinschaft das Recht zu, Gewohnheiten einzuführen, die ihrem religiösen, kulturellen Empfinden mehr entsprechen? Damit stellt sich konkret die Frage, ob es im Zuständigkeitsrahmen einer gesetzesfähigen Gemeinschaft steht, ein allgemeinkirchliches Gesetz nicht aufzunehmen und dafür eine außer- oder widergesetzliche Gewohnheit zu entwikkeln. Müßte man eine solche Verhaltensweise als Ungehorsam bezeichnen?

* Erschienen in: ZKTh 105 (1983) 261-289.

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Von Ungehorsam wird man insofern nicht sprechen können, als bei NichtAnnahme eine Gemeinschaft nicht gegen den Willen des Gesetzgebers handeln will, sondern im Sinne eines besser zu verwirklichenden Gemeinwohls, was aber die Absicht des Gesetzgebers sein muß. Dem obersten Gesetzgeber ist es jedoch bei einer Gesetzgebung für die Universalkirche nicht möglich, das Gemeinwohl für alle Adressaten des Gesetzes in gleich adäquater Weise zu verwirklichen. Dem Gottesvolk ist es aber gemäß den in der Taufe grundgelegten Aufgaben, Verpflichtungen und Rechten gegeben, jene Werte und Lebensweisen zu wählen und zu verwirklichen, die es in einer sicheren und vollkommeneren Weise ans Ziel führen. Eine allgemein gesetzliche Verpflichtung kann für das kirchliche Leben einer Gemeinschaft als Fremdkörper und deshalb auf die Dauer als Härte empfunden werden. In einem solchen Fall fordert schon der Grundsatz der rechtlichen Billigkeit eine Änderung der Lage. Die neue allgemeinkirchliche Gesetzgebung wird das Problem der Rezeption des Gesetzes durch die Partikularkirchen neu stellen. Anzeichen dafür, daß es sich durch das starke Selbstverständnis und Bewußtsein der jungen Kirche eher scharf stellen wird, sind bereits deutlich zu sehen. I . Konsens - Rezeption Aufgabe des Gesetzgebers wird es immer sein müssen, seine Normen an die je neuen und vertieften Kenntnisse der Menschennatur anzupassen und durch eine sachentsprechende Analyse der Situationen zeitgemäß zu gestalten. Geschieht dies, dann sind die Voraussetzungen gegeben, daß die Gesetzgebung dem Wohle der Gemeinschaft dient und ihren Konsens findet. Dieser bezieht sich demnach nicht auf die Legitimität des Gesetzgebungsaktes seitens der Vollmachtsträger, sondern auf den Inhalt der Normen. Der „ consensus omnium die allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Disziplin, besitzt von den Anfängen der Kirche an als Zeichen des einheitswirkenden Geistes Gottes nicht nur eine theologische, sondern auch eine rechtliche Qualität. In den ältesten Kirchenordnungen haben wir kein gesatztes Recht, aber die Zustimmung zu überlieferten und neu sich bildenden Verhaltensweisen in der Gemeinde durch deren Glieder bildete eine der Grundlagen für das Wachstum der jungen Kirche. Daß das Consensus-Prinzip schon im frühesten Kirchenrecht wirksam gewesen ist, lehrt der 1. Klemensbrief an jener Stelle, an der er von der Art der Einsetzung der Presbyter spricht. 1 Seine theoretische Formulierung erhält der Kon-

1 In 1 Clem 44,3 wird von den vom Dienst entfernten Presbytern gesagt, daß sie von angesehenen Männern „unter Zustimmung der gesamten Gemeinde eingesetzt wurden".

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sensgedanke im Traditionsprinzip zunächst bei Hegesipp, dann in differenzierterer Form bei Irenäus von Lyon 2 und in der dogmatisch-polemischen Schrift „De praescriptione haereticorum" des Tertullian. Danach haben die Apostel die Offenbarungswahrheit den von ihnen gegründeten Gemeinden anvertraut, mit denen man übereinstimmen muß. Folglich sind nun diese die ersten Zeugen der Wahrheit; mit ihnen muß man im Glauben übereinstimmen. Der Offenbarungsinhalt darf auf keinem anderen Weg als durch die von einem Apostel gegründeten Gemeinden vermittelt werden. Jede Lehre, die mit jener der apostolischen Gemeinden, der Stammeskirchen des Glaubens, übereinstimmt, ist wahr. Falsch hingegen ist jede Lehre, die jener der Apostel und damit jener Christi nicht entspricht. Wer also mit der Lehre der apostolischen Gemeinden nicht übereinstimmt, steht außerhalb der communio.3 Hippolyt von Rom führt das Traditionsprinzip in seiner ,Apostolischen Überlieferung" weiter, wenn er den Episkopat aufgrund der apostolischen Sukzession, die durch Leitung des Hl. Geistes bestimmt ist, als Garanten der Wahrheit sieht. Die Kirche ist Trägerin der Wahrheit und zugleich communio. Diese beiden ekklesialen Wirklichkeiten bestehen nebeneinander und miteinander in dem Sinn, daß verfassungsmäßig weder die Kategorie der Oberordnung für die Inhaber von Leitungsfunktion noch die der Unterordnung für das Volk das Bild der Gemeinde prägen. Die in Übereinstimmung mit der Apostellehre lebende

2 Irenäus, Adv. Haer. I 10,2 (PG 7, 551; ed. Harvey 1, 92): „Hanc praedicationem cum acceperit, er hanc fide m, quemadmodum praediximus, Ecclesia , et quidem in universum mundum disseminata, diligenter custodii, quasi unam domum inhabitans: et similiter credit iis, videlicet quasi unam animam habens, et unum cor, et consonanter haec praedicat, et docet, et tradii, quasi unum possidens os. Nam etsi in mundo loquelae dissimiles sunt, sed tamen virtus traditionis una et eadem est. "

Tertullian , De Praescript. Haer. 21 f. (CSEL 70, 24 f.): „Si dominus Christus Jesus apostolos misit ad praedicandum, alios non esse recipiendos praedicatores quam Christus instituit, quia nec alius patrem novit nisi filius et cui filius revelavit , nec aliis videtur revelasse filius quam apostolis, quos misit ad praedicandum, u tique quod illis revelavit. Quid autem praedicaverint, id est quid illis Christus revelaverit, et hic praescribam non aliter probari debere nisi per easdem ecclesias, quas ipsi apostoli condiderunt, ipsi eis praedicando tam viva, quod aiunt, voce quam per epistulas postea. Si haec ita sunt, constat perinde omnem doctrinam, quae cum illis ecclesiis apostolicis matricibus et originalibus fidei conspiret, ventati deputandam, id sine dubio tenentem, quod ecclesiae ab apostolis, apostoli a Christo, Christus a deo accepit: omnem vero doctrinam de mendacio praeiudicandam, quae sapiat contra veritatem ecclesiarum et apostolorum et Christi et dei. [c. 22:] Super est ergo, ut demonstremus, an haec nostra doctrina, cuius regulam supra edidimus, de apostolorum traditione censeatur, et ex hoc ipso ceterae de mendacio veniant. ... communicamus cum ecclesiis apostolicis, quod nulla doctrina diversa; hoc est testimonium veritatis. "

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Gemeinde ist Trägerin der Wahrheit, d . h . der consensus fidelium ist Glaubensund Lebensquelle und damit Prinzip der Einheit der Kirche. 4 Hier kommt ein ekklesiologisches Verfassungsprinzip

zum Tragen, insofern die communio

bzw. der consensus als konstitutives Element sowohl für die Authentizität als auch für die Lebenswirklichkeit der Gemeinde gesehen wird. Die Gemeinschaft der Glaubenden als solche w i r d nicht als eine Instanz neben oder über jener der verantwortlichen Amtsträger in der Gemeinde betrachtet. Das aktive Wahlrecht als Konsensäußerung bei der Bestimmung des Gemeindevorstehers w i r d als Ausfluß der Communio-Rechte zu bewerten sein. 5 Das sind jene Rechte, die mit dem Personwerden durch die Taufe verliehen werden. Die Wertigkeit der allgemeinen W a h l und eines entsprechenden Konsenses für die Bestimmung eines Kandidaten mit Leitungsfunktion in der K i r che steht für Papst Leo den Großen fest, denn „ Qui praefuturus est omnibus , ab omnibus eligatur" 6. W e r hingegen die Zustimmung des Klerus und Gemeindevolkes nicht für sich beanspruchen konnte, dem sollte auch der W e g zur „ordi-

4

Hippolyt, Traditio Apostolica c. 1 (ed. B. Botte [LQF 39] 2 f.) und passim.

5

Hippolyt, ebd., c. 2 (ed. Botte 4): „Episcopus ordinetur electus ab omni populo u. Vgl. auch Didascaliae Apostolorum fragmenta Veronensia latina. Accedunt canonum qui dicuntur Apostolorum et Aegyptiorum reliquiae. Hg. v. E. Hauler . Leipzig 1900, Can. frag. LXVIII 14, S. 103. Vgl. auch Const. Apost. VIII 4,2 (ed. Funk 1, 473), wo angeordnet wird, daß „als Bischof ein Mann geweiht werde, der in allen Stücken tadellos und vom ganzen Volk erwählt ist". 6

Leo d. Gr ., Epist. X 6 (PL 54, 634). In c. 4 (ed. cit. 632 f.) desselben Briefes lesen wir: „ ...ut apostolieae auetoritatis norma in omnibus servar etur, qua praeeipitur ut sacerdos Ecclesiae praefuturus, non solum attestatione fidelium, sed etiam eorum qui for is sunt testimonio muniatur, neque illius scandali relinquatur occasio, cum per pacem et Deo placitam concordiam consonis omnium studiis, qui doctor pacis futurus est, ordinatur." Vgl. dazu Epist. XIII 3 (ed. cit. 665): „Nulli prorsus metropolitano hoc licere permittimus, ut suo tantum arbitrio , sine cleri et plebis assensu quemquam ordinet sacerdotem, sed eum Ecclesiae Dei praeficiat, quem totius civitatis consensus elegerit. " Epist. X I V 5 (ed. cit. 673): „Cum ergo de summi sacerdotis electione tractabitur, ille omnibus praeponatur quem cleri plebisque consensus concorditer postulant: ita ut si in aliam forte personam partium se vota diviserint, metropolitani judicio is alteri praeferatur qui majoribus et studiis juvatur et meritis." Daß die Rolle des Volkes bei der Bestimmung eines Bischofskandidaten nicht nur in einer Akklamation bestand, sondern aktives Wahlrecht war, legt eine Aufforderung Papst Cölestins I. an die Bischöfe einer Kirchenprovinz nahe, wenn er sagt: „ Cleri, plebis et ordinis consensus requiratur. Tunc alter de altera eligatur Ecclesia, si de civitatis ipsius clericis cui est episcopus ordinandus, nullus dignus, quod evenire non credimus, potuerit reperiri." Epist. IV 5 (PL 50, 434).

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natio " nicht offen sein.7 So sind an der Bestellung eines episcopos für die Gemeinde Volk und Kleriker in konstitutiver Weise beteiligt. 8 Als die direkte Mitentscheidung der Gläubigen durch die starke Entfaltung der Hierarchie außer Übung geriet, entwickelte sich an deren Stelle ein anderes ekklesiologisches Prinzip, das eine neue Form der Mitbestimmung oder vielleicht nur der Beteiligung einbrachte, und zwar das Prinzip des Konsenses als Annahme bzw. der Rezeption. Der Konsens zu einer Entscheidung der Kirchenobrigkeit, insbesondere in der Form von Gesetzen, durch die Beobachtung und Verhaltensweise des Volkes Gottes hat im Leben der Kirche seine eigene Geschichte. Das Dictum im Dekret Gratians (c. 3, D. IV) „Leges instituuntur cum promulgantur, firmantur cum moribus utentium approbantur" erreicht darin einen besonderen Stellenwert. Versucht man den Magister von Bologna sachgerecht zu interpretieren, wird man dies im Lichte seiner Rechtserfahrung und nicht nach juridischen Kategorien von heute tun. Manche Autoren 9 haben aus dem gratianischen Text eine Hoheitsgewalt des Volkes bei der Gesetzgebung deduziert. Demnach wäre die Gewohnheit nicht nur autonome Quelle des Rechtes, sondern in gleichem Maße konstitutives Element des Gesetzes, das ohne Approbation seitens des Volkes durch Übung keine Rechtsverbindlichkeit besäße. Damit erhielte ein Gesetz seine formale Rechtskraft erst durch die Zustimmung, die sich in der Verhaltensweise des Volkes Gottes kundgibt. Das hat aber zur Folge, daß der Gesetzgeber in der η Leo d. Gr., Epist. X I V 5 (PL 54, 673): „...tantum ut nullus invitis et non petentibus ordinetur; ne civitas episcopum non optatum aut contemnat aut oderit; et fiat minus religiosa quam convenit, cui non licuerit habere quem voluit. " Der Grundsatz Cölestins I. „Nullus invitis detur episcopus" ist am Konzil von Orleans 549 und jenem von Paris 557 bestätigt worden. £

Vgl. P. Stockmeier, Die Wahl des Bischofs durch Klerus und Volk in der frühen Kirche, in: Conc 16 (1980) 463-467, hier 465. So Paulus de Liazariis (Bologneser, Schüler des Joh. Andreae, Doctor iuris civilis, gest. 1356. Vgl. J. F. v. Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts. Bd. 1. Graz 1956 [Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1857], 246) und Mattheus [sie!] Romanus (Schüler des Guido de Baysio u. Joh. Andreae, Doctor iuris canonici in Rom, über sein Leben kaum etwas bekannt. Vgl. Schulte 1, 239). Ihre diesbezügliche Lehrmeinung findet sich wiedergegeben im Proömium des Clementinenkommentars von Kard. Francisais Zabarella: „...dicentes tria requiri ad esse legis. Primo quod instituatur. Secondo quod promulgetur. Tertio quod moribus utentium approbetur. Et si quid horum deficit, non est constitutio: nec potest dici. IIII. di. §. leges ..." (F. Zabarella, Commentarla in Clementinarum volumen. Lyon 1534, fol. 2 v.).

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Kirche in seiner legislativen Zuständigkeit durch das Verhalten des Volkes begrenzt w i r d . Die nachfolgende Kanonistik hat diese Lehrmeinung nicht übernommen. So hat Franciscus Zabarella, der sich mit ihr auseinandersetzt, die Promulgation als letzten und abschließenden Gesetzgebungsakt erklärt. 1 0 Die „approbatio utentium" hat nach Ansicht anderer einen rechtlichen Aussagewert, was die tatsächliche Dauerhaftigkeit (,,firmitas") des Gesetzes, nicht aber was den formalrechtlichen Bestand betrifft. 1 1 Die A n t i n o m i e zwischen der Jurisdiktion des kirchlichen Gesetzgebers und dem Prinzip der konstitutiven Mitentscheidung durch die „mores populi" versucht Dominicus de Sto Geminiano dahingehend zu modifizieren, daß er die rechtliche Relevanz der Approbation durch das V o l k aus dem gesetzeskonstitutiven Bereich in jenen der Rechtswirksamkeit verlegt. 1 2 Didacus Covarruvias a Leyva w i r d diese These ein Jahrhundert später theologisch als „communis opinio " qualifizieren. 1 3

10 Zabarella, Commentarla (Anm. 9), fol. 2 v: „Sed glossa hie in verbis ,et quid ligaverint' tenet publieationem esse ultimum actum perficientem legem per legislatorem humanum. C. de legi. (C. I, 14,8). quod est verius. " 11 Diese Unterscheidung stammt von Laurentius Hispanus. Sie ist wiedergegeben im Kommentar zum Dekret Gratians von Guido de Baysio, und zwar zum Dictum Gratians c. 3, D. IV: „Ac confirmate assensu astantium cum promulgantur in consistono pape vel imperatoris possunt alij contradicere. multa enim concili j moderatione et maturitate discuti debet in consistono lex ante constitutionem ... Sedpostquam communi concilio et assensu fuerint recepte et approbate non possunt vel illi. s. clerici vel isti. s. collatérales principis contradicere. vel de ipsis iudicare, secundum H[uguccionem] . " Von der firmitas der Gesetze sagt dann Laurentius Hisp.: „ Vel die firmate de facto, nam de iure firmate sunt ex ipsa institutione..." Vgl. Guido de Baysio, Enarrationes (Lecturam vocant) super Decreto [vom Autor Rosarium genannt]. Lyon 1535, fol. 6 v.

12

Dominicus de Sto Geminiano, Super Decretorum volumine commentarla. Venedig 1578, D. IV, c. Leges, η. 5, fol. 11: „Non enim est verisimile, quod princeps velit eos ligare, ex quo moribus utentium non approbatur, quia videtur statuere a principio sub tali condicione , si moribus utentium approbetur. " Vgl. auch L. De Luca, L'accettazione popolare della legge canonica, in: StG 3 (1950) 193-276, hier 219. 13

Didacus Covarruvias a Leyva, Variarum ex iure pontificio, regio, et caesareo resolutionum libri III. Lyon 1557, lib. II, cap. X V I , 612: „Ego vero distinguendum esse opinor, aliud siquidem est eam constitutionem non fuisse ab initio receptam, aliud semel receptam consuetudine fuisse sublatam. Priori etenim casu certum est, legem nullam vim obtinere, si ab initio recepta non fuerit a subditis ... scribit Domi(nicus) leges a principe dari ea conditione et inientione , ut non aliter obligent quam si fuerint a repu-

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Diese Sentenz faßt das Gesetz mehr als Maßstab und Regel für menschliches Handeln und Zusammenleben denn als Willensdiktat des Gesetzgebers auf. Bei dieser Deutung des Gesetzes liegt die Betonung mehr auf der Vernünftigkeit, und zwar als Element einer im Sinne des Thomas von Aquin vernunftgemäßen Anordnung, die den Anforderungen und Lebensbedingungen entspricht und den Verhältnissen der Zeit und des Ortes angepaßt ist, d.h. der Inhalt der Anordnung steht im Vordergrund. 14 Ein Gesetz, das wegen seines Inhaltes und Zwekkes von den davon Betroffenen nicht angenommen wird, dient nicht dem Gemeinwohl. Als unnützem Gesetz fehlt ihm aber eine der Bedingungen, die für den Gerechtigkeitscharakter einer jeden menschlichen Norm erfordert sind. Schreibt ein Gesetz Verhaltensweisen vor, welche eine Gemeinschaft nicht annimmt, dann ist es nicht nur unnütz, sondern auch gefährlich. Man kann an dieser Stelle fragen, ob der Nicht-Verpflichtungscharakter eines nicht rezipierten Gesetzes dieselbe Rechtsgrundlage hat wie die Aufhebung eines Gesetzes durch eine ihm gegenläufige Gewohnheit. Luigi De Luca, der dieser Frage eine eingehende Analyse gewidmet hat, ist zum Ergebnis gekommen, daß die „mores utentium in contrarium" als etwas von der „ consuetudo contra legem" Verschiedenes zu betrachten sind, und deshalb die Rechtswirkungen der ersteren (auch im inneren Forum) von denen, die von der rechtswidrigen Gewohnheit hervorgebracht werden, abzuheben bzw. zu unterscheiden sind. 15 Gratian hat es wohl nicht ohne Absicht unterlassen, in sein Dekret jene Aussage aus den Institutionen Justinians aufzunehmen, die den Willen des Fürsten als einzige Instanz für die Verbindlichkeit eines Gesetzes ansieht.16 Durch diese Unterlassung distanzierte sich Gratian vom Prinzip der unbegrenzten Gewalt des Fürsten. Daß sich dem Bologneser Magister das Problem der Gesetzgebung nicht so sehr unter dem Aspekt der Formalursache als vielmehr unter jenem des Inhaltes stellt, darauf deutet zunächst der äußere Umstand hin, daß sich das gratianische Dictum in jener distinctio (D. IV) findet, in der Gratian aufzeigt, was Inhalt und Zweck des Gesetzes sein muß. Allein schon der ursprüngliche Titel des Werkes Gratians als „Concordantia (concordia) discordantium canonum" interpretiert die Absicht des Verfassers. Es galt, die inhaltlichen Widersprüche der umfang-

blica receptae: ...et est communis opinio , nam et maxime praesumendum est, eam legem, quae a republica non recipitur, minime ei convenire. " 14

Vgl. De Luca, Accettazione (Anm. 12), 223.

15

De Luca, ebd., 257.

16

Justinian, Institutiones I 2,6: „ ...quodprincipiplacuit

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legis habet vigorem. "

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reichen vorliegenden Gesetzesmaterie abzugleichen. 17 Die Gesetzessammlungen waren bis dorthin in der Hauptsache chronologischer Art. Gratian hat versucht, sie zu harmonisieren und systematisch zu ordnen; dabei hat er jedoch nie die Gesetzgebungshoheit in der Kirche und die Verpflichtung, ihren Anordnungen Gehorsam zu leisten, in Frage gestellt.18 Betrachtet man ein Gesetz als Verhaltensregel in einem bestimmten sozialen Gebilde und in einer bestimmten historischen Situation, so wird man im gratianischen Dictum nichts Widersprüchliches oder der kirchlichen Tradition Zuwiderlaufendes sehen. Vielmehr wird man es nach De Luca als Ausdruck einer historischen Sensibilität zu bewerten haben, die weiß, daß menschliche Gesetze beim Adressaten kaum eine spontane Annahme finden werden, wenn ihr Inhalt nicht dessen Denk- und Lebensweise entspricht. 19 In der Kirche haben überhaupt nur solche Gesetze theologische Gültigkeit, die im Sinne der Heilssorge wirksam sein wollen und nicht auf der rechtspositivistischen Überlegung beruhen, daß der Befehl als solcher genüge, d. h. daß Existenz und Wirksamkeit einer kirchlichen Norm einzig durch formaljuridische Elemente bestimmt werden. Es mag vielleicht wundernehmen, daß ausgerechnet im 13. Jahrhundert, das durch Innozenz III. (+ 1216) eröffnet und durch Bonifaz VIII. (+ 1303) abgeschlossen wurde, sich in den Dekretalen Gregors IX. (a. 1234) - der ersten authentischen, einheitlichen, exklusiven und universalen Gesetzessammlung

17

Schulte, Geschichte (Anm. 9), 48 erklärt, daß dies „unzweifelhaft" der Name des Dekrets sei. Ph. Schneider schwächt etwas ab, wenn er meint, daß „einige behaupten, Gratian habe seinem Werke diesen Titel gegeben" (Die Lehre von den Kirchenrechtsquellen. Regensburg 2 1892 ? 109 Anm. 1). 18

Gratian , Dekret c. 2, D. XII: „Preceptis apostolicis non dura superbia resistatur, sed per obedientiam, que a sancta Romana et apostolica auctoritate iussa sunt , salutifere impleantur, si eiusdem sanctae ecclesiae Dei , que est caput vestrum, communionem habere desideratis... Cuius (Sedis Apostolicae) auctoritatis sanctionem omnes teneant sacerdotes , qui nolunt ab apostolicae petrae, super quam Christus universalem ecclesiam fundavit, soliditate divelli. Si quis hec apostolicae sedis precepta non observaverit , percepii honoris esse hostis non dubitetur . " 19

De Luca, Accettazione (Anm. 12), 275. Vgl. dazu Gratian , Dekret c. 2, D. IV: „ Erit autem lex honesta, iusta, possibilis, secundum naturam, secundum consuetudinem patriae, loco temporique conveniens, necessaria, utilis, manifesta quoque, ne aliquid per obscuritatem inconveniens contineat, nullo privato commodo, sed pro communi utilitate civium conscripta. "

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der Kirche - die römisch-rechtliche Maxime 20 findet: „ Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet. " 21 Die Rezeption einer solchen Maxime ist zunächst sicher durch das vertiefte Studium des römischen Rechtes durch die Bologneser Legistenschule zu erklären. Zum anderen darf aber nicht vergessen werden, und wir haben eingangs darauf hingewiesen, daß dieser Grundsatz von Anfang an in der Kirche seinen Platz hatte. Im Mittelalter erhält er neue Bedeutung und wird auf dem Gebiet des formalen Verfahrensrechtes insbesondere bei der Konsensbildung in Körperschaften angewendet (Kollegien, Kapitel, Universitäten). 22 Im 13. Jahrhundert nun gewinnt die Maxime neben der Anwendung im Bereich des privaten und formalen Rechtes wiederum Bedeutung als Prinzip der kirchlichen Verfas23

sung. Auf Aristoteles aufbauend 24, spricht der Berater des Bayernkönigs Ludwig IV., Marsilius von Padua (um 1275/80-1342/43), die erste und eigentliche Zuständigkeit für die Gesetzgebung im Staate der Gesamtheit der Bürger oder deren Mehrheit zu. Sie kommt zum Ausdruck durch Abstimmung oder Willensäußerung in der Vollversammlung der Bürger. 25 Menschen bilden politische Gemeinschaften, um die Mittel für ein vollmenschliches Leben zu sichern 20

Cod. Just. 5,59,5,2:,, Tunc etenim, sive testamentarii sive per inquisitionem dati sive legitimi sive simpliciter creati sunt, necesse est omnes suam auctoritatem praestare, ut, quod omnes similiter tangit, ab omnibus comprobeturVgl. Just. Dig. 39,3,8 (Ulpian); 8 3 11 (Celsus). 21 Gregor IX., Dekretalen c. 7 X 1,23: „Quum iuxta imperialis sanctionis auctoritatem ab omnibus quod omnes tangit approbari debeat, et quum commune eorum decanus officium exerceat, communiter est eligendus, vel etiam amovendus. " Vgl. auch ebd., c. 17 X 1,33. Reg. Juris in Sexto Nr. 29; CIC c. 101 § l , n . 2 . 22

Ausschließlich die Frage der Willensbildung in einer Körperschaft behandelt A. Toso in seinem Artikel: „Quod omnes uti singulos tangit ab omnibus probari debet." in: Juspont 18 (1938) 241-246. Hier wird allerdings die Maxime durch den Einschub „quod uti singulos tangit..." eingeschränkt. Die Reg. Juris 29 enthält sie nicht. omnes 23 Y. M.-J. Congar, Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet, in: RHDF 36 (1958) 210-259, hier 215. 24 Aristoteles, Politica III, c. 11,1281a. 25

Marsilius von Padua, Defensor Pacis. Dictio I, cap. 12, § 3 (Fontes Iuris Germanici 7 [Hannover 1932] 63): „Nos autem dicamus secundum veritatem atque consilium Aristotelis, legislatorem seu causam legis effectivam primam et propriam esse populum seu civium universitatem aut eius valenciorem partem, per suam eleccionem seu voluntatem in generali civium congregacione per sermonem expressam ...: valenciorem inquam partem, considerata quantitate personarum et qualitate in communitate illa super quam lex fer tur... "

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und um jenen zu widerstehen, die dieses zerstören. Was demnach für alle von Vorteil oder Nachteil ist, muß von allen gekannt und erkannt sein. Das trifft aber auf jeden Fall auf Gesetze zu. 26 Marsilius wendet diese grundsätzlichen Überlegungen kurz, aber ausdrücklich auf die Kirche an. Die Autorität und Vollmacht, kirchliche Gesetze zu erlassen, liegen bei der Gesamtheit der Kirchenglieder, die durch das Konzil repräsentiert wird. 2 7 Die rechtstheologische Grundlage für diese Meinung würde man am ehesten in einem Hinweis auf die Maxime „quod omnes tangit..." erwarten. Obwohl sie formell nirgendwo angezogen wird, findet sich die Idee als solche jedoch in der häufig wiederkehrenden Formulierung „legislator humanus fidelis". Der Kontext läßt jedoch die Annahme zu, daß darunter bisweilen auch der Regent gemeint sein kann. Schließlich war Marsilius ja dessen ideologischer Berater. 28 Kaum eine Schrift hat den Jurisdiktionsprimat des Petrusamtes für die Leitung der Kirche als sichtbarer Gesellschaft so radikal abzubauen beabsichtigt wie der Defensor Pacis des Marsilius. Zu diesem theoretisch-lehrhaften Versuch einer inneren Aushöhlung der päpstlichen Hoheitsgewalt gesellte sich eine kirchenpolitische Schwächesituation des Papsttums. Diese Lage der Dinge bot einen optimalen Boden für das Wachstum der konziliaren Idee. Eine Position, die bedeutend weniger extrem gegen die monarchische Leitung der Kirche durch den Papst gerichtet ist und auf die sich die Theoretiker des Konziliarismus direkter stützen werden, ist jene der mittelalterlichen Kanonisten, die die Korporationstheorie vertreten. Danach liegt die Regierungsgewalt nicht nur beim Haupt einer Gemeinschaft, sondern auch bei deren Glie-

26

Marsilius von Padua, ebd., § 7 (ed. cit. 68): „Convenerunt enim homines ad civilem communicacionem propter commodum et vite sufficienciam consequendam et opposita deelinandum. Que igitur omnium possunt tangere commodum et incommodum, ab omnibus sciri debent et a udiri, ut commodum assequi et oppositum repellere possint. " 27

Marsilius von Padua, ebd., Dictio, III, cap. 2, § 7 (ed. cit. 1090): „Decretales vel decreta Romanorum aut aliorum quorumlibet pontificum communiter aut divisim absque concessione legislatoris humani vel generalis concilii constituta, neminem obligare pena vel supplicio temporali nec spirituali ." Vgl. auch ebd., Dictio II, cap. 19, § 2; cap.

20, § 2.

28 Marsilius von Padua, ebd., Dictio II, cap. 21, § 1 (ed. cit. 402): „...ad solius humani legislatoris fidelis superiore carentis auctoritatem pertinere, aut eius vel eorum, cui vel quibus per iam dictum legislatorem potestas hec commissa fuerit, generale concilium convocare, personas ad hoc idoneas determinare, ipsumque congregari , celebrari et secundum for mam debitam facer e consummari... " Vgl. ebd., cap. 18, § 8.

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dem. 29 Einer allgemeinen Volkssouveränität wird daher nicht mehr das Wort geredet. Die in der Gemeinschaft ruhende Vollmacht wird nur als gelegentlich aktualisierbar gedacht, etwa bei päpstlicher oder bischöflicher Sedisvakanz.30 Die Korporationsidee bzw. jene der „universitas" präzisiert die konziliaristische Ekklesiologie so, daß die gemeinschaftliche Glaubensbeziehung zu Christus als oberstes Einheits- und Vollmachtsprinzip gesehen wird, dem sich alle übrigen Jurisdiktions- und Ordnungsinstanzen unterzuordnen haben. Die einmütige Verständigung in Sachen der Lehre und Disziplin ist „zugleich Ausdruck des Geistes Christi in der Kirche und des consensus fidelium. Allen auf einem allgemeinen Konzil einmütig beschlossenen Kanones müssen sich daher alle Gläubigen unterwerfen." 31 Sowohl das Dictum Gratians (c. 3, D. IV) als auch die römisch-rechtliche von den Dekretalen Gregors IX. rezipierte Maxime (c. 7 X 1,23) haben in der „Concordanza catholica" des Nikolaus von Kues in inhaltlicher und formaler Hinsicht ihren Niederschlag gefunden. Diese Gelegenheitsschrift, die allerdings dann sehr Grundsätzliches aussagte, wurde vom Autor Ende 1433 oder Anfang 1434 den Konzilsvätern in Basel vorgelegt. 32 Im Geiste der konziliaristischen Thesen gesteht der Kusaner in diesem Werk dem Papst ein von Gott verliehenes Gesetzgebungsrecht in der Kirche zu, das allerdings nicht als unbegrenzt zu verstehen ist. 33 Der römische Bischof verfügt

29

O. Gierke , Das deutsche Genossenschaftsrecht. Bd. 3: Die Staats- und Korporationslehre des Alterthums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland. Berlin 1881, 238-350. F. Zabarella, Tractatus de Schismate: Lectura super primo decretalium. Lyon 1517, fol. lOlr: „ ...id quod dicitur quod papa habet plenitudinem potestatis, debet intelligi non solus, sed tanquam caput universitatis, ita quod ipsa potestas est in ipsa umversitate tanquam in fundamento, sed in ipso tanquam ministro per quem hec potestas explicitur, ita tamen quod précédât clavis discretionis." Zit. bei K. Ganzer, Päpstliche Gesetzgebungsgewalt und kirchlicher Konsens, in: Von Konstanz nach Trient. FS Aug. Franzen. Hg. R. Bäumer. Paderborn 1972,171-188, hier 178. 30 Vgl. Ganzer, Gesetzgebungsgewalt (Anm. 29), 178. 31

W.Krämer, Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus (BGPhMA NF 19). Münster 1980,349. 32

E. Menthen, Nikolaus von Kues. Skizze einer Biographie. Münster 2 1964, 39. Vgl. H. Müller, Rezeption und Konsens in der Kirche. Eine Anfrage an die Kanonistik, in: ÖAKR 27(1976) 3-21. 33

Nicolaus de Cusa, De concordantia catholica libri très (Zit. CC) II 11 (ed. G. Kallen [Hamburg 1959-1965] 140 f.).: „Et licet apostolicis salubribus monitis sit oboediendum, 12 di. Apostolicis, et licet etiam sit fatendum Romanum pontificem potestatem statuendi habere a deo, ut notât glossa De electione Generali in Sexto, et quod hanc

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auf dem Konzil nicht über die Vollmacht, allgemeine Gesetze aufzustellen bei bloß konsultativem Votum der übrigen Teilnehmer, wenngleich, nach der Meinung des Cusanus, ihm gewisse Schmeichler dies zuerkennen möchten.34 Was die päpstliche Legislativgewalt einschränkt, ist die Notwendigkeit eines „communis consensus" ,35 Verpflichtungscharakter erhält das Gesetz durch den Konsens der Allgemeinheit „per usum et acceptationem" 36. Promulgation bzw. Publikation allein genügen dafür nicht. 37 Für das Gültigwerden eines Gesetzes wird deshalb gefordert: „potestas in statuente , approbatio statuti per usum et eiusdem publicatio" 38. Der Autor weist mit Bezug auf das Dictum Gratians (c. 6, D. IV) darauf hin, daß eine Unzahl päpstlicher Gesetze trotz Promulgation keine Annahme gefunden haben.39 Gegen das Konsensrecht der Allgemeinheit kann wegen dessen Verankerung im göttlichen Recht sich keine gegenläufige Gewohnheit entwickeln 4 0 Als kanonische Normen sind darum jene anzusprechen, die auf synodale Weise entstanden sind, weil eine Synode ihrer Eigenart entsprechend eine Provinz, ein Reich oder die Gesamtkirche vertritt. 41 Synodal zustandegekommene Bestimmungen tragen die „acceptatio" und „confirma-

potestatem nemo ab eo tollere potest , ut notatur 2 di. c. 2 per Archidiaconum er Antonium de Butrio De translatione c. 1, quod tamen limitate intelligendum est secundum ea, quae in fine huius partis secundae dicuntur... " 34

CC II 12 (ed. cit. 146): „...in conciliis Romanum pontificem in condendis statutis generalibus eam non habere potestatem, quam quidam adulatores eidem contribuunt, scilicet quod ipse tantum statuer e habeat aliis consulentibus... " 35

CC II 11 (ed. cit. 144): „...quod canonum statuendorum auctoritas non solum dependet a papa, sed a communi consensu. " 36

CC II 9 (ed. cit. 137 f.): „Sed dico quod statutorum obligatorialis requirit consensum per usum et acceptationem. "

virtus cum hoc

37

CC II 11 (ed. cit. 141): „...non sufficit quod sit publice promulgatum , sed oportet quod acceptetur et per usum approbetur... " 38 CC II 11 (ed. cit. 141). 39

Ebd.: „ Unde videmus innumera apostolica statuta etiam a principio postquam edita fuere y non fuisse acceptata. In quibus omnibus régula est quae habetur 4 di. §: Haec etsi legibus constituta sint... " 40 CC II 11 (ed. cit. 144): „Et contra hanc conclusionem nulla praescriptio vel consuetudo valere potest , sicut nec contra ius divinum et naturale , a quo ista conclusio dependet. " 41

CC II 11 (ed. cit. 142): „...illa sunt canonica statuta y quae sunt synodice constituta, quoniam synodus repraesentat secundum suam qualitatem aut provinciam aut regnum aut universalem ecclesiam. "

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tio" in sich, wenngleich sich die Wirkkraft der Gesetze durch die tatsächliche Übung (,, usus") erweist. 42 Im Vorwort zum dritten Buch der „Concordantia", das, wie die zahlreichen Allegationen zeigen, unter einem stärkeren Einfluß des Marsilius von Padua steht 43 , erklärt der Kusaner, daß die legislative Tätigkeit von all jenen ausgeübt werden muß, die von ihr betroffen werden oder von der gewählten Mehrheit, da sie für das Gemeinwohl ausgeübt werden muß. Was für alle von Belang ist, muß auch von allen bestätigt werden. Eine allgemeine Norm kann nur durch die Zustimmung aller oder zumindest der Mehrheit getragen werden. 44 In dieser Formulierung wird die Rezeption vom Kusaner als konstitutives Element der Rechtsverbindlichkeit eines Gesetzes bewertet bzw. der NichtRezeption gesetzaufhebende Wirkung zugesprochen. Anders sieht Nikolaus hingegen die Rezeption der Kanones und Dekrete der allgemeinen Konzilien. In diesem Falle sind alle Rechtskonstitutiva, Konkordanz und Konsens, Repräsentanz und Approbation, durch die Beratung, die Beschlußfassung und die Unterschrift der Konzilsväter gegeben.45 Es mag an dieser Stelle reizvoll sein, darauf hinzuweisen, daß die Parteigänger des Papstes in Basel die konziliaristische „Waffe" der Rezeption dazu benützt haben, um sie gegen die Konziliaristen anzuwenden. Als nämlich auf dem Reichstag zu Mainz (1441) die päpstlichen Vertreter um die Anerkennung ihres Herrn, Papst Eugens IV., kämpften, taten sie dies mit dem Hinweis, daß dessen vom Basler Konzil ausgesprochene Absetzung durch die Mehrzahl der Bischöfe und Gläubigen nicht rezipiert worden sei. 46

42

CC II 11 (ed. cit. 142): „Quidquid enim synodice sic constituitur, et aeeeptationem et confirmationem, licet robur in usu vigeat. " 43

secum apportai

Vgl. Ganzer, Gesetzgebungsgewalt (Anm. 29), 187 Anm. 93.

44

CC III prooem. (ed. cit. 318): „ Legis autem latio per eos omnes, qui per eam stringi debent, aut maiorem partem aliorum electione fieri debet, quoniam ad commune conferre debet, et quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet, et communis diffinitio ex omnium consensu aut maioris partis solum elicitur. " 45 CC II 13 (ed. cit. 159 f.): „Synodus enim non solum auctoritate eorum qui sunt praesentes diffinit, sed omnium, ut dicit Gregorius universali consensu ea esse statuta, quae per episcopos, qui praesentes sunt alios repraesentantes, statuuntur... Censentur enim Uli praesentes aliis rite ad synodum spectantibus convocatis communi legatione omnium auctoritatem habere ex praemissis. " 46

Verhandlungen und Beschlüsse Nr. 348 (DRTA 15,648, Ζ. 36 f.): „ ...quod Basilee presumptum est, per majorem partem episcoporum Christianitatis er ecclesie per orbem diffuse non est receptum. "

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Die papalistische Ekklesiologie eines Augustinus Triumphus und anderer päpstlicher Parteigänger mit ihrer These, daß alle und jede Zuständigkeit in den Händen des obersten Jurisdiktionsträgers liege 47 , hatte konsequenterweise das Schwergewicht auf einen formal geordneten Ablauf des kirchlichen Lebens gelegt. Die inhaltliche Seite der Verfügungen wurde nicht als das bestimmende Prinzip für kirchliche Anordnungen gesehen, und schon gar nicht hatte das Kirchenvolk aufgrund seiner Art, den Glauben zu leben, eine bestimmende Wirkung auf die Gesetzgebung. Jedwede Form der Mitbestimmung, selbst jene der Rezeption, hatte sich im Laufe des Mittelalters auf den höheren Klerus oder die Universitäten verlagert. Die straffere Organisation der Kirche und die Zentralisierung ihrer Leitung hatten u. a. zur Folge, daß Prinzipien wie Wahl und Konsens nur noch eine Sache weniger besonders ausgewählter Gremien waren. Das von verschiedenen Seiten in die Kirche eingebrachte Anliegen einer Wiederbelebung der Rezeption lief darauf hinaus, urkirchliche Formen gemeinschaftlicher Disziplinwahrung und Ausgestaltung des Glaubens durch die ganze Gemeinde wieder zu neuem Leben zu erwecken. 48 Betrachtet man das Volk Gottes nicht als Objekt der christlichen Verkündigung, sondern als Träger des Glaubens, dann läßt eine solche Sicht des glaubenden Volkes Raum für eine freie, bewußte Annahme der Lehrinhalte der Kirche und für eine Bejahung kirchlicher Ordnungen durch die Art ihrer Beachtung und Übung. Eine solche theologische Einschätzung des Kirchenvolkes will indes keineswegs besagen, daß die Vollmachten kirchlicher Funktionsträger vom Volk ausgehen. Sie will aber im Sinne des 2. Vatikanums darauf hinweisen, daß die Getauften durch ihr Personsein in der Kirche, durch ihre vielfältige Weise, den Glauben zum Ausdruck zu bringen, gleichzeitig dazu berufen sind, zusammen mit den Trägem der potestas sacra Inhalte, Wege und Weisen zu suchen, die bestmöglich zielführend sind. Wenn man das Amt nicht als Gelegenheit zum Herrschen, sondern als Ruf zum Dienen versteht und wenn man potestas nicht als Macht, sondern als Auftrag und Verantwortung für das Heil der Anvertrauten betrachtet, dann wird es das Anliegen der kirchlichen Gesetzgebung sein, ihre Inhalte am bonum des Volkes Gottes zu orientieren unter Berücksichtigung aller Umstände und nicht auf die formale Befolgung kirchlicher Normen um jeden Preis zu pochen. Mit dem Gedanken, daß der eine Glaube in vielfältiger Weise zum Ausdruck kommen kann, ja muß, kommt ein weiterer Aspekt in den Blick, der für die Rezeption des neuen Kirchen rechtes bedeutungsvoll sein kann.

47

Vgl. Augustinus Triumphus, Summa de potestate ecclesiastica. Rom 1584, 350: „Papa potest omnia iura confirmare, conder e et relaxare. " Vgl. dazu auch M.J. Wilks, The problem of sovereignty in the later middle ages (CSMLT NS 9). Cambridge 1964. 48 Vgl. Krämer, Konsens (Anm. 31), 350.

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I I . Inkulturation - Rezeption Es wird der Beobachtung kaum jemandes entgehen, daß das Identitätsverständnis der Völker, besonders solcher, die über lange Zeitspannen hinweg in kultureller und politischer Abhängigkeit von anderen Nationen, vornehmlich europäischen, gelebt haben, heute neu erwacht und sich vertieft. Zum Selbstverständnis eines jeden Volkes gehört es, daß es sich des Wertes der eigenen Kultur, der bodenständigen Sitten und Gebräuche bewußt wird. Als besonders schwierig erweist sich der Prozeß des Innewerdens der Eigenständigkeit einer gewachsenen Kultur, wenn sich die Frage der Annahme einer nicht auf dem Heimatboden entstandenen Religion stellt; denn die bodenständigen Kulturen sind in den meisten Fällen mit herkömmlichen religiösen Elementen verwoben. Das Problem verschärft sich, wenn man bedenkt, daß das Christentum häufig die Religion jener Völker ist oder war, die andere Völkergemeinschaften durch Eroberungsmethoden unterschiedlicher moralischer Qualität in ihre Abhängigkeit gebracht haben. Aber selbst wo die christliche Religion nicht mit dem Makel des Kolonialismus oder anderer politischer Implikationen belastet ist, steht das Problem an, dem Christentum eine dem Volkstum entsprechende Ausdrucksform zu geben. Kardinal Joseph Malula (Kinshasa, Zaire) hat das Anliegen für Afrika so formuliert: „Die auswärtigen Missionare haben Afrika christianisiert, heute werden die Schwarz-Afrikaner das Christentum afrikanisieren." 49 Afrikanisierung der Liturgie und Theologie bedeute indes nicht deren Änderung. Der Prozeß will vollzogen sein in der Treue zur authentischen Tradition der Kirche. Auf den letzten drei Generalversammlungen der Bischofssynode bot das jeweilige Hauptthema reichlichen Diskussionsstoff zur Frage der Inkulturation. 50 Das mag als Indikation für die Bedeutung gelten, die dieses Problem für die apostolische Tätigkeit der Kirche von heute hat, hauptsächlich aber für den gegenwärtigen Dialog, der im Zusammenhang mit der Einführung der evangelischen Botschaft in die alten Kulturen Afrikas, Asiens und Ozeaniens geführt werden muß. Was sagen kirchliche Dokumente über das Wesen der Inkulturation, über die Grundsätze ihrer Anwendbarkeit, und welche Probleme ergeben sich für die allgemeine Gesetzgebung?

49

(Anonymus) Il problema dell'inculturazione oggi, in: CivCatt 129 (1978) 313-322, hier 313. 50

Die Bischofssynode von 1974 behandelte das Thema Evangelisierung, jene von 1977 erörterte die Probleme der Katechese und jene von 1980 beschäftigte sich mit der Frage der Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute.

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Der Ausdruck „Inkulturation" ist ein Neologismus und kommt in einem offiziellen kirchlichen Dokument, wie es scheint, zum ersten Mal in der „Botschaft an das Volk Gottes" vor. Mit dieser wurde die allgemeine Versammlung der Bischofssynode 1977 abgeschlossen, und darin ist von der Katechese als einem „Instrument der Inkulturation" die Rede.51 Wenn auch der Ausdruck neu ist, mit dem damit bezeichneten Anliegen ist die Kirche seit ihren Anfängen konfrontiert. Die Auseinandersetzung über die Beschneidung von Heiden (Apg 15,1-35) und die Vision des Petrus in Joppe (Apg 10,9-23 und 3435) bilden erste Anhaltspunkte für ein Problem, das sich in abgewandelter Form bei der Christianisierung eines jeden Volkes gestellt hat. 52 Wenn man nun die Sache selbst nicht als neu ansprechen kann, so wird man jedoch die Erfahrung als neu bezeichnen können, die jene Völker machen, die in die politische Unabhängigkeit entlassen worden sind und das Christentum sozusagen als Importrest aus der Zeit der Fremdherrschaft erfahren. Mit der Entfaltung der Eigenständigkeit und der Gestaltung des öffentlichen Lebens nach volkseigenen Sitten und Gebräuchen, ergab sich von selbst die Aufgabe einer neuen Bestimmung des Verhältnisses zum Christentum. Als besonderes Hindernis erweist sich dabei der Umstand, daß die Sitten und Gebräuche eines Volkes mit Elementen der bodenständigen Religionen und Kulte versetzt sind, die nach wie vor einen Wert für das Lebensgefühl einer Gemeinschaft besitzen. Inkulturation will mehr als Adaptation oder Akkommodation des Evangeliums, der Kirche und ihrer Gesetze an die lokalen Gebräuche sein. 53 Die christliche Botschaft soll integriert und inkarniert werden, um dann vom Volk neuformuliert in eigenen Denkkategorien, Symbolen, Kultformen zum Ausdruck gebracht zu werden. „Die Inkarnation des Evangeliums im Leben der Kirche verlangt, daß Christus auf verschiedene Weise verkündet und gefunden wird, je nach der Verschiedenheit der Länder, der Milieus und der Kulturen" 54 , 51

Oss. Rom. (deutsch) 7 (1977) Nr. 45 vom 11.11.1977, S. 6, Sp. 3.

52

Vgl. H. B. Meyer, Zur Frage der Inkulturation der Liturgie. In: ZKTh 105 (1983) 1-31, hier 11 f. 53 Johannes Paul //., Adhort. Apost. „Catechesi Tradendae" Nr. 53, in: AAS 71 (1979) 1319 f.: „Der Ausdruck ,Akkulturation' oder Inkulturation' (ist) zwar eine sprachliche Neubildung, bringt jedoch sehr deutlich die einzelnen Elemente des großen Geheimnisses der Inkarnation zum Ausdruck." Vgl. dazu AAS 71 (1979) 607. Über die Bedeutungsnuancen der Begriffe Akkommodation, Adaptation, Akkulturation siehe A. Roest Crollius, What is so new about inculturation? A concept and its implications, in: Gr. 59 (1978) 721-738, hier 721-725; F. X. Clark , Inculturation: Introduction and History, in: Teaching All Nations 15 (1978) 211-225, hier 211-213; Meyer , Frage (Anm. 52). 54

32. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu 1974/75,4. Dekret, Nr. 103.

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wobei auf die Reichtümer eines jeden Volkes und Landes Rücksicht zu nehmen ist 5 5 . Daß einem solchen Prozeß besondere Schwierigkeiten inhärieren, ist ohne weiteres einsichtig, geht es doch schließlich darum, die Treue zum Kulturerbe, zum Eigenleben, zur eigenen Vitalität mit der Treue zum christlichen Offenbarungsgehalt in Einklang zu bringen. Die Evangelisierung der Kulturen darf keinen bloß dekorativen Charakter nach Art eines oberflächlichen Anstrichs tragen, sondern muß mit vitaler Kraft bis zu ihren Wurzeln vordringen. 56 Demnach kann man sie näherhin bestimmen als Einsenkung des christlichen Offenbarungsgutes in den Kulturboden eines Volkes in der Weise, daß der Glaubenskeim sich nach der Beschaffenheit und Schöpferkraft dieses Mutterbodens entfalte und seine Besonderheiten in das Glaubensleben einbringe. 57 Die Verkündigung des Evangeliums transzendiert jede Besonderheit der Rasse oder Nationalität oder Kultur und kann deshalb von niemandem und nirgendwo als fremd erachtet werden. 58 Der Glaube selbst ist also an keine bestimmte Kultur gebunden, er kann aber nur in der Form einer bestimmten Kultur bestehen. Die Heilsbotschaft, die die Kirche von Christus und von den Aposteln erhalten hat, wurde zunächst in Formen der jüdisch-palästinensischen Kultur artikuliert. In den ersten ökumenischen Konzilien ist sie von Männern getragen und formuliert worden, die von der antiken Kultur des Mittelmeerraumes geprägt waren; die Symbole und Glaubensbekenntnisse erhielten so das sprachliche Kleid der hellenistischen Kultur. Die Kirche hätte ihr Verständnis der biblischen Botschaft in anderen Termini als jenen des Hellenismus zum Ausdruck bringen können, aber sie konnte dies nicht, ohne sich einer Kultur zu bedienen. Die Botschaft Jesu ist deshalb geschichtlich, und dies nicht nur als

55

Paul VI., Adhort. Apost. JEvangelii Nuntiandi" Nr. 20, in: AAS 68 (1976) 18: „...necessario usurpanda sunt quaedam elementa culturae et culturarum humanarum." 56

Paul VI., ebd.

57

Vgl. (Anonymus), Problema (Anm. 49) 315.Vgl. auch den Brief des Generals der Gesellschaft Jesu P. Arrupe an die gesamte Gesellschaft über die Inkulturation: „...inculturation es la encarnación de la vida y mensaje cristianos en una area cultural concreta, de tal manera que esa experiencia no solo llegue a expresarse con los elementos propios de la cultura en cuestión (lo que no seria mas que una superficial adaptación), sino que se convierta en el principio inspirador, normativo y unificador que transforme y re-cree esa cultura, originando asi ,una nueva creation'.", in: ARSJ 17 (197779) 229-237, hier 230; Crollius , Inculturation (Anm. 53) 735; Clark , Inculturation (Anm. 53), 216. 58

Vgl. VatlI AG 8.

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Tatsache, sondern von Rechts wegen, d. h. sie konnte nicht nicht-historisch sein, sich nicht in einem nicht-kulturellen Kleid präsentieren. 59 Geschichtlichkeit der evangelischen Botschaft bedeutet nicht nur die Notwendigkeit, daß sie sich in einer Geschichte zu verleiblichen hat, welche immer diese sein mag, sondern beinhaltet auch und vor allem, daß ihre eigene Form jene und nur jene ist, die sie historisch angenommen hat. Christliche Botschaft ist nicht ein Ganzes von Wahrheiten, die außerhalb von Raum und Zeit liegen, sondern eine Abfolge von historischen Fakten, deren Zentrum die Person und das Werk Jesu von Nazareth bilden. Die Botschaft Jesu ist mit einer bestimmten kulturellen Form so verbunden, daß sie ohne sie nicht bestehen und verstanden werden kann. Jeder Versuch einer Inkulturation des Christentums kann deshalb nicht von der Tatsache Abstand nehmen, der Spezifität der Botschaft Jesu, wie sie in der Schrift und im Lehramt zum Ausdruck kommt, treu zu bleiben. 60 Da es aber nicht von vornherein und von selbst schon gegeben ist, in den lokalen Kulturen Ausdrücke, Begriffe und Formen zu finden, die in adäquater Weise die christliche Wirklichkeit wiederzugeben vermögen, entstehen bei der Inkulturationsarbeit eine Reihe von Problemen. Man denke nur an die Vielfalt des Begriffsinhaltes jener Worte, die ein höchstes Wesen bezeichnen. Andererseits gibt es in den lokalen Kulturen bisweilen eine Fülle von sakralen Symbolen, Riten und sonstigen Ausdrucksformen des religiösen Lebens, die für die Wiedergabe des christlichen Gedankengutes nützlich und behilflich sein können. Inkulturation, die aus dem Wesen der katholischen Kirche heraus sich als notwendig erweist, verlangt daher nach einem Dialog, nach einer kreativen Spannung zwischen der Botschaft Jesu und der Kultur des Glaubenden; denn die Trennung von Glaube und Kultur erweist sich als eine nicht geringe Schwierigkeit für die Glaubensverkündigung. 61 Der Mensch, der Adressat der Verkündigung und aktives Subjekt des ekklesialen Lebens sein soll, ist zutiefst an die Kultur seines Ursprungslandes gebunden, und zwar als ein Element seiner Identität und Personalität. Damit wird die Inkulturation zu einem Grundprinzip der Glaubensverkündigung, insofern die Ausbreitung des Reiches Got-

59

Vgl. (Anonymus), Condizioni e limiti dell'inculturazione, in: CivCatt 129 (1978) 417-427, hier 418. 60 Vgl. ebd., 419 f. Johannes Paul //., Apost. Konstitution „Sapientia Christiana", Einleitung I, in: AAS 71 (1979) 469 f.

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tes nicht auf die Gegebenheiten der Kultur und der Kulturen verzichten kann. 6 2 Die Kirche weiß, daß die Glaubensbotschaft, ohne an Gehalt und Wandlungskraft etwas einzubüßen, in jede gesunde Kultur Eingang finden kann und auch muß. Denn es handelt sich dabei um einen echten Anspruch, sei es der Botschaft selbst, die für alle Menschen und V ö l k e r bestimmt ist, sei es auch der Adressaten, die ein Recht besitzen, an Gottes Wort zu glauben, es zu leben und nach der ihnen eigenen Denk- und Lebensweise zum Ausdruck zu bringen. Dabei w i l l die Kirche nicht die Entscheidung des Apostelkonzils in Jerusalem vergessen, die sich angesichts der Inkulturation der Heiden stellte. „Der H l . Geist und w i r haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, B l u t , Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig." ( A p g 15,28.29) 6 3

62 Vat II LG 13: „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken." Paul VI., „Evangelii Nuntiandi" (Anm. 55), Nr. 20, S. 18 f. Johannes Paul II., Adhort. Apost. „Familiaris Consortio" Nr. 10, in: AAS 74 (1982) 90 f.: „Von den Kulturen der Völker all das anzunehmen, was den ,unergründlichen Reichtum Christi' besser zum Ausdruck bringen kann, entspricht der durchgehenden Tradition der Kirche. Nur im Zusammenwirken aller Kulturen kann dieser Reichtum immer klarer geoffenbart werden und kann die Kirche in ein von Tag zu Tag vollkommeneres und tieferes Verstehen der Wahrheit hineinwachsen, die ihr bereits in ganzer Fülle vom Herrn geschenkt ist." 63 Modell einer Inkulturationsarbeit wird der Chinamissionar Matteo Ricci bleiben. Erst nach 24jährigem Studium der spezifisch historischen Wirklichkeit und der chinesischen Kultur in Zhaoquing (Südchina) sah er sich hinreichend vorbereitet, um die Evangelisationsarbeit im Herzen des Reiches zu beginnen. Eine Instruktion der Kongregation der Propaganda Fide von 1659 an die nach Hinterindien entsandten Apostolischen Vikare Pallu und de la Motte inspirierte sich an der Methode Riccis. Darin lesen wir: „Versucht in keiner Weise die Völker, dazu zu bringen, ihre Riten, Gebräuche und Sitten zu ändern, sofern diese nicht ganz klar gegen Glaube und Sitten sind! Was gibt es Absurderes, als bei den Chinesen Frankreich, Spanien oder irgendein anderes europäisches Land importieren zu wollen! Führt bei ihnen nicht unsere Länder ein, sondern den Glauben, diesen Glauben, der die Sitten und Gebräuche keines Volkes zerstört, sofern diese nicht in sich schlecht sind, sondern der will, daß man sie bewahrt und beschützt." (Vgl. Collectanea S. Congregationis de Propaganda Fide. Bd. 1. Rom 1907, 135.) Wie der Ritenstreit des 17. / 18. Jahrhunderts zeigt, hat sich die Propaganda-Kongregation selbst nicht an die in der Instruktion formulierten Maximen gehalten. Vgl./C Schatz, Inkulturationsprobleme im ostasiatischen Ritenstreit des 17. /18. Jahrhunderts, in: StdZ 197 (1979) 593-608. Anläßlich der vierten Jahrhundertfeier der Ankunft Riccis in China im vergangenen Jahr haben die Bischöfe Taiwans in einem gemeinsamen Hirtenbrief dessen Werk würdigen wollen. Darin sprechen sie die Hoffnung einer Erneuerung in der katho-

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Verkündigung muß in der Kirche immer unter Respektierung der Freiheit und Verantwortung des Menschen geschehen. Kultur, Gewohnheit, Brauchtum, Sitte sind aber auch ein Werk dieser Freiheit. Ein afrikanischer Oberhirte weist darauf hin, daß das Volk seines Kontinents die Botschaft vom Leben durch die Missionare angenommen hat und nun daran ist, im Leben für diesen Glauben einen authentischen Ausdruck zu finden. Bei diesem Unterfangen entwickelt sich seine Verantwortung für das begonnene Werk, eine Mit-Verantwortung im Dienst der Verkündigung des Evangeliums.64 Wenn Inkulturation im Dialog verwirklicht wird, 65 so bedeutet dies, daß das Volk als Träger der Kultur und des Brauchtums in verantwortlicher Weise an diesem Prozeß beteiligt ist. Die kreative Kraft des Volkes bei der Formgebung des Glaubenslebens ist wesentlich an die vorgegebenen Werte wie Sprache, Kunst, Gewohnheit, Gefühlsqualität gebunden und erhält von daher eine besondere Prägung. Das bedingt eine große Mannigfaltigkeit der (Er-)Lebensweisen des Glaubens. Die Einheit im Glauben steht nicht gegen die Vielfalt seines Ausdrucks. Die Einheit des Glaubens fordert durchaus keine Einheitlichkeit der Glaubensäußerung. Die Berücksichtigung der Spezifität der nationalen und kulturellen Lebensweisen ist vielmehr im Respekt vor einem Grundrecht des Menschen impliziert. Die Tatsache, daß im Laufe der Geschichte Teilkirchen oder nationale Kirchen starke Eigengewohnheiten entwickelt haben, mag als Zeugnis dafür gelten, welch starkes Bewußtsein für das Recht der Eigengestaltung kirchlichen Lebens immer schon bestanden hat. Die durch die Inkulturation nicht nur mögliche, sondern auch notwendige Vielfalt der Glaubensäußerung auf der einen Seite und die allgemeine Gesetzgebung, die eine grundlegende Einheitlichkeit des Handelns in der Kirche sichern soll, auf der anderen wirft erneut die Frage der Rezeption auf. Eine Gesetzgebung, die das kirchliche Leben bis ins einzelne reglementiert, läßt für

lischen Kirche im Geiste Matteo Riccis aus, „der ein Geist des Eifers für die Evangelisierung und der Ehrfurcht vor der chinesischen Kultur" ist. A. F., 1 Vescovi di Taiwan esaltano Matteo Ricci. Nel quarto centenario dell'arrivio in Cina, in: Oss. Rom. 122 (1982) Nr. 292 vom 17.12.1982,5 u. Nr. 293 vom 18.12.1982,5, hier Nr. 293. 64 Vgl. A. T. Sanon, Situation missionaire nouvelle, in: Telema 4 (1978) H. 2,13-21, hier 15. 65

Final Statement of the FABC Assembly in Taipei 1974: „The local church is a church incarnate in a people, a church indigenous and inculturated. And this means concretely a church in continuous, humble and loving dialogue with the living traditions, the cultures, the religions - in brief, with all the life-realities of the people in whose midst it has sunk its roots deeply and whose history and life it gladly makes its own.", in: His Gospel to Our Peoples ... Bd. 2. Manila 1976,332. Zit. in Gr. 59 (1978) 728.

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Variationen und Varietät, wie sie mit Inkulturation gegeben ist, kaum einen Spielraum. 66 Unter Varietät sind keineswegs Modetrends in der liturgischen Gewandung oder die Buntheit der Insignien der Domkapitulare oder die den Priester als solchen kennzeichnende Kleidung gemeint. Diese Dinge tangieren glücklicherweise keine Glaubensgehalte und verfassungsrechtlichen Strukturen der Kirche. 67 Die Aufforderung Pauls V I . an die am 31. Juli 1969 in Kampala (Uganda) versammelten Bischöfe Afrikas, die Kirche katholisch zu erhalten, d. h. sie auf dem Patrimonium der Lehre Christi und der authentischen Tradition der einen und wahren Kirche aufzubauen, zugleich aber diesem einen und einzigen Glauben eine Aussageweise zu geben, die dem Eigencharakter des Volkes, seiner Sprache, seinem Genius entspricht 68 , läßt für das konkrete, im Alltag gelebte Christentum eine Reihe von Spannungen entstehen. Das allgemeine kirchliche Gesetz ist auf einheitliche Verhaltensweisen ausgerichtet. Nun ist aber ein Gesetz eine Verhaltensregel für das Leben, ist ein Mittel zur Verwirklichung des Gemeinwohls. Was aber Gemeinwohl für ein Volk darstellt und was im Sinne und zur Sicherung des Gemeinwohls zu geschehen hat, auch im Bereich des kirchlichen Lebens, kann nur unvollständig durch zu sehr auf Allgemeinheit abgestimmte und von außen kommende Bestimmungen eingeholt werden. Kardinal Laurean Rugambwa (Dar-es-Salam) forderte auf der Bischofssynode von 1980 größere Kompetenzen für die lokalen Bischofskonferenzen hinsichtlich der kirchlichen Gesetzgebung, und ein Amtskollege erinnerte die Synode daran, den Unterschied zwischen wesentlichen und immer gültigen Lehren über

66

Vgl. J. Fornés, La costumbre contra legem, hoy, in: La norma en el derecho canonico. Actas del III congreso international de derecho canonico. 1976. Bd. 1. Pamplona 1979,747-781, hier 747 f. Vgl. dazu die Beobachtungen von H. Müller, Das Gesetz der Kirche „zwischen" amtlichem Anspruch und konkretem Vollzug (Eichstätter Hochschul reden 13). München 1978,11 f. 68 AAS 61 (1969) 576 f.: „...your Church must be first of all Catholic. That is, it must be entirely founded upon the identical, essential, constitutional patrimony of the selfsame teaching of Christ, as professed by the authentic and authoritative tradition of the one true Church. This condition is fundamental and indisputable. ... The expression, that is, the language and mode of manifesting this one Faith, may be manifold; hence, it may be original, suited to the tongue, the style, the character, the genius, and the culture, of the one who professes this one Faith. From this point of view, a certain pluralism is not only legitimate, but desirable."

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die christliche Ehe sowie kontingenten und verbesserungsfähigen nicht aus dem Auge zu verlieren. 6 9 Man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß der Konsens zu gewissen Abschnitten des allgemeinen Gesetzes nicht leichtfällt, wenn er überhaupt gegeben w i r d . 7 0 Das betrifft nicht allein ein V o l k , das eine besonders eigengeprägte K u l t u r und Lebensweise hat. Der Christ, von dem gefordert wird, Verantwortung in der Kirche zu tragen und die A r t des Lebens in der Kirche mitzugestalten, w i r d sich mehr und mehr berechtigt fühlen, darauf hinzuweisen, was an situationsgerechten und zielführenden Maßnahmen für eine Gemeinde getroffen werden soll. A l s Leitprinzipien jeglicher Form von Anpassung müssen aber die Wahrung der Integrität der evangelischen Wahrheit und die communio mit der Gesamtkirche festgehalten werden. 7 1

69 Vgl. HK 34 (1980) 622, Sp. 2. Einige Ortsoberhirten haben die Spannung zwischen Eigengesetzlichkeit und allgemeiner kirchlicher Gesetzgebung sehr scharf formuliert. So der Bischof von Khartoum (Sudan) W. G. Zubeir : „II importe que notre conférence comble le fossé entre le rites de l'Église et les rites coutumiers. Au Soudan, aucun mariage n'est stable s'il n'est d'abord valide et stable au regard des normes tribales. Cela conduit, inévitablement à une dichotomie dans les célébrations du mariage et réduit la célébration à l'Église à une pure bénédiction formaliste." Bischof P. P. Dery von Tamale (Ghana): „Le problème qui fait obstacle à la famille chrétienne au Ghana est le mariage chrétien lui-même. La cause majeure d'une telle situation est l'incapacité de 1 Église d'examiner sérieusement la nature du mariage traditionell et de l'élever au niveau du rite sacramentel." Bischof J. Β. Gahamanyi von Butan (Rwanda) zum Problem der Polygamie: „Ma sensibilité d'Africain a été blessée à la lecture des ,Lineamenta' sur ,Plénitude du lien nuptial'... C'est la condamnation implicite, mais radicale de la polygamie... La condamnation de cette coutume de la polygamie restreinte régissant un passé récent, pèse lourd dans la mentalité de mes compatriotes." Vgl.7. M. Aubert, Le synode des évêques face aux difficultés de la famille d'aujourd'hui, in: RDC 32 (1982) 156-166, hier 166. 70

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Zaire sprach sich auf der Bischofssynode von 1980 für eine Dezentralisierung kirchlicher Zuständigkeiten in allen Fragen aus, die die „Inkulturation" des christlichen Glaubens in Afrika betreffen. Bischof A. Kaseba von Kaelemie-Kirungu (Zaire) äußerte die Meinung, die Kirche müsse anerkennen, daß die Eheschließung in Afrika sich über mehrere Etappen erstrecke, da die Ehe in der afrikanischen Kultur nicht als punktueller Akt, sondern als dynamischer Prozeß verstanden werde. Dabei handle es sich nicht um etwas Ungewöhnliches oder Anstößiges, die Kirche verlange ja eine schrittweise Einführung auch von ihren Katechumenen und angehenden Ordensleuten. Vgl. ÖAKR 32 (1981) 342. 71 Johannes Paul II., „Familiaris Consortio" (Anm. 62), Nr. 10, S. 91: „Geleitet von dem doppelten Grundsatz der Vereinbarkeit der verschiedenen in Frage kommenden Kulturen mit dem Evangelium und der Verbundenheit mit der universalen Kirche muß

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In diesem Spannungsfeld stellt sich nun die Frage, in welcher Form Mitbestimmung möglich sein wird. I I I . Recht auf Selbstbestimmung Wenn die je neu und in verschiedener Weise inkulturierte Botschaft Jesu notwendig zu einem mannigfaltigen Ausdruck christlichen Lebens führt, so impliziert dies die Tatsache, daß das Volk Gottes an dieser spezifischen Gestaltwerdung des Glaubens aktiv beteiligt ist. Da Inkulturation nicht einfachhin Annahme des Glaubens besagt, sondern eine dem Volkscharakter konnaturale oder kongeniale Wiedergabe des einen Glaubens, bestimmt das Volk die besondere Weise, den Glauben zu leben, mit. Jedes Leben vollzieht sich aber nach Ordnungen und Regeln, die durch den Volkswillen geprägt sind. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage: Wie kann das Volk Gottes in der Kirche am Zustandekommen verbindlicher Normen teilhaben? Betrachtet man das Problem von der Seite des Gesetzgebers, dann steht fest, daß es dessen Aufgabe ist, ein den Zeitgegebenheiten und dem Volkstum entsprechendes Gesetz zu erlassen. Binden Staatsgrenzen eine Vielheit von Völkern und Volksgruppen zusammen, wird der Gesetzgeber dies in seiner Gesetzgebung zu berücksichtigen haben, will er dem Gemeinwohl seiner verschiedenen ethnischen Gruppen gerecht werden. Geschieht dies nicht, stellen sich ihm früher oder später Probleme der Minderheiten in Form von Autonomiebestrebungen, von separatistischen Tendenzen, die bisweilen sehr extreme Formen annehmen und die Einheit des Staates auf Kosten einer falsch interpretierten Uniformität in Frage stellen oder erschüttern. Die Berücksichtigung der Vielfalt in der Legislation kann nicht etwa als ein Entgegenkommen oder eine Gnade des Gesetzgebers angesprochen werden, sondern ist vielmehr als ein Ernstnehmen von Grundrechten zu werten, die ein Leben der Menschen nach ihrer Eigennatur und den von ihnen geschaffenen Kulturwerten gewährleisten. Der Versuch, die Einheit eines Staates auf dem Weg einheitlicher Gesetzgebung zu erreichen, erweist sich - es sei denn in totalitären Systemen, denen es um äußere Uniformität geht - selten als zielführend. Wenn Inkulturation als Anliegen ernstgenommen wird und die eine Botschaft Jesu in einer Mannigfaltigkeit von Lebensformen wiedergegeben werden

man durch weitere Studien ... und durch weiteren pastoralen Einsatz dazu beitragen, daß diese ,Inkulturation' des christlichen Glaubens in immer größerem Umfang geschehe, auch im Bereich von Ehe und Familie." Ders., Adhort. Apost. „Catechesi Tradendae" Nr. 53, in: AAS 71 (1979) 1320: „Es würde sich nicht mehr um Katechese handeln, wenn es das Evangelium wäre, das sich beim Kontakt mit den Kulturen ändern müßte." 66 FS Mühlsteiger

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soll, dann besagt dies nicht mehr, aber auch nicht weniger, als daß das Volk Gottes in seinem spezifisch geprägten Lebensraum aktiven Anteil an diesem Vorgang haben muß. Das beinhaltet aber eine mitbestimmende Beteiligung an der Festlegung des Inhalts von Ordnungen und Normen. Abgesehen von der Frage der Inkulturation und den Problemen, die damit zusammenhängen, kann man heute nicht selten Verhaltensweisen in der Kirche feststellen, die die Eigenschaften eines „ animus inducendi consuetudinem contra legem" an sich tragen. 72 Einheitlich gesatztes Recht kann bei der Vielfalt und Verschiedenheit der Bedürfnisse und Ansprüche der Betroffenen nicht immer und überall entsprechen. Das kann zur Folge haben, daß es nicht beobachtet, nicht angenommen wird oder daß es eine gegenläufige Gewohnheit auslöst. Eine einheitliche allgemeine Gesetzgebung ist für sich allein noch keine Garantie für die Stiftung und Erhaltung der Einheit; sie kann für sich allein niemals zu einer inneren und innerlich bejahten Gemeinschaft führen. Gewohnheit ist die Artikulierung des mehrheitlichen Willens einer gesetzesfähigen Gemeinschaft, das kirchliche Leben aus deren Eigenheiten und Gepflogenheiten heraus im Sinne des Gemeinwohls effizienter zu gestalten. Es erhebt sich daher die Frage: Gibt die Kirche die Möglichkeit eines solchen Selbstausdrucks? Es ist hier nicht die Absicht und der Ort, eine Geschichte der rechtsverbindlichen Gewohnheit in der Kirche auch nur in groben Umrissen zu zeichnen. Es soll vielmehr an Hand einiger Beispiele gezeigt werden, daß die Kirche lokale oder nationale Eigenentwicklungen nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich gutgeheißen hat. Dabei sei hier schon angemerkt, daß ihre Geschichte auch eindeutige Zeugnisse der Intoleranz aufzuweisen hat. Das Recht in der Kirche hat sich in den Jahrhunderten bis zur Ausbildung und Erstarkung ihrer gesetzgebenden Organe vorzugsweise auf gewohnheitlichem Wege gebildet. 73 Daß dabei Ordnung und Praxis der Kirche von Rom aufgrund ihrer Stellung richtungweisend waren, ist nicht verwunderlich. Im 1. Kapitel des 3. Buches des Werkes „De Sacramentis" erklärt der Bischof von Mailand, Ambrosius, den Katechumenen den Taufritus. Im Gegensatz zu Rom sei es in seiner Kirche üblich, dem Neophyten, nachdem er aus dem Wasser gestiegen sei, die Füße zu waschen. Für diese Gewohnheit bezieht er sich auf Joh 13,8-10. Die Beobachtung des von der römischen Kirchenpraxis abweichenden Usus begründet Ambrosius mit dem Hinweis, daß er in allen Belangen wünsche, der Kirche von Rom zu folgen. „Wir aber besitzen die dem 72

F ornés, Costumbre (Anm. 66), 748. S. Brie, Die Lehre vom Gewohnheitsrecht. 1. Teil: Geschichtliche Grundlegung. Breslau 1899,62. 73

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Menschen eigene Fähigkeit des Urteilens. Wenn nun das, was anderswo geübt w i r d , mehr der Vernunft entspricht als das, was in Rom beobachtet w i r d , werden w i r uns berechtigter Weise an diese Praxis halten." 7 4 In einem Brief an einen gewissen Januarius, der die Meinung des Augustinus bezüglich des Verhaltens gegenüber den unterschiedlichen Gewohnheiten der verschiedenen Regionen und Kirchen einholt, verweist dieser auf eine Gepflogenheit des Ambrosius bzgl. des Sabbatfastens als Verhaltensregel: „Wenn ich nach Rom komme, faste ich am Sabbat; wenn ich hier bin, tue ich das nicht. Wenn du vermeiden w i l l s t , daß jemand an dir oder du an jemandem Anstoß nimmst, dann beobachte auch du, so du in eine Kirchengemeinde kommst, ihren Brauch." 7 5 Augustinus war von der Einstellung seines geistlichen Vaters so angetan, daß er erklärte, immer wieder an diesen Ausspruch zu denken und ihn immer so zu betrachten, als wäre er ihm durch eine Stimme v o m H i m m e l zuteil geworden. 7 6 Eine ähnliche geistige Aufgeschlossenheit gegenüber teilkirchlichen Gewohnheiten wie Ambrosius offenbart Gregor der Große. Der um die Bekehrung der Goten verdiente Erzbischof von Sevilla, Leander (+ 600), erkundigt sich bei

14 Ambrosius, De Sacramentis III 1,5 (PL 16, 433; CSEL 73, 40): „In omnibus cupio sequi ecclesiam Romanam, sed tamen et nos hominis [PL 77,1187: homines] sensum habemus; ideo quod alibi rectius servatur, et nos rectius custodimus. " Diesen Text habe ich zunächst in einer Fußnote zum Brief 64 Gregors d. Großen im 9. Buch seiner Briefe, Indict. IV (PL 77, 1186 f.) gefunden. Als Fundstelle gibt der Kommentator den Lib. III De Sanctis des Ambrosius an. Eine Schrift „De Sanctis" ließ sich jedoch in der Reihe der Schriften des Ambrosius nicht nachweisen. Eine Nachforschung ergab, daß der angezogene Text sich im Lib. III, c. 1 De Sacramentis befand. Über die Authentizität der Schrift, bei der es sich wohl um Aufzeichnungen von sechs Katechesen des Ambrosius handelt, siehe die Abhandlung von O. Faller, Was sagen die Handschriften zur Echtheit der sechs Predigten „S. Ambrosii de Sacramentis"?, in: ZKTh 53 (1929) 41-65 u. K. Gamber, Ist der Canon-Text von „De Sacramentis" in Mailand gebraucht worden?, in: EL 79(1965) 109-116.

„ Cum Romam venio, ieiuno sabbato; cum hie sum, non ieiuno: sic etiam tu, ad quam forte ecclesiam veneris, eius morem serva, si cuiquam non vis esse scandalum nec quemquam tibi." Augustinus, Epist. 54 ad Januarium (PL 33, 201; CSEL 34, 161). Augustinus berichtet in diesem Zusammenhang von seiner Mutter, daß sie, in Mailand angekommen, eine Kirchengemeinde vorfand, die nicht fastete. Dieser Umstand beunruhigte sie, und sie überlegte, was zu tun sei. Augustinus, der von sich selbst sagt, daß er sich damals um solche Sachen nicht kümmerte, wendet sich an Ambrosius um Rat. Dieser erklärte, daß er nur sagen könne, an was er sich selbst halte. Wenn er nämlich etwas Besseres wüßte, würde er sich danach richten. Über die Auskunft war Mutter Monika sehr erfreut und hielt sich von nun an an den Mailänder Brauch. Vgl. ebd. 76

Augustinus, ebd.

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seinem Freund Papst Gregor I. 7 7 , ob man die in Spanien vorherrschende Gewohnheit des einmaligen Eintauchens der Täuflinge beibehalten könne, um damit nicht der arianischen Auffassung Vorschub zu leisten, daß drei Immersionen die drei Naturen symbolisieren, die Arius irrtümlicherweise in der Dreifaltigkeit angenommen hat. Der Papst findet die Begründung der Westgoten für die Abweichung von der dreimaligen römischen Eintauchung für vernünftig (,, nil responded verius potest ") und fügt die grundsätzliche Erklärung an: „Bei Bewahrung des einen Glaubens tut eine unterschiedliche Gewohnheit der heiligen Kirche keinen Eintrag." 78 Für Papst Gregor d. Großen scheint es eine feststehende Tatsache zu sein, daß eine Vereinheitlichung der Gewohnheit der Kirche keinen Nutzen bringt. Diese Einstellung stellt er auch in einem Antwortschreiben an Bischof Augustin von Canterbury unter Beweis, den er selbst von Rom aus zur Bekehrung der Angelsachsen ausgesandt hatte. Dem Gründer der Kirche von England empfiehlt der oberste kirchliche Gesetzgeber, nicht einfachhin römische Gewohnheiten nach England zu verpflanzen. Vielmehr sollte er aus der Vielfalt der kirchlichen Bräuche der anderen Kirchen die besten auswählen und in seiner Kirche einführen. Der Papst präzisiert die Auswahlkriterien, wenn er ihn anweist, aus jeder Kirche das zu wählen, was fromm, religiös und gerecht ist. Diese unterschiedlichen Praktiken sollten, zu einem Bündel zusammengebunden, die Gewohnheiten der Kirche von England abgeben.79 Man könnte die Zeugnisse Gregors vermehren, die angeführten mögen aber genügen, weil sie

77

Wie freundschaftlich das Verhältnis Gregors zu Leander ist, verrät der erste Teil des Briefes, in dem der Papst in einer sehr persönlichen, anschaulichen und eindringlichen Weise schildert, wie sehr ihn die Last eines Steuermanns der Kirche drückt. Vgl. PL 77,496 f.; CChr. SL 140,47 f. 78

Gregor /., Ep. 1,41 (PL 77, 497; CChr. SL 140, 48): „De trina vero mersione baptismatis, nil respondi verius potest quam ipsi sensistis, quia in unafide nil officii sanctae ecclesiae consuetudo diversa. " 79

Gregor I., Ep. 11,64 (PL 77, 1186 f.): „ Tertia interrogatio Augustini: Cum una sit fides , cur sunt Ecclesiarum consuetudines tarn diversae; et altera consuetudo missarum est in Romana Ecclesia , atque altera in Galliarum Ecclesiis tenetur? Responsio beati Gregorii papae: Novit fraternitas tua Romanae Ecclesiae consuetudinem y in qua se meminit enutritam. Sed mihi placet ut sive in Romana, sive in Galliarum , sive in qualibet Ecclesia aliquid invenisti quod plus omnipotenti Deo possit piacere , sollicite eligas y et in Anglorum Ecclesia , quae adhuc in fide nova est , institutione praecipua, quae de multis Ecclesiis colligere potuisti , infundas. Non enim pro locis esy sed pro rebus loca nobis amanda sunt. Ex singulis ergo quibusque Ecclesiis quae pia y quae religiosa , quae recta sunt elige, et haec quasi in fasciculum collecta apud Anglorum mentes in consuetudinem depone. "

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dessen Einstellung zur Frage und Bedeutung der Gewohnheit eindeutig belegen80 Wenn die angezogenen Weisungen auch nicht als Gesetze im formalen Sinn anzusprechen sind, so kann man sie dennoch als eine Art rechtsgutachtlicher Antworten bewerten, die wegen der Stellung und geistigen Autorität der genannten Jurisdiktionsträger ein besonderes Gewicht haben. Die Zahl der Stellungnahmen zur Gewohnheit als Alternative zum Gesetz ist in den ersten zwölf Jahrhunderten noch so gering, daß sie weder eine theoretisch reflektierte Lehre noch eine Praxis begründen konnten. So hat Gratian in seinem Dekret nur einige partikuläre Meinungen sammeln können, die noch sehr divergent sind und durch ihn nicht zu einer inneren Konvergenz gebracht wurden. 81 Der Bologneser Magister hält allerdings in einem Dictum (c. 3, D. IV) fest, daß Gesetze durch entsprechende Gewohnheiten in ihrer Autorität unterstrichen werden, hingegen durch allgemeine Nichtbeobachtung ihre Kraft verlieren. Damit ist nicht eine spätere gewohnheitsrechtliche Aufhebung eines durch Beobachtung wirksam gewordenen Gesetzes gemeint, sondern die Nichtannahme eines Gesetzes im Rechtsleben, wodurch das Gesetz erst gar keine juridische Verbindlichkeit erlangte. 82 Wenngleich bezüglich der derogatorischen Kraft des Gewohnheitsrechtes gegenüber Gesetzen im Corpus iuris civilis Widersprüchlichkeiten bestehen, überwiegen nach Siegfried Brie ganz entschieden jene Stellen, in denen ihm eine solche Wirksamkeit zuerkannt wird. 83 Die kanonistische Lehre hingegen hat bis zur zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts einer dem Gesetz gegenläufigen Gewohnheit jede de rogato lische Kraft abgesprochen. 84 Einige Papstentscheidungen der nachgratianischen Dekretalengesetzgebung bezeugen aber bereits eine Aufweichung der alten Position. So weist Papst Lucius III. die Gewohnheit, Geistliche vor ein weltliches Gericht zu stellen, mit der Begründung zurück, „ quod ... non debet in hac parte canonibus ex aliqua consuetudine praejudicium generari" (c. 8 X 2,1). Mit dem Vorbehalt „ in hac parte" scheint der Gesetzgeber auch an die Möglichkeit einer derogatorischen Gewohnheit für andere Fälle gedacht zu haben. Coelestin III. gesteht einer alten und approbierten, gegen ein allgemeines Gesetz stehenden

80

Gregor /., Ep. 1,66 (PL 77, 522 f.); ders., Ep. 1,77 (PL 77, 531). Vgl. auch Gratian, Dekret c. 8, D. XII und c. 6, D. XI. 81

R. Wehrlé y De la coutume dans le droit canonique. Paris 1928,95. Vgl. dazu Diet. Gratiani post c. 5, D. I; c. 1, D. XI; c. 4 p. II, D. XI; c. 6, D. XII. Siehe dazu Brie, Lehre (Anm. 73) 80. 82

83 84

Vgl. 2?r/e, ebd., 45.

V g l . / . Trümmer, 1932,145.

Die Gewohnheit als kirchliche Rechtsquelle (ThSLG 31). Wien

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Gewohnheit rechtliche Verbindlichkeit zu (c. 6 X 3,10). Bereits in mehreren Entscheidungen anerkennt Innozenz III. die Möglichkeit, daß unter gewissen Voraussetzungen eine spezielle Gewohnheit dem allgemeinen Recht vorzuziehen sei (c. 3 X 2,12; c. 13 X 2,1; c. 8 X 1,4; c. 25 X 5,40). „ A l s eine wohl längst als notwendig gefühlte allgemeine Entscheidung über das Verhältnis der derogatorischen Gewohnheiten"85 sieht Georg Phillips die Dekretale Gregors IX. „Cum tanto" (c. 11 X 1,4), in der die Frage, ob bzw. inwiefern eine Gewohnheit dem Gesetz derogiert, eine allgemeine Lösung fand. Die päpstliche Entscheidung, deren besondere Wertigkeit schon daraus ersichtlich ist, daß sie sich auf keine vorausgehende stützt oder eine Rechtsquelle für sich beanspruchen kann, bestimmt, daß die Gewohnheit unter den Voraussetzungen der Rationabilität und der Präskription ein positiv menschliches Gesetz außer Kraft setzt.86 Die Rechtsvermutung steht also für das Gesetzesrecht, und die Existenz von Ausnahmebedingungen muß deshalb nachgewiesen werden. Keine Gewohnheit kann jedoch entstehen „gegen ganz absolute, in Übereinstimmung mit dem gesammten Rechtsorganismus der Kirche oder aus Rücksicht auf die Sittlichkeit allgemein gebietende oder verbietende Gesetze"87. Inhaltlich hat die Dekretale Gregors IX. im c. 27 § 1 des CIC (1917) und in den cc. 24 § 2 sowie 26 des CIC (1983) ihre volle Gültigkeit behalten.

Es findet sich also bereits unter den Bestimmungen des Liber Extra, des ersten allgemein geltenden Gesetzbuches der Kirche, auch jene, die dem Gewohnheitsrecht als Alternative zum Gesetz unter gewissen Voraussetzungen einen festen Platz einräumt. Das Hauptinteresse unserer Überlegungen richtet sich aber auf die Frage, welche Art der Mitbestimmung einer kirchlichen Gemeinde beim Zustandekommen von Gewohnheit zusteht und welche dem Gesetzgeber. Der gewohnheitsrechtlichen Übung liegt nach römisch-rechtlicher Auffassung der Konsens der Gemeinschaft als inneres Element zugrunde. Mit diesem Ausdruck können sowohl eine gemeinsame Überzeugung als auch ein gemeinsamer Wille gemeint sein. Im Corpus iuris civilis finden sich Stellen, die den

85

G. Phillips, Kirchenrecht. Bd. 3. Regensburg 1848.728.

86

C. 11 X 1,4: „ Quum tanto sint graviora peccata , quanto diutius infelicem animant detinent alligatam y nemo sanae mentis intelligit, naturali iuri, cuius transgressio periculum salutis inducit, quacunque consuetudine , quae dicenda est verius in hac parte corruptela, posse aliquatenus derogari. Licet etiam longaevae consuetudinis non sit vilis auctoritas, non tamen est usque adeo valitura, ut vel iuri positivo debeat praeiudicium generare, nisi fuerit rationabilis et legitime sit praescripta. " 87

Phillips, Kirchenrecht 3 (Anm. 85), 729 f.

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übereinstimmenden Willen aller als Begründung für die Entstehung des Gewohnheitsrechtes erklären. 88 Diese frühklassischen Schriften gehören nicht nur durch die in etwa gleiche Entstehungszeit zusammen, sie geben vielmehr Zeugnis von einer einheitlichen Doktrin über das Zustandekommen von Gewohnheitsrecht. 89 Sie setzen uns davon in Kenntnis, daß man neben dem gesatzten Kaiserrecht als alleiniger Rechtsquelle auch einer ständigen und gewollten Übung durch das Volk gesetzesverbindliche Kraft geben wollte. Und wenn dabei auf die Analogie des Gewohnheitsrechtes mit der Volksgesetzgebung hingewiesen wird, so beanspruchte man für das Gewohnheitsrecht das gleiche Fundament, auf dem auch die Kaisergesetzgebung gründete. Und wenn die Autoren an den „consensus populi" erinnern, der seinen Ausdruck findet, wenn das Volk außerhalb der formgebundenen Abstimmungen Recht setzt, dann wurde für das Gewohnheitsrecht eben der Legitimationsgrund beansprucht, den der Gesetzgeber nicht gut in Abrede stellen konnte, weil er selbst seine gesamte Herrschaft darauf gründete oder zu gründen vorgab. 90 Vor dem Tätigwerden der Glossatoren des römischen Rechtes in der Schule von Bologna kennen wir keinen Text, der den Konsens des Gesetzgebers als Wesenselement des Gewohnheitsrechtes anerkennen würde. Vom 11. Jahrhundert an vertreten aber die römisch-rechtlichen Glossatoren fast einstimmig die Notwendigkeit des Gesetzgeberkonsenses für eine gegengesetzliche Gewohn-

88

Just. Dig. 1 3 3 5 : „Hermogenianus libro I iuris epitomarum. Sed et ea, quae longa consuetudine comprobata sunt ac per annos plurimos observata, velut tacita civium conventio non minus quam ea quae scripta sunt iura servantur. " Fontes Iuris Romani Anteiustiniani (= FIRA) Bd. 2, Auetores Ulpian - Epitome 1, 4: „Mores sunt tacitus consensus populi longa consuetudine inveteratus Just. Dig. 1,332: „Inveterata consuetudo pro lege non immerito custoditur , et hoc est ius quod dicitur moribus constitutum. Nam cum ipsae leges nulla alia ex causa nos teneant, quam quod iudicio populi reeeptae sunt, merito et ea, quae sine ullo scripto populus probavit tenebunt omnes: nam quid interest suffragio populus voluntatem suam declaret an rebus ipsis et f actis? Quare rectissime etiam ilrud receptum est, ut leges non solum suffragio legislatoris, sed etiam tacito consensu omnium per desuetudinem abrogentur. " Inst. Just. 1,2,9: „Ex non scripto ius venit, quod usus comprobavit. Nam diuturni mores consensu utentium comprobati legem imitantur. ( ( Inst. Just. 1,2,11: „Sed naturalia quidem iura, quae apud omnes gentes peraeque servantur, divina quadam Providentia constituta semper firma et immutabilia permanent: ea vero, quae ipsa sibi quaeque civitas constituit, saepe mutari soient vel tacito consensu populi vel alia postea lege lata. " 89 Vgl. Β. Schmiedel, Consuetudo im klassischen und nachklassischen römischen Recht (Forschungen zum röm. Recht 22). Graz 1966,58. 90

Vgl. Schmiedel, ebd., 63.

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heit. So erklärt Irnerius 9 1 in seiner Glosse, daß die Gesetzgebungsgewalt dem Kaiser zustehe und daß es beim Gewohnheitsrecht auf die Entscheidung dessen ankomme, dem jene Gewalt zustehe 9 2 , nämlich des Kaisers, seitdem sie v o m V o l k diesem übertragen worden i s t 9 3 . Während, w i e erinnerlich, i m Dekret Gratians kein Text die Notwendigkeit des Gesetzgeberkonsenses erwähnt, lehren die Dekretisten ausdrücklich, daß dieser für das Zustandekommen einer dem Gesetz gegenläufigen Gewohnheit erforderlich ist. Der Dekretkommentator Rufin fordert den Gesetzgeberkonsens für eine gegen ein allgemeines Kirchengesetz laufende Gewohnheit 9 4 , und Stephan von Tournai verlangt in diesem Sinn für das V o l k , das eine Gewohnheit einführt, die gesetzgebende G e w a l t 9 5 . Johannes Teutonicus begnügt sich in

91

Irnerius, der große Bologneser Juristenphilologe, steht am Beginn der Ranaissance des römischen Rechtes in den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts. Vgl. F. C. v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Bd. 4. Darmstadt 1956 (unveränd. Nachdruck von 1850), 1-67. Siehe auch L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechtes (Österr. Akademie d. Wissenschaften, Denkschriften der Gesamtakademie 2). Wien 1953,733. 92

Glosse des Irnerius: „ Loquitur haec lex secundum sua tempora , quibus populus habebat potestatem condendi leges, ideo tacito consensu omnium per consuetudinem abrogabantur. Sed quia hodie potestas translata est in imperatorem, nihil faceret desuetudopopuli. " Zitiert bei Savigny, Geschichte 4 (Anm. 91), Anhang II, 459. 93

Summa Codicis VIII, 48 §§ 2.3.4: „ Quem ad modum ius scriptum auctoritate populi Romani nititur, imo eius cui a populo hoc permissum est, ita ius non scriptum rebus ipsis et factis eodem iudicio declaratur ...Et similiter non rationem aut legem vincere ( consuetudinem ) sciendum est... Per consuetudinem quoque leges ipse [sic!] abrogantur. " Vgl. H. Fitting, Die Summa Codicis und die Questiones des Irnerius. Zur Abwehr, in: ZRG. RomAbt. 17 (1896) 1-96, hier 71. 94 Rufin, Summa Decretorum, D. IV (ed. H. Singer [Paderborn 1902] 13 f.): „ Ubi demonstrat quorundam decretorum exemplo nonnullas etiam leges ecclesiasticas esse hodie abrogatas per mores utique utentium in contrarium. Et hoc consensu exaudias summi pontificis; sicut enim hodie sine auctoritate vel consensu imperatoris leges non possunt statui, sic etiam nec infirmari, quia populus Romanus ei et in eum omne suum imperium et potestatem concessit : ita absque conscientia et assensu summi patriarche canones sicut non potuerunt fieri, ita nec irritari. Non autem istam derogationem generaliter intelligas in omnibus decretis; antiquorum enim patrum et venerabiliorum statuta, que pro omnium ecclesiarum statu conservando plena auctoritate sunt promulgata et totius pene mundi iam consecrata reverentia, sicut canones Niceni et his similes ilia, inquam, neque auctoritate apostolici neque more utentium aliter valent evacuari. " 95

Stephan von Tournai, Summa in Decretum, D. I, c. 5 (ed J. F. v. Schulte [Gießen 1891] 9): „Sed et si (consuetudo) turi scripto contraria sit, et populus, qui habeat potestatem condendi leges, sciens legem contrariam esse, contra eam consuetudine utatur,

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seiner glossa ordinaria mit dem stillschweigenden Konsens des Papstes.96 Für diese bereits allgemein rezipierte Lehre von der notwendigen Zustimmung des Gesetzgebers gibt es aber in den Dekretalen Gregors IX. keinen entsprechenden Beleg. Aus der Dekretale c. 11 X 1,4 97 der gregorianischen Dekretalensammlung folgerten beinahe sämtliche Kommentatoren, daß die Kenntnis des Gesetzgebers für das Zustandekommen einer gesetzeswidrigen Gewohnheit nicht erforderlich ist: Mit dieser Entscheidung sei vielmehr der allgemeine Konsens des Papstes für alle vernünftigen und verjährten Partikulargewohnheiten gegen das allgemeine Recht gegeben.98 Der Dekretalist und zugleich profunde Kenner des römischen Rechtes, Johannes Andreae (+ 1348), hält allerdings für das Zustandekommen von Gewohnheitsrecht die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des Papstes für notwendig. 99 Mit Nicolaus de Tudeschis (= Panormitanus, + 1453) macht sich die kanonistische Doktrin über das Gewohnheitsrecht weiter inhaltlich unabhängig vom Einfluß des römischen Rechtes. Der Autor inspiriert sich mehr an den Dekretalen Gregors IX. und des Liber Sextus als am Corpus iuris civilis. Die „auctoritas papae permittentis" ist für ihn eine wesentliche Bedin-

consuetudo etiam praeponitur legi scriptae. Nihil enim interest, an suffragio populus voluntatem suam declaret, an rebus ipsis. Tanto enim consensu omnium per desuetudinem leges abrogantur. " 96

Johannes Teutonicus, Glossa Decreti ordinaria, Ad c. 4, D. IV.

97

Siehe Anm. 86.

98

A. Van Hove, De requisito consensu legislatoris in iure consuetudinario, in: IusPont 11 (1931) 18-29, hier 22. 99

Johannes Andreae, In Primum Decretalium librum Novella Commentarla. Venedig 1681, Lib. I, tit. 4, c. 11, η. 47: „ Quarto sic opponitur : illius est tollere legem positivam cuius est inducere, vel sui maioris, minor is non ... Sed lex communis canonica vel civilis inducitur a Papa vel a Principe; consuetudo autem insurgit ex actibus privatorum qui sunt minores. Ergo ipsorum actus legem etiam positivam tollere non possunt. Solutio. Fateor quod usus vel actus privatorum unius regni vel provinciae vel loci legem communem abrogare, id est ubique tollere, non possunt; sed derogare possunt in eo regno, provincia vel loco, ut sicut ibi legem municipalem facere possunt, sic et consuetudinem inducere. Et tamen ad obiectionis solutionem fateri oportet, quod nec in loco hoc possent, nisi quod Papa vel Princeps id expresse permittat... Item tacite sicut enim in alicuius praeiudicium praescribitur, et is contra quem praescribitur a iure fingitur consentire et alienare videtur, quod praescribi vel usucapì patitur...sic cum contra ius Ecclesiae preascribit, consuetudo, iuris lator consentire videtur. "

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gung für die verbindliche Einführung einer Gewohnheit, welche kirchlichen Gesetzen entgegensteht.100 Im Gewohnheitsrecht ist der Kirche eine Institution zugewachsen, die als Alternative zum Gesetz wesentlich an der Leitung der Kirche und damit an der Gestaltung kirchlichen Lebens mitgewirkt hat. Die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Prinzipien der Kirche hat das Gewohnheitsrecht neben dem gesetzten Recht formal rechtlich zu einer Quelle des kirchlichen Rechtes gemacht. Mit der päpstlichen Universalgesetzgebung hat sich jedoch das Problem des Gewohnheitsrechtes neu gestellt. Auf seiten der Theologen hatte Thomas von Aquin den Grundsatz vertreten, daß in einer Gemeinschaft, die nicht die Vollmacht besitzt, sich selbst Gesetze zu geben oder ein Gesetz, das von übergeordneter Stelle erlassen worden war, zu beseitigen, dennoch eine vorherrschende Gewohnheit Gesetzeskraft erhält, insofern sie von jenen toleriert wird, denen es zusteht, einer Gemeinschaft ein Gesetz aufzuerlegen. Durch diese Toleranz scheint der Gesetzgeber tatsächlich das zu approbieren, was die Gewohnheit eingeführt hat. 101 Die Approbationstheorie des Thomas begann sich dann ab der Mitte des 15. Jahrhunderts allgemein durchzusetzen. Der spanische Theologe Juan de Salas (+ 1612) räumt in seinem Traktat „De legibus" die Vollmacht „condendi iura" ganz und gar dem Fürsten ein. Er ist es, der der Gewohnheit Gesetzeskraft verleiht. Gemeinschaften, die keine Gesetze im eigentlichen Sinn erlassen können, ist es jedoch möglich, Gewohnheiten einzuführen, die dann durch Vollmacht des Fürsten Gesetzeskraft erhalten. 102 Francisco Suarez hat sich im 7. Buch seines Traktates „De Legibus" mit der Problematik der Entstehung einer Gewohnheit ausführlich befaßt. Taugliches Subjekt für Gewohnheitsrecht ist nicht nur eine Gemeinschaft, der es zusteht, Gesetze zu erlassen, sondern auch jene, die gesetzesfähig ist, d. h. fähig ist, 100

Panormitani I a super 1° Decretalium. Lyon 1542, Lib. I., tit. I V , c. 11, η. 8, p. 105: „ Unde oportet te dicere, quod ista consuetudo assumit vires non solum ex tacito consensu virorum ecclesiasticorum, sed autoritate pape permittentis induci consuetudinem contra canonesEbd. n. 13, ρ. 106: „ ...requiritur quod consuetudo sit inducta sciente ilio qui potest ius condere . " 101 Thomas v.Aquin , Summa Theol. I—II q. 97, art. 3, ad 3: „Si vero multitudo non habeat liberam potestatem condendi sibi legem, vel legem a superiori potestate positam removendi, tamen ipsa consuetudo in tali multitudine praevalens obtinet vim legis, inquantum per eos toleratur, ad quos pertinet multitudini legem imponere : ex hoc enim ipso videntur approbare, quod consuetudo introduxit. " in?

J. de Salas, Tractatus de legibus. Lyon 1611, Disput. X I X , η. 90 et 96. Zusammengefaßt bei Van Hove , Consensu (Anm. 98), 27 f.

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Gesetze anzunehmen.103 Die verpflichtende Kraft der Gewohnheit entsteht nicht durch eine Erlaubnis des Gesetzgebers, Rechtsordnungen zu erlassen, sondern im Sinne des Thomas aufgrund der Approbation der Gewohnheit durch den Gesetzgeber. 11)4 Die Approbationstheorie tritt nun an die Stelle jener der Gewährung von Gesetzesvollmacht an eine Gemeinschaft. C. 25 des CIC (1917) bestimmt, daß die Gewohnheit einzig durch die Zustimmung des Gesetzgebers Gesetzeskraft erhält. 105 Die Redaktion des c. 23 im revidierten Kodex (1983) hebt eindeutig den mitbestimmenden Anteil einer Gemeinschaft am Zustandekommen von Gewohnheitsrecht hervor und bestimmt die Rolle des kirchlichen Gesetzgebers im Sinne des Thomas als die eines Gutheißenden (Approbatio). 106 An die Sentenz einiger Dekretalisten knüpft der spanische Kanonist Juan Arias Gomez in seiner 1966 erschienenen Untersuchung über die Rechtsqualität des Gemeinschaftskonsenses für die Entstehung von Gewohnheitsrecht an. Nach seinem Dafürhalten übersteigt es die Zuständigkeit des Gesetzgebers, die Institution des Gewohnheitsrechtes zu schaffen, da es sich dabei um eine Wirklichkeit handelt, die im Wesen der Gemeinschaft selbst angesiedelt ist. Ebensowenig ist es Sache des Gesetzgebers, mit seiner Zustimmung wirksam und unmittelbar das Entstehen von Gewohnheitsrecht zu beeinflussen. 107 Dem Gesetzgeber obliegt es, die Ausübung der in der Gemeinschaft liegenden Vollmacht zu regeln. Die Gemeinschaft ist als Wirkursache der gewohnheitsrechtli-

103 F. Suarez, De Legibus, Lib. VII, c. 9, ad 10 (Opera Omnia. Hg. C. Berton. Bd. 6. Paris 1856, 172, Sp. 2 f.): „ Duplex enim capacitas potest in eommunitate intelligi , una ad ferendam legem , et alia ad recipiendam. Et quamvis nunc, in populo christiano laico non sit prior potestas ad ferendas ecclesiasticas leges , et fortasse neque capacitas ad talem potestatem, saltern secundum legem ordinariam; nihilominus est in ilio capacitas passiva , ut illi possit talis lex imponi . Et hanc dicimus necessariam esse, et sufficere, ut per talis populi consuetudinem , cum tacito consensu Praelati, possit consuetudo introduci." Ebd. ad 11: „Sufficit...quod sit communitas capax legis, accedente consensu tacito principis, vel Praelati. " 104

Ebd. c. 12, ad 1 (ed. cit. 181, Sp. 1): „In jure autem consuetudinispopulus incipit, quantum in se est, volendo jus introducere, et tacite impetrando consensum a principe. " 105

CIC (1917) c. 25: „ Consuetudo in Ecclesia vim legis habet a consensu competentis Superioris ecclesiastici unice obtinet. " 106 CIC (1983) c. 23: „Ea tantum consuetudo a eommunitate fidelium introducta vim legis habet, quae a legislatore approbata fuerit, ad normam canonum qui sequuntur. " 107

Vgl. J. Arias Gomez, El consensus communitatis en la eficacia normativa de la costumbre (Colección canonica de la Universidad de Navarra 15). Pamplona 1966,146.

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chen Norm anzusehen; denn die Gemeinschaft besitzt diese Rechtsfähigkeit, insofern diese der lebendige Ausdruck einer aktiven Teilhabe der Gläubigen am Priestertum Christi ist. Die Veijährung ist als Garantie dafür zu sehen, daß die Gemeinschaft diese Rechtsfähigkeit in der communio mit dem Gesetzgeber ausübt. 108 Einem möglichen Vorwurf, mit seiner Sentenz sich gegen die Aussage von c. 25 CIC (1917) zu richten, hält der Autor entgegen, daß seine Meinung vollkommen mit dem Geist des kanonischen Rechtes konform gehe, wenngleich sie nicht dem Buchstaben der kanonischen Norm entspreche. Er glaubt, daß der Kanon „unter dem Druck" der Lehre des Suarez entstanden sei, die damals als die gängigste angesehen wurde. 109 Juan Fornés hat in seinem Referat am 3. internationalen Kanonistenkongreß in Pamplona 1976 die Grundgedanken von Arias Gomez vollinhaltlich übernommen. 110 Wie erinnerlich, vertritt jedoch c. 23 des revidierten kirchlichen Rechtsbuches (1983) die Letztzuständigkeit des kirchlichen Gesetzgebers für die Verbindlichkeit von Gewohnheitsrecht in der Form der Approbation. Wenn auch die Lehrmeinung der beiden Autoren gegen die geltende gesetzliche Norm der Kirche steht, so kommt dem deren Sentenz innewohnenden Anliegen doch eine hohe Aktualität zu, und zwar geht es um eine aktive, mitbestimmende Gestaltung des Gemeindelebens durch das Volk Gottes. Eine neue Gesetzeslage fordert von selbst zu Initiativen und zur Entwicklung neuer Verhaltensweisen im Sinne des Gesetzes oder gegen dieses heraus. Das Zweite Vatikanum hat die Verantwortung des Gottesvolkes in den und für die Gemeinden neu motiviert, den entsprechenden Initiativen verfassungsrechtlich breiten Raum gewährt und eine dem Volkscharakter entsprechende Äußerung des kirchlichen Lebens befürwortet. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit und nach dem Grad der Mitbestimmung des Volkes Gottes bei der Gestaltung des kirchlichen Lebens. Die formalrechtliche Sicherheit, die ein Gesetz bietet, bleibt so lange aufrecht, als das übernatürliche Heil der Gläubigen nicht in Frage gestellt ist. Ein Gesetz verliert seine Verbindlichkeit, wenn das Gemeinwohl, zu dessen Verwirklichung es geschaffen wurde, nicht erreicht werden kann, d. h. wenn die Grundrechte der Gläubigen an ihrem Ort nicht mehr gewährleistet sind und wenn die objektive Gerechtigkeit nicht mehr sichergestellt ist. In letzter Instanz leitet jede kirchliche Norm ihren Anspruch auf

108

Arias Gomez, ebd., 149.

109

Arias Gomez·, ebd., 150.

110

Fornés, Costumbre (Anm. 66).

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Verbindlichkeit von Christus ab, der in seinem Wort und Sakrament das innere Prinzip der Einheit der Kirche ist. Ein Gesetz, das diese Einheit nicht sichert, ihr nicht dient, sondern vor allem oder gar nur Einheitlichkeit herbeiführen wollte, entspräche nicht seiner Aufgabe. Kriterium für den Wert, für die Gültigkeit einer kirchlichen Norm ist daher nicht so sehr der Wille des Gesetzgebers, sondern die dem Gesetz innewohnende Qualität, die Einheit zu sichern. Der Versuch, Gesetze durchzusetzen, die jede Möglichkeit einer Korrektur zugunsten des Gemeinwohls, zugunsten der Einheit der Kirche und in der Kirche verhindern wollten, würde eine rechtspositivistische Einstellung verraten. In der aequitas canonica verfügt das kirchliche Recht über eine Institution, die als Korrektiv im Rechtsleben fungieren kann. 111 Sie steht im Dienst des Einheitsprinzips bzw. der communio. Eine kirchliche Norm hat in dem Grad verbindliche Qualität, in dem sie der Forderung, der communio zu dienen, entspricht 112 , in dem sie die Grundrechte jedes einzelnen Gläubigen garantiert 113 und die Traditionen sowie die besonderen Erfahrungen und Fragestellungen in den Teilgebieten des Volkes Gottes berücksichtigt 114 . Damit erhält die kanonische Gesetzgebung eigentlich erst die Signatur der Katholizität. Die kanonische Billigkeit ist deshalb nicht bloß als Interpretationsprinzip, sondern als Tugend der Gerechtigkeit, als rechtliche Wirklichkeitsgesinnung zu verstehen, die es möglich macht, sich in Konfliktsituationen zwischen Naturrecht bzw. theologischer Wahrheit einerseits und Gesetzeswortlaut andererseits an den sachlichen Erfordernissen der konkreten Situation zu orientieren, und die darauf abzielt, die normative Verpflichtung und die Eigenart einer Gegebenheit oder einer Gemeinschaft miteinander in Einklang zu bringen. 115 Tref-

111

Thomas vonAquin, Summa Theol. I I - I I q. 120, art. 2, ad 1 .Fr. Suarez, De Legibus Lib. V I , c. 7,33, Sp. 2: „Et hunc certe modum videtur significasse Aristoteles cum dixit epiikiam emendare legem, quod et ipse legislator , si adesset , hoc modo dixisset, id est, ita esset moderaturus et inter pretaturus legem suam. " 112

Vgl. E. Cor ecco y Valore dell'atto „contra legem", in: JC 15 (1975) 237-257, hier

249. 113

Vgl. P. Lombardia, Una ley fundamental para la Iglesia, in: JC 8 (1968) 325-347, hier 342 ff. Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kanonistenkongresses anläßlich der 1. Jahrhundertfeier der kanonistischen Fakultät der Päpstl. Univ. Gregoriana 1977, in: AAS 69 (1977) 208-212, hier 210. „...mediatio salvifica, Ecclesiae concredita, attendat oportet etiam ad concretas condiciones sociales-culturales et spatialestemporales." 115

Fr. Suarez , De Legibus Lib. VI, c. 7, 33, Sp. 1: „Nam intendo legislatoris non solum est recta praecipere, sed etiam recte , et ideo qui observât legem tanquam obnoxius il li y quando per illam non obligatur propter occurrentem causam excusantem, ab

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fend wurde die aequitas als das „geschichtliche Gewissen des Rechtes" bezeichnet. 116 Die Anwendung dieses kanonischen Institutes ist deshalb nicht als Gesetzesverletzung zu werten, sondern vielmehr als Korrektur, die zwar gegen den Wortlaut des Gesetzes, aber im Sinne des Gesetzgebers geschieht.117 Paul VI., selbst oberster Gesetzgeber der Kirche, hat wiederholt die Bedeutung der aequitas canonica als Korrektiv einer undifferenzierten Anwendung der Gesetze unterstrichen, die wesensgemäß nur Allgemeines berücksichtigen können. 118 Dem Gesetzgeber ist die Förderung des Gemeinwohls als Aufgabe übertragen. Das Gemeinwohl ist aber die „Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den Einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen ,.119

gestatten Das Kirchenvolk kann nun bisweilen der Überzeugung sein, auf einem anderen Weg als dem gesetzlichen die Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen. Es ist der Weg der Gewohnheit, der sich als Möglichkeit der Korrektur und Ergänzung des Gesetzes anbietet. Die Gewohnheit bildet die Ebene, auf der sich die Initiative der Basis und die Intervention der Kirchenleitung treffen. 120 Den Appellen an die Initiative, an die Mitbestimmung und Mitver-

intentione legislator is discrepai , etiamsi actus quern facit malus non sit." Vgl. R. E genter, Über die Bedeutung der Epikie im sittlichen Leben, in: PhJ 53 (1940) 122 u. 127. Siehe auch E. Wohlhaupter, Aequitas canonica (VGG.R 56). Paderborn 1931,190. 116

Wohlhaupter, ebd., 192

117

Einer der Gründe für die Anwendung der Aequitas ist nach Suarez (De Legibus Lib. VI, c. 7, Nr. 11): „...propter conjectatam legislatoris voluntatem, non obstante potestateDie Weise, wie dabei vorzugehen ist (Nr. 12): „...est utendum conjecturis ex circumstantiis desumptis, et praesertim ex usu et modo regiminis, et ex more interpretandi similes leges. " 118

„Lex suapte natura generalia tantum respicit." Vgl. Anm. 114. Dieselbe Thematik behandelte Paul VI. ausführlich in einer Ansprache an die Rota-Uditoren am 8. Februar 1973. Vgl. AAS 65 (1973) 95-103. 119 Vgl .Johannes XXIII., Enz. „Mater et Magistra", in: AAS 53 (1961) 401-464, hier 417; Vatll GS 74 Abs. 2. 120

Vgì.R.Philippot, Le droit d'initiative dans l'église, in: ACan 17 (1973) 733-756, hier 747. H. Keller / Ο. v. Nell-Breuning, Das Recht der Laien in der Kirche. Heidelberg 1950, 39: „Es erhellt ohne weiteres, daß an der Bildung von Brauch und Gewohnheit überhaupt wie auch an der Bildung von Gewohnheitsrecht die Gesamtheit der Gläubigen, also Laienschaft, den maßgeblichen Anteil hat.... Auf dem Wege über die Bildung von Gewohnheit übt sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die kirchliche Rechtsentwicklung: der Laie ist eben lebendiges Glied der Kirche, nicht toter Gegen-

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antwortung müssen, sollen sie nicht Worthülsen bleiben; konkrete Rechte und Pflichten entsprechen, die es ermöglichen, authentisch an der Gestaltung einer Gemeindeordnung im Sinne von deren größerer Vervollkommnung mitzutun. Der „animus inducendi iuris", von dem der c. 25 CIC (1983) spricht 121 , scheint der Initiative und den bewußt gestalteten Lebensvollzügen einer Gemeinde einen bestimmenden Charakter zuzusprechen. Diese würden demnach nicht bloß die Voraussetzung für eine Approbation seitens der kirchlichen Obrigkeit bilden, sondern sind als eine wenngleich begrenzte Ermöglichung für eine Selbstreglementierung zu betrachten. Eine rechtsverbindliche Gemeindegewohnheit könnte so als eine Art Synthese des Willens des kanonischen Gesetzgebers und des Wollens einer kirchlichen Gemeinde gesehen werden, die sich aufgerufen und verpflichtet weiß, die volkseigenen natürlichen und kulturellen Gegebenheiten mit den Forderungen des eigentlichen Herrn der Gemeinde zu koordinieren. 122 So wird eine dem Gesetz gegenläufige Gewohnheit sich nicht dem wahren Recht, sondern lediglich dem positiven, gesetzten Recht widersetzen, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen oder um sie in vollkommenerer Weise zu verwirklichen. Die Änderung einer durch das Gesetz geschaffenen Rechtslage erhält ihre innere Berechtigung durch den Willen einer Gemeinschaft, ein richtigeres, d. h. ein dem Wesen des Volkes und deshalb dem Gemeinwohl entsprechenderes Recht wirksam werden zu lassen.123 Der Wille des Gesetzgebers wird immer darauf bedacht sein, zeit- und situationsgerechte Normen zu schaffen. Dieses Ziel kann jedoch um so weniger erreicht werden, je mannigfacher und unterschiedlicher die kulturelle und brauchtumsbedingte Lage der Adressaten seines „gesetzlichen" Willens ist. Den Rechtstitel für eine Rechtsfindung unter entsprechender Modifikation der bestehenden rechtlichen Lage erhält eine kirchliche Gemeinschaft nicht vom Gesetzgeber, sondern er ist begründet in der Mitverantwortung für das Gemeinwohl und im theologischen Wahrheitsgehalt. Solche Werte im Sinne eines richtigeren Rechtes zu verwirklichen liegt durchaus beim Volk Gottes. Die Zuständigkeit und die Möglichkeit, kirchliches Leben selbst zu bestimmen, erhält die Gemeinschaft in letzter Instanz von der „besseren" theologischen

stand kirchlicher Amtswaltung." Vgl. J. Cadet , Le laïcat et le droit de l'Église (Collection „La vie nouvelle"). Paris 1963,132-141. 121

„Nulla consuetudo vim legis obtinet, nisi a communitate legis saltern recipiendae capaci cum animo iuris inducendi servata fuerit." 122 Vgl. S. Gherro, L'„animus communitatis" della consuetudine canonica, in: EIC 38 (1982) 122-144, hier 139. 123

Vgl. Cor ecco, Valore (Anm. 112), 253.

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Wahrheit. 124 In einem solchen Fall ist der Gesetzgeber nicht berufen, über die von der Gemeinschaft getroffene Entscheidung, gegen ein Gesetz zu handeln, zu befinden, sondern ihm obliegt die Eingliederung dieses Volkswillens, dieses Rechtes auf bestimmende Gestaltung der eigenen kirchlichen Lebensform in das Gemeinwesen durch seine Gutheißung. 125 Die vorliegende Untersuchung maßt sich nicht an, Patentlösungen anzubieten, sondern versucht auf dem Hintergrund rechtshistorischer und rechtstheologischer Überlegungen aufzuzeigen, daß die Vielfalt kirchlichen Lebens nicht als eine Gefahr für die Einheit des Glaubens verstanden werden muß.

124

G. Saraceni überlegt einige der hier behandelten Probleme unter dem Aspekt der Spannung zwischen menschlicher Autonomie bzw. kreativer Freiheit und gefordertem Gehorsam gegenüber kirchlichen Weisungen. Siehe den Artikel: Per un tentativo di concezione essenziale della libertà giuridica nella Chiesa, in: DEc 92 (1981) 119-135. Vgl. dazu T. Goffi y Umwege und Irrwege des christlichen Gehorsams, in: Conc 16 (1980) 609 u. D. B. Stevick, A theological view of the place of law in the Church. An episcopalian perspective, in: Jurist 42 (1982) 1-13. 125

Vgl. CIC (1983) c. 23: „...consuetudo a eommunitate fidellum introducta vim legis habet, quae a legislatore approbata fuerit..." AAS 75 (1983) Pars II, 4.

Glaubens- und Religionsfreiheit*

I . Freiheit des Glaubens in der Kirche In einer ersten Unterscheidung kann man Religionsfreiheit als Freiheit ßr die Kirche (Kultfreiheit, Lehrfreiheit) oder als Freiheit in der Kirche (Gewissens- und Glaubensfreiheit) verstehen. In beiden Formen ist sie eine Freiheit, die von und für Menschen beansprucht wird. Generell betrachtet läßt sich Religionsfreiheit in einen Katalog von Zuständigkeiten einordnen, die aus den Menschenrechten hervorgehen. Unter dem besonderen Aspekt der religiösen Überzeugung gesehen, ist sie eine Rahmenbedingung für das Glaubensleben, wobei vorausgesetzt wird, daß der Glaube aus menschlichen Akten besteht. Das besagt aber, daß die Akte frei sein müssen im Sinne von unbehindert und in der Bedeutung von freiwillig. Insofern der Glaubensakt die positive Antwort auf den Anruf Gottes ist, stellt er die Vollendung des menschlichen Selbstvollzuges dar. Ist dieser aber notwendig frei, dann auch der Glaubensakt. Betrachtet man diesen zugleich als Akt der übernatürlichen Ordnung, so setzt er die Begnadung des Menschen voraus. Gnade aber kann vom Menschen nur in Freiheit angenommen werden. Zwang zum Glauben entwertet diesen Akt als höchst personalen Ausdruck der freien Annahme Gottes und seiner Offenbarung, ja er widerspricht direkt dem Wesen des Glaubens. Ein erzwungener „Glaube" kann deshalb nicht Heil wirken, weil das Heil nur in Freiheit angenommen werden kann. I I . Religiöse Freiheit gegenüber Staat und Gesellschaft Aufgabe der Kirche ist es, den Menschen zum Heil zu führen. Unter dieser Voraussetzung dürfen die der Kirche zukommenden Rechte und Zuständigkeiten nicht mit den Grundrechten des Menschen in Widerspruch stehen oder sie schmälern. Mit der Erklärung über die Religionsfreiheit hat das II. Vatikanische

* Erschienen in: GrNKirchR, 435-438. 67 FS Mühlsteiger

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Konzil einen bedeutenden Fortschritt in der Koordinierung der Grundrechte des Menschen mit den Kompetenzen der Kirche gebracht. Die Kirche weiß sich auf der einen Seite als authentische Hüterin und Interpretin der Offenbarung mit dem göttlichen Auftrag betraut, den Menschen die Heilswahrheiten verbindlich zu verkünden. Auf der anderen Seite darf die von Gott im Menschen angelegte Freiheit, die die Grundlage für verantwortetes Tun des Menschen ist, nicht durch physischen oder moralischen Zwang beschränkt werden. Durch die Geschichte der Kirche werden wir belehrt, daß die beiden Aspekte keineswegs immer in Einklang gebracht wurden. Die Einsicht, daß die personale Freiheit zu jenen Werten zählt, die durch nichts anderes als das Gemeinwohl beschränkt werden dürfen, hat zunächst dem Gedanken der Toleranz zum Durchbruch verholfen. In Reaktion auf die totalitären Systeme (Faschismus, Kommunismus, Nationalsozialismus) wurde der Wert der Würde der menschlichen Person stärker ins Bewußtsein der Menschen gerückt. Doch ist auch die Haltung der bloßen Toleranz als Konzession, die ein Staat oder eine Religionsgemeinschaft jenen Bekenntnissen macht, die nicht mit der offiziellen Religion konform gehen, nicht adäquat und zielführend, da sie eine Minderbewertung des guten Glaubens bzw. der subjektiven Überzeugung in sich schließt. I I I . Religionsfreiheit und Toleranz Die Auffassung bloßer Toleranz wurde in der Konzilsdebatte über die Religionsfreiheit noch heftig verteidigt, und zwar mit der scheinbar schlüssigen Formel: Nur die Wahrheit hat Recht, der Irrtum hat keinerlei Recht. Die Erklärung über die Religionsfreiheit wählte demgegenüber als Ausgangspunkt und tragendes Element: Die Würde der menschlichen Person (Vatll DH Art. 2) 1 . Diese hat, weil mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet, dem Gewissen als oberster und unantastbarer Instanz menschlichen Handelns zu folgen, selbst dann, wenn eine objektive Beurteilung ergeben sollte, daß die Gewissensentscheidung nicht den sittlichen Normen entspricht. Die Entscheidung für eine bestimmte Religionsgemeinschaft zählt zu den ureigensten sittlichen Selbstbestimmungen. Die subjektiv sittliche Entscheidung des Irrenden ist deshalb in Ehrfurcht anzuerkennen.

1

Vgl. vor allem E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: StdZ 176 (1964/65), 199-212; ders.. Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, in: ders., Kirchlicher Auftrag und politische Entscheidung. Freiburg 1973, 191-205; J. Hamer / Y. Congar (Hg.), Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit. Paderborn 1967; J. Listi , Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR 1 1, 363—406; ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1971,5 ff., 44 ff.

Glaubens- und Religionsfreiheit

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I V . Der Inhalt des staatlichen Grundrechts der Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit betrifft ein Recht des Menschen, das in dessen innerstem Wesen angesiedelt ist. Nicht die Wahrheitsfrage noch das Verhältnis des Menschen zu Gott stehen hier zur Debatte. Zwar hat der Mensch die Pflicht, nach der Wahrheit zu streben und gemäß seiner Erkenntnis zu handeln. Der Umstand aber, daß jemand nicht in den Besitz der Wahrheit kommt, daß also der Inhalt seiner Erkenntnis objektiv gesehen ein Irrtum ist, hat nicht den Verlust der personalen Grundrechte zur Folge. Der durch das Recht der Religionsfreiheit garantierte Freiheitsraum soll vielmehr ermöglichen, daß der Mensch entsprechend seinem Gewissen Gott verehrt und jede Form von Zwang durch andere Menschen ausgeschlossen bleibt. Damit ist aber der Mensch aus seiner moralischen Verpflichtung gegenüber Gott und der Wahrheit nicht entlassen. Mit der Freiheit vom Zwang besteht also die rechtliche Möglichkeit, eine Religion seiner Wahl oder den Atheismus zu bekennen, aber es ist keine moralische Ermächtigung dazu gegeben. Positiv gesehen hat es die Kirche dem einzelnen zu ermöglichen, dem Anruf Gottes, sobald er ihn erkannt hat, in Freiheit nachzukommen. Wer so seinem Gewissen zu folgen hat, muß auch das Recht besitzen, seine Entscheidung öffentlich zu bekennen und zu vertreten. Dieses Recht bleibt auch bestehen, wenn es dadurch mißbraucht wird, daß jemand der Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nachkommt (Vatll DH Art. 2). Deijenige, der nicht gezwungen werden darf, gegen sein Gewissen zu handeln, und nicht gehindert werden darf, gemäß seinem Gewissen zu handeln, ist zunächst der Mensch als Einzelperson. Seine Sozialnatur erfordert es aber, daß er ,innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und seine Religion gemeinschaftlich bekennt" (ebd. 3). Das hat zur Folge, daß den einzelnen die Freiheit vom Zwang in religiösen Dingen auch dann zuerkannt wird, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Das bietet ihnen die Möglichkeit, die gemeinschaftseigenen Angelegenheiten zu regeln, „ihre eigenen Amtsträger auszuwählen, zu erziehen, zu ernennen und zu versetzen, mit religiösen Autoritäten und Gemeinschaften in anderen Teilen der Erde in Verbindung zu treten, religiöse Gebäude zu errichten und zweckentsprechende Güter zu erwerben und zu gebrauchen" (ebd. 4). Diese Freiheit begreift in sich das Recht, bei der Verkündigung der Lehre und der Bezeugung des Glaubens nicht behindert zu sein (ebd. 4).

V . Religiöse Freiheit und Familie Träger des Rechtes auf Freiheit im religiösen Bereich ist neben der Einzelperson auch jede Familie. Das betrifft zunächst die Gestaltung des religiösen Lebens im Rahmen der Familie. Den Eltern steht aber auch das Recht zu, „die Art der religiösen Erziehung ihrer Kinder gemäß ihrer eigenen religiösen Über-

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zeugung zu bestimmen" (ebd. 5). Die Kinder dürfen nicht gezwungen werden, „einen Schulunterricht zu besuchen, der der religiösen Überzeugung der Eltern nicht entspricht" (ebd. 5). Daher muß von Seiten der staatlichen Gewalt das Recht der Eltern anerkannt werden, „in wahrer Freiheit Schulen und andere Erziehungseinrichtungen zu wählen, und aufgrund dieser Wahlfreiheit dürfen ihnen weder direkt noch indirekt irgendwelche ungerechten Lasten auferlegt werden" (ebd. 5). Zusammen mit dem Staat und anderen sozialen Institutionen hat die Kirche die Pflicht, auf die ihr wesenseigene Weise den Raum für die Ausübung der religiösen Freiheit zu sichern. Die Kirche hat ihre Mischehengesetzgebung, wie sie im MP ,Matrimonia Mixta" enthalten ist, nach den Grundsätzen der Erklärung über die Religionsfreiheit orientiert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Prinzip der Eigenverantwortung auch noch andere Bereiche ausdrücklich erfassen muß.

I I I . Kirche und Staat

Der Kampf der Salzburger Kirche um das Einweisungsrecht in die Temporalien*

Differenzen zwischen Kirche und Staat bezüglich der Temporalien bedeuten keine Neuigkeit, seitdem die Kirche Güter in größerem Umfang besaß. Den weltlichen Herrschern boten sich Möglichkeiten, sich in dem Maße für das Kirchengut zu interessieren, in dem sie unter dem Titel eines Schutzherrn der Kirche oder eines Reformers in das Kirchengut eingreifen zu müssen glaubten. Die bisweilen sehr weitreichenden Sonderrechte, die die Päpste den Landesherren verliehen, um sie für ihre Interessen zu binden, förderten nicht minder die Anspruchsgelüste auf das zeitliche Kirchengut. 1 In Österreich entwickelte sich das besondere Verhältnis der Landesfürsten zum kirchlichen Eigentum aus dem landesfürstlichen Kirchenpatronat und aus der Lehensvogtei über Bistümer und Klöster. Hatte ersteres eine Schutzgewalt über die kirchlichen Gründungen, die auf landesfürstlichem Eigentum entstanden, zur Folge, so machte die Belehnung den Landesfürsten zum weltlichen Schirmherrn über das bischöfliche oder klösterliche Gut. 2 Vor allem waren es die Habsburger, die durch ein „ungemein zielbewußtes und starkes Streben" versuchten, „alleinige, oberste Vogteiherren im ganzen Territorium zu werden". 3 Sie hatten dabei solchen Erfolg, daß um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Österreich das Recht eines obersten Vogtes und obersten geistlichen Lehensherren „einen integrierenden Bestandteil der landesfürstli-

* Erschienen in: ZRG Kan.Abt. 58 (1972) 198-234. 1

So im Wiener Konkordat von 1448 oder im Französischen Konkordat von 1516. V g l . Λ . W. Ziegler, Religion, Kirche und Staat in Geschichte und Gegenwart. München 1969,287. 2

W. Latzke, Die Klosterarchive (Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, hg. v.L.Bittner, III). Wien 1938,296. 3 Η v. Srbik, Die Beziehungen von Staat und Kirche in Österreich während des Mittelalters (Forschungen zur, inneren Geschichte Österreichs, hg. v.A. Dopsch, I, Η. 1). Innsbruck 1904,78.

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chen Machtbefugnisse" darstellten. 4 Unter Friedrich III. (1440-1493) ist dieser Anspruch in eine formell und faktisch ausgeübte sowie auf dem Landesfürstentum beruhende Schirmvogtei umgebildet worden. Im Bewußtsein des vollen Besitzes dieses Rechtes bezeichnet er sich selbst als „aller kloster in unsern fürstentume und landen obrister erbvogt" 5 . Das Beaufsichtigungs- und Mitbestimmungsrecht bei allen das Kirchengut betreffenden Rechtsakten war eine konsequente Ausweitung des obersten Vogteirechtes. Maßnahmen zur Sicherung kirchlichen Eigentums, ein entscheidendes Mitspracherecht beim Ankauf und Verkauf kirchlicher Immobilien waren der konkrete Ausdruck dieses Anspruchs. 6 Heinrich von Srbik meint, daß man ungefähr von der Mitte des 15. Jahrhunderts an „mit voller Berechtigung von einem Obereigentum des Landesherrn am Vogteigute" sprechen kann. Ja, er vertritt die Ansicht, daß sich auf der Vogtei zum großen Teil das Staatskirchentum aufbaut. 7 Das Bemühen des Landesfürsten, seinen Schutz über die Hochstifte in eine Schirmvogtei umzuwandeln, blieb zunächst ein einseitiger Versuch. Weder das Hochstift Passau fand sich bereit, einen solchen Anspruch zu akzeptieren, noch war das Erzstift Salzburg gewillt, Friedrich III. den von ihm beanspruchten Titel eines „rechten Erbvogtes" zuzuerkennen. 8 Als im September des Jahres 1766 der Salzburger Fürsterzbischof Graf Sigismund Christoph von Schrattenbach bei der Kaiserin Maria Theresia wegen des Ausschlusses der Ordinariatskommissare bei der Übergabe der pfarrlichen Temporalien 9 protestierte, war diese Beschwerde keineswegs die erste, die in einer so gearteten Angelegenheit von der genannten Kirche an den Wiener Hof ging. Gerade das Salzburger Erzstift kämpfte durch Jahrhunderte mit unter-

4

Latzke, Kirchenarchive (Anm. 2), 296.

5

Srbik, Beziehungen (Anm. 3), 83. Nach dem Forschungsergebnis desselben Autors ist Herzog Albrecht II. (1343-1358) der erste österreichische Landesfürst, der sich einmal „obrister vogt in dem Land ze Österreich" nennt. Ebd. 82. 6

Latzke, Kirchenarchive (Anm. 2), 296 f.

η

Srbik, Beziehungen (Anm. 3), 91. Der Verfasser eines Pamphlets legt dem Kaiser folgenden Ausspruch in den Mund: „pfaffenhab ist mein cammergut." Ebd. ο Srbik, ebd., 39. Zur Geschichte der Schirmvogtei über das Hochstift Salzburg unter den Babenbergern vgl. F. X. Krones, Umrisse des Geschichtslebens der deutschösterreichischen Ländergruppe in seinen staatlichen Grundlagen vom X. bis X V I . Jahrhundert. Innsbruck 1863, 85 ff. Über die Rechte der Vögte von Reichskirchen v g l . A . Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittelalter (Grundriß der Geschichtswissenschaft, Bd. IL, Abt. 6). Leipzig / Berlin 2 1913,78 f. Wien, Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv (= A V A ) , ad 14 vom Jahre 1767. G. S.

Kampf der Salzburger Kirche um das Einweisungsrecht

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schiedlichem Erfolg um seine diesbezüglichen kirchlichen Rechte. Die Maßnahme der Kaiserin gegenüber dieser Kirche bedeutete deshalb keine erstmalige und allein auf persönlicher Initiative beruhende Beschneidung kirchlicher Prärogativen, vielmehr setzte die Regentin dabei den Fuß in die von ihren Vorgängern getretenen Spuren. Wenn man behauptet hat, daß von Seiten des Salzburger Erzstiftes niemals gegen die Vogteirechte Österreichs Einspruch erhoben wurde, so ist diese allgemeine Behauptung wohl nicht ganz den Tatsachen entsprechend. 10 Neuere Untersuchungen 11 und die vorliegende kleine Abhandlung ergeben vielmehr, daß Zwistigkeiten zwischen dem österreichischen Landesfürsten und den Salzburger Erzbischöfen gerade wegen der aus dem obersten Vogteirecht erhobenen Ansprüche der ersteren auf Zuständigkeit in kirchlichen Angelegenheiten, wie ζ. B. des Anspruchs auf die Einweisung in die Temporalien, entstanden sind. Im folgenden soll nun die Geschichte des langen und stillen Kampfes, der sich um das Recht der Temporalieneinweisung zwischen den beiden Landesherren entsponnen hat, kurz gezeichnet werden. Einen Versuch, kraft des Kirchenpatronats Einfluß auf die geistlichen Institutionen in seinen Herzogtümern zu gewinnen, stellt der Vergleich dar, den Herzog Leopold VI. von Österreich im Jahre 1211 mit dem Salzburger Erzbischof Eberhard II. von Salzburg, einem Grafen von Regensberg, Schloß und durch welchen jenem das Patronat über eine größere Anzahl von steirischen Pfarreien verliehen wurde. 12 In der Folge gelang es dem Herzog sogar, dem

10

Fr. Martin, Die kirchliche Vogtei im Erzstift Salzburg: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 46 (1906) 358. Als Gründe führt der Autor einmal den Umstand an, daß eine Vogtei Österreichs über Salzburg keine praktischen Folgen nach sich zog, zum andern, daß man zur Widerlegung zu wenig Beweismaterial hätte beibringen können. 11 Zum Beispiel jene von W. Seidenschnur, Reichs- und kirchenrechtliche Stellung der Salzburger Eigenbistümer: ZRG Kan.Abt. 9-10 (1919-1920) 177 ff. 12

A. V. Meiller, Regesten zur Geschichte der Salzburger Erzbischöfe. Wien 1866, 200 f. Die Erzbischöfe von Salzburg erhielten durch die Bulle Alexanders II. im Jahre 1070 wegen der großen Ausdehnung ihres Kirchensprengels das Recht, nach ihrem Ermessen zum Zweck einer intensiveren pastoralen Betreuung mehrere Bischöfe zu ernennen und zu konsekrieren. So wurde ein Suffragan für Gurk im Jahre 1072 von Heinrich IV., für Chiemsee im Jahre 1213, für Seckau 1218 und für Lavant 1225 von Friedrich II. bestätigt. Wegen des stellvertretenden Charakters ihres Amtes trugen sie den Titel: Vicarius Generalis. Der einschlägige Text der Bulle lautet: „...quia ecclesia tua tarn ample diffusa est, quod per te solum non possis earn in charismate aliisque pluribus quibus episcopali officio indiget decenter ac rationabiliter regere ... concedimus ... in quocumque loco tibi melius visum fuerit episcopatum in tua parrochia consti-

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Salzburger Oberhirten das Versprechen abzuringen, alle in seinen Herzogtümern gelegenen Kirchen künftig mit den von ihm Präsentierten zu verleihen. Dieses weitreichende Zugeständnis wurde aber bald durch einen Entscheid des Papstes Innozenz I I I . als den kirchlichen Rechtsnormen ,»feindlich" erklärt und dem Herzog aufgetragen, sich nicht danach zu richten und sich nicht anzumaßen, eine ähnliche Versprechensabgabe zu erzwingen. 1 3 Ottokar, dem es gelungen war, das ganze babenbergische Erbe wieder zu vereinigen, hatte sich bei der Errichtung seiner Herrschaft in der Steiermark zum Ziel gesetzt, auf Grund der Vogtei eine Oberhoheit über die kirchlichen Institutionen seines Landes zu erreichen. In dieser Absicht erklärte er sich 1269 als principalis und praecipuus advocatus von Seckau. A u f Grund dieses Rechtstitels beanspruchte er dann die Verfügungsgewalt über die Temporalien des Bistums. 1 4 Noch das ausgehende Mittelalter zeigt Ansätze eines neuen Selbstverständnisses der deutschen Fürsten hinsichtlich ihrer Herrschaftsrechte, die sie nun

tuere et ad procurandam salutem animarum adiutorem tibi tua consideratione ibi praeponere, ita tamen ut episeopatus ille ecclesie tue tibique vel tuis successoribus numquam subtrahatur et nullus ibi episcopus quandoque sive per investituram, ut dici solet, vel quocumque pacto inibì constituatur, nisi quam tu vel tui successores prompta voluntate elegerint, ordinaverint et consecr aver int." Vgl. J. D. Kleinmayrn, Nachrichten vom Zustande der Gegenden und Stadt Juvavia. Salzburg 1784, Dokumentenanhang, 257. Die Salzburger Erzbischöfe haben sich das Ernennungs- und Belehnungsrecht bis in spätere Zeiten zu wahren gewußt. Zur Zeit des Trienter Konzils besaß der Salzburger Metropolit als einziger ein solches Ernennungsrecht. Vgl. J. Ficker, Vom Reichsfürstenstande (Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung, Bd. I). Innsbruck 1861, 288. Über die Sonderrechte des Salzburger Metropolitansitzes siehe A. Ginzel, Handbuch des neuesten in Österreich geltenden Kirchenrechts, Bd. I. Wien 1857,220 ff. 13

L. Wahrmund, Das Kirchenpatronat und seine Entwicklung in Österreich II. Wien 1896, 5. Aus dem Schreiben Innozenz' III. an den Salzburger Erzbischof: „... Pervenit ad audientiam nostram, te dilecto nobili viro ... duci Austriae promisisse, quod feuda et ecclesias in ipsius ducatibus de cetero vacaturas, nisi secundum voluntatem et petitionem ipsius alicui non conferres. Cum igitur promissionem huismodi constet esse sacris canonibus inimicam et ideo non servandam, per apostolica tibi scripta districtius inhibemus, ne aut illam observes, aut similem praesumas de cetero attemptare." Ebd., Anm. 11. Vgl. dazu F. X. Krones, Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogthums Steier von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, Bd. I). Graz 1897, 136 ff. Über die geschichtliche Entwicklung der rechtlichen Beziehungen zwischen dem Salzburger Erzstift und dem Suffraganbistum Gurk siehe J.Hirn, Kirchen- und reichsrechtliche Verhältniße (sie!) des salzburgischen Suffraganbistums Gurk. Krems 1872. 14

Seidenschnur, Stellung (Anm. 11), 259.

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mehr und mehr unabhängig von der Kirche wahrzunehmen trachten. Bezeichnend hiefür ist der Ausdruck Herzog Rudolfs IV. von Österreich (1339 - 1365), der erklärte, er wolle Papst, Erzbischof, Bischof, Archidiakon und Dekan in seinem Lande sein.15 Kaiser Siegismund von Österreich verordnete beispielsweise 1418 für die Geistlichkeit der Erzdiözese Salzburg, daß die Bischöfe und Prälaten und andere geistliche Personen sich vor einem weltlichen Gericht zu verantworten hätten.16 Es hatte allerdings nicht mit der Emanzipation von der kirchlichen Rechtsvormundschaft sein Bewenden. Das gesteigerte Herrscherbewußtsein und die Reformbedürftigkeit der Kirche verleiteten die weltlichen Fürsten, auch kirchliche Angelegenheiten wahrzunehmen. 17 Landesfürstliche Verordnungen in fa vorem Ecclesiae urgierten zwar noch das Kirchenrecht, dahinter aber verbarg sich eindeutig das Bewußtsein einer staatlichen Kompetenz in geistlichen Dingen, wenn diese auch zunächst als subsidiäre Maßnahme gedacht war. 18 In dem Streben des Landesherrn, hoheitliche Gewalt über kirchliche Anstalten zu erhalten, bot sich als besonders geeignetes Mittel die Einflußnahme auf die Besetzung der Bischofsstühle an. Ein diesbezügliches Mitspracherecht sicherte am ehesten die Unterwerfung der Temporalien unter die Hoheit des Landesfürsten. 19 Der Vergleich, den Erzbischof Matthäus Lang von Salzburg - er selbst war durch die Gunst der Habsburger zu seiner Würde gelangt 20 im Jahre 1535 mit König Ferdinand I. Schloß, kann für das allmähliche Eindringen der landesfürstlichen Gewalt in den kirchlichen Zuständigkeitsbereich als paradigmatisch gelten. Das Übereinkommen wurde infolge einer Auseinandersetzung über die Besetzung des Gurker Bischofsstuhles getroffen und setzte fest, daß bei Erledigung des Bistums Gurk das Haus Österreich zweimal nacheinander den Bischof

15

Annales Mattseenses, M. G., SS IX, 832,41.

16

Vgl. E. Friedberg, Die Gränzen (sie!) zwischen Staat und Kirche und die Garantieen (sie!) gegen deren Verletzung. Tübingen 1872,110 ff. 17

Die auf der Provinzialsynode zu Salzburg im Jahre 1549 versammelten Bischöfe beklagten sich heftig über die Vergewaltigung der Kirche durch den Staat. Vgl. Friedberg, ebd., 117 f. 18

Eine Verordnung Maximilians II. vom Jahre 1552 verfügte, daß geistliche Güter ohne staatliche Genehmigung nicht veräußert werden dürften. Zuwiderhandelnden wurden sogar Leibesstrafen angedroht. Vgl .Friedberg, ebd., 125. 19 20

Seidenschnur, Stellung (Anm. 11), 262 f.

H. Widmann, Geschichte Salzburgs II (Allgemeine Staatengeschichte. 3. 9, 2). Gotha 1909,354.

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ernennt und jedes dritte Mal das Ernennungsrecht dem Erzbischof zusteht. In diesem Falle muß es sich um eine dem Landesfürsten genehme Person handeln. Der vom letzteren Ernannte wird dem Erzbischof präsentiert und von ihm auch bestätigt. Als Einweisungsmodus in die Temporalien wurde festgelegt: Der vom Salzburger Ordinarius ernannte und belehnte Bischof hat sich beim Landesfürsten einzufinden und um die Temporalien nachzusuchen. Die Erteilung erfolgt, nachdem er diesem als dem Erbvogt des Stiftes Gurk einen Gehorsamsrevers ausgestellt hat. 21 Von nun an erhielt der Bischof von Gurk die Temporalien seiner Kirche aus den Händen zweier Herren. Ihre Übertragung ging in der Weise vor sich, daß die landesfürstlichen Kommissare das Haupturbar des Bistums mit daraufgelegten Schlüsseln dem Bischof übergaben und die Vertreter des Erzbischofs diese Handlung wiederholten. Den Lehenseid hatte der Bischof allein dem Erzbischof als dem dominus directus der Temporalien zu leisten. 22 Die Reformation kam den Bestrebungen der Landesfürsten in verstärktem Maße entgegen. Erst mit dem Erwachen der gegenreformatorischen Kräfte versuchte mancher Vertreter der Kirche, das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen, jedoch ohne Erfolg. Als Schritt in Richtung auf eine Teilregelung der staatlich-kirchlichen Beziehungen kann der zwischen Bischof Urban von Passau und Rudolf II. geschlossene Vertrag vom 6. November 1592 bezeichnet werden. 23 In diesem Rechtsübereinkommen wird einleitend darauf hingewiesen, daß bereits „vor etlichen langen Jahren" zwischen den Vorfahren der beiden Vertragschließenden und nun zwischen ihnen selbst wegen der kirchlichen und landesfürstlichen Jurisdiktion in Österreich „allerhand Mißverstand, Stritt und Irrung" bestanden hätten und noch bestünden.24 Um einer Ausweitung dieser Differenzen zuvorzukommen, hatte Rudolf II. eine Kommission mit der Untersuchung der fakti-

21

J. Kleinmayrn, 256 ff.

Nachrichten vom Zustand der Gegenden und Stadt Juvavia, 1784,

22

Kleinmayrn, ebd., 260. Das kirchliche Hoheitsgebiet über Österreich ob und unter der Enns bis an die Piesting stand dem Bischof von Passau zu und wurde erst 1468 durch die Errichtung des Bistums Wien unbedeutend geschmälert. Vgl. A. Luschin v. Ebengreuth, Österreichische Reichsgeschichte. Bamberg 1896,184. 23

24 Codex Austriacus II. Wien 1704, 128 ff.; vgl. auch P.J. Riegger, Corpus juris ecclesiastici bohemici et austriaci, I. Teil. Wien 1770, 267 ff. und Sammlung der älteren Kaiserlich-Königlichen landesfürstlichen Gesetze und Verordnungen in PublicoEcclesiasticis, I. Abt. vom Jahre 1518 bis 1785. Wien 1785, Nr. 18,25-32.

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sehen und rechtlichen Lage betraut. Nach einer eingehenden Diskussion einigte man sich mit den Vertretern der Diözese auf folgende Punkte: 1. Wer als erster, sei es der Kaiser oder der Ordinarius, von der Vakanz einer Prälatur Kenntnis erhält, verständigt schriftlich jeweils den anderen. Der Neuwahl wohnen allein die bischöflichen Abgeordneten bei. Der Neugewählte oder Postulierte wird angehalten, den Konsens des Landesfürsten und die Konfirmation des Ordinarius zu erbitten, was ihm gewährt wird, falls kein kanonisches Hindernis vorliegt. Die sich anschließende Installation geschieht in folgender Ordnung. Dem Neugewählten oder Postulierten wird durch die bischöfliche Behörde der Konvent vorgestellt und diesem aufgetragen, dem neuen Vorsteher den Gehorsam zu leisten. Ebenso werden dem Neugewählten „die Kirchen, der Chor, die Sacristey, samt denen Calicibus, Ornamentis, Clenodiis et aliis sacris Vasis" übergeben. Bei dem letzteren Akt sollen die kaiserlichen Kommissare zugegen sein, welche daraufhin dem Neugewählten „pro Majestatis suae ArchiDucali Patronatus, et Advocatiae Jure" die Temporalien (als solche werden bezeichnet: die Untertanen, die Offizialen [„Officirer"], Kästen, Keller und alles übrige zum Gotteshaus Gehörige, Mobilien oder Immobilien) übergeben und zwar im Beisein der bischöflichen Abgeordneten. 25 2. In diesem Artikel ist vorgesehen, daß Prälaten und Konvent, die der Jurisdiktion des Bischofs unterstehen, „in spiritualibus" und in jenen Belangen, die zur Mönchsregel und zu einem ehrbaren Lebenswandel gehören, von diesem visitiert, reformiert und zur Besserung angehalten werden. Ergibt eine Visitation die Notwendigkeit der Verhängung von Strafen, Strafurteilen und kirchlichen Zensuren sowie Suspension oder Deposition des Prälaten, wird der Ordinarius dazu angehalten, vor der Durchführung mit Angabe der Gründe und der strafwürdigen Taten dem Landesfürsten rechtzeitig Mitteilung zu machen. Dies nicht nur zu dem Zweck, um die Zustimmung des Landesfürsten zu erhalten, sondern auch um dessen Kommissare zum Depositionsakt absenden zu können und die Temporalien des Deponierten im Beisein der bischöflichen Abgeordneten zu übernehmen und sie bis zur Besetzung der vakanten Prälatur entweder den anwesenden Offizialen oder jenem, den der Kaiser dafür ausersehen hat, anzuvertrauen. Alleinige Sache des Ordinarius soll es bleiben, die Spiritualien dem Prior, dem Dekan des Konvents oder einer Person seiner Wahl zu überlassen. 26 3. Für den Fall des Todes eines Prälaten wird die Präsenz der kirchlichen und landesfürstlichen Kommissare für die Übergabe der Klosterspiritualien und 25

„... darbey dann gleichfalls des Herrn Ordinarli Abgesandten auch seyn mögen." Riegger, Corpus (Anm. 24), 271. 26

Riegger, e bd., 272 ff.

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Temporalien folgendermaßen geregelt: Beim Ableben des Prälaten soll zunächst der Prior oder Dekan in Gegenwart des Hofrichters und zweier Konventsangehöriger eine vorläufige Sperre („Nothsperr") der Spiritualien und Temporalien vornehmen. Nachdem der Ordinarius vom Tode Kunde erhalten und den Kaiser davon in Kenntnis gesetzt hat, sollen sie sich wegen der Generalsperre und Inventur verständigen. Zunächst ist vorgesehen, die bereits geschehene vorläufige Sperre der Spiritualien wieder zu öffnen, sie zu inventarisieren und aufs neue zu sperren. Die landesfürstlichen Kommissare sollen dabei anwesend sein, aber keinen bestimmenden Einfluß ausüben. Dem Ordinarius soll vorbehalten bleiben, bei der Sperre und Inventur, wie sie hinsichtlich der Temporalien von den landesfürstlichen Kommissaren vorgenommen wird, anwesend zu sein. Die Inventur soll diesen allein zustehen, und den bischöflichen Kommissaren soll dabei keine Behinderungsmöglichkeit oder Einflußnahme geboten werden. Die Ersparnisse eines Prälaten, die von einem anderen Kloster postuliert oder einem anderen übertragen wurden, sollen bei dem Kloster, wo sie erspart oder erworben wurden, belassen und der dortigen Inventur einverleibt werden. 27 4. Aus Traditions- und Billigkeitsgründen behält sich die staatliche Behörde gelegentlich einer freigewordenen landesfürstlichen Lehenspfarre oder eines Benefiziums vor, bei den bischöflichen Offizialen, Dekanen oder anderen sich über die Qualitäten des Bewerbers zum Zweck der Präsentation zu erkundigen. Unbenommen bleibt dem Ordinarius das Recht, den Präsentierten auf seine Tauglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls einen anderen Tauglichen zu präsentieren. Ohne Approbation des Ordinarius kann die Besitzeinweisung nicht vorgenommen werden. Die Investitur der Spiritualien soll dann durch den bischöflichen Offizial, jene der Temporalien hingegen durch die landesfürstlichen Kommissare geschehen, wobei jeweils beim Investiturakt einer Partei die Kommissare der nicht investierenden Partei zugegen sein sollen. 28 5. Was die Visitation und Korrektion der kaiserlichen Lehenspfarrer und Benefiziaten angeht, so stehen diese hinsichtlich ihrer geistlichen Rechte und persönlichen Angelegenheiten unter der Rechtshoheit des Bischofs, hinsichtlich der Temporalien aber unter jener des Landesfürsten. Der Ortsoberhirte kann gerichtlich gegen sie vorgehen, und falls sie sich als widerspenstig erweisen, wird sie der Staat nicht nur dazu anhalten, den Ungehorsam gegen den Ordinarius aufzugeben, sondern wird diesem jede Unterstützung gegen den Wider-

21 2

Riegger, ebd., 276 f.

* Riegger, ebd.,218 f.

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spenstigen gewähren. Strafurteile seitens der Diözese sollen sich allein auf Suspension und andere kirchliche Zensuren beziehen, wobei die landesfürstlichen Rechte unangetastet bleiben sollen. Im übrigen sollen im Sinne dieses Vergleichs jetzt und in Zukunft dem Kaiser, dem Haus Österreich und den Landständen alle Freiheiten, Indulte, wohlerworbenen Rechte und Gewohnheiten unangetastet bleiben, selbst wenn sie sich auf Prälaten, Pfarrer, Geistliche und Untergebene des Bischofs beziehen. Ferner behält sich der Kaiser für den Fall, daß „künftig durch des Allmächtigen Gottes Verhängnuß, oder des Heim Ordinarli, Vicarien und Officialen zu vielem Nachsehen, oder anderen Zuständen" die Klöster und ganz allgemein die Geistlichkeit „in Abfall und Verderben gerathen" sollten, vor, die „landesfürstliche Hand, zu gebührlicher Besserung und Einsehen zu gebrauchen". 29 Im Anschluß an die eben angeführten Artikel gibt der Bischof von Passau eine Erklärung ab, welche bestätigt, daß durch den Vertrag und bezüglich der Gegenstände, über die man sich mit dem Landesfürsten gütlich geeinigt hat, dem göttlichen und kanonischen Recht, den Konzilien, der päpstlichen Autorität sowie jener des apostolischen Stuhles, ebenso dem bischöflichen Amt und der damit verbundenen Jurisdiktion, der kirchlichen Immunität, den allgemeinen und besonderen Rechten der Kleriker und schließlich dem unvordenklichen Besitz dieses Rechtes kein Nachteil erwachsen ist. Um langwierige und gehässige Rechtshändel in Zukunft zu vermeiden, verankerte Kaiser Rudolf seinerseits vertraglich die Vorkehrung, daß Vertreter beider Parteien beim Auftauchen von Fragen strittiger Kompetenz „alsbald zusammen kommen" und die Angelegenheit gütlich klären sollten. 30 In diesem Sinne wurde am 2. November 1600 zwischen Kaiser Rudolf und dem Administrator der Diözese Passau bezüglich der Hinterlassenschaft eines mit oder ohne Testament verstorbenen Pfarrers, Vikars, Benefiziaten oder anderer Geistlicher durch einen Zusatzvertrag eine ähnliche Vorkehrung getroffen wie bezüglich der Temporalien eines Klostervorstehers. 31 Daß dieser Vertrag, der die Besitzeinweisung eines neugewählten Klostervorstandes und die eines Lehenspfarrers oder Benefiziaten als ein unbestrittenes landesfürstliches Recht sanktionierte, dennoch keinen vollen Erfolg bedeutete und die Grenzen der beiden Kompetenzbereiche nicht abzusichern vermochte, beweisen eine Reihe kaiserlicher Resolutionen ans den Jahren 1651 - 1653. Eine Verordnung vom 11. Oktober 1652 verfügte beispielsweise, daß der Offi-

29

Riegger, ebd., 280 ff.

30

Riegger, ebd., 282 f.

31

Sammlung (Anm. 24), Nr. 19,32 ff.

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zial im Sinne der Passauer Abmachungen „in pure spiritualibus ... allein inquiriren möge in mixtis" die kaiserlichen Kommissare „zugleich concurriren sollen" und daß schließlich bezüglich der „pure temporalia" sich die Kommissare gegenüber dem Offizial so verhalten sollten, wie dieser gegenüber den Kommissaren sich „in mere spiritualibus" zu verhalten habe.32 Schon im folgenden Jahr urgierte Kaiser Leopold I. wiederum für die Investitur eine Vorgangsweise im Sinne des Passauer Vertrages, präzisierte ihn jedoch dahingehend, daß für den Fall, daß der Offizial in gemischten Angelegenheiten nicht zu einer Beteiligung bereit sei, die kaiserlichen Kommissare die Untersuchung der zeitlichen Angelegenheiten allein fortsetzen sollten. 33 An das Konsistorium in Passau erging am 3. Jänner 1695 die Weisung, daß die Appellationen bei Gericht, soweit sie nicht die Ehe „und dergleichen pur lauter geistliche Sachen" berühren, nicht aus dem Land gezogen, sondern der niederösterreichischen Regierung als der dem Kaiser nachgesetzten Obrigkeit überlassen werden sollen. 34 Mit dem Rechtsanspruch der Einweisung in die Temporalien setzte sich die landesfürstliche Gewalt in Österreich in Gegensatz zu den Rechten der Kirche, die die Investitur nicht nur der Spiritualien, sondern auch der Temporalien seit jeher als ein Recht eigener Zuständigkeit betrachtete. 35 Reiffenstuel bringt mit Berufung auf Heinrich Zoesius36 eine sehr subtile Unterscheidung, wenn er meint, daß die Investitur, insofern sie lediglich die tatsächliche Übergabe und Einführung in den Ort und die Rechte bedeutet, keinen Rechtsakt darstelle und deshalb auch von einem Laien durchgeführt werden könne. 37 Petrus Rebuffus erklärt den königlichen Notar als unzuständig für die Einweisung in die Tempo-

32

Cod. Austr. II, 127 f.; Riegger, Corpus (Anm. 24), 209 f.

33

Riegger, ebd., 211-212.

34

Riegger, e bd., 204 ff.

35 Deer. Grat. c. 12,14,17-20, C. X V I , q. 7. Außer dem Bischof stand die Investitur der Temporalien dem Archidiakon als amtseigene Befugnis zu. Eine Investitur durch Laien wurde mit schweren Strafen belegt und war ungültig. Vgl. Decretales Greg. IX c. 7, 9, X , de officio archidiaconi, I, 23; FrSehmalzgrueber, Clerus saecularis et regularis, seu Decretalium Gregorii IX üb. III, torn. I, Ingolstadii 1714, tit. VII, § III, nr. 48ss., p. 285ss.; Α. Reiffenstuel, lus canonicum universum I, Venetiis 1717, tit. X X I I I , nr. 20, p. 305ss. 36 H. Zoesius, Commentarius in ius canonicum universum, Coloniae Agrippinae 1683, tit. VII, nr. 4, p. 212.

Reiffenstuel, 50, p. 177.

lus canonicum universum III, Venetiis 1709, lib. III, tit. VII, § II, nr.

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ralien. Ihm steht lediglich die Bezeugung und der Beweis des Einweisungsaktes zu. 38 Wie sehr bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Habsburger Monarchie das Kirchengut und was damit zusammenhing die Aufmerksamkeit und das Interesse der staatlichen Obrigkeit auf sich lenkte, veranschaulichen einige kaiserliche Verfügungen. Mit Berufung auf Resolutionen Kaiser Rudolfs II. ordnet Ferdinand II. am 26. Juni 1624 an, daß in Zukunft, falls kirchliche Stellen mit weltlichen wegen Kirchen, Pfarren, Filialen, geistlicher Benefizen, Vogteien, Grundstücke, Zehent oder anderer Güter oder Rechte, die von alters her einer Prälatur, einer Pfarrei, einem Benefizium, einer Stiftung oder Vogtei gewidmet sind, „in Stritt und Irrungen gerathen", solche Kontroversen an den Hof und vor den Kaiser selbst gezogen werden sollten, mit der Auflage, sie in möglichst kurzer Zeit zu entscheiden und zu verabschieden. Gleichzeitig werden die Besitzer der geistlichen Güter aufgefordert, ihren rechtmäßigen Titel bekanntzugeben. Sollte sich dies jedoch als unmöglich erweisen, werden die genannten Besitzer aufgefordert, ihre Güter im Sinne bereits ergangener Resolutionen sobald wie möglich abzutreten und deren Früchte zu restituieren. 39 Ebenso beanspruchte eine Entscheidung seines Nachfolgers, Ferdinand III., die staatliche Behandlung von Streitfragen und Zweifeln über geistliche Güter, Stiftungen und Benefizien. 40 In einer Resolution, die die Jurisdiktion für die Fälle kontroversen kirchlicher Lehenschaften (Patronate) der niederösterreichischen Regierung zuerkannte, erklärte Ferdinand III. einleitend, daß ihm „glaubwürdig vorgebracht worden" sei, daß einige Leute aus Leidenschaft oder sonst um ihre Absichten und Zwekke besser zu erreichen, solch strittige Patronatsangelegenheiten, die landesfürstlicher Instanz seien, bei den Konsistorien, also bei der geistlichen Behörde, anhängig zu machen suchten. Zum Teil würden sogar die Offizialen und Geist-

38

P. Rebuffus, Praxis beneficiorum, Venetiis 1609, p. 64, nr. 20, 21; vgl. Z. van Espen, lus ecclesiasticum, Coloniae Agrippinae 1748, p. I, tit. X X V I , cap. II, nr. IX, Χ, p. 550. J. Helfert weist auf die vom kanonischen Recht abweichende Praxis in Österreich hin. J. Helfert, Von der Besetzung, Erledigung und dem Ledigstehen der Beneficien nach dem gemeinen und dem besonderen österreichischen Kirchen rech te. Prag 1828,195 ff. 39

Riegger, Corpus (Anm. 24), 178 ff.; eine Verordnung desselben Kaisers vom 25. Februar 1634 schärfte die vor zehn Jahren ergangene Verfügung mit nahezu denselben Worten neuerdings ein. Ebd., 179 ff. und vgl. die Präscriptionsverfügung für geistliche Güter vom 9. März desselben Jahres im Cod. Austr. 11, 367 und Riegger, Corpus (Anm. 24), 312 ff. Verordnung vom 9. Dezember 1639, Cod. Austr. I, 401 f. und Riegger, Corpus (Anm. 24), 181 ff. 68 FS Mühlsteiger

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liehen selbst solche Angelegenheiten mit Gewalt an sich ziehen, insbesondere umstrittene Patronats- und Vogteirechte und was damit zusammenhänge, wie die Ein- und Absetzung von Schulmeistern, Mesnern, Zechpröbsten 41 und dergleichen. Dies alles geschehe in der Absicht, die Obgenannten dem kirchlichen Forum und der geistlichen Zuständigkeit zu unterwerfen. 42 Der Kaiser will aber eine Schmälerung seiner Rechte und eine Störung des angeblich ruhigen Besitzes seiner Rechte nicht hinnehmen, sondern ordnet im dispositiven Teil seiner Resolution der niederösterreichischen Regierung an, auf jene Parteien, die mit Übergehung der landesfürstlichen Kompetenz sich an die geistlichen Konsistorien wenden, zu achten und gegebenenfalls dagegen einzuschreiten. Aber nicht allein jene Parteien, die solchen Praktiken nachgehen, sondern auch die dem Kaiser untergebenen Konsistorialbehörden und Advokaten, die einer solchen Vorgangsweise durch Hilfe oder Rat Vorschub leisten, sollen wirklich bestraft werden 4 3 Im Jahre 1688 erinnerte Kaiser Leopold I. das Passauer Konsistorium an die Verfügung des Jahres 1655, wenn er anordnete, daß jene Parteien und Advokaten, die sich wegen eines Streitfalles in Patronatsangelegenheiten unterstünden, sich an ein geistliches Forum zu wenden, bestraft werden sollten, da ein solcher Fall der landesfürstlichen Instanz angehöre und „ab antiquo jederzeit allda fürgebracht, und darüber erkennet worden", sei. Für den Fall einer Nichtbeachtung dieser Zuständigkeit würde es nur zu allerhand Differenzen und Komplikationen zwischen der geistlichen und staatlichen Obrigkeit kommen. 44 Die angezogenen Dokumente geben Zeugnis davon, daß überall dort, wo kirchliche Angelegenheiten eine güterrechtliche Komponente aufwiesen, der Staat in seinem Selbstbewußtsein nicht nur die temporale Seite der Institution, sondern diese in ihrer Gesamtheit beanspruchte. Dieser unentwegt sich mehrende Katalog von Rechtsansprüchen gegenüber der Kirche wurde seit Beginn des 17. Jahrhunderts vornehmlich durch Einzelverordnungen zur Ausführung gebracht. Sie fanden aber noch im selben Jahrhundert im Zuge der Kodifikati-

41 Laienräte zur Unterstützung des Pfarrers in der Verwaltung der kirchlichen Güter. Vgl. E. Haberkern u. J. F. Wallach, Hilfswörterbuch für Historiker (Mittelalter und Neuzeit), Bern / München 1964,189.

42

Resolution Ferdinands III. vom 14. Dezember 1655 an die niederösterreichische Regierung, in der er dieser das Entscheidungsrecht in strittigen Patronatsfällen zuerkennt, Cod. Austr. 1,404 und Riegger, Corpus (Anm. 24) 214 f. 43 Rieger, ebd. 44

Schreiben Kaiser Leopolds I. vom 12. März 1688 an den Offizial und das Konsistorium von Passau, Cod. Austr. 1,405 und Riegger, Corpus (Anm. 24), 217 f.

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onsbestrebungen ihre gesetzliche Verankerung im „Tractatus de juribus incorporalibus". Daß eine solche staatliche Ingerenz zusätzlichen Stoff für Kompetenzkonflikte zwischen dem kirchlichen und dem staatlichen Forum bot, war selbstverständlich. Dadurch, daß beide gesetzgebenden Institutionen die Temporalien als einen Gegenstand eigener Gesetzgebung betrachteten, war eine Rechtsunsicherheit von selbst gegeben. Während man in der Praxis sich kirchlicherseits oft um die staatlichen Verordnungen nicht kümmerte, drängte der staatliche Gesetzgeber um so mehr darauf, seine von ihm vindizierten Rechte auch geltend zu machen. Das bedeutete, daß die Pfarrer sich oftmals um die staatlich vorgeschriebene Installation nicht kümmerten, und zwar auch dann, wenn die Pfarre landesfürstlichen Patronats war. In diesem Sinne richteten die von so gearteten Übertretungen betroffenen Behörden ihre Beschwerden an den kaiserlichen Hof. In einem Bericht vom 11. Dezember 1647 beklagte sich die niederösterreichische Regierung beim Kaiser, daß die für landesfürstliche Lehenspfarren präsentierten Kandidaten sich mit ihrer Präsentation beim Offizial und Konsistorium von Passau meldeten und von dort die Seelsorge übertragen erhielten. Die Regierung und die staatlichen Kommissare seien nun der Meinung, der Kaiser solle als Maßnahme für die Zukunft verfügen, daß entweder die Präsentation eines Kandidaten durch ein Dekret dem Konsistorium amtlich mitgeteilt und als Zeitpunkt für die geistliche und weltliche Investitur ein bestimmter Tag zu bezeichnen sei oder daß dem Offizial und Konsistorium befohlen werde, keinem Präsentierten die Seelsorge ohne voraufgehende Inventur in der Sakristei, die dem Ordinarius zustehe, und die Installation, als Sache des Landesfürsten, zu gewähren. 45 Die Rechtsunsicherheit, die sich durch gegeneinanderstrebende Verfügungen hinsichtlich des Einweisungsrechtes in die Temporalien allmählich eingestellt hatte, gestaltete die Beziehungen zwischen den kirchlichen und staatlichen Stellen immer schwieriger und forderte deshalb sehr dringlich eine Klärung der Kompetenzgrenzen. Diese Situation führte denn auch im Jahre 1671 zu einer Bereinigung der Rechtsverhältnisse zwischen Kaiser Leopold I. und Erzbischof Maximilian Gandolph von Salzburg für Innerösterreich, d. i. für Steiermark und Kärnten. 46

45

Bericht und Gutachten der niederösterreichischen Regierung vom 11. Dezember 1647, Cod. Austr. II, 141 f. „Salzburgischer Erzbischöflicher Recess in puncto Jurisdictionis Episcopal is cum annexis etc., welcher mit Kaiser Leopoldo in Ansehung der Herzogtümer Steyermark und Kärnten Anno 1671 errichtet worden." Salzburger Landesarchiv (SLA), Geheimes Archiv (= GA), V I , 28; Riegger, Corpus (Anm. 24), 405 ff.

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Das Ergebnis der Verhandlungen, in denen die Salzburger Kirche 13 Beschwerdepunkte vorgebracht hatte, wurde in einem Vertrag festgehalten. Den Salzburger Unterhändlern, die in der Frage nach der gerichtlichen Zuständigkeit für Zivilprozesse bei dinglichen Klagen gegen Angehörige des Klerus sich für eine freie Wahl zwischen einem kirchlichen oder weltlichen Gericht ausgesprochen hatten (1. Gravamen), hielt Leopold seinerseits entgegen, daß die Geistlichen in Innerösterreich „a tempore immemoriali" die Temporalien von ihm selbst oder in seinem Namen von den ihm untergebenen Stellen einzig und allein empfangen hätten und es deshalb sachentsprechender sei, wenn sie in Angelegenheiten der Temporalien die landesfürstliche Rechtssprechung in Anspruch nähmen.47 Kirchlicherseits (4. Gravamen) wünschte man, daß die bischöflichen Kommissare bei den Installationen von Prälaten, Äbtissinnen, Pfarrern, Benefiziaten und anderen Geistlichen „ad traditionem Temporalem mitgelassen werden" sollten. Die Salzburger Abgeordneten begründeten ihre Beschwerde mit dem Hinweis auf ein Schreiben Erzherzog Ferdinands vom 29. März 1616, aus dem eindeutig hervorgehe, daß dieser niemals die Absicht gehabt habe, den Ordinarius von der Übergabe der Temporalien auszuschließen, weshalb man wohl keine Bedenken haben werde, eine solche in Zukunft gemeinsam vorzunehmen. Der Kaiser machte dagegen geltend, daß hinsichtlich dieser Praxis in Österreich ein Rechtsbesitz und eine unvordenkliche Gepflogenheit gegeben sei. Die Temporalität sei jedesmal unabhängig vom Ordinarius und unter dessen Ausschluß durch die Vogtherren allein übergeben worden. Außerdem handle es sich um einen Akt, der rein zeitliche Dinge betreffe, mit welchen der Ordinarius „nichts zu thun" habe; weshalb der Kaiser den gegebenen Status nicht zu ändern gedenke.48 Im Zusammenhang mit der eben angeführten Klage bezog sich das 5. Gravamen der Salzburger Kirche auf den Umstand, daß die kaiserlichen Kommissare, Verwaltungsbeamten und Vogtherren beim Tod oder bei Versetzung von Prälaten, Äbtissinnen, Pfarrern und Benefiziaten bis zu deren Nachfolge über die Verwaltung der Temporalien und die Bestellung von Verwesern allein bestimmen wollten, ja sogar Pfarrurbare und andere zur Pfarre gehörige Dokumente zu sich nähmen, so daß ein angehender Pfarrer nicht wissen könne, welche Einkünfte ihm gebührten. Ihren Standpunkt erhärteten die Salzburger Verhandlungspartner mit dem Hinweis, daß der Ordinarius nichts einzuwenden habe, wenn solche Provisoren und Ökonomen mit vorheriger Verständigung

47

Riegger, ebd., 409 ff.

48

Riegger, ebd., 418 f.

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der weltlichen Obrigkeit eingesetzt würden. Im Fall jedoch, daß ein Prälat wegen schlechter Führung seiner Verwaltungsgeschäfte abgesetzt werden müßte, sollte die diesbezügliche Untersuchung und Entscheidung dem Ordinarius allein vorbehalten bleiben, mit der Auflage jedoch, daß vor der Ernennung des besagten Verwesers der Landesfürst davon in Kenntnis gesetzt und bezüglich des Bewerbers ein Einvernehmen getroffen werde. Soweit ein tauglicher Kandidat vorhanden sei, sollte dieser jederzeit aus dem Kloster oder zumindest aus derselben Ordensgemeinschaft genommen werden, wobei darauf Bedacht zu nehmen sei, daß die Pfarrurbare und andere schriftliche Dokumente in den Pfarrhöfen belassen oder an einen anderen sicheren Ort gebracht werden sollten, aber immer unter der Bedingung, daß sie von den staatlichen und kirchlichen Vertretern verschlossen und versiegelt würden. Mit der Begründung, daß die Interimsstellung oder die Verwaltung der zeitlichen Güter bei der Erledigung eines Amtes oder Freiwerden eines Benefiziums ein Annex zur Temporalität und von dieser abhängig sei, die Temporalien aber auf Grund unvordenklicher Tradition dem Kaiser allein zustünden, entschied dieser, daß auch deren Verwaltung dem Landesfürsten und der weltlichen Jurisdiktion als notwendige Konsequenz gebühre, ebenso wie dem Erzbischof von Salzburg als Ordinarius die geistlichen Angelegenheiten und die Entscheidung darüber ausschließlich zufallen sollten. Wie der Landesfürst kraft seiner weltlichen Jurisdiktion den neugewählten Prälaten, Äbtissinnen und anderen neueingesetzten Geistlichen die Temporalität und deren Verwaltung für das ganze Leben allein übertragen habe, so ergebe sich daraus um so mehr und ohne Widerspruch, daß der Kaiser und seine nachgeordneten Stellen für die Zeit der Erledigung eines Benefiziums einen Interimsverwalter für die zeitlichen Anliegen einzig und allein zu bestimmen haben, wie dies analogerweise der Ordinarius in geistlicher Hinsicht tun könne. Wenn jedoch wegen schlechter Verwaltung oder aus einem anderen gerechtfertigten Grund ein Temporalitätsinhaber ersetzt werden müsse, so verpflichte sich der Monarch, den Ordinarius davon in Kenntnis zu setzen. Dieser solle sich seinerseits bereit erklären, dem Landesfürsten Mitteilung zu machen, wenn eine Absetzung auf Grund dessen, daß „in dem geistlichen Wesen übel gehauset" worden sei, erfolgte. 49 Gegen die Praxis des Staates, von den neugewählten Klostervorständen, Pfarrern und Benfiziaten bei der Amtsübernahme Reverse zu verlangen, legte man kirchlicherseits Beschwerde ein (7. Salzburger Gravamen) mit der Erklärung, es liege immer in der Absicht des Bischofs, daß von Seiten des gesamten Klerus dem Kaiser in seiner Eigenschaft als Vogt und Lehensherr die gebüh-

49

Riegger, ebd., 419 ff.

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rende Ehre erwiesen werde. Deshalb habe der Ordinarius gegen Reverse nichts einzuwenden, wenn sie in einer Form abgefaßt würden, die seinen Rechten keinen Eintrag täten. Wiederum entschied der Kaiser gegen die Salzburger Bitte und für die Beibehaltung der geltenden Praxis mit der Begründung, daß die Reverse nicht die geistlichen, sondern allein die zeitlichen Belange betrafen. Der Ordinarius habe damit nichts zu tun und brauche deshalb davon auch nichts zu wissen. Da die genannten Reverse seit unvordenklichen Zeiten und auch heute noch in Übung seien und zu Recht bestünden, beharre er weiterhin sowohl auf ihrer Ausstellung als auch auf deren Ablassung im üblichen Wortlaut. Keinem Bewerber sollte in Hinkunft die Temporalität übergeben werden, ohne daß von ihm zuvor ein Revers ausgehändigt werde. 50 In diesem Zusammenhang wiesen die staatlichen Unterhändler noch auf eine andere Unzukömmlichkeit hin. Salzburgische Erzpriester 51 in der Steiermark und in Kärnten erzwängen angeblich von den, Pfarrern „heimliche" Reverse, in denen diese sich ausdrücklich verpflichten müßten, den Erzbischof von Salzburg als zuständigen Herrn in temporalibus anzuerkennen, ein Umstand, der der weltlichen Hoheitsgewalt des Monarchen zu großem Nachteil gereiche. Salzburg sollte deshalb dafür Sorge tragen, den Dekanen solch unbefugte, Anmaßungen und Übergriffe zu unterbinden 5 2 Der eben angeführte Artikel hat seine Vorgeschichte in einem Vertrag, den Ferdinand III. mit seinem Bruder Leopold Wilhelm, dem damaligen Bischof von Passau, geschlossen hat. Darin wird der genaue Wortlaut des Temporalienreverses für den zu Installierenden festgelegt. Er fordert die absolute Anerkennung der landesfürstlichen Obergewalt über das Kirchengut. 53 Allein nicht bloß bei der Einweisung in die Temporalien hatte sich der Kaiser ein ausschließliches Recht vindiziert, er griff auch in den vorausliegenden Wahlgang insofern ein, als er zur kanonischen Wahl noch eine zusätzliche Bestätigung der Wahl durch die kaiserlichen Kommissare verlangte und, um weitere Unkosten zu vermeiden, die sofortige Übergabe der Temporalien durch dieselben verfügte. 54

50

Riegger, ebd., 422 ff.

51

Gemeint sind hier wahrscheinlich die Dekane, vgl. Haberkern / Wallach, Hilfswörterbuch (Anm. 41). 52

Riegger, Corpus (Anm. 24), 422.

53

Der Wortlaut des Reverses ist abgedruckt im Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, III, 305. 54

Riegger, Corpus (Anm. 24), 425 f.

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Mit diesem Vertrag, der noch eine Reihe anderer den kirchlichen Zuständigkeitsbereich einschränkender Artikel beinhaltet, sollte einem „so langwierigen Streit" 55 in einem Gebiet, das kirchlich zum Erzstift Salzburg und politisch zur Habsburger Monarchie gehörte, ein Ende bereitet werden. Dieses Dokument ist ein eindeutiges Zeugnis dafür, daß die Machtansprüche des Staates gegenüber der Kirche ein solches Ausmaß erreicht hatten, daß er, ohne Rücksicht auf ihre angeborenen und verbrieften Rechte, den eigenen Zuständigkeitsbereich mutwillig und beliebig erweitern zu dürfen glaubte. Die unnachgiebige Haltung des Kaisers gegenüber den meisten Forderungen und Wünschen des Salzburger Erzbischofs hinsichtlich seines Kirchenanteils auf österreichischem Herrschaftsgebiet hat diesen jedoch im Kampf um die Rechte seiner Kirche nicht entmutigt, sondern ihn vielmehr angespornt, alle noch verfügbaren Mittel einzusetzen, um den Herrscher zu einer entgegenkommenderen Einstellung zu bewegen. Die Früchte seiner Bemühungen sollten nicht lange auf sich warten lassen. Die Vergleichsresolution Leopolds I. vom 29. April 1674 brachte in einigen Punkten eine Revision des Vertrages von 1671. 56 Hatte der österreichische Monarch die Temporalieneinweisung als eine rein zeitliche Angelegenheit, mit der der Ordinarius nichts zu tun habe, bezeichnet und ihn und seine Vertreter deshalb von jeglicher Art von Beteiligung bei der Temporalienübergabe ausgeschlossen, so kam er nun den bischöflichen Forderungen insofern entgegen, als er einer Teilnahme seiner Kommissare bei der Einweisung von Neugewählten und Verwesern „in denen Zimbem und privatim" zustimmte. Die öffentliche Einweisung sollte aber weiterhin von den landesfürstlichen Kommissaren allein vorgenommen werden. Den Privatvögten oder Lehensherren bedeutete er, sich in diesem Punkte keinerlei Rechte anzumaßen, es sei denn, sie seien von ihm selbst „als Obristem Vogtherrn" gewährt worden. Außerdem verpflichtete sich Kaiser Leopold, die Visitation der Spiritualien nicht zu behindern, sondern nach erhaltener Erkenntnis die eigenen Kommissare zur gleichzeitigen Visitation der Temporalien abzuordnen, wobei „mit und neben" den kaiserlichen Beamten auch jene des Bischofs die Temporalienvisitation vornehmen und gemeinsam ein Gutachten erstellen sollten. Die Beseiti-

55 56

Riegger, ebd., 436.

SLA, GA, X I I I , Nr. 12, Vergleichsvertrag zwischen Kaiser Leopold I. und Fürsterzbischof Max Gandolph von Salzburg.

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gung der dabei ans Licht gekommenen Mängel hingegen sollte bei den landesfürstlichen Kommissaren „allein sein und verbleiben". 57 Die erklärte Geneigtheit des österreichischen Monarchen, mit dieser Resolution dem Fürsterzbischof und seinem Hochstift „in allen möglichen Fällen zu willfahren", bezog sich indes keineswegs auf eine Anerkennung der legitimen Rechte der Salzburger Kirche und ihres Vorstehers, sondern beschränkte sich lediglich darauf, den kirchlichen Funktionären eine Beteiligung an bestimmten Rechtsakten zu gewähren. Obwohl man sich im Vertrag von 1671 darüber geeinigt hatte, daß die kaiserlichen Kommissare dem Wahlakt von Prälaten und Äbtissinnen 58 als rein geistlichem Akt fernbleiben sollten und es „darbey sein beständiges Verbleiben" habe 59 , wurde dieser Punkt im Salzburgischen Zusatzvertrag vom 13. April 1729 durch die kaiserlichen Unterhändler erneut zur Sprache gebracht. Ihre Beschwerden gingen dahin, daß die landesfürstlichen Kommissare bei den in Rede stehenden Wahlen „sub praetexto pure Spiritualitatis" sowohl vom Wahlakt selbst als auch von der vorausgehenden, vorbereitenden Untersuchung ausgeschlossen würden, wobei der Öffentlichkeit doch sehr daran gelegen sei, zu wissen, welche Person frei und unparteiisch gewählt werde. 60 Schließlich einigte man sich auf folgende Vorgangsweise: Die landesfürstlichen Kommissare sollen „anfänglich" nicht zur Wahl erscheinen, sondern einstweilen „in ihren Wohnzimmern" verweilen, bis ihnen der Salzburger Notar von der erfolgten Wahl Mitteilung macht und sie auffordert, sich in den Wahlraum zu begeben. Dort werden sie mit der neuerwählten Persönlichkeit bekannt gemacht, worauf sie in Beratung eintreten, um festzustellen, ob der Neugewählte dem Landesfürsten „anständig und gefällig seye". Je nach dem Ausgang der Konsultation wird dem (der) Erwählten entweder das kaiserliche Placet erteilt oder er (sie) wird als persona non grata erklärt. Im letzteren Fall verbleibt alles bis zu einer weiteren Verfügung des Kaisers in statu quo. 61 Staatlicherseits 57

Ebd.

58

In Punkt 6 der Vergleichsresolution von 1674 verfügte Kaiser Leopold, daß die Wahlen von Äbtissinnen und Priorinnen entweder innerhalb der Klausur abgehalten und nach dem Wahlakt auch den kaiserlichen Kommissaren der Zutritt zum Wahllokal gewährt werde oder außerhalb der Klausur im Sprechzimmer in Gegenwart der Kommissare beider Parteien stattfinden. Letzterer Modus ist auch für Männerklöster vorgesehen. Auch die Sperre und Inventur der Temporalien soll gemeinschaftlich vorgenommen werden. Vgl. LSA, GA, XIII, Nr. 12, Vergleichsvertrag vom 29. April 1674. 59

60 61

Riegger, Corpus (Anm. 24), 425. Riegger, ebd., 440 f. Riegger, ebd.

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wirft man außerdem den kirchlichen Vertretern vor, daß die Resignation des Inhabers einer Pfarrei oder eines Benefiziums, deren Patron ein Laie oder der Landesfürst sei, durch den Ordinarius allein und ohne vorläufiges Einverständnis des Patrons angenommen zu werden pflege. Der dafür gefundene Kompromiß regelt nun die Resignation eines der genannten Pfründeninhaber in der Weise, daß in Zukunft vor der Exekution auch dem Patron und Vogtherrn Mitteilung zu machen sei, der damit in die Lage versetzt werde, seinerseits die notwendigen Vorkehrungen für die Erledigung der zeitlichen Angelegenheiten zu treffen. 62 Die Salzburger Unterhändler führen ihrerseits darüber Beschwerde, daß einige Jahre zuvor die innerösterreichische Regierung dem von Seiten Salzburgs zu einer mit den weltlichen Kommissaren gemeinsam vorzunehmenden Visitation von Stiftstemporalien delegierten Abt von Admont in Wirklichkeit dieses Zusammenwirken unmöglich gemacht worden sei. Der daraufhin zustande gekommene Vergleich brachte eine grundsätzliche Regelung. Sie sah vor, daß das Ordinariat in Zukunft von der Konkurrenz bei der Temporalienvisitation nicht ausgeschlossen werde. Es wird jedoch dazu angehalten, vor Entsendung des eigenen Kommissars die landesfürstlichen Stellen davon zu benachrichtigen, damit diese ihrerseits einen Vertreter delegieren könnten.63 Der Umstand, daß die innerösterreichische Regierung den Ordinarius bei der Visitation der Spiritualien eines Frauenklosters in Steyer behindert und von ihm eine vorherige Verständigung der staatlichen Behörden verlangt habe, bildete den Gegenstand einerweiteren kirchlichen Beschwerde. Mit Berufung auf die Vergleichsresolution vom Jahre 1674 kam man dann dahin überein, daß der Ordinarius nicht befugt sein sollte, ohne vorherige Benachrichtigung der innerösterreichischen Regierung eine Visitation, auch der Spiritualien allein, beim Klerus von Steiermark und Kärnten vorzunehmen. Diese Entscheidung entsprang aus der Überlegung, daß auf diese Weise die Regierung in die Lage versetzt werde, ihre Kommissare zur gleichzeitigen Visitation der Temporalien abzuordnen und den gewünschten Effekt zu erzielen. 64 In welch bescheidenem Maße die beiden Verträge Früchte zeitigten und wie sehr die Investitur der Temporalien nach wie vor ein Stein des Anstoßes und

62

Riegger, tbd., 446 f.

63

Riegger, ebd., 457.

64

Riegger, ebd., 475.

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ein Anlaß zu Mißverständnissen verblieb, erhellt aus einem Antwortschreiben Kaiser Karls VI. vom 12. September 1731 an den Erzbischof von Salzburg. Diesmal war es vor allem die durch die staatlichen Behörden abgeänderte Präsentationsformel, die den alten Konflikt über die Kompetenzabgrenzung bei der Temporalitätsinvestitur aufleben ließ. Auf den Vorwurf des Salzburger Erzbischofs, daß in der neuen Präsentationsformel im Gegensatz zur alten der Name des Ordinarius durchgehend ausgelassen werde, 65 gab der Monarch zwar zu, daß der ,3tylus" der genannten Formel geändert worden sei, meinte aber gleichzeitig, daß es sich um eine stilistische Korrektur handle, die durch den Vertrag von 1729 legalisiert und dem Ordinarius ,4m mindesten nicht nachtheilig" sei, da sowohl dessen Name erwähnt als auch dessen Rechte gewahrt blieben. 66 Der Tenor der traditionellen Präsentationsformel war so abgefaßt, daß der Ordinarius klar als Investierender der Spiritualien und Temporalien hervorging. 67 Die neue Formel hingegen wurde dahingehend abgeändert, daß die reale Besitzeinweisung als ein kaiserlicher Hoheitsakt resultierte. 68 Durch den abgeänderten Wortlaut sah sich der Erzbischof von der gemeinschaftlichen Übergabe der weltlichen Gerechtsame ausgeschlossen, was seiner Meinung nach seinen geistlichen Rechten, der landesfürstlichen Resolution von 1674 und der üblichen Observanz widersprach. 69 Karl VI. versuchte, diesen Einwand mit dem Hinweis zu entkräften, daß weder der Gedanke noch der Anschein gegeben sei, durch die geänderte Klausel die Rechte des Ordinarius auch nur im geringsten einzuschränken. Wenn nämlich, wie im vorliegenden Fall, ein Partner sein ihm unstreitig zustehendes Recht (gemeint ist jenes des Kaisers) kumulativ ausübt, so bleibe deshalb das Recht des anderen Teils doch gesichert und unangetastet. Er, Karl VI., könne

65

Riegger, ebd, 483.

66

Riegger, ebd., 485. Die Formel, die Name und Recht nach kaiserlicher Ansicht gewährleistet, lautet im konkreten Fall: „... dum praesentatur Episcopo Seccoviensi, qua Salisburgensisper Styriam Vicario Generali..." ebd. 67 „ Dilectionem vestram et vos benigne requirentes ut dictum Presbyterum de memorata Parochia investiatis, et canonice, uti moris est, instituatis; dando illi possessionem realem et actualem, cum fructuum et emolumentorum omnium percepitone..." , vgl. Sammlung (Anm. 24), Nr. 80,104 und Riegger, Corpus (Anm. 24), 483. 68

„ Devotionem tuam benigne, clementerque requirentes, ut dictum Presbyterum de memorata Parochia, et Beneficiis illi incorporatis investire, et canonice, uti moris est instituere velit, cui Nos possessionem realem et actualem, cum fructuum et emolumentorum omnium perceptione decrevimus...", vgl. Sammlung (Anm. 24) und Riegger, Corpus (Anm. 24), 483. 69

Sammlung (Anm. 24), 104 f.

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sich nicht enthalten zu bemerken, daß die vom Bischof beanspruchte kumulative Übergabe nicht stattfinden könne, da er niemandem in seinen Erblanden eine solche bezüglich der weltlichen Rechte einräume. Bisher habe sich auch mit Ausnahme des Salzburgischen Konsistoriums kein Oberhirt eine solche angemaßt. Dieses wage ein solches Vorgehen auf Grund längst verworfener Prinzipien dennoch immer wieder und wolle nicht begreifen, daß ein Landesfürst sich seine Rechte nicht durch die willkürliche Meinung irgendeines Schullehrers beschränken lassen könne. In Innerösterreich sei es ein „ununterbrochenes Herkommen", bei der Übergabe der Temporalien der Geistlichkeit keine Konkurrenz zu gestatten. Obwohl dagegen die Resolution des Jahres 1674 ins Treffen geführt werde, so bleibe dies jedoch insofern ohne Bedeutung, als das, was dort bezüglich der kumulativen Übergabe verfügt werde, nicht für die Pfarrer, sondern nur für die neugewählten Prälaten eines Klosters gelte, zugunsten derer damals als neu getroffene Entscheidung bei der Temporalitätsübergabe der geistlichen Obrigkeit eine Mitwirkung („Hand- oder FingerAnlegung") zugestanden wurde. Dies sei nicht etwa in dem Sinn erfolgt, als ob die Geistlichkeit etwas zu vergeben hätte, sondern die Neugewählten sollten als durch das Armutsgelübde Gebundene und wegen der Unfähigkeit, zeitliche Güter zu besitzen, durch dieses Zeichen kirchlicher Oberhoheit zu deren Verwaltung befähigt werden. Aus dem Zusammenhang gehe klar hervor, daß die geistliche Konkurrenz „in denen Zimmern und privatim" erlaubt sei, die öffentliche aber einzig und allein den kaiserlichen Kommissaren vorbehalten bleibe. Eine solche „doppelte Vorstellung" finde nur mit den Klostervorstehern statt. Bei Pfarrern hingegen komme nur eine, und zwar öffentliche, in Betracht, wobei eine Konkurrenz weder erlaubt noch sonst irgendwie in Anwendung gebracht werden könne. Dagegen unternommene Versuche würden geahndet. Aus dem Gesagten werde deutlich, daß der frühere Tenor der Präsentationsformel in Wirklichkeit nichts anderes beinhalte als der jetzige, neu redigierte. Er, der Landesfürst, finde es deshalb befremdlich, daß man ihn verbindlich dazu anhalten wolle, seine Gnaden mit eingeschränkten Worten auszuteilen oder seine naturgegebenen Rechte nicht zu verteidigen, wo solche unbefugterweise angefochten würden. Ungern sehe er es auch, daß die Mitglieder des Salzburgischen Konsistoriums sich immer in seine zeitlichen Angelegenheiten einmischten, den Temporalien „ungewöhnliche Epitheta ankleben" und sie als kirchlich bezeichnen wollten, wo sie doch mit kirchlichen Belangen nichts gemeinsam hätten. Deshalb könne er ebenso wie seine Vorfahren, die dies ohne jemandes Rat und Zutun verordnet hätten, der Geistlichkeit wohl ein Mitwissen, aber kein Verfügungsrecht in zeitlichen Angelegenheiten gestatten.70

70

Sammlung (Anm. 24), 105 f.

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Neben diesen mehr grundsätzliche Fragen berührenden Demarchen hatte sich der Salzburger Oberhirte auch über die Vorgangsweise des Landesvicedoms (des staatlichen Verwaltungsbeamten) von Steyer beklagt, der dem Neuinvestierten die Temporalien im Alleingang übertragen hatte, ohne dem geistlichen Vertreter dabei die Konkurrenz zu gestatten. Neu und ungewöhnlich fand der Bischof am Verhalten des staatlichen Kommissars außerdem, daß dieser den Installationstag ohne vorhergehende Rücksprache mit dem geistlichen Vertreter einseitig bestimmt hatte, und schließlich, daß er ungeachtet aller Gegenvorstellungen in der Kirche beim Ein- und Auszug die Präzedenz beansprucht hatte.71 Im Sinne der voraufgehenden prinzipiellen Stellungnahme zur Frage der Temporalienübergabe fiel nun auch die Entscheidung zu den einzelnen Klagepunkten aus. Das Verhalten seines Kommissars hielt der Landesfürst für sachentsprechend. Dies um so mehr, so argumentierte der Monarch, als sein Vertreter noch vor dem Installationsakt dem geistlichen Kommissar den alten und ständigen Brauch von Pettau klargemacht und ihn damit beruhigt habe.72 Den Vorwurf der unterbliebenen Benachrichtigung über den Installationstermin durch den staatlichen Kommissar entkräftete der Kaiser mit dem Hinweis, daß aus der in dieser Angelegenheit erstatteten Amtsrelation deutlich hervorgehe, daß der Installationstag einvernehmlich mit dem Dekan von Straßgang als geistlichem Kommissar bestimmt worden sei. Damit lasse er die Sache auf sich beruhen. Inzwischen habe er jedoch seinen untergeordneten Stellen aufgetragen, zu untersuchen, welcher von beiden Kommissaren etwas Unrichtiges berichtet habe und worin die Mißverständnisse eigentlich bestünden.73 Obgleich man hätte meinen können, daß die Präzedenzfrage von untergeordneter Bedeutung sei, so bot sie doch dem Kaiser Anlaß, Grundsätzliches über seine Einstellung zur Kirche auszusagen. Er meinte, daß der staatliche Kommissar durchaus richtig gehandelt habe, wenn er auch in der Kirche den Vortritt verlangt habe. Es entspreche nämlich dem Naturrecht, dem positiv-göttlichen wie auch dem weltlichen Recht, daß der regierende Fürst in seinem Lande ebenso wie in der Kirche seines Landes der Vornehmste sei. Dies bestätige die „allgemeine Observanz" bei den christlichen Königen und Fürsten. Das „stete

71

Sammlung (Anm. 24), 104.

72

Der Kaiser konnte es sich nicht verkneifen, an dieser Stelle in Klammer die Bemerkung hinzuzufügen, daß der geistliche Kommissar auch diesmal, seiner Gewohnheit entsprechend, „unnöthige Anstände auf die Bahn gebracht" habe. 73

Sammlung (Anm. 24), 106.

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Herkommen" in Innerösterreich, die diesbezügliche Resolution vom Jahre 1674 74 und der Vertrag von 1729 blieben unverändert in Geltung. Danach nähmen die kaiserlichen Kommissare den üblichen Platz vorne an der Evangelienseite und die geistlichen den innerhalb des Presbyteriums ein. Zum Schluß forderte der Monarch den Erzbischof auf, in Hinkunft die Ratschläge jener Leute nicht zu beachten, die die Rechte seines Erzhauses und die gute Tradition der Erblande nicht kennen oder ihre unbewährten Schulmeinungen nicht opfern wollten. 75 In kaum einem anderen Dokument wird der geistige Hintergrund eines Vertreters des Habsburger Hauses mehr transparent als gerade in dem eben angezogenen. Eine aus Privilegien allmählich gewachsene Sonderstellung des Monarchen in der Kirche hatte, wenn nicht gerade ein vollendetes Staatskirchentum ausgebildet, so doch ein praktisch wirksames staatskirchliches Denken vorbereitet. Dieses Prärogativendenken erhält einen neuen Auftrieb durch Motive aus dem aufgeklärten Naturrecht. Es ist, als ob der Geist dieses Naturrechtes seine Schatten vorauswerfe, wenn der Kaiser seine Vorrangstellung, einschließlich jener innerhalb der Kirche seines Territoriums, im genannten Recht begründet sieht. Die Stellung der Kirche im Staat, genauer gesagt jene des Herrschers zur Kirche, wird sich faktisch mit der aufkommenden Aufklärung nur geringfügig ändern, nur wird es dafür neue Motive und Begründungen geben. Bislang war das kanonische Recht noch nicht Gegenstand einer Polemik von Seiten der Vertreter des Staates. Dies beweist hinreichend die im „Tractatus de iuribus incorporalibus" vom Staat durchgeführte Kodifikation des Patronatsrechtes. Damit wurde kirchliches Recht durch den Staat rezipiert. In den Zitaten verweisen die Verfasser ausdrücklich auf das Corpus Iuris Canonici und andere allgemeinrechtliche und kanonistische Werke. Eine gerade unseren Fragestand berührende Ausnahme bildet die das Kirchenrecht derogierende Verfügung des § 15, wonach der Vogtherr, wo dieser vorhanden ist, ansonsten aber der Lehensherr das Recht besitzt, den Benefiziaten in die Temporalien einzuweisen76.

74

Die Vergleichsresolution vom 29. April 1674 hatte die Präzedenz so geregelt, daß die kaiserlichen Kommissare als Gesandte des obersten Vogtherrn die Präzedenz vor jenen des Bischofs behalten. Die Privatvögte und Lehensherren oder deren Abgeordnete haben den bischöflichen den Vortritt zu lassen. Der Kaiser behielt sich jedoch die Präzedenz seiner Kommissare vor jenen des Bischofs für den Fall vor, daß eine Privatvogtei in eine landesfürstliche übergehen würde. Vgl. SLA, GA, X I I I , nr. 12, Punkt 5. 75 76

Sammlung (Anm. 24), 106 f.

„§ 15. Es gebühret auch einem Lehenherr, demjenigen Priester, welchem die Lehenpfarre oder Stift auf seine Präsentation von dem Ordinario verliehen worden, die Temporalia und Einkommen solcher Pfarre oder Stift bei dessen Installation zu übergeben. Und obschon seine Präsentation etwa aus erheblichen Ursachen von dem Ordinario

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Außer dieser Vorschrift weicht der Traktat vom Kirchenrecht nur dadurch ab, daß er den Patron bezüglich des Alimentationsanspruchs 77 und der Ausübung des Präsentationsrechtes 78 begünstigt sowie die niederösterreichische Regierung als zuständige Behörde für die Entscheidung von Patronatsstreitigkeiten erklärt. 79 Man ginge aber in der Annahme fehl, daß die staatskirchliche Bestimmung von § 15 des Traktates über die geistlichen Lehenschaften oder die Zurückweisung der Salzburger Beschwerden durch den Kaiser alle diesbezüglichen Differenzen aus der Welt geschafft hätten. Maria Theresia hat die Ansprüche ihrer Vorgänger gegenüber der Kirche nicht nur beibehalten, sondern sogar gesteigert. Der Geist der Aufklärung, der nun mehr und mehr die Köpfe der hohen Beamtenschaft am Wiener Hof erobert hatte, zeitigte auch bezüglich des Kirche-Staat-Verhältnisses seine Früchte. Die Ingerenz, die der Landesfürst bis dahin mehr auf Grund besonderer Vorrechte, die er aus seiner Stellung als „supremus advocatus Ecclesiae" ableitete oder ohne tiefere Begründung auf „unvordenkliche Gepflogenheiten" zurückführte, ausübte, erhielt nun durch den neuen aufklärerischen Zeitgeist sozusagen eine rationelle Basis. Die absolute Staatsgewalt stellt von nun an ihre Forderungen auf der Grundlage eines neuen Selbstverständnisses ihres Wesens und damit ihrer Zuständigkeiten, während sie ihre bisherigen Ansprüche auf innerkirchliche Belange als Ausfluß besonderer Verdienste, die sie sich gegenüber der Kirche erworben hatte, betrachtete. 80

nicht aufgenommen, auch von ihm in gebührender Zeit kein anderer tauglicher Priester präsentiert, und darumben die Pfarre von dem Ordinario einem anderen verliehen worden, so kann und soll er gleichwohl denselben in temporalibus installieren. Wie auch im Falle die Ursachen, worüber die Präsentation nicht angenommen wird, zwischen dem Ordinario und Lehenherrn streitig wären, und deßwegen die Pfarre provisorio modo ersetzt werden müße, der Lehenherr entzwischen dem eingesetzten Pfarrverweser die Einkommen ebenfalls provisorio modo erfolgen laßen. Und dieß Alles, soviel die Installation und Übergabe der Temporalien betrifft, ist allein zu verstehen, wo neben dem Lehenheim kein absonderlicher Vogtherr vorhanden, dann sonsten solche Installation nicht dem Lehenherrn, sondern dem Vogtherrn zuständig." Vgl. Handbuch der k. k. Gesetze und Verordnungen über geistliche Angelegenheiten, hg. ν Franz Rieder. Wien 1855, 167. Vgl. dazu auch Fritz, Wisnicki, Der Tractatus de juribus incorporalibus, in: ZRG KanAbt. 18 (1929) 123. 77

Wisnicki, ebd., 1. Titel § 13.

78

Wisnicki, ebd., § 12. Wisnicki, ebd., § 25.

80

Vgl. dazu das erschöpfende und mehrbändige Werk von F. Maaß, Der Josephinismus, Quellen zu seiner Geschichte in Österreich 1760 bis 1790 (Fontes Rerum Austriacarum, 2. Abt. 71-75). Wien 1951 und 1961.

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Eine Geheiminstruktion des zuständigen Ministers Kaunitz für den am 30. Juli 1765 errichteten Klosterrat für die Lombardei, die sog. Giunta Economale, legte die Grundsätze, nach denen man die Politik bezüglich Eigentum und geistliche Gerechtsame der Kirche zu orientieren gedachte, offen an den Tag. In dem Schreiben, das mit dem Datum vom 2. Juni 1768 versehen ist, erklärt Kaunitz, daß die Geistlichkeit weder ein Vorrecht noch irgendeine Art von Einflußnahme auf zeitliche Angelegenheiten, besitze, die den Anspruch erheben könnte, zu Recht zu bestehen, es sei denn, sie könne sich auf eine Zustimmung oder freiwillige Gewährung des Landesfürsten berufen. 81 Das durch die aufgeklärten Thesen in der Herrscherin gewachsene Bewußtsein eines vollen und legitimen Rechtsanspruchs auf die Temporalität der Kirche hatte eine Reihe von entsprechenden Verfügungen zur Folge. 82 Der Streit um das Einweisungsrecht in die Temporalien, das bis dahin wiederholt die Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Salzburger Erzstift belastet hatte, erreichte unter Maria Theresia einen neuen Höhepunkt. Die am 21. November 1765 erfolgte Installation des Pfarrvikars der bischöflichen Patronatspfarrei zu unserer Lieben Frau in Dobl bei Graz gab neuerdings Anlaß, die Zuständigkeitsfrage bei der Temporalieninvestitur aufs Tapet zu bringen. Nicht allein die Tatsache, daß der geistliche Kommissar von seinem Ordinariat den Auftrag erhielt, dem neuen Pfarrvikar die geistlichen Befugnisse ausschließlich und die zeitlichen Güter gemeinsam zu übergeben, hatte die Beamten des niederösterreichischen Guberniums überrascht, sondern vielmehr der Umstand, daß besagter Kommissar anläßlich des Installationsaktes sich

81

Geheiminstruktionen für die Giunta Economale in Mailand, Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (= HHStA), Kaiser Franz-Akten, Fasz. 75d; F. Maaß> Josephinismus I, Nr. 130a, 289. Der Originaltext im Reinkonzept lautet: „... Che al di là dei capi sovraccennati non v'è prerogativa, non v'è ingerenza veruna degli ecclesiastici nel temporale che possa richiamarsi come legittima, se non deriva dal consenso ο dalla volontaria concessione de'Principi; che qualunque cosa dal Principe conceduta ο stabilita, che da esso a beneplacito avrebbe potuto non concedersi ο non stabilirsi, è mutabile ed eziandio affatto revocabile al pari di ogni altra legge ο concessione del legislatore, il quale non solamente può, ma anzi deve appropriare ai tempi ed alle circostanze le sue leggi, le sue concessioni e tutti i stabilimenti fatti ο da farsi." 82 Zum Beispiel über die Verwaltung und sichere Anlage von Kirchengeldern und Kapitalien: Sammlung (Anm. 24), 1740-1767, NNr. 9, 17, 66, 67, 74, 99; 1767-1782, NNr. 29, 33; die Verfügung, daß kein Geld der Geistlichen außer Landes oder an den Ordensgeneral versandt werden soll, Nr. 39; eine Erklärung, in welchem Fall Kirchen und Pfarrgüter zu veräußern seien, Nr. 41.

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formell anmaßte zu erklären, daß er auf Grund eines ihm erteilten Auftrags die Temporalien gemeinsam übergebe. Ein sofort dagegen erhobener Protest durch den landesfürstlichen Kommissar sei ebensowenig wirksam gewesen wie die von den Landesstellen gegen die Ordinarien vorgebrachten Vorstellungen, berichtete das Gubemium und wies gleichzeitig auf eine im Jahr zuvor vorgenommene Installation eines Stadtpfarrers hin, bei der sich die Geistlichkeit in ähnlicher Weise vertragswidrig bei der Temporalienübergabe eingemischt habe. Die Regierung hielt es deshalb für angebracht, den entsprechenden Passus der Instruktion der Milden-StiftungsKommission dahin abzuändern, daß in Zukunft keine Temporalitätsübergabe privat, sondern nur öffentlich und unter Ausschluß des geistlichen Kommissars stattfinden solle. Das Gubernium hingegen war mit der Milden-StiftungsKommission einer Meinung, den genannten Paragraphen der Instruktion unverändert zu lassen, dem Ordinariat jedoch das vertragswidrige Vorgehen entsprechend zur Kenntnis zu bringen. Als Begründung fügte es hinzu, daß der Landesfürst nur an Ansehen gewinnen könne, wenn die Temporalien in Gegenwart des geistlichen Kommissars, jedoch ohne dessen geringster Ingerenz übergeben würden. Der niederösterreichische Hofkanzler Graf Rudolf Chotek wies in seinem im Auftrag der Kaiserin abgefaßten Gutachten eingangs darauf hin, daß die im Vertrag des Jahres 1674 dem Ordinariat privat zugestandene Konkurrenz bei der Temporalienübergabe nur auf die Prälaten zu beschränken sei, nicht aber bei jener von Pfarrern und Benefiziaten zur Anwendung komme. Die Begründung für seine Ansicht leitete er aus dem Kontext des § 3 des genannten Vertrages ab, wo allein von Neugewählten oder nach der Präsentation Eingesetzten die Rede sei. Seine Meinung erhärtete Chotek durch den Hinweis auf später ergangene kaiserliche Resolutionen; so durch das Schreiben des Kaisers vom 12. September 1731 an den Erzbischof von Salzburg, das den Rezeß des Jahres 1674 dahin interpretiert, daß das, was dort bezüglich einer kumulativen Einführung verordnet wurde, nicht für Pfarrer, sondern nur für Klostervorsteher zutreffe. Damals, so deutete Chotek das kaiserliche Dokument, sei der geistlichen Obrigkeit die Mitwirkung bei der Temporalitätsübergabe als ein Novum gestattet worden. Diese bedeute zwar nicht, daß die Geistlichkeit dabei etwas zu verleihen habe, sondern daß die gewählten Prälaten wegen des Gelübdes der Armut und wegen der Unfähigkeit zu besitzen durch dieses Zeichen kirchlicher Oberhoheit zur Verwaltung zeitlicher Güter befähigt würden, ein Vorgang, der nur bei Prälaten zutreffe. Chotek machte dann darauf aufmerksam, daß zur Frage, ob der Geistlichkeit bezüglich der Pfarren die Mitübergabe der Temporalien zustehe, die niederösterreichische Regierung in ihrem Bericht vom 13. August 1734 zwar eine bejahende Stellung genommen habe mit der Begründung, daß die zeitlichen

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Güter, sobald sie religiösen Zwecken zugewendet würden, ihren Status ändern und in die geistliche Kumulativ-Jurisdiktion übergingen, der Kaiser aber anders entschieden habe. Eine kaiserliche Resolution vom 15. September 1736 habe nämlich erklärt, daß die Regierung diese verderbliche Lehre mit den entsprechenden Folgen aus den Schulen verbannt wissen wolle. Der Landesfürst könne zwar wohl den Ertrag von Gütern frommen Zwecken widmen, ebenso liege es in seinem Ermessen, eine kumulative Übergabe zu gewähren, nicht aber könne er die Natur der Güter und noch viel weniger die Herrschaft darüber teilen. 83 Unter Bezugnahme auf den Vertrag des Jahres 1674 meinte Chotek, daß es unbegreiflich sei, wie von seiten des Ordinariates durch eine inadäquate und gezwungene Auslegung des Abkommens versucht werde, den landesfürstlichen Rechten Eintrag zu tun. Da die seitens der staatlichen Kommissare gegen solche Übergriffe erhobenen Proteste und die von den Landesstellen erteilten Zurechtweisungen fruchtlos blieben und ihnen deshalb zur Verachtung gereichten, erachtete es Chotek zur Abstellung solchen Unfugs am zweckmäßigsten, wenn auf Antrag der Regierung bei Pfarrern und Benefiziaten die private Besitzeinweisung gänzlich abgeschafft und die Temporalien nur öffentlich, unter vollständigem Ausschluß der Geistlichkeit vom Vertreter des Landesfürsten dem zu Installierenden übergeben würden. Sollte diese Schwierigkeit behoben werden, fand es der Hofkanzler ratsam, zunächst von den innerösterreichischen Landesstellen Berichte einzufordern, um zu erkunden, ob und welche Beschwerden sie berechtigterweise gegen das Ordinariat vorbringen könnten, da dem Anschein nach ein neuer Vertrag mit Salzburg abgeschlossen werden dürfte. 84 Die Kaiserin forderte nun mit Bezug auf das Gutachten ihres Hofkanzlers das innerösterreichische Gubernium auf, die vom geistlichen Kommissar versuchte Einmischung „per decretum" zu ahnden. Der Regierung trug sie auf, sich bei derlei Anlässen an die kaiserlichen Anordnungen zu halten. Der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei übertrug sie die Aufgabe, über alles, was Schwierigkeiten bereiten mochte, die zuständigen innerösterreichischen Stellen zu befragen und die erforderlichen Auskünfte einzuholen.85 Wie sehr die Frage des Einweisungsrechtes in die Temporalien für den Salzburger Erzbischof Sigmund von Schrattenbach ein Testfall für die Beziehungen

83

Chotek an Maria Theresia: Vortrag der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, „die bey der Installation des Pfarrs-Vicarii bey U. L. F. in Dobl ausser Graz von seiten des Ordinariats resolutionswidrig tendirte cumulative Temporalitätsübergab betreffend". Staatsarchiv, Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv (= A V A ) 29 vom Jahre 1766. G. S. 84 Ebd. 85

Ebd.

69 FS Mühlsteiger

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seiner Kirche zum Herrscherhaus der Habsburger war, bezeugt ein Schreiben, das dieser am 30. September 1766 an die Kaiserin persönlich richtete.86 Die für seine Diözese „sehr schwer und nachteilig ausgefallenen" kaiserlichen Resolutionen seien es, die ihn bewogen hätten, bei Hof vorstellig zu werden. In dieser Absicht erbitte er sich zuallererst eine Milderung jener Verfügungen, welche die Ordinariatskommissare bei der bisher üblichen gemeinschaftlichen Übergabe ausgeschlossen haben. Eine positive Erledigung dieses Anliegens liege ihm deshalb besonders am Herzen, weil er wiederholte und besonders unangenehme Mißverständnisse zwischen der Vogtherrschaft und seiner Geistlichkeit vermeiden wolle. Seinen Standpunkt untermauert Schrattenbach durch eine Reihe von Überlegungen: Pfarrgüter sind keine rein zeitlichen Laiengüter (bona temporalia pure laicalia), sondern kirchlich zeitliche (bona tempo ralia ecclesiastica). Als solche können sie nach Aufweis sowohl des allgemein kirchlichen als auch des staatlichen Rechtes sowie der verschiedentlich ergangenen landesfürstlichen Verordnungen ohne ausdrückliche Zustimmung des Ordinariates weder vertauscht noch in irgendeiner Weise veräußert werden. Diese Rechtslage begründet unleugbar die Zuständigkeit des Ordinariates für die kumulative Verwaltung der pfarreigenen Güter ebenso wie für die gemeinsame Aufstellung von Verwaltern. Wenn nun, so folgert Schrattenbach, die Rechnungsrevision, die Administration und Veräußerung der Pfarrgüter nach unvordenklicher Tradition in die Kompetenz des Ordinariates fällt, kann auch bei der Übergabe der Temporalien, als Voraussetzung für die genannten Akte, ein geistlicher Oberer nicht ausgeschlossen werden. Seinen Anspruch urgiert Schrattenbach dann mit dein Hinweis auf die Vergleichsresolution von 1674. Sie scheint ihm „ganz klar und deutlich" sein Anliegen zu unterstützen. In § 3 des genannten Dokumentes ist ausdrücklich vorgesehen, daß bei der Übergabe der Temporalien an die Neugewählten bzw. Instituierten und Verweser die Konkurrenz für Ordinariatskommissare „in den Zimmern und privatim" zugelassen sei. Schrattenbach deutet den angezogenen Resolutionstext dahingehend, daß er im Sinne des Kirchenrechts und nach der allgemeinen Ausdrucksweise unter den noviter electi die Prälaten und Klostervorsteher, unter den noviter instituti hingegen die Kleriker, die Pfarrer und Benefiziaten versteht, da erstere gewählt werden, letztere aber, wie aus dem Liber Extra und dem Liber Sextus klar ersichtlich ist, instituiert bzw. eingesetzt zu werden pflegen. Da nun nach der Aussage der genannten Resolution sowohl für die electi als auch für die instituti ein gleichartige Maßnahme vorgesehen ist, so ergibt

86

A V A , ad 14 vom Jahre 1767. G. S.

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sich nach dem „rechtlichen und eigentlichen Wortlaut" als notwendige Folge, daß eine Konkurrenz bei der Temporalienübergabe sowohl bei den Äbten und Klostervorstehern als auch bei den Pfarrern und Benefiziaten zugestanden worden ist. Diese Meinung findet der Erzbischof in den „sehr beträchtlichen Worten" des Vergleiches bestärkt, welche verfügen, daß „kein Pirvat-, Vogt- oder Lehensherr in diesen vorgesetzten Punkten diesfalls eines mehreren Gewalts und Gerechtsame sich anmaßen, als von mir selbsten als obersten Vogtherrn vorverstandenermaßen resolvirt oder bewilliget worden, darnach sich dann billig die wenigere reguliren und bequemen wollen". Schrattenbach geht nach diesen mehr grundsätzlichen Überlegungen dazu über, seinen Standpunkt durch konkrete Rechtsfälle zu unterbauen. Dabei erinnert er die Monarchin daran, daß kein einziger Privatvogt, oder Lehensherr genannt werden kann, der eine Vogtei oder Lehenschaft über ein Kloster besitzt und mit dem Ordinariat gemeinsam die Temporalien übergeben hat. Die Rechte der Privatvögte erstrecken sich einzig und allein auf Pfarreien und Benefizien. Da nun der Gesetzgeber in dem genannten Rezeß den privaten Vogt- und Lehensherren verbietet, die eigenen Rechtsbefugnisse zu überschreiten, und weil keiner von ihnen ein Vogtei- oder Lehenschaftsrecht über Klöster, sondern nur über Pfarreien und Benefizien besitzt, hat er klar zu erkennen gegeben, daß die von ihm erlaubte Mitwirkung bei der Übergabe der Pfarrtemporalien ebenso von den anderen Vogt- und Lehensherren hinsichtlich ihrer Pfarreien und Benefizien gestattet werden könne, sofern sie nicht ihre Befugnisse überschreiten. Als Gegenargument läßt sich nach der Meinung des Erzbischofs nicht die ehemalige Vogtei und Lehensherrschaft über das Prämonstratenserstift Griffen in Unterkärnten anführen, da dieses ebenso wie der gesamte Orden von der Jurisdiktion des Ordinarius exempt ist. Aus diesem Grunde hat sich weder bei der Wahl eines neuen Prälaten noch bei einem anderen derartigen Akt jemals ein Ordinariatskommissar eingefunden. Derlei Wahlfunktionen und was damit zusammenhängt sind zwischen der Vogtherrschaft und den Prälaten immer unter Ausschluß der landesfürstlichen Vogtherrschaft vorgenommen worden. Wie demnach, so folgert Schrattenbach, wegen der Exemption Kaiser und Ordinariat bei der Übergabe der Temporalien und Spiritualien im Griffener Prämonstratenserstift keine Beteiligung beansprucht haben und wie die übrigen Vogt- und Lehensherren allein über Pfarreien und Benefizien ihr Recht zur Geltung bringen können, ebenso ist die vom Monarchen bewilligte Konkurrenz bei der Übergabe von Pfarr- und Benefizialgütern zu verstehen. Diese Auslegung findet Schrattenbach im Tenor der Präsentationsbriefe bestätigt, aus denen deutlich hervorgeht, daß der präsentierte Pfarrer gewöhnlich vom Ordinariat

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instituiert und in den aktuellen und realen Besitz aller pfarrlichen Renten und Güter gesetzt werden solle. 87 Da nach den Grundsätzen des allgemeinen Rechtes eine unvordenkliche Gewohnheit eine untrügliche Auslegerin der Gesetze ist, glaubt der Erzbischof, seiner Adressatin versichern zu können, daß bis auf die gegenwärtige Zeit die gemeinsame Übergabe von Pfarren, Vikarien und Benefizien von seinen Kommissaren ohne eine einzige Widerrede durchgeführt worden und folglich auch die Übergabe der entsprechenden Güter gemeinsam mit den betreffenden Vogtherren ohne Anstände geschehen sei und daß man sich nicht erinnern könne, daß dies jemals anders vor sich gegangen sei. Schrattenbach legt seinem Schreiben eine Liste von kumulativ installierten Pfarrern vor und macht sich erbötig, noch weitere als Beweismaterial zur Verfügung zu stellen, aus denen ersichtlich wird, daß bei der Übergabe von Pfarren und Benefizien eine Konkurrenz niemals in Zweifel gezogen wurde. Seine Ausführungen schließt der Salzburger Oberhirte mit der Feststellung, daß nicht allein alle Rechte, sondern auch der Vertrag von 1674 und die seit unvordenklichen Jahren überkommene Gepflogenheit unleugbar zu seinen Gunsten sprechen. Sollten im Falle von Mißachtung oder Aberkennung dieses Rechtes zwischen den Verwaltern der Privatvogteien und der Geistlichkeit seines Bistums neue und besondere Mißverständnisse und Verdrießlichkeiten entstehen, so ersucht er die Kaiserin, sein Ordinariat in diesem erhärteten Rechtsbesitz zu schützen und eine Resolution zu erlassen, die im Einklang mit dem Vertrag von 1674 steht. Danach sollten die privaten Vogt- und Lehensherren den vertraglichen Vorschriften entsprechend den Ordinariatskommissaren die gemeinsame Übergabe der Pfarr- und Benefiziumsgüter ohne Widerspruch gestatten und sich dabei nicht mehr Rechte als vorgesehen anmaßen.88 Bereits im November desselben Jahres hatte Chotek in einem Vortrag an Maria Theresia sein Gutachten zu den Vorstellungen des Salzburger Oberhirten erstellt. 89 Wie erinnerlich, hatte dieser vor allem den § 3 des Vergleichsrezesses von 1674 zugunsten seiner Rechtsstellung ins Treffen geführt. Dieser Verfügung des obersten Gesetzgebers hält nun Chotek eine Reihe von Entscheidungen entgegen, die sich auf denselben Urheber berufen können. So erwähnt er

87

In einem Präsentationsbrief Kaiser Leopolds I. vom Jahre 1677 lautet die entscheidende Stelle: „Dilectionem Vestram et Vos benigne elementerque requirentes, ut dictum presbyterum Jacobum Rohrmeister de memorata parochia investiatis et canonice, ut moris est, intituatis, dando illi possessionem realem et actualem cum fructuum et emolumentorum omnium perceptione, in contrarium facientibus non obstantibus quibusqumque", A V A , ad 14 vom Jahre 1767. G. S. 88

A V A , ad 14 vom Jahre 1767. G. S.

89

Ebd.

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gegen die prätendierte Kumulativübergabe das Schreiben Kaiser Karls VI. vom 12. September 1731 an den Erzbischof von Salzburg, femer die kaiserlichen Resolutionen vom 1. Mai 1733 und vom 15. September 1736. Er versäumt es auch nicht, auf die Entscheidung der Kaiserin im Falle der versuchten Mitübergabe der Temporalien an den Pfarrvikar von unserer Lieben Frau in Dobl bei Graz mit der Bemerkung aufmerksam zu machen, daß es bei diesen kaiserlichen Verfügungen um so eher sein Bewenden haben müsse, als die vom Salzburger Erzstift vorgebrachten Dokumente nicht von jener Qualität seien, um von den genannten Maßnahmen abrücken zu können. Der Hofkanzler gibt zwar zu, daß die innerösterreichische Regierung am 13. August 1734 die Auffassung, daß weltliche Güter mit der Widmung für religiöse Zwecke ihren bisherigen Status ändern und in die Kumulativjurisdiktion übergehen, vertreten habe. Dieser Erklärung stellt er aber die kaiserliche Resolution vom 15. September 1736 des Inhalts entgegen, daß die Regierung eine solche Lehre und die daraus entstehenden verderblichen Folgen aus den Schulen entfernen und mit allen Mitteln eindämmen müßte und dafür einsehen sollte, daß ein Landesfürst wohl den Ertrag der gestifteten Güter frommen Zwecken zuwenden und ebenfalls eine kumulative Übergabe nach seinem Gutdünken gestatten könne, daß er aber die Natur dieser Güter und die Herrschaft darüber nicht teilweise abzutreten vermöge. Die Natur der zeitlichen Güter (Pfarrgüter sind rein laikale, nicht kirchliche Güter) verbietet es, der Geistlichkeit eine Kumulativübergabe einzuräumen. Gegen das Argument Schrattenbachs, wonach die Vergleichsresolution vom Jahre 1674 den Ausdruck „electi" von Stiftsprälaten und Klostervorstehern und jenen „ i n s t i t u t i " von Pfarrern und Benfiziaten verstehe, wendet Chotek ein, daß dies eine unbewiesene Behauptung sei. Es lasse sich vielmehr das Gegenteil beweisen, insofern als nämlich auch Stiftsprälaten nach ihrer Wahl instituiert und in ihr Amt eingeführt zu werden pflegen. Der Referent weist noch darauf hin, daß im wiederholt angezogenen § 3 nicht die leiseste Erwähnung von Pfarrern gemacht wird und dies auch nicht möglich ist, weil es sich dort lediglich um die der Geistlichkeit eingeräumte Befugnis der privaten Kumulativübergabe gehandelt hat, welche bei Pfarrern nicht üblich ist, während die Übergabe öffentlich vonstatten gehen muß. Aus dem Umstand, daß kein Privatmann eine Vogtei oder Lehensherrschaft über ein Kloster innehat und dieser sich nicht mehr Rechte anmaßen soll, als es der Landesfürst tut, folgt nach der Meinung Choteks keineswegs, daß dadurch der Geistlichkeit auch bezüglich der Pfarrer die kumulative Temporalitätsübergabe zugestanden worden sei. ,Allein", so fährt er dann wörtlich fort, „was braucht es viel; die höchsten Gesetzgeber vermögen die Gesetze am sichersten auszulegen".90 Mit dieser

90

Ebd.

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Erklärung versucht der Hofkanzler, § 3 der Vergleichsresolution von 1674 mit dem Schreiben Karls VI. vom 12. September 1731 zu deuten und meint, daß das, was dort von einer kumulativen Übergabe verfügt worden ist, nicht von den Pfarrern, sondern nur von den neugewählten Klostervorstehern zu verstehen sei. Die der geistlichen Obrigkeit gewährte „Hand- und Fingeranlegung" sei aber nicht dahin auszulegen, als ob sie dabei etwas zu verleihen hätte. Durch dieses Zeichen kirchlicher Oberhoheit werden die Neugewählten als durch das Amtsgelübde Gebundene und wegen der Unfähigkeit, zeitliche Güter zu besitzen, zu deren Verwaltung befähigt. Was aber nur bei Prälaten stattfinden kann. 91 Zur Form der Präsentationsbriefe meint der Hofkanzler, daß sie einen althergebrachten Kanzleistil darstelle, der weder ein Recht verleihe, noch eines nehme. Übrigens, so ergänzt er, werde heute nicht zum ersten Mal die Frage der kumulativen Temporalitätsübergabe bei Pfarrern aufgerollt. Das Erzstift habe sich aber niemals dieses Einwurfs bedient, und dies zweifellos deshalb, weil es die Haltlosigkeit des Argumentes eingesehen habe und selbst überzeugt sei, daß nur demjenigen die Übergabe von Rechts wegen zustehen könne, der das oberste Vogtrecht und das Obereigentum innehabe und der den zu Installierenden bei der Zuweisung der Temporalien zu schützen vermöge. Chotek schließt seine Ausführungen mit der Feststellung, daß es keine wie immer geartete Ursache gebe, die ihn veranlassen könnte, der erzbischöflichen Bitte zum Nachteil der landesherrlichen Gesetze zu willfahren. Damit werde es bei den erlassenen Resolutionen sein Bewenden haben und das bedeute, daß die Temporalien, den Pfarrern einzig von der weltlichen Obrigkeit mit Ausschluß der Geistlichkeit übergeben werden. 92 Chotek, der diese Fragen gemeinsam mit den Mitgliedern seiner Hofkanzlei beraten hatte, lud nun den Salzburger Generalvikar und Bischof von Lavant zu sich, um sie ihm Punkt für Punkt darzulegen, in der festen Hoffnung, daß dieser, einmal von den staatlicherseits vorgebrachten Argumenten überzeugt, sich den kaiserlichen Anordnungen ohne weiteres fügen würde. Allein dieser wandte ein, daß die von seinem Erzbischof erbetene kumulative Übergabe der Temporalien durch die Vergleichsresolution von 1674 zu Recht bestehe und darauf beruhe, daß eine solche Konkurrenz für die landesfürstlichen Rechte keinen Nachteil bedeute.

91

Diese Interpretation findet Chotek durch die kaiserliche Resolution vom 9. Mai 1733, durch jene vom 15. September 1736 und durch das kaiserliche Reskript vom 20. Mai 1752 (Approbation der Instruktion für die steiermärkische Milde-StiftungsKommission) bestätigt. A V A , ad 14 vom Jahre 1767. G. S.

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Daß in den böhmischen Ländern und in Niederösterreich die Übergabe der Kirchengüter gemeinsam vor sich gehe, unterlag für Chotek keinem Zweifel. Ob aber kaiserliche Resolutionen, wenn sie einen Vergleich wie jenen von 1674 zum Gegenstand haben, einseitig ausgelegt werden könnten, dürfte nach seiner Ansicht eine gewisse Schwierigkeit bereiten. Deshalb werde es vom Entgegenkommen der Monarchin abhängen, ob und inwieweit der erzbischöflichen Bitte zum Zweck einer endgültigen Beilegung der so lange andauernden Differenzen entsprochen werden könne. Angenommen, die kaiserliche Entscheidung fiele zugunsten des Erzstiftes aus, so wäre nach dem Dafürhalten Choteks bei Pfarrern und Benefiziaten sowie bei den Stiften eine private und öffentliche Tempo ralitätsübergabe anzuordnen. Dabei dürfte dem Ordinariat die Konkurrenz nur privat und zwar mit dem ausdrücklichen Vorbehalt zugestanden werden, daß diese kaiserliche Gunst sich lediglich auf die gemeinsame Temporalienübergabe beschränke und keine vertragswidrige Ausdehnung auf die Verwaltung der Pfarrgüter geschehen dürfe. Maria Theresia entschied aber, daß „es bei den angeführten wiederholten so klar als bündigen Resolutionen sein gänzliches Verbleiben" habe.93 Offenbar hatte aber der Salzburger Erzbischof den von Chotek insinuierten Kompromißvorschlag aufgegriffen und diesen ersucht, ihn als Antrag der Kaiserin vorzulegen. Sie traf nämlich vier Tage nach einer ihr vom Hofkanzler am 10. Januar 1767 unterbreiteten Note die Entscheidung, daß hiemit bei den Pfarrern und Benefiziaten ebenso wie bei den Stiften eine zweifache Temporalitätsübergabe, eine private und eine öffentliche angeordnet werde, wobei dem Ordinariat die private zustehe.94 Die kaiserliche Entscheidung scheint indes nur eine vorübergehende Geltungsdauer gehabt zu haben. Joseph Helfert erwähnt in seinem rechtshistorischen Traktat über das Benefizialwesen in Österreich 95 die eben genannte Einweisungsform überhaupt nicht, sondern kennt sowohl für die höheren 96 als auch für die niederen Benefizien ausschließlich eine Temporalienübergabe durch die landesfürstlichen Kommissare. 97

93

Ebd.

94

HHStA, Resolution der Kaiserin vom 14. Jänner 1767, Staatsratsprotokoll, 1767, Nr. 43. 95

J. Helfert, Von der Besetzung, Erledigung und dem Ledigstehen der Beneficien nach dem gemeinen, und dem besonderen Österreichischen Kirchen rechte. Prag 1828. 96 Helfert, ebd., 100 ff. 97

Helfert, ebd., 197 ff.

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Mit den Bestrebungen Josephs II., das Territorialprinzip auf kirchliche Verhältnisse anzuwenden, ging Hand in Hand die Beschneidung der Rechte jener Ordinarien, deren Jurisdiktionsbereich in österreichisches Hoheitsgebiet hineinreichte. Die Auswirkungen dieser Politik trafen in besonderer Weise den Salzburger Ordinarius, dessen Diözesanrechte sich über weite Teile Kärntens und der Steiermark erstreckten. Die Bischöfe von Gurk, Seckau und Lavant hatte ja ihre Rechte bis dahin nur stellvertretungsweise, also titulo mandati und nicht als ius proprium ausgeübt.98 Der Vertrag zwischen Österreich und Salzburg vom 19. April 1786 brachte die Sanktion der Kirchenpolitik Josephs II. Darin wurde bestimmt: Der Erzbischof von Salzburg verzichtet für sich und seine Nachfolger am Hochstift auf alle Diözesanrechte, die er bisher in der Steiermark sowie in Kärnten besessen und durch Generalvikare verwaltet hat. Er tritt sie den Bischöfen von Seckau, Gurk und Lavant auf ewige Zeiten zur eigenen unmittelbaren Ausübung in der Weise ab, daß sie von nun an vollkommen selbständige „und mit dem vollen Umfange aller und jeder zur Diözesan- und Ordinariatsgewalt gehörigen Rechte begabte Bischöfe seyn sollen". Er behält die erzbischöflichen und Metropolitanrechte über die erstgenannten Bischöfe und erwirbt sie über den Bischof von Leoben 99 neu hinzu. Das Ernennungsrecht der Bischöfe von Seckau und Lavant bleibt nach wie vor Salzburgs exklusives Recht; jenes des Bischofs von Gurk behält seine Beschränkung auf jeden dritten Erledigungsfall. Die Wahl darf nur eine dem Landesfürsten genehme Person treffen, die vor der Ernennung namhaft zu machen ist. Das Konfirmations- und Konsekrationsrecht aller Suffragane bleibt dem Erzbischof von Salzburg ausschließlich vorbehalten. In bezug auf die Installation und Besitzergreifung der Temporalien bleibt die herkömmliche Art gewahrt. 100

98

R. Kusej y Joseph II. und die äußere Kirchenverfassung Innerösterreichs (KRA 49 u. 50).9 9 1908,114. Dieses Suffraganbistum von Salzburg wurde mit päpstlicher Vollmacht (17. März 1786) vom Salzburger Erzbischof Hieronymus Graf v. Colloredo aus dem Gebiet seiner Diözese in der Steiermark am 29. April 1786 errichtet und aus dem Religionsfonds dotiert. Nach dem Tode des ersten und einzigen Bischofs Alexander Graf von Engel (22. Februar 1800) wurde das Bistum bis 1808 vom Kapitel und später vom Grazer Ordinarius mitverwaltet. Am 1. September 1859 wurde dieses Gebiet wiederum ganz dem Bistum Seckau einverleibt. Ebd. 202 ff. und H. Bastgen, Die Neuerrichtung der Bistümer in Österreich nach der Säkularisation (Quellen u. Forschungen zur Geschichte, Literatur u. Sprache Österreichs u. seiner Kronländer 12). Wien 1914,295 ff. 100 SLA, GA, V I , Nr. 62: Rezeß zwischen dem Kaiser und Salzburg über die kirchliche Jurisdiktion, Besetzung der Bistümer und Probsteien in Steiermark und Kärnten vom 19. April 1786. Vgl. Kusej, Joseph II. (Anm. 98) Anhang II, 331.

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Die durch die Konvention von 1786 sanktionierte Abtrennung des innerösterreichischen Territoriums von jenem der Mutterkirche entzog gleichzeitig in der Frage der Temporalieneinweisung den Boden für jede weitere Auseinandersetzung zwischen dem Haus Österreich und dem Hochstift Salzburg.

Der erste Versuch zum Abbau der josephinischen Ehegesetzgebung*

Die Verflechtung der kirchlichen und staatlichen Ehegesetzgebung, wie sie durch die Promulgation des josephinischen Ehepatentes im Jahre 1783 in den österreichischen Erbländern geschaffen worden war, hatte in der seelsorglichen Praxis immer wieder zu Rechtsunsicherheiten geführt. Kirchlicherseits wurde man nicht müde, auf diese Kompetenzüberschreitung hinzuweisen. Einer Annäherung der divergierenden Standpunkte von Kirche und Staat standen nicht so sehr die mangelnde Bereitschaft oder die Schwäche der verschiedenen Throninhaber im Wege, sondern vielmehr das von der hohen Beamtenschaft getragene josephinische System, das sich im Laufe der Zeit so gefestigt hatte, daß eine Lockerung oder eine Auflösung nicht auf einmal und nicht durch eine wenn auch noch so starke Persönlichkeit bewerkstelligt werden konnte. Wenn auch der Besuch Franz I. bei Pius VII. im Jahre 1819 eine entscheidende Wende in der Haltung des Kaisers bewirkt hatte und in der Folgezeit einige Ansätze im Sinne einer Verständigung mit der Kirche zu bemerken waren, so bedurfte es für eine effektive Änderung der Verhältnisse doch der Hilfe und Unterstützung zumindest eines Teiles der Beamtenschaft. Die Berufung des Burgpfarrers Johann Michael Wagner an die Stelle des verstorbenen Prälaten und Staatsrats Martin von Lorenz bedeutete einen glücklichen Griff des Monarchen für die Regelung der schwebenden Spannungen. Wenn im April 1829 der Kaiser den unzweideutigen Wunsch äußerte, die römischen Beschwerden auf eine der katholischen Religion entsprechende Art unter Vermeidung allen Aufsehens so schnell wie möglich zu bereinigen, folgte er zweifellos der Stimme seines neuen Beraters. 1

Erschienen in: W. Baum (Hg.), Kirche und Staat in Idee und Geschichte des Abendlandes. FS F. Maass. Wien 1973, 248^265. 1

F. Maaß, Der Josephinismus, V. Bd. (Lockerung und Aufhebung des Josephinismus 1820-1850). Wien / München 1961, 24.

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Ein ausführliches Memorandum Wagners über die Desiderien des Papstes2 war in einem versöhnlichen Ton und mit einer gewissen Wertschätzung der Vorteile der staatlichen Normen verfaßt worden, ließ aber dennoch keinen Zweifel daran bestehen, was zu unternehmen dem Herrscher bevorstand, wenn er sich allen Ernstes an die Lösung der schweren Aufgabe machen wollte. Das Eherecht, das seit dem Inkrafttreten des Ehepatentes zum staatlichen Privatrecht gehörte und damit als eine innerstaatliche Angelegenheit betrachtet wurde, sollte nun zum dringlichsten Verhandlungsobjekt zwischen Staat und Kirche werden. Eine andere Persönlichkeit, die beim Versuch der Aussöhnung dem Kaiser tatkräftig zur Seite stand, war sein Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich. In der ersten Phase der Verhandlungen spielte er eine entscheidende Rolle, wenn auch das Ziel, das er sich gesteckt hatte, während seiner Amtszeit nicht erreicht werden konnte. Und wie standen die Dinge in Rom? Als nach dem Tode Pius VIII. der Kamaldulenserkardinal Bartolomäus Cappellari im Frühjahr des Jahres 1831 als Gregor X V I . den päpstlichen Thron bestieg, schien es, als ob dieses Pontifikat „die glückliche Epoche sei, von der Vorsehung zum Widerruf jener österreichischen Gesetze vorbehalten, die gegen die Gesetze der Kirche und ihre Maximen gerichtet waren" 3 . Und mit Recht hatte man auf die Epoche, die sich ankündigte, gute Hoffnungen gesetzt, denn staatlicherseits konnte man die ersten Zeichen einer echten Bereitschaft wahrnehmen, zum andern war der neue Papst „theologisch und kanonistisch gut gebildet" 4 und brachte unter dieser Rücksicht die nötigen Voraussetzungen mit, um einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen zu versprechen. Bereits ein Jahr nach seiner Wahl richtete Gregor X V I . ein Schreiben an den Kaiser, in dem er diesen zu bewegen suchte, ohne Verzug die Reform in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zweck machte er ihm den konkreten Vorschlag, einen Unterhändler zu entsenden, der das Vertrauen beider Teile genieße und mit dem der Kaiser entweder persönlich oder durch einen seiner Minister verhandeln solle.5 Der Wiener Metropolit, Erzbischof Vinzenz Eduard Milde, glaubte indes, Metternich suggerieren zu müssen, daß auf das so allgemein gehaltene päpstliche Schreiben nur eine ebenso allgemein formulierte Antwort möglich und

2

Maaß, ebd., Nr. 24,277 ff.

Archivio Segreto Vaticano, Archivio della Nunziatura di Vienna (= A N V ) , tomo (=t.) 344, Austria I, fol. (= f.) 4. 4

Bihlmeyer / Tüchle, Kirchengeschichte. Paderborn Maaß, Josephinismus V (Anm. 1), Nr. 2 9 7 .

16

1959,322.

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rätlich sei. Im übrigen wünschte sich der Erzbischof, man möge zu den Detailverhandlungen einen Mann beiziehen, der die „politischen und Justizgesetze" genau kenne, da einige Punkte des römischen Schreibens tief in die staatliche Gesetzgebung eingriffen. 6 Der Kaiser traf die Wahl in der Person von Monsignore Pietro Ostini, der bereits einige Jahre zuvor (von 1824 bis 1827) mit Erfolg das Amt eines Internuntius in der Monarchie innegehabt hatte.7 Der Papst zögerte nicht, den vom Kaiser vorgeschlagenen Kandidaten zu bestätigen und ihn gleichzeitig für die damals gerade vakante Nuntiusstelle zu bestimmen. Vom Papst beauftragt, sich mit dem Einsatz aller Kräfte für die Reform der österreichischen Gesetzgebung zu verwenden, und mit einem gedruckten Memorandum, das die wichtigsten Beschwerden enthielt, ausgerüstet, reiste der Nuntius nach seinem Bestimmungsort ab.8 Bereits drei Tage nach der Ankunft Ostinis in der österreichischen Hauptstadt wurde er vom Kaiser in Audienz empfangen. Die Rede kam gleich auf den Gegenstand seiner Mission, wobei die Frage der Ehegesetzgebung als die heikelste und schwierigste präzisiert wurde. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Monarch, daß die Verhandlungen unter strengster Geheimhaltung vom Nuntius, dem Staatskanzler und dem Erzbischof Milde geführt werden sollten.9 Ostini war über den bekundeten Eifer nicht wenig erstaunt, wie ihm überhaupt der herzliche Empfang am Wiener Hof zunächst einmal die Schwierigkeiten zu verringern schien.10 Am 10. Dezember 1832 konnte Ostini dem Kardinalstaatssekretär Tommaso Bernetti die „tröstliche Mitteilung" machen, daß der Kaiser den Staatskanzler beauftragt habe, die Verhandlungen bezüglich des „grande affare" mit dem Wiener Erzbischof und ihm zu eröffnen. Ostinis Befürchtungen einer auf Vorschlag Mildes geforderten Beiziehung eines staatlichen Rechtsberaters hatte sich nicht bewahrheitet. Außerdem war verfügt worden, die Beratungen streng

β

η

Maaß y ebd., Nr. 30,380.

Ostini bekleidete vom 30. 1. 1827 an das Amt eines Nuntius in der Schweiz, vom 17. 7. 1829 an weilte er in derselben Eigenschaft in Brasilien. Am 2. 9. 1832 wurde er zum Nuntius in Wien ernannt. Am 30. 9. 1831 zum Kardinal „in pectore" kreiert, aber erst am 11. Juli 1836 als solcher verkündet. Vgl. Hierarchia Catholia medii recentioris aevii, vol. VII., 1800-1846, Hg. R. Ritzler und P. Sefrin. Padua 1968,360. 8 ANV,t.344,AustriaI,f.4. 9

A N V , t. 275, Ostini an Bernetti, 9. Okt. 1832, Dispaccio (= Disp.) Nr. 2. Dieser Band verfügt über keine Paginierung. 10

Ebd., Disp. Nr. 11.

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geheim zu führen, um einen glücklichen Ausgang zu gewährleisten. Der Nuntius war zwar über „so schöne Versprechungen" erfreut, dabei aber dennoch etwas skeptisch geblieben, nachdem er die Erfahrung machen mußte, wie oft bereits der Verhandlungsbeginn hintertrieben worden war. Um die Intrigen der Gegner zu durchkreuzen, fand er die dauernde Geheimhaltung der Verhandlungen für unbedingt notwendig. 11 War das Hinauszögern immer schon ein beliebtes, weil bequemes Mittel in der Politik, so fand es auch diesmal seine Anwendung, denn die erste Verhandlung fand genau zwei Monate später, am 11. Februar 1833, statt. In dem tags darauf verfaßten Bericht deutete Ostini auf die großen, ja größten Schwierigkeiten hin, in die die Angelegenheit verwickelt sei. Handle es sich doch schließlich darum, meinte der Unterhändler, die Rechte der Kirche zu retten, ohne die des Souveräns zu verletzen. Sowohl der Umstand, daß es um Gesetze gehe, die schon seit langem eingeführt waren, als auch die gegenwärtige Gärung in religiösen Fragen erschwerten die Verhandlungen. Schließlich bilde auch der Charakter des Herrschers, der wegen seines zarten Gewissens einerseits skrupulös katholisch sei, anderseits aber ebenso skrupelhaft als Herrscher an seinen vermeintlichen Prärogativen festhalte, ein beträchtliches Hindernis. Um den Weg für eine Lösung zu ebnen, fand es der Nuntius angebracht, einen Reformplan über alle strittigen Punkte aufzustellen, und zwar in einer Weise, daß man leicht die Rechte der Kirche von jenen des Staates unterscheiden könne. 12 War die erste Begeisterung angesichts der vorhandenen Schwierigkeiten bald einer bedrückenden Nüchternheit gewichen, so entwickelte sich diese noch im Anfangsstadium der Gespräche geradezu zum Pessimismus. Die „gewaltigste Schwierigkeit", so wußte Ostini in einer sehr vertraulichen Note zu berichten, bestünde in der Opposition, die der Kaiser in den Personen seiner Umgebung fände. Gerade der Widerstand von seiten der Beamtenschaft sei es gewesen, der den Fürsten Metternich entmutigt habe. Die Opposition der Beamten sei schließlich auch der „eigentliche Grund" gewesen, weshalb dieser sich nicht zur Eröffnung der Verhandlungen habe entschließen können. 13 Ostini war damals gerade mit der Abfassung des Reformplans beschäftigt und bemüht, ihm eine möglichst leicht verständliche Formulierung zu geben. Klarheit und Einfachheit fand er schon deshalb angebracht, weil die Arbeit eines Mannes, der vom Kaiser und dem Staatskanzler schon zwei Jahre zuvor

11

A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 10. Dez. 1832, Disp. 43/7, ff. 5 r _ v .

12 1 3 Maaß,

Josephinismus V (Anm.l), Nr. 32,381 f. A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 4. März 1833, Disp. 73/18, f. 16 v .

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mit der Abfassung eines Verzeichnisses über die in Erwägung zu ziehenden Gegenstände und Gesetze betraut worden war - Ostini nennt nicht den Namen - , ihren Zweck nicht erfüllt hatte. Angesichts dieses Knäuels von Undurchsichtigkeiten seien der Kaiser und der Staatskanzler so erschrocken gewesen, daß sie das Elaborat für unbrauchbar erklärt hätten. Um das erwünschte Ziel zu erreichen, mußte man nach der Meinung Ostinis die bestehenden Gesetze abschaffen. Um dieses Unternehmen zu erleichtern, entschied sich der Nuntius, die ihrer Substanz nach antikanonischen Gesetze von jenen, die es nicht waren, zu scheiden, die aber dennoch als verwerflich erschienen, insofern sie nicht von der rechtmäßigen Autorität erlassen worden waren. Für die ersteren schlug er einen Widerruf vor, bezüglich der letzteren dachte er an die Möglichkeit einer Konvalidation durch den Apostolischen Stuhl. Zu diesem Zweck sollten, was die kirchenfeindlichen Verordnungen betraf, eines oder mehrere Dekrete ausgearbeitet werden, in denen die kanonischen Verfügungen enthalten sein sollten und denen die derogatorischen bzw. revokatorischen Klauseln der bisher geltenden Gesetzgebung beiliegen. Für die restlichen Staatsgesetze würde er die bereits erwähnte Bestätigung des Papstes erbitten. Die Art und Weise jedoch, wie er seinen Plan dem Kaiser vorlegen sollte, bereitete ihm einiges Kopfzerbrechen, denn auch davon hing zum großen Teil dessen Annahme ab. Die Hauptschwierigkeit bildete der ungeheure Umfang der Materie und die damit verbundene Unsicherheit, sich zu entscheiden, ob es vorteilhaft sei, alles in einem oder in Teilprojekten dem Herrscher zu unterbreiten. Für die erste Form befürchtete er, daß der Kaiser, ob des Umfangs der Materie bestürzt und entmutigt, nichts unternehmen würde. Bei der zweiten Vorgangsweise hielt er es nicht für ausgeschlossen, daß die Reformgegner ihre Stimme erheben und damit den Kaiser davon abspenstig machen würden, noch weiter etwas in dieser Angelegenheit zu unternehmen. Am Schluß des Berichtes bat der Nuntius den Staatssekretär, die eben dargelegten Gedanken dem Papst vorzutragen und dessen Meinung zu erforschen. Für das Antwortschreiben wünschte er sich die Verwendung von Ausdrücken, deren Bedeutung er allein und sonst niemand verstehen könne. 14 Bis zum Mai des Jahres 1833 hatte Ostini einen Teil des Planes für die Reform der staatskirchlichen Gesetzgebung fertiggestellt und nach Rom abgesandt.15 Im Begleit-

14 15

Ebd., ff. 17 r - v .

A N V , t. 279, ff. 22 r -22 v . Der II. Teil des Entwurfes beschäftigt sich mit den Fragen der unbehinderten Kommunikation mit dem Hl. Stuhl, den Besitzrechten und der Jurisdiktion der Bischöfe, dem Religionsunterricht an den Schulen, dem Regularklerus,

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schreiben unterließ er es nicht, auf den Vorläufigkeitscharakter seines Papiers hinzuweisen.16 Der erste Teil beschäftigt sich mit den Reformvorschlägen für die Ehegesetzgebung. Nach einer kurzen Erläuterung der Grundthesen des Ehepatentes beschwichtigt Ostini den Adressaten durch die Feststellung, daß man im gegenwärtigen Zeitpunkt beginne, von der bisherigen Doktrin abzurücken und auch im Unterricht auf den Universitäten der Kirche ein Recht über den Vertrag und damit zur Aufstellung von Ehehindernissen zuzuerkennen. Die Kirche erhalte zwar in zunehmendem Maße ihre Rechte zurück, fahre aber gleichzeitig fort, sie dem Landesherrn zuzusprechen, und behaupte, daß die Ehe als natürlicher, kirchlicher und ziviler Kontrakt nach den Gesetzen der Natur, der Kirche und des Staates zu normieren sei. Dabei stoße er auf keine nennenswerte Schwierigkeit, die weltliche Autorität zur Annahme der kirchlichen Hindemisse zu bewegen, wohl aber, sie zur Aufgabe der eigenen zu veranlassen. Angesichts dieser aussichtslosen Position bemühe er sich, die Zustimmung dafür zu erreichen, daß die staatlichen Hindernisse auf die rein bürgerlichen Wirkungen beschränkt würden. Das werde allerdings nach seiner Ansicht nicht genügen. So wie der Staat bereit sei, die kirchlich trennenden Ehehindernisse zu akzeptieren, ebenso wünsche dieser von der Kirche die Anerkennung der staatlichen. Deshalb habe man im Sinn, kirchliche und zivile Gerichte zu konstituieren, um über die entsprechenden Ehehindernisse zu entscheiden. Diesen staatlichen Ansprüchen gegenüber habe er nun geltend gemacht, daß bereits am Trienter Konzil die französischen Bittsteller Anstrengungen unternommen hätten, um die Kirche dazu zu bewegen, den Mangel des elterlichen Konsenses für die Ehe Mindeijähriger als trennendes Ehehindernis anzuerkennen. Frankreich, das damals einen negativen Entscheid erhalten habe, habe in der Folge solche Ehen als gültig behandelt und sich darauf beschränkt, ihnen die bürgerlichen Wirkungen abzusprechen. Ebenso habe er auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich aus der Anerkennung der staatlich irritierenden Ehehindernisse durch die Kirche ergeben würden. Es könnten nämlich auch andere Staaten eine ähnliche Anerkennung für ihre eigenen Hindernisse beanspruchen, ganz zu schweigen von den Konflikten und den sich widersprechenden Urteilen, die sich durch die Konstituierung zweier Tribunale ergäben. Der Nuntius beteuert seinem römischen Vorgesetzten gegenüber, daß er alle Gründe gegen die staatlichen Ansprüche geltend gemacht habe; er müsse je-

der kirchlichen Verwaltung, der Immunität und den kirchlichen Gerichten, der religiösen Toleranz. Vgl. ff. 23 r -30 v . Maaß, Josephinismus V (Anm. 1), Nr.

3 , .

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doch gestehen, daß es ihm nicht gelungen sei, seine Verhandlungspartner zu überzeugen. Gerade über die Eherechtsreform könne man kein Einvernehmen herstellen. Er sehe das Erdreich für die Aussaat noch nicht hinreichend gelokkert. Zwar hätte man die stechendsten Domen ausrotten können, es blieben aber immer noch deren nicht wenige übrig. 17 Bevor der Kaiser für die Sommermonate Wien verließ, gewährte er dem päpstlichen Diplomaten eine Audienz, bei der er ihm versicherte, nach seiner Rückkehr die Angelegenheit ins reine zu bringen. Der Monarch, so lesen wir in dem Bericht des Nuntius, habe bei dieser Gelegenheit nochmals seinen anfänglichen Eifer bekundet, wenn er meinte, die Reform „unbedingt" und möglichst „geräuschlos" („senza strepito") durchzuführen. Trotz des ermutigenden Eindrucks, den Ostini von der Begegnung mit dem Monarchen zu schildern wußte, Schloß er den Bericht mit den Worten: „Die Arbeit ist im übrigen sehr schwierig. Ich weiß nicht, ob wir imstande sein werden, uns ins Einvernehmen zu setzen. Wie dem auch sei, sobald die Arbeiten abgeschlossen sind, werde ich deren Ergebnis umgehend seiner Heiligkeit zu Füßen legen." 18 Obwohl Ostini aus den bisherigen Unterredungen mit Erzbischof Milde schließen konnte, daß staatlicherseits nicht so sehr einer Annahme der kanonischen Hindemisse Widerstand entgegengesetzt würde, sondern vielmehr der Verzicht auf die eigenen Ehehindernisse Schwierigkeiten bereiten werde, wagte er dennoch eine völlige Abschaffung der staatlichen Ehegesetzgebung in seinen Plan aufzunehmen. Das hätte aber nicht weniger bedeutet, als daß der Status vor dem 16. Jänner 1783 wiederhergestellt worden wäre. Ostini, der die Interessen der Kirche bzw. seiner römischen Vorgesetzten zu vertreten hatte und wußte, daß diese keineswegs zu Zugeständnissen in wesentlichen Dingen bereit waren, geriet auf diese Weise zwischen Hammer und Amboß. Dazu kam, daß sein Reformprojekt der Form nach kein diplomatiches Meisterwerk darstellte. Aber auch vom Inhalt her wird man den Plan als nicht besonders gelungen bezeichnen können, denn er forderte ohne theologische Differenzierung und ohne Ansätze zu einer für beide Seiten annehmbaren Lösung all das zurück, was der Staat seit 50 Jahren eifersüchtig als kostbaren Besitz gehütet hatte. Daß die mit einer ersten und vorläufigen Stellungnahme zum Reformentwurf befaßte römische Kommission an den so eindeutig und kompromißlos formulierten Forderungen ihres Unterhändlers Freude zeigte, war verständlich. Denn auf diese Weise, so beruhigte sie sich selbst, hätte sich ein einfacher Weg der Verständigung über diesen „heikelsten Verhandlungsgegenstand" eröffnet. 19 17

Ebd., Nr. 35,389.

18

A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 26. Juli 1833, Disp. 122/36, ff. 39 r " v .

19

A N V , t. 279, Römische Eheinstruktion, f. 81 v .

70 FS Mühlsteiger

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Dem päpstlichen Staatssekretär schwebte indes sicherlich nicht allein das doktrinäre Anliegen vor Augen. Als Vertreter der Kunst des Möglichen mußte er die Wege suchen, wie man ohne Preisgabe wesentlicher Positionen die Gegenseite durch Angebote zum Einlenken bewegen konnte. Deshalb war seine Freude über den Entwurf seines Wiener Unterhändlers bedeutend zurückhaltender. Bemängelt wurden von den römischen Kanonisten die ohnehin wenigen und unwesentlichen Konzessionen an den Staat,20 die ungenügende Umsicht des Prälaten und die mangelnde Präzision seiner Vorschläge. Die Zweifel über das Gelingen des Unternehmens, die Ostini trotz der Versprechungen des Monarchen hegte, entstanden schließlich aus einer Kenntnis der Sachlage, die er sich im Laufe der Verhandlungen aneignen konnte, sowie aus der einfachen Überlegung, daß so frontal zuwiderlaufende Forderungen nicht so schnell, wenn überhaupt je koordinierbar sein dürften. Die Bereitschaft des Staates, die kanonischen Hindemisse für den innerkirchlichen Bereich als rechtskräftig anzuerkennen, und die gleichzeitige Entschlossenheit, auf die eigene Ehegesetzgebung nicht zu verzichten, waren dazu angetan, einen Rechtsstatus zu schaffen, den sich schon Abt Franz Stephan Rautenstrauch als einziges Auskunftsmittel vorgestellt hatte, nämlich eine vollständige Trennung der Zuständigkeit beider Institutionen, 21 mit anderen Worten, die Einführung der Zivilehe nach französischem Muster. 22 Ohne das endgültige und ausführliche Gutachten Roms zum ersten Reformentwurf abzuwarten - es traf erst bedeutend später und gemeinsam mit jenem zum zweiten Plan in Wien ein - , setzte Ostini die Beratungen mit dem Erzbischof fort. Dieser mochte dem Nuntius nach Einsicht in dessen Reformvorschläge zu erkennen gegeben haben, daß unter der Voraussetzung einer vollständigen Abrogation des geltenden staatlichen Eherechtes und einer neuerlichen Anerkennung des traditionellen kirchlichen von einer Verständigung zwischen Kirche und Staat niemals die Rede sein konnte.

20

Ζ. B. die Reduktion des Hindernisses der öffentlichen Ehrbarkeit bei der Verlobung und beim matrimonium ratum tantum auf den ersten Grad. Nach österreichischem Recht entstand bei der Verlobung überhaupt kein Hindernis. Das matrimonium ratum tantum brachte nicht das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit, sondern jenes der Schwägerschaft hervor. 21 J. Mühlsteiger, Der Geist des josephinischen Eherechtes. Wien 1967,97. 22

Maaß, Josephinismus V (Anm. 1), Nr. 38, 297 f.

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Anfangs August 1833 sandte Ostini das bisherige Verhandlungsresultat als zweiten Teilplan 23 nach Rom und kommentierte ihn in einem Begleitschreiben. Zwar sehe er die Schwierigkeiten noch nicht völlig beseitigt, es scheine ihm jedoch, daß sie sich ein wenig verringerten, tröstete sich der Nuntius. Die Hoffnungen würden bestärkt durch das Vertrauen, das der Kaiser auf den Wiener Erzbischof setze, durch den Eifer, mit dem dieser sich der Sache widme, und durch die hohe Intelligenz sowie die Kenntnis nicht nur der kirchlichen, sondern auch der bürgerlichen Gesetze. Ein vergleichendes Studium beider Ehegesetzgebungen habe einen divergierenden Standpunkt in nicht weniger als 34 Artikeln ergeben. Dabei sei man zur Überzeugung gelangt, daß das Bürgerliche Gesetzbuch beim Festlegen der Ehegesetze nur den bürgerlichen Vertrag vor Augen gehabt habe, in der Absicht und im guten Glauben, den natürlichen Kontrakt als Materie des Sakramentes unberührt zu lassen. Das Übel bestehe darin, so erläuterte Ostini seine neugewonnenen Einsichten, daß man den bürgerlichen Kontrakt nicht vom Sakrament getrennt habe. Durch den Umstand aber, daß der Kontrakt, den das österreichische Gesetz als bürgerlichen betrachte, die Kirche aber als Materie des Sakramentes ansehe, dabei ein einheitlicher und einziger verblieben sei, seien die Dinge vermengt und verwechselt worden. Die Zivilgesetze verletzten nun tatsächlich den sakramentalen Kontrakt. Wegen der widersprüchlichen Aussagen der beiden Gesetzgebungen über ein und denselben Vertrag seien die Gewissen der Gläubigen und besonders der Seelsorger in höchstem Maße beunruhigt. Ostini hatte sich von seinem Gesprächspartner überzeugen lassen, den bürgerlichen Kontrakt als einen Teil des gesamten Ehekontraktes anzusehen, und zwar als denjenigen, der die rein bürgerlichen Angelegenheiten zum Gegenstand hat. Mit der Forderung einer Trennung des bürgerlichen Kontraktes vom sakramentalen trug er eine Realdistinktion in die Ehe hinein. Dieser Unterscheidung mag der Nuntius in der Absicht zugestimmt haben, den natürlichen und sakramentalen Kontrakt für die Zuständigkeit der Kirche zu vindizieren. Sind nämlich die bürgerlichen Wirkungen staatlicher Kompetenz, dann muß auch ein bürgerlicher Vertrag als deren Ursache derselben Kompetenz zugehören. Die genuinen Interpreten des Ehepatentes verstanden aber unter dem bür-

23 A N V , t. 279, ff. 32 r -49 v . Dieser Teilplan wurde mit dem Schreiben vom 8. Aug. 1833 (Disp. 128/38) nach Rom abgesandt. Die beigelegten Sondergutachten über die Hindernisse der Minderjährigkeit, des Militärstandes, des Ehebruchs und des Gattenmordes stammen aus der Feder des Erzbischofs Milde.

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gerlichen Vertrag nicht einen Teilvertrag, sondern den Ehevertrag seiner ganzen Wesenheit nach. 24 Wie bereits aus der Redaktion des ersten Reformteilplans hervorgeht, gebrach es dem Nuntius nicht nur an einem differenzierten Wissen über die kircheneigene Gesetzgebung, sondern auch an einer entsprechenden Kenntnis der geistlichen Grundlagen des staatlichen Eherechtes. Ansonsten wäre es unerklärlich, wie Ostini unversehens die Sprache eines aufgeklärten Staatskanonisten gesprochen hätte. Auf diesem Hintergrund wird sein Alternativvorschlag verständlich: entweder den zivilen Kontrakt vom sakramentalen zu trennen oder beide Gesetzgebungen in Einklang zu bringen. Letzteren Versuch unternimmt dieser Reformplan. Auf keine Schwierigkeit würde hierzulande das erste Projekt stoßen, gemäß welchem man nach dem Vorbild Frankreichs die kirchlichen Register von den staatlichen trennen müßte, versicherte Ostini. Die Unordnung jedoch, die sich aus den häufigen Fällen ergab, in denen man sich nach der zivilen Trauung um die kirchliche nicht mehr kümmerte, habe sie dazu bewogen, von diesem Plan Abstand zu nehmen. Um eine Harmonisierung beider Gesetzgebungen zu erreichen, sah der Nuntius nur einen gangbaren Weg, und zwar jenen der Annahme aller kirchlichen Gesetze sowie der staatlichen Abrogation jener Verfügungen, die nicht im Einklang mit der gesamten bürgerlichen Gesetzgebung standen, durch den Kaiser und die Anerkennung einiger bürgerlicher Hindernisse sowie deren Aufnahme unter die bereits bestehenden kirchlichen ohne Hinzufügung neuer durch die Kirche. Nach Prüfung aller Möglichkeiten, so setzte Ostini seinen Bericht fort, sehe er kein anderes Auskunftsmittel, um bei diesem „schwierigsten und wichtigsten Geschäft" ein Einvernehmen herbeizuführen. Da alle Regierungen wegen ihrer Ehegesetzgebung in Kollision mit der Kirche stünden, scheine ihm - da man zur Zeit kein Konzil einberufen könne - der Fall gegeben zu sein, in dem der Papst kraft seiner obersten Jurisdiktion über die ganze Kirche Änderungen in der Ehegesetzgebung durchführen könne, wie es die Kirchenversammlung von Trient getan habe. Auf Grund eines vertieften Studiums der Sachlage halte der hiesige Erzbischof jedes anderslautende Projekt in der Monarchie für undurchführbar. Dieser glaube sogar, daß man das von ihm entworfene Projekt nicht nur für den Fall neuer Widerstände durchführen könne, sondern daß es eine Dauerlösung gewährleiste und keinen Anlaß zu neuen, den Plan selbst aufhebenden Gesetzen biete. Für den Fall, daß man sich über alle Punkte einigen könne, habe er, Osti-

2

Maaß Josephinismus V (Anm. 1), Nr. 3 8 , 9 7 .

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ni, auf der unbedingten Anerkennung der Gültigkeit oder Ungültigkeit des Ehebandes durch den Staat bestanden und diesem einzig die Anerkennung oder Verweigerung der Zivileffekte vorbehalten. Der Erzbischof habe darauf insistiert, daß der Staat, den nur der bürgerliche Kontrakt angehe, nicht ohne offenen Widerspruch ein und denselben Kontrakt gleichzeitig als gültig und als ungültig betrachten könne: als gültig, insofern man staatlicherseits seine den kanonischen Normen entsprechende Gültigkeit verteidige, als ungültig, indem man ihm die rein bürgerlichen Wirkungen verweigere. Ihm, Ostini, sei sehr daran gelegen gewesen, den status quaestionis in diesem Papier klar darzulegen. Die gegenwärtige Verquickung von bürgerlichem und sakramentalem Kontrakt erwecke den Anschein, als ob man letzteren hätte verletzen wollen. Wenn es auch den Tatsachen entspreche, daß er gegenwärtig „verwundet" werde, so liege dies jedoch keineswegs in der Absicht der Regierung, die bereit sei, beide Verträge zu trennen, um auf diese Weise den sakramentalen unberührt zu lassen. Der Staat verletze nicht die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte, wenn er sie nicht unterstütze. Vielmehr verteidige er einzig den bürgerlichen Vertrag, der gegenwärtig größtenteils zum sakramentalen in Widerspruch stehe.25 Wenn der Nuntius der Kirche die Entscheidung über die Gültigkeit des Ehebandes, dem Staat jene über die zivilen Wirkungen zusprach, hoffte er, durch diese Aufteilung der Zuständigkeiten die Wesenseinheit des Ehevertrages intakt zu lassen. Wenn hingegen Milde behauptete, der Staat könne nicht ohne Widerspruch ein und denselben Kontrakt gleichzeitig als gültig und ungültig betrachten, gab er zu erkennen, daß der Staat, dessen Rechte er auf Anordnung des Kaisers zu vertreten hatte, nicht die Absicht habe, seine Ansprüche lediglich auf die Zivileffekte des Ehevertrages zu beschränken. Hatte der bürgerliche Kontrakt, der nach Ostinis Anschauung dem Staat überlassen bleiben sollte, tatsächlich nur die rein zeitlichen und politischen Belange zum Gegenstand? Wäre dies der Fall gewesen, hätte Österreichs Gesetzgeber ohne Bedenken erklären können, daß die vom Bürgerlichen Gesetzbuch aufgestellten Hindernisse einzig die zivilen Folgen, nicht aber die Gültigkeit des Ehevertrages als Ursache des unauflöslichen Ehebandes beträfen. Daß dem aber nicht so war, geht aus einer an anderer Stelle gemachten Aussage Ostinis hervor, wonach der österreichische Monarch willens war, die kirchlich trennenden Hindemisse um

25

Maaß, ebd., 399.

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den Preis zu akzeptieren, daß der Apostolische Stuhl den staatlichen die Anerkennung nicht abspreche. 26 Bereits eine flüchtige Lektüre der Depeschen Ostinis läßt eine mangelnde Vertrautheit mit der Verhandlungsmaterie erkennen. Um so mehr beeindruckte ihn die hohe Begabung Mildes und dessen gründliche Kenntnis des staatlichen und kirchlichen Rechtes. Auch dessen reine Absicht und kirchliche Gesinnung schien er niemals in Zweifel gezogen zu haben. Kein Wunder, daß er ihm volles Vertrauen schenkte. Bei dieser vorbehaltlos positiven Einstellung des römischen Kollegen war es für den Wiener Erzbischof ein leichtes, seine geheimen und wahren Absichten zu verbergen. Ostini merkte in der Tat nicht, wie die feinen Distinktionen um den Begriff des Ehevertrages sich als unsichtbare Fäden um seinen Geist schlangen und ihn sanft und arglos ins Netz der aufgeklärten Ideen zogen. Nur so ist es zu verstehen, daß der Nuntius zum Abschluß seines Berichtes den Einfluß seines Gesprächspartners auf den Kaiser als einzige Hoffnung und den Plan als alleiniges Auskunftsmittel im gegenwärtigen Skandal der österreichischen Gesetzgebung bezeichnete. Seine Hochschätzung für Milde ging so weit, daß er ihn als den von Gott gegebenen Mann pries, der dazu ausersehen sei, das ganze Unternehmen zu einem glücklichen Ende zu führen. 27 Da der neue Ehereformplan nach den Ideen und Grundsätzen Mildes abgefaßt war, 28 wünschte sich Ostini einen Motivbericht aus der Hand des Urhebers selbst, den er dann zusammen mit dem Plan einzusenden gedachte. Offenbar lag ihm daran, seine Vorgesetzten in Rom so ins Bild zu setzen, daß nicht er oder zumindest nicht er allein für die Änderung des bereits belobigten Planes verantwortlich zu machen sei. Milde willfahrte dieser Bitte. Einleitend erklärte Milde kategorisch, daß der österreichische Gesetzgeber durch seine Ehevorschriften nicht die Grenzen seiner Kompetenzen überschritten habe, weil weder dieser selbst noch das Gesetz das Sakrament erwähnen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch werde die Ehe lediglich als Zivilkontrakt betrachtet und könne als Sakrament gar nicht in Erwägung gezogen werden, da es alle Untergebenen ohne Rücksicht des Bekenntnisses binde. Das Sakrament sei Gewissenssache und gehöre zum kirchlichen Forum. 29 Aus diesen Prämissen zieht Milde die Folgerung, daß der österreichische Gesetzgeber sich deswegen seines Rechtes und seiner Pflichten, für Untertanen Gesetze zu erlassen, nicht zu begeben brauche. Das Recht, in Sachen des Sa-

26

Maaß, ebd., Nr. 35,390.

27

Maaß, ebd., Nr. 38,400 f.

28

A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 1. Sept. 1833, Disp. 136/40, f. 47 v .

29

A N V , t. 279, Milde an Ostini, 20. Sept. 1833, f. 50 v .

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kramentes Gesetze zu erlassen, werde der Kirche im österreichischen Gesetzbuch nirgendwo abgesprochen. Der Grund für die gestörten Beziehungen zwischen Kirche und Staat liege seines Erachtens darin, daß die zivilen Gesetze über den Kontrakt und die kirchlichen über das Sakrament nicht in Einklang stünden, ein Zustand, der „große Gefahren und Gewissensnöte" hervorrufe. Hätten die Rechtsberater beider Parteien bei der Abfassung der allgemeinen Ehegesetze unter Joseph II. die Wichtigkeit der Harmonie zwischen Kirche und Reich besser durchdacht und sich mehr von der Liebe zum Frieden leiten lassen, wären die Differenzen leicht und glücklich „durch ein freundschaftliches Übereinkommen" beizulegen gewesen. Den Frieden wiederherstellen sei schwieriger als ihn zu bewahren. Man habe es vorgezogen, den Knoten zu durchhauen, nicht ihn zu lösen. Die tieferen Ursachen für die Disharmonie sind nach der Anschauung Mildes darin zu suchen, daß das Corpus Iuris Canonici viele Normen enthalte, die nicht genügend determiniert seien, daß viele Kirchengesetze durch die veränderten Zeit- und Ortsumstände wenig dem Staats- und Familienwohl entsprächen, daß Dinge, die dem Familienwohl dienen, nicht enthalten seien und schließlich, daß viele Ehen wegen des mangelhaften und dunklen Charakters mancher Gesetze den Haarspaltereien der Rechtsgelehrten ausgesetzt seien. Der Staat sei diesen Schwierigkeiten durch neue Gesetze, durch Verbesserung und genauere Interpretierung der alten begegnet. Jenen, die glauben, das beste und leichteste Auskunftsmittel im Widerruf der staatlichen Gesetze durch den Monarchen zu sehen, hält Milde entgegen, daß derjenige, der zuviel verlange, nichts erlange. Ein Widerruf des Ehegesetzes würde nicht ohne Zerstörung des gesamten österreichischen Gesetzeswerkes durchzuführen sein, da die Ehevorschriften in engster Verbindung mit den übrigen Gesetzen stünden. Jene, die eine vollständige Trennung beider Gesetzgebungen vertreten, weist Milde darauf hin, daß man nicht zu einer Einigung gelangen werde, wenn die gegenwärtige, in der Tat bestehende Trennung und Verschiedenheit beider Gesetzgebungen auch in Zukunft zu Recht bestünde. Einzig der Kirche könne daraus ein Nachteil erwachsen, da sie auf diese Weise ihre Gesetze nicht mehr mit Hilfe des Staates urgieren könne. Den Vorschlag, der österreichische Gesetzgeber mögen Ehen, die gegen die Normen der bürgerlichen Gesetzgebung geschlossen wurden, hinsichtlich der zivilen Wirkung für ungültig erklären, bezüglich des Sakramentes aber als gültig anerkennen, weist der Erzbischof mit der Begründung zurück, daß der staatliche Gesetzgeber auf diese Weise zwei sich widersprechende Gesetze gutheißen und schützen müßte. Ehen gegen die kanonische Gesetzgebung würden als Sakramente ungültig sein, vom Kaiser aber als bürgerlicher Vertrag gültig erklärt. 30

30

Ebd., ff. 50 v -52 v .

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So wie Ostini hält auch Milde einzig eine Harmonisierung der Legislationen als zielführend. Daß das Ehedogma von jedem und jederzeit unangetastet bleiben solle, sei selbstverständlich. Disziplinäre Ehevorschriften hingegen seien zeitbedingt. Eine jeweilige Anpassung erlaube die Wissenschaft und empfehle die Klugheit. Eine Reform dieser Ehegesetze könne durch Neuinterpretierung und Bestimmung, durch Beschränkung und Widerruf alter Gesetze bewerkstelligt werden, denn alle diesbezüglichen legislatorischen Akte lägen ja im Bereich der päpstlichen Vollgewalt. Wenn ein und dasselbe Gesetz sowohl im kirchlichen als auch im staatlichen Bereich gelte und verpflichte, könne nach der Meinung Mildes jede Kollision in der Dispenspraxis und in der Urteilsfindung der Gerichte vermieden werden. Seien die kirchlichen und die staatlichen Ehehindernisse identisch, könne die Kirche ihr Dispensrecht bezüglich des Sakramentes und der Staat jenes in bezug auf den bürgerlichen Kontrakt ausüben, und zwar so, daß die Dispens nur dann Rechtskraft erhalte, wenn sie von beiden Teilen gewährt werde. Gehe es um die Gültigkeit des Ehebandes, würde die Kirche über das Sakrament, der Staat hingegen über den bürgerlichen Kontrakt Recht sprechen. Vermied es bisher der Entwerfer des Reformplanes, das Wesen des Zivilkontrakts klar zu umschreiben, so läßt die eben angeführte Aussage keinen Zweifel übrig, daß mit dem Entscheidungsrecht über den bürgerlichen Vertrag die Gültigkeit des Ehebandes tangiert wurde. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß Milde weiterhin einen Zuständigkeitsanspruch über das Wesen der Ehe erhob. Wie sollte die konzipierte legislative Harmonisierung gegensätzliche Urteile ausschließen? Da das Gesetz ein und dasselbe war, nämlich staatlich-kirchlich, und derselbe Rechtsfall auf dies eine und einzige Gesetz Bezug hatte, konnte nach seinem Dafürhalten von verschiedenlautenden richterlichen Sentenzen nicht mehr die Rede sein. Die Harmonisierung der beiden Gesetzgebungen hätte nach Milde in nichts anderem bestanden als in der Angleichung und Anpassung der kirchlichen Ehelegislation an den fortschrittlichen Stand der staatlichen Gesetzgebung.31 Offen blieb in seinen Ausführungen jedoch die Frage, wie bei einer solchen Angleichung die konkreten legislativen Zuständigkeiten verteilt würden. Daß bei einer solchen Kombination die Kirche unter Umständen auf eingestiftete Rechte verzichten müßte, zog er nicht in Erwägung. Einige Tage vor Erhalt dieses Schreibens hatte Ostini einen Teil des gemeinsam erarbeiteten Refomplans nach Rom abgesandt. In seinem Begleitschreiben

Ebd., ff.

4

.

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sah er sich neuerlich veranlaßt, seiner Überzeugung von der Undurchführbarkeit des ersten Planes Ausdruck zu verleihen. 32 Gleichzeitig wies er darauf hin, daß alles, was man erreichen werde, das Verdienst des Erzbischofs sein würde. Dieses würde ihm zufallen auf Grund seines höchsten Einflusses auf den Kaiser und seiner hervorragenden Intelligenz, die keine Befürchtungen aufkommen lasse, daß vor der Unterzeichnung der Dekrete andere Personen damit befaßt würden. Der Wiener Erzbischof sehe zwar ein, daß man mehr tun müßte. Nun kenne er aber das hiesige Erdreich und wisse anderseits sehr wohl, was zu erreichen möglich und was unmöglich sei. Sollten seine Vorschläge angenommen werden, fürchte er niemanden und erkläre sich bereit, es mit jedem Gegner aufzunehmen. Wollte man in der gegenwärtigen Situation die Sache durch Mehrforderungen übertreiben, würde man alles verderben. Ostini lag besonders am Herzen, „so bald wie möglich" die Meinung des Papstes zu erfahren. Eine rasche Behandlung, soweit sie überhaupt mit einer eingehenden Prüfung der Materie vereinbar war, hielt er unter jeder Rücksicht für höchst notwendig, auch für den Fall, daß der Kaiser das Reformdekret der Ehegesetze nicht für sich allein, sondern gemeinsam mit den übrigen Reformgesetzen unterzeichnen würde. 33 Den restlichen Teilplänen der Ehegesetzgebung, die Ostini drei Wochen später absandte, legte er die grundsätzlichen Erklärungen Mildes mit der Bemerkung bei, daß daraus die Undurchführbarkeit eines jeden anderen Planes deutlich hervorgehe. 34 Zu diesem Zeitpunkt hegte Ostini anscheinend keinen Zweifel mehr über die Anfechtbarkeit des neuen Planes. Ja, er fand ihn sogar in der Lehre des Thomas und Bellarmin fundiert. Auf diese hatte sich schon Milde gestützt.35 Der vorgelegte Plan, so resümiert er, beläßt dem Landesfürsten die Vollmacht, trennende Hindernisse aufzustellen, macht diesem aber deren Unteròrd-

32

„...Rapporto poi al mio piano sulle leggi matrimoniali mi sono persuaso, che nel modo da mè presentato è ineseguibile, siccome ho già espresso a V. E. R." Vgl. A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 1. Sept. 1833, Disp. 136/40, f. 48 r . 33

Ebd., f. 48 v .

34

Maaß, Josephinismus V (Anm. 1), Nr. 39,400.

35

Milde benützt die von den Regalisten so häufig in ihrem Sinne interpretierte Stelle der Summa contra Gentiles (Lib. IV., c 78) des Thomas v. Aquin zur Untermauerung seiner Sentenz, ebenso die Stelle aus Bellarmins Liber de matrimonio (c. 32), wo dieser meint, daß der Ehevertrag, soweit er ein natürlicher Kontrakt ist, in die Zuständigkeit des Staates fällt (materia est politica) und soweit ein und derselbe Vertrag Fundament des Sakramentes und Gewissenssache ist, als geistliche Angelegenheit anzusprechen ist. Vgl. A N V , t. 279, Milde an Ostini, 20. Sept. 1833, ff. 50 r _ v .

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nung unter die Kirche zur Pflicht, um von ihr den Konsens zu erhalten. Ebenso sieht der Plan vor, daß der Landesfürst die Hindemisse, die zu jenen der Kirche im Widerspruch stehen, reformiert oder zurückzieht und daß er die von der Kirche vorgesehenen Hindemisse aufnimmt. Zum Abschluß erfüllt Ostini seinem Verhandlungspartner Milde die Bitte, dem Heiligen Vater mitzuteilen, daß der Mangel an Bereitschaft, alle Vorschläge Ostinis anzunehmen, nicht daher rühre, daß er nicht willens sei. Es liege ihm im Gegenteil sehr viel daran, dessen Wünschen zu entsprechen. Seine Zurückhaltung entspringe vielmehr der Überzeugung, daß man durch ein Überdrehen der Forderungen nichts erreichen werde. So sehr er auch bereit sei, alles zu unternehmen, um den Kaiser zu einer Approbation der von ihnen erarbeiteten Ergebnisse zu bewegen, so fürchte er dennoch, daß dies in Anbetracht der wahrscheinlich noch auftretenden schweren Hindemisse nicht der Fall sein werde. 36 Begreiflicherweise wartete der Nuntius mit Spannung, wenn nicht mit Ungeduld auf die Reaktion seiner römischen Vorgesetzten. Der päpstliche Staatssekretär Bernetti gab ihm jedoch zu bedenken, er möge sich nicht über die Verzögerung wundem, da es sich um eine Angelegenheit handle, die einer reiflichen Überlegung bedürfe, bevor man sich festlege. Dies komme schließlich der Sache selbst zugute. 37 Ende November 1833 konnte der Nuntius nach Rom berichten, daß anläßlich einer Audienz beim Kaiser das Gespräch auf die Verhandlungen mit Milde gekommen sei. Dabei habe er dem Monarchen versichern können, daß es ihnen gelungen sei, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Wenn der Herrscher den Mut aufbringe, die Angelegenheit zu einem glücklichen Abschluß zu bringen, könne dieser nicht nur getrost die Augen im Tode schließen, sondern schon jetzt die Ehre für sich in Anspruch nehmen, die wichtigsten Angelegenheiten des Staates in Ordnung gebracht zu haben. Der Kaiser habe ihm darauf erklärt, „daß er absolut alles tun werde" 38 . Inzwischen waren drei Monate vergangen, ohne daß ein Echo aus Rom zu vernehmen gewesen wäre. Etwas ungeduldig schrieb der Nuntius dem Staatssekretär, daß nicht nur die Natur des Gegenstandes selbst eine rasche Klärung fordere, sondern daß auch an den Rechtsschulen die Kenntnis der neuen österreichischen Gesetze umgehend vermittelt werden müsse, nachdem das Encheiridion Iuris Ecclesiastici von Rechberger auf Anordnung des Kaisers vom

36

Maaß, Josephinismus V (Anm. 1), Nr. 39,401.

37

A N V , t. 269, Bernetti an Ostini, 19. Nov. 1833, Disp. 8946, f. 588.

38

A N V , t. 276, Ostini an Bernetti, 29. Nov. 1833, Disp. 176/59, f. 65 v .

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Lehrplan abgesetzt worden sei. Dabei gestand der Nuntius, daß die Hoffnung, der Plan werde in der vorgelegten Form gutgeheißen, ständig zunehme. Damit aber diese Zuversicht begründet bleibe, sei es erforderlich, daß der Plan in der eingereichten Form approbiert werde. Der hiesige Erzbischof, der eine gründliche Kenntnis der österreichischen Gesetze besitze, die Personen, mit denen er zu verhandeln habe, durchschaue und die Gesinnung des Kaisers kenne, sehe keine Möglichkeit, ein anderes Projekt vorzulegen. Wenngleich er das persönliche Vertrauen des Kaisers genieße, würde die Unterstützung eines anderslautenden Planes als jenes des Erzbischofs, der das kaiserliche Vertrauen in höchstem Maße genieße, wirkungslos bleiben. 39 Die ehebaldigste Regelung der Ehefrage schien Ostini zu wichtig, als daß er nicht jede Gelegenheit benützt hätte, um ergänzende Überlegungen und Erklärungen abzufassen, die der Rechtfertigung seiner neugewonnenen Einsicht dienten. Als er am 18. April 1834 besonders nachdrücklich eine Entscheidung aus Rom erbat, wußte er nicht, daß dort tags zuvor bei einer Sitzung der Kongregation für kirchliche Angelegenheiten der ganze Fragenkomplex der österreichischen Ehegesetzgebung erörtert und der kirchliche Standpunkt festgelegt worden war. Für den Fall, so machte Ostini geltend, daß der Ehereformplan Mildes nicht in seiner Gänze appropiert würde, erkläre er sich bereit, diesen für jene Modifikationen zu disponieren, die die römische Kongregation für angebracht halte. Sein Wiener Kollege habe ihm versichert, keinen Wert auf den Plan selbst, soweit er nach seinen eigenen Ideen abgefaßt worden sei, zu legen; er verteidige ihn lediglich, weil er ihn unter den gegebenen Umständen und angesichts der zu bewältigenden Opposition als einziges Auskunftsmittel betrachte. Wenn die Kongregation ein anderes durchführbares Konzept vorlegen werde, sei der Erzbischof durchaus geneigt, es zu unterstützen. Sollte die römische Behörde den Plan als ganzen oder teilweise ablehnen, dann läge es an ihr, einen besseren zu entwerfen, der in ähnlicher Weise den Interessen des Staates und der Kirche entspreche. Mit der dringenden Bitte, den Inhalt dieses Berichtes sowohl dem Papst als auch der Kongregation zur Kenntnis zu bringen, Schloß Ostini seine Ausfüh40

rungen. Ende September des Jahres 1834 - seit der Einsendung der letzten Teilpläne war ein volles Jahr verstrichen - war noch immer keine Antwort in Wien eingetroffen. Diese lange Wartezeit mußte in Ostini den Verdacht wecken, daß der

39

Ebd., Ostini an Bernetti, 21. Febr. 1834, Disp. 212/72, ff. 87 v -88 r .

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Ebd., Ostini an Bernetti, 18. April 1834, Disp. 227/76, ff. 95 r " v .

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Reformplan, wenn nicht ganz, so doch zum Teil umgestoßen worden sei und daß man eben so viel Zeit benötige, um einen neuen zu erstellen. Für Ostini ergab sich eine günstige Gelegenheit, vertraulich dem Staatssekretär zu bedeuten, daß er für den Fall einer Gutheißung des Planes sich mit dem Erzbischof ins Einvernehmen setzen werde und mit der Unterstützung Metternichs die kaiserliche Approbation zu erhalten hoffe, obwohl „die Angelegenheit äußerst schwierig sei". Sollten jedoch am Plan bemerkenswerte Änderungen vorgenommen worden sein, werde er sowohl dem Erzbischof als auch dem Staatskanzler die römischen Reflexionen schmackhaft zu machen suchen, damit beide ihrerseits dasselbe dem Kaiser gegenüber tun und ihn so zur Approbation bestimmen könnten. Für den Fall aber, daß die beiden bei aller Anerkennung der Vernünftigkeit der an den Plänen vorgenommenen Änderung auf der Meinung beharren sollten, daß der Boden noch nicht hinreichend bestellt sei, um den Kaiser zur Paraphierung eines der kirchlichen Autorität günstigeren Planes als des nach Rom eingesandten zu bestimmen, sehe er keinen anderen Ausweg, als weiterhin beim Monarchen zu insistieren, allmählich die Fesseln, mit denen die Kirche in seinen Staaten behaftet sei, durch Anordnungen zu ihren Gunsten zu lösen. Fürst Metternich, so setzte Ostini seinen Bericht fort, habe mit ihm in einer vertraulichen Aussprache die Ursachen der gegenwärtigen Unruhen erörtert und behauptet, daß sie unter Ludwig X I V . ihren Anfang genommen hätten. Dieser habe mit der Zerstörung des alten Verwaltungssystems einem despotischen Absolutismus Tür und Tor geöffnet. Die Philosophen hätten der Religion, Joseph II. sowohl der guten Verwaltung als auch der Religion, einen schweren Schlag versetzt. „Welch ein Unheil hat Joseph II. angerichtet." Erst seit wenigen Jahren beschäftige er, der Fürst, sich mit der inneren Staatsverwaltung, nachdem ihn vorher ausschließlich die äußeren Beziehungen des Staates in Anspruch genommen hätten J werde er inne, welche Wunden man sowohl dem politischen als auch dem religiösen System geschlagen habe. In Sachen der Politik wisse er, was zu unternehmen sei. Was die Religion betreffe, so stimme er mit ihm, dem Nuntius, dahin überein, daß man die Kirche von den Bindungen mit dem Staat lösen und sich mit dem Heiligen Stuhl in ein vollkommenes Einverständnis setzen müsse. Er, Ostini, müsse dem Staatskanzler auf Grund seiner profunden Kenntnisse der Zustände in der Monarchie zustimmen, daß der Kaiser den Stand der Dinge kenne und den entschlossenen Willen habe, sie zu ändern, daß er aber keine Mittel und Wege finde, die seine Ziele unterstützten und seine Befehle ausführten. Mit Beginn des josephinischen Unterrichts seien alle Ministerien, Kanzleien, die Staatsbeamten und Räte von den Maximen dieser Schule angesteckt. Wollte der Kaiser einen Staatsstreich wagen, würde er sich isolieren, alle würden ihn ablehnen, und ein Übergreifen der Revolution auf die Monarchie wäre nicht ausgeschlossen. Auf der Grundlage der dargelegten Tatsachen sehe er sich gezwungen zu wiederholen, daß er für den Fall einer bemerkenswerten Änderung der Pläne sowie der Unmöglichkeit, sie vorzulegen, wie sie ursprünglich redigiert worden

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seien und wie sie nach dem Wunsch des Erzbischofs vom Kaiser unterzeichnet werden sollten, kein anderes Auskunftsmittel sehe, als schrittweise etwas zu erreichen und mit allen Mitteln und dem nur denkbaren Eifer auf die Reform des öffentlichen Unterrichts zu drängen. 41 Es ist vielleicht nicht abwegig, aus den von Ostini berichteten Ausführungen Metternichs die Absicht herauszulesen, den leicht beeinflußbaren Nuntius mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß mit einer Änderung der legislatorischen Situation kaum zu rechnen sei. Der Nuntius seinerseits mag eine Wiedergabe des Gesprächs mit dem Staatskanzler für angebracht gehalten haben, um die römischen Vorgesetzten rechtzeitig darauf hinzuweisen, daß die Ursachen für ein eventuelles Mißlingen des Vorhabens nicht bei ihm zu suchen seien. Von seiner persönlichen Einstellung zum „grande affare" verrät Metternich auch diesmal nichts. Noch in den letzten Tagen des Monats September mußte die römische Entscheidung in Wien eingelangt sein, da Ostini bereits am 3. Oktober den Erhalt mit der Bemerkung bestätigt, die römischen Reflexionen gut zu überdenken, um sich bei der Fortsetzung der Verhandlungen danach zu orientieren. 42 Die römische Weisung - besser gesagt Zurechtweisung - konnte im Empfänger keine andere Wirkung als eine tiefe Enttäuschung hervorrufen. Es wurde nämlich nicht nur der zweite Ehereformplan bis ins Detail widerlegt, sondern auch für eine Kompromißbereitschaft kein Ansatz deutlich. Mit diplomatischer Zurückhaltung der inneren Gefühle, die damals den Nuntius bewegt haben mochten, und mit der unverkennbaren Absicht, die Verantwortung für den Reformplan auf Erzbischof Milde abzuwälzen, replizierte er, daß er den Entwurf des hiesigen Erzbischofs nicht einfach verachten wollte. Was ihn bewogen habe, den ersten Plan als ganz und gar undurchführbar aufzugeben, sei die nach wie vor in den Köpfen der einflußreichsten Persönlichkeiten des Hofes festgesessene Ansicht von der exklusiven staatlichen Zuständigkeit für die Ehehindernisse. Die Unklarheiten, die das in lateinischer Sprache verfaßte Papier Mildes anscheinend hinterließ, erklärte Ostini mit dem Umstand, daß der Autor als Parteigänger der Interessen des Kaisers und trotz seiner Begabung sich so wenig wie möglich der politischen Opposition habe aussetzen wollen. 43

41

Ebd., Ostini an Bernetti, 27. Sept. 1834, Disp. 284/98, ff. 129 r -130 r .

42

Ebd., Ostini an Bernetti, 3. Okt. 1834, Disp. 285/99, ff. 128 r _ v .

43

Ebd., Ostini an Bernetti, 3. Okt. 1838, Disp. 288/101, ff. 132r~ v.

Johannes Mühlsteiger

1086

Der Nuntius versprach, alles in seinen Kräften Stehende zu unternehmen, um die durchschlagenden Argumente (,Je fortissimo ragioni") der römischen Kongregation in Wien schmackhaft zu machen. Sollten diese Beweisgründe erreichen, fuhr Ostini fort, was seine persönlichen - die ja dieselben geblieben sind - nicht bewirken konnten, und käme es tatsächlich zu einer Harmonisierung der Lehre der Kirche mit den Ideen des Reformplans, der die Hindemisse des Bürgerlichen Gesetzbuches allein auf die bürgerlichen Wirkungen beschränke, dann müßte man hierzulande Zivilregister nach französischem Muster anlegen. Für diesen Fall wolle er sich genaue Anweisungen von Rom erbitten und auf die unheilvollen Folgen hinweisen. Ostini berichtete außerdem von einem Vorhaben Fürst Metternichs, eine Kommission ins Leben zu rufen, die sich mit der Revision der Studienpläne beschäftigen und „einen ganz und gar katholischen" erstellen solle. Als Hauptschwierigkeit erweise sich die Rekrutierung der Mitglieder, da „alle" österreichischen Gelehrten „ganz und gar" korrupt und in der josephinischen Doktrin verstrickt seien. Man hoffe jedoch, den einen oder andern Vertreter vollkommen einwandfreier Maximen ausfindig machen zu können. Dies sei der beklagenswerte Zustand, in dem sich diese Monarchie befinde. Nach einem halben Jahrhundert verderblichsten Unterrichts seien alle davon infiziert. Fürst Metternich und der hiesige Erzbischof übten einen mächtigen Einfluß auf den Kaiser aus und rieten ihm, die politische und kirchliche Gesetzgebung in Einklang zu bringen. Alle übrigen versuchten, den Monarchen vom Gegenteil zu überzeugen. Der von Natur aus schüchterne Herrscher habe eine so geringe Selbsteinschätzung, daß er viel mehr auf das Urteil anderer gebe. Von daher werde es schwer möglich sein, daß er sich für eine bedeutendere Maßnahme gegen die Meinung der Mehrheit entscheide. Wenn er etwas unternehme, dann werde er so wenig wie möglich anstoßen wollen, wie es sich mit den eingesandten Plänen bereits gezeigt habe. Schließlich unterläßt es Ostini nicht, seine römischen Vorgesetzten darauf aufmerksam zu machen, daß er, durch die Erfahrung vieler Jahre belehrt, wisse, was man erreichen könne und was nicht, weshalb er sich darauf beschränke, das zu verlangen, was er als durchführbar betrachte. Diese Vorgangsweise habe ihm schon in seiner Eigenschaft als Internuntius erfreuliche Erfolge gebracht, weil er nicht Dinge verlange, die er geme möchte, sondern die er als verwirklichbar erachte. 44 Das Eintreffen der römischen Eheinstruktion kann als Abschluß des ersten Abschnittes der Verhandlungen betrachtet werden.

44

Ebd., ff. 133 r -134 v .

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Bei der am Wiener Hof herrschenden Auffassung vom Verhältnis zwischen Kirche und Staat war es für Ostini bestimmt kein leichtes, sich mit Erfolg für die Interessen und Prärogativen der Kirche einzusetzen. Daß auch der zweite Reformplan zerschlagen wurde, wird man unter anderem auch jenem Umstand zuschreiben müssen, daß sich Ostini über die wahren Absichten seiner Partner nicht klar wurde. Die ihm überaus imponierenden geistigen Qualitäten Mildes, dessen überbewerteter Einfluß auf den Willen des Kaisers und schließlich dessen blendende und zugleich undurchsichtige Verhandlungstaktik mögen ihm die Perspektiven für die wahren Gegebenheiten verstellt haben.45

45

„Di quei che avvicinano e che hanno potere sull'animo di S. M. non vi è che il Sr. Principe Metternich e questo Msgr. Arcivescovo, che suggeriscono alla M. S. di mettere di accordo le leggi politiche colle ecclesiastiche." Vgl. A N V , t. 276 - Ostini an Bernetti, 3. Okt. 1834, Disp. 288/101, f. 134r.

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Sachwortregister Abgaben 63 Absolution 356 f., 363,838, 840 f., 874,879,884,906 f., 910-913,917,922,931,943948,950-953,955 Absolutionsformel 838 Absolutionsvollmacht 908 Adveniat 585 aequitas 978 aequitas canonica 388,1021 f. Akkommodationsdekret, Österreichisches 329,334 Akolyth 205 Aktenoffenlegung 412 Allgemeines Hochschulstudiengesetz, Österreich 331 Altar 693,733 Älteste 752 f., 759,761,767 Ältestenamt 752,761 Ältestenrat 752,754 Altkatholizismus 365 Alumnen 296,298,301-306,959 Amt 742,765,767,794,800 apostolisches 772 Begründung 796 Ämter 766 Amtsvollmacht 220 Anstaltsseelsorge 583 Antimodernismus 78 Antimodernisteneid 78 Apollinianer 827 Apostel 665,729,742 f., 758,770, 772 f., 775, 785,790-792, 797 f., 801

Apostelamt 665,743 Apostelbegriff 742 f., 772,791 Apostelgeschichte 758 ff., 762, 812 f. Apostelkonzil 758,1005 Apostolikum 818,820,831 Apostolische Canones 620 f., 627 Apostolizität 657 Apostolische Konstitutionen 615618,669 Apostolische Signatur 211,446, 459 Apostolischer Nuntius Bischofsbestellung 229,232 Apostolischer Stuhl Bischofsbestellung 229 Appellation 103,115,125 Approbation 447 Approbationstheorie 1018 f. Archidiakon 105 Archidiakone 121 Ärgernis 68 f., 70 f., 73,345, 350 f., 354,368 f., 887,891 Arianer 648 Asyl 134 f., 141,144 Asylrecht 134-136,138,141-144 Auferstehung 8,9,743 Augsburger Religionsfriede 496 Aussagepflicht 592 Bakkalaureat 559 f. Baldachin 474 Bandverteidiger 418 Baptisten 567 Barnabasbrief 858

1096

Sachwortregister

Begräbnis 937 Beichte 350,362 f., 367 f., 592, 600,838,840 f., 845 f., 849, 856,879,901,906,937 Beichtgeheimnis 363,592 Beichtpflicht 363,840,869 Beichtvater 592 Beichtwissen 363 Bekehrung innere 838 beneficium competentiae 67 Benefizien 1041,1059 Italien 547,548 Benefizium 1045,1049 Berufung, gerichtlich 103 Beteiligungsrecht 422 Beugestrafe 368 Beuterecht 63 Bewegung donatistische 719,739 Bildung 573,575,578 f., 581 f. Bildungskongregation 448,451 Bildungswesen 581 Billigkeit 447,988,1021 Bischof 644,646,650,767 f., 793, 805 f., 808 Ernennung 215,219,235,237 von Rom 684,703,705,717 Bischofsamt 224,790 Eignungskriterien 229 Bischofsbestellung 218,223-228, 233 f., 236-238,624 Altertum 225 Listenverfahren 216,229 Mittelalter 225 Nominationsrecht 226 Bischofsernennung 227 Beteiligungsrecht, staatliches 232 Bischofskoadjutor 236 Ernennung 229 Bischofskollegium 230

Bischofskonferenz 148,217, 229 f., 258,291 f., 295,299 f., 313,315,365 f., 547,551 Italienische 544,554,556,559, 562 f., 565,569 Vigilanzrecht 187 Bischofskonferenz, Deutsche 326 Generalabsolution 839 Bischofskonferenz, Österreichische 328,334,340 Bischofskonferenz, Schweizerische 956 Generalabsolution 839 Bischofstheologie 808 Bischofswahl 215,225-228,234237,792 Bischofsweihe 230,709 Blut 5,6 bona fides 489 bonum commune 511,512 bonum coniugum 377,386,388, 389 bonum prolis 373 Botschaft Jesu 766 Briefwahl 251,274 Bücherzensur 78 Bußbücher 868 f. Bußdisziplin 854,868 f., 889,934, 956 Buße 840,852,854 f., 857,859 f., 863,868,874 f , 878,885 f., 894,908,917 f. öffentliche 849,853,867,869 private 956 Bußfeier 840 f. Bußleistung 850 ff., 855,857, 869,873 f., 879,935,943,946 Bußpastoral 837 Bußpraxis 837,844,869 orientalische 861 Bußsakrament 837,838 f., 841, 863,869,870,874,918,941945,947 f., 950 f., 953,955

Sachwortregister

5,947 f., 950 f., 953,955 Bußtheologie 837,851,885,891, 921 Bußverfahren 850,852,860,863,

868 Canon 643 Begriff 641 Canones Apostolorum 324,615, 618,620 f., 623 f., 627,630 ff., 634 f., 637,640 f., 651,656 f., 660-662,666,667-671,673 ff. Apostolizität 630,667,673 Entstehungsort 630 Rezeption 635,652,655 Cappa magna 474 Caritas 589 Caritasverband Diözese Augsburg 587 cathedra 729,772 CCEO 233 Centuriatoren 661,664,668 cessio bonorum 67 Charisma 776,791,794 Charismatiker 744 Charismen 332 Christen 5,9,695 Christenrechte 202 Christentum 625,811,1001,1004 Christen Verfolgungen 687,704 Christenwürde 12 Circumcellionen 486,488 citatio 405,407,411,421,423 f. Clemensbrief 794, 797,799, 856 f. Collegium germanicum 959 Communio 55,324,332 f., 339, 343,376,654,691,693,709, 730,733-735,735,811,815 ff., 820-830,832 ff., 949,951, 989 f., 1008,1020 f. Communio ecclesiastica 344 72 FS Mühlsteiger

Communio eucharistica 344 Communio sacramentorum 829 Communio sanctorum 831 Concordia discordantium canonum 641 Confoederatio 176 Consociatio 175 Constitution civile du clergé 193 contritio 887,891,907 f., 916, 921-924,926,929-931,933, 942,944 f., 952 Corpus Iuris Canonici 1053 Damaskusschrift 746 Dechant 241 ff., 245-249,251 f., 254-259 Amtsaufgaben 245 Aufgabenfelder 253 Eignungskriterien 245,249 Ernennung 245 Stellvertreter 252 Dechantenkonferenz 243,249 Dechantenrechte 258 Dechantenstatut Erzdiözese Salzburg 247 Dechantenwahl 250 ff. Decretum Gelasianum 657 decretum singulare 439 Deismus 499 Dekanat 241-250,252-254, 258 f. Dekanatsarchiv 252 Dekanatskonferenz 251, 254, 257 Dekretalen pseudoisidorische 656 Dekretum Gratiani 64 démocratie chrétienne 193 Denkmalpflege 561,584 Denkmalschutz 583,584 Deus Scientiarum Dominus 335 Diakon 744,762 f., 793,798 f., 802 f., 805,807 Wahl 792

1098

Sachwortregister

Diakonie 574 f., 582,587 dicta Gratiani 641 Didache 225,615,789,790-793, 855 f., 858 Sonntagsliturgie 793 Didascalia 615 Digesten 64 Dignitatis humanae 206,512 Dilatio 73 Dionysio-Hadriana 656 Diözesanbischof 106,131,217, 230 f., 242,244 f., 247, 249, 291,298-300,305,310,313, 366,425 Dechantenwahl 250 Diözese 147-149,298 Augsburg 573 f., 576,578 f., 586 Bozen-Brixen 545,547,553, 565 Trient 545 discussio causae 406,412 f. Dispensehe 519-522,530,533, 535 f. Disziplin kirchliche 646 Domkapitel 215,217,226 f., 231, 585 Bischofsbestellung 232,238 Bischofswahl 226 Donatismus 681,727,828 Donatisten 484,486 ff., 682, 698 f., 701 f., 704,707,710, 718 ff., 724,735 ff., 828,830 Doppelehe 522 Druckerlaubnis, kirchliche 92 Ecclesiae Sanctae 241 ff., 262 f. Ecclesiae sui iuris 298,304 Edikt von Nantes 498 Ehe 98,471,518,806 Formpflicht 36,39, 41 ff., 47, 49 f.

konfessionsverschiedene 35-38, 40,42 Nachkommenschaft 373 Sakramentalität 50 Trennbarkeit 525,529,532 Unauflöslichkeit 527,534 Wesen 378 Wesenseigenschaften 46 zivile 356 Zivilgesetze 1074 Eheassistenz 48 Eheaufgebot 533 Eheband 519 Gültigkeit 1079 Ehebandverteidiger 418,419 Ehebild 374 Ehebruch 490 Erbunfähigkeit 534 Ehebund 44 Eheführungsunfähigkeit 385 Ehegesetz Österreich 1078 Ehegesetze Joseph II. 1078 Ehegesetzgebung österreichische 1082 staatliche 1066,1072 Ehehindernis 380,388,519 des Katholizismus 518,525 Eheband 519 f., 522,533,535 Ehebruch 534 Gelübde 525 Religionsverschiedenheit 525 verbietendes 42 Verwandtschaft 534 Weihe 525 Ehehindernisse Dispens 519 Dispensrecht 1079 staatliche 1079 trennende 1071

Sachwortregister

Ehekonsens 45,47,379 Ehekontrakt 1074 Ehenichtigkeitsprozess 394, 414 ff., 418 f., 422 f., 425 Ehenichtigkeitsurteil 425 Ehenichtigkeitsverfahren 393, 395,414 f., 417 ff., 421,423 ff., 427 Ehepatent josephinisches 1066 Eherecht burgenländisches 523 kanonisches 373 österreichisches 524,531,533, 537 reichsdeutsches 524 staatliches 519 ungarisches 524 Eherechtsreform Österreich 515 Eherechtsreformvereine 529 Ehesakrament 44 ff., 49 Ehescheidung 519,542 Eheschließung kirchliche, Italien 565 Ehetrennung 535 Ehevertrag 44,517,1075 f. Ehevollzug 375 Ehezwecke 375 Ehrverlust 72 Eid 468 Eigenkirchenwesen 225 Eigenschaftsirrtum 389 Einheit der Kirche 809 Einrede 408 Einzelbeichte 839 Einzeldekrete 440 Ekklesiologie konziliaristische 997 Eltern 580 Elternschaft, verantwortete 383 f.,

386,388,392 Empfängnisregelung 392 Entsündigungsprozess 847,849, 852,860,878,886,890,896, 914,918,943 Enzyklopädisten 503 Epheserbrief 787 Epikie 978 episcopale iudicium 701 Episkopat 792 monarchischer 767,770 f., 804,

808 Episkopè 798 Episkopen 744,760-763,766 f., 770 f., 773,787,793,798 f., 801-805,807 Episkopenamt 762 Episkopos 745,747 ff., 756 f., 764 f., 808 Erbfall 68 Erbsünde 940 Ersitzung 62 Erstkommunion 362 f. Erwachsenenbildung 581 Erzbistum Salzburg 147,152 f., 161,165 f., 475 Erziehung 573 ff., 578,582 christliche 575,581 religiöse 578 sittliche 578 Eschatologie neutestamentliche 741 Eucharistie 98,247,343,346 ff., 351,362 f., 366,368 f., 633, 733,791,793,826,831,842, 936,949 Sinnziel 344 Zulassung 343,344 Eucharistiefeier 797, 799, 803, 806,808,855 Eunomianer 484,827 Eutychianer 484

1100

Sachwortregister

Evangelisten 743 Evangelium 196,290,497,770, 778,786,924 Evangelisierung 1003 Ex corde Ecclesiae 290-294, 296 Exkommunikation 73 f., 198,368, 473,592,625,753,827 Exkommunikationsbuße 849,949 Exkommunizierte 348 Exomologese 324,837,844,848853,858,861 f., 865 f., 868, 875,942 f., 954 f. Exorzismus 471 Factum iuridicum 417,419,427 Fakultäten, kirchliche 307 ff. Fakultäten, theologische 290, 294 f., 301 f., 306 f., 310-316, 335,438,558 f., 579 Unterhaltspflicht 579 Familie 580 Familienplanung 383 Familienrecht 373 Italien 542 Faschismus 541 Fasten, eucharistisches 369 Fegefeuer 906 Feiertage, kirchliche Italien 542 Feuertod 493 Firmung 202,471 Forschungsfreiheit 209,292 Forum externum 66,439 Forum internum 66 Fragmentum Veronense 617 Französische Konkordat von 1801 Nominationsrecht 227 Französische Revolution 500 f., 959 Frau 204-206,528 Frauenpriesterweihe 364 Freiheit 481,507 ff., 1006,1025 f.

Freimaurer 976 Frühkirche 644,741 Gallikanismus 500 Gebet 856,858 Geburtenkontrolle 383 Gehorsam 73 Geisteskrankheit 374 Geistliche Begriff 599 Verschwiegenheitspflicht 592 Zeugnisverweigerungsrecht 591,594 f., 598,600 ff., 609 Geistmitteilung 766 Gemeinde 741,744,757,759, 767 f., 772 ff., 776 f., 780 f., 784 f., 789,791,793,795,799, 807,838,855,862 Verfassung 741,787 Verfassungsstruktur 760 Gemeindehirtenamt 768 Gemeindeleben 741 Gemeindeleiter Einsetzung 225 Gemeindeleitung 622,760,766 f., 771,782 ff., 786,805-807,809 Gemeindeordnung 766 Gemeindeverfassung 758,765, 770 f., 804 frühchristliche 790 judenchristliche 769 Gemeindevorsteher 642,760 Gemeinschaft gesetzesfähige 987 Gemeinwohl 194, 292,512,573, 588,757,988,993,999,1007, 1 0 2 0 , 1 0 2 2 , 1 0 2 6

der Kirche 511 Generalabsolution 837-843,855, 955 f. Generalbeichte 904 Generaldechant 248,251 f., 255

Sachwortregister

Generalvikar 108 Gerechtigkeit 63,65,70 f., 191, 202,266,403,427,798,889, 932,935,978,1020 f., 1023 Gerusia 751 f., 754,756 Geschlechteranthropologie 205 Gesellschaft Jesu 91,99 f., 261, 263,266-269,275,278-288, 319,962,974 Armutsrecht 265,270,276, 284 f. Eigenrecht 261,268 Gelübde 283 Generalkongregation 275 27. Generalkongregation 264, 267,271,277 f. 31. Generalkongregation 263 f., 267,270,273-276,281,283 32. Generalkongregation 265, 268,270 ff., 274 ff., 282 ff. 33. Generalkongregation 262, 266 f., 270, 273 f., 279 34. Generalkongregation 262, 267 f., 270-274,276 f., 279,

286 Generalobere 275 Generalvikar 275 f. Prokuratorenkongregation 273 Provinzkongregation 264,272, 274,283 Satzungen 270 f. Wahlrecht 274,283 Gesetz 992 ff., 999,1007,1021, 1023 österreichisches 1074 positives 95 Rezeption 988 Gesetze kirchliche 987,996 Gesetzgeber 42,229,233,243 f., 254 f., 258,293,295,313,354, 373,381 : 383,394,405,408, 73 FS Mühlsteiger

414 ff., 507,591 f , 594,596, 625,664 f., 699,704,978, 987 f., 991,1009,1012,1014, 1017 ff., 1022 f. Gesetzgebung 40,43,87,101, 136,144,187,197,360,398, 402,404,486,499,503,506, 518,524,528,531,533,589, 638,650,654,682,773,987 f., 991,993,995,1000 f., 10061010,1021,1070 österreichische 1068,1077 Gesundheit 845 Gewalt staatliche 574 Gewissen 67,485,497,856, 1026 f. Gewissensfreiheit 194,206,209, 482,487,496 f., 500 f., 553 Gewohnheit 642,646,987,991, 993,998,1006,1010,1013 f., 1016-1019,1022,1060 Gewohnheitsrecht 647,1013, 1015,1018 ff. Glaube 481,490,510,643,854, 907,1003 f., 1009,1025 Annahme 207 Einheit 209,1006 Identität 210 Glaubensabfall 491 Glaubensakt 481,1025 Glaubensbewahrung 209 Glaubensfreiheit 194,324,1009, 1025 f. Glaubensleben 481 Glaubensverkündigung 1004 Gläubige 204,219 Gleichheit 203 Grundstatus 221 Gleichheitsgrundsatz 401 Glossolalie 776 f., 780 Gnade 893,951,1025

1102

Sachwortregister

Gnosis 788 Gnostiker 859 Gnostizismus 770,807 Gott 510,512 Gottesdienst 482,489,744 Gottesherrschaft 741 Gottesreich 470,813 Gottesvolk 9 Grade, akademische 558 f. gravis necessitas 365,838 Gregoriana 960,963 Großerzbischof Wahl 234 f. Großkanzler 310,316,433,436, 438 f., 450 f. Grundamt kirchliches 766 Grundpflichten 202 Grundrecht 324,346,369,389, 400,402,407,410,482,1006, 1026 Privatsphäre 598 Grundrechte 191,194,197,200, 203,221,292,394,461,481, 827,1020,1026 f. religiöse 583 Gültigkeit 718 Haggada 746 Halaka 746,778 Handauflegung 764,766 f., 773, 775,829,852 Häresie 484,489,492,494 Häretiker 487,491 ff., 495,623, 732,767 Hartnäckigkeit 354 f. Heiden 695,743,791 Heidentum 625,660 Herz-Jesu-Verehrung 322,965968,981 f. Hierarchenrat 235 Hirt des Hermas 858

Hirtenamt Christi 768 Hochschulen kirchliche 436 Hochschulrecht 437 Hochschulstudiengesetz, Österreich 317 Hochschulwesen 289 Hoheitsgewalt, päpstliche 996 Hölle 862 Humanisten 494 f. Immortale Dei 506 Immunitätsprivileg 62 impedimentum catholicismi 518 impedimentum ligaminis 520 Impotenz 376,380,382,388 f., 392 Indifferentismus 499,504-508, 513 Inkulturation 302,324,987, 1001-1004,1006,1009 f. Inquisition 492,496 Inquisitionsprozess 494 Insemination, künstliche 387 Installation 1037,1043 f., 1053, 1055 f., 1064 Instanzenzug 103,112,115,121 Interdikt 368 Interdizierte 348 Investitur 1038,1040,1043,1049 Irrlehre 625 Irrtum 380,389,391 f., 484, 510 ff. Islam Italien 568 Israel 7 Italien 539 iudicium contentiosum 398 ius defensionis 393 ff., 404, 409 f., 412 f., 419,427 ius postulandi 403

Sachwortregister

ius reformandi 496,498 Jagd 63 Jahresbeichte 937 Jesuiten 91,261,268,277,279, 284,286,318,957,959 f. Jesus 9,742 f., 768,775 Josefsehe 385 Josephinismus 499,516 Juden 115,138,489,491,511, 528,623,626,754 Judenehe 525 Judentum 753,755,757,775,856 Jugendarbeit 580 Jurisdiktionsgewalt 430 Kanonistik 102,199,213 f., 331, 337,380,382,394,396,422 Katechese 431 Katharer 491 Kathedra 693 Katholikenehe 516,518 ff., 526 f., 529 f. Ι Katholizität 1021 Ketzertaufe 687,738 Kinder 362 Kindererziehung 42 Kindergärten 575 Kindergartengesetz bayerisches 576 Kirche 509,728,731,736 Aufgabe 1025 Bildungsauftrag 289 Demokratisierung 204 Einheit 1021 Erziehung 575 Gottes 744 katholische 539 Katholizität 694 Menschen rechte 192,196 Stellung zur Religionsfreiheit 513

Verfassung 794 Wesen 726 Zugehörigkeit 830 Kirche und Staat 327,490,498, 502,515,1031 Deutschland 573 f., 577,579, 580,582 f., 585 f., 588 ff. Ehehindernisse 1084 Italien 539,543 Österreich 1066,1073,1078, 1086 Privilegien 682 römisches Reich 682 Staatsleistungen 584 f. Trennung 542 f., 558 Kirchen, altkatholische 365 Kirchenasyl 133 Kirchenaustritt 47,50 Kirchenbann 471 Kirchenbegriff 696,735 Kirchenbild donatistisches 739 Kirchenbücher 247 Kirchendisziplin 243 Kircheneigentum 247 Kirchenfreiheit 482 Kirchengliedschaft 430,823,849 Kirchengut 1031 f., 1041,1046 Kirchenleitung 647,663,673 Kirchenordnung(en) 615,644,647, 666,685,811,988 Kirchenpatronat 1031,1033 Kirchenprovinz Salzburger 151 Kirchenrecht 35,95,101,303, 313,317-321,323 ff., 328, 330 f., 341,988 als praktische Wissenschaft 336 als systematische Wissenschaft 336 als theologische Disziplin 335

1104

Sachwortregister

als wissenschaftliche Disziplin 333 Daseinsgrund 332 Hauptaufgabe 332 im interdisziplinären Gespräch 337 Kirchenrechtsstudium 87 Kirchenrechtswissenschaft 87 Kirchenstaat 500,502,539 f., 959, 964 Kirchensteuer 574 Kirchenverfassung 224,792 Kirchenzucht 767 Klage 408 Klageschrift 399,407,411 Kleriker Amtsenthebung 625 Standespflichten 623 Klerus Disziplin 623 Immunitätsprivileg 698 Unterhalt 546 f., 551 Kolonialismus 1001 Kommissare 109 Kommunion 344 ff., 348-351, 354 f., 355,357,359-362,366370,839,842 Nichtzulassung 348 Recht auf Empfang 346 Kommunionspender 352,355, 366,369 Kommunionverweigerung 352 Konfessionsverschiedenheit 39, 40,42 Königsherrschaft Gottes 8 f. Konkordat Bayern 578,583 Italien 541 ff., 544 f., 550,553557,565 f., 569 Österreich 150,158,315,328, 330,516 Konsens 1000 Konsensmangel 392

Konsultorenkollegium Bischofsbestellung 230 Kontradiktionsprinzip 400,404, 414 ff., 419 Konvokationsrecht 685 f. Konzil 684 Konzil von Nicäa (787) 227 Konzil von Trient 60,103,297 Konziliarismus 226,996 Korporationstheorie 996 Krankenhaus 589 Kreuzzüge 491 Kultfreiheit 500 Kultur 237,289 f., 301,313,490, 553,579,583,584,1001, 1003 f., 1006,1008 religiöse 554 Kultusfreiheit 500

Laie 250,257,259,431 Laienbeichte 877,879 Lateran Verträge 540 f. Legaten päpstliche 685 Legislativgewalt päpstliche 998 Lehensvogtei 1031 Lehramt 765,770 Lehre 766,771 apostolische 766 Lehrer 744,774 f., 777,779 ff., 785 f., 788,790-793,802 Lehrfreiheit 201,292,976,1025 Lehrprüfungsverfahren 210,316, 455 f. Leitungsamt 644,759 Leitungsgewalt 430 Lektor 205 Lex Ecclesiae fundamentalis 197, 335 Liber Extra 64,66 Liber Sextus 62 ff.

Sachwortregister

Liberalismus 78,500,502,506, 518 Libellas praestantissimum 507 Liebesreue 888,890,892,899, 901 f., 908,914,916,927,935, 955 litis contestatio 405,411 Lösegewalt 932 Manichäer 484,712 mansuetudo 488,494 Märtyrer 814 Märtyrerkult 727 Martyrium 726 f. Mater et Magist ra 512 Matrimonia mixta 40 Mebaqqer 746 f. Meinungsfreiheit 194,501 Menschenrechte 191-198,202 f., 207,211,220,400 ff., 481 ff., 509,568 Menschenwürde 513 Methodisten 566 Metropolitanverfassung 624 Militärordinarius Italien 556 Militärseelsorge 582 Mi rari vos 500 f. Mischehe 36,38 f., 41 Misereor 585 Missio canonica 316,429,555 Entzug 434 Missionar 743,773 Mitbestimmung 1020,1022 kirchliche 215 Mitverantwortung 219,1023 Mitwirkungsrecht 215,393, 419 ff., 423 ff., 427 Mönchsinquisition 493 Montanisten 727 Moral 510

Nachkommenschaft 39,373 f., 376 ff., 380,383-388,390 ff. Naturalismus 499,503,505 Naturrecht 60,93,95,101,339, 400,407 f., 418,421 f., 425, 483,509,1021,1052 f. Ne temere 39 Neuplatonismus 625 Nichtvollzugsverfahren 424 Nihil Obstat 429-433,436, 438 ff., 442^45,449 f., 452456,458 f. Nimbus 470 Nominationsrecht 227 f. Nomocanon 638 Notzivilehe 516,518 f., 533 f. Novatianer 864 Novatianismus 865 Noviziat 99,278, 282, 472 Nüchternheit eucharistische 344,369 Nuntien 126 ff. Offenbarung 5 , 6 , 8 f., 11 f., 68, 71 f., 96,207,224,290,293, 303,307 f., 312,481,503,510, 1025 f. Ohrenbeichte 840,843,853 Ökumene 957,972 Opfer 856 Orden 306 Ordensrecht 178 Ordensregel von Qumran 746 f. Ordinatio Sacerdotalis 205 Ordination 744 Pastoralbriefe 766 relative 650 Ordinationsrecht 228 Ordinationstheologie 766 Ordo Paenitentiae 837 Osterfeststreit 644

1106

Sachwortregister

Österreich 87,227,233,238,247, 256,301,306,310,314-317, 326,329,515 ff., 523,529,560, 568,1031,1036,1039 f., 1044 Pacem in terris 512 Papst 449,684,717 Bischofsernennung 235 f. Gesetzgebungsrecht 997 Papstkrönung 472 Papsttum 996 Papstwahl 238 Papstweihe 472 pars conventa 419 Parusie 741,787 Parusieerwartung 769 Pastoralbriefe 762 f. Ordination 766 Pastoralrat 219,243 Pastoraltheologie 81,303,312, 317,322,336 f., 340 Patriarch Wahl 234 Patriarchalkirche 234 Patriarchenwahl 234 f. Patripassianer 829 Patronatsrecht 1053 Person juristische 180,299 physische 180 Personenstand 416,420 Petrusamt 224 Pfarrei 255,1060 Besetzung 247 Italien 546,549 Vakanz 258 Pfarrer 53,205,242,246 f., 250, 255,258,361 ff., 533,541,546, 1044,1059 Amtsbehinderung 258 Ernennung 258 Installation 1043

Italien 549 Pfarrhaus 247,255 Pfarrhaushälterin 255 Pfarrkirchenrat 258 Pfarrtempo ralien 1059 Pfarrurbare 1045 Pfarrvikar Ernennung 247 Pfarrvisitation 255 Pflichtbeichte 869 Pneuma 766 Politische Klausel 238 pontifex maximus 699 Pontifikalinsignien 473 potestas clavium 841 praesumptio iuris ac de iure 442 Präsentation 1038 Präsentationsrecht 1054 Presbyter 744, 754 f., 759 ff., 767, 787,795-799,802,805,988 Presbyteramt 762 Presbyterion 763,765,805 f. Presbyterium 242 Presbyteroi 744 f., 749 f., 753^756,758,761 ff. Presbyterordination 765 Pressefreiheit 500 f. Priester 5,9,846,893 Altes Testament 752 Begräbnis 253 Lebensunterhalt 539 Priesterausbildung 297,328 Priesterbesoldung 552 f. Priesterbild 5 f. Priesterbildung 297,313, 981 Priesterehen 634 Priesterkandidaten 302,304,306, 325 ff., 330 Priestermangel 366,838 Priestermetaphorik 5,9 ff. Priesterrat 242 Priesterschaft 10 f.

Sachwortregister

verheiratete 237 Priesterseminar 296 f., 300,302, 306 Priestertum 8 gemeinsames 5 , 6 , 7 , 8 , 1 0 , 1 2 Priesterweihe 476 Priesterwürde 5 , 9 Primatialgewalt 219 Privatbuße 878 Privatschule 578 kirchliche 563 Privatschulfreiheit 577 Privilegium Paulinum 519 processus contentiosus 394 f., 398,400,409,414 f., 417,427 Profess 99 Promulgation 992,998 Propheten 743,774 f., 777,781, 785,788,790 f., 793,801 Prophetentum 775 Prophetie 752,776 f., 781,788 f., 801 Protestantismus 495 f. Prozessrecht römisches 707 Pseudoisidor 656 publicatio actorum 412 Quanta cura 503 Quartodezimaner 644 Quinisextum 621,624,629,632, 641,651 ff., 662 Qumran 746 Qumranschriften 747 Rabbiner 115,122 Rationalismus 500,503 Recht auf Gehör 404,406 auf Geschlechtsgemeinschaft 386,388-391 auf Verteidigung 400

auf Widerspruch 404 kanonisches 325 objektives 95 orientalisches 233 römisches 705,832 Rechtfertigung 344,346, 487, 902,908,911,919,931,942 f., 945,951 f. Rechtgläubigkeit 493 Rechtsetzungsgewalt 62 Rechtsgeschichte 62,199,324, 466,703 Rechtshandlung 467 Rechtsmittel 406 Rechtspersönlichkeit 244 Rechtsprechungsgewalt 62 Rechtsregel 64 Rechtsschutz 201,211 f., 429, 442,449,459,461 Rechtssicherheit 214 Rechtsstaat 513 Rechtssymbole 464 ff., 471,473 f. Rechtssymbolik 463-467,469, 471 ff., 476 f. Altes Testament 468 Rechtsungleichheit geschlechtsspezifische 205 Rechtsvermutung 442 Redefreiheit 194 Reformation 496 f., 1036 Reformatoren 496 Reich Gottes 6,8,769,786,1005 Reichskirchensystem 225 Reichskonkordat 577 Rekonziliation 850,852,868,891, 947,948 ff., 953 Rekurs 443,447 f., 450 hierarchischer 446 relator pro auctore 456 Religion 482,486,512 Religionsfreiheit 206-209,324, 481-485,490, 495,497 ff., 502-

1108

Sachwortregister

506,508,512 f., 568,577,598, 694,1025-1028 Religionslehrer 328,434 f., 439, 577 Ausbildung 555 Religionsunterricht 254,256 f., 313,337,431,434 f., 552,554, 577,584 Italien 553 ff., 560 f., 569 ordentliches Lehrfach 577 f. Verfassungsgarantie 579 Reliquien 814 Renovabis 585 restitutio in integrum 406 Reue 64,346,355,363,368,844, 854 f., 860,863,872,878, 883 f., 886 f., 890 f., 893,895 f., 898 ff., 902,905-911,913-921, 923 f., 926 ff., 930 ff., 934 ff., 943,946 f., 951 ff., 955 vollkommene 855,887,929 Rezeption 192,195,324,615 f., 987 f., 991,995,999,1000 f., 1006 Richter 106 Rigorismus 687,727,864 Riten, orientalische 971 Ritterschlag 476 Rituskirche 298,304 Rota Romana Verteidigungsrecht 401 Rückbehaltungsrecht 67 Rückgabepflicht 63-67 Sacra potestas 430 f. Sakramentalien 476,687 Sakrament(e) 731,854 Fruchtbarkeit 46 Gültigkeit 46,736,687 Spender 737 Sakramentendisziplin 622 salus animarum 333,345,348, 351

sanctorum communio 811,813 f., 816,819 f., 823 f., 826 f., 832 Sanhédrin 756 Sapientia Christiana 302,307, 310 f., 315,325,328,330,335, 559 Schaden 65 f., 71 f. Schadenersatz 71,458 f. Schirmvogtei 1032 Schisma 484,489 photianisches 653 Schismatiker 491 Schlüsselgewalt 864,908,933, 935,944,951 Schriftgelehrte 752 f. Schuldner 66 f. Schule 289,576,976 bekenntnisfreie 577 katholische 576 staatliche 577 Schulvisitation 256 Schulwerk, katholisches 578 Schwangerschaftsabbruch Italien 542 Sedia gestatoria 474 Seelsorge Gefängnis 556 f. Krankenhaus 556 f. Polizei 556 f. Semika 766 Seminar 299 interdiözesanes 299 f. Seminarrektor 299 Sendung Christi 204,776 Sendungsauftrag kirchlicher 219 Septuaginta 745,747,751,755, 844,847 Siebten-Tag-Adventisten 567 Skandal 69 f.

Sachwortregister

Sklaven 489 Sklaverei 63 societas Christiana 513 Sonntag 793 Sonntagsliturgie 793 Soziallehre 513 Spiritualien 1037 f., 1040,1047, 1049 f., 1059 Visitation 1049 Staat 193,509 christlicher 513 Erziehungsauftrag 577 Erziehungstätigkeit 575 konfessioneller 507,512 religiöse Angelegenheiten 486 Staat und Kirche 694 Subventionierung 574 Trennung 506 Staatsgrundgesetz Österreich 515 Staatskirche 511 Staatskirchenrecht 320,481 Staatskirchentum 1032 Staatslehre 513 Staatsleistungen 586 Staatsmacht 513 Staatsreligion 482,505,713 Stabsymbol 468 Sterilität 380,388 Steuern 63 Strafbefehl 214 Strafe(n) 931 ewige 886,893-896,909, 912 f., 915 kanonische 211 Strafprozess 596 Häretiker 493 Strafrecht 846,949 kirchliches 212 f. Streitfestlegung 407,412 Streitgegenstand 399,407,417, 419

Streitverfahren 393,398-^00, 407,410-416,418,426 Studentenseelsorge 296,310 Studienrecht 329,331 Stundung 66 Subjektivismus 507 f., 513 Subsidiaritätsprinzip 457 Südtirol 539,555 Sühne 846,854 f., 857,875,881, 884,886 f., 890,896 f., 901, 910,913,918,920,923 f., 931, 934,943,945,956,966 Sukzession 798 apostolische 693,729,989 Sukzessionslehre 808 Sünde 63 f., 66,68 ff., 343,349357,362,367,468,510,764, 822,837 ff., 841,845 f., 849 f., 855,857,861,863 f., 866, 867 ff., 871 f., 876,878,882, 885 f., 891,893,901 f., 904908,910,913 f., 916-924, 928 f., 933 ff., 940,945,950, 953,955,966 Bekenntnispflicht 209,863, 868,884,887,905,915,923, 930,938,940 ff. contra Sextum 359,361 ekklesiologische Dimension 850,871,883 lässliche 873 manifeste 350 Nachlass 855 Offenkundigkeit 353 schwere 351,354,362,367, 839,881 soziale Komponente 838 Tilgung 945 Tod der Seele 908 Sündenbekenntnis 845,847 f., 852 f., 855 f., 858,861,863, 869,872

Ilio

Sachwortregister

Sündennachlass 871,883,886 ff., 890,892,895 f., 902,919,932, 935,941,950,955 Sündenstrafe(n) 888,891,906 f., 913,920,933,943 ewige 906,911 zeitliche 908 Sündenvergebung 845,848,860, 864,871,873 f., 878,880 f., 883,893 f., 907 f., 910,913 f., 919-922,930,932,934 f , 941, 943,945 Sünder 351,355,358,367,496, 838,840,845 f., 849,856,861, 863,865-868,870,872 f., 875, 879,881,883-887,891-898, 900,902,904,907 f., 910, 912 ff., 917,919 f., 922,927933,935,946 f., 949,953 f., 956 hartnäckiger 348 öffentlicher 351,687 Syllabus 504 Symbol 53,463 f., 466 f., 469 f., 472 f., 693,815 f., 818 Symbolik 464 ff., 469 f., 472,476 Symbolum Apostolisches 812 Synagoge 752,757 Synagogengottesdienst 856 Synagogenvorsteher 753 Synedrion 752 Synodalgewalt 685 kaiserliche 682 f. Synode 646,684 von Arles (314) 710 Syntagma canonum 638 Tametsi 36,38 Tarifbuße 869,874 f. Tatsachenirrtum 391 Tatsachenunkenntnis 391 Taufcharakter 950

Taufe 202,344,471,476,732, 736,806,812 f., 821,825, 828 f., 862,907,988 Taufsymbol 811,813 f., 823,828, 831 mozarabisches 813 Taufsymbole Gallien 819 Tauftheologie donatistische 738 Täuschung arglistige 380,389 f., 392 Teilkirche 147,149 Tempel 752 f. Tempelkult 753 Temporalien 1031-1041,10431047,1051,1053,1055-1059, 1061 f., 1064 Investitur 1049 f., 1055 Visitation 1047,1049 Temporalität 1044 ff., 1055 Tempo ralitätsübergabe 1051, 1056,1061 ff. Testament 258 theologia positiva 963 Theologie 78,80,82,92,194, 229,283,290,293 ff., 303,306, 309,311 f., 314,317 f., 320, 333 f., 336,341,879,925,944, 963 Afrikanisierung 1001 Theologiestudium 325 Thronsymbolik 470 Tiara 474,477 Todesgefahr 362,366 ff., 370 Todesstrafe 492 Todesurteil 494 Todsünde 840,849 Toleranz 495,497 ff., 505,510 f., 513,1026 bürgerliche 499,504,508-513 dogmatische 499,504

Sachwortregister

Toleranzedikt Kaiser Galerius 696 Toleranzidee 499 Tora 756,778 Traditio Apostolica 225,615 Tradition 716 Traditionsprinzip 989 Trauung 36 evangelische 42,51,53 kirchliche 49 f., 54 ökumenische 51 staatliche 534 standesamtliche 43 f., 50 zivile 49 Treueid 238 Trinität 737 Unfehlbarkeit 500 Universalkirche 739 universitas personarum 180,183 Universität 78,81 f., 90,289,291, 300,307,309,311 f., 318,320, 333,579,930 Universitäten, Katholische 289, 290-294 akademische Lehrer 293 Autonomie 292 Errichtung 291 Statuten 293 Universitäten, kirchliche 290,307, 309 f., 313 Universitäten, staatliche 290, 314 f., 317,558 f. Universitätsseelsorge 296 Universitätsstudiengesetz, Österreich 317 Unschuldsvermutung 212 UOG93 330 Urchristentum 743,746 Urgemeinde 742,758,760 Organisation 744 Urkirche 11,741,816

Urteil Gültigkeit 412 unheilbare Nichtigkeit 413 Urteilsnichtigkeit 395 unheilbare 410 Utrechter Union 364 Vätertheologie 966 Vatikan 540 Vatikanstaat 540 f. Venediger Protokolle 523 Verein 175 f. Austritt 177 confoederatio 181 confoederationes privatae 181, 183 confoederationes publicae 185 fusio 178 Gesamtverein 177 Gründungsfreiheit 179 Kontrollrechte 187,189 Leitung 179 Mitgliedschaft 177 öffentlicher 183 f. privater 179,183 f. Rechtspersönlichkeit 184 Satzung 187 Statut 179 unio exstinctiva 178 Vereinsaufsicht 175 Vereinsautonomie 175,179,188, 189 Aufnahmefreiheit 179 Beitrittsfreiheit 179 Vereinsverband 175 ff., 179-186, 188 f. Vereinsrecht 186 Vereinsvermögen 188 Vereinszwecke 179,184 f., 188 f. Verfassung kirchliche 766,805,995 Verfassungsgerichtshof

1112

Sachwortregister

Italien 542 Österreich 521 f., 535 Verfassungsrecht 789 Frühkirche 741 Verfassungsstaat, moderner 513 Vergebung 362 f., 815,837,841, 847,849,854,863,871,873, 875-878,881 f., 885,894,899, 905,907,914,919-922,930, 934,945 ff., 950 f., 953 f. Gottes 838 Verkündigung 1006 Verkündigungsdienst 289 Verleihung 62 Vermögensverwaltung, pfarrliche 257 Vernunftgebrauch 361 f. Versammlungsfreiheit 200 f. Verschwiegenheitspflicht 597 kirchliche 592 Versöhnung gemeinschaftliche 838 individuelle 838 Verteidigungsrecht 393-396,398, 400 f., 404-414,418 f., 421 f., 424,426 f. Verweigerung 409 Verwaltungsgerichtsbarkeit 211 Verwaltungsgerichtsverfahren 211 Vestalinnen 467 vicariatus foraneus 244 Visitation 1038 Vogtei 1034,1041,1059 Vogteirecht(e) 1032 f., 1042 Volk Gottes 10,987,991,1000, 1009 f., 1020,1023 Vollmacht geistliche 430 kirchliche 218 Vorsteheramt 787 Votivbild 477

Wahl 793 f., 796,990,1000, 1046,1048,1059 Bischof 690 Wahlrecht 237,990 Wahrheit 511 Waldenser 566 Wandermissionar 791 Wanderprediger 770,777,791 f. Weihe 471 Weihegewalt 430 Weihehandlung sakramentale Wirkung 692 Weihehindemisse 622 Weihen anglikanische 365 Weltklerus 296 Widerklage 408 Widerspruchsrecht 405 f. Wiedergutmachung 65 Wiedertaufe 709,736 Wiederverheiratung 356 Wiener Konkordat 226 Wormser Konkordat 226 Wort 731 Wucher 66 f. Würde der Christen 5 des Menschen 508 f., 513 priesterliche 7 Zeqenim 751 ZeugenJehovas 567,599 Zeugenbeweis 591 Zeugnispflicht 592 Zeugnisverweigerungsrecht 592 f., 608 f. Normzweck 595 strafprozessuales 591,593 f. Umfang 596 Zivilehe 43,516,518,1073 obligatorische 523,526 f., 530, 533

Sachwortregister

Zivilrecht 325,339 Ziviltoleranz 495 Zurückbehaltungsrecht 67

Zweitehe 519,534 Zwölf 742 f.

Verzeichnis der Mitarbeiter

Breitsching, Konrad, Dr. theol., Univ.-Ass., Abteilung für Kirchenrecht, Institut für Praktische Theologie, Theologische Fakultät der Universität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck. Brieskorn, Norbert, Dr. phil. iur. et soc., Prof., Collegium Maximum-Facultas Philosophica, Berchmanskolleg; Kaulbachstraße 31a, D-80539 München. Carlen, Louis, Dr. iur. utr., em. o. Universitätsprofessor der Rechte an der Universität Freiburg / Schweiz; Sonnenstraße 4, Ch-3900 Brig. Fleckly Andreas, Dr. theol., Mag. iur., Richter am Landesgericht Innsbruck; Maximilianstraße 4, A-6020 Innsbruck. Haeringy Stephan Bernhard, OSB, Dr. theol., Dr. iur. can. habil., Μ . Α., ο. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg; Ottostraße 16, D-97070 Würzburg. Hasitschka, Martin, Dr. theol., o. Universitätsprofessor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft, Institut für Bibelwissenschaften und Fundamentaltheologie, Theologische Fakultät der Universität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck. Haunschmidt, Albert, Dr. theol., Pfarrprovisor; Freinberg 17, A-4785 Haibach bei Schärding. Hell, Silvia, Dr. theol., a. o. Universitätsprofessor für Dogmatische und Ökumenische Theologie, Institut für Historische Theologie, Theologische Fakultät der Universität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck. Helm y Hagen P. Philipp, Mag. theol., OCist, Pfarrprovisor; Gratwein, A-8103 Kirchengasse 1. Hirnsperger y Johann, Dr. theol., o. Universitätsprofessor, Institut für Kanonisches Recht, Theologische Fakultät der Universität Graz; Attemsgasse 8/II, A-8010 Graz. Kremsmair, Josef, Dr. theol., ao. Universitätsprofessor, Institut für kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien; Schottenring 21, A-1010 Wien; priv.: Samstraße 38, A-5023 Salzburg. Lauy Ludwig, Dr. theol.; Halbinselstraße 85, D-88142 Wasserburg. Löffler y Winfried, Dr. iur., Dr. phil. fac. theol., Mag. theol., Assistenzprofessor, Institut für Christliche Philosophie, Theologische Fakultät der Universität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck.

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Verzeichnis der Mitarbeiter

Marucci, Corrado , Dr., o. Universitätsprofessor, Pontificio Istituto Biblico; Via della Pilotta 25,1-00187 Roma; priv.: Via Petrarca 115,1-80122 Napoli. May , Georg, Dr. theol., Lie. iur. can., em. ο. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Universität Mainz; Fränzenbergstraße 14, D-55257 Budenheim. Michaeler, Josef, Dr. iur can., Professor, Generalvikar a. D., Kanonikus; Hofburgplatz 1,1-39042 Brixen. Paarhammer, Hans, Dr. theol., o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Salzburg, Generalvikar a. D. der Erzdiözese Salzburg, Domkapitular, Prälat; Kaigasse 17, A-5020 Salzburg. Pree, Helmuth, Dr. iur., Dr. iur. can., Mag. theol., o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Universität Passau; Michaeligasse 13, D-94032 Passau. Primetshofer, Bruno, CSsR., Dr. iur. can., em. ο. Universitätsprofessor für Kirchen recht, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Wien; Schottenring 21, A-1010 Wien: priv.: Salvatorgasse 12, A-1010 Wien. Rees, Wilhelm, Dr. theol., o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Institut für Praktische Theologie, Theologische Fakultät der Universität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck. Rhode, Ulrich, SJ, Dr. iur. can., PTH Sankt Georgen; Offenbacher Landstraße 224, D-60599 Frankfurt am Main. Ruedl, Hanspeter, Mag. theol.; Gramartstraße 2, A-6020 Innsbruck. Schwendenwein, Hugo, Dr. iur. can., Dr. iur., em. o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Institut für Kanonisches Recht an der Theologischen Fakultät der Universität Graz; Attemsgasse S/II, A-8010 Graz. Strodely Gebhard, Dr. iur., Dr. theol., Lie. iur. can., Rechtsanwalt; Fröbelplatz 15, D-80686 München. Zotz, Bertram, Dr. theol., Lie. iur can., Leiter der Gerichtskanzlei und Diözesanrichter des Bischöflichen Diözesangerichts Innsbruck; Wilhelm-GreilStraße 7,6020 Innsbruck.