Theologische Realenzyklopädie: Band 33 Technik - Transzendenz [Reprint 2020 ed.] 9783110890945, 9783110171327

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Theologische Realenzyklopädie: Band 33 Technik - Transzendenz [Reprint 2020 ed.]
 9783110890945, 9783110171327

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Theologische Realenzyklopädie Band X X X I I I

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Theologische Realenzyidopädie In Gemeinschaft mit Horst Balz • James K. Cameron Stuart G. Hall • Brian L. Hebblethwaite Karl Hoheisel • Wolfgang Janke Kurt Nowak t • Knut Schäferdiek Henning Schröerf • Gottfried Seebaß Hermann Spieckermann • Günter Stemberger Konrad Stock herausgegeben von Gerhard Müller

Band XXXIII Technik - Transzendenz

Walter de Gruyter • Berlin • New York 2002

Redaktion: Dr. Albrecht Lieferung

1/2

Döhnert

Technik - Theologie, Christliche

August 2001

Lieferung 3 / 4

Theologie, Christliche - Todesstrafe

Lieferung 5

Todesstrafe - Transzendenz

März

November

2001

2002

© G e d r u c k t auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über H a l t b a r k e i t erfüllt.

Die Deutsche

Bibliothek

-

ClP-Einheitsaufnahme

Theologische Realenzyklopädie / in G e m e i n s c h a f t mit H o r s t Balz . . . hrsg. von G e r h a r d M ü l l e r . - Berlin ; N e w York : de Gruyter. ISBN 3-11-002218-4 Bd. 3 3 . T e c h n i k - Transzendenz. - 2 0 0 2 ISBN 3-11-017132-5

©

C o p y r i g h t 2 0 0 2 by Walter de G r u y t e r G m b H & C o . K G , D - 1 0 7 8 5 Berlin.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und s t r a f b a r . D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y Satz und D r u c k : T u t t e Druckerei G m b H , Salzweg-Passau Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & B a u e r , Berlin

Vorwort Wieder muß ich eine schmerzliche Pflicht erfüllen und von Lücken berichten, die der Tod in unseren Herausgeberkreis gerissen hat. Professor Dr. Dr. Kurt Nowak ist am 31. Dezember 2001 im Alter von 59 Jahren aus dieser Zeitlichkeit abberufen worden. Er hatte sich der Bitte um Mitarbeit an der Theologischen Realenzyklopädie nicht verschlossen, als Joachim Mehlhausen im September 1998 schwer erkrankte und erkennbar wurde, daß er seine Arbeit nicht wieder würde aufnehmen können. Ohne zu zögern, sprang Kurt Nowak ein. Es war ihm — so sagte er - wichtig, daß diese Arbeit ohne Unterbrechung weiterging. Auch fühlte er sich dem Hause Walter de Gruyter so eng verbunden, daß er zu seinen schon überreichen Pflichten zusätzlich diese neue Aufgabe übernahm. Es war ein großes Fachgebiet, das er zu betreuen und zu gestalten hatte, die neuere Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts - jene Zeit, der er sich selbst auch in seinen Forschungen intensiv gewidmet hatte. Er hat sich sofort präzis und zuverlässig eingebracht und im Herausgeberkreis rasch große Anerkennung und Zustimmung gefunden. Als Kurt Nowak vor zwei Jahren schwer erkrankte, hat er trotzdem weitergearbeitet und die Hoffnung nicht aufgegeben, wieder zu genesen. Er hat alle seine Pflichten so erfüllt, als sei er im Vollbesitz seiner Kräfte. Herausgeber und Verlag haben gemeinsam gehofft, die T R E bis zum letzten Stichwort zusammen mit ihm voranbringen und abschließen zu können. Diese Zuversicht wurde enttäuscht. Die Krankheit war stärker als der Überlebenswille. Uns bleibt nur, ihn der Gnade Gottes anzubefehlen, der ihn heimgerufen hat. Auch in den noch ausstehenden Bänden werden wir von Kurt Nowaks Engagement zehren, hat er doch die Autoren für die noch ausstehenden Artikel seines Fachgebietes bereits gefunden und schon eingegangene Texte bearbeitet. Wir werden versuchen, die Arbeit in seinem Sinne und in der von ihm vertretenen Wissenschaftlichkeit fortzuführen. Unmittelbar vor Drucklegung dieses Bandes erschüttert uns die Nachricht vom Tod Professor Dr. Henning Schröers am 7. Februar 2002. Am 2. Mai 2001 hatte er seinen 70. Geburtstag gefeiert. Bald danach brach eine schwere Erkrankung aus. Sein Tod kam gleichwohl überraschend für uns. Verlag und Herausgeber verlieren mit ihm eine wichtige Stütze. Henning Schröer gehörte zu den wenigen Herausgebern, die von Anfang an dabei waren. Er betreute die Praktische Theologie souverän und ließ die verschiedensten Positionen zu Wort kommen. Auch zum Gesamtwerk trug er entscheidend bei. Vielfältige Anregungen verdanken wir ihm - weit über sein Fachgebiet hinaus. Mit seinen eigenen Artikeln setzte er wichtige Akzente. Zü seinen Ausführungen über das Stichwort „Praktische Theologie" meinte Erich Gräßer, sie „zeitigen im Ergebnis beinahe so etwas wie eine praktisch-theologische Enzyklopädie en miniature". Kurt Nowak und Henning Schröer tauschten sich über ihre Krankheiten aus. Beide haben bis wenige Tage vor ihrem Tod für die Theologische Realenzyklopädie gearbeitet und sind im Abstand von nur wenigen Wochen verstorben. Das Andenken an Kurt Nowak und Henning Schröer steht bei uns in hoher Achtung. Verlag und Herausgeber sind Herrn Professor Dr. Volker Leppin sehr dankbar, daß er in unseren Kreis eingetreten ist und die kirchengeschichtliche Arbeit zum 19. und 20. Jahrhundert betreuen wird. Auch das Fachgebiet Praktische Theologie werden wir im Sinne des Heimgerufenen weiterzuführen versuchen. Erlangen, 14. Februar 2002

Gerhard Müller

Technik I Technik I. Philosophisch II. Ethisch und praktisch-theologisch

S. 9

I. Philosophisch 1. Wesensphilosophische Technik-Deutungen 2. Aufbaumomente der Neuen Technologie im systemtechnologischen Zeitalter 3. Ausblick auf Problemfelder einer pragmatischen Philosophie der Technik (Literatur S. 9)

Überblickt man die klassischen Deutungen der Technik und Technologie, z. B. als Ausdehnung menschlicher Organe (Kapp), als „Verwirklichung und Materialisierung von Ideen" (Dessauer) und als produktive Selbstverwirklichung des arbeitenden und in die Natur eingreifenden Menschen (—»Marx), so gewinnt man bereits ein ganzes Bündel von Aspekten, die sich auf Technik, Realtechnik, Materialtechniken und Verfahrenstechniken beziehen, die herkömmlicherweise studiert worden sind. Selbst wenn man unzulässigerweise nur die Realtechnik in engerem Sinne zugrunde legt und etwa die soziale, politische, wirtschaftliche und ökologische Einbettung vorerst außer acht läßt, wird sich dieses Bündel nicht auf nur einen fundamentalen Zug der Technik beschränken lassen, wie ein kleiner Überblick bereits ergibt. 1. Wesensphilosophische

Technik-Deutungen

Technik wurde und wird aufgefaßt: 1) als angewandte Naturwissenschaft (so von Franz Reuleaux [1829-1905], vgl. Brinkmann 74ff., und - mit unbemerkten Einschränkungen - von Bunge [329ff.]); 2) als Mittelsystem, das (a) zweckneutral ist und als anstrengungssparende Zwischenschaltung oder als Produktionsumweg für beliebig verschiedene Ziele eingesetzt werden kann (Spencer 329-369.371 f f . ; Simmel 547; Spranger 362ff.; Jaspers 199; Tondl; Sachsse 74); (b) als Mittelsystem, das per definitionem der wirtschaftlichen Bedarfsdeckung und Notabwendung dient als „Ordnung im Vollzuge dieses Handelns" (so Gottl-Ottlilienfeld 20; in gewissem Sinne auch Spranger 20); (c) als Mittelsystem, das allgemein der Entlastung und Daseinsgestaltung dient (Gehlen, Seele 18f.; Jaspers 199); (d) als Mittelsystem, welches das „abgeklärte Ganze der Verfahren und Hilfsmittel des naturbeherrschenden Handelns" darstellt (Gottl-Ottlilienfeld 9); 3) als Ausdruck menschlichen Ausbeutungs- und Machtstrebens und des Lenkungswillens aus dem Leistungswi&sen (Spengler 64;, —•Scbeler 143; Ellul; Buchanan 535ff.); 4) seinsgeschichtlich als Gestell: nicht als Tun des Menschen, der (tödlich bedrohende) Apparate und Instrumente zum Werke optimaler Förderung, Steuerung und Sicherung des Energiebestandes der Natur handhabt, sondern als jene Gefahr, welche den Menschen selbst nur noch als „Bestand" braucht und ihn herausfordert, alles SichEntbergende nur noch als Energiebestand zu bestellen - solange es nicht gelingt, denkend in ein freies Verhältnis zu Wahrheit und Geschick der Technik zu kommen (-»Heidegger 5ff.37ff.); 5) in christlich-platonischer Deutung als Realwerden aus Ideen, die aus dem vierten Reich prästabilierter Lösungsgestalten vom Erfinder ausfindig gemacht und in einem Akte der Nachschöpfung oder Weiterschöpfung göttlichen Urschaffens realisiert werden (Dessauer 73ff.79ff.115.128); 6) als realisierte oder angestrebte säkularisierte Selbsterlösung des Menschen durch sein eigenes Handeln, „durch werktätiges Gestalten der Wirklichkeit" (Brinkmann 105 ff.); 7) als Erzeugung des Objektiv-Überflüssigen, das gleichwohl den Menschen erst zum Kulturwesen macht, für ihn also im erweiterten Sinne „notwendig" ist (so Ortega y Gasset [26ff.32.40f.59], der in seiner aktivistischen Lebensphilosophie den Menschen geradezu als das technische Wesen versteht);

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8) als „Emanzipation von den Schranken der organischen Natur" (Freyer 199), „Entwurf einer künstlichen Umwelt als ganzer", als fortschreitender Ersatz der natürlichen Umwelt durch eine „selbst geschaffene Kulturwelt" (Schilling 205ff.); 9) als Objektivation menschlicher Arbeit und Leistung und so als Vehikel der indirekten Selbstdeutung des handelnden Wesens, die auf Auslegung, Projektion wie Resonanz in „ein Nicht-Ich" angewiesen ist (Gehlen, Seele 16.18 f.). Man kann wohl als These behaupten: Die wesensphilosophischen und monolithischen Globaldeutungen der philosophischen Ansätze zur Technik, die Technik auf einen kennzeichnenden Zug, ein Wesensmerkmal der Technik zu reduzieren suchen, werden der Vielschichtigkeit nicht gerecht. Eine Ein-Faktor-Theorie der Technik ist nicht mehr zu vertreten. Globalaussagen zu der Technik, über die Technologien sind allzu vergröbernd und verzerrend, zu sehr, als daß sie als repräsentative Ansätze für eine allgemeine Technikphilosophie oder Theorie der Technologien (zumal im umfassenderen Sinne) angesehen werden können. Technik ist überdies als „intersektorales Phänomen" zu verstehen und bildet somit entgegen manchen Deutungen kein „eigenes Subsystem" (Ropohl, Ethik 245). Die in der Tradition herangezogenen Wesensmerkmale können nur alle zusammen grob das vielschichtige und über unterschiedliche Bereiche hinweggreifende Phänomen der modernen technologischen und sozio-technologischen Entwicklungen charakterisieren. Nur eine pluralistische Beschreibung und Theorie der Technologien kann alle diese allgemeinen fundamentalen Züge berücksichtigen und integrieren. Das bedeutet, daß die Philosophie der Technologie eine pluralistische Disziplin sein muß bzw. eine interdisziplinäre oder transdisziplinäre Perspektive einzunehmen hat. Jede monofaktorielle Techniktheorie ist zu global und zugleich eine verzerrte Interpretation, um alle unterschiedlichen Phänomene und Gesichtspunkte erfassen zu können. Das gilt um so mehr, als in unserer informations- und systemtechnologischen Epoche technikgestützte Wirkungen viel stärker - z. B. als Informatisierung — in Einzelbereiche und -phänomene eindringen und zugleich weltweit in Informations- und Kommunikationsnetzwerken Wirkung zeigen, indem auch eine Quasi-Verwissenschaftlichung oder wissenschaftlichoperationale Organisation oder das Management von recht abstrakten Prozeduren und Verallgemeinerungen formal-funktionaler Provenienz gekennzeichnet sind. Charakteristisch scheint zu sein, daß interdisziplinäre theoretische Beschreibungen technischer Objekte, Verfahren, Prozeduren und Systeme einschließlich soziotechnischer Strukturen und technologischer Handlungssysteme wie auch der entsprechenden kulturellen, politischen und Umweltbedingungen - ganz zu schweigen von den ökonomischen Wirkungen - von einer pragmatischen und wirklichkeitsorientierten Philosophie der Technik und der Technologie berücksichtigt werden müssen. Deshalb muß eine pragmatische Philosophie der Technik die charakteristischen praktischen Trends innerhalb der unterschiedlichen Felder technischer und soziotechnischer Entwicklung behandeln, wobei in einer Art Gesamtsicht die systemhaften Zusammenhänge und die historische Entwicklung sowie kulturelle Traditionen und neue umwälzende Ausblicke durch technische und technologische Durchbrüche (wie die digitale Revolution oder Systemtechniken und Biotechnologien) gegenwärtig einzubeziehen sind. 2. Aufbaumomente

der Neuen Technologie

im systemtechnologischen

Zeitalter

Im folgenden soll eine kurze Charakterisierung neuer Züge dieser Technologien, zumal der verwissenschaftlichten Informations- und Systemtechnologien, generell: der sog. Neuen Technologien, gegeben werden, die sich erst in den letzten Jahrzehnten deutlich herausprofiliert haben und gegenüber den traditionellen Merkmalen der Technik, wie sie von früheren Technikphilosophen diskutiert worden sind, hervorstechen. Hierzu sollen 30 kennzeichnende Merkmale angeführt werden, die über die herkömmlichen wesensphilosophischen Merkmale und Züge der klassischen Technologien hinausgreifen. Zweifellos werden die klassischen Merkmale weiterhin relevant sein und ihren Einfluß

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teilweise behalten bzw. durch Einbettung in neuere, verallgemeinerte, funktionalisierte, formalisierte und systemhafte oder prozeßorientierte Gesamttrends steigern können: Die zu nennenden spezifischen Charakteristika der neuen Technologien und deren stark anwachsender gesellschaftlicher, ökonomischer, intellektueller, materieller, systemprägender und ökologischer Einfluß verstärken zum Teil auch die klassischen Züge herkömmlicher Technik. 1) Die Orientierung an Verfahren, Prozeduren und umfassenden Prozessen in Technologien: Technik umfaßt nicht nur Maschinen, Instrumente oder andere technische Produkte, sondern es gibt einen wachsenden und sich beschleunigenden Einfluß von technologischen (also wissenschaftlich systematisierten) Prozessen, Operationen, Prozeduren und der praktischen Orientierung d a r a n . Prozeßsteuerung und -management, dynamische Zustandszusammenhänge und Entwicklungen waren schon 1970 (Lenk, Philosophie) als kennzeichnende neue Charakteristika der technologischen und industriellen Produktion und Entwicklung herausgestellt worden, indem gegenüber der traditionellen Technik der Energiewandlungsmaschinen nunmehr Systeme, Informationsübertragung und Systemsteuerung sowie abstraktere Modelle der Prozeßsteuerung und der funktionalen Systemgestaltung und Ablaufkontrolle vorrangige Bedeutung gewinnen. „In der modernen Technologie ist das Reale nunmehr das Prozedurale" und das Systemhafte. M a n kann von einer umfassenden „Technologisierung der Technik" (Häußling) oder „Prozeduralisierung" und Systematisierung sowie abstrakteren Funktionalisierung der modernen Technologien als eines charakteristischen Kennzeichens sprechen. Technologien ersetzen Technik, Techniken werden in Technologien eingebettet (Lenk, Philosophie). 2) Systemhafte Methoden und Methodologien: Nicht nur Methoden sind wesentlich, sondern zunehmend auch Methodologien. Dieser Trend findet sich in allen wissenschaftsbasierten technologischen Entwicklungen wie auch in Verwaltungen, Trends zur umfassenden Operationalisierung von Bereichen, die tendenziell von Prozeßsteuerungen, Systemanalysen, Systemtechnik und Operations Research sowie umfassender Systemerfassung durch Computermodelle getragen werden. 3) Informatisierung, Abstraktion, Formalisierung und Konzentration auf operationale Essentials: Durch die Computerisierung und Informatisierung wie auch durch die Benutzung formaler und funktionaler Operationstechniken (Operations Research, Flußdiagramme, Netzwerkansätze, Systemanalysen, lineare Programmierung usw.) dominieren die formalen Charakteristika der zunehmend umfassenderen Prozeßorientierung der Systemorganisation wie auch der Fassung der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Bereichen und Unterbereichen, und zwar in integrierter Form. Informationstechnologien treiben die Entwicklung voran. 4) Umfassende Systemsteuerung und -technologie: Charakteristisch ist weiterhin, d a ß unterschiedliche technologische Entwicklungen einschließlich ökonomischer und industrieller Initiativen zu einem sich selbst steigernden interaktiven Akzelerationseffekt im Sinne eines positiven Feedback führen. Systemhafte Wechselwirkung und Verallgemeinerung führen zu einer Art von systematischer Akzeleration über unterschiedliche Bereiche hinaus: Ein interaktiver Wechselwirkungs-Spill-over-Effekt entsteht, der z. B. zum exponentiellen Wachstum verschiedener technologischer Bereiche und des technologischen Fortschritts generell führt. 5) Technologische Bedürfnisse und Bedarfe sowie Problemerzeugung durch vorweggenommene potentielle Lösungen im Sinne einer möglichst weitgehenden Options- und Möglichkeitenausschöpfung (Klages): Selbst in technologischen Forschungs- und Entwicklungsprojekten wurde der Systemcharakter seit mehr als drei Jahrzehnten evident. Systematisch können Potentiale gesichtet, gesiebt und erschöpft werden; Möglichkeiten und Optionen können durch systematische Ausschöpfung z. B. durch die morphologische M a t r i x nach Fritz Zwicky ( 1 8 9 8 - 1 9 7 4 ) provoziert werden (vgl. auch Gehlen, Untersuchungen 169). Häufig wird erst nach der Entdeckung von bestimmten Produkten,

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Prozessen und Verfahren eine systematische Suche nach möglichen Anwendungen in Gang gesetzt. Ein neuer Bedarf oder ein neues Bedürfnis kann durch technische Erfindungen und Entwicklungen erst erzeugt werden, wie es bereits M a r x in seiner Technikphilosophie vorausgesehen hatte. 6) Interdisziplinäre Interaktion und Anregung („Interstimulation"): In der Tat führte interdisziplinäres Arbeiten zu Spill-over-Effekten zwischen den Wissenschaften und von dort auch auf technologische Entwicklungen und Innovationen (wie dann auch spätere Implementationen), die für die Gesellschaft als ganze relevant wurden. Die interdisziplinäre Einbettung und Wechselwirkung zwischen den entsprechenden Bereichen ist immer deutlicher geworden: Die Hauptzonen schneller Entwicklung sind gerade an den Grenzgebieten zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen zu finden. Zumal Systemtechnologien erfordern notwendig interdisziplinäre Ansätze in der Praxis. 7) Künstliche Umwelten und Artefakte-Welten: Technikbasierte und technikproduzierte Beziehungen, Eigenschaften und technische bzw. technikerzeugte Gegenstände und Techno-Teilwelten prägen unsere Welt mittlerweile in einem solchen Maße, daß wir geradezu von einer „künstlichen Welt" sprechen können, in der wir leben. Selbst die Zweite Natur, das symbolische Universum, das von Gehlen (Seele) u.a. in ihren philosophischen Ansätzen behandelt worden ist, wird immer mehr eine technologische zweite Welt, die alles überformt und zunehmend prägt, wenn nicht gar dominiert. 8) Technisierung des Virtuellen und Fiktionalen: Zunehmend entwickelt sich immer mehr eine Art von Virtualisierung dieser künstlichen und symbolischen Welten durch die modernen multimedialen Informations- und Kommunikationstechnologien, die auch in großem M a ß e bildgebende und -übertragende Techniken umfassen. Man denke nur daran, wie stark Fernsehen und Film unser kulturelles und soziales Leben mitprägen. 9) Systematische und akkumulierende Kombination von Techno-Medien (Multimedia): In der Tat sind alle diese erwähnten Prozesse und Entwicklungen der Technisierung der symbolischen und virtuellen Repräsentationen, zumal der bildlichen und szenischen Darstellungen, geeignet, zu einer Art von Mitwirkung und Koevolution durch die stets wachsende Verbreitung und den übergreifenden Einfluß unterschiedlicher Informationstechnologien und -medien zu führen, wobei mittlerweile weltweite Informations- und Kommunikationsnetzwerke (Internet) eine eigene Infrastruktur bilden. Wir leben zunehmend in einer vielfach vermittelten, techniküberzeugten und technikgestützten Welt, die von Informations- und Medientechnologien, von Multimedien geprägt ist: Wir leben in einer Multimedia-Techno-Welt. 10) Vielfache Manipulierbarkeit und Flexibilität durch Software-Simulationen: Die Computerisierung und Darstellung in programmierter Form erlaubt eine recht kostensparende und risikolose Simulation von technischen Konstruktionen und Enwicklungen im voraus, ja, selbst das Durchtesten am Computermodell. Dieses Kennzeichen ist recht generell und kennzeichnend für die Anpassung von Modellierungen in der Wissenschaft und bei Planungen und Organisationen: Systemorganisationen und Systemmanagement werden durch die Computertechniken viel flexibler und variabler als bislang. 11) Modellsimulation und Flexibilität, Adaptierbarkeit, Risikolosigkeit: Computermodelle und Simulationsprogramme sowie andere erfolgreiche Versuche, die relevanten Modelle zu entwerfen, zu verbessern, ja, zu optimieren durch computergestütztes Strukturieren, z. B. visuelle computergraphische Konstruktionen, ergeben effiziente, kostensparende und schnelle Lösungen für viele Entwurfs- und Konstruktionsaufgaben aller Arten (einschließlich wissenschaftlicher Modelle, z. B. Moleküldesign, und technischer Konstruktionen sowie Entwicklungen von neuen Maschinen, Prozeduren und Systemen im engeren Sinne). Diese Verfahren lassen sich übrigens weit über die analytische Lösbarkeit mathematischer Gleichungssysteme (z. B. Differentialsysteme) hinaus anwenden. Der Computer erweist sich als ein universelles, leicht anwendbares und repräsentatives Alleskönner-Instrument, das extreme Variabilität, Flexibilität und Darstellung sowie Visibilität, Energiesparsamkeit und die Vermeidung von Umwegen erlaubt, ohne realen

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physischen Widerstand zu ergeben oder Hindernisse aufzubauen, weil die entsprechenden Modellsimulationen im vorhinein und ohne reale Risiken entwickelt und verbessert werden können. 12) Modularität, Flexibilität und Vielfachanwendbarkeit: Allgemein sind systemhafte und prozedurale modellbezogene Technologien durch funktionale Bausteine, Module (z. B. funktionalintegrierte Mikroprozessoren) gekennzeichnet, die ihrerseits in angepaßter Weise in andere funktionsähnliche oder funktionsäquivalente Gefüge eingebaut werden können oder entsprechend (z. B. per Funktionschips) austauschbar sind. So können entweder Teilfunktionen durch die entsprechenden Module ersetzt oder auch neue konstruktive Elemente zusammengebaut werden. Durch diese Austauschbarkeit und Flexibilität funktionaler Bausteine erhöht sich die Möglichkeit der funktionalen Weiterführung bzw. Alternativenbildung und die Schnelligkeit der Entwicklung, da entsprechende Teile oder Chips ohne Probleme ausgetauscht werden können. Die Modularität der funktionalen Bausteine und Elemente erzeugt eine grundsätzliche universelle Verfügbarkeit und Einsetzbarkeit von Bauteilen und Teilfunktionen, so daß die modulare Struktur von technischen Systemen und Teilsystemen zu einer sehr flexiblen Fertigung und der entsprechenden Entwicklungsmöglichkeit führt, wenn die Schnittstellen relativ offen sind und eine große Spektralbreite von Optionen und möglichen Anwendungsverzweigungen aufweisen. So sind also Vielfachverwendbarkeit, Flexibilität und Entwicklungsdynamik, wie auch universelle Einsetzbarkeit und Ersetzbarkeit wesentliche Kennzeichen moderner systemhafter Technologien. 13) Fernsteuerung und intelligente Sensortechnik: Neue elektronische Informationstechnologien erlauben die Fernkontrolle und auch die Erfindung intelligenter Sensoren über große (z. B. interstellare) Distanzen hinweg oder den Zugang zu unzugänglichen Umgebungen (z.B. Robotermanipulation in der Nuklear- oder Raumtechnologie). Auf diese Weise wird die Möglichkeit der Manipulation und somit die technische Zugänglichkeit wie auch die „intelligente" (von Sensordaten abhängige konditionale und in bezug auf Entscheidungen verzweigte) Reaktion technischer Instrumente und technologischer Systeme — also eine erhebliche Ausdehnung der Reichweite der Technologien - erreicht. 14) Nutzerfreundlichkeit und „selbsterklärendes" Design: Neue Technologien werden allmählich immer nutzerfreundlicher, ahmen mehr Reaktionen in menschlichem Maße und hinsichtlich der Anforderungen an Bediener und Nutzer zugänglicherweise nach, indem sie manchmal „sich selbst erklärende" Displays und Designstrukturen offenbaren, die bei Nutzung bzw. Bedienung einen geringeren Aufwand an Instruktionen und Bedingungsanleitungen sowie an Handbüchern erfordern. 15) „Intelligente" Technologie- und Systemautonomie: Nicht nur bei der Fernerkundung und Fernsteuerung sind Rückkopplungsschleifen eingebaut, sondern auch in einer Unmenge von Instrumenten und geregelten Systemen gibt es Feedback-Steuerung und „intelligente" „Entscheidungsverfahren" bzw. Operationstechniken, die zunehmend eine Art von flexibler Systemautonomie bzw. Automatiken des flexiblen sensordatenbedingten Funktionierens ermöglichen. 16) Metaautonomie: Selbst beim Entwerfen, Konstruieren, Uberprüfen von Maschinen, Programmen, technologischen und organisatorischen Systemen gibt es eine merkliche Tendenz zur Ausschaltung menschlicher Eingriffe: „Maschinen bauen Maschinen, Maschinen überprüfen Maschinen, Programme steuern und überprüfen Maschinen, Programme kontrollieren Programme" (Mussgnug 160 Anm.). Tatsächlich bedeutet dies eine höherstufige Technisierung in Gestalt einer Selbstanwendung von übergreifenden abstrakteren Operationen und Prozeduren und Programmen höherer Ordnung, was zu einer Art von „reflexiver" oder „selbstreferentieller" Selbstanwendbarkeit und Metarealisierbarkeit bzw. Metafunktionalität führt, kurz: zu einer „reflexiv verstandene[n] Fungibilität" (Häußling 195). 17) Robotisierung: Robotisierung verbreitet sich expansiv und exponentiell und auch über alle entsprechenden Bereiche technologiegestützter Produktion. Die Robotertechnik

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dient nicht nur der Kostenersparung und Entlastung des Menschen, sondern nutzt und gewährleistet auch die oben erwähnte Flexibilität, Variabilität, Modulhaftigkeit der funktionalen Bausteine und führt zu einem dramatisch gesteigerten Produktions-Output (z.B. 24-Stunden-Produktion ohne Personalkostensteigerung). 18) Computerisierung und Multifunktionalität: Universalmaschinen wie der Computer nehmen eine gewisse Art von Abstraktheit, Charakterisiertheit durch Programme und modellhaft-formale Flußabläufe an. Dadurch werden auf allgemeinerer, nämlich der Stufe der Universalmaschinen, sowohl technologische als auch technisch-organisatorische Systeme schneller, flexibler, „intelligenter" und weisen Züge einer funktionalen „Autonomie" sowie der oben genannten Charakteristika der Variabilität und Austauschbarkeit der Teile auf. 19) Megainformationssysteme und Megamaschinen: Tendenziell gibt es eine zunehmende Neigung, die ganze Welt als technologiedominiert, sozusagen als systemtechnologische Welt, aufzufassen, die von Technosystemen geprägt, organisiert und wenigstens großenteils manipuliert wird, wodurch selbst Ökosysteme und soziale Systeme nachdrücklich beeinflußt werden und gleichsam zu von künstlichen Eingriffen geprägten ÖkoTechnosystemen oder entsprechend zu soziotechnischen Systemen werden. Der Trend zu einem Megainformationssystem (der Biosphäre) des Planeten Erde und somit zu einer Megaweltmaschine wird durch die Schichtenbildung der erwähnten technologischen und operationalen Prozessierungen und die Vielfachanwendbarkeit von Prozessen, Maschinen, Systemen sowie Teilsystemen, funktionalen Teilgefügen und koordinierten Programmen verstärkt. 20) „Telematisierung" und Technorealität: Die Telematisierung von nahezu allem, die weltweite Überallpräsenz macht die Idee eines globalen Informationsdorfes tendenziell wahr - nicht nur in der passiven Wahrnehmbarkeit durch die überall vorhandenen Telemedien, sondern auch in lokal getrennten, aber funktional koordinierten Teilgruppen, die z.B. gemeinsam an einem gigantischen virtuellen Objekt, Gegenstand oder Netzwerk zugleich arbeiten (z.B. Internet). Die sekundäre technologieerzeugte „Realität", wie sie durch die Informationsnetzwerke weltweit ermöglicht und erzeugt wird, gewinnt Profil und Einfluß - und zwar immer mehr und immer schneller. Die Medien technisieren eine Art von Realität, konstituieren eine technoerzeugte bzw. -inszenierte virtuelle Realität, die immer mehr praktische gesellschaftliche und auch die primäre Welt der Gegenstände und Prozesse beeinflussende Wirklichkeit gewinnt. Diese sekundäre informationelle Realität wird sozusagen eine „reale Realität" - durch technische Erzeugung, Vermittlung und Rückwirkung. 21) Informationstechnologische Geschichtlichkeit: Nicht nur die umfassenden Informationssysteme, Expertensysteme und computerisierten Entscheidungssysteme, die von vielen Programmierern und Akteuren bzw. Agenturen entworfen, entwickelt und betrieben sowie gesteuert werden, nehmen Züge einer gewissen „Geschichtlichkeit" an, indem sie ihre eigene Entwicklung voraussetzen, zur Weiterentwicklung zugrunde legen und wi(e)derspiegeln. Die Geschichte der Informationssysteme bzw. auch der Mediensysteme gewinnt durch die Rückwirkung auf die Realgeschichte ebenfalls eine gewisse historische Bedeutsamkeit bzw. erst Realität, vermittelte („mediatisierte") virtuelle Realität. 22) Pluralisierung der Technologien: Der überragende weltweite Erfolg der Technik und Technologien sowie die Technisierung von fast allem führt zu einer neuen Welteinheit, die eine neuartige technologische informationelle und somit auch interaktive Integration der technogenen Welt bedeutet. Wir leben schon großenteils in einer medienelektronischen globalen Verbundeinheit, einer informationell gestützten technisch erzeugten Metroplex-Welt, in weltweit interaktiven Netzstrukturen, die im Sinne eines globalen Dorfes nicht mehr nur sekundäre Realität annehmen. 23) Wechselwirkung und Wechselabhängigkeit aller technologischen Produkte und Prozesse: Durch interdisziplinäre, formal-systematisierte und funktional gestaltete In-

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tegration und Wechselbeziehung zwischen verallgemeinerten Operationen und Systemen im Sinne der Systemtechnik und Organisationstechnologien in allen Lebensbereichen haben wir eine Fülle von wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen allen diesen Bereichen gewonnen - und diese Abhängigkeiten nehmen beschleunigt zu - , wodurch systematisierte technische und informationelle wie auch operationale (z. B. wirtschaftliche, zunächst virtuelle, dann „reale": vgl. Börsenspekulationen) Manipulationen möglich werden. 24) Soziosystemtechnologie: Systemorientierung, Systemtechnik und die Bildung wie auch Steuerung bzw. Wartung von soziotechnischen Systemen und sozialen Systemen im engeren Sinne führen zu einer untrennbaren, unauflösbaren Verbindung im Sinne eines soziotechnischen Syndroms, das durch die stets wachsende und sich beschleunigende und immer mehr umfassende Möglichkeit technologischer Maßnahmen und Eingriffe geprägt wird (Lenk, Philosophie; ders., Technokratie; Ropohl, Systemtechnik; ders., Systemtheorie). 25) Systemtechnokratische Tendenzen: Wie bereits vor rund 30 Jahren vorhergesagt und umrissen (Lenk, Philosophie; ders., Technokratie; ders., Zu neueren Ansätzen 216ff.), gewinnen systemtechnokratische Tendenzen dramatisch an Einfluß. Das bedeutet, daß unterschiedliche politische, selbst kulturelle und humanitäre Probleme der modernen Gesellschaft tendenziell als systemtechnologische und mit entsprechenden operationalen systemtechnologischen Mitteln zu lösende Schwierigkeiten aufgefaßt und angegangen werden - zum Teil auch gelöst werden können. Systemtechnologische Verwaltungsmaßnahmen und -Vorgänge gewinnen überall an Gewicht. Systemtechnokratische Gefahren scheinen innig mit den umfassenden informations- und systemtechnologischen Ansätzen verbunden - wie die Reduzierung des einzelnen zum Fall in der Apparatemedizin und zum Vorgang in allen Verwaltungen zeigen. 26) Personen- bzw. Datenschutz und Informationseingriffe: Bezüglich der Informationstechnologien ist Daten- und Persönlichkeitsschutz vom rechtlichen, sozialpolitischen und moralischen Blickwinkel besonders relevant. Mit der Effektivität der informationellen Überwachung und Ferneingriffe werden die entsprechenden rechtlichen Probleme des Datenschutzes und der Privatheit wie auch die Fragen der Wahrung von Integrität und Würde der menschlichen Person und generell Aspekte der humanen Werte und der Menschlichkeit dringlicher (vgl. Spinner, bes. 237). 27) Risikoanfälligkeit: Die umfassende Verknüpfung der Systemelemente mit dem immer umfassenderen soziotechnischen und informationellen Steuersystem generell führt zu einer gewissen Anfälligkeit gegenüber Risiken, wie man wiederholt durch regionale Stromausfälle in ganzen Ballungsgebieten erfahren konnte. Die Risikoanfälligkeit hochentwickelter und eng verknüpfter Systeme ist eine Art technokratischer Gefahr, die mit der Komplexität der Systeme wächst. Manche technisch erzeugten Gefahren (z. B. Radioaktivität) können sogar grundsätzlich der menschlichen natürlichen Wahrnehmung entzogen sein, wie die radioaktive Verstrahlung ganzer Gebiete und Bevölkerungen im Anschluß an die Nuklearkatastrophen von M a j a k 1957 und Tschernobyl 1986 zeigen. 28) Miniaturisierung und Nanotechnologie: Besonders interessante Trends zur Miniaturisierung technischer Bausteine, Elemente und Funktionsblöcke (sowohl im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne) stellen ebenfalls eine gewisse Chance wie auch Risiken dar: Die Chipifizierung von allem und jedem, möglicherweise kombiniert mit einer immer zunehmenden Miniaturisierung, der schnellen Entwicklung der Mikrosystemtechnik und sogar Nanotechnik, kann nicht nur die technologische Erreichbarkeit und Manipulierbarkeit aller Arten von Informations- und Steuerungsprozessen von Systemregelungen (z.B. im menschlichen Körper) ermöglichen und vergrößern, sondern stellt auch Gefahren für überzogene Überwachung dar oder kann zur erhöhten Anfälligkeit von durch miniaturisierte Technologien gesteuerter Systemkomponenten führen (z. B. die Idee der Quantencomputer mit fast utopisch erhöhtem Informationsspeicher und riesiger Verarbeitungskapazität, aber entsprechend erhöhter Fehleranfälligkeit).

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29) System- und informationstechnologische Vervielfachung von Einwirkungen, technologischem Erfolg und Versagen: Mit der nahezu unvorstellbaren Ausdehnung der menschlichen technologischen Macht durch die ungeheure Ausdehnung der Energietechniken (z. B. durch die Nukleartechnik) und der System- sowie Informationstechniken werden die entsprechenden direkten und indirekten Folgeprobleme des Erfolgs (Beherrschung und Manipulation) wie auch der Versagensereignisse (Technokatastrophen, oft euphemistisch „Störfälle" genannt) außerordentlich große Probleme aufwerfen, die über den Bereich möglicher menschlicher Beherrschbarkeit hinauszugehen drohen. 30) Verantwortlichkeit - Tragbarkeit, Grenzen und Verteilungsprobleme: Die immer weiter ausgreifenden systemtechnologischen Entwicklungen und die Vervielfachung der Eingriffsmacht durch technische und großtechnologische Systeme in weltweitem Maßstab stellen auch schwierige ethische Probleme der Verantwortbarkeit der durch Menschen gemachten technischen Welt und der Entwicklungen und Geschehnisse in ihr dar. Läßt sich beispielsweise die Verantwortung für Techno-Katastrophen wie Bhopal oder einen GAU noch einzelnen Personen zuweisen bzw. von diesen tragen oder überhaupt politisch behandeln? Solche schwierigen Fragen führen zu Problemen der Verantwortungsverteilung bzw. der antizipatorischen Handhabung von Verantwortungszuschreibungen bei und in Großsystemen. Rechtliche bzw. moralische Verantwortlichkeit kann kaum noch von einzelnen Personen getragen bzw. diesen zugeschrieben werden (vgl. Lenk/Maring). 3. Ausblick

auf Problemfelder

einer pragmatischen

Philosophie

der

Technik

Die zuvor genannten 30 charakteristischen Merkmale und strukturellen Züge der Neuen Technik im informations- und systemtechnologischen Zeitalter, zumal der spezifischen Neuen Technologien, sind geeignet, die technikphilosophischen Untersuchungen sowohl in Richtung auf eine sozial wie ökologisch vertretbare Technikentwicklung und deren Diskussion wie auch in bezug auf methodologische Erfordernisse anzuregen. Insbesondere wäre es interessant, die unterschiedlichen kennzeichnenden Kombinationen und bedingten Beziehungen zwischen den charakteristischen Merkmalszügen in bezug auf spezielle Technikfelder und technologische Bereiche in ihrer Einbettung in Sozioöko-techno-Systeme genauer zu untersuchen (dies muß künftigen Studien vorbehalten bleiben). Generell scheinen aber auch die systematisierenden und formal-funktional durch Informatisierung auf Metastufen der Information und der operationalen Organisation, der Systemorganisation, der Prozeßsteuerung in komplexen Gesamtgefügen durchaus neue Herausforderungen für die moderne philosophische Auseinandersetzung mit der Neuen Technik und den Neuen Technologien zu erfordern, insbesondere, wenn man - wie nötig — gesellschaftliche und ökologische sowie an einer wohlverstandenen Humanität orientierte Gesichtspunkte systematisch berücksichtigt (Lenk, Humanität; vgl. Spinner 232ff. zum Leitbild der „besser informierten Gesellschaft"). Das allzu umfassende und abstrakte Interpretationskonstrukt „die Technik" ist jedoch zu vage und zu allgemein, um fundierte Gesamtaussagen zu erlauben. Technisches Handeln usw. geschieht im Einbettungszusammenhang mit humanen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Fragestellungen. Sind (Neue) Technik und (Neue) Technologien unser Schicksal, dann tatsächlich im Gesamtzusammenhang dieser miteinander wechselwirkenden und ineinander verflochtenen „Systeme". Die Menschheit hat im informations- und systemtechnologischen Zeitalter ihr Schicksal zum Teil verändert, sicherer, aber auch riskanter gestaltet und - vor allem - zum Teil der eigenen Eingriffsmacht unterworfen. Die Menschheit hat abgewogen, verantwortlich und „weise" — konkret und human - mit diesem zum guten Teil von ihr selbst gestalteten Schicksal und der künftigen Entwicklung der Öko-techno-sozio-Zusammenhänge in der Biosphäre des winzigen Raumschiffs Erde umzugehen.

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Literatur Donald Brinkmann, Mensch u. Technik. Grundzüge einer Phil, der Technik, Bern 1964. - Scott Buchanan, Nature, Science, and Technology. Technology as a System of Exploitation: Technology and Culture 3 (1962) 5 3 5 - 5 4 1 . - Mario Bunge, Technology as Applied Science: Technology and Culture 7 (1966) 3 2 9 - 3 4 7 . - Friedrich Dessauer, Streit um die Technik, Frankfurt a.M. 1956; zit. nach der Kurzfassung unter dem gleichen Titel, Freiburg 1959. - Jacques Ellul, La Technique ou l'enjeu du siécle, Paris 1954 (The Technological Society, New York 1964). - Hans Freyer, Zur Phil, der Technik: Bl. f. die Dt. Phil. 1929, 1 9 2 - 2 0 1 . - Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsych. Probleme in der industriellen Gesellschaft, Hamburg 1957. - Ders., Anthropologische u. sozialphil. Unters., Reinbek 1986. - Friedrich v. Gottl-Ottlilienfeld, Grundriß der Sozialökonomik. 2. Abt./2. Tl. Wirtschaft u. Technik, Tübingen 1923. - Roger Häusling, Die Technologisierung der Gesellschaft, Würzburg 1998. - Martin Heidegger, Die Technik u. die Kehre, Pfullingen 1962. - Karl Jaspers, Vom Ursprung u. Ziel der Gesch., Frankfurt a.M./Hamburg 1955. - Ernst Kapp, Grundlinien einer Phil, der Technik, Braunschweig 1877 (Nachdr. Düsseldorf 1978). - Helmut Klages, Rationalität u. Spontaneität, Gütersloh 1967. - Hans Lenk, Phil, im technologischen Zeitalter (1970), Stuttgart 1971 2 1972. - Ders. (Hg. u. Vorw.), Technokrate als Ideologie, Stuttgart 1973. - Ders., Zu neueren Ansätzen der Technikphil.: Techne - Technik - Technologie, hg. v. dems./Simon Moser, Pullach 1 9 7 3 , 1 9 8 - 2 3 1 . - Ders., Zur Sozialphil, der Technik, Frankfurt a.M. 1982. - Ders., Konkrete Humanität, Frankfurt a.M. 1998. - Ders./Matthias Maring, Wer soll Verantwortung tragen? Probleme der Verantwortungsverteilung in komplexen (soziotechnischen-sozioökonomischen) Systemen: Verantwortung. Prinzip oder Problem?, hg. v. Kurt Bayertz, Darmstadt 1995, 2 4 1 - 2 8 6 . - Karl Marx, Exzerpte über Arbeitsteilung, Maschinerie u. Industrie, hg. v. Rainer Winkelmann, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1982. - Oliver Mussgnug, .Virtuelle Realität' u. Cyberspace, Magisterarbeit Univ. Karlsruhe 1997 (masch.). - José Ortega y Gasset, Meditación de la técnica, Buenos Aires 1939; dt.: Betrachtungen über die Technik, Stuttgart 1949. Fritz Rapp (Hg.), Technik u. Phil., Düsseldorf 1990. - Research in Philosophy and Technology, hg. v. Paul T. Durbin, Greenwich, Conn., 1 (1978) ff. - Günter Ropohl (Hg.), Systemtechnik Grundlagen u. Anwendung, München 1975. - Ders., Eine Systemtheorie der Technik, München/ Wien 1979. - Ders., Ethik u. Technikbewertung, Frankfurt a.M. 1996. - Hans Sachsse, Technik u. Verantwortung. Probleme der Ethik im technischen Zeitalter, Freiburg 1972. - M a x Scheler, Die Wissensformen u. die Gesellschaft, Leipzig 1926. - Kurt Schilling, Phil, der Technik. Die geistige Entwicklung der Menschheit v. den Anfängen bis zur Gegenwart, Herford 1968. - Georg Simmel, Phil, des Geldes, München/Leipzig 1922. - Herbert Spencer, The Principies of Sociology, London, III 1896. - Oswald Spengler, Der Mensch u. die Technik, München 1931. - Helmut F. Spinner, Die Architektur der Informationsgesellschaft, Bodenheim 1998. - Eduard Spranger, Lebensformen, Halle 1930. - Ladislav Tondl, Der Januskopf der Technik: Akten des XIV. Int. Kongresses f. Phil., Wien, II 1968, 5 7 0 - 5 7 7 . Hans Lenk/Matthias Maring

II. Ethisch und praktisch-theologisch 1. Begriff 2. Vorbemerkung 3. Grundsätzliche Orientierungen 4. Technik-Theorien und -Auffassungen 5. Einzelne Tendenzen evangelischer Ethik 6. Technokratie. Benennung einiger Vorurteile (Literatur S. 21) I.

Begriff

Eine Definition des Begriffs kann unabhängig von einer Gesamtsicht und -beurteilung des Phänomens Technik nicht vorgegeben werden. Bereits die Frage, o b neuzeitliche gegenüber antiker und mittelalterlicher Technik etwas Spezifisches darstellt, wird kontrovers beantwortet. Was Technik ist, ergibt sich aus theologischen, philosophischen, soziologischen etc. Gesamtentwürfen. Möglicherweise reicht die Verschattung des Phänomens Technik in große Tiefe. D a s T h e m a rührt offenkundig erhebliche Empfindlichkeiten auf, es unterliegt einem unmäßigen Konsensdruck (nicht in F r a g e zu stehen scheinen Charakteristika der Technik wie Instrumentalität, M i t t e l - Z w e c k - R e l a t i o n , Neutralität, Ambivalenz). Vermutlich entzieht sich die Erscheinung gegenwärtig noch dem genaueren Verständnis - um so mehr unmittelbaren ethischen Orientierungen, die, ununterrichtet über Abgründigkeit und E r s t r e c k u n g des Problems, Gefahr laufen, zu verdunkeln, was sie aufhellen, zu befördern, was sie abwehren wollen.

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Literatur Donald Brinkmann, Mensch u. Technik. Grundzüge einer Phil, der Technik, Bern 1964. - Scott Buchanan, Nature, Science, and Technology. Technology as a System of Exploitation: Technology and Culture 3 (1962) 5 3 5 - 5 4 1 . - Mario Bunge, Technology as Applied Science: Technology and Culture 7 (1966) 3 2 9 - 3 4 7 . - Friedrich Dessauer, Streit um die Technik, Frankfurt a.M. 1956; zit. nach der Kurzfassung unter dem gleichen Titel, Freiburg 1959. - Jacques Ellul, La Technique ou l'enjeu du siécle, Paris 1954 (The Technological Society, New York 1964). - Hans Freyer, Zur Phil, der Technik: Bl. f. die Dt. Phil. 1929, 1 9 2 - 2 0 1 . - Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsych. Probleme in der industriellen Gesellschaft, Hamburg 1957. - Ders., Anthropologische u. sozialphil. Unters., Reinbek 1986. - Friedrich v. Gottl-Ottlilienfeld, Grundriß der Sozialökonomik. 2. Abt./2. Tl. Wirtschaft u. Technik, Tübingen 1923. - Roger Häusling, Die Technologisierung der Gesellschaft, Würzburg 1998. - Martin Heidegger, Die Technik u. die Kehre, Pfullingen 1962. - Karl Jaspers, Vom Ursprung u. Ziel der Gesch., Frankfurt a.M./Hamburg 1955. - Ernst Kapp, Grundlinien einer Phil, der Technik, Braunschweig 1877 (Nachdr. Düsseldorf 1978). - Helmut Klages, Rationalität u. Spontaneität, Gütersloh 1967. - Hans Lenk, Phil, im technologischen Zeitalter (1970), Stuttgart 1971 2 1972. - Ders. (Hg. u. Vorw.), Technokrate als Ideologie, Stuttgart 1973. - Ders., Zu neueren Ansätzen der Technikphil.: Techne - Technik - Technologie, hg. v. dems./Simon Moser, Pullach 1 9 7 3 , 1 9 8 - 2 3 1 . - Ders., Zur Sozialphil, der Technik, Frankfurt a.M. 1982. - Ders., Konkrete Humanität, Frankfurt a.M. 1998. - Ders./Matthias Maring, Wer soll Verantwortung tragen? Probleme der Verantwortungsverteilung in komplexen (soziotechnischen-sozioökonomischen) Systemen: Verantwortung. Prinzip oder Problem?, hg. v. Kurt Bayertz, Darmstadt 1995, 2 4 1 - 2 8 6 . - Karl Marx, Exzerpte über Arbeitsteilung, Maschinerie u. Industrie, hg. v. Rainer Winkelmann, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1982. - Oliver Mussgnug, .Virtuelle Realität' u. Cyberspace, Magisterarbeit Univ. Karlsruhe 1997 (masch.). - José Ortega y Gasset, Meditación de la técnica, Buenos Aires 1939; dt.: Betrachtungen über die Technik, Stuttgart 1949. Fritz Rapp (Hg.), Technik u. Phil., Düsseldorf 1990. - Research in Philosophy and Technology, hg. v. Paul T. Durbin, Greenwich, Conn., 1 (1978) ff. - Günter Ropohl (Hg.), Systemtechnik Grundlagen u. Anwendung, München 1975. - Ders., Eine Systemtheorie der Technik, München/ Wien 1979. - Ders., Ethik u. Technikbewertung, Frankfurt a.M. 1996. - Hans Sachsse, Technik u. Verantwortung. Probleme der Ethik im technischen Zeitalter, Freiburg 1972. - M a x Scheler, Die Wissensformen u. die Gesellschaft, Leipzig 1926. - Kurt Schilling, Phil, der Technik. Die geistige Entwicklung der Menschheit v. den Anfängen bis zur Gegenwart, Herford 1968. - Georg Simmel, Phil, des Geldes, München/Leipzig 1922. - Herbert Spencer, The Principies of Sociology, London, III 1896. - Oswald Spengler, Der Mensch u. die Technik, München 1931. - Helmut F. Spinner, Die Architektur der Informationsgesellschaft, Bodenheim 1998. - Eduard Spranger, Lebensformen, Halle 1930. - Ladislav Tondl, Der Januskopf der Technik: Akten des XIV. Int. Kongresses f. Phil., Wien, II 1968, 5 7 0 - 5 7 7 . Hans Lenk/Matthias Maring

II. Ethisch und praktisch-theologisch 1. Begriff 2. Vorbemerkung 3. Grundsätzliche Orientierungen 4. Technik-Theorien und -Auffassungen 5. Einzelne Tendenzen evangelischer Ethik 6. Technokratie. Benennung einiger Vorurteile (Literatur S. 21) I.

Begriff

Eine Definition des Begriffs kann unabhängig von einer Gesamtsicht und -beurteilung des Phänomens Technik nicht vorgegeben werden. Bereits die Frage, o b neuzeitliche gegenüber antiker und mittelalterlicher Technik etwas Spezifisches darstellt, wird kontrovers beantwortet. Was Technik ist, ergibt sich aus theologischen, philosophischen, soziologischen etc. Gesamtentwürfen. Möglicherweise reicht die Verschattung des Phänomens Technik in große Tiefe. D a s T h e m a rührt offenkundig erhebliche Empfindlichkeiten auf, es unterliegt einem unmäßigen Konsensdruck (nicht in F r a g e zu stehen scheinen Charakteristika der Technik wie Instrumentalität, M i t t e l - Z w e c k - R e l a t i o n , Neutralität, Ambivalenz). Vermutlich entzieht sich die Erscheinung gegenwärtig noch dem genaueren Verständnis - um so mehr unmittelbaren ethischen Orientierungen, die, ununterrichtet über Abgründigkeit und E r s t r e c k u n g des Problems, Gefahr laufen, zu verdunkeln, was sie aufhellen, zu befördern, was sie abwehren wollen.

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Vorbemerkung

„Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit", heißt es bei F. -»Nietzsche (Also sprach Zarathustra: Kritische Studienausgabe [KStA] IV, 146). In voller Schärfe wird damit zumal der Theologie die Einsicht vor Augen gebracht, daß sich sogar noch alle angestrengten religiösen Verhaltensweisen oder Aufbietungen gegen die technische Welt in deren eigenes Schema, das des Praktizismus und des Technokratischen als einer Variante totalitären Willens zur Macht, heillos zu verstricken im Begriffe sind. Theorien der modernen Technik und entsprechende Aufstellungen theologischer Ethik oder Praktischer Theologie sind an dieser allen Beschwichtigungen unbeirrt entgegenzustellenden und darum schwer durchzuhaltenden Erkenntnis zu messen. Nietzsche konstatiert an anderer Stelle, wiederum in großer Klarheit, die völlige Unübersehbarkeit der zukünftigen technischen Entwicklung. Entsprechende Schlußfolgerungen müssen gewagt werden. Unter der Überschrift „Prämissen des MaschinenZeitalters" heißt es (KStA II, 674): „Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige Conclusion noch niemand zu ziehen gewagt hat". 3. Grundsätzliche

Orientierungen

3.1. Martin Heidegger. Ein dreiviertel Jahrhundert später nimmt M. -»Heidegger den Gedanken der Unaufhaltsamkeit der technischen Entwicklung auf und exponiert seinerseits in kraftvoller Ausdrücklichkeit ein epochales, bislang an Erklärungskraft nicht übertroffenes, von der Theologie kaum auch nur in Ansätzen rezipiertes TechnikVerständnis (generell zu Heideggers Technik-Verständnis: Vietta; Seubold; ein Schritt zu einer theologischen Rezeption: Trowitzsch, Technokratie 65-82.83 — 195). „Was wir heute", so heißt es in einem populär gehaltenen Vortrag 1950 (Heidegger, Gelassenheit 19), „als Film- und Fernsehtechnik, als Verkehrs-, im besonderen Flugtechnik, als Nachrichtentechnik, als medizinische Technik, als Nahrungsmitteltechnik kennen, stellt vermutlich nur ein grobes Anfangsstadium dar ... Die Entwicklung der Technik wird indes immer schneller ablaufen und nirgends aufzuhalten sein ... Die Mächte, die den Menschen überall und stündlich in irgendeiner Gestalt von technischen Anlagen und Einrichtungen beanspruchen, fesseln, fortziehen und bedrängen - diese Mächte sind längst über den Willen und die Entscheidungsfähigkeit des Menschen hinausgewachsen, weil sie nicht vom Menschen gemacht sind." Verstanden primär als menschliches Handeln, wie in nahezu allen Technik-Theorien, bliebe nach Heidegger die neuzeitliche Technik unbegriffen. Wohl an keiner Stelle seines Werks hat Heidegger in ähnlicher Konzentration die Grundlinien seines Verständnisses der neuzeitlichen Technik gezeichnet wie zehn Jahre zuvor in zwei Absätzen seiner Vorlesung „Grundbegriffe" (GA 11/51, 17f.). Gegenüber dem Griechentum herrscht in der Moderne, nach Heidegger seit dem 17. Jh., eine Grundverschiedenheit: eine „gewandelte Art der Weltauslegung". Im Schema der MittelZweck-Relation und in Hinsicht auf die Frage nach ihrer Beherrschbarkeit läßt sich die moderne Technik nur sehr oberflächlich beschreiben. Sie bildet vielmehr eine neue umfassende Gesamtperspektive aus. „Die neuzeitliche Grundstellung ist die technische'. ... Das, was wir neuzeitliche Technik nennen, ist ja nicht nur ein Werkzeug und Mittel, demgegenüber der heutige Mensch Herr oder Knecht sein kann; diese Technik ist vor all dem und über diese möglichen Haltungen hinweg eine schon entschiedene Art der Weltauslegung, die nicht nur die Verkehrsmittel und die Nahrungsmittelversorgung und den Vergnügungsbetrieb, sondern jede Haltung des Menschen in ihren Möglichkeiten bestimmt, das heißt, auf ihre Rüstungsfähigkeit hin vorprägt. Deshalb wird die Technik nur dort gemeistert, wo im vorhinein und ohne Vorbehalt unbedingt ja zu ihr gesagt ist. Das bedeutet, die praktische Meisterung der Technik in ihrer bedingungslosen Ent-

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faltung setzt bereits die metaphysische Unterwerfung unter die Technik voraus." Die Problemstellung kann also nicht fundamental genug gegründet werden. Heidegger nimmt diese Ansetzung unter dem Titel „Metaphysik" vor: Technik gehört als eine ganz eigene, wesentliche Variante in die Geschichte der abendländischen Metaphysik. Tatsächlich gelangt Heidegger - als einer der wenigen die Erscheinung in ihrer Weite und unübersehbaren Erstreckung wahrnehmenden Denker — mit seinem Verständnis der neuzeitlichen Technik über die allzu plausible, nahezu überall herrschende „gängige Vorstellung" hinaus, nämlich über die doppelte, die „instrumentale und die anthropologische Bestimmung der Technik", formelhaft gefaßt in zwei Sätzen: „Technik ist ein Mittel für Zwecke", „Technik ist ein Tun des Menschen" (Frage 10). Die neuzeitliche Technik, eben keine bloße Fortschreibung antiken und mittelalterlichen Werkzeuggebrauchs, hat den Menschen geradezu in eine andere Wirklichkeit versetzt. Diese radikale Revolution der Weltansicht vollzieht sich in verzweigter Gestalt bei einer ganzen Reihe von Denkern in einem komplexen historischen Zusammenhang in der Philosophie der frühen Neuzeit. Daraus erwächst „eine völlig neue Stellung des Menschen in der Welt und zur Welt." Eine veränderte Grundlegung alles Wirklichen, Möglichen und Notwendigen und seiner Erscheinungsformen verbindet sich mit dem geschichtlich Grundstürzenden. „Jetzt erscheint die Welt wie ein Gegenstand, auf den das rechnende Denken seine Angriffe ansetzt ... Die Natur wird zu einer einzigen riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie." Heidegger fixiert die Genese dieser Grundlegung historisch sehr präzise. „Dieses grundsätzlich technische Verhältnis des Menschen zum Weltganzen entstand zuerst im 17. Jahrhundert und zwar in Europa und nur in Europa. Es blieb den übrigen Erdteilen lange Zeit unbekannt. Es war den früheren Zeitaltern und Völkerschicksalen völlig fremd." (Gelassenheit 17f.) Als innere Bedingung der modernen Technik wird ein Vorgang der „Ent-bergung" des Seins benannt. Die neuzeitliche Technik hat ihre eigene unbezweifelbare Wahrheit, ihr liegt eine spezifische Gestalt der ä-Xr]6eia des Seins zugrunde, der Unverborgenheit alles Wirklichen: des Aufgehens und Erscheinens der Phänomene von sich aus, wie es sich in der Geschichte durchaus unterschiedlich vollzieht. Zu jenem universal technischen Weltumgang - für den eben „Tatsachenbeobachtung, Experiment, Rechnung" (so wiederum gegen die gängige Vorstellung) keineswegs das Entscheidende sind (GA 1/25, 30) - wird der Mensch seinerseits herausgefordert: durch die Weise, wie sich ihm die Wirklichkeit im ganzen entbirgt, nämlich präsentiert, zeigt, generell anwesend macht. Heidegger nennt diesen spezifischen Anspruch des Seins an den modernen Menschen - Menschen anderer Zeiten sahen sich anderen Ansprüchen dieser fundamentalen Art ausgesetzt - das „Ge-stell" (Frage 23). In der Einsicht, daß ein solches Gesetz der Zeit sich von sich aus, wenngleich nicht ohne den Menschen, vorgibt, liegt der Grund für die Behauptung, die Technik sei nicht einfach ein menschliches Tun. Eine „Ethik der technischen Welt" ist darum keineswegs das Grundproblem (vgl. GA 1/9, 3 5 3 - 3 5 9 ) . Der Gedanke muß früher ansetzen. So führt die vorgängige instrumentale Bestimmung auch ethisch in die Irre: „Solange wir die Technik als Instrument vorstellen, bleiben wir im Willen hängen, sie zu meistern. Wir treiben am Wesen der Technik vorbei." (Frage 36). Inhaltlich geht der Anspruch des Ge-stells an den neuzeitlichen Menschen auf einen mathematischen Vorentwurf der Natur, auf die Entbergung alles Wirklichen als „Bestand" (vgl. Frage 20f.), also als Potential und Ressource, auf optimierte Habhaftigkeit, auf Verfügbarmachung im Sinne eines unbedingten Willens zur Macht, des Willens zur Waffe (Heidegger interpretiert Nietzsches „Übermenschen" de facto als Technokraten: bereit und willens, die Weltherrschaft anzutreten). Machbarkeit und Rüstungsfähigkeit sind dementsprechend zuletzt die Prinzipien, anhand deren es den Erscheinungen gewissermaßen gestattet ist, überhaupt erfahren zu werden - die Weise ihrer Entbergung. Keineswegs ruft Heidegger zum Kampf gegen die Technik oder zu irgendeiner programmatischen Gegenbewegung auf. Eine solche verfiele als eine Spielart der Gesamt-

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erscheinung nur erneut deren Gesetz. Die Machtmittel wiederum beherrschen zu wollen - so das vermeintliche Hauptproblem der Technik - bliebe im Schema des Willens und des Zwangs zur Macht. „... kein menschliches Rechnen und Machen kann von sich aus und durch sich allein eine Wende des gegenwärtigen Weltzustandes bringen; schon deshalb nicht, weil die menschliche Machenschaft von diesem Weltzustand geprägt und ihm verfallen ist" (Martin Heidegger/Erhart Kästner, Briefwechsel, 1953-1974, hg. v. Heinrich W. Petzet, Frankfurt a.M. 1986, 59). 3.2. Karl Barth. Ebenso weitgehend unbeachtet geblieben sind K. -»Barths Einsichten in Bedingungen und Untergründe der modernen Technik. Bereits in der Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) hat Barth das Thema in charakteristischer Weise aufgenommen. Die ethische Orientierung nimmt starke Gesprächspartner, u.a. Nietzsche, zum Gegenüber. Im Zusammenhang von Ausführungen über die Ehrfurcht vor dem Leben hebt Barth hervor, es sei dem Menschen ein bestimmter „Wille zur Macht" geradezu geboten, nicht freilich dämonische „Macht als solche" („Goliathsmacht", „Attribut des Nichtigen"), aber Macht mit dem Charakter des dem Menschen Lebensnotwendigen und Lebensdienlichen. Eine Entstellung macht sich dabei in der modernen Technik geltend: „Wir können, wir wollen, wir vollbringen viel, immer mehr, aber die Räder laufen heimlich weithin leer, weil wir eine Macht wollen und brauchen, deren wir im Grunde durchaus nicht bedürfen, die wir teilweise vielleicht zu unserem Heil besser nie kennen gelernt, geschweige denn gewollt und entfesselt hätten. Es kann nicht anders sein: die unsere wirkliche Lebensnotwendigkeit überschießende Macht, die Technik, die im Grunde sich selber Sinn und Zweck ist, die um bestehen und sich weiter verbessern zu können, immer neue problematische Bedürfnisse erst hervorrufen muß, muß wohl das Ungeheuer werden, als das es sich heute weithin darstellt, muß schließlich, absurd genug, zur Technik der Störung und Zerstörung, des Krieges und der Vernichtung werden." Am Ende dieses Abschnitts (ebd. 451) eine tief erschrockene Frage: „... was ist das für eine Macht, in deren Besitz und Ausübung er [sc. der Mensch] nun wie ein Betrunkener irgendeinem kollektiven Abgrund entgegenzutaumeln scheint?"

In 1959-1961 gehaltenen Vorlesungen zur Fortführung der Kirchlichen Dogmatik, nun zur Ethik der Versöhnungslehre (Das christliche Leben [1976]), hat sich Barth noch einmal explizit zum Thema der neuzeitlichen Technik geäußert (vgl. Trowitzsch, Technokratie 12—19). In der zweiten Bitte des Vaterunsers, führt er aus, ist immer zugleich der Aufruf zum Aufstand gegen die „herrenlosen Gewalten" mitenthalten. Der politische Absolutismus stellt eine ihrer Formen dar, die Ideologie, Mammon - und dann auch die neuzeitliche Technik. „Herrenlose Gewalten", überindividuell und von quasi-subjekthafter Qualität, entstammen der furchtbaren Illusion des Menschen, herrenlos, selbstgesetzlich, sich selber zum Evangelium werdend, leben zu können. Die menschlichen Fähigkeiten und Potentialitäten emanzipieren sich in der Folge dieser Anmaßung vom Menschen und gewinnen bösartige Selbständigkeit. Von nicht mehr als „pseudoobjektiver Realität" zwar, sind sie gleichwohl außerordentlich wirkmächtig: „... ohne [den] und über dem Menschen ... wirkt in großer Unsichtbarkeit das Heer der Absolutismen, der herrenlos sein wollenden und eindrucksvoll genug sich als herrenlos gebenden und darstellenden Gewalten" (Barth, Leben 369). Die Verkehrstechnik nennt Barth als Beispiel: „Wenn es heute irgendeine entfesselte und aller Voraussage und Kontrolle ihrer Zukunft und allen Protesten sich entziehende, handgreiflich herrenlose chthonische Gewalt gibt, so ist es der in seiner ganzen rationalistischen Irrationalität stürmisch erwachte... Instinkt, der den Menschen - offenbar unaufhaltsam, vorbei an jeder Überlegung, ob er das, was er notorisch kann, wirklich auch wollen und tun solle? - zum raschesten und dann immer noch rascheren Durcheilen seines Raumes einladet und, ob er es will oder nicht, treibt und zwingt. Servum arbitrium! Sie müssen, wir müssen: ungefragt, ob wir wissen, wozu eigentlich und wohin das - das Treiben des Erdgeistes in dieser Gestalt - noch führen mag?" (ebd. 395f.).

Ein den Willen dirigierender Zwang zur Macht wirft sich nach Barths Einsicht auf, ein maßloses Und-so-weiter, etwas Überlebensgroßes, Losgebundenes, selbstläuferisch

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und herrenlos Gewordenes, eine soteriologische Größe mit Heilsversprechen und Vernichtungsdrohungen - eine Erscheinung der Fassungslosigkeit, der zuletzt nur noch theologisch ein Platz zugewiesen werden kann. Die „herrenlosen G e w a l t e n " sind das Übel, „um dessen Beseitigung die Christen Gott in der zweiten Bitte anrufen, das aber auch der Feind ist, gegen den sie, dem Gebote Gottes gehorsam, in den Schranken ihres menschlichen Verstehens und Könnens aufzustehen und zu streiten h a b e n " (ebd. 363). Der primäre ethische Kontext, in dem das Problem bei Barth zu stehen kommt, ist das Gebet. 3.3. Rudolf Bultmann. Nach R . ->Bultmann wird die gegenwärtige Welt „von der aus der Wissenschaft erwachsenen Technik beherrscht" (Formen menschlicher Gemeinschaft: G u V II, 268). „In unserer Zeit können wir sehen, wie weit der Mensch von der Technik abhängig ist und wie weit die Technik schreckliche Konsequenzen mit sich bringt" (Jesus Christus und die Mythologie: ebd. IV, 160). Wissenschaft und Technik führen die Möglichkeit einer planetarischen Katastrophe herauf (vgl. ebd. 150; Die christliche Hoffnung: ebd. III, 84). Das Problem der Technik ist nach Bultmann nicht lediglich eine Frage von Instrumentalität oder Mittel-Zweck-Relation, sondern eine Frage des Wirklichkeitsverständnisses im ganzen. Technik ist vergegenständlichendes unbedingtes Macht- und Sicherheitsdenken. „Gemeinhin versteht man unter Wirklichkeit die im objektivierenden Sehen vorgestellte Wirklichkeit der Welt, innerhalb deren sich der Mensch vorfindet, in der er sich orientiert, indem er sich ihr gegenüberstellt, mit deren Zusammenhang er rechnet und den er berechnet, um sie zu beherrschen und dadurch sein Leben zu sichern. Diese Weise, die Wirklichkeit zu sehen, ist in der Naturwissenschaft und in der durch sie ermöglichten Technik ausgebildet." (ebd. IV, 128) Unter der Überschrift „Die Entwicklung der Naturwissenschaft und der T e c h n i k " beschreibt Bultmann einen mit diesem Wirklichkeitsverständnis einhergehenden drastischen und katastrophalen Realitätsschwund (Die Bedeutung des Gedankens der Freiheit: ebd. II, 281): „Indem unter der Herrschaft der Naturwissenschaft schließlich nur noch das als wirklich anerkannt wird, was dem mathematischen Verständnis erkennbar ist, was nach physikalischen Gesetzen verläuft, und indem der Mensch selbst als Objekt der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode angesehen wird, entschwindet - oder wird gar ausdrücklich abgelehnt - eine jenseits der mathematisch-physikalischen Welt liegende Welt, der der Mensch nach seinem eigentlichen Wesen zugehört und aus der er die Gesetze seines Handelns empfängt." Jeder Augenblick des Lebens ist aber ungleich reicher, „als durch Beobachten, durch Messen und Rechnen festgestellt werden kann" (Die Krisis des Glaubens: ebd. II, 15). Eine weitere Reduktion folgt daraus: „... wohl stiftet auch das technische Interesse Gemeinschaft, aber nicht die echte Gemeinschaft von Mensch zu Mensch" (Formen menschlicher Gemeinschaft: ebd. II, 268). Der Mensch hat zuletzt über eine schroffe Alternative zu entscheiden: „ o b die Stimme einer das Vorhandene beobachtenden Wissenschaft oder der R u f der Liebe ihn stärker trifft". Das aber bedeutet: „Nicht irgendwelche Resultate der Naturwissenschaft versetzen den Glauben in die Krise, sondern die naturwissenschaftliche Betrachtung als solche. Der Glaube hat nie gegen Ergebnisse der Naturwissenschaft zu kämpfen, sondern einzig gegen ihren etwaigen weltanschaulichen Anspruch, den Sinn des Daseins zu begreifen. ... Im Anspruch der Naturwissenschaft verhüllt sich nämlich der Anspruch des Menschen, selbst sein zu wollen, sein Leben aus dem zu begreifen und zu gestalten, über das er verfügt, das er im Denken und im besorgenden Handeln beherrscht oder zu beherrschen meint." (Die Krisis des Glaubens: ebd. II, 15f.; vgl. Der Mensch und seine Welt nach dem Urteil der Bibel: ebd. III, 165) Am eindringlichsten ist Bultmann in einer Weihnachtsbetrachtung des Jahres 1953 auf das Problem der Technik eingegangen (ebd. III, 7 6 - 8 0 ) . Gegenwärtig in einer dunklen, unheimlichen Welt zu leben bedeutet für Bultmann nicht zuletzt, jener Gefahr ausgesetzt zu sein, „die aus der Entwicklung der modernen Technik und ihrer Anwendung

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auf die Kriegswaffen emporsteigt". Was macht aber die Gegenwart so besonders unheimlich? Es ist bezeichnend, führt Bultmann aus, „daß man heute ... nicht selten von dämonischen Mächten redet, die die Menschen beherrschen ... Nicht selten hört man ja die Rede von der dämonischen Macht der Technik, die mit ihren Erfolgen auch zu Folgen treibt, vor denen ihre eigenen Meister erschrecken" (ebd. 77). Bultmann macht sich dann die Redeweise von der Dämonie der Technik in bestimmter Weise durchaus zu eigen und spricht sogar von „Besessenheit". „Aber wer läßt denn", so fragt er, „die Technik zu einer dämonischen Macht werden? Und woran liegt es überhaupt, daß Menschen von dem gleichsam besessen werden können, über das sie meinen verfügen zu können, von dem, was sie selbst wirken und schaffen? Von dem Getriebe der Arbeit, die doch notwendig ist, das Leben zu erhalten, das eigene wie das der Gemeinschaft? Woran liegt es, daß die im Zuge solchen Arbeitsgetriebes entbundenen und wirkenden Kräfte zu Mächten werden können, die den von ihnen besessenen Menschen nicht mehr frei geben, zu tun, was er eigentlich will, und ihn - wie es in einzelnen Momenten erschreckend zu Bewußtsein kommen kann - um sein eigentliches Leben bringen?" (ebd. 78) Bultmann weitet sodann den Blick auf den geschichtlichen Augenblick und kommt zu erschrokkenen Einsichten: „Wenn wir auf das Gesamtbild einer Epoche, sei es auch unsere Epoche, blicken, wenn wir auf die Menschen um uns blicken, dann sind wir um eine Antwort verlegen, und also sind wir denn auch ratlos gegenüber der Frage, wie dem reißenden Zuge einer besessenen Zeit Einhalt geboten werden kann" (ebd. 78).

Den Ursprungsort dieser Besessenheit erkennt Bultmann im je einzelnen Menschen (vgl. ebd. 79). Bei ihm ist demgemäß anzusetzen, soll es irgend Rettung aus der Gefahr geben. - Ernst Käsemanns Überlegungen (Kirchliche Konflikte, Göttingen 1982) haben, freilich eher im Sinne von Kapitalismus- als von Technikkritik (doch vgl. 30.36.72.100.109.144.167.172.191.196), in diese Richtung weitergedacht, im besondern auch den Versuch unternommen, die bei Bultmann vorherrschende Perspektive auf den Einzelnen auszuweiten. 4. Technik-Theorien

und

-Auffassungen

4.1. Dietrich Bonhoeffer. 1931 spricht D. -»Bonhoeffer sehr unmittelbar, in einer Predigt (DBW 11, 387f.), von einer gegenwärtig stattfindenden „Wende der Zeiten", „der offenbar der gegenwärtige Mensch, wie er nun einmal ist, nicht gewachsen ist. Technik und Wirtschaft sind selbsttätige Gewalten geworden, die den Menschen zu vernichten drohen. Sie richten sich hoch auf und ihre Dämonen bevölkern den Götterhimmel unserer Zeit." Technik und Wirtschaft werden - vergleichbar der Rede Barths von „herrenlosen Gewalten" sowie der Bultmanns von „Besessenheit" - als mit Vernichtung drohende, anmaßende soteriologische Mächte und Zwänge, also dämonologisch verstanden. Ausführlicher und wiederum höchst prägnant, wenngleich nicht explizit ausgearbeitet, äußert sich Bonhoeffer in dem zu seinen Entwürfen zu einer Ethik gehörenden Fragment Erbe und Verfall (DBW 6, 106f.). In der einschlägigen Forschung ist dieser Text selten rezipiert worden (doch vgl. Gosda 226ff.242ff.). Die neuzeitliche Technik, heißt es im Widerspruch gegen das übliche Vorurteil, sei „etwas in der Weltgeschichte prinzipiell Neues". Sie hat sich „von jeder Dienststellung befreit, sie ist gerade nicht wesentlich Dienst, sondern Herrschaft und zwar Herrschaft über die Natur." Was Heidegger als veränderte „Grundstellung" beschreibt, benennt Bonhoeffer als „neuen Geist". „Es ist ein völlig neuer Geist, der sie hervorbringt und mit dessen Erlöschen sie auch wieder zuende gehen wird, der Geist der gewaltsamen Unterwerfung der Natur unter den denkenden und experimentierenden Menschen. Die Technik wird Selbstzweck, sie hat ihre eigene Seele, ihr Symbol ist die Maschine, die gestaltgewordene Vergewaltigung und Ausbeutung der Natur. Erst gegen die neuzeitliche Technik wendet [sich] daher begreiflicherweise der Widerspruch einer naiven Gläubigkeit. Sie spürt hier den menschlichen Ubermut, der eine Gegenwelt gegen die von Gott geschaffene Welt aufrichten will und sieht in der zeit- und raumüberwindenden Technik ein widergöttliches

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Unterfangen." (ebd. 106f.) Und Bonhoeffer resümiert dann in großer Schärfe: „Die Wohltaten der Technik verblassen hinter ihren Dämonien" (ebd. 107).

4.2. Ernst Jünger. Schon früh lenkt Ernst Jünger (1895—1998) das Augenmerk auf den totalen bzw. totalitären Charakter der neuzeitlichen Technik. In Der Arbeiter (1932) erscheint ihr Grundzug als Erschließung möglichst großer imperialer Räume, als totale Mobilisierung zunächst der Materie, dann der Welt im ganzen (SW VIII, 1 5 9 - 2 0 7 ) , als neue Weltsprache, die des „Arbeiters", eines bisher in der Geschichte unbekannten Menschenschlags. Nicht zuletzt zeichnet sie vor, was überhaupt gewollt werden kann (vgl. ebd. 173). Ihr Wesen ist der Angriff. Sie tritt als „schärfstes Mittel des Bewußtseins" in Erscheinung (ebd. 57). Im Krieg exponiert sie unverhüllt sich selbst: ihre reine Machtförmigkeit (vgl. ebd. 169.195). Eben aus der unheimlichen Erfahrung des Weltkriegs wird von Jünger pointiert ihr präzedenzlos widrig-soteriologischer Charakter bezeichnet: „Die Technik, das heißt die Mobilisierung der Welt durch die Gestalt des Arbeiters, ist, wie die Zerstörerin jedes Glaubens überhaupt, so auch die entschiedenste anti-christliche Macht, die bisher in Erscheinung getreten ist. Sie ist es in einem Maße, das das Antichristliche an ihr als eine ihrer untergeordneten Eigenschaften erscheinen läßt - sie verneint durch ihre bloße Existenz. Es besteht ein großer Unterschied zwischen den alten Bilderstürmern und Kirchenverbrennern und dem hohen Maße an Abstraktion, aus dem heraus von einem Artilleristen des Weltkrieges eine gotische Kathedrale als reiner Richtpunkt im Gefechtsgelände betrachtet werden kann." (ebd. 165)

In späteren Überlegungen (z. B. An der Zeitmauer, 1959; oder Die Schere, 1990) versucht Jünger, die Gegenwart in metahistorischen Maßstäben, hinsichtlich der Abläufe großer Zyklen, zu verstehen und die Technik - vor dem Hintergrund besonders der Atom-, noch nicht der Biotechnik - vornehmlich in mythologischen Kategorien zu begreifen. Vermutlich befindet sich die Gegenwart, erdgeschichtlich gesehen (vgl. Barths Rede von den „chthonischen" „herrenlosen Gewalten"), im Übergang von der Eisenbzw. Stahlzeit zur Strahlungszeit. Mit dem Rückzug der Götter als human-kultureller Mächte kommt, wenngleich interimistisch, die Herrschaft der Titanen herauf, der Repräsentanten elementarer, fassungsloser, kosmischer Gewalten. Verbunden mit einem weithin gar nicht mehr als solchem empfundenen Schwund schöpfungsmäßigen und kulturellen Reichtums (zu den Verwüstungen der modernen Technik vgl. F.G. Jünger, Perfektion) gehört zu dieser Heraufkunft des Elementaren der prometheische Charakter der Weltstimmung, plutonische Gewalt, ein machtförmiges Licht, ein tantalischer Heißhunger nach Energie. - Jüngers Werk liefert zudem eine Fülle von theologisch erst noch einzuholenden Einzelbeobachtungen zu Erscheinungen der modernen Technik. 4.3. Arnold Gehlen. Der Mensch, ein „Mängelwesen" (Mensch 3 1 - 4 0 ; zu Gehlens Technik-Verständnis vgl. Stork 135-150), sucht Arnold Gehlen (1904-1976) zufolge qua Technik nach Behebung seiner Mängel, also nach Organersatz, Organverstärkung und Organentlastung. Dabei geht im Laufe der Geschichte der Trend vom „ .Organersatz' zum Ersatz des Organischen überhaupt" (Seele 10; vgl. Untersuchungen, 9 3 - 9 5 ) . „... die Gesamtentwicklung der Technik [zeigt] eine hintergründige, bewußtlos, aber konsequent verfolgte Logik, die sich allein mit den Begriffen der fortschreitenden Objektivation menschlicher Arbeit und Leistung sowie der zunehmenden Entlastung des Menschen beschreiben läßt." (Seele 19) Etwas prinzipiell Neues stellt die moderne Technik nach Gehlen nicht dar. Ihr relativ Besonderes hat mit Überakzentuierungen zu tun: „Das Beklemmende des heutigen Vorganges ... liegt in dem Exzentrischen, Uberstiegenen des Unternehmens und sodann in seinem weltweiten Umfang" (Untersuchungen 100).

Technik ist ein menschliches Handeln, freilich gegenwärtig Handeln eines besonderen Subjekts: „Hier liegt ein sehr wesentliches Motiv des Unbehagens: wir fühlen wohl, daß das Subjekt der Technik die Menschheit sein wird, nicht einzelne Völker, und daß wir sie noch herumtragen wie zu weite Kleider. Alles aber, was wir an Traditionen und wirksamen Gesinnungen in uns haben, ist regional-kulturell oder national gefärbt, eine die Menschheit im ganzen umfassende Solidarethik schwer vorstellbar, geschweige Wirk-

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lichkeit." (ebd. 101) — Es gilt nach Gehlen in die moderne Technik als in ein prinzipiell Ubersichtliches hineinzuwachsen. 4.4. Helmut Schelsky. „... in der technischen Zivilisation", so Helmut Schelsky (19121984), „tritt der Mensch sich selbst als wissenschaftliche Erfindung und technische Arbeit gegenüber" (Mensch 446). Darum eröffnen sich ihm bei aller Eigenläufigkeit des Technokratischen durchaus Handlungsspielräume im einzelnen. Zunächst verhält sich die Technik „gegenüber den Zielsetzungen und Sinndeutungen des menschlichen Lebens ,neutral'" (Industriesoziologie 176). Sie rückt freilich in universale Bedeutung ein („eine sozial zwingende, sachliche Superstruktur in unserer Gesellschaft"; Mensch 473) und bringt zwingende Erfordernisse nicht zuletzt der Selbstreproduktion und -Steigerung mit sich. J. Habermas ordnet diese Aufstellungen Schelskys der „Technokratie-These" zu: sie diene zuletzt der Entpolitisierung und der Verschleierung gesellschaftlicher Interessen (vgl. Habermas, Technik 81.91.116f.). Mit W. F. Ogburn (Social Change, New York 1922) vertritt Schelsky die inzwischen weit verbreitete These vom cultural lag (vgl. Wagner 102.127.400f.413f.): dem Nachhinken der Kulturbereiche gegenüber der wissenschaftlich-technischen Zivilisation (vgl. Schelsky, Industriesoziologie 176; Mensch 452), einer „über den traditionellen Begriff des Technischen hinaus universal gewordenen Technik" (Mensch 444). Neue Zwänge werfen sich auf: „Der Mensch löst sich vom Naturzwang ab, um sich seinem eigenen Produktionszwang wiederum zu unterwerfen. Wir produzieren die wissenschaftliche Zivilisation nicht nur als Technik, sondern notwendigerweise in viel umfassenderem Maße dauernd auch als ,Gesellschaft' und als ,Seele'" (ebd. 449). 4.5. Günther Anders. Nach Günther Anders (1902-1992) liegt heute avancierte Technik in antiquierten Händen. Eine groteske Asynchronizität des Menschen mit seiner Produktewelt gibt das Signum der Zeit ab. Fühlen und Machen, Vorstellen und Herstellen, Gewissen und Wissen, Seele und Gerät klaffen im Zeitalter der Technokratie immer weiter auseinander. Eine Analyse der herrschenden katastrophalen Disproportion und der völligen Fassungslosigkeit im Bezug auf die monströse Technik wird unter der Uberschrift Die Antiquiertheit des Menschen (1956) vorgenommen. Anders versteht seine Ausführungen als „eine philosophische Anthropologie im Zeitalter der Technokratie" (Antiquiertheit II, 9). Ein angemessenes Bewußtsein für die analogielose „Situation, in der die Menschheit sich selbst auszulöschen imstande ist" (ebd. I, IX), also für seine „potestas annihilationis" (ebd. 219), vermag der Mensch (der „Titan, der verzweifelt wieder Mensch sein will") als für ihn kategorial zu groß, nämlich „überschwellig", nicht zu entwickeln. Er ist in bezug auf die Technik gar nicht mehr Subjekt, die Frage stellt sich vielmehr, was ein anderes Subjekt: „was die Technik aus uns gemacht hat, macht und machen wird" (ebd. 7). Dementsprechend gibt es „eine neue Spielart von Scham (die Scham des Menschen vor seinen ,beschämend perfekten' Geräten)" (ebd. 8). Jede sinnvolle Zweck-Mittel-Relation hat sich verkehrt: „Die Herstellung von Mitteln ist zum Zweck unseres Daseins geworden" (ebd. 251). Anders sieht u.a. die Notwendigkeit einer Ausweitung unserer Vorstellungs-Kapazitäten (ebd. 267-276) und einer „willentlichen Erweiterung unseres Gegenwarts-Horizontes" (ebd. 282ff.). Auf bestürzende Diagnosen folgen bei Anders eher symptomatische Therapievorschläge. 4.6. Hans Jonas. Im „Zeitalter der modo negativo ,allmächtig' gewordenen technischen Zivilisation" (Prinzip 245), also angesichts dessen, „daß die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen ist" (ebd. 7), entwickelt Hans Jonas (1903— 1993) in seinem 1979 erschienenen Buch Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik der technologischen Zivilisation eine bewußt nicht-eschatologische, anti-utopische Ethik (vgl. ebd. 46). Als ihr innerer Impuls erscheint eine auszuarbeitende „Heuristik der Furcht", dergemäß erst aus der vorausgedachten Gefahr sich die zur Lösung der ge-

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genwärtigen Uberlebensprobleme notwendigen ethischen Prinzipien entdecken lassen. Die Präzedenzlosigkeit der gegenwärtigen Situation der Menschheit ergibt sich dabei für Jonas aus der Unumkehrbarkeit der Entwicklung, ihrer globalen Erstreckung und vor allem ihrer Reichweite in entfernte, nicht absehbare Zukunft. In Anbetracht der sich immer deutlicher herausstellenden Verletzlichkeit der Natur ist dabei Hauptauftrag gegenwärtiger Verantwortung als „Fernverantwortung" (ebd. 63) in bezug auf den „robusten Sprößling der Naturwissenschaft", die Technik, vor allem Zügelung, Vermeidung, Grenzsetzung, „Bändigung der irgendwie wildgewordenen Technik" (ebd. 295). Die Bedrohung ist universal, unüberhörbar der Ruf zur Verantwortung. „... ein stummer Appell um Schonung ihrer Integrität scheint von der bedrohten Fülle der Lebenswelt auszugehen" (ebd. 29). Jonas sieht einen Zusammenhang zwischen der Entfesselung der Technik und dem modernen Nihilismus: „Nun zittern wir in der Nacktheit eines Nihilismus, in der größte Macht sich mit größter Leere paart, größtes Können mit geringstem Wissen davon, wozu. Es ist die Frage, ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen ... eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen . . . " (ebd. 57).

Eine religiöse Wiedergewinnung: die des „transzendenten Potentials im Menschen" (Technik 135), will Jonas aufbieten. „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen." (ebd. 218) Es ist schwer zu sehen, wie dieses Programm dem zitierten Einwand Nietzsches (vgl. oben 2.) entgeht. 4.7. Carl Friedrich von Weizsäcker. Kennzeichen der Neuzeit ist für v. Weizsäcker ihre „Machtförmigkeit", ihr „titanischer" Charakter (vgl. Wahrnehmung 19.27; wiederum erscheint die Sprache des Mythos hilfreich zur Benennung der Erscheinung), hervorgerufen von der Entwicklung der modernen mathematischen Naturwissenschaft, dem „harten Kern der Neuzeit" (bei v. Weizsäcker häufig, z.B. ebd. 356). „Macht ist jedoch tragisch" (ebd. 314; vgl. 381). Das weit ausgreifende Denken v. Weizsäckers wird im ganzen von einer Dimension des Tragischen durchzogen. Das System der Ökonomie erweist sich dabei als dem der Technik untergeordnet. „Unsere heutige Kultur ist in der Tat nicht nur nicht asketisch, sondern sie ist bewußt antiasketisch ... Sie ist im Effekt technokratisch, auch dort, wo sie sozialistisch-planwirtschaftlich auftritt: der Wert, der sich durchsetzt, ist der Fortschritt der Technik, auch wo wir in subjektiv ehrlichen Bekenntnissen andere Werte wie individuelle Freiheit oder Solidarität und soziale Gerechtigkeit höher stellen." (Deutlichkeit 57)

Von Weizsäcker sucht nach entsprechenden ethischen Orientierungen. „So stellt sich ... die Frage, ob nicht von uns allen eine grundsätzliche Verweigerung gefordert ist, eine radikale Abwendung von der konsumtiv-technokratischen zu einer asketischen Kultur." (ebd. 59) Das „Problem einer Ethik der technischen Welt" aber liegt in einer Disproportion der Mittel-Zweck-Relation: „Die Grenze der Vernünftigkeit der Technokratie liegt darin, daß die Rationalität der Zwecke der Rationalität der ihnen dienenden Mittel nicht gleichkommt" (ebd. 79). Lösen läßt es sich nach v. Weizsäcker in einem Schritt zum Erwachsenwerden. „Technik als Selbstzweck kann in einer Entwicklungsphase förderlich sein, so wie zur Entstehung der menschlichen Kultur ohne Zweifel der Spieltrieb einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. ... Aber der Mensch kann nicht bestehen, wenn er den Unterschied von Spiel und Ernst nicht begreift: Das nennt man Erwachsensein. Alles zu machen, was technisch möglich ist, ist ein letztlich untechnisches Verhalten, eine Kinderei. Erwachsener Gebrauch der Technik verlangt die Fähigkeit, auf technisch Mögliches zu verzichten, wenn es dem Zweck nicht dient. Es verlangt Selbstbeherrschung. Technik ist als Kulturfaktor nicht möglich ohne die Fähigkeit zur technischen Askese." (ebd. 69; vgl. Garten 101; Zeit 441)

Auf der Linie dieser Auffassung liegen auch die Sätze Eberhard Jüngels: „Der Mensch kann die Gefahren des Produzierens nur wiederum durch Produzieren überwinden. Er kann die Technik nur durch Technik begrenzen" (Jüngel, Entsprechungen 375).

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4.8. Niklas Luhmann. Seinem sich in einer universalen Theorie explizierten Systemdenken gemäß versteht Luhmann Technik als Systemabstraktion unter dem besonderen Gesichtspunkt von Funktionalität, nämlich als „funktionierende Simplifikation im Medium der Kausalität" (Gesellschaft 524; vgl. Risiko 97; Wissenschaft 712) bzw. „effektive Isolierung" (Gesellschaft 524) gegenüber dem „Chaos" gleichzeitiger Prozesse (ebd. 527), also, formal gesehen, als Heraushebung bestimmter Systeme aus bestimmten Umwelten (vgl. ebd. 528; zu Luhmanns Technik-Verständnis in der Mittel-Zweck-Relation vgl. Rohbeck 185-200). Luhmann versteht diesen Vorgang als Entlastung, näherhin als „Entlastung sinnverarbeitender Prozesse des Erlebens und Handelns von der Aufnahme, Formulierung und kommunikativen Explikation aller Sinnbezüge, die impliziert sind" (Luhmann, Macht 71). Abstrahiert wird also vom sinnbedürftigen, lebenden Individuum: von der „Konkretausstattung des Einzelmenschen mit Einstellungen, Interessen, Motiven, Präferenzen — kurz: mit einem lebenden Gedächtnis" (Gesellschaft 712; vgl. 197). Gesehen auf ihren spezifischen funktionellen „Code" stellt sich Technologie sehr einfach dar: sie ist „eine Art der Beobachtung, die etwas unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß es kaputt gehen kann" (ebd. 263). Die Meinung, daß „Eingriffe in die Natur riskanter sind als die Unterlassung solcher Eingriffe", sei ein „kaum mehr vertretbares Vorurteil" (Risiko 96). Notwendig, wenngleich letztlich auch kaum erfolgversprechend, sei vielmehr überall „Zusatztechnologie" als „Technologie der Sicherung technischer Abläufe"; sie „sollte zwar auch noch dem Modell funktionierender Simplifikation genügen, aber sie ... erfordert Technisierungen anderer Art und vor allem Regelsysteme, die menschliche Aufmerksamkeit und menschliches Reaktionsvermögen standardisieren" (ebd. 103). Jedenfalls: eine „Ablösung von Technik" als eine „Umstellung auf andere Außenhalte der Gesellschaft" sei „praktisch ausgeschlossen" (Gesellschaft 532). Luhmann begnügt sich mit der Rolle des Beobachters von Beobachtungen (vgl. Morgensterns Gedicht Vice versa). 5. Einzelne Tendenzen evangelischer

Ethik

Technik „an sich", so W. -»Trillhaas, ist natürlich „nicht verwerflich". Allerdings, so wird im Sinne der Theorie des cultural lag geltend gemacht: „... die Ethik selbst ist nicht mitgewachsen" (Trillhaas 259). Eine diesem Problem angemessene „Freiheit der Verantwortung" (ebd. 260) könnte in Verweigerungen liegen (ebd. 261-263). Doch ist auch Dankbarkeit angesichts der Möglichkeit von „Arbeitszeitverkürzung" angebracht: weil die Technik „dem Menschen so viel an Kraftleistung abnimmt, daß er sich anderen Aufgaben zuwenden kann" (ebd. 263). Zuletzt ist die „Entscheidung des verantwortlichen Einzelnen" gefragt (ebd. 266). Gedacht wiederum in der Mittel-Zweck-Relation sieht Trutz Rendtorff ein Hauptproblem in der „Beherrschbarkeit der Mittel wissenschaftlich-technischen Handelns" (Rendtorff 68). Einseitiger Naturausbeutung durch die Technik sei entgegenzuwirken, Korrekturfähigkeit ein maßgebliches, unbedingt einzuhaltendes Prinzip (ebd. 131-135). Vor allem aber der primäre Kontext ist für das Verständnis des Themas Technik zu berücksichtigen, nämlich „Kultur als Aufgabe der Lebensführung" (ebd. 32ff.). Rendtorff weist darauf hin, „daß Technik nur im Zusammenhang einer von Menschen erzeugten und zu verantwortenden Kultur ihren Ort hat", Ethik aber prinzipiell positiv „für den ethischen Grundsinn der Kultur einzutreten hat, der auch die Technik umfaßt und deswegen der Technikkritik auch keinen prinzipiellen Rang beilegen kann" (ebd. 33). Ein Spezifikum neuzeitlicher Technik, das diese als faktischen Oberbegriff auch von Kultur erscheinen ließe und darum eine Umorientierung in der Zuordnung erforderlich machte, sieht Rendtorff nicht. Zum Beispiel von einem „interkonfessionellen Konsens in der positiven Einschätzung der Technik" (Herms 272), von dem Grundsatz, der „Zuwachs von Erkenntnis" sei „generell ethisch positiv zu bewerten" (ebd. 308) und der homo sapiens sei immer schon der homo faber (ebd. 284), also von solchen Prämissen geht Eilert Herms in seinen

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Überlegungen aus, die Selbstverständlichkeit voraussetzen, wo die wirklich wichtigen Fragen erst zu beginnen hätten. Scharfsinn im Einzelnen verbindet sich mit merkwürdiger Bedenkenlosigkeit im Grundsätzlichen.

6. Technokratie.

Benennung einiger

Vorurteile

D a s entscheidende Vorurteil in bezug auf die Technik läßt sich an der häufig begegnenden Warnung verdeutlichen, Wissenschaft und Technik in ihrer neuzeitlich ausgeprägten Form seien an sich gut oder ambivalent, als solche unverzichtbar und notwendig, dürften sich nur nicht „absolut setzen". D a m i t ist das alles verwirrende Vorurteil schon in K r a f t : vor einer drohenden Gefahr sei zu warnen, das Eintreten eines zutiefst Widrigen abzuwenden, jene mögliche, sich bereits abzeichnende, am Horizont erscheinende Absolutsetzung zu verhindern. Demgegenüber ist zu sehen, daß eben dies, wovor noch gewarnt wird, bereits geschehen ist. Wissenschaft und Technik haben sich bereits absolut gesetzt. Die genannten Warnungen kommen allesamt zu spät. Längst treffen sie nicht mehr die Situation. Es handelt sich um einen Kampf, der im wesentlichen bereits entschieden ist. Die Zeit der Warnungen und Menetekel ist vorbei. Im vollen Gange befindet sich die Abwicklung. Nachdem sich ein immer klarerer Machtwille angemeldet und sein R e c h t beansprucht hat, greift ein weit herkommender Prozeß nunmehr das Ganze an, den Kern (den Atomkern, den Zellkern), die Lebensgrundlagen. Dem entsprechen weit verbreitetes Wissenschaftsvertrauen und Technik-Gläubigkeit. M a n b e k o m m t die verschattete Erscheinung vermutlich am deutlichsten vor Augen, wenn man sie personal denkt, in verhunzter Personalität. Ihrem quasi-subjekthaften C h a r a k t e r gemäß setzt sie sich absolut, der G o t t aus der Maschine. Ein schlangenhaftes System, das im Laufe der Zeit klüger wird, das Einwände aufnimmt, einbaut, ein lernfähiges Gesamtsystem, das geschmeidiger wird, elastisch, das nicht nur hart ist (als Groß-Technik), sondern auch noch sanft, zusätzlich und je nach Bedarf; ein QuasiSubjekt, ausgestattet mit blendender, scharfer Unwiderstehlichkeit, dem ein eigentümliches, unangenehmes Selbstbewußtsein innewohnt, es will unbedingt Recht behalten, es scheint gegen das Leben auf der Erde R e c h t behalten zu wollen; eine Übermacht der Zeit, seine Stunde k o m m t und ist schon da. Überall erscheint maßvolle Kritik erwünscht, sehr bald sind allerdings Schmerzgrenzen erreicht. Immer aber ist zu argwöhnen, daß die Kritik vom Kritisierten gar nicht verschieden ist, ihm gar kein Gegenüber schafft, vielmehr lediglich dessen gern gewährte Variable, dessen eigene, aus sich selbst herausgesetzte, relative Korrekturinstanz und insofern sogar seine Beschleunigungs- und Steigerungsform darstellt. Die vorgebliche Problemlösung ist dann aus demselben Stoff wie das Problem. In Wahrheit sind die wirklichen Ursachen der gegenwärtigen Lage immer noch unbekannt und werden durch voreilige Erklärungen nicht erhellt, sondern nachhaltig verdunkelt. Darin zeigt diese G r ö ß e gerade ihren totalitären Charakter, daß sie keine wesentliche Opposition kennt. Die neuzeitliche Technik weiß anscheinend oder scheinbar von keiner Alternative, jedenfalls duldet sie keine. Sie erklärt sich bei Androhung gewaltiger Zusammenbrüche und mit vorwiegend therapeutischen Verheißungen für unverzichtbar und unaufhaltsam. Kein ernsthaftes Gegenteil ist in Sicht. Alles beim ersten Anschein Dagegenhaltende kann über kurz oder lang integriert und passend gemacht werden. Ein einfaches Setzen auf „Ganzheitlichkeit" k o m m t angesichts jener Absolutsetzung um so weniger in Betracht. Auf dem besten Wege zur Ganzheitlichkeit ist die Technokratie selber. Auch sie fordert das Ganze ein. Ein ausgeprägter Wille zur Einheit, freilich einer spezifischen Homogenität, ist ihr durchaus eigentümlich. Verschiedenheiten, weil sie Wahlfreiheit vorspiegeln, passen sehr gut ins Bild. Ganzheitlichkeit ist in diesem Sinne hochwillkommen, unbedingt zu fördern die Weitläufigkeit in der vollendeten menschlichen Selbstmächtigkeit, in der technologischen Ö k u m e n e (in der man sich überall mühelos verständigen kann). Die Ersetzung des sogenannten linearen durch ein sogenanntes vernetztes Denken kann um so mehr im Zeichen jenes Totalitären stehen —

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ganz ebenso wie der Therapievorschlag, alles mit „Ethik" zu vernetzen oder mit „Verantwortlichkeit". Dabei sind die totalitäre Tendenz und das überall emphatisch beschworene, so beruhigend klingende „offene System" durchaus miteinander vereinbar. Natürlich wirken machtvolle Beschwichtigungszwänge. Die erlauben oder erzwingen z. B., Kritisches als „Kulturkritik" oder „Kulturpessimismus" zu verbuchen und sich auf diese Weise seiner zu entledigen. Das Totalitäre mit seinen das Zeitalter überziehenden Geistern setzt sich zur Wehr. Es wird zunächst von „pauschaler Kritik" und besonders gern von „Verteufelung" sprechen. Die einschlägigen Geister in ihrer meist gutgelaunten Überlegenheit - nur zuweilen führen sie die Instrumente vor - wollen sich begreiflicherweise nicht identifizieren lassen. Besonders die bestialischen, vernichtungsförmigen Geister (z. B. die der Vernichtungstechnologie) werden sich gegebenenfalls bitter beklagen, daß man sie pauschal verteufelt, statt ihre „Chancen und Risiken" abzuschätzen. „Chancen und Risiken", die berühmte „Ambivalenz" (die in der modernen Technik zu erblicken ein kritisches Bewußtsein sich viel zugute hält), gab es auch beim Goldenen Kalb, gibt es selbstverständlich auch bei Mammon; über positive Potentiale, sogar über viel Lebensdienliches, verfügt auch Baal; und bei der Frage von II Kor 6,15, wie Christus mit Belial zusammenstimmt, sind gewiß viele Errungenschaften in die Kosten-Nutzen-Analyse einzubeziehen, Unverzichtbarkeiten, therapeutische Möglichkeiten und so fort, die eben Belial bereithält. Jeder Götze atmet Ambivalenz; ihm nur Negatives zuzuschreiben, verbittet er sich. Jede Größe aus dem Stoff des Soteriologischen hat viel zu bieten, sogar Lebensmittel, sogar Brot, sogar Brot aus Steinen. Ein weiterer Zug der Gegenwehr jenes Absolutistischen läuft darauf hinaus, für angegriffen zu erklären, was gar nicht angegriffen wird. Die Absolutsetzung des Willens zur Macht für verhängnisvoll und tödlich anzusehen, den unbedingten Willen zur Macht, heißt nicht, Macht überhaupt und als solche diskreditieren zu wollen. Nicht Macht als solche ist böse, aber die um ihrer selbst willen gesuchte und akkumulierte Macht, die Macht um der Macht willen. Ihre Utopie aber durchsetzt und formt die neuzeitliche Technik. Kommt es nicht einfach darauf an, die Technik zu meistern, sie zu beherrschen? Nun bildet sich die neuzeitliche Technik in all ihren Machträumen und -bewegungen und -entwürfen selber durch und durch herrschaftsförmig aus, insofern ihre letzte Aufgabe darin besteht, an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit in jedem beliebigen Maße Herrschaft zu verwirklichen, eben Macht an sich aufzuwerfen, die kompletten Zuhandenheiten, Vorräte an geformter Energie. Sie wiederum beherrschen zu wollen würde die Herrschaftsförmigkeit zu neuer selbstreflexiver Dimension befördern. Nicht im geringsten erhebt man sich dann über ihre innere Logik. Vielmehr intensiviert sich die Verstrickung in einem Qualitätssprung. Das unumschränkt, um jeden Preis, soteriologisch Herrschaftsförmige kann dadurch nicht überwunden werden, daß man, um sich vor ihm zu retten, seine Beherrschung betreibt. Der Teufel würde mit Beelzebub ausgetrieben. Der Wille, alles in den Zustand des Beherrschtwerdens zu überführen, würde keineswegs gebrochen, sondern dialektisch gesteigert und auf neuer Ebene um so unwidersprechlicher legitimiert. Dieser Wille macht die furchtbare Gravitation aus, dergemäß alle Einsichten, was die neuzeitliche Technik sei und wie mit ihr umzugehen sei, auf den tiefsten Beweggrund, auf das Grundmotiv zurückfallen: auf das Motiv des unbedingten Willens zur Macht, zum Können, zum Vermögen, zur Gestaltung, zur Regie. Diese Gravitationskraft muß als ebenso unmerklich wie wahllos gewalttätig gelten. Sie legt nahe und macht nahezu unwiderstehlich, auf das Machbare zu setzen und auf das Weitermachen zurückzukommen. Das sogenannte Pragmatische und sein unerhörtes Pathos ist selber das Ideologische. Im Weitermachen scheint die eigentliche Resignation zu liegen. Die „Meisterung" der Technik zu betreiben jedenfalls heißt, auf neuer Stufe der Bewußtheit unbeirrt fortzufahren: Technokratie nämlich noch vieldimensionaler und unwiderstehlicher auszugestalten.

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Das instrumentale Verständnis der neuzeitlichen Technik gehört zu den hartnäckigsten Vorurteilen. Heidegger ist ihm, wie dargestellt, früh entgegengetreten. Genützt hat es nicht. Die selbstverständliche Geltung dieser Anschauung ist auch komfortabel: man hat dann nämlich immer schon so verstanden, daß weitergemacht werden, die Grundrichtung verhalten oder entschlossen fortgesetzt werden kann. Immer wieder läßt die genannte hermeneutische Gravitation auf die Vormeinung zurückfallen, das Problem der neuzeitlichen Technik bestehe darin, Geräte, Werkzeuge, Instrumente, Mittel richtig („verantwortlich") zu gebrauchen. Daß sich aber die „Grundstellung" neu verfaßt, heißt, daß der Mensch auf eine veränderte Weise in der 'Welt ist. Sein Weltumgang im ganzen erfährt eine Verwandlung, aber auch umgekehrt: die Welt im ganzen begegnet ihm anders als vorher. Diskontinuität ist bis in den Grund zu denken. Als „neuzeitliche Technik" kommt in Betracht: eine Gesamterscheinung, die Form, nach der sich die Phänomene ausrichten, der Umkreis eines Zentrums, von dem aus sich nicht nur die Realitäten ändern, sondern auch die hergebrachten Wörter und Bezeichnungen unscharf werden. Aus veränderten Grundbedingungen erwächst dann auch die gewaltige Steigerung in der Fähigkeit, nützlich erscheinende Werkzeuge herzustellen. Das hier innerhalb aller Außen- und Innenhorizonte waltende Gesetz wäre verkannt, wenn man, wie herkömmlich, behauptete: der Mensch hat eben gelernt, seine Mittel, seine Instrumente, das Handwerkszeug enorm zu verbessern. Die neuzeitliche Technik erklärte sich dann (aber im Grunde gäbe es dann nicht viel zu erklären) als die kontinuierliche Weiterentwicklung des frühmenschlichen Werkzeuggebrauchs. Heidegger erweist das instrumentale Technikverständnis als hilflos vordergründig. Das Entscheidende bleibt unberücksichtigt, die Erscheinung im ganzen darum zutiefst unverstanden. In Wahrheit handelt es sich um tiefe Differenzen in der Phänomenalität selber, in dem, was erscheint und einleuchtet. Energisch muß nach einer so gefährlichen und giftigen Erscheinung wie Wissenschafts- und Technik-Gläubigkeit gefragt werden, nach Wissenschaft und Technik als Religion, nach unmerklichen Absolutheiten, nach Großzwangsläufigkeiten und dem als unaufhaltsam Ausgegebenen. Was wirkliche Technokratie bedeutet: wie sie ins Tödliche ausläuft, wie Freiheit Zug um Zug an sie abgetreten wird, wie es ihr gemäß immer eindeutiger nur eine Richtung gibt, in der überhaupt gewollt werden kann, ist immer noch erklärungsbedürftig. Literatur 1.

Lexikonartikel

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Michael Trowitzsch

Te Deum

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Te Deum 1. Text und Uberlieferung 2. Datierung und Verfasserschaft 4. Gebrauch, Verbreitung und Einfluß (Quellen/Literatur S. 27)

1. Text und

3. Stil, Bau und Vertonung

Überlieferung

Der Titel des Hymnus Te Deum ist abgeleitet von den ersten Worten der ersten Zeile. In vielen Handschriften erscheint der Hymnus ohne Titel, in anderen wird er als Hymnus Ambrosianus, Ymnus matutinalis, Hymnus et oratio in laude domini, Hymnus in honorem sanctae Trinitatis, Laus Angelica oder nur Ymnus (Wordsworth 1122) bezeichnet. Die ältesten handschriftlichen Bezeugungen des Te Deum verteilen sich auf mindestens drei verschiedene Textfassungen (die mozarabische, die Mailänder, die irische); hinzu kommt die sog. „gewöhnliche Fassung" (der „Textus receptus"). Letztere wird u.a. vertreten durch den ehemals der Königin Christina von Schweden gehörenden Psalter Vat. Reg. Lat. 11 (8. Jh.) und die Handschrift 1861 der Österreichischen Staatsbibliothek in Wien (8. Jh.; Frost, Received Text 59ff.). Die „Mailänder" Fassung findet sich im Cod. Clm 343 der Münchener Staatsbibliothek (10. Jh.), im Cod. Vat. Lat. 83 (ca. 1000) und in weiteren Handschriften (Frost, Milan Text 192ff.). Die „irische" Fassung wird durch das berühmte Antiphonar von Bangor (Mailand, Bibl. Ambr. C.5 inf., aus dem späten 7. Jh.) und eine heute in Turin verwahrte fragmentarische Handschrift (Bibl. Naz. Univ., F.4.1 [7. Jh.]) u.a. vertreten (Auflistung der Handschriften bei Frost, Irish Text 138). Als „mozarabische" Fassung kann der Text des Te Deum in der Handschrift Madrid, Bibl. Nac., 10001; Hh 69 angesehen werden (Frost, Two Texts, 388-390). Zu den hauptsächlichen textkritischen Problemstellen gehört V. 16, wo die Entscheidung zwischen den Lesungen suscepturus und suscepisti schwerfällt, auch wenn die erste Lesung bereits Cyprian von Toulon (gest. 546) geläufig war. Eines der umstrittensten Wörter im Te Deum ist munerari in V. 21, das sich in den meisten der frühen Handschriften findet. Diese lectio difficilior ist eindeutig der Lesung numerari vorzuziehen (die Verwechslung ist aufgrund der Ähnlichkeit des Schriftbildes leicht erklärbar). Die Lesung numerari hat jedoch weite Verbreitung gefunden, seit sie im späten 15. Jh. in Druckausgaben des Breviers (-»Gebetbücher) aufgenommen wurde, und ist bis heute die in vielen Hymnensammlungen bevorzugte Lesung (Burn, Hymn 12f.). Zu beachten ist schließlich, daß die Handschriften in den abschließenden Versen des Te Deum (V. 22 - 29) auffällig voneinander abweichen. Diese Verwirrung macht es sehr wahrscheinlich, daß V. 21 (wie in London, British Museum, Harl. 7653) einst der letzte Vers des Hymnus war. Burn (The Hymn Te Deum 15ff.) hat angenommen, die V.22 und 23 haben in der gallischen Kirche als capitellum gedient. Frost hat vermutet, die Verse seien dem Te Deum in Spanien zugefügt worden, „als es von Irland dorthin gelangte" (Notes 254). Die V. 24 und 25 erscheinen erstmals im Antiphonar von Bangor und dem oben erwähnten Turiner Fragment. Es ist vermutet worden,, daß der erste Teil des Te Deum ursprünglich griechisch abgefaßt gewesen sei (Baumstark weist auf eine Anzahl von Parallelen zu griechischen Abendhymnen hin), und einige Handschriften des 9. oder 10. Jh. bieten die ersten elf oder zwölf Verse des Hymnus in griechischer Fassung; dabei aber handelt es sich eindeutig um Übersetzungen einer lateinischen Vorlage, die möglicherweise von griechischsprechenden Mönchen aus St. Gallen stammen und nicht auf ein früheres griechisches Original zurückgehen (Burn, Niceta cxxii).

2. Datierung und

Verfasserschaft

Die meisten ältesten Handschriften nennen für das Te Deum keinen Verfasser. Die zweifellos beliebteste und farbigste Geschichte über seine Entstehung besagt, -»Ambrosius und —»Augustinus hätten es anläßlich der Taufe des Augustinus in -»-Mailand aus dem Stegreif verfaßt. Diese Überlieferung läßt sich mit Sicherheit bis auf Handschriften des späten 8. und 9.Jh. zurückverfolgen (z.B. Wien, Österreichische Staatsbibl. 1861, und Sankt Gallen, Stiftsbibl. 23 und 27). Im Lauf der Jahre kamen weitere Anwärter auf die Verfasserschaft hinzu: -»Hilarius von Poitiers (985 von Abbo von Fleury genannt), ein Mönch namens Sisebut, wahrscheinlich aus Monte Cassino, und Abundius von Como. Aber es war die Geschichte der improvisierten Abfassung durch Ambrosius und Augustinus, die sich in der Vorstellung weiterer Kreise bis in die frühe Neuzeit

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Te Deum

halten konnte. M. -»Luther rechnete (jedoch nicht unkritisch) noch 1530 mit ihrer Verfasserschaft (Kahler 137). Es überrascht nicht, daß die kritische Arbeit des 19. und 20. Jh. die Vorstellung zurückgewiesen hat, die beiden großen lateinischen Kirchenlehrer hätten irgend etwas mit der Abfassung des Te Deum zu tun. Einige Forscher haben statt dessen die Verfasserfrage schlicht für nicht beantwortbar gehalten. Wie andere liturgische Texte hohen Alters ist ihrer Meinung nach auch das Te Deum möglicherweise einfach gewachsen und nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt als Werk eines oder zweier individueller Verfasser entstanden. P. Cagin hat angenommen, das Te Deum sei eucharistischen Ursprungs, und E. Kahler hat vermutet, es sei im Zusammenhang der Osterfeier (-»Ostern/Osterfest/ Osterpredigt) als Teil der Messe für die Neugetauften entstanden. Andere wiederum sind entschieden für die Annahme eines bestimmten Verfassers eingetreten und haben die Abfassung dem Bischof —»Nicetas von Remesiana zugeschrieben. Der Name Nicetas oder Varianten wie Nicetus oder Nicetius (zur Form des Namens s. Burn, Niceta xxxiv) begegnet in rund einem Dutzend Handschriften aus der Zeit seit dem 10. Jh. In einer Reihe von Beiträgen aus den 90er Jahren des 19. Jh. hat G.Morin die Annahme verfochten, Nicetas von Remesiana sei der Verfasser des Te Deum. Nicetas war zwar ein bei den Christen der Spätantike beliebter Name - in Vienne (-»Frankreich), -»Trier und Aquileia (-»Italien) begegnen Geistliche mit dem Namen Nicetus oder Nicetius oder Nicetas —, doch für Morin gab es einsichtige Gründe, an Nicetas von Remesiana zu denken; denn es ist bekannt, daß er sich mit der Abfassung von Psalmen und -»Hymnen beschäftigt hat. Er hat eine Abhandlung De psalmodiae bono geschrieben, und -»Paulinus von Nola hat seine Befähigung als Hymnendichter bewundert. Er wollte, daß Nicetas die Kirche des heiligen Felix in Nola „mit Psalmengesang und Hymnen" besuchte, und malte sich aus, wie er bei der Überfahrt über die Adria den Matrosen beibrächte, im Chor Hymnen zu singen (Carm. 27,193ff.). Morins Annahme fand sofort Anklang und wurde von angesehenen Kirchengeschichtlern wie Th. v. -»Zahn und F. Kattenbusch aufgenommen. Einen besonders engagierten Verfechter fand sie in dem englischen Forscher A.E.Burn. Doch 1958 legte E. Kahler eine abschließende Untersuchung der Verfasserfrage vor und ging dabei insbesondere den wörtlichen Parallelen nach, die nach Burns Auffassung zwischen den sicher echten Schriften des Nicetas und dem Te Deum bestehen sollten. Burn nimmt z. B. an, die Stelle: sedes, dominationes, universae caelorum virtutes bei Nicetas, De sytnbolo 7, habe eine Parallele in tibi omnes angeli tibi caeli et universae potestates im Te Deum. Tatsächlich allerdings zeigt die Stelle in De Sytnbolo 7 eher eine engere Berührung mit einer anderen Stelle derselben Abhandlung (10): Angeli, virtutes, potestates supernae, und es ist durchaus möglich, daß Kol 1,16 sive throni sive dominationes sive principatus sive potestates letztlich die gemeinsame Quelle der angeführten Stellen ist. Kahler hat 21 der „Parallelen" von Burn überprüft und verworfen und hält in seinen abschließenden Bemerkungen nachdrücklich fest: „Aus den Texten kann jedenfalls nicht bewiesen werden, daß Nicetas von Remesiana irgend etwas mit dem Te Deum zu tun gehabt hat," und: „Ebensowenig wie Nicetas von Remesiana als Verfasser oder Redaktor des Te Deum geltend gemacht werden kann, ist dies für einen anderen der mit dem Te Deum verbundenen Namen möglich" (Kahler 130). Kählers Einspruch findet allgemein immer noch Beachtung, und die Verfasserfrage ist seit den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren des 20. Jh. kaum mehr ernsthaft diskutiert worden. In einigen der Hymnensammlungen, die das Te Deum noch enthalten, wird Nicetas zwar als Verfasser genannt, aber mit einem Fragezeichen hinter seinem Namen. Kähler war sich bewußt, daß eine Erklärung für das Eindringen des Namens Nicetas in die handschriftliche Überlieferung das Gewicht seiner Argumente stärken würde. Die Ausbildung der frommen Legende über Ambrosius und Augustin ist leicht zu verstehen. Auch -»Hilarius, dessen Name in mindestens zwei Handschriften auftaucht, war als Hymnendichter berühmt und konnte daher als einleuchtender Anwärter auf die Verfasserschaft gelten. (Daß in der späteren Überlieferung auch der Name eines Abundius oder eines Sisebut auftaucht, überrascht mehr.) Obwohl Nicetas von Remesiana ein

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Zeitgenosse von Ambrosius und Augustin war, war er doch längst nicht so berühmt. Er soll Hymnen geschrieben haben, aber diese sind nicht erhalten, und seine überkommenen Werke haben keine Wirkung ausgeübt. In neuester Zeit hat C.P.E. Springer vorgeschlagen, „Nicetas" (oder seine Abwandlungen) nicht als Eigennamen zu verstehen, sondern als ungeschickte Transliteration des griechischen viKrjrrjc;. In seiner ursprünglichen F o r m hätte das W o r t d e m n a c h nicht den Verfasser des Gedichts bezeichnet, sondern den, dem es gewidmet war, a m ehesten in der Dativform reo viKtjxfj (dem Sieger). Das Auftreten von Nicetas als Eigenname in Handschriften des 10. J h . könnte dann darauf zurückgeführt werden, daß ein Ubersetzer nicht verstanden hat, daß das W o r t in seiner Vorlage ein griechisches Appellativ und kein Eigenname war. Widmungen im Dativ sind in der antiken Literatur keineswegs selten (s. Pindars Oden), und in der Dichtung der Bibel gibt es noch nähere Vorbilder. In der Ubersetzung des Hieronymus wie auch in einigen F o r m e n der Vetus Latina beginnt eine Anzahl von Psalmen mit der W i d m u n g victori, und Aquila übersetzt die hebräische Vorlage regelmäßig mit viKonoiä, ein W o r t , das -»Origenes in seinem K o m m e n t a r zu Ps 4 (PG 1 2 , 1 1 3 2 f . ) mit Christus identifiziert. O b w o h l es viele Sieger gibt, denen dieser H y m n u s gewidmet sein könnte, ist es a m wahrscheinlichsten, daß das Te Deum Christus, der nicht selten in der frühchristlichen Literatur dieses Beiwort erhält (vgl. Ambrosius' K o m m e n t a r zu Lukas [ C C h r . S L 14,376]), zu ehren beabsichtigt.

Schließlich sollte erwähnt werden, daß in der Verfasserfrage auch eine „Kompromißposition" vertreten wird. Ihr zufolge könnte Nicetas etwas mit der Endredaktion und Verbreitung des Te Deum zu tun gehabt, es aber nicht eigentlich verfaßt haben. Tatsächlich spricht sehr viel dafür, daß der erste Teil des Te Deum lange vor dem Ende des 4. oder Anfang des 5. Jh. (der Wirkungszeit des Nicetas von Remesiana) bestanden hat. K. Gamber hat vermutet, daß ein Hinweis -»Tertullians (De orat. 3) auf das dreifache —»Sanctus tatsächlich auf sein Vorkommen im Te Deum anspielt, da das dreifache Sanctus im Westen erst viel später in die Meßliturgie eingeführt worden ist. Auch in -•Cyprians De Mortalitate 26 begegnet eine Stelle, die auffällige Ähnlichkeiten mit dem Wortlaut der ersten Zeilen des Te Deum aufweist: Illic apostolorum gloriosus chorus, / illic prophetarum exultantium numerus, / illic martyrum innumerabilis populus ... Wenn, wie Gamber vermutet, eine „erste Ausbildung" des Te Deum (mit Nordafrika als Herkunftsort) bereits im 2. Jh. bestanden hat, kommt zwar Nicetas nicht als Verfasser des Hymnus in Betracht, doch er könnte einige Jahrhunderte später eine wichtige Rolle bei seiner endgültigen Ausformung und für seine weite kirchliche Verbreitung gespielt haben. 3. Stil, Bau und

Vertonung

Obwohl das Te Deum gemeinhin als Hymnus bezeichnet wird* hat es nicht die typische Versstruktur der Kompositionen des Ambrosius (acht Vierzeiler). Es hat auch nicht die sich mehr an die klassische Literatur anlehnenden Merkmale der Tageszeithymnen des Uber Cathemerinon des —»Prudentius oder die vorhersagbaren iambischen Dimeter, die in ambrosianischen Hymnen verwendet werden. Präziser wäre es, von „rhythmischer Prosa" zu sprechen, um die auf Akzent basierenden Kadenzen dieser Komposition zu beschreiben, eine Erscheinung, die auch als cursus leoninus beschrieben wird (Burn, Niceta eix-exii). Die „gewöhnliche Fassung" des Hymnus hat einen erkennbaren Aufbau. Wenn zum Beispiel das Te Deum, wie es öfters geschieht (Wordsworth 1120f.), in 29 Zeilen unterteilt wird, steht die Zeile Tu patris sempiternus es filius genau in der Mitte, in der 15. Zeile. Die zentrale Bedeutung dieser Worte in ihrer Ausrichtung auf den Sohn könnte die oben angesprochene Vermutung bestärken, daß der Hymnus dem siegreichen Christus gewidmet war. In der Tat können die ersten Worte des Te Deum nicht auf den dreieinigen Gott (-»Trinität) oder Gott Vater, sondern müssen speziell auf Christus bezogen werden, der (vielleicht polemisch) als Gott angesprochen wird: „Wir preisen dich als Gott". Wir wissen aus dem Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan, daß im frühen 2. Jh. Hymnen an Christus als Gott gerichtet wurden (Plinius, ep. X , 96). (Diese Ausrichtung

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Te Deum

auf Christus als Gott in den ersten Zeilen wird freilich in den späteren Teilen, die den „Vater einer grenzenlosen Majestät" anreden, nicht durchgehalten; doch es ist gut möglich, daß die ersten Verse schon als unabhängige christologische Einheit bestanden, bevor sie mit andern Elementen des Hymnus zu der überkommenen Gestalt des Te Deum zusammengefügt wurden.) In der überlieferten Form kann das Te Deum in drei Teile gegliedert werden, ein Aufbau mit deutlichen trinitarischen Bezügen. Der Hymnus beginnt mit dem Lob Gottes in seiner himmlischen Herrlichkeit (Z. 1 - 1 3 ) , dann zählt er im Stil des Glaubensbekenntnisses das Heilshandeln des Sohnes auf (Z. 14-19) und endet mit einem Gebet (Z.20-29), in dem der Heilige Geist (s. Rom 8,26f.) dem Gläubigen beisteht. Auch die Entwicklung von der Ewigkeit zur Gegenwart deutet auf eine Einheit hin, die die verschiedenen Teile der Komposition verbindet. Das Te Deum beginnt im Himmel mit dem unablässigen Lob der Cherubim und Seraphim, steigt in der geschichtlichen Fleischwerdung des Sohnes auf die Erde nieder und endet mit Bitten um göttlichen Beistand in der täglichen Lebensführung (per singulos dies). Diese zusammenschließenden Merkmale des Aufbaus könnten natürlich auch das Werk eines Redaktors sein, der die verschiedenen Teile zusammengefügt hat. Wenn die ersten 21 Zeilen des Te Deum die „Originalfassung" des Hymnus darstellen, so kann man auch in ihnen einen dreigliedrigen Aufbau mit je sieben Zeilen pro Abschnitt erkennen. Ein hervorstechendes durchgängiges und zusammenschließendes Merkmal dieser drei Strophen sind, wie Jannsens gezeigt hat, die sich wiederholenden Formen des Pronomens tu. Seine betonte Stellung im lateinischen Text (am Anfang der Zeile) kommt in den volkssprachlichen Übersetzungen selten zur Geltung. F. Potts (2 Anm. 1) entsprechende Beobachtungen zur englischen Übersetzung haben nichts an Bedeutung verloren: „Das Pronomen Te, Tibi, Tu, das im Lateinischen in jeder Zeile, in der es überhaupt vorkommt, bis hin zur einundzwanzigsten so betont an erster Stelle steht und damit zeigt, daß der Geist und die Seele des Betenden ganz auf das göttliche Objekt seiner Andacht konzentriert ist, ist durch den Übersetzer, der seine Stellung viel freier abgewandelt hat, als es ein idiomatisches Englisch erfordert hätte, und offenbar nicht sah, was damit verloren ging, seiner Ausdruckskraft beraubt worden." Aussagen zur ursprünglichen Melodie des Te Deum sind schwierig, da die erste Handschrift mit Notation viel jünger ist als die Komposition des Hymnus. Die Vertonung ist von einigen Autoren Nicetas selber zugeschrieben worden (Huglo 954). Offensichtlich entstammt die Melodie des ersten Teils einer vorgregorianischen Quelle, während der zweite Teil dem gregorianischen Psalmton IV gleicht (Wordsworth 1130).

4. Gebrauch,

Verbreitung und Einfluß

Mitte des 6. Jh. konnte Bischof Cyprian von Toulon beteuern, daß das Te Deum „überall in der ganzen Welt" bekannt sei [MGH, Epist. 3,434-436]. Die erste eindeutige Erwähnung des Hymnus findet sich bei -»Caesarius von Arles, der vorschrieb, daß er wöchentlich gesungen werden solle. -»Benedikt von Nursia sah das Singen des Te Deum in seiner berühmten Regel (—»Benediktusregel) für den Sonntag und die Vigil (—»Stundengebet) vor, und wir wissen, daß Bischof Aurelian von Arles (ca. 521-551) in seinen beiden Regeln das Te Deum omni Sabbato ad matutinos (für jeden Samstag zu den Matutinen) angeordnet hat. In der —»Römisch-katholischen Kirche ist der Hymnus regulärer Teil der Matutin; er wird am Ende des Gottesdienstes gesungen „zu jeder Zeit und Jahreszeit, in der das Gloria in der Messe verwendet wird" (vgl. Huglo 954f.). Nach dem anglikanischen —*Book of Common Prayer wird er während des Frühgottesdienstes gesungen. Häufig ist er auch bei besonders feierlichen öffentlichen Anlässen wie Königskrönungen, Papstwahlen oder zum Abschluß eines Konzils verwendet worden. In -»Bayern wurde er am Festtag des Königs und der Königin gesungen, und in Frankreich wurde er nach der Firmung und Erstkommunion verwendet (Wordsworth 1130). Die „Marseillaise der Kirche", wie er genannt wurde (Gerhards 65), ist so bekannt, daß er sogar zu Nachahmungen und Parodien Anlaß gegeben hat. Im späten Mittelalter

Te Deum

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entstanden ein Te matrem Dei laudatnus (-»Bonaventura zugeschrieben) und ein Te Mariani laudatnus (Vat. lat. 10000, f.202r; s. Frost, Adaption 196-198), und die Gegenreformation (-» Katholische Reform und Gegenreformation) hat ein Te Lutherum damnamus hervorgebracht (zu einer im 9. Jh. in Fulda entstandenen Fassung des Te Deum in lateinischen Hexametern s. Burn, Niceta cxxiv). Eine deutsche Übersetzung gab es bereits im 9. Jh. (Oxford, Bodleian Library, Junius 25), und schon vor der berühmten Übersetzung Luthers für Joseph Klugs -»Gesangbuch (1529) gab es eine deutsche Prosaversion und eine Übersetzung ins Niederdeutsche. Obwohl Luther den Hymnus als „das drit Symbolon oder Bekentnis" (WA 50,265) hoch schätzte, und trotz seines ausdrücklichen Wunsches einer Weiterverwendung des Te Deum, haben seine eigenen Neubearbeitungen nicht die anhaltende Beliebtheit von Ignaz Franz' (1719-1790) „Großer Gott wir loben Dich", dem sog. „deutschen Te Deum", oder von Martin Rinckarts (1586-1649) „Nun danket alle Gott" erreicht. Es gab auch frühe Übersetzungen ins Altfranzösische, Kymrische und Altenglische. Die englische Fassung des Te Deum, die sich im Book of Common Frayer findet, könnte durchaus unmittelbar auf Th.W. -»Cranmer zurückgehen (Wordsworth 1128). W. -»Shakespeare erwähnt das Singen des Te Deum nach einem Sieg: „Laßt uns alle heiligen Riten ausführen. Ein Non nobis und ein Te Deum soll gesungen werden" (Heinrich V., 4. Akt, Szene 8). Papst -»Gregor XIII. befahl, es nach dem Massaker der Bartholomäusnacht zu singen (-»Hugenotten 1.3.). Viele Komponisten versuchten sich in polyphonen, klassischen oder romantischen Vertonungen des Hymnus, darunter -»Palestrina, Henry Purcell (1659-1695), -»Händel (der eine seiner Fassungen zur Feier des Sieges von Dettingen schrieb), Alessandro Scarlatti (1660-1725), Franz Joseph Haydn (1732-1809), Johann Michael Haydn (17371806), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Hector Berlioz (1803-1869), Anton Bruckner (1824-1896), Giuseppe Verdi (1813-1901), Zoltân Kodâly (1882-1967), Benjamin Britten (1913-1976) und zuletzt Arvo Pärt (geb. 1935). Noch heute hat das Te Deum einen Ort in den Liturgien der anglikanischen (und episkopalistischen), lutherischen und römisch-katholischen Kirche, obwohl es sichtlich nicht mehr so beliebt ist wie früher. Während das Te Deum in den griechischsprechenden Kirchen, in denen sein Platz vom Akathistos-Hymnos (-»Hymnen) eingenommen wurde, nie regelmäßige Verwendung fand, wurde es in -»Rußland in molebni (kurzen Dankgottesdiensten) gesungen und „Gesang des Ambrosius" genannt (Wordsworth 1129). Quellen Andrew E. Burn, Niceta of Remesiana. His Life and Works, Cambridge 1 9 0 5 , 8 3 - 9 1 . - H e r m a n n Adalbert Daniel, Thesaurus hymnologicus, Leipzig, II 2 1862, 270ff. - Maurice Frost, The Irish Text of the Te Deum: CQR 102 (1926) 1 3 6 - 1 4 1 . - Ders., Two Texts of the Te Deum Laudamus: JThS 39 (1938) 3 8 8 - 3 9 1 . - Ders., Adaptations of the Te Deum Laudamus: JThS 42 (1941) 1 9 5 - 1 9 8 . - Ders., Te Deum Laudamus. The Received Text: JThS 43 (1942) 5 9 - 6 8 . - Ders., The Milan Text: JThS 43 (1942) 1 9 2 - 1 9 4 . - William A. Merrill, Latin Hymns, Boston 1904, 6f. - John Wordsworth, Art. Te Deum: A Dictionary of Hymnology, hg. v. John Julian, rev. Ed., London 1907, 1120-1134. Literatur Albino de Almeida Matos, El problema del autor del Te Deum: HispSac 20 (1967) 3 - 3 1 . Antonio Barbuto, La protesta l'utopia lo scacco. Il Te Deum de' Calabresi di Gian Lorenzo Cardone, Rom 1975. - Wilhelm Baumker, Das dt. Te Deum: KMJ 25 (1900) 8 8 - 9 3 . - Anton Baumstark, Te Deum u. eine Gruppe griech. Abendhymnen: OrChr 34 (1937) 1 - 2 6 . - Stevenson A. Blackwood, Te Deum Laudamus, London 1892. - Gisela Brandt, Te Deum laudamus. Der Rostocker Reformator Joachim Stüter als Ubers, u. Vermittler v. Müntzertexten: Zs. f. Germanistik 1 (1991) 2 8 0 - 2 9 8 . - Johannes Brinktrine, Eine auffallende Lesart in der Mozarabischen Rez. des Te Deum: EL 64 (1950) 3 4 9 - 3 5 1 . - Andrew E. Burn, The Hymn Te Deum and its Author, London 1926. - Ders., Intr. to the Creeds and to the Te Deum, London 1899. - Ders., Niceta of Remesiana (s.o. bei Quellen) xcvii-cxxv. - Paul Cagin, L'euchologie latine étudiée dans la tradition de ses formules et de ses formulaires. I. Te Deum ou illatio?, Solesmes 1906. - Camillus Callewaert, De Hymno Te Deum: EL 41 (1927) 2 4 - 2 8 . - Michèle Fogel, Le Système d'information ritualisée de l'absolutisme

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Teilhard de C h a r d i n

français. Lettres royales et mandements épiscopaux ordonnant le Te Deum pour les victoires et la paix X V I I è - X V I I I è siècles: Le Journalisme d'Ancien Régime. Questions et propositions, Lyon 1 9 8 2 , 1 4 1 - 1 4 9 . - Maurice Frost, Notes on the Te Deum: J T h S 34 (1933) 250 - 257. - Klaus Gamber, Das Te Deum u. sein Autor: RBen 74 (1964) 3 1 8 - 3 2 1 . - Albert Gerhards, Te Deum laudamus Die Marseillaise der Kirche?: L J 40 (1990) 6 5 - 7 9 . - Ders./Friedrich Lurz, Art. Te Deum: L T h K 3 9 (2000) 1 3 0 6 - 1 3 0 8 . - Edgar Gibson, T h e Te Deum: C Q R 18 (1884) 1 - 2 7 . - Toivo Harjunpää, Niceta of Remesiana and the Te Deum: Nova et Vetera. FS Martti Parvio, hg. v. Olavi Rimpiläinen, Helsinki 1978, 7 3 - 1 0 3 . - Michel Huglo, Art. Te Deum: N C E 13 (1967) 954f. - A. Jannsens, Les structures symétriques du Te Deum: QLP 47 (1966) 3 6 - 4 6 . - Joseph Jungmann, Quos pretioso sanguine redemisti: Z K T h 61 (1937) 1 0 5 - 1 0 7 . - Ernst Kahler, Stud, zum Te Deum u. zur Gesch. des 24. Psalms in der alten Kirche, Göttingen 1958. - Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol, Leipzig 1894, bes. 4 0 3 - 4 0 7 . - Johann Kayser, Beitr. zur Gesch. u. Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Paderborn, I 2 1881, 4 3 5 - 4 5 8 . - Winfried Kirsch, Art. Te Deum: L T h K 2 9 (1964) 1336f. - Heinrich A. Koestlin, Art. Te Deum: R E 19 (1907) 4 6 4 - 4 6 9 . - Henri Leclercq, Art. Te Deum: D A C L 15,2 (1953) 2 0 2 8 - 2 0 4 8 . - John W. Legg, Some Imitations of the Te Deum, London 1891. - Walter Lipphardt, Das Te Deum: Z K M u 72 (1952) 2 1 9 - 222. - Jean Magne, Carmina Christo. Le Te Deum: E L 100 (1986) 1 1 5 - 1 3 7 . - Ruth Maringer, Der Ambrosianische Lobgesang: Hansjakob Becker/Rainer Kaczynski (Hg.), Liturgie u. Dichtung, St. Ottilien, I 1983, 2 7 5 - 3 0 1 . Catherine McKenna, Secular and Christian Tradition in the Religious Poetry of the Beirdd y Tywysogion: Papers on Language and Literature 17 (1981) 1 1 5 - 1 3 8 . - Vincenzo Messana, Quelques remarques sur la liturgie du chant selon Nicétas de Remesiana: EL 102 (1988) 1 3 8 - 1 4 4 . - Germain Morin, Notes additionnelles à l'étude sur l'auteur du Te Deum: RBen 11 (1894) 3 3 7 - 3 4 5 . - Ders., Nouvelles recherches sur l'auteur du Te Deum: ebd. 4 9 - 7 7 . - Ders., L'auteur du Te Deum: RBen 7 (1890) 1 5 1 - 1 5 9 . - Ders., Le Te Deum, type anonyme d'anaphore latine préhistorique?: RBen 24 (1907) 1 8 0 - 223. - Wilhelm A. Patin, Niceta v. Remesiana als Schriftsteller u. Theologe, München 1909. - Francis Pott, T h e Hymn Te Deum Laudamus, London 1884. - Antonio Ruiz de Elvira, Suscepturus en el Te Deum: C F C 5 (1993) 1 0 5 - 1 0 7 . - Manlio Simonetti, Studi sull'innologia popolare cristiana dei primi secoli, 1952 (AAL.M Ser. 8 4/6) 478 - 4 8 1 . - Carl P.E. Springer, Nicetas and the Authorship of the Te Deum: StPatr 30 (1997) 3 2 5 - 3 3 1 . - E b e n e z e r Thompson, A Vindication of the Hymn Te Deum laudamus, London 1858. - Eric Werner, Das Te Deum u. seine Hintergründe: J L H 25 (1981) 6 9 - 8 2 . - John Wordsworth, T h e Te Deum, its Structure and Meaning and its Musical Setting and Rendering, London 1902 2 1903. - Ders., Art. Te Deum (s.o. bei Quellen). Sabine Z a k , Das Te Deum als Huldigungsgesang: H J 102 (1982) 1 - 3 2 . C a r l P.E. Springer

Tefilla - » G e b e t , - » G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e ,

-»Vaterunser

Tefillin - » R i t u s

T e i l h a r d de C h a r d i n , Pierre 1. Leben 1.

2. Werk

(1881-1955)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 31)

Leben

M a r i e - J o s e p h Pierre Teilhard de C h a r d i n w u r d e a m 1. M a i 1 8 8 1 a u f Schloß S a r c e n a t bei C l e r m o n t - F e r r a n d g e b o r e n , t r a t 1 8 9 9 in A i x - e n - P r o v e n c e in den Jesuitenorden ein, w u r d e 1 9 1 1 z u m Priester geweiht und begann 1 9 1 2 das S t u d i u m der G e o l o g i e und P a läontologie in Paris. 1 9 1 5 bis 1 9 1 9 leistete er Kriegsdienst als Sanitäter und verfaßte a n der F r o n t a b 1 9 1 6 die p o s t u m in den Écrits

du temps

de la guerre

(Œuvres XII) gesam-

melten Schriften. N a c h der P r o m o t i o n w u r d e Teilhard 1 9 2 2 a u ß e r o r d e n t l i c h e r Professor für Geologie a m Institut C a t h o l i q u e in Paris, 1 9 2 3 / 2 4 folgte die erste Forschungsreise n a c h C h i n a . A u f g r u n d seiner Kritik a m M o n o g e n i s m u s und an der kirchlichen E r b s ü n denlehre, wegen pantheistischer Tendenzen, seines Eintretens für die Evolutionslehre und seiner Verteidigung des T r a n s f o r m i s m u s m u ß t e T e i l h a r d seine L e h r t ä t i g k e i t , 1 9 2 6

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Teilhard de C h a r d i n

français. Lettres royales et mandements épiscopaux ordonnant le Te Deum pour les victoires et la paix X V I I è - X V I I I è siècles: Le Journalisme d'Ancien Régime. Questions et propositions, Lyon 1 9 8 2 , 1 4 1 - 1 4 9 . - Maurice Frost, Notes on the Te Deum: J T h S 34 (1933) 250 - 257. - Klaus Gamber, Das Te Deum u. sein Autor: RBen 74 (1964) 3 1 8 - 3 2 1 . - Albert Gerhards, Te Deum laudamus Die Marseillaise der Kirche?: L J 40 (1990) 6 5 - 7 9 . - Ders./Friedrich Lurz, Art. Te Deum: L T h K 3 9 (2000) 1 3 0 6 - 1 3 0 8 . - Edgar Gibson, T h e Te Deum: C Q R 18 (1884) 1 - 2 7 . - Toivo Harjunpää, Niceta of Remesiana and the Te Deum: Nova et Vetera. FS Martti Parvio, hg. v. Olavi Rimpiläinen, Helsinki 1978, 7 3 - 1 0 3 . - Michel Huglo, Art. Te Deum: N C E 13 (1967) 954f. - A. Jannsens, Les structures symétriques du Te Deum: QLP 47 (1966) 3 6 - 4 6 . - Joseph Jungmann, Quos pretioso sanguine redemisti: Z K T h 61 (1937) 1 0 5 - 1 0 7 . - Ernst Kahler, Stud, zum Te Deum u. zur Gesch. des 24. Psalms in der alten Kirche, Göttingen 1958. - Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol, Leipzig 1894, bes. 4 0 3 - 4 0 7 . - Johann Kayser, Beitr. zur Gesch. u. Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Paderborn, I 2 1881, 4 3 5 - 4 5 8 . - Winfried Kirsch, Art. Te Deum: L T h K 2 9 (1964) 1336f. - Heinrich A. Koestlin, Art. Te Deum: R E 19 (1907) 4 6 4 - 4 6 9 . - Henri Leclercq, Art. Te Deum: D A C L 15,2 (1953) 2 0 2 8 - 2 0 4 8 . - John W. Legg, Some Imitations of the Te Deum, London 1891. - Walter Lipphardt, Das Te Deum: Z K M u 72 (1952) 2 1 9 - 222. - Jean Magne, Carmina Christo. Le Te Deum: E L 100 (1986) 1 1 5 - 1 3 7 . - Ruth Maringer, Der Ambrosianische Lobgesang: Hansjakob Becker/Rainer Kaczynski (Hg.), Liturgie u. Dichtung, St. Ottilien, I 1983, 2 7 5 - 3 0 1 . Catherine McKenna, Secular and Christian Tradition in the Religious Poetry of the Beirdd y Tywysogion: Papers on Language and Literature 17 (1981) 1 1 5 - 1 3 8 . - Vincenzo Messana, Quelques remarques sur la liturgie du chant selon Nicétas de Remesiana: EL 102 (1988) 1 3 8 - 1 4 4 . - Germain Morin, Notes additionnelles à l'étude sur l'auteur du Te Deum: RBen 11 (1894) 3 3 7 - 3 4 5 . - Ders., Nouvelles recherches sur l'auteur du Te Deum: ebd. 4 9 - 7 7 . - Ders., L'auteur du Te Deum: RBen 7 (1890) 1 5 1 - 1 5 9 . - Ders., Le Te Deum, type anonyme d'anaphore latine préhistorique?: RBen 24 (1907) 1 8 0 - 223. - Wilhelm A. Patin, Niceta v. Remesiana als Schriftsteller u. Theologe, München 1909. - Francis Pott, T h e Hymn Te Deum Laudamus, London 1884. - Antonio Ruiz de Elvira, Suscepturus en el Te Deum: C F C 5 (1993) 1 0 5 - 1 0 7 . - Manlio Simonetti, Studi sull'innologia popolare cristiana dei primi secoli, 1952 (AAL.M Ser. 8 4/6) 478 - 4 8 1 . - Carl P.E. Springer, Nicetas and the Authorship of the Te Deum: StPatr 30 (1997) 3 2 5 - 3 3 1 . - E b e n e z e r Thompson, A Vindication of the Hymn Te Deum laudamus, London 1858. - Eric Werner, Das Te Deum u. seine Hintergründe: J L H 25 (1981) 6 9 - 8 2 . - John Wordsworth, T h e Te Deum, its Structure and Meaning and its Musical Setting and Rendering, London 1902 2 1903. - Ders., Art. Te Deum (s.o. bei Quellen). Sabine Z a k , Das Te Deum als Huldigungsgesang: H J 102 (1982) 1 - 3 2 . C a r l P.E. Springer

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2. Werk

(1881-1955)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 31)

Leben

M a r i e - J o s e p h Pierre Teilhard de C h a r d i n w u r d e a m 1. M a i 1 8 8 1 a u f Schloß S a r c e n a t bei C l e r m o n t - F e r r a n d g e b o r e n , t r a t 1 8 9 9 in A i x - e n - P r o v e n c e in den Jesuitenorden ein, w u r d e 1 9 1 1 z u m Priester geweiht und begann 1 9 1 2 das S t u d i u m der G e o l o g i e und P a läontologie in Paris. 1 9 1 5 bis 1 9 1 9 leistete er Kriegsdienst als Sanitäter und verfaßte a n der F r o n t a b 1 9 1 6 die p o s t u m in den Écrits

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(Œuvres XII) gesam-

melten Schriften. N a c h der P r o m o t i o n w u r d e Teilhard 1 9 2 2 a u ß e r o r d e n t l i c h e r Professor für Geologie a m Institut C a t h o l i q u e in Paris, 1 9 2 3 / 2 4 folgte die erste Forschungsreise n a c h C h i n a . A u f g r u n d seiner Kritik a m M o n o g e n i s m u s und an der kirchlichen E r b s ü n denlehre, wegen pantheistischer Tendenzen, seines Eintretens für die Evolutionslehre und seiner Verteidigung des T r a n s f o r m i s m u s m u ß t e T e i l h a r d seine L e h r t ä t i g k e i t , 1 9 2 6

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français. Lettres royales et mandements épiscopaux ordonnant le Te Deum pour les victoires et la paix X V I I è - X V I I I è siècles: Le Journalisme d'Ancien Régime. Questions et propositions, Lyon 1 9 8 2 , 1 4 1 - 1 4 9 . - Maurice Frost, Notes on the Te Deum: J T h S 34 (1933) 250 - 257. - Klaus Gamber, Das Te Deum u. sein Autor: RBen 74 (1964) 3 1 8 - 3 2 1 . - Albert Gerhards, Te Deum laudamus Die Marseillaise der Kirche?: L J 40 (1990) 6 5 - 7 9 . - Ders./Friedrich Lurz, Art. Te Deum: L T h K 3 9 (2000) 1 3 0 6 - 1 3 0 8 . - Edgar Gibson, T h e Te Deum: C Q R 18 (1884) 1 - 2 7 . - Toivo Harjunpää, Niceta of Remesiana and the Te Deum: Nova et Vetera. FS Martti Parvio, hg. v. Olavi Rimpiläinen, Helsinki 1978, 7 3 - 1 0 3 . - Michel Huglo, Art. Te Deum: N C E 13 (1967) 954f. - A. Jannsens, Les structures symétriques du Te Deum: QLP 47 (1966) 3 6 - 4 6 . - Joseph Jungmann, Quos pretioso sanguine redemisti: Z K T h 61 (1937) 1 0 5 - 1 0 7 . - Ernst Kahler, Stud, zum Te Deum u. zur Gesch. des 24. Psalms in der alten Kirche, Göttingen 1958. - Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol, Leipzig 1894, bes. 4 0 3 - 4 0 7 . - Johann Kayser, Beitr. zur Gesch. u. Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Paderborn, I 2 1881, 4 3 5 - 4 5 8 . - Winfried Kirsch, Art. Te Deum: L T h K 2 9 (1964) 1336f. - Heinrich A. Koestlin, Art. Te Deum: R E 19 (1907) 4 6 4 - 4 6 9 . - Henri Leclercq, Art. Te Deum: D A C L 15,2 (1953) 2 0 2 8 - 2 0 4 8 . - John W. Legg, Some Imitations of the Te Deum, London 1891. - Walter Lipphardt, Das Te Deum: Z K M u 72 (1952) 2 1 9 - 222. - Jean Magne, Carmina Christo. Le Te Deum: E L 100 (1986) 1 1 5 - 1 3 7 . - Ruth Maringer, Der Ambrosianische Lobgesang: Hansjakob Becker/Rainer Kaczynski (Hg.), Liturgie u. Dichtung, St. Ottilien, I 1983, 2 7 5 - 3 0 1 . Catherine McKenna, Secular and Christian Tradition in the Religious Poetry of the Beirdd y Tywysogion: Papers on Language and Literature 17 (1981) 1 1 5 - 1 3 8 . - Vincenzo Messana, Quelques remarques sur la liturgie du chant selon Nicétas de Remesiana: EL 102 (1988) 1 3 8 - 1 4 4 . - Germain Morin, Notes additionnelles à l'étude sur l'auteur du Te Deum: RBen 11 (1894) 3 3 7 - 3 4 5 . - Ders., Nouvelles recherches sur l'auteur du Te Deum: ebd. 4 9 - 7 7 . - Ders., L'auteur du Te Deum: RBen 7 (1890) 1 5 1 - 1 5 9 . - Ders., Le Te Deum, type anonyme d'anaphore latine préhistorique?: RBen 24 (1907) 1 8 0 - 223. - Wilhelm A. Patin, Niceta v. Remesiana als Schriftsteller u. Theologe, München 1909. - Francis Pott, T h e Hymn Te Deum Laudamus, London 1884. - Antonio Ruiz de Elvira, Suscepturus en el Te Deum: C F C 5 (1993) 1 0 5 - 1 0 7 . - Manlio Simonetti, Studi sull'innologia popolare cristiana dei primi secoli, 1952 (AAL.M Ser. 8 4/6) 478 - 4 8 1 . - Carl P.E. Springer, Nicetas and the Authorship of the Te Deum: StPatr 30 (1997) 3 2 5 - 3 3 1 . - E b e n e z e r Thompson, A Vindication of the Hymn Te Deum laudamus, London 1858. - Eric Werner, Das Te Deum u. seine Hintergründe: J L H 25 (1981) 6 9 - 8 2 . - John Wordsworth, T h e Te Deum, its Structure and Meaning and its Musical Setting and Rendering, London 1902 2 1903. - Ders., Art. Te Deum (s.o. bei Quellen). Sabine Z a k , Das Te Deum als Huldigungsgesang: H J 102 (1982) 1 - 3 2 . C a r l P.E. Springer

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T e i l h a r d de C h a r d i n , Pierre 1. Leben 1.

2. Werk

(1881-1955)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 31)

Leben

M a r i e - J o s e p h Pierre Teilhard de C h a r d i n w u r d e a m 1. M a i 1 8 8 1 a u f Schloß S a r c e n a t bei C l e r m o n t - F e r r a n d g e b o r e n , t r a t 1 8 9 9 in A i x - e n - P r o v e n c e in den Jesuitenorden ein, w u r d e 1 9 1 1 z u m Priester geweiht und begann 1 9 1 2 das S t u d i u m der G e o l o g i e und P a läontologie in Paris. 1 9 1 5 bis 1 9 1 9 leistete er Kriegsdienst als Sanitäter und verfaßte a n der F r o n t a b 1 9 1 6 die p o s t u m in den Écrits

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(Œuvres XII) gesam-

melten Schriften. N a c h der P r o m o t i o n w u r d e Teilhard 1 9 2 2 a u ß e r o r d e n t l i c h e r Professor für Geologie a m Institut C a t h o l i q u e in Paris, 1 9 2 3 / 2 4 folgte die erste Forschungsreise n a c h C h i n a . A u f g r u n d seiner Kritik a m M o n o g e n i s m u s und an der kirchlichen E r b s ü n denlehre, wegen pantheistischer Tendenzen, seines Eintretens für die Evolutionslehre und seiner Verteidigung des T r a n s f o r m i s m u s m u ß t e T e i l h a r d seine L e h r t ä t i g k e i t , 1 9 2 6

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Teilhard de C h a r d i n

français. Lettres royales et mandements épiscopaux ordonnant le Te Deum pour les victoires et la paix X V I I è - X V I I I è siècles: Le Journalisme d'Ancien Régime. Questions et propositions, Lyon 1 9 8 2 , 1 4 1 - 1 4 9 . - Maurice Frost, Notes on the Te Deum: J T h S 34 (1933) 250 - 257. - Klaus Gamber, Das Te Deum u. sein Autor: RBen 74 (1964) 3 1 8 - 3 2 1 . - Albert Gerhards, Te Deum laudamus Die Marseillaise der Kirche?: L J 40 (1990) 6 5 - 7 9 . - Ders./Friedrich Lurz, Art. Te Deum: L T h K 3 9 (2000) 1 3 0 6 - 1 3 0 8 . - Edgar Gibson, T h e Te Deum: C Q R 18 (1884) 1 - 2 7 . - Toivo Harjunpää, Niceta of Remesiana and the Te Deum: Nova et Vetera. FS Martti Parvio, hg. v. Olavi Rimpiläinen, Helsinki 1978, 7 3 - 1 0 3 . - Michel Huglo, Art. Te Deum: N C E 13 (1967) 954f. - A. Jannsens, Les structures symétriques du Te Deum: QLP 47 (1966) 3 6 - 4 6 . - Joseph Jungmann, Quos pretioso sanguine redemisti: Z K T h 61 (1937) 1 0 5 - 1 0 7 . - Ernst Kahler, Stud, zum Te Deum u. zur Gesch. des 24. Psalms in der alten Kirche, Göttingen 1958. - Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol, Leipzig 1894, bes. 4 0 3 - 4 0 7 . - Johann Kayser, Beitr. zur Gesch. u. Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Paderborn, I 2 1881, 4 3 5 - 4 5 8 . - Winfried Kirsch, Art. Te Deum: L T h K 2 9 (1964) 1336f. - Heinrich A. Koestlin, Art. Te Deum: R E 19 (1907) 4 6 4 - 4 6 9 . - Henri Leclercq, Art. Te Deum: D A C L 15,2 (1953) 2 0 2 8 - 2 0 4 8 . - John W. Legg, Some Imitations of the Te Deum, London 1891. - Walter Lipphardt, Das Te Deum: Z K M u 72 (1952) 2 1 9 - 222. - Jean Magne, Carmina Christo. Le Te Deum: E L 100 (1986) 1 1 5 - 1 3 7 . - Ruth Maringer, Der Ambrosianische Lobgesang: Hansjakob Becker/Rainer Kaczynski (Hg.), Liturgie u. Dichtung, St. Ottilien, I 1983, 2 7 5 - 3 0 1 . Catherine McKenna, Secular and Christian Tradition in the Religious Poetry of the Beirdd y Tywysogion: Papers on Language and Literature 17 (1981) 1 1 5 - 1 3 8 . - Vincenzo Messana, Quelques remarques sur la liturgie du chant selon Nicétas de Remesiana: EL 102 (1988) 1 3 8 - 1 4 4 . - Germain Morin, Notes additionnelles à l'étude sur l'auteur du Te Deum: RBen 11 (1894) 3 3 7 - 3 4 5 . - Ders., Nouvelles recherches sur l'auteur du Te Deum: ebd. 4 9 - 7 7 . - Ders., L'auteur du Te Deum: RBen 7 (1890) 1 5 1 - 1 5 9 . - Ders., Le Te Deum, type anonyme d'anaphore latine préhistorique?: RBen 24 (1907) 1 8 0 - 223. - Wilhelm A. Patin, Niceta v. Remesiana als Schriftsteller u. Theologe, München 1909. - Francis Pott, T h e Hymn Te Deum Laudamus, London 1884. - Antonio Ruiz de Elvira, Suscepturus en el Te Deum: C F C 5 (1993) 1 0 5 - 1 0 7 . - Manlio Simonetti, Studi sull'innologia popolare cristiana dei primi secoli, 1952 (AAL.M Ser. 8 4/6) 478 - 4 8 1 . - Carl P.E. Springer, Nicetas and the Authorship of the Te Deum: StPatr 30 (1997) 3 2 5 - 3 3 1 . - E b e n e z e r Thompson, A Vindication of the Hymn Te Deum laudamus, London 1858. - Eric Werner, Das Te Deum u. seine Hintergründe: J L H 25 (1981) 6 9 - 8 2 . - John Wordsworth, T h e Te Deum, its Structure and Meaning and its Musical Setting and Rendering, London 1902 2 1903. - Ders., Art. Te Deum (s.o. bei Quellen). Sabine Z a k , Das Te Deum als Huldigungsgesang: H J 102 (1982) 1 - 3 2 . C a r l P.E. Springer

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2. Werk

(1881-1955)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 31)

Leben

M a r i e - J o s e p h Pierre Teilhard de C h a r d i n w u r d e a m 1. M a i 1 8 8 1 a u f Schloß S a r c e n a t bei C l e r m o n t - F e r r a n d g e b o r e n , t r a t 1 8 9 9 in A i x - e n - P r o v e n c e in den Jesuitenorden ein, w u r d e 1 9 1 1 z u m Priester geweiht und begann 1 9 1 2 das S t u d i u m der G e o l o g i e und P a läontologie in Paris. 1 9 1 5 bis 1 9 1 9 leistete er Kriegsdienst als Sanitäter und verfaßte a n der F r o n t a b 1 9 1 6 die p o s t u m in den Écrits

du temps

de la guerre

(Œuvres XII) gesam-

melten Schriften. N a c h der P r o m o t i o n w u r d e Teilhard 1 9 2 2 a u ß e r o r d e n t l i c h e r Professor für Geologie a m Institut C a t h o l i q u e in Paris, 1 9 2 3 / 2 4 folgte die erste Forschungsreise n a c h C h i n a . A u f g r u n d seiner Kritik a m M o n o g e n i s m u s und an der kirchlichen E r b s ü n denlehre, wegen pantheistischer Tendenzen, seines Eintretens für die Evolutionslehre und seiner Verteidigung des T r a n s f o r m i s m u s m u ß t e T e i l h a r d seine L e h r t ä t i g k e i t , 1 9 2 6

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auch seine Professur aufgeben und sich auf naturwissenschaftliche Veröffentlichungen beschränken: Für alle theologischen und religiösen Schriften erhielt er Publikationsverbot. Mit seiner erneuten Reise nach China begann 1926 sein zwanzigjähriges erstes Exil, das nur von einigen kürzeren Aufenthalten in Frankreich unterbrochen wurde. Er unternahm Forschungsreisen durch die Mandschurei und die Mongolei, Indien, Java und Birma, beteiligte sich an internationalen Expeditionen, wurde 1929 Berater beim Geologischen Landesamt von China und hielt sich während des Zweiten Weltkriegs vorwiegend in Peking auf, wo er 1940 Mitbegründer des Geobiologischen Instituts wurde. 1946 konnte er nach Frankreich zurückkehren, nahm aktiv am geistigen Leben des Nachkriegs-Paris teil und unterstützte die Arbeiterpriesterbewegung. 1947 untersagte ihm der Jesuitengeneral erneut die Veröffentlichung philosophischer und theologischer Texte und drohte ihm mit dem Index. Darauf folgte 1948 das Verbot, den Ruf auf eine Professur für Paläontologie am Collège de France anzunehmen. 1950 wurde Teilhard zum korrespondierenden Mitglied des Institut de France gewählt. 1951 begann sein zweites Exil: Er arbeitete als „Research associate" bei der amerikanischen Wenner-GrenFoundation in New York, für die er auch noch zwei längere Forschungsreisen nach Südafrika unternahm. 1954 mußte er einen Paris-Besuch vorzeitig abbrechen. Am Ostersonntag, dem 10. April 1955, starb er ganz plötzlich. Kurz zuvor hatte er gewünscht: „Ich möchte am Tage der Auferstehung sterben!" 2. Werk Drei Tage vor seinem Tode notierte Teilhard als Summe seines Denkens: „Was ich glaube - Synthesen: 1. St. Paulus . . . die drei Verse [sc. I Kor 15,26-28]: Gott alles in allem. 2. Kosmos = Kosmogenese Biogenese —• Noogenese —» Christogenese . . . 3. Die beiden Artikel meines Credo: Das Universum ist zentriert (evolutiv, aufwärts/ vorwärts). Christus ist sein Zentrum ... Christus ist das Zentrum des Kosmos (Noogenese = Christogenese) -»-Neo-Christentum (Neo-Nizänum) ..." (Œuvres XIII, 119; dt. [Ausz.]: Werke V, 405). Angesichts seines bevorstehenden Todes hat Teilhard die verwirrende Vielfalt und Vielschichtigkeit seines Werks hier auf den Kern konzentriert und damit die zentralen Elemente seiner Theologie zum Ausdruck gebracht: die Einheit von Gottes- und Weltwirklichkeit, ferner ihr dynamisches Verständnis, ihre Prozeßhaftigkeit sowie die Zusammengehörigkeit von Natur- und Heilsgeschichte. 2.1. Hermeneutik und Verkündigung. Teilhard möchte durch eine „veränderte Christologie", ja eine „Reinkarnation" Christi (Œuvres X , 97f.113.253; dt.: Werke X , 96.115.253), die „religiöse Schizophrenie, an der wir leiden", heilen (Œuvres X , 254; dt.: Werke X , 254), „den offensichtlichen... Konflikt" „zwischen dem traditionellen Gott der Offenbarung und dem ,neuen' Gott der Evolution" lösen (Œuvres X , 253; dt.: Werke X , 253) und den „ruinösen Dualismus", das „große Schisma" (Œuvres XII [1965], 371) durch „Synthesen" überwinden. Da die traditionelle christliche Verkündigung unverständlich geworden sei, müßten Glaube, Frömmigkeit, Dogmatik und Ethik an die neue Gestalt der Welt angepaßt werden (Neo-Christentum, Neo-Nizänum). Nur ein neuer Christus könne der alte und wahre Jesus sein (Œuvres X , 9 5 f f . l l 2 f . ; dt.: Werke X , 93-96.114f.): der „Christus Evolutor", der „Christus Universalis". Wie in hermeneutischen Ansätzen der „modernen" evangelischen Theologie geht es Teilhard in seiner „evolutionären Hermeneutik" um eine radikale Vergegenwärtigung der christlichen Botschaft, d.h. für ihn um ihre Übersetzung in das Weltbild der Evolution (vgl. T R E 9,711,16ff.). 2.2. Christologie. Teilhard will die kosmische Christologie des Neuen Testaments er beruft sich mehrfach besonders auf Kol 1,15 ff. - im modernen Weltbild der Evolution durch eine „mehr physizistische, mehr organische Form der Christologie" zum Ausdruck bringen. Durch seine Inkarnation wird Christus an den „Punkt Omega", „diesen besonderen kosmischen Punkt aller Konvergenz gestellt" und so dem Universum, Raum

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und Zeit „koextensiv". Diesen „vergrößerten", „auf ein Universum evolutiver Struktur projizierten" kosmischen Christus - Christus in seiner kosmischen „dritten Natur" nennt Teilhard „Christus-Omega", den „ganzen (,totalen') Christus", den „Super-Christus" (Œuvres IX, 208ff.; X , 105ff.; XI, 214; XIII, 107; dt.: Werke IX, 218ff.; X , 106ff.; Mein Weltbild 62). Christus ist aber weder naturhaft-kausaler Faktor der Evolution noch ihr Ergebnis und die Christogenese keine geradlinige Weiterführung von Kosmound Noogenese. Vielmehr „koinzidieren" die beiden „Omegas", das „Omega der Wissenschaft", der „Gipfel" oder „Brennpunkt" der Evolution, und das „Omega des Glaubens", der kosmische, universale Christus. Zwischen ihnen findet „eine wunderbare Konjunktion" statt (Œuvres XIII, 60; auch V, 105; VII, 270; IX, 209ff.; dt.: Werke V, 109; VII, 136; IX, 219ff.). Schöpfung, Inkarnation und Erlösung als „Dimensionen der Welt" finden zwar in „besonders aussagekräftigen Einzelfakten ihren Ausdruck", „doch diese historischen Fakten sind lediglich der privilegierte Ausdruck des Prozesses, der ,kosmische' Dimensionen hat", sie sind nicht „an einem bestimmten Punkt der Zeit und des Raumes lokalisierbar" (Œuvres X , 157; dt.: Werke X, 161 f.)- Der „historische Jesus" erhält „eine universelle physische Funktion" (Œuvres X, 211; dt.: Werke X , 216), ebenso sein Heilswerk. So versucht Teilhard, die dualistische Aufspaltung von Transzendenz und Immanenz, die er prozeßhaft als „Aufwärts" und „Vorwärts" versteht, durch seine „universale" und „totale Synthese" zu überwinden. 2.3. Soteriologie. Sie ist - ebenso wie die kosmisch-evolutive Christologie - bestimmt durch Teilhards Prinzip einer prozeßhaft verstandenen Einheit von Welt- und Gotteswirklichkeit, von Natur- und Heilsgeschichte: „dasselbe Kreuz, aber sehr viel wahrer", weil es „den Aufstieg der Schöpfung durch Anstrengung symbolisiert" (Œuvres X , 172.259f.; dt.: Werke X , 175.261). Die Erlösung wird zur Vollendung der als Evolutionsprozeß (im Sinne einer creatio continua) interpretierten Schöpfung (vgl. T R E 9,711,24ff.). „Anbeten" heißt, „die Welt durch Anstrengung und Forschung zu vollenden". Der Himmel ist nur durch die Vollendung der Erde, die wahre Gemeinschaft mit Gott ist nur durch die Welt zu erreichen. Man soll „im Arbeiten den totalen Christus ... vollenden" (Œuvres IX, 162.289; X , 111; XIII, 58; dt.: vgl. Werke IX, 167.284; X , 112f.). 2.4. Sünde und Böses. Sie seien „ein unvermeidliches Nebenprodukt" des evolutionären Schöpfungsprozesses. Leid und Sünde versteht Teilhard als „die unvermeidliche Kehrseite" des Entwicklungsprozesses eines Kosmos, der das Böse „notwendig im Kielwasser" der Evolution nach sich zieht (Œuvres XI, 212f.; VII, 57; V, 119; I, 347; dt.: Mein Weltbild 61; Werke VII, 287; V, 123; Der Mensch im Kosmos 310). Der naturhaft kosmischen Soteriologie entspricht also eine Naturalisierung des Bösen. Mit diesem theologisch problematischen Verständnis des Bösen als notwendig zur Evolution gehörendem Phänomen steht Teilhard einerseits in der Tradition der idealistischen Philosophie und Theologie (etwa G.W.F. -»Hegel, F. -»Schiller und R. -»Rothe), andererseits wird er darin nachträglich unterstützt durch die neueste Anthropologie und die Evolutionäre Ethik, nach denen das Böse unsere „evolutionäre Mitgift" und ein „biologisches Erbe" sei. 2.5. Interdisziplinäre Konvergenz. Unter wissenschaftstheoretischem Aspekt hat Teilhard versucht, in traditioneller Art eine „Summe", ein „System" zu entwerfen, und eine „Metaphysik der Vereinigung" (Métaphysique de l'Union) entwickelt, deren Grundgedanke die „Union créatrice" ist. Doch zukunftsträchtiger war sein damit konkurrierender und immer mehr dominierender Ansatz, die als „Phänomenologie" verstandene „Physik" durch eine „Hyper-" oder „Ultraphysik" zu ergänzen, mit der er die „Metaphysiken, an denen wir sterben", ersetzen wollte (vgl. Brief vom 11. Oktober 1936: Cuénot [1958] 264; dt.: [1966] 381). Keine spekulative Metaphysik, vielmehr: „Nichts als das Phänomen" (Physik). „Aber das ganze Phänomen" (Hyper/Ultraphysik) — Na-

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turwissenschaft soll nicht in reduktionistischer Weise, sondern im Sinne einer „Konvergenz" von Naturwissenschaft, Philosophie und Religion verstanden werden (Œuvres I, 21 f.; dt.: Der Mensch im Kosmos lf.). 3.

Wirkung

Die Behinderung von Teilhards Wirksamkeit dauerte über seinen Tod hinaus, z. B. 1957 durch ein Dekret des Heiligen Offiziums und noch 1962 durch ein Monitum. Mit Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils (-»Vatikanum II) brach dann eine neue Epoche der Teilhard-Rezeption und -Interpretation an. Hier wurde Teilhards Theologie jedoch weitgehend entschärft, dogmatisch vereinnahmt und mit der Kirchenlehre harmonisiert. Die Pastoralkonstitution des Konzils über Die Kirche in der Welt von heute, die als „teilhardisch" gilt und in der Tat von Anhängern Teilhards mitgeprägt wurde, rezipierte zwar manche seiner anthropologischen und soziologischen Gedanken, nicht aber sein kühnes Gottesverständnis und seine kosmische Christologie. Dennoch brachte das Konzil eine Wende. Gerade Jesuiten gehören seither zu den wohlwollenden Interpreten und Verteidigern Teilhards. Obwohl K. -»Rahner sich kaum explizit über Teilhard geäußert hat, ist seine Theologie durch dessen Denken geprägt. Im großen Ganzen jedoch hat Teilhard kaum Einfluß auf die römisch-katholische Theologie ausgeübt, erst recht nicht auf die evangelische — von einigen nordamerikanischen Theologen (etwa Philip Hefner [geb. 1932]) und der anglikanischen Naturtheologie (Arthur Robert Peacocke [geb. 1924] u.a.) abgesehen. Lediglich in den USA hat eine gewisse Nähe von Teilhards Prozeßdenken zur —>Prozeßtheologie zu einer gemeinsamen Wirkung geführt. Die heutige Bejahung der früher in Kirche und Theologie entschieden abgelehnten Evolutionslehre sowie die Bemühungen um Überwindung der Kluft zwischen Theologie und Naturwissenschaften sind ohne Zweifel auch dem Werk Teilhards zu verdanken. Quellen Werke (Auswahl): Œuvres de Pierre Teilhard de Chardin, Paris 1955ff.; dt.: Werke, unter dem Patronat v. Joseph Bernhart/Ladislaus Boros, Ölten u.a. 1962ff.; I. Le Phénomène humain, 1955; dt.: Der Mensch im Kosmos, München 1959 (außerhalb der Werkausg.); II. L'Apparition de l'homme, 1956; dt.: Das Auftreten des Menschen. Werke III, 1964; III. La Vision du passé, 1957; dt.: Die Schau in die Vergangenheit. Werke IV, 1965; IV. Le Milieu divin, 1957; dt.: Der göttliche Bereich. Ein Entwurf des innern Lebens. Werke II, 1962; Neuübers.: Das göttliche Milieu. Werke II, 1969; V. L'Avenir de l'homme, 1959; dt.: Die Z u k u n f t des Menschen. Werke V, 1963; VI. L'Énergie humain, 1962; dt.: Die menschliche Energie. Werke VI, 1966 (mit 5 Texten v. Œuvres VII); VII. L'Activation de l'énergie, 1963; dt.: Die lebendige Macht der Evolution. Werke VII, 1967; VIII. La Place de l'homme dans la nature, 1963 ( = Le Groupe zoologique humain. Structure et direction évolutives, Paris 1956); dt.: Die Entstehung des Menschen, München 1961 (außerhalb der Werkausg.); IX. Science et Christ, 1965; dt.: Wiss. u. Christus. Werke IX, 1970; X. Comment je crois, 1969; dt.: Mein Glaube. Werke X, 1972; XI. Les Directions de l'avenir, 1973; XII. Écrits du temps de la guerre (1916-1919), 1976 ( = Paris 1965, außerhalb der Œuvres); dt.: Frühe Schriften, Freiburg i.Br./München 1968 (außerhalb der Werkausg.); XIII. Le Cœur de la matière, 1976; dt.: Das Herz der Materie, Olten/Freiburg i.Br. 1990 (außerhalb der Werkausg.). Außerhalb der Werkausgabe: Hymne de l'Univers, Paris 1961; dt.: Lobgesang des Alls, Ölten/ Freiburg i. Br. 1964. - Mein Weltbild, 1975 ( = Œuvres XI, 1 7 7 - 223). - Tagebücher, 3 Bde., Ölten/ Freiburg i.Br.; I (1915-1916), 1974; II (1916-1918), 1975; III (1918-1920), 1977. - L'Œuvre scientifique. Textes réunis et édités par Nicole et Karl Schmitz-Moormann, 11 Bde., Olten/Freiburg i.Br. 1971. Briefausgaben: Lettres d'Egypte 1905-1908, Paris 1963; dt.: Briefe aus Ägypten 1905-1908, Freiburg i.Br./München 1965. - Genèse d'une pensée. Lettres 1914-1919, Paris 1961; dt.: Entwurf u. Entfaltung. Briefe aus den Jahren 1914-1919, Freiburg i.Br./München 1963. - Lettres de voyage 1923-1939, Paris 1956; dt.: Geheimnis u. Verheißung der Erde. Reisebriefe 1923-1939, Freiburg i.Br./München 1961. - Nouvelles lettres de voyage 1939-1955, Paris 1957; dt.: Pilger der Z u k u n f t . Neue Reisebriefe 1939-1955, Freiburg i.Br./München 1962. - Blondel et Teilhard de Chardin, Paris 1965; dt.: Maurice Blondel/Pierre Teilhard de Chardin. Briefwechsel, Freiburg i.Br./München 1967. - Lettres à Léontine Z a n t a , Paris 1965; dt.: Briefe an Léontine Zanta, Freihurg i.Br./Basel/ Wien 1967. - Accomplir l'homme - Lettres inédites (1926-1952), Paris 1966, engl.: Letters to T w o

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Teilhard de Chardin

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Telefonseelsorge

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Sigurd Martin Daecke

Telefonseelsorge 1. Das Telefon als Kommunikationsmedium 2. Geschichte der Telefonseelsorge und Arbeitsprinzipien 4. Anrufer 5. Technische Implikationen 6. Rechtsstatus S.35)

1. Das Telefon als

3. Ziele (Literatur

Kommunikationsmedium

Das Telefon (-»Kommunikation) wurde 1861 von Johann Philipp Reis (1834-1874) als prinzipiell funktionierendes und 1876 von Alexander Graham Bell (1847-1922) unabhängig von Reis - als praktisch verwendbares Telekommunikationsgerät erfunden, welches ermöglicht, nicht nur eine Nachricht selbst, sondern die menschliche Stimme als Trägerin dieser Nachricht letztlich weltweit zu übertragen. Zunächst wurde es lediglich als Nachrichtenmittel zur Informations- und Befehlsübermittlung eingesetzt, „über die kollektive soziale Aneignung des Telefons in den Dörfern . . . wissen wir nichts; nichts auch über die in diesem Zusammenhang zu vermutenden Herrschaftsstrukturen bei Ärzten, Pfarrern, Förstern oder Wirtshausbesitzern, die zuerst über ein Telefon verfügt haben dürften" (Telefonieren 70). Heute ist das Telefon auch aus unserer Kommunikations- und Sprechkultur nicht mehr wegzudenken, eben weil es mehr als reine Sachinformationen überträgt: Im Gegensatz zum Brief erleben sich Anrufende am Telefon durchaus als Individuen aus Fleisch und Blut. 1881 wurden in Berlin die ersten Anschlüsse geschaltet, 2001 gibt es in Deutschland ca. 49 Millionen Telefonanschlüsse im Festnetz sowie sowie knapp 60 Millionen Mobilfunkteilnehmer, weltweit sind es knapp eine Milliarde Telefone. Der soziologisch betrachtet grenzüberschreitende Charakter des Telefons hat sowohl die ökumenische Zusammenarbeit (-> Ökumene) wie auch die frühe Verbindung mit den Ostblockländern wesentlich gefördert. 2. Geschichte

der

Telefonseelsorge

Wie das Telefon wurde auch die Telefonseelsorge zweimal „erfunden". Anlaß waren in beiden Fällen Suizidhandlungen (-»Suizid). 1895 gründete der Baptistenpfarrer Harry Warren in New York die erste telefonische Seelsorge, weil er unter dem Eindruck eines Suizids zu der Auffassung gelangte, daß es rund um die Uhr eine unkomplizierte Möglichkeit geben müsse, einen Pfarrer zu erreichen. Unter dem Eindruck, daß in GroßLondon sich täglich etwa neun Menschen umbrachten, richteten 1953 unabhängig voneinander die Pfarrer West und Chad Varah (geb. 1911) telefonische Anlaufstellen ein. Varah nannte seine Einrichtung The Samaritans, und ihm gebührt das Verdienst, in der Telefonseelsorge das allgemeine Priestertum der Gläubigen (—»Laie; —Qumran 1.4.2.). Jeder von sieben himmlischen Bereichen scheint über einen Tempel mit EngelKultpersonal zu verfügen. Die Analogie zwischen himmlischem und irdischem Heiligtum wurde vor allem als funktionale Einheit des Kultdienstes verstanden, und -»Priester im Kultdienst galten insofern als engelgleich (vgl. Jub 31,14). Priesterliche Beschreibungen (wie 11Q19) gehen demgemäß vom Allerheiligsten als Zentrum der Heiligkeit aus nach außen vor. Für den Tempelbau wurde daher allgemein ein göttlicher Bauplan bzw. ein himmlisches Modell (tabnit) vorausgesetzt (II Sam 7,1 ff.; Ez 43,10f.; Ex 25,9.40; I Chr 2 8 , l l f . l 8 f . ; 11Q19/11Q20; Weish 9,8; VitAd 29,4). Sekundärverwendungen tempeltheologischer Vorstellungen begegnen vor allem in Apokalypsen, in denen das himmlische Heiligtum den Rahmen für einen Offenbarungsempfang darstellt (äthHen 14; 71). Das Zeltheiligtum vom Sinai (Ex 25 - 2 7 . 3 0 f . ) spielt an sich in frühjüdischen Texten nur eine geringe Rolle. In Qumran (vgl. 3Q14 Frgm. 3; 4Q204 Frgm. 4,10s = äthHen 89,36f.; 4Q276 Frgm. 1,5) wird ihm der Tempelberg als heiliger Bereich gleichgestellt und Jerusalem dem „Lager" (4Q394 Frgm. 5 - 7 ) . Am umfangreichsten behandeln in den erhaltenen Quellen -»Philo (SpecLeg I; VitMos II) und -»Josephus (Ant 111,122133.134-199) das Zeltheiligtum und seine Einrichtungen, indem sie die kosmologische Tempelsymbolik darauf übertrugen. 2.3. Kontroversen. —»Haggai, —»Sacharja, -»Maleachi und —>Esra/—>Nehemia enthalten Reminiszenzen an Zwistigkeiten im nachexilischen Jerusalem/Juda bezüglich der Wiedererrichtung und der Kultpraxis des Tempels, weitere Nachrichten über Konflikte finden sich bei Josephus und in CD III-IV (vgl. 1Q22 1 , 8 - 1 0 ; 4Q390 Frgm. 1). Es scheint, daß das chronistische Werk jene Linie repräsentiert, die dabei die Oberhand gewann, während in Texten aus Qumran und verwandten frühjüdischen Schriften (vor allem -> Jubiläenbuch und Henochbücher) Traditionen der nach 175 v. Chr. unterlegenen Gegenpartei erhalten sind. Schon die Baugeschichte des Ersten Tempels dürfte abgesehen vom zunehmenden Platzbedarf für Laienbesucher auch durch Kultreformen mitbestimmt worden sein, vor allem aber durch die Ausbildung eines Konzepts abgestufter, konzentrischer Heiligkeitsbereiche mit zunehmender Ausgrenzung nichtpriesterlicher Personen. Die drei Hauptbereiche Tempelhaus, Priesterbereich und Laienbereich bildeten bereits nach Ez 42,15ff. und laut nachexilischen Angaben (11Q19 38; Josephus, Ant XV,400; mMid 11,1) insgesamt ein Quadrat von 500 x 500 Ellen. Umstritten war noch in den letzten Jahrhunderten die organisatorische und architektonische Abgrenzung der einzelnen Heiligkeitsbereiche: 1. das Allerheiligste, betretbar nur vom Hohenpriester am Versöhnungstag; 2. die Tempelhalle, betretbar für Priester zur Versorgung von Schaubrottisch, Leuchter und Räucheraltar; 3. der Priesterhof um den Brandopferaltar-Bereich, betretbar nur von Priestern in Dienstkleidung; 4. der Männerhof und 5. der Israelitenhof (auch für rituell reine Israelitinnen); 6. die Begrenzung des 500 x 500-Ellen-Quadrats. Unter -»Herodes wurde dieses durch Säulenhallen gerahmt und so um einen durch kontrollierbare Eingänge betretbaren „Heidenhof" (Josephus, Ap II,102f.) erweitert, der folglich gewisse Aspekte des Tempelbergs und der „Stadt des Heiligtums" auf sich zog. Diese Einteilung war offenbar von früh an als solche und in ihrer architektonischen Abgrenzung zwischen priesterlichen Richtungen umstritten; so wird I Makk 9,54f. dem

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Hohenpriester Jason die Beseitigung einer Trennmauer vorgeworfen; umgekehrt schreibt Josephus (Ant XIII,373) dem Hohenpriester-König Alexander Jannaj die Einführung einer Abgrenzung des Priesterdienstbereichs zu. Der wohl aus persisch-frühhellenistischer Zeit stammende Tempelplan in der „Tempelrolle" (11Q19,3-13.30-47) entspricht einer strengen priesterlichen Vorstellung von dem Ideal-Tempel, der nach der Landnahme hätte gebaut werden müssen, und zwar konsequent nach dem Prinzip der konzentrischen Heiligkeitsbereiche und als Zwölf-Stämme-Tempel konzipiert. Das traditionelle Quadrat von 500 x 500 Ellen umfaßt hier (wie Ez 4 0 - 4 8 ) Priesterhof und Männerhof und wird durch einen riesigen Israelitenhof von 1600 x 1600 Ellen Innenfläche eingefaßt, zudem 100 Ellen tief von der „Stadt des Heiligtums" abgesetzt. Auch Beschreibungen des Salomonischen Tempels idealisieren, vor allem bei Eupolemus (s. Wacholder 173-201) und Josephus (Ant VIII,63-98; XV,398-400), und unterlegen eine detaillierte kosmologische Symbolik. Dasselbe gilt für die Beschreibung des Zweiten Tempels im -+Aristeasbrief (§§ 83-105), in Werken Philos, der zudem den Kosmos als Tempel beschreibt (vgl. SpecLeg 1,66-67; Som 1,215), und bei Josephus (Bell V,184-237). Diese positive Wertung konkurriert mit einer betonten Abwertung des Zweiten Tempels, die auf Differenzen in frühnachexilischer Zeit zurückgehen dürfte. Auf der einen Seite hielt man (vor allem auf Grund der Erfahrung von 701 v. Chr.) laut Jer 7 den Tempel als Wohnstatt Gottes für unverletzbar, und in hellenistisch-römischer Zeit wurden tatsächliche oder angebliche Verletzungen des heiligen Ortes in legendäre Triumphe umgedeutet (vgl. I M a k k 7 , 3 3 - 5 0 ; II M a k k 3 ; III M a k k lf.). Die Entweihung des Tempels unter Antiochus IV. 168 v. Chr. und seine Wiedereinweihung unter Judas Makkabäus im Dezember 165 v. Chr. dienten als Kristallisationspunkt solcher Vorstellungen, die auch Jeremia-Legenden (II M a k k 1,1-18; Chanukka-Fest) einschlössen. Diese Linie wirkte sich auch noch 6 6 - 7 0 n . C h r . im Verhalten der zelotischen Aufständischen aus. Jedenfalls war der Tempel im 1. Jh. v. und n.Chr. für die Mehrheit der Juden bis in die fernste Diaspora hinaus ein identitätsstiftender Bezugspunkt, was auch die Entrichtung der Tempelsteuer und die Wallfahrtspraxis beweisen. Eine gegenläufige Tendenz wertete den Zweiten Tempel ab, und die Apokalypsen im äthiopischen Henochbuch (90,27 - 2 9 ; 91,13) erwarten gar den Abriß des unzulänglichen Zweiten Tempels und die Errichtung eines neuen durch Gott für die achte Periode von 490 Jahren der Weltgeschichte (ab ca. 98 v.Chr.). In dieser Tradition stand die priesterlich geführte Gemeinschaft hinter den Texten von -+Qumran, die dem Kult am damals angeblich rituell verunreinigten Tempel keine Sühnewirkung zuerkannte (vgl. äthHen 89,73; CD V,6-7; VI,16; XX,23; 4Q390, Frgm. 2i; l Q p H a b XII,9; AssMos 5,3; 6,1) und ihn funktional durch die yachad-Lebensweise der Gruppe ersetzte, die somit auf diese Weise für die „Zeit des Frevels" den Tempel zumindest funktional repräsentiert (1QS IV; V,6; VIII,11; vgl. 4Q258 Frgm. Ii,4; 4Q258 Frgm. 2ii,6f.; 4Q509 Frgm. 97 + 98 i,7f.; 4Q511 Frgm. 35,3). Dem entspricht, daß man für die Endzeit stadtplanungsmäßige Ideal-Entwürfe für das endzeitliche Jerusalem und den Tempel (5Q15 Frgm. Ii,4; vgl. 4Q554 Frgm. Iii,18) entwickelte, wie die Texte zum „Neuen Jerusalem" aus Q u m r a n zeigen. Negative Einschätzungen sind auch sonst bezeugt. Abgesehen von neutestamentlichen Aussagen (s.o. III.3.2.) ist vor allem die offene Androhung einer Tempelzerstörung durch einen Propheten (Josephus, Bell VI,301-309) zu nennen. Zusätzlich war der Tempel laut Josephus (Ap 11,91 ff.) Ziel judenfeindlicher Angriffe und Unterstellungen (-•Ritualmord; Eselskult). 3. Talmudische

Zeit

Eine besonders negative Rolle kommt im jüdischen Geschichtsbewußtsein Rom zu. Schon das Betreten des Allerheiligsten durch Pompeius (63 v. Chr.) wurde dem Verhalten des Seleukidenkönigs Antiochus gleichgesetzt, im 1. Jh. n . C h r . trat Rom in der Danieldeutung an die Stelle des Seleukidenreichs, und nach der Tempelzerstörung im Jahr

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70 n. Chr. wurde Rom mit der tempelzerstörenden Weltmacht Babylon auf eine Stufe gestellt. Die Tempelzerstörung beendete im Judentum zwar eine sozialgeschichtliche Epoche, da die Priesterschaft dadurch ihre Machtbasis verlor. Aber die kultische Tradition wurde von nun an von den laienorientierten Rabbinen gezielt in ihre eigene Lehrüberlieferung eingebaut und entsprechend adaptiert. Daher wertete auch diese die Tempelzerstörung im Geschichtsverständnis als Katastrophe von kosmischen Dimensionen, als Verlust der unmittelbaren Gottesgegenwart, und man gedenkt der beiden Tempelzerstörungen von 586 v.Chr. und 70 n.Chr. an einem eigenen Fasttag (9. Ab). Für das Judentum blieb somit Jerusalem als Stadt Davids und als Stadt des Heiligtums wie der Tempel selbst von symbolhafter Bedeutung, auch wenn die Tendenz zur Abwertung des Zweiten Tempels gegenüber dem Salomonischen weiter wirksam blieb. Der Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels durch den endzeitlichen davidischen Herrscher ist in der Liturgie und für die Frömmigkeit ein zentrales Heilsziel, das liturgische Gedächtnis an den Tempel nimmt (bei gleichzeitigem Verbot der Nachahmung) wie schon jenes der Zerstörung des Ersten Tempels (Threni; 4Q179) im synagogalen Bereich einen hohen Stellenwert ein. So lebte auch die Kult- und Tempeltheologie nach 70 n. Chr. weiter, vor allem in Verbindung mit der rabbinisch adaptierten kultgesetzlichen Tradition zur Tempelanlage (mMiddot), zur Opferpraxis (Ordnung Qodashim) und zur Reinheitspraxis (Ordnung Tehorot), sowie im Zusammenhang mit Vorschriften für kultische Abgaben, ferner in Auslegungstraditionen (Midraschim) zu den einschlägigen biblischen Texten. Sekundärverwendungen begegnen in recht massiver Form in der Liturgie und synagogalen Dichtung, aber auch in esoterischen Texten im Rahmen von Beschreibungen des himmlischen Heiligtums. Dazu kommen volkstümliche Vorstellungen, vor allem vom Tempelbau Salomos, den er mit Hilfe seiner Herrschaft über die Dämonen (vor allem Asmodäus) vollbrachte, vom Shamir zur Steinbearbeitung, und vom 'äbän shetijah, der Steinabdeckung über der Urflut etc., Motive, die in volkstümlichen Traditionen des Mittelalters weiter ausgesponnen wurden. Eine besondere Note ergab sich im 4 . - 6 . Jh. durch die Konfrontation mit der christlichen Deutung der Tempelzerstörung als Straffolge für die Verwerfung Christi durch die „Synagoge". Sie gab offenbar Anlaß zur betonten Ausformung tempeltheologischer Überlieferungen (u.a. der Deutungen des Isaakopfers Gen 22). 4. Mittelalter

und

Neuzeit

4.1. Traditionen. Die jüdische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit führt die rabbinischen Vorgaben kontinuierlich, vor allem kommentierend fort. Eine Systematisierung der gesetzlichen Traditionen erfolgte durch —»Mose ben Maimon im Buch VIII seines Mishneh Torah, auf sie stützen sich alle späteren Diskussionen. 4.2. Theologische Verarbeitungen. Zusätzlich kam es zu theologisch-spekulativen Verarbeitungen von großer Tragweite. Im Buch Jesirah IV wurde die zentrale Position des Tempels im Kosmos herausgestellt, Spätere deuteten dies zum Teil auf philosophische Weise allegorisierend, meist aber im Sinne der -»Kabbala, in der die kultischen Bereiche und Einrichtungen zur Illustration der Emanation der Sefirot und der himmlischen Welten diente. 4.3. Apologetische und neue spekulative Anliegen. Durch das Scheitern des TempelWiederaufbaus unter Kaiser Julian (361-363 n.Chr.) und der jüdischen Restaurationsversuche zwischen 613-617 n. Chr. erhielt die christliche Deutung der Tempelzerstörung neue Nahrung. Gegenüber der christlichen Behauptung von der endgültigen Ablösung des Tempelkults durch das Werk Christi wurde der Tempel sowohl der Vergangenheit wie der erhofften Heilszukunft nachdrücklich zu Bewußtsein gebracht. Tempelelemente und Kult-

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Utensilien fanden von der Antike her in der synagogalen Kunst und in der Buchmalerei Verwendung und dienten ebenfalls der Vergegenwärtigung und Selbstvergewisserung. Mit dem 16. Jh. trat der Tempel zusätzlich auch als archäologisches Objekt in das Zentrum des gelehrten Interesses, überhöht durch die symbolistischen Tendenzen der -•Renaissance und des -»Humanismus. Im Judentum wirkte sich dies allerdings fast nur unter sefardischen und italienischen Autoren aus. Der aus Spanien stammende Historiker Salomo ben Jehuda ibn Verga (gest. ca. 1530) nahm im frühen 16. Jh. in den Schlußteil seiner Chronik Shäbät Jehûdah ausführliche Informationen über den Tempel mit auf. Abraham ben David Portaleone (Italien, gest. 1612) benutzte für sein enzyklopädisches Werk Shiltê Gibbôrîm (zum Teil lateinisch übersetzt von Blasius Ugolinus) den Tempel mit seinen Einrichtungen als Raster der Darstellung. Jomtob Lipmann Heller (Deutschland, gest. 1654) behandelte in Çûrat bêt ha-miqdash den Ezechiel-Tempel, und der Sefarde Jakob Judah Arje ben Abraham Tempio (gest. 1675) verfaßte mehrere, auch in der christlichen Welt sehr bekannt gewordene Werke zu Tempel, Zeltheiligtum und Bundeslade. 5.

Moderne

Die aufgeklärten jüdischen Richtungen werteten den Tempel als Institution der Vergangenheit, ersetzten ihn demonstrativ durch die Synagoge als zeitgemäßen „Tempel" und verzichteten auf die eschatologische Restaurationshoffnung. Die traditionelle Wertung und Sicht wirkte jedoch nicht nur in der Orthodoxie weiter, sie beeinflußte über den religiösen Zionismus viel weiter verbreitete Vorstellungen, die im Staat Israel auch politisch relevant wurden. Da seit dem Juni 1967 (Sechstagekrieg) Ostjerusalem mit dem Tempelberg israelischer Kontrolle unterliegt, fordern radikal-orthodoxe Gruppen eine Erneuerung des Tempelkultes. Die Regierungen Israels konnten zwar radikal-orthodoxe und extremistisch-nationalistische Versuche zur Beseitigung des Felsendoms und der al-Aqsa-Moschee bisher verhindern, doch bleiben derartige Bestrebungen aktuell, und gewisse Gruppen treiben die Vorbereitungen für einen Tempelbau, für Priestergewänder und Kultutensilien zielstrebig voran. Das offizielle Rabbinat ist in diesen Fragen gespalten, denn prinzipiell teilen ja die meisten Orthodoxen die traditionelle Restaurationshoffnung. Zahlreiche Publikationen befassen sich mit dem „Dritten Tempel", und nur in der Terminfrage gehen die Meinungen teilweise entschieden auseinander, ebenso in der Frage der politischen Opportunität und rituellen Legitimität eines vorläufigen Gebetsplatzes auf dem Tempelberg. Quellen und Literatur Zu 1.-2.: Apocalypse de Baruch. Intr., trad. du Syriaque et commentaire par Pierre Bogaert, I 1969 (SC 144) 7 0 - 1 3 5 . - Joseph M. Baumgarten, The Qumran Sabbath Shirot and Rabbinic Merkabah Tradition: RdQ 13 (1988) 1 9 9 - 2 1 3 . - Abraham Ben-Meir, Jérusalem. Enfer et paradis: MPhLJ 1 - 2 (1956/57) 2 3 5 - 2 4 9 . - Germain Bienaimé, Moïse et le don de l'eau dans la tradition juive ancienne, Rom 1984 (AnBib 98) 2 0 0 - 2 2 2 . - Giovanni Bissoli, Il tempio nella letteratura giudaica e neotestamentaria, 1994 (ASBF 37). - Felix Böhl, Die Legende vom Verbergen der Lade: FJB 4 (1976) 6 3 - 8 0 . - Renate Brandscheidt, Messias u. Tempel: T T h Z 99 (1990) 3 6 - 4 8 . - R.A. Carlson, Templum et somnium: SEA 54 (1989) 5 0 - 5 6 . - André Causse, Le mythe de la nouvelle Jérusalem du Deutéro-Isaïe à la Ille Sibylle: RHPhR 18 (1938) 3 7 7 - 4 1 4 . - Jens Christensen, Tempel - Berg - Paradies: D T T 49 (1986) 5 1 - 6 1 . - Ronald E. Clements, God and Temple, Oxford 1965. - Yves Congar, Le mystère du temple, 1958 (LeDiv 22); dt.: Das Mysterium des Tempels, Salzburg 1960. - Simon John de Vries, Moses and David as Cult Founders in Chronicle: JBL 107 (1988) 6 1 9 - 6 3 8 . - Deborah Dimant, Jerusalem and the Temple according to the Animal Apocalypse: Shenaton 5 - 6 (1982) 1 7 7 - 1 9 3 . - Dies., 4QFlorilegium and the Idea of the Community as Temple: Hellenica et Judaica. FS Valentin Nikiprowetzky, hg. v. André Caquot u.a., Leuven 1 9 8 6 , 1 6 5 - 1 8 9 . - Robert Doran, Temple Propaganda, Washington, D.C. 1981. - Craig A. Evans, Prédictions of the Destruction of the Herodian Temple in the Pseudepigrapha, Qumran Scrolls, and Related Texts: James H. Charlesworth (Hg.), Qumran Questions, 1995 (BiSe 36) 9 2 - 1 5 0 . - David Flusser, Two Notes on the Midrash on 2 Sam VII. i: IEJ 9 (1959) 9 9 - 1 0 4 . - David Noël Freedman, Temple Without Hands: Avraham Biran (Hg.), Temples and High Places in Biblical Times, Jerusalem

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ham-miqdash hash-shelishi, Jerusalem 1992/93; engl.: T h e Third Beit ha-Mikdash. T h e Third Temple according to the Prophecy of Yechezkel following Rashi and Tosafos Yom Tov, transl. by M . L . Miller, Jerusalem 1993. - Techumin 7 (1985/86) 4 8 9 - 5 1 2 (mehrere Beitr.). - Bernhard Wasserstein, Trouble on the Temple Mount: Midstream 18,7 (1982) 5 - 9 . - Michael A. Zimmermann, Tunnel exposes New Areas of Temple Mount: BAR 7,3 (1981) 3 4 - 4 1 .

Johann Maier

Temple, William 1. Leben

(1881-1944)

2. "Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 75)

1. Leben William Temple wurde am 15. Oktober 1881 als der zweite Sohn von Beatrice (geb. Lascelles) und Frederick Temple ( 1 8 2 1 - 1 9 0 2 ) , dem damaligen Bischof von Exeter, späteren Bischof von London (1885-1896) und Erzbischof von Canterbury (1896-1902), geboren. Er ging am Rugby-Gymnasium zur Schule und studierte am Balliol College in Oxford. Während seiner Zugehörigkeit zum Queen's College in Oxford (1904-1910) wurde er 1908 zum Diakon und 1909 zum Priester ordiniert. Nach kurzfristigen Tätigkeiten als Direktor des Repton-Gymnasiums, Rektor von St. James in Piccadilly und Domherr von Westminster Abbey wurde er zum Bischof von Manchester ernannt (1921 1929). Er wurde zum Erzbischof von York (1929-1942) und später von Canterbury befördert (1942-1944). Am 26. Oktober 1944 verstarb er unerwartet. 2. Werk Temples Veröffentlichungen müssen sowohl in engem biographischem Zusammenhang mit seiner Stellung als Mann des öffentlichen Lebens in Kirche und Staat als auch im Licht des nationalen wie internationalen Wandels seiner Zeit gesehen werden. Temple verehrte seine Eltern. Seine Mutter zügelte seine jugendliche Frühreife („Du magst zwar mehr als ich wissen, William," sagte sie, „aber ich weiß es am besten"; Fletcher 240), vermittelte ihm ein inneres Gleichgewicht und gab ihm Selbstsicherheit mit auf den Weg. Sein Vater machte ihn mit dem Reichtum der anglikanischen Tradition bekannt, insbesondere des liberalen katholischen Flügels mit seiner Auffassung von Inkarnation, Kirche, Gottesdienst und den Sakramenten; der Notwendigkeit, aus Überzeugung zu handeln, aber mit Zweifeln zu leben; der Bedeutung von Charakter und Gewissen, Willen und praktischem Verstand, sowie mit der entscheidenden Rolle der Ausbildung. Aufgrund von Fredericks überragender Stellung lernte William alle führenden Männer des Anglikanismus kennen. Speziell Ch. -»Gore wurde sein Mentor. Am Rugby-Gymnasium wurde er vom Ethos erfüllt, das ihm von seinem berühmten Direktor, Thomas Arnold ( 1 7 9 5 - 1 8 4 2 ) , eingeflößt worden war: geistigem Ernst und sozialem Gewissen sowie der Pflicht der Privilegierten, bei der Verbesserung sozialer Zustände die Führung zu übernehmen. In Oxford vertiefte sich Temple in die damals maßgebliche Hegeische Tradition. Sie wollte zu einem umfassenden rationalen Verständnis der Wirklichkeit gelangen, womit sie das Selbstvertrauen und den Optimismus des Viktorianischen Zeitalters und der Ära Eduards widerspiegelte. Temple stand der Richtung nahe, die die Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellte. Edward Caird ( 1 8 3 5 - 1 9 0 8 ) , von 1893 bis 1907 Leiter des Balliol College, inspirierte ihn sowohl als Philosoph wie auch als Sozialkritiker. Temple lernte die Armut in Londons East End kennen und trat der Christian Social Union (-»Sozialismus III.1.4.) bei, die dem christlichen Glauben einen Einfluß auf die Gesellschaft vermitteln wollte. 1905 trat er der Arbeiter-Erziehungs-Vereinigung bei, und ihm wurde die große Ehre zuteil, von 1908 bis 1924 zu ihrem Präsidenten ernannt zu werden. Temple war am Rugby und Balliol College mit Richard Henry Tawney (1880—1962) zusammen,

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ham-miqdash hash-shelishi, Jerusalem 1992/93; engl.: T h e Third Beit ha-Mikdash. T h e Third Temple according to the Prophecy of Yechezkel following Rashi and Tosafos Yom Tov, transl. by M . L . Miller, Jerusalem 1993. - Techumin 7 (1985/86) 4 8 9 - 5 1 2 (mehrere Beitr.). - Bernhard Wasserstein, Trouble on the Temple Mount: Midstream 18,7 (1982) 5 - 9 . - Michael A. Zimmermann, Tunnel exposes New Areas of Temple Mount: BAR 7,3 (1981) 3 4 - 4 1 .

Johann Maier

Temple, William 1. Leben

(1881-1944)

2. "Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 75)

1. Leben William Temple wurde am 15. Oktober 1881 als der zweite Sohn von Beatrice (geb. Lascelles) und Frederick Temple ( 1 8 2 1 - 1 9 0 2 ) , dem damaligen Bischof von Exeter, späteren Bischof von London (1885-1896) und Erzbischof von Canterbury (1896-1902), geboren. Er ging am Rugby-Gymnasium zur Schule und studierte am Balliol College in Oxford. Während seiner Zugehörigkeit zum Queen's College in Oxford (1904-1910) wurde er 1908 zum Diakon und 1909 zum Priester ordiniert. Nach kurzfristigen Tätigkeiten als Direktor des Repton-Gymnasiums, Rektor von St. James in Piccadilly und Domherr von Westminster Abbey wurde er zum Bischof von Manchester ernannt (1921 1929). Er wurde zum Erzbischof von York (1929-1942) und später von Canterbury befördert (1942-1944). Am 26. Oktober 1944 verstarb er unerwartet. 2. Werk Temples Veröffentlichungen müssen sowohl in engem biographischem Zusammenhang mit seiner Stellung als Mann des öffentlichen Lebens in Kirche und Staat als auch im Licht des nationalen wie internationalen Wandels seiner Zeit gesehen werden. Temple verehrte seine Eltern. Seine Mutter zügelte seine jugendliche Frühreife („Du magst zwar mehr als ich wissen, William," sagte sie, „aber ich weiß es am besten"; Fletcher 240), vermittelte ihm ein inneres Gleichgewicht und gab ihm Selbstsicherheit mit auf den Weg. Sein Vater machte ihn mit dem Reichtum der anglikanischen Tradition bekannt, insbesondere des liberalen katholischen Flügels mit seiner Auffassung von Inkarnation, Kirche, Gottesdienst und den Sakramenten; der Notwendigkeit, aus Überzeugung zu handeln, aber mit Zweifeln zu leben; der Bedeutung von Charakter und Gewissen, Willen und praktischem Verstand, sowie mit der entscheidenden Rolle der Ausbildung. Aufgrund von Fredericks überragender Stellung lernte William alle führenden Männer des Anglikanismus kennen. Speziell Ch. -»Gore wurde sein Mentor. Am Rugby-Gymnasium wurde er vom Ethos erfüllt, das ihm von seinem berühmten Direktor, Thomas Arnold ( 1 7 9 5 - 1 8 4 2 ) , eingeflößt worden war: geistigem Ernst und sozialem Gewissen sowie der Pflicht der Privilegierten, bei der Verbesserung sozialer Zustände die Führung zu übernehmen. In Oxford vertiefte sich Temple in die damals maßgebliche Hegeische Tradition. Sie wollte zu einem umfassenden rationalen Verständnis der Wirklichkeit gelangen, womit sie das Selbstvertrauen und den Optimismus des Viktorianischen Zeitalters und der Ära Eduards widerspiegelte. Temple stand der Richtung nahe, die die Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellte. Edward Caird ( 1 8 3 5 - 1 9 0 8 ) , von 1893 bis 1907 Leiter des Balliol College, inspirierte ihn sowohl als Philosoph wie auch als Sozialkritiker. Temple lernte die Armut in Londons East End kennen und trat der Christian Social Union (-»Sozialismus III.1.4.) bei, die dem christlichen Glauben einen Einfluß auf die Gesellschaft vermitteln wollte. 1905 trat er der Arbeiter-Erziehungs-Vereinigung bei, und ihm wurde die große Ehre zuteil, von 1908 bis 1924 zu ihrem Präsidenten ernannt zu werden. Temple war am Rugby und Balliol College mit Richard Henry Tawney (1880—1962) zusammen,

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dem Wirtschaftshistoriker und christlich-sozialen Theologen. Die beiden teilten ein Interesse an sozialen und Erziehungsfragen und schlössen Freundschaft fürs Leben. Diese Einflüsse sowie seine natürliche Veranlagung führten zu der christlichen Philosophie, die Temple entwickelte. In Mens Creatrix (1917) erklärte er, daß die Philosophie klar und in einem umfassenden Maßstab über die Probleme des Lebens nachdenken müsse. Er ging davon aus, daß das Universum rational sei und der menschliche Verstand es prinzipiell in seiner Gesamtheit erfassen könne. Bei seiner Suche nach einer logischen Erklärung für das Universum ging er nicht davon aus, daß das Weltprinzip der Einheit rein geistig sei, sondern bezog auch die Einbildungskraft und das Gewissen mit ein: die Wissenschaften, Künste, Moral und die Religion. Sie alle kämen in einem allumfassenden System der Wahrheit zusammen, berührten sich dort aber nicht. Temple machte sich daraufhin die christlichen Denkvoraussetzungen - im Mittelpunkt die Inkarnation - zu eigen, um die fehlende Einheit herzustellen. Der Schock des Ersten Weltkriegs schreckte Temple nicht von seiner Suche ab. In Christus Veritas (1924) ging er zunächst erneut von der Welt aus und bemühte dann den christlichen Glauben, gab aber auch zu, daß sein Ausgangspunkt ein spezifisch christlicher sei. Er versuchte, eine christozentrische Metaphysik zu konstruieren, die in der besonderen Inkarnation -»-Jesu Christi verwurzelt war. Einige Kommentatoren merkten kritisch an, daß er dabei seine eigentliche philosophische Aufgabe aus dem Auge verlor. Entscheidend waren hier vier gemeinschaftliche Prinzipien, die Natur des Menschen betreffend: die Würde und Freiheit jedes Individuums; Gemeinschaft oder der soziale Charakter des Menschen; das menschliche Bedürfnis, einander zu dienen; und die herausragende Bedeutung des Opfers. Das gehörte zu Temples zunehmendem Interesse am Christentum und der Gesellschaft, wie es in Church and Nation (1915) zum Ausdruck kommt, in seiner Herausgabe von The Pilgritn von 1921 bis 1928 (einige der von ihm selbst verfaßten Artikel wurden in Essays in Christian Politics verlegt) und in Christianity and the State (1928). Die sozialen Prinzipien wurden auf der von Temple geleiteten Konferenz über christliche Politik, Wirtschaft und Staatsbürgerschaft (Conference oti Christian Politics, Economics and Citizenship, COPEC) im Jahr 1924 verankert. Aufgabe dieser Konferenz war es, Gesellschaftskritik zu üben und allgemeine richtungweisende Vorschläge für die Zukunft (bekannt als „mittlere Grundsätze") zu machen. Ein Bericht der COPEC wurde im Jahr 1925 an die Weltkirchenkonferenz Life and Work in Stockholm gesandt. Der Idealismus der COPEC wurde durch den Generalstreik und den Streik der Bergbauarbeiter im Jahr 1926 und den erfolglosen Versuch einer Intervention einer von Temple geleiteten Gruppe sowie die Wirtschaftskrisen ab 1929 in Frage gestellt. Temples Gifford-Vorträge von 1932-1934, Nature, Man and God, sind Ausdruck seiner am weitesten ausgereiften christlichen Philosophie. Temple legte das Hervorgehen des gesamten geistigen Bereichs aus dem Materiellen dar; er vertrat die Überzeugung, daß das Universum sakramental sei, und bemühte den Begriff des Zwecks, um die Behauptung aufzustellen, nur der Theismus könne eine befriedigende Erklärung für ein solches Universum bieten. Temple betonte die Bedeutung des Charakters und des Willens (definiert als die Einstellung der Gesamtpersönlichkeit des Individuums für eine Handlung) bei der Entstehung und Verfolgung des Zwecks des Menschen. Er erkannte auch offener den radikalen Charakter des menschlichen Bösen an: „Es ist der Geist, der böse ist; es ist der Verstand, der pervertiert ist; es ist das Streben selbst, das korrumpiert ist" (ebd. 368). Die Menschen müßten ihre Aufmerksamkeit beständig auf Gott richten, besonders durch den Gottesdienst, aber sie verfolgten die falschen Zwecke. E. —»Brunner entdeckte in Nature, Man and God eine entscheidende Zweideutigkeit: War Temples Gedankengang durch den christlichen Glauben bestimmt? Oder bewegte sich Temple in Richtung auf eine Synthese zwischen christlichem Glauben und Verstand hin? Ersteres klingt plausibler, doch die Zweideutigkeit bleibt bestehen.

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Das Zurschaustellen der Macht durch die Nazis und seine zunehmenden Kontakte mit europäischen und nordamerikanischen Theologen wie Brunner und Reinhold ->Niebuhr, insbesondere im Zusammenhang mit der Internationalen Ökumenischen Konferenz über Kirche, Gemeinschaft und Staat im Jahr 1937 in Oxford, radikalisierten Temples Denken. In den späten dreißiger Jahren schrieb er, es sei nicht mehr möglich, eine christozentrische Synthese anzustreben, da vieles in dieser bösen Welt irrational und unverständlich sei. Die Christen würden mehr in die Richtung einer Theologie der Erlösung gedrängt. Aufgabe sei es nicht, die Welt zu erklären, sondern sie zu bekehren. Dies müsse das Werk der göttlichen Gnade sein. Temples Umdenken war kein unkomplizierter Prozeß. Er verwarf nicht einfach seine früheren Bemühungen. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung über langfristige Arbeitslosigkeit (1938 als Men without Work veröffentlicht) standen seine sozialen Prinzipien, die auch in Christianity and Social Order (1942) wieder auftauchten, in dem seine Sozialtheologie zusammengefaßt ist (obwohl die Kategorie des Opfers ausgeklammert ist, da sie die Möglichkeiten der Nationen überschreite). Allerdings verlegte er die Betonung mehr auf die Notwendigkeit, sich der rauhen Wirklichkeit zu stellen: auf Sachkenntnis in technischen Fragen und auf die christliche Verwerfung utopischer Vorstellungen und das Streben nach Gerechtigkeit anstatt auf Liebe, und zwar durch Zügelung des Eigeninteresses und dadurch, daß beschränkte Loyalitäten mit weitergefaßten zur Deckung gebracht wurden. Temples Readings in St. John's Gospel (1939-1940, das Ergebnis des Nachdenkens vieler Jahre) bekräftigten den materiellen und sakramentalen Charakter der christlichen Religion, deren Mittelpunkt das fleischgewordene Wort war. Temple antwortete auch der Anglo-katholischen Christendom Group, der der Theologe Vigo Auguste Demant (1893-1983) und der Dichter T. S. Eliot (1888-1965) angehörten und die versuchte, eine authentisch christliche Gesellschaftsordnung im Gegensatz zu Totalitarismus und Liberalismus zu entwerfen. Temple verschaffte der Gruppe auf der Malvern-Konferenz von 1941 Bedeutung, legte nahe, sich mit der katholischen Tradition des Naturgesetzes ernsthaft auseinanderzusetzen, verbesserte die Beziehungen mit der Spitze der römisch-katholischen Kirche in England und wandte sich im Jahr 1943 mit Thomism and Modern Needs an die Aquinas-Gesellschaft. What Christians Stand for in tbe Secular World (1943, verlegt in Religious Experience), der Artikel, als dessen Autor Temple im Gedächtnis der Nachwelt zu bleiben hoffte, wies in die Richtung einer Theologie der Erlösung. Er schrieb nicht über Prinzipien, sondern über grundsätzliche Entscheidungen: für Gott, der gesprochen hat, für den Nachbarn, für den Menschen, der in der N a t u r verwurzelt ist, für die Geschichte, für das Evangelium und für die Kirche. Er stimmte mit Demant darin überein, daß es nicht genüge, Ideale zu verkünden und an den Willen zu appellieren, um sie zu erreichen. Vielmehr gelte es, die Kluft zwischen den Idealen des Menschen und dem zu überbrücken, woran die Menschen im Grunde wirklich glaubten; denn die Krise sei nicht so sehr eine moralische als eine kulturelle. Im Einklang mit Niebuhr betonte er die Notwendigkeit, die egoistische Ausübung von Macht anzuprangern und nach Gerechtigkeit zu streben. 3.

Wirkung

Die Hegeische Philosophie kam zu Temples Lebzeiten aus der Mode. Drei Aspekte von Temples Denken hatten jedoch bleibenden Einfluß: Erstens beeinflußte sein Gedanke von einem sakramentalen Universum einige christliche Philosophen wie etwa John Macquarrie (geb. 1919) sowie einige christliche Biologen, zum Teil als Abwehr gegen zu eng gefaßte Begriffe vom Menschen. Zweitens machten ihn seine natürliche Friedfertigkeit und seine Fähigkeit, eine Synthese zwischen den besten Elementen menschlichen Denkens herzustellen, zum geeigneten M a n n für die Förderung ökumenischen Verständnisses; er war eine führende Gestalt bei der Bildung des Weltkonzils der Kirchen. Drittens war Temples Sozialtheologie einer der Grundpfeiler des von der Regierung Clement Richard Attlees (1883-1967; Premierminister 1945-1951) errichteten britischen Sozi-

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alstaats. Sie war über Jahrzehnte hinweg richtungweisend für den Anglikanismus und führte zur Gründung des William Temple College (später der William Temple-Stiftung) sowie dem Beginn der Missionsarbeit in der Industrie. Ronald H. Preston setzte sich für die Methode des mittleren Grundsatzes ein und verband Temple und Niebuhr miteinander. Quellen Bibliographie: Joseph F. Fletcher, William Temple, Twentieth-Century Christian, New York 1963 (Lit. 349-365). Ausgewählte Werke: Church and Nation, London 1915. - Mens Creatrix, London 1917. Christus Veritas, London 1924. - Essays in Christian Politics and Kindred Subjects, London 1927. - Christianity and the State, London 1928. - Nature, Man and God, London 1934. - Christian Faith and the Common Life: Church, Community and State. IV. Christian Faith and the Common Life, hg. v. Nils Ehrenstrom, London 1938, 4 7 - 6 5 . - Chairman's Intr.: Doctrine in the Church of England. The Report of the Commission on Christian Doctrine appointed by the Archbishops of Canterbury and York in 1922, London 1938. - Intr.: Men without Work, Cambridge 1938. Readings in St. John's Gospel, London 1 9 3 9 - 1 9 4 0 . - The Hope of a New World, London 1940. - Thoughts in War-Time, London 1940. - Citizen and Churchman, London 1941. - Christianity and Social Order, London 1942; mit einer Einl. v. Ronald H. Preston, 2 1976. - The Church looks Forward, London 1944. - Religious Experience and Other Essays and Addresses, hg. v. A. E. Baker, London 1958. - Some Lambeth Letters, hg. v. F. S. Temple, London 1963. Literatur John David Carmichael/Harold S. Goodwin, William Temple's Political Legacy. A Critical Assessment, London 1963. - Conference on Christian Politics, Economics and Citizenship Commission Reports, 12 Bde., London 1924. - Robert Craig, Social Concern in the Thought of William Temple, London 1963. - Vigo Auguste Demant, The Religious Prospect, London 1939. - David L. Edwards, Leaders of the Church of England 1 8 2 8 - 1 9 7 8 , London 1978. - Joseph F. Fletcher (s.o. zu Quellen). - Frederick Kenneth Hare (Hg.), The Experiment of Life, Toronto 1983. - Adrian Hastings, A History of English Christianity 1920-1990, London 1991. - Richard Hoskins, The Doctrine of the Trinity in the Works of John Richardson Illingworth and William Temple, and the Implications for Contemporary Trinitarian Theology, Lewiston/Queenston/Lampeter 2000. Frederick Athelwold Iremonger, William Temple. Archbishop of Canterbury. His Life and Letters, London 1948. - John Kent, William Temple. Church, State and Society in Britain 1 8 8 0 - 1 9 5 0 , London 1992. - Charles Wesley Lowry, William Temple. An Archbishop for All Seasons, Washington 1982. - Malvern 1941. The Life of the Church and the Order of Society. Being the Proceedings of the Archbishop of York's Conference, London 1941. - Edward Robert Norman, Church and Society in England. 1770-1970, London 1976. - John Oliver, The Church and Social Order. Social Thought in the Church of England, 1918-1939, London 1968. - Jack F. Padgett, The Christian Philosophy of William Temple, Den Haag 1974. - Ronald H. Preston, William Temple as a Social Theologian; Theol. 84 (1981) 3 3 4 - 3 4 1 . - The Proceedings, of COPEC, London 1924. - Arthur Michael Ramsey, From Gore to Temple. The Development of Anglican Theology between „Lux Mundi" and the Second World War 1889-1939, London 1960. - W. R. Rinne, The Kingdom of God in the Thought of William Temple. The Purpose of God for Mankind, 1966 (AAAbo.H 32/1). - Klaus Schmidt, Die sakramentale Theol. William Temple's, Diss. Bonn 1972. - Stephen Christopher Spencer, The Decline of Historicism in William Temple's Social Thought, Diss. phil. Oxford 1990. - Alan M . Suggate, William Temple and Christian Social Ethics Today, Edinburgh 1987. William Temple. An Estimate and an Appreciation, London 1946. - Owen C. Thomas, William Temple's Philosophy of Religion, London 1961.

Alan M . Suggate

Templer -»-Ritterorden, Geistliche

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alstaats. Sie war über Jahrzehnte hinweg richtungweisend für den Anglikanismus und führte zur Gründung des William Temple College (später der William Temple-Stiftung) sowie dem Beginn der Missionsarbeit in der Industrie. Ronald H. Preston setzte sich für die Methode des mittleren Grundsatzes ein und verband Temple und Niebuhr miteinander. Quellen Bibliographie: Joseph F. Fletcher, William Temple, Twentieth-Century Christian, New York 1963 (Lit. 349-365). Ausgewählte Werke: Church and Nation, London 1915. - Mens Creatrix, London 1917. Christus Veritas, London 1924. - Essays in Christian Politics and Kindred Subjects, London 1927. - Christianity and the State, London 1928. - Nature, Man and God, London 1934. - Christian Faith and the Common Life: Church, Community and State. IV. Christian Faith and the Common Life, hg. v. Nils Ehrenstrom, London 1938, 4 7 - 6 5 . - Chairman's Intr.: Doctrine in the Church of England. The Report of the Commission on Christian Doctrine appointed by the Archbishops of Canterbury and York in 1922, London 1938. - Intr.: Men without Work, Cambridge 1938. Readings in St. John's Gospel, London 1 9 3 9 - 1 9 4 0 . - The Hope of a New World, London 1940. - Thoughts in War-Time, London 1940. - Citizen and Churchman, London 1941. - Christianity and Social Order, London 1942; mit einer Einl. v. Ronald H. Preston, 2 1976. - The Church looks Forward, London 1944. - Religious Experience and Other Essays and Addresses, hg. v. A. E. Baker, London 1958. - Some Lambeth Letters, hg. v. F. S. Temple, London 1963. Literatur John David Carmichael/Harold S. Goodwin, William Temple's Political Legacy. A Critical Assessment, London 1963. - Conference on Christian Politics, Economics and Citizenship Commission Reports, 12 Bde., London 1924. - Robert Craig, Social Concern in the Thought of William Temple, London 1963. - Vigo Auguste Demant, The Religious Prospect, London 1939. - David L. Edwards, Leaders of the Church of England 1 8 2 8 - 1 9 7 8 , London 1978. - Joseph F. Fletcher (s.o. zu Quellen). - Frederick Kenneth Hare (Hg.), The Experiment of Life, Toronto 1983. - Adrian Hastings, A History of English Christianity 1920-1990, London 1991. - Richard Hoskins, The Doctrine of the Trinity in the Works of John Richardson Illingworth and William Temple, and the Implications for Contemporary Trinitarian Theology, Lewiston/Queenston/Lampeter 2000. Frederick Athelwold Iremonger, William Temple. Archbishop of Canterbury. His Life and Letters, London 1948. - John Kent, William Temple. Church, State and Society in Britain 1 8 8 0 - 1 9 5 0 , London 1992. - Charles Wesley Lowry, William Temple. An Archbishop for All Seasons, Washington 1982. - Malvern 1941. The Life of the Church and the Order of Society. Being the Proceedings of the Archbishop of York's Conference, London 1941. - Edward Robert Norman, Church and Society in England. 1770-1970, London 1976. - John Oliver, The Church and Social Order. Social Thought in the Church of England, 1918-1939, London 1968. - Jack F. Padgett, The Christian Philosophy of William Temple, Den Haag 1974. - Ronald H. Preston, William Temple as a Social Theologian; Theol. 84 (1981) 3 3 4 - 3 4 1 . - The Proceedings, of COPEC, London 1924. - Arthur Michael Ramsey, From Gore to Temple. The Development of Anglican Theology between „Lux Mundi" and the Second World War 1889-1939, London 1960. - W. R. Rinne, The Kingdom of God in the Thought of William Temple. The Purpose of God for Mankind, 1966 (AAAbo.H 32/1). - Klaus Schmidt, Die sakramentale Theol. William Temple's, Diss. Bonn 1972. - Stephen Christopher Spencer, The Decline of Historicism in William Temple's Social Thought, Diss. phil. Oxford 1990. - Alan M . Suggate, William Temple and Christian Social Ethics Today, Edinburgh 1987. William Temple. An Estimate and an Appreciation, London 1946. - Owen C. Thomas, William Temple's Philosophy of Religion, London 1961.

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Teresa von Avila

Teresa von Avila 1. Leben

(1515-1582)

2. Werk

3. Aktualität

(Quellen/Literatur S. 78)

1. Leben Teresa von Avila (die Große Theresia) oder Teresa de Jesús, wie sie sich selbst nannte, wurde am 28. März 1515 in Avila (Kastilien, Spanien) in einer väterlicherseits jüdischen Familie geboren, die durch einen gekauften Adelstitel zum niedrigen Adel gehörte. Dadurch rechnete sie offiziell zu den sog. Altchristen und war einer direkten Diskriminierung als Judeoconversa entzogen, jedoch kann man ihr Leben und ihre Persönlichkeit nicht verstehen, ohne diesen wichtigen Umstand zu berücksichtigen, was in den herkömmlichen Biographien bewußt oder unbewußt verschwiegen wurde. So galt sie bis in unsere Zeit hinein als Verkörperung des spanischen Charakters schlechthin. Ihre kindlichen Unternehmungen, wie die im Alter von ca. sieben Jahren zusammen mit ihrem Bruder unternommene „Flucht zu den Mohren", wurden als Ausdruck ihres missionarischen Geistes gesehen, während sie einfach dem in der ersten religiösen Unterweisung empfangenen Wunsch nachkamen, getötet zu werden, um bald in den Genuß der ewigen Belohnung zu kommen, wie es der damaligen religiösen Einstellung entsprach. Auch ihr Eintritt ins Karmelitinnenkloster ihrer Heimatstadt am Allerseelentag 1535 geschah mit der Absicht, sich zu retten und dort aus „knechtischer Furcht" vor Gott ein Leben wie im -»Fegfeuer zu führen, in der Überzeugung, eigentlich die -»Hölle verdient zu haben. Die innere Umwandlung vollzog sich durch das heute sog. innere Beten, das Teresa schon vor ihrem Eintritt ins Kloster praktiziert hat, worin sie aber erst durch das Tercer Abecedario espiritual des Francisco de Osuna (ca. 1492-1540/41), eines geistlichen Klassikers der damaligen Zeit, bestärkt wurde, das ihr im Winter 1538/39 während ihrer schweren Krankheit in die Hände fiel. Darin wird das Gebet der Sammlung beschrieben, was für sie bedeutete, „mir Jesus Christus, unser Gut und unseren Herrn, innerlich vorzustellen" (Leben 4,8), d.h. eine Lebensorientierung am Menschen Jesus. Es ist das für sie typische innere Beten, das sie als Freundschaft mit Gott bezeichnete und lebte (ebd. 8,5) und ohne das ihre Person und ihr Werk nicht verstanden werden können. Deshalb bedeutete es für sie die größte Krise, als sie das innere Beten aufgab, weil sie glaubte, dafür zu schlecht zu sein (ebd. 7,1; 9,1), und meinte, sie müsse sich zuerst durch eigenes Bemühen von allen -»Sünden frei machen, um sich dann Gott nahen zu können (ebd. 19,12). So ist das Aufgeben des Betens nicht einfach eine Folge von Laxheit und Bequemlichkeit, wie in den herkömmlichen Biographien immer wieder gesagt worden ist, sondern Folge einer Krise ihres Vertrauens auf Gott, unterstützt durch eine moralisierende Unterweisung. Um so nachdrücklicher wies sie auf seine Bedeutung hin, nachdem sie es wieder aufgenommen hatte (ebd. 8,5), ja, es wird für sie zum Sinn des Lebens. Sie versteht allmählich, daß dieser nicht im Erreichen von Erfolgen, Überwinden von Sünden und Verrichten von religiösen Übungen besteht, sondern in dieser Freundschaftsbeziehung. Diese und nicht gegenreformatorisches Engagement ist auch die Triebfeder für die Gründung von -»Klöstern, von denen sie das erste von insgesamt 15, San José in Avila, 1562 gründet; ab 1568 wird sie mit Hilfe des heiligen -»Johannes vom Kreuz auch zur Gründerin von Klöstern für Brüder. Auch in der über ihr Werk bald hereinbrechenden Verfolgung gibt ihr diese persönliche Gottesbeziehung (-»Mystik) Kraft und Zuversicht, oft gegen alle menschliche Hoffnung; denn als eine dem inneren Beten ergebene, noch dazu einer jüdischen Familie entstammende Frau hatte sie es in der damals von vorwiegend spekulativen Theologen beherrschten Kirche und Gesellschaft dreifach schwer. 1581 wird ihr neuer Orden durch ein päpstliches Breve zur unabhängigen Provinz, zu dessen erstem Provinzial ihr enger Vertrauter Jerónimo Gracián (Hieronymus a Matre Dei, 1545-1614) gewählt wird. Als sie am 4. Oktober 1582 zu Alba de Tormes (Salamanca) „als Tochter der Kirche", wie sie betet, stirbt, dankt sie Gott, daß sie ihr Leben nicht außerhalb der Kirche, wo es aus damaliger Sicht kein -»Heil gab, beenden muß.

Teresa von Avila

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2. Werk Teresas bleibendes Werk ist einmal eine Neubegründung ihres Ordens (-»Karmeliter), die zur Entstehung des Teresianischen Karmel führte, herkömmlich Orden der Unbeschuhten Karmeliten genannt, dem heute ca. 12.000 Schwestern, über 4.000 Brüder, ca. 75 Kongregationen mit rund 40.000 Mitgliedern und über 40.000 Männer und Frauen in Laiengemeinschaften angehören; zum anderen sind es ihre Schriften, die teilweise zu den Klassikern der Weltliteratur, auf jeden Fall aber des Christentums gehören. Im Buch meines Lebens (1562-1565) berichtet sie über ihren inneren Werdegang und die Gründung von San Jose, für die sie 1567 erste Konstitutionen verfaßt; das Buch der Gründungen (1573-1582) setzt diese Berichte einschließlich der letzten im Frühjahr 1582 fort. Der Weg der Vollkommenheit (1565/66) ist ein ausführliches Handbuch für ihre Schwestern, aber auch für alle, die das innere Beten pflegen wollen; in den Wohnungen der Inneren Burg (1577) beschreibt sie den Weg des Menschen in sein Innerstes, wo Gott wohnt; in den über 400 erhaltenen von schätzungsweise 16.000 Briefen (1562-1582) erweist sie sich als eine mystisch begnadete Frau, für die die alltägliche Welt zum Ort geistlichen Handelns geworden ist; weitere Schriften sind ihre Geistlichen Berichte (1560-1581), ihr Kommentar zum Hohenlied (vor 1575) und kleinere. 3.

Aktualität

Teresas Wirkung in alle Bereiche des christlichen Lebens hinein, ja selbst in nichtchristliche Religionen ist außerordentlich groß. Das beweisen einmal die ständigen Neuauflagen ihrer Schriften, aber auch die Übersetzungen ihrer Werke in viele Sprachen wie auch ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin als erste Frau in der Kirche 1970. Ihre eigene religiöse -»• Erfahrung macht deutlich, daß christliche -* Spiritualität nicht heilsindividualistisch auf sich selbst schauen darf, sondern offen sein muß, oder, um es mit ihren Worten zu sagen: Echte Freundschaft nimmt die Interessen beider Freunde ernst, und da es Gottes Heilsplan ist, daß alle Menschen gerettet werden, ist ein als Freundschaft verstandenes Beten von daher schon universal. Das bedeutet aber auch, daß kein Mensch mit seiner Gottesbeziehung jemals fertig ist, und auch die Kirche als ganze nicht, so daß die Lösung heutiger Probleme niemals in einer Rückkehr zu einer für noch so glorreich gehaltenen Vergangenheit bestehen kann. Weiterhin läßt echte Freundschaft den anderen frei, und das heißt, daß jeglicher Handel mit Gott, auch der mit Gebeten, frommen Übungen und Leistungen, unzulässig ist; sie ist vielmehr darauf aus, den anderen immer besser kennenzulernen, um ihn immer mehr lieben zu können, was zum Studium des Menschen Jesus von Nazareth, also zur Ernstnahme der Evangelien gleichsam von innen heraus anregt; sie überwindet die Aufteilung des Lebens in Zeiten des Betens, die eigentlich immer zu kurz sind und möglichst weit ausgedehnt werden müßten, was ein ständig schlechtes Gewissen verursacht, denn eine Freundschaft besteht immer oder aber gar nicht (Überwindung des Gegensatzes von Aktion und Kontemplation). Eine als Freundschaft verstandene Frömmigkeit ist niemals gewalttätig, sondern respektiert die Andersartigkeit und Individualität des anderen, gleich welcher Religion, Rasse oder Sprache er ist, denn jeder Mensch ist Wohnort Gottes und zum Leben in der Vereinigung mit ihm berufen. Damit hob sich Teresa grundsätzlich von der damals allgemein üblichen religiösen Pädagogik ab, was seinen konkreten Niederschlag auch in ihren Konstitutionen gefunden hat: „Man achte mehr darauf, daß die Novizin im Tun des Guten Fortschritte mache als im Rigorismus der Bußübungen" (Konstitutionen 9,7). Doch stellt sie damit auch manche heutigen religiösen Praktiken in Frage, so wenn es in erster Linie um eine Versorgungs- und Sakramentenpastoral geht und weniger um eine Befähigung zu einer persönlichen Gottesbeziehung. Schließlich fördert eine solche Art von geistlicher Begleitung die Eigenverantwortung und führt nicht zur Abhängigkeit vom geistlichen Vater oder der geistlichen Mutter (Personenkult) und ist jeder Art von religiösem -»Fundamentalismus abhold. Da jeder Mensch zur Freundschaft mit Gott

Terministischer Streit

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fähig und eingeladen ist, werden auch die von Menschen errichteten Barrieren zwischen den Geschlechtern hinfällig, und Teresa wird zur Anwältin einer von der Praxis Jesu her grundgelegten und legitimierten Gleichberechtigung der Frau, womit sie sich in einem sehr tiefen Sinn als Feministin erweist. Doch im Gegensatz zu vielen heutigen Ansätzen in diesem Bereich geht es ihr nicht darum, etwas zu erkämpfen, sondern zur wahren Freiheit zu verhelfen. Quellen 1. Gesamtausgaben: GA, hg. v. Luis de León, Salamanca 1588. - Erste krit. GA: Obras de Santa Teresa de Jesus, hg. v. Silverio de Santa Teresa, 9 Bde., 1915-1924 (BMCar 1 - 9 ) . - Alberto Barrientos (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Madrid 2 1976 5 2000. - Tomás Alvarez (Hg.), Santa Teresa. Obras completas, Burgos '1998. - Ders., Santa Teresa. Cartas, Burgos 1979 *1997. - Efrén de la Madre de Dios/Otger Steggink (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Madrid '1997. - Maximiliano Herráiz García (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Salamanca 1997. - Dt.: Sämtl. Sehr, der hl. Theresia v. Jesu. Ubers, nach der span. Ausg. des Silverio de S. Teresa v. Aloysius ab Immaculata Conceptione [Aloys Alkofer], 6 Bde., München, I 1933 = "1994 II 1935 = 51997 III 1936 = '1993 IV 1939 = 4 1985 V 1937 = '1997 VI 1941 = 5 1990. 3

2. Einzelausgaben: Die Innere Burg, Stuttgart 1966 u.ö. - Weg der Vollkommenheit, Leutesdorf 1998. - Klostergründungen, Wien 1998. Literatur

1. Biographien: Marcelle Auclair, La vie de Sainte Thérèse d'Avila, Paris 1950; dt.: Das Leben der hl. Teresa v. Avila, Zürich 1953. - Efrén de la Madre de Dios/Otger Steggink, Tiempo y vida de S.Teresa, 1968 3 1996 (BAC 283). - Erika Lorenz, Teresa v. Avila. Eine Biographie, mit Bildern v. Helmuth Niels Loose, Freiburg i.Br. 1994. - Giorgio Papasogli, Santa Teresa d'Avila, Rom 1952; dt.: Teresa v. Avila, München 1959. - Francisco de Ribera, La vida de la Madre Teresa de Jesús, fundadora de las descalzas y descalzos carmelitas, Salamanca 1590 u.ö. - Silverio de Santa Teresa, Vida de Santa Teresa de Jesús, 5 Bde., Burgos 1935-1937. 2. Abhandlungen: Jutta Burggraf, Teresa v. Avila. Humanität u. Glaubensleben, Paderborn 1996. - Ulrich Dobhan, Gott - Mensch - Welt in der Sicht Teresas v. Avila, 1978 ( E H S T 101). - Helmut Anthony Hatzfeld, Estudios literarios sobre mística española, 1955 3 1976 (BRoHi.EE 16). - Maximiliano Herráiz García, Beten mit der hl. Teresa. Anleitung zum geistlichen Leben, Wien 1987. - Introducción a la lectura de Santa Teresa. Obra en colaboración, v. Alberto Barrientos u.a., Madrid 1978. - Salvador Ros (Hg.), La recepción de los místicos Teresa de Jesús y Juan de la Cruz, Salamanca 1997. - Britta Souvignier, Die Würde des Leibes. Heil u. Heilung bei Teresa v. Avila, 2001 (KVRG 30). - Josef Sudbrack, Erfahrung einer Liebe. Teresa v. Avilas Mystik als Begegnung mit Gott, Freiburg 1979. - Rowan Williams, Teresa of Avila, London 1991. Ulrich Dobhan

Terministischer Streit (Literatur S. 80) Der Begriff „Terminismus" (zum Begriff im philosophischen Sinn s. -»Nominalismus) bezeichnet die Lehre, daß den Menschen von Gott eine bestimmte Frist zur -»Bekehrung gesetzt ist. Wird der festgelegte Termin versäumt, ist eine Bekehrung nicht mehr möglich. Die Lehre von einer Terminierung der - » B u ß e beschäftigte die Kirche seit ihren Anfängen (Hebr 6 , 4 - 6 ; 12,17; Hirte des Hermas, bes. Herrn vis 11,2,5; s.a. vis I I I , 3 , l b - 7 , 6 ; sim I X , 1 8 , 2 ) , jedoch brach ein Streit darüber erst im Spannungsfeld von -»-Orthodoxie und -»Pietismus aus (zur Vorgeschichte, dem sog. Stengerschen Streit, vgl. Sträter 40ff.). Schon Ph.J. -»Spener hatte in seinen Predigten gelegentlich von einem „Gnadentermin" gesprochen (z. B. Spener, Bußpredigten, Frankfurt a . M . 1 6 7 8 / 1 6 8 6 , 1 , 3 3 2 ; II, 261 f.; ders., Evangelische Glaubenslehre, Frankfurt a . M . 1688, repr. Hildesheim 1986, 1 1 8 f . 8 0 5 f . ; ders., Evangelische Lebenspflichten, Frankfurt a . M . 1692, repr. Hildesheim 1 9 9 2 , 1 , 3 9 6 ; ders., Evangelischer Glaubenstrost, Frankfurt a . M . 1695, II, 2 4 4 ; s.a. ders., Theologische

Terministischer Streit

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fähig und eingeladen ist, werden auch die von Menschen errichteten Barrieren zwischen den Geschlechtern hinfällig, und Teresa wird zur Anwältin einer von der Praxis Jesu her grundgelegten und legitimierten Gleichberechtigung der Frau, womit sie sich in einem sehr tiefen Sinn als Feministin erweist. Doch im Gegensatz zu vielen heutigen Ansätzen in diesem Bereich geht es ihr nicht darum, etwas zu erkämpfen, sondern zur wahren Freiheit zu verhelfen. Quellen 1. Gesamtausgaben: GA, hg. v. Luis de León, Salamanca 1588. - Erste krit. GA: Obras de Santa Teresa de Jesus, hg. v. Silverio de Santa Teresa, 9 Bde., 1915-1924 (BMCar 1 - 9 ) . - Alberto Barrientos (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Madrid 2 1976 5 2000. - Tomás Alvarez (Hg.), Santa Teresa. Obras completas, Burgos '1998. - Ders., Santa Teresa. Cartas, Burgos 1979 *1997. - Efrén de la Madre de Dios/Otger Steggink (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Madrid '1997. - Maximiliano Herráiz García (Hg.), Santa Teresa de Jesús. Obras completas, Salamanca 1997. - Dt.: Sämtl. Sehr, der hl. Theresia v. Jesu. Ubers, nach der span. Ausg. des Silverio de S. Teresa v. Aloysius ab Immaculata Conceptione [Aloys Alkofer], 6 Bde., München, I 1933 = "1994 II 1935 = 51997 III 1936 = '1993 IV 1939 = 4 1985 V 1937 = '1997 VI 1941 = 5 1990. 3

2. Einzelausgaben: Die Innere Burg, Stuttgart 1966 u.ö. - Weg der Vollkommenheit, Leutesdorf 1998. - Klostergründungen, Wien 1998. Literatur

1. Biographien: Marcelle Auclair, La vie de Sainte Thérèse d'Avila, Paris 1950; dt.: Das Leben der hl. Teresa v. Avila, Zürich 1953. - Efrén de la Madre de Dios/Otger Steggink, Tiempo y vida de S.Teresa, 1968 3 1996 (BAC 283). - Erika Lorenz, Teresa v. Avila. Eine Biographie, mit Bildern v. Helmuth Niels Loose, Freiburg i.Br. 1994. - Giorgio Papasogli, Santa Teresa d'Avila, Rom 1952; dt.: Teresa v. Avila, München 1959. - Francisco de Ribera, La vida de la Madre Teresa de Jesús, fundadora de las descalzas y descalzos carmelitas, Salamanca 1590 u.ö. - Silverio de Santa Teresa, Vida de Santa Teresa de Jesús, 5 Bde., Burgos 1935-1937. 2. Abhandlungen: Jutta Burggraf, Teresa v. Avila. Humanität u. Glaubensleben, Paderborn 1996. - Ulrich Dobhan, Gott - Mensch - Welt in der Sicht Teresas v. Avila, 1978 ( E H S T 101). - Helmut Anthony Hatzfeld, Estudios literarios sobre mística española, 1955 3 1976 (BRoHi.EE 16). - Maximiliano Herráiz García, Beten mit der hl. Teresa. Anleitung zum geistlichen Leben, Wien 1987. - Introducción a la lectura de Santa Teresa. Obra en colaboración, v. Alberto Barrientos u.a., Madrid 1978. - Salvador Ros (Hg.), La recepción de los místicos Teresa de Jesús y Juan de la Cruz, Salamanca 1997. - Britta Souvignier, Die Würde des Leibes. Heil u. Heilung bei Teresa v. Avila, 2001 (KVRG 30). - Josef Sudbrack, Erfahrung einer Liebe. Teresa v. Avilas Mystik als Begegnung mit Gott, Freiburg 1979. - Rowan Williams, Teresa of Avila, London 1991. Ulrich Dobhan

Terministischer Streit (Literatur S. 80) Der Begriff „Terminismus" (zum Begriff im philosophischen Sinn s. -»Nominalismus) bezeichnet die Lehre, daß den Menschen von Gott eine bestimmte Frist zur -»Bekehrung gesetzt ist. Wird der festgelegte Termin versäumt, ist eine Bekehrung nicht mehr möglich. Die Lehre von einer Terminierung der - » B u ß e beschäftigte die Kirche seit ihren Anfängen (Hebr 6 , 4 - 6 ; 12,17; Hirte des Hermas, bes. Herrn vis 11,2,5; s.a. vis I I I , 3 , l b - 7 , 6 ; sim I X , 1 8 , 2 ) , jedoch brach ein Streit darüber erst im Spannungsfeld von -»-Orthodoxie und -»Pietismus aus (zur Vorgeschichte, dem sog. Stengerschen Streit, vgl. Sträter 40ff.). Schon Ph.J. -»Spener hatte in seinen Predigten gelegentlich von einem „Gnadentermin" gesprochen (z. B. Spener, Bußpredigten, Frankfurt a . M . 1 6 7 8 / 1 6 8 6 , 1 , 3 3 2 ; II, 261 f.; ders., Evangelische Glaubenslehre, Frankfurt a . M . 1688, repr. Hildesheim 1986, 1 1 8 f . 8 0 5 f . ; ders., Evangelische Lebenspflichten, Frankfurt a . M . 1692, repr. Hildesheim 1 9 9 2 , 1 , 3 9 6 ; ders., Evangelischer Glaubenstrost, Frankfurt a . M . 1695, II, 2 4 4 ; s.a. ders., Theologische

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Bedencken, Halle 1702, repr. Hildesheim 1999, IV, 519), wobei er sich auf seinen Lehrer Johann Conrad Dannhauer (1603-1666) berufen konnte (z.B. Dannhauer, Hodosophia christiana, Straßburg 1666, 876; ders., Katechismusmilch VI, Straßburg 1657, 206). Zum Streit über den Terminismus kam es jedoch erst durch eine Schrift von Johann Georg Böse (1662-1700), Diaconus in Sorau. Böse, einer der ersten Vertreter des Pietismus in Sorau, war bereits wegen seiner Beichtpraxis und der Verwerfung der Bekehrung erst auf dem Sterbebett mit der orthodoxen Geistlichkeit in Konflikt geraten. Als er 1698 seine Schrift über den terminus peremptorius salutis humanae herausgab, löste er in Sorau einen heftigen Streit aus, der sich durch die Einforderung von Fakultätsgutachten rasch ausdehnte und als sog. Terministischer Streit zur wohl umfangreichsten literarischen Auseinandersetzung zwischen Orthodoxie und Pietismus wurde. Der ausführliche Titel der Schrift Böses beschreibt bereits den Gegenstand, um den es in diesem Streit ging: Terminus peremptorius salutis humanae, das ist, die von Gott in seinem geheimen Rath gesetzte Gnaden-Zeit, worinnen der Mensch, so er sich bekehret, kan seelig werden; nach deren Verflissung aber nachgehends keine Frist mehr gegeben wird ..., 1698 (2. Ausgabe postum 1701). Die gegen Böse erhobenen Beschwerden bei kirchlichen und staatlichen Behörden führten einen Monat vor seinem Tod zu seiner Suspension. Vom juristischen Standpunkt aus wurde die Rechtmäßigkeit des Verfahrens von Ch. —•Thomasius bestritten. In der Sache sprachen sich von den eingeholten Gutachten die Universitäten -»Wittenberg (1699 und 1700) und -»Rostock (1699) gegen Böse aus, das erste Leipziger Gutachten (1698; —»Leipzig) fiel neutral aus, das zweite (1699) trat für Böse ein, nachdem die pietistischen Mitglieder an der Leipziger Fakultät die Oberhand bekommen hatten. Nachdem die Wittenberger Fakultät sich 1700 gegen das zweite Leipziger Gutachten gewandt hatte, verlagerte sich der Streit nach Leipzig. Hier wurden der Schwiegersohn Speners, Johann Adam Rechenberg (1642-1721), und der orthodoxe Theologe Thomas Ittig (1643-1710), zugleich Superintendent in Leipzig, erbitterte Gegner und die Hauptkontrahenten im Terministischen Streit. Rechenberg trat für den Terminismus ein, jedoch ohne sich auf Böse zu beziehen, zuerst in der Disputation vom 20. April 1700: De gratiae revocatricis termino, deutsche Fassung: Deutlicher Vortrag der Prophetisch-Apostolischen und Evangelisch-Lutherischen Lehre von dem Termin der von Gott bestimmten Gnaden-Zeit. Ittig antwortete darauf mit der Predigt von Jesu dem guten Hirten sammt Vertheidigung der Evangelischen Lehre, Gnaden-Thür (1700). In den Jahren von der allen Sündern bis an den Tod offenstehenden 1700 bis 1701 bekämpften sich beide fortwährend in Streitschriften. Rechenberg gab allein zu seinem Deutlichen Vortrag noch acht Beilagen heraus (deren siebte wiederum durch drei Inserate ergänzt wurde), die in ihrer Mehrzahl gegen Ittig gerichtet waren. Ittig antwortete mit Gegenschriften und mit Predigten, die den Streit auch auf die Kanzel verlagerten. Der Streit griff auch auf andere Fakultäten über. Die Wittenberger Professoren Johann Georg Neumann (1661-1709) und Johann Deutschmann (1625-1706) sowie die Rostocker Professoren Johann Fecht (1636-1716) und Albrecht Joachim von Krakewitz (1674-1732) wandten sich gegen die Lehre des Terminismus. Neumann hatte 1700 eine Disputation De termino salutis humanae peremtorio gehalten, in der er Spener, der zum ersten Mal den Begriff des terminus peremptorius salutis humanae gebraucht habe, zum Urheber der Lehre erklärte. Spener, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, sah sich dadurch veranlaßt, sich gegen Neumann zu verteidigen. Seine Predigt Vom Gericht der Verstockung mit angehängter Erklärung seiner Lehre von dem allen Menschen gesetzten Gnadenziel (2. März 1701; veröffentlicht Frankfurt 1701) blieb jedoch seine einzige Stellungnahme im Terministischen Streit. Während die Flut der Streitschriften zwischen Rechenberg und Ittig nach 1702 abflaute, wurde der Streit von anderen Gelehrten mit Heftigkeit weitergefochten, bis er nach 1704 nur noch ab und zu aufflammte und mit Ittigs Tod 1710 nahezu zum Erliegen kam. Auf orthodoxer Seite beteiligten sich neben den bereits Genannten vor allem in Wittenberg Caspar Löscher (1636-1718) und Philipp Ludwig Hanneken (1637-1706), in Rostock Zacharias Grapius

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Terministischer Streit

(1671-1713) und in Danzig Samuel Schelwig (1643-1715). Die Gegner Rechenbergs versuchten außerdem, möglichst viele Fakultäten, Ministerien und Konsistorien zu einer Stellungnahme gegen den Terminismus zu veranlassen, indem sie um die Beantwortung vorgelegter Fragen baten. Zu den Verteidigern des Terminismus gehörte vor allem Johann Fischer (ca. 1636-1705) in Riga. Nach Spener ist allen Menschen ein Gnadentermin gesetzt, doch erstreckt dieser sich in der Regel bis zum Tod. Die Verstockung mancher Menschen führt jedoch dazu, daß Gott diesen Termin schon vor dem Tod verhängt. Mit seinen terministischen Äußerungen hatte Spener die Sicherheit derer erschüttern wollen, die bei leichtfertigem Lebenswandel die Bekehrung bis zur Todesstunde aufschieben wollten. Er gab zu bedenken, daß es im Leben der Unbußfertigen einen Zeitpunkt geben könnte, nach dem Gott seine Gnade abziehe, so daß sie sich nicht mehr bekehren könnten. Spener wollte daher bei allen Menschen auf eine möglichst frühe Buße hinwirken. Dieses seelsorgerliche Anliegen wurde von Böse aufgenommen (der auch den von Spener gebrauchten, eher juristischen Begriff terminus peremptorius übernahm). Er ging jedoch sehr viel weiter in der Behauptung, daß nicht nur den verstockten Sündern, sondern allen Menschen ein Gnadentermin gesetzt sei. Dabei geht die Festlegung einer bestimmten Frist zur Buße allein auf den freien Willen Gottes zurück, nicht aber auf das Verhalten der Menschen. Auch den Menschen, die sich bekehrt haben, war ein Gnadentermin gesetzt. Verfließen kann der Termin also nach Böse nur bei den verstockten Sündern, da Gott jedem Menschen genug Zeit zur Erlangung der Seligkeit gewähre. Rechenberg dagegen nimmt einen Gnadentermin nur für die äußerst Verstockten (induratissimi) an, die das Ende des Gnadenwirkens Gottes selbst verschulden. Die Festlegung eines solchen Termins bezeichnet er als Akt der voluntas Dei consequens iudicaria, wobei er sich - ebenso wie die Gegenseite im Terministischen Streit - des Schemas der orthodoxen Lehre von der gratia antecedens und der gratia consequens bedient. Damit steht er jedoch in einem gewissen Gegensatz zu Böses Schrift, für deren Anliegen er eigentlich eintreten wollte (s. Schmaltz, der auf die unzutreffende Inhaltswiedergabe der Schrift Böses bei Hesse und der darauf basierenden Literatur hingewiesen hat). Das Motiv für die Konzentration auf den dem Verstockten gesetzten Termin war vor allem ein praktisches: Der Aufruf zur Bekehrung wurde besonders eindrücklich, wenn die Möglichkeit der Versäumnis der Gnadenzeit gegeben war. Die lutherische Orthodoxie lehnte den Terminismus grundsätzlich ab. Die Gnadenfrist reiche bei allen Menschen, auch bei den größten Sündern, bis zum Tod, der als terminus peremptorius anzusehen sei. Entsprechend wurde die Frage, um die es im Terministischen Streit auch ging, ob es überhaupt völlig verstockte, unbekehrbare Menschen gebe, z. B. von Ittig strikt verneint. Die allumfassende Barmherzigkeit Gottes, seine Gnadenzusagen in der Heiligen Schrift (I Tim 2,4), der Opfertod Christi (Joh 3,16) stehen der terministischen Lehre entgegen. Anstoß erregte bei der Orthodoxie vor allem die besonders bei Böse erkennbare Auffassung, daß die Festsetzung einer Gnadenzeit allein im freien Willen Gottes begründet sei. Damit wurde der Terminismus in die Nähe der reformierten Prädestinationslehre (-»Prädestination) gerückt, worauf die Orthodoxie mit dem Vorwurf des Calvinismus reagierte. Der Terministische Streit wurde im Dresdner Oberkonsistorium, an das sich beide Parteien gewandt hatten, nie entschieden. Große Bedeutung kann man ihm nicht zusprechen. Wäre die Lehre vom Terminismus nicht zu den pietistischen Lehren gerechnet worden, wäre darüber wohl keine so umfangreiche, mit großer Erbitterung und Heftigkeit geführte literarische Auseinandersetzung entstanden. Literatur Martin Brecht, Philipp Jakob Spener, sein Programm u. dessen Auswirkungen: ders. (Hg.), Gesch. des Pietismus. I. Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jh., Göttingen 1993, 367f. - Paul Grünberg, Philipp Jacob Spener, Göttingen, I 1893, 345f. - Richard Heinrich

Tersteegen

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Grützmacher, Art. Terminismus u. terministischer Streit: R E 3 19 (1907) 5 2 4 - 5 2 7 . - Friedrich Hermann Hesse, Der terministische Streit, Gießen 1877 (Lit.). - M a r t i n Schmidt, Art. Terministischer Streit: R G G 1 6 (1962) 691. - H a n s Petri, Der Pietismus in Sorau N . - L . : J B r K G 9 - 1 0 (1913) 1 2 6 - 2 0 3 (hier 1 3 1 - 1 5 6 ) . - Christian Reineccius, Universae de termino gratiae peremtorio controversiae epitome, Leipzig 1703 (Lit.). - Albrecht Ritsehl, Gesch. des Pietismus, Bonn, II 1884 (Nachdr. Berlin 1966) 2 1 0 - 2 1 2 . - Friedrich Schmaltz, Z u r Darst. des pietistischen Terminismus: Z K G 27 (1906) 3 1 1 - 3 1 9 . - U d o Sträter, Philipp J a k o b Spener u. der „Stengersche Streit": P u N 18 (1992) 4 0 - 7 9 . - Johann Georg Walch, Hist. u. theol. Einl. in die Religionsstreitigkeiten der Ev.-Luth. Kirche, Jena, II 1730 (Faks.-Ausg. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972) 8 5 1 - 9 9 2 (Lit.).

Beate Köster

Territorialismus -»Kirchenregiment, Landesherrliches; -»KirchenVerfassungen

Tersteegen, Gerhard

(1697-1769)

1. Leben 2. Werk und religiöse Eigenart Literatur S. 84)

3. Wirkung und Wahrnehmung

(Quellen/

1. Leben Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 in Moers geboren, wo er in frommer reformierter Kirchlichkeit aufwuchs. Nach seiner Konfirmation an Pfingsten 1715 blieb ihm die seiner Begabung entsprechende akademische Bildung aus familiären Gründen verwehrt; statt dessen erlernte er in Mülheim an der Ruhr bei seinem Schwager den Kaufmannsberuf. In Mülheim, wo schon 50 Jahre zuvor durch Th. -»Undereyck der —»Pietismus Fuß gefaßt hatte, wirkte seit 1713 der zum Separatismus neigende ehemalige Theologiestudent Wilhelm Hoffmann (1676-1746) als Organisator und geistlicher Lehrer frommer Zirkel, denen er die Geistigkeit des von P. —»Poiret vermittelten mystischen -»Quietismus nahebrachte. Unter seinem Einfluß erlebte Tersteegen ab 1717 eine religiöse Lebenswende, zunächst zu einer von Bußgesinnung bestimmten selbstgewählten Isolation in Armut und Askese, ab 1724 geprägt von dem Bewußtsein der heilvollen Gegenwart Christi im eigenen Herzen. Den Abschluß dieses Bekehrungsprozesses markiert die am Gründonnerstag 1724 von Tersteegen mit seinem eigenen Blut aufgezeichnete „Verschreibung" (Original im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf; Reproduktion und Text: Mohr, Verschreibung 278f.; zur Interpretation vgl. ders., Leben 199-225), eine als Gebet formulierte willentliche Übereignung an Christus, in der sich Anklänge an den -»-Heidelberger Katechismus verbinden mit einer mystischen -»Passionsfrömmigkeit, welche die individuelle Gleichförmigkeit mit dem Geschick Jesu erstrebt, wie es die Wahl des Zeitpunkts und die Verwendung von Blut zum Ausdruck bringen. Zugleich bestimmt Tersteegen seine Beziehung zu Jesus mit Vorstellungen der Brautmystik als exklusive Liebesbeziehung, aus der sich seine Ehelosigkeit zwangsläufig ergibt. Er hat die Verschreibung nicht wiederholt, sie aber immer wieder poetisch bekräftigt: „Ich hab's gesagt Und nie beklagt: / Mein Herz und ganzes Leben / Sei, Jesu, dir ergeben; / Hier hast du meine Hand aufs neu, / Setz du dein Siegel nur dabei!" (Tersteegen, Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen. Neue Ausg. [der Ausg. 7 1769], Stuttgart 1956 5 1988, 157f., I, Nr.538). 1725 gab Tersteegen die streng eremitische Lebensweise auf und lebte fortan mit einem Gesinnungsfreund in geistlicher Wohngemeinschaft. Seit 1726 betätigte er sich als religiöser Publizist, von 1727 an wurde er neben Hoffmann zum spirituellen Lehrer der Mülheimer Konventikel. Mit dieser religiösen Neuorientierung ging die schrittweise Aufgabe der bürgerlichen Berufstätigkeit einher: Hatte Tersteegen schon 1719 den ungeliebten Kaufmannsberuf mit der Leinen- bzw. der Seidenbandweberei vertauscht, machte er ab 1728 die Religion zu seinem einzigen Beruf. Seine eigene, auf die Wahr-

Tersteegen

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Grützmacher, Art. Terminismus u. terministischer Streit: R E 3 19 (1907) 5 2 4 - 5 2 7 . - Friedrich Hermann Hesse, Der terministische Streit, Gießen 1877 (Lit.). - M a r t i n Schmidt, Art. Terministischer Streit: R G G 1 6 (1962) 691. - H a n s Petri, Der Pietismus in Sorau N . - L . : J B r K G 9 - 1 0 (1913) 1 2 6 - 2 0 3 (hier 1 3 1 - 1 5 6 ) . - Christian Reineccius, Universae de termino gratiae peremtorio controversiae epitome, Leipzig 1703 (Lit.). - Albrecht Ritsehl, Gesch. des Pietismus, Bonn, II 1884 (Nachdr. Berlin 1966) 2 1 0 - 2 1 2 . - Friedrich Schmaltz, Z u r Darst. des pietistischen Terminismus: Z K G 27 (1906) 3 1 1 - 3 1 9 . - U d o Sträter, Philipp J a k o b Spener u. der „Stengersche Streit": P u N 18 (1992) 4 0 - 7 9 . - Johann Georg Walch, Hist. u. theol. Einl. in die Religionsstreitigkeiten der Ev.-Luth. Kirche, Jena, II 1730 (Faks.-Ausg. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972) 8 5 1 - 9 9 2 (Lit.).

Beate Köster

Territorialismus -»Kirchenregiment, Landesherrliches; -»KirchenVerfassungen

Tersteegen, Gerhard

(1697-1769)

1. Leben 2. Werk und religiöse Eigenart Literatur S. 84)

3. Wirkung und Wahrnehmung

(Quellen/

1. Leben Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 in Moers geboren, wo er in frommer reformierter Kirchlichkeit aufwuchs. Nach seiner Konfirmation an Pfingsten 1715 blieb ihm die seiner Begabung entsprechende akademische Bildung aus familiären Gründen verwehrt; statt dessen erlernte er in Mülheim an der Ruhr bei seinem Schwager den Kaufmannsberuf. In Mülheim, wo schon 50 Jahre zuvor durch Th. -»Undereyck der —»Pietismus Fuß gefaßt hatte, wirkte seit 1713 der zum Separatismus neigende ehemalige Theologiestudent Wilhelm Hoffmann (1676-1746) als Organisator und geistlicher Lehrer frommer Zirkel, denen er die Geistigkeit des von P. —»Poiret vermittelten mystischen -»Quietismus nahebrachte. Unter seinem Einfluß erlebte Tersteegen ab 1717 eine religiöse Lebenswende, zunächst zu einer von Bußgesinnung bestimmten selbstgewählten Isolation in Armut und Askese, ab 1724 geprägt von dem Bewußtsein der heilvollen Gegenwart Christi im eigenen Herzen. Den Abschluß dieses Bekehrungsprozesses markiert die am Gründonnerstag 1724 von Tersteegen mit seinem eigenen Blut aufgezeichnete „Verschreibung" (Original im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf; Reproduktion und Text: Mohr, Verschreibung 278f.; zur Interpretation vgl. ders., Leben 199-225), eine als Gebet formulierte willentliche Übereignung an Christus, in der sich Anklänge an den -»-Heidelberger Katechismus verbinden mit einer mystischen -»Passionsfrömmigkeit, welche die individuelle Gleichförmigkeit mit dem Geschick Jesu erstrebt, wie es die Wahl des Zeitpunkts und die Verwendung von Blut zum Ausdruck bringen. Zugleich bestimmt Tersteegen seine Beziehung zu Jesus mit Vorstellungen der Brautmystik als exklusive Liebesbeziehung, aus der sich seine Ehelosigkeit zwangsläufig ergibt. Er hat die Verschreibung nicht wiederholt, sie aber immer wieder poetisch bekräftigt: „Ich hab's gesagt Und nie beklagt: / Mein Herz und ganzes Leben / Sei, Jesu, dir ergeben; / Hier hast du meine Hand aufs neu, / Setz du dein Siegel nur dabei!" (Tersteegen, Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen. Neue Ausg. [der Ausg. 7 1769], Stuttgart 1956 5 1988, 157f., I, Nr.538). 1725 gab Tersteegen die streng eremitische Lebensweise auf und lebte fortan mit einem Gesinnungsfreund in geistlicher Wohngemeinschaft. Seit 1726 betätigte er sich als religiöser Publizist, von 1727 an wurde er neben Hoffmann zum spirituellen Lehrer der Mülheimer Konventikel. Mit dieser religiösen Neuorientierung ging die schrittweise Aufgabe der bürgerlichen Berufstätigkeit einher: Hatte Tersteegen schon 1719 den ungeliebten Kaufmannsberuf mit der Leinen- bzw. der Seidenbandweberei vertauscht, machte er ab 1728 die Religion zu seinem einzigen Beruf. Seine eigene, auf die Wahr-

Tersteegen

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Grützmacher, Art. Terminismus u. terministischer Streit: R E 3 19 (1907) 5 2 4 - 5 2 7 . - Friedrich Hermann Hesse, Der terministische Streit, Gießen 1877 (Lit.). - M a r t i n Schmidt, Art. Terministischer Streit: R G G 1 6 (1962) 691. - H a n s Petri, Der Pietismus in Sorau N . - L . : J B r K G 9 - 1 0 (1913) 1 2 6 - 2 0 3 (hier 1 3 1 - 1 5 6 ) . - Christian Reineccius, Universae de termino gratiae peremtorio controversiae epitome, Leipzig 1703 (Lit.). - Albrecht Ritsehl, Gesch. des Pietismus, Bonn, II 1884 (Nachdr. Berlin 1966) 2 1 0 - 2 1 2 . - Friedrich Schmaltz, Z u r Darst. des pietistischen Terminismus: Z K G 27 (1906) 3 1 1 - 3 1 9 . - U d o Sträter, Philipp J a k o b Spener u. der „Stengersche Streit": P u N 18 (1992) 4 0 - 7 9 . - Johann Georg Walch, Hist. u. theol. Einl. in die Religionsstreitigkeiten der Ev.-Luth. Kirche, Jena, II 1730 (Faks.-Ausg. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972) 8 5 1 - 9 9 2 (Lit.).

Beate Köster

Territorialismus -»Kirchenregiment, Landesherrliches; -»KirchenVerfassungen

Tersteegen, Gerhard

(1697-1769)

1. Leben 2. Werk und religiöse Eigenart Literatur S. 84)

3. Wirkung und Wahrnehmung

(Quellen/

1. Leben Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 in Moers geboren, wo er in frommer reformierter Kirchlichkeit aufwuchs. Nach seiner Konfirmation an Pfingsten 1715 blieb ihm die seiner Begabung entsprechende akademische Bildung aus familiären Gründen verwehrt; statt dessen erlernte er in Mülheim an der Ruhr bei seinem Schwager den Kaufmannsberuf. In Mülheim, wo schon 50 Jahre zuvor durch Th. -»Undereyck der —»Pietismus Fuß gefaßt hatte, wirkte seit 1713 der zum Separatismus neigende ehemalige Theologiestudent Wilhelm Hoffmann (1676-1746) als Organisator und geistlicher Lehrer frommer Zirkel, denen er die Geistigkeit des von P. —»Poiret vermittelten mystischen -»Quietismus nahebrachte. Unter seinem Einfluß erlebte Tersteegen ab 1717 eine religiöse Lebenswende, zunächst zu einer von Bußgesinnung bestimmten selbstgewählten Isolation in Armut und Askese, ab 1724 geprägt von dem Bewußtsein der heilvollen Gegenwart Christi im eigenen Herzen. Den Abschluß dieses Bekehrungsprozesses markiert die am Gründonnerstag 1724 von Tersteegen mit seinem eigenen Blut aufgezeichnete „Verschreibung" (Original im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf; Reproduktion und Text: Mohr, Verschreibung 278f.; zur Interpretation vgl. ders., Leben 199-225), eine als Gebet formulierte willentliche Übereignung an Christus, in der sich Anklänge an den -»-Heidelberger Katechismus verbinden mit einer mystischen -»Passionsfrömmigkeit, welche die individuelle Gleichförmigkeit mit dem Geschick Jesu erstrebt, wie es die Wahl des Zeitpunkts und die Verwendung von Blut zum Ausdruck bringen. Zugleich bestimmt Tersteegen seine Beziehung zu Jesus mit Vorstellungen der Brautmystik als exklusive Liebesbeziehung, aus der sich seine Ehelosigkeit zwangsläufig ergibt. Er hat die Verschreibung nicht wiederholt, sie aber immer wieder poetisch bekräftigt: „Ich hab's gesagt Und nie beklagt: / Mein Herz und ganzes Leben / Sei, Jesu, dir ergeben; / Hier hast du meine Hand aufs neu, / Setz du dein Siegel nur dabei!" (Tersteegen, Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen. Neue Ausg. [der Ausg. 7 1769], Stuttgart 1956 5 1988, 157f., I, Nr.538). 1725 gab Tersteegen die streng eremitische Lebensweise auf und lebte fortan mit einem Gesinnungsfreund in geistlicher Wohngemeinschaft. Seit 1726 betätigte er sich als religiöser Publizist, von 1727 an wurde er neben Hoffmann zum spirituellen Lehrer der Mülheimer Konventikel. Mit dieser religiösen Neuorientierung ging die schrittweise Aufgabe der bürgerlichen Berufstätigkeit einher: Hatte Tersteegen schon 1719 den ungeliebten Kaufmannsberuf mit der Leinen- bzw. der Seidenbandweberei vertauscht, machte er ab 1728 die Religion zu seinem einzigen Beruf. Seine eigene, auf die Wahr-

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Tersteegen

nehmung der Gottesgegenwart im eigenen Herzen konzentrierte Frömmigkeit suchte er - bei bleibend weltdistanziert-asketischer Lebensweise - als begehrter Seelsorger gesprächsweise und durch eine ausgedehnte Korrespondenz anderen nahezubringen; auch seine Tätigkeit als religiöser Versammlungsredner und seine literarische Produktion haben in der Seelsorge an einzelnen ihren Sitz im Leben. Mit der Seelsorge verband der selbst lebenslang kränkliche Tersteegen die Leibsorge in Gestalt einer naturmedizinischen Praxis. Schriften und Reisen schufen ein Netz von Anhängerinnen und Anhängern, insbesondere am Niederrhein, im Bergischen Land und in den Niederlanden, aber auch bis nach Pennsylvania, die sich in ihrer individuellen Religiosität von Tersteegen leiten ließen. Bei aller Distanz zur offiziellen reformierten Kirche vermied Tersteegen die Separation, vor allem weil er an der äußeren Darstellung der durch ihre innerliche Gottesgemeinschaft ausgezeichneten wahren Heiligen prinzipiell desinteressiert war und sich dem Lehrgehalt seiner „Erbreligion" lebenslang verbunden wußte (vgl. sein geistliches Testament: Tersteegen, Ich bete an die Macht der Liebe 4 4 - 5 0 ) . So gründete er keine eigenen Gemeinden, förderte aber Ansätze zu einem gemeinsamen Leben einzelner Frommer in Anlehnung an monastische Formen. Für die sich um 1730 bildende Gemeinschaft im „Haus Otterbeck" bei Velbert verfaßte Tersteegen eine im Protestantismus singuläre Lebensregel (Text: ebd. 35—43), wobei sein Konzept der „Pilgerhütte" auf die Erleichterung und Vertiefung der kontemplativen individuellen Religiosität zielt, nicht auf eine im eigentlichen Sinne monastische Gemeinschaftserfahrung. Das wahre Kloster stellt für Tersteegen das eigene Innerste dar: „Mein Seelengrund ist meine süße Zelle, / Worin ich leb' mit meinem Gott gemein [ = gemeinsam]; / Da quillet mir die reiche Lebensquelle, / Ach, möcht' ich stets darin verschlossen sein!" (Tersteegen, Blumengärtlein [s.o.] 109, Nr.339). Das preußische Konventikelverbot von 1740 schränkte Tersteegens öffentliche Wirkungsmöglichkeiten ein; seine Lockerung ab 1750 erlaubte ihm die erneute Entfaltung als im Preußen Friedrichs II. (1740-1786) tolerierter Erbauungsredner, dessen Verhältnis zur örtlichen Pfarrerschaft sich gegen Ende seines Lebens gleichfalls entspannte. Am 3. April 1769 starb Gerhard Tersteegen in Mülheim. 2. Werk und religiöse

Eigenart

Tersteegens literarische Tätigkeit dient der Vermittlung der von ihm intendierten und praktizierten, auf die Wahrnehmung der heilvollen Gegenwart Gottes im eigenen Herzen konzentrierten Religiosität. Dazu empfiehlt er geistliche Autoritäten aus der älteren und neueren Geschichte des Christentums, die er übersetzt und durch Vorreden für den frommen Gebrauch erschließt. Als Ubersetzer vermittelt er das Gedankengut J. de -»Labadies (Handbüchlein der wahren Gottseligkeit, 1726), des mystischen Quietismus von Jean de Bernieres-Louvigny (1602-1659) (Das verborgene Leben in Christo mit Gott, 1726) und Jeanne Marie Bouvier de la Motte Guyon ( 1 6 4 8 1717) (Die heilige Liebe Gottes und die unheilige Naturliebe, 1751) (-»Mystik), aber auch der spätmittelalterlichen ->Devotio moderna von -»Thomas von Kempen (Von der Nachfolge Jesu Christi, [1730?] 2 1740; Der kleine Kempis, 1752) und Gerlach Petersz (um 1375-1411) (Göttliche Herzensgespräche, [1730?] 2 1740). Eine Reihe kleinerer mystischer Traktate enthält die 1767 veröffentlichte Kleine Perlenschnur.

Den Höhepunkt in der Erschließung spiritueller Traditionen stellen die in den Jahren 1733 bis 1743 in drei Bänden erschienenen Auserlesenen Lebensbeschreibungen heiliger Seelen dar, in denen Tersteegen Texte von und über 25 Gestalten (darunter 17 Frauen) einer mystisch akzentuierten Religiosität aus der mittelalterlichen Kirche und der römisch-katholischen Konfessionskirche der frühen Neuzeit übersetzt und in der Absicht kompiliert, diese „Heiligen" auch einer protestantischen Leserschaft als Vorbilder für das christlich-religiöse Leben nahezubringen. Auf der Linie von G. -»Arnold und Johann Heinrich Reitz (1655-1720) (Historie der Wiedergebohmen [1698-1745], ed. Hans-Jürgen Schräder, Tübingen 1982) zeichnet Tersteegen damit die „eigentliche Kirchenhisto-

Tersteegen

83

rie" (Tersteegen, Ich bete an die Macht der Liebe 340) als Geschichte der „Wahrheiten des inwendigen Christenlebens" (ebd. 336), die in der geistlichen Biographie einzelner anschaulich wird. Tersteegens Religiosität des Herzens verdichtet sich in seinem poetischen Werk. 1729 erschien sein Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen, das - mehrfach erweitert und durch die zuerst 1732 erschienene Spruchsammlung Der Frommen Lotterie ergänzt — bis zu seinem Tod sieben Auflagen erreichte und schließlich 606 Epigramme, 136 biblische Spruchgedichte und 111 geistliche Lieder umfaßte. Tersteegen setzt die poetische Form bewußt zur Intensivierung der Gemütsbewegungen im Sinne einer didaktischen Elementarisierung religiöser Inhalte ein. Seine geistliche Lyrik gestaltet die konsequente Individualisierung religiöser Wahrheit („Nur Gott und ich allein!": Blumengärtlein [s.o.] 46, I, Nr. 51), die sich intersubjektiv nur über die Brücke des „lyrischen Ich" von der Erfahrung des dichtenden Subjekts aus authentisch formulieren läßt. Die von Tersteegen besonders geschätzte kleine Form der Spruchdichtung ermöglicht eine Aneignung der poetisch geformten religiösen Erfahrung als neue individuelle Erfahrung im Vorgang des Lesens. Dieselbe Bewegung eröffnen Tersteegens Lieder, die keine Gemeindelieder sind, sondern - auch wenn sie in einer frommen Gemeinschaft gesungen werden - dem Gottesbewußtsein einzelner Ausdruck geben. Mit seiner der Empfindsamkeit zuzuordnenden religiösen Dichtung vollzieht Tersteegen „den frühneuzeitlichen Ausgang aus der kirchlich und konfessionell gebundenen Gläubigkeit zu einer außerkirchlichen Religiosität, . . . zugleich den Emanzipationsprozeß des modernen Subjekts aus der ,Vormundschaft' der religiös gebundenen Kollektivität bis hin zur Apotheose der Innerlichkeit nach" (Kemper 94 zu dem Lied Gott ist gegenwärtig). Die wichtigsten grundsätzlichen Positionsbestimmungen Tersteegens sind in dem Sammelband Weg der Wahrheit, die da ist nach der Gottseligkeit (1735 4 1768) enthalten. In der Ausgabe von 1768 finden sich u.a. Essays zum Schriftverständnis, zur Mystik und zu außerordentlichen religiösen Erfahrungen. Seine Kritik an der systematisierenden Buch- und Buchstabenreligion der konfessionellen Orthodoxien weitet Tersteegen darin auch auf den Vernunftbegriff der —»Aufklärung aus und stellt den passiv-vernehmenden, auf Gott bezogenen „leidentlichen Verstand" der aktiv-konstruierenden, der Welt verhafteten „wirkenden Vernunft" gegenüber (Sendschreiben von der Vernunft: Tersteegen, Ich bete an die Macht der Liebe 155-181). Der Apologie des Offenbarungsglaubens dienen auch die 1762 erschienenen Gedanken über eines Anonymi Buch, genannt Vermischte Werke eines Weltweisen zu Sans-Souci (Text: ebd. 315—330), eine freimütige Auseinandersetzung mit dem —»Deismus Friedrichs II. von Preußen. In seiner weltdistanzierten Lebensweise wie in seinem auf die subjektive Erfahrung konzentrierten Denken erscheint Tersteegen als Einzelgänger und Sonderling, der sich einer klaren Zuordnung zu zeitgenössischen Gruppen oder Strömungen, auch im Spektrum des Pietismus, entzieht. Das entspricht seiner radikalen Bestimmung der christlichen Religion als nur sehr begrenzt intersubjektiv vermittelbarer Gottesgemeinschaft, die zur Auflösung des menschlichen Selbst tendiert („Je mehr ich untergeh', je mehr wird Gott erhöhet, / Werd' ich in mir gering, wird er in mir geehrt, / Wer sich vergißt, verliert, in Gott am besten stehet, / Die mind'ste Eigenheit ist wohl der Hölle wert": Blumengärtlein [s. o.] 84,1, Nr. 222). Aus dieser Auffassung vom Wesen des Christentums ergibt sich das programmatische Desinteresse an jeder Gestalt äußerer Gemeinschaftsbildung, der gegenüber Tersteegen die innere Verbindung der vereinzelt lebenden frommen Seelen betont (vgl. das Lied Jesu, der du bist alleine: ebd. 410f., III, Nr. 43 = Evangelisches Gesangbuch [EG] 252). Eine konsequent individualisierende Spiritualität prägt auch die sich von konfessionellen Bedenken freimachende Indienstnahme von Traditionen und Autoritäten zur Stimulierung der Willens- und Empfindungskräfte mit dem Ziel der Umsetzung in eine je eigene authentische Erfahrung. Charakteristisch dafür ist Tersteegens die protestantische Hochschätzung der Bibel zugleich aufnehmende und umformende „Bibelmystik" (Zschoch 159), sein Verständnis der Heiligen -»Schrift als Spruch-

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Tersteegen

buch, in dem nicht ein objektivierbarer Gesamtsinn aus den großen Zusammenhängen zu erschließen ist, sondern die epigrammatisch aufgefaßten Einzelsprüche eine subjektive Sinnfindung in Gang setzen, bei der auf seifen des lesenden Subjekts eine Verwandlung hin auf das der Bibel eigentümliche unmittelbare Gottesverhältnis stattfindet. 3. Wirkung

und

Wahrnehmung

Im Kreise seiner Anhängerinnen und Anhänger ist Tersteegen schon zu Lebzeiten als geistliche Vatergestalt verehrt worden; diese Verehrung findet ihren Niederschlag in der 1773 erschienenen, von dem Elberfelder Orgelbauer Jakob Engelbert Teschemacher ( 1 7 1 1 - 1 7 8 2 ) verfaßten ältesten Lebensbeschreibung (s. Tersteegen, Briefe II, 3 - 1 0 5 ) . Von ihr ist auch die im 19. Jh. zunehmende kirchliche Rezeption Tersteegens geprägt, die sich an der Aufnahme seiner Lieder in die kirchlichen Gesangbücher ablesen läßt, darunter neben dem entgegen der Autorintention auf den äußeren Gottesdienst bezogenen mystischen Lied Gott ist gegenwärtig (Tersteegen, Blumengärtlein [s. o.] 3 4 0 - 3 4 2 , III, Nr. 11 = EG 165) der Pilgergesang Kommt, Kinder, laßt uns gehen (ebd. 4 6 9 - 4 7 5 , III, Nr. 62 = EG 393) und das geistliche Liebeslied Für dich sei ganz mein Herz und Leben (ebd. 5 3 5 - 5 3 7 , III, Nr. 93 = EG, Ausg. Rheinland 661), dessen ursprünglich vierte Strophe Ich bete an die Macht der Liebe über den russischen in den preußischen Großen Zapfenstreich gelangt ist. Der frommen Tersteegenverehrung steht die theologische Tersteegenkritik gegenüber, die in besonders profilierter Weise A. —> Ritsehl (Geschichte des Pietismus, Bonn, I 1880, 4 5 5 - 4 9 4 ) geübt hat. Erst in den letzten Jahrzehnten ist der Positionenstreit von Tersteegenanhängern und Tersteegenkritikern einer differenzierteren Sicht gewichen (Uberblick über die Forschung: Ludewig, Gebet 19—58). Dabei erweist sich Tersteegen zum einen als hilfreich bei der Suche nach einer ökumenisch sich öffnenden, erfahrungsorientierten -»Spiritualität, zum andern wird er gerade in seiner mystisch-poetischen religiösen Eigenart als Gestalt eines charakteristisch neuzeitlichen Protestantismus erkennbar. Quellen Krit. Ausg.: Geistliche Reden, hg. v. Albert Löschhorn/Winfried Zeller, 1979 (TGP V/1). Briefe in niederl. Sprache, hg. v. Cornelis Pieter van Andel, 1982 (TGP V/8). - Ältere Ausg. (Einzelausg. im Text; häufige Nachdr.): Geistliche u. erbauliche Briefe über das inwendige Leben u. wahre Wesen des Christentums, 2 Bde., Solingen 1773-1775. - Nachgelassene Aufs. u. Abh., Essen 1842. - Auswahlausg.: Ich bete an die Macht der Liebe. Eine Ausw. aus seinen Werken, hg. v. Dietrich Meyer, Gießen 1997. Literatur Cornelius Pieter van Andel, Gerhard Tersteegen. Leben u. Werk - sein Platz in der KG, 1973 (SVRKG 46). - Ernst Benz, Der Philosoph v. Sans-Souci im Urteil der Phil. u. Theol. seiner Zeit, 1971 (AAWLM.G 1971/10). - Ulrich Bister, Gerhard Tersteegen zw. Separatismus u. innerkirchl. Konventikelbildung: MEKGR 42 (1993) 261-270. - Giovanna della Croce, Gerhard Tersteegen. Neubelebung der Mystik als Ansatz einer kommenden Spiritualität, 1979 (EHS.T 126). - Jürgen Fangmeier, Gerhard Tersteegen: Gesch. der Seelsorge in Einzelporträts, hg. v. Christian Möller, Göttingen, II 1995, 279-298. - Johann Friedrich Gerhard Goeters, Der ref. Pietismus in Bremen u. am Niederrhein im 18. Jh.: Gesch. des Pietismus. II. Der Pietismus im achtzehnten Jh., hg. v. Martin Brecht/Klaus Deppermann, Göttingen 1995, 372-427 (Lit.). - Dieter Hoffmann, Der Weg zur Reife. Eine religionspsych. Unters, der rel. Entwicklung Gerhard Tersteegens, 1982 (SPRL 3) (Lit.). - Heinrich Holze, „Ev. Mönchtum" im 17. u. 18. Jh. bei Gerhard Walter Molanus u. Gerhard Tersteegen: WuD 23 (1995) 167-186. - Bernd Jaspert, Gerhard Tersteegen als ökum. Theologe: MEKGR 39 (1990) 207-234. - Hans-Georg Kemper, Dt. Lyrik der frühen Neuzeit. VI/1. Empfindsamkeit, Tübingen 1997, 58-95. - Manfred Kock/Jürgen Thiesbonenkamp (Hg.), Gerhard Tersteegen - Ev. Mystik inmitten der Aufklärung, 1997 (SVRKG 126). - Ulrich Köpf, Gerhard Tersteegen u. die Frauen v. Helfta: Michael Bangert/Hildegund Keul (Hg.), „Vor dir steht die leere Schale meiner Sehnsucht". Die Mystik der Frauen v. Helfta, Leipzig 1998 2 1999, 202-218. - Hansgünter Ludewig, Gebet u. Gotteserfahrung bei Gerhard Tersteegen, 1986 (AGP 24) (Lit.). - Ders., Herzensgebet u. Pilgerhütte. Gerhard Tersteegen u. die Anfänge ev. Kommunitäten: MEKGR 40 (1991) 103-126. - Ders., „Du durchdringest alles". Gebet im Alltag bei Gerhard Tersteegen, Düs-

Tertiarier/Tertiarierinnen I

85

seldorf 1997. - Ute Mennecke-Haustein, „Gleich als Hand in Hand nach dem hohen Ziel fortzuschreiten". Gerhard Tersteegen u. die Tradition erbaulicher Briefausg.: Hans Erich Bödeker u. a. (Hg.), Der Umgang mit dem rel. Buch, Göttingen 1991, 3 6 1 - 3 8 7 . - Dietrich Meyer, Pietismusforschung im Rheinland 1 9 6 5 - 1 9 8 5 : PuN 13 (1988) 1 5 3 - 1 8 0 . - R u d o l f M o h r , Gerhard Tersteegens Leben im Licht seines Werkes: M E K G R 20/21 (1971/72) 1 9 7 - 244. - Ders., Tersteegens Verschreibung mit Blut u. die mit ihr zusammen überlieferten Stücke: M E K G R 33 (1984) 2 7 5 - 3 0 0 . - Horst Neeb, Gerhard Tersteegen u. die Pilgerhütte Otterbeck in Heiligenhaus 1 7 0 9 - 1 9 6 9 , Düsseldorf 1998. - Martin Nicol, Ev. Meditation bei Gerhard Tersteegen: ThBeitr 21 (1990) 1 3 6 - 1 5 0 . - Gerhard Ruhbach, Gerhard Tersteegen ( 1 6 9 7 - 1 7 6 9 ) : ders./Josef Sudbrack (Hg.), Große Mystiker, München 1984, 2 5 1 - 2 6 6 . - Waldtraut-Ingeborg Sauer-Geppert, Zur Mystik in den Liedern Gerhard Tersteegens: Unterscheidung u. Bewahrung. FS Hermann Kunisch, Berlin 1961, 3 0 4 - 3 2 0 . - Gottfried Wolff, Solus Christus. Wurzeln der Christusmystik bei Gerhard Tersteegen, Gießen/Basel 1989. Winfried Zeller, Gerhard Tersteegens „Kleine Perlenschnur". Von der hsl. Urform zur gedr. Fassung: ders., Theol. u. Frömmigkeit. GAufs. I, Marburg 1971, 195 - 2 1 8 . - Ders., Die Bibel als Quelle der Frömmigkeit bei Gerhard Tersteegen: Pietismus u. Bibel, hg. v. Kurt Aland, 1970 (AGP 9) 1 7 0 - 1 9 2 = ders.,Theol. U . F r ö m m i g k e i t . G A u f s . I I , M a r b u r g 1 9 7 8 , 1 6 1 - 1 8 4 . - H e l l m u t Z s c h o c h , An der Bibel zur Bibel werden. Bibellesen als geistlicher Lernprozeß bei Gerhard Tersteegen: Menschen suchen - Zugänge finden. FS Christine Reents, hg. v. Desmond Bell u.a., Wuppertal 1999, 144-160.

Hellmut Zschoch

Tertiarier/Tertiarierinnen (Terziaren/Terziarinnen) I. Weltliche Tertiarier/Tertiarierinnen II. Regulierte Tertiarier/Tertiarierinnen

S. 90

I. Weltliche Tertiarier/Tertiarierinnen 1. Begriff 2. Vorgeschichte 3. Die Bußbruderschaften 4. Im Gefolge der Bettelorden 5. Weitere Geschichte und gegenwärtiger Bestand (Literatur S. 92)

1. Begriff Tertiarier bzw. Tertiarierinnen - oder besser: Terziaren bzw. Terziarinnen — sind Mitglieder eines sog. Dritten Ordens (tertius ordo), die im Anschluß an die Bettelorden entstanden sind (der erste Orden ist dabei jeweils der männliche Orden, der zweite der diesem angeschlossene weibliche). Nach geltendem Recht der -»Römisch-katholischen Kirche (CIC [1983], can. 303) sind die Dritten Orden Vereinigungen (consociationes), deren Mitglieder mitten in der Welt am Geist eines Ordensinstituts teilhaben, unter dessen Leitung ein apostolisches Leben führen und nach der christlichen Vollkommenheit streben (vgl. can. 677,2). 2.

Vorgeschichte

Die Entstehung gehört im weitesten Sinne in die religiösen Bewegungen des Mittelalters. Sie erfaßten Frauen und Männer, die in ernstem Streben die christliche Vollkommenheit erlangen wollten, jedoch nicht auf dem traditionell vorgegebenen Weg des Klosterlebens, sondern mitten in der Welt, d.h. in ihrer gesellschaftlichen Umgebung, in ehelich-familiärem Leben und ihrer Arbeitswelt. Die Tendenzen verdichteten sich um die Wende zum 13. Jh. unter den Forderungen der —»Buße und —»Armut. Die religiöse Zielsetzung konnte das Einzelleben bestimmen und gemeinschaftsbildend wirken: bruderschaftliche Zusammenschlüsse, partiell oder vollständig kommunitäres Leben. Die Gruppierungen erfaßten Zölibatäre und Verheiratete (ordo coniugatorum) und besetzten den unscharf abgegrenzten Raum zwischen den Gläubigen in der Welt und denen im Ordensstand (Semireligiosentum). Der Entstehungsprozeß führte schließlich zu zwei Formen von Dritten Orden: der weltliche Dritte Orden (tertius ordo saecularis) und der regulierte Dritte Orden (tertius ordo regularis).

Tertiarier/Tertiarierinnen I

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seldorf 1997. - Ute Mennecke-Haustein, „Gleich als Hand in Hand nach dem hohen Ziel fortzuschreiten". Gerhard Tersteegen u. die Tradition erbaulicher Briefausg.: Hans Erich Bödeker u. a. (Hg.), Der Umgang mit dem rel. Buch, Göttingen 1991, 3 6 1 - 3 8 7 . - Dietrich Meyer, Pietismusforschung im Rheinland 1 9 6 5 - 1 9 8 5 : PuN 13 (1988) 1 5 3 - 1 8 0 . - R u d o l f M o h r , Gerhard Tersteegens Leben im Licht seines Werkes: M E K G R 20/21 (1971/72) 1 9 7 - 244. - Ders., Tersteegens Verschreibung mit Blut u. die mit ihr zusammen überlieferten Stücke: M E K G R 33 (1984) 2 7 5 - 3 0 0 . - Horst Neeb, Gerhard Tersteegen u. die Pilgerhütte Otterbeck in Heiligenhaus 1 7 0 9 - 1 9 6 9 , Düsseldorf 1998. - Martin Nicol, Ev. Meditation bei Gerhard Tersteegen: ThBeitr 21 (1990) 1 3 6 - 1 5 0 . - Gerhard Ruhbach, Gerhard Tersteegen ( 1 6 9 7 - 1 7 6 9 ) : ders./Josef Sudbrack (Hg.), Große Mystiker, München 1984, 2 5 1 - 2 6 6 . - Waldtraut-Ingeborg Sauer-Geppert, Zur Mystik in den Liedern Gerhard Tersteegens: Unterscheidung u. Bewahrung. FS Hermann Kunisch, Berlin 1961, 3 0 4 - 3 2 0 . - Gottfried Wolff, Solus Christus. Wurzeln der Christusmystik bei Gerhard Tersteegen, Gießen/Basel 1989. Winfried Zeller, Gerhard Tersteegens „Kleine Perlenschnur". Von der hsl. Urform zur gedr. Fassung: ders., Theol. u. Frömmigkeit. GAufs. I, Marburg 1971, 195 - 2 1 8 . - Ders., Die Bibel als Quelle der Frömmigkeit bei Gerhard Tersteegen: Pietismus u. Bibel, hg. v. Kurt Aland, 1970 (AGP 9) 1 7 0 - 1 9 2 = ders.,Theol. U . F r ö m m i g k e i t . G A u f s . I I , M a r b u r g 1 9 7 8 , 1 6 1 - 1 8 4 . - H e l l m u t Z s c h o c h , An der Bibel zur Bibel werden. Bibellesen als geistlicher Lernprozeß bei Gerhard Tersteegen: Menschen suchen - Zugänge finden. FS Christine Reents, hg. v. Desmond Bell u.a., Wuppertal 1999, 144-160.

Hellmut Zschoch

Tertiarier/Tertiarierinnen (Terziaren/Terziarinnen) I. Weltliche Tertiarier/Tertiarierinnen II. Regulierte Tertiarier/Tertiarierinnen

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I. Weltliche Tertiarier/Tertiarierinnen 1. Begriff 2. Vorgeschichte 3. Die Bußbruderschaften 4. Im Gefolge der Bettelorden 5. Weitere Geschichte und gegenwärtiger Bestand (Literatur S. 92)

1. Begriff Tertiarier bzw. Tertiarierinnen - oder besser: Terziaren bzw. Terziarinnen — sind Mitglieder eines sog. Dritten Ordens (tertius ordo), die im Anschluß an die Bettelorden entstanden sind (der erste Orden ist dabei jeweils der männliche Orden, der zweite der diesem angeschlossene weibliche). Nach geltendem Recht der -»Römisch-katholischen Kirche (CIC [1983], can. 303) sind die Dritten Orden Vereinigungen (consociationes), deren Mitglieder mitten in der Welt am Geist eines Ordensinstituts teilhaben, unter dessen Leitung ein apostolisches Leben führen und nach der christlichen Vollkommenheit streben (vgl. can. 677,2). 2.

Vorgeschichte

Die Entstehung gehört im weitesten Sinne in die religiösen Bewegungen des Mittelalters. Sie erfaßten Frauen und Männer, die in ernstem Streben die christliche Vollkommenheit erlangen wollten, jedoch nicht auf dem traditionell vorgegebenen Weg des Klosterlebens, sondern mitten in der Welt, d.h. in ihrer gesellschaftlichen Umgebung, in ehelich-familiärem Leben und ihrer Arbeitswelt. Die Tendenzen verdichteten sich um die Wende zum 13. Jh. unter den Forderungen der —»Buße und —»Armut. Die religiöse Zielsetzung konnte das Einzelleben bestimmen und gemeinschaftsbildend wirken: bruderschaftliche Zusammenschlüsse, partiell oder vollständig kommunitäres Leben. Die Gruppierungen erfaßten Zölibatäre und Verheiratete (ordo coniugatorum) und besetzten den unscharf abgegrenzten Raum zwischen den Gläubigen in der Welt und denen im Ordensstand (Semireligiosentum). Der Entstehungsprozeß führte schließlich zu zwei Formen von Dritten Orden: der weltliche Dritte Orden (tertius ordo saecularis) und der regulierte Dritte Orden (tertius ordo regularis).

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Die erste Anerkennung einer dreigeteilten Ordensfamilie geschah durch —>Innocenz III. 1201 für die romtreue Mehrheit der -»Humiliaten. Ihr Erster Orden wurde von den Klerikern und konventuell lebenden Schwestern gebildet, der Zweite von klösterlich lebenden Brüdern und Schwestern, während der Dritte Orden nichtklösterlich Lebende und verheiratete Mitglieder vereinigte. Auch im Umfeld der 1208 von Innocenz III. anerkannten „Katholischen Armen" des Durandus von Huesca formierte sich ein Kreis von Anhängern, die nicht in klösterlicher Gemeinschaft lebten. Die geographische Ausweitung erstreckte sich von Nordspanien über Südfrankreich nach Oberitalien. Die Schwierigkeiten einer reibungslosen Einordnung in die bestehenden Ordensvorstellungen und kirchlichen Ordnungssysteme schlugen sich in reger Korrespondenz zwischen dem Papst und den betroffenen Ortsbischöfen nieder, wobei die Päpste großes Entgegenkommen zeigten, um häretischen Abspaltungen zu wehren. Ein weiteres päpstliches Motiv war die Stärkung der eigenen Position, gerade auch durch neue Orden und ordensähnliche Gruppierungen, in den langandauernden Auseinandersetzungen mit Kaiser -»Friedrich II. (1215-1250). 3. Die

Bußbruderschaften

Einen Schritt weiter führten die Bußbruderschaften, die im frühen 13. Jh. besonders in Italien auftraten und ihre Klientel vorab unter religiös anspruchsvolleren Frauen und Männern der Stadtbevölkerung fanden. Auch -»Franciscus von Assisi gehört in diesen Aufbruch; seine ersten Gefährten wurden „Männer der Buße aus Assisi" genannt; Franciscus selbst schreibt im Rückblick auf seine Bekehrung: „Der Herr gab mir, Bruder Franziskus, das Leben der Buße so zu beginnen" (Testament 1). Diese frommen Laienkreise in italienischen Städten wurden zum ersten Mal 1221 von —»Honorius III. unter päpstlichen Schutz genommen. Ihre Lebensordnung und Organisation wird greifbarer in einer Textsammlung, die in ihrer Grundform im Jahr 1221 vom päpstlichen Legaten Hugolin, Kardinal von Ostia (dem späteren Papst -»Gregor IX., 1227-1241), veröffentlicht wurde. In den folgenden Jahren bis 1228 wurde der Grundtext erweitert und präzisiert: Memoriale propositi fratrum et sororum de poenitentia in domibus propriis existentibus (Lebensform der Brüder und Schwestern von der Buße, die in ihren eigenen Häusern leben; Text: Meersseman, Ordo 390-394). Danach geht es um Frauen und Männer, die nicht kommunitär, sondern in ihren eigenen Wohnungen lebten, aber ihrem Christenleben durch die Buße seinen spezifischen Charakter gaben. Das Büßerleben war von frommer Praxis bestimmt: Die sieben Gebetszeiten des kanonischen Offiziums sollten verrichtet werden; die Ungebildeten ersetzten den lateinischen Text der Tageshoren durch eine bestimmte Anzahl von Gebeten (-»Vaterunser; -»Glaubensbekenntnis; Ps 51 [50]). Mindestens dreimal im Jahr sollten sie zur Beichte und Kommunion gehen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten). Einmal im Monat sollten sie sich in einer bestimmten Kirche versammeln, am Gottesdienst und Offizium teilnehmen und eine spezielle Predigt (exhortatio) anhören. Zum Büßerleben gehörte die Mäßigkeit; generell begnügten sich die Büßenden mit zwei Mahlzeiten täglich. Die maßvolle Bescheidung wurde durch häufige Fasttage und Fastenzeiten gesteigert. Während dieser Fastenperioden enthielten sich die Eheleute des geschlechtlichen Verkehrs (daher auch als continentes „Enthaltsame" bezeichnet). Die übrige Lebenshaltung war von Bescheidenheit und Einfachheit bestimmt: Kleider aus ungefärbtem und geringwertigem Stoff (graue Wolle), die der Einfachheit und Brauchbarkeit entsprachen. Den Büßerinnen wurden kostbare Schleier und gefältelte Hauben untersagt, ebenso auffällige Hüte und modisches Schuhwerk. Das Memoriale spricht von der mutacio habitus (Kleiderwechsel; mindestens für die Männer). Das muß nicht im Sinne einer einheitlichen Uniformierung der Büßenden verstanden werden. Aber zum freiwilligen Eintritt in den Büßerstand gehörte ein modischer Einschnitt, der die Büßenden schon an ihrer einfachen, anspruchslosen Kleidung erkennen ließ. Gravierender waren die Beschränkungen im Bereich des gesellschaftlichen Lebens: keine Teilnahme an Festmählern, Spielen und Tanzvergnügen. Vor ihrer Aufnahme muß-

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ten die Büßenden ihre wirtschaftlichen Verhältnisse in Ordnung bringen, z. B. auf unrecht erworbenes Gut verzichten. Verwehrt wurde ihnen auch das Waffentragen und jeglicher Waffendienst. Erwartet wurde der Verzicht auf Schwur und -»Eid. Gerade diese Forderungen, die dem Evangelismus der religiösen Bewegungen der Zeit entsprachen, führten zu Störungen mit den städtischen Kommunen. Der Eid war für die gesellschaftlichen und beruflichen Korporationen konstitutiv, der Waffendienst bei den häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen unvermeidlich. Die religiös begründete Dienstverweigerung konnte im Kriegsfall die Sicherheit der Stadt und ihrer Bevölkerung gefährden. Die Interventionen von Bischöfen und Päpsten zugunsten des Büßerstandes führten zum Kompromiß: Die Büßenden leisteten Ersatzdienste, etwa finanzielle und wirtschaftliche Hilfe, dazu auch die Werke der Barmherzigkeit, ohnehin zum Büßerleben gehörig, wie Armenunterstützung, Gefangenenbetreuung und andere caritative Dienste. Die äußere Organisation ist dürftig: Ministri (Diener der Gemeinschaft) tragen Sorge für die öffentlichen Belange, haben sich der Kranken anzunehmen und sind für die Aufnahme zuständig. Zu den Verantwortlichen zählt auch der Dienst des Vermögensverwalters (massarius). Diese Dienste wurden nur für die Dauer eines Jahres übertragen. Der mehrfach erwähnte Visitator war letztlich der Ortsbischof, dem die Pönitenten als Teil seiner Gemeinde unterstellt waren; im konkreten Fall mag es ein von ihm bestimmter Kleriker gewesen sein. Bei den Humiliaten war die seelsorgliche Betreuung dem Ersten Orden zugewiesen. Den Büßenden in den italienischen Städten stand keine derartig geordnete Gemeinschaft gegenüber; sie blieben, was ihre seelsorgliche Betreuung anging, auf den geeigneten und wohlwollenden Kleriker (Ordenspriester) der Stadt angewiesen. Mit dem Aufkommen und der raschen Verbreitung der Bettelorden eröffneten sich jedoch neue Möglichkeiten. Die franziskanische Bruderschaft war in ihrem Ursprung eng mit der Bußbewegung verbunden. Die Konstituierung des Ordo Fratrum Minorum (-•Franziskaner) brauchte diese Herkunft nicht zu verleugnen. Von Franciscus von Assisi ist ein Brief an die Gläubigen (in zwei Fassungen) überliefert, dessen Adressaten im Kreis der Büßergemeinschaften gesucht werden. Papst Innocenz III. hat ihm und seinen Gefährten im Jahr 1209 die Erlaubnis zur Bußpredigt gegeben. In der nichtbullierten Regel (21,1) empfiehlt er seinen Brüdern die kurze Lob- und Mahnrede (exhortatio). Auch hier mag an die Büßenden gedacht gewesen sein, die für solche Ermahnung aufgeschlossen waren. Eine bleibende Verbindung mit dem Milieu der Bußgemeinschaften ist durchaus anzunehmen. Für die Predigerbrüder konnte in einer Reihe von italienischen Städten der enge Anschluß der Büßenden an die entstehenden Dominikaner-Konvente (--»•Dominikaner) aufgezeigt werden. Da in den aufstrebenden Städten häufig beide Bettelorden Niederlassungen hatten, ergab sich die Teilung der städtischen Büßergruppen. Die einen schlössen sich dem Franziskaner-Konvent an (die Pönitenten des heiligen Franciscus, auch „graue/braune" Büßer nach ihrem Mantel), die anderen dem DominikanerKonvent (die Pönitenten des heiligen Dominicus, auch „schwarze" Büßer nach ihrem schwarzen Mantel). Die Büßergemeinschaften rückten dabei aus praktischen und pastoralen Gründen in die N ä h e der Mendikantenklöster. Hier fanden sie die angemessene geistliche Betreuung und die Möglichkeit eines rechtlich geordneten Anschlusses an diese anerkannten Orden. Dazu waren sie bereit zur wirtschaftlichen und kirchenpolitischen Kooperation mit den jeweiligen Klöstern. In dieser Formierung von Brüdern und Schwestern der Buße des heiligen Dominicus/des heiligen Franciscus darf die Grundlegung für die Dritten Orden im Gefolge der großen Bettelorden gesehen werden. 4. Im Gefolge der

Bettelorden

4.1. Franziskanischer Dritter Orden. Die älteste Franciscusbiographie und Ordenshistoriographie sahen in Franciscus von Assisi den Gründer des Dritten Ordens. Seine Herkunft aus der Bußbewegung und die tatsächliche Verbindung seiner Brüder mit den Büßergemeinschaften haben zu dieser Auskunft geführt; sie ist unzutreffend, sofern sie (a) Franciscus zum Initiator der Bußbewegung machte und (b) die Pönitenten von Anfang

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an als Tertiarier vereinnahmte. Thomas von Celano (1. Franziskusleben 1,37) und -»Bonaventura (Großes Franziskusleben 2,8) sprechen von der „dreifachen Heerschar" des Franciscus. Julian von Speyer (gest. um 1250) besingt den Heiligen in seinem Reimoffizium (1232-1235 verfaßt) als dreifachen Ordensstifter: der Dritte Orden umfaßt die Büßenden beiderlei Geschlechtes (tertius sexum capit utrumque). Von drei gegründeten Orden spricht auch Gregor IX. im Jahr 1238; an dritter Stelle stehen bei ihm die Büßergemeinschaften (poenitentium collegia). Die Büßergemeinschaften waren zu dieser Zeit keineswegs ausschließlich in die franziskanische Familie einzuordnen. Papst ->Innocenz IV. wollte zwar 1247 einen solchen Anschluß für Italien erzwingen. Doch sein Nachfolger Alexander IV. (1254-1261) mußte die Verfügung wieder zurücknehmen. Ein genereller Seelsorgeauftrag für die Pönitenten schien dem Orden eine zu große Belastung; außerdem wollte der Orden nicht in Konflikte mit den städtischen Kommunen hineingezogen werden (Bonaventura, Opera Omnia, 10 Bde., Ad Claras Aquas 18821902, VIII 1898, 368: Cur fratres non promoveant ordinem poenitentium [Warum die Brüder den Büßerorden nicht fördern wollen]). Die Weigerung konnte nicht lange aufrechterhalten werden. Der Franziskanerpapst Nikolaus IV. (1288-1292) übertrug den Franziskanern erneut die Sorge für die Pönitenten und gab diesen mit der Bulle Supra montem (18. August 1289) eine eigene Regel. Diese Regel war freilich nichts anderes als eine Büßerregel, die auf das ältere Memoriale zurückgeht und 1284 von dem Franziskaner Fra Caro von Arezzo überarbeitet worden war (Text: Meersseman, Ordo 3 9 4 400). Von ein paar Kleinigkeiten abgesehen fügte der Papst in den Text lediglich betonend ein, daß diese Lebensform (vivendi forma) vom heiligen Franciscus begründet worden sei. Deshalb seien die Visitatoren und die Seelsorger (visitatores et informatores) aus dem Orden der Minderbrüder zu wählen. Die neutrale Pönitentenregel war zur franziskanischen Regel geworden. Sie sollte für lange Zeit die verbindliche Regel des franziskanischen Dritten Ordens werden. Der Papst hat nicht von einem solchen Orden gesprochen. Aber bald nach 1289 taucht dieser Begriff auf (Text: Meersseman, Dossier 209, Nr. 23); in Verbindung mit der älteren, erbaulichen Ordensdoktrin setzt er sich zum Ende des 13. Jh. durch. 4.2. Dominikanischer Dritter Orden. Die Ursprünge liegen auch hier in den Büßergemeinschaften, die im Anschluß an städtische Dominikaner-Konvente zu Brüdern und Schwestern vom Orden der Buße des hl. Dominicus werden. Der Dominikaner-Generalmagister Munio da Zamora gab ihnen im Jahr 1285 eine eigene Regel (Text: Meersseman, Ordo 401-408). Diese Regel geht wiederum auf das ältere Memoriale zurück, unterstreicht jedoch die Bindung an den Dominikanerorden entschiedener und klar: Teilnahme an den Gottesdiensten in der Dominikaner-Kirche, in der auch die monatliche Versammlung der Pönitenten stattfindet. Magister und Direktor sind aus dem Dominikanerorden zu wählen; die Büßer sind dem General- und den Provinzialmagistern des Ordens unterworfen, was auf eine regionale Organisation entsprechend dem ersten Orden hinweist. Die Einheit mit dem Apostolat des Dominikanerordens wird schon in den Aufnahmebedingungen genannt: Wie in den anderen „Büßerregeln" bleiben Häretiker und der Häresie Verdächtige ausgeschlossen. Von Postulanten der dominikanischen Pönitenten wird erwartet, daß sie eifrige Verteidiger des katholischen Glaubens sind. Wenn Munio da Zamora den Ordo poenitentiae beati Dominici auch nicht Dritter Orden nennt, so hat er doch mit seiner Regel seinen Orden einem laikalen Zweig zugeordnet. Gezielte Aktivierung von Laienkreisen betrieb der Dominikanerorden auch über den Büßerorden hinaus. Petrus Martyr (gest. 1252; kanonisiert 1253) gründete eine Militia S. Crucis; die weitverbreiteten Societates SS. Mariae beriefen sich gleicherweise auf ihn als Inspirator. Bis es zum eigentlichen dominikanischen Dritten Orden kam, dauerte es freilich noch länger. Dem Generalmagister Raimund von Capua (gest. 1399) und anderen Dominikanern seiner Zeit werden entscheidende Aktivitäten zugeschrieben. Leben und

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Werk der heiligen -»Katharina von Siena spielten dabei eine erhebliche Rolle. Papst Innocenz VII. (1404-1405) bestätigte schließlich am 26. Juni 1405 mit der Bulle Sedis apostolicae die Regel des Munio da Zamora als Regel des dominikanischen Dritten Ordens. 4.3. Andere Tertiarier. Neben Dominikanern und Franziskanern waren im 13. Jh. weitere Orden entstanden, die in Apostolat und Organisation den beiden großen Bettelorden entsprachen. Diese Entsprechung betrifft auch die Laiengemeinschaften, die sich unter ihrem Einfluß bildeten und jeweils zum Dritten Orden wurden: 1399 anerkannte Bonifatius IX. (1389-1404) die Tertiarierinnen der -»Augustiner-Eremiten, 1470 Paul II. (1464-1471) ihre Tertiarier. Der Anschluß von Laien an den Orden geschah hier zunächst wohl durch die individuelle Oblation. Eine eigene Regel für den Dritten Orden gab es nicht. Beide Aussagen gelten auch für den Dritten Orden der Karmeliten (-•Karmeliter). Die Servitentertiarier/-tertiarierinnen wurden 1424 von Martin V. (14171431) anerkannt, die der Karmeliten 1476 von -»Sixtus IV. Die päpstliche Bestätigung solcher Dritte-Orden-Gemeinschaften setzte sich in der Neuzeit fort. Neue Dritte-Orden-Gruppierungen entstanden auch infolge reformbedingter Spaltungen des Ersten Ordens. Der franziskanische Dritte Orden teilte sich in drei Gruppen auf, jeweils den Minderbrüdern, den Konventualen und den -»Kapuzinern angeschlossen. Schließlich gesellte sich als vierte Gruppe die der Tertiarier des regulierten franziskanischen Ordens hinzu. Die Reformen des Augustinerordens führten zu dessen Aufteilung in drei selbständige Orden, denen drei eigene Gruppierungen des augustinischen Dritten Ordens entsprechen. Der Dritte Orden der Karmeliten ist zweigeteilt: Dritter Orden der Alten Observanz, Dritter Orden der Theresianischen Reform. Die Konstituierung dieser Dritten Orden bedeutete Anschluß an den entsprechenden Ersten Orden und dessen Verantwortung für die Laiengemeinschaften, auch wenn diesen in weitem Maße Selbständigkeit eingeräumt war. Die Zugehörigkeit zu der einen Ordensfamilie führte zu Gebetsgemeinschaft, Anteil an den geistlichen Privilegien, Einheit in der spirituellen Grundhaltung, Pflege der ordensspezifischen Devotionsform und materieller und ideeller Unterstützung der ordenseigenen Aufgaben. Die Organisation entspricht der der Ersten Orden. Auf der untersten Ebene ist die Dritte-Orden-Gruppe einem Konvent des Ersten Ordens zugeordnet, auf regionaler Ebene der Ordensprovinz und schließlich dem Gesamtorden. Die Dritte-Orden-Gemeinschaften wählen sich auf jeder Ebene ihre eigenen Leitungsinstanzen; der jeweilige Erste Orden bestimmt für sie die geistlichen Assistenten. Das unterscheidende Ordenskleid der Anfangszeit ist längst nicht mehr in Gebrauch; an seine Stelle trat schon früh aus praktischen Gründen ein Skapulier mit Gürtel, das nach und nach zu einem kleinen Skapulier (unter den Kleidern getragen) reduziert wurde. In jüngster Vergangenheit wurde statt dessen ein ordensspezifisches Emblem/Signet gewählt. 5. Weitere Geschichte und gegenwärtiger

Bestand

Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Dritten Orden teilen ihre Geschichte mit ihrem jeweiligen Ersten Orden. Als Devotionsgemeinschaften mit caritativen und apostolischen Aufgaben, deren Lebensform als Weg zur christlichen -»Vollkommenheit anerkannt war - der Heiligenkalender der römisch-katholischen Kirche verzeichnet eine große Zahl heiliger Frauen und Männer aus den Dritten Orden - , blieben sie ein selbstverständliches Element des kirchlichen Lebens. Mit der expansiven Missionstätigkeit der Kirche kamen sie im Gefolge der missionierenden Orden auch in die Missionsländer, besonders stark war die Präsenz in Südamerika. An Zahl und Einfluß ging der franziskanische Dritte Orden dabei voran. Allerdings ist seit dem späten Mittelalter auch eine Einflußminderung zu beobachten. Die weitverbreiteten -»Bruderschaften gewannen im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben der Städte erheblich größeren Einfluß. Aber die Dritten Orden blieben zahlenmäßig stark und mit ihrer frommen Heilszusage attraktiv, auch im hohen Klerus, Adel und in regierenden Fürstenhäusern.

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Den gravierendsten Einschnitt markieren —» Aufklärung, -»Französische Revolution und -»Säkularisation. Die ordensgeschichtliche Erneuerung im 19. Jh. führte auch zur Wiederbelebung der Drittordensgemeinschaften. Die Vielzahl der neueren Kongregationen, die sich um Förderung und Unterstützung durch weite Laienkreise mühten und eigene Devotions- und Spiritualitätsformen anboten, wurden zur Konkurrenz. Das kirchliche Vereinswesen band jetzt weitere Kräfte, die besser geeignet waren, in das gesellschaftliche und soziale Leben einzugreifen. Das gilt vor allem von der -»Katholischen Aktion, die seit dem frühen 20. Jh. von den Päpsten als Möglichkeit engagierten Christenlebens mitten in der Welt propagiert und gefördert wurde. Generell gehört in diese Zeit die Entdeckung der „Welthaftigkeit" (Säkularität) des Christseins, die zu den „Säkularinstituten" führte und in neuester Zeit zu einer Reihe von geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen. Dagegen behaupten sich die traditionellen, mit geschichtlichem Erbe belasteten Dritten Orden nur schwer. Nach dem II. —• Vatikanum sind Orientierungsbemühungen und Standortbestimmungen allenthalben zu registrieren. Der gemeinsame Nenner ist das Leben nach dem Evangelium mitten in der Welt und Aktivierung des Laienapostolates nach den konziliaren Anregungen unter der Inspiration des Gründercharismas. Für den Lebenswillen der Gemeinschaften sprechen die Neufassungen der verbindlichen Regeln. In den neugewählten Namen und der betonten Eigenständigkeit bringen sie ihr erneuertes Selbstverständnis zum Ausdruck. Seit 1966 gibt es die internationale Vereinigung der Dritten Orden (Utiio Tertiorum Ordinum) und seit 1974 die Zusammenarbeit der Dritte-Orden-Generaldelegaten jener Orden, denen Dritte Orden angeschlossen sind. Zum gegenwärtigen Stand: Der franziskanische Dritte Orden erhielt 1978 eine neue Regel. Gleichzeitig gab er sich einen neuen Namen: Ordo franciscanus saecularis (OFS), weltlicher franziskanischer Orden/franziskanischer Weltorden. Der Orden steht unter eigener Leitung: Nationalräte und internationaler Rat. Aufgegeben wurde die trennende Zuordnung zu einem der Ersten Orden; an ihre Stelle ist die regionale Betreuung durch den geistlichen Assistenten aus einem dieser Orden getreten. In Deutschland/Österreich nennt sich der OFS Franziskanische Gemeinschaft (FG), in der Schweiz Franziskanische Laiengemeinschaft. 1998: ca. 450.000 Mitglieder. Der dominikanische Dritte Orden nahm 1987 eine neue Regel an. Er nennt sich jetzt Dominikanische Laiengemeinschaft/Laien des hl. Dominikus (Fraternitas saecularis dominicana) und ist eigenständiger Teil der Familia dominicana. 1998: ca. 70.000 Mitglieder. Der Dritte Orden der Augustiner (OSA) war bis 1980 auf die -»Augustinusregel verpflichtet. Im Jahr 1980 erhielt er seine eigene Regel. 1998: ca. 60.000 Mitglieder. Die Karmelitentertiarier der Alten Observanz erhielten ihre neue Regel 1977 (1995: ca. 20.000 Mitglieder), die des Theresianischen Karmels 1979 (1983: ca. 23.000 Mitglieder). Der Dritte Orden der Serviten, jetzt Ordo saecularis Servorum Mariae (weltlicher Orden der Diener Mariens), hat seit 1995 eine neue Regel. 1996: ca. 8.000 Mitglieder. (Literatur

s. u. S. 92)

II. Regulierte Tertiarier/Tertiarierinnen 1. Die Anfänge der Regularität 2. Franziskanischer regulierter Dritter Orden regulierte Dritte Orden (Literatur S. 92)

1. Die Anfänge

der

3. Andere

Regularität

Es geht um Frauen und Männer, die nach Geschlechtern getrennt in Gemeinschaft leben, eine der Dritten-Orden-Regeln befolgen und sich zum Leben nach dem Evangelium unter Beobachtung der -»Gelübde verpflichten. Diese Verordung widerspricht eigentlich dem ursprünglichen Anliegen des Dritten Ordens; sie setzt jedoch schon mit der Kon-

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stituierung des Dritten Ordens ein. Einmal gab es schon kommunitär lebende Pönitenten. Die Anbindung der Pönitenten an Franziskaner und Dominikaner schloß diese Gemeinschaften ein. Zum anderen gab es im Dritten Orden zölibatär lebende und verwitwete Mitglieder, die aus praktischen Gründen ein Zusammenleben anstrebten. Daraus wurden in regulierten Dritten Orden religiös begründete Gemeinschaften. Die Unterdrückung der -»Beginen/Begarden durch das Konzil von Vienne 1311/12 (Decr. 16; 28) brachte einen weiteren, starken Schub. Mit dem Anschluß an einen regulierten Dritten Orden war ihnen eine kirchliche Existenzmöglichkeit eröffnet (neben anderen möglichen Ordensanschlüssen). Die Bejahung der Regularität, die vor allem Sache der Frauen war, fand schließlich in allen Dritten Orden Verbreitung. Der Verordungsprozeß hat seinen eigenen Anteil am Bedeutungsverlust der weltlichen Dritten Orden. 2. Franziskanischer

regulierter Dritter

Orden

Die Kommunitäten der Tertiarier/Tertiarierinnen waren selbständige Häuser unter bischöflicher Aufsicht und in enger Verbindung mit dem Franziskanerorden. Ihre rasche und weite Verbreitung führte zu freien Zusammenschlüssen auf regionaler Ebene (Kongregationen, Kapitel). Mit fortschreitender Organisation erreichten diese Vereinigungen im Lauf des 15. Jh. ihre Autonomie, formierten sich zu zentralistischen Kongregationen mit eigenen Generalministern/-ministerinnen und eigenem Generalkapitel. —»Leo X. gab ihnen im Jahr 1521 eine eigene Regel (auf der Basis der Drittordensregel Nikolaus' IV. von 1289). Allen Brüdern und Schwestern wurde jetzt die Ablegung der Gelübde vorgeschrieben; die Klausur für die Frauenklöster war im Hinblick auf ihre caritative Tätigkeit durchlässig. Die Autonomie blieb nur in der kleinen Ortskommunität erhalten, in seiner Gesamtheit wurde der regulierte Dritte Orden wieder in den Ersten Orden eingebunden - ein Erfolg der OFM-Observanten, die sich gegen einen neuen franziskanischen Orden wehrten. Die Emanzipation vom Ersten Orden war jedoch nicht aufzuhalten. In Verbindung mit nationalen Kräften formierten sich im 16. Jh. wieder quasiautonome Kongregationen in Spanien, Italien und Frankreich. Im frühen 18. Jh. zählte der gesamte männliche Orden in 20 Provinzen mehr als 200 Konvente und knapp 4.000 Mitglieder. Im 19. Jh. auf wenige Mitglieder geschwunden, konnte sich der Orden nur langsam neu konstituieren. 1921 wurde er durch -»Benedikt XV. als gleichberechtigte vierte franziskanische Familie (neben Minderbrüdern, Konventualen und Kapuzinern) anerkannt. Im Jahr 1982 gab sich der Orden eine neue Regel {Franciscanum vitae propositum)-, 1991 wurden die ergänzenden Konstitutionen anerkannt. Der heute international verbreitete Orden zählt ca. 800 Mitglieder. Die weiblichen regulierten Tertiarierinnen folgten den männlichen, indem sie sich ihrer Leitung unterstellten. Aber es gab auch die autonomen Niederlassungen und Zusammenschlüsse, die sich dem Ersten Orden unterstellten. Der seligen Angela von Marsciano (gest. 1435) gelang ab 1397 der Aufbau einer Kongregation, die sie als Generaloberin mit Visitationsrecht aller Klöster leitete. Die Schwestern waren apostolisch tätig in allen Bereichen, die damals Frauen zugänglich waren. Das Amt der Generalministerin wurde jedoch 1461 von Papst -»Pius II. abgeschafft. Die einzelnen Niederlassungen — ca. 300 - wurden selbständig. Im Jahr 1617 wurde die Klausur verpflichtend eingeführt, die Tätigkeit damit auf Erziehungs- und Bildungsarbeit beschränkt. Die Kongregation zählt heute nur noch wenige Schwestern. Kongregationsbildungen geschahen auch im 16. und 17. Jh. Ihre große Zeit gehört in das 19. und frühe 20. Jh. Es sind apostolisch tätige Gemeinschaften - meist zentralistische Kongregationen unter einer Generaloberin mit Mutterhaus und vielen Filialen - mit breitgefächerten Aufgabengebieten im sozial-caritativen, erzieherischen und pastoralen Bereich, getragen von franziskanischer Spiritualität und verpflichtet auf die Regel von 1982. Weltweit gibt es ca. 450 Kongregationen, teils päpstlichen, teils bischöflichen Rechts und gewöhnlich einem der großen franziskanischen Orden angeschlossen. In Deutschland sind es etwa 30 solcher Kongregationen, häufig nach ihrem jeweiligen

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M u t t e r h a u s benannt, z. B. Franziskanerinnen von Dillingen, von Mallersdorf, von Olpe, von Reute, von Sießen, von T h u i n e usw. Neben diesen Kongregationen gibt es regulierte Tertiarierinnen, die in a u t o n o m e n Klöstern leben, meist klausuriert und daher ohne größere Außentätigkeit (z. B. in der Schweiz zehn Klöster kapuzinischer Observanz, zwei Klöster franziskanischer Observanz). Erheblich geringer ist die Z a h l der männlichen Kongregationen des regulierten Dritten Ordens. Bei ihnen handelt es sich meist um Kongregationen mit sozial-caritativem und erzieherischem A p o s t o l a t (in Deutschland: Franziskanerbrüder v o m hl. Kreuz, H a u s e n / W i e d ; Armen-Brüder des hl. Franziskus Seraphicus, Aachen). Z u erinnern ist schließlich an die lebhafte eremitische Tradition im Gefolge des franziskanischen regulierten Dritten Ordens, die bis in die G e g e n w a r t anhält. 3. Andere

regulierte

Dritte

Orden

Die Verordungsprozesse bestimmen auch die Geschichte der übrigen Dritten Orden. Im dominikanischen Dritten O r d e n gab es von Anfang an selbständige Klöster ( M o nasteria sororum tertii ordinis), die zum Teil noch heute bestehen (in Deutschland z . B . St. Ursula/Augsburg, gegründet 1 3 3 5 ; dominikanische Pönitenten, 1394), daneben den klösterlichen Verband (Kongregationen). Der größte Teil dieser Kongregationen entstand wiederum im 19. J h . mit vielfältigen apostolischen Tätigkeiten und weltweiter Verbreitung. Sie leben n a c h der 1 9 8 7 publizierten Regel des Dritten dominikanischen Ordens und gehören zur Familia dominicana. In Deutschland z . B . : Dominikanerinnen zu St. M a g d a l e n a / S p e y e r , von Neusatzeck, von Arenberg, von Bethanien u.a. Einen männlichen regulierten Dritten O r d e n gibt es in dieser Familie nicht. Weibliche Kongregationen des regulierten Dritten Ordens finden sich zahlreich im Anschluß an den Augustinerorden (in Deutschland z. B. Augustinerinnen/Neuß, Cellitinnen/Köln, Christenserinnen/Aachen, Ritasch western/Würzburg); mehrere Kongregationen zählt auch der Dritte O r d e n der Serviten, häufig unter dem N a m e n Dienerinnen M a r i a s oder Servitinnen (Niederlassungen in Deutschland: Düsseldorf und M ü n c h e n ) . Literatur Mariano d'Alatri (Hg.), I Frati Penitenti di S. Francesco nella società del due e trecento, Rom 1977. - Ders., Il movimento francescano della Penitenza nella società medievale, Rom 1980. Gabriele Andreozzi, Il T. O. R . di S. Francesco nella sua storia e nelle sue leggi, 3 Bde., Rom 1995. - Emanuele Boaga, Art. Tiers Ordres séculiers: DSp 15 (1991) 9 4 6 - 9 6 0 . - Nicole Bouter (Hg.), Les mouvances laiques des ordres religieux. Actes du 3e colloque int. du Centre Européen de Recherches sur les Congrégations et Ordres Religieux, St. Étienne 1996. - Giovanni Casagrande, Religiosità penitenziale e città al tempo dei comuni, Rom 1995. - André Cirino/Josef Raischl, Franciscan Solitude, St. Bonaventure, N.Y. 1995. - Jacques Dalarun, La sainte et la cité. Micheline de Pesaro (t 1356), tertiaire franciscaine, Rom 1992. - Brigitte Degler-Spengler, Regulierte Franziskaner-Terziarinnen in der Schweiz: HelSac V / l (1978) 6 0 9 - 7 0 2 . - Dies., Beginen u. Begarden in der Schweiz, allg. Einl.: HelSac I X / 2 (1982) 3 1 - 9 1 . - Dies., Die rei. Frauenbewegung des MA: RoJKg 3 (1984) 7 5 - 8 8 . - Dies., „Zahlreich wie die Sterne des Himmels." Zisterzienser, Dominikaner u. Franziskaner vor dem Problem der Inkorporation v. Frauenklöstern: RoJKg 4 (1985) 3 7 - 5 0 . - Kaspar Elm, Die Stellung der Frau in Ordenswesen, Semireligiosentum u. Häresie z.Z. der hl. Elisabeth: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige, hg. v. der Philipps-Univ. Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt f. gesch. Landeskunde, Sigmaringen 1981, 7 - 2 8 . - Ders., Frömmigkeit u. Ordensleben in dt. Frauenklöstern: OGE 66 (1993) 2 8 - 4 5 . - Gilles Gérard Meersseman, Dossier de l'Ordre de la Pénitence, Fribourg 1961 2 1982. - Ders., Ordo Fraternitatis. Confraternite e pietà dei laici nel medioevo, 3 Bde., Rom 1977 (IS 2 4 - 26). - Enrico Menestò (Hg.), Le terziarie francescane della beata Angelina. Origine e spiritualità, Spoleto 1966. - Raffaele Pazzelli/Lino Temperini (Hg.), Prime manifestazioni di vita comunitaria, maschile e femminile, nel movimento francescano della Penitenza (1215-1447), Rom 1982. - Dies., La „Supra montem" di Nicolò IV (1289). Genesi e diffusione di una regola, Rom 1988. - Giancarlo Rocca u.a., Terz'Ordine, T. O. Regolare, T. O. Secolare: DIP 9 (1997) 1 0 4 2 - 1 1 3 0 . - Heribert Roggen, Gesch. der franziskanischen Laienbewegung, Werl 1971. - Oktavian Schmucki, L'Ordine della Penitenza di S. Francesco d'Assisi nel sec. XIII, Rom 1973 2 1988. - Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten

Tertullian

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MA, München 1992. - Kurt-Victor Selge, Die ersten Waldenser, I 1967 (AKG 37). - Mario Sensi, Le Osservanze francescane nell'Italia centrale (sec. X I V - X V ) , Rom 1985. - Lino Temperini (Hg.), Terziari Francescani in età moderna. Antico e nuovo mondo, Rom 1993. - Ders., Carisma e legislazione alle origini del Terzo Ordine di S. Francesco, Rom 1996. - André Vauchez, La Sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen âge, Rom 1981 2 1988. - Ders., Art. Pénitents: DSp 12 (1984) 1 0 1 0 - 1 0 2 3 . - Ders., Ordini mendicanti e società italiana X I I I - X V secolo, Mailand 1990. - Marie-Humbert Vicaire, Les origines paradoxales du Tiers-Ordre de S. Dominique: Dominique et ses prêcheurs, Paris 1977, 3 9 2 - 4 0 9 . - Andreas Wilts, Beginen im Bodenseeraum, Sigmaringen 1994. Karl Suso F r a n k

Tertullian, Quintus 1. Leben 1.

Septimius

2. Werk

Florens

3. Nachwirkung

(gest.

nach

220)

(Bibliographien/Quellen/Literatur S. 105)

Leben

Über Tertullians Leben wissen wir nur, was sich aus seinen 3 1 erhaltenen Schriften erschließen läßt: E r lebte zwischen 198 und 2 2 0 n a c h seiner Bekehrung als unabhängiger christlicher Literat und Denker in - » K a r t h a g o , erfaßte d o r t die Bedeutung des - > M o n tanismus für die Kirche seiner Zeit und m a c h t e sich nach 2 0 7 dessen geistliche Strenge i m m e r m e h r zu eigen, bis er um 2 1 2 schließlich der Amtskirche äußerst kritisch gegenüberstand. Tertullian erwarb u.a. in - » R o m (cult. fem. 1,7,2) philosophisches, juristisches und medizinisches Allgemeinwissen, besaß jedoch vor allem ein ausgezeichnetes Sprachgefühl. Auf der Grundlage umgangssprachlichen Materials, das er nach den rhetorischen Regeln der Zweiten Sophistik nutzte und wortschöpferisch erweiterte, begründete er die christlich-lateinische Lesekultur. Nähere Angaben bei -»Eusebius von Caesarea und -»Hieronymus, die das Tertullian-Bild bis heute prägen, beruhen ebenfalls auf Werkinterpretationen. Eusebius, der kein Latein las, zitiert mehrfach aus Kap. 2 und 5 der griechischen Version des Apologeticum, um zu dokumentieren, daß Tertullian die Christengesetze der Römer kannte (vgl. Eusebius, h.e. 11,2,4 mit 11,25,4; 111,20,7; 33,3; V , 5 , 5 - 7 ) . Tertullian war jedoch kein Jurist. Seine Anwendung juristischer Begriffe auf theologische Sachverhalte setzt keinen spezifisch römisch-rechtlichen Hintergrund voraus (Hallonsten, Satisfactio; ders., Meritum) und hängt eher mit der stark alttestamentlich geprägten, gesetzesorientierten Form des nordafrikanischen Christentums zusammen, die in Tertullians Schriften erstmals faßbar wird (Campenhausen 36: „er ist, theologisch geurteilt, beinahe ein Jude"). Die Identifikation mit einem gleichnamigen Juristen (vgl. PL 1,123-126) scheidet aus zeitlichen und sachlichen Gründen aus (Barnes 2 2 - 2 9 ) . In einer Studie über den Schriftstellerkatalog des Hieronymus (Freiburg i.Br. 1895) zeigt Carl Albrecht Bernoulli, daß auch Hieronymus das Tertullian-Kapitel (vir. ill. 53) aus wenigen, ausgewählten Schriften extrahierte, da er sich nicht auf die Kirchengeschichte des Eusebius berufen konnte (vir. ill. 33f.). Nur Hieronymus, der Rom im Streit verlassen hatte, bezeugt aus großer zeitlicher Distanz (393), daß Tertullian nach einem Konflikt mit dem römischen Klerus zum Montanismus übertrat (vgl. die weniger eindeutigen Aussagen in ieiun. 1,3 und Prax. 1,7; disiungo bedeutet lediglich „anderer Meinung sein"), und beruft sich auf die kirchenkritischen Schriften (De pudicitia; De fuga; De ieiunio; De monogamia; De exstasi), die allein er offenbar zur Hand hatte. Ein völliger Bruch mit der Kirche setzt die offizielle Verurteilung des Montanismus voraus und ließe sich nur an Tertullians Kirchen- und Amtsverständnis dokumentieren, doch ist gerade hier Kontinuität festzustellen (Rankin 206). Schließlich konstatiert Hieronymus Tertullians aufbrausenden Charakter (ingenium acre et vebemens). Alle diese Angaben stellen jedoch „wissenschaftliche Zusätze" (Bernoulli [s.o.] 2 5 8 - 2 6 1 ) dar und sind für Hieronymus' theologische Entwicklung aufschlußreicher als für Tertullians Biographie. Das Ansehen des Kirchenvaters hat jedoch dazu beigetragen, daß sich sein Tertullian-Bild durchgesetzt hat (z.B. Holl 1: „der Schriftsteller Tertullian ist eines der interessantesten psychologischen Probleme"). Mit seiner aus dritter Hand stammenden Anekdote, -»Cyprian habe täglich gebeten, ihm den Magister zu reichen, scheint Hieronymus die Intention Tertullians allerdings getroffen zu haben. T.D. Barnes, der in apol. 9 , 2 mit der Haupthandschrift patriae nostri

nostrae

statt

patris

liest, bezweifelt weiter, daß Tertullian der Sohn eines in K a r t h a g o stationierten

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MA, München 1992. - Kurt-Victor Selge, Die ersten Waldenser, I 1967 (AKG 37). - Mario Sensi, Le Osservanze francescane nell'Italia centrale (sec. X I V - X V ) , Rom 1985. - Lino Temperini (Hg.), Terziari Francescani in età moderna. Antico e nuovo mondo, Rom 1993. - Ders., Carisma e legislazione alle origini del Terzo Ordine di S. Francesco, Rom 1996. - André Vauchez, La Sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen âge, Rom 1981 2 1988. - Ders., Art. Pénitents: DSp 12 (1984) 1 0 1 0 - 1 0 2 3 . - Ders., Ordini mendicanti e società italiana X I I I - X V secolo, Mailand 1990. - Marie-Humbert Vicaire, Les origines paradoxales du Tiers-Ordre de S. Dominique: Dominique et ses prêcheurs, Paris 1977, 3 9 2 - 4 0 9 . - Andreas Wilts, Beginen im Bodenseeraum, Sigmaringen 1994. Karl Suso F r a n k

Tertullian, Quintus 1. Leben 1.

Septimius

2. Werk

Florens

3. Nachwirkung

(gest.

nach

220)

(Bibliographien/Quellen/Literatur S. 105)

Leben

Über Tertullians Leben wissen wir nur, was sich aus seinen 3 1 erhaltenen Schriften erschließen läßt: E r lebte zwischen 198 und 2 2 0 n a c h seiner Bekehrung als unabhängiger christlicher Literat und Denker in - » K a r t h a g o , erfaßte d o r t die Bedeutung des - > M o n tanismus für die Kirche seiner Zeit und m a c h t e sich nach 2 0 7 dessen geistliche Strenge i m m e r m e h r zu eigen, bis er um 2 1 2 schließlich der Amtskirche äußerst kritisch gegenüberstand. Tertullian erwarb u.a. in - » R o m (cult. fem. 1,7,2) philosophisches, juristisches und medizinisches Allgemeinwissen, besaß jedoch vor allem ein ausgezeichnetes Sprachgefühl. Auf der Grundlage umgangssprachlichen Materials, das er nach den rhetorischen Regeln der Zweiten Sophistik nutzte und wortschöpferisch erweiterte, begründete er die christlich-lateinische Lesekultur. Nähere Angaben bei -»Eusebius von Caesarea und -»Hieronymus, die das Tertullian-Bild bis heute prägen, beruhen ebenfalls auf Werkinterpretationen. Eusebius, der kein Latein las, zitiert mehrfach aus Kap. 2 und 5 der griechischen Version des Apologeticum, um zu dokumentieren, daß Tertullian die Christengesetze der Römer kannte (vgl. Eusebius, h.e. 11,2,4 mit 11,25,4; 111,20,7; 33,3; V , 5 , 5 - 7 ) . Tertullian war jedoch kein Jurist. Seine Anwendung juristischer Begriffe auf theologische Sachverhalte setzt keinen spezifisch römisch-rechtlichen Hintergrund voraus (Hallonsten, Satisfactio; ders., Meritum) und hängt eher mit der stark alttestamentlich geprägten, gesetzesorientierten Form des nordafrikanischen Christentums zusammen, die in Tertullians Schriften erstmals faßbar wird (Campenhausen 36: „er ist, theologisch geurteilt, beinahe ein Jude"). Die Identifikation mit einem gleichnamigen Juristen (vgl. PL 1,123-126) scheidet aus zeitlichen und sachlichen Gründen aus (Barnes 2 2 - 2 9 ) . In einer Studie über den Schriftstellerkatalog des Hieronymus (Freiburg i.Br. 1895) zeigt Carl Albrecht Bernoulli, daß auch Hieronymus das Tertullian-Kapitel (vir. ill. 53) aus wenigen, ausgewählten Schriften extrahierte, da er sich nicht auf die Kirchengeschichte des Eusebius berufen konnte (vir. ill. 33f.). Nur Hieronymus, der Rom im Streit verlassen hatte, bezeugt aus großer zeitlicher Distanz (393), daß Tertullian nach einem Konflikt mit dem römischen Klerus zum Montanismus übertrat (vgl. die weniger eindeutigen Aussagen in ieiun. 1,3 und Prax. 1,7; disiungo bedeutet lediglich „anderer Meinung sein"), und beruft sich auf die kirchenkritischen Schriften (De pudicitia; De fuga; De ieiunio; De monogamia; De exstasi), die allein er offenbar zur Hand hatte. Ein völliger Bruch mit der Kirche setzt die offizielle Verurteilung des Montanismus voraus und ließe sich nur an Tertullians Kirchen- und Amtsverständnis dokumentieren, doch ist gerade hier Kontinuität festzustellen (Rankin 206). Schließlich konstatiert Hieronymus Tertullians aufbrausenden Charakter (ingenium acre et vebemens). Alle diese Angaben stellen jedoch „wissenschaftliche Zusätze" (Bernoulli [s.o.] 2 5 8 - 2 6 1 ) dar und sind für Hieronymus' theologische Entwicklung aufschlußreicher als für Tertullians Biographie. Das Ansehen des Kirchenvaters hat jedoch dazu beigetragen, daß sich sein Tertullian-Bild durchgesetzt hat (z.B. Holl 1: „der Schriftsteller Tertullian ist eines der interessantesten psychologischen Probleme"). Mit seiner aus dritter Hand stammenden Anekdote, -»Cyprian habe täglich gebeten, ihm den Magister zu reichen, scheint Hieronymus die Intention Tertullians allerdings getroffen zu haben. T.D. Barnes, der in apol. 9 , 2 mit der Haupthandschrift patriae nostri

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statt

patris

liest, bezweifelt weiter, daß Tertullian der Sohn eines in K a r t h a g o stationierten

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Tertullian

centurio proconsularis und nach seiner Konversion Presbyter war (vgl. cast. 7,3 und mon. 12,2 zur Bedeutung der Laien). Ob Tertullian in kirchlichem Auftrag Katechumenen unterrichtet hat, ist ebenso fraglich, zumal sich kein fester Schülerkreis ausmachen läßt (Neymeyr 136f.). -»Augustin zufolge (haer. 86) sollen zwar noch zu Beginn des 5. Jh. „Tertullianisten" in Karthago gelebt haben, doch weist schon G. —»Arnold auf die Schwierigkeit der Zuordnung hin (Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie, Frankfurt a.M., I 1699, 2,4,54). Da Tertullian öfter die literarische Perspektive wechselt, sind Ich-Aussagen z. B. über seine Jugend (res. 59,3; spect. 19,5), seine Ehe (ux. 1,1,1 f.), Charaktereigenschaften (pat. 1,1) oder Wünsche (Scorp. 7,3) biographisch hinterfragbar. Somit wird man Tertullian am besten gerecht, wenn man bei der Interpretation von biographischen Erklärungen völlig absieht, zumal seine Schriften wohl von vornherein als Literatur konzipiert sind (Neymeyr 126). 2. Werk N u r wenige, stark montanistisch geprägte Werke Tertullians sind verloren oder allein fragmentarisch erhalten (s.u. Quellen); der größte Teil ist auf uns gekommen. Einige Handschriften, die den ältesten Editionen zugrunde lagen, existieren jedoch nicht mehr. Manche Werke (s. Lit.) werden ausschließlich im ältesten, unvollständig erhaltenen Manuskript aus dem Besitz Bischof —• Agobards von Lyon überliefert oder genannt (Paris, Bibliothèque Nationale lat. 1622). Überlieferungsgeschichtlich sind fünf verschiedene Textsammlungen relevant (CChr.SL 1, Tab. II). Eine genaue Datierung der einzelnen Schriften ist unmöglich, die Reihenfolge ihres Entstehens kann jedoch aufgrund vieler inhaltlicher Bezüge festgelegt werden (s.u. 2.1.). Trotz eines Vorschlags von Barnes zur Neudatierung auf der Grundlage historischer Anspielungen, Textbezüge sowie der Stil- und Lehrentwicklung Tertullians (Barnes 5 4 56.325-329) ist die Chronologie von J.-C. Fredouille (Tertullien 487f.) noch immer konsensfähig (zum Ausgleich beider Positionen s. Rankin XIV-XVII). Tertullian hat offensichtlich mit Materialsammlungen und Versatzstücken gearbeitet, wodurch einige Werke durch zum Teil wörtliche Selbstzitate miteinander verknüpft sind (s.u. 2.1.). Auch kann ein pointierter Satz zum Thema eines neuen Werkes werden. Tertullian legt oft im Eingangsteil seine inhaltliche Absicht dar oder reflektiert seine Vorgehensweise. Ein zunehmendes Bemühen um systematisch-theologische Klarheit und biblische Fundierung ist erkennbar. Seine Sprache galt immer als schwierig, da der dialogisch-verkürzte Stil (-»Vinzenz von Lérins, comm. 18: quot paene verba, tot sententiae) dazu zwingt, einen Gedankengang fortlaufend mitzuverfolgen. Tertullians Wortschöpfungen und -spiele dienen niemals nur der gedanklichen Präzisierung; der Einsatz von lautlicher Ähnlichkeit, Etymologien, Ironie, offener oder versteckter Absurdität erzeugt eine Spannung und sogar Komik, die den Leser für den Gegenstand interessieren oder gewinnen soll. Diese kunstvolle Literatur weist über die christliche Gemeinde hinaus, auch wenn über ihre Rezeption nichts bekannt ist (zur Struktur der Gemeinde von Karthago s. Schöllgen). Im Unterschied zum Schulbetrieb bietet Lektüre eine unverbindliche Möglichkeit zur Information über das Christentum, die Tertullian dringend empfiehlt (vgl. apol. 2). So behandelt er auf dem Hintergrund der Bibel und der Glaubensregel, aber auch anhand von Beispielen aus der paganen Umwelt und Literatur kritische Aspekte von Leben und Lehre der Christen an sich, im Verhältnis zum römischen Imperium und in Auseinandersetzung mit Juden, Schismatikern und Häretikern: Themen, bei denen jeweils die Zugehörigkeit zur Kirche auf dem Spiel steht. Vielleicht durch äußere Anlässe bedingt, widmet er sich einer Frage auch mehrmals und in unterschiedlichen literarischen Gattungen, wobei er deren Topoi nutzt, stets jedoch charakteristisch abwandelt. Damit ist Literatur für Tertullian das Medium, mit dem er für die Sache des Christentums eintritt (-»Literatur und Religion).

2.1. Das Christentum

und die

Heiden

Den Ausschließlichkeitsanspruch der christlichen Wahrheit (apol. 7,3) vertritt Tertullian zunächst in seinen apologetischen Werken (—•Apologetik): der Mahnschrift an die Heiden, dem Apologeticum und der dem Statthalter Scapula gewidmeten Schrift. Diese Werke nehmen die Topoi der von ->Plato begründeten Philosophen-Apologie (-•Sokrates als Vorbild des christlichen Märtyrers: apol. 14) auf: Die Anklage ist ungerecht, weil sie auf Unkenntnis und Vorurteilen beruht; die Angeklagten sind weder Atheisten noch Staatsfeinde; ihre Moral ist besser als die der Ankläger, und sie sind bereit, mit dem Leben für ihre Überzeugung einzutreten; die Bestrafung wirkt sich zum Nachteil der Ankläger aus. 2.1.1. Die beiden Bücher Ad nationes (197), ursprünglich wohl als systematisches Werk zur Verteidigung des Christentums geplant, sind unvollendet geblieben (ohne Einleitung, Schluß und Darstellung der christlichen Position). Sie enthalten keinen Hinweis auf eine aktuelle Verfolgung. Tertullian arbeitete das Material größtenteils und stellenweise sogar wörtlich in sein wenig später verfaßtes Apologeticum ein. Das zweite Buch ist für die zeitgenössische Interpretation der römischen Mythologie aufschlußreich. Die Relevanz des Themas für die von Krisen erschütterte römische Gesellschaft scheint auf in der Argumentation, daß Größe und Bedeutung -»-Roms nicht auf die Götter zurückgehen, die Vernachlässigung des Kultes daher nicht zum Verfall des Imperiums führt. Stark gekürzt, findet sich diese Argumentation auch im Apologeticum. 2.1.2. Das aus Anlaß christenfeindlicher Unruhen im Jahr 198 verfaßte Apologeticum (35,8) gehört argumentativ zu den klarsten, wirkungsgeschichtlich zu den bedeutendsten Schriften Tertullians. Eine literarische Abhängigkeit vom Dialog Octavius des —>Minucius Felix wird heute zumeist ausgeschlossen. Offizieller Adressat sind die höchsten Beamten und Richter der Provinzverwaltung, denen Tertullian das Christentum durch Literatur nahebringen will. Denn obwohl sich bereits Männer und Frauen aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten dem Christentum angeschlossen haben, gilt es noch immer nicht als gesellschaftsfähig und diskussionswürdig (1,7f.)- Verurteilt wird die bloße Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft, obwohl ihr der Widerstand gegen die Götter, den Kaiser, die Gesetze und Lebensweisen der Römer, sogar gegen die menschliche Natur (Mord, Kannibalismus, Inzest) nicht nachzuweisen ist. Vorurteile führen jedoch zu Denunziation und Rechtsunsicherheit ( 2 , 4 - 9 ; 7,1.4; in diesen Zusammenhang gehört auch das bekannte Wort: „Wenn der Tiber bis in die Stadtmauern steigt ... hört man: Die Christen vor den Löwen"; 40,2). Um den Konflikt zu versachlichen, versucht Tertullian, die Absurdität der Anklagen durch überzogene Konsequenz und ironische Logik zu entlarven (z.B. 8,5.8; 11,8). Er empfiehlt eine Gesetzesänderung (4,10.13), hebt den Wert des Christentums für die Gesellschaft hervor und warnt vor den gegenteiligen Folgen seiner Bekämpfung: semen est sanguis Christianorum (50,13). Zur Textüberlieferung in zwei stark voneinander abweichenden Rezensionen (Fuldensis bzw. Vulgata) s. Eligius Dekkers: CChr.SL 1, 78-84. 2.1.3. Auch die um 200 verfaßte Schrift De testimonio animae (Hinweis auf apol. 18,19 in test. 5) thematisiert eingangs die Rolle der Literatur im Konflikt zwischen Heiden und Christen. Die ältere Apologetik konnte nicht überzeugen, da sie nur Christen verständlich war. Literatur ist dagegen geeignet, breite Kreise zu informieren ( 1 , 2 - 5 ) , wobei eine anthropologische Gemeinsamkeit als neuer Zugang gewählt wird: Die menschliche -•Seele wird als Zeugin für ihren Glauben an den einen, guten Gott, der sich in Christus offenbart, angerufen. Tertullian entwirft damit eine Seelenlehre als christliches Spezifikum im Kontrast zu pythagoreischen, platonischen und epikureischen Konzepten (test. 4). So kann er raten, der eigenen Seele, die ihrem Ursprung und Wesen nach bereits gläubig ist, ins Christentum zu folgen; denn jede menschliche Seele bringt z. B. in Seufzern unwillkürlich dasselbe zum Ausdruck, was als christliches Bekenntnis verurteilt wird

Tertullian

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(6,5). Tertullian entfaltet hier das Wort vom Zeugnis der von Natur aus christlichen Seele (o testimonium animae naturaliter Christianae; apol. 17,6). 2.1.4. Als Protestnote an einen Statthalter ist die Schrift Ad Scapulam konzipiert (Scap. 3,3: Hinweis auf die Sonnenfinsternis des Jahres 212). Hier werden die apologetischen Topoi auf den konkreten Fall christenfeindlicher Unruhen angewendet. Tertullian verweist auf die theoretischen Darlegungen im Apologeticum (2,4) und beschränkt sich auf die Themen Martyriumsbereitschaft und Missionserfolge sowie Warnung vor der Strafe Gottes (Abschreckung hier als Schwerpunkt). Wegen der Verbreitung des Christentums hätte eine Verfolgung außer privaten auch wirtschaftlich schwerwiegende Folgen für die ganze Provinz. Scap. 5,1 erwähnt einen sonst nicht bezeugten christenfeindlichen Vorfall unter Arrius Antoninus (reg. 184-185) in der Provinz Asia. 2.1.5. Zu dieser Schriftengruppe gehört schließlich De Pallio. Das Werk ist inhaltlich zu den frühesten (Barnes datiert auf 193), stilistisch zu den reifsten (Fredouille datiert auf 217) gerechnet worden. Erst am Schluß wird klar, daß über das breit ausgeführte Motiv des Wechsels von der Toga zum einfachen Pallium (pall. 6,2) nicht nur die römische Kultur als mit der christlichen Lebensweise unvereinbar abgelehnt, sondern das Christentum als neue philosophische Schule (secta) mit spezifischer Ethik (disciplina) eingeführt wird. Sprachlich ein Meisterwerk, stärken zahlreiche Formulierungen außerdem das Nationalbewußtsein der Karthager (gegen Rom? 1,1; 1,2 u.ö.). 2.2. Die Juden Schon im Apologeticum (21,15) hieß es, das Christentum sei zwar erst spät entstanden, berufe sich jedoch ebenfalls auf die alten Schriften der Juden. Einziger Streitpunkt sei die Anerkennung Jesu als -»Messias. Dies wird in der Schrift Adversus Judaeos (um 200) wieder aufgenommen. Auch hier wird zunächst die klärende Funktion der Literatur dem Lehrvortrag gegenübergestellt und ein Diskurs angekündigt, der von der Tatsache ausgeht, daß das jüdische Gesetz selbst von Heiden angenommen werden k a n n (Gliederung: Aziza 265 - 2 7 1 ) . Archäologische und epigraphische Funde in Karthago erinnern an eine aktive, lateinischsprachige jüdische Kolonie, die wohl auch Tertullian beeinflußte (Bibelexegese, Bilderfeindlichkeit, strenge Moral; s. Aziza). Daher ist seine Judenschrift kaum polemisch (gegen Efroymson; vgl. Osborn, Tertullian 118f.). Allerdings wird der Vorrang -»Israels bestritten (lud. 1,3) und gezeigt, daß Gott das mosaische Gesetz nicht nur einem Volk verliehen, sondern es, zu gegebener Zeit verbessert, auch anderen angeboten hat (2,2—9; zur Rechtsentwicklung s.a. Apologeticum). Das neue Gesetz gilt (lud. 6 - 8 ) , seit Christus, wie prophezeit, erschienen ist und sein N a m e überall regiert, wobei die Verbreitung des Christentums wieder an die Grenze römischer M a c h t erinnert (7,8). Den eigentlichen Irrtum der Juden erkennt Tertullian in ihrem Glauben, der Messias erscheine nur einmal (14,1), so daß sie die Erwartung des Erlösers mit den Christen weiterhin verbindet (7,2). Anstelle einer Verurteilung bietet die Schrift somit Gelegenheit zu weiterer Diskussion. lud. 9—14 ist vollständig in die Argumentation des dritten Buches gegen Marcion (s.u. 2.4.3.) eingegangen. 2.3. Kirchen- und

Taufverständnis

2.3.1. -»Kirche ist für Tertullian der Ort, wo die Schrift als Trägerin der Offenbarung im Sinne der von Christus selbst stammenden und von den Aposteln überlieferten Glaubensregel ausgelegt wird (-> Apostel/Apostolat/Apostolizität; —•Glaubensbekenntnisfse]) und die Gläubigen, vom Geist geleitet, nach strenger Disziplin leben (Heiligkeit). In Auseinandersetzung mit christlichen Gnostikern wird dieser Standpunkt schon um 200 in der Schrift De praescriptione haereticorum vertreten, in der das juristische Verfahren, eine Klage ohne Anspruchsgrundlage diskussionslos abzuweisen, auf alle —»Häresien angewandt wird. Diesen methodischen Schritt begründet Tertullian damit, d a ß

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die Bibel als gemeinsame Glaubensgrundlage aller Christen von Häretikern unrechtmäßig herangezogen wird. Ihre Neuerungen und Spekulationen sind mit dem Vermächtnis Christi unvereinbar (praescr. 21,4; 37,1). Die Substanz der Glaubensregel ( r e g u l a fidei bzw. veritatis-, 13,6) darf nicht diskutiert werden (14,4; 17,2f.), o b w o h l auch Tertullian je nach Streitfall unterschiedliche Formulierungen und Schwerpunkte findet (vgl. praescr. 1 3 , 2 - 5 und 3 6 , 4 f . mit virg. 1,3 und Prax. 2,1). Trotz seiner montanistischen Neigung bleibt die -»Bibel für ihn die höchste Autorität der Kirche, auch wenn er sich einmal gegen die Schrift auf den - » G e i s t berufen kann (Karpp 59; vgl. mon. 14,3): Der Geist legt die Schrift aus, wird aber in seinem Wirken auch durch sie kontrolliert (Karpp 7 0 f . ; —•Schriftauslegung). Wo möglich, wird daher nach dem Literalsinn entschieden (zu acht hermeneutischen Regeln s. Karpp 2 4 - 2 9 ) . D a s rigorose Leben ist aber für Tertullians Kirchenbild konstitutiv, weil die historisch-empirische Kirche der im Geist verheißenen stets zu entsprechen hat (Rankin 111). Neben den aus der Philosophie entlehnten Bezeichnungen schola und secta, die die Idee der Erziehung und ethischen Hochwertigkeit vermitteln, ist der Mwiierbegriff für die Kirche folgenreich geworden (Rankin 7 8 - 8 3 . 1 1 2 ) . D i e - » B i s c h ö f e haben den Auftrag, Apostolizität, Einheit und Heiligkeit der Kirche zu garantieren (vgl. pud. 21,1). Versagen sie jedoch als Hüter der disciplina in der Organisation des kirchlichen Lebens, so wird die Authentizität der Kirche unabhängig vom Amt auch durch den Geistbesitz von Laien gewährleistet (pud. 2 1 , 1 7 ; vgl. cast. 7,3: ubi tres, ecclesia est, licet laici). D a sich für Tertullian die Existenz des Bischofsamtes allein aus seiner Funktion begründet, haben die Amtsträger, wo die Disziplin nicht eingehalten wird, ihr R e c h t verloren (vgl. bapt. 17 mit cast. 7). Der M o n t a n i s m u s führt also keine Wende in Tertullians Denken herbei (Rankin 2 0 5 f . ) . 2.3.2. - » T a u f e ist die Bestätigung, nicht der Beginn sündlosen Lebens, erklärt Tertullian um 2 0 2 in der Schrift De baptismo (6,16). Diese behandelt die Notwendigkeit und biblische Begründung der Taufe, ihre rituelle Durchführung und kirchliche Legitimation (im Gegensatz zur ungültigen Ketzertaufe; bapt. 15,2), den Sinn eines Taufaufschubs (u.a. bei Kindern; 18,4f.) sowie ihren Ersatz durch das Martyrium (16). Z u m Unterricht der Katechumenen geeignet, soll die Schrift auch den Standpunkt getaufter Christen festigen, die durch die gnostische Lehre, die Taufe sei als äußerliche Anwendung ohne geistige Wirkung, verunsichert sind (1,1). Tertullian kennt die paulinische Tradition der Taufe als Teilhabe an T o d und Auferstehung Christi (19,1), gibt jedoch der johanneischen Tradition der neuen Geburt (Joh 3,5) den Vorzug. Er folgt darin - » J u s t i n (I apol. 61) und —»Irenäus (haer. 111,17,1), denen er theologisch am meisten verdankt. Die Taufe wird vom Bischof oder einem beauftragten Presbyter oder D i a k o n vollzogen (bapt. 17,1). Tertullian bleibt im Bild der disciplina, wenn er die Taufe einen Fahneneid (sacramentum) nennt, den man dem Feldherrn der militia Christi leistet. In der Ansicht, daß der Getaufte als Bürger des himmlischen - » J e r u s a l e m nicht mehr sündigen darf (15,3), kündigt sich ein Konflikt um die kirchliche Bußpraxis (—»Buße) an. 2.3.3. Im Bewußtsein ständigen Kampfes gegen die Sünde k o m m t die Idee einer Bluttaufe auf: Sie kann die Taufe nicht nur vollgültig ersetzen, sondern auch die verlorene Kirchengemeinschaft wiederherstellen (bapt. 16,1 f.). W ä h r e n d die Gnostiker den Sinn des - » M a r t y r i u m s leugnen und nur das Bekenntnis vor G o t t selbst anerkennen (Scorp. 1,7), hält Tertullian die Martyriumsbereitschaft für ein M e r k m a l der Zugehörigkeit zur apostolischen Kirche. D a ß diese zum Martyrium auffordert, wird zum Bestandteil der Glaubensregel (praescr. 36,5) und in drei Werken eigens thematisiert: Ad martyras (um 200) ist ein mit den Topoi antiker Trost- und Mahnschreiben gestalteter, offenbar unvollendeter Brief an Konfessoren im Gefängnis. Wo immer ein Beruf die Akzeptanz nichtchristlicher Bräuche im Alltag voraussetzt, können -»Bekenntnis und Martyrium abverlangt werden. D a ß der Militärdienst deshalb mit dem Christentum unvereinbar ist, zeigt Tertullian gegen die kirchliche Lehre um

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211 in der Schrift De Corona militis am Beispiel eines Soldaten, der im Dienst in Glaubenskonflikte gerät, sich zwar bekennt, dadurch aber die Gemeinde gefährdet (cor. 11; vgl. idol. 19,2). De corona nimmt apol. 42,6 auf und weist voraus auf De fuga in persecutione (nach 214). Hier wird vor allem im Blick auf Bischöfe (fug. 11) das Problem einer Flucht in der Verfolgung systematisch behandelt. Eine sorgfältige Exegese von Mt 10,23 erweist die Flucht als unzulässig, zumal der von den Montanisten verkündete Paraklet den Sinn der Verfolgung erschließt und Beistand leistet (14,3; ähnlich ein montanistisches Orakel in 9,4; zur Theodizee s. 1,2; 4). Die Rechtsunsicherheit der frühen Christen steht im Hintergrund, wenn Tertullian rät, die Gemeindeversammlungen unbesorgt fortzusetzen (3,2). Die gängige Praxis, Schutzgelder zu zahlen, wird abgelehnt (c. 12). 2.4. Gotteslehre

und christliche

Gnosis

2.4.1. Die entscheidende Gefahr für die Kirche sieht Tertullian im dualistischen Weltbild und Gottesverständnis christlicher Gnostiker (—•Gnosis/Gnostizismus). Ausgehend von biblischem Gedankengut, bot ihre Lehre eine attraktive Lösung des Problems der -•Theodizee. Hier knüpft um 200 die Widerlegung des karthagischen Malers Hermogenes an. Ursprünglich Christ, vertrete er nun die (stoische?) Lehre von der Ewigkeit der Materie, um das Böse nicht auf Gottes Willen zurückführen zu müssen (Herrn. 2,4f.; 10). Um die Einzigkeit —»Gottes klarzustellen und die gleichewige Göttlichkeit der Materie als irrig zu erweisen (4,3-5,3), entwickelt Tertullian aus der Beobachtung der ersten biblischen Namen für Gott den Gedanken, der die trinitarischen Streitigkeiten im 4. Jh. ausgelöst hat: daß es eine Zeit gab, in der Gott keinen Sohn hatte (3,4: fuit autem tempus, cum ... et filius non fuit, ... qui patrem deum faceret). Tertullian stellt also innerhalb der Bibel eine historische Entwicklung fest, mit der er trotz bestehender Glaubensregel argumentiert. 2.4.2. Die Unterscheidung zwischen kirchlichem und gnostischem Christentum wird aktuell, wenn Häretiker ihrem Selbstverständnis nach der Kirche angehören, gemeinsame Traditionen jedoch entgegen der Glaubensregel mit fremden religiösen Gedanken vermischen und zu Lehren verarbeiten, die indoktrinär im Geheimen vermittelt werden und sich so einer diskursiven Kontrolle entziehen. Den Anspruch der Gnosis auf überlegene Wissenschaftlichkeit erweist Tertullian um 206 in der Schrift Adversus Valentinianos als lächerlich. Im Rückgriff vor allem auf Irenaus (haer. I) erläutert er die valentinianische Kosmogonie unter bewußter Verwendung einer griechisch-lateinischen Begrifflichkeit (Val. 6) und wählt als Stilmittel einen würdigen Humor, der sich von Albernheit und bloßem Spott unterscheidet (humoristische Details: Osborn, Tertullian 2 0 0 - 2 0 4 ) . Theologiegeschichtlich bedeutsam ist die Darstellung, wie einzelne Charakteristika z. B. der Achamoth und des Demiurgen das gnostische Christusbild geprägt haben (Val. 27). Die Valentinianer (—»Valentin/Valentinianer) lehren ferner, vor den Menschen dürfe der Glaube geheimgehalten und verleugnet werden, erst nach dem Tod habe man sich vor Gott selbst zu bekennen. Dies widerlegt Tertullian in der Schrift Scorpiace, die die Martyriumsbereitschaft fördern soll. Scorpiace ist für Tertullians exegetisch-hermeneutischen Ansatz von Bedeutung: Die Exegese muß dem Wortsinn folgen, wo Prophetenwort und Vorfindlichkeit übereinstimmen. Die von den Gnostikern bevorzugte -»Allegorese darf nicht überall angewandt, sie muß durch philologische Beobachtungen korrigiert und ergänzt werden. 2.4.3. Der Bedeutung -»Marcions für die Entwicklung der Kirche angemessen, widmet ihm Tertullian sein umfangreichstes Werk: fünf Bücher Adversus Marcionem, das erste Beispiel kritisch-exegetischer Argumentation in der christlichen Theologie (Osborn, Tertullian 115). Nur die letzte von drei Bearbeitungen ist erhalten (begonnen um 200; abgeschlossen um 211: Marc. V,10,l setzt De resurrectione carnis voraus). In Buch I—II widerlegt er Marcions These, daß der Demiurg ein anderer sei als der gnädige Gott

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und Vater Jesu Christi, anhand der stoischen Lehre, daß Gott notwendig paradox sei: Gott ist nicht, wenn er nicht einer ist (1,3,1), denn sonst könnten es auch mehr Götter als zwei sein. Auch die Welt kann nur eine sein, wenn es nur einen Schöpfer gibt (1,16,2). Die Schöpfung beweist also, daß ein Gott ist, das Evangelium dagegen, wie er ist (1,18,2; Differenzierung nach Quintilian). Unlogisch ist nun, daß Marcions guter Gott nicht von Beginn der Schöpfung an gut war. Der Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes zufolge war er es also nie; dann aber existiert er nicht (1,22,9; vgl. Meijering 64). Dem philosophischen Gottesbild entsprechend sind alle göttlichen Attribute vernunftgemäß und stimmig. Daher ist aus der Erlösung des Menschen zu schließen, daß auch seine Erschaffung auf Gottes Güte basiert (Marc. II,4,4f.; 12f.). Marcions doketische Christologie widerlegt Tertullian in Buch III durch den Beweis der Kongruenz von Weissagung und Erfüllung, und in Buch IV-V entzieht er Marcions redaktioneller Bearbeitung des Kanons die Grundlage durch den Nachweis der sachlichen Übereinstimmung des Alten und Neuen Testaments. Wegen seiner konzisen Darstellung gilt Tertullians Werk noch immer als beste Quelle für die Lehre Marcions. 2.5. Trinitätslehre

und

Christologie

2.5.1. Nach dem Streit um die Einheit Gottes als Schöpfer und Vater des Erlösers gelangt Tertullian in Auseinandersetzung mit dem Antimontanisten und „Patripassianer" Praxeas (Adversus Praxean) um 213 zu einer differenzierenden Sicht von der Struktur der göttlichen Einheit als trinitas (erster schriftlicher Beleg: Prax. 3,1). Praxeas, dessen monarchianische Theologie (—»Jesus Christus; —»Trinität) bereits als unbiblische Neuerung überführt worden war (1,1; vgl. 2,2 zu De praescriptione haereticorum), hatte offenbar in Rom erwirkt, daß den Montanisten, die in seiner Heimat -* Kleinasien über große Gemeinden verfügten, die kirchliche Anerkennung verweigert wurde (1,5). So bekämpft Tertullian eine Lehre, die „den Parakleten vertrieben und den Vater gekreuzigt" habe (1,5; -*Montanismus). Er betont, daß der Glaube an Gott ohne Berücksichtigung von Sohn und Geist jüdisch (31,1), die Rede von drei göttlichen Personen jedoch wegen der Angst ungebildeter Christen vor dem Polytheismus zu erklären sei (3,1; vgl. I,6). Entscheidend ist dabei die Verhältnisbestimmung von göttlicher Monarchie (die liturgisch die Verehrung des einen Gottes verlangt; 3,1 f.) und heilsökonomischer Differenzierung (die biblisch verifizierbar dem Willen Gottes entspricht; 10,9). Um die Einheit Gottes als Trinität verstehen zu können, muß Gott als Geistkörper aufgefaßt werden (7,8: corpus ... etsi... spiritus): Existenz und Körperlichkeit bedingen einander (carn. II,4). Während die Einheit durch die Substanz gewahrt und durch eine Beschaffenheit und Wirksamkeit beschrieben wird (Prax. 2,4: substantia, status, potestas), entfaltet sie sich (dispositio) in drei Formen, Abstufungen und Erscheinungsweisen (2,4: formae, gradus, species; vgl. 19,8). Tertullian betont, daß die drei Personen (15,1: personalis distinctio) je anders, aber nicht prinzipiell verschieden sind und ihre Unterscheidung keine Teilung bedeutet (9,1). Sohn und Geist gehen aus Gott hervor im Sinne der valentinianischen Idee der npoßoArj, die Tertullian als Modell akzeptiert (8,1); sie bleiben jedoch, substantiell gleich (13,10), von ihrem Ursprung ungetrennt wie die Strahlen von der Sonne (8,4f.; ähnlich bereits in einem christologischen Exkurs in apol. 21,11 ff. über die Spezifik des christlichen Monotheismus). Die Abstufungen innerhalb der Trinität entsprechen den Funktionen im Heilsplan, so daß dem Vater die göttliche Substanz in ihrer Totalität zugesprochen werden kann, während sich der Sohn selbst als Ableitung verstanden hat (Prax. 9,2: derivatio totius et portio-, zu Joh 14,28). Unter heilsökonomischem Aspekt zeigt sich die Einheit in den Werken, die der Vater durch den Sohn in der Welt wirkt (Prax. 15,9). Die hier erstmals zugeordnete Einheit mit dem Geist deutet Tertullian so, daß der Geist das Wesen des Wortes Gottes (Xöyoq, sermo; ->Logos), das Wort aber die Wirkung des Geistes ist (operatio; 26,4). Stets wird betont, daß die Entfaltung zur Trinität (dispensatio), ihre Werke und deren Überlieferung um der Menschen willen geschahen (c. 16 u.ö.). Diese später auf die Formel una substantia - tres personae

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gebrachte Trinitätslehre versteht sich trotz bewußter Verwendung philosophischer Begriffe (vor allem aus der -»Stoa: SVF 2, Nr. 369, 31 f., zur Relation als vierter Seinskategorie) nicht als spekulativ, sondern als -»Schriftauslegung (c. 11) auf der Grundlage der Glaubensregel (2,1) und der Lehre des Irenaus von der Heilsökonomie. Einzelne Formulierungen aus Adversus Praxean gehen in die Konzilsbeschlüsse von -»Nicäa ein und prägen in ihrer von -»Augustin rezipierten Form die abendländische Trinitätslehre (vgl. Osborn, Tertullian 125-131). 2.5.2. In Adversus Praxean hat Tertullian ältere christologische Gedanken montanistisch zur Trinitätslehre weiterentwickelt (-»Jesus Christus). So enthält bereits seine Schrift De carrte Christi (um 202, abgeschlossen um 210) viele einschlägige Begriffe (carn. 13,4-6: indiscreta substantia, species, distinctio). Gegen den valentinianischen -»Dualismus und marcionitischen Doketismus gerichtet, arbeitet De carne Christi erstmals mit dem Personbegriff im Sinne einer distinkten individuellen Existenz (Moingt II, 615), zu der die relationale Dimension substantiell dazugehört. Tertullian übernahm den ursprünglich dramaturgischen Begriff von den Grammatikern, weil er geeignet schien, die „Rollen der .göttlichen Personen' in ihrer innergöttlichen Kommunikation wie in ihrer heilsgeschichtlichen Interaktion" zu bezeichnen (Hilberath 290). In der Person Christi sind göttliche und menschliche Substanz unvermischt verbunden, so daß die spezifischen Eigenschaften (proprietates) erhalten bleiben (Prax. 27,11: noti confusum sed coniunctum). Diese Substanzenverbindung wird bei den Stoikern beschrieben (SVF 2, Nr. 473), doch findet sie Tertullian in Rom 1,3f. und Joh 1,14 auch biblisch fundiert. Grund für die Inkarnation ist nach dem -»Römerbrief die Vernichtung der Sünde (16,1). Die aristotelische Frage, wie sich die Einung vollzieht, bleibt als heilsökonomisch irrelevante, philosophische Spekulation außer acht. Es heißt lediglich, daß die von Gott selbst gewollte „Veränderung" ihn anders als bei den Geschöpfen in seinem Wesen nicht verändert (carn. 3,4f.). Biblisch begründet, läßt Tertullian die Gleichewigkeit Christi als des Wortes Gottes und seine Unterordnung unter den Vater (Prax. 5,2f.; 4,1) unvermittelt nebeneinander stehen. Seine Christologie ist daher nicht subordinatianisch im eigentlichen Sinne (Piault). Tertullians berühmtes Paradoxon, daß Christi Kreuzestod glaubhaft, weil Gott gerade nicht angemessen ist (carn. 5,4: credibile est, quia ineptum est), richtet sich polemisch gegen Marcion, der eine Verbindung Gottes mit Leiblichkeit und Tod als unpassend ausschließt. 2.6. Seele, Sünde und zweifache

Buße

2.6.1. Hält Tertullian die Philosophie schon bei der Auseinandersetzung mit dem gnostischen Gottesbild für hilfreich (idol. 10,4; Marc. 11,27,6), so tritt ihre Bedeutung für das Christentum in seiner Seelenlehre am stärksten zutage. Auch diese enthält neben mittelplatonischem und aristotelischem vor allem stoisches Gedankengut (an. 20,1: Seneca saepe noster). Tertullians Schrift De anima (208 -212), der erste christlich-anthropologische Entwurf, diskutiert auf der Grundlage der in Adversus Hermogenetn entwickelten Gotteslehre (an. 1,1) zunächst die Schulmeinungen von Gnostikern, Philosophen und Medizinern über das Wesen und den Verbleib der —»Seele nach dem -»Tod, auch über Entstehung und Bedeutung der -»Träume (45-49). Es wird gezeigt, daß die Seele geschaffen, nicht ewig (4,1; gegen Plato), ein Geistkörper (5,3; c. 7 - 9 ) und trotz zweier Wahrnehmung und Verstand unterscheidender Namen (anima, animus) eine Einheit ist, die über verschiedene Kräfte verfügt (10,1; 13f.). Die Seele entsteht zusammen mit dem Körper bei der Zeugung (c. 25 - 2 7 ) und ist von Geburt an dämonischem Wirken ausgesetzt (-»Dämonen). So ist der Tod unabhängig von ihrem Wesen eine Folge der -»Sünde (c. 52); denn erst unter dämonischem Einfluß ändert sich die von Gott geschaffene Vernunftseele zum Bösen hin (c. 41), wobei sie von ihrem freien -»Willen Gebrauch macht (Marc. II,9,2f.). Tertullian nimmt den stoischen Traduzianismus auf und belegt sodann biblisch, daß sich die Sünde Adams auf alle Menschen übertragen

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hat (an. 25,9; c. 39-41); er vertritt jedoch keine Erbsündenlehre im eigentlichen Sinne (vgl. Osborn, Tertullian 167). 2.6.2. Der Ausweg aus der Sündhaftigkeit wird um 211 in der Schrift De resurrectione mortuorum behandelt, in der die -» Auferstehung des -» Leibes gegen heidnische und häretische Vorwürfe verteidigt wird. Hatte Tertullian Christus, das Ideal der Gottebenbildlichkeit, bereits in Marc. 11,27,2-7 Lehrer der Moral genannt, der durch die Predigt des neuen -»Gesetzes auf den freien Willen einwirkt, so heißt es nun konkret, daß Heiligkeit im Gehorsam gegen Gottes Willen besteht, der in diesem Gesetz Ausdruck findet (res. 49,8; Marc. V,13,4). Unterstützt vom Heiligen Geist, der als Hüter der Disziplin und Ausleger der Schrift in den Gläubigen wirkt (res. 8,3), soll daher Christus nachgeahmt werden (auch Paulus: Bray 83f.); dazu hat sich der Christ in der Taufe verpflichtet. Verstöße gegen das Taufgelöbnis erfordern Reue und Buße. D a ß d a s Gottesverhältnis bei Tertullian vor allem v o m Verdienstgedanken bestimmt gewesen sein soll, der Gott die Rolle eines furchterregenden, durch (Buß-)Leistungen zu beschwichtigenden Rächers zuweist, hat Hallonsten (gegen R a m b a u x ) als Folge eines veralteten Tertullian-Bildes überzeugend zurückgewiesen.

Infolge seines Bewußtseins der ständigen Gegenwart Gottes ist die Vergebbarkeit der Sünden für Tertullian ein schwieriges Problem (-»Buße). Nach I. Goldhahn-Müller (352f.) kennt Tertullian sowohl die urchristliche Lehre von der Überwindung der Sünde durch Gottes Barmherzigkeit als auch das verschärfte Heiligkeitsideal durch Absolutsetzung des Taufgelöbnisses. Seine Schrift De paenitentia (198-206) bestätigt noch die frühkatholische Bußpraxis. Montanistisch beeinflußt, unterscheidet er nach 213 mit Hebräer- und 1. Johannesbrief zwischen vergebbaren und unvergebbaren -»Sünden (pud. 2,12-15; zur Klassifizierung s. Goldhahn-Müller 374f.) und präzisiert, daß Glaubensabfall, Mord und Unzucht (delicta irremissibilia-, pud. 19) von der Kirche nicht vergeben werden können (pud. 10; 21,17). De paenitentia setzt zu Beginn voraus, daß wahre Reue der Haltung Gottes nach der Sintflut entspricht. Reue und Buße haben nur dann einen Sinn, wenn sie Gott gerecht werden wollen (paen. 1 f.). Sünden des Geistes und des Leibes sind gleich schwer, weil beide den freien Willen mißbraucht haben und in Leben, Tod und Auferstehung ohnehin eng verbunden sind (3,3-6; vgl. Bray 84-86). Die Notwendigkeit der Buße folgt aus Gottes Mahnung und Einladung (paen. 4,5-7). Ein bewußter Rückfall ist deshalb ausgeschlossen, weil er bedeuten würde, daß man sich nach einem Vergleich möglicher Verhaltensweisen gegen Gott entschieden hat (c. 5). Paen. 7 - 1 2 enthält Tertullians Lehre von der zweiten Buße. Gott weiß um die ungleich stärkeren '-»•Anfechtungen nach der Taufe, so daß er echte Genugtuung gelten läßt (7,10). Ihr Kennzeichen ist ein öffentliches Sündenbekenntnis (Exhomologese) vor der Kirchenversammlung, die in diesem Fall Christus vertritt, dem Sünder aber auch den Zorn Gottes vor Augen hält (-»Gericht Gottes). Als Grundlage der Buße ist die Exhomologese damit geeignet, die Gnade Gottes zu erwirken (c. 9; zum Ablauf s. Goldhahn-Müller 360-364). Die Bußleistung ist dabei nicht abstrakt als eigenes Verdienst oder als rechtlich geregelter Ausgleich, der Gott zur Ausübung von Gnade verpflichten könnte, anzusehen, sondern als konstitutiver Bestandteil des Verhältnisses zwischen Gott und -»Mensch (Hallonsten). Offenbar hat sich Tertullian des aus dem Wirtschaftsleben bekannten Satisfaktionsgedankens bedient, um die Lehre von der unverdienten Gnade Gottes verständlich zu machen: Wie man nach Absprache mit dem Gläubiger eine fällige Rechnung durch eine Ersatzleistung (satisfactio) begleichen konnte, so kann der reumütig büßende Sünder Gnade erlangen, wie Gott bereits im Evangelium zugesagt hat. Die Initiative zur Wiederherstellung des ursprünglichen Verhältnisses geht also von Gott aus. 2.7. Christliches

Leben

Tertullian reduziert das Verhältnis zu Gott nicht auf Pflichterfüllung um Gewinn (gegen Rambaux), obwohl er Heiligung als weltimmanenten Prozeß auf der Grundlage

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einer strengen Moral, nicht als transzendenten Akt der Vergöttlichung ansieht (Bray 91). Wie bei seinen Vorgängern taucht die Ethik zunächst als Thema der Apologetik auf (apol. 27,6; Scap. 1,3). Der Konflikt zwischen Gottesfurcht (—»Furcht) und -»Liebe zu ihm, Verleugnung der -»Welt und aktiver Mitgestaltung, zwischen den Regeln, die Vernunft, Natur und Gesellschaft vorgeben, und endzeitlicher -»Hoffnung prägt die christliche Existenz (Osborn, Tertullian 225ff.). Diese Sichtweise hängt auch mit innerkirchlichen Kontroversen zusammen: Daß Gott mit Furcht und Liebe zu begegnen ist, entspricht der -»Gerechtigkeit und Güte in ihm (gegen Marcion); die Welt kann als gute Schöpfung (-»Schöpfer/Schöpfung) mitgestaltet werden (Marc. I,13,4ff.); nur wer das Schlechte darin gebraucht, verdirbt sich selbst (spect. 8,10). Wo es der Glaube zuläßt, knüpft Tertullian an die stoische Ethik an: Neben der Schrift und der kirchlichen Disziplin bestimmen die Naturgesetze als Schöpfungsordnung, Vernunft und vor allem Geduld das rechte Verhalten des Christen (virg. 16,1). 2.7.1. Mit wenigen Ausnahmen stammen seine ethischen Schriften aus der ersten Schaffensphase (198—206). Zunächst lehrt De patientia, daß man die —»Geduld als Grundlage der christlichen Tugenden und Gegensatz zur Lethargie (pat. 16,1) am Beispiel Christi lernen muß (6,3). Frieden, Nächstenliebe und echte Buße sind ohne Geduld ebensowenig vorstellbar wie Enthaltsamkeit und Martyrium (c. 12). De patientia ist zu großen Teilen in -»Cyprians gleichnamiges Werk eingegangen. Etwa gleichzeitig verfaßt Tertullian eine Schrift über das -»Gebet als Leitfaden christlicher Frömmigkeit (gegen Juden und Römer). Auch hier ist Christus das Vorbild, sein Gebet eine Kurzformel des ganzen Evangeliums und Grundlage persönlicher Bitten (1,6; 10). De oratione enthält die erste vollständige Auslegung des -»Vaterunsers neben einer ausführlichen Darstellung der Gebetsriten, Angaben zur Fastenpraxis (or. 19) und zur Verschleierung der Jungfrauen im Gottesdienst (or. 21 f.). Wegen der hohen gesellschaftlichen Relevanz befaßt sich Tertullian weiter mit den kulturgeschichtlichen Hintergründen des -»-Theaters, der Zirkusspiele und Gladiatorenkämpfe {De spectaculis) und zeigt auf, daß sie nach Inhalt und Durchführung so eng mit dem heidnischen Kult verknüpft sind, daß sich die Teilnahme von Christen verbietet (spect. 7,1). Die im Theater erzeugte Fiktion verfälscht die Schöpfung, die Maske das Ebenbild Gottes (23,5). Die Dramatik weckt Emotionen, die schlimmstenfalls christenfeindliche Unruhen hervorrufen (15,1; 27,1). Allein die soziale Stellung der Schauspieler belegt die Minderwertigkeit ihrer Institution (22). Als Kontrast nennt Tertullian die Wiederkunft Christi, die jedes Schauspiel übertrifft (30,1). Um dieselbe Zeit präzisiert er in der Schrift De idololatria: Die Verehrung der Götter ist die eigentliche Sünde des Menschen und der einzige Gegenstand des Weltgerichts (idol. 1,1). Selbst Mord (an der eigenen Seele), Betrug und Ehebruch (an der Wahrheit) können auf diese Ursache zurückgeführt werden. Da weite Bereiche der römischen Gesellschaft, vor allem das Bildungssystem, religiös geprägt sind, muß man sich der Idololatrie bewußt widersetzen (2,5). Wirtschaftlich betroffen sind vor allem Inhaber staatlicher Ehrenämter und Soldaten: Entgegen der herrschenden Auffassung der Kirche sind ihre Berufe mit dem Christentum nicht vereinbar und müssen aufgegeben werden (12,2f.). Noch in der sarkastisch-polemischen Fastenschrift De ieiunio (nach 213) betrachtet Tertullian den Montanismus als wahres Christentum innerhalb der Kirche (ieiun. 11), obwohl er sich jetzt deutlich von den Psychikern distanziert. Neben der mehrmaligen Ehe (1,4 verweist auf De monogamia) wirft er ihnen ihre lockere Fastenpraxis vor. Die Aufgabe des strengen, biblisch begründeten -»Fastens (auch der Xerophagie) ruft Gleichgültigkeit gegenüber der Sünde hervor (ieiun. 3,1 zu Gen 3). Umgekehrt kann strenges Fasten als —»Sühne und öffentliche Buße angerechnet werden (ieiun. 3,4; 9,6). Es beschreibt die dem Ende der Zeit adäquate Grundhaltung (12,2). Im Zusammenhang damit, daß der Montanismus wegen seiner asketischen Tendenzen, nicht jedoch wegen seines

Tertullian

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Abweichens von der Glaubensregel oder Einführung eines neuen Gottes abgelehnt wird (1,3; 11,4), erwähnt Tertullian erstmals Konzilien im Osten des Reiches als Repräsentanten der Ökumene (13,6; -»Synode). 2.7.2. Zeit seines Wirkens hat sich Tertullian mit dem Thema -»Ehe und -»Sexualität befaßt. Dabei stand er von Anfang an in dem Konflikt, die Ehe als Stiftung Gottes bei der Schöpfung gegen Marcion zu verteidigen (Marc. 1,29,5; V,7,6), mit -»Paulus jedoch die Enthaltsamkeit höher zu schätzen (Tibiletti). Immer deutlicher erscheint die Enthaltsamkeit als Merkmal heiligen Lebenswandels, während selbst die einmalige Wiederverheiratung, die zunächst noch zugestanden wird, in den späten, in Erwartung des baldigen Weltendes verfaßten Schriften als eine Art Hurerei verworfen wird (cast. 9,1). Entscheidender Bezugspunkt ist dabei I Kor 7,29-31; Tertullian ist hier also stärker von der urchristlichen als von gleichzeitigen philosophisch-asketischen Traditionen beeinflußt. Bereits die beiden in privater Form an eine Ehefrau gerichteten Bücher Ad uxorem (198/206) nehmen die neutestamentliche Endzeiterwartung auf (ux. 1,2,1). Paulus habe die Ehe nur noch als erlaubt, nicht mehr wie im Schöpfungsbericht als geboten angesehen (1,3,2). Daher soll eine Witwe möglichst nicht mehr heiraten, sondern ihrem Stand entsprechend kirchliche Aufgaben wahrnehmen (1,4,3f.). Tertullian begründet dies auch damit, daß Wiederverheirateten das Amt des Gemeindeleiters verweigert wird (1,7,4). Dagegen ist die Ehe mit einem Heiden sogar verboten, weil sie zwangsläufig die Glaubenspraxis beeinträchtigt (11,3—7). Ebenfalls um 202 entstanden zwei Bücher über die Schönheitspflege der Frauen (De cultu femtnarutn-, Buch II ehemals De habitu muliebri). Auch diese Schriften begründen die Mahnung zu bescheidenem Auftreten mit dem bevorstehenden Weltende (cult. fem. 11,9,1 ff.). Mit beißender Ironie erklärt Tertullian, daß es der Frau als Abbild der büßenden Sünderin Eva (1,1,1) nicht zukommt, sich herauszuputzen. Doch auch hier geht es letztlich um die Ehre Gottes: Niemand darf die Schöpfung verschönern wollen; jede Veränderung ist eine Verkehrung (1,8,1 ff.; 11,1,1 ff.; s. De spectaculis). Die Wertschätzung des Leibes, die aus dem Glauben an die Auferstehung des Fleisches folgt, führt Tertullian anhand von I Kor 11,13 zur Reflexion über die Verschleierung unverheirateter Frauen im Gottesdienst wie in der Öffentlichkeit (De virginibus velandis, ca. 208/212). Tertullian erwähnt Frauen im kirchlichen Dienst, die bewußt den Schleier genommen haben und sich im Geist verletzt fühlen, wenn ihnen der Schleier genommen wird (virg. 3,1 f.). Als Vorbild für das Tragen des Schleiers in der Öffentlichkeit werden arabische Frauen hingestellt (17,2). Aus montanistischer Perspektive thematisiert Tertullian die Wiederverheiratung nochmals um 208/212 in einer Schrift über die -»Keuschheit (De exhortatione castitatis). Er rät einem christlichen Witwer, nicht mehr zu heiraten, da im Tod seiner Frau Gottes Wille, diese Ehe zu beenden, zum Ausdruck gekommen sei (cast. 2,1). Wieder steht I Kor 7,25ff. im Hintergrund: Am Ende der Zeit ist das alttestamentliche Eheverständnis zu revidieren (cast. 6,2). Da die Bibel den Amtsträgern nur eine Ehe gestattet und die -»Laien im Grunde auch -»Priester sind, gilt für sie die gleiche priesterliche Ethik (7,6). Nach 213 wird das Verständnis der Ehe in der Schrift De monogamia abschließend geklärt. Die Ausgangsposition ist unverändert: Die von den Montanisten geübte und von Tertullian empfohlene Praxis der einmaligen Ehe steht zwischen dem Eheverbot der Marcioniten und der von der Kirche nicht problematisierten, mehrmaligen Ehe (mon. 1,1). Vor allem an dieser montanistischen Anschauung habe die Kirche Anstoß genommen; doch habe der Paraklet keine neue Lehre eingeführt, sondern das kirchliche Denken weiterentwikkelt (c. 2; nach Joh 16,12). Diese Fortschritte können weder von der Glaubensregel abweichen noch beliebig sein. Stets genießt der Wille des Schöpfers Priorität (mon. 2,4). Zu Tertullians spätesten Schriften gehört das Werk über die Sittsamkeit (De pudicitia; nach 213), in dem der kirchenrechtliche Aspekt von Ehebruch und Hurerei im Vorder-

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grund steht. Die Schrift richtet sich vermutlich gegen Bischof Agrippinus von Karthago (s. Cyprian, ep. 71,4), der sich laut Tertullian angemaßt habe, unter der Voraussetzung angemessener Bußleistungen auch die genannten Todsünden zu vergeben (pud. 1,6). Hier wird der für das 3. Jh. typische Konflikt zwischen Bischöfen, Konfessoren und geistbegabten Laien um die Vollmacht der Sündenvergebung aufgenommen und zugunsten der Charismatiker entschieden (c. 21 f.). 3.

Nachwirkung

Obwohl Tertullian als „Begründer des abendländischen Katholizismus vor Augustin" (Loofs 128) und seine Sprache als das „zweckmässige Instrument der Gedankenbildung Europas für die längste einheitliche Periode der Cultur" gilt (Harnack 546), vollzog sich seine Rezeption zunächst verborgen. Die wenigen, von Harnack zusammengestellten Quellen aus der Zeit bis 500 zeigen, daß Tertullian bereits unmittelbar nach seinem Tod zitiert wurde, daß Kirchenschriftsteller wie —»Lactantius seinen Namen jedoch erst nannten, nachdem die Kirche innerlich und äußerlich gefestigt war. Als im 4. Jh. die Dogmenbildung einsetzte, konnte Tertullian nach neuen Maßstäben als Häretiker bezeichnet und seine Entwicklung zum Montanismus konstatiert werden (-»Hilarius von Poitiers). Schließlich wurde er wegen seiner Verwerfung der zweiten Ehe in Augustins Ketzerkatalog aufgenommen (haer. 86). Doch obwohl einige seiner Schriften auf dem Index des pseudogelasianischen Werks De libris recipiendis et non recipiendis (um 500) stehen, bezeugt noch -»Isidor von Sevilla, daß auch diese weiterhin gelesen wurden. Tertullian galt immer als gelehrt, doch setzte sich die Erkenntnis von der literarischen Hochwertigkeit seiner Schriften erst allmählich durch (seit Hieronymus). Eine der Zeit angemessene Würdigung erfährt Tertullian bei -»Vinzenz von Lerins, der ihn -»Origenes für ebenbürtig hält: Er sei ein großer Literat, in seiner Kompromißlosigkeit jedoch eine Anfechtung für die Kirche (Comm. 18,24). Inhaltlich hat das Apologeticum in der Kirche des Westens und Ostens am stärksten nachgewirkt, gefolgt von der Schrift gegen Praxeas, die sowohl in die Entscheidung des Konzils von Nicäa (325) als auch in den Lehrbrief Papst —»Leos I. an Flavian von Konstantinopel (gest. 449/450) zur Beilegung der christologischen Streitigkeiten eingegangen ist. Seit Hieronymus gewannen auch die Schriften über Ehe und Jungfräulichkeit an Bedeutung und sicherten Tertullian das gesamte Mittelalter hindurch eine beständige Leserschaft vor allem in den Klöstern der Reform von —»Cluny und -»Gorze. Hieronymus' Tertullian-Bild bleibt im Mittelalter vor allem durch seine Rezeption in den universalgeschichtlichen Werken erhalten. Neben dem Apologeticum, das als Kompendium der christlichen Lehre und Geschichte des ältesten Christentums angesehen wurde (British Library, Cod. Harleianus 3969 bietet reiche Auszüge), gewinnt nun die Schrift gegen die Juden Bedeutung. Doch nach Paschasius Radbertus (gest. um 856) bezeugt erst wieder der Universalgelehrte -»Vinzenz von Beauvais um 1250 in seinem für die Klerikerausbildung konzipierten Speculutn historiale (12,7), daß er Tertullian aus eigener Lektüre kennt. Das Apologeticum bildet die Grundlage seiner Darstellung (Lehmann). Erst von den Humanisten wird Tertullian auch als Literat wieder stärker zur Kenntnis genommen, und sein Werk gewinnt als das eines Kritikers der altkatholischen Kirche in den Kirchen der Reformation neue Bedeutung (zu -»-Müntzer s. Matheson). Eine breite, biographisch motivierte Rezeption findet sich bei dem Juristen und Calvin-Schüler Lambertus Danaeus (1530-1595) (Strohm). Da er als reformierter Theologe Tertullians Orientierung am Alten Testament, speziell am Dekalog teilte, legte er 1564 eine Übersetzung von De idololatria vor, weil dieses Werk schlagkräftige Argumente gegen die Bilderverehrung bot. Tertullians Formel, die Bilderverehrung sei die Ursünde des Menschen, ließ Danaeus die Notwendigkeit einer strengen Disziplin erkennen, die er schließlich seiner gesamten Ethik zugrunde legte (Strohm 44f.). Etwa gleichzeitig übersetzte er auch die beiden Bücher De cultu feminarum, um zu beweisen, daß die von den reformierten Pfarrern eingeführte -»Kirchenordnung von der Tradition gestützt

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war. Ähnliche Tendenzen lassen sich bei M . - » B u c e r zu Beichte und Buße ( V o n der wahren Seelsorge, 1538) sowie bei G e o r g Cassander ( 1 5 1 2 - 1 5 6 6 ) zur Notwendigkeit der Kindertaufe (De baptismo infantium testimonia, 1563) feststellen. Als Kritiker der katholischen Kirche vor Augustin spielt Tertullian wegen seiner Themenvielfalt auch beim Kirchenväterbeweis in den dogmatischen Kompendien der lutherischen - * O r t h o d o x i e eine wichtige Rolle. So führt J . - » G e r h a r d unter Berufung auf De paenitentia gegen R . -»Bellarmini an, d a ß das B u ß s a k r a m e n t nicht auf die Kirchenväter zurückgeführt werden könne (Loci theologici III, 2 1 9 ) . Neben dem Tauf- und Amtsverständnis werden vor allem Tertullians Ansichten über die E h e (ebd. VII) und die letzten Dinge (ebd. V I I I - I X ) a u f g e n o m m e n . Als dicta probantia gehen schließlich Worte aus paen. 4 in die Apologie zum - » A u g s b u r g e r Bekenntnis ein ( A p o l C A X I I : BSLK 2, 2 7 1 f.). Auch d a n a c h sind Spuren einer Rezeption der glaubenspraktischen Schriften erkennbar. In der Lüneburger Kirchenordnung von 1 5 7 5 soll anhand von spect. 2 6 die Gefahr des T h e a t e r s für das Glaubensleben bewiesen werden ( E K O V I / 1 , 6 7 8 ) , und unter dem Eindruck konfessioneller Streitigkeiten zitiert J . - » A r n d t Tertullians Wort, d a ß von G o t t losgesprochen, wer von der Welt v e r d a m m t wird (Wahres Christentum 11,15,10). Französische und englische Forscher sehen Tertullian wegen des von ihm entwickelten theologischen Diskurses ( M o i n g t I, 2 5 1 ) seit längerem als christlichen D o g m a t i k e r und systematischen Theologen an. Gerade seine stärker an der Heilsökonomie als an Spekulationen über die Substanzeinheit interessierte Trinitätslehre kann zum Ausgangspunkt heutiger Theologie werden (Hilberath 147). Die Absicht, die seinem G e s a m t w e r k zugrunde liegt, kann jedoch nur durch eine alle Schriften umfassende Untersuchung seines literarischen Verfahrens erhoben werden. Bibliographien CPL 3 1995, 1 - 1 0 . - Chronica Tertullianea [ab 1986: Tertullianea et Cyprianea], ed. René Braun u.a.: REAug 22 (1976) ff. - Marco Frenschkowski, Art. Tertullian: BBKL 11 (1996) 7 0 1 - 7 2 0 [thematisch-chronologisch, umfassend auch zur älteren Lit.]. Quellen 1. Werkausgaben: Op., ed. Eligius Dekkers u.a., 1954 (CChr.SL 1 - 2 ) (Lit.). - Ed. princeps: Beatus Rhenanus, Basel 1521. - PL 1 - 2 . - CSEL 20.47.69.70. - Dt. (Ausw.): Ausgew. Sehr., übers, u. mit Einl. versehen v. Heinrich Kellner, 2 Bde., 1882 (BKV). 2. Einzelausgaben: Ad martyras: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - Ed./transl. Antonio Quacquarelli, 1963 (OP 2). - Ad nationes: Ed./transl. André Schneider, Genf 1968 (BHRom 9). - Ad Scapulam: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - Ad üxorem: Charles Munier, 1980 (SC 273). Adv.Hermogenem: Jan Hendrik Waszink, Utrecht 1956 (StPM 5). - Transi.: ders., 1956 (ACW 24). - Adv. Judaeos: Hermann Tränkle, Wiesbaden 1964. - Adv. Marcionem: René Braun, 1990.1991.1994 (SC 365.368.399) (nur I—III). - Ernest Evans, 1972 (OECT). - Claudio Moreschini, Mailand 1971. - Adv. Praxean: Ed./transl. Ernest Evans, London 1948. - Giuseppe Scarpat, 1959 2 1984 (CorPat 12). - Adv. Valentinianos: Jean-Claude Fredouille, 1980.1981 (SC 280.281). - Apologeticum: Ubers. Carl Becker, München 1952 = Darmstadt *1992. - Ed./transl. Terrot R. Glover, 1931 = 1984 (LCL 250). - Ed. Jean-Pierre Waltzing/Albert Severyns, Paris 2 1961. - De baptismo: Ed./transl. Ernest Evans, London 1964. - Bruno Luiseiii, Turin 1960 2 1968 (CSLP). - R. François Refoulé/M. Drouzey, 1952 (SC 35). - De carne Christi: Ernest Evans, London 1964. - Jean-Pierre Mahé, 1975 (SC 216.217). - De corona militis: Jacques Fontaine, Paris 1966. — Fabio Ruggiero, Mailand 1992. - De cultu feminarum: Sandra Isetta, 1986 (BPat 6). - Marie Turcan, 1971 (SC 173). - De exhortatione castitatis: Hg./übers. v. Hans-Veit Friedrich, Stuttgart 1990. - Claudio Moreschini, 1985 (SC 319). - De fuga in persecutione: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - De habitu muliebri = De cultu feminarum II. - De idololatria: Jan Hendrik Waszink/Jacobus Cornelius Maria van Winden, 1987 (SVigChr 1). - De monogamia: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - Paul Mattei, 1988 (SC 363). - Renato Uglione, 1993 (CorPat 15). - De paenitentia: Jan Willem Philipp Borleffs, 1957 (CSEL 76). - Charles Munier, 1984 (SC 316). - De pallio: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - De praescriptione haereticorum: R. François Refoulé/Pierre de Labriolle, 1957 (SC 46). - De pudicitia: Charles Munier/Claudio Micaelli, 1993 (SC 394bis.395). - De resurrectione: Ed./transl. Ernest Evans, London 1960. - Trad./Comm. Madeleine Moreau/Jean-Pierre Mahé,

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1980 (CPF NS 5). - De spectaculis: Ed./transl. Terrot R. Glover, 1931 = 1977 (LCL 250). - Marie Turcan, 1986 (SC 332). - De testimonio animae: Ed./trad. Carlo Tibiletti, Turin 1959 Florenz 2 1984. - De virginibus velandis: Vinzenz Bulhart, 1957 (CSEL 76). - Gerardus Frederik Diercks, Utrecht 1956 (StPM 4). - Eva Schulz-Flügel, 1997 (SC 424). - Scorpiace: Giovanni Azzali Bernadelli, Florenz 1990. 3. Verlorene Schriften: Ad amicum philosophant de nuptiarum angustiis [Hieronymus, Ep. 37]. - De Aaron vestibus [Hieronymus, Ep. 128]. - De animae summissione [Agobard]. - De baptismo graece [bapt. 15]. - De carne et anima [Agobard]. - De censu animae [an. 1]. - De paradiso [Agobard; an. 55], - De spe fidelium [Agobard; Marc. 111,24]. - De spectaculis graece [cor. 6]. De superstitione saeculi [Agobard]. - De trinitate [Hieronymus, vir.ill. 70]. - De virginibus velandis graece [virg. 1]. 4. Ps.-Tertullianea: CChr.SL 2,1337-1415. - Zu Adv. omnes haereses s. Eduard Schwartz: SBAW.PH 1936/3, 3 8 - 4 5 . - Carmen adv. marcionistas: Karla Pollmann, 1991 (Hyp. 96). Literatur Claude Aziza, Tertullien et le Judaïsme, Paris 1977. - Wiebke Bähnk, Von der Notwendigkeit des Leidens. Die Theol. des Martyriums bei Tertullian, 2001 (FKDG 78). - Ian L.S. Balfour, Tertullian on and off the Internet: Journal of Early Christian Studies 8 (2000) 579-585. - Timothy David Barnes, Tertullian. A Hist, and Literary Study, Oxford 1971 2 1985. - René Braun, „Deus christianorum". Recherches sur le vocabulaire doctrinal, Paris 1976. - Ders., Approches de Tertullien, Paris 1992. - Gerald Lewis Bray, Holiness and the Will of God, London 1979. - Hans v. Campenhausen, Lat. 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T e s t a m e n t e der X I I Patriarchen

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ihr Selbstverständnis u. ihre Gesch., 1989 (SVigChr 4). - Thomas P. O'Malley, Tertullian and the Bible. Language, Imagery, Exegesis, 1967 (LCP 21). - Eric F. Osborn, The Conflict of Opposites in the Theology of Tertullian: Aug. 35 (1995) 6 2 3 - 6 3 9 . - Ders., Tertullian, First Theologian of the West, Cambridge 1997. - Bernard Piault, Tertullien a-t-il été subordinaren?: RSPhTh 47 (1963) 181-204. - Henri Quellet, Concordance verbale du De corona, Hildesheim 1975. - Ders., Concordance verbale du De cultu feminarum, Neuchâtel 1986. - Ders., Concordance verbale du De exhortatione castitatis, Hildesheim 1992. - Ders., Concordance verbale de l'Ad uxorem, Hildesheim 1994. - Claude Rambaux, Tertullien face aux morales des trois premiers siècles, 1979 (CEA). David L. Rankin, Tertullian and the Church, Cambridge 1995. - Stefan Schima, Tertullian u. die Hauptkirchen: ÖAKR 43 (1994) 1 3 5 - 1 5 4 . - Georg Schöllgen, Ecclesia sórdida? Zur Frage der sozialen Schichtung christl. Gemeinden am Beispiel Karthagos z.Z. Tertullians, 1984 (JAC.E 12). - Eva Schulz-Flügel, Tertullian u. das „Zweite Geschlecht": REAug 42 (1996) 3 - 1 9 . - Robert Dick Sider, Ancient Rhetoric and the Art of Tertullian, London 1971 (OTM). - Michel Spanneut, Tertullien et les premiers moralistes africains, 1969 (RSSR.M). - Christoph Strohm, Ethik im frühen Calvinismus, 1996 (AKG 65). - D.Richard Stuckwisch, Principles of Christian Prayer from the Third Century: Worship 71 (1997) 2 - 1 9 . - Hans-Werner Thönnes, Caelestia recogita, et terrena despicies. Altkirchl. Apologetik am Beispiel Tertullians im Vergleich mit modernen Entwürfen, 1994 (EHS.T 505). - Carlo Tibiletti, Un opuscolo perduto di Tertulliano „Ad amicum philosophum": AAST 95 (1960/61) 1 2 2 - 1 6 6 . - Ders., Matrimonio ed escatologia: Aug. 17 (1977) 53 - 7 0 . - Ders., Nota sul presunto modernismo di Tertulliano (De testimonio animae): Aug. 33 (1993) 449 - 467. - Ders., Postilla sul tema dell'anima cristiana per natura: Aug. 34 (1994) 4 4 7 - 4 5 5 . Valerio Ugenti, Norme prosodiche delle clausole metriche nel „De idololatria" di Tertulliano: Aug. 35 (1995) 2 4 1 - 2 5 9 . - Renato Uglione, Gli hapax tertullianei di matrice fónica: BStL 25 (1995) 529 - 541. - G a b i n o Uribarri Bilbao, Las teofanias veterotestamentarias en Justino, Dial. 129, y Tertuliano, Prax. 1 1 - 1 3 : MCom 52 (1994) 3 0 5 - 3 2 1 . - Ders., Arquitectura retórica del „Adversus Praxean" de Tertuliano: EE 70 (1995) 4 4 9 - 4 8 7 . - Ders., El argumento de prescripción en el „Adversus Praxean" de Tertuliano: EE 71 (1996) 2 1 5 - 2 2 8 . - Ders., Tertuliano, Prax. 1 - 2 . Una lectura con apoyo en la retorica clasica: ebd. 3 6 1 - 3 9 6 . - David Salter Williams, On Tertullian's Text of Luke: SecCen 8 (1991) 1 9 3 - 2 0 1 . - Jacobus Cornelius Maria van Winden, Idolum and Idololatria in Tertullian: VigChr 36 (1982) 1 0 8 - 1 1 4 . - Ders., The Adverbial Use of cum maxime ir. Tertullian: VigChr 49 (1995) 2 0 9 - 2 1 5 . Christel Butterweck

Testamente der X I I Patriarchen 1. Aufbau und Inhalt 1. Aufbau

und

2. Herkunft und Abfassungszeit

(Quellen/Literatur S. 110)

Inhalt

Diese Schrift gibt sich als Aufzeichnung der letzten W o r t e der zwölf Söhne - » J a k o b s , die diese auf ihrem Totenbett an ihre versammelten Söhne (und Enkel oder Brüder) gerichtet hätten. Diese abschließenden Belehrungen stellen ihr geistiges Vermächtnis dar, das ihre N a c h k o m m e n ihrerseits an ihre Kinder weitergeben sollen. Charakteristisch sind die W o r t e Benjamins in TestBenj 10,4: „denn ich lehre euch dies anstelle jeglichen Erbes. Und auch ihr sollt es d a r u m euren Kindern geben zum ewiglichen Besitz, denn dies taten auch A b r a h a m und Isaak und J a k o b " (->Testamentenliteratur). Jedes Testament handelt von einer oder mehreren Tugenden und Lastern, die es mit Begebenheiten aus dem Leben des Patriarchen (die der Genesis oder verwandter jüdischer T r a d i t i o n e n t n o m m e n sind) oder Hinweisen auf das Vorbild Josephs, das in den Testamenten paradigmatisch die Tugendhaftigkeit verkörpert, illustriert. Die ermahnenden Passagen verteilen sich nicht gleichmäßig über die einzelnen Testamente, und mitunter wird über das Leben eines Patriarchen nur wenig mitgeteilt. D o c h bei aller Vielfalt bildet die P a r änese der Testamente eine Einheit. Der Schwerpunkt liegt bei den beiden H a u p t g e b o t e n der Liebe/Furcht des H e r r n und der Liebe zum N ä c h s t e n (vgl. z . B . Testlss 5 , 1 f.; 7 , 6 ; T e s t D i n 5 , 3 ; TestBenj 3,1—5). Die oberste Tugend ist die ánXózrji;, d . h . Schlichtheit, Rechtschaffenheit, von ganzem Herzen k o m m e n d e r G e h o r s a m gegen die Gebote des H e r r n Typisch jüdische G e b o t e wie Sabbatobservanz, Beschneidung oder Speisegesetze werden nirgends erwähnt.

T e s t a m e n t e der X I I Patriarchen

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ihr Selbstverständnis u. ihre Gesch., 1989 (SVigChr 4). - Thomas P. O'Malley, Tertullian and the Bible. Language, Imagery, Exegesis, 1967 (LCP 21). - Eric F. Osborn, The Conflict of Opposites in the Theology of Tertullian: Aug. 35 (1995) 6 2 3 - 6 3 9 . - Ders., Tertullian, First Theologian of the West, Cambridge 1997. - Bernard Piault, Tertullien a-t-il été subordinaren?: RSPhTh 47 (1963) 181-204. - Henri Quellet, Concordance verbale du De corona, Hildesheim 1975. - Ders., Concordance verbale du De cultu feminarum, Neuchâtel 1986. - Ders., Concordance verbale du De exhortatione castitatis, Hildesheim 1992. - Ders., Concordance verbale de l'Ad uxorem, Hildesheim 1994. - Claude Rambaux, Tertullien face aux morales des trois premiers siècles, 1979 (CEA). David L. Rankin, Tertullian and the Church, Cambridge 1995. - Stefan Schima, Tertullian u. die Hauptkirchen: ÖAKR 43 (1994) 1 3 5 - 1 5 4 . - Georg Schöllgen, Ecclesia sórdida? Zur Frage der sozialen Schichtung christl. Gemeinden am Beispiel Karthagos z.Z. Tertullians, 1984 (JAC.E 12). - Eva Schulz-Flügel, Tertullian u. das „Zweite Geschlecht": REAug 42 (1996) 3 - 1 9 . - Robert Dick Sider, Ancient Rhetoric and the Art of Tertullian, London 1971 (OTM). - Michel Spanneut, Tertullien et les premiers moralistes africains, 1969 (RSSR.M). - Christoph Strohm, Ethik im frühen Calvinismus, 1996 (AKG 65). - D.Richard Stuckwisch, Principles of Christian Prayer from the Third Century: Worship 71 (1997) 2 - 1 9 . - Hans-Werner Thönnes, Caelestia recogita, et terrena despicies. Altkirchl. Apologetik am Beispiel Tertullians im Vergleich mit modernen Entwürfen, 1994 (EHS.T 505). - Carlo Tibiletti, Un opuscolo perduto di Tertulliano „Ad amicum philosophum": AAST 95 (1960/61) 1 2 2 - 1 6 6 . - Ders., Matrimonio ed escatologia: Aug. 17 (1977) 53 - 7 0 . - Ders., Nota sul presunto modernismo di Tertulliano (De testimonio animae): Aug. 33 (1993) 449 - 467. - Ders., Postilla sul tema dell'anima cristiana per natura: Aug. 34 (1994) 4 4 7 - 4 5 5 . Valerio Ugenti, Norme prosodiche delle clausole metriche nel „De idololatria" di Tertulliano: Aug. 35 (1995) 2 4 1 - 2 5 9 . - Renato Uglione, Gli hapax tertullianei di matrice fónica: BStL 25 (1995) 529 - 541. - G a b i n o Uribarri Bilbao, Las teofanias veterotestamentarias en Justino, Dial. 129, y Tertuliano, Prax. 1 1 - 1 3 : MCom 52 (1994) 3 0 5 - 3 2 1 . - Ders., Arquitectura retórica del „Adversus Praxean" de Tertuliano: EE 70 (1995) 4 4 9 - 4 8 7 . - Ders., El argumento de prescripción en el „Adversus Praxean" de Tertuliano: EE 71 (1996) 2 1 5 - 2 2 8 . - Ders., Tertuliano, Prax. 1 - 2 . Una lectura con apoyo en la retorica clasica: ebd. 3 6 1 - 3 9 6 . - David Salter Williams, On Tertullian's Text of Luke: SecCen 8 (1991) 1 9 3 - 2 0 1 . - Jacobus Cornelius Maria van Winden, Idolum and Idololatria in Tertullian: VigChr 36 (1982) 1 0 8 - 1 1 4 . - Ders., The Adverbial Use of cum maxime ir. Tertullian: VigChr 49 (1995) 2 0 9 - 2 1 5 . Christel Butterweck

Testamente der X I I Patriarchen 1. Aufbau und Inhalt 1. Aufbau

und

2. Herkunft und Abfassungszeit

(Quellen/Literatur S. 110)

Inhalt

Diese Schrift gibt sich als Aufzeichnung der letzten W o r t e der zwölf Söhne - » J a k o b s , die diese auf ihrem Totenbett an ihre versammelten Söhne (und Enkel oder Brüder) gerichtet hätten. Diese abschließenden Belehrungen stellen ihr geistiges Vermächtnis dar, das ihre N a c h k o m m e n ihrerseits an ihre Kinder weitergeben sollen. Charakteristisch sind die W o r t e Benjamins in TestBenj 10,4: „denn ich lehre euch dies anstelle jeglichen Erbes. Und auch ihr sollt es d a r u m euren Kindern geben zum ewiglichen Besitz, denn dies taten auch A b r a h a m und Isaak und J a k o b " (->Testamentenliteratur). Jedes Testament handelt von einer oder mehreren Tugenden und Lastern, die es mit Begebenheiten aus dem Leben des Patriarchen (die der Genesis oder verwandter jüdischer T r a d i t i o n e n t n o m m e n sind) oder Hinweisen auf das Vorbild Josephs, das in den Testamenten paradigmatisch die Tugendhaftigkeit verkörpert, illustriert. Die ermahnenden Passagen verteilen sich nicht gleichmäßig über die einzelnen Testamente, und mitunter wird über das Leben eines Patriarchen nur wenig mitgeteilt. D o c h bei aller Vielfalt bildet die P a r änese der Testamente eine Einheit. Der Schwerpunkt liegt bei den beiden H a u p t g e b o t e n der Liebe/Furcht des H e r r n und der Liebe zum N ä c h s t e n (vgl. z . B . Testlss 5 , 1 f.; 7 , 6 ; T e s t D i n 5 , 3 ; TestBenj 3,1—5). Die oberste Tugend ist die ánXózrji;, d . h . Schlichtheit, Rechtschaffenheit, von ganzem Herzen k o m m e n d e r G e h o r s a m gegen die Gebote des H e r r n Typisch jüdische G e b o t e wie Sabbatobservanz, Beschneidung oder Speisegesetze werden nirgends erwähnt.

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Testamente der XII Patriarchen

Vielfach sind die Ermahnungen mit Warnungen vor den von Belial (Satan, dem -»Teufel) angeführten bösen Geistern verbunden. Personifizierte Laster und böse Geister sind oft austauschbar - von außen kommende böse Mächte nehmen an dem inneren Kampf des Menschen teil. Eine systematische Angelologie und Dämonologie haben die Testamente nicht ausgebildet, doch bewegt sich ihr Denken in dualistischen Bahnen, und in diesem Sinne sind auch ihre ethischen Ratschläge und Warnungen akzentuiert. Den Mahnungen folgen Weissagungen über die Zukunft des betreffenden Stammes, ganz Israels oder auch der Menschheit insgesamt. Künftiges Heil ist nur denjenigen beschieden, die dem Gesetz Gottes gehorchen, wie es in den Geboten des Patriarchen seinen Ausdruck findet. Die Textpassagen, die von der Zukunft handeln, zeigen unterschiedliche Muster: (a) In etlichen Testamenten begegnen wir einer eschatologischen Variante der deuteronomistischen Sicht der Geschichte Israels. Diese „Sünde-Exil-Rückkehr"-Passagen sagen künftige Sünden der Nachkommen des Patriarchen, ihre Bestrafung durch Verbannung und ihre Rückkehr vorher. Mitunter wird Buße erwähnt, und recht häufig wird dieses Muster wiederholt (vgl. z.B. TestNaph 4 und TestAss 7). Das Element der Rückkehr kann sich mit der Schilderung einer Rettergestalt (vgl. z.B. TestLev 17f.) oder der Ankündigung der Auferstehung des Patriarchen und seines Stammes (z.B. TestSeb 9f.) verbinden. Mehrmals und auf verschiedene Weise wird betont, daß Gottes Heil Israel und den Völkern gleichermaßen zugute kommen wird (z.B. TestSim 6,7; 7,2; TestDan 5,10b-13; TestNaph 4,5; Test Jos 19,6; TestBenj 3,8; 10,6-10). (b) Sodann findet sich häufig die Anweisung, Levi als dem Priester und Juda als dem König Gehorsam zu leisten, wobei das Priesteramt über das des Königs gestellt wird (Testjud 21,1-5). In vielen Levi-Juda-Passagen heißt es, das (endzeitliche) Heil oder eine Rettergestalt werde aus diesen beiden Stämmen (oder auch nur aus Juda) kommen. Die Weissagungen unterscheiden sich in vielen Einzelheiten; wie an anderen Stellen, an denen eine Rettergestalt erwähnt wird, ist die nächstliegende Deutung auch hier, daß Jesus gemeint ist. Bemerkenswerterweise heißt es in TestLev 18 von dem neuen endzeitlichen Priester nicht, daß er von Levi abstamme, während nach Testjud 24 der ideale König der Zukunft ein Nachfahre Judas ist. Im Schlußabschnitt eines jeden Testaments äußert der Patriarch den Wunsch, in -»Hebron bestattet zu werden. Er stirbt, und seine Söhne tun, wie ihr Vater von ihnen verlangt hatte. 2. Herkunft und

Abfassungszeit

Die neueste Ausgabe der Testamente (de Jonge, Testaments [1978]) verzeichnet 14 griechische Handschriften (drei davon fragmentarisch), wobei die älteste aus dem späten 10. Jh. stammt. Die wichtigste antike Übersetzung ist die armenische, von der über 50 Handschriften (vom 13. Jh. an) bekannt sind; ihre Entstehungszeit ist umstritten, wird aber nicht nach dem 10. Jh. anzusetzen sein. Die Textüberlieferung, soweit wir sie kennen, läßt sich auf ein Manuskript in Unzialschrift zurückverfolgen, das vor dem 9. Jh. anzusetzen ist. Die frühesten Erwähnungen der Testamente der XII Patriarchen finden sich bei -»Orígenes (hom. in Jos 15,26) und bei -»Hieronymus (tract. psal. 15). Sie lassen zwar nicht erkennen, welcher Text diesen Autoren vorlag, zeigen aber, daß die Testamente zu Beginn des 3. Jh. n.Chr. in irgendeiner Form existiert haben müssen. Welche Entwicklung zwischen diesem Zeitpunkt und dem Archetyp der erhaltenen Textzeugen stattfand, entzieht sich unserer Kenntnis. Ebenso ist ungewiß, wie weit die Abfassungszeit dem Terminus ante quem um 200 n. Chr. vorausgeht und ob die Testamente in diesem Zeitraum wesentliche Veränderungen erfuhren. In ihrer vorliegenden Gestalt sind die Testamente eine christliche Schrift, die sich an ein christliches Publikum wendet. Darin sind sich, mit Ausnahme von M. Philonenko, alle modernen Forscher einig. Zugleich haben viele, dem Beispiel von F. Schnapp und R.H. Charles folgend, die christlichen Passagen als Interpolationen oder redaktionelle Weiterbildungen ausgeschieden und versucht, noch ältere, jüdische Stufen der Geschichte

T e s t a m e n t e der X I I P a t r i a r c h e n

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dieses Werkes zu rekonstruieren, die auf eine „ G r u n d s c h r i f t " aus dem 2. J h . v . C h r . zurückgehen (s. bes. B e c k e r ; H u l t g á r d ; Ulrichsen). A u f diese Weise werden die T e s t a mente zu einer Quelle für unsere Kenntnis der E n t w i c k l u n g jüdischer Endzeitvorstellungen in der Z e i t von 2 0 0 v . C h r . bis 100 n . C h r . und für unser Verständnis jüdischer E t h i k zur Z e i t des Urchristentums. Aus diesem G r u n d e werden die T e s t a m e n t e häufig zur E r f o r s c h u n g des Urchristentums h e r a n g e z o g e n ; in älteren und neuen S a m m l u n g e n sog. —»Pseudepigraphen des Alten T e s t a m e n t s spielen sie eine herausragende R o l l e . Ältere und neuere literarkritische Untersuchungen h a b e n j e d o c h zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt, und man k a n n sich fragen, o b unter Anlegung m o d e r n e r M a ß s t ä b e von K o h ä r e n z und Konsistenz eine zuverlässige R e k o n s t r u k t i o n der Entstehungsgeschichte von Schriften dieser A r t ü b e r h a u p t m ö g l i c h ist. In z u n e h m e n d e m M a ß e hat sich die F o r s c h u n g d a r a u f k o n z e n t r i e r t , G r u n d b e s t a n d teile der T e s t a m e n t e mit denen anderer, unstrittig jüdischer Q u e l l e n zu vergleichen. Schon Charles hatte Kairoer Genizafragmente eines aramäischen Levi-Textes (mit griechischen Parallelen in einem Zusatz zu einer Athos-Handschrift der Testamente der XII Patriarchen) berücksichtigt und auf ein mittelalterliches hebräisches Testament Naphtalis und den späten Midrasch Wajjissa'u mit einer parallelen Schilderung der in Testjud 3 - 7 ; 9 erwähnten Kriege hingewiesen (s. Charles, Versions, App. 1 - 3 ) . Später entdeckte man bei -»Qumran neue Fragmente des aramäischen Levi-Textes, darunter sehr kleine (1Q21 1 - 6 0 ) , aber auch umfangreichere ( 4 Q 2 1 3 - 2 1 4 ) , die sich teilweise mit einem weiteren Zusatz der erwähnten Athos-Handschrift überschneiden. Ferner existiert mit 4Q215 eine Schrift, die von der Genealogie Naphtalis handelt (vgl. TestNaph 1 , 6 - 8 ) , und 4Q539 könnte inhaltlich Testjos 15f. nahestehen. 3Q7 und 4Q538 wurden von J.T. Milik einem Testament Judas zugeschrieben (s. Milik, Écrits 97 - 2 0 1 ) , doch ist dies ebenso umstritten wie der von ihm behauptete Zusammenhang zwischen 4Q548 und TestLev 19,1. Ebenfalls fraglich ist der Vorschlag von É. Puech, die Fragmente 4Q540 und 4Q541 mit dem aramäischen Levi in Verbindung zu bringen. In keinem Fall läßt es sich nachweisen, daß eines dieser Fragmente zu einem Testament gehörte, und erst recht nicht beweisen sie die Existenz einer jüdischen Schrift, die die Worte der zwöif Söhne Jakobs wiedergab. Nur ein detaillierter Vergleich dieser Fragmente mit den griechischen Testamenten kann auf deren (Vor-)Geschichte weiteres Licht werfen. Die Forschung auf diesem Gebiet hat sich bisher vornehmlich mit den Fragmenten des aramäischen Levi und Testament Levi befaßt, wobei auch die Abschiedsworte Qahats und Amrams in 4Q542 und 4 Q 5 4 3 - 5 4 8 sowie das ->Jubiläenbuch einbezogen wurden (s. Kugler, Patriarch; De Jonge, Levi). Deutlich ist, daß das Testament Levi, das sich in vielerlei Hinsicht von den übrigen Testamenten unterscheidet, einer Vorlage folgt, die dem hypothetischen Vorfahr des erhaltenen Levi-Materials sehr ähnlich ist. Es bietet einen kürzeren Text mit christlichen Elementen an Schlüsselstellen (vgl. TestLev 4,4; 5,2; 8,14). Gleichwohl bleibt jedwede Rekonstruktion einer früheren, jüdischen Stufe in der Entstehungsgeschichte des Testament Levi notgedrungen hypothetisch. H i n s i c h t l i c h der übrigen T e s t a m e n t e stellt sich die L a g e n o c h schwieriger dar. Sollte es jüdische T e s t a m e n t e der X I I P a t r i a r c h e n j e m a l s gegeben h a b e n , so sind sie einer tiefgreifenden christlichen B e a r b e i t u n g unterzogen w o r d e n . E i n e wahrscheinlichere Alternative ist die A n n a h m e einer christlichen K o m p o s i t i o n , die sich in breitem M a ß e jüdischen M a t e r i a l s bediente. In beiden Fällen w ä r e allerdings in den (jetzt christlichen) eschatologischen Partien g r ö ß e r e G l e i c h f ö r m i g k e i t zu e r w a r t e n . D a s Interesse der frühen K i r c h e an L e b e n und L e h r e der S ö h n e J a k o b s läßt sich als Folge ihrer Ü b e r n a h m e der jüdischen Bibel als Heiliger S c h r i f t e r k l ä r e n . D a s frühe C h r i stentum hatte mit dem hellenistischen J u d e n t u m vieles ethische G e d a n k e n g u t , das der hellenistischen Popularphilosophie e n t s t a m m t e , g e m e i n s a m . S o d a n n b e h a u p t e t - » J u s t i n , d a ß in der Z e i t vor M o s e gerechte M e n s c h e n o h n e B e o b a c h t u n g der spezifisch m o s a ischen G e b o t e G o t t wohlgefielen und d a ß mit J e s u s Christus dieser Z u s t a n d wiedergekehrt sei (dial. 11,2; 19,3 f.; 4 6 , 3 ) . E r n e n n t diese v o r m o s a i s c h e n G e r e c h t e n „ P a t r i a r c h e n " und rechnet d a m i t , d a ß die gerechten H e i d e n gerettet w e r d e n , mit allen „ P a t r i a r c h e n , Propheten und den G e r e c h t e n aus J a k o b " (dial. 2 6 , 1 ; 4 5 , 2 - 4 ; 8 0 , l f . ; 1 3 0 , 2 ) . Diese H a l tung würde das Interesse der T e s t a m e n t e der X I I P a t r i a r c h e n an den S ö h n e n J a k o b s als geistigen Leitgestalten und an ihrer B o t s c h a f t s o w o h l für die V ö l k e r wie für Israel selbst e r k l ä r e n .

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Testamentenliteratur

Quellen 1. Ausgaben: Robert H. Charles, The Greek Versions of the Testaments of the Twelve Patriarchs, Oxford 1908. - Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Ed. of the Greek Text, 1978 (PVTG 1/2). 2. Übersetzungen u. Kommentare: Jürgen Becker: J S H R Z 3/1 (1974 2 1980) 1 - 1 6 2 . - Robert H. Charles, The Testaments of the Twelve Patriarchs. Transi, from the Editor's Greek Text, London 1908. - Ders.: APOT 2 (1913) 2 8 2 - 3 6 7 . - Harm W. Hollander/Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Comm., 1985 (SVTP 8). - Marinus de Jonge: The Apocryphal OT, hg. v. Hedley F.D. Sparks, Oxford 1984, 5 0 5 - 6 0 0 . - Howard C. Kee: OTP 1 (1983) 775-828. Marc Philonenko: La Bible. Écrits intertestamentaires, Paris 1987, 811-944. - Friedrich Schnapp: AP AT 2 (1900) 4 5 8 - 5 0 6 . 3. Verwandte Schriften: Robert A. Kugler, From Patriarch to Priest. The Levi-Priestly Tradition from Aramaic Levi to Testament of Levi, 1996 (SBL.EJL 9). - Józef T. Milik, Testament de Levi: DJD 1 (1955) 8 7 - 9 1 . - Ders., Écrits préesséniens de Qumrân; d'Hénoch à Amram: Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu, hg. v. Mathias Delcor, 1978 (BEThL 46) 9 1 - 1 0 6 . - Emile Puech, Frgm. d'un apocryphe de Lévi et le personnage eschatologique. 4QTestLévic_d(?) et 4QAJa: The Madrid Qumrân Congress. Proceedings of the Int. Congress on the Dead Sea Scrolls, Madrid 1 8 - 2 1 March 1991, hg. v. Julio Trebolle Barrera/Luis Vegas Montaner, 1992 (StTDJ 11/2) 449 - 501. - Michael E. Stone, Testament of Naphtali: DJD 12 (1996) 7 2 - 8 2 . - Ders./Jonas C. Greenfield, Aramaic Levi Document: ebd. 1 - 7 2 . Literatur Jürgen Becker, Unters, zur Entstehungsgesch. der Testamente der Zwölf Patriarchen, 1970 (AGJU 8). - Anders Hultgàrd, L'eschatologie des Testaments des Douze Patriarches, I 1977 II 1982 (AUU = HR[U] 6 - 7 ) . - Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Study of their Text, Composition and Origin, Assen 1953 2 1975. - Ders. (Hg.), Studies on the Testaments of the Twelve Patriarchs, 1975 (SVTP 3). - Ders., Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs. Collected Essays, hg. v. Henk Jan de Jonge, 1991 (NT.S 63) 147-313. — Ders., The Transmission of the Testaments of the Twelve Patriarchs by Christians: VigChr 47 (1993) 1 - 2 8 . - Ders., Levi in „Aramaic Levi" and in the Testament of Levi: Pseudepigraphic Perspectives. The Apocrypha and Pseudepigrapha in the Light of the Dead Sea Scrolls, hg. v. Esther G. Chazon/Michael E. Stone, 1999 (StTDJ 31) 7 1 - 8 9 . - Robert A. Kugler, The Testaments of the Twelve Patriarchs, Sheffield 2001. - Marc Philonenko, Les interpolations chrétiennes des Testaments des Douze Patriarches et les manuscrits de Qoumrân, Paris 1960. Friedrich Schnapp, Die Testamente der Zwölf Patriarchen unters., Halle 1884. - H. Dixon Slingerland, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical History of Research, 1977 (SBL.MS 21). - Jarl H. Ulrichsen, Die Grundschrift der Testamente der Zwölf Patriarchen, 1991 (AUU = HR[U] 10). Marinus de Jonge

Testamentenliteratur (Literatur S. 113) Es fällt nicht leicht, den Begriff „Testamentenliteratur" zu definieren, und ebensowenig, genau anzugeben, welche Bücher - oder nennenswerte Teile von Schriften diesem Literaturtyp zuzurechnen sind. Im allgemeinen gilt es aber als zweckmäßig, bestimmte hellenistisch-jüdische Schriften als Vertreter einer eigenen literarischen Gattung unter der Bezeichnung „ T e s t a m e n t " zusammenzunehmen (einen Überblick über neuere Forschung zum T h e m a gibt Winter 9—37). Als konsequentester Vertreter dieser Gattung wurden oft die -»Testamente der X I I Patriarchen betrachtet (vgl. besonders von Nordheim), aber selbst dabei bestehen zwischen den einzelnen Testamenten beträchtliche Unterschiede im Detail. Zudem gelangt man, wenn man dieses Werk als Ausgangspunkt nimmt, unvermeidlich zu dem Befund, daß anderen Schriften dieser Gattung mehrere oder sogar viele der Züge, die für die Testamente der XII Patriarchen charakteristisch sind, abgehen. Sodann möchten einige Forscher lieber von einer „Abschiedsrede" als

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Testamentenliteratur

Quellen 1. Ausgaben: Robert H. Charles, The Greek Versions of the Testaments of the Twelve Patriarchs, Oxford 1908. - Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Ed. of the Greek Text, 1978 (PVTG 1/2). 2. Übersetzungen u. Kommentare: Jürgen Becker: J S H R Z 3/1 (1974 2 1980) 1 - 1 6 2 . - Robert H. Charles, The Testaments of the Twelve Patriarchs. Transi, from the Editor's Greek Text, London 1908. - Ders.: APOT 2 (1913) 2 8 2 - 3 6 7 . - Harm W. Hollander/Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Comm., 1985 (SVTP 8). - Marinus de Jonge: The Apocryphal OT, hg. v. Hedley F.D. Sparks, Oxford 1984, 5 0 5 - 6 0 0 . - Howard C. Kee: OTP 1 (1983) 775-828. Marc Philonenko: La Bible. Écrits intertestamentaires, Paris 1987, 811-944. - Friedrich Schnapp: AP AT 2 (1900) 4 5 8 - 5 0 6 . 3. Verwandte Schriften: Robert A. Kugler, From Patriarch to Priest. The Levi-Priestly Tradition from Aramaic Levi to Testament of Levi, 1996 (SBL.EJL 9). - Józef T. Milik, Testament de Levi: DJD 1 (1955) 8 7 - 9 1 . - Ders., Écrits préesséniens de Qumrân; d'Hénoch à Amram: Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu, hg. v. Mathias Delcor, 1978 (BEThL 46) 9 1 - 1 0 6 . - Emile Puech, Frgm. d'un apocryphe de Lévi et le personnage eschatologique. 4QTestLévic_d(?) et 4QAJa: The Madrid Qumrân Congress. Proceedings of the Int. Congress on the Dead Sea Scrolls, Madrid 1 8 - 2 1 March 1991, hg. v. Julio Trebolle Barrera/Luis Vegas Montaner, 1992 (StTDJ 11/2) 449 - 501. - Michael E. Stone, Testament of Naphtali: DJD 12 (1996) 7 2 - 8 2 . - Ders./Jonas C. Greenfield, Aramaic Levi Document: ebd. 1 - 7 2 . Literatur Jürgen Becker, Unters, zur Entstehungsgesch. der Testamente der Zwölf Patriarchen, 1970 (AGJU 8). - Anders Hultgàrd, L'eschatologie des Testaments des Douze Patriarches, I 1977 II 1982 (AUU = HR[U] 6 - 7 ) . - Marinus de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Study of their Text, Composition and Origin, Assen 1953 2 1975. - Ders. (Hg.), Studies on the Testaments of the Twelve Patriarchs, 1975 (SVTP 3). - Ders., Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs. Collected Essays, hg. v. Henk Jan de Jonge, 1991 (NT.S 63) 147-313. — Ders., The Transmission of the Testaments of the Twelve Patriarchs by Christians: VigChr 47 (1993) 1 - 2 8 . - Ders., Levi in „Aramaic Levi" and in the Testament of Levi: Pseudepigraphic Perspectives. The Apocrypha and Pseudepigrapha in the Light of the Dead Sea Scrolls, hg. v. Esther G. Chazon/Michael E. Stone, 1999 (StTDJ 31) 7 1 - 8 9 . - Robert A. Kugler, The Testaments of the Twelve Patriarchs, Sheffield 2001. - Marc Philonenko, Les interpolations chrétiennes des Testaments des Douze Patriarches et les manuscrits de Qoumrân, Paris 1960. Friedrich Schnapp, Die Testamente der Zwölf Patriarchen unters., Halle 1884. - H. Dixon Slingerland, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical History of Research, 1977 (SBL.MS 21). - Jarl H. Ulrichsen, Die Grundschrift der Testamente der Zwölf Patriarchen, 1991 (AUU = HR[U] 10). Marinus de Jonge

Testamentenliteratur (Literatur S. 113) Es fällt nicht leicht, den Begriff „Testamentenliteratur" zu definieren, und ebensowenig, genau anzugeben, welche Bücher - oder nennenswerte Teile von Schriften diesem Literaturtyp zuzurechnen sind. Im allgemeinen gilt es aber als zweckmäßig, bestimmte hellenistisch-jüdische Schriften als Vertreter einer eigenen literarischen Gattung unter der Bezeichnung „ T e s t a m e n t " zusammenzunehmen (einen Überblick über neuere Forschung zum T h e m a gibt Winter 9—37). Als konsequentester Vertreter dieser Gattung wurden oft die -»Testamente der X I I Patriarchen betrachtet (vgl. besonders von Nordheim), aber selbst dabei bestehen zwischen den einzelnen Testamenten beträchtliche Unterschiede im Detail. Zudem gelangt man, wenn man dieses Werk als Ausgangspunkt nimmt, unvermeidlich zu dem Befund, daß anderen Schriften dieser Gattung mehrere oder sogar viele der Züge, die für die Testamente der XII Patriarchen charakteristisch sind, abgehen. Sodann möchten einige Forscher lieber von einer „Abschiedsrede" als

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von einem Testament sprechen, da der Ausdruck öiadtjKt] (oder öiaOijKai) für die Gattung nicht konstitutiv ist; tatsächlich zählen nur wenige der Schriften dieses Titels zur Gattung. Neuerdings wurde der (zu) breit gefaßte Terminus „Abschiedsrede" eingeengt auf „Vermächtnisrede" (Winter). Gleichwohl ließen sich hinsichtlich der Form und des Inhalts eine Reihe von Unterscheidungsmerkmalen definieren (Winter; vgl. Collins): Es liegt eine Rede vor, die angesichts seines bevorstehenden Todes ein Vater an seine Nachkommen oder ein Lehrer oder sonst ein Anführer an seine Schüler, sein Volk und/oder seinen Nachfolger richtet. Die Situation wird in der 3. Person geschildert; derjenige, der die Rede hält, „ r u f t " und „gebietet" denen, die er belehren möchte, und mit einer „Redeeinleitungsformel" werden dann die Zuhörer direkt angesprochen. Der Inhalt der Rede ist variabel, oft aber bezieht sich der Sprecher auf vergangenes Geschehen (etwa Gottes Handeln an Israel und die Reaktionen des Volkes oder bedeutsame Ereignisse aus dem Leben des Sprechers). Eine herausragende Stellung nimmt gewöhnlich die Paränese ein; sehr häufig ermahnt der Sprecher seine Zuhörer, Gottes Geboten zu gehorchen und ein tugendhaftes Leben zu führen. Zuletzt sagt er voraus, was in der Zukunft geschehen wird; gelegentlich fügt er noch spezielle Anweisungen an, etwa für sein Begräbnis. Nach einer „Redeabschlußformel" werden sein Tod und Begräbnis (und/oder die Aufnahme [der Seele] in den Himmel) mitgeteilt und die Trauer der Angeredeten erwähnt. Es empfiehlt sich, die Zahl der Unterscheidungsmerkmale auf ein Minimum zu beschränken. Doch auch so ist in den Texten eine große Vielfalt festzustellen, die als eigentümlich für die Gattung angesehen werden kann, sowohl was die Form als auch was den Inhalt angeht. Erst recht gilt dies für Passagen in anderen Texten, die sich als „Vermächtnisrede" einordnen lassen. In allen Fällen wird von den Lesern erwartet, den (pseudepigraphischen) autoritativen Worten einer wichtigen Persönlichkeit der Vergangenheit Gehör zu schenken, die warnen, belehren und ermutigen will. Ursprünglich war dieser Inhalt vom Verfasser (oder den Verfassern) der Schrift auf eine bestimmte Situation gemünzt, aber oft wurde er auch als bedeutsam für andere, spätere Situationen verstanden, beispielsweise von den frühen Christen, die diese Schriften überlieferten und teilweise interpolierten, redigierten oder sogar umschrieben. Die Bücher und Textpartien, um die es hier geht, sind von alttestamentlichen Texten beeinflußt, in denen eine Autoritätsperson ihre Nachkommen oder ihren Nachfolger segnet und/oder zum Gehorsam gegen die im Gesetz niedergelegten Gebote Gottes ermahnt. Erwähnt seien Gen 2 7 , 1 - 4 0 ; 48; 49,1—50,14.(22—26); das Buch Deuteronomium (bes. 1,1 - 4 , 4 0 ; 31 - 3 4 ) ; J o s 23 f.; I Sam 12; I Reg 2,1 - 1 0 ; I Chr 28 f. Besonders das deuteronomistische Geschichtsbild kommt hier zum Tragen, das Vergangenheit^ Gegenwart und Zukunft mittels des Schemas Sünde - Strafe - Umkehr — Heil miteinander verbindet. Auszunehmen von den mit „Testament" bezeichneten Schriften ist das Testament Abrahams, eine Schilderung der Ereignisse vor Abrahams Tod, unter denen sich eine Himmelsreise des Erzvaters heraushebt. Eine Abschiedsrede umfaßt sie nicht. Die Testamente Isaaks und Jakobs, die nicht auf griechisch erhalten sind, weisen einige Züge der Gattung Testament auf, sind aber in ihrer vorliegenden Form eindeutig christlich und dienen dem Gedenken dieser Erzväter (gemeinsam mit Abraham) an einem bestimmten Tag des koptischen Kalenders (zum Abraham-, Isaak- und Jakobtestament vgl. -»Pseudepigraphen des Alten Testaments 2.5.). Das Testament Salomos handelt von den magischen Fähigkeiten Salomos und gibt dessen Lehren über Dämonen und die ihnen als Gegenspieler zugeordneten Engel wieder. Nur an zwei Stellen (15,14 und 26,8) erscheint das Wort SiaOfiKrf. Daß sich dieses Werk als „Testament" präsentiert, beruht deutlich auf einer späteren (christlichen) Weiterbildung, was übrigens von der Beliebtheit dieses Ausdrucks in späterer Zeit zeugt. In diesem Zusammenhang verdient weiterhin Erwähnung, daß die in hymnische Form gefaßten Belehrungen des Orpheus an seinen Schüler Musaeus, die sich in einigen christlichen Schriften finden, bei Pseudo-Justin, monarch. 2 (vgl. —»Theophilus von Antiochien, Autol. 111,2), öiadijKai heißen und daß Georgius Cedrenus (11. Jh.) Ascjes 4,12 als Zitat aus einem Testament Hiskias anführt. Im Testament Adams (-»Pseudepigraphen des Alten Testaments 2.4.), einer in vorliegender Fassung gleichfalls christlichen Schrift, ist der zweite der drei Hauptteile eine Prophetie in Gestalt eines Testamentes Adams an Set (vgl. Schatzhöhle, Kap. 6).

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Testamentenliteratur

So bleiben die Testamente der XII Patriarchen und das Testament Hiobs. Die erstgenannte Schrift stellt eine in vieler Hinsicht beispielhafte Reihe von zwölf Testamenten vor. Zu bemerken ist allerdings, daß in vier der zwölf Reden weder öiad^Ktj noch das entsprechende griechische Verbum erscheinen, daß es in den Rahmenpartien häufig zu Auslassungen und Erweiterungen kommt und daß die Elemente „Rückschluß auf die Vergangenheit" (der sich stets auf das Leben des betreffenden Patriarchen oder das Josephs bezieht), Paränese und „Zukunftsansage" nicht überall in gleicher Weise akzentuiert sind. Die durch biographische Details illustrierten ethischen Stücke bilden das Zentrum des Buches (-»Testamente der XII Patriarchen). Das Hiobtestament ist eine „Vermächtnisrede" mit einer typischen Einleitung in Kap. 1 und dem Abschluß in Kap. 45. TestHiob 52f. schildert -»Hiobs Begräbnis, nachdem seine Seele in den Himmel aufgenommen worden ist. Der Hauptteil des Buchs enthält die Geschichte von Hiobs Kampf mit Satan und seine Streitgespräche mit seinen Freunden. Obwohl alle Episoden Hiobs beispielhafte Geduld aufzeigen wollen, begegnen ausdrückliche Ermahnungen nur in 27,7 und 4 5 , 1 - 3 . In 4 5 , 4 - 5 1 , 4 findet sich ein bemerkenswerter Bericht über die Aufteilung der Hinterlassenschaft Hiobs: Seinen Grundbesitz verteilt er unter seine sieben Söhne, seinen drei Töchtern jedoch gewährt er Anteil an seinen geistigen Gaben, die zu ewigem Leben im Himmel führen. Die Assumptio Mosis stellt einen Sonderfall dar. Von dem uns erhaltenen lateinischen Text fehlen Anfang und Schluß. Doch der griechische Wortlaut von 1,12.14 wird bei Gelasius von Cyzicus (h.e. 11,17,17) als Zitat aus einer Schrift besagten Titels angeführt, und zu einer Identifikation dieser Schrift mit dem in einigen Kanonverzeichnissen neben der Assumptio Mosis erwähnten Testament Moses besteht kein Anlaß (anders —•Pseudepigraphen des Alten Testaments 2.6.). Dennoch trägt der vorliegende Text deutliche Züge eines Testaments: Vor seinem Tod wendet sich -»Mose an —»Josua und bescheidet ihm, er solle alles, was ihm befohlen wurde, tun und die Niederschrift der Rede Moses bis zum Ende der Zeiten aufbewahren (Kap. 1; 10,11). Josua wird zu Moses Nachfolger ernannt (Kap. 11); von Gott wird er Kraft zur Erfüllung seines Auftrags empfangen (Kap. 12). Das Kernstück der Rede ist eine Prophezeiung über Israels Schicksal nach Moses Weggang bis zu Gottes Eingreifen am Ende. Zum großen Teil ist dies ein vaticinium ex eventu, dem das deuteronomistische Geschichtsverständnis unterliegt. Die paränetische Ausrichtung ist offenkundig, doch ausdrückliche Ermahnungen sind selten. An „Vermächtnisreden" innerhalb anderer Schriften seien erwähnt die Tobits in Tob 14 (vgl. Tob 4), die des Mattathias in I Makk 2 , 4 9 - 7 0 , die -»Abrahams in Jub 22,1-23,8, die -»Isaaks in Jub 36,1 — 18 und die Evas in der griechischen (und armenischen, georgischen und slavischen) VitAd 1 5 - 3 0 (vgl. 5—8). Reden finden sich auch im Líber Antiquitatum, besonders die Reden Moses (Kap. 19), Josuas (Kap. 23f.) und Deboras (Kap. 33). Das Slavische Henochbuch (vgl. TRE 15,47-50) präsentiert sich als Abschiedsrede Henochs (s. bes. Kap. 3 6 - 6 7 ) . Weitere Beispiele ließen sich anführen, vor allem wenn man auch solche Reden berücksichtigt, die den genannten nach Struktur und Inhalt ähnlich sind, aber nicht im Blick auf einen bevorstehenden Tod gehalten werden. Unter den Textfunden von -»Qumran schließlich spiegelt sich in den Fragmenten eines aramäischen Levi-Textes (nebst ihrem griechischen Gegenstück) und den Abschiedsworten Qahats und Amrams (—»Testamente der XII Patriarchen) die Vorstellung, daß priesterliche Weisungen von Generation zu Generation weitertradiert wurden. Ar. Levi V. 8 2 - 8 4 . 8 8 - 9 9 ; 4Q542, Kol. 11,9-12; 4Q543, Frgm. 1 (vgl. 4Q545, Frgm. 1, Kol. I) bieten eine Sukzession von -»Levi bis -»Aaron. In Ar. Levi V. 12f. begegnet uns Isaak, wie er Levi instruiert; in Ar. Levi V. 22.50 weist derselbe Erzvater auf das Beispiel und die Lehre Abrahams hin (vgl. Jub 21,10); in V. 57 nennt er das Noahbuch als Abrahams Quelle. Vergleichbar ist Jub 45,16, wo es heißt, daß Jakob alle seine Bücher und die Bücher seiner Väter Levi übergeben habe. Jub 7,38 f. erwähnt die Sukzession von Henoch auf Noah (vgl. auch äthHen 81,5-82,3) und 10,14.17 die von Noah auf Sem.

Teufel I

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In keinem dieser Fragmente aus Qumran (auch nicht in solchen, die mit anderen Jakobssöhnen verknüpft sind) ist das Wort „Testament" erhalten. Der Anfang existiert nur von 4QAmram; das Buch wird als „Abschrift des Buches der Worte der Visionen Amrams" eingeleitet. Qahat spricht mehrere Male von dem seinen Söhnen hinterlassenen Erbe (4Q542 Frgm. 1, Kol. 1,4.5.12), und von hier läßt sich eine Verbindung herstellen zu dem Gebrauch von ömOr\Kr\ in der Bedeutung „geistiges Vermächtnis" in der Testamentenliteratur - einer Bedeutung, die sich auch bei einigen griechischen Schriftstellern findet (s. Küchler 415-419). Eine pagane griechische Schrift mit diesem Titel existiert jedoch nicht. Literatur John J . Collins, Testaments: Michael E. Stone (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period, 1984 (CRI II/2) 3 2 5 - 3 5 5 . - Enric Cortés, Los Discursos de Adiós de Gn 49 a Jn 1 3 - 1 7 . Pistas para la historia de un género literario en la antigua literatura judía, 1976 (CSPac 23). Anders Hultgárd, L'eschatologie des Testaments des Douze Patriarches, II 1982 (AUU = HR[U] 7) 5 3 - 9 1 . - Anitra B. Kolenkow, The Genre Testament and the Forecasts of the Future in the Hell. Jewish Milieu: J S J 6 (1975) 5 7 - 7 1 . - M a x Küchler, Frühjiid. Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüd. Jahweglaubens, 1979 (OBO 26), bes. 4 1 5 - 4 3 0 . Eckhard v. Nordheim, Die Lehre der Alten. I. Das Testament als Literaturgattung im Judentum der Hell.-Rom. Zeit, 1980; II. Das Testament als Literaturgattung im A T u. im Alten Vorderen Orient, 1985 (ALGHJ 13.18). - Martin Winter, Das Vermächtnis Jesu u. die Abschiedsworte der Väter. Gattungsgesch. Unters, der Vermächtnisrede im Blick auf Joh. 1 3 - 1 7 , 1994 (FRLANT 161) 9-213.

Marinus de Jonge

Teufel I. Religionsgeschichtlich II. Altes Testament III. Neues Testament IV. Antikes Judentum V. Kirchengeschichtlich VI. Systematisch-theologisch VII. Praktisch-theologisch VIII. Ikonographisch

S. 115 S. 117 S. 121 S. 124 S. 134 S. 137 S. 141

I. Religionsgeschichtlich (Literatur S. 115)

Der Begriff Teufel (kirchenlateinisch diabolus von griechisch SiäßoXog — vom Verb SiaßäkXsiv „hindurchwerfen, verfeinden, schmähen, verleumden"; in der Septuaginta zur Wiedergabe von hebräisch sätätt „der Widersacher", neben griechisch aaxavät;) ist aus dem neutestamentlichen Sprachgebrauch in die christliche Tradition eingegangen. Anders als noch im Alten Testament wird der Teufel - und damit gleichbedeutend Satan (Apk 12,9) — hier eindeutig böse und als der Widersacher Gottes verstanden. Er ist Anführer der -»Dämonen (Mt 9,35), die als gefallene —»Engel ebenfalls ausschließlich der Sphäre des -»Bösen zugeordnet sind (Apk 12,4; 12,7ff.; Eph 2,lf.). In der Folge ist eine Vermischung der Vorstellung von Teufel und Dämonen im Volksglauben wie in der Wissenschaft (Biedermann; Di Nola u. a.) zu beobachten. Der Versuch von A. Sharma (319), für religionswissenschaftliche Theoriesprache unter Dämonen allgemeine Geistwesen und unter Teufel böse -»Geister zu verstehen, läuft dem landläufigen wie auch bisher vorherrschenden religionswissenschaftlichen Verständnis (vgl. Ahn 13—22) zu sehr entgegen, als daß er sich hätte durchsetzen können. P. Habermehl möchte möglichst überhaupt nicht von Dämonen sprechen. In der Mehrheit der einschlägigen Literatur

Teufel I

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In keinem dieser Fragmente aus Qumran (auch nicht in solchen, die mit anderen Jakobssöhnen verknüpft sind) ist das Wort „Testament" erhalten. Der Anfang existiert nur von 4QAmram; das Buch wird als „Abschrift des Buches der Worte der Visionen Amrams" eingeleitet. Qahat spricht mehrere Male von dem seinen Söhnen hinterlassenen Erbe (4Q542 Frgm. 1, Kol. 1,4.5.12), und von hier läßt sich eine Verbindung herstellen zu dem Gebrauch von ömOr\Kr\ in der Bedeutung „geistiges Vermächtnis" in der Testamentenliteratur - einer Bedeutung, die sich auch bei einigen griechischen Schriftstellern findet (s. Küchler 415-419). Eine pagane griechische Schrift mit diesem Titel existiert jedoch nicht. Literatur John J . Collins, Testaments: Michael E. Stone (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period, 1984 (CRI II/2) 3 2 5 - 3 5 5 . - Enric Cortés, Los Discursos de Adiós de Gn 49 a Jn 1 3 - 1 7 . Pistas para la historia de un género literario en la antigua literatura judía, 1976 (CSPac 23). Anders Hultgárd, L'eschatologie des Testaments des Douze Patriarches, II 1982 (AUU = HR[U] 7) 5 3 - 9 1 . - Anitra B. Kolenkow, The Genre Testament and the Forecasts of the Future in the Hell. Jewish Milieu: J S J 6 (1975) 5 7 - 7 1 . - M a x Küchler, Frühjiid. Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüd. Jahweglaubens, 1979 (OBO 26), bes. 4 1 5 - 4 3 0 . Eckhard v. Nordheim, Die Lehre der Alten. I. Das Testament als Literaturgattung im Judentum der Hell.-Rom. Zeit, 1980; II. Das Testament als Literaturgattung im A T u. im Alten Vorderen Orient, 1985 (ALGHJ 13.18). - Martin Winter, Das Vermächtnis Jesu u. die Abschiedsworte der Väter. Gattungsgesch. Unters, der Vermächtnisrede im Blick auf Joh. 1 3 - 1 7 , 1994 (FRLANT 161) 9-213.

Marinus de Jonge

Teufel I. Religionsgeschichtlich II. Altes Testament III. Neues Testament IV. Antikes Judentum V. Kirchengeschichtlich VI. Systematisch-theologisch VII. Praktisch-theologisch VIII. Ikonographisch

S. 115 S. 117 S. 121 S. 124 S. 134 S. 137 S. 141

I. Religionsgeschichtlich (Literatur S. 115)

Der Begriff Teufel (kirchenlateinisch diabolus von griechisch SiäßoXog — vom Verb SiaßäkXsiv „hindurchwerfen, verfeinden, schmähen, verleumden"; in der Septuaginta zur Wiedergabe von hebräisch sätätt „der Widersacher", neben griechisch aaxavät;) ist aus dem neutestamentlichen Sprachgebrauch in die christliche Tradition eingegangen. Anders als noch im Alten Testament wird der Teufel - und damit gleichbedeutend Satan (Apk 12,9) — hier eindeutig böse und als der Widersacher Gottes verstanden. Er ist Anführer der -»Dämonen (Mt 9,35), die als gefallene —»Engel ebenfalls ausschließlich der Sphäre des -»Bösen zugeordnet sind (Apk 12,4; 12,7ff.; Eph 2,lf.). In der Folge ist eine Vermischung der Vorstellung von Teufel und Dämonen im Volksglauben wie in der Wissenschaft (Biedermann; Di Nola u. a.) zu beobachten. Der Versuch von A. Sharma (319), für religionswissenschaftliche Theoriesprache unter Dämonen allgemeine Geistwesen und unter Teufel böse -»Geister zu verstehen, läuft dem landläufigen wie auch bisher vorherrschenden religionswissenschaftlichen Verständnis (vgl. Ahn 13—22) zu sehr entgegen, als daß er sich hätte durchsetzen können. P. Habermehl möchte möglichst überhaupt nicht von Dämonen sprechen. In der Mehrheit der einschlägigen Literatur

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Teufel I

werden als Dämonen (griechisch öaipcov „Geist, Gottheit" von öaiofiai „zerteilen, [das Schicksal] verteilen, zerreißen") immer noch „alle übermenschlichen, aber untergöttlichen Mächte, die den Menschen schädigen" (O. Böcher: T R E 8,270,36f.) und als Teufel die höchste personale Gegenmacht zu den Engeln und letztlich zu Gott bezeichnet, wobei der Teufel als Herr der Dämonen der eigentliche Repräsentant des Bösen ist. N u n ist aber - wie in anderen Fällen - diese christlich geprägte Terminologie nicht geeignet, einen Zugang zu Phänomenen der nichtchristlichen Religionsgeschichte zu eröffnen, und dies auch dann nicht, wenn Gut und Böse nicht nur als ethische Kategorien monotheistischer Religionen (wie Ahn 1 - 4 3 meint), sondern im Sinne von Heil und Unheil verstanden werden und damit ein allgemeingültigeres Klassifikationskriterium für die religionenumfassende Beschreibung von Teufeln und Dämonen als Unheilsmächte gegeben wäre. In vielen Religionen ist nämlich keine Trennung der übermenschlichen Wesen in gute und böse realisiert, es gibt keineswegs überall die Vorstellung eines -•Schöpfers, zu dem der Teufel als Geschöpf und als Widersacher in Beziehung stehen könnte, und Götter mit negativ besetzten Eigenschaften sowie andere gegen den Menschen agierende Wesen wie Trolle, ginn usw. lassen sich nicht in die Typologie Teufel - Dämonen einordnen. So gibt es in nichtchristlichen Religionen nur wenige Gestalten, die dem Teufel im Sinne der Christentumsgeschichte wenigstens teilweise vergleichbar erscheinen. Unter Kenntnis der alttestamentlichen -»Apokryphen Vita Adae et Evae sowie Schatzhöhle und des Neuen Testaments ist im -»Islam Iblls (von griechisch öidßokoq) nach Sure 2,24.32, 7 , 1 0 - 2 1 , 15,30-42 und 20,115-119 jener Engel, der Gottes Gebot, vor dem soeben geschaffenen Menschen niederzufallen, nicht gehorcht. Aus Feuer geschaffen, hält er sich für wertvoller als den aus Schlamm geformten Menschen. Wegen dieser Sünden des Stolzes und des Ungehorsams wird er vertrieben. Er beschließt, die Menschen mit Ausnahme der Diener Gottes zu verführen, wozu Gott ihm eine Frist bis zum Tag des Gerichts setzt. Seine erste Verführungstat führt zum Sündenfall von -»•Adam und Eva, von wo an er Saytän genannt wird. Nach dem Endgericht wird er mit seinen „Scharen" in die -»Hölle geworfen werden (Sure 15,43; 26,94f.). Sure 18,48 bezeichnet Iblls jedoch als ginn und nicht als Engel, was einer Diskussion über die Natur des Iblls Nahrung gab, zumal Engel als aus Licht gemacht gelten, ginn jedoch wie Iblls aus Feuer. Iblls bzw. Saytän verleitet die Menschen zum Unglauben und zum Ungehorsam gegenüber Gott, er verursacht Furcht, Feindschaft und Haß. In Legenden ist der im Qur'än häufig erwähnte Saytän nicht mehr identisch mit Iblls, sondern bezeichnet, wohl als Folge der auf Menschen oder ginn bezogenen gelegentlichen Pluralverwendung des Wortes im Qur'än, eine Klasse von bösen Geistern, die Nachkommen von Iblls sind, -»Magie lehren und zum Unglauben führen. Sympathien für Iblls wurden von vielen Süfis geäußert, da als Grund für die Weigerung, vor Adam niederzufallen, angenommen wurde, daß Iblls den Befehl Gottes für eine Probe hielt, um seine Treue zum Monotheismus zu testen. So kann Iblls als heldenhafter Vorkämpfer des M o n o theismus umgedeutet werden (Einfluß auf Yezidi?). Ähnlich dem Islam basieren auch andere religiöse Gemeinschaften auf der christlichen Deutung des Teufels, wandeln diese aber nach ihren Bedürfnissen ab. Beispiele dafür sind die -»Bogomilen, -»Katharer, die -»Zeugen Jehovas oder die Siebenten-Tags—»Adventisten. Die einzige indische Religion, die einen höchsten und individuelle Züge tragenden Herrn von bösen Geistwesen kennt, ist der -»Buddhismus. M ä r a (wörtlich „der, der den Tod verursacht", von Sanskrit mrtyu „Tod") repräsentiert die Leidenschaften und alles, was auf dem Weg zur Erleuchtung hinderlich ist, kurz den Lebensdurst, der das Unheil individueller Existenzbildung in die Z u k u n f t fortschreibt. Zu diesem Zweck k a n n er sich auf zahllose Dämonen stützen. M ä r a beschimpft, ärgert, schikaniert, verwirrt, verführt zu sinnlichen Wünschen, behindert, ergreift Besitz von Menschen und hält sie in Knechtschaft, er tötet und zerstört. Als oberster Dämon einerseits und Symbol des Gebundenseins an den Kreislauf der Wiedergeburten andererseits verbinden sich in seiner

T e u f e l II

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G e s t a l t v o l k s r e l i g i ö s e Z ü g e m i t b u d d h i s t i s c h e r M e t a p h y s i k . M a r a als V e r s u c h e r ist w e d e r w i e i m c h r i s t l i c h - i s l a m i s c h e n E n t w u r f g e f a l l e n e s G e s c h ö p f , n o c h spielt d a s T h e o d i z e e p r o b l e m (-»Theodizee) eine Rolle. Dualistische ( - » D u a l i s m u s ) Religionen k e n n e n konzeptionsbedingt einen bösen Geg e n s p i e l e r d e r g u t e n G o t t h e i t , d e r m i t d i e s e r a u s k o s m o g o n i s c h e r P e r s p e k t i v e auf e i n e r Ebene steht. I m Z o r o a s t r i s m u s (-»Iranische Religionen) heißt der Böse Angra M a i n y u , bei d e n S o g d i e r n S i m n u . D i e M e n s c h e n m ü s s e n sich f ü r i h n o d e r f ü r d e n g u t e n G o t t A h u r a M a z d a e n t s c h e i d e n . Z u A n g r a M a i n y u g e h ö r e n d i e m e n s c h e n f e i n d l i c h e n daëva. W ä h r e n d sich im Z o r o a s t r i s m u s G u t u n d B ö s e g l e i c h e r m a ß e n in d e n B e r e i c h e n v o n G e i s t u n d M a t e r i e g e g e n ü b e r s t e h e n , w i r d d a s b ö s e P r i n z i p im D u a l i s m u s des - » M a n i chäismus - ähnlich gnostischen (-»Gnosis/Gnostizismus) E n t w ü r f e n - mit der materiellen Welt u n d d e r F i n s t e r n i s i d e n t i f i z i e r t . E s ist w i e i m Z o r o a s t r i s m u s d e m g u t e n P r i n z i p , d e r Licht- u n d G e i s t w e l t , n i c h t g l e i c h w e r t i g , d a d a s b ö s e P r i n z i p m i t s e i n e n d ä m o n i s c h e n A r c h o n t e n a m E n d e d e r Z e i t e n f ü r i m m e r besiegt u n d e n t m a c h t e t w e r d e n w i r d . I m P a r s i s m u s (—»Iranische R e l i g i o n e n ) ist d e r b ö s e A h r i m a n d e m g u t e n O h r m a z d b e r e i t s von vorneherein untergeordnet. Literatur Gregor Ahn, Grenzgängerkonzepte in der Religionsgesch. Von Engeln, Dämonen, Götterboten u. anderen Mittlerwesen: ders./Manfried Dietrich (s.u.) 1 - 4 8 . - Ders./Manfried Dietrich (Hg.), Engel u. Dämonen. Theol., anthropologische u. religionsgesch. Aspekte des Guten u. Bösen. Akten des gemeinsamen Symposiums der Theol. Fak. der Univ. Tartu u. der Dt. Religionsgesch. Studiengesellschaft am 7. u. 8. April 1995 zu Tartu, Münster 1997 (FARG 29). - Hans Biedermann, Dämonen, Geister, dunkle Götter. Lexikon der furchterregenden mythischen Gestalten, Graz 1989. - James W. Boyd, Satan and Mara. Christian and Buddhist Symbols of Evil, 1975 (SHR 27). William Cenkner (Hg.), Evil and the Response of World Religion, St. Paul, Minn. 1997. - Alfonso Maria Di Nola, Il diavolo, Rom 1980; dt.: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Gesch., München 1990. - André Guillou, Le diable byzantin: 170A YIIAEYPOZ NOYZ. Miscellanea f. Peter Schreiner zu seinem 60. Geburtstag. Mit einem Geleitwort v. Herbert Hunger, hg. v. Cordula Scholz/Georgios Makris, München/Leipzig 2000 (ByA 19) 4 5 - 5 5 . - Daniel Gimaret, Art. Shaytan 2.: EI 9 (1997) 408f. - Peter Habermehl, Art. Dämon: H R W G 2 (1990) 203 - 2 0 7 . - Manfred Hutter, Der gute Gott - der böse Gott. Dualistische Grundmuster des Zoroastrismus, ihre Problematik u. ihr Weiterwirken: Religionen unterwegs 6/4 (2000) 18 - 24. - Wassilios Klein, Die Funktion v. Teufel u. Dämonen in monistischen, dualistischen u. polytheistischen Religionen: Hallesche Beitr. zur Orientwiss. 27 (1999) 1-32. - J. Bruce Long, Art. Demons. An Overview: EncRel(E) 4 (1987) 282-288. - Manuela Martinek, Wie die Schlange zum Teufel wurde. Die Symbolik in der Paradiesgesch. v. der hebräischen Bibel bis zum Koran, 1996 (StOR 37). - Gerald Messadié, Histoire générale du diable, Paris 1993; dt.: Teufel, Satan, Luzifer. Universaigesch, des Bösen, Frankfurt a.M. 1995. Tom Morgan, The Devil. A Visual Guide to the Demoniç, Evil, Sct|rri|ous arid Bad, San Francisco 1996. - Thomas M . Probatakis, O SiaßoXoQ eîç xrjv ßv(avzivrjv zsxvrjv. Evßßolrj eiç xtjv cpeovav rifç òpOoòò&o (aypatjiiKrjç Kai yXojiriKfjç, Thessaloniki 1980. - Alois Schmücker, Gestalt u. Wirken des Teufels in der russ. Lit. v. ihren Anfängen bis ins 17. Jh., Diss. H a m b u r g 1964. - Khalil Shaikh, Der Teufel in der modernen arab. Lit. Die Rezeption eines europ. Motivs in der arab. Belletristik, Dramatik u. Poesie des 19. u. 20. Jh., Berlin 1986 (IKU 118). - Arvind Sharma, Art. Devils: EncRel(E) 4 (1987) 319-321. - Spyros N. Troianos, Der Teufel im orth. Kirchenrecht: ByZ 90 (1997) 9 7 - 1 1 1 . H a r t m u t Trunte, Die zehnte engl. Ordnung. Heterodoxe Angelologien in der älteren slavischen Lit.: Slavistische Stud. Z u m X. Int. Slavistenkongress in Sofia 1988, hg. v. Reinhold Olesch/Hans Rothe, Köln 1988, 593-608. - Arent Jan Wensinck/Louis Gardet, Art. ¡bits: EI 3 (1986) 668f. W a s s i l i o s Klein

II. A l t e s T e s t a m e n t (Literatur S. 117) l. D e r T e u f e l (griechisch SiaßoXog) spielt i m A l t e n T e s t a m e n t k e i n e z e n t r a l e R o l l e . D e r w e s e n t l i c h e G r u n d d a f ü r ist d a s a l t t e s t a m e n t l i c h e G o t t e s b i l d . D e r S c h ö p f e r g o t t J a h w e w i r d n i c h t n u r als d e r e i n z i g e G o t t , s o n d e r n a u c h als die e i n z i g e M a c h t v e r s t a n d e n . G o t t m a c h t d a s L i c h t u n d s c h a f f t die F i n s t e r n i s , G o t t g i b t F r i e d e n u n d s c h a f f t U n h e i l

T e u f e l II

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G e s t a l t v o l k s r e l i g i ö s e Z ü g e m i t b u d d h i s t i s c h e r M e t a p h y s i k . M a r a als V e r s u c h e r ist w e d e r w i e i m c h r i s t l i c h - i s l a m i s c h e n E n t w u r f g e f a l l e n e s G e s c h ö p f , n o c h spielt d a s T h e o d i z e e p r o b l e m (-»Theodizee) eine Rolle. Dualistische ( - » D u a l i s m u s ) Religionen k e n n e n konzeptionsbedingt einen bösen Geg e n s p i e l e r d e r g u t e n G o t t h e i t , d e r m i t d i e s e r a u s k o s m o g o n i s c h e r P e r s p e k t i v e auf e i n e r Ebene steht. I m Z o r o a s t r i s m u s (-»Iranische Religionen) heißt der Böse Angra M a i n y u , bei d e n S o g d i e r n S i m n u . D i e M e n s c h e n m ü s s e n sich f ü r i h n o d e r f ü r d e n g u t e n G o t t A h u r a M a z d a e n t s c h e i d e n . Z u A n g r a M a i n y u g e h ö r e n d i e m e n s c h e n f e i n d l i c h e n daëva. W ä h r e n d sich im Z o r o a s t r i s m u s G u t u n d B ö s e g l e i c h e r m a ß e n in d e n B e r e i c h e n v o n G e i s t u n d M a t e r i e g e g e n ü b e r s t e h e n , w i r d d a s b ö s e P r i n z i p im D u a l i s m u s des - » M a n i chäismus - ähnlich gnostischen (-»Gnosis/Gnostizismus) E n t w ü r f e n - mit der materiellen Welt u n d d e r F i n s t e r n i s i d e n t i f i z i e r t . E s ist w i e i m Z o r o a s t r i s m u s d e m g u t e n P r i n z i p , d e r Licht- u n d G e i s t w e l t , n i c h t g l e i c h w e r t i g , d a d a s b ö s e P r i n z i p m i t s e i n e n d ä m o n i s c h e n A r c h o n t e n a m E n d e d e r Z e i t e n f ü r i m m e r besiegt u n d e n t m a c h t e t w e r d e n w i r d . I m P a r s i s m u s (—»Iranische R e l i g i o n e n ) ist d e r b ö s e A h r i m a n d e m g u t e n O h r m a z d b e r e i t s von vorneherein untergeordnet. Literatur Gregor Ahn, Grenzgängerkonzepte in der Religionsgesch. Von Engeln, Dämonen, Götterboten u. anderen Mittlerwesen: ders./Manfried Dietrich (s.u.) 1 - 4 8 . - Ders./Manfried Dietrich (Hg.), Engel u. Dämonen. Theol., anthropologische u. religionsgesch. Aspekte des Guten u. Bösen. Akten des gemeinsamen Symposiums der Theol. Fak. der Univ. Tartu u. der Dt. Religionsgesch. Studiengesellschaft am 7. u. 8. April 1995 zu Tartu, Münster 1997 (FARG 29). - Hans Biedermann, Dämonen, Geister, dunkle Götter. Lexikon der furchterregenden mythischen Gestalten, Graz 1989. - James W. Boyd, Satan and Mara. Christian and Buddhist Symbols of Evil, 1975 (SHR 27). William Cenkner (Hg.), Evil and the Response of World Religion, St. Paul, Minn. 1997. - Alfonso Maria Di Nola, Il diavolo, Rom 1980; dt.: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Gesch., München 1990. - André Guillou, Le diable byzantin: 170A YIIAEYPOZ NOYZ. Miscellanea f. Peter Schreiner zu seinem 60. Geburtstag. Mit einem Geleitwort v. Herbert Hunger, hg. v. Cordula Scholz/Georgios Makris, München/Leipzig 2000 (ByA 19) 4 5 - 5 5 . - Daniel Gimaret, Art. Shaytan 2.: EI 9 (1997) 408f. - Peter Habermehl, Art. Dämon: H R W G 2 (1990) 203 - 2 0 7 . - Manfred Hutter, Der gute Gott - der böse Gott. Dualistische Grundmuster des Zoroastrismus, ihre Problematik u. ihr Weiterwirken: Religionen unterwegs 6/4 (2000) 18 - 24. - Wassilios Klein, Die Funktion v. Teufel u. Dämonen in monistischen, dualistischen u. polytheistischen Religionen: Hallesche Beitr. zur Orientwiss. 27 (1999) 1-32. - J. Bruce Long, Art. Demons. An Overview: EncRel(E) 4 (1987) 282-288. - Manuela Martinek, Wie die Schlange zum Teufel wurde. Die Symbolik in der Paradiesgesch. v. der hebräischen Bibel bis zum Koran, 1996 (StOR 37). - Gerald Messadié, Histoire générale du diable, Paris 1993; dt.: Teufel, Satan, Luzifer. Universaigesch, des Bösen, Frankfurt a.M. 1995. Tom Morgan, The Devil. A Visual Guide to the Demoniç, Evil, Sct|rri|ous arid Bad, San Francisco 1996. - Thomas M . Probatakis, O SiaßoXoQ eîç xrjv ßv(avzivrjv zsxvrjv. Evßßolrj eiç xtjv cpeovav rifç òpOoòò&o (aypatjiiKrjç Kai yXojiriKfjç, Thessaloniki 1980. - Alois Schmücker, Gestalt u. Wirken des Teufels in der russ. Lit. v. ihren Anfängen bis ins 17. Jh., Diss. H a m b u r g 1964. - Khalil Shaikh, Der Teufel in der modernen arab. Lit. Die Rezeption eines europ. Motivs in der arab. Belletristik, Dramatik u. Poesie des 19. u. 20. Jh., Berlin 1986 (IKU 118). - Arvind Sharma, Art. Devils: EncRel(E) 4 (1987) 319-321. - Spyros N. Troianos, Der Teufel im orth. Kirchenrecht: ByZ 90 (1997) 9 7 - 1 1 1 . H a r t m u t Trunte, Die zehnte engl. Ordnung. Heterodoxe Angelologien in der älteren slavischen Lit.: Slavistische Stud. Z u m X. Int. Slavistenkongress in Sofia 1988, hg. v. Reinhold Olesch/Hans Rothe, Köln 1988, 593-608. - Arent Jan Wensinck/Louis Gardet, Art. ¡bits: EI 3 (1986) 668f. W a s s i l i o s Klein

II. A l t e s T e s t a m e n t (Literatur S. 117) l. D e r T e u f e l (griechisch SiaßoXog) spielt i m A l t e n T e s t a m e n t k e i n e z e n t r a l e R o l l e . D e r w e s e n t l i c h e G r u n d d a f ü r ist d a s a l t t e s t a m e n t l i c h e G o t t e s b i l d . D e r S c h ö p f e r g o t t J a h w e w i r d n i c h t n u r als d e r e i n z i g e G o t t , s o n d e r n a u c h als die e i n z i g e M a c h t v e r s t a n d e n . G o t t m a c h t d a s L i c h t u n d s c h a f f t die F i n s t e r n i s , G o t t g i b t F r i e d e n u n d s c h a f f t U n h e i l

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Teufel II

(Jes 45,7). Diesem monistischen Gottesbild zum Trotz gibt es im Alten Testament auch Vorstellungen von bösen Geistern und -»Dämonen als Repräsentanten der unheimlichen Seite der Welt. Der Dämonenglaube war wohl besonders in der Völksfrömmigkeit lebendig, hat aber auch durch die partielle Integration des Dämonischen in die Gottesvorstellung das Gottesbild geprägt (z.B. Gen 32,23-33 [Jakobs Kampf am Jabbok]; Ex 4 , 2 4 - 2 6 [Gott versucht, Mose zu töten]). Nach P. Volz gehört der dämonische Jahwe zum wesentlichen Bestand des alttestamentlichen Gottesglaubens und ist nicht nur als „primitiver Unhold" der ältesten Zeit zu verstehen. Somit ist das Gottesbild imstande, negative Erfahrungen zu integrieren und Satan (hebräisch sätän „Widersacher, Gegner") nicht zum selbständigen Gegner Gottes werden zu lassen. Früher hat die Forschung (z. B. Duhm; Kaupel) Satan unter die Dämonen eingereiht. Neuere Untersuchungen heben dagegen die Verbindung mit der himmlischen Versammlung hervor (Brock-Utne; Torczyner; Lods; Day). Satan wird im Alten Testament an drei Stellen erwähnt: Hi l f . ; Sach 3 , 1 - 7 ; I Chr 21,1. In Hi l f . wird Satan als einer der b'ne hä'xlohim bezeichnet. Mehrere Forscher halten diese „Gottessöhne" für Funktionäre am himmlischen Hof. Wie andere altorientalische Könige läßt auch Gott seine Untertanen überwachen, und dazu braucht er Satan. In Hi l f . hat Satan deshalb die Aufgabe, die Loyalität der Menschen zu prüfen. Dadurch hilft er Gott. Auch in Sach 3 , 1 - 7 wird Satan als Beamter Gottes beschrieben. Satan, der zur rechten Seite Gottes (wie in Ps 109,6) steht, spielt die Rolle des Anklägers. Er soll den Hohenpriester Josua verklagen, offensichtlich weil Josua unrein ist, wird aber daran gehindert, seine Anklage vorzubringen. Die Frage ist natürlich, ob Satan hier als Widersacher Gottes handelt oder als Gottes Beamter die Gerechtigkeit repräsentiert und die Rolle hat klarzumachen, daß Gott in diesem Fall Gnade vor Recht ergehen läßt. Der letzte Text ist aufschlußreich, weil die Geschichte von David und der Volkszählung zweimal erzählt wird. Während es in II Sam 24,1 Gott ist, der David zur Volkszählung reizt, ist Satan in I Chr 21,1 dafür verantwortlich. Oft werden diese beiden Stellen so verstanden, daß Satan in I Chr 21 gegen Gottes Willen handelt und ganz selbständig auftritt. Als Grund dafür wird erwähnt, daß sätän hier (im Gegensatz zu Hi l f . und Sach 3) ohne bestimmten Artikel gebraucht wird und deshalb als Eigenname zu verstehen ist. Diese Argumentation ist jedoch nicht zwingend. Besser versteht man den Text so, daß die Theologie des Chronisten Gottes Verführung und anschließende Bestrafung des erwählten Königs nicht erlaubt. Deshalb überläßt er einem untergeordneten Beamten wie Satan die Aufgabe, um Gott aus der Sache herauszuhalten. Verschiedene Forscher haben die Rolle Satans unterschiedlich beurteilt. Sie ist besonders im Hiobbuch nicht ganz eindeutig. Die hier verwendete Bildsprache ist in der Forschung, wie bereits angedeutet, oft so verstanden worden, daß es sich um einen König und seine Beamten handelt. Im Hiobbuch wird aber von den „Gottessöhnen", unter denen sich auch Satan befindet, gesprochen. Daher ergibt sich die Möglichkeit, Satan als Bild für einen eifersüchtigen Bruder zu verstehen, der gegen die Vorliebe des „Vaters" für Hiob agiert (so Nielsen, Satan [1998]). Am wichtigsten ist jedoch zu unterstreichen, daß die verschiedenen Interpretationen zeigen, wie stark das Verständnis Satans vom Verständnis des Gottesbildes abhängig ist. 2. In der zwischentestamentlichen Literatur wird der Teufel Gott gegenüber als viel selbständiger beschrieben. Von einem Dualismus wie im Parsismus (-»Iranische Religionen) kann jedoch nicht die Rede sein. In Weish 2,24 heißt es: „Durch den Neid des Teufels aber kam der Tod in die Welt; es erfahren ihn aber die, welche jenem angehören". Im Buch Tobit ist der böse Geist Asmodäus auch mit dem Tod verbunden, denn er ist es, der die sieben Ehemänner Saras tötete (Tob 3,8). Zu den Vorstellungen, die für das Verständnis Satans in der zwischentestamentlichen Literatur wichtig sind, gehören auch diejenigen von -»Engeln und die Traditionen vom Fall der Engel. Während das Alte Testament nur beiläufig von der Ehe zwischen den Gottessöhnen und den Menschen-

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töchtern erzählt (Gen 6 , 1 - 4 ) , spielt diese Verbindung eine bedeutende Rolle in den außerkanonischen Schriften. Denn durch diese Vermischung kommt das -»Böse in die "Welt. So sind die bösen Geister (-»-Dämonen) Nachkommen der Wächter des Himmels und der Frauen (Jub 4,15; 5 , 1 - 5 ; 1 0 , 1 - 1 7 ; äthHen 15). Unter dem Namen Mastema wird der Teufel in J u b 1 7 , 1 5 - 1 8 dafür verantwortlich gemacht, daß Gott Abraham auf die Probe stellt. Im Äthiopischen Henochbuch (s. bes. äthHen 6 - 1 1 ) wird von verschiedenen ungehorsamen Engeln erzählt, z.B. Semjasa und Asasel (vgl. Lev 16), und Asasel wird in äthHen 9,6 als Lehrer von „aller Ungerechtigkeit" angeklagt. Von Satan und seinem Fall vom Himmel heißt es in VitAd 15, daß Satan sich weigerte, Adam, Gottes Ebenbild, anzubeten. Er drohte sogar, seinen Sitz über die Sterne zu setzen, um dem Höchsten gleich zu werden. Als Strafe dafür wurde er zur Erde geworfen, wo er seitdem die Menschen verfolgt (VitAd 1 4 - 1 6 ; vgl. slHen 29 und die Sedrach-Apokalypse). Der Name Belial/Beliar kommt in den Testamenten der X I I Patriarchen oft vor. In TestRub 2 ist es Beliar, der den Menschen „die sieben Geister des Irrtums" gegeben hat (vgl. Testjuda 20,1: Geist der Wahrheit und Geist des Irrtums; vgl. auch u. IV.). Literatur Albert Brock-Utne, Der Feind: Klio 28 (1935) 219-227. - Peggy Lynne Day, An Adversary in Heaven, sätän in the Hebrew Bible, Atlanta, Ga. 1988. - Hans Duhm, Die bösen Geister im AT, Tübingen 1904. - Werner Foerster, Art. aatavdcQ. A. Qumran u. die spätjüd. Satanologie: ThWNT 7 (1966) 152-156. - Herbert Haag, Teufelsglaube, Tübingen 1974. - Heinrich Kaupel, Die Dämonen des AT, Augsburg 1930. - Adolphe Lods, Les origines de la figure de Satan, ses fonctions à la cour celeste: Melanges Syriens offerts à René Dussaud, 1939 (BAH 30) 649 - 660. - Kirsten Nielsen, Art. sätän: ThWAT 7 (1993) 745-751. - Dies., Satan - Den Fortabte Sen?, Frederiksberg 1991 2 1996; engl.: Satan - the Prodigal Son? A Family Problem in the Bible, 1998 (BiSe 50). - Dies., If You loved Man, Why did You not kill the Devil?: In the Last Days. On Jewish and Christian Apocalyptic and its Period. FS Benedikt Otzen, hg. v. Knud Jeppesen/dies./Bent Rosendal, Aarhus 1994, 5 4 - 5 9 . - Bent Noack, Satanas u. Soteria, Kopenhagen 1948. - Elaine H. Pagels, The Origin of Satan, New York 1995; dt.: Satans Ursprung, Berlin 1996. - Gerhard v. Rad, Art. SiaßoXoc,. B. Die atl. Satansvorstellung: ThWNT 2 (1935) 7 1 - 7 4 . - Rosa R. Schärf, Die Gestalt des Satans im AT, Zürich 1948. - Harry Torczyner, Wie Satan in die Welt kam: Mitteilungsbl. der hebräischen Univ. Jerusalem, Jan. 1938, IV, 15-21. - Paul Volz, Das Dämonische in Jahwe, Tübingen 1924. Kirsten Nielsen

III. Neues Testament 1. Allgemein (Sprachliches) 2. Der Teufel und seine Dämonen 3. Die Wirksamkeit des Teufels 4. Abwehrmaßnahmen 5. Der Teufel in der Heilsgeschichte (Literatur S. 121) 1. Allgemein

(Sprachliches)

Wie die Texte des Alten Testaments und des antiken Judentums (s. II. u. IV.) kennt auch das Neue Testament eine höchste, personal vorgestellte M a c h t des -»Bösen. Analog zum Sprachgebrauch der Septuaginta kann dieser oberste Dämon ( - » D ä m o n e n IV) als öiäßokoQ (eigentlich „Verleumder"; aus lat. diabolus entstand das deutsche „Teufel") bezeichnet werden, womit die Septuaginta hebräisch sätän bzw. has-sätän (Widersacher) wiedergibt. Daneben benutzt das Neue Testament auch die Transkription des hebräischen sätän (aaravcEf, lat. satanas, deutsch „ S a t a n " ) , ohne daß ein Bedeutungsunterschied festzustellen wäre. Die Häufigkeit der diaßokoqund der ffaravöc-Belege im Neuen Testament ist ziemlich genau gleich groß. Das Substantiv öiäßoAog („Teufel") begegnet 34mal, nämlich zwölfmal in der johanneischen Literatur, sechsmal bei Matthäus, je fünfmal im Lukasevangelium und in den Deuteropaulinen, zweimal in der Apostelgeschichte und je einmal im Hebräer-, Jakobus-, 1. Petrus- und Judasbrief. Von den 36 aaTaväq-Belegen des Neuen Testaments ( „ S a t a n " ) finden sich 15 in den synoptischen Evangelien und von diesen allein zehn in den Perikopen M k l , 1 2 f . par.; 3,22—27 par.; 8 , 3 1 - 3 3 par. Weitere zehn

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töchtern erzählt (Gen 6 , 1 - 4 ) , spielt diese Verbindung eine bedeutende Rolle in den außerkanonischen Schriften. Denn durch diese Vermischung kommt das -»Böse in die "Welt. So sind die bösen Geister (-»-Dämonen) Nachkommen der Wächter des Himmels und der Frauen (Jub 4,15; 5 , 1 - 5 ; 1 0 , 1 - 1 7 ; äthHen 15). Unter dem Namen Mastema wird der Teufel in J u b 1 7 , 1 5 - 1 8 dafür verantwortlich gemacht, daß Gott Abraham auf die Probe stellt. Im Äthiopischen Henochbuch (s. bes. äthHen 6 - 1 1 ) wird von verschiedenen ungehorsamen Engeln erzählt, z.B. Semjasa und Asasel (vgl. Lev 16), und Asasel wird in äthHen 9,6 als Lehrer von „aller Ungerechtigkeit" angeklagt. Von Satan und seinem Fall vom Himmel heißt es in VitAd 15, daß Satan sich weigerte, Adam, Gottes Ebenbild, anzubeten. Er drohte sogar, seinen Sitz über die Sterne zu setzen, um dem Höchsten gleich zu werden. Als Strafe dafür wurde er zur Erde geworfen, wo er seitdem die Menschen verfolgt (VitAd 1 4 - 1 6 ; vgl. slHen 29 und die Sedrach-Apokalypse). Der Name Belial/Beliar kommt in den Testamenten der X I I Patriarchen oft vor. In TestRub 2 ist es Beliar, der den Menschen „die sieben Geister des Irrtums" gegeben hat (vgl. Testjuda 20,1: Geist der Wahrheit und Geist des Irrtums; vgl. auch u. IV.). Literatur Albert Brock-Utne, Der Feind: Klio 28 (1935) 219-227. - Peggy Lynne Day, An Adversary in Heaven, sätän in the Hebrew Bible, Atlanta, Ga. 1988. - Hans Duhm, Die bösen Geister im AT, Tübingen 1904. - Werner Foerster, Art. aatavdcQ. A. Qumran u. die spätjüd. Satanologie: ThWNT 7 (1966) 152-156. - Herbert Haag, Teufelsglaube, Tübingen 1974. - Heinrich Kaupel, Die Dämonen des AT, Augsburg 1930. - Adolphe Lods, Les origines de la figure de Satan, ses fonctions à la cour celeste: Melanges Syriens offerts à René Dussaud, 1939 (BAH 30) 649 - 660. - Kirsten Nielsen, Art. sätän: ThWAT 7 (1993) 745-751. - Dies., Satan - Den Fortabte Sen?, Frederiksberg 1991 2 1996; engl.: Satan - the Prodigal Son? A Family Problem in the Bible, 1998 (BiSe 50). - Dies., If You loved Man, Why did You not kill the Devil?: In the Last Days. On Jewish and Christian Apocalyptic and its Period. FS Benedikt Otzen, hg. v. Knud Jeppesen/dies./Bent Rosendal, Aarhus 1994, 5 4 - 5 9 . - Bent Noack, Satanas u. Soteria, Kopenhagen 1948. - Elaine H. Pagels, The Origin of Satan, New York 1995; dt.: Satans Ursprung, Berlin 1996. - Gerhard v. Rad, Art. SiaßoXoc,. B. Die atl. Satansvorstellung: ThWNT 2 (1935) 7 1 - 7 4 . - Rosa R. Schärf, Die Gestalt des Satans im AT, Zürich 1948. - Harry Torczyner, Wie Satan in die Welt kam: Mitteilungsbl. der hebräischen Univ. Jerusalem, Jan. 1938, IV, 15-21. - Paul Volz, Das Dämonische in Jahwe, Tübingen 1924. Kirsten Nielsen

III. Neues Testament 1. Allgemein (Sprachliches) 2. Der Teufel und seine Dämonen 3. Die Wirksamkeit des Teufels 4. Abwehrmaßnahmen 5. Der Teufel in der Heilsgeschichte (Literatur S. 121) 1. Allgemein

(Sprachliches)

Wie die Texte des Alten Testaments und des antiken Judentums (s. II. u. IV.) kennt auch das Neue Testament eine höchste, personal vorgestellte M a c h t des -»Bösen. Analog zum Sprachgebrauch der Septuaginta kann dieser oberste Dämon ( - » D ä m o n e n IV) als öiäßokoQ (eigentlich „Verleumder"; aus lat. diabolus entstand das deutsche „Teufel") bezeichnet werden, womit die Septuaginta hebräisch sätän bzw. has-sätän (Widersacher) wiedergibt. Daneben benutzt das Neue Testament auch die Transkription des hebräischen sätän (aaravcEf, lat. satanas, deutsch „ S a t a n " ) , ohne daß ein Bedeutungsunterschied festzustellen wäre. Die Häufigkeit der diaßokoqund der ffaravöc-Belege im Neuen Testament ist ziemlich genau gleich groß. Das Substantiv öiäßoAog („Teufel") begegnet 34mal, nämlich zwölfmal in der johanneischen Literatur, sechsmal bei Matthäus, je fünfmal im Lukasevangelium und in den Deuteropaulinen, zweimal in der Apostelgeschichte und je einmal im Hebräer-, Jakobus-, 1. Petrus- und Judasbrief. Von den 36 aaTaväq-Belegen des Neuen Testaments ( „ S a t a n " ) finden sich 15 in den synoptischen Evangelien und von diesen allein zehn in den Perikopen M k l , 1 2 f . par.; 3,22—27 par.; 8 , 3 1 - 3 3 par. Weitere zehn

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Belege bietet das Corpus Paulinum, acht die Johannesapokalypse, zwei die Apostelgeschichte und nur einen das Johannesevangelium, offenbar in einer geprägten Wendung (Joh 13,27; vgl. Lk 22,3). Ein Vergleich von M k 1,13 (Satan) mit den Parallelen M t 4,1; Lk 4,2 (Teufel) sowie von M k 4,15 (Satan) mit der Parallele Lk 8,12 (Teufel) lehrt eindeutig, daß zwischen Satan und Teufel kein Bedeutungsunterschied besteht. Offenbar haben M t 4,1; Lk 4,2; 8,12 für ihre Leser das hebräische „Satan" regelrecht mit „Teufel" übersetzt; auch der „Böse" von M t 13,19 ist eine Verdeutlichung der Vorlage M k 4,15 (Satan). Da die echten Paulusbriefe und das Markusevangelium ausschließlich „Satan" verwenden, das Johannesevangelium (mit der alleinigen Ausnahme Joh 13,27; vgl. aber Joh 13,2) und sämtliche Katholischen Briefe dagegen ebenso ausschließlich „Teufel", dokumentiert „Satan" offensichtlich die ältere, „Teufel" die jüngere Stufe des neutestamentlichen Sprachgebrauchs. Von sonstigen Bezeichnungen des Teufels wurde bereits der „Böse" (6 novrjpoq) genannt (außer M t 13,19 vgl. noch M t 6,13; Joh 17,15; Eph 6,11.16; I Joh 3,12; 5,18). Ausdrücklich setzen Apk 12,9; 20,2 Teufel und Satan mit dem apokalyptischen Drachen und der Schlange von Gen 3 , 1 - 1 5 gleich. Weitere Teufelsnamen sind „Verderber" bzw. „Vernichter" (I Kor 10,10; vgl. Hebr 11,28), „Engel des Abgrunds" (Apk 9,11; gleichgesetzt mit Abaddon [vgl. 4 Q 504] und Apollyon, s.u. 3.), „Fürst" bzw. „Herrscher" der Welt (Joh 14,30) bzw. dieser Welt (Joh 12,31; 16,11) oder auch „Fürst" (Herrscher) der Luftdämonen (Eph 2,2; vgl. 6,12). Zufolge II Kor 6,15 ist das altjüdische Beliar (varia lectio Belial, vgl. 1QS 2,4f.; CD 5,18; 12,2; 1 Q M 4,lf.; 13,2.4.11 u.ö.; TestLev 18,12; 19,1; Testjud 25,3; Testlss 6,1; 7,7; Testjos 7,4 u.ö.; Jub 1,20; 15,33; Vitae Prophetarum 17,2) gleichfalls ein Synonym für den Teufel. 2. Der Teufel und seine

Dämonen

Das Teufelsbild des Neuen Testaments hat teil am altjüdischen -»-Dualismus, der in nachexilischer Zeit gute und böse Mächte zu —»Engeln und —»Dämonen personalisiert und je einem gleichsam militärischen Oberbefehlshaber unterstellt hat. Der Teufel mit seinen „Engeln" wird zwar nicht direkt zum Gegenspieler Gottes, dessen Geschöpf und Untergebener er bleibt (vgl. II Kor 12,7f.; Jud 9; Apk 12,7f.), wohl aber zum Kontrahenten des Erzengels Michael (Jud 9; Apk 12,7-12; 20,1-3). Die Dämonen sind die „Engel" des Teufels (Mt 25,41; I Kor 11,10; II Kor 12,7; Apk 9,11; 12,7.9) und wie die Engel Gottes bzw. Michaels militärisch-hierarchisch organisiert („Legion": von Dämonen M k 5,9.15 par. Lk 8,30, von Engeln Mt 26,53). Der Teufel ist, wie Michael, ein „Fürst" oder Befehlshaber (vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11; Eph 2,2), der seine Truppen gegen die guten Engel in den Kampf führt (Apk 12,7-12; vgl. 1QS 3,18-25; 1QM 12,1-5; 13,10-16 u.ö.). Entsprechend dem polaren Dualismus des antiken Judentums (vgl. II Kor 6,14-16) gehören der Teufel und seine Dämonen auf die Seite der Finsternis (Lk 22,53; Act 26,18; II Kor 11,14; Eph 6,12; Kol 1,13; Apk 9,1 f.), während Gott, Christus und die Engel das Licht repräsentieren (Mk 16,5 par.; Act 1,10; 26,13; II Kor 11,14; weitere Belege T R E 21,98-104; besonders 21,101,43-102,21). Mit seinem „Sohn" und Spiegelbild (Apk 12,18; 13,1), dem römischen Kaiser als dem -»Antichrist (Apk 13,1-10; vgl. II Thess 2 , 3 - 1 2 ) , und dem „anderen Tier", vermutlich der kleinasiatischen Kaiserpriesterschaft (Apk 13,11-18), bildet der drachengestaltige Teufel (Apk 12,9.17f.) eine Antitrinität (vgl. Apk 16,13f.; 20,10): neben M t 28,19 einer der frühesten Belege für die sich herausbildende christliche Lehre von der —»Trinität. 3. Die Wirksamkeit

des

Teufels

Hinsichtlich der dem Teufel zugeschriebenen Absichten und Taten unterscheidet sich das Neue Testament so wenig vom Dämonismus seiner altjüdischen Umwelt, daß es nicht möglich ist, eine zeit- und sozialgeschichtliche Entwicklung der neutestamentlichen

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Satanologie zu rekonstruieren (gegen Pageis). Wo das antike Judentum die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten erkennt, fürchtet es teuflisch-dämonische Mächte: im Bereich von -»Krankheit und -»Tod, von Naturkatastrophen und Kriegen, überhaupt angesichts der „anderen" einschließlich der Frevler, Gotteslästerer und Irrlehrer. Diese Furcht teilt auch das Neue Testament in allen seinen Schichten, der historische Jesus nicht anders als Paulus und seine Schüler. Dabei bleibt der Satan durchaus, wie z. B. Hi 1,6; 2,1, Gottes Geschöpf und Funktionär (vgl. II Kor 12,7f.; Apk 12,10); der den -»Herodes tötende „Engel des Herrn" (Act 12,23) ist vielleicht der Teufel selbst, zumindest aber ein - im Auftrag Gottes strafender - Satansengel (vgl. I Kor 5,5). Durch die Krankheitsdämonen (vgl. Mk 9,17 par.; Act 5,16 u. ö.; —»Dämonen IV.2.4.) verursacht der Teufel die Krankheiten (Lk 13,16; II Kor 12,7). Vermutlich ist es ein Leiden, mit dem der Satan Paulus daran hindert, die Thessalonicher zu besuchen (IThess 2,18). Zufolge I Tim 1,20 „übergibt" Paulus dem Satan Hymenäus und Alexander zur Züchtigung, d.h. wohl zu einer läuternden Krankheit. Auch der mächtigste Dämon, der Tod (vgl. I Kor 15,26; Apk 6,8; vgl. syrBar 21,23), untersteht dem Teufel (Hebr 2,14); erst nach der Entmachtung des Teufels (Apk 20,10) werden auch Tod und Totenwelt überwunden und vernichtet (Apk 20,13f.). Den Blutschänder von Korinth übergibt Paulus „dem Satan zum Verderben seines Fleisches" (IKor 5,5). Der Teufel wird zum Todesengel von Ex 12,23; Num 14,2.36f., zum „Verderber" oder „Vernichter" (I Kor 10,10; Hebr 11,28; vgl. aber Jud 5). Auch die Verunstaltung von Apollon zu Apollyon ('AnokXvcov, Apk 9,11) spielt auf die vernichtende Macht des Teufels an; dagegen ist der „Sohn des Verderbens" (üiöq xfjq ancokeiax;, IIThess 2,3) offensichtlich der Antichrist (vgl. - von -»Judas — Joh 17,12). Wie die Schlange des Sündenfalls (Gen 3 , 1 - 1 5 ) und der Satan im Buche -»Hiob (Hi I,6—12; 2,1 — 10) ist der Teufel auch im Neuen Testament der Versucher (Mt 6,13 par. Lk II,4; Mk l,12f. par.; Lk 22,28; I Kor 7,5; I Thess 3,5; Hebr 2,18; 4,15; Apk 2,10; 3,10; -•Versuchung), Verführer (I Joh 2,26; 3,7f.; Apk 12,9; 20,3.8.10 u.ö.) und Fallensteller (I Tim 3,7; II Tim 2,26; vgl. CD 4,14-19). Durch Imitation der göttlichen Welt täuscht der Satan seine Opfer (II Kor 11,14; Apk 13,11.13-15; vgl. TestHiob 2,4; 23,1; VitAd 9f.); daher ist oft schwer zu erkennen, ob aus einem Menschen der —»Geist Gottes oder der Geist des Teufels spricht (I Kor 12,1-3; I Joh 4 , 1 - 3 ; vgl. Apk 2,2; Did 11,7). Insbesondere die Verführung zu Irrlehre (I Joh 2,26; 3,7f.; Apk 2,24) und Götzendienst (Apk 2,20; 13,14; 18,23; 19,20) ist das Werk des Teufels und seiner Helfershelfer; Satan verführt auch zum eschatologischen Krieg (Apk 20,8; vgl. Apk 16,14 sowie äthHen 56,5f.). Generell verführt der Teufel zum Ungehorsam gegen Gott und seine Ordnungen (II Kor 2,9—11; vgl; Mk 4,15 par.}; er steht hinter allen menschlichen Normverletzungen und Freveltaten, d.h. er wirkt die —»Sünde (vgl. I Joh 3,8; I Tim 5,15): den Unglauben (Lk 8,12; 22,31 f.; I Thess 3,5), den Abfall vom -»Glauben (Apk 2,10.13), Irrlehre und Götzendienst (s.o.), Unzucht (I Kor 7,5) und Lüge (Act 5,3). Als Mörder, Lügner und Sünder „von Anfang an" (Joh 8,44; I Joh 3,8) ist der Teufel schuld an der Ablehnung Jesu durch die Juden (Joh 8,44; „Synagoge des Satans": Apk 2,9; 3,9); er bewirkt Bruderhaß (I Joh 3,10) und Hochmut (I Tim 3,6). Der lügnerische Betrug des Ananias und der Saphira (Act 5,1-11) ist ebenso ein Werk des Satans (Act 5,3) wie der Verrat Jesu durch Judas (Lk 22,3; Joh 13,2.27); dabei herrscht die Vorstellung, der Teufel habe von der Person bzw. dem Herzen des Frevlers geradezu Besitz ergriffen (Lk 22,3; Joh 13,27; Act 5,3; vgl. Martjes 1,9; 5,1; TestDan 4,7; TestNaph 8,6; TestAss 1,8). Wer dem Teufel nachgibt, wird zum Kind des Teufels (Joh 8,44; Act 13,10; I Joh 3,8.10; vgl. Joh 17,12; II Thess 2,3), ja sogar selbst zu einem Teufel (Joh 6,70: Judas) oder Satan (Mt 16,23 par. Mk 8,33: -»Petrus). 4.

Abwehrmaßnahmen

Dem Teufel als dem Herrn der Krankheit und des Todes begegnen Jesus und die Apostel mit den magischen Mitteln der antiken Medizin (vgl. -»Dämonen IV.3.; -»Ex-

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orzismus 1.2.; -»Magie). Jesus selbst hat seinen Sieg über den Teufel eschatologisch gedeutet (Mt 12,28 par. Lk 11,20); für die Späteren belegten Jesu Heilungswunder und Exorzismen seine christologische Würde und ekklesiologische Bedeutung (s.u. 5.). Auch das dreimalige Gebet um Lebensrettung (Mt 26,36-46 par. Mk 14,32-42) und Genesung (als Abberufung des Satansengels, II Kor 12,7f.) beruht auf magischer Kausalität. Altjüdische Kathartik spiegelt sich u.a. in Jak 4,7f.: Reinigung der Hände und des Herzens schlägt den Teufel in die Flucht. Aus dem Ritus der Johannestaufe (Mk 1 , 2 - 1 1 par.), die bereits Jesus vor den Versuchungen des Satans schützte (Mk l,12f. par.), erwächst die christliche -»Taufe als ein apotropäisches Sakrament gegen den Teufel, seine Dämonen und deren Versuchungen (vgl. Rom 6 , 3 - 1 8 ; Kol 2,10-15; I Petr 3,18 - 22). Als Mittel gegen die vom Teufel gewirkte Sünde nennt das Neue Testament vor allem Nüchternheit, Wachsamkeit und -»Gebet (außer Mk 14,32-42 par. und II Kor 12,8 vgl. Eph 6,18; Kol 4,2; I Thess 5 , 4 - 6 ; I Petr 5,8f.). Dem gleichsam militärischen Kampf mit den Mächten des Teufels dient die „geistliche Waffenrüstung" (Rom 13,12; Eph 6,10-17; I Thess 5,8). 5. Der Teufel in der

Heilsgeschichte

Das Neue Testament setzt den Teufel gleich mit der Schlange des Sündenfalls (Apk 12,9; 20,2 nach Gen 3,1—15; vgl. II Kor 11,3; Apk 2,7). Die Dämonen werden auf den Engelsturz von Gen 6 , 1 - 4 zurückgeführt (vgl. Lk 10,18; Apk 12,7-12 sowie äthHen 6 - 1 1 ; 15,3-12; Jub 5 , 1 - 1 0 u.ö.). Zufolge Apk 12,10 hat der Teufel vor seinem Sturz die Frommen „bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagt" (vgl. Hi 1 , 9 - 1 1 ; 2,4f.), doch ist wohl zugleich an einen noch ausstehenden endgültigen Sturz des Teufels gedacht. In das Leben Jesu tritt der Teufel erstmals nach Jesu Taufe ein, wenn er — vergeblich - versucht, diesen in der Wüste zum Ungehorsam gegen Gott zu verführen (Mk 1,12f.; Mt 4 , 1 - 1 1 par. Lk 4,1-13). Dabei ist die Rolle des Teufels als des Versuchers und Verführers (s.o. 3.) diejenige der Schlange beim Sündenfall (Gen 3,1—6). Nicht anders als seine jüdischen Zeitgenossen hat Jesus die Krankheiten auf den Satan und seine Dämonen zurückgeführt (Mt 12,43-45 par. Lk 11,24-26; vgl. Lk 13,16). Dasselbe gilt von der Sünde; wer sich dem Anspruch Gottes verschließt, ist ein Diener des Satans (Mk 4,15), des Teufels (Mt 13,39; Lk 8,12) und des Bösen (Mt 13,19). Da die Herrschaft des Satans ein geschlossenes, gottfeindliches Reich bildet (Mk 3,23.26 par.), bekämpft Jesus mit seinen exorzistischen Wundern, die er eschatologisch deutet (Mt 12,28 par. Lk 11,20), nicht nur die Krankheit, sondern auch die Sünde. Er sieht darin die jüdische Hoffnung auf eine endzeitliche Entmachtung der Dämonen (vgl. 1QS 3,24f.; 4,20-22; 1QH 3,18; 1QM l,10f. u.ö.) erfüllt; schon deshalb muß er den Vorwurf zurückweisen, die Dämonen mit Hilfe des Oberdämons Beelzebul auszutreiben (Mt 12,27 par. Lk 11,19). Seine Anhänger lehrt Jesus, die Ankunft des Gottesreichs (-»Herrschaft Gottes/Reich Gottes) sowie das Ende des Teufels und seiner Versuchungen von Gott zu erbitten (Mt 6,10.13 par. Lk 11,2.4b). Am Verrat des -»Judas trägt der Satan die Schuld (Lk 22,3; Joh 13,2.27), doch gehört dieser Verrat zu Gottes Heilsplan (Mk 14,21 par.; Joh 17,12): Der Teufel untersteht gleichwohl der Befehlsgewalt seines Schöpfers (s.o. 3.). Die -»Eschatologie sowohl Jesu (Lk 10,18) als auch des Urchristentums (Mt 25,41; Joh 12,31; Apk 20,10) hat für die baldige Zukunft den endgültigen Sturz des Teufels und seiner Dämonen erwartet. Aus Jesu Wirken und einem Wort wie Mt 12,28 par. Lk 11,20 hat man später geschlossen, die Herrschaft des Teufels über die Welt sei schon jetzt gebrochen (Joh 12,31; 14,30; 16,11); Gottes Sohn ist „erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören" (I Joh 3,8 b). Die Auferstehung Christi bedeutet seinen Sieg über alle dämonischen Mächte (I Kor 15,24-26; Eph 1,20-22). Dennoch steht die endgültige Vernichtung des Teufels (vgl. Rom 16,20; II Thess 2,9) und der Sünde (vgl. Rom 6,11; I Joh 1,8) noch aus. Am Ende der Zeit wird sich der

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Sturz des Satans und seiner Dämonen wiederholen (Lk 10,18; Apk 1 2 , 7 - 1 2 ; vgl. J o h 12,31); zufolge Apk 12,12 bleibt dem Z o r n des Teufels nur eine kurze Frist (vgl. Apk 12,6.14; 13,5: „dreieinhalb Z e i t e n " = befristete Zeit). Zu den Endereignissen gehört eine Entscheidungsschlacht (vgl. 1 Q M ) , die sich im Neuen Testament an mehreren Stellen spiegelt (z.B. I Kor 1 5 , 2 4 - 2 8 ; I Thess 4,16; Apk 1 2 , 7 - 1 2 ; 1 6 , 1 3 - 1 6 ; 1 9 , 1 1 - 2 1 ; 2 0 , 7 - 1 0 ) ; Kontrahenten dieses Kampfes sind Michael und der Teufel. Die Johannesapokalypse hat den eschatologischen Krieg auf die Zeit vor (Apk 1 6 , 1 3 - 1 6 ; 19,11-21) und nach (Apk 2 0 , 7 - 1 0 ) dem tausendjährigen Zwischenreich (Apk 2 0 , 1 - 6 ) - in dem der Satan für 1.000 Jahre gefesselt wird (Apk 20,2) aufgespalten. Beide Male ist der Teufel der Urheber des Krieges, einmal als Haupt der „teuflischen Trinität" (Apk 12f.; 19,19f.) und „ V a t e r " der drei froschgestaltigen Kriegsdämonen (Apk 16,13f.), das andere M a l als aus der Haft befreiter Anführer von Gog und Magog (Apk 20,7f.; vgl. Ez 3 8 , 2 - 3 9 , 2 2 ) . Den Satan und seine Dämonen erwartet nach ihrer militärischen Niederlage (Apk 19,20f.; 20,9f.) bzw. nach dem Jüngsten - » G e richt (Mt 25,41) ein Ende in ewigem Feuer (vgl. II Petr 2,4 par. Jud 6). Literatur Günther Baumbach, Die Funktion des Bösen in ntl. Schriften: EvTh 52 (1992) 2 3 - 4 2 . - Klaus Berger, Das Böse im N T : Friedrich Hermanni/Peter Koslowski (Hg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Syst.-theol. u. phil. Annäherungen, München 1998, 1 3 3 - 1 4 8 . - Hans Bietenhard, Art. Satan/Dämon: T B L N T 2 2 (2000) 1536-1547. - Otto Böcher, Christus Exorcista. Dämonismus u. Taufe im NT, 1972 (BWANT 96). - Cilliers Breytenbach/Peggy Lynne Day, Art. Satan: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, hg. v. Karel van der Toora u.a., Leiden u.a. 2 1999, 7 2 6 - 7 3 2 . - Martin Dibelius, Die Geisterwelt im Glauben des Paulus, Göttingen 1909. - Otto Everling, Die paulinische Angelologie u. Dämonologie. Ein bibl.-theol. Versuch, Göttingen 1888. - Werner Foerster, Art. SiaßäXXw, SmßoXoQ. D. Die ntl. Satansanschauung: T h W N T 2 (1935) 7 8 - 8 0 . - Ders., Art. aazavät;. B. Satan im N T : T h W N T 7 (1964) 1 5 6 - 1 6 4 . - Herbert Haag, Abschied vom Teufel, 1969 = '1978 (ThMed 23). - Karl Kertelge, Teufel, Dämonen, Exorzismen in bibl. Sicht: Walter Kasper/Karl Lehmann (Hg.), Teufel - Dämonen - Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen, Mainz 1978, 9 - 3 9 . - Ders., Art. Teufel. II. Bibl.-theol. 3. N T : LThK 3 9 (2000) 1363-1365. - Walter Kirchschläger, Engel, Teufel, Dämonen. Eine bibl. Skizze: BiLi 54 (1981) 9 8 - 1 0 2 . - Meinrad Limbeck, Satan u. das Böse im N T : Herbert Haag (Hg.), Teufelsglaube, Tübingen 1974 = 2 1980, 2 7 1 - 3 8 8 . - Ders., Die Wurzeln der bibl. Auffassung vom Teufel u. den Dämonen: Conc(D) 11 (1975) 1 6 1 - 1 6 8 . Bent Noack, Satanás u. Soteria. Unters, zur ntl. Dämonologie, Kopenhagen 1948. - Peter v. der Osten-Sacken, Gott u. Belial, 1969 (StUNT 6). - Elaine Pageis, The Origin of Satan, New York 1995; dt.: Satans Ursprung, Berlin 1996. - Gregory John Riley, Art. Devil: Dictionary of Deities and Demons in the Bible (s.o. bei Breytenbach) 2 4 4 - 249. - Satan, 1948 (EtCarm 27). - Heinrich Schlier, Mächte u. Gewalten im NT, 1958 = 3 1963 (QD 3). - Gustav Stählin, Die Feindschaft gegen Gott u. ihre Stelle in seinem Heilsplan f. die Welt: Die Leibhaftigkeit des Wortes. FS Adolf Köberle, Hamburg 1958, 4 7 - 6 2 . - John Christopher Thomas, The Devil, Disease and Deliverance. Origins of Illness in N T Thought, Sheffield 1998 (Journal of Pentecostal Theology, Suppl. Ser. 13). - Stephen Voorwinde, Demons and the Occult in the N T : VR 59 (1994) 1 7 - 3 8 .

Otto Böcher

IV. Antikes Judentum (Literatur S. 123)

Im Judentum finden sich mehrere eigenständige Gestalten, die im Zusammenhang mit dem Teufel zu erwähnen sind: Satan, Mastema, Belial und Sama'el. Gemeinsam ist ihnen, daß sie Feinde und Widersacher Israels bzw. des Menschen sind. Sie verkörpern weder ein Prinzip des Bösen noch sind sie die Quelle des Bösen im Gegenüber zu Gott, sondern als Teil von Gottes Schöpfung bleiben sie ihm untergeordnet. Erst nachträglich erfolgt aufgrund gemeinsamer Züge in einigen Texten eine Identifikation der Gestalten untereinander. Auffallend ist, daß die Namen der ersten drei personifizierte Substantive sind: sätän „Widersacher, Gegner"; mastemäh „Feindschaft" (vgl. Hos 9,7f.); und b'liya'al „Nutzlosigkeit, Schlechtigkeit"; das Wort — wohl ein Kompositum „ohne Nut-

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Sturz des Satans und seiner Dämonen wiederholen (Lk 10,18; Apk 1 2 , 7 - 1 2 ; vgl. J o h 12,31); zufolge Apk 12,12 bleibt dem Z o r n des Teufels nur eine kurze Frist (vgl. Apk 12,6.14; 13,5: „dreieinhalb Z e i t e n " = befristete Zeit). Zu den Endereignissen gehört eine Entscheidungsschlacht (vgl. 1 Q M ) , die sich im Neuen Testament an mehreren Stellen spiegelt (z.B. I Kor 1 5 , 2 4 - 2 8 ; I Thess 4,16; Apk 1 2 , 7 - 1 2 ; 1 6 , 1 3 - 1 6 ; 1 9 , 1 1 - 2 1 ; 2 0 , 7 - 1 0 ) ; Kontrahenten dieses Kampfes sind Michael und der Teufel. Die Johannesapokalypse hat den eschatologischen Krieg auf die Zeit vor (Apk 1 6 , 1 3 - 1 6 ; 19,11-21) und nach (Apk 2 0 , 7 - 1 0 ) dem tausendjährigen Zwischenreich (Apk 2 0 , 1 - 6 ) - in dem der Satan für 1.000 Jahre gefesselt wird (Apk 20,2) aufgespalten. Beide Male ist der Teufel der Urheber des Krieges, einmal als Haupt der „teuflischen Trinität" (Apk 12f.; 19,19f.) und „ V a t e r " der drei froschgestaltigen Kriegsdämonen (Apk 16,13f.), das andere M a l als aus der Haft befreiter Anführer von Gog und Magog (Apk 20,7f.; vgl. Ez 3 8 , 2 - 3 9 , 2 2 ) . Den Satan und seine Dämonen erwartet nach ihrer militärischen Niederlage (Apk 19,20f.; 20,9f.) bzw. nach dem Jüngsten - » G e richt (Mt 25,41) ein Ende in ewigem Feuer (vgl. II Petr 2,4 par. Jud 6). Literatur Günther Baumbach, Die Funktion des Bösen in ntl. Schriften: EvTh 52 (1992) 2 3 - 4 2 . - Klaus Berger, Das Böse im N T : Friedrich Hermanni/Peter Koslowski (Hg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Syst.-theol. u. phil. Annäherungen, München 1998, 1 3 3 - 1 4 8 . - Hans Bietenhard, Art. Satan/Dämon: T B L N T 2 2 (2000) 1536-1547. - Otto Böcher, Christus Exorcista. Dämonismus u. Taufe im NT, 1972 (BWANT 96). - Cilliers Breytenbach/Peggy Lynne Day, Art. Satan: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, hg. v. Karel van der Toora u.a., Leiden u.a. 2 1999, 7 2 6 - 7 3 2 . - Martin Dibelius, Die Geisterwelt im Glauben des Paulus, Göttingen 1909. - Otto Everling, Die paulinische Angelologie u. Dämonologie. Ein bibl.-theol. Versuch, Göttingen 1888. - Werner Foerster, Art. SiaßäXXw, SmßoXoQ. D. Die ntl. Satansanschauung: T h W N T 2 (1935) 7 8 - 8 0 . - Ders., Art. aazavät;. B. Satan im N T : T h W N T 7 (1964) 1 5 6 - 1 6 4 . - Herbert Haag, Abschied vom Teufel, 1969 = '1978 (ThMed 23). - Karl Kertelge, Teufel, Dämonen, Exorzismen in bibl. Sicht: Walter Kasper/Karl Lehmann (Hg.), Teufel - Dämonen - Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen, Mainz 1978, 9 - 3 9 . - Ders., Art. Teufel. II. Bibl.-theol. 3. N T : LThK 3 9 (2000) 1363-1365. - Walter Kirchschläger, Engel, Teufel, Dämonen. Eine bibl. Skizze: BiLi 54 (1981) 9 8 - 1 0 2 . - Meinrad Limbeck, Satan u. das Böse im N T : Herbert Haag (Hg.), Teufelsglaube, Tübingen 1974 = 2 1980, 2 7 1 - 3 8 8 . - Ders., Die Wurzeln der bibl. Auffassung vom Teufel u. den Dämonen: Conc(D) 11 (1975) 1 6 1 - 1 6 8 . Bent Noack, Satanás u. Soteria. Unters, zur ntl. Dämonologie, Kopenhagen 1948. - Peter v. der Osten-Sacken, Gott u. Belial, 1969 (StUNT 6). - Elaine Pageis, The Origin of Satan, New York 1995; dt.: Satans Ursprung, Berlin 1996. - Gregory John Riley, Art. Devil: Dictionary of Deities and Demons in the Bible (s.o. bei Breytenbach) 2 4 4 - 249. - Satan, 1948 (EtCarm 27). - Heinrich Schlier, Mächte u. Gewalten im NT, 1958 = 3 1963 (QD 3). - Gustav Stählin, Die Feindschaft gegen Gott u. ihre Stelle in seinem Heilsplan f. die Welt: Die Leibhaftigkeit des Wortes. FS Adolf Köberle, Hamburg 1958, 4 7 - 6 2 . - John Christopher Thomas, The Devil, Disease and Deliverance. Origins of Illness in N T Thought, Sheffield 1998 (Journal of Pentecostal Theology, Suppl. Ser. 13). - Stephen Voorwinde, Demons and the Occult in the N T : VR 59 (1994) 1 7 - 3 8 .

Otto Böcher

IV. Antikes Judentum (Literatur S. 123)

Im Judentum finden sich mehrere eigenständige Gestalten, die im Zusammenhang mit dem Teufel zu erwähnen sind: Satan, Mastema, Belial und Sama'el. Gemeinsam ist ihnen, daß sie Feinde und Widersacher Israels bzw. des Menschen sind. Sie verkörpern weder ein Prinzip des Bösen noch sind sie die Quelle des Bösen im Gegenüber zu Gott, sondern als Teil von Gottes Schöpfung bleiben sie ihm untergeordnet. Erst nachträglich erfolgt aufgrund gemeinsamer Züge in einigen Texten eine Identifikation der Gestalten untereinander. Auffallend ist, daß die Namen der ersten drei personifizierte Substantive sind: sätän „Widersacher, Gegner"; mastemäh „Feindschaft" (vgl. Hos 9,7f.); und b'liya'al „Nutzlosigkeit, Schlechtigkeit"; das Wort — wohl ein Kompositum „ohne Nut-

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zen" - findet sich im Alten Testament meist in Konstruktusverbindungen, z. B. 'is b'liya'al „Bösewicht, Frevler". Der Engelname Sama'el wird entweder von sam „Gift" oder von säme „blind" abgeleitet. Belial ist für die Qumranschriften (—»Qumran) charakteristisch und im Kontext des eschatologischen bzw. ethischen -»Dualismus dieser Schriften zu sehen. In der Kriegsrolle kämpft Belial mit seinem Heer und den Söhnen der Finsternis in der Endzeit gegen die Söhne des Lichts (1QM 1 , 1 - 7 ; 16,11), so daß es naheliegt, die Gestalt auf Nah 2,1 zurückzuführen, wo damit der Gegner Israels bezeichnet wird. Belial, der zum Engel der Feindschaft (mal'äk mastemäh) gesetzt ist und dem Geister wie die Verderberengel (1QM 13,11) unterstehen, wird letztlich durch Gottes Hand besiegt werden (1QM 1,1215). Vor allem die Bundestreue Gottes zu seinem Volk wie auch das Halten des Bundes von Seiten Israels bewahren vor Belial (1QM 14,8-10). In der Damaskusschrift ist Belial nicht nur eine Gestalt der Endzeit (CD 4,12-19), sondern er wirkte schon zur Zeit von Mose und Aaron als Widersacher Israels (CD 5,17-19) und wird als Werkzeug in der Hand Gottes die Abtrünnigen vernichten (CD 7,21-8,3). Schutz gegen Belial bieten hier Umkehr zum Gesetz und die Beschneidung (CD 16,4-7). In den -»Testamenten der XII Patriarchen, die mit zum Umkreis der Qumranschriften gerechnet werden können und die ein Gegenüber von „Gesetz des Herrn" - „Werke Belials" kennen (TestLev 19,1), findet sich neben BsÀiap - der griechischen Form von Belial - auch vereinzelt, in sekundär hinzugefügten Stücken, der Satan (TestDan 3,5f.; 5,6; 6 , 1 - 3 ; TestGad 4,7) oder der Teufel (TestNaph 6,4-6), so daß aufgrund des jetzigen Textes die drei Gestalten miteinander gleichgesetzt werden. In die Geister- und Dämonenwelt des Jubiläenbuchs gehört die Gestalt des „Fürsten Mastema", der den Menschen Schaden zufügt (Jub 11,11) und der über -»Dämonen herrscht, die sie verführen (Jub 10,1-13; 11,4f.; 19,28), die aber keine Macht über Israel haben (Jub 10,3; 19,28). In seiner Eigenschaft als Ankläger Israels vor Gott ist er aber in der Lage, Israels Auszug aus Ägypten zu gefährden (Jub 48,2-9.15—18). Seine Rolle bei der Prüfung Abrahams (Jub 17,16-18,14) entspricht in den rabbinischen Quellen der Sama'els (BerR 56,4) bzw. Satans (bSan 89b par.). Er ist Gott Untertan (Jub 10,1-13), und als sein Werkzeug tötet er die Erstgeburt in Ägypten (Jub 49,2). In Jub 10,10 wird er mit dem Satan identifiziert, wie dies auch die sprachliche Nähe von sätän und mastemäh nahelegt. Im paradiesischen Zustand - so in den Tagen Josephs in Ägypten (Jub 40,9; 46,2) und in der Endzeit (Jub 23,29; 50,5) - gibt es weder einen Satan noch Böses (I Reg 5,18; ShemR 15,26 par.). Das Hiobtestament greift zwar auf die Gestalt Satans aus dem Hiobbuch zurück, verändert sie aber dahingehend, daß er zum direkten Gegner Hiobs wird, der versucht, den Frommen wie in einem Wettkampf zu Fall zu bringen (TestHiob 4 , 3 - 1 1 ; 2 7 , 1 - 7 ) und der sich dabei in andere Gestalten verwandeln kann (TestHiob 6 , 3 - 5 ) . In der rabbinischen Literatur bezeichnet sàtani sätän - mit und ohne Artikel - den Satan, auch wenn das Wort weiterhin in seiner Bedeutung als „Gegner" (BerR 73,7; 75,5) verwendet wird. Der Satan fehlt fast völlig in den frühen, den tannaitischen Quellen - als einzige unproblematische Stelle kann SifBam 42 (S. 46) gelten - und findet sich erst in den späteren Quellen. Seine wichtigste Funktion ist die des Anklägers (qätegor; vgl. QohR 3,2), der das Gesetz vertritt und Israel bzw. Menschen vor Gott anklagt, damit sie für ihre Übertretungen bestraft werden, so daß Unglück und Not über sie kommen. Ihm gegenüber steht u.a. Michael, der für die Angeklagten eintritt und auf ihr oder anderer Verdienst hinweist (ShemR 18,5; EstR 7,12; PesR 47,4). Nach WaR 21,4 par. ist Satans Macht, Israel anzuklagen, auf 364 Tage im Jahr beschränkt, entsprechend dem Zahlenwert des Wortes ha-sätän, der Versöhnungstag ist ausgenommen — etwas anders PesR 45,2: der Satan ist an dem Tag machtlos, da Gott seinem Volk die Schuld vergibt. Gegen den Satan helfen Frieden und Eintracht (SifBam 42) sowie die Tora (TanB behuqotai 1 par.), deren Offenbarung an Mose und Israel der Satan zu hintertreiben versucht (bShab 88b—89a par.). Der Mensch wird davor gewarnt, dem

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Satan die Möglichkeit zu geben, ihn anzuklagen - „Öffne nicht dem Satan den Mund, damit er anklagen k a n n " (WaR 21,10; bBer 19a par.) - oder den Satan leichtfertig herauszufordern (bEr 2 6 a ; bQid 8 1 a / b ) ; beide Warnungen finden sich vor allem im babylonischen -»Talmud. Für ihn ist ferner charakteristisch, daß Satan wie ein Dämon in allerlei Gestalt Menschen versucht (bQid 8 1 a / b ; bSan 9 5 a ; 107a u.ö.), eine Vorstellung, die in späteren Werken verstärkt wiederkehrt, sich jedoch schon im Hiobtestament findet. Es fällt auf, daß in den palästinischen Werken der Satan fast ausschließlich in seiner Funktion als Ankläger vorkommt, während er im babylonischen Talmud, der der Engelund Dämonenwelt aufgeschlossener gegenübersteht, vor allem als Versucher und Feind des Menschen auftritt und sich die Grenze zwischen dem Bösen Trieb, Satan und dem Todesengel verwischt, so daß alle drei in bBB 16 a miteinander identifiziert werden können. Midrasch Tanhuma und die nachtalmudische Literatur sind wesentlich von diesen Vorstellungen geprägt. Die insgesamt wenigen Stellen, an denen der Satan erwähnt wird, legen den Schluß nahe, daß die Rabbinen dieser Gestalt reserviert gegenüberstanden, obwohl sie ihnen aus der Bibel bekannt war. Da die Funktion des Anklägers von anderen wahrgenommen werden kann und der Mensch durch den Bösen Trieb verführt wird, besteht theologisch gesehen für sie auch keine Notwendigkeit. Der Engel Sama'el wird an wenigen Stellen in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt: grBar 4,8 pflanzt er den Weinstock (den Baum der Verführung) und verführt Adam und Eva im Kleid der Schlange (grBar 9,7). BerR 56,4 versucht er Abraham und Isaak. Sein Gegner ist Gabriel (bSot 10b) oder Michael; ShemR 18,5 und 21,7 klagt er neben dem Satan vor Gott an; DevR 11,10 par. fungiert er als Todesengel beim Tod des Mose. In der Hekhalot-Literatur (Synopse zur Hekhalot-Literatur, hg. v. Peter Schäfer, 1981 [ T S A J 2] §§ 108—110) tritt er in der Legende der Zehn Märtyrer als Widersacher Israels und Engelfürst Roms auf, eine Bezeichnung, mit der ihn Raschi ( - » S a l o m o ben Isaak) in seinem Talmudkommentar (bSuk 2 9 a u.ö.) benennt. Im hebräischen Henochbuch wird Sama'el vom Satan unterschieden (Synopse zur Hekhalot-Literatur §§17.42). Die Pirqe deRabbi Eli'ezer wiederum haben ihre eigene Vorstellung von Sama'el, mit dem sehr unterschiedliche Traditionen verbunden werden: Sama'el, der auf der Schlange reitet (PRE 12); Sama'el als Widersacher Israels (PRE 30f.44f.) und der Sturz Sama'els vom Himmel (PRE 14.27). Diese eigenständige Tradition vom Sturz oder Fall - oft mit Jes 14,13 f. verbunden - wird slHen 29 und A R N A Zusatz 2 (ed. Salomon Schechter, Wien 1887 = Hildesheim 1979, 164) dem Satan und VitAd 1 2 - 1 6 dem Teufel zugeschrieben. Im magischen Kontext werden Satan und Sama'el völlig in die Geister- und D ä m o nenwelt eingebunden, in der es neben den Einzelgestalten eine Kategorie von Dämonen gibt, die als „ S a t a n e " bezeichnet werden (Magische Texte aus der Kairoer Geniza, ed. Peter Schäfer/Shaul Shaked, I 1994 [ T S A J 42] 80.233; vgl. äthHen 40,7; DevR 11,10). In der - » K a b b a l a werden die Traditionen von Satan und vor allem die von Sama'el aus den Pirqe deRabbi Eli'ezer aufgegriffen und zum Teil verändert. Im Buch Bahir wird z.B. der Satan mit dem Bösen identifiziert, das aus dem Norden, der „linken H a n d " , kommt. Bei R . Jishaq b. Ja'aqov ha-Kohen gegen Ende des 13. J h . wird Sama'el zum Obersten der Fürsten des Neids und des Hasses in der Emanation der linken Hand bzw. der „anderen Seite", in der sich das Böse manifestiert; ihm wird Lilith, die mit der Schlange gleichgesetzt werden kann, als Gemahlin zugeordnet, und von ihnen beiden stammen alle weiteren Emanationen der „anderen Seite" ab. Literatur Joseph Dan, Samael, Lilith, and the Concept of Evil in the Early Kabbalah: A J S Review 5 (1980) 1 7 - 4 0 . - David Flusser, Art. M a s t e m a : E J 11 (1971) 1 1 1 9 f . - Werner Foerster/Knut Schäferdiek, Art. aazaväi;: T h W N T 7 (1966) 1 5 1 - 1 6 5 . - H a n s Walter Huppenbauer, Belial in den

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Qumrantexten: T h Z 15 (1959) 8 1 - 8 9 . - Leo Jung, Fallen Angels in Jewish, Christian and Mohammedan Literature: J Q R NS 15 (1924/25) 465 - 502; 16 (1925/26) 4 5 - 8 8 . 1 7 1 - 2 0 5 . 2 8 7 - 3 3 6 . Peter v. der Osten-Sacken, Gott u. Belial, 1969 (StUNT 6). - Elaine Pageis, T h e Social Historr of Satan, the „Intimate Enemy": H T h R 84 (1991) 1 0 5 - 1 2 8 . - Louis Isaac Rabinowitz, Art. Satan: EJ 14 (1971) 9 0 2 - 905. - Gottfried Reeg, Der Satan in der rabbinischen Lit.: Jewish Studies in a New Europe. Proceedings of the Fifth Congress of Jewish Studies in Copenhagen . . . of the European Association for Jewish Studies, hg. v. Ulf Haxen/Hanne Trautner-Kromann/Karen Lisa Goldschmidt Salamon, Kopenhagen 1 9 9 8 , 6 2 1 - 6 3 2 . - Gershom Scholem, Von der mystischen Gestaltder Gottheit, Zürich 1962, bes. 5 6 - 8 2 . - D e r s . , Art. Samael: E J 14 (1971) 7 1 9 - 7 2 2 . - Ephraim E. Urbach, T h e Sages. Their Concepts and Beliefs, 2 Bde., Jerusalem 1975 2 1979, bes. 1 5 9 - 1 8 3 . - The Wisdom of the Zohar, ed. Fischel Lachover/Isaiah Tishby, 3 Bde., Oxford 1989, bes. I, 4 5 4 - 4 7 0 .

Gottfried Reeg V. Kirchengeschichtlich 1. Vorbemerkungen 2. Luzifer und der Ursprung Satans 3. Der Teufel und seine Engel 4. Unterwelt, Taufe und Erlösung 5. Teufelsbesessenheit und Hexerei als Teufelswerk 6. Neuzeitliche Diskussionen und Teufelsbilder (Literatur S. 133)

1.

Vorbemerkungen

Nach überkommener christlicher Auffassung war der Teufel ursprünglich ein -»Engel, der nach dem in Jes 14,12-15 beschriebenen Morgenstern (Vulgata: Lucifer) benannt ist oder ihm gleicht. Er hat sich vor der Erschaffung der Welt aus Hochmut gegen Gott aufgelehnt und wurde aus dem Himmel gestürzt. Als Feind Gottes hat er sich daraufhin entschlossen, dessen Plan mit den Menschen zu vereiteln. Dazu hat er die Gestalt einer Schlange angenommen und -»Adam und Eva verleitet, von der verbotenen Frucht zu essen. Auf diesen rebellischen Engel sind dieser Auffassung nach auch alle biblischen Aussagen über Satan oder den Teufel zu beziehen. Die neuere Exegese ist zu der Einsicht gekommen, daß die Satane des Alten Testaments (Hi 1 - 2 ; Sach 3,1; I Chr 21) nicht als Feinde, sondern als Diener Gottes zu verstehen sind wie der in Num 22 als ein Satan (sätän) auftretende Engel Jahwes (s.o. II.l.). Bei der Übertragung dieser Erkenntnis auf das Neue Testament ist die Exegese jedoch verhaltener. Auch wenn Jesu Schau des Satans, der wie ein Blitz vom Himmel fällt (Lk 10,18), nicht auf ein uranfängliches Geschehen, sondern auf die messianische Gegenwart bezogen (Schmid; Wikenhauser) und der Kampf zwischen dem Teufel und Michael in Apk 12 als zukünftiges, eschatologisches Geschehen verstanden (Winklhofer) wird, sieht man darin doch häufig den Niederschlag einer gängigen Vorstellung von Luzifers uranfänglicher Auflehnung. Als wichtigster Beleg für die Existenz dieser Vorstellung in neutestamentlicher Zeit galt aufgrund eines zeitlichen Ansatzes auf etwa 50 n.Chr. (R.H. Charles: Book) slHen 29,3-5 (vgl.o. II.2.). Ist aber die lange Fassung des slHen mittelalterlich (Vaillant) oder muß slHen 29,3-5 als späterer Einschub gelten (Andersen), dann begegnet der erste Hinweis auf die Vorstellung von einem vorweltlichen Fall Satans wohl bei -»Origenes (Kelly, Devil [1964] 203f.; Russell, Satan 130; Forsyth 227-247). Wie weiter unten (2.) ausgeführt, sprechen -»Justin und andere nach ihm, zuweilen auf dem Hintergrund von Jes 14, von einem nachadamitischen Fall Satans, im Anschluß an den er fernerhin als Rebell und Gottesfeind in Erscheinung tritt. Man darf aber auch andere Deutungen nicht übersehen, die den Teufel zwar mit der Schlange aus dem Garten Eden in Verbindung bringen, ihn aber nicht als Aufrührer ansehen, sondern als himmlischen Sachwalter wie in Hi 1 - 2 oder die ihn als Feind der Menschen (oder zumindest der Christen) betrachten, der aber immer noch aus göttlicher Ermächtigung wirkt. Solche Vorstellungen sind weit entfernt von der zoroastrischen Idee eines radikal bösen Prinzips (Das -»Böse; -»Iranische Religionen). Gilt aber Satan erst einmal als Rebell vor der Erschaffung der Welt, rückt die Teufelsvorstellung auch in größere Nähe zum iranischen -»Dualismus (wobei hier die Frage nach unmittelbaren iranischen Einflüssen offen bleiben mag).

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Qumrantexten: T h Z 15 (1959) 8 1 - 8 9 . - Leo Jung, Fallen Angels in Jewish, Christian and Mohammedan Literature: J Q R NS 15 (1924/25) 465 - 502; 16 (1925/26) 4 5 - 8 8 . 1 7 1 - 2 0 5 . 2 8 7 - 3 3 6 . Peter v. der Osten-Sacken, Gott u. Belial, 1969 (StUNT 6). - Elaine Pageis, T h e Social Historr of Satan, the „Intimate Enemy": H T h R 84 (1991) 1 0 5 - 1 2 8 . - Louis Isaac Rabinowitz, Art. Satan: EJ 14 (1971) 9 0 2 - 905. - Gottfried Reeg, Der Satan in der rabbinischen Lit.: Jewish Studies in a New Europe. Proceedings of the Fifth Congress of Jewish Studies in Copenhagen . . . of the European Association for Jewish Studies, hg. v. Ulf Haxen/Hanne Trautner-Kromann/Karen Lisa Goldschmidt Salamon, Kopenhagen 1 9 9 8 , 6 2 1 - 6 3 2 . - Gershom Scholem, Von der mystischen Gestaltder Gottheit, Zürich 1962, bes. 5 6 - 8 2 . - D e r s . , Art. Samael: E J 14 (1971) 7 1 9 - 7 2 2 . - Ephraim E. Urbach, T h e Sages. Their Concepts and Beliefs, 2 Bde., Jerusalem 1975 2 1979, bes. 1 5 9 - 1 8 3 . - The Wisdom of the Zohar, ed. Fischel Lachover/Isaiah Tishby, 3 Bde., Oxford 1989, bes. I, 4 5 4 - 4 7 0 .

Gottfried Reeg V. Kirchengeschichtlich 1. Vorbemerkungen 2. Luzifer und der Ursprung Satans 3. Der Teufel und seine Engel 4. Unterwelt, Taufe und Erlösung 5. Teufelsbesessenheit und Hexerei als Teufelswerk 6. Neuzeitliche Diskussionen und Teufelsbilder (Literatur S. 133)

1.

Vorbemerkungen

Nach überkommener christlicher Auffassung war der Teufel ursprünglich ein -»Engel, der nach dem in Jes 14,12-15 beschriebenen Morgenstern (Vulgata: Lucifer) benannt ist oder ihm gleicht. Er hat sich vor der Erschaffung der Welt aus Hochmut gegen Gott aufgelehnt und wurde aus dem Himmel gestürzt. Als Feind Gottes hat er sich daraufhin entschlossen, dessen Plan mit den Menschen zu vereiteln. Dazu hat er die Gestalt einer Schlange angenommen und -»Adam und Eva verleitet, von der verbotenen Frucht zu essen. Auf diesen rebellischen Engel sind dieser Auffassung nach auch alle biblischen Aussagen über Satan oder den Teufel zu beziehen. Die neuere Exegese ist zu der Einsicht gekommen, daß die Satane des Alten Testaments (Hi 1 - 2 ; Sach 3,1; I Chr 21) nicht als Feinde, sondern als Diener Gottes zu verstehen sind wie der in Num 22 als ein Satan (sätän) auftretende Engel Jahwes (s.o. II.l.). Bei der Übertragung dieser Erkenntnis auf das Neue Testament ist die Exegese jedoch verhaltener. Auch wenn Jesu Schau des Satans, der wie ein Blitz vom Himmel fällt (Lk 10,18), nicht auf ein uranfängliches Geschehen, sondern auf die messianische Gegenwart bezogen (Schmid; Wikenhauser) und der Kampf zwischen dem Teufel und Michael in Apk 12 als zukünftiges, eschatologisches Geschehen verstanden (Winklhofer) wird, sieht man darin doch häufig den Niederschlag einer gängigen Vorstellung von Luzifers uranfänglicher Auflehnung. Als wichtigster Beleg für die Existenz dieser Vorstellung in neutestamentlicher Zeit galt aufgrund eines zeitlichen Ansatzes auf etwa 50 n.Chr. (R.H. Charles: Book) slHen 29,3-5 (vgl.o. II.2.). Ist aber die lange Fassung des slHen mittelalterlich (Vaillant) oder muß slHen 29,3-5 als späterer Einschub gelten (Andersen), dann begegnet der erste Hinweis auf die Vorstellung von einem vorweltlichen Fall Satans wohl bei -»Origenes (Kelly, Devil [1964] 203f.; Russell, Satan 130; Forsyth 227-247). Wie weiter unten (2.) ausgeführt, sprechen -»Justin und andere nach ihm, zuweilen auf dem Hintergrund von Jes 14, von einem nachadamitischen Fall Satans, im Anschluß an den er fernerhin als Rebell und Gottesfeind in Erscheinung tritt. Man darf aber auch andere Deutungen nicht übersehen, die den Teufel zwar mit der Schlange aus dem Garten Eden in Verbindung bringen, ihn aber nicht als Aufrührer ansehen, sondern als himmlischen Sachwalter wie in Hi 1 - 2 oder die ihn als Feind der Menschen (oder zumindest der Christen) betrachten, der aber immer noch aus göttlicher Ermächtigung wirkt. Solche Vorstellungen sind weit entfernt von der zoroastrischen Idee eines radikal bösen Prinzips (Das -»Böse; -»Iranische Religionen). Gilt aber Satan erst einmal als Rebell vor der Erschaffung der Welt, rückt die Teufelsvorstellung auch in größere Nähe zum iranischen -»Dualismus (wobei hier die Frage nach unmittelbaren iranischen Einflüssen offen bleiben mag).

2. Luzifer und der Ursprung Satans Im Neuen Testament (s.o. III.) ist vom Ursprung Satans nicht die Rede. Jesus nennt den Teufel einen Lügner und Mörder von Anbeginn (Joh 8,44). Das kann auf seinen Umgang mit Hiob und seiner Familie bezogen, als Niederschlag einer Vorstellung von Satan als dem Versucher Kains (vgl. I Joh 3,8-12) gesehen oder als Verbindung des Teufels mit der Schlange von Gen 3 verstanden werden. Wann diese letzte Verbindungslinie gezogen wurde, ist unklar. Spätere Autoren fanden sie in Weish 2,24, wo es heißt, der Tod sei durch die Mißgunst eines Widersachers ( öiaßökov, Vulgata invidia dtaboli) in die Welt gekommen; daß hier aber Satan gemeint ist, erscheint angesichts des fehlenden bestimmten Artikels unwahrscheinlich. Nach Josephus (Ant 1,1,4) hat die Schlange aus Mißgunst gehandelt; doch setzt er sie nicht mit Satan gleich. Sir 25,24 schreibt Sünde und Tod der Frau zu (vgl. Sir 25,15f.: die Frau wird mit der Schlange und dem Drachen verglichen). Der erste bekannte Ausleger von Weish 2,24 ist -»Clemens von Rom. Er findet den Widersacher in Kain, der seinen Bruder aus Mißgunst getötet hat (I Clem 3 - 4 ) . —»Theophilus von Antiochien nimmt diese Vorstellung auf, sieht Kains Mißgunst aber durch den Teufel genährt, der auch Drache (öpauccov) genannt wird, weil er von Gott abtrünnig geworden ist (dnoöeöpaKEvai), und der versucht hat, den sofortigen Tod über Adam und Eva zu bringen (Autol. 11,28—29). Nach -»Cyprian (De zelo 4) ist der Teufel mißgünstig geworden, sobald er sah, daß der Mensch nach Gottes Bild erschaffen wurde. Justin führt den Fall Satans speziell auf sein Dazwischentreten im Garten Eden zurück: In Ps 82 sei von dem großen Fall die Rede, den der Teufel bei der Verführung Evas erfuhr (dial. 124). Seine endgültige Überwindung durch Christus werde in Jes 27,1 (dial. 91.112; Frgm. 4 [Irenäus, haer. V,26,3]) und Jes 14 (falls Frgm. 5, PG 6,1592f. echt ist; vgl. CorpAp 3,252) vorhergesagt. Ps.-Justin, Cohortatio 28 (Mitte 3. Jh.), deutet den Fall von Jes 14 auf Satan nach seinem teuflischen Anschlag gegen die Menschheit (PG 6,296). Nach -»Tertullian hatte Satan vor Adam seinen Platz im Paradies (Ez 28); er fiel (Lk 10,18), nachdem er den Menschen vom Gehorsam gegenüber Gott abgebracht hatte. Jes 14,13 f. aber beziehe sich auf ein Geschehen nach seinem Fall (bic erit diabolus)-, es schildere sein hochmütiges Gehabe, nachdem er die Herrschaft in den Lüften (Eph 2,2) übernommen hat (Marc. V,17,8 [vgl. 5,11]). Cyprian versteht Jes 14,13-15 als Aussage über den -»Antichrist (ep. 59,3). Nach Athenagoras hat das Vergehen Satans nicht speziell mit Adam und Eva zu tun, sondern besteht in seiner Nachlässigkeit und Bosheit bei der ihm anvertrauten Verwaltung der stofflichen Welt (leg. 2 4 - 2 5 ) . -»Irenäus sieht in Satan einen der Engel, die über das nvEVßa der Luft gesetzt waren. Der Grund für seinen Abfall vom Gesetz Gottes war seine Mißgunst gegenüber dem Menschen (haer. V,24,4). Eine Abwandlung dieser Vorstellung begegnet in den Kapiteln 1 2 - 1 6 der lateinischen VitAd (etwa 4. Jh.). Bei der Weigerung, das Bild Gottes im neu geschaffenen Adam zu verehren, sprach der Teufel die aufrührerischen Worte von Jes 14,13, worauf er und seine Engel aus dem Himmel gestürzt wurden. Origenes hat im Unterschied zu allen anderen Autoren außer Athenagoras den Fall Satans nicht mit der Menschheit in Verbindung gebracht; anders als Athenagoras aber setzt er seinen Abfall vor der Weltschöpfung an. Am ausführlichsten hat er seine Auffassungen zweifellos in De principiis entfaltet; doch die meisten Teile dieser Schrift sind lediglich in der lateinischen Übersetzung durch -»Rufinus erhalten, die offenbar einige besonders radikale Vorstellungen der Vorlage ausgeklammert hat, so vor allem den Gedanken einer -»Wiederbringung (anoKaT&azaaiQ) aller und erst recht den einer zyklischen Wiederholung von Fall und Wiederbringung. Nach der Rufinschen Fassung hat Origenes gelehrt, daß alle Vernunftgeschöpfe ursprünglich gleich geschaffen und mit einem freien Willen (—»Wille/Willensfreiheit) ausgestattet waren, der einen Fortschritt durch die Nachahmung Gottes oder einen Abfall durch Nachlässigkeit zuließ

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(princ. 11,9,6). Alle aber sind mehr oder minder stark abgefallen (11,9,2), „Wir glauben indessen", so heißt es unter Bezug auf Ps 110,1 und I Kor 15,25, „daß Gottes Güte durch seinen Christus die gesamte Schöpfung zurückführen wird" (princ. 1,6,1). Rufin selbst (comm. symb. 39) weist die Vorstellung zurück, der Teufel werde der verdienten Verdammnis entkommen. Damit steht er allerdings dann nicht notwendig in Widerspruch zu Origenes, wenn er mit Justin der Meinung war, daß Engel nach dem Sündigen bereuen können (dial. 141), Gott aber vorhergesehen hat, daß Satan nicht bereuen werde. Origenes folgt dem exegetischen Grundsatz, in Texte, die von Menschen reden, inhaltlich aber nicht auf Menschen anwendbar sind, einen tieferen Sinn hineinzulesen (-•Schriftauslegung), so auch bei der Auslegung von Jes 14: „Der Mensch Nebukadnezar ist ja nicht vom Himmel gefallen noch war er Luzifer noch ist er in der Frühe über der Erde aufgegangen" (princ IV,3,9). Der Text bezieht sich auf Satan, der, wie Jesus lehrt (Luk 10,18), einst Licht war, bevor er abtrünnig wurde und an diesen Ort herabstürzte (princ. 1,5,5). 3. Der Teufel und seine Engel 3.1. Konsens: Vielfacher uranfänglicher Fall; Gleichsetzung von Dämonen und gefallenen Engeln. Justin und andere Apologeten waren überzeugt, daß Satan allein im Garten Eden gesündigt habe und daß andere Engel mit Frauen sündigten (Gen 6); wie schon erwähnt ist jedoch die lateinische VitAd der Meinung, daß andere Engel an Satans Weigerung teilhatten, das Bild Gottes im Menschen zu verehren. Nach Origenes sind die Engel offenbar je für sich gefallen und nicht im Zusammenhang gemeinsamen Handelns und (ungeachtet seiner Deutung von Jes 14) auch nicht als Rebellen aus Hochmut, sondern eher per negligentiam. Wenn Rufin Origenes die Vorstellung eines zielstrebigen gemeinsamen Falls der Engel zuschreibt, spricht er daher wohl eher für sich selbst. Angeblich als Ubersetzung der Vorrede von De principiis führt er aus: „Auch vom Teufel, seinen Engeln und den feindlichen Mächten hat die kirchliche Verkündigung zwar gelehrt, daß sie sind; aber was sie sind oder auf welche Weise, hat sie nicht hinreichend klar dargelegt. Bei den meisten herrscht jedoch die Meinung, daß der Teufel ein Engel gewesen, abtrünnig geworden sei und dann möglichst viele von den Engeln dazu überredet habe, mit ihm abzufallen; und diese werden bis heute seine Engel genannt" (princ. praef. 6: ed. Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp, 2 1985 [TzF 24] 93f.). Diese Auffassung ist bis zum Ausgang des 4. Jh. die gängige Lehrmeinung geworden. Soweit die Kirchenväter der Meinung waren, Gen 6 berichte von einer Verbindung von Frauen mit Engeln, hielten sie diese für bereits gefallene Engel. Hatten einige frühe Kirchenväter in den —»Dämonen die Abkömmlinge aus diesen Verbindungen gesehen, wurde diese Auffassung nun nicht mehr vertreten. Vielmehr wurden die von Menschen Besitz ergreifenden Dämonen des Neuen Testaments jetzt ebenfalls als gefallene Engel angesehen. 3.2. Eine Vielzahl von Teufelnf Der nächste logische Schritt dürfte wohl gewesen sein, im Plural von „Teufeln" zu sprechen. Obwohl sätän im Alten Testament ein Appellativ ist und im Blick auf den Satan in Hiob und Sacharja und möglicherweise auch auf die Gestalt von I Chr 21,1 (wo es sich jedoch auch um einen Eigennamen handeln könnte) im Plural von Satanen gesprochen werden kann, ist der Teufel in der Septuaginta eine einmalige Gestalt. Das gleiche trifft auch für „den Teufel"/„Sat.an" im Neuen Testament zu - auch wenn der Begriff bei Jesu Bezeichnung des Petrus, als „Satan" (Mk 8,33; Mt 16,23) und des Judas als „Teufel" (Joh 6,70) möglicherweise in einem weiteren Sinn verwendet wird. Von „Teufeln" ist in frühen Kommentaren nur selten die Rede. -»Hieronymus gibt in der Vulgata öaifiövia nie mit diaboli wieider, deutet aber an anderer Stelle doch einmal an, daß beide Begriffe gleichbedeutend seien: ut amatoribus suis diabolis et daemoniis placeant (comm. in Hos 1,13 [um ihren Freunden, den Teufeln und Dämonen, zu gefallen]); vgl. seinen Schüler Eusebius von Cremona:

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non cum hominibus sed cum diabolis flagellabimini (De morte S. Hieron. c 20: PL 22,251 [ihr werdet nicht mit Menschen, sondern mit Teufeln gegeißelt werden]). Spätere Kirchenschriftsteller, die von Teufeln reden, sind Walahfrid Strabo (808/09-849) zu Ps 74 (PL 113,962), Anselm von Laon (Ps.-Haymo) zu Ps 77,49 ad v. per angelos malos (PL 116,464), -»Abaelard, Sic et non c. 113 (PL 178,1511), -»Petrus Lombardus zu Ps77,49 (PL 191,739) und -»Bonaventura (Ps.-Wilhelm von St.-Thierry), Vitis mystica c.46 (PL 184,732). -»Thomas von Aquino benutzt den Plural nur in Anführungen aus anderen Autoren (IndThom s.v. diabolos). Er verwendet jedoch an einigen Stellen ohne weiteres daemon und diabolus als Wechselbegriffe (z.B. in Sent. 11,6,1,5: ex quo aliquis perfecte de uno vitio daemonem vincit ... ille dicitur perfecte diabolum vincere ...et ideo a diabolo non tentatur de hoc peccato [daher heißt es von einem, der in einem Laster den Dämon völlig besiegt, . . . er besiege den Teufel völlig . . . und werde daher vom Teufel nicht bei dieser Sünde behaftet]). Bei -»Luther ist die Gleichsetzung von Dämon und Teufel gängiger Sprachgebrauch (z. B. Mt 12,24: „Er treibt die Teufel nicht anders aus denn durch Beelzebub, der Teufel Obersten" [OVTOÇ OÒK ÈtcßäXXei RÀ öaißövia el ßfj ¿v zq> Bee(eßoöX äpxovxi xmv ôaifiovicov]). Gleiches gilt für englische Bibelübersetzungen sowohl aus dem Lateinischen (Wicliffitische Übersetzung, 14. Jh.; Reims 1582) als auch aus dem Griechischen (Tyndale 1525; King James Version 1611). In manchen heutigen volkssprachlichen Übersetzungen aber ist Satan häufiger „der Dämon" als „der Teufel", so im Spanischen {el demonio), Französischen (le démon) und Italienischen (il demone, il demonio), gelegentlich auch im Deutschen, aber nie im Englischen. 3.3. Augustin. In den Schriften der Kirchenväter begegnen unterschiedliche, häufig nicht bestimmten Autoren zugeschriebene Auffassungen über die Natur Satans und anderer gefallener Engel. So stimmt etwa -»Augustin denen zu, die meinen, die sündig gewordenen Engel seien keine himmlischen oder überhimmlischen Engel, sondern Bewohner der an die Himmelsregion grenzenden reinen Luftschicht, und sie und ihr Anführer - jetzt der Teufel, zuvor aber ein Erzengel - seien in die untere, dichte Luftschicht (caligo, vgl. Jud 6; Eph 6,12) gestürzt worden; und selbst, wenn sie ursprünglich himmlische Leiber gehabt haben, dürften diese in eine lufthafte Beschaffenheit überführt worden sein, so daß sie unter dem Feuer als höherem Element leiden können und bis zum Tag des Weltgerichts in der dichten Luftschicht als ihrem Gefängnis verbleiben (De Gen. ad litt. 3,10). 3.4. Petrus Lombardus. Im 12. Jh. führt Petrus Lombardus die überkommenen Vorstellungen weiter. Gleich nach der Erschaffung der Engel wandten sich einige von ihnen dem Schöpfer zu, und andere wandten sich von ihm ab (Sent. 11,6). Es fielen größere wie geringere Engel, darunter auch Luzifer, der achtbarste von allen, der die anderen nach sich zog (secum traxit tertiam partem stellarum [er zog den dritten Teil der Sterne mit sich], vgl. Apk 12,4); sie wurden gezwungen, im aer caliginosus, der unteren Luftschicht, und nicht auf der Erde mit uns zu leben, um uns nicht zu sehr nachzustellen. Es ist aber wahrscheinlich, daß einige Dämonen täglich zur -»Hölle hinabsteigen, um die zu strafenden Seelen dorthin zu leiten. Zudem ist anzunehmen, daß einige Dämonen, möglicherweise umschichtig mit den oben weilenden, sich ständig in der Hölle aufhalten, um die Seelen festzuhalten und zu strafen. Manche nehmen an, daß Luzifer seit Christi Sieg über ihn in der Wüste oder in der Passion in der Hölle gebunden sei. Andere wiederum meinen, er sei der Größe seiner Sünde wegen seit seinem Urfall in der Hölle begraben. Doch ob er nun gegenwärtig in der Hölle festgehalten wird oder nicht, es ist anzunehmen, daß er jetzt keine so große Gewalt hat, uns zu versuchen, wie er sie zur Zeit des Antichrist haben wird (Sent. 11,6,5—6). Schließlich führt der Lombarde die Vorstellung des Origenes an, daß von Heiligen überwundene Dämonen ihre Gewalt zur Versuchung ganz oder teilweise eingebüßt haben (Sent. 11,6,7). Hier wie auch an weiteren oben genannten Stellen bezieht sich der Lombarde auf -»Hugo von Sankt Viktor (Sum. Sent. 11,3-4 [PL 176,82-84]).

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3.5. Thomas von Aquino. Thomas stellt bei der Erörterung dieser Fragen fest, daß alle Katholiken überzeugt sind, daß Engel in Sünde gefallen und zu Dämonen geworden sind. Es sei jedoch schwierig zu sehen, wie sie gesündigt haben, abgesehen davon, daß sie dabei auf irgendeine Weise nach Gottgleichheit getrachtet haben und Überhebung die erste Sünde war (In 2 Sent. 5,1,1-3). Augustin habe zwar die Frage offen gelassen, ob Luzifer der höchste Engel war, -»Gregor I. der Große aber habe sie bejaht, und das sei die gängige und auch einsichtige Meinung (6,1,1). Seine Sünde war die Ursache für die Sünden der anderen (6,1,2). Nicht ihrem Wesen nach (denn sie sind unkörperlich), doch ihrem Wirken nach lassen sich die gefallenen Engel im Raum orten: die mittlere Luftschicht und die Hölle sind ihnen als Straforte angemessen, und die Erde ist es als Ort ihres Wirkens uns gegenüber. Sie werden jedoch in geistlicher Weise beständig durch das Höllenfeuer gestraft (6,1,3; ad 6). Es ist vernünftig anzunehmen, daß unter den Dämonen eine Rangordnung besteht, und es ist wahrscheinlich, daß aus jeder Rangstufe einzelne Engel gefallen sind (6,1,4; exp. text.). Einvernehmen besteht darüber, daß nach der Überwindung eines Dämons die von ihm ausgehende Versuchung in einem bestimmten Grad schwindet; doch unklar ist, wie das geschieht (6,1,5). 4. Unterwelt,

Taufe und

Erlösung

4.1. Satan und Unterwelt. Die allegorische Deutung Satans als Luzifer bezog sich nur auf seine stolze Überhebung und seinen Fall aus dem Himmel (Jes 14,12), nicht aber auf seine Erniedrigung in den Scheol (Jes 14,15-19). In frühen Texten ist niemand für den Scheol zuständig außer der personifizierte Scheol selbst (LXX g.St]Q, Vulg. infernus [-•Hölle]), mit dem zuweilen der -»Tod verbunden wird, z.B. Hos 13,14: De manu Mortis liberabo eos; de Morte redimam eos. Ero mors tua, O Mors! Ero morsus tuus, Inferne! (Doch aus des Todes H a n d will ich sie befreien, vom Tod sie erretten. Tod, ich will dein Tod sein! Hölle, ich will dein Biß sein!; vgl. Apk 6,8; 20,13f.). Während der ersten christlichen Jahrhunderte spielt der Teufel zur Zeit des Todes Christi keine Rolle als Wächter und Peiniger der Seelen in der Unterwelt (Bauckman 157). Die Tiefe der Wasser als Ort der alttestamentlichen Seeungeheuer wurde ebensowenig mit dem Scheol gleichgesetzt wie der feurige Abgrund, in den die lüsternen Engel am Ende der Welt gestürzt werden sollen (wie in äthHen 10,13) oder in dem der Drache-Teufel zeitweilig gefangen gehalten wird (Apk 20,2f.). Dem Teufel und seinen Engeln ist Feuer bereitet (Mt 25,41), doch lediglich in der Z u k u n f t und möglicherweise in ihrer Eigenschaft als Peiniger von Menschen wie im Buch der Bilderreden von äthHen (c. 37—69, etwa 1.-3. Jh. n.Chr.), besonders 53,3. Anderwärts im Neuen Testament hat Satan ein Strafamt in dieser Welt (I Kor 5,5; I T i m 1,20; vgl. 3,6f.). In ApkZeph (etwa 1.Jh. v.Chr. - 2.Jh. n.Chr.; O T P I, 1983, 497) erscheint die Gestalt des Satans als der Ankläger, der „auf der Erde" oder „über der Erde" ist. Seine Engel zeichnen die Sünden der Menschen auf und sitzen an der H i m melspforte und unterrichten den Ankläger, so daß er sie verklagen kann, wenn sie aus dieser Welt gehen (3,8f.). Doch obwohl der Ankläger (ein schreckeneinflößender Engel mit Löwinnen- und Frauenhaaren, Bärenzähnen und einem Schlangenleib) Zephania inmitten der Feuer des Hades ein Verzeichnis seiner Sünden vorhält, ist es ein glanzvoller Engel, Eremiel, der dem Abgrund und Hades vorsteht, und er kennzeichnet den Ankläger als den, „der die Menschen vor dem Herrn verklagt" (6,17). Vgl. IV Esr (spätes 1. Jh. n. Chr.), wo der Erzengel Jeremiel oder Remiel die Aufsicht über den Hades führt (4,36). In Apk 1,18 hat der Menschensohn die Schlüssel des Todes und der Unterwelt, die zu unterscheiden ist vom Schlund des Abgrundes von Apk 9, der von frauengesichtigen, pferdegestaltigen Heuschrecken bewohnt ist, über die der Engel Abaddon/Apollyon gesetzt ist (die Schlüssel dieses Abgrundes wird ein gefallener Stern haben). Selbst in der im 6. Jh. oder später dem Nikodemusevangelium angefügten Höllenfahrt Christi (NTApo 1, 6 1990, 414-418) ist Satans Wirkungsfeld die Welt. Er kommt in die Unterwelt, um Hades dazu zu mahnen, Jesus festzuhalten, den er gerade zu Tode ge-

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bracht hat; doch Jesus befiehlt Hades statt dessen, bis zu seiner Wiederkunft Satan in Gewahrsam zu halten. Bei -»Melito von Sardes aber begegnet die Vorstellung, daß Christus zur Zeit seiner Überwindung von Tod und Hades Satan gebunden hat (pasch, hom. 102 unter Bezug auf die Bindung des Starken nach M t 12,29 [zu Parallelstellen s. Meliton de Sardes, Sur la päque et fragments, hg. v. Othmar Perler, 1966 [SC 123]). 4.2. Der Teufel im Taufritual. Deutungen, die im frühen Taufritual (-»-Taufe) die Vorstellung eines Hinabsteigens in eine teuflische oder dämonische Welt erkennen wollen, sind anachronistisch (Kelly, Devil [1985] 7 1 - 7 3 ) . Doch erhielt der Teufel früh einen Platz im Taufvollzug, und zwar in der Abschwörung, die vor dem Bekenntnis zu Christus stattfand. Keimhaft ist dieser Akt möglicherweise in Christi Auftrag an Saulus zu erkennen, die Augen der Heiden zu öffnen, „damit sie sich von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott bekehren" (Act 26,18); s. auch die an - » Q u m r a n erinnernden Ausführungen II Kor 6,14ff. (vgl. I QS 1-2). In Formeln, die um die Wende zum 3. Jh. in K O H i p p (c. 21), bei Tertullian (spect. 4 , 1 - 3 u.ö.) und bei Cyprian (De habitu virginum 7 u.ö.) auftauchen, begegnet eine dreifache Verwerfung des Teufels, seines Gepränges und seiner Engel (oder Werke), die entsprechend der Vorstellung, daß die heidnischen Götter nichts anderes sind als der Teufel und andere gefallene Engel, die Abkehr von heidnischer Kultübung bedeutet. Der regelmäßig an den Taufanwärtern vollzogene —»-Exorzismus entsprang ursprünglich wohl der Vorstellung von Sündendämonen, nach der die Hingabe an unterschiedliche Sünden die parasitäre Einwohnung böser Geister nach sich zieht, die zu diesen Sünden reizten. Sie findet sich in den TestXII (TestAss 1,5-9; TestRub 2,2ff. u.ö.) und bei -»Hermas (mand V,l-2; VI,2), wird aber von -»Clemens von Alexandrien nachdrücklich verworfen (ström. 11,20) und ist den meisten anderen Vätern nicht geläufig. Auf der anderen Seite hat Origenes diese Vorstellung zwar aufgenommen, doch in seinen Schriften findet sich keine Spur der Übung eines Exorzismus vor der Taufe. Überhaupt fand dieser Brauch vor der ausführlichen Ausgestaltung exorzistischer Formeln in der byzantinischen und der westsyrischen Liturgie im Osten weniger Anklang als im Westen (Kelly, Devil [1985] 50.123-157). Zwar sind die Exorzismen möglicherweise als eine Art orthodoxer Parallele zu Auffassungen und Gebräuchen der valentinianischen Gnosis (—»Valentin/Valentinianismus) aufgekommen, doch ist an die Stelle einer unmittelbaren Übernahme der Vorstellung von Sündendämonen anscheinend sehr bald ein übertragenes Verständnis getreten, nach dem es um einen Schutz der Taufanwärter vor dem verderblichen Einfluß Satans und seiner Engel ging, die bei Paulus mit den Machthabern und Gewalten gleichgesetzt sind. Das trifft zweifellos auch für die Exorzismen über das beim Taufvollzug verwendete Wasser, ö l und Salz zu. Das Wort e^opKi^ü} hatte ursprünglich keine dämonologische Bedeutung, sondern bezeichnete nur eine feierliche Segnung; doch die Kirchenväter gaben ihm einen zusätzlichen dämonologischen Sinngehalt (Bartsch). Luther hat in seinem ersten Taufbüchlein (1523) die Exorzismen über den Elementen gestrichen. Er übernahm jedoch die meisten anderen dämonologischen Stücke des lateinischen Taufrituals, machte daran aber in der zweiten Fassung (1526) Abstriche. Ende des 16. Jh. wurde bei den Protestanten die Wirksamkeit des Exorzismus in Frage gestellt und schließlich fallengelassen, die Abschwörung an Satan aber blieb. Sie behauptete sich auch trotz der Zweifel -»Schleiermachers und des -»Neuprotestantismus des 19. Jh. außer bei den schwedischen Lutheranern. Währenddessen hatten die Calvinisten alle Zeremonien verworfen, die sich um die Taufe angesiedelt hatten. Die anglikanische Kirche stand unter lutherischem wie calvinistischem Einfluß und behielt letztendlich lediglich die Abschwörung bei (Brightman I, cxii-cxxii; II, 724-777). Die römisch-katholische Kirche beseitigte die Exorzismen 1969 (Ordo baptismi parvulorum, Rom 1969; dt.: Ordnung der Kindertaufe nach dem neuen Rituale Romanum, Einsiedeln u.a. 1970) und 1972 (Ordo initiationis christianae adultorum, Rom 1972; dt.: Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche nach dem neuen Rituale

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Romanum, Einsiedeln u.a. 1975); zwar kennt das Formular für die Erwachsenentaufe einzelne kurze exorzistische Gebete für den Katechumenengottesdienst, vermeidet aber alle unmittelbar an Satan gerichteten „Verwünschungsformeln" (Fischer). 4.3. Der Loskauf vom Teufel. Augustin stellt seiner Erbsündenlehre die Vorstellung zur Seite, daß die Auslieferung der Menschheit an den Teufel letztlich ein Akt der Gerechtigkeit gewesen sei, glaubt aber auch, sie sei ihm zu Recht entwunden worden, als er mit der Tötung Jesu den Tod über einen Menschen brachte, der ihn nicht verdient hatte (trin. 13,11[15]-15[19] [CChr.SL50A] 401-408). - » L e o d . Gr. erweitert das durch die Vorstellung, Jesus habe seine wahre Identität vor dem Teufel verborgen gehalten (serm. 62,3 [PL 54,351]). -^Gregor von Nyssa gibt zu verstehen, Christi Tod sei ein dem Teufel gezahltes Lösegeld (Oratio catechetica magna, c. 2 2 - 2 5 [PG 45,60-68]; Gregorii Nysseni Opera III/4, ed. Ekkehard Mühlenberg, Leiden 1996, 5 6 - 6 4 ) . Mittelalterliche lateinische Schriftsteller wie Petrus von Poitiers (gest. 1205), in IVSent. 19 (PL 211,1211), bezogen die Lösegeldvorstellung offenbar aus Augustin, trin. 13,15(19), In hac redemptione tanquam pretium pro nobis datus est sanguis Christi, quo accepto diabolus non ditatus est sed ligatus (CChr.SL 50A, 408 [Bei dieser Erlösung ist Christi Blut als Kaufpreis für uns dahingegeben worden, durch dessen Annahme der Teufel nicht bereichert, sondern gebunden worden ist]); trotz Zahlung eines Lösegelds ist der Teufel demnach nicht bereichert, sondern eingeschränkt worden. Andere Schriftsteller jedoch bestritten im Anschluß an -»Anselm von Canterbury die Zahlung eines Lösegelds an den Teufel, da seine Macht über die Menschheit unrechtmäßig erworben sei. Christus habe vielmehr Gott Genugtuung geleistet. Z w a r übernahmen nicht alle späteren Theologen diese Auffassung, doch sie wurde die vorherrschende Meinung selbst bei Schriftstellern, die weiterhin die Vorstellung vertraten, Jesus habe seine Gottheit bewußt vor dem Teufel verborgen (Marx 4 3 - 4 5 ) . 5. Teufelsbesessenheit

und Hexerei als

Teufelswerk

Bei den Synoptikern und in der Apostelgeschichte gehören die Dämonen und unreinen Geister offenbar zu den Plagen, mit denen Satan die Menschheit heimsucht (vgl. Lk 3,11-16; Act 10,38), und er wurde schließlich auch mit Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, gleichgesetzt (Mt 12,24ff.). Daß er in -»Judas fuhr (Lk 22,3; Joh 13,27), wird nicht im Sinne körperlicher Besitzergreifung verstanden. Waren aber die Dämonen einmal in den Rang gefallener Engel erhoben und galten wie Satan als „Teufel", konnte jede Besessenheit von Dämonen als Teufelsbesessenheit und jeder Dämon nicht nur als „ein Teufel", sondern als „der Teufel" angesehen werden. Dementsprechend wurde auch angenommen, daß jeder Taufanwärter von Satan selbst beherrscht werde, so in den Formeln Ergo maledicte diabole [nun denn, verfluchter Teufel] und Audi maledicte Satanas [höre, verfluchter Satan] (Sacr. Gel. 292.294). Exorzismen für die im übertragenen Sinn besessenen Katechumenen wurden ohne weiteres mit solchen ausgetauscht, die für Besessene im eigentlichen Sinn bestimmt waren. Die -»Magie wurde leicht mit Besessenheit durch Dämonen in Verbindung gebracht, so im Fall des -»Simon Magus, der durch die von Philippus gewirkten Heilungswunder und Dämonenaustreibungen zum Glauben an Jesus gebracht wird (Act 8,9—13). Nachdem er seinen Wunsch bereut hat, die Gabe der Geistmitteilung käuflich zu erwerben (Act 8,18-24), verlautet nichts mehr über ihn; doch in späteren Schriften wird er selbst „dämonisiert" und „verteufelt". Justin behauptet, er habe in Rom, wo man ihn als einen Gott verehrte, aus der Kraft in ihm wirkender Dämonen große Zaubertaten vollbracht (I apol. 26). Nach den ActPetr (spätes 2. Jh.) ist Simon selbst ein Engel Satans, und eine seiner Taten ist es, himmelwärts zu fliegen (c. 18; 32; vgl. 5). Die ActPetr und ActPaul (3. Jh.?) lassen Simon von Engeln Satans emporgehoben werden, die ihn fallen lassen, als Petrus sie „exorzisiert" {dpKi(oj üfiäc;) (c. 56; AAAp I, 166). Das christliche Verständnis nichtchristlicher Wunder hat Augustin auf einen Nenner gebracht (doct. christ. 11,88-89 = canon Illud quod est, Gratian, Decr. C 2 6 q 2 c 6 ) :

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Entweder sind sie Täuschung, oder aber sie sind, wenn sie echt sind, das Ergebnis von pacta zwischen Menschen und Dämonen. Ein anderer Kanon im Dekret Gratians (canon Episcopi, C 26 q 5 c 12 [der Text des canon Episcopi begegnet bereits im 9. Jh. bei Regino von Prüm, De synodalibus causis et de disciplina ecclesiastica, II 371]) erklärt Behauptungen gewisser Frauen, mit der heidnischen Göttin Diana durch die Nacht zu reiten, für Wahnvorstellungen, die aber von Satan ausgelöst seien. 1254 mahnt Alexander IV. die neu ernannten, mit der Verfolgung häretischer Verderbnis beauftragten Inquisitoren (-»Inquisition), sich nicht mit Hexerei (-»Hexen) zu befassen, solange sie nicht mit -»Häresie einhergeht (Liber sextus 5,2,8, CIC[L]). Letztendlich aber wurde der Unglaube oder mangelhafte Glaube, den man bei allen Hexen zu finden meinte, auch bei denen, die keinen ausdrücklichen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben sollten, als Entsprechung von Häresie angesehen. Das wird in der Bulle Summis desiderantes affectibus von Innocenz VIII. von 1484 deutlich, die die Vollmacht von Heinrich Institoris/Kramer (ca. 1430-1505) und Jakob Sprenger (um 1436-1495), der inquisitores hereticae pravitatis in Deutschland, bestätigt, gegen Beschuldigte vorzugehen, die sich Dämonen incubi und succubi - nutzbar machen und supersticia und sortilegia üben. Sie haben auf frevlerische Weise ihren Taufglauben abgetan und nehmen sich instigante humani generis inimico (auf Betreiben des Feindes des Menschengeschlechts) heraus, zum Verderben ihrer Seelen abscheuliche Verbrechen zu begehen (QGPRK 6 I, 492f.). Institoris und Sprenger haben in ihrem Malleus maleficarum diese Vorstellung einer satanischen Grundlage der Hexerei weiter ausgebaut. Katholische und protestantische Auffassungen vom Teufel und von der Hexerei kamen sich nahe genug, um jedenfalls beim Vorliegen anderer begünstigender Umstände Massenverfolgungen von Hexen möglich zu machen (Clark 5 2 6 - 5 4 5 ) . Im Verlauf des 18. Jh. hörten die Hexenprozesse auf, größtenteils infolge erhöhter Anforderungen an ein geregeltes Beweisverfahren: doch der Teufelsglaube biieb vorerst noch bestehen. Fälle von Besessenheit wiederum waren in den protestantischen Gebieten, in denen die Exorzismen abgeschafft worden waren, bereits zurückgegangen. Nach der Veröffentlichung des neuen Rituale Romanum 1614 (vgl. T R E l,774,2ff.) für die Hand der Geistlichkeit wurden sie auch im katholischen Bereich eingeschränkt. Es verlangte vor der Aufnahme eines Exorzismus einen Beweis übermenschlicher (und boshafter) Erscheinungen, eine Vorwegnahme der Forderung nach strikter Beweisführung im Hexenverfahren. Eine der Anweisungen setzt allerdings auch eine durch Hexerei verursachte Besessenheit als reale Möglichkeit voraus. Der Exorzist muß den Dämon fragen, ob er ob aliquam operam magicam aut malefica signa vel instrumenta (aufgrund einer magischen Begehung oder zauberischer Zeichen und Mittel) im Leibe festgehalten wird. Hat der oder die Besessene derartiges verschluckt, muß er oder sie es erbrechen; befinden sich die ursächlichen Elemente anderswo, sollen sie sich zu erkennen geben und verbrannt werden (tit. 90, Nr. 19). Im 18. Jh. wurden diese Vorstellungen von Girolamo Baruffaldi, einem bekannten Priester und Dichter aus Ferrara (1675-1755), der auch als Jurist und Konsultor des Heiligen Offiziums wirkte, in seinem Werk Ad Rituale Romanum Commentaria (Venedig 1731,367) als ein auf teuflischer Eingebung beruhender Wahn abgetan: „Die moderne Praxis hat andere Auffassungen" (praxis modernorum sentit aliter). Die Anweisung blieb jedoch bis in die „Postmoderne" stehen, bis zur Neufassung des entsprechenden Rituals im Januar 1999 (De exorcismis et supplicationibus quibusdam, Vatikanstadt 1999; vgl. besonders 11 Nr. 15). Die neuen Instruktionen bestätigen die Möglichkeit natürlicher Ursachen für besessenheitsartige Symptome (vgl. Österreich; Tonquedec), sie behaupten aber deutlich auch die Existenz teuflischer Besessenheit als theoretischer wie praktischer Möglichkeit. 6. Neuzeitliche

Diskussionen

und

Teufelsbilder

6.1. Gibt es den Teufel, und wenn ja, welchen Teufel? Zweifel des modernen Protestantismus an der Existenz des Teufels begannen mit der energischen Feststellung

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F.D.E. —•Schleiermachers, der Teufel „solle für uns als thätiges Wesen Null werden. Dann aber giebt es auch für uns, im christlichen Sinne des Wortes, keinen Glauben an ihn" (Der christliche Glaube [1821-22], ed. Hermann Peiter, Berlin/New York, §55.3, 159; vgl. Haag, Teufelsglaube 52ff.). Zugleich aber begannen Stimmen laut zu werden, die man als „Amateursatanisten" bezeichnen könnte (z. B. Abbé Alphonse Louis Constant [Eliphas Lévi] [1810-1875] und Charles Baudelaire [1821-1867]), und Beispiele dafür begegnen auch während des 20. Jh. (vgl. Russell, Devil [1986] 200-210.253 - 2 5 7 ) . In katholischen Kreisen machten sich tiefgreifende Zweifel an der Existenz des Teufels erst in den sechziger Jahren des 20. Jh. bemerkbar (Cini Tassinario 1 8 7 - 1 9 6 ) . Gemeinhin wird gefragt, ob der Teufel eine reale, übernatürliche Person ist oder ein Symbol für Sünde oder eine fiktive, aus einem bildhaften hebräischen Denken erwachsene Gestalt. Bei den Erörterungen darüber und über die Frage, ob das vierte Laterankonzil (-+Lateransynoden) die Existenz des Teufels und anderer Dämonen definiert oder lediglich als Annahme vorausgesetzt habe (DH 800), wird unverändert davon ausgegangen, daß die patristische Darstellung des Teufels als des luziferischen Gegners Gottes zutreffend das Teufelsbild des Neuen Testaments wiedergibt. Läßt sich aber feststellen, daß die Satane des Alten Testaments als nicht gefallene Diener Gottes anzusehen sind und Entsprechendes auch für das Neue Testament anzunehmen ist, stellt sich die Frage anders: Muß nicht die schroffe nachbiblische Teufelsgestalt, deren Geschick zu Beginn der Zeit besiegelt worden ist, einer stärker biblisch ausgerichteten Einschätzung Platz machen (Kelly, Satan)? Eine Ursünde Satans hat Papst -»Paul VI. in seiner Allokution Liberaci dal male (OR vom 16.11.1972) vorausgesetzt, doch er beschreibt den Fall als un dramma infelicissimo (ein unglückseliges Drama), über das wir sehr wenig wissen. Indessen ist unter Katholiken die überkommene Vorstellung vom überheblichen Morgenstern von Jes 14 noch sehr lebendig, und in ausgeprägt evangelikalen Kreisen, wie sie etwa in Satan Is Alive and Well on Planet Earth von Hai Lindsey (1972) zur Sprache kommen, steht sie außer Frage. 6.2. Literarische Verarbeitungen des Teufels. In der Dichtung begegnen unterschiedliche Spekulationen über den Teufel. Das beginnt mit Werken wie den mittelalterlichen Bibeldramen (-• Mysterienspiele) und Paradise Lost von J. -»Milton, in denen der Fall Luzifers geschildert wird. In den Verarbeitungen der Faustsage durch Christopher Marlowe (1564-1592) und J.W. -»Goethe wird die Gestalt des Mephistopheles gezeichnet. Die szenische Darstellung in den Opern von Hector Berlioz (1803-1869), Arrigo Boito (1842-1918) und Charles Gounod (1818-1893) haben sicher mehr als alles andere zur Festigung des Teufelsbildes im modernen Bewußtsein beigetragen. Später haben Thomas -•Mann in Doktor Faustus (1947) und J.P. -•Sartre in Le diable et le bon Dieu (1951) und vor ihnen bereits F. M. —•Dostojewskij in Die Brüder Karamasow (1880) einen imaginären Teufel vorgestellt. Ein traditioneller Teufel begegnet in Sous le soleil de Satan (1926) von Georges Bernanos (1888-1948). Der Tradition folgt auch Clive Staples Lewis (1898-1963) mit seinen komischen Teufeln in The Screwtape Letters (1942) wie in seiner ernsthaften Aufnahme des Themas in der Science-fiction-Trilogie Out of the Silent Planet (1938), Perelandra (1943) und That Hideous Strength (1945). Auch Nikos Kazantzakis (1883-1957) bewegt sich bei seiner Darstellung des Versuchers in ö TeXsuTawç neipaa/iôç (1951) in traditionellen Bahnen. Das Gleiche gilt für William Peter Blatty (geb. 1928) in The Exorcist (1971) und läßt sich wohl auch von dem eschatologisch ausgerichteten Roman Kosemary's Baby (1967) von Ira Levin (geb. 1929) sagen. Die drei letzten Werke sind erfolgreich verfilmt worden. Um eine Rehabilitation des Bildes vom Teufel bemüht sich Giovanni Papini (1881-1956) in II Diavolo (1953) mit Spekulationen über die endliche Erlösung Satans. In jüngster Zeit hat Anne Rice (geb. 1941) in Memnoch the Devil (1995) ihre Welt von Vampiren in den jüdisch-christlichen Kosmos eingezeichnet; doch sie stellt einen Luzifer dar, der aus Rechtschaffenheit aus dem Himmel verbannt ist. Ein rechtschaffener Luzifer, dessen negatives Bild mensch-

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lichem Irrtum entspringt, begegnet schließlich in der Engel-Trilogie von Andrew Greeley (geb. 1928): Angel Fire (1995), Angel Light (1996) und Contract with an Angel (1998). Literatur Francis I. Andersen, 2 (Slavonic Apocalypse of) Enoch: O T P 1 (1983) 9 1 - 2 2 1 . - APAT. - APOT. - Hans-Martin Barth, Der Teufel u. Jesus Christus in der Theol. Martin Luthers, 1967 (FKDG 19). - Elmar Bartsch, Die Sachbeschwörungen der röm. Liturgie, 1967 (LWQF 46). - Richard Bauckman, Descent to the Underworld: AncB Dictionary 2 (1992) 1 4 5 - 1 5 9 . - The Book of the Secrets of Enoch, transi, by W. R. Morfill, ed. by Robert Henry Charles, Oxford 1896. - Frank Edward Brightman, The English Rite, 2 Bde., London 1915. - Wolfgang Brückner/Rainer Alsheimer, Das Wirken des Teufels. Theol. u. Sage des 16. Jh.: Wolfgang Brückner, Volkserzählung u. Reformation. Ein Hb. zur Tradierung u. Funktion v. Erzählstoffen u. 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Teufel VI

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Henry Ansgar Kelly VI. Systematisch-theologisch 1. Das Reden v o m Teufel O r t und Gestalt des Teufels (Literatur S. 136)

2. Die Wirkmächtigkeit des Teufels und des Bösen 3. Herkunft, 4. Die Befreiung und Uberwindung vom Teufel und v o m Bösen

In der christlichen Tradition wird der Teufel als „Widersacher" Gottes, als „Verführer" und „Versucher" der Menschen, als wirkmächtige „Gestalt" des -»Bösen verstanden. So spitzen sich in der systematisch-theologischen Reflexion des „Teufels" die Grundfragen des Gottes-, Menschen- und Weltverständnisses noch einmal zu. Zugleich steht jede dogmatische Entfaltung unter dem Vorbehalt: Wird damit der mythischen Figur des Teufels nicht zu viel Aufmerksamkeit erwiesen? Wir sollen nicht an den Teufel glauben, sondern seine Wirkmächtigkeit nüchtern und wachsam wahrnehmen (Barth, KD IV/3, 301). Entziehen sich nicht das Böse und der Teufel „bestimmungsresistent" (Jüngel 1707), hartnäckig dem analytischen Zugriff? Sind Versuche einer Objektivation nicht schon erste Schritte zu einer „Entbösung des Bösen"? Andererseits bedarf es einer Wahrnehmung der „Wirkmächtigkeit" des Bösen, damit man ihm widerstehen kann (Ricoeur 405f.). Die Entmächtigung des Bösen fordert, es beim Namen zu nennen und zu „demaskieren" (Wink; Stringfellow). Nicht zuletzt angesichts der verheerenden Wirkungsgeschichte des Teufelsglaubens im Christentum bedarf es einer kritischen Annäherung an das Phänomen des Bösen in seiner Entzogenheit und vielgestaltigen Wirkmächtigkeit. 1. Das Reden vom Teufel Im Kontext der -»Aufklärung fiel die Rede vom Teufel einer als notwendig erachteten Entmythologisierung anheim. Sie schien nur in einer existentialen, vorwiegend von psychologischen Einsichten bestimmten Interpretation zugänglich. Theologisch hatte sich weitgehend -»Schleiermachers These von der dogmatischen Irrelevanz und der nur Widersprüche hervorrufenden „Erklärungsleistung" der Rede vom Teufel durchgesetzt (Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt [ 2 1830-1831], hg. v. Martin Redeker, Berlin, I 7 1960, §§ 4 4 - 4 5 ) . Während die katholische Theologie sich an den Festlegungen ihrer Tradition und der Praxis des -»Exorzismus abarbeitet (Haag; Ciaret), ist es in der protestantischen Theologie seit den 70er Jahren des 20. Jh. zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Rede vom Teufel gekommen. Sie fällt zusammen mit einer „Renaissance des Bösen" und einer Wiederkehr der Rede von „dunklen Mächten", die in den westlichen Gesellschaften auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Bösen in der jüngeren Geschichte und aktueller, Unrecht und Leiden erzeugender Eigendynamiken weltweiter Entwicklungen neu interessieren. Neu werden die Zeitgebundenheit von Teufelsvorstellungen in Schrift (-»Schrift, Heilige) und Tradition und die damit verbundene mythische Sprach- und Denkform diskutiert. Ausgehend von der allgemeinen Mythosdebatte wird für die „Sym-

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N . Y . 1981. - Ders., Lucifer. T h e Devil in the Middle Ages, Ithaca, N . Y . 1984. - Ders., Mephistopheles. T h e Devil in the M o d e r n World, Ithaca, N . Y . 1986. - Ders., T h e Prince o f Darkness. Radical Evil and the Power of G o o d in History, Ithaca, N . Y . 1988. - Satan, 1948 ( E t C a r m 27). - Josef Schmid, Das Evangelium nach Lukas, 1940 3 1 9 5 5 ( R N T 3). - Piet Schoonenberg, Gods wordende wereld, Tielt 1962; dt.: Gottes werdende Welt, Limburg a. d. L. 1963. - Wolfgang Speyer, Art. Gottesfeind: R A C 11 (1981) 9 9 6 - 1 0 4 3 . - Joseph de Tonquédec, Les maladies nerveuses ou mentales et les manifestations diaboliques, Paris 1938. - André Vaillant, Le Livre des secrets d ' H é n o c h , Paris 1952. - Heinrich Wey, Die Funktionen der bösen Geister bei den griech. Apologeten des zweiten Jh. n . C h r . , Winterthur 1957. - Alfred Wikenhauser, Die Offenbarung des Johannes, 1947 3 1 9 5 9 ( R N T 9). - Alois Winklhofer, Traktat über den Teufel, Frankfurt 1961. - Ders., Zur Frage nach der Existenz des Teufels: S K Z 136 (1969) 4 7 3 - 4 7 5 . - Albert Z i m m e r m a n n (Hg.), Die M ä c h t e des Guten u. Bösen. Vorstellungen im X I I . u. XIII. J h . über ihr Wirken in der Heilsgesch., Berlin/New York 1977.

Henry Ansgar Kelly VI. Systematisch-theologisch 1. Das Reden v o m Teufel O r t und Gestalt des Teufels (Literatur S. 136)

2. Die Wirkmächtigkeit des Teufels und des Bösen 3. Herkunft, 4. Die Befreiung und Uberwindung vom Teufel und v o m Bösen

In der christlichen Tradition wird der Teufel als „Widersacher" Gottes, als „Verführer" und „Versucher" der Menschen, als wirkmächtige „Gestalt" des -»Bösen verstanden. So spitzen sich in der systematisch-theologischen Reflexion des „Teufels" die Grundfragen des Gottes-, Menschen- und Weltverständnisses noch einmal zu. Zugleich steht jede dogmatische Entfaltung unter dem Vorbehalt: Wird damit der mythischen Figur des Teufels nicht zu viel Aufmerksamkeit erwiesen? Wir sollen nicht an den Teufel glauben, sondern seine Wirkmächtigkeit nüchtern und wachsam wahrnehmen (Barth, KD IV/3, 301). Entziehen sich nicht das Böse und der Teufel „bestimmungsresistent" (Jüngel 1707), hartnäckig dem analytischen Zugriff? Sind Versuche einer Objektivation nicht schon erste Schritte zu einer „Entbösung des Bösen"? Andererseits bedarf es einer Wahrnehmung der „Wirkmächtigkeit" des Bösen, damit man ihm widerstehen kann (Ricoeur 405f.). Die Entmächtigung des Bösen fordert, es beim Namen zu nennen und zu „demaskieren" (Wink; Stringfellow). Nicht zuletzt angesichts der verheerenden Wirkungsgeschichte des Teufelsglaubens im Christentum bedarf es einer kritischen Annäherung an das Phänomen des Bösen in seiner Entzogenheit und vielgestaltigen Wirkmächtigkeit. 1. Das Reden vom Teufel Im Kontext der -»Aufklärung fiel die Rede vom Teufel einer als notwendig erachteten Entmythologisierung anheim. Sie schien nur in einer existentialen, vorwiegend von psychologischen Einsichten bestimmten Interpretation zugänglich. Theologisch hatte sich weitgehend -»Schleiermachers These von der dogmatischen Irrelevanz und der nur Widersprüche hervorrufenden „Erklärungsleistung" der Rede vom Teufel durchgesetzt (Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt [ 2 1830-1831], hg. v. Martin Redeker, Berlin, I 7 1960, §§ 4 4 - 4 5 ) . Während die katholische Theologie sich an den Festlegungen ihrer Tradition und der Praxis des -»Exorzismus abarbeitet (Haag; Ciaret), ist es in der protestantischen Theologie seit den 70er Jahren des 20. Jh. zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Rede vom Teufel gekommen. Sie fällt zusammen mit einer „Renaissance des Bösen" und einer Wiederkehr der Rede von „dunklen Mächten", die in den westlichen Gesellschaften auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Bösen in der jüngeren Geschichte und aktueller, Unrecht und Leiden erzeugender Eigendynamiken weltweiter Entwicklungen neu interessieren. Neu werden die Zeitgebundenheit von Teufelsvorstellungen in Schrift (-»Schrift, Heilige) und Tradition und die damit verbundene mythische Sprach- und Denkform diskutiert. Ausgehend von der allgemeinen Mythosdebatte wird für die „Sym-

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bolik des Bösen" (Ricceur 17ff.) darauf verwiesen, daß solche -»Symbole als Ausdruck von Erfahrungen und Weltdeutungen eine imaginativ-poietische, verhaltenssteuernde Funktion (Geertz 53) haben. Sie sind darin unhintergehbar, daß der „Sinn" des Symbols nicht unmittelbar gegeben ist, sondern immer wieder interpretativ eingelöst werden muß (Ricceur 401 f.) und so auch nicht bleibend in Wissen oder gar in eine (lehramtliche) Doktrin überführt werden kann. So zeitbedingt biblisches Reden vom Bösen ist, als dessen „personale Repräsentanz" der Teufel vorgestellt wird, so deutlich gibt uns das Böse in seiner realen zerstörerischen Macht zu denken und zu handeln auf. 2. Die Wirkmächtigkeit

des Teufels und des Bösen

Vielfältig sind die Beschreibungen der Wirkweisen des Bösen. Die Tradition unterscheidet zwischen dem kreatürlichen, dem metaphysischen und dem moralischen Übel. Letzteres verdankt sich der bösen Absicht und dem bösen Handeln des Menschen und ist im engeren Sinn als Böses zu verstehen. Das gilt unbeschadet der unverkennbaren Wechselwirkungen zwischen dem malum naturale und malum morale. Das läßt zuallererst deutlich werden, daß das Böse im Sinne des Schlechten nur von relativer Eigenständigkeit ist. Es zeigt sich an und in anderem und durch anderes. Deshalb wird das Böse als Schlechtes, d . h . als Mangel des Guten (-» Augustin; -»Thomas von Aquino), dem kein eigenes Sein zukommt, gedeutet. Allerdings positioniert sich in der Gegenwart des Menschen das Böse so, daß es das Seiende, das Gute besetzt und benützt (Besessenheit), sich so auch den Anschein des Guten gibt, aber es verkehrt, einzelne Aspekte isoliert und abspaltet, Beziehungen trennt und entzweit. Darin wird es in seiner zerstörerischen Macht zum Gegensatz des Guten. Durch den Menschen, durch das menschliche Verblendet-Sein findet das Böse Eingang in die Welt. Der Teufel ist in diesem Sinn nichts ohne den Menschen. Er hat keinen eigenen Grund. Dennoch ist das Böse nicht auf den Menschen als seinen Grund reduzierbar, weder auf den Gebrauch der -»Freiheit des Einzelnen noch auf ein überindividuelles Wirken in Gemeinschaften, Institutionen und Strukturen (das gesellschaftliche Böse). Das Böse entwickelt, einmal in die Welt gekommen, seine eigene, sich verselbständigende Dynamik (Tillich III, 124ff.), Logik und Raffinesse (Ricceur 405f.). Obwohl erfinderisch im Bösen, erfinden wir das Böse nicht, sondern setzen es fort, variieren es als Täter und Opfer in einem. So begegnet das Böse dem Menschen auch als ein „Außen". 3. Herkunft,

Ort und Gestalt des Teufels

Im theologischen Sinn ist das Böse das von Gott nicht als gut Bejahte, das Verneinte. Das Böse vollzieht sich als Widerspruch gegen Gott, als Verweigerung der Gemeinschaft mit Gott, als Verkehrung der -»Berufung des Menschen zum Ebenbild Gottes (-»Bild Gottes; -»Mensch). Das Böse am Bösen ist die —»Sünde (Ebeling I, 294). Wie verhält sich die den Menschen und die Welt erwählende, bejahende und erlösende Macht Gottes, seine -»Liebe zu dieser Welt zu dieser Macht des Widerspruchs (-»Theodizee)? An Erklärungsversuchen, wozu der Widerspruch gut sei, etwa als notwendiger Schritt zur Selbstverwirklichung des Absoluten in der Negation der Negation (-»Hegel), fehlt es ebensowenig wie an Versuchen, die Unumgänglichkeit des Widerspruchs aufzuweisen, etwa als mit der Realisierung von Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen gegebene Notwendigkeit (Tillich II, 52), als das mit dem Gewollten Nichtgewollte (Barth, KD II/l, 612). Doch solche Versuche entlasten zwar Gott, aber sie beschränken seine Macht und Liebe. Darum ist davon auszugehen, daß der Teufel nicht nur von Mensch und Welt geliehene (Zeilinger) und geraubte, sondern auch eine von Gott zugelassene, nicht aus Zorn in Dienst genommene, sondern in seiner Liebe zu uns erlittene Macht hat. So ist der Teufel keine dunkle Seite Gottes. Zur Verborgenheit Gottes gehört für uns diese unbegreifliche Zulassung des Widerspruchs. Dagegen ist es im Licht des Glaubens unmöglich zu sagen, daß Gott in sich selbst widersprüchlich wäre.

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Da der Teufel sein „Unwesen" (Barth, K D I V / 3 , 300) in diesem zugelassenen, geliehenen und geraubten R a u m treibt, hat er keinen rechten Ort und will überall „einw o h n e n " . Wenn symbolisch vom Teufel als gestürztem -»Engel geredet wird, ist die Zusammengehörigkeit des Falls des Engels und des Sündenfalls der Menschen hervorzuheben. Dabei ist das Neue Testament mehr an der Erfahrung der M a c h t der Sünde und ihrer Überwindung interessiert als an den Fragen, ob es einen Versucher gibt und wo die Sünde herkommt. Der Teufel ist ein Phänomen des Übergangs. Darin liegen seine M a c h t und Ohnmacht. Wenn vom Teufel „personal" geredet wird, so kann dies als Ausdruck der Erfahrung gedeutet werden, daß ein der eigenen Person sich bemächtigender fremder Wille begegnet (Ebeling I, 369f.). Vom Teufel nur so zu reden verdeckt aber die bleibenden Unterschiede seines „Wesens" zum Wesen Gottes und der Menschen. Die „Zwischenstellung des Teufels" erfordert auch eine Rede vom Teufel als transpersonaler Macht. Ein Widerschein dieser Zwischenstellung findet sich in der Kunst (s.u. VIII.), die den Teufel nur als eine Art Misch- urid Zwischengestalt, als eine unter der Maske der gelungenen Gestalt verborgene Mißgestalt zur Erscheinung bringt. 4. Die Befreiung

und Uberwindung

vom Teufel und vom

Bösen

Der Teufel ist nicht zuletzt deshalb ein „Phänomen des Übergangs", weil er im Lichte der biblischen Botschaft als eine gerade im Augenblick des Ausspielens seiner M a c h t im Kreuzestod Jesu ( - » K r e u z II) und somit als eine überwundene, entmachtete und vergehende M a c h t gekennzeichnet wird. Die Befreiung in Christus löst die Menschen und die M ä c h t e selbst aus ihrem Bann (Moltmann). Die in der Tradition diskutierte Frage, ob der Teufel am Ende gerichtet und vernichtet oder auch erlöst wird, können wir der Zukunft in Gott überlassen. Die in -»Jesus Christus geschehene Befreiung des Menschen vollzieht sich in einem Leben im -»Glauben, in der Liebe und -»Hoffnung. In der noch ausstehenden Vollendung des Sieges Christi liefert sich der Mensch im mangelnden Vertrauen zu Gott immer wieder dem Bösen aus und gibt ihm darin „verkehrte M a c h t " . Der Mensch aber steht unter der -»Verheißung neuer Erfahrung der Zuwendung Gottes, die dem Menschen die —»Gerechtigkeit Gottes zuspricht und ihn darin freispricht. Dem korrespondiert ein Verhalten gegenüber dem Bösen, das das Böse in seiner M a c h t und Vielgestalt ernst nimmt, ihm mit den Strukturen des Rechts widersteht, es entlarvt (dekonstruiert), ihm mit dem Guten zuvorkommt und in der Versuchung und in der Erfahrung des Bösen seine Zuflucht bei Gott und seiner Verheißung nimmt (-»Gebet). Literatur Karl Barth, K D . - Christi. Glaube u. Dämonenlehre. Die Lehre der Kirche über den Teufel, hg. v. der Kongregation f. die Glaubenslehre in R o m , Stein a m Rhein 1975 3 1 9 9 9 . - Bernd J . Ciaret, Geheimnis des Bösen. Z u r Diskussion um den Teufel, 1997 2 2 0 0 0 (IThS 4 9 ) . - Gerhard Ebeling, Dogmatik des christl. Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979 3 1 9 8 7 . - Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beitr. zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a . M . 1983 = 1987 6 1 9 9 9 (stw 6 9 6 ) . - Herbert H a a g (Hg.), Teufelsglaube, Tübingen 1 9 7 4 2 1 9 8 0 . - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, SW. X V I I - X I X . Vorl. über die Gesch. der Phil., hg. v. H e r m a n n Glockner, Stuttgart 1928 = 1965. - Eberhard Jüngel, Art. Das Böse. V. D o g m . : R G G 4 1 (1998) 1 7 0 7 f . - Walter Kasper/Karl Lehmann (Hg.), Teufel - D ä m o n e n - Besessenheit. Z u r Wirklichkeit des Bösen, M a i n z 1978. - Jürgen M o l t m a n n , Z w ö l f Bemerkungen zur Symbolik des Bösen: E v T h 5 2 (1992) 1 - 6 (Themenheft: Wohin mit dem Teufel?). - Paul Ricceur, L a symbolique du mal, Paris 1960; dt.: Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld II, F r e i b u r g / M ü n c h e n 1971 2 1 9 8 8 . - William Stringfellow, Free in Obedience, N e w York 1964. - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1 9 5 7 - 1 9 6 6 . - Walter W i n k , Engaging the Powers. Discernment and Resistance in a World of Domination, Philadelphia, Pa. 1992. - T h o m a s Zeilinger, Z w i s c h e n - R ä u m e - Theol. der M ä c h t e u. Gewalten, Stuttgart 1999 (Forum Systematik 2).

Joachim Track

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VII. Praktisch-theologisch 1. Empirisch-hermeneutische Aspekte 2. Deutungsperspektiven auf den Teufelsglauben 3. Praktisch-theologische Handlungsperspektiven angesichts des Teufelsglaubens (Literatur S. 140)

1. Empirisch-hermeneutische

Aspekte

D a ß sich Praktische Theologie mit der Frage nach dem Teufel zu beschäftigen hat und welche Themenaspekte dabei wichtig sind, legt die religiöse Statistik nahe: 1.1. Teufelsvorstellungen sind nicht schon dadurch verschwunden, daß unter theologisch Gebildeten die Rede vom Teufel entmythologisiert oder der „Abschied vom T e u f e l " (Haag) propagiert wird, vielmehr werden in den vielfältigen Strömungen der Frömmigkeit sowie im religiösen Brauchtum (siehe dazu exemplarisch Hartinger) Teufelsvorstellungen tradiert, die eine Praktische Theologie dann nicht ignorieren kann, wenn sie sich auf „gelebte Religion" (Failing/Heimbrock; Grözinger/Lott) bezieht. Aus einer internationalen Wertestudie können statistische Angaben auch für religiöse Vorstellungen entnommen werden (vgl. Höllinger 90): Danach glauben an einen Teufel 1991 in Westdeutschland ca. 1 5 % , in Ostdeutschland ca. 7 % der Bevölkerung, was sich gegenüber dem europäischen (ca. 2 4 % ) und U.S.-amerikanischen (ca. 6 5 % ) Durchschnitt zwar bescheiden ausnimmt, aber eben auch nicht zu ignorieren ist. Die Angaben decken sich in etwa mit den von Jörns und seinen Mitarbeitern für Berlin erhobenen Daten (Jörns/Großeholz 295). D a ß die Statistik für Deutschland im europäischen und weltweiten Vergleich niedrigere Gesamtwerte ergibt, sollte nicht den Blick dafür verstellen, daß ein relativer Zusammenhang zwischen der Gottesvorstellung (leibhaftiger Gott) und den Vorstellungen über Teufel und -> Hölle zu bestehen scheint: Jeweils um die 5 0 % oder mehr der an einen leibhaftigen Gott Glaubenden stimmen auch der Existenz von Hölle und Teufel zu. Viele Menschen scheinen eine Gottesvorstellung nur im Verbund mit ihrem dualistischen Gegenbild eines leibhaftigen Teufels zu entwickeln.

Abbildung: G l a u b e an G o t t und den Teufel n a c h W o r l d Value Survey 1991, vgl. Höllinger 9 0

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1.2. Unter dem Eindruck einer aufklärerisch abgekühlten Theologie und einer allzu nüchternen kirchlichen Praxis tendieren Milieus, für die eine personale Existenz des Teufels wichtig ist, zur enttäuschten Emigration in subkulturell-kirchliche Nischen oder sie wurden zur Abspaltung gezwungen, um sich dann in teilweise prosperierenden fundamentalistischen, spiritistischen und charismatischen Sondergemeinschaften zu sammeln, in denen der Teufel seine leibhaftig-bedrohliche Selbstverständlichkeit ebenso behalten kann wie die Dämonen und darum -»Exorzismus möglich bleibt. 1.3. In der heutigen Generation der Kinder und Jugendlichen entfalten Vorstellungen vom Teufel und den Dämonen eine hohe Faszination. Diese Vorstellungen werden von Filmen, Musik und Computerspielen mitgeprägt, aber auch von eigenen okkulten Erfahrungen. Dem Satz „Ich glaube, den Teufel gibt es wirklich" stimmen von 1754 zum Okkultismus befragten Jugendlichen 24 % zu; von den 10,3 % der Befragten, die angeben, bei aktiven okkulten Praktiken Angst bekommen zu haben, sind es ca. 4 0 % (Mischo, Abschlußbericht, Anhang 4). Das spektakuläre Phänomen der sog. schwarzen Messen weist sehr hohe Bekanntheitswerte von ca. zwei Dritteln der Jugendlichen auf (Mischo, Okkultismus 111; vgl. Zinser) und scheint hohe Attraktivität zu besitzen, doch bewegen sich die Angaben für aktives Praktizieren um 3 % oder weniger (Bucher 252; Zinser 7.33). Ob unsere Jugend „zum Teufel geht" und satanistische Kulte auch hierzulande ihr zerstörerisches Unwesen treiben - das Problem der satanischen Kulte und der antisatanischen Bewegung hat besonders in den USA heftige Diskussionen ausgelöst (Richardson/Best/Bromley) - oder diese jugendkulturelle Strömung wenig Anlaß zur Besorgnis gibt, ist umstritten. Vermutlich aber verzerren die durch die Medien verbreiteten sensationellen Gewaltakte satanistisch orientierter Jugendlicher das Bild. Aus qualitativen Studien geht hervor, daß zumindest ein Teil der Jugendlichen, die sog. „schwarze Szene", viel treffender als jugendliche Trauergemeinde zu bezeichnen wäre (Helsper), die den Gedanken an den Teufel nicht verdrängen mag. 1.4. Anlaß zu Rückfragen an die Praktische Theologie - und die Langzeitwirkungen des Theologiestudiums? - geben die Einstellungen von Pfarrerinnen und Pfarrern zu Teufel, Exorzismus und Hölle. Rosin und Hammers berichten aus einer Untersuchung von dem Jahre 1972, daß ca. ein Drittel der evangelischen und ca. drei Viertel der katholischen Geistlichen den Teufel für ein real existierendes personales Wesen halten, während die jeweils anderen zwei Drittel (evangelisch) und ca. 2 6 % (katholisch) den Teufel als „Personifikation des Bösen in uns" ansehen (Hammers/Rosin 64f.; Rosin/ Hammers 613). Niedrigere Werte hat Jörns 1992 in einer Umfrage in Berlin erhoben: Er hat 273 evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern den Satz vorgelegt „Die Hölle ist der Wohnsitz des Teufels/Satans" und dafür zu 10% (West) und 1 6 % (Ost) Zustimmungen erhalten (Rademacher/Jörns 241). 2. Deutungsperspektiven

auf den

Teufelsglauben

Aus dem Ensemble von interdisziplinären Perspektiven auf die Teufelsvorstellungen und ihre fortdauernde Wirksamkeit ist auf zwei Erklärungsmodelle hinzuweisen, die die praktisch-theologischen Handlungsvorschläge profilieren helfen: 2.1. Konkret-dinghaftes oder metaphorisches Verständnis. Wenn christlicher Glaube als „Befreiung von den Mächten" charakterisiert ist, ist es durchaus von Belang, ob der Teufel konkretistisch als Wesen einer Hinterwelt oder metaphorisch verstanden wird. Die Ablehnung dieser Konkretheit als dem evangelischen Glauben unangemessen könnte sich auf Schleiermachers Vorschlag berufen, die Vorstellung vom Teufel radikal aus der Glaubenslehre auszugrenzen und zugleich die Rede vom Teufel in der religiösen Poesie, etwa dem Kirchenlied, zu erhalten (Schleiermacher §44; §45, Zusatz). Für eine Interpretation der dinghaften Konkretheit als dämonische Zwanghaftigkeit kann auf Tillichs Auffassung vom Dämonischen verwiesen werden (Tillich). Zur Dämonie wird alle Furcht

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und Ehrfurcht, wenn die Freiheit der Person, das „zentrierte Selbst", zwanghaft und manipulativ unterlaufen wird oder wenn etwas Bedingtes zum Unbedingten erhoben wird. Eine entwicklungspsychologische Parallele der grundlegenden Unterscheidung zwischen dinghafter Konkretheit und metaphorisch-symbolischem Verständnis ist in den Verstehensweisen zu erkennen, die in den verschiedenen religiösen Stilen oder Stufen des Glaubens (Fowler) unterschieden werden: Hier wird ein mythisch-wörtliches von einem entmythologisierenden, individuierend-reflektierenden Verstehenszugang abgehoben, um darüber hinaus auf ein nachkritisches symbolisches Verständnis zu weisen. Der Unterschied zwischen konkret-dinghaften und metaphorischen Verstehensweisen kann so im Rahmen eines Modells religiöser Entwicklung gedeutet werden (vgl. dazu auch Streib). 2.2. Psychoanalytische Perspektiven zum Teufel. Der Teufel ist unheimlich. Aus der psychoanalytischen Sicht -»Freuds jedoch stellt sich „das Unheimliche" als „das heimlich Eigene" heraus (Freud, Das Unheimliche). Der Teufel gehört danach ebenso wie die Dämonen und Geister zu den privaten Symbolsystemen, in denen die eigenen Ängste und Schatten zu Bewußtsein und zum Ausdruck kommen. Was den Inhalt des Teufelssymbols - vgl. auch die Beiträge von Riess und Raguse - ausmacht, entfaltet und illustriert Freud anhand des Malers Haizmann, dem Fall einer Teufelsneurose im 17. Jh.: Der Teufel ist Vaterersatz; er vereinigt in sich - als zum Dämon abgespaltener oder „gefallener" (Vater-) Gott - nur mehr die bösen Anteile. „Der Vater wäre also das individuelle Urbild sowohl Gottes wie des Teufels" (Freud, Teufelsneurose 332). Ob und wie angesichts dieser dualistischen Aufspaltung das Symbol des Gottes, der Liebe ist und der Gerechtigkeit schafft, seine heilsame Kraft entfalten kann, ist eine Frage nicht zuletzt an die Pastoralpsychologie bzw. an die Psychoanalyse selbst. 3. Praktisch-theologische

Handlungsperspektiven

angesichts

des

Teufelsglaubens

Wenn das Ziel der biblischen Rede vom Teufel und den Dämonen nicht „die Dämonisierung der Wirklichkeit, sondern ihre Entdämonisierung" (Feldmeier 24) ist, könnte Exorzismus der Begriff sein, der für praktisch-theologische Handlungsperspektiven leitend sein sollte. 3.1. Exorzismus hat kirchenhistorisch besonders in der ->Liturgie für die -»Taufe und in der -»Seelsorge eine beachtliche Rolle gespielt (zum Exorzismus als priesterliche und charismatische Heilpraxis s. T R E 10,756-761). Die liturgische und seelsorgerliche Praxis sowie die Praktische Theologie haben sich jedoch von Teufelsvorstellungen und solchen exorzistischen Ritualen weitgehend entfernt. 3.2. Dagegen findet sich der Begriff Exorzismus gelegentlich in praktisch-theologischen Werken (Bohren; Thurneysen) in metaphorischem Sinn. Neidhart (TRE ll,760,28ff.) erhebt aus „semantischen Gründen" Bedenken dagegen. Die Praktische Theologie ist jedoch herausgefordert, angesichts der Verbreitung der Teufelsvorstellungen ihre Zielperspektive zu explizieren. Es ist darum zu erwägen, diese praktisch-theologische Zielperspektive als Entzauberung zu fassen (vgl. Streib). Was Entzauberung bedeutet, sei abschließend für die Religionspädagogik und die Seelsorge skizziert. 3.3. Religionspädagogische Überlegungen zum Teufel. Wenn das Ziel der religionspädagogischen Praxis als Entzauberung gefaßt wird, ist methodisch die Symboldidaktik (-•Symbol) besonders geeignet, weil es erstens um die Erkenntnis des symbolischen Charakters religiöser Sprache geht und zweitens um den Bezug auf Symbole aus der christlichen Tradition, die eine Antwort auf die Symbolik des Bösen bereithalten. Dabei soll eine Symboldifferenz ins Spiel gebracht werden. Entzauberung heißt dann, den Teufel als Symbol zu nehmen, um seiner Wahrheit nachzudenken, und nicht als zu fürchtendes Wesen einer Hinterwelt.

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3.4. Seelsorge und Teufelsglaube. In der Seelsorge sollten die Teufelsvorstellungen der Seelsorgesuchenden weder rationalistisch verleugnet n o c h spiritualistisch verstärkt, sondern m i t Verständnis behandelt und im seelsorgerlichen G e s p r ä c h bearbeitet werden. D a b e i verdient die P s y c h o d y n a m i k dieser Vorstellungen b e s o n d e r e B e a c h t u n g . Teufelsvorstellungen sind A u s d r u c k innerer Konflikte, des „ h e i m l i c h E i g e n e n " , tiefsitzender Ängste und m ö g l i c h e r w e i s e t r a u m a t i s c h e r E r f a h r u n g e n . Diesen wird in solcher S y m bolisierung die A n o n y m i t ä t g e n o m m e n und so eine gewisse D i s t a n z geschaffen, die symbolische und narrative B e a r b e i t u n g e r m ö g l i c h t . P o i m e n i s c h e A n s ä t z e wie der von W i n k ler fordern in diesem Sinne eine „ V e r g e g e n s t ä n d l i c h u n g " von Angst in F u r c h t . E n t z a u berung heißt dann a u c h Ich-Integration. Dies k a n n a n h a n d des s p e k t a k u l ä r e n Falls aus der Seelsorgepraxis des Pfarrers J . C . B l u m h a r d t , der H e i l u n g der G o t t l i b i n D i t t u s , verdeutlicht werden. D e r E n t w u r f der Seelsorge als G e s p r ä c h , den S c h a r f e n b e r g ausgerechnet a m Fall der H e i l u n g der „ v o n D ä m o n e n b e s e s s e n e n " G o t t l i b i n Dittus erläutert, versteht sich auch als A n t w o r t auf die F r a g e n a c h der heilsamen M a c h t des W o r t e s und als Versuch, die T r a d i t i o n des E x o r z i s m u s zeitgemäß zu b e e r b e n . Literatur Rudolf Bohren, Predigtlehre, München 1971. - Anton A. Bucher, Ist Okkultismus die neue Jugendreligion? Eine empirische Unters, an 650 Jugendlichen: ARPs 21 (1994) 2 4 8 - 2 6 6 . - Carsten Colpe, Art. Teufel, Teufelsglaube: EKL 3 4 (1996) 7 1 4 - 7 1 9 (Lit.). - Wolf-Eckart Failing/Hans-Günter Heimbrock, Gelebte Religion wahrnehmen, Stuttgart 1998. - Reinhard Feldmeier, Die Mächte des Bösen: Okkulte Faszination, hg. v. Werner H. Ritter/Heinz Streib, Neukirchen-Vluyn 1997, 2 5 - 3 8 . - James W. Fowler, Stages of Faith, San Francisco 1981; dt.: Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991 = 2000. - Gotthard Fermor, Satanismus in der Rockmusik, 1995 (OEZW 22). - Sigmund Freud, Das Unheimliche (1919): ders., GW, London, X I I 1 9 4 0 , 2 2 7 - 2 6 8 . - Ders., Eine Teufelsneurose im 17. Jh. (1923): ebd., XIII 1940 Frankfurt a.M. '1969, 3 1 7 - 3 5 3 . - Albrecht Grözinger/Jürgen Lott (Hg.), Gelebte Religion, Rheinbach-Merzbach 1997. - Herbert Haag, Abschied vom Teufel, Einsiedeln 1969. - Ders., Teufelsglaube, Tübingen 1974 2 1980. - Alwin J . Hammers/Ulrich Rosin, Fragen über den Teufel: Psi u. Psyche. FS Hans Bender, hg. v. Eberhard Bauer, Stuttgart 1974, 6 1 - 7 3 . - Walter Hartinger, Religion u. Brauch, Darmstadt 1992. - Werner Helsper, Okkultismus - die neue Jugendreligion, Opladen 1992. - Franz Höllinger, Volksreligion u. Herrschaftskirche, Opladen 1996. - Klaus-Peter Jörns/Carsten Großeholz, Was die Menschen wirklich glauben, Gütersloh 1998. - Johannes Mischo, Abschlußber. der Fragebogenunters, bei 1754 Schülerinnen u. Schülern in Rheinland-Pfalz zum Thema „Erfahrungen Jugendlicher mit Okkultpraktiken", masch. Freiburg 1990. - Ders., Okkultismus bei Jugendlichen, Mainz 1991. - Albrecht Rademacher/KlausPeter Jörns, Antworten v. Pfarrerinnen u. Pfarrern der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg sowie v. Berliner Theologiestudierenden: Klaus-Peter Jörns/Carsten Großeholz (s.o.) 195 - 257. - Hartmut Raguse, Zur Psychoanalyse des Glaubens an den Teufel: WzM 46 (1994) 1 3 4 - 1 4 7 . - James T. Richardson/Joel Best/David G. Bromley (Hg.), The Satanism Scare, New York 1991. - Richard Riess, Teufelsglaube u. Tiefenpsychologie: Der emanzipierte Teufel, hg. v. Hans M . Barth/Heinz Flügel/Richard Riess, München 1974, 4 7 - 1 0 8 . - Ulrich Rosin/Alwin J. Hammers, Parapsychologie, Okkultismus, Teufelsglauben, Besessenheit, Exorzismus u. Wunder: Die Psychologie des 20. Jh., hg. v. Heinrich Balmer. XV. Transzendenz, Imagination u. Kreativität, Zürich/München 1979, 6 1 0 - 6 1 7 . - Joachim Scharfenberg, Johann Christoph Blumhardt u. die kirchl. Seelsorge heute, Göttingen 1959. - Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der Christi. Glaube nach den Grundsätzen der Ev. Kirche im Zusammenhange darg. ('1830/31), hg. v. Martin Redeker, Berlin, 1 7 1967. - Heinz Streib, Entzauberung der Okkultfaszination, Kampen 1996. - Eduard Thurneysen, Die Lehre v. der Seelsorge, Zürich 1946 = '1988. - Paul Tillich, Der Begriff des Dämonischen u. seine Bedeutung f. die Syst. Theol. (1926): ders., GW, Stuttgart, VIII 1970, 2 8 5 - 2 9 1 . - Klaus Winkler, Seelsorge, 1997 2 2000 (GLB). - Gerhard Zacharias, Satanskult u. Schwarze Messe, Wiesbaden 1964 München *1990. - Hartmut Zinser, Jugendokkultismus in Ost u. West, München 1993. Heinz Streib

Teufel VIII

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VIII. Ikonographisch 1. Allgemein 2. Literarische Quellen 3 . Trägerszenen für die künstlerische Darstellung 4. P h ä n o m e n o l o g i e und Kunstgeschichte 5. A b s c h l u ß (Literatur S. 147)

1. Allgemein O b w o h l die Bibel des Alten und Neuen Testaments die Mächte des Bösen durchaus personal hypostasiert, nämlich zum Teufel (s.o. II. u. III.) und seinen -»Dämonen (II. u. IV.), sind ihre Aussagen zum Äußeren des Teufels bzw. Satans und seiner Schadensgeister sehr zurückhaltend. Die kirchliche Kunst, die bei der Darstellung bestimmter biblischer Szenen oder solcher aus den Heiligenlegenden ein Bild des Teufels oder Dämons benötigte, war daher auch auf außerbiblische Elemente angewiesen, die mit den biblischen Voraussetzungen verschmolzen wurden; auch der Fähigkeit des Malers oder Steinmetzen zur selbständigen Erfindung abstoßender Physiognomien und körperlicher Monstrositäten boten sich hier reiche Möglichkeiten. Dabei unterscheiden die Künstler nicht zwischen „ d e m " Teufel als dem Oberdämon und den Unterteufeln, die sowohl in der Einzahl (z. B. als ausgetriebener Dämon) als auch in der Mehrzahl (etwa als Verführer) auftreten können. Vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit gibt es nebeneinander drei Typen des Teufels bzw. der Dämonen: den menschengestaltigen Unhold, den Schädiger in Tiergestalt und das Mischwesen aus menschlichen und tierischen Elementen.

2. Literarische

Quellen

2.1. Die Bibel Für die Spekulationen über das Äußere des Teufels stellt ohne Zweifel die Bibel die wichtigste Quelle dar. Weil für die Christen das Alte und das Neue Testament stets eine Einheit bildeten, ist eine Differenzierung der Belege nach Altem und Neuem Testament methodisch nicht geboten. Auch eine Unterscheidung zwischen biblischen Aussagen über den Teufel einerseits und über die Dämonen andererseits kann für unsere Fragestellung entfallen, weil die bildende Kunst eine solche Differenzierung nicht vornimmt. Da die Vermittlung der biblischen Aussagen an die christlichen Künstler bzw. ihre theologischen Auftraggeber so gut wie ausschließlich über die Vulgata erfolgte, befragt die folgende Übersicht auch die lateinische Bibel und teilt die dort verwendeten Substantive jeweils in Klammern mit (basiliscus, draco, serpens usw.). Schon die Bibel kennt Dämonen in Menschen- oder Tiergestalt sowie Mischwesen aus Elementen von Mensch und Tier oder verschiedenen Tierarten. Wenn däs Alte Testament „ M ä n n e r " (viri) als gute oder böse Diener Jahwes auftreten läßt (z. B. Gen 18,1 f. 16; Ez 9,2) oder etwa über das Äußere des Satans keine näheren Angaben macht (z.B. Hi 1 , 6 - 1 2 ; Sach 3,1 f.), ist zweifellos die menschliche Gestalt vorausgesetzt. Auch im Neuen Testament sind Dämonen und Engel von ihrem Äußeren her nicht zu unterscheiden (Act 12,15; II Kor 11,14; vgl. Lk 24,37), zunächst also menschengestaltig gedacht (vgl. M k 16,5 par.). Freilich kann der Dämon Tiergestalt annehmen. Vor allem das Raubtier wird dämonistisch qualifiziert. Der Löwe (leo), Symbol des Feindes (Ps 22,14.22; vgl. Ps 91,13), gehört zu den widergöttlichen Mächten (Dan 6,17.23; II T i m 4,17; Hebr 11,33; vgl. J d c 14,5 f.); Löwen können ein von Gott verhängtes Todesurteil vollstrecken (I Reg 1 3 , 2 4 - 2 6 ; II R e g 17,25f.; J e r 5,6). I Petr 5,8 vergleicht den Teufel mit einem brüllenden, raubgierigen Löwen (vgl. Ps 22,14.22). Als dämonische Tiere gelten auch Wolf (lupus, Jes 11,6; 65,25; Jer 5,6; vgl. äthHen 89,13—27 und aus dem Neuen Testament M t 7,15; M t 10,16 par. Lk 10,3; J o h 10,12; Act 20,29) und Hund (canis, Ps 22,17.21; Phil 3,2; II Petr 2,22; Apk 22,15). Wie sein Opfertier, der Sündenbock (Lev 1 6 , 2 0 - 2 6 ) , gleicht vermutlich der Wüstendämon Asasel (Lev 16,8.10.26) einem Bock (hircus) oder wird zumindest gehörnt vorgestellt. Von den beiden antichristlichen Tieren in Apk 13 gleicht das zweite einem

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gehörnten Widder (agnus, Apk 13,11). Da es durch diese Gestalt den erhöhten Christus als Widder bzw. Lamm (Apk 5,6f.) nachahmt, wird es zum Affen Gottes (simia Dei, vgl. II Kor 11,14). Ein Affe ist auch der onocentaurus (Luther: „wilder Hund"), der Jes 34,14 zusammen mit anderen Dämonen genannt wird. Gleichfalls dämonischer Natur ist das Einhorn (unicornis, Ps 22,22; 29,6; 92,11; Jes 34,7). Dämonische Vögel (volucres, aves), unter Umständen verunreinigt durch das Fressen von Aas (Ez 39,17—20; vgl. Apk 19,17f.21), bewohnen die Ruinenstätte Babylons (Jes 13,21 f.; Apk 18,2). Der Versucher zum Sündenfall, zufolge Gen 3 , 1 - 6 eine Schlange (serpens), wird schon Weish 2,24 auf den Teufel (diabolus) gedeutet. Als Drachen (draco) bezeichnet das Alte Testament verschiedene widergöttliche Ungeheuer (Ps 91,13; Jes 13,21; 34,13; ZusDan 14,23-28 u.ö.), vor allem solche des Meeres (Ps 74,13; Ez 32,2 u.ö.). Erst in der Johannes-Apokalypse jedoch erfolgt die ausdrückliche Gleichsetzung des Drachen mit der Schlange des Paradieses einerseits sowie mit dem Teufel und Satan andererseits (Apk 12,9; 20,2). Mischwesen sind im Alten Testament vor allem die in Jahwes Dienst stehenden Keruben (Gen 3,24; Ez 1 , 5 - 1 4 u.ö.; vgl. Apk 4 , 6 - 8 ; 15,7) und Saraphen (Num 2 1 , 6 - 9 ; Jes 6,2; vgl. Joh 3,14; Apk 4,8). Eindeutig negativ qualifiziert ist nur der basiliscus (Ps 91,13; Luther: „Ottern"), den die Leser mit dem gefürchteten, über den bösen Blick verfügenden Mischwesen aus Hahn und Schlange gleichsetzen mußten. Dagegen überliefert die Johannes-Apokalypse Visionen zahlreicher dämonischer Mischwesen, so gepanzerter, skorpionähnlicher Heuschrecken mit Menschengesichtern und Frauenhaaren (Apk 9,3—11), gepanzerter Pferde mit Löwenköpfen und Schlangenschwänzen (Apk 9,16-19), siebenköpfiger, zehngehörnter Drachen (Apk 12,3f.; 13,1; 17,3) und eines Drachenwidders (Apk 13,11). Ausdrücklich wird der Drache von Apk 12,3-18 mit dem Teufel gleichgesetzt (Apk 12,9; vgl. Apk 20,2); der Drache von Apk 13,1, als belebtes Spiegelbild des ersten Drachen (Apk 12,18; 13,1) dessen „Sohn", hat außerdem das Äußere eines Panthers, Bärentatzen und ein Löwenmaul (Apk 13,2 nach Dan 7 , 4 - 6 ) . Die Phantasie des christlichen Visionärs wird nicht nur von altbiblischen Traditionen (Gen, Ps, Dan), sondern auch von paganen Einflüssen geprägt; hinter den dreigestaltigen Pferden von Apk 9 , 1 6 - 1 9 steht die Chimäre der griechischen Mythologie. Biblische Aussagen über die Farbe böser Numina sind selten. Da auch im Alten Testament die weiße Farbe, zusammen mit dem Licht, auf die Seite der göttlichen Welt gehört (vgl. Dan 7,9) und Schwarz die Farbe des Nordens und der Nacht ist (Sach 6,6), dürfte man auch in Israel den teuflischen Mächten die schwarze Farbe zugewiesen haben; die dämonischen sedim (daemonia, Dtn 32,17; Ps 106,37; Luther: „Teufel") sind vielleicht „die Schwarzen" schlechthin. Im Neuen Testament ist der Dualismus Licht-Finsternis noch stärker ausgeprägt (vgl. Joh 1,5; 3,19; R o m 2,19; I Kor 4,5 u.ö.). Aus II Kor 11,14 ergibt sich die Zugehörigkeit des Satans zur Finsternis, also doch wohl auch zur - eigentlich - schwarzen Farbe. Auch die rote Farbe des Feuers kann den dämonischen Mächten zugeschrieben werden. Entsprechend der rötlichen Farbe des kupfernen Apotropaions Num 21,8 f. sind die Saraphen von Num 21,6 - wie schon der babylonische Drache Musrussu - feurig-rot zu denken. Gleichfalls rot ist der siebenköpfige Drache Apk 12,3 (der Apk 12,9 mit dem Teufel identifiziert wird) sowie sein Spiegelbild (Apk 13,1), das rote Reittier der Hure Babylon (Apk 17,3). Rot bekleidet ist schließlich die Hure Babylon selbst, die Personifikation des götzendienerischen und blutrünstigen R o m (Apk 1 7 , 4 - 6 ) ; ihre Farbe tritt in den Gegensatz zum strahlend weißen Leinengewand der Braut und Gattin des Messias (Apk 19,8), d.h. der Kirche und des himmlischen Jerusalem (Apk 21,2).

2.2. Nachbiblische

christliche

Quellen

Wie die Bibel kennt auch die altkirchliche Literatur dreierlei Erscheinungsformen des Teufels und seiner Dämonen: Menschengestalt, Tiergestalt und monströses Mischwesen. Zufolge der bald nach 356 verfaßten Vita Antonii des Athanasius von Alexandrien kann der Satan als Mensch auftreten (c. 23.25.39.40 u.ö.: ed. Gerhardus J. Bartelink, 1994 [SC 400]), unter Umständen ausgezeichnet durch besondere Größe (c. 23.41.66) und Häßlichkeit (c. 66) sowie durch eine schwarze Hautfarbe (c. 6). Um Antonius zur Unzucht zu verführen, wählt Satan die Gestalt einer Frau (c. 5.23). Als

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schwarz^esichtiger Mensch ist Satan auch Barn 4,10; 20,1 vorgestellt (vgl. Gregor I., dial. 2,4); zwölf Laster in Frauengestalt tragen schwarze Kleider (Herrn sim IX 9,5; 13,8; 15,1.3), ebenso die Strafengel zufolge ApkPetr 6,21. Wenn sich die Dämonen als Tiere verkörpern, begegnen weiterhin die biblischen Gestalten des Drachen (Athanasius, v. Anton. 6.24 [nach Hi 40,25 - 4 1 , 2 6 ] ; Makarius, hom. 43,7; Gregor I., dial. 2,25), der Schlange (Athanasius, v. Anton. 9.23.39) und des Löwen (Athanasius, v. Anton. 9; Makarius, hom. 43,7). Häretiker sind Wölfe (Did 16,3; IgnPhld 2,2) und Hunde (IgnEph 7,1). Wolfs- und hundegestaltige Dämonen erwähnt Athanasius, v. Anton. 9. Ganz allgemein „wilde Tiere" begegnen ebd. 23.39.51 f.; verschiedene Tierarten kennt Vita Antonii 9, und ebd. 39 werden - erstmals - Pferde genannt. Eigens erwähnt sei der Stier (ebd. 9), da seine „stoßenden Horner" später zum Äußeren des Teufels gehören werden; die Legenda aurea des Jacobus a Voragine (um 1265) erwähnt in ihrer Vita des heiligen Antonius an dieser Stelle ausdrücklich „Hörner, Zähne und Krallen" der bösen Geister. Die mit ihren Hufen stoßenden Maulesel Symbole der häretischen Arianer (v. Anton. 82) - verwandelt die Legenda aurea in alles zerstampfende Rosse: Der Teufel erhält seinen Pferdefuß. Auch ein Mischwesen beschreibt Athanasius (v. Anton. 53); vom Kopf bis zur Leistengegend ein Mensch, besitzt es „Beine und Füße wie ein Esel". Hier wird die mittelalterliche Teufelsgestalt vorweggenommen; pagan-antike Vorstellungen (Pan, Satyrn) stehen im Hintergrund. Dagegen dürfte das Simia-Dei-Moüv (Teufel als scheinbarer Vertreter der Lichtwelt, v. Anton. 25.39f.) auf II Kor 11,14 zurückgehen. Als mittelalterliche Quellen kommen zunächst die geistlichen Dramen des 1 2 . - 1 6 . Jh. in Betracht (-»Mysterienspiele); in den Passions- und Osterspielen (Muri, Innsbruck, St. Gallen, Pfarrkirchen, Alsfeld), die auch Christi -»Höllenfahrt mit seinem Sieg über den Satan darstellten, trat ohne Zweifel der Teufel als gehörntes, geschwänztes, pferde- oder bocksfüßiges Mischwesen auf (vgl. Schmitz 58f.). Die Szenen auf der Bühne dürften die Wand- und Glasgemälde der Kirchen, aber auch die Bilderbibeln beeinflußt haben - und umgekehrt. Von den Heiligenviten (vgl. z.B. -•Petrus Damiani, Vita Romualdi) sind hier vor allem die Legenden derjenigen Heiligen zu nennen, die mit einem Drachen, einer Schlange, einer Teufelsfigur, unter Umständen auch einem Löwen als Attribut dargestellt werden. Ein Drache ist Attribut der Heiligen Beatus, Cyriacus, Georg, Magnus von Füssen, Margareta, Martha, Narcissus und Olaf, eine Schlange der Heiligen Amandus von Maastricht, Christina, Pirminius und Silvester, eine Teufelsfigur der Heiligen Adalbert, Albertus Siculus, Antonius, Cyriacus, Juliana, Justina von Antiochien, Margareta, Maurus, Norbert, Prokopus und Willebold. Daß Drache und Teufel weiterhin identisch sind, zeigen die Attribute der Heiligen Cyriacus und Margareta (Braun [1964], Reg. 8 3 3 - 8 4 2 und Art. s.v.).

3. Trägerszenen

für die künstlerische

Darstellung

Isolierte Darstellungen des Teufels und der Dämonen begegnen in der bildenden Kunst, insbesondere in der Bauplastik, ausschließlich in apotropäischer Absicht (s.u.). Dagegen hat sich für szenische Teufels- und Dämonendarstellungen allmählich ein Kanon herausgebildet, der an den Wand-, Decken- und Glasgemälden der Kirchengebäude, aber auch an den -»Bibelillustrationen (Biblia picta bzw. pauperum [—»Armenbibel]; Luther-Bibeln; Matthäus Merian 1625/27) abgelesen werden kann. Von den biblischen „Trägerszenen" seien im folgenden die wichtigsten zusammengestellt. Als Schlange erscheint der Teufel in der Erzählung vom Sündenfall (Gen 3 , 1 - 6 ) . Drachengestaltig ist der Dämon des Apokryphons vom „Drachen zu Babel" (ZusDan 14,23-28). Der Teufel sät Unkraut unter den Weizen (Mt 13,25.39). Im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 2 5 , 3 1 - 4 6 ) führen Teufel die Verdammten in die -»Hölle. Jesus treibt Dämonen in Gestalt kleiner Teufel oder Drachen aus (Mk 1 , 2 3 - 2 8 par. Lk 4 , 3 3 - 3 7 u.ö.). Satan verführt den Judas zum Verrat Jesu (Lk 22,3; Joh 13,2.26f.) und erscheint als Ratgeber des Pilatus (Mk 1 5 , 2 - 5 par.; Joh 18,29-38). Die -»Höllenfahrt Christi (nach I Petr 3,19; 4,6) endet mit der Fesselung des Satans und der Befreiung Adams (Acta Pilati 1 7 - 2 7 ) . In -»Simon Magus tritt dem Apostel -»Petrus der Satan selbst entgegen (vgl. Act 8 , 9 - 2 4 ) .

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Teufel Vili

Dämonische Heuschrecken (Apk 9 , 3 - 1 1 ) und Chimären (Apk 9 , 1 6 - 1 9 ) quälen die Zeitgenossen des Endes dieser Welt; das Tier aus dem Abgrund (Apk 1 1 , 3 - 1 4 ) , identisch mit dem teuflischen Drachen von Apk 12 (V. 9!), ist ein Drache, nicht anders als der Gegner der Himmelsfrau (Apk 12,1—6) und der im Endkampf unterliegende Kontrahent des Erzengels Michael (Apk 1 2 , 7 - 1 2 ) . Der teuflische Drache wird zum „Wasserspeier", um die Frau zu vernichten (Apk 12,15f.). Drache und Widder sind die aus Meer und Erde aufsteigenden antichristlichen Bestien der teuflischen „Trinität" (Apk 1 3 , 1 - 1 8 ) ; aus dem Maul der drei Monstren von Apk 12 f. gehen drei dämonische Frösche hervor (Apk 16,13f.). Der Erzengel Michael, bereits zufolge Apk 1 2 , 7 - 9 der Sieger über den satanischen Drachen, ist es auch, der den Drachen fesselt und für tausend Jahre einkerkert (Apk 2 0 , 1 - 3 ) . Unterteufel assistieren bei der Vollstreckung des Urteils über die Verdammten (Apk 2 0 , 1 1 - 1 5 ; vgl. M t 2 5 , 3 1 - 4 6 ) , bevor sie mitsamt ihrem Gebieter in den Feuersee geworfen werden (Apk 20,10.14). Die apotropäische Verbindung des Taufsakraments mit Teufels- und Dämonenplastiken kann sich auf Belege wie Rom 6 , 1 - 1 4 ; Jak 4,7 f. berufen; dabei geht die Löwengestalt des Satans auf I Petr 5,8 zurück. Dämonenplastiken am Kirchenäußeren setzen Apk 22,15 voraus; der Christ tritt die Dämonen mit Füßen (Lk 10,19; vgl., vom Auferstandenen, I Kor 1 5 , 2 4 - 2 6 ) , so daß die Fußböden mittelalterlicher Kirchen mit den Bildern böser Mächte (nach Ps 22,22; 91,13; Jes 34,7 usw.) dekoriert werden können. Gegenüber den Dämonen gilt es zu wachen (Mt 26,38 par. M k 14,34) bzw. zu wachen und zu beten (Mk 14,38 par.); geschnitzte Teufelchen an Chorgestühl und Kirchenbänken vertreiben im Abwehrzauber den Kirchenschlaf. Das biblische Vorbild steht auch hinter den Teufels- und Dämonendarstellungen der Heiligenlegenden. Satan ist der Versucher und Verführer (Gen 3 , 1 - 6 ; Hi 1 , 6 - 1 2 ; 2 , 4 - 7 ; M t 4 , 1 - 1 1 par. Lk 4 , 1 - 1 3 ; Lk 22,3.31; Joh 13,2.26f.). Wie einst den Adam, Hiob, Jesus und Judas, so will der Teufel auch die Heiligen zum Abfall, zur Flucht vor dem Martyrium oder zum Bruch des AskeseGelübdes verführen. Die Vita Antonii des Athanasius (s. o. 2.2.) bietet dafür ungewöhnlich zahlreiche, zum Teil recht skurrile Belege. Der überwundene Teufel wird daher zum Attribut des heiligen Antonius; entsprechendes gilt für die anderen Heiligen mit dem Attribut des Drachen, der Schlange und des Teufels (s.o. ebd.). Wenn der Heilige oder Fromme für seinen Kampf mit dem Teufel militärisch bewaffnet erscheint (St. Georg, St. Michael, „Ritter, Tod und Teufel"), ist dies eine Darstellung der zum Sieg über den Teufel und seine Dämonen (Eph 6 , l l f . ) benötigten „geistlichen Waffenrüstung" (Rom 13,12; Eph 6 , 1 0 - 1 7 ; I Thess 5,8).

4. Phänomenologie

und

Kunstgeschichte

Die kirchliche Kunst stellt den Teufel und die Dämonen in der Gestalt sowohl von Menschen als auch von Tieren und monströsen Mischwesen dar. Für den Teufel als Schlange, als Löwen, als — krokodilartigen - Drachen und als Trias satanischer Ungeheuer behalten die biblischen Belege (vor allem Gen 3,1 - 6 ; I Petr 5,8; Apk 12f.) prägende Bedeutung (s.o. 2.1.). Den menschengestaltigen Teufel stattet man von Anfang an mit widernatürlichen und abstoßenden Details aus, die fast ausnahmslos der Tierwelt entlehnt sind: mit Hörnern, Schwanz, Bocks-, Pferde- oder Vogelfüßen, Flügeln (häufig nach Art der Fledermausflügel strukturiert), aber auch mit weiblichen Brüsten, erigiertem Penis und grinsenden Gesichtern in der Genital- und Gesäßregion. Die Zahl der Teufels- und Dämonendarstellungen seit dem 6. Jh. ist unendlich groß; daher ist die Beschränkung auf einige ausgewählte Beispiele geboten. Eine lineare Entwicklung der Ikonographie, etwa im Sinne einer allmählichen Zunahme und steten Beibehaltung der Attribute des Teufels, ist ebensowenig zu beobachten wie die Ausbildung und Weitergabe genau unterscheidbarer Typen. Die Schlange mit Menschenkopf ist nicht nur „ T i e r " , sondern auch Mischwesen; dasselbe gilt für den menschengestaltigen Teufel, den tierische Elemente geradezu als ein Tier erscheinen lassen können, von dem ihn nur der aufrechte Gang unterscheidet. Farbige Wandgemälde und Buchillustrationen zeigen, daß der Teufel durchweg schwarz oder dunkelblau, der Drache rot und die Schlange blau oder grün vorgestellt wurden.

Tafel 1

Abb. 2 Relief mit gefesseltem Teufel vom Taufstein in Freckenhorst (1129)

Tafel 2

Abb. 4 Der Teufel als Affe, Skulptur von der Zwerggalerie des Ostchors des Wormser Doms (um 1140)

Tafel 3

Tafel 4

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3 VO 4u,> "O ,-t wu Q V U, c-o N. -O _o • T i s c h e n d o r f sowie B.F. - » W e s t c o t t und F.J.A. - » H o r t . W ä h r e n d Tischendorf vor allem in der leidenschaftlich-engagierten und erfolgreichen Suche nach wichtigen Handschriften und ihrer Entzifferung hervorragte, hoben Westcott und H o r t die textkritische M e t h o d e auf eine ganz neue H ö h e . T i s c h e n d o r f veröffentlichte acht Auflagen des Neuen Testaments (die wichtigste ist die Editio Octava Critica Maior von 1 8 6 9 - 1 8 7 2 , mit Prolegomena von C . R . Gregory) und sammelte darin eine solche Fülle von neuen handschriftlichen und versioneilen Textbelegen sowie Zeugen aus Zitaten der Kirchenschriftsteller, daß seine Ausgabe schon deswegen ein bis heute unverzichtbares Quelleninstrument für textkritische Arbeit ist. Seine bekannteste Entdeckung ist die des Codex Sinaiticus im Katharinenkloster auf dem Sinai. Seine Ausgaben der wichtigsten Majuskeln sind bis heute maßgebend oder mindestens stets heranzuziehen, so z. B. die des Codex Ephraemi Syri rescriptus (C 04). In der textkritischen Methode brillierte Tischendorf nicht, was angesichts eines derart auf die Sammelleidenschaft und die vollständige und zuverlässige Dokumentation gerichteten Forscherlebens verständlich ist. Mit einem gewissen Recht wird ihm eine zu starke Beeinflussung durch die von ihm gefundenen oder von ihm neu herangezogenen Majuskeln, vor allem X , vorgeworfen. Westcott und H o r t entwickelten die kritischen M e t h o d e n , die die Grundlagen für die m o d e r n e Textkritik legen. In einem glänzend geschriebenen Einführungsband zur Ausgabe, die beansprucht, „ T h e N e w Testament in the Original G r e e k " zu rekonstruieren, legt H o r t sie klar dar. E r baut die M e t h o d e von der Entscheidung an jeder einzelnen Stelle bis hin zur Beurteilung von Handschriftengruppen und deren Verhalten zueinander auf. Bei der Entscheidung an jeder einzelnen Stelle muß zunächst nach innerer Evidenz der Lesarten („internal evidence of readings") vorgegangen werden. Dabei kann die innere Wahrscheinlichkeit („intrinsic probability") des Lesartenvergleichs (Frage: Was wollte der Autor wahrscheinlich schreiben?) durch die Frage nach der paläographischen Wahrscheinlichkeit („transcriptional probability") ergänzt und korrigiert werden (Frage: Was hat der Kopist als vermeintlichen Text des Autors geschrieben und warum?, vgl. Hort: Westcott/Hort 20). Wenn beide Gesichtspunkte der Entscheidungsfindung zum gleichen Ergebnis führen, ist der Text gesichert. Im — häufigen - Konfliktfall ist nur eine vorläufige Entscheidung möglich, wenn nicht unwiderlegliche Gründe paläographischer Art den Ausschlag geben (ebd. 24). Hort weiß, daß selbst bei bester Beherrschung beider Aspekte der Methode Unzulänglichkeiten bleiben. Daher fordert er darüber hinaus, die einzelnen Handschriften als ganze im Blick auf ihren Textwert, ihre Glaubwürdigkeit und die Zuverlässigkeit ihrer Schreiber zu untersuchen, um ein Urteil über den jeweiligen Zeugen, seine Qualität und Zuverlässigkeit, zu erlangen. Es folgt schließlich die Aufdeckung von Handschrifterigrüppen, die, aufgrund übereinstimmender Lesarten bestimmbar, ihren gemeinsamen Ursprung erkennen lassen. Auch für die Gruppen muß ein Urteil über ihre durchschnittliche Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit gewonnen werden. Dieses hilft, bei einem Fehlverhalten einzelner Gruppenmitglieder das der Gesamtgruppe dennoch zu erkennen. Es folgt zuletzt die Abwägung über das Verhältnis der Gruppen untereinander und ihren relativen Textwert. In Anwendung dieser kritischen Prinzipien auf den Text des Neuen Testaments unterschieden Westcott und Hort vier Texttypen, den sog. syrischen, den westlichen, den alexandrinischen und den neutralen Text. Der syrische Text ist nach ihrer Qualifizierung durch zahlreiche Kontaminationen sowie das Bemühen um Klarheit und Unanstößigkeit des Ausdrucks charakterisiert und daher als die späteste Textform zu beurteilen (ebd. 1 3 2 - 1 3 5 ) . Der westliche Text ist zwar nach Ansicht Horts noch im 2. Jh. entstanden, da Lesarten dieses Textes schon bei Marcion und Tatian zu finden sind, er ist aber in so starkem Maße durch Paraphrasierungen und Eingriffe in den grammatisch-stilistischen und inhaltlichen Zusammenhang des Textes gekennzeichnet, daß er nicht als ein zuverlässiger Zeuge gewertet werden kann (ebd. 1 2 0 - 1 2 6 ) . Unter dem alexandrinischen Text versteht Hort den der Handschriften C (04), L (019), 33 und beurteilt ihn als einen Text, der die Härten der Vorlage in grammatischer und stilistischer Hinsicht vorsichtig und mit sprachlicher Sensibilität verbessert. Hort stellt fest, daß die Bearbeiter der syrischen, der westlichen und der alexandrinischen Textform verschiedentlich an den gleichen Stellen in ihrer jeweiligen Weise eingegriffen und damit vermutlich Anstoß an denselben Schwierigkeiten des Textes genommen haben (ebd. 130-132). Der sog. neutrale Text ist der Texttyp, der, dem alexandrinischen vorhergehend,

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von Textverderbnissen aller Art am wenigsten belastet ist. Er kommt dem ursprünglichen Text am nächsten und ist durch den Vaticanus (B 03) und danach durch den Sinaiticus (N Ol) repräsentiert. Wenn die Lesart beider Handschriften übereinstimmt, sei ihr nur mit starken inneren Gründen zu widersprechen.

Mit diesem textkritischen Instrumentarium war ein erheblicher methodischer Fortschritt erreicht. Es kann dennoch nicht verborgen bleiben, daß bei der Entwicklung dieser kritischen Maßstäbe ein hohes M a ß an subjektiver Einschätzung von Lesarten im Spiel blieb. Die Leistung der beiden Gelehrten besteht u.a. darin, daß sie die subjektiven Einzelentscheidungen durch die Einsicht in den Gesamtwert der einzelnen Handschriften und der Gruppen auszugleichen versuchten. Daß dabei ein erhebliches Maß an Unsicherheit bestehen blieb, ist aber offensichtlich. Westcotts und Horts Methode konnte nur deswegen zu einem so guten Text führen, weil sie in ihrem Leitstern B (03) auch nach heutiger Einsicht eine der besten und zuverlässigsten Handschriften gefunden hatten. Daraus erwuchs die Aufgabe, die bestehenden Unzulänglichkeiten der Methode Westcotts und Horts (Bevorzugung weniger Zeugen und Einführung des nicht haltbaren Begriffs eines „neutralen" Textes, Entscheidung nach subjektiven Gesichtspunkten, Vernachlässigung des gesamten Umfangs des Quellenmaterials) zu überwinden. Das ist bis heute nicht abschließend gelungen. Die weitere Geschichte der Textkritik und der Editionen war von dem Bemühen um Erweiterung der Quellen sowie von der Suche nach neuen oder neu zu bewertenden Texttypen bestimmt. Eine Reihe von verschiedenen Ausgaben mit unterschiedlichen Zielsetzungen erschien, u.a. von R.F. Weymouth ( 2 1892), B. Weiß (1894-1900) mit einer neuen Textherstellung aus den Majuskeln, J . M . S . Baijon (1898) mit einer großen Fülle von historischen Konjekturen, A. Souter (1910 21947) und später von H. J. Vogels (vier Ausgaben, 1922-1955), A. Merk (neun Ausgaben, 1933-1964, revidiert 1965) und J.M. Bover (fünf Ausgaben, 1943-1968) (vgl. zum Ganzen Metzger, Text [1966] 139f.l44f.). Die bedeutendste Ausgabe des 20. Jh. ist die von Hermann von Soden (1902-1913), deren Wert nicht immer hinreichend gewürdigt wird. Sodens Werk ragt durch den großen Reichtum des Materials hervor, das er neu darbot. Das bleibt bestehen, auch wenn die Zeugen nicht immer mit der heute zu fordernden Präzision verzeichnet wurden. Unüberholt ist ebenfalls seine gründliche Untersuchung und Klassifizierung der Koine und ihrer Untergruppen. Problematisch bleibt die Neueinteilung der Texttypen in den Koinetext, den sog. hesychianischen Text (d.h. weitgehend den neutralen/alexandrinischen Text nach Hort unter Zusatz einiger Minuskeln) und den sog. Jerusalem-Text, der von -•Eusebius und Pamphilos stammen soll und faktisch mit Ausnahme frühester Zitate alles in sich vereint, was nicht in die beiden andern Gruppen gehört, einschließlich der sog. westlichen Zeugen. Problematisch bleibt infolgedessen auch die Textkonstitution, die, von Ausnahmen abgesehen, nach dem Mehrheitsprinzip entschieden wird. Eberhard und in seiner Nachfolge Erwin Nestle (ab 1913) gelang es dann, die bis dahin anhaltende Vorherrschaft des textus receptus auch in den wissenschaftlichen Handausgaben zu brechen (1. Auflage 1898, bisher 27 Auflagen, in der 13., 17., 25., 26. und 27. erheblich verändert, von der 26. an mit neuem Text), was als eine Großtat gewertet werden muß (vgl. dazu Gregory 577f.). Als Konsequenz aus den ungelösten Fragen der Materialauswertung und Textkonstitution schlug man verschiedene Wege ein. M a n verzichtete in den Ausgaben der zweiten Hälfte des 20. Jh. entweder darauf, einen kritischen Text zu erheben, und richtete alle Anstrengungen darauf, lediglich eine Materialsammlung in Form eines kritischen Apparates zu dem vorgegebenen textus receptus zusammenzustellen (so, in Nachfolge von S. C. E. Legg für das Markus- und Matthäusevangelium, das sog. International Greek New Testament Project, das aufgrund gemeinsamer Arbeit britischer und amerikanischer Gelehrter 1984-1987 einen großen kritischen Apparat zum Lukasevangelium herausbrachte). Oder man versuchte, ein vorsichtiges Gleichgewicht zwischen den Textentscheidungen nach inneren und äußeren Kriterien aufrechtzuerhalten. Das ist der Fall

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in den beiden weitverbreiteten wissenschaftlichen Handausgaben, deren Textkonstitution in gemeinsamer Arbeit von einem international und interkonfessionell zusammengesetzten Gremium verantwortet wurde: der 26. bzw. 27. Auflage des Novum Testamentum Graece von Nestle-Aland (1979 und 1993) bzw. des Greek New Testament (1. Auflage 1966, 3. korrigierte Auflage 1983, 4. revidierte Auflage 1993). In ähnlicher Weise, aber unter Bevorzugung innerer Kriterien, erhob H. Greeven den Text für seine Ausgabe der synoptischen Evangelien (1981). Die im Erscheinen begriffene Editio Critica Maior des Neuen Testaments, herausgegeben vom Institut für Neutestamentliche Textforschung in Münster (bisher erschienen: IV/1. Jakobusbrief; IV/2. Petrusbriefe, Stuttgart 1997.2000), versucht neue Wege der Materialauswertung, Texttheorie und Textkonstitution (s. dazu u. 6.). 5. Neuere

textkritische

Methoden

und

Theorien

Neuere Bemühungen um Textkritik und Textgeschichte gründen weiterhin, wie der Bericht über die Editionen ausweist, auf dem Versuch der ausgewogenen Balance der Textentscheidungen nach sog. inneren und äußeren Kriterien, allerdings mit verschiedener Schwerpunktsetzung. Dabei sind innere Kriterien die Entscheidungsmaßstäbe nach inhaltlichen, sprachlichen, lexikographischen, stilistischen und paläographischen Gesichtspunkten. Es werden Erwägungen angestellt, die den Stil des Autors, den Kontext der Stelle, Parallelen, auch aus der Septuaginta, berücksichtigen. Es wird gefragt, aus welcher aller vorhandenen Lesarten zu einer Stelle sich am zwanglosesten alle andern entwickelt haben könnten. Dabei sind Faustregeln wie „die kürzere oder die härtere Lesart hat mehr Anspruch auf Ursprünglichkeit" hilfreich, aber nicht ausschlaggebend. Jedenfalls muß die nur in späten Handschriften überlieferte Lesart nicht schlechter sein als die aus frühesten Zeugen bekannte. Die Schwierigkeiten dieses Instrumentariums der Textkritik liegen auf der Hand. Die daraus gewonnenen Schlüsse sind oft umkehrbar. Warum sollte ein Autor nicht einmal anders geschrieben haben, als wir es aus der Beobachtung seiner Wortwahl und seines Stils zu wissen meinen? Warum sollte er nicht das im Kontext passender erscheinende Wort gewählt oder die ausführlichere, klarere Ausdrucksweise bevorzugt haben und nicht die härtere? Damit kann zwar keineswegs einem Verzicht auf die Anwendung innerer Kriterien das Wort geredet werden, aber es muß zweierlei bedacht werden. Zum einen bedürfen die inneren Kriterien, wie bekannt und herkömmlicherweise meist anerkannt, des Regulativs der äußeren Kriterien. Zum andern muß aber im Bewußtsein gehalten werden, daß die äußeren Kriterien von den Entscheidungen nach inneren Kriterien abhängig sind (dazu Mink, Genealogie 489). Äußere Kriterien sind Maßstäbe aufgrund von Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit von Zeugen sowie von eindeutigen Verbindungen und Abhängigkeiten von Zeugen untereinander. Nur in eingeschränktem Maß gilt das Alter der Zeugen sowie die nachweislich frühe Verbreitung von Lesarten als Grund zur Bevorzugung. Die Schwierigkeit dieses textkritischen Instrumentariums besteht darin, daß das Urteil über die hohe Qualität einer Handschrift von vielen Einzelentscheidungen nach inneren Kriterien abhängig ist. Es kann im besten Fall ein vorsichtiges Gleichgewicht zwischen der Arbeit nach inneren Kriterien und der allmählich wachsenden Erkenntnis von der Qualität der einzelnen Zeugen und ihrer individuellen Fehleranfälligkeit andererseits geben (Beispiel: Vaticanus). Die Zirkelschlüssigkeit bleibt aber in hohem Maße bestehen, weil jede Entscheidung nach inneren Kriterien das Urteil über die Glaubwürdigkeit eines Textzeugen beeinflußt und weil umgekehrt die sich bildenden Urteile über die Qualität der Handschriften in die Arbeit nach inneren Kriterien einfließen, da sonst allzu viele Stellen unentscheidbar blieben. Um diese Schwierigkeiten zu beheben, wurde die Suche nach Texttypen wichtig und ist bis heute ein übliches Mittel der Textkritik. Als Texttypen bezeichnet man Handschriftengruppen, die durch bestimmte Lesarten, die von möglichst allen Gruppenmitgliedern gelesen werden, definiert sind. Sie sollen

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in den ersten vier bis fünf Jahrhunderten der Uberlieferung entstanden sein, wobei verschieden beurteilt wird, ob sie auf bewußte Bearbeitung oder eine zufällige Lesartenkonstellation in ihrer/ihren Vorlage(n) zurückgehen. Die Bedeutung dieser Texttypen ist groß, weil mit ihnen die Zeugenfülle reduziert wird und klare Beschreibungen der Gruppen gegeben werden (vgl. bes. Hort [s.o. 4.]), die ihre Bewertung als Zeuge bei Textentscheidungen ermöglichen. Dennoch ist die Gruppensuche und -definition problematisch, insbesondere bei frühen Gruppen. Denn es gibt keine befriedigende Übereinstimmung zwischen den Gruppengliedern. Meist sind es nur einzelne Handschriften, die den Kern eines Texttyps bilden, an den sich einige andere locker anschließen. Da aus frühester Zeit (2./3.Jh.) nur wenige Handschriften erhalten und sehr viel mehr verloren sind, kann das auch gar nicht anders sein. Die Kontamination (als vorfindliches Faktum im erhaltenen Handschriftenbestand, nicht oder nur begrenzt als Abschreibevorgang verstanden) nimmt zu. Eine Gliederung des gesamten Handschriftenbestandes, den wir ja keineswegs schon ausreichend kennen, wird mit den Texttypen nur ansatzweise erreicht. Um so weniger kann man aufgrund pauschaler Urteile mit Texttypen textkritische Entscheidungen hinreichend begründen (dazu Mink, Genealogie 487f.). Ein Texttyp im strengen Sinne ist nur der byzantinische Text. Dabei handelt es sich um die unsystematisch durchgeführte Bearbeitung einer oder mehrerer guter, alter Vorlagen mit ihrer Reihe der bekannten erleichternden und glättenden Lesarten. Daneben sind aber auch eine erhebliche Anzahl von unsinnigen Fehlern („untypische Mehrheitslesarten", s. dazu Wachtel, Text 81f.l80-198) aus den Vorlagen stehen geblieben und weiter transportiert worden, was beweist, daß es sich beim byzantinischen Text, wie in der neutestamentlichen Uberlieferung überhaupt, nicht um eine systematisch durchgeführte Redaktion handelt. Der Charakter eines Texttyps kommt dadurch zustande, daß dieser Text mit großer Präzision abgeschrieben und in einer großen Fülle von Handschriften enthalten ist. Dabei sind im Laufe des Traditionsprozesses durch die Jahrhunderte Lesarten verschiedener Variantenschichten dem byzantinischen Text zugewachsen. Der Grundtext, abgesehen von den byzantinischen Lesarten, ist aber ein alter, guter Text. Im Jakobusbrief gibt es von über 800 variierten Textstellen im ganzen nur 69 rein byzantinische Lesarten, seien es typische oder untypische. Handschriften mit überwiegend byzantinischem Text stärken, von den ausschließlich byzantinisch belegten Stellen abgesehen, die Bezeugung einer Lesart, wenn sie zu Zeugen anderer Provenienz hinzutreten. Der alexandrinische Text wird meist um die Handschriften P " und B konzentriert, denen P", X und die späteren 019 (L), 33, 1739 zugeordnet werden. Die Mitglieder dieser Gruppe weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf. Der alexandrinische Texttyp geht nicht auf eine Bearbeitung einer alten Vorlage zurück, sondern auf eine mehr oder weniger nahe Beziehung seiner Angehörigen zum Ausgangstext. Das trifft um so mehr zu, wenn T.C. Skeat mit seiner Vermutung Recht hat, daß K und B nicht in Ägypten, sondern in Cäsarea entstanden sind. Die einzelnen Zeugen des alexandrinischen Textes haben hohe Bedeutung für die textkritische Arbeit, sie können aber nicht als Gruppe gewertet werden. Ihre Qualität kann nicht vorausgesetzt werden, sondern muß bei jeder einzelnen Entscheidung neu festgestellt werden. Der sog. westliche Text ist eine Bearbeitung einer alten Vorlage durch paraphrasierende Erweiterungen und Umformungen, die häufig weiterentwickelt wurden. Lesarten dieses Textes finden sich bei verschiedenen Zeugen in zwar nicht wörtlicher, aber doch so naher Übereinstimmung, daß sie nicht gänzlich unabhängig voneinander entstanden sein können (vor allem in der Apostelgeschichte und - weniger - im Lukas- und Matthäusevangelium). Der sog. westliche Text (er stammt nicht aus dem Westen) hat das Interesse der Forscher insbesondere deshalb auf sich gezogen, weil Spuren seiner Lesarten in relativ früher Zeit weit verbreitet sind: bei frühen lateinischen Vätern und in der Vetus Latina, in den Randlesarten der Syra Harklensis, im koptischen Glazier-Codex (5. Jh.), in Papyri des 3./4. Jh. (P3®, P48) und vor allem im Codex D (05). Es ist wegen

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der frühen Verbreitung dieses „Textes" verschiedentlich sogar vermutet worden, hier könne eine Urfassung des lukanischen Doppelwerkes zu greifen sein (Blass; Clark; in neuerer Zeit mit Differenzierungen Boismard/Lamouille u.a.). Eine einheitliche Textform im Sinne eines textkritisch relevanten Texttyps läßt sich daraus nicht gewinnen, wohl aber die auch sonst zu belegende wichtige Beobachtung, daß die Verbindungen zwischen einzelnen Kirchengebieten und damit der Austausch ihrer Handschriften und Texte im 2./3. Jh. schon außerordentlich gut war. Der sog. westliche Text, besser: die Handschrift D ist dann als zuverlässiger Zeuge zu werten, wenn sie zu Handschriften anderer Provenienz hinzutritt. Wir fassen dann den Text der frühen Vorlage (vgl. zum Ganzen Delobel; B. Aland, Entstehung). Der Cäsarea-Text, der auf die Wirksamkeit des Origenes in Cäsarea zurückgehen soll, wird als „midway between the B and D text groups" (Epp, Art. Textual Criticism 431) beschrieben (Angehörige: P 45 , W und, als spätere Entwicklung, Q, 565, 700, Eusebius). Die Mitglieder sind aber so uneinheitlich, daß von einem cäsareensischen Text nicht die Rede sein kann, allenfalls von einzelnen in Cäsarea verbreiteten Lesarten. Die Unzulänglichkeiten bei der Annahme von Texttypen sind also groß. Sie bestehen nicht nur in der völlig verschiedenen Entstehungsart und Beschaffenheit dieser Handschriftengruppen, sondern auch in der unzureichenden Repräsentanz ihrer Mitglieder. Schließlich sind nur so wenige Zeugen in die Definition von Texttypen einbezogen, daß auch deswegen keine Gliederung der Gesamtüberlieferung durch sie erreicht wird. Es folgt daraus, daß eine viel genauere Strukturierung der Überlieferung auf der Basis des gesamten Materials einschließlich der Minuskeln angestrebt werden muß. 6. Gegenwärtige

Methode

und

Theorie

Ausgehend von der Überlegung, daß eine begründete Texttheorie auf allen wesentlichen Handschriften beruhen müßte, sammelte K. Aland mit seinen Mitarbeitern im Institut für neutestamentliche Textforschung in Münster mit beispielloser Energie zunächst alle noch erhaltenen Handschriften in Mikrofilm und Photo. Sie wurden sämtlich an einem von ihm ausgewählten Teststellensystem kollationiert und ausgewertet (Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments, Berlin/New York 1987-1999). Die identischen oder fast identischen Kopien, die dem byzantinischen Text angehören, waren dabei sehr deutlich zu erkennen. Sie wurden eliminiert. Alle übrigen, d.h. jene, die nur an 10 % und mehr aller Teststellen vom Mehrheitstext abwichen, also eine Auswahl von Handschriften, die weit in den Koinetext hineinreicht, wurden in die Untersuchung einbezogen, vollständig kollationiert und in der Editio Critica Maior dokumentiert. Damit war die Grundlage für den Versuch der Entwicklung einer neuen Methode geschaffen. Sie beansprucht einerseits, die textkritischen Befunde an einzelnen Stellen sowie das bekannte und stets wachsende Detailwissen über Handschriften unmittelbar für ein Gesamtbild der Textgeschichte nutzbar zu machen, andererseits dieses Gesamtbild bei stellenbezogenen Entscheidungen einfließen zu lassen. Die Methode, die von G. Mink (Genealogie 4 8 8 - 4 9 5 ) entwickelt wurde, ist im einzelnen folgende: An allen variierten Stellen eines Textes werden lokale Stemmata nach herkömmlichen Methoden (innere und äußere Kriterien) erstellt. Die genealogische Verbindung zwischen Lesarten, die in einem solchen Lokalstemma zum Ausdruck kommt, impliziert auch Aussagen über den möglichen Zusammenhang zwischen den Zeugen dieser Lesarten. Zunächst werden nur die sicheren Verbindungen innerhalb der lokalen Stemmata ausgewertet. Sie sind bei weitem in der Mehrzahl. Es ergibt sich dann ein erstes Gesamtbild über das durchschnittliche Verhalten aller Zeugen zueinander. Dabei ist „Zeuge" definiert als der Text einer Handschrift, nicht die Handschrift als paläographische Gegebenheit. Es wird im einzelnen gefragt, welcher „Zeuge" im definierten Sinn Vorfahre eines anderen sein könnte. Die Beantwortung erfolgt auf dem Boden der sicheren Verbindungen in allen lokalen Stemmata. Bereits dann ergibt sich ein deutliches Bild von der durchschnittlichen Abhängigkeit und Entwicklung von „Zeugen" unter-

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einander (d.h. dem „Textfluß", der eine Aussage darüber macht, von welchen Zeugen ausgehend sich Textformen anderer Zeugen entwickeln). Dabei fallen eine Reihe von bisher ganz unbekannten Handschriften auf, die als Schaltstellen der Überlieferung wirkten und in einem Gesamtstemma eine sehr hohe Stellung mit teilweise direktem Zugang zum Ausgangstext innehaben. Aufgrund dieses ersten, aber schon sehr klaren und aussagekräftigen Gesamtbildes der Überlieferung können die Einzelentscheidungen kontrolliert und, wenn nötig, revidiert werden sowie Entscheidungen an bisher nicht lösbaren Stellen versucht werden. Dadurch wird das Gesamtbild zugleich korrigiert und gibt so erneut die Möglichkeit, Einzelentscheidungen zu revidieren. Die Methode besteht also in einem Ineinandergreifen von ständig zu kontrollierenden Einzelentscheidungen und dem dadurch wachsenden Wissen über den Textwert und die Stellung der Zeugen im Gesamtzusammenhang. Sie ermöglicht eine Kontrolle der Auswirkungen von Einzelentscheidungen auf das Urteil über Einzelzeugen und das Bild von der Gesamtüberlieferung, das mit herkömmlichen Mitteln unklar bleibt. Das Ziel dieser Methode G. Minks ist ein Gesamtbild der Überlieferung, das in Einklang mit dem Bild steht, das sich an den einzelnen variierten Stellen zeigt, also ein Gesamtstemma, das die Aussage der lokalen Stemmata enthält und auf die einfachste Weise verknüpft. Das Ergebnis ist zunächst eine außerordentliche Verbesserung des äußeren Kriteriums der Textkritik. Es kann nicht nur nachgewiesen werden, daß alte, bekannte Zeugen tatsächlich eine hervorragende Qualität besitzen (z.B. der Codex B), sondern vor allem können neue „Zeugen" mit direkter Beziehung zum Ausgangstext und deren Verwandte festgestellt werden. Was ist damit erreicht, und was bleibt zu tun? In gewisser Weise fängt die Arbeit der Textkonstitution neu an. Denn Textentscheidungen müssen auf der Basis der jetzt erheblich erweiterten Zahl ursprungsnaher Handschriften überprüft werden. Die Textherstellung wird damit nicht leichter. Eine Reihe von Entscheidungen kann sogar fraglicher werden, als sie bisher zu sein schienen, wenn gegensätzliche Varianten zu einer Stelle von beachtlichen Zeugen belegt werden, deren Bedeutung bisher unbekannt war. Die Möglichkeit der Prüfung verwandtschaftlicher Zusammenhänge unter den Zeugen aufgrund des angestrebten Gesamtstemmas erlaubt aber auch die Lösung schwieriger oder sogar unentscheidbar erscheinender Stellen. Das äußere Kriterium der Textkritik wird also grundlegend verbessert, weil die Naivität schwindet, mit der bisher die Textkritik allgemein an der Menge der Minuskeln vorbeiging. Folglich muß die Editionsarbeit an der Editto Critica Maior vorangetrieben werden. Denn sie liefert nicht nur die Grundlage für die Arbeit an der Gesamtgenealogie der griechischen Zeugen, sondern auch für die an den Zitaten und Versionen, die im Zusammenhang mit der handschriftlichen Überlieferung zu untersuchen sind. Die Methode G. Minks muß auf alle Bücher des Neuen Testaments einzeln angewandt werden. Darauf aufbauend kann dann Textgeschichte als ein Bild der Gesamtüberlieferung neu geschrieben werden. Wir kennen heute davon wohl nur Bruchstücke. Eines davon mag die neue Einschätzung des byzantinischen Textes sein (s.o. 5.), ein anderes möglicherweise die Einsicht in die Überlieferungsformen früher Papyri (freier Text, Normaltext, fester Text, s. Aland/Aland 6 7 - 7 4 ) . Ablassen sollten wir von der Beharrung auf den Texttypen in der bisherigen Form und eher versuchen, die Kenntnisse aus Zitaten und Versionen und deren jeweiligen historischen Kontext mit den Einsichten in die handschriftliche Überlieferung zu verbinden. Quellen 1. NT Graece: Barbara Aland/Kurt Aland/Johannes Karavidopoulos/Carlo M. Martini/B.ruce M. Metzger, N T Graece post Eberhard et Erwin Nestle, Stuttgart 1898 "1993. - Barbara Aland/Kurt Aland/Matthew Black/Carlo M. Martini/Bruce M. Metzger, The Greek NT, Stuttgart 1966 4 1993. - Barbara Aland/Kurt Aland f/Gerd Mink/Klaus Wachtel, N T Graecum. Editio Critica Maior, Stuttgart 1997 ff. - Kurt Aland, Synopsis Quattuor Evangeliorura, Stuttgart 1963 15 1996. - Johannes M.S. Baijon, Groningen 1898. - Johann Albrecht Bengel, Tübingen 1734. - Richard Bentley, London 1720. - Friedrich Blass, Leipzig 1896. - José M. Bover, Novi Testamenti Biblia Graeca et Latina, Madrid 1943 5 1968. - Albert C. Clark, The Acts of the Apostles, Oxford 1933. - John Fell, Ox:ford

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Thadden-Trieglaff

1963, 7 8 - 9 5 . - Ders., T h e Text of the NT, New York/Oxford 1964 3 1992; dt.: Der Text des NT. Eine Einf. in die ntl. Textkritik, Stuttgart 1966. - Ders., Patristic Evidence and the Textual Criticism of the N T : N T S 18 (1972) 3 7 9 - 4 0 0 . - Ders., T h e Early Versions of the NT, Oxford 1977. - Gerd Mink, Eine umfassende Genealogie der ntl. Überlieferung: N T S 39 (1993) 4 8 1 - 4 9 9 . - Ders., Editing and Genealogical Studies. T h e N T : Literary and Linguistic Computing 15 (2000) 5 1 - 6 6 . - T h e N T in the Greek Fathers, hg. v. Bart D. Ehrman, bislang 5 Bde., Atlanta, Ga. 1 9 8 6 - 1 9 9 7 . - N T Textual Criticism, Exegesis and Church History, hg. v. Barbara Aland/Joel Delobel, Kampen 1994 (Contributions to Biblical Exegesis Sc Theology 7). - David C. Parker, Codex Bezae. An Early Christian Manuscript and its Text, Cambridge 1992. - Ders., T h e Living Text of the Gospels, Cambridge 1997. - William L. Petersen, Tatian's Diatessaron, 1994 (SVigChr 25). - William Larry Richards, T h e Classification of the Greek Manuscripts of the Johannine Epistles, Missoula, M a . 1977. - Colin H. Roberts, Manuscript, Society and Belief in Early Christian Egypt, London 1979. - Ulrich Schmid, Marcion u. sein Apostolos. Rekonstruktion u. hist. Einordnung der marcionitischen Paulusbriefausgabe, 1995 ( A N T T 25). - Jens Schröter, Erinnerung an Jesu Worte. Stud, zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q u. Thomas, 1997 ( W M A N T 76). - Theodore C. Skeat, T h e Codex Sinaiticus. T h e Codex Vaticanus and Constantine: J T h S NS 50 (1999) 5 8 3 - 6 2 5 . - Text u. Textwert der griech. Hss. des NT, hg. v. Kurt Aland/Barbara Aland/Klaus Wachtel, 1 9 8 7 - 1 9 9 9 ( A N T T 9 - 1 1 . 1 6 - 2 1 . 2 6 - 3 1 ) . - Klaus Wachtel, Der Byz. Text der Kath. Briefe. Eine Unters, zur Entstehung der Koine des NT, 1995 ( A N T T 24). - Ders., Editing the Greek N T on the Threshold of the Twenty-first Century: Literary and Linguistic Computing 15 (2000) 4 3 - 5 0 . - Frederik Wisse, T h e Profile Method for Classifying and Evaluating Manuscript Evidence, 1982 (StD 44). - Günther Zuntz, Lukian v. Antiochien u. der Text der Evangelien, hg. v. Barbara Aland/ Klaus Wachtel, 1995 (AHAW.PH 2). Barbara Aland

T h a d d e n - T r i e g l a f f , Reinold

von

(1891-1976)

(Quellen/Literatur S. 171) R e i n o l d L e o p o l d A d o l f L u d w i g v o n T h a d d e n - T r i e g l a f f ist der Ö f f e n t l i c h k e i t d u r c h d e n D e u t s c h e n E v a n g e l i s c h e n K i r c h e n t a g ( - » K i r c h e n t a g e 2 . 3 . ) b e k a n n t . Als dessen G r ü n d e r w a r e r v o n 1 9 4 9 bis 1 9 6 4 d e r erste u n d einzige h a u p t a m t l i c h e K i r c h e n t a g s p r ä s i d e n t s o w i e n a c h d e r A m t s ü b e r g a b e an R i c h a r d v o n W e i z s ä c k e r (geb. 1 9 2 0 ) a u c h dessen E h r e n p r ä s i d e n t bis zu s e i n e m T o d a m 10. O k t o b e r 1 9 7 6 . V o n T h a d d e n - T r i e g l a f f w u r d e a m 13. A u g u s t 1 8 9 1 i m o s t p r e u ß i s c h e n M o h r u n g e n als z w e i t e s K i n d v o n A d o l f G e r h a r d Ludwig von Thadden-Trieglaff ( 1 8 5 8 - 1 9 3 2 ) und Ehrengard Pauline, geb. von Gerlach ( 1 8 6 8 - 1 9 0 9 ) , geboren. Das Adelsgeschlecht der von Thaddens, die mit ihrem angestammten Gut Trieglaff in Pommern Nachbarn der von Bismarcks waren, läßt sich bis ins 13. J h . zurückverfolgen. Die für von ThaddenTrieglaff wichtigsten Vorfahren waren Adolph Ferdinand von Thadden-Trieglaff ( 1 7 9 6 - 1 8 8 2 ) , Begründer der pommerschen Erweckungsbewegung, Mitbegründer der Konservativen Partei und Teilnehmer des 1. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Wittenberg 1848, sowie Karl Friedrich Otto von Gerlach ( 1 8 0 1 - 1 8 4 9 ) , der im Berliner Norden eine Gemeindearbeit initiiert hatte, die als Vorform des Arbeiterpriestertums gelten kann. N a c h d e m U m z u g 1 9 0 7 n a c h T r i e g l a f f und d e m T o d d e r M u t t e r 1 9 0 9 studierte v o n T h a d d e n - T r i e g l a f f bis 1 9 1 3 J u r a in - » P a r i s , - » L e i p z i g , - » M ü n c h e n und —»Greifswald. D a n a c h ging er in den M i l i t ä r d i e n s t u n d w a r als S o l d a t i m E r s t e n W e l t k r i e g in O s t e u r o p a s t a t i o n i e r t . O s t e r n 1 9 1 8 b e g e g n e t e er d e m D o r p a t e r T h e o l o g i e p r o f e s s o r T r a u g o t t H a h n ( 1 8 7 5 - 1 9 1 9 ) , d e m er w e s e n t l i c h e I m p u l s e für seinen U m g a n g m i t d e r B i b e l v e r d a n k t e . V o n 1 9 1 9 bis 1 9 2 0 w a r e r j u r i s t i s c h e r M i t a r b e i t e r in d e r S o z i a l e n A r b e i t s g e m e i n s c h a f t v o n F r i e d r i c h S i e g m u n d - S c h u l t z e ( 1 8 8 5 - 1 9 6 9 ) i m O s t e n B e r l i n s , w o er d u r c h die d o r t i g e n U n r u h e n die s o z i a l e F r a g e als d r i n g l i c h s t e F r a g e des 2 0 . J h . e i n s c h ä t z e n lernte. 1 9 2 0 p r o m o v i e r t e er m i t der ersten d e u t s c h s p r a c h i g e n j u r i s t i s c h e n A r b e i t ü b e r den V ö l k e r b u n d ( - » V e r e i n t e N a t i o n e n / V ö l k e r b u n d ) , in d e r e r , e n t g e g e n den H a u p t s t r ö m u n g e n i m P r o t e s t a n t i s m u s , die R e c h t s g ü l t i g k e i t des —»Völkerrechts n a c h w i e s u n d die Idee eines V ö l -

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Thadden-Trieglaff

1963, 7 8 - 9 5 . - Ders., T h e Text of the NT, New York/Oxford 1964 3 1992; dt.: Der Text des NT. Eine Einf. in die ntl. Textkritik, Stuttgart 1966. - Ders., Patristic Evidence and the Textual Criticism of the N T : N T S 18 (1972) 3 7 9 - 4 0 0 . - Ders., T h e Early Versions of the NT, Oxford 1977. - Gerd Mink, Eine umfassende Genealogie der ntl. Überlieferung: N T S 39 (1993) 4 8 1 - 4 9 9 . - Ders., Editing and Genealogical Studies. T h e N T : Literary and Linguistic Computing 15 (2000) 5 1 - 6 6 . - T h e N T in the Greek Fathers, hg. v. Bart D. Ehrman, bislang 5 Bde., Atlanta, Ga. 1 9 8 6 - 1 9 9 7 . - N T Textual Criticism, Exegesis and Church History, hg. v. Barbara Aland/Joel Delobel, Kampen 1994 (Contributions to Biblical Exegesis Sc Theology 7). - David C. Parker, Codex Bezae. An Early Christian Manuscript and its Text, Cambridge 1992. - Ders., T h e Living Text of the Gospels, Cambridge 1997. - William L. Petersen, Tatian's Diatessaron, 1994 (SVigChr 25). - William Larry Richards, T h e Classification of the Greek Manuscripts of the Johannine Epistles, Missoula, M a . 1977. - Colin H. Roberts, Manuscript, Society and Belief in Early Christian Egypt, London 1979. - Ulrich Schmid, Marcion u. sein Apostolos. Rekonstruktion u. hist. Einordnung der marcionitischen Paulusbriefausgabe, 1995 ( A N T T 25). - Jens Schröter, Erinnerung an Jesu Worte. Stud, zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q u. Thomas, 1997 ( W M A N T 76). - Theodore C. Skeat, T h e Codex Sinaiticus. T h e Codex Vaticanus and Constantine: J T h S NS 50 (1999) 5 8 3 - 6 2 5 . - Text u. Textwert der griech. Hss. des NT, hg. v. Kurt Aland/Barbara Aland/Klaus Wachtel, 1 9 8 7 - 1 9 9 9 ( A N T T 9 - 1 1 . 1 6 - 2 1 . 2 6 - 3 1 ) . - Klaus Wachtel, Der Byz. Text der Kath. Briefe. Eine Unters, zur Entstehung der Koine des NT, 1995 ( A N T T 24). - Ders., Editing the Greek N T on the Threshold of the Twenty-first Century: Literary and Linguistic Computing 15 (2000) 4 3 - 5 0 . - Frederik Wisse, T h e Profile Method for Classifying and Evaluating Manuscript Evidence, 1982 (StD 44). - Günther Zuntz, Lukian v. Antiochien u. der Text der Evangelien, hg. v. Barbara Aland/ Klaus Wachtel, 1995 (AHAW.PH 2). Barbara Aland

T h a d d e n - T r i e g l a f f , Reinold

von

(1891-1976)

(Quellen/Literatur S. 171) R e i n o l d L e o p o l d A d o l f L u d w i g v o n T h a d d e n - T r i e g l a f f ist der Ö f f e n t l i c h k e i t d u r c h d e n D e u t s c h e n E v a n g e l i s c h e n K i r c h e n t a g ( - » K i r c h e n t a g e 2 . 3 . ) b e k a n n t . Als dessen G r ü n d e r w a r e r v o n 1 9 4 9 bis 1 9 6 4 d e r erste u n d einzige h a u p t a m t l i c h e K i r c h e n t a g s p r ä s i d e n t s o w i e n a c h d e r A m t s ü b e r g a b e an R i c h a r d v o n W e i z s ä c k e r (geb. 1 9 2 0 ) a u c h dessen E h r e n p r ä s i d e n t bis zu s e i n e m T o d a m 10. O k t o b e r 1 9 7 6 . V o n T h a d d e n - T r i e g l a f f w u r d e a m 13. A u g u s t 1 8 9 1 i m o s t p r e u ß i s c h e n M o h r u n g e n als z w e i t e s K i n d v o n A d o l f G e r h a r d Ludwig von Thadden-Trieglaff ( 1 8 5 8 - 1 9 3 2 ) und Ehrengard Pauline, geb. von Gerlach ( 1 8 6 8 - 1 9 0 9 ) , geboren. Das Adelsgeschlecht der von Thaddens, die mit ihrem angestammten Gut Trieglaff in Pommern Nachbarn der von Bismarcks waren, läßt sich bis ins 13. J h . zurückverfolgen. Die für von ThaddenTrieglaff wichtigsten Vorfahren waren Adolph Ferdinand von Thadden-Trieglaff ( 1 7 9 6 - 1 8 8 2 ) , Begründer der pommerschen Erweckungsbewegung, Mitbegründer der Konservativen Partei und Teilnehmer des 1. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Wittenberg 1848, sowie Karl Friedrich Otto von Gerlach ( 1 8 0 1 - 1 8 4 9 ) , der im Berliner Norden eine Gemeindearbeit initiiert hatte, die als Vorform des Arbeiterpriestertums gelten kann. N a c h d e m U m z u g 1 9 0 7 n a c h T r i e g l a f f und d e m T o d d e r M u t t e r 1 9 0 9 studierte v o n T h a d d e n - T r i e g l a f f bis 1 9 1 3 J u r a in - » P a r i s , - » L e i p z i g , - » M ü n c h e n und —»Greifswald. D a n a c h ging er in den M i l i t ä r d i e n s t u n d w a r als S o l d a t i m E r s t e n W e l t k r i e g in O s t e u r o p a s t a t i o n i e r t . O s t e r n 1 9 1 8 b e g e g n e t e er d e m D o r p a t e r T h e o l o g i e p r o f e s s o r T r a u g o t t H a h n ( 1 8 7 5 - 1 9 1 9 ) , d e m er w e s e n t l i c h e I m p u l s e für seinen U m g a n g m i t d e r B i b e l v e r d a n k t e . V o n 1 9 1 9 bis 1 9 2 0 w a r e r j u r i s t i s c h e r M i t a r b e i t e r in d e r S o z i a l e n A r b e i t s g e m e i n s c h a f t v o n F r i e d r i c h S i e g m u n d - S c h u l t z e ( 1 8 8 5 - 1 9 6 9 ) i m O s t e n B e r l i n s , w o er d u r c h die d o r t i g e n U n r u h e n die s o z i a l e F r a g e als d r i n g l i c h s t e F r a g e des 2 0 . J h . e i n s c h ä t z e n lernte. 1 9 2 0 p r o m o v i e r t e er m i t der ersten d e u t s c h s p r a c h i g e n j u r i s t i s c h e n A r b e i t ü b e r den V ö l k e r b u n d ( - » V e r e i n t e N a t i o n e n / V ö l k e r b u n d ) , in d e r e r , e n t g e g e n den H a u p t s t r ö m u n g e n i m P r o t e s t a n t i s m u s , die R e c h t s g ü l t i g k e i t des —»Völkerrechts n a c h w i e s u n d die Idee eines V ö l -

Thadden-Trieglaff

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kerbundes als n o t w e n d i g zur Vermeidung weiterer Kriege erachtete, auch w e n n er dessen Versailler Gestaltung nicht gutheißen k o n n t e . Von 1920 bis 1945 w a r er hauptberuflich L a n d w i r t , w o er sich politisch für einen Ausgleich mit Polen einsetzte und gegen nationalistische T e n d e n z e n seiner D e u t s c h N a t i o n a l e n Volkspartei w a n d t e , deren Mitglied u n d teilweise A b g e o r d n e t e r er v o n 1928 bis 1933 war. 1921 ü b e r n a h m er n a c h seiner Heirat mit Elisabeth Freiin v o n T h ü n g e n zu Heilsberg ( 1 8 9 3 - 1 9 8 8 ) das Gut V a h n e r o w (1.700 M o r g e n ) , 1930 das G u t Trieglaff (4.800 M o r g e n ) . Seine Frau war von der neueren Gemeinschaftsbewegung und durch St. Chrischona geprägt. Dieser Ehe entstammten fünf Söhne, von denen drei im Krieg fielen: Ernst Dietrich, Leopold und Bogislav; Franz Lorenz von Thadden, 1977 verschollen bei einem Flugzeugabsturz in den Anden; Rudolf von Thadden ist Professor für Geschichte in Göttingen und Paris. Seine ältere Schwester Elisabeth von Thadden (1890-1944), die 1927 ein evangelisches Landerziehungsheim für verwaiste Mädchen in Schloß Wieblingen bei Heidelberg gründete, wurde am 1. Juli 1944 von Roland Freisler (1893-1945) wegen ihrer Kontakte zum im Schweizer Exil lebenden Siegmund-Schultze zum Tode durch Strang verurteilt und am 8. September 1944 hingerichtet. Von 1923 bis 1939 war v o n Thadden-Trieglaff in der D e u t s c h e n Christlichen Studenten-Vereinigung ( D C S V ; — • S t u d e n t e n g e m e i n d e / H o c h s c h u l g e m e i n d e ) tätig, ab 1924 in deren Vorstand, v o n 1928 an w a r er ihr Vorsitzender bis z u m Verbot 1938 b z w . zur Auflösung 1939. Von 1929 bis 1949 arbeitete er i m Christlichen Studenten-Weltbund mit, dessen stellvertretender Präsident er 1938 w u r d e . Von 1925 bis 1934 war er als 2. Vorsitzender der v o n d e m Greifswalder Staats- u n d Kirchenrechtler Günther H o l s t e i n ( 1 8 9 2 - 1 9 3 1 ) begründeten Arbeitsgemeinschaft für lebendige Volkskirche M i t g l i e d der p o m m e r s c h e n Provinzialsynode, ab 1929 auch M i t g l i e d der G e n e r a l s y n o d e der Evangelischen Kirche der Altpreußischen U n i o n ( - • Evangelische Kirche der U n i o n ) . Seine kirchenreformerischen B e m ü h u n g e n in dieser Z e i t gipfelten in d e m v o n ca. 2 0 . 0 0 0 M e n schen besuchten P o m m e r s c h e n Kirchentag in Stettin v o m 25. bis 26. September 1932, dessen Hauptinitiator er war. In seinem dortigen H a u p t v o r t r a g „ D i e S e n d u n g der Kirche an unsere Z e i t " entwickelte er seinen e k k l e s i o l o g i s c h e n G r u n d g e d a n k e n , den - » L a i e n als Schnittpunkt z w i s c h e n Kirche u n d Welt z u m A n g e l p u n k t kirchlichen Lebens, D e n k e n s und Handelns zu m a c h e n . D i e s e Einsicht bildete das g e d a n k l i c h e K o n t i n u u m v o n T h a d den-Trieglaffs, s o daß er s c h o n 1935 auch der B e k e n n e n d e n Kirche v o r w a r f , das R e c h t und Amt des Laien in der Kirche nicht g e n ü g e n d zu beachten: „Auch in den Reihen der ,Bekennenden Kirche' haben wir alle Ursache, der drohenden Möglichkeit einer modernen Klerikalisierung der evangelischen Kirche die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. . . . Wer ein scharfes Auge kritischer Beobachtung hat, der wird sich der Empfindung nicht verschließen, daß wir hier und da schon im Begriff sind, dem Verhängnis einer Fachbegrenzung des kirchlichen Widerstandes auf den eingeweihten Kreis der Berufstheologen zu erliegen, darum zu erliegen, weil wir die Form nicht gefunden haben, wie die Anteilnahme des Laien am kirchlichen Neuaufbau vergegenständlicht und jeweils in persönlichen Dienst und Auftrag verwandelt werden kann. Auf diese Teilnahme des Laienelements am Schicksal der Kirche k o m m t aber alles an, zumal in einer Zeit wie der unsrigen, wo ringsherum die geistigen Kraftfelder des nationalen, des politischen, des soldatischen Lebens den jungen Menschen für sich in Anspruch nehmen und zur persönlichen Mitarbeit befähigen. Wird das Laienglied der Kirche weiterhin dazu verurteilt, lediglich die passive Stellung des Predigthörers und Abendmahlsgastes einzunehmen, dann ist mit Sicherheit vorauszusagen, wer auf die Dauer die größere Anziehungskraft auf die junge Generation der Kirche ausüber wird. Dann werden (trotz aller erfreulichen Anfänge der letzten Jahre) die Kirchenbänke des Sonntags wieder leerstehen und die sogenannten ,Einjährigen', die Leute des einmaligen Kirchgangs im Jahr, die Leute, die mehr zur ,unsichtbaren Kirche' gehören, weil sie in der Kirche niemals zu sehen sind, wie unsere pommerschen Bauern zu spotten pflegen, werden wie früher den Sachverhalt ü der evangelischen Kirche kennzeichnen, bis mit der letzten alten Frau der sonntäglichen Gottesdienste das Leben der Kirche der Reformation zugleich endgültig zu Grabe getragen sein wird. Der Laie kann es nun einmal nicht in den Kopf kriegen, daß er mit seinen Gaben und Kräften überall sonst in der Welt willkommene Verwendung findet, dagegen in der Kirche nirgends wirklich einen Platz angewiesen bekommt, der ihm das Gefühl befriedigenden Mithelfendürfens und damit das Gefühl lebendiger Zugehörigkeit zur Gemeinde verleiht. Die unausbleibliche Folge

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Thadden-Trieglaff

ist die fast unausrottbare Vorstellung im Kirchenvolk, die Kirche sei im Grunde nur eine Art notwendigen Beerdigungsinstituts und habe es nicht mit den Lebendigen, sondern mit den Toten zu tun. Woraus sich weiter ergibt, daß man den ganzen Krempel in dem Augenblick über Bord wirft, wo der Staat und die Partei, die ohnehin das Leben überall inhaltlich erfüllen, etwa auch die feierliche und würdige Bestattung der Verstorbenen mit allem erforderlichen liturgischen und kultischen Beiwerk von sich aus in die H a n d nehmen sollten" (Recht [1935] 1 0 - 1 2 ) .

Als Mitglied der Bekenntnissynoden in Barmen, Dahlem, Augsburg und Bad Oeynhausen gehörte von Thadden-Trieglaff zu den führenden Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche. Er läßt sich keiner theologischen Richtung zurechnen, weil er die theologischen Flügelkämpfe, die die Kraft der Kirche lähmten, angesichts der politischen Situation für unangebracht hielt. Als einziger Nichttheologe war er von 1934 bis 1938 Präses einer Evangelischen Bekenntnissynode, der in Pommern, wo er das Predigerseminar —•Bonhoeffers in Finkenwalde mitverantwortete. 1936 gehörte er zu den Mitformulierern und drei Unterzeichnern der Denkschrift an Hitler. Von 1935 bis zu ihrem Verbot 1937 war er als Mitinitiator Vorsitzender des Reichsausschusses der Deutschen Evangelischen Wochen, die als Vorläuferorganisation des Kirchentags gelten können. Neben drei gesamtdeutschen Evangelischen Wochen in Hannover, Stuttgart und Dresden fanden auch einige regionale Evangelische Wochen statt. Im Sommer 1937 war er aufgrund seiner kirchlichen Aktivitäten mehrere Wochen in Gestapohaft. 1943 gehörte er zu den Mitunterzeichnern der von Theophil Wurm (1868-1953) formulierten „13 Sätze zum Auftrag und Dienst der Kirche", dem grundlegenden Papier des kirchlichen Einigungswerks. Ab 1940 war von Thadden-Trieglaff als Soldat im Zweiten Weltkrieg in der Bretagne, ab 1942 als Stadtkommandant im belgischen Louvain. Weil die Alliierten aufgrund seines rechtzeitigen Truppenabzugs keine Angriffe fliegen mußten, wurde er 1947 von der Stadt Louvain wegen seiner Verdienste als Stadtkommandant im Krieg geehrt. Wegen einer Verletzung quittierte von Thadden-Trieglaff im Dezember 1944 den Militärdienst, wurde im März 1945 in Trieglaff durch die Rote Armee verhaftet und kam in ein Arbeitslager bei Archangelsk, wo er mehrmals aufgrund völliger Entkräftung dem Tode nahe war. Aufgrund andauernder Arbeitsunfähigkeit wurde er im November 1945 entlassen und erreichte im Dezember 1945 Berlin, wo er Anfang 1946 seiner aus Trieglaff geflohenen Frau und seinem Sohn Rudolf wiederbegegnete. Seit der Kriegsgefangenschaft quälte ihn ein unheilbares Kehlkopfleiden, so daß er bis 1950 19 schmerzhafte Operationen über sich ergehen lassen mußte, die ihn zeitweilig stumm machten. 1968 wurde der Kehlkopf aufgrund einer Karzinomdiagnose entfernt. Von 1946 bis 1948 war von Thadden-Trieglaff auf Vermittlung W.A. -+Visser'tHoofts in Genf tätig, teils als Delegierter der -»Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), teils im Auftrag des Ökumenischen Rates der Kirchen (ORK), von 1948 bis 1950 in Schwäbisch Gmünd als Referent der Kirchenkanzlei des Rates der EKD zur Koordinierung der Laienaktivitäten. 1946 wurde er Vorsitzender des Vertrauensrates der Evangelischen Studentengemeinschaft, 1947 Vorsitzender der Evangelischen Akademikerschaft, beides Nachfolgeorganisationen der DCSV. In dieser Zeit bereitete er in unzähligen Gesprächen gegen kirchliche Widerstände, die sich vor allem an dem Namen Kirchentag entzündeten, die Gründung des Kirchentags vor, der dann am 31. Juli 1949 auf der Deutschen Evangelischen Woche in Hannover durch deren Tagungspräsidenten Gustav Heinemann (1899-1976) als „Einrichtung in Permanenz" ausgerufen wurde. Von Thadden-Trieglaff wurde mit der Organisation dieser neu geschaffenen Institution beauftragt. Mit der Errichtung des Hauptsitzes des Vereins zur Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchentags e. V. in Fulda 1950 und den dazugehörenden Grundstrukturen konsolidierte sich der Kirchentag als Organisation endgültig. Von 1951 bis 1967 war von Thadden-Trieglaff Synodaler der EKD, deren Delegierter bei den Vollversammlungen des O R K in Amsterdam (1948), Evanston (1954), New Delhi (1961) sowie Mitglied des Zentralkomitees des ORK. Als kurz nach dem Berliner Kirchentag 1961 dieser mit

Thadden-Trieglaff

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dem Bau der M a u e r am 70. Geburtstag von Thadden-Trieglaffs endgültig seine gesamtdeutsche Klammerfunktion verlor, machte von Thadden-Trieglaff in Dortmund 1963 unter der Losung „ M i t Konflikten leben" erneut den kirchenreformerischen Ansatz als Grund der Kirchentagsbewegung stark. Diesen Ansatz vertrat er bis zum Schluß, wie seine herbe Bilanz der kirchlichen Nachkriegszeit „Warum kam so wenig heraus?" von 1971 zeigt. In der Lebensgeschichte von Thadden-Trieglaffs, die sich den üblichen politischen und theologischen Kategorisierungen entzieht, liegen die wesentlichen Komponenten und Kompetenzen begründet, die ihn dazu befähigten, mit dem Kirchentag, jenseits von kirchlichen Institutionen, aber auf diese bezogen, eine dem 20. J h . besonders angemessene Gestalt von Kirche zu gründen. Als M a n n des Establishments hatte er den nötigen Bekanntheitsgrad. Seine adelige Herkunft hinterließ bei ihm immer eine gewisse Skepsis gegenüber einem in den Kirchen überrepräsentierten obrigkeitshörigen Bürgertum. Aufgrund der weitgehend sozialen Einstellung des pommerschen Adels hatte er viel Verständnis für die soziale Frage. Als landwirtschaftlicher Unternehmer hatte er gelernt, Risiken einzuschätzen und einzugehen. Als Jurist war ihm ein Gespür dafür eigen, daß Bewegungen nur als Institutionen und Organisationen überleben können. Die Arbeit mit Studenten brachte ihn in ständigen Kontakt mit den Erkenntnissen der an den Universitäten gelehrten Wissenschaften. Seine ökumenischen Erfahrungen und internationalen Kontakte bewahrten ihn vor überzogenem Nationalismus. Als Synodaler kannte er sich aus mit den Arbeits- und Umgangsformen innerhalb der Kirche. Seine pietistischlutherische Herkunft prägte seine Bibelfrömmigkeit und ließ ihn gegenüber aller amtlichen Kirchlichkeit immer Distanz wahren. Sein Engagement in der Bekennenden Kirche bestärkte seine kirchenreformerischen Einsichten als Kritik an der Kirche in der Kirche. Sein Verhalten im Krieg und sein Flüchtlingsschicksal verliehen ihm die nötige Glaubwürdigkeit. Seine kommunikativen Fähigkeiten pflanzten seinem Lebenswerk Kirchentag eine Atmosphäre ein, die den Dialog über die Wahrnehmung der Welt zur Grundlage des Handelns macht und damit in protestantischer Manier der kulturellen Dimension, der Ästhetik, der Beziehungsebene ihren gebührenden Rang einräumt. Als nichttheologischem Zeitgenossen wurde ihm klar, daß und wie Erlebnis und Ergebnis, Religion und Alltag in christlicher -»Erwachsenenbildung so zusammenkommen müssen, daß die Laien Subjekte des Bildungsprozesses werden. Quellen Schriften: Völkerrecht u. Völkerbund. Eine Stud. zur Rechtsnatur zwischenstaatlicher Beziehungen, Berlin 1920 (Monogr. zum Völkerbund 8). - Das Recht u. Amt des Laien in der Kirche, Berlin o. J. [1935] (Stimmen aus der dt. christl. Studentenbewegung 97). - Jüngerschaft. Drei Bilder aus dem Leben des Apostels Petrus, Berlin 1936 (Furche-Schr. 7). - Kirche im Kampf. Ein Laie erlebt den ev. Kirchenkampf im Hitler-Deutschland. Im Auftrag der ökum. Kommission für die Pastoration der Kriegsgefangenen, Bern/Zürich 1947; u.d.T.: Auf verlorenem Posten? Ein Laie erlebt den ev. Kirchenkampf in Hitlerdeutschland, Tübingen 1948. - Der junge Bismarck. Eine Antwort auf die Frage: War Bismarck Christ?, Hamburg/Berlin 1950 (Furche-Bücherei 83). - Warum kam so wenig heraus? Reinold v. Thaddens herbe Bilanz der Nachkriegszeit: LM 10 (1971) 538f. Mitherausgeberschaften: Gott u. die Gesch. Vier Vortr. v. Johannes Schneider, Hanns Lilje, Fritz Blanke u. Heinrich Rendtorff, Berlin 1929. - Rechtgläubigkeit u. Frömmigkeit. Das Gespräch der Kirche um die rechte Nachfolge Christi, 3 T., hg. v. Hans Asmussen u.a., Berlin 1939. - ZW 24 (1953)—40 (1969). - Wenn man Dich fragt nach Glauben u. Leben, hg. v. Heinrich Giesen u.a., Stuttgart 1958. - HCiW 1 - 9 (1959-1965). Vollständige Bibliographie: Harald Schroeter (s.u.) 352-364. Literatur Martin Fischer, Reinold v. Thadden-Trieglaff: ders., Gesch. in Gestalten, Stuttgart 1975, 2 1 - 3 4 . - Martin Haug, Reinold v. Thadden-Trieglaff: ders., Für eine bessere Zukunft, Stuttgart 1970, 5 7 88. - Werner Hühne, Thadden-Trieglaff. Ein Leben unter uns, Stuttgart 1959. - Werner Klän, Die ev. Kirche Pommerns in Republik u. Diktatur. Gesch. u. Gestaltung einer preußischen Kirchenprovinz (1914-1945), 1995 (VHKP 5. R. 30). - Ders., Reinold v. Thadden-Trieglaff: Wolf-Dieter Hauschild

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Thamer

(Hg.), Profile des Luthertums. Biographien im 20. J h . , Gütersloh 1998, 6 9 1 - 6 9 9 . - Wolfgang Koch, Die Laienfrage im Denken Reinold v. Thaddens 1 9 3 3 - 1 9 4 9 . Ein Beitr. zur Vorgesch. des Dt. Ev. Kirchentages, masch. Magisterarbeit Münster 1974. - Karl Kupisch, Studenten entdecken die Bibel. Die Gesch. der Dt. Christi. Studentenvereinigung (DCSV), H a m b u r g 1958. - Friedebert Lorenz, Die Gründung des Dt. Ev. Kirchentages durch Reinold v. Thadden-Trieglaff u. die kirchenpolitische Situation der Ev. Kirche in Deutschland im J a h r e 1949: J H K G V 33 (1982) 3 5 7 - 3 7 0 . - Ders., Die Reisen u. Leiden des Reinold v. Thadden-Trieglaff. Eine Chronik der J a h r e 1 9 4 5 - 1 9 5 0 , Fulda 1985. - Ders., Reinold v. Thadden-Trieglaff: G K 1 0 / 2 (1986) 1 7 6 - 1 8 6 . - Irmgard v. der Lühe, Elisabeth v. Thadden. Ein Schicksal unserer Zeit, Düsseldorf/Köln 1966. - H a r a l d Schroeter, Kirchentag als vor-läufige Kirche. Der Kirchentag als eine besondere Gestalt des Christseins zw. Kirche u. Welt, 1993 ( P T H e 13). - H a r a l d Uhl, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Ein Leben in ev. Freiheit u. Verantwortung: Rüdiger R u n g e / M a r g o t K ä ß m a n n (Hg.), Kirche in Bewegung. 5 0 J a h r e Dt. Ev. Kirchentag, Gütersloh 1999, 2 7 - 3 6 . - Heintz Wagner, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Ein Edelmann nach dem Herzen Gottes, 1961 ( Z G G 155). - H a n s H e r m a n n Walz, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Präsident des Dt. Ev. Kirchentages: Günter Gloede (Hg.), Ö k u m . Profile. Brückenbauer der Einen Kirche, Stuttgart, II 1963, 2 2 3 - 2 3 5 . - Ders., Ein Gründer. Z u m 7 5 . Geburtstag v. Reinold v. Thadden-Trieglaff: K i Z 21 (1966) 3 5 0 - 3 5 2 . - Z w . Widerspruch u. Widerstand. Texte zur Denkschr. der Bekennenden Kirche an Hitler (1936), hg. v. M a r t i n Greschat, 1987 ( S K Z G 6).

Harald Schroeter-Wittke

Thamer, Theobald 1. Leben

(Thamerus,

2. Schriften

Damer, Dhamer, Hamerns)

3. Theologie

(1502-1569)

(Quellen/Literatur S. 174)

1. Leben In der freien Reichsstadt Oberehnheim (Elsaß) 1502 geboren, besuchte Thamer im benachbarten Rosheim die Schule, die unter dem Einfluß des elsässischen Humanismus (Jakob Wimpfeling [1450-1528]) stand. Unter dem Eindruck der Reformation in -»Straßburg wandte er sich der neuen Glaubensrichtung zu und gelangte auf Empfehlung -»Bucers an den Hof des Landgrafen -»Philipp von Hessen, der ihn 1535 zum Studium nach -»Wittenberg sandte, wo er bis 1539 zu -»Luthers und -»Melanchthons Schülern gehörte. Am 11. Februar 1539 zum Magister artium promoviert, kam Thamer am 16. August 1540 auf Vermittlung Melanchthons als Lehrer des Griechischen an die Universität -»Frankfurt an der Oder. Bucer veranlaßte am 22. April 1543 seine Berufung als Professor der Theologie nach -»Marburg, wo er zugleich das Pfarramt an St. Elisabeth übernahm. Bereits 1544 geriet er mit A. -»Hyperius in eine heftige Kontroverse über die Erbsünde. Da Landgraf Philipp ein Wiederaufleben des Sakramentsstreits und eine Gefährdung der -»Wittenberger Konkordie (1536) befürchtete, verbot er am 14. Oktober 1544 jeden „unnötigen Wortzank" (Opper 16). Während des -»Schmalkaldischen Krieges (1546/47), an dem Thamer als Feldprediger teilnahm, kam es aufgrund der Erfahrung sittlicher Exzesse der Truppen, die er als Folge der Predigt von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben verstand, bei Thamer zu ersten Zweifeln an der reformatorischen Lehre. Nach seiner Rückkehr nach Marburg kam es deshalb zu einer Kontroverse mit Draconites (Johannes Drach [1494-1566]). Nach Ermahnungen, den „Frieden an der Universität nicht länger zu stören" (9. Oktober 1547; Opper 32 Anm. 25), wurde er wegen seiner Angriffe auf das -»Augsburger Bekenntnis und seiner Sympathie für das -»Interim von 1548 im Mai 1549 entlassen. In Brüssel riet ihm der Karmeliterprovinzial Eberhard Billick (ca. 1499-1557), sich an den Mainzer Erzbischof Sebastian von Heusenstamm (1545-1555) zu wenden, der sich jedoch nicht in den hessischen Kirchenstreit einmischen wollte. Durch Billick erhielt er jedoch am 10. Dezember 1549 die zweite Pfarrstelle an St. Bartholomaeus (Dom) zu Frankfurt a.M., wo Magister Hartmann Beyer (1516-1577) sein Hauptgegner wurde. So bat er am 27. Januar 1553, nach Marburg zurückkehren zu dürfen, wo der inzwischen aus der Haft entlassene Landgraf sich bereit erklärte, Thamer zu klärenden Gesprächen zu E. -»Schnepf, Melanchthon, dem Dresd-

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Thamer

(Hg.), Profile des Luthertums. Biographien im 20. J h . , Gütersloh 1998, 6 9 1 - 6 9 9 . - Wolfgang Koch, Die Laienfrage im Denken Reinold v. Thaddens 1 9 3 3 - 1 9 4 9 . Ein Beitr. zur Vorgesch. des Dt. Ev. Kirchentages, masch. Magisterarbeit Münster 1974. - Karl Kupisch, Studenten entdecken die Bibel. Die Gesch. der Dt. Christi. Studentenvereinigung (DCSV), H a m b u r g 1958. - Friedebert Lorenz, Die Gründung des Dt. Ev. Kirchentages durch Reinold v. Thadden-Trieglaff u. die kirchenpolitische Situation der Ev. Kirche in Deutschland im J a h r e 1949: J H K G V 33 (1982) 3 5 7 - 3 7 0 . - Ders., Die Reisen u. Leiden des Reinold v. Thadden-Trieglaff. Eine Chronik der J a h r e 1 9 4 5 - 1 9 5 0 , Fulda 1985. - Ders., Reinold v. Thadden-Trieglaff: G K 1 0 / 2 (1986) 1 7 6 - 1 8 6 . - Irmgard v. der Lühe, Elisabeth v. Thadden. Ein Schicksal unserer Zeit, Düsseldorf/Köln 1966. - H a r a l d Schroeter, Kirchentag als vor-läufige Kirche. Der Kirchentag als eine besondere Gestalt des Christseins zw. Kirche u. Welt, 1993 ( P T H e 13). - H a r a l d Uhl, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Ein Leben in ev. Freiheit u. Verantwortung: Rüdiger R u n g e / M a r g o t K ä ß m a n n (Hg.), Kirche in Bewegung. 5 0 J a h r e Dt. Ev. Kirchentag, Gütersloh 1999, 2 7 - 3 6 . - Heintz Wagner, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Ein Edelmann nach dem Herzen Gottes, 1961 ( Z G G 155). - H a n s H e r m a n n Walz, Reinold v. Thadden-Trieglaff. Präsident des Dt. Ev. Kirchentages: Günter Gloede (Hg.), Ö k u m . Profile. Brückenbauer der Einen Kirche, Stuttgart, II 1963, 2 2 3 - 2 3 5 . - Ders., Ein Gründer. Z u m 7 5 . Geburtstag v. Reinold v. Thadden-Trieglaff: K i Z 21 (1966) 3 5 0 - 3 5 2 . - Z w . Widerspruch u. Widerstand. Texte zur Denkschr. der Bekennenden Kirche an Hitler (1936), hg. v. M a r t i n Greschat, 1987 ( S K Z G 6).

Harald Schroeter-Wittke

Thamer, Theobald 1. Leben

(Thamerus,

2. Schriften

Damer, Dhamer, Hamerns)

3. Theologie

(1502-1569)

(Quellen/Literatur S. 174)

1. Leben In der freien Reichsstadt Oberehnheim (Elsaß) 1502 geboren, besuchte Thamer im benachbarten Rosheim die Schule, die unter dem Einfluß des elsässischen Humanismus (Jakob Wimpfeling [1450-1528]) stand. Unter dem Eindruck der Reformation in -»Straßburg wandte er sich der neuen Glaubensrichtung zu und gelangte auf Empfehlung -»Bucers an den Hof des Landgrafen -»Philipp von Hessen, der ihn 1535 zum Studium nach -»Wittenberg sandte, wo er bis 1539 zu -»Luthers und -»Melanchthons Schülern gehörte. Am 11. Februar 1539 zum Magister artium promoviert, kam Thamer am 16. August 1540 auf Vermittlung Melanchthons als Lehrer des Griechischen an die Universität -»Frankfurt an der Oder. Bucer veranlaßte am 22. April 1543 seine Berufung als Professor der Theologie nach -»Marburg, wo er zugleich das Pfarramt an St. Elisabeth übernahm. Bereits 1544 geriet er mit A. -»Hyperius in eine heftige Kontroverse über die Erbsünde. Da Landgraf Philipp ein Wiederaufleben des Sakramentsstreits und eine Gefährdung der -»Wittenberger Konkordie (1536) befürchtete, verbot er am 14. Oktober 1544 jeden „unnötigen Wortzank" (Opper 16). Während des -»Schmalkaldischen Krieges (1546/47), an dem Thamer als Feldprediger teilnahm, kam es aufgrund der Erfahrung sittlicher Exzesse der Truppen, die er als Folge der Predigt von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben verstand, bei Thamer zu ersten Zweifeln an der reformatorischen Lehre. Nach seiner Rückkehr nach Marburg kam es deshalb zu einer Kontroverse mit Draconites (Johannes Drach [1494-1566]). Nach Ermahnungen, den „Frieden an der Universität nicht länger zu stören" (9. Oktober 1547; Opper 32 Anm. 25), wurde er wegen seiner Angriffe auf das -»Augsburger Bekenntnis und seiner Sympathie für das -»Interim von 1548 im Mai 1549 entlassen. In Brüssel riet ihm der Karmeliterprovinzial Eberhard Billick (ca. 1499-1557), sich an den Mainzer Erzbischof Sebastian von Heusenstamm (1545-1555) zu wenden, der sich jedoch nicht in den hessischen Kirchenstreit einmischen wollte. Durch Billick erhielt er jedoch am 10. Dezember 1549 die zweite Pfarrstelle an St. Bartholomaeus (Dom) zu Frankfurt a.M., wo Magister Hartmann Beyer (1516-1577) sein Hauptgegner wurde. So bat er am 27. Januar 1553, nach Marburg zurückkehren zu dürfen, wo der inzwischen aus der Haft entlassene Landgraf sich bereit erklärte, Thamer zu klärenden Gesprächen zu E. -»Schnepf, Melanchthon, dem Dresd-

Thamer

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ner Superintendenten Daniel Gresser und H. —»Bullinger zu senden. Nach deren Scheitern wurde Thamer am 15. April 1553 endgültig aus dem hessischen Kirchendienst entlassen. Sein Weg führte ihn von Zürich nach Rom (1553/1555), wo er nach Unterredungen mit dem Trienter Konzilstheologen Francisco Torres SJ (1509-1584) zur römischen Kirche konvertierte und in Siena zum Doktor der Theologie promovierte. Als Hof- und Domprediger in Minden geriet er erneut in Kontroversen mit G. -»Major und Melanchthon (1557), so daß er als Kanonikus nach Mainz übersiedelte, wo er bis zu seiner Berufung auf den dritten theologischen Lehrstuhl in -»Freiburg im Breisgau 1566 blieb. Am 4. Dezember 1567 legte er den Eid auf die Confessio Tridentina (—»Professio fidei Tridentina) ab. Er starb als Dekan der Fakultät am 23. Mai 1569. 2.

Schriften

Kurz nach seinem Amtsantritt in Marburg 1543 publizierte Thamer die Schrift Paraclesis, id est adhortatio ad sacratissimae theologiae Studium, die unter dem Einfluß Melanchthons die Bedeutung des Bibelstudiums, aber auch der Beschäftigung mit Rhetorik, Dialektik und Geschichte für den angehenden Theologen hervorhob. Die Kontroverse mit Hyperius 1544 spiegelt sich in der Accusatio A. Hyperii per Theobaldum Thamerum et responsio ad accusationem per Andream Hyperium wider. Unter dem Eindruck der Gefangennahme Landgraf Philipps erschien im April 1547 An et quatenus Christianis sit fugiendum (Marburg 1547). Von der Lehrgrundlage der Reformation löste sich Thamer endgültig mit seiner Confessio fidei, die nur in deutscher Fassung erhalten ist: Ein schrifft überantwortet den fürstlichen Käthen zu Marpurg auff donderstag nach jubilate Anno 1548 (vgl. Opper 37). Einer (erfolglosen) Beschwerde an den Rat zu Frankfurt am Main wegen angeblicher Fälschung einer Predigt Thamers durch H. Beyer (s.o. 1.) folgte 1552 die Schrift Der letzte theil der Apologi und verantwurtung Theobaldi Thameri... von dem schandtbuch M. Hartmann Beiers. Auch von den drey zeugen, dem Gewissen, Creaturen und heiliger schrifft, das sie noch vest stehen und wider alle porten der hellen bleiben werden. Im selben Jahr erschien Thamers grundlegende autobiographische Schrift Warhafftiger Bericht Theobaldi Thameri, von den Jnjurien und Lästerungen, welche jhme die Lutherischen deshalb falsch und unchristlich zumessen, das er den Glauben mit guten wercken des menschens gerechtigkeit setzet und in sanct Bartholomes stifft kirchen zu Frankfurt am Maen dises also bis ins dritt jar gepredigt und bekent hat. In Rom erschien 1556 die Schrift Gegensatz der katholischen und lutherischen Lehre, den Einfältigen zu Gefallen gestellet, damit sie nicht durch die Lehre, allein der Glaub macht selig, verführet, deren lateinische Fassung Antithesis doctrinae cäthölicae et lutheränäe breviter in tabula comprehensä als verlören gilt (ed. Hochhuth, Vita et scriptis [Anhang]). Eine weitere autobiographische Quelle ist die Apologia Theobaldi Thameri de variis calumniis, quas ab anno 1552 usque ad hunc 1561 haud suo merito tulit a Lutheranis evangelistis (Mainz 1561), eine Fortsetzung des Wahrhafftigen Berichts. Als letzte Schrift erschien (ebenfalls bei Franz Behem in Mainz) die Introductio in sacrosanctam Domini nostri Jesu Christi Passionem, in decem partes digesta. Christi Passion ist uns aeterna lex et quasi spiritualis decalogus. Als Gegenschriften sind erhalten H. Beyers Ein stück der Predigt Theobaldi Thameri des abtrünnigen und irrigen Predigers zu Frankfurt, von den Zeugen seiner Lehr (1552; Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt) und Melanchthons De Thamero vagante in diocesi Mindensi commonefactio (1557; CR 9,131 ff.). 3.

Theologie

Thamers Freiburger Bibliothek (vgl. Rest 25) zeigt die Bandbreite der geistigen Einflüsse auf seine Theologie: bis 1535 die Humanisten J . Wimpfeling, -»Pico della Mirandola, L. -»Valla, G. -»Bude, -»Erasmus, möglicherweise bereits Bucer und Matthäus Zell (1477-1548); in Wittenberg (1535-1539) Luther, Melanchthon sowie griechische und lateinische Klassiker; in Marburg (1543/46) Schriftkommentare und Väter, später

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Thamer

S. -»-Franck, H . —>Denck und -•Paracelsus. A b 1549 b z w . 1555 erfolgten starke Einflüsse durch den Karmeliter E. Billick und in R o m durch den späteren Jesuiten Francisco Torres (Turrianus), der 1557 ein Werk De iustificatione verfaßte. So erklärt sich das Vorhandensein zahlreicher scholastischer Autoren in seiner Bibliothek (besonders - » T h o m a s von A q u i n o und D . de —>Soto). Jedoch beeinflußten T h a m e r auch die französischen Kirchenreformer —»Nikolaus v o n Clémanges und der mehr der mystischen T h e o l o g i e verpflichtete J. —»Gerson. 1552 schreibt Thamer im Warhafftigen Bericht über Luthers Rechtfertigungsverständnis: „Wenn diese Lehre evangelisch wäre, so müßte sie Frucht bringen und wäre unmöglich, das die Leut nicht davon gebessert würden" (Bl. C 1). Den Imputationsbegriff nennt Thamer ein „fleischliches Evangelium" (Confessio: ed. Hochhuth, Vita et scriptis 213). „Diser [Augsburger] Confession fundament, wölchs da ist das sola fides, nirgent im Evangelio oder ander h. schrifft befunden wirt" (Warhafftiger Bericht D 4). „Die aus der Liebe herausgewachsenen Werke allein sind es, die gerecht machen" (Confessio: ed. Hochhuth, Vita et scriptis 216). Die Betonung des äußeren Schriftwortes ist für Thamer der „fleischlich sinn des Lutherus" (Letzter Theil der Apol. f3). Wie Franck und Denck beschuldigt er Luther der Vergötterung des Buchstabens (ebd. s4). Die Schrift ist ein „stummer Zeuge" und „voller Widersprüche" (ebd. o l und 11). Erst „im Mund dreier Zeugen" wird „alle Wahrheit gegründet" (ebd. hl): (a) dem Gewissen, das „die wahre Bibel" ist (ebd. x4), (b) den Kreaturen, die im Sinn der „panentheistischen Naturphilosophie der Renaissance" (Opper 100) verstanden werden, und (c) der Heiligen Schrift, die an das erinnern soll, was Gewissen und Kreaturen zuvor geoffenbart haben (ebd. nl). Christus versteht Thamer wie Erasmus und die Spiritualisten als „Exempel" (Wahrhafftiger Bericht J3). Luthers Erbsündenlehre (Letzter Theil der Apol. d4) und seine Lehre vom unfreien Willen lehnt er ab (ebd. cl und d4). O. Opper sieht Thamer fast ausschließlich als Erbe der „vielen neben der Reformation herlaufenden religiösen Nebenströmungen" (109ff.). Die Erforschung der Einflüsse des Erasmus und der Scholastik bleibt ein wissenschaftliches Desiderat. Quellen 1. Bibliographien: Otto Opper (s.u. Lit.) VII-XI1. - Verz. der im dt. Sprachraum ersch. Drucke des 16. Jh., hg. v. der Bayerischen Staatsbibliothek (München)/Herzog-August-Bibliothek (Wolfenbüttel), Red. Irmgard Bezzel, Stuttgart, XX 1993, Nr. 679-688. 2. Werke: Thamers Schriften sind im Artikel (s.o. 2.) aufgeführt. Wissenschaftliche Neueditionen u. eine modernen Ansprüchen genügende Biographie u. Wertung seiner Theologie sind ein Desiderat. Handschriftliches ist erhalten: Staatsarchiv Marburg: Akten Th. Thamer betr. 1535-1556. - Kirchensachen - Theol. Streitigkeiten: Draconites contra Thamer 1547. - Das politische Archiv des Landgrafen Philipp. - Stadtarchiv Frankfurt a.M.: Religion u. Kirchenwesen. III. BartholomäusstiftAkten u. Urkunden Bd. II. - Stadtarchiv Freiburg: Akten Thamers Nachlaß betreffs Freiburger Ratsprotokolle. - Zentralbibliothek Zürich: Briefe Thamers u. auf Thamer bezüglich. Literatur Irena Backus, Theobald Thamer: Bibliotheca dissidentium, hg. v. André Séguenny, III 1982 (BBAur 93) 71-152. - Dies., La doctrine des bonnes ceuvres de Theobald Thamer: Les dissidents du XVIe siècle entre l'Humanisme et le Catholicisme, hg. v. Marc Lienhard, 1983 (BiDi 1) 205 - 217. - Otto Borngräber, Das Erwachen der phil. Spekulation der Reformationszeit in ihrem stufenweisen Fortschreiten beleuchtet an Schwenckfeld, Thamer, Sebastian Franck v. Word, Diss. Erlangen 1909. - Ludwig Brandl, Art. Thamer: BBKL 11 (1996) 769-775. - Anton Brück, Art. Thamer: LThK 1 10 (1965) 10. - Otto Dawid, Art. Thamer: RGG 3 6 (1962) 726. - Franz Gundlach, Catalogus Professorum Academiae Marburgensis. Die Akademischen Lehrer der Philipps-Univ. zu Marburg 1527-1910, 1927 (VHKHW 15/1). - Barbara Henze, Art. Thamer: LThK 3 9 (2000) 1380. - Fritz Herrmann, Das Interim in Hessen, Marburg 1901. - Carl Wilhelm Hermann Hochhuth, De Theobaldi Thameri vita et scriptis, Diss. Marburg 1858. - Ders., Theobald Thamer u. Landgraf Philipp: Z H T h 31 (1861) 165-278. - Carl Ernst Jarcke, Theobald Thamer. Eine Bekehrung aus den Zeiten der Glaubensspaltung im 16. Jh.: HPB1 10 (1842) 341-363. - Julius Köstlin, Die Baccalaurei u. Magistri der Wittenberger phil. Fak. 1538-1546, Halle 1890. - Franz Xaver Kraus, Art. Thamer: ADB 37 (1894) 650. - Max Lenz, Der Briefwechsel Landgraf Philipp's des Großmüthigen v. Hessen mit Bucer, hg. u. eri. v. M a x Lenz, 3 Bde., Leipzig 1880-1891. - Carl Mirbt, Art. Thamer: RE 3 19 (1907) 580-582. - August Neander, Theobald Thamer, der Repräsentant u. Vorgänger moderner Geistesrichtung in dem Reformationszeitalter, Berlin 1842. - Otto Opper, Theobald Thamer (15021569). Sein Leben u. seine rei. Gedankenwelt (Diss. Leipzig), Dresden 1941. - Andreas Räß, Die

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Theater

Convertiten seit der R e f o r m a t i o n , Freiburg i.Br., I 1866, 2 3 6 - 2 9 7 . - J o s e p h R e s t , Freiburger Bibliotheken u. Buchhandlungen im 15. u. 16. J h . : Aus der Werkstatt. D e n dt. Bibliothekaren zu ihrer T a g u n g in Freiburg Pfingsten 1925 dargebracht v. der Universitätsbibliothek, Freiburg i. Br. 1925, 2 5 . — Christian August Salig, Vollst. Historie der Augspurgischen C o n f e s s i o n , H a l l e , III 1735, 199. - Friedrich Christoph Schminke, M o n u m e n t a H a s s i a c a , 4 . T . , Kassel 1 7 6 5 [Vita T h a m e r i (Wigand Leuze)]. - Heinrich Schreiber, Gesch. der Albert-Ludwigs-Univ. Freiburg, Freiburg, II 1859, 2 9 3 - 2 9 6 . - H o r s t T h a m e r u s , Beitr. zur G e s c h . der Familie T h a m e r u s , Pirna 1901.

Peter Fabisch

Theater 1. Definition

1.

2. Geschichte

3. T h e a t e r in Gesellschaft und Kirche

(Literatur S. 193)

Definition

Theater ist das Erlebnis dessen, was sich in einer Aufführung zwischen den Darstellenden und den Zuschauenden ereignet. Sodann ist Theater alles, was nötig ist, um dieses Erlebnis zu ermöglichen: Text und Musik, der Ort, die Organisation, die Institution usw.; all dies gehört in dem Maße zum Theater, in dem es zum Gelingen des Theatererlebnisses beiträgt. Die in der Zeit- und Raumeinheit gegebene Interaktion zwischen Darstellenden und Publikum macht die Einzigartigkeit des Theaters als Sprech-, Musik- und Tanztheater (Schauspiel, Oper, Operette, Ballett) aus und bestimmt die Abgrenzung des Theaters gegenüber anderen Formen und Elementen der ästhetischen Kommunikation. Sonderformen wie Musical, Kabarett, Revue, Variete, Puppen- und Schattentheater gehören in den Bereich des Theaters, Film, Fernsehspiel, Hörspiel und alle technisch reproduzierbaren Formen der Gestaltung dagegen nicht. Der Ort des Theaters liegt an der Kreuzung von Spiel und Nachahmung, da wo der homo ludens sich mit der Mimesis vereint. Im darstellenden Spiel werden - in spielerischer Freiheit von der Realität - Realitäten so nachgeahmt, daß daraus eine neue Realität entsteht: das Theatererlebnis, basierend auf der Interdependenz von Darstellenden und Zuschauenden. Dieses Gegenüber ist konstitutiv für alles, was Theater heißt. Seit dem Ursprung des europäischen T h e a t e r s in G r i e c h e n l a n d wird mit der Wortbildung (Schauort) die optische Partizipation b e t o n t , o b w o h l die Akustik mindestens die gleiche Bedeutung hat. In den Bezeichnungen „ Z u s c h a u e r " für alle T h e a t e r b e r e i c h e und „ S c h a u s p i e l " für das Sprechtheater setzt sich diese Einseitigkeit fort, o h n e d a ß damit eine B e t o n u n g des Sehens vor dem H ö r e n verbunden wäre. „ S c h a u e n " bedeutet in diesem Z u s a m m e n h a n g eine umfassende Partizipation. Insofern können die Worte T h e a t e r und - » T h e o r i e von ihrem griechischen Wortursprung her als miteinander verbunden angesehen werden (so bei - » I s i d o r von Sevilla, O r i g . X V , 2 , 3 4 ; X V I I I , 4 2 , 1 ; vgl. Jürgens 149). D a s T h e a t e r bietet spielerisch n a c h a h m e n d dargestellte Lebenstheorie.

deaxpov

Das Theater als räumliches Arrangement ist auf eine Interaktion zwischen Darstellenden und Publikum angelegt und demonstriert mit gewissen Varianten die Interdependenz zwischen Bühne und Zuschauerraum. So wird dem Theaterbau charakteristischerweise unabhängig von Aufführungen für sich alleine die Bezeichnung Theater zugebilligt. 2.

Geschichte

2.1. Außereuropäisches

Theater

Der Begriff „Theater" ist abhängig von historischen und geographischen Bedingungen. Wenn wir heute aus europäischer Sicht von Theater reden, muß uns bewußt sein, daß bei allem redlichen Bemühen um eine globale Perspektive die grundlegenden kulturellen Differenzen bei der Übertragung der Kategorien westlicher Zivilisation auf Erscheinungen, die sich unter völlig anderen Voraussetzungen entwickelt haben, zu Vorbehalten führen. Dies gilt besonders für die Bestimmung der Wechselbeziehung zwischen

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Theater

Convertiten seit der R e f o r m a t i o n , Freiburg i.Br., I 1866, 2 3 6 - 2 9 7 . - J o s e p h R e s t , Freiburger Bibliotheken u. Buchhandlungen im 15. u. 16. J h . : Aus der Werkstatt. D e n dt. Bibliothekaren zu ihrer T a g u n g in Freiburg Pfingsten 1925 dargebracht v. der Universitätsbibliothek, Freiburg i. Br. 1925, 2 5 . — Christian August Salig, Vollst. Historie der Augspurgischen C o n f e s s i o n , H a l l e , III 1735, 199. - Friedrich Christoph Schminke, M o n u m e n t a H a s s i a c a , 4 . T . , Kassel 1 7 6 5 [Vita T h a m e r i (Wigand Leuze)]. - Heinrich Schreiber, Gesch. der Albert-Ludwigs-Univ. Freiburg, Freiburg, II 1859, 2 9 3 - 2 9 6 . - H o r s t T h a m e r u s , Beitr. zur G e s c h . der Familie T h a m e r u s , Pirna 1901.

Peter Fabisch

Theater 1. Definition

1.

2. Geschichte

3. T h e a t e r in Gesellschaft und Kirche

(Literatur S. 193)

Definition

Theater ist das Erlebnis dessen, was sich in einer Aufführung zwischen den Darstellenden und den Zuschauenden ereignet. Sodann ist Theater alles, was nötig ist, um dieses Erlebnis zu ermöglichen: Text und Musik, der Ort, die Organisation, die Institution usw.; all dies gehört in dem Maße zum Theater, in dem es zum Gelingen des Theatererlebnisses beiträgt. Die in der Zeit- und Raumeinheit gegebene Interaktion zwischen Darstellenden und Publikum macht die Einzigartigkeit des Theaters als Sprech-, Musik- und Tanztheater (Schauspiel, Oper, Operette, Ballett) aus und bestimmt die Abgrenzung des Theaters gegenüber anderen Formen und Elementen der ästhetischen Kommunikation. Sonderformen wie Musical, Kabarett, Revue, Variete, Puppen- und Schattentheater gehören in den Bereich des Theaters, Film, Fernsehspiel, Hörspiel und alle technisch reproduzierbaren Formen der Gestaltung dagegen nicht. Der Ort des Theaters liegt an der Kreuzung von Spiel und Nachahmung, da wo der homo ludens sich mit der Mimesis vereint. Im darstellenden Spiel werden - in spielerischer Freiheit von der Realität - Realitäten so nachgeahmt, daß daraus eine neue Realität entsteht: das Theatererlebnis, basierend auf der Interdependenz von Darstellenden und Zuschauenden. Dieses Gegenüber ist konstitutiv für alles, was Theater heißt. Seit dem Ursprung des europäischen T h e a t e r s in G r i e c h e n l a n d wird mit der Wortbildung (Schauort) die optische Partizipation b e t o n t , o b w o h l die Akustik mindestens die gleiche Bedeutung hat. In den Bezeichnungen „ Z u s c h a u e r " für alle T h e a t e r b e r e i c h e und „ S c h a u s p i e l " für das Sprechtheater setzt sich diese Einseitigkeit fort, o h n e d a ß damit eine B e t o n u n g des Sehens vor dem H ö r e n verbunden wäre. „ S c h a u e n " bedeutet in diesem Z u s a m m e n h a n g eine umfassende Partizipation. Insofern können die Worte T h e a t e r und - » T h e o r i e von ihrem griechischen Wortursprung her als miteinander verbunden angesehen werden (so bei - » I s i d o r von Sevilla, O r i g . X V , 2 , 3 4 ; X V I I I , 4 2 , 1 ; vgl. Jürgens 149). D a s T h e a t e r bietet spielerisch n a c h a h m e n d dargestellte Lebenstheorie.

deaxpov

Das Theater als räumliches Arrangement ist auf eine Interaktion zwischen Darstellenden und Publikum angelegt und demonstriert mit gewissen Varianten die Interdependenz zwischen Bühne und Zuschauerraum. So wird dem Theaterbau charakteristischerweise unabhängig von Aufführungen für sich alleine die Bezeichnung Theater zugebilligt. 2.

Geschichte

2.1. Außereuropäisches

Theater

Der Begriff „Theater" ist abhängig von historischen und geographischen Bedingungen. Wenn wir heute aus europäischer Sicht von Theater reden, muß uns bewußt sein, daß bei allem redlichen Bemühen um eine globale Perspektive die grundlegenden kulturellen Differenzen bei der Übertragung der Kategorien westlicher Zivilisation auf Erscheinungen, die sich unter völlig anderen Voraussetzungen entwickelt haben, zu Vorbehalten führen. Dies gilt besonders für die Bestimmung der Wechselbeziehung zwischen

Theater

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-•Religion und Theater. So gehört z. B. die Trennung von „sakral" und „profan" zu den Merkmalen unserer säkularen Gesellschaft, die nicht ohne weiteres auf andere Kulturen übertragen werden können. Was sich als früheste Zeugnisse für Masken, Verkleidungen und Tanz aus den steinzeitlichen Höhlenmalereien erschließt, läßt zwar erkennen, daß zur Urkultur der Menschheit vor 2 0 . 0 0 0 oder 3 0 . 0 0 0 Jahren Elemente gehörten, die bis heute in der Geschichte des Theaters eine Rolle spielen, o b aber auf dieser Basis das T h e a t e r zur Urkunst der Menschheit erklärt werden kann, die alle anderen Künste in sich trug (Gronemeyer 10), mag offen bleiben.

2.2. Antikes

Theater

2.2.1. Das griechische Theater. Der normgebende Gründungsakt dessen, was wir heute Theater nennen, geschah in Griechenland. Die Wurzeln liegen in den Kultfeiern für Dionysos (vgl. T R E 14,240,7- 32), der spät in den griechischen Götterkreis aufgenommen wurde und den Gegenpol zur Verstandesklarheit Apollos markiert. N a c h d e m sich in Athen die Demokratie durchgesetzt hatte (509 v. Chr.), entstand die klassische Tragödie: Als Aischylos (525 - 4 5 6 v. Chr.) einen zweiten Schauspieler einführte (472 v. Chr.) und damit die gesprochene Rede zum Träger der Handlung machte, hatte die Tragödie „ihre eigentliche N a t u r g e w o n n e n " (Aristoteles, po. 4). Das Apollinische trat in der gesprochenen Rede an die Seite der berauschend dionysischen Musik des Chores. Sie konnte „zur Verkünderin einer Wahrheit werden, in der alle unmittelbaren Wirklichkeiten aufgehoben und unsterblich sind" ( O t t o 113). Die Erweiterung auf drei Schauspieler (die jeweils mehrere Rollen übernahmen), die von Sophokles (496 - 4 0 6 v. Chr.) und Euripides (ca. 4 8 0 — 4 0 6 v. Chr.) vorgenommen wurde, hat diese Entwicklung vollendet.

Die Tragödie entstand durch die Versöhnung der Polarität zwischen Dionysos und Apoll, indem sich mit der dionysischen Musik des Chores der apollinische Dialog der Schauspieler verband. Das hat -»-Nietzsche hervorgehoben und hinzugefügt: Die Tragödie starb durch den anti-dionysischen Einfluß des —»Sokrates, der sich schon bei Euripides in der Zurückdrängung des Chores bemerkbar machte (71 ff.). -•Plato hat das sokratische Erbe weiterentwickelt. Er wollte für seinen Idealstaat nur eine Dichtung zulassen, die das Gute verherrlicht und dadurch zur Tugend erzieht. Tragödie und Komödie können diese Bedingung von ihrer Natur her nicht erfüllen, denn sie beruhen ganz auf Nachahmung. Wer aber als Darsteller außer guten auch schlechte Menschen nachahmt, wird davon beeinflußt: Er wird, „je schlechter er ist, um so eher alles darstellen und nichts für seiner unwürdig halten; daher wird er alles nachzuahmen versuchen, und zwar im Ernste und vor vielen" (resp. 397a). In Piatos Idealstaat gibt es „keinen doppelten oder vielfältigen Mann" (ebd. 398a). Jeder hat immer nur eine Aufgabe (ebd. 398 b). Plato fordert also eine theaterfreie Gesellschaft. Die Dichter haben derartige Forderungen ignoriert und sich an der Wirklichkeit der Welt und des Menschen orientiert. -»Aristoteles hat versucht, zwischen ihnen und den Idealen Piatos zu vermitteln (Gigon 114). Die Aufgabe der Tragödie hat Aristoteles in seiner Poetik mit der Formulierung beschrieben, sie solle „mit Hilfe von Mitleid und Furcht eine Reinigung (Katharsis) von eben diesen Affekten" bewirken (po. 6). Das Tragische, das dieses Ziel erreicht, liegt nicht einfach in der Ausweglosigkeit unlösbarer Widersprüche, sondern in der widersprüchlichen Natur des Menschen und der Zweideutigkeit allen Geschehens. Die Tragödie zeigt den Menschen, der gleichzeitig schuldig und unschuldig ist. Sein Untergang ist weder verdiente Strafe noch unverdientes Unglück, sondern beides. In der Peripetie, dem Umschlagen der Handlung, wird erkennbar, daß der Handelnde etwas ganz anderes getan hat als das, was er zu tun glaubte. Indem der Zuschauer bei diesem Geschehen -»Furcht und -»Mitleid empfindet, erlebt er eine reinigende Therapie, die Katharsis, die ihn über Furcht und Mitleid hinausführt zu einer Distanz zu einem Schicksal, das auch sein eigenes sein könnte (Gigon 114). Die DifferenzzwischenPlatoskritischerDistanz zur Dichtung und seiner Ablehnung des Theaters auf der einen und der aristotelischen Position auf der anderen Seite begleitet die Theatergeschichte auch und gerade unter christlichem Vorzeichen durch die Jahrhunderte.

Theater

177

Als lebenskräftigster Sproß der darstellenden Mimesis erwies sich der Mimus. Von Urzeiten an bis heute ist die derb karikierende Darstellung von Alltagssituationen der rote Faden der Theatergeschichte, der sich auch in den für das Theater dürftigsten Epochen nachweisen läßt. Er taucht in mythologisch verklärter Form in den Satyrspielen an der Seite der Tragödien auf und wird zu einer starken Wurzel der attischen Komödie. Wildwüchsige dionysische Elemente bleiben sichtbar - z. B. in dem überdimensionierten künstlichen Phallos als Attribut der männlichen Darsteller - , als sie mit der strengen Gestalt der Tragödie zur literarischen Form der „Alten Komödie" verbunden werden. Mit ihrem Hauptreptäsentanten Aristophanes (ca. 4 4 5 - 3 8 5 v. Chr.) wurde sie zum Instrument politischer Kritik. Mit dem Ende der Demokratie entstand die „Mittlere Komödie" und verspottete nicht mehr die Politiker und die staatlichen Institutionen, sondern die skurrilen Typen des Alltags. Die „Neue Komödie" verfeinerte die Charakterzeichnung, verzichtete auf politische Polemik, das Phallos-Attribut und auch auf den Chor. Von Menander ( 3 4 2 - 2 9 1 v. Chr.), dem erfolgreichsten Autor der „Neuen Komödie", gingen die intensivsten Nachwirkungen aus. In der Form der Komödie, die weitaus beliebter war als die Tragödie, breitete sich das griechische Theater im gesamten mittelmeerisch-vorderasiatischen Kulturraum aus. Die produktivste Zeit des griechischen Theaters war das 5. Jh. v. Chr. Alljährlich hatten in Athen in der Regel 26 Stücke ihre „Premiere". Sie stellten eine Auswahl aus einer größeren Produktion dar. Daraus ist zu schließen, daß die Summe der im 5. Jh. aufgeführten Stücke mit mehr als tausend anzusetzen ist (Blume 6f.). U m die M i t t e des 4. Jh. v. C h r . ist das Ansehen der großen „klassischen" Autoren so gefestigt, daß es üblich wird, bei jeder Festspielfolge je eine der alten Tragödien und Komödien aufzuführen. D a m i t beginnt das Nebeneinander von Tradition und zeitgenössischer Produktion. 2 . 2 . 2 . Das römische Theater. Für den Einfluß Athens auf R o m wirkten der „ g r o ß griechische" Süden der italienischen Halbinsel und Sizilien als Brücke. Aischylos ist in Sizilien gestorben. In Syrakus wurde schon im 5. J h . v. Chr. der erste T h e a t e r b a u außerhalb Athens errichtet. Vor allem die Tragödie fand im Westen Interesse und wurde importiert. Die komödiantischen T h e a t e r s t r ö m u n g e n speisen sich wohl in jeder Kulturregion aus eigenen Quellen. Als Begründer des Kunstdramas in Rom gilt Livius Andronicus (gest. ca. 200 v. Chr.). Er kam als griechischer Sklave nach Rom und stieg zum gefeierten Dichter-Schauspieler und Theaterintendanten auf, als es ihm gelang, die griechischen Dramen in kunstvollen lateinischen Versen neu zu gestalten. Naevius ( 2 7 0 - 201 v. Chr.) und Ennius ( 2 3 9 - 1 6 9 v. Chr.) setzten diesen Weg fort, indem sie die römische Geschichte zum Gegenstand der Theaterdichtung werden ließen. So entstand die fabula praetexta, in der die römischen Würdenträger in der offiziellen Amtstracht auf der Bühne erschienen. Von da aus führt eine gerade Entwicklungslinie zu den Tragödien Senecas (gest. 65 n. Chr.), die nicht auf der Bühne, sondern als Lesedramen rezipiert wurden, bis hin zur französischen Klassik. Weit höher als die Tragödie stand in der Gunst des Publikums auch in Rom die Komödie. Ihr Weg führte über die fabula palliatä (die Schauspieler trugen das griechische Pallium) zur fabula togata - auf der Bühne erschien mit der Toga der römische Alltag. Auf die Übernahme von griechischen Komödien folgte römische Originalproduktion. M i t Plautus (ca. 2 4 4 - 1 8 4 v. C h r . ) tritt das römische T h e a t e r aus dem Schatten des griechischen heraus und gewinnt in seinen Komödien eigenständiges Profil. Plautus bearbeitet griechische Vorlagen, verbindet Singspiel und Posse mit Stoffen M e n a n d e r s . In den sechs J a h r e n von 1 6 6 - 1 6 0 v. C h r . begründet Terenz (um 1 9 0 - 1 5 9 v. Chr.) seinen R u h m durch differenzierte und verständnisvolle Charakterzeichnungen („nichts Menschliches ist mir f r e m d " ) . A m T h e a t e r b a u wird am klarsten ablesbar, was die grundlegende Veränderung des Theaters auf dem Weg von Athen nach R o m a u s m a c h t : D a s T h e a t e r hat sich von seinem Ursprung im Kult völlig gelöst. Es ist - modern gesprochen - säkularisiert. T h e a t e r und Tempel sind getrennte Welten. Wenn Pompeius in seinen römischen T h e a t e r b a u einen Tempel der Venus victrix einbezog, dann geschah dies, um einem Abriß durch den Senat vorzubeugen (Kindermann I, 179). 2.2.3. Theater in der Spätantike. Wer die zweieinhalb Jahrtausende des europäischen Theaters überblicken will, wird nicht u m h i n k o m m e n , Blütezeiten von Durststrecken

178

Theater

zu unterscheiden, und wird feststellen müssen, d a ß das gesamte erste christliche J a h r tausend zu den dürftigen Zeiten der Theatergeschichte gehört. Pantomimus bedeutet die Alleinherrschaft der Gebärdensprache in den hochdifferenzierten Formen des Ausdruckstanzes. Nero ( 3 7 - 6 8 n. Chr.) ließ es sich nicht nehmen, als Pantomime aufzutreten. Der sittenstrenge Trajan ( 5 3 - 1 1 7 n. Chr.) verbot dagegen alle Pantomimen-Aufführungen. -»Justinian erhob eine der berühmtesten Pantomiminnen seiner Zeit zu seiner Gemahlin und Kaiserin, was ihn aber nicht daran hinderte, bei der Kodifizierung des römischen Rechts im Codex lustinianus (534 n. Chr.) den Schauspielerberuf als inhonesta professio, als unehrenhafte Tätigkeit einzustufen. Damit war in den Fundamenten des Rechts und des Rechtsempfindens, die die Entwicklung des Abendlandes nachhaltig bestimmten, eine folgenschwere Diskriminierung zementiert. In dieser Ächtung ist dokumentiert, daß das Theater der Spätantike sich nur in einem Bereich behaupten konnte, der nicht in die Gesellschaft integriert war, der zwar toleriert wurde, aber zusammen mit den Massenvergnügungen der Gladiatorenkämpfe und der Circusrennen als Unterhaltungsindustrie in einem abseitigen Zwielicht blieb. Es ist wohl die für die weitere Geschichte folgenschwerste Entwicklung in römischer Zeit gewesen, daß das Theater aus der Mitte der Gesellschaft auswanderte und ins Abseits geriet. Aber auch angesichts dieser problematischen Gesamttendenz ist nicht zu übersehen, daß es das Ruhmesblatt des Pantomimus ist, als Tanzkunst das antike Theaterleben um Jahrhunderte verlängert zu haben. 2.2.4. Theater und antikes Christentum. W e r in den ersten Jahrhunderten der Kirche die - » T a u f e empfing, hatte zuvor feierlich zu schwören: Renuntio diabolo et pompae et angelis eius (Ich s c h w ö r e dem Teufel ab und seinen Schauspielen und Engeln; zitiert nach Jürgens 1). D a r a n erinnert -»Tertullian in seiner für die weitere Diskussion grundlegenden Schrift De spectaculis, in der er sich um den N a c h w e i s bemüht, daß als pompa diaboli das gesamte Unterhaltungsangebot der Gladiatorenkämpfe, der Wagenrennen, vor allem aber das T h e a t e r zu gelten hat (spect. IV,1—3). Seine Haltung stützt sich auf Stimmen der christlichen Schriftsteller - » T a t i a n , A t h e n a g o r a s (2. Jh.) und - » C l e m e n s von Alexandrien und wird von - » C y p r i a n von K a r t h a g o , - » N o v a t i a n , - » M i n u c i u s Felix und Salvian von Marseille (5. J h . ) weitergeführt (Weismann 203ff.). Die grundsätzlich ablehnende Haltung des Christentums zum T h e a t e r ist von zwei F a k t o r e n bestimmt: Einerseits w a r die Erinnerung daran n o c h nicht erloschen, daß das T h e a t e r mit dem „ h e i d n i s c h e n " Kult eng verbunden w a r , andererseits - und dies w a r entscheidender - stellte sich das T h e a t e r als H o r t unmoralischer Vergnügungen d a r , die mit d e m ethischen Anspruch des christlichen Glaubens nicht zu vereinbaren w a r e n . In der Verbindung beider F a k t o r e n bot das T h e a t e r die Möglichkeit, die moralische Verwerflichkeit des alten Götterglaubens zu demonstrieren. Repräsentativ und von nachhaltiger Wirkung ist die Schilderung, die -»Augustin in seinen Confessiones von seinen Theaterbesuchen gibt: „Es riß mich fort, das Theater mit seinen Spielen, voll von Bildern meines Elends, voll des Zunders für meine Brunst. . . . im Theater freute ich mich mit den Liebenden, wenn sie, obzwar es nur scheinweise auf der Bühne geschah, in Schanden einander genossen; mußten sie aber voneinander lassen, so war ich wie aus Mitleid betrübt: doch am einen wie am andern hatte ich mein Vergnügen. . . . Gefiel mir doch beim Anblick fremder, von Gauklern vorgetäuschter Leiden, das Spiel des Mimen um so besser, zog mich um so mächtiger an, je mehr Tränen es mich kostete." (conf. 111,2). Eine gründlichere theologische Reflexion widmete Augustin dem Theater gegen Ende seines Lebens in seiner großen Apologie Vom Gottesstaat. Augustins Theaterleidenschaft hatte ihn auch dazu veranlaßt, sich in -»Karthago an einem Tragödienwettstreit mit einer eigenen Dichtung erfolgreich zu beteiligen. Bei anderen christlichen Autoren, die das Theater bekämpften, kann man den Eindruck haben, „daß sie das Urteil der profanen Kritiker unbesehen übernommen haben. Nur so konnten sie in einen oft recht platten Moralismus verfallen, der jeder theologischen Begründung ermangelte. ... Ansätze zu einer echten theologischen Auseinandersetzung finden sich leider nur bei Augustin! ... Doch die Argumente der Kirchenväter . . . gerieten nicht in Vergessenheit. In nahezu verhängnisvoller Weise bestimmten sie auch in den folgenden Jahrhunderten die Haltung der Kirche" (Weismann 212). D o c h sosehr auch im Westen wie im Osten

»Johannes Chrysostomus hat das

T h e a t e r mit aller Energie verteufelt - das T h e a t e r von der Kirche bekämpft wurde, es gelang dem christlich gewordenen Staat nicht, das T h e a t e r völlig auszurotten. Es überlebte in den derben Gauklerspielen als verfemte Randerscheinung.

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Theater 2.3.

Die Wiedergeburt

des Theaters

aus dem Geist der

Liturgie

Setzten in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends die Aufführungen z. B. der Komödien des Plautus und Terenz das Erbe der antiken Theatertradition noch fort, so versiegte dieser Strom im „ A b e n d l a n d " mit dem Untergang des weströmischen Reiches so gut wie vollständig. Einzig die unverwüstliche Welt des Mimus tradiert in der Reduktion auf das Volkstümlich-Burleske T h e m e n und Stoffe in entsprechenden Sprachund M u s i k f o r m e n durch das Mittelalter. J o c o l a t o r e s , Vaganten und Spielleute wahren auch die Kontinuität der Profession der Darstellenden in einer Gesellschaft, die sie als „fahrendes V o l k " zu krassen Außenseitern m a c h t . 2.3.1. Das geistliche Spiel des Mittelalters. Wenn sich dennoch im Osten - und später auch im Westen - der D r a n g des Menschen, T h e a t e r zu spielen und zu erleben, unter den Bedingungen einer christlich geprägten Kultur in verschiedenen Anläufen in neuen F o r m e n durchsetzte, dann wurde diese Wiedergeburt nur da möglich, w o auch die Geburt des T h e a t e r s stattgefunden hatte, im religiösen Kult (-»Mysterienspiele). In einer merkwürdigen Parallelität der historischen Prozesse entwickeln sich im christlichen -> G o t tesdienst Theaterelemente wie Dialoge und szenische Abläufe zu selbständigen Einheiten, unterbrechen die liturgische Feier, lösen sich schließlich heraus und treten als eigenständige Inszenierungen vor die Öffentlichkeit. W a n n in dieser Entwicklung die Grenze überschritten wird, die nach m o d e r n e m Verständnis den Gottesdienst v o m T h e a t e r trennt, ist kaum eindeutig festzulegen. A m E n d e finden wir das geistliche Spiel draußen vor der Kirchentür mit allen M e r k m a l e n , die das T h e a t e r auszeichnen. Wieweit es gerechtfertigt ist, von einer „byzantinischen Ouvertüre" (Kindermann I, 222ff.) des christlichen Theaters zu reden, mag umstritten sein; jedenfalls haben sich Spuren erhalten, aus denen die szenische Aufführung geistlicher Spiele in der Hagia Sophia in Byzanz zwischen dem 6. und dem 11. Jh. zu belegen ist. Eine Breitenwirkung ist aber nicht erkennbar. Daneben zeigt die singulare Erscheinung eines Textes aus dem 11. oder 12. Jh., der als Lesedrama anzusehen ist, wie sich antikes Erbe und christliche Kultur überlagern und verbinden können: Christos paschon (-•Gregor von Nazianz zugeschrieben; vgl. T R E 14,167,51-168,3) ist ein Kreuzigungs- und Auferstehungsdrama, von dessen 2.610 Versen etwa ein Drittel aus antiker Literatur - vor allem Euripides - übernommen ist (Hunger 102-104.145). Als eine ältere westliche Parallele dazu können die ansonsten ganz isoliert für sich stehenden sechs Prosakomödien gelten, die ->Hrotsvit von Gandersheim schrieb. Es handelt sich dabei um Lesedramen, um dialogisierte Legenden, die den im klösterlichen Unterricht beliebten Terenz durch christliche Beispiele ersetzen sollten. Sie hatten zu ihrer Zeit keine Nachwirkungen und wurden erst am Ende des 15. Jh. von dem Humanisten Conrad Celtis (1459-1508) wiederentdeckt (Rädle). Als Urzelle des im westlichen Abendland sich bald weitläufig erstreckenden Baus des geistlichen Spiels gilt seit Young - neuerdings relativiert (Pochat 22) - der Tropus aus der Osterliturgie QUent quaeritis in sepulcro (Wen sucht ihr im Grab?, Schwietering 19; s.a. T R E 25,525,12ff.). Aus dieser dialogischen Dramatisierung entwickelten sich szenische Darstellungen aus dem Text der Evangelien: der Besuch der drei Frauen am Grab (Mk 16,1 ff.; Lk 24,1 ff.); der Wettlauf des Petrus und Johannes zum Grab (Joh 20,3 ff.) und die Begegnung der Maria aus Magdala mit dem Auferstandenen (Joh 20,14ff.). Diese Szenen wurden im Westwerk der romanischen Kirchen gespielt (Pochat 30ff.), sie verselbständigen sich durch die Hinzufügung weiterer Personen: Die Frauen kaufen, was sie zur Einbalsamierung brauchen, bei einem Krämer. Damit kommt ein erstes burleskes Element ins Spiel, und die Krämerszene wird zum Anlaß, das Spiel vor das Kirchenportal zu verlegen (KeilBudischowsky). Als die gotischen Kathedralen entstehen, bieten die breit einladenden Westportale sich als Spielort an. Die Wiedererweckung des Theaters im geistlichen Spiel steht in Parallele zur Entdeckung der vollplastischen Skulptur in der kirchlichen Kunst der -»Gotik - bezeichnenderweise hat beides keine Entsprechung in den Ostkirchen. Nicht viel später als die Osterspiele entwickelten sich Passionsspiele. Das Passionsspiel von Hagenau im Elsaß, das seit 1187 nachgewiesen ist, gilt als das „älteste bezeugte geistliche Spiel im deutschen Sprachgebiet" (Neumann I, 385 Nr. 1857). In deutlicher Anlehnung an die Osterspiele entstehen Weihnachtsspiele. Der Ostertropus wird variiert: Quem quaeritis in praesaepe, pastores? dicite! (Wen sucht ihr in der Krippe, Hirten? Sagt es!). Kernszene wird das Hirten- und Krippenspiel mit dem Volksbrauch des Kindelwiegens. Dreikönigsspiel mit eindrucksvoller Prozession und Herodesspiel können sich an diesen Kern anschließen bis hin zu einem Prophetenspiel um diejenigen, von denen die Geburt des Erlösers vorhergesagt wurde.

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Theater

Als geistliche Spiele mit anderen Themenbereichen sind dokumentiert: Fronleichnamsspiele, Legendenspiele, -»Totentänze und Weltgerichtsspiele, unter denen die Spiele von den zehn Jungfrauen und die Antichristspiele besonders zu erwähnen sind. Daran wird die Einbettung des geistlichen Spiels in das Kirchenjahr erkennbar und damit in die Lebenswelt einer bürgerlichen Stadtkultur, die bei allen Gegensätzen Klerus und Laien vereinte und es so möglich machte, daß die anfänglich vom Klerus getragenen Spiele immer mehr in die Hände der Laien gelegt wurden und an die Stelle der lateinischen Kirchensprache immer mehr die Volkssprachen traten. Als Besonderheit kann das um 1160 entstandene Antichristspiel (Ludus de Antichristo) betrachtet werden, das aus der Tradition des geistlichen Spiels deutlich herausragt. Sein Inhalt verweist in die Zeit des Stauferkaisers -»Friedrich I. Barbarossa (s.a. T R E 3,26,49-27,1). Die Kultur des Rittertums, die zur städtischen Lebenswelt des geistlichen Spiels keine Verbindung hatte, hat damit ihren einzigen und zugleich sehr bedeutenden Beitrag zum Theater des Mittelalters geleistet. Das geistliche Spiel entfaltet sich langsam vom 10. bis zum 12. Jh., erreicht im 13. und 14. Jh. seine Blütezeit und findet im 16. Jh. durch -»Humanismus und -»Reformation sein Ende. Wenn diese von fließenden Übergängen bestimmte Entwicklung vom liturgisch gebundenen Kirchenraumspiel hin zum theatralisch entfesselten Spiel auf dem Marktplatz gegliedert wird, können zwei Abschnitte unterschieden werden, für die mit den Begriffen „gradualistisch" und „nominalistisch" (Kindermann 1,214ff.) eine Beziehung hergestellt wird zum geistigen Umbruch vom Hochzum Spätmittelalter, von der -»Scholastik zu dem im 14. Jh. sich durchsetzenden -»Nominalismus. Das äußere Kennzeichen dieses Wechsels ist die Lösung der Spiele vom Kirchenraum und dem Kirchenportal und seine Entfaltung auf der Simultanbühne der Marktplätze mit mehreren nebeneinander liegenden Spielorten. In seinen Anfängen w a r das geistliche Spiel eine gesamteuropäische Erscheinung und fand sich überall von Italien bis n a c h Skandinavien, von England bis zu den slawischen Völkern. J e mehr es sich von der lateinischen Liturgie löste, um so stärker wurden die nationalen Besonderheiten — nicht nur in der jeweiligen Volkssprache, sondern auch in der Kombination der Szeneninhalte, der thematischen Akzente und in der R a u m k o n zeption auf den öffentlichen Plätzen. Indem die geistlichen Spiele in das Leben der Bürgerschaft hineinwuchsen, haben sie sich von Kirche und Klerus entfernt und wurden „Laienspiele". Ihr immenser O r ganisations- und F i n a n z a u f w a n d m a c h t e es notwendig, daß sich —»Bruderschaften bildeten, die mit h o h e m religiösem Anspruch die Spiele ausrichteten. Aus Bruderschaftsurkunden, Spielgenehmigungen und Erteilung von Ablässen für Darsteller und Z u s c h a u er ergibt sich, daß diese Spielträger die enge Beziehung zur kirchlichen Obrigkeit pflegten. Sie legten großen Wert darauf, d a ß die Spiele als gottesdienstliche oder gottgefällige Handlungen anerkannt und mit Ablässen und anderen Vergünstigungen verbunden blieben ( N e u m a n n I, 5 7 f . ) . 2.3.2. Das weltliche Spiel des Mittelalters. Die Fastnachtsspiele sind das eindrucksvollste Beispiel für das weltliche Spiel im Mittelalter. Sie sind nicht dessen einzige F o r m . Daneben gibt es Jahreszeitenspiele in zwei F o r m e n : Frühlingsspiele (als „Neidhart-Spiel e " ) und die S o m m e r - und Winterspiele um den Wettkampf der Jahreszeiten. Die weltlichen Spiele waren geographisch nicht so weit verbreitet wie die geistlichen. Sie finden sich im deutschen Sprachraum von Lübeck bis Tirol. H. -»Sachs, dem 85 Spiele zuzuschreiben sind (Fischer-Lichte, Geschichte 37), bildet Höhe- und Endpunkt der Entwicklung. Seine Texte lösen die Spiele aus dem Kontext der städtischen Fastnachtskultur. Sie wollen unterhalten, aber auch durch freundlich-didaktisches Moralisieren erziehen. Dadurch haben sie als einzige Zeugnisse ihrer Art die Zeiten überdauert. Sie werden das ganze Jahr über gespielt, bis Humanismus und Reformation das geistige Klima so weit verändert haben, daß mit dem 16. Jh. auch die Zeit der weltlichen und geistlichen Spiele zu Ende geht. 2.4. Die Wiederbelebung

des antiken

Theaters

im Geiste der

Reformation

2.4.1. Das Reformationstheater. Unter dem humanistischen M o t t o „ Z u r ü c k zu den Quellen!" hat die R e f o r m a t i o n die Bibel als verbindliche Quelle christlichen Glaubens und Handelns zur Geltung gebracht und zugleich darüber hinaus einer Rückbesinnung auf die Antike den W e g bereitet. Utiliorem post sacrorum Bibliorum lectionem esse nullam quam tragoediarum Aeschyli Euripidis Sophoclis et Senecae ( N a c h der L e k t ü r e

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der heiligen Bibel ist nichts nützlicher als die der Tragödien des Aischylos, des Euripides, des Sophokles und des Seneca), dieses —»Melanchthon zugeschriebene Wort (zitiert nach Weismann 213; dort mit dem Hinweis, daß eine Stellenangabe nicht ermittelt werden konnte) signalisiert den Umbruch der Zeiten und den Aufbruch zu einer so noch nie dagewesenen christlichen Perspektive des Theaters. D a s ist mehr als Rückführung der Kirche zu ihren Anfängen. Das kann verstanden werden als der erste christliche Ansatz zu einer theologisch verantworteten Würdigung dessen, was das Theater von seinen Ursprüngen und seinem Wesen her ist und zu leisten vermag. Dies gilt um so mehr, als es nicht bei einer Lektüreempfehlung blieb, sondern sich daraus eine Aufführungspraxis entwickelte, die einen „verwirrenden Formenreichtum präsentiert" (Walz, Literatur [1988] 114). Luthers Ansatz liest sich pragmatischer: „ C o m ö d i e n zu spielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, . . . dadurch die Leute unterrichtet, und ein Iglicher seines Amtes und Standes erinnert und vermahnet werde . . . Und Christen sollen C o m ö d i e n nicht ganz und gar fliehen, drum, daß bisweilen grobe Zoten und Bühlerey darinnen seyen, da man doch um derselben willen auch die Bibel nicht dürfte l e s e n " ( W A . T R 1, N r . 867).

Melanchthon übersetzte für die Wittenberger Schule alle 18 erhaltenen Tragödien des Euripides und zwei des Sophokles ins Lateinische für den Unterricht und für die Aufführung bei Schulfesten. Damit wurde die antike Basis für das Reformationstheater über die im Sprachunterricht tradierten Komödien des Terenz hinaus erheblich erweitert. D a s neo-lateinische Theater der Humanisten führte erstmals in der Neuzeit die antike Gliederung in Akte und Szenen durch und überwand damit u.a. die mittelalterliche Simultanbühne. Diese Gestaltungsprinzipien übernahm das Reformationstheater für seine breitgefächerte Produktion neulateinischer Dramen vor allem über biblische Themen und gab diese Tradition an das sich wenig später entfaltende Jesuitendrama weiter. Die im 15. J h . blühende öffentliche Spielfreude brauchte neue Nahrung, nachdem das traditionelle geistliche Spiel wegen inhaltlicher Akzente und seiner Einbindung in das System der Ablässe unter der reformatorischen Kritik der Werkgerechtigkeit zum Erliegen k a m . Die neue Zeit schuf sich ein neues Theater. In ganz Europa entstanden Spiele, in denen sich der Aufbruch zu einer neuen Epoche von großer Vielfalt spiegelt (vgl. Walz, Literatur [1988] 112—141). Der alemannische R a u m brachte eine blühende Dramenliteratur hervor. D a s evangelische Gymnasium in -> Straßburg wurde bis ins 17. J h . hinein eine berühmte Pflegestätte des neulateinischen Theaters ebenso wie der antiken Tradition. Schließlich muß in diesem Zusammenhang noch einmal auf H a n s Sachs verwiesen werden, der nicht nur Fastnachtsspiele, sondern auch 130 Meistersingerdramen — davon ein Drittel Bibeldramen - hinterließ, deren literarische Bedeutung von der Forschung immer mehr anerkannt wird. Wenn diese für die Kirche wie für das Theater völlig versunkene Welt genauer analysiert wird, läßt sich erkennen, „ d a ß der direkte und indirekte Einfluß, den Luther auf das protestantische D r a m a des 16. Jh. ausgeübt hat, sich keineswegs auf eine nur inhaltliche Aufnahme und Propagierung seiner Lehre beschränkte, sondern diese zugleich eine grundlegende Neustrukturierung der theatralischen Darbietungsformen zur Folge hatte, die in ihrem Charakter in etwa der Umwandlung der katholischen M e s s e in den evangelischen Verkündigungs- und Lehrgottesdienst entspricht" (Könneker 572). Die evangelischen Kirchen haben das Theater nicht in ihre Obhut genommen, obwohl ihm bei der Durchsetzung der Reformation eine hohe Bedeutung zukam. Sie gaben dieses Kind der Reformation zusammen mit dem ganzen Bildungswesen in die Pflege der weltlichen Obrigkeit und haben es damit den politischen Entwicklungen preisgegeben. Solange sich eine selbstbewußte protestantische Stadtkultur halten konnte, blühte in ihr auch das Reformationstheater. Mit dem politischen Machtverlust der Städte im 16. und 17. Jh. geht auch der Niedergang der stadtbürgerlichen Kultur einher. Schließlich unterliegt das Reformationstheater in der Konkurrenz mit zwei übermächtig werdenden Neuerscheinungen: den aus -»England kommenden Wanderbühnen, die

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in den Städten und an den Höfen ihre Triumphe feiern, und der Oper, die vor allem das Repräsentationsbedürfnis der Fürstenhöfe befriedigt. 2.4.2. Das Jesuitentheater. Die -»-Jesuiten wußten die Möglichkeiten des Theaters mit großem Erfolg zu nutzen und zu entwickeln. Der langfristig wirksamste Impuls des Reformationstheaters liegt wohl darin, daß durch die Neuentdeckung des Theaters als Pflegestätte abendländischer Kultur - einschließlich der antiken Tradition - und als Instrument religiöser Bildung der Jesuitenorden als der Träger der Gegenreformation dazu inspiriert wurde, das Theater seinerseits in den Dienst der Kirche zu stellen. Damit wurden für die ganze westliche Christenheit die Aversionen der Kirchenväter gegen das Theater als eigenständige Kunstform überwunden, die durch das geistliche Spiel des Mittelalters nur unter der Bedingung gebändigt waren, daß sich das Spiel ganz dem kirchlichen Leben unterordnete. Das über das ganze katholische Europa verbreitete Jesuitentheater erreichte nach dem Ende des -»Dreißigjährigen Krieges im -»Wien der zweiten Hälfte des 17. Jh. - vom habsburgischen Kaiserhof außerordentlich gefördert - seinen glanzvollen Höhepunkt in fruchtbarer Konkurrenz zur Barockoper. Obwohl das starre Festhalten an der lateinischen Sprache mehr und mehr Probleme bereitete und die geistige Flexibilität der Jesuiten gegenüber der beginnenden -»Aufklärung an ihre Grenze kam, behauptete in vielen katholischen Ländern das Jesuitentheater auch noch im 18. Jh. seine fast monopolartige Position. Sein Ende wurde von außen herbeigeführt, nämlich dadurch, daß der Papst den Orden 1773 aufhob.

Mit dem Jesuitentheater geht ein Strang der Theatergeschichte zu Ende, den man als christliches Intermezzo bezeichnen kann. Dieser Strang hat zwei deutlich voneinander getrennte Abschnitte. Er beginnt mit dem geistlichen Spiel um die Jahrtausendwende ohne jede Verbindung zu dem, was zuvor jemals Theater gewesen war. Mit dem Reformationstheater wird in humanistischer Anknüpfung an das Theater der Antike eine völlig neue Theaterentwicklung eingeleitet, die das Jesuitentheater fortsetzt und verbreitert, bis sie in die Welt des Barocktheaters einmündet. 2.5. Renaissance und Barock 2.5.1. Die Geburt der Oper aus dem Geist der Tragödie. Am Theater wird so eindrücklich wie an keinem anderen Beispiel aus Wissenschaft und Kunst erkennbar, was der Name -»Renaissance meint. Aus den Bemühungen um die Wiederbelebung der Tragödie entsteht das wundersamste Wesen, das die Welt bis heute verzaubert: die Oper. Mit der Wiederbelebung der antiken Tragödien durch die Florentiner Humanisten wird ein Weg beschritten, der dem Theater eine glanzvolle Zukunft eröffnete und offensichtlich auch noch im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung seine Lebenskraft unter Beweis stellt. Wenn irgendwo, dann hat sich gerade in dieser Metamorphose der Tragödie zur Oper gezeigt, daß die Tragödie „etwas absolut Einzigartiges" ist (Otto 115) - gegenüber allen anderen Theaterformen und aller Kunst. Da die italienische Oper zum Exportschlager wurde und in ganz Europa Werke verlangt wurden samt der Truppe, die sie aufzuführen imstande war, verschwand die aufwendige Choroper zugunsten der Solistenoper. Die Da-capo-Arien der Primadonna und der anderen wenigen Star-Solisten wurden durch Rezitative lose zu einer Handlung verknüpft, die immer mehr in den Hintergrund trat. Der belcanto feierte Triumphe. Kein repräsentatives Fürstenfest konnte in Zukunft ohne Oper gefeiert werden. Als ein besonders denkwürdiges Beispiel sei hier die erste Aufführung einer Oper in deutscher Sprache genannt: Die Oper Dafne mit dem Text von Martin Opitz (1597-1639) und der (verlorengegangenen) Musik von H. —»Schütz schmückte 1627 eine Fürstenhochzeit auf Schloß Hartenfels bei Torgau.

Anfang des 16. Jh. entsteht eine eigenständige Theaterkultur zuerst in Italien, dann in Frankreich: die Commedia dell'arte. Sie ist Stegreiftheater, von Berufsschauspielern aufgeführt, und zwar im Gegensatz zu dem in elitären Kreisen spielenden HumanistenTheater als Volksschauspiel unter freiem Himmel. In der Commedia dell'arte bilden sich standardisierte Rollentypen heraus, die durch bestimmte Masken typisiert werden.

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Der Stoff ist aus dem Alltagsleben genommen. Außerirdische Zauber- und Hexenwesen spielen mit. Die Tradition der Commedia dell'arte reicht bis ins Wiener Volkstheater des 19. J h . und beeinflußt fast alle Theaterströmungen der Neuzeit, vor allem in der Komödie. 2.5.2. Das elisabethanische Theater. Eine eigenständige Entwicklung nahm das englische Theater unter -»Elisabeth I., das sehr schnell mit W. -»Shakespeare seinen H ö hepunkt erreichte. Z u Shakespeares Biographie gibt es so wenige gesicherte Daten, daß sich bis heute abenteuerlichen Spekulationen ein weites Feld bietet: Philosophen, z. B. Francis Bacon ( 1 5 6 1 - 1 6 2 6 ) , oder Mitglieder des Hochadels sollen seinen Namen als Pseudonym benutzt haben, um ihre Werke zu publizieren. Doch zeigen die Texte, die unter seinem Namen überliefert sind, alle so eigenwillige charakteristische Stilmerkmale, daß es keine überzeugendere Hypothese gibt als die, das Unglaubliche als historische Realität zu akzeptieren und sie alle dem umfassenden und überragenden Geiste und der unvergleichlichen Sprachmächtigkeit dessen zuzuschreiben, der als William Shakespeare 1592 als ein erfolgreicher Schauspieler in London erwähnt wird, der 1599 Anteile des neu eröffneten „Globe T h e a t r e " erwarb und sich 1610 nach Stratford upon Avon, seiner Geburtsstadt, zurückzog, wo er 1616 starb. Wenn der engste Kanon der Weltliteratur mit den Namen Homer, Vergil, - » D a n t e , Shakespeare und -»Goethe umschrieben wird, dann ist er der einzige unter den ganz Großen, dessen Ruhm alleine auf dem Theater beruht. Daß allerdings jene Zeit der überschäumenden Begeisterung der Bevölkerung für das, was ihnen die Bühne bieten konnte, kein ungetrübtes Theaterparadies darstellte, zeigte sich schon 1592, als eine Pestepidemie den Vorwand lieferte, für drei Jahre alle Londoner Theater zu schließen. Schon an der Bestimmung von 1574, daß Theater nur außerhalb der Stadt zu errichten sind, ist abzulesen, daß im Magistrat Leute saßen, die dem Theater kritisch gegenüberstanden. Dem -»Puritanismus der zweiten Hälfte des 16. Jh. war das „Theater ... verwerflich" (Weber 177). Das Theater wiederum, getragen von den breiten Bevölkerungsschichten und dem Adel, machte sich über die Puritaner lustig und brachte sie als scheinheilige Streber auf die Bühne, z. B. in der Gestalt des Malvolio in Shakespeares Was ihr wollt. Jedoch gelang es den Puritanern, 1642 die Schließung aller Londoner Bühnen und das Verbot jeglicher Theateraufführungen durchzusetzen. Erst unter Karl II. (1660-1688) wurde das Theaterverbot aufgehoben. Der Konflikt mit den Puritanern hatte für das Theater Folgen. Zum einen: Die englischen Theatergruppen fanden auf dem Kontinent Gelegenheit, ihre Kunst zu zeigen. Zum anderen: Nach der Restauration dominierte in England im Schauspiel der französische Einfluß. Die englische Oper erreichte mit Henry Purcell (1659-1696) eine kurze Blüte, deren Eigenständigkeit bald dem neapolitanischen Opernstil weichen mußte, wie ihn dann auch noch G.F. -»Händel in London pflegte. Schließlich: Die Haltung der Puritaner gegenüber dem Theater hinterließ ihre Spuren bei allen christlichen Strömungen, die mit oder ohne Einfluß des Calvinismus - sich um eine gewissenhafte, zeitkritische Lebensführung bemühten. Das Verhältnis des Protestantismus und besonders der Freikirchen zum Theater ist dadurch nachhaltig belastet und ein wichtiges kulturelles Erbe der Reformation in Frage gestellt (s. auch u. 3.4.1.). 2.5.3. Das spanische Barocktheater. Das goldene Zeitalter (Siglo de oro) des spanischen Barocktheaters im 17. J h . beruhte auf einer Symbiose von Theater und katholischer Kirche. Pedro Calderön de la Barca ( 1 6 0 0 - 1 6 8 1 ) war als Leiter des Hoftheaters davon unabhängig, dem breiten Publikum Zugeständnisse zu machen, und führte das spanische Theater auf den Höhepunkt einer alle Traditionsströme zusammenfassenden, von christlicher Grundhaltung geprägten Gestaltung. Mit Das Leben ein Traum und Das große Welttheater schenkte er dem Theater Werke, die nicht nur in den Nachdichtungen der Spätromantik ihre Lebenskraft beweisen. 2.6. Von der Klassik

zur

Romantik

2.6.1. Die französische Klassik. In Frankreich verbanden sich - » B a r o c k und -»Klassik: Das Erbe des Jesuitentheaters, spanische Einflüsse und barockes Lebensgefühl wurden durch klassischen Formwillen gebändigt, der sich bewußt an der griechischen Antike

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Theater

orientierte. In eigenwilliger Interpretation der Poetik des Aristoteles wurde als Formgesetz der Tragödie die Lehre von den drei Einheiten formuliert: Eine Handlung muß an einem Ort und in der Zeit eines Tages dargestellt werden. Zum zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrund des französischen Theaters dieser Epoche gehörten sowohl die religiöse Bewegung des Jansenismus (-»Jansen/Jansenismus) als auch die Gründung der Académie Française 1635, der monarchische Absolutismus eines Ludwig XIV. (1661 1715) ebenso wie die Philosophie R. -»Descartes'. Pierre Corneille (1606-1684) war der Begründer, Jean Racine (1639—1699) der größte Dramatiker und Jean-Baptiste Poquelin alias Molière (1622-1673) als Erfinder der Charakterkomödie der bis heute am stärksten nachwirkende Theaterautor dieser Epoche, dem aber trotz seines Ruhmes bei seinem Tode ein christliches Begräbnis verweigert wurde. 2.6.2. Aufklärung und Klassik in Deutschland. Entscheidende Impulse für das Theater der Aufklärung gingen vom deutschsprachigen Raum aus. Das Fehlen eines geistigen Zentrums, das auch Zentrum einer Theaterkultur hätte sein können, führte dazu, daß die zahlreichen Fürstenhöfe die Theaterlandschaft bestimmten und in den größeren Städten Wanderbühnen für die Bürgerschaft spielten. Damit verstärkte sich die Tendenz, mit der Oper und Schauspiel auseinanderstrebten. G.E. Lessing durchbrach in seiner Begeisterung für Shakespeare die Barrieren der Tradition und schuf mit Miß Sara Sampson 1755 das erste bürgerliche Trauerspiel. In seiner Hamburgischen Dramaturgie (1766-1769), in 104 „Stücken" tagebuchartig publiziert, notierte er seine Gedanken in kritischer Sichtung des Theaters seiner Zeit und schuf damit eine Theatertheorie mit nachhaltiger Wirkung. In genauer Rekonstruktion dessen, was Aristoteles in seiner Poetik gewollt hatte, kritisierte er die engen Gesetze der französischen Klassik, die sich auf Aristoteles berief - und damit auch Johann Christoph Gottsched (1700-1766) - , und machte den Weg frei für die Orientierung an Shakespeare, für die Christoph Martin Wieland (1733-1813) mit seiner Prosaübersetzung von 22 Shakespeare-Dramen 1766 die Textbasis geschaffen hatte. Mit dem Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831), Uraufführung 1776, erhielt die Auf- und Umbruchsphase zur deutschen Klassik ihren Namen: —>Sturm und Drang. An der Entwicklung des dramatischen Schaffens von Goethe und F. —»Schiller ist abzulesen, wie ohne die Durchgangsstufe der Sturm-und-Drang-Zeit, wie ohne Goethes Götz von Berlichingen (1772/73) und Schillers Räuber (1781) die Weimarer Klassik bis hin zu Schillers Wallenstein und Goethes Faust nicht zu denken ist. 2.6.3. Die große Oper. Keine andere Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens war von der Mitte des 18. bis in das 20. Jh. hinein so sehr Ausdruck einer abendländischen Kulturgemeinschaft wie die Oper. Sie verbindet als gemeinsames Theatererlebnis die „Stände" miteinander so, wie es die Innenarchitektur der repräsentativen Opernhäuser ausweist: mit Parkett und dem übereinandergestaffelten System von Logen und Rängen, in dem die Fürstenloge den zentralen Platz einnimmt; ein sozialer Kosmos, der sich an keinem anderen Ort so klar darstellt. Auf dem Hintergrund eines theaterkritischen bis opernfeindlichen Calvinismus und -»Pietismus emanzipiert sich die „große Oper" zum Tempel der „Civil Religion" (-»Zivilreligion) der gesellschaftlichen Eliten, was die Übernahme von Elementen der Tempelarchitektur bei den großen Theaterbauten eindrücklich demonstriert. Der Internationalismus des Musiktheaters liegt begründet in der konstitutiven Dominanz der italienischen Oper vom 17. bis zum 19. Jh. Mögen Nationalkulturen noch so sehr ihre eigenen Leistungen betonen, die Oper sprach und spricht Italienisch mit großer Toleranz gegenüber anderen europäischen Regionaldialekten. England leistete seinen originellsten Beitrag mit der Bettleroper (The Beggar's opera, 1728) von Johann Christoph Pepusch ( 1 6 6 7 - 1 7 5 2 ) , einem gebürtigen Berliner, der seine meisten Werke in italienischem Stil schrieb. Der sensationelle Erfolg seiner Bettleroper trieb Händeis Opernimperium in den Bankrott und eröffnete der offenen Form des Theaters mit seiner losen Reihung der Szenen eine große Zukunft bis hin zu Georg Büchner ( 1 8 1 3 - 1 8 3 7 ) und Bertolt Brecht.

Theater

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Der in Florenz geborene Jean Baptiste Lully ( 1 6 3 2 - 1 6 8 7 ) wurde zum Initiator einer französischen Nationaloper, die von der italienischen Oper unabhängig sein wollte. Dies zeigte sich in einer Abkehr von den virtuosen Da-capo-Arien und der breiten Entfaltung des pantomimischen Tanztheaters zu prunkvollen Ballettszenen. Auf Lullys heroisch-pathetischen Opernstil folgte die „Tragédie lyrique", als deren Meister sich Philipp Rameau ( 1 6 8 3 - 1 7 6 4 ) erwies. Im 18. Jh. trat neben die höfische Tragödien-Oper die volkstümlich-bürgerliche „Opéra comique", die den Weg zum Singspiel ebnete und zu Jacques Offenbachs ( 1 8 1 9 - 1 8 8 0 ) genial-satirischer Operette. Die multikulturelle Monarchie der Habsburger bot den Rahmen für die höchste Steigerung dessen, was Oper vermag. Christoph Willibald Gluck ( 1 7 1 4 - 1 7 8 7 ) reformierte zusammen mit dem Dichter Raniero da Calzabigi ( 1 7 1 4 - 1 7 9 5 ) die neapolitanische Tradition. Klar motivierte, einfache Handlungen boten die Basis für dramatisch eindringliche Musikformen. Den großen Erfolg in Wien ( 1 7 6 1 - 1 7 7 3 ) konnte er in Paris ( 1 7 7 3 - 1 7 8 0 ) fortsetzen.

Was Gluck begonnen, führte Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) zum Gipfel. Mit seinem Figaro {Le nozze di Figaro, 1786) brachte er eine Handlung auf die Bühne, deren Dramenfassung (Beaumarchais [1732-1799]) verboten war, weil sie die Aristokratie zu kritisch darstellte. Sein Don Giovanni (1787) zeigt Höhen und Abgründe sinnlicher Leidenschaft und trotziger Selbstbehauptung. In der Zauberflöte (1791) mag man eine freimaurerische Weltanschauungsoper sehen und auf die eklatanten Brüche des Librettos verweisen, um dieses Werk zu kritisieren; es bleibt durch die Musik ein Panorama des Menschlichen. Überragend ist die Theatralität der Mozartoper. Neben die Arienkunst treten die hochdramatischen Ensembleszenen mit den großen Quartetten oder Sextetten. Mozarts Bedeutung für die Musik- und Theatergeschichte ergibt sich nicht durch irgendwelche programmatischen oder formalen Neuerungen oder Reformen, sondern durch überragende Qualität. Die Sonderstellung, die S. -»Kierkegaard und K. -•Barth mit ästhetischer und theologischer Begründung Mozart einräumen, gebührt dem Meister, der in der ganzen Zeit seines kurzen Lebens ein Wunderkind geblieben ist. Nach Mozart und ohne ihn nicht denkbar gab es in der Welt des Musiktheaters Ludwig van Beethovens (1770—1827) einzige Oper Fidelio (1805) und auf dem damit eingeschlagenen Weg der deutschen Oper den Übergang zur -»Romantik mit Carl Maria von Webers (1786-1826) Freischütz (1821). Gelang Beethoven die überzeugende Gestaltung eines aus tiefster Unterdrückung aufbrechenden Freiheitsbekenntnisses, so bewegte sich das Schaffen Webers in der geistig unverbindlicheren Fabulierlust, die der Bühne völlig neue, faszinierende Verzauberungen abgewinnt. Was wäre die Welt des Theaters ohne das alle gewohnten Bahnen überschreitende Doppelgenie Richard Wagners (1813-1883)? Er hatte das Talent, die Dauermisere des auf Librettisten unterschiedlicher Qualität angewiesenen Komponisten zu überwinden und als Textdichter und Musiker seine Theaterbegabung in einem singulären Schaffen zu beweisen, das auch einseitig literarisch fixierte Theaterwissenschaftler nötigt, sich mit der Oper zu beschäftigen. Es gehört zu den merkwürdigen Parallelen der Geschichte, daß gleichzeitig in Italien mit Giuseppe Verdi (1813—1901) die italienische Oper eine Steigerung ihrer an Höhepunkten reichen Geschichte erlebt. Was Rossini (1792-1868), Donizetti (1797-1848) und Bellini (1801-1835) geschaffen haben, wird aufgenommen und überboten von einem Werk, das noch heute in allen Opernspielplänen dominierend präsent ist. 2.7. Das Schauspiel

des ausgehenden

19.

Jahrhunderts

2.7.1. Die Meininger. Ein besonderes Ergebnis der deutschen Kleinstaaterei ist die Theaterreform, die vom Hoftheater des winzigen Fürstentums Sachsen-Meiningen ausging. Als Herzog Georg II. ( 1 8 2 6 - 1 9 1 4 ) 1866 an die Regierung kam, löste er die teure Hofoper auf und engagierte sich für ein Sprechtheater, dessen Leitung er 1870 selbst übernahm. Unter seinem strengen Regiment wurden völlig neue Prinzipien in den Inszenierungen realisiert: exakte Wiedergabe des Textes der Dichtung, Ensemblespiel contra Virtuosentum der Hauptdarsteller, historische Treue der Ausstattung. Shakespeares Dramen wurden zum Prüfstein. Den ersten Erfolgen in Meiningen folgten Gastspiele in Berlin und dann in ganz Europa. Diese Reisen waren einerseits Triumphzüge, andererseits und vor allem entfachten sie eine öffentliche Diskussion, wie sie die Theaterwelt bis dahin noch

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Theater

nicht gekannt hatte. Die damals begonnene Diskussion ist heute noch nicht beendet. Den Vertretern der „ W e r k t r e u e " und der historischen Korrektheit der Inszenierung stehen diejenigen gegenüber, die um der aktuellen Theaterwirkung willen auch die kühnsten Bearbeitungen und Modernisierungen nicht nur rechtfertigen, sondern darin den einzigen Weg sehen, ihrem Publikum lebendiges T h e a t e r zu bieten.

2.7.2. Naturalismus. Von der historischen Treue gegenüber den Klassikern, wie sie die Meininger praktizierten, führte ein gerader Weg in den Naturalismus eines Gerhard Hauptmann (1862-1946), der das Themenspektrum sozial erweiterte. Eigentlich fing es schon früher an, etwa mit dem Norweger H. -»Ibsen, der den Stoff seiner Stücke aus der Zeitung holte und den Alltag auf die Bühne brachte. Bei Hauptmann wurde es Programm, daß der Natur die Bühne gehört, genauer: nicht der Rokoko-Naturidylle, nicht dem romantischen Naturzauber, sondern der unverfälschten Realität der menschlichen Existenz am unteren Ende der sozialen Skala. 2.8. Die Moderne 2.8.1. Übergänge. Schwer einzuordnende Außenseiter wie Heinrich von Kleist (1777— 1811) und G. Büchner gehören zu den Grundpfeilern des modernen Theaters. Sie lebten und schrieben am Anfang des 19. Jh., fanden aber erst im 20. Jh. Resonanz und Anerkennung. In der modernen Opernentwicklung steht eine breite Palette von Stilrichtungen nebeneinander: neoromantische und neoklassizistische Tendenzen, Zwölftontechnik und serielle Kompositionsweise. Die enge Zusammenarbeit von Richard Strauß (1864-1949) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) ließ die alte Welt der Oper noch einmal in der Pracht eines grandiosen Sonnenuntergangs erstrahlen. Gleichzeitig brachen Arnold Schönberg (1874-1951), Igor Strawinski (1882-1971), Arthur Honegger (1892-1955), Paul Hindemith (1895-1963), Carl Orff (1895-1982), Werner Egk (1901-1983), Benjamin Britten (1913-1976) u.a. in verschiedener Richtung zu neuen Ufern auf, ohne daß für die Oper des 20. Jh. eine dominierende Prägung erkennbar wurde. 2.8.2. Die „Revolution des Theaters" aus dem Geist des Jugendstils. Um die Jahrhundertwende regte sich in Europa eine breite Reformbewegung gegen eine Kultur, die als erstarrt galt. Die Darmstädter Jugendstil-Ausstellung „Ein Dokument Deutscher Kunst" von 1901 wurde mit einem Festspiel Das Zeichen von Georg Fuchs (1868-1949) eröffnet (Regie: Peter Behrens; vgl. Alexander Koch [Hg.], Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie, Darmstadt 1901, 5 6 - 7 7 ) , das den Abstand der neuen Kunstbewegung vom traditionellen Theater demonstrierte. Ein Reformtheater wurde 1908 mit dem „Münchner Künstler-Theater" gegründet, von Fuchs initiiert und einige Jahre geleitet. Hier wurde mit Klassikerinszenierungen ein Theaterstil entwickelt, der sich gegen das naturalistisch-historisierende Literaturtheater wandte und mehr noch gegen die „große Oper", die „das Theater zur Tempelburg der schamlosesten Pseudokultur" (Fuchs 34) verwandelt habe. Die „Revolution des Theaters" - so der Titel der Programmschrift von Fuchs (1909) richtete sich gegen die verbürgerlichte Kultur des 19. Jh., die man beim traditionellen Theater u.a. darin sah, daß die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum zur Barriere geworden und das Publikum zum passiven Kunstkonsum verurteilt sei. Ziel dieser Theater-Revolution war „das dramatische Erlebnis. Dieses ereignet sich nicht auf der Bühne, sondern in der Seele des Zuschauers" (Fuchs 95). Trotz der Mitarbeit von Max Reinhardt (1873-1943), der 1909/10 die Spielleitung des Münchner Künstlertheaters übernahm, war diesem Theaterexperiment kein dauerhafter Erfolg beschieden. Von ihm gingen aber wichtige Impulse für das Theater des 20. Jh. aus: weg von der Guckkastenbühne und hin zur die Bühnenrampe überschreitenden Aktivierung der Zuschauer. 2.8.3. Vom Laienspiel zum Kinder- und Jugendtheater. In der -»-Jugendbewegung verband sich der Generationenkonflikt mit der kritischen Distanz zu Bürgertum und

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Industrialisierung zu dem Versuch, eine autonome Jugendkultur zu entwickeln. Im Rückgriff auf das geistliche und weltliche Spiel des Mittelalters und die Fastnachtsspiele (Hans Sachs) zeigte das Theaterspielen als „Laienspiel" seine gemeinschaftsbildende Kraft. Spielpädagogik - vor allem für die Ausbildung von Gruppenleitern - und Theaterpädagogik gewinnen in diesem Zusammenhang an Bedeutung, wobei mit dem Begriff Theaterpädagogik sowohl die Heranbildung von Spielern und Spielleitern als auch die theoretische und praktische - Vorbereitung von Theaterbesuchern durch die Theater oder durch die Schulen im Rahmen des Sprachunterrichts bezeichnet werden kann. 2.8.4. Theater im Nationalsozialismus. Was mit der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende begann, endete in Deutschland mit dem Nationalsozialismus. Anfangs unternahm der NS-Staat den durchaus erfolgreichen Versuch, alle Elemente des Aufbruchs aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu kanalisieren und in der „Thingspielbewegung" für seine Zwecke zu nutzen. Die „Avantgarde" wurde ausgeschaltet, Max Reinhardt und Bert Brecht gingen - wie viele andere - ins Exil. Ihre Impulse aber flössen ein in eine an die Freilichtbühnen- und Laienspielbewegung anknüpfende Aktivierung des Volksschauspiels. Im Dienste des „Gemeinschaftserlebnisses" wurden Freilichttheater nach dem Modell des griechischen Theaters als Thingstätten errichtet. Höhepunkt und Ende dieser Bemühungen war die Aufführung des Thingspiels Das Frankenburger Würfelspiel von Eberhard W. Möller im Rahmen des Kulturprogramms der Olympischen Spiele in Berlin 1936. Von Werner Egk und Carl Orff stammte die Musik, Matthias Wiemann führte Regie. Man kann davon ausgehen, daß damit die Förderung der „Volksgemeinschaft" durch die angestrebte Einheit von Akteuren und Zuschauern erreicht war. Unvoreingenommene - auch ausländische - Kritiker haben dies bestätigt. Die „weltanschauliche Glaubensgestaltung" (Wolfgang Braunmüller) hatte für ihren „nationalsozialistischen Gottesdienst" (Günther L. Barthel) ein überzeugendes Modell geschaffen. Dennoch wurde unmittelbar danach der Thingspielbewegung die Förderung durch das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda entzogen. Die ablehnende Haltung der Gruppe um Alfred Rosenberg (1893-1946), für die das Spiel zu christlich orientiert war, mag eine Rolle gespielt haben. Die Katholische Kirche wiederum setzte das Stück auf den Index, weil sie in ihm einen protestantischen Angriff sah, der die Glaubensunterdrückung im Dreißigjährigen Krieg einseitig darstellte (Fischer-Lichte, Geschichte 297). Jedenfalls richtete sich von da an die NS-Kulturpolitik auf die Stärkung des entpolitisierten bürgerlichen Bildungs- und Unterhaltungstheaters. Zur politischen Agitation wurden Film und Rundfunk eingesetzt.

2.8.5. Brecht und die Folgen. Die herausragende Gestalt des Theaters im 20. Jh. war Bertolt Brecht (1898-1956), und zwar nicht dadurch, daß sein Einfluß die gesamte Theaterszene beherrscht hätte und keine Gegenströmungen aufkommen konnten. Vielmehr beruht seine Bedeutung auf der fruchtbaren Verbindung des Theatertheoretikers mit dem Autor eines umfassenden Werkes und der praktischen Arbeit an den Inszenierungen - und nicht zuletzt darin, daß er ganz konträre Bestrebungen auszulösen imstande war; Bertolt Brecht ist nur ein Beispiel für ein Theater, das überzeugen will. J.P. -»-Sartre gelingt es, theaterwirksam die Thesen des Existentialismus in Szene zu setzen. P. -»-Claudel thematisiert als katholischer Christ, was er als portugiesisches Sprichwort auf dem Titelblatt seines großen Dramas Der seidene Schuh (1943) zitiert: „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade". Stärker poetisch verhüllt prägt christliche Überzeugung die Dramen von Thomas Stearns Eliot (1888-1965) und auch die Stücke Friedrich Dürrenmatts (1921 -1990). Eine Reihe anderer Dramatiker, die von Max Frisch (1911 -1991) über Peter Weiss (1916-1982) u. a. bis zu Rolf Hochhuth (geb. 1931) reicht, folgten zum Teil recht deutlich der Spur Brechts und traten zumindest als Moralisten mit einer Botschaft vor ihr Publikum. Keiner Botschaft und keiner „Moral" verpflichtet ist das absurde Theater. Der Surrealist Antonin Artaud (1896-1948) schuf auf der Bühne eine Traum- oder Alptraumwelt mit seinem Theater der Grausamkeit. Er setzte auf ein nichtrationales Illusions- und Identifikationstheater und will den Menschen durch den grausamen, ästhetischen Schock verändern. Von ihm beeinflußt schreiben Samuel Beckett (1906-1989), Jean Genet (1910-1986), ArturAdamov (1908-1970), Eugène Ionesco (1912-1994) ihre „Anti-Stükke" in einer provozierenden Sprache, die keine Klischees und Stereotypen scheut, mit

Theater

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Handlungen, die zu Symbolisierungen einladen, aber alle Deutungen zerbrechen, so daß selbst die übliche Bezeichnung als „ T h e a t e r des A b s u r d e n " als unzulässige Verallgemeinerung erscheint. D o c h gerade der Erfolg dieses T h e a t e r s zeigt, daß T h e a t e r mehr ist als alles, was sich in Definitionen festlegen läßt. 2.8.6. Das Theater im Medienzeitalter. Auf die Veränderungen der Kultur- und Medienlandschaft durch Film und Fernsehen reagierte das Theater durch eine Fülle von Experimenten zur Aktivierung der Zuschauer. Daß dem Zuschauer im Gegenüber zur Bühne eine konstitutive Rolle beim Zustandekommen des Theatererlebnisses zukommt, wurde neu ins Bewußtsein gehoben. Die verschiedensten Varianten von Zuschaueraktivierung, von Überschreitungen der Grenze zwischen Darstellern und Publikum - in den sechziger und siebziger Jahren erprobt und wieder zur Seite gelegt - bestätigten und vertieften die alte Einsicht, den Zuschauer als „nothwendigen Mitschöpfer des Kunstwerkes" (Wagner IV, 186) anzuerkennen, auch und gerade wenn er auf seinem Platz bleibt, von dem aus er seit Urzeiten seine „Rolle" wahrnimmt. In dem großen Bogen der Theatergeschichte, der hier nachgezeichnet wird, bleiben notgedrungen zwei Bereiche ganz am Rande: das Tanztheater (-»Tanz) und das breite Spektrum dessen, was als Unterhaltungstheater bezeichnet wird: Operette, Musical, Volks- und Boulevardtheater, Kabarett und ihre Mischformen. Ihnen gebührt in einer Theatergeschichte entsprechende Aufmerksamkeit, weil sie zeigen, was Theater ist und leistet, weil sich auch in ihnen der jeweilige Zeitgeist spiegelt und ihr Beitrag zu kultureller Entwicklung und geistiger Auseinandersetzung zu erschließen ist, allerdings mit einem Aufwand, der die hier gegebenen Möglichkeiten überschreitet. 3. Theater 3.1.

Theater

in Gesellschaft und

und

Kirche

Gesellschaft

In der H e m i s p h ä r e der westlichen Kultur ist das heutige T h e a t e r Kult der „Civil R e l i g i o n " und als solcher „ G o t t e s d i e n s t " für Ungläubige. Das fascinosum und tremendum des Heiligen ist transformiert und aufgehoben in einer gesellschaftlichen Institution, einem etablierten Kulturereignis. W i r d auch zu seiner Legitimation auf die Aufgabe der Pflege der reichen Tradition des Musik-, Sprech- und Tanztheaters verwiesen, so ist doch in erster Linie das Theatererlebnis in seiner rätselhaften Kontingenz Ausgangspunkt und Ziel des Theaterlebens. In ihm korrelieren der Gestaltungswille der Künstler und der Erlebnishunger des Publikums unabhängig von allen ideologischen oder k o m m e r ziellen Konsenskonstruktionen. 3.2.

Theater

als Modell

und

Metapher

3.2.1. Rolle und Szene. Die Präsenz des T h e a t e r s im allgemeinen Bewußtsein spiegelt sich darin, daß in verschiedenen Bereichen - vor allem in den -»SozialWissenschaften und auch in der - » P r a k t i s c h e n T h e o l o g i e - Begriffe und Vorstellungen üblich g e w o r d e n sind, die aus der Welt des T h e a t e r s s t a m m e n , aber zu M e t a p h e r n verblaßt sind, o h n e daß damit das Spezifische des T h e a t e r s zur Geltung k o m m t (vgl. Grözinger 2 157ff. [Praktische Theologie]; ebd., 1 9 4 — 1 9 7 [Sozialwissenschaften]). So nimmt z.B. die Soziologie die Vorstellung von der „Rolle", wie sie auf der Bühne von einem Darsteller übernommen wird, als Modell und Metapher für ihr Verständnis von Interaktion (Ralf Dahrendorf, Homo sociologicus, Köln 1959 u.ö.), ohne daß damit mehr als ein Teilaspekt des Theatergeschehens zum Tragen kommt. In der Theologie hat Dorothee Solle in der „-»Stellvertretung" das Christusereignis als Rollenspiel beschrieben (Stellvertretung, Stuttgart 1965; s.a. T R E 32,150,25-48). In der -»Psychologie entwickelte Hermann Argelander das Konzept der Szene, das von Alfred Lorenzer weitergeführt wurde zum „szenischen Verstehen" (Sprachzerstörung; Sprachspiel). Dies sind nur Beispiele (vgl. Bobert-Stützel 8 0 - 8 5 ) für die Verwendung der Begrifflichkeit des Theaters in einem überwiegend psychologisch-gruppenpädagogisch geprägten Kontext. 3.2.2. Bibliodrama. Unter dem N a m e n Bibliodrama sind im R a h m e n der Grupp^enpädagogik und Gruppendynamik M e t h o d e n entwickelt worden, die Gestaltungselemente des T h e a t e r s in den Gruppenprozeß einbeziehen. Insofern als es sich dabei in der Regel um ein Geschehen handelt, das die ganze Gruppe einbezieht und folglich ein Gegenüber von Darstellern und Zuschauern gerade nicht angestrebt ist, handelt

Theater

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es sich dabei nicht um ein Theatergeschehen, sondern um Aufnahme von Elementen des Theaters. Dieser Vorgang ist aber gerade dadurch charakteristisch für das Verhältnis von Praktischer Theologie und Theater. 3.2.3. Theater - Ritual — Theatralität. Im R a h m e n der Kulturanthropologie finden D i s k u s s i o n e n um die Z u o r d n u n g der P h ä n o m e n e T h e a t e r und Ritual ( - • R i t u s ) statt. Aufgrund der historischen Entwicklung der griechischen Tragödie aus dem antiken Opferkult wurde und wird das Tragische als unheimliche kollektive Kompensation des Menschenopfers verstanden (Burkert). Dem wird mit dem Hinweis widersprochen, daß das Ritual „das Geschehen im Vollzug zum präsentischen Ereignis" macht (Schuh 796), was zum nachahmenden Charakter des Theaters im Widerspruch steht. Im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz, das Ritual als das durch das Theater zu überwindende Element anzusehen, steht Schechner, der aus den Erfahrungen des „Performance-Theaters" eine andere Bewertung vornimmt: „Die Bewegung vom Ritual zum Theater entsteht dort, wo die Entität des teilnehmenden Publikums auseinanderbricht in eine Menge von einzelnen Menschen ... Die Gegenbewegung vom Theater zum Ritual ereignet sich dort, wo ein Publikum sich aus einzelnen Individuen in eine Art Gemeinde von Teilnehmenden verwandelt." (Schechner [1990] 97). Eine dieser Position verbal - aber offensichtlich nicht in ihren Zielen - entgegengesetzte Tendenz zeichnet den Weg „vom Ritual zum T h e a t e r " (Turner) als die Befreiung von der unheilvollen, angstbesetzten Auswirkung des Rituals zu einem von tiefer Kommunikation bestimmten „Spiel des Lebens" (Zilleßen, Ritual). Das Theater übernimmt dabei die Funktion eines Ubergangsraums. Interessante Problembearbeitungen verbinden sich in jüngerer Zeit mit dem Begriff „Theatralität". Allerdings ergibt sich bei allen Forschungsbemühungen zur „Theatralität" eine terminologische Schwierigkeit. Sie gehen aus von der „Revolution des Theaters" (s.o. 2.8.2.), die um die Jahrhundertwende aufbrach, und führten zur „Retheatralisierung des Theaters". Unter „Theatralität" wurde dabei - und wird bis heute - das exklusiv Spezifische des Theatererlebnisses, „die dem Theater allein wesentliche zeit-räumliche Einheit von Emission und Rezeption der Zeichen im Hier und Jetzt der Aufführung" (Lehmann, Theatralität 1032) verstanden. In ganz anderer - zum Teil durchaus gegensätzlicher - Weise erscheint der Begriff „Theatralität" als Bezeichnung einer kulturwissenschaftlichen Grundkategorie. In dieser Perspektive erscheint außerhalb der Kunstform und der Institution des Theaters das Phänomen der „Theatralität" als eine „Grunddimension sozialen] Lebens" (Zilleßen, Theater 1384), die in einer breiten Palette von Inszenierungen, Ritualen, Spielen, Zeremonien, symbolischen Darstellungen als theatrale Prozesse zu erfassen ist. Nach diesem Verständnis gewinnen theatrale Prozesse an Bedeutung und lassen die europäische Entwicklung in einer globalen Perspektive der oralen Kulturen erscheinen. Es wird der Versuch unternommen, Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften zu verstehen und damit unter ihrem Dach Sozial- und Geisteswissenschaften zusammenzuführen (vgl. Fischer-Lichte, Theatralität). Diese beiden verschiedenen Varianten des Begriffs nötigen dazu, zwischen einer Theatralität im engeren und einer im weiteren Sinne zu unterscheiden. 3,3. Theater

und

Religion

Eine Darstellung der Welt-Geschichte des T h e a t e r s k ö n n t e s o geschrieben w e r d e n , d a ß sie ein variantenreiches P a n o r a m a der Verbindungen u n d Ü b e r g ä n g e z w i s c h e n - • R e ligion und Theater vorstellt. R e l i g i o n k a n n als der Bereich gelten, in d e m der M e n s c h das gestaltet und lebt, w a s ihn „ u n m i t t e l b a r a n g e h t " (P. —•Tillich). T h e a t e r ist die Kunst der mimetischen Darstellung eines fiktiven G e s c h e h e n s in der Interaktion mit e i n e m Publikum. D i e m i m e t i s c h e n Darstellungen w e r d e n historisch dadurch greifbar, d a ß die Lust am Spiel, am z w e c k f r e i e n Tun „als o b " des homo luderts mit der religiösen - » M a g i e verbunden wird. D i e m i m e t i s c h e Inszenierung g e w i n n t gesellschaftliche Bedeutung, ind e m sie als M a g i e v o n der R e l i g i o n instrumentalisiert wird. Unter der M a s k e der M a g i e entwickelt sich die m i m e t i s c h e Darstellung s o stark zur Eigenständigkeit, d a ß sie im R a h m e n der religiösen Kulthandlungen als spezifisch geprägte Kunstform erkennbar wird. Ihre E i g e n d y n a m i k führt d a n n dazu, d a ß sie sich v o n der R e l i g i o n emanzipiert und als Theater zu einem selbständigen Bereich des gesellschaftlichen Lebens n e b e n der Religion wird. D a b e i gibt es Übergänge, in d e n e n in verschiedener Weise die ü b e r w u n dene Symbiose mit d e m religiösen Kult ihre Spuren hinterläßt. Auf diesem Wege ist das Theater zu einer Erscheinungsform der Hochkultur geworden. Es ist aber nicht zu übersehen, daß sich neben dieser Entwicklungslinie eine „religionsfreie" Manifestation

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Theater

des mimetisch darstellenden Spiels durchgesetzt und über alle Epochen hinweg behauptet hat. Obwohl es problematisch ist, das Kulturleben nach einem Oben-Unten-Schema zu zensieren, ist es üblich, die Ebene als eine niedere Region der Theaterlandschaft zu bezeichnen, auf der „volkstümliche", burleske, derb erotisch-sexuelle (oft als „obszön" deklassierte), karikierende und satirische Darstellungsformen überwiegen - und zu moralischen Bedenken Anlaß geben. Bei dieser Einstufung spielte sicher eine Rolle, daß diese Region sich häufig nicht nur a-religiös, sondern ausgesprochen anti-religiös durch die Karikatur religiöser Bräuche darzustellen pflegte. Nicht jede Religion hat zum Theater geführt. Das Beispiel der sogenannten „Buchreligionen" (-»Judentum, Christentum, -»-Islam) läßt vermuten, daß die Anerkennung unantastbarer heiliger -»Schriften einerseits deren Theatralisierung unmöglich machte, andererseits der Entstehung „profaner" Literatur enge Grenzen setzte. Oder sollte das sogenannte Bilderverbot des -»Dekalogs, das den drei genannten Religionen gemeinsam ist, nicht nur die bildende Kunst (-»Kunst und Religion), sondern gerade die Welt des Theaters betroffen haben, weil es in seinem vollen Sinn jede Mimesis ausschließt? Es gibt also nicht nur religionsfreies Theater, sondern auch theaterfreie Religion. Es kann als eine in sich schlüssige und folgerichtige Entwicklung angesehen werden, wenn die europäische Theatergeschichte dazu geführt hat, daß Religion und Theater als voneinander unabhängige Bereiche nebeneinander stehen, obwohl in denkwürdiger Parallelität zweimal das Theater als Hochkultur aus der Religion entstand: in der attischen Tragödie ebenso wie im mittelalterlichen Mysterienspiel. Das neuzeitliche Theater der westlichen Welt hat seine stärksten Wurzeln in säkular bestimmten Anfängen. Es hat auch die Impulse der durchgehend religionsfernen Welt des volkstümlichen Mimus in sich aufgenommen. Aber dennoch sind viele Entwicklungen nicht zu erklären, ohne daß man mit einer mehr oder minder unterschwelligen verwandtschaftlichen Wechselbeziehung zwischen Religion und Theater rechnet. 3.4. Theater

und

Kirche

3.4.1. Konfliktfälle. Von den Konflikten zwischen Theater und -»Kirche in der Spätantike und im puritanischen England war im historischen Zusammenhang die Rede. Hatte die spätantike Kirche einen fast vollständigen Sieg über das Theater errungen, so war den Puritanern nur ein begrenzter Teilerfolg gelungen. Mit dem Beginn der Aufklärung wendet sich das Blatt zugunsten des Theaters, wie vor allem das erste der beiden folgenden Beispiele erkennen läßt. Was als der „Schweizer Theaterkrieg" (Kindermann IV, 462ff.) bezeichnet wird, hatte mehrere Schauplätze. Im Blickpunkt der europäischen Öffentlichkeit stand vor allem -»Genf. Als -»Voltaire von Berlin kommend sich 1754 in der unmittelbaren Nähe Genfs niederließ, setzte er sich das Ziel, diese Stadt für das Theater zu erobern. In einem ersten Anlauf gewann er zwar den Rat der Stadt für sich, aber das Konsistorium vereitelte jede Theateraufführung in Genf. Voltaire wich nach Lausanne aus und feierte dort Theatertriumphe. 1756 weilte d'Alembert (1717-1783) auf Voltaires Schloß bei Genf zu Besuch und schrieb anschließend in der von ihm zusammen mit Denis Diderot (1713-1784) herausgegebenen Encyclopédie den Artikel „Genève" mit sehr kritischen Bemerkungen über die theaterlose Stadt. -»Rousseau schrieb daraufhin seine Lettres sur les spectacles, in denen er die Genfer Ablehnung des Theaters verteidigte. Voltaire erreichte, daß in der unmittelbaren Nähe Genfs auf französischem und savoyischem Boden vier Theater eingerichtet wurden. Der Zustrom der Genfer Bürger war stark, zumal es Voltaire gelang, Mitglieder von angesehenen Genfer Familien in die Schauspielensembles aufzunehmen und durch prominente Gäste aus Paris eine hohe Qualität der Aufführungen zu erreichen. Aber nach wie vor verhinderte die Genfer Geistlichkeit Theateraufführungen in der Stadt. Über seine diplomatischen Verbindungen erreichte es Voltaire, daß die Gesandten der sog. „Garantiemächte", Frankreich, Zürich und Bern, beim Rat der Stadt 1766 durchsetzten, daß in Genf ein Theater gebaut und von einer bekannten Truppe bespielt wurde; vor allem Voltaires eigene Stücke wurden gezeigt. Die Protektion der Gesandten dauerte nur wenige Jahre, und 1769 ging das Theater in Flammen auf. Erst im Oktober 1783 war es soweit: Genf erhielt ein neues Theater für tausend Zuschauer, Voltaire hatte gesiegt. Es war zugleich ein Sieg der Aufklärung über den Calvinismus. Daß nicht nur calvinistische Überzeugungen dem Theater zu schaffen machten, zeigte sich im orthodox-lutherischen -»Hamburg. Dort erschien 1718 die polemisierende Schrift des Hamburger

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Hauptpastors Anton Reiser Teatromania oder die Mächte der Finsternis in den öffentlichen Schauspielen (Schaeffer 173; vgl. Geffcken). Die gleiche Haltung führte 50 Jahre später zum Hamburger Theaterstreit. 1768 erschienen in H a m b u r g im Druck einige Lustspiele, deren Verfasser, Johann Ludwig Schlosser, Prediger in Bergedorf war. Daraufhin veröffentlichte der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1789) eine Erklärung, das Verfassen von Schauspielen und der Besuch des Theaters sei mit den Pflichten eines Hamburger Geistlichen nicht vereinbar. Ein heftiger öffentlicher Meinungsstreit brach los. 1769 veröffentlichte Göze seine Schrift Theologische Untersuchung der Sittlichkeit der heutigen Deutschen Schaubühne ..., in der er einräumte, daß es durchaus ein Theater geben könne, das eine Schule der Tugend und der guten Sitten wäre, daß aber das gegenwärtige Theater diese Bedingungen nicht erfülle. Deshalb dürfe ein evangelischer Geistlicher weder ein Theater besuchen noch gar dafür Stücke schreiben. Die Reaktionen waren so heftig, daß der Hamburger Magistrat bei Strafandrohung verbot, über diesen Gegenstand etwas drucken zu lassen. Gedruckt wurde aber dennoch ein Gutachten der theologischen Fakultät der Universität ->Göttingen, das Göze angefordert hatte. Das Gutachten gab Göze in allen Fragen recht und stellte grundsätzlich fest, „ d a ß es nicht absolut unmöglich sei, die dramatischen Spiele so einzurichten, daß sie die christliche Gottesfurcht nicht hindern", daß aber das Theater „in seiner bisherigen Gestalt sehr schwere, ja fast unüberwindliche Versuchungen zur Unzucht, zum Müßiggang, zur Verschwendung, Unbarmherzigkeit, Ungerechtigkeit, gedankenloser Sinnlichkeit und gänzlicher Entfremdung der Seele von dem wahren christlichen Ernst enthält ..." (zit. nach Alt 642f.). Danach verebbte der Streit. Er fand statt in jenen Jahren, in denen sich Hamburger Bürger um die Gründung eines Nationaltheaters, der „Hamburgischen Entreprise", bemühten. Die Gründung gelang am 22. April 1766. Lessing, der als Dramaturg an dieses Nationaltheater berufen worden war, veröffentlichte an diesem Tag die erste Folge seiner Hamburgischen Dramaturgie. 1769 scheiterte das Theaterunternehmen. Zehn Jahre später brachen pietistische Pastoren und Ratsherren den „Hamburger Opernkrieg" vom Z a u n , der Jahrzehnte dauerte (Marigold). In der Begegnung von Pietismus und Oper ereignete sich - nicht nur in H a m b u r g - der „Zusammenprall zweier Welten" (Lindberg). Langfristig läßt sich die H a l t u n g v o n T h e o l o g i e und Kirche s o z u s a m m e n f a s s e n : W e n n das Theater durch die D a r s t e l l u n g des Lebens mit allen seinen A b g r ü n d e n keine m o r a l i s c h e Besserung erreicht, d a n n ist es verwerflich und daher überflüssig. W e n n es „ w a h r e Sinnesänderung" b e w i r k e n k ö n n t e , d a n n w ä r e diese A u f g a b e besser v o n G o t tesdienst und kirchlichem Unterricht w a h r z u n e h m e n , und das T h e a t e r w ä r e daher auch überflüssig. Gegenüber der Kirche erweist sich das A r g u m e n t v o n der „ m o r a l i s c h e n A n s t a l t " für das T h e a t e r als Sackgasse, und es entsteht der Eindruck, daß das Verhältnis v o n T h e a t e r und Kirche endgültig in e i n e m bis heute bestehenden A n t a g o n i s m u s festgefahren ist. D a ß dies nicht nur für den Protestantismus gilt, zeigt das Rundschreiben -»Leos XIII. Exeunte iam anno vom 25. Dezember 1888. Der Papst nennt „viele verfängliche Anreize zu Sünde und Laster" und schreibt: „Wir denken dabei an die gottlosen und schamlosen Theateraufführungen . . . ; selbst die Künste, die ihrer Bestimmung gemäß einem edlen Lebensgenuß dienstbar sein sollten, werden zu Werkzeugen der Sinnlichkeit herabgewürdigt." (zit. nach Rohrbasser 702). 3.4.2. Parallelen. Renz Schaeffer hat „Protestantische Kirchen und Theaterinterieurs des 18. Jh. als Orte bürgerlicher Emanzipation" untersucht und auf interessante Parallelen aufmerksam gemacht. Kirche und Theater „bieten den Arrivierten die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, um eine weitere Einnahmenquelle zu erschließen" (171). Schaeffer stellt fest, daß nicht nur im städtischen Bereich, sondern auch bei den Dorfkirchen „überraschende Parallelen zum Logentheater" (172) auffallen. Er will damit einen Aspekt „der Frage nach der Verwandtschaft zwischen Kirche und T h e a t e r " (173) zur Diskussion stellen. Daran läßt sich aber auch die Frage nach einer bewußten oder unbewußten Konkurrenz anschließen: Wollten die protestantischen Kirchen die Ablehnung des Theaters kompensieren durch eine Theatralisierung des Gottesdienstes und durch den Einbau von Emporen, Kirchenbänken und festem Gestühl einen Theaterersatz bieten (zur konstitutiven Bedeutung des Gestühls für den protestantischen Kirchenraum vgl. Wex)? 3.4.3. Christlicher Glaube und Theater. Seit der A u f k l ä r u n g v e r s c h w i n d e n kirchliche T h e m e n von der Bühne. A u c h in der s c h w ä r m e r i s c h e n Orientierung der R o m a n t i k a m Mittelalter sind keine A n s ä t z e zu e i n e m christlichen T h e a t e r zu erkennen, das vergleichbar w ä r e mit B e w e g u n g e n in der bildenden Kunst w i e e t w a den —•Nazarenem. G i a c o m o Meyerbeers ( 1 7 9 1 - 1 8 6 4 ) Die Hugenotten (1836) und die W i e d e r t ä u f e r - O p e r Der Prophet

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Theater

(1849), sind Ausnahmeerscheinungen. Das gilt auch für Richard Wagners Parsifal (1882), mit dem er eine besonders eindrucksvolle theatralische Gestaltung christlicher Grundhaltung schuf — was konsequenterweise zum Bruch mit Nietzsche führte. Man kann es als Sonderformen registrieren, wenn abseits vom Theateralltag die großen Festspiele, die Hugo von Hofmannsthal für Salzburg geschaffen hat, Jedermann und Das große \Celttheater (nach Calderöns Vorlage), ihren Platz finden oder wenn noch mehr unter Sonderbedingungen die Oberammergauer Passionsspiele die im 17. Jh. begonnene Tradition fortsetzen (Reinbold). In der Sonderstellung solcher vom christlichen Glauben geprägter Aufführungen zeigt sich gerade, wie weit das „normale" Theaterleben davon entfernt ist, christlichen Uberzeugungen Raum zu geben. In der Mitte des 20. Jh. tauchte in der etablierten Theaterwelt der christliche Glaube als mehr oder minder poetisch verhülltes Gestaltungselement in den Dramen einzelner Autoren auf (Paul Claudel; Thomas Stearns Eliot; Ernst Barlach [1870-1938]) und tritt damit neben existentialistische und sozialistische Konzeptionen. Wenn biblische Themen auf die Bühne kommen, wie etwa der Stoff des Buches Judith in den Dramen von Friedrich Hebbel (1813-1863) bis Jean Giraudoux (1882-1944), dann wird wohl niemand darin eine Dramatisierung der biblischen Botschaft sehen können. An Themen der Christentumsgeschichte wird der historische Prozeß der Distanzierung zwischen Kirche und Theater noch klarer erkennbar; etwa im Vergleich von Johann August Strindbergs (1849-1912) Luther oder die Nachtigall von Wittenberg (1903) mit John Osbornes (geb. 1929) Luther (1961) oder gar Dieter Fortes (geb. 1935) Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung (1970). Die Veränderungen, denen die Gestalt des Reformators auf der Bühne unterliegt, können als symptomatisch gelten für das Ansehen und die Bedeutung des christlichen Glaubens in der Welt des Theaters. Für eine ähnliche Tendenz im katholischen Bereich sorgte Rolf Hochhuth (geb. 1931) mit seiner Papstkritik im Drama Der Stellvertreter (1963).

Neben dieser Entwicklungslinie einer sichtbaren Entfremdung läßt sich allerdings auch eine andere zeichnen. Sie verläuft nicht an der Oberfläche und ist auch nicht am Erscheinungsbild des kirchlichen Lebens orientiert, sondern stellt in mancherlei Verhüllungen der Bühne die Frage nach der Existenz des Menschen vor Gott. Zu dieser Linie gehört Draußen vor der Tür (1947), „ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will", wie es der Autor, Wolfgang Borchert ( 1 9 2 1 - 1 9 4 7 ) , im Titel formulierte, ein Stück, das Gott als den alten Mann zeigt, der nicht mehr antwortet. Der englische Dramatiker Tom Stoppard (geb. 1937) läßt in seinem Stück Der wahre Inspektor Hound (1968) zwei Theaterkritiker auf die Bühne kommen, um eine Aufführung zu sehen. Fragt der eine: „Wo aber ist Gott?" Der andere schaut ins Programmheft und stellt fest: „Gott spielt gar nicht mit." Gott ist verschwunden - wie in der Welt, so auch auf der Bühne. Und er kommt nicht wieder (s. Beckett Warten auf Godot). Aber die Frage nach Gott ist noch nicht verschwunden. 3.4.4. Theater und Kirche in der deutschen Gesellschaft. Das Verhältnis von Kirche und Theater im Rahmen der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland kann davon ausgehen, daß diese Gesellschaft beiden eine Art von staatlich geschützter Nischenexistenz zuweist. Die institutionelle Struktur beider „Systeme" weist historisch bedingte Gemeinsamkeiten auf, weil beide in Abhängigkeit von der deutschen Kleinstaaterei geographisch polyzentrisch aufgebaut sind. Nach dem Ende der Fürstenherrschaft setzten die Institutionen der Demokratie fort, was mit dem Selbstbewußtsein und der Repräsentationslust der vielen kleinen deutschen Fürstenhöfe begann. Und so haben wir bis heute das Phänomen, daß Theater und Kirche über Steuern in hohem Maße von Leuten finanziert werden, die nicht an ihren Veranstaltungsangeboten teilnehmen - wobei man aus der Gemeinschaft, die das Theater trägt, noch nicht einmal austreten kann. Beide Bereiche sind unter verschiedenen Bedingungen vergleichbar: Im „ M a r k t " der potentiell Interessierten konkurriert die Ebene der offiziell anerkannten und privilegierten Institutionen mit der Ebene der freien, privaten Organisationsformen: d.h. neben den aus Steuergeldern hoch subventionierten Stadt-, Landes- und Staatstheatern existieren die Privattheater, die in der Regel nur relativ bescheiden mit öffentlichen Geldern unterstützt werden, wie es neben den kirchensteuererhebenden Landeskirchen das breite Spektrum der Freikirchen und religiösen Gemeinschaften gibt, die sich aus den direkten Zuwendungen ihrer Mitglieder finanzieren.

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O b w o h l m a n c h e Gemeinsamkeiten in der heutigen deutschen Gesellschaft es nahelegen könnten, daß T h e a t e r und Kirche Verbindung miteinander halten und gute Kontakte pflegen, ist genau das Gegenteil der Fall. Dies scheint im wesentlichen an den innerkirchlichen Vorbehalten gegenüber dem T h e a t e r zu liegen, die eine große platonisch-calvinistisch-pietistische Tradition haben. In den letzten Jahrzehnten tauchte das T h e a t e r in den P r o g r a m m e n kirchlicher Akademie-Tagungen kurzfristig auf, wenn sich kirchliche Kreise durch bestimmte T h e a t e r s t ü c k e provoziert fühlten. In jüngerer Z e i t arbeiten verschiedene kirchliche Initiativen d a r a n , das Verhältnis zum T h e a t e r zu beleben, erreichen aber noch nicht die gebührende R e s o n a n z . Dieser Eindruck wird bestätigt durch das „Impulspapier", mit dem im Februar 1999 die -»Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Vereinigung Evangelischer Freikirchen einen „Konsultationsprozeß" in Gang gesetzt haben zum Thema Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert (EKD-Texte Nr. 64). Auf 68 Seiten taucht das Wort „Theater" nur zweimal am Rande anderer Erwägungen auf: wenn Musicals (wie Joseph) erwähnt werden (24) und wenn es um das Programmangebot zur Gestaltung des Sonntags geht (57). Demgegenüber finden die bildende Kunst und die Musik - auch die „Popmusik" u.ä. - breite Aufmerksamkeit. Das Theater als eigenständige Gestaltungsform unserer Kultur ist für den heutigen offiziellen Protestantismus kein Thema. 3 . 4 . 5 . Theater und Praktische Theologie. Im H o r i z o n t der Praktischen Theologie kann das Verhältnis Kirche - Theater - Gesellschaft den O r t finden, an dem es kompetent und perspektivenreich bearbeitet und gefördert wird. Die Voraussetzungen dazu liegen einmal in dem Umstand, daß in diesem Bereich die Ü b e r n a h m e von Theaterelementen in die - » Seelsorge und die Gruppenarbeit zu H a u s e ist. Z u m anderen ist es die Aufgabe der Praktischen Theologie, vor allem für den Gottesdienst ebenso wie für die Bildungsund Öffentlichkeitsarbeit, zu einer sachgemäßen Klärung in den Beziehungen der verschiedenen Arbeits- und Darstellungsformen der Kirche zum T h e a t e r zu finden. 3 . 5 . Die Wissenschaft

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Theater

Die „Theaterwissenschaft" gilt als junge Wissenschaft, Max Herrmann (1865-1942) als derjenige, der sie zuerst 1901 an der Berliner Universität als eigenständige Disziplin etabliert hat. Auch hundert Jahre später zeigt sich das Grundproblem, daß eine von der Literaturwissenschaft herkommende Theaterwissenschaft die Oper der Musikwissenschaft überläßt. Damit wird eine Verengung des Theaterbegriffs praktiziert, die sich durchgängig an den Publikationen ablesen läßt; wo Theater draufsteht, ist keine Oper und kein Tanztheater drin. Interessanterweise lassen Theatermuseen und Theatersammlungen in der Regel mehr von der umfassenden Lebensfülle des Theaters erkennen als Lehre und Forschung an den Universitäten. Theaterwissenschaft hat die Aufgabe, ein breit angelegtes Programm zu verwirklichen und eine ganze Reihe von getrennt arbeitenden Disziplinen zu iiitegrieren. Was die Theätertexte angeht, ist eine Integration der getrennt arbeitenden philologischen Disziplinen notwendig (Altphilologie, Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawistik), was das Musik- und das Tanztheater angeht, sind noch tiefere Gräben zwischen den Disziplinen zu überwinden, um eine Wissenschaft vom Theater zu entwickeln, bei der es auch in der Natur der Sache liegt, daß Architektur und bildende Kunst im Blick auf Theaterbau und Bühnenbild einbezogen werden. Daß darüber hinaus die Verbindung zur Geschichtswissenschaft, zur Soziologie, zur Anthropologie, zur Ethnologie, zur Religionswissenschaft und anderen Kulturwissenschaften fruchtbar ist, zeigt die Theaterwissenschaft der letzten Jahrzehnte. Literatur Vgl. auch die Lit. zu den Art. -»Ästhetik III.; -»Hrotsvit von Gandersheim; -»Literatur und Religion V.; -»Mysterienspiele; -»Passionsfrömmigkeit; -»Sachs, Hans. Theodor W. Adorno, Theater - Oper - Bürgertum (Vortr. mit anschließender Diskussion): Egon Vietta (Hg.), Theater. 5. Darmstädter Gespräch, Darmstadt 1955, 1 1 9 - 1 5 2 . - Aktuelle Tendenzen der Theatergeschichtsforschung, hg. v. Miriam Göbel/Andrea Kircher/Gesine Schobert, Berlin 1996 (Kleine Sehr, der Gesellschaft f. Theatergesch. 37/38). - Heinrich Alt, Theater u. Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältnis hist. darg., Berlin 1846. - Christian Albrecht, Hist. Kulturwiss. neuzeitlicher Christentumspraxis. Klass. Protestantismustheorien in ihrer Bedeutung f. das Selbstverständnis der Prakt. Theol., 2000 (BHTh 114). - Heinrich Anz, Die lat. Magierspiele. Unters, u. Texte zur Vorgesch. des dt. Weihnachtsspiels, Leipzig 1905. - Hermann Argelander, Die szenische

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Theater

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Theater

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Ferdinand Barth

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Theismus

T h e a t i n e r - » P a u l IV. Theismus 1. Zu Begriff und Geschichte des Theismus des Theismus? (Literatur S. 202) 1. Zu Begriff

und Geschichte

des

2. Hauptaspekte des Theismus

3. Zukunft

Theismus

1.1. Der Ausdruck Theismus ist eine Neuprägung der Philosophie der Frühaufklärung. W i e —»Deismus, -» Atheismus, -»Monotheismus und - » P o l y t h e i s m u s gehört er zu den Begriffen, mit denen versucht wurde, in Abkehr von den dogmatischen Auseinandersetzungen konfessioneller Theologien und in Abwehr skeptischer und atheistischer Angriffe auf die Offenbarungsreligionen die Probleme der Religion und des Gottesgedankens selbständig, rational und ohne Rekurs auf Autoritäten zu durchdenken. Anfangs wurde nicht nur zwischen Deismus und Theismus, sondern auch zwischen Theismus und Monotheismus nicht unterschieden. Erst im Verlauf der Diskussion ergaben sich präzisere Abgrenzungen. A m einen Ende des Bedeutungsspektrums werden Konzeptionen theistisch genannt, die mit der Existenz eines von der Welt unterschiedenen Göttlichen rechnen (Taylor 2 6 1 f.). In diesem inklusiven Sinn beginnt die Geschichte des Theismus spätestens mit - • P l a t o und können J u d e n t u m , Christentum oder Islam als theistische Religionen gelten. A m anderen Ende meint Theismus die philosophische T h e o r i e eines höchsten personalen Wesens, das allwissend, allmächtig und allgütig ist und die Welt frei erschaffen hat und erhält. So verstanden bezeichnet der Begriff keinen praktischen religiösen Glauben und keine historische Religion, sondern eine philosophische T h e o r i e , die im 17. J h . im Umfeld der Cambridge Platonists ( - » C a m b r i d g e , Platoniker von) als R e a k t i o n auf den mechanistischen Atheismus und skeptischen - » M a terialismus der Zeit entstand. N i c h t Theismus, sondern Atheismus ist der ursprüngliche Begriff; und wie der Atheismusbegriff durch das geprägt ist, was mit ihm jeweils negiert wird, so ist der Theismusbegriff durch die Atheismusauffassung bestimmt, gegen die er sich wendet. Das Wort ist erstmals belegt im Vorwort von R. Cudworth's The True Intellectual System of the Universe, ... wherein all the Reason and the Philosophy of Atheism is confuted (London 1678). Seit -»Renaissance und Frühaufklärung hatte das Atheismusproblem Theologen und Philosophen zunehmend beschäftigt (vgl. Campanella, Atheismus; ders., Dissertatio; Spitzel; der Ausdruck scheint 1540 ins Englische von Sir John Cheke in seiner lateinischen Ubersetzung von Plutarchs On Superstition eingeführt worden zu sein; vgl. G.T. Buckley 64; zu den theologischen Reaktionen vgl. Barth; zur philosophischen Debatte M . J . Buckley). „The realm", schrieb Carlton in seinem Discourse on the Present State of England (1572), „is divided into three parties, the Papists, the Atheists, and the Protestants. All three are alike favoured: the first and the second because, being many, we dare not displease them; the third, because having religion, we fear to displease God in them" (zit. bei Buckley, Origins 10). Atheisten werden hier nicht von Theisten, sondern von den christlichen Religionsparteien Englands unterschieden. Wie Epikur ( 3 4 1 - 2 7 1 v. Chr.) und Lukrez (um 9 7 - 5 5 v. Chr.), die antiken Vorbilder des modernen Atheismus, bestimmte Formen religiösen Glaubens und philosophischer Theologie kritisiert hatten, so werden auch im Disput zwischen Renaissanceatheismus und Christentum zunächst nicht die Existenz Gottes überhaupt, sondern bestimmte theologische Lehren wie die göttliche Ordnung der Welt oder das providentielle Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen abgelehnt. Die atheistische Bestreitung zentraler Aussagen von Judentum, Christentum und Islam über Gottes Wirken in der Welt geht so historisch und sachlich dem philosophischen Theismus voraus. Denn eben das, was die Atheisten bestritten, wird von den Theisten behauptet: „To believe that every thing is govern'd, order'd, or regulated according to the best, by a designing Principle or Mind, such as is good and eternal, is to be a perfect T h e i s t " (Shaftesbury, An Inquiry Concerning Virtue, London 1699, 7; -»Shaftesbury, Third Earl of). Sinn und Gehalt theistischer Positionen sind so durch die atheistischen Thesen bestimmt, denen sie widersprechen, und mit diesen können auch sie variieren. 1.2. Als Widerspruch gegen vorgängige Atheismen steht der neuzeitliche Theismus i m m e r auch in einem zu klärenden Verhältnis zu den religiösen Überzeugungen, denen

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Theismus

T h e a t i n e r - » P a u l IV. Theismus 1. Zu Begriff und Geschichte des Theismus des Theismus? (Literatur S. 202) 1. Zu Begriff

und Geschichte

des

2. Hauptaspekte des Theismus

3. Zukunft

Theismus

1.1. Der Ausdruck Theismus ist eine Neuprägung der Philosophie der Frühaufklärung. W i e —»Deismus, -» Atheismus, -»Monotheismus und - » P o l y t h e i s m u s gehört er zu den Begriffen, mit denen versucht wurde, in Abkehr von den dogmatischen Auseinandersetzungen konfessioneller Theologien und in Abwehr skeptischer und atheistischer Angriffe auf die Offenbarungsreligionen die Probleme der Religion und des Gottesgedankens selbständig, rational und ohne Rekurs auf Autoritäten zu durchdenken. Anfangs wurde nicht nur zwischen Deismus und Theismus, sondern auch zwischen Theismus und Monotheismus nicht unterschieden. Erst im Verlauf der Diskussion ergaben sich präzisere Abgrenzungen. A m einen Ende des Bedeutungsspektrums werden Konzeptionen theistisch genannt, die mit der Existenz eines von der Welt unterschiedenen Göttlichen rechnen (Taylor 2 6 1 f.). In diesem inklusiven Sinn beginnt die Geschichte des Theismus spätestens mit - • P l a t o und können J u d e n t u m , Christentum oder Islam als theistische Religionen gelten. A m anderen Ende meint Theismus die philosophische T h e o r i e eines höchsten personalen Wesens, das allwissend, allmächtig und allgütig ist und die Welt frei erschaffen hat und erhält. So verstanden bezeichnet der Begriff keinen praktischen religiösen Glauben und keine historische Religion, sondern eine philosophische T h e o r i e , die im 17. J h . im Umfeld der Cambridge Platonists ( - » C a m b r i d g e , Platoniker von) als R e a k t i o n auf den mechanistischen Atheismus und skeptischen - » M a terialismus der Zeit entstand. N i c h t Theismus, sondern Atheismus ist der ursprüngliche Begriff; und wie der Atheismusbegriff durch das geprägt ist, was mit ihm jeweils negiert wird, so ist der Theismusbegriff durch die Atheismusauffassung bestimmt, gegen die er sich wendet. Das Wort ist erstmals belegt im Vorwort von R. Cudworth's The True Intellectual System of the Universe, ... wherein all the Reason and the Philosophy of Atheism is confuted (London 1678). Seit -»Renaissance und Frühaufklärung hatte das Atheismusproblem Theologen und Philosophen zunehmend beschäftigt (vgl. Campanella, Atheismus; ders., Dissertatio; Spitzel; der Ausdruck scheint 1540 ins Englische von Sir John Cheke in seiner lateinischen Ubersetzung von Plutarchs On Superstition eingeführt worden zu sein; vgl. G.T. Buckley 64; zu den theologischen Reaktionen vgl. Barth; zur philosophischen Debatte M . J . Buckley). „The realm", schrieb Carlton in seinem Discourse on the Present State of England (1572), „is divided into three parties, the Papists, the Atheists, and the Protestants. All three are alike favoured: the first and the second because, being many, we dare not displease them; the third, because having religion, we fear to displease God in them" (zit. bei Buckley, Origins 10). Atheisten werden hier nicht von Theisten, sondern von den christlichen Religionsparteien Englands unterschieden. Wie Epikur ( 3 4 1 - 2 7 1 v. Chr.) und Lukrez (um 9 7 - 5 5 v. Chr.), die antiken Vorbilder des modernen Atheismus, bestimmte Formen religiösen Glaubens und philosophischer Theologie kritisiert hatten, so werden auch im Disput zwischen Renaissanceatheismus und Christentum zunächst nicht die Existenz Gottes überhaupt, sondern bestimmte theologische Lehren wie die göttliche Ordnung der Welt oder das providentielle Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen abgelehnt. Die atheistische Bestreitung zentraler Aussagen von Judentum, Christentum und Islam über Gottes Wirken in der Welt geht so historisch und sachlich dem philosophischen Theismus voraus. Denn eben das, was die Atheisten bestritten, wird von den Theisten behauptet: „To believe that every thing is govern'd, order'd, or regulated according to the best, by a designing Principle or Mind, such as is good and eternal, is to be a perfect T h e i s t " (Shaftesbury, An Inquiry Concerning Virtue, London 1699, 7; -»Shaftesbury, Third Earl of). Sinn und Gehalt theistischer Positionen sind so durch die atheistischen Thesen bestimmt, denen sie widersprechen, und mit diesen können auch sie variieren. 1.2. Als Widerspruch gegen vorgängige Atheismen steht der neuzeitliche Theismus i m m e r auch in einem zu klärenden Verhältnis zu den religiösen Überzeugungen, denen

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jene widersprechen. So gehen Th. -»Hobbes und B. -»Spinoza I. -» Newton, John Locke (1632-1704), Richard Bentley (1662-1742) oder Samuel Clarke (1675-1729) voraus, deren Theismus die philosophische Reaktion auf die atheistische Ablehnung zentraler christlich-jüdischer Glaubensüberzeugungen wie die Existenz und die Personalität Gottes, die göttliche Ordnung der Schöpfung oder die Weisheit der göttlichen Weltregierung darstellt. Sofern sich diese atheistische Kritik auf die neue mechanistisch-mathematische -•Naturwissenschaft berief, war die naturphilosophische Gegenkritik des Theismus verständlich. Die theistische Metakritik der atheistischen Einwände begründete aber nicht selbst das, wogegen diese sich wandten. Anders als die konfessionellen Dogmatiken argumentierte sie von natur- und vernunftphilosophischer Basis aus, nicht von der Erfahrung des Glaubens her. Anders als die theologische Atheismuskritik berief sie sich nicht auf -»Offenbarung, sondern auf Einsichten der -» Vernunft. Anders als die positiven Religionen gründet sie ihre Aussagen über Gott auf eine rationale Theologie der Natur, die im Gefolge Newtons und Lockes nach einer ersten Ursache und letzten Erklärung von allem suchte, oder auf eine rationale Theologie der Vernunft, die im Anschluß an R. -»Descartes und G.W. -»Leibniz nach einem höchsten Grund und einer letzten Begründung für alles fragte. Das theistische Gottes verständnis ist so im Horizont natur- und vernunftphilosophischer Ersterklärungs- und Letztbegründungsfragen gewonnen. Seine konkrete Gestalt aber ist stets durch die jeweiligen Atheismen bestimmt, auf die es reagiert. Es gibt im Prozeß der Moderne verschiedene Arten des Atheismus und verschiedene Gestalten des Christentums (Judentums, Islams). Entsprechend verschieden sind die darauf bezogenen theistischen Entwürfe: Während einige auf ihre philosophische Eigenständigkeit pochen und den Kontrast zu theologischen Gotteslehren betonen (vor allem im 18. [Nicolas Malebranche (1638-1715); -•Voltaire] und im 20. Jh. [Ch. -»Hartshome(1897-2000);TerencePenelhum (geb. 1928)]), sind andere (vor allem im 19. [G.W.F. -»Hegel; EW.J. -»Schelling; Immanuel Hermann Fichte (1796-1879); Christian Hermann Weiße (1801-1866); Rudolph Hermann Lotze (1817-1881)] und 20. Jahrhundert [Wagner; Plantinga; Swinburne; Neville; Hick]) unterschiedlich intensive Verbindungen mit theologischen Entwürfen eingegangen. 1.3. Im Zuge der deutlicheren Unterscheidung zwischen Atheismus und Skeptizismus wurde im Begriff des Theismus nicht nur die Opposition zu Atheismus, sondern auch zu -»Agnostizismus hervorgehoben: Theisten glauben nicht nur, daß Gott die Welt geschaffen hat, sondern daß dies auch gewußt werden kann. Damit ist die Abgrenzung gegen den Deismus noch offen, mit dem Theismus das ganze 18. Jh. hindurch austauschbar verwendet wurde. Denis Diderot (1713-1784) sah die Differenz darin, daß der Deist alle Offenbarung bestreite, während der Theist sie zulasse (Œuvres complètes, ed. Jean Assézat, Paris 1875-1877, I 13,479). In diesem Sinn war Voltaire Deist, auch wenn er sich als Theisten bezeichnete. Erst I. -»Kant unterschied systematisch zwischen dem deistischen Glauben an eine „Weltursache" und dem theistischen Glauben an einen „Welturheber": Deisten sind transzendentale Theologen, die sich „bloß durch reine Vernunft, vermittelst lauter transcendentaler Begriffe" Gott als die Ursache der Welt denken, ohne diese Weltursache näher zu bestimmen. Theisten dagegen sind natürliche Theologen, die „von dieser Welt zur höchsten Intelligenz aussteigen], entweder als dem Princip aller natürlichen, oder aller sittlichen Ordnung und Vollkommenheit", also von der menschlichen Erfahrung aus per analogiam auf einen Urheber der Welt schließen, der „durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte". Strenggenommen denken nur Theisten, nicht aber Deisten Gott. „Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa bloß eine blind-wirkende ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein höchstes Wesen, das durch Verstand und Freiheit der Urheber der Dinge sein soll, zu verstehen gewohnt i s t , . . . so könnte man, nach der Strenge, dem Deisten allen Glauben an Gott absprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens, oder obersten Ursache übrig lassen. Indessen, da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getrauet, beschuldigt werden darf, er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der Deist glaube einen Gott, der Theist aber einen lebendigen Gott" (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 6 5 9 - 6 6 1 ) .

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Kant ging von der Einzigkeit des lebendigen Gottes aus, so daß Theismus in seinem Sinn mit jeder Art von Polytheismus, Dualismus und Henotheismus unvereinbar ist. Sein Verständnis steht in der N ä h e des Monotheismus. Beide Begriffe werden häufig synonym gebraucht, aber nur dann zu Recht, wenn mit Monotheismus nicht nur der Glaube an einen einzigen Gott, sondern an einen einzigen lebendigen oder personalen Gott gemeint wird. Als personale Gottheit steht der theistische Gott der Welt als Schöpfer gegenüber. Diese Transzendenz von Gottes Wirken als Person unterscheidet Theismus vom -*Pantheismus und von allen Arten eines monistischen Absolutismus, der das Absolute mit der Totalität dessen identifiziert, was ist. Ob ein so verstandener Theismus mit dem -»Panentheismus vereinbar ist, ist strittig. Nicht von ungefähr schwankt Hartshorne bei der Kennzeichnung seines eigenen Panentheismus zwischen „New Pantheism" und „Neoclassical Theism". 1.4. Strittig ist auch das Verhältnis zwischen philosophischem Theismus und christlicher Trinitätstheologie (-»Trinität). Für ihre Vereinbarkeit wird angeführt, daß beide (anders als der Pantheismus) Gott personal denken und von der Welt unterscheiden und (anders als der Deismus) mit Gottes Handeln in der Welt rechnen. Ihre Differenz reduziert sich dann darauf, daß die Trinitätstheologie die theistischen Aussagen über Gott einschließe, aber nicht bei ihnen stehenbleibe (Swinburne, Coherence 1). Demgegenüber wird betont (Dalferth, Roots 18-27), daß ein unitarischer Theismus kein eigenständiges theistisches praeambulum zur Trinitätslehre darstelle. Christliche Trinitätstheologie ist keine Kombination einer theistischen Gottesauffassung mit zusätzlichen Annahmen über Gottes Tripersonalität als Vater, Sohn und Geist. Trinitätstheologie und Theismus sind zwei in Ansatz und Ausrichtung verschiedene Weisen, Gott zu denken: Sie haben verschiedene Ausgangspunkte (das Reden zu Gott in -»Glaube, —»Gebet und —»Gottesdienst bzw. das Reden über Gott auf der Basis von Welt- und Selbsterfahrung), verfolgen verschiedene Ziele (theologische Lebensorientierung bzw. philosophische Welterklärung), richten sich - primär - an verschiedene Adressaten (Christen bzw. naturphilosophisch interessierte Denker), orientieren sich an verschiedenen Kriterien (Gottes Offenbarung in -»Jesus Christus bzw. menschliche Vernunft) und haben einen verschiedenen Status (praktisch-doxologische bzw. theoretische Reflexion). An jedem Punkt kann zwar beides ineinander übergehen, aber nur über die unaufhebbare Grunddifferenz hinweg, daß Trinitätstheologie auch dort im Modus der zweiten Person von Gott spricht, wo sie das wie theistische Rede im Modus der dritten Person formuliert. Trinitätstheologie und Theismus sagen deshalb auch dann nicht dasselbe, wenn sie das gleiche sagen. Der Theismus bleibt in all seinen Gestalten dem Erklärungs- und Begründungsdenken verhaftet und löst nicht die lebenspraktischen Aufgaben, aus denen trinitarisches Denken erwächst. 2. Hauptaspekte

des

Theismus

Der neuzeitliche Theismus ist eine philosophische Reaktion auf den Atheismus der Moderne, der durch vier Uberzeugungen geprägt ist: Es wird bezweifelt oder bestritten, daß Gott existiert (2.1.) und d a ß die Welt nicht nur von Naturgesetzen, sondern von einer sorgenden Vernunft geordnet und gelenkt wird (2.2.). Und es wird behauptet, d a ß das (Übermaß der) Übel in der Welt entscheidend gegen jeden Glauben an Gott spricht (2.3.) und daß Moral und Sittlichkeit unabhängig sind vom Glauben an Gott (2.4.). Gegen jede dieser vier Überzeugungen wurden theistische Einwände erhoben. 2.1. Der Theismus entfaltet und verteidigt einen Gottesbegriff, den Swinburne treffend zusammenfaßt: Unter „ G o t t " verstehen Theisten eine „person without a body (i.e. a spirit) who is eternal, free, able to do anything, knows everything, is perfectly good, is the proper object of human worship and obedience, the creator and sustainer of the universe" (Coherence 1). Diesem Gottesbegriff liegen drei zentrale theistische Motive zugrunde. Z u m einen ist Gott und nichts anderes der letzte Erklärungsgrund

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der Welt und ihrer Ordnung (kosmologisches Motiv). Zum anderen ist Gott nicht mit der Welt insgesamt oder mit deren Ordnungsprinzip gleichzusetzen, sondern als ihr personales Gegenüber so von ihr zu unterscheiden, daß er ihr nicht nur als Schöpfer und Erhalter gegenübersteht, sondern frei in ihr handelt und deshalb Adressat von Gottesdienst und Gebet sein kann (religiöses Motiv) (Brümmer, What we are doing). Zum dritten ist Gott nicht auf der Basis einer bestimmten Religion und ihrer partikularen Offenbarungsansprüche zu denken, sondern auf der Basis universaler Vernunft, weil nur ein vernünftiger Gottesgedanke zwischen verschiedenen religiösen und konfessionellen Traditionen rational zu vermitteln erlaubt (philosophisches Motiv). Die drei Motive legen es nahe, Gott in bestimmten Modellen zu denken - im Modell der personalen Erklärung (Swinburne), des personalen Handelns (King), des universalen Individuums (Hartshorne) oder des unendlichen Vernunftsubjekts (Kant) - und Weltphänomene entsprechend im Rekurs auf ein göttliches Handlungssubjekt zu erklären. Grundlegend für all diese Modelle ist die Analogie zwischen menschlichen Subjekten als endlichen, beschränkt freien und partiell schöpferischen moralischen Handlungsinstanzen und Gott als dem einen und einzigen unendlichen, absolut freien, allwissenden, allmächtigen und allgütigen Schöpfersubjekt. Sie gehört zum Kern des theistischen Gottesbegriffs, und der Nachweis der internen Widerspruchsfreiheit eines solchen Gottesbegriffs ist die erste grundlegende Aufgabe jedes theistischen Versuchs, Gott zu denken. 2.2. Der Nachweis der Widerspruchsfreiheit des theistischen Gotteskonzepts erweist die Möglichkeit, aber noch nicht die Wirklichkeit des so gedachten Gottes. Die zweite zentrale Aufgabe des Theismus sind daher die Versuche, Gottes Existenz zu beweisen (-•Gottesbeweise). Sie alle suchen zu zeigen, daß es (einen so gedachten) Gott geben kann (Möglichkeitsbeweise), gibt (Wirklichkeitsbeweise) oder geben muß (Notwendigkeitsbeweise) und daß es nicht mehr als einen solchen Gott geben kann (Einzigartigkeitsbeweise). So wird mittels ontologischer Argumente zu zeigen gesucht, daß mit der Möglichkeit Gottes die Unmöglichkeit seiner Nichtwirklichkeit und damit die Notwendigkeit seiner Existenz gesetzt sei, mittels kosmologischer, physikotheologischer oder ethikotheologischer Argumente dagegen, daß die Wirklichkeit und Beschaffenheit der natürlichen und sittlichen (geschichtlichen) Welt ohne Gottes Existenz letztlich unerklärlich sind, durch sie aber erklärt werden können - und zwar besser als durch naturalistische und evolutionstheoretische Alternativen. Die modernen Formen des Theismus präsentieren ihre Argumente für Gottes Existenz daher entweder in probabilistischer Form (die Welt ist durch den Rekurs auf Gott besser erklärbar als durch nichttheistische Alternativen) oder so, daß sie anders als nichttheistische Alternativen der Welterklärurig nicht nur für diese, sondern für jede mögliche Welt gelten. Keines der vorgetragenen Argumente ist auf Dauer ohne Widerspruch geblieben, kein Widerspruch hat aber auch davon abgehalten, neue Beweisversuche zu unternehmen. 2.3. Aufgrund seines Ansatzes bei der Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs und seiner Funktion zur Erklärung von Welterfahrung ist der Theismus genötigt, sich mit den gegenläufigen Erfahrungen des Übels, des Leids und des Bösen in der Welt auseinanderzusetzen (->Theodizee). Anders als in religiösen Traditionen, in denen sie Anlaß geben, auf die eschatologische Veränderung und Erneuerung der Welt durch Gott zu hoffen, werden sie für den Theismus zur grundsätzlichen Problematisierung des Gottesglaubens. Die dritte Aufgabe theistischen Denkens ist so die Theodizeefrage in ihrer neuzeitlichen Zuspitzung als Frage nach der Möglichkeit oder Wirklichkeit Gottes angesichts des Leidens in der Welt und der damit verknüpften Frage nach der Vernünftigkeit des Glaubens an Gott. Das gilt nicht nur für die rationalistische Tradition (Leibniz), sondern auch für den skeptischen -»Empirismus (D. -»Hume). In Aufnahme Epikurs fragt Hume: „Is God Willing to prevent evil, but not able? Then he is impotent. Is he able, but not Willing? Then he is malevolent. Is he both able and Willing? Whence

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then is evil?" (Dialogues Concerning Natural Religion [1779], hg. v. Norman Kemp Smith, London i 1947, 147, Teil X). Zur Debatte steht damit kein praktisches Problem menschlichen Lebens und Glaubens angesichts von Leid, Übel und Bösem, sondern die theoretische Frage nach der logischen Vereinbarkeit des theistischen Gottesbegriffs und der faktischen Welterfahrung, also der Konsistenz der folgenden Thesen: (1) Gott existiert; (2) Gott ist allmächtig; (3) Gott ist allwissend; (4) Gott ist allgütig; (5) Es gibt Übel in der Welt. Dieses theoretische Problem erlaubt verschiedene Lösungen: Es gibt kein Problem, wenn man (1) oder (5) bestreitet. Das Problem löst sich auf, wenn man in (2) bis (4) den Gedanken der Unendlichkeit fallen läßt, den Gottesbegriff also anders faßt. Das Problem ist gelöst, wenn bei entsprechender Interpretation kein Widerspruch zwischen diesen fünf Thesen besteht. Jede dieser Lösungsstrategien hat ihre Vertreter, aber keine ist unumstritten. Denn selbst wo gezeigt wird, daß die Wirklichkeit der Welt den Glauben an einen theistisch verstandenen Gott nicht unmöglich macht (Leibniz; Plantinga), bleibt offen, wie mit der Wirklichkeit des Übels, des Bösen und des Leids in der Welt umzugehen ist oder wie die Wahrheit oder Falschheit der Thesen (1) bis (4) erwiesen werden könnte. Theoretische Reflexion kann allenfalls zeigen, „that no amount of evil will contradict the existence of a perfect God, as long as the requirement is met, that it is necessarily implied in the existence of a world which leads to overwhelming good" (Ward, Theology 206f.). Aber wie soll das anhand unserer faktischen Welterfahrung belegt werden, die kaum Anlaß für eine solche Vermutung gibt? Hätten wir umgekehrt einen davon unabhängigen Grund, an die Existenz, Allmacht, Allweisheit und Allgüte Gottes zu glauben, dann könnte man mit Leibniz zu zeigen versuchen, daß dieser Glaube mit dem Übel in der Welt nicht unvereinbar sein muß. Aber wie Hume meinte, bieten die Zweideutigkeiten unserer Welterfahrung keinen guten Grund für einen solchen Glauben, und wie Kant zeigte, kann das, was in (1) bis (4) formuliert wird, durch theoretischen Vernunftgebrauch prinzipiell nicht erwiesen werden, so daß das theoretisch gestellte Problem theoretisch nicht gelöst werden kann. D a m i t gerät der T h e i s m u s in eine grundlegende Aporie. Die Vereinbarkeit des Glaubens an G o t t mit unserer Welterfahrung ist kein hinreichender Grund, an G o t t zu glauben. Die Argumente der - » N a t ü r l i c h e n Theologie scheitern, weil sie angesichts der T a t sache des Übels nicht zu zeigen vermögen, daß die erfahrbare Welt unzweideutig auf G o t t als ihren Letztgrund verweist, die Argumente rationaler Theologie dagegen, weil sie nicht einsichtig machen können, w a r u m Gott notwendig existieren und nicht vielmehr nicht existieren sollte. Insofern steht und fällt der Theismus mit seinen Argumenten für die Existenz des Gottes, den er denkt. Aber selbst wenn sie überzeugten, w ä r e nicht erwiesen, daß Theisten mit „ G o t t " das denken, w a s im Christentum oder einer anderen religiösen Tradition d a m i t gedacht wird. Anders als Shaftesbury wird m a n deshalb nicht sagen können, daß niemand „ a settled C h r i s t i a n " sein könne, der nicht zuerst „ a g o o d t h e i s t " sei (Inquiry 7 ) . Als natur- bzw. vernunftphilosophische Metakritik der atheistischen Kritik christlicher Überzeugungen sind theistische Thesen allenfalls philosophische Konzeptualisierungen abstrakt gefaßter Teilaspekte des christlichen Glaubens. So konzeptualisieren theistische Gottesbegriffe Teile der Semantik christlicher Rede von G o t t (der Schöpfer als personales Gegenüber, an den sich Glaubende im Gebet wenden), theistische Argumente für Gottes E x i s t e n z dagegen Teile ihrer Pragmatik (die in Glauben und Gebet stets vorausgesetzte Wirklichkeit Gottes). Weil in beiden Hinsichten v o m spezifischen Lebenskontext christlicher Gottesrede abgesehen wird, führen theistische Konzeptualisierungen zu inadäquaten Verkürzungen: „ G o d has n o w become ,a personal being' w h e r e before G o d was absolute Being (not a being) in three persons (not a p e r s o n ) " (Jennings 19), und Gottes E x i s t e n z wird zu einem eigenständigen Diskussionsgegenstand, w ä h r e n d im christlichen Leben und Denken Gottes Wirklichkeit die stets in Anspruch g e n o m m e n e , nicht gesondert thematisierbare und nur um den Preis des Selbstwiderspruchs bestreitbare Grundvoraussetzung ist. So konzeptualisieren ontologische Argumente die im christlichen Leben und Denken stets vorausgesetzte Wirklichkeit, Einzigartigkeit, Herrschaft und Herrlichkeit Gottes als ontologische Notwendigkeit, weisen aber keinen Weg zur Bestimmung von Gottes Identität oder zur Beantwortung der Frage, wer Gott ist (vgl. Hintikka). Kosmologische Argumente konzeptualisieren entsprechend die Glaubenserfahrung der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gottes souveränem Willen als metaphysische Abhängigkeit des Kontingenten vom Notwendigen, scheitern aber an ihrer Vermischung

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verschiedener Arten von Kontingenz (Mackie 84). Und physikotheologische Argumente konzeptualisieren die Glaubenserfahrung der lebensbestimmenden Gegenwart Gottes und seines auf das Heil hin ausgerichteten Schöpfungs- und Erlösungshandelns als teleologische Zweckordnung von Natur und Geschichte, ohne den evolutionstheoretischen Erklärungen teleologischer Phänomene etwas Entscheidendes entgegenzusetzen zu haben (Dalferth, Theology 532ff.). Kurz: Die theistischen Argumente scheitern, weil sie mit Abstraktionen beginnen und mit dem enden, was A.N. -»Whitehead die „fallacy of misplaced concretness" nannte.

2.4. Als vierte Aufgabe theistischen Denkens ist schließlich der Versuch zu nennen, die Behauptung der Unabhängigkeit von Moral und Sittlichkeit von Religion und Gottesglauben zu widerlegen. Während Clarke mit einer objektiven Moralordnung der Welt rechnete, die ebenso strikte Beweise für das Gute und Richtige zu führen erlaube wie Mathematik und Metaphysik für das Wahre, insistierte Shaftesbury darauf, jeder Mensch besitze einen angeborenen Sinn für das Richtige und Falsche, einen „moral sense", der zur menschlichen Natur gehöre und sich nicht der Religion verdanke. Francis Hutcheson (1694-1746; -»Moral Sense 3.2.) vertiefte und verteidigte die Lehre vom moral sense als einer eigenständigen Anlage des Menschen in seinem Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with lllustrations on the Moral Sense (London 1728), während J. -»Butler sie theistisch deutete, indem er den Moralsinn mit Gottes Stimme im Gewissen gleichsetzte. Die ganze moral sense-Tradition wurde entscheidend von Hume kritisiert, demzufolge die radikale Differenz von Sein und Sollen es unmöglich mache, Prinzipien der Moral aus Aussagen über die Natur und über das Gewissen des Menschen zu gewinnen. Damit plädierte er aber gerade nicht für eine theistische Begründung der Moral, sondern gerade umgekehrt für deren noch viel radikalere Autonomie und ebnete so den Weg für Kants religionsunabhängige Ethik der moralischen Autonomie des Menschen. Auch in Fragen der Begründung der Moral erwiesen sich die Bemühungen des Theismus also als kontraproduktiv. Das christliche Verständnis des Guten basiert auf einem Verständnis der Güte Gottes, die sich im Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes manifestiert. Der Theismus dagegen gewinnt sein Verständnis der Güte Gottes über einen Analogieschluß aus dem Verständnis des Guten im menschlichen Leben. Doch je weiter das Verstehen der natürlichen Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten und der menschlichen Freiheit und Sittlichkeit auseinandertraten und je eigenständiger naturphilosophisches und moralphilosophisches Denken und Argumentieren wurde, desto weniger gelang es den Theisten, diese Kluft im Gottesbegriff zu überbrücken. Ihr unitarisches Gotteskonzept bot keine Möglichkeit, im BlickaufdieBegründungmenschlicherMoralprinzipiendie Antinomiezwischen göttlicher Heteronomie und menschlicher Autonomie zu überwinden. Im Gegenteil, ihre Argumentationen führten zum Aufbau einer abstrakten Alternative zwischen autonomer Moral und heteronomem Theismus und trugen so entscheidend zum Prozeß der Säkularisierung bei. Moralität bedarf nicht nur keiner theistischen Fundierung, theistischer Gottesglaube ist unvereinbar mit autonomer Moral. Stehen abertheistischeGottesauffassung und menschliche Autonomie in einem unüberbrückbaren Gegensatz, dann hat das fatale Folgen für ein theologisches Denken, das sich mit dem Aufklärungstheismus und seinen Folgeformen identifiziert (hat): Das Ende des Theismus wird das Ende jeder Theologie bedeuten, die sich nicht auf die andersartigen Grundlagen, Ziele und Formen ihres Denkens Gottes besinnt. 3. Zukunft

des

Theismus?

Der Theismus im umrissenen Sinn hat eine Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte. Zu seiner Vorgeschichte gehören so verschiedene Phänomene wie der platonische Dualismus, das aristotelische Ursachendenken, der stoische Immanentismus, der philonische Personalismus, die negative Theologie des -»Neuplatonismus, der sozinianische Antitrinitarismus (-»Sozzini/Sozinianer) und der Renaissanceatheismus. Seine Geschichte beginnt mit Francis Bacons (1561-1626) neuer wissenschaftlicher Methode, G. -»Galileis Entdeckungen und Descartes' Suche nach sicherer Erkenntnis.

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Sie alle analysieren komplexe Probleme so lange, bis sie auf elementare Gewißheiten stoßen, von denen aus sie gelöst werden können. Auch Gott wird so im Rahmen naturwissenschaftlichen Erklärens und philosophischen Letztbegründungsdenkens als eine der grundlegenden klaren und bestimmten Gewißheiten gedacht (oder zumindest als etwas, das sich von diesen Gewißheiten her zweifelsfrei erschließen läßt). Seine Hochzeit erlebt der Theismus mit Newtons neuer Physik und -»Naturphilosophie und ihren theistischen Deutungen im 18. Jh.: Gott wird als das einfachste selbstevidente Grundprinzip verstanden, das zur Erklärung unserer komplexen Selbst- und Welterfahrung unabdingbar ist, als solches zum Kern aller historischen Religionen gehört und die gemeinsame Transzendenzorientierung einer multikonfessionellen und multireligiösen Gesellschaft jenseits aller partikularen Glaubensüberzeugungen in Gestalt einer universalen Naturoder Vernunftreligion zum Ausdruck zu bringen gestattet. Der Abstieg des Theismus beginnt mit seiner philosophischen Kritik durch Hume und Kant, der wachsenden Einsicht in seine Unvereinbarkeit mit der moralischen Autonomie des Menschen und den ontotheologischen Alternativen Hegels und Schellings. Im 20. J h . schließlich verliert er seine naturphilosophische Basis durch die Umwälzungen in den Naturwissenschaften, seine Pointe durch die Verabschiedung des cartesianischen Projekts in der Philosophie, seine Überzeugungskraft durch die Infragestellung des Erklärungs- und Begründungsdenkens, seine Attraktivität mit der Gewöhnung an atheistische Positionen, seine öffentliche Funktion in der Gesellschaft, weil er nicht mehr als Sicherung, sondern als Infragestellung menschlicher Autonomie verstanden wird und die Überzeugung verfällt, daß der theistische Gottesbegriff eine rational unvermeidliche Einsicht zum Ausdruck bringt. Dennoch kann man nicht pauschal vom Aufstieg und Fall des Theismus reden. Im 17. und 18. J h . hatte der Theismus eine wichtige Brückenfunktion zwischen (christlicher) Theologie, Aufklärungsphilosophie und den Naturwissenschaften. Die kann er heute nicht mehr einnehmen, weil er in einer Zeit des religiösen und kulturellen Pluralismus keine gemeinsame Grundlage für ein verbindliches Gottesverständnis mehr abzugeben vermag. Zu eng ist er mit dem Projekt einer universalen, öffentlichen, neutralen und einheitlichen Vernunft verknüpft, das sich im 20. J h . als grundlegend revisionsbedürftig erwiesen hat. Doch die Aufgabe, das Denken Gottes kritisch auf die kulturelle M a t r i x einer Religion zu beziehen, bleibt auch unter pluralistischen Bedingungen bestehen. Bei aller theologischen Fragwürdigkeit war es eine der wichtigsten Leistungen des Aufklärungstheismus, ein generisches Gotteskonzept jenseits der dogmatischen Differenzen der streitenden Religionsparteien bereitzustellen. Auch wenn es primär zur Widerlegung des Atheismus entworfen war, leistete es doch zugleich etwas anderes: Es etablierte einen Diskursbereich öffentlichen, vernunftgeleiteten Redens von Gott, in dem in überprüfbaren Verfahren und nach akzeptierten Kriterien religiöse und nichtreligiöse Ansprüche, Behauptungen und Überzeugungen geklärt, diskutiert und beurteilt werden konnten, ohne daß der Anspruch erhoben werden mußte, die eine einzig wahre Religion zu vertreten. Diese Aufgabe ist nicht an ein einheitliches Vernunftkonzept gebunden. Sie steht auch in einer pluralistischen Kultur unabweisbar auf der Tagesordnung, nur muß sie plural und sensibel für die Verschiedenheiten unterschiedlicher religiöser und nichtreligiöser Diskurs- und Lebensbereiche bearbeitet werden (Dalferth, Theology 147f.; ders., Roots 42f.). Literatur

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206 Theismus,

Theismus,

Spekulativer

Spekulativer

1. Zum Begriffsgebrauch 2. Hauptvertreter und Wirkungsgeschichte das Grundproblem endlicher Freiheit (Quellen/Literatur S. 209)

1. Zum

3. Grundzüge und

Begriffsgebrauch

Der wohl auf die Streitigkeiten um J. G. -»Fichtes (vermeintlichen oder wirklichen) Atheismus zurückgehende (Karl Leonhard Reinhold [1758-1823]) Titel „Spekulativer Theismus" ist bis auf den heutigen Tag Anzeige für ein Desiderat in der geschichtlichen Selbstreflexion der Philosophie. Darauf verweist schon die gar nicht so äußerliche Tatsache, daß sich dieser Begriff ebensowenig hat durchsetzen können wie alternative Vokabeln, von denen der durch K. Leese eingeführte Terminus „Spätidealismus" nur der bekannteste ist. In dieser Verlegenheit bekundet sich indessen mehr als der allerdings festzuhaltende Tatbestand, daß es den Spekulativen Theisten nicht gelungen ist, sich zu einer „Schule" im auch nur weiteren Sinne des Wortes zusammenzuschließen; Heterogenität der Systementwürfe ist im gewissen Sinne Programm (wenngleich nicht Selbstzweck) einer Bewegung, die sich in der 1837 begründeten Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie (ZPSTh; dazu Ravera 129-193) ein gegenüber der „modernen Scholastik", insbesondere der Hegel-Schule (-*Hegel/Hegelianismus II.l.), ausdrücklich konfessions- wie schulübergreifendes, auf „Vermittlung" bedachtes Diskussionsforum geben wollte: Philosophie ist nicht mehr das Werk eines Einsam-Einzelnen oder das Geschehen einer unpersönlichen Vernunft; ihr KOIVÖQ Xöyoq, das hat vor allem Immanuel Hermann Fichte (1796—1879) geltend gemacht, ist vielmehr „ein unendlich höheres und reicheres Dritte[s]": ein wesentlich intersubjektives Geschehen und als solches Resultat eines universalen hermeneutischen Prozesses (I.H.Fichte, Schriften I, 252f.), der gerade durch Aufweis der in der Geschichte der Philosophie noch ungelösten Gegensätze den Absolutheitsanspruch des Hegeischen Systems in Frage stellen wollte. 2. Hauptvertreter

und

Wirkungsgeschichte

Haupt dieser Bewegung sind unbestritten I.H. Fichte, der Sohn J.G. Fichtes, und Christian Hermann Weiße (1801—1866), der spätere akademische Lehrer Rudolf Hermann Lotzes (1817-1881). I.H. Fichte wurde nach Verlust seiner Dozentur in Berlin (1822) durch die Karlsbader Beschlüsse zunächst 1840 ordentlicher Professor in Bonn, 1842 dann in Tübingen. Die politischen Ereignisse des Jahres 1848 verhinderten es, daß Fichtes Idee einer „Philosophenversammlung", zu der er erstmalig 1847 nach Gotha eingeladen hatte, verwirklicht wurde. Ch.H. Weiße trat 1847 mit der Rede In welchem Sinne die deutsche Philosophie jetzt wieder an Kant sich zu orientieren hat seine Professur in Leipzig an. Noch im gleichen Jahr erfolgte seine Nostrification in der theologischen Fakultät mit der Schrift Martinus Lutherus quid de consilio mortis et resurrectionis Jesu Christi senserit (Leipzig 1845). Zu den führenden Köpfen des Spekulativen Theismus gehört ferner der vor allem durch seine Hegel-Kritik bekannte Hermann Ulrici (18061884), der seit 1847 zusammen mit Fichte und Johann Ulrich Wirth (1810-1879) die inzwischen umbenannte Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik herausgab. Neben solchen Autoren, die dem Spekulativen Theismus nahestanden oder doch zumindest als verwandt empfunden wurden (dazu zählen etwa F.X. von -»Baader, Anton Günther [1783-1863] und Karl Christian Friedrich Krause [1781-1832], Teile der rechten Schule Hegels, Friedrich Adolf Trendelenburg [1802-1872] sowie Anhänger des späten -»Schelling wiez. B. Hubert Beckers [ 1 8 0 6 1889]), sind noch zu nennen: der Kieler Philosophieprofessor Heinrich Moritz Chalybäus ( 1 7 9 6 1862), der (wie vor ihm bereits Wirth) vor allem durch den Entwurf einer „speculativen Ethik" hervorgetreten ist und mit seiner Historischen Entwickelung der speculativen Philosophie von Kant bis Hegel (erstmals erschienen 1837) eine vielfach aufgelegte, noch heute lesenswerte Philosophiegeschichte vorgelegt hat; ferner der akademische Lehrer des Grafen Paul Yorck von Wartenburg (1835-1897), Christlieb Julius Braniß ( 1 7 9 2 - 1 8 7 3 ; zu ihm Scholtz), der seit 1842 in Freiburg leh-

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Spekulativer

207

rende J a k o b Sengler ( 1 7 9 9 - 1 8 7 8 ; zu ihm Eichinger), der Rechtsphilosoph F.J. -»Stahl, der in Erlangen als Professor der Philosophie wirkende Karl Philipp Fischer ( 1 8 0 7 - 1 8 8 5 ) sowie der Ästhetiker M o r i t z Carriere ( 1 8 1 7 - 1 8 9 5 ) .

Im Gegensatz zu vereinzelten Stellungnahmen der „Schule" (vor allem Julius Schaller [1810-1868] und Carl Friedrich Göschel [1784-1861]; vgl. auch Julius Frauenstädt [1813-1879]) und abgesehen von der katholischen —• Tübinger Schule (hier besonders Franz Anton Staudenmaier [1800-1856]) sind vor allem von protestantischer Seite - hier insbesondere I.A. —»Dorner sowie die spekulative -»Vermittlungstheologie um R. -•Rothe (Karl Theodor Albert Liebner [1806-1871], Hans Lassen Martensen [18081884], Ernst Sartorius [1797-1859]) - die Bemühungen der Spekulativen Theisten zum Teil eingehend gewürdigt und vielfach begrüßt worden (vgl. Trappe, Allmacht). Einer weitergehenden Rezeption eher hinderlich dürfte der Umstand gewesen sein, daß sich mit den späten Arbeiten von Fichte und Ulrici der Spekulative Theismus zusehends in Richtung auf den sog. „Spiritismus" hin umgestaltet hat. Obwohl er so in die (noch keineswegs gänzlich aufgearbeitete) Vorgeschichte der Psychoanalyse gehört - vermittelt über Eduard Hartmann (1842-1906) führte diese Entwicklung dazu, daß er (seinen eigenen Intentionen geradewegs entgegengesetzt) mehr und mehr in den außerwissenschaftlichen Raum abgedrängt wurde. Erst mit der Hegelrenaissance sowie im Zuge des Neuidealismus (namentlich Rudolf Eucken [1846-1926]) in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jh. flammte das Interesse an dieser Bewegung kurzfristig wieder auf und wirkte - allerdings auf mehr anonyme Weise (zum Teil vermittelt über die Arbeiten H. Heimsoeths) - im Personalismus (M. -»Scheler) fort. 3. Grundzüge

und das Grundproblem

endlicher

Freiheit

Es soll sich hier darauf beschränkt werden, die Frage nach der Verstehbarkeit endlicher Freiheit als ein Problemzentrum des Spekulativen Theismus herauszuarbeiten. Dabei ist zu berücksichtigen: Dieses Problem gibt es als solches dann und nur dann, wenn die Philosophie ihren Anspruch, Theorie des Absoluten sein zu wollen, aufrechterhält. Denn der alternative (namentlich der Kantische) Standpunkt ist - so die letzten Endes auch für Weiße und Fichte (ausdrücklich gegen Trendelenburg) verbindliche Argumentation Hegels — zum einen dialektisch inkonsistent, insofern er seine eigenen Sinnbedingungen schlechterdings leugnet; und er ist zum anderen selbstwidersprüchlich, indem er absolut setzt, was seinem Wesen nach gerade relativ und bedingt ist: das Endliche. Aus dieser Einsicht, daß das philosophische Thema, das „Selbstverständliche" (der absolute Geist als das wahrhaft Sich-selbst-Verstehende: vörjait; vorjaecot;), nicht zusammenfällt mit dem unmittelbaren Gewissen, dem endlichen Subjekt, resultierte indessen bei Hegel, was seine Methode aus der Perspektive einer „christlichen Weltansicht" (I.H. Fichte, Bedingungen 35f.) fragwürdig werden ließ (vgl. Hartmann): daß gerade in seiner Konzeption des sich selbst entfaltenden Absoluten das Endliche nur als „Moment", mithin zwar „unterschieden" von jenem, nicht aber als „selbständig seiend" gefaßt werden konnte. Es zeichnet den spekulativ-theistischen Ansatz aus, daß er — anders als die linkshegelianische, existenzialtheologische (S. -»Kierkegaard) oder universalhistorische (W. —»Dilthey) „anthropologische Wende" - das Endliche in seiner Selbständigkeit nicht gegen, sondern mit Hegel, und das konnte nur heißen: über ihn hinaus, zu denken versucht hat. Das zwang freilich nicht zu einer bloßen „Modification", sondern zu einer „nochmaligen" „Umgestaltung" der Grundlage des Hegeischen Systems: der Logik (Burkhardt, Kritik). Denn für diese ist das „Nichtsein des Endlichen" nicht nur (erstens) die logische Konsequenz seiner inneren, es (selbst-)aufhebenden Widersprüchlichkeit, sondern (zweitens) gerade darin der (indirekte) Beweis für das „Sein des Absoluten". Beides hat der „speculative Theismus" grundsätzlich in Frage gestellt. Denn ihm ist Prinzip nur, was sich gerade nicht durch das („perennierende") Auflösen der Endlichkeiten/Widersprüche als Absolutes beweist, sondern gerade im Setzen solcher Differen-

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Theismus,

Spekulativer

zen. Darin liegt negativ: Hegels Philosophie kennt keine echte „substantielle" (Weiße) „Transcendenz" (Fichte) bzw. „Verschiedenheit" (Ulrici), sondern ist ein einziges „monistisches" System der „Immanenz", d.h. einer selbst in ihrer Entäußerung zur Natur sich letztlich doch bloß in sich unterscheidenden und insofern bei sich bleibenden Vernunft. Der den spekulativen Theisten gemeinsame Versuch, dasjenige zu denken, was „mehr" und anderes ist als der sich in der „absoluten Idee" „rest"-los aus-denkende Begriff, ist bei Fichte wie bei Weiße (Burkhardt, Begriff) mit dem Anspruch einer der Logik (Fichte: „Ontologie"; Weiße: „Metaphysik") durchaus „immanenten Kritik" verbunden. So ist für Weiße das metaphysische System der Kategorien zwar „absolut" (und in diesem Sinne wirklich „voraussetzungslos"), dies jedoch in einem bloß „negativen", der Ergänzung durch einen „positiven" „Gehalt" bedürftigen Sinne: Denn die von Hegel übernommene Dialektik erweist nicht nur, so Weiße, die Nichtigkeit jedes einzelnen (wenngleich „nichtnichtseynkönnenden") Vernunftbegriffes, sondern auch diejenige seiner Totalität insgesamt (Henrich 238ff.). Es ist gerade die Anwendung der logisch-notwendigen Dialektik „gegen sich selbst" (Weiße, Metaphysik 71), die über das „System der Notwendigkeit" hinausführt zu der Anerkenntnis, daß nicht in ihm, sondern nur in der „freien Wirklichkeit" das ÖVTCÜQ ÖV gefunden werden kann. Die Einsicht, daß damit das Gebiet apriorischer Dialektik zugunsten von Erfahrung und Geschichte verlassen ist, teilt Weiße mit Fichte. Im Unterschied freilich zu jenem vollzieht sich bei diesem der Schritt zur („spekulativen") „Empirie" als der Sphäre freier, die Person „offenbarender" „Thaten" (so Stahl; dazu Trappe, Selbstoffenbarung) noch vor der Rea/philosophie, mithin innerhalb der Ontologie selbst. Dies geschieht durch ein gegenüber Hegel grundsätzlich verändertes Verständnis von „Wirklichkeit", die sich am Ende der Wesenslogik als „Notwendigkeit" und in weiterer Folge zu ihrer „Wahrheit": der „Freiheit" im Sinne der den „Begriff" kennzeichnenden Wechselbewegung, „nur mit sich" (G.W.F. Hegel, Encyclopaedie der philosophischen Wissenschaften, Heidelberg 3 1830, § 158) fortentwickelt hatte. Denn mit dem Fortfall der subjektiven Logik - sie rückt bei Fichte ein in das „anthropocentrische", ausdrücklich von Kant her (Lehmann; Köhnke 88ff.) argumentierende Programm einer erkenntnistheoretischen, dem System der Philosophie jedoch immanenten Begründung der Existenz des Absoluten (Fulda 67ff.) - soll zum Ausdruck kommen: Die dialektisch-kategorial voll ausgefaltete Bedeutung dessen, „was da Wirklichkeit an sich heiße" (Fichte, System II, 7; vgl. 286.470), ist nicht jenseits der „Wechselwirkung" zu finden, sondern nur in dieser als „persönlicher" Geist. Persönlichkeit als „Existentialform" allen Geistes aber ist wesentlich nicht bloß als Subjekt-Objekt-, sondern als Subjekt-Subjekt-Relation zu verstehen (ebd. 507). Diese ist das Kernthema des abschließenden dritten, die Hegeische Lehre vom Begriff ersetzenden Teils der Ontologie: der „speculativen Theologie". Indem so der „Person" die Stellung eines letzten, konkreten und insofern prinzipiellen Begriffes zugewiesen wurde - sie, nicht Subjektivität, ist das wahrhafte (Ur-)System (Stahl) - , liegt im Spekulativen Theismus der historisch wohl erstmalige Versuch vor, die Fundamentalphilosophie ausdrücklich um die Dimension intersubjektiver Strukturen zu erweitern. Daß dies nur möglich ist unter den Bedingungen eines Absoluten, das nicht bloß als an und für sich seiender („transcendenter"), selbstbewußter Urgrund der Welt, sondern darüber hinaus auch als „zwecksetzende" Persönlichkeit gedacht wird; daß mithin der Theismus wahrhaft „speculativ" nur ist, wenn er nicht bloß (wie beim späten Schelling) eine „naturalistische", sondern „ethische" Gestalt angenommen hat (LH. Fichte, Schriften I, 265-338), ist eine Einsicht, die durch H.M. Chalybäus ausdrücklich gegen Fichte geltend gemacht und zu einer grundsätzlichen Infragestellung der bisherigen Logik bzw. Metaphysik ausgeweitet wurde. Denn Fichtes Versuch, das Verhältnis der absoluten Persönlichkeit zum endlichen „Geisteruniversum" durch die an Leibniz-Herbart (G.W. -»-Leibniz; J.F. -»•Herbart) anknüpfende „monadologische" Idee eines „ewig Endlichen" („Urposition") verständlich zu machen, schlägt nach Chalybäus nicht zufällig wieder um in eine „panewtheistische" Auffassung, die Sinn und Vollendung aller

Theismus,

Spekulativer

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Endlichkeit letztlich doch wieder in einer sich ins Absolute hinein „verflüssigenden" „Entselbstung" glaubt finden zu müssen. D a s Denken endlicher Freiheit ist demgegenüber für Chalybäus nur möglich, wenn diese als solche gewollt, d.h. das Absolute als „positive L i e b e " verstanden wird. Erst sie garantiert, d a ß die Logik wirklich Metaphysik, philosophia prima, d.h. Prinzip nicht nur der N a t u r - , sondern auch der Geistphilosophie sein kann. Denn es ist, so Chalybäus, der entscheidende M a n g e l der bisherigen (auch Hegeischen) Metaphysik, daß sie die (onto-)logische Bedeutung der Ethik nicht anerkannt, d.h. diese nicht kategorial fundiert hat. Indem sie selbstbewußte Subjektivität voraussetzt, ist Liebe als die wahrhaft höchste Kategorie das Dritte gegenüber Substanz und Subjekt: reflexive Intersubjektivität. Quellen Heinrich Moritz Chalybäus, Die ethischen Kategorien der Metaphysik: ZPSTh 8 (1841) 1 5 5 211. - Ders., Entwurf eines Systems der Wissenschaftslehre, Kiel 1846. - Ders., System der speculativen Ethik, 2 Bde., Leipzig 1850. - Immanuel Hermann Fichte, Grundzüge zum System der Phil., 3 Bde., Heidelberg 1822-1846 (Nachdr. Aalen 1969). - Ders., Beitr. zur Charakteristik der neueren Phil., Sulzbach 1829 2 1841 (Nachdr. Aalen 1983). - Ders., Über die Bedingungen eines spekulativen Theismus, Elberfeld 1835. - Ders., Vermischte Sehr, zur Phil., Theol. u. Ethik, 2 Bde., Leipzig 1869 (Nachdr. Aalen 1969). - Ders., Die theistische Weltansicht u. ihre Berechtigung, Leipzig 1873. - Hermann Ulrici, Ueber Princip u. Methode der Hegeischen Phil., Halle 1841 (Nachdr. Hildesheim 1977). - Ders., System der Logik, Leipzig 1852. - Ders., Gott u. die Natur, Leipzig 1862 '1866. - Ders., Art. Theismus: R E l 15 (1862) 6 9 0 - 7 0 4 . - Christian Hermann Weiße, Über den gegenwärtigen Standpunct der phil. Wiss., Leipzig 1829. - Ders., Über das Verhältnis des Publicums zur Phil, in dem Zeitpuncte v. Hegel's Abscheiden, Leipzig 1832. - Ders., Die Idee der Gottheit, Dresden 1833. - Ders., Über die eigentliche Grenze des Pantheismus u. des phil. Theismus: Rel. Zs. f. das kath. Deutschland 1/2 (1833) Bd. 1, 3 1 - 5 1 . 1 4 3 - 1 5 3 . 2 2 7 - 2 3 9 ; Bd. 2, 9 9 - 1 1 9 . 2 4 4 269. - Ders., Grundzüge der Metaphysik, Hamburg 1835. - Ders., Das phil. Problem der Gegenwart, Leipzig 1842. - Ders., Phil. Dogmatik, 3 Bde., Leipzig 1 8 5 5 - 1 8 6 2 (Nachdr. Frankfurt a.M. 1967). - Ders., Art. Gott: AEWK Sect. I, Theil L X X V (1862) 3 9 5 - 4 7 9 . Literatur Bernd Burkhardt, Hegels „Wiss. der Logik" im Spannungsfeld der Kritik, 1993 (SMGP 18) (Lit.). - Ders., Der spekulative Begriff u. das „positive M e h r " : PhJ 101 (1994) 2 7 7 - 3 0 6 . - Franz Eichinger, Die Phil. Jakob Senglers als phil. Theol., 1976 (SThGG 18). - Julius Frauenstädt, Die Freiheit des Menschen u. die Persönlichkeit Gottes, Berlin 1838. - Hans Friedrich Fulda, Das Problem einer Einl. in Hegels Wiss. der Logik, 1965 2 1975 (PhA 27). - Carl Friedrich Göschel, Der Monismus des Gedankens, Naumburg 1832. - Albert Hartmann, Der Spätidealismus u. die Hegeische Dialektik, 1937 (NDF 163) (Nachdr. Darmstadt 1968). - Heinz Heimsoeth, Metaphysik der Neuzeit, 1927 (HPb 1 F) (Nachdr. München 1967). - Dieter Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, Tübingen 1960. - Walter Jaeschke, Absolute Idee - absolute Subjektivität: ZPhF 35 (1981) 3 8 5 - 4 1 6 . - Ders., Die Vernunft in der Religion, 1986 (Spekulation u. Erfahrung 2/4). Theo Kobusch, Die ethischen Kategorien der Metaphysik: AZP 15 (1990) 1 3 - 3 7 . - Klaus-Christian Köhnke, Entstehung u. Aufstieg des Neukantianismus, 1986 = 1993 (stw 1087). - Stefan Koslowski, Idealisn us als Fundamentaltheismus, Wien 1994 (Phil. Theol. 5). - Günter Krück, Hegels Religionsphil. der absoluten Subjektivität u. die Grundzüge des spekulativen Theismus Christian Hermann Weißes, Wien 1994 (Phil. Theol. 4). - Kurt Leese, Phil. u. Theol. im Spätidealismus, Berlin 1929. - Gerhard Lehmann, Kant im Spätidealismus u. die Anfänge der neukantianischen Bewegung: ZPhF 17 (1963) 4 3 8 - 4 5 6 . - Marco Ravera, Studi sul teismo speculativo tedesco, 1974 (SdF 10). - Julius Schaller, Die Phil, unserer Zeit, Leipzig 1837. - Gunter Scholtz, „Historismus" als spekulative Geschichtsphil. Christlieb Julius Braniß, 1973 (SPLNJ 19). - Tobias Trappe, Allmacht u. Selbstbcschränkung Gottes, 1997 (ThSt[B] 142). - Ders., Selbstoffenbarung u. Freiheit: PhJ 104 (1997) 150-170. Tobias T r a p p e

Theodizee I

210 Theodizee I. II. III. IV. V. VI.

Religionsgeschichtlich Altes Testament . . Judentum Dogmatisch . . . . Praktisch-theologisch Philosophisch . . .

S. 215 S. 218 S. 222 S. 229 S. 231

I. Religionsgeschichtlich 1. Das Thema aller Religionen 2. Paradoxien 3. Religionsgeschichtliche 4. Ansätze zu einer mystisch-monistischen Lösung (Literatur S. 214)

1. Das Thema

aller

Lösungen

Religionen

Die neuere Religionsforschung stellt zu Recht in Frage, daß sich das Theodizeeproblem in „polydämonistischen" bzw. „polytheistischen" Systemen nicht stellt, weil bereits die Vielzahl von guten und bösen Dämonen, Geistern und Gottheiten das Problem der Herkunft des Leids und den Ursprung des Übels beantworte, die Numina hierarchisch geordnet und je nach ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich oder haftbar gemacht werden (vgl. Fulton 289). Denn obwohl der Symbolkosmos solcher Systeme für jedes Schicksal eine wie auch immer mythisch begründete Erklärung bereithält (O'Flaherty, Origins 2: „it is the touchstone of all religions"; vgl. Obeyesekere 9), bleibt die Frage, woher das Leid kommt und warum es Schuldige wie Unschuldige treffen kann, letztlich unbeantwortet. Der Glaube bietet keine Garantie für eine gerechte Vergeltung. 2.

Paradoxien

Babylonische Texte aus dem 12. Jh. v. Chr. zeigen, daß die Hiobsfrage universalisierbar ist: „Wo haben Sterbliche (je) das Tun und Lassen des Gottes begriffen?" (Walter Beyerlin, Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, 1975 [GAT 1] 163; vgl. Hi 11,7ff.; Koh 8,16f.; 11,5). Von hier ist es kein weiter Weg zu den Bußpsalmen des Alten Testaments einerseits und der religionsgeschichtlichen Rezeption von -»Piatos programmatischer Formel andererseits, daß Gott „schuldlos" (Oedt; ävahiOQ) sei (-»Schicksal IV.l.), auch wenn seine Geschöpfe zu Unrecht leiden. „Die Schuld liegt" in jedem Falle „an dem, der gewählt hat" (resp. X,617e). Si deus bonus, unde malum? Diese Frage liegt allen Religionssystemen zugrunde, die sich — im Unterschied zu philosophischen Antworten (vgl. I. -»Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee [1791]: ders., Werke, hg. v. Ernst Cassirer, Berlin, VI 1914, 121) - nicht mit ihrer Unlösbarkeit abfinden wollen. Nach M. -»Weber hat die „metaphysische Vorstellung über Gott und Welt, welche das unausrottbare Bedürfnis nach der Theodizee hervorrief, . . . nur drei Gedankensysteme" erzeugt, „welche rational befriedigende Antworten auf die Frage nach dem Grunde der Inkongruenz zwischen Schicksal und Verdienst gaben": die Lehre vom Karma, den Dualismus Zarathustras und „das Prädestinationsdekret des Deus absconditus", wie es sich sowohl im Islam wie im Calvinismus darstellt (Weber, Wirtschaftsethik 95.520.521). 3. Religionsgeschichtliche 3.1. Die dualistische

Lösungen Lösung

Weber billigt dem dualistischen Lösungsversuch (-»Dualismus) nicht nur höchste religiöse Kompetenz zu, sondern sieht in ihm auch die einzige Möglichkeit, eine „Systematisierung des magischen Pluralismus der Geister" in Gut und Böse, Licht und

Theodizee I

211

Finsternis, Wahrheit und Lüge, Reinheit und Unreinheit durchzuführen (ebd. 520f.). Damit verzichte der religiöse Dualismus auf die Allmacht nur eines Gottes und der Prädestinationsglaube auf die Allgüte bzw. Allbarmherzigkeit der Gottheit. 3.2. Die prädestinatianische

Lösung und der freie Wille im Islam

Der Islam diskutiert eine Form der Theodizee, die auf dem freien -»Willen beruht, zugleich aber mit dem Prädestinationsdogma (-»Prädestination) in Einklang zu bringen ist. Danach ist Gott in der Lage, Geschöpfe mit einem freien Willen zu erschaffen, die er nicht von vornherein auf ein bestimmtes Schicksal festgelegt hat, sondern die zum Tun des Guten wie des Bösen frei und fähig sind. Es hängt von den Geschöpfen selbst ab, ob sie Gutes oder Böses tun wollen. Beim Schöpfungsakt setzt Gott also die Welt der Möglichkeit des Leidens und des Bösen aus (Watt/Marmura 87). Im Q u r ' ä n selbst scheint jedoch eine Theodizee des freien Willens, wie sie vor allem die Qadariten bzw. Mu'taziliten vertreten, keinen Anhaltspunkt zu haben, weil die Souveränität Allahs die „absolute Kontrolle über das menschliche Verhalten" besitzt (vgl. Green 4 3 8 ) . Kennzeichnend dafür ist Sure 6,125: „Wenn G o t t einen rechtleiten will, weitet er ihm die Brust für den Islam. Wenn er aber einen irreführen will, m a c h t er ihm die Brust eng und b e d r ü c k t " (vgl. Sure 61,5). Auch Sure 4 , 7 8 ist Beleg für Gottes Allmacht: „Wenn sie [die Menschen] etwas Gutes trifft, sagen sie: ,Das k o m m t von G o t t ' . Wenn sie aber etwas Schlimmes trifft, sagen sie: ,Das k o m m t von dir.' Sag: .Alles kommt von G o t t ' " . Wenngleich solche und ähnliche Verse als Belege für die Prädestination gelten oder auch - wie Sure 16,93 - als Willkür ausgelegt werden konnten, wurden sie ursprünglich als Warnrufe gegen die Feinde des Propheten geoffenbart. Es gibt aber Stellen, die durchaus als Grundlage für die spätere (qadaritische) Diskussion über den freien Willen dienen konnten, so Sure 16,104; 3 , 8 6 , die von Rechtleitung ( h u d ä ) und Irreführung ( i d l ä l ) sprechen und dabei das Tun des Bösen der Verfügungsgewalt des menschlichen Willens anheimstellen.

3.3. Die karmische

Lösung

3.3.1. Hinduismus. Die verbreitete Meinung, die indischen Religionen würden das Problem des Übels ausblenden, überhaupt nicht erkennen oder für mäyä (Täuschung) oder asat (nicht-existent) halten, weil eine Rechtfertigung Gottes überflüssig sei und das Leiden ohne jedwede göttliche Kontrolle geschehe, erweist sich nach den Forschungen von W. D. O'Flaherty (Origins 4f.) als nicht haltbar. Allenfalls bedarf die Definition dessen, was „Übel" und „Leid" im indischen Kontext bedeuten, einer Korrektur. Doch der Sachverhalt ist gegeben. Die Begriffe päpä (im Rig Veda im Sinne von „übel gesonnen") und karoti (bezeichnet das Tun des Übels) lassen sich in der Regel nicht mit dem biblischen Sündenbegriff vergleichen; vielmehr gilt päpä (Sanskrit) als Fehler der Natur: „Evil is not primarily what we do; it is what we do not wish to have done to us" (O'Flaherty, Origins 7). Das Böse, das wir begehen, ist die Folge von moha oder mäyä, und es ist Gott, der sowohl moha wie mäyä hervorbringt. Im übrigen hat jede literarische Epoche ihre besondere Einstellung zum Übel: Die vedische Religion (—• Veda und Upanishaden) scheint die tragischen Aspekte des Lebens zu ignorieren, die Upanishaden geben Einblicke in die (wesentlich böse) Natur des Daseins, die Götter in ihre Unzulänglichkeit und karmische Verstrickung eingeschlossen; die epische und puränische Epoche erst bezeichnet das Übel als todbringend und gottlos (vgl. O'Flaherty, Origins 375). Gegen Ende der Upanishadenzeit (ca. 400 bis 500 n.Chr.), doch wahrscheinlich schon in vedischen Texten (dort ohne den Begriff zu nennen), in denen die Furcht vor einem (frühzeitigen) Tode dokumentiert ist, wird die Lehre vom karman zur Antwort auf die Theodizeefrage. Sie löst das Problem dadurch, daß sie das Übel in der Welt mit der Reinkarnation und dem Geburtenkreislauf (samsära) in Verbindung bringt und die Leiden der Geschöpfe auf die eigenen in vorherigen Existenzen begangenen Taten zurückführt. Somit ist die gegenwärtige Leidenserfahrung das unmittelbare Ergebnis jener guten und bösen Taten, die man in früheren Existenzen angehäuft und in den Prozeß der Seelenwanderung eingebracht hat. Das schlechte karman verringert sich durch gute Taten, die man im gegenwärtigen Leben erbringt, aber es wird nie gänzlich aufgehoben.

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Theodizee I

O'Flaherty (Origins 14) bezeichnet es als „the outward visible sign [z.B. Krankheit und Unglück] of past invisible deeds". Das Übel, das wir erfahren, wird auf diese Weise durch die üblen Taten der Vergangenheit gerechtfertigt, läßt sich aber während künftiger Wiedergeburten abbauen. Übel und Leiden sind also weder Gottes noch der Menschen noch eines Teufels Schuld, sondern Teil des ewigen Kreislaufs, durch den letztlich alles gerechtfertigt oder ausgeglichen wird (ebd.). Die Frage lautet also: Wie entkomme ich diesem verhängnisvollen Kreislauf der Geburten? Selbst die Götter unterliegen dem moralischen Gesetz von Ursache und Wirkung, auch wenn sie zuweilen in der Lage sind, sich über die Macht des kartnan hinwegzusetzen und reuigen Sündern zum Glauben zu verhelfen (vgl. Ramanuja: O'Flaherty, Origins 16; Green 439). Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Macht der Gottheit der automatischen Wirksamkeit des Vergeltungsgesetzes unterliegt. Kein Wunder, daß M . Weber im karman „die formal vollkommenste Lösung des Problems der Theodizee", aber auch zugleich „die radikalste Lösung" sieht (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft 300.301). G. Obeyesekere behauptet gar: „In einer Kultur, die eine Theorie des Leidens wie die des karma besitzt", könne „das Problem einer Begründung des ungerechten Leidens einfach nicht entstehen" (vgl. Obeyesekere 10.11). Doch die karman-Hypothese birgt in sich den Fehler, daß sie sich gegen den Glauben an eine Allmacht und eine Allwissenheit der Gottheit wendet und damit das eigentliche Theodizeeproblem umgeht: Unter dem Übergewicht des karman verliert die Gottheit ihre Allmachtstellung, und selbst dort, wo sie das karman kontrolliert bzw. wo das grundlose Übel auf vorhergehendes karman zurückgeführt wird, läßt sich das Übel insgesamt nicht rechtfertigen (Herman 511). Die Götter unterliegen vielmehr den gleichen fearwan-Strukturen wie die Menschen, ja, das gesamte Universum befindet sich in der Gewalt des karman. N u r selten heißt es von den Göttern: Was sie tun, „trägt keine Frucht, weder gute noch schlechte, wie es bei den Menschen der Fall ist" (Matsya Puräna, Poona 1909 [Anandasrama Sanskrit Ser. 54] 4.6). Sie tragen keine Verantwortung für das Schicksal der Menschen und haben sich moralisch nicht zu rechtfertigen. 3.3.2. Buddhismus. Diese in gewissem Sinne „fatalistische" Lösung des Problems findet auch im Buddhismus Zustimmung. Auch hier lautet die Frage nicht: Woher das Leiden? Woher das Übel?, sondern: Wie kann ich dem Geburtenkreislauf entkommen, der die Ursachen für meine jetzigen Leiden in meinen früheren Existenzen festgelegt hat und gleichzeitig die Grundlagen für die Leiden meiner künftigen Existenzen festlegt? Die Frage nach einer Theodizee (und Anthropodizee) wird also nicht nur deshalb nicht gestellt, weil der (ältere) Buddhismus die Allmacht der Götter leugnet und eine nichttheistische Religion ist, sondern vor allem, weil das Leben und mit ihm dukkha, das Leiden, zyklisch verläuft und weder Anfang noch Ende kennt. Alles Leiden ist daher verdientes Leiden; es gibt kein unschuldiges Leiden; selbst der Tod unschuldiger Kinder hat seinen Grund in einer früheren Existenz dieser Kinder. Dem Geburtenkreislauf gilt es zu entkommen, das karman gilt es abzubauen, einschließlich des guten karman, damit der samsära keine „ N a h r u n g " mehr bekommt, sondern aufhört, und damit das Leiden erlischt. Der Buddha stellt nicht nur die Diagnose, sondern gibt auch therapeutische Anweisungen, wie das Leiden zu überwinden ist, z.B. im Achtfältigen Pfad ( d u k k h a nirodhagämint pratipad): Die Vierte Edle Wahrheit handelt vom Erlöschen des Leidens, dem Aufhören der Verblendungen und karmischen Verstrickungen, der Erlösung von der Welt des Werdens und Wiederwerdens. Noch deutlicher wird die buddhistische Position an der Lehre vom Abhängigen Entstehen (paticcasamuppäda), die nichts dem Zufall überläßt, vielmehr alles Geschehen gesetzmäßig, nämlich „in Abhängigkeit" von Bedingungen, regelt. Sie zeigt auf, daß Unwissenheit (avijjä) der „Anlaß" ist, welcher den karmischen Prozeß in Bewegung setzt und beim Wiedergeburtsprozeß enden m u ß , der seinerseits das Altern und Sterben zum Inhalt hat. Mit ihm beginnt das Leiden von neuem (Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch, Konstanz 1952, 162-173). N u r wer

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diesen Werde- und Vergehensprozeß durch vijjä (Wissen) durchschaut, ist in der Lage, ihn auch zu durchbrechen. O b sich aber daraus eine Art „Theodizee", die auf dem freien Willen beruht, ableiten läßt, bleibt fraglich. 3.4.

„Glaubenslösungen"

3.4.1. Die eschatologische Theodizee. Der eschatologische Wert der Theodizee ist offensichtlich: Das Leiden wie das Böse auf Erden warnen den Gläubigen vor den Strafen im Jenseits; denn dort erwartet ihn ein Gericht mit einer letzten ausgleichenden Gerechtigkeit ('adl): Die Frommen werden belohnt, die Gottlosen bestraft (Sure 81,1-14; andererseits Sure 9,74; 75,22-24; 76,11-21). Vornehmlich dem Leiden kommt in den Religionen eine eschatologische Bedeutung zu: Jenseits von Leben und Tod werde es eine Wiedergutmachung geben, welche Folge des Erbarmens der Gottheit ist: Die Gerechten werden auferstehen, eine neue (auch physisch neue) Seinsweise annehmen, in ein „Reich Gottes" eingehen usw. Eine solche „kompensatorische Theodizee" hat poimenischen Charakter und setzt den Glauben an ein Weiterleben voraus. 3.4.2. Die pädagogische Theodizee. Das gleiche gilt für den erzieherischen Wert, den die Theodizee besitzt. Die Leiden Unschuldiger, so wird argumentiert, dienten der Stärkung des Glaubens und bereicherten ihn; die N o t schließe die Frommen enger zusammen und lehre sie beten; ihre Einstellung zum Leben, ihre religiösen Erfahrungen gewönnen an Tiefe, ihre charakterlichen Eigenschaften erhielten neue Dimensionen (Herman 200) und entwickelten vorher nicht gekannte Fähigkeiten, z.B. das Mitleiden mit Mensch und Kreatur usw. Auch hier sind aber die Grenzen offensichtlich; denn Leiden verbittert ebenso, zerstört, lehrt fluchen. Der Leidende verzweifelt oft an der Gerechtigkeit Gottes (Babylonische Bußpsalmen) und an der „besten aller Welten". Überdies lassen sich seelsorgerliche Kriterien nur auf die Bekenner anwenden. 4. Ansätze zu einer mystisch-monistischen

Lösung

Es bleibt zu untersuchen, ob nicht die -»Mystik, die „im Zentrum einer jeden Religion eine durchaus legitime Weise des religiösen Lebens" darstellt (vgl. Carl-Albert Keller, Approche de la mystique, Le Mont-sur-Lausanne, 11989,34), Antworten anbietet. Durch die Koinzidenz der Gegensätze, die ein wesentliches Merkmal der Mystik ist, wird nämlich nicht nur der Dualismus bzw. die Subjekt-Objekt-Struktur überwunden, sondern auch der Absolutheitsanspruch der Gottheit (ihre Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart), in dem wir den wesentlichen Hinderungsgrund für eine Lösung des Theodizeeproblems gesehen haben, relativiert und damit gegenstandslos (z.B. wird al-Halläg wegen seines Bekenntnisses „Ich bin die Gerechtigkeit" der Blasphemie bezichtigt). Mit der Harmonisierung der Gegensätze (Gott und Mensch, Gut und Böse, Licht und Finsternis, Rein und Unrein) sind zudem die wesentlichen Voraussetzungen für eine ->Unio mystica gegeben, in der die Theodizee keine Rolle mehr spielt, sondern relativiert und nivelliert ist. Die Frage ist nur, ob damit auch das Problem Unde malum? verstummt, das ja ein existentielles ist und auch den Mystiker auf seinem Wege zur Vereinigung mit der Gottheit ständig begleitet; ob man also in der Unio mystica wirklich über alle Leiden erhaben ist. Wenn der Philosoph wenigstens spekulativ bis zu der Schlußfolgerung vordringt, daß das Übel „von Gott nicht gewollt, sondern [nur] zugelassen" sei und - weil „nur Gott absolut vollkommen" ist - die „von ihm unter den möglichen Welten auserwählte beste Welt Unvollkommenheiten enthalten" müsse (G.W. —»Leibniz, Confessio philosophi [1673]: ders., Sämtliche Schriften und Briefe. Akademie-Ausgabe, Berlin, VI/3 1980, Nr. 7), wird der Religionswissenschaftler in der Theodizee allenfalls eschatologische und pädagogische Aspekte, Glaubenswahrheiten, erkennen, welche die fehlenden Vernunftwahrheiten ersetzen.

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Ling, Buddhism and the Mythology of Evil. A Study in Theravada Buddhism, London 1997 (Lit.). - Erhard Meier, Die Haltung des Buddhismus zur Leidensfrage: Warum leiden? (s.u.) 44 - 73. Konrad Meisig, Leiden im Hinduismus: ebd. 9 - 4 3 . - Gouranga Charan Nayak, Evil, Karma and Reincarnation, Santiniketan 1973. - Gananath Obeyesekere, Theodicy, Sin and Salvation in a Sociology of Buddhism: Edmund R. Leach (Hg.), Dialectic in Practical Religion, Cambridge 1968 (Cambridge Papers in Social Anthropology 5) 7 - 4 0 . - Wendy Doniger O'Flaherty, Hindu Myths. A Sourcebook, transl. from the Sanskrit, Harmondsworth 1975. - Dies., The Origins of Evil in Hindu Mythology, Berkeley/Los Angeles/London 1980 (Quellen: Sanskrit, Pali u. Tamil Texte 382-386; Lit.: 386-396). - Sten Rodhe, Deliver Us from Evil. Studies on the Vedic Idea of Salvation, Lund/Kopenhagen 1946 (Lit.). - Ursula Sharma, Theodicy and the Doctrine of Karma: Man NS 8 (1973) 348-364. - Heinrich v. Stietencron, Mensch u. Erlösung in Religionen der Hindus. Hinduistische Perspektiven: Hans Küng (Hg.), Christentum u. Weltreligionen. Hinduismus, Gütersloh 1987, 123-139. - Warum leiden? Die Antwort der Weltreligionen, hg. v. Peter Hünermann/Adel Theodor Khoury, Freiburg/Basel/Wien 1987. - William J. Wilkins, Hindu Mythology. Vedic and Puranic, Calcutta 1882 21900 = 1979. Peter Gerlitz

II. Altes Testament (Literatur S.217) Zu einer Reflexion des Theodizeeproblems kommt es in der alttestamentlichen Literatur erst in der Exilszeit. In vorexilischer Zeit spielen Aussagen über das Verhältnis J H W H s zum -»Bösen bzw. zum -»Leiden noch keine nennenswerte Rolle in der alttestamentlichen Literatur und Theologie; prinzipiell gilt, daß J H W H M a c h t über das Böse hat, ohne daß alle Konsequenzen dieser M a c h t reflektiert würden. Gelegentlich wird J H W H in diesem Zusammenhang scheinbar die Urheberschaft am Bösen zugeschrieben. Linter den vielfältigen Texten, die JHWH aktiv mit dem Bösen in Verbindung bringen, fällt eine Reihe von alttestamentlichen Erzählungen auf, die ihn mit „dämonischen" Zügen ausstatten (vor allem Gen 32,23ff.; Ex 4,24-26; 12,21-23; I Sam 16,14f.; 19,9; I Reg 22,20ff.; vgl. dazu grundsätzlich Volz). Es handelt sich dabei indes um disparates Traditionsmaterial. Die herangezogenen Texte müssen unterschieden werden: bei den Wesen Gen 32,23ff. und Ex 4,24ff. handelt es sich um selbständige dämonische Wesenheiten, die im Textgefüge sogar mit JHWH identifiziert werden (in Ex 4 ist die Identifikation vollständig). Dagegen sind die Mächte Ex 12,21 ff. (der „Verderber" hammashit); I Sam 16; 19; I Reg 22,20ff. (ein böser oder lügnerischer „Geist" rü'h) JHWH grundsätzlich untergeordnet; eine Identifikation mit JHWH findet nicht statt (vgl. zu dieser Unterscheidung Lindström, God). Bei der ersten Textgruppe kann in Erwägung gezogen werden, daß der ursprüngliche Überlieferungsbestand von der Begegnung mit einem „Dämon" handelte; diese numinosen Mächte wären dann nachträglich „jahwesiert" worden. Die zweite Textgruppe - bei der die Textentstehung im deuteronomistischen Umfeld zu berücksichtigen ist - stellt das Böse in den Dienst des Willens und der Geschichtsmächtigkeit JHWHs. Hier wirkt bereits die exilischnachexilische Theologie der -»Geschichte (s.u.). Man wird also nicht von einem monistischen Erklärungsmuster im Hinblick auf das Böse sprechen können. Die Macht JHWHs zum Bösen wächst ihm vielmehr erst im Verlauf der Durchsetzung seiner Alleinverehrung zu. Aussagen wie Am 3,6b („Geschieht Böses in einer Stadt, und JHWH hätte es nicht gewirkt?") deuten zwar auf eine aktive Urheberschaft JHWHs am Bösen, werden aber nicht durchreflektiert und sind in vorexilischer Zeit deutlich in der Minderzahl (Belege bei Noort). Entscheidend für das Verhältnis J H W H s zum Bösen und zum Leiden ist in der vorexilischen Theologie die Vorstellung vom Bösen als einem von Gott getrennten Bereich. Im Vordergrund steht das Bewußtsein, daß J H W H s M a c h t über das Böse darin besteht, daß er es beherrscht und nicht zu seiner Mächtigkeit kommen läßt. Die Herrschaft J H W H s über das Böse gehört zu seiner Größe, die in wechselnden, aber zusammengehörigen Bezeichnungen (Macht, Größe, Königtum, Gerechtigkeit) vor allem im Bereich der -»Psalmen und ihrer Theologie gefeiert wird. Charakteristisch für diese Theologie ist eine Zeitstruktur, bei der J H W H s Sieg über das Böse - personifiziert in den Feinden J H W H s und des einzelnen - in Kategorien des Mythischen ( - » M y t h o s ) wiedergegeben

Theodizee II

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Ling, Buddhism and the Mythology of Evil. A Study in Theravada Buddhism, London 1997 (Lit.). - Erhard Meier, Die Haltung des Buddhismus zur Leidensfrage: Warum leiden? (s.u.) 44 - 73. Konrad Meisig, Leiden im Hinduismus: ebd. 9 - 4 3 . - Gouranga Charan Nayak, Evil, Karma and Reincarnation, Santiniketan 1973. - Gananath Obeyesekere, Theodicy, Sin and Salvation in a Sociology of Buddhism: Edmund R. Leach (Hg.), Dialectic in Practical Religion, Cambridge 1968 (Cambridge Papers in Social Anthropology 5) 7 - 4 0 . - Wendy Doniger O'Flaherty, Hindu Myths. A Sourcebook, transl. from the Sanskrit, Harmondsworth 1975. - Dies., The Origins of Evil in Hindu Mythology, Berkeley/Los Angeles/London 1980 (Quellen: Sanskrit, Pali u. Tamil Texte 382-386; Lit.: 386-396). - Sten Rodhe, Deliver Us from Evil. Studies on the Vedic Idea of Salvation, Lund/Kopenhagen 1946 (Lit.). - Ursula Sharma, Theodicy and the Doctrine of Karma: Man NS 8 (1973) 348-364. - Heinrich v. Stietencron, Mensch u. Erlösung in Religionen der Hindus. Hinduistische Perspektiven: Hans Küng (Hg.), Christentum u. Weltreligionen. Hinduismus, Gütersloh 1987, 123-139. - Warum leiden? Die Antwort der Weltreligionen, hg. v. Peter Hünermann/Adel Theodor Khoury, Freiburg/Basel/Wien 1987. - William J. Wilkins, Hindu Mythology. Vedic and Puranic, Calcutta 1882 21900 = 1979. Peter Gerlitz

II. Altes Testament (Literatur S.217) Zu einer Reflexion des Theodizeeproblems kommt es in der alttestamentlichen Literatur erst in der Exilszeit. In vorexilischer Zeit spielen Aussagen über das Verhältnis J H W H s zum -»Bösen bzw. zum -»Leiden noch keine nennenswerte Rolle in der alttestamentlichen Literatur und Theologie; prinzipiell gilt, daß J H W H M a c h t über das Böse hat, ohne daß alle Konsequenzen dieser M a c h t reflektiert würden. Gelegentlich wird J H W H in diesem Zusammenhang scheinbar die Urheberschaft am Bösen zugeschrieben. Linter den vielfältigen Texten, die JHWH aktiv mit dem Bösen in Verbindung bringen, fällt eine Reihe von alttestamentlichen Erzählungen auf, die ihn mit „dämonischen" Zügen ausstatten (vor allem Gen 32,23ff.; Ex 4,24-26; 12,21-23; I Sam 16,14f.; 19,9; I Reg 22,20ff.; vgl. dazu grundsätzlich Volz). Es handelt sich dabei indes um disparates Traditionsmaterial. Die herangezogenen Texte müssen unterschieden werden: bei den Wesen Gen 32,23ff. und Ex 4,24ff. handelt es sich um selbständige dämonische Wesenheiten, die im Textgefüge sogar mit JHWH identifiziert werden (in Ex 4 ist die Identifikation vollständig). Dagegen sind die Mächte Ex 12,21 ff. (der „Verderber" hammashit); I Sam 16; 19; I Reg 22,20ff. (ein böser oder lügnerischer „Geist" rü'h) JHWH grundsätzlich untergeordnet; eine Identifikation mit JHWH findet nicht statt (vgl. zu dieser Unterscheidung Lindström, God). Bei der ersten Textgruppe kann in Erwägung gezogen werden, daß der ursprüngliche Überlieferungsbestand von der Begegnung mit einem „Dämon" handelte; diese numinosen Mächte wären dann nachträglich „jahwesiert" worden. Die zweite Textgruppe - bei der die Textentstehung im deuteronomistischen Umfeld zu berücksichtigen ist - stellt das Böse in den Dienst des Willens und der Geschichtsmächtigkeit JHWHs. Hier wirkt bereits die exilischnachexilische Theologie der -»Geschichte (s.u.). Man wird also nicht von einem monistischen Erklärungsmuster im Hinblick auf das Böse sprechen können. Die Macht JHWHs zum Bösen wächst ihm vielmehr erst im Verlauf der Durchsetzung seiner Alleinverehrung zu. Aussagen wie Am 3,6b („Geschieht Böses in einer Stadt, und JHWH hätte es nicht gewirkt?") deuten zwar auf eine aktive Urheberschaft JHWHs am Bösen, werden aber nicht durchreflektiert und sind in vorexilischer Zeit deutlich in der Minderzahl (Belege bei Noort). Entscheidend für das Verhältnis J H W H s zum Bösen und zum Leiden ist in der vorexilischen Theologie die Vorstellung vom Bösen als einem von Gott getrennten Bereich. Im Vordergrund steht das Bewußtsein, daß J H W H s M a c h t über das Böse darin besteht, daß er es beherrscht und nicht zu seiner Mächtigkeit kommen läßt. Die Herrschaft J H W H s über das Böse gehört zu seiner Größe, die in wechselnden, aber zusammengehörigen Bezeichnungen (Macht, Größe, Königtum, Gerechtigkeit) vor allem im Bereich der -»Psalmen und ihrer Theologie gefeiert wird. Charakteristisch für diese Theologie ist eine Zeitstruktur, bei der J H W H s Sieg über das Böse - personifiziert in den Feinden J H W H s und des einzelnen - in Kategorien des Mythischen ( - » M y t h o s ) wiedergegeben

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wird, selbst wenn es sich um geschichtlich verankerte Taten J H W H s wie den Exodus handelt. J H W H s Sieg über das Böse garantiert so seine Macht über das Böse und wird damit zu einem Wesenszug Gottes. Der inhärente Dualismus dieser Vorstellung gerät dabei nicht in die Reflexion; dualistische Vorstellungen erhalten erst im Rahmen der -»Apokalyptik nennenswertes Gewicht. Unter dem Eindruck des Untergangs Judas 587, d.h. der effektiven Machtlosigkeit J H W H s gegenüber den geschichtlichen Feinden, mußte diese Theologie zwangsläufig in die Krise geraten; das Exil macht die Aporien der Tempeltheologie offenbar. Die Reflexion des Theodizeeproblems in der alttestamentlichen Literatur und Theologie - d.h. die theologische Bewältigung der Exilskatastrophe - ruht auf zwei Säulen: der Sprach- und Denkwelt der Tempeltheologie und der Theologie der Alleinverehrung J H W H s , die im —•Deuteronomium und der von ihm abhängigen Literatur Gestalt gewinnt, ihren Vorläufer indes in der spätexilischen Theologie -»Deuterojesajas hat (vgl. Jes 43,13; 45,7). Die Sprachlosigkeit der Tempeltheologie angesichts der Zerstörung ihrer tragenden Grundlagen Tempel, Königtum und J H W H s Gegenwart dokumentieren vor allem die in dieser Situation neu geprägten Klagelieder des Volkes, in deren Anfangsphase nur der Bruch der Beziehung zwischen J H W H und J u d a / I s r a e l konstatiert werden kann. Vor allem die ältesten Texte dieser Gattung ( T h r 2; 5; vgl. dazu Emmendörffer) verharren in der Beschreibung der trostlosen Situation und wagen allenfalls die klagend-anklagende F r a g e an J H W H nach dem „ W a r u m " der Katastrophe (Thr 5 , 2 0 ) , wenn nicht konstatiert werden muß, daß J H W H sich Israel zum Feind gewandelt hat (Thr 2 , 1 - 8 ) . Schrittweise wird indes die Bearbeitung der Katastrophe in vorexilische tempeltheologische Denkkategorien eingeholt, die aber angesichts der historischen Situation modifiziert werden müssen: Die Erinnerung an die heilsgeschichtlichen Taten Gottes wird zum T h e m a der Psalmtheologie, so schon in Ps 4 4 , 2 - 9 . Ps 7 4 vollzieht dann die Verbindung zwischen dem Verweis auf die Heilsgeschichte als Grund der Hoffnung und ihrer mythischen Entzeitlichung und damit Eingliederung in J H W H s königliche Größe. Die exilischen Volksklagelieder versuchen eine Synthese aus vorexilisch übernommenem Wesen Gottes als König Israels und der Deutung seines kontingenten Handelns in der Geschichte, vgl. vor allem Ps 7 4 , 1 2 : „ D o c h J H W H ist mein König von uran, er vollbringt Heilstaten inmitten der E r d e " .

Auch der deuteronomisch-deuteronomistische Umgang mit dem Theodizeeproblem wurzelt in theologischen Entwürfen der vorexilischen Zeit und nimmt dann während des Exils die Geschichte in den Blick. In der Prophetie ( - • Propheten/Prophet ie), vor allem bei -»Jeremia, wird die Vorstellung ausgeformt, daß J H W H seine Macht zum Bösen in Reaktion auf menschliches Fehlverhalten ausübt, so besonders instruktiv in Jer 5,1—6. In der Bündelung der prophetischen Verkündigung entsteht das -»Deuteronomium, in dem menschliches Verhalten in Entsprechung zur -»Erwählung des Volkes durch den einen J H W H theologisch normiert werden soll. Jeremia und -»Ezechiel beziehen die Beachtung der deuteronomischen Vorschriften in ihre Verkündigung mit ein; der Untergang des Nordreiches von 722 gilt bereits als Indiz für eine von menschlicher Seite verfehlte Geschichte. In der Exilszeit wird die Geschichte Israels und Judas (neu) geschrieben als Geschichte göttlicher Treue und menschlicher -»Schuld. Zur Treue Gottes gehört in diesem Zusammenhang auch die Strafe durch das Gericht des Exils ( - » G e richt Gottes I): Nicht Gott ist es, der den -»Bund bricht, sondern das Volk, indem es J H W H verläßt und anderen Göttern „nachläuft". Das deuteronomistische Geschichtswerk interpretiert die Exilskatastrophe im Sinne eines Freispruchs Gottes (Perlitt), indem sie Reaktion Gottes auf die Schuld des Volkes ist. In gleichem Zusammenhang - wenn auch mit etwas anderer Akzentsetzung und auf exilischem Boden verfaßt - stellt die -»Priesterschrift die Geschichte unter den Horizont der -»Sühne, die sie auch in kultisch einprägsamer Form dem Volk vor Augen führt: das Ritual des Versöhnungstages (Lev 16) ist die Mitte des priesterschriftlichen Pentateuchs (vgl. dazu Janowski). Diese Form der Theodizee (Leid und Böses als Reaktion Gottes auf die Schuld des Volkes) scheint für das nachexilische Israel von hoher Plausibilität gewesen zu sein. Außer in die Geschichtsbücher findet sie ihren Eingang auch in die religiöse Dichtung und die Gebetsliteratur. Dabei kommt es zu einer eklektischen Verbindung von tem-

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peltheologischen Denkkategorien und deuteronomistischer Heilsgeschichte, vgl. besonders das Volksklagelied Jes 63f., aber auch Dtn 3 2 und vom Volksklagelied beeinflußte Psalmdichtungen wie Ps 132; T h r 3. In gleicher Weise wird nun auch die Beziehung des einzelnen zu J H W H im Gebet unter der Perspektive individueller Schuld gesehen, deren Folge die Notsituation ist - eine theologische Denkbewegung, die sich vorexilisch nicht nachweisen läßt (vgl. Lindström, Suffering). In diesem Sinne werden ältere Individualgebete aktualisiert, so besonders deutlich Ps 102. Anders als in vorexilischer Zeit wird nach dem Exil die Wahrung der Weltordnung immer exklusiver an J H W H s „Gerechtigkeit" {scedceq/s'däqäh) gebunden. Kultdichtung, Prophetie und Weisheit nehmen sich in nachexilischer Zeit gleichermaßen des Preises göttlicher Gerechtigkeit an wie der Mahnung an den Menschen, in der eigenen Gerechtigkeit Gott zu entsprechen (vgl. Jes 5 1 , 1 - 8 ) . Dieser Theologie stellt sich als kritische Stimme vor allem das Hiobbuch ( - » H i o b / H i o b b u c h ) entgegen, das an einem exemplarischen Fall alle Zuordnungsmöglichkeiten göttlicher und menschlicher „Gerechtigkeit" durchbuchstabiert und erneut die Aporien der zeitgenössischen Normaltheologie aufweist: Der Fall des augenscheinlich schuldlosen Hiob, der wider alle theologische Berechenbarkeit von Gott in der Gestalt des Satans (->Teufel) heimgesucht wird, führt an die Grenzen der Behauptung absoluter göttlicher Gerechtigkeit. Hier kann J H W H s Gerechtigkeit nur noch darin erwiesen werden, daß er das Leid ebenso rückgängig machen kann, wie er es herbeiführt (Hi 42,7ff.). Die Aussage von T h r 3,38 („Geht nicht vom Munde des Höchsten Böses und Gutes aus?") wird im Hiobbuch vor allem nach der Seite des Bösen hin bedacht. Gegenüber der herrschenden Theologie der Gerechtigkeit Gottes in nachexilischer Zeit (vgl. Ps 51; Hi 3 2 - 3 7 ) bleiben diese kritischen Stimmen jedoch in der Minderheit. Die in Geschichte wie persönlichem Leben geltende Gerechtigkeit Gottes, der die menschliche zu entsprechen hat, um dem Gericht zu entgehen, kann als die charakteristische Form alttestamentlicher Bewältigung des Theodizeeproblems gelten. Sie bleibt jedoch immer an die Situation gebunden, die es religiös zu verarbeiten gilt. Eine T h e o dizee im Rahmen metaphysischer oder ontologischer Prämissen entwickelt die alttestamentliche Literatur nicht. Literatur Renate Brandscheidt, Gotteszorn u. Menschenleid. Die Gerichtsklage des leidenden Gerechten in Klgl 3, 1983 (TThSt 41). - Dies., Psalm 102 - Literarische Gestalt u. theol. Aussage: T T h Z 96 (1987) 51 - 7 5 . - Robert P. Carroll, Theodicy and the Community. The Text and Subtext of Jeremiah V 1 - 6 : Prophets, Worship and Theodicy. Studies in Prophetism, Biblical Theology and Structural and Rhetorical Analysis and on the Place of Music in Worship, hg. v: Adam Simon van der Woude, 1984 (OTS 23) 1 9 - 3 8 . - James L. Crenshaw, Popular Questioning of the Justice of God in Ancient Israel: ZAW 82 (1970) 3 8 0 - 3 9 5 . - Michael Emmendörffer, Der ferne Gott. Eine Unters, der atl. Volksklagelieder vor dem Hintergrund der mesopotamischen Lit., 1998 (FAT 21). - Irmtraud Fischer, Wo ist Jahwe? Das Volksklagelied Jes 6 3 , 7 - 6 4 , 1 1 als Ausdruck des Ringens um eine gebrochene Beziehung, 1989 (SBB 19). - Siegfried Herrmann, Prophetie u. Wirklichkeit in der Epoche des babylonischen Exils: ders., GSt zur Gesch. u. Theol. des AT, 1986 (TB 75) 1 7 9 - 2 0 9 . - Bernd Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Stud, zur Sühnetheol. der Priesterschrift u. zur Wurzel KPR im Alten Orient u. im AT, 1982 ( W M A N T 5 5 ) . - M e l a n i e Köhlmoos, Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch, 1999 (FAT 25). - Fredrik Lindström, God and the Origin of Evil. A Contextual Analysis of Alleged Monistic Evidence in the OT, 1983 ( C B . O T 21). - Ders., Suffering and Sin. Interpretations of Illness in the Individual Complaint Psalms, 1994 (CB.OT 37). - Hans-Peter Müller, Theodizee? Anschlußerörterungen zum Buch Hiob: Z T h K 89 (1992) 249 - 279. - Edward Noort, J H W H u. das Böse. Bemerkungen zu einer Verhältnisbestimmung: Prophets, Worship and Theodicy (s.o. bei Carroll) 1 2 0 - 1 3 6 . - Lothar Perlitt, Anklage u. Freispruch Gottes. Theol. Motive in der Zeit des Exils (1971): ders., Deuteronomium-Stud., 1994 (FAT 8) 2 0 - 3 1 . - Werner H. Schmidt, Gott u. Böses. Hinweise auf das AT: EvTh 52 (1992) 7 - 2 2 . - Hermann Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theol. der Psalmen, 1989 (FRLANT 148). - Ders., Die Satanisierung Gottes. Zur inneren Konkordanz v. Novelle, Dialog u. Gottesreden im Hiobbuch: „Wer ist wie du, H E R R , unter den Göttern?" Stud, zur Theol. u. Religionsgesch. Israels. FS Otto Kaiser, hg. v. Ingo Kottsieper u.a., Göttingen 1 9 9 4 , 4 3 1 - 4 4 4 . - D e r s . , Recht u. Gerechtigkeit im AT. Politische Wirklichkeit

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u. metaphorischer Anspruch: Joachim Mehlhausen (Hg.), Recht, Macht, Gerechtigkeit, München 1998, 2 5 3 - 2 7 3 . - Johann J a k o b Stamm, Die Theodizee in Babylon u. Israel (1944): Hans-Peter Müller (Hg.), Babylonien u. Israel. Hist., rel. u. sprachliche Beziehungen, 1991 (WdF 633) 3 8 3 - 3 9 9 . - T i m o Veijola, Verheißung in der Krise. Stud. zur Lit. u. Theol. der Exilszeit anhand des 89. Psalms, 1982 (AASF B 220). - Paul Volz, Das Dämonische in Jahwe, 1924 (SGV 110).

Melanie Köhlmoos III. Judentum 1. Hauptlinien 2. Antikes Judentum 3. Mittelalter und Neuzeit 4. Moderne (Literatur S. 221)

1.

Hauptlinien

Die Spannung zwischen biblischen Aussagen über Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (—»Gott) und konkreten individuellen Erfahrungen von Unrecht und Schicksalsschlägen (-»Schicksal) wurde vor allem im Rahmen exegetischer Traditionen zu bestimmten biblischen Erzählungen zum Ausdruck gebracht, vor allem zum Hiobbuch bzw. zur Hiobgestalt (-»Hiob/Hiobbuch). Die Annahme von Lohn und -»Strafe als weitgehend automatische Folgen menschlichen Verhaltens begründete aber von der alten -»Weisheit her die Standardantworten auf das Theodizeeproblem und bildete die Basis der populären religiösen —»Ethik, weshalb auch das Grundproblem angesichts extremer Schicksale stets akut blieb. Eine gesonderte Behandlung des Theodizeeproblems begegnet jedoch nur selten. Der Grund liegt im Vorrang des kollektiven Geschicks Israels vor dem Geschick des einzelnen, auch die Annahme einer besonderen -»Vorsehung Gottes bezüglich seines Volkes Israel ließ die individuelle und die allgemeine Vorsehung als Thema in den Hintergrund treten. Daher dient das Geschick des Individuums (auch Hiobs) fast durchweg als Exempel für das kollektive Geschick Israels. Das Problem des -»Bösen bzw. des -»Leidens und damit der Theodizee stellte sich auf diesem Hintergrund aber in dem Maß dringlicher, als Israels Mißgeschick nicht mehr überzeugend als Straffolge seiner Sünden und der Sünden der Väter begreifbar zu machen war und bei Gegnern die Behauptung und intern die Befürchtung der Machtlosigkeit des Gottes Israels aufkommen ließ. Das Theodizeeproblem erhielt daher für jüdisches Denken seine besondere Brisanz im Blick auf Israels Geschichte, was auch in der Exegese zu manchen biblischen Passagen (z.B. Ez 21,8-10; 33,10-20; Hab 1 , 2 - 4 ; Threni) immer wieder zutage tritt. Die Infragestellung der Gerechtigkeit oder Geschichtsmächtigkeit Gottes wurde folglich auch weniger als theoretisch-theologische Herausforderung empfunden als eine Infragestellung des Gottes Israels und damit der Rolle des Volkes Israel in der Welt. Dies gilt insbesondere in der Konfrontation mit den vier Weltreichen -»Daniels und dann mit den großen Tochterreligionen Christentum und Islam, die nicht zuletzt als politische Mächte („Esau/Edom" und „Ismael") begriffen wurden, und zuletzt gegenüber dem -»Antisemitismus und seiner extremsten Ausprägung in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Inbegriff der unbegreiflichen und unbegründeten Feindschaft gilt „Amalek", Repräsentant der jeweils die Existenz Israels bedrohenden Macht, die insofern auch Gottes Macht in Frage stellt. 2. Antikes

Judentum

Der Vielfalt des Judentums in der Zeit bis 70 bzw. 135 n. Chr. entsprechend sind unterschiedliche Aussagen zum Problem der Theodizee überliefert, auch wenn es sich meist nur um Bekräftigungen der Gerechtigkeit Gottes und um Dementis des Gegenteils handelt. Hinweise auf eine thematische Zuspitzung verraten schon die stereotypen Formulierungen in Koh 7,15f.; 8,14; 9,2 und gewisse Passagen in der Weisheitsliteratur (s. Prato zu Jesus -»Sirach). Mehr spekulatives Interesse verraten jedoch Aktualisierungen alter Stoffe, vor allem von Traditionen über den Ursprung des Bösen und über negative Zivilisationsfolgen (äthHen 1 - 3 6 ; Gigantenbuch) im Rahmen der Themenkomplexe Engelfall und Sintflut

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u. metaphorischer Anspruch: Joachim Mehlhausen (Hg.), Recht, Macht, Gerechtigkeit, München 1998, 2 5 3 - 2 7 3 . - Johann J a k o b Stamm, Die Theodizee in Babylon u. Israel (1944): Hans-Peter Müller (Hg.), Babylonien u. Israel. Hist., rel. u. sprachliche Beziehungen, 1991 (WdF 633) 3 8 3 - 3 9 9 . - T i m o Veijola, Verheißung in der Krise. Stud. zur Lit. u. Theol. der Exilszeit anhand des 89. Psalms, 1982 (AASF B 220). - Paul Volz, Das Dämonische in Jahwe, 1924 (SGV 110).

Melanie Köhlmoos III. Judentum 1. Hauptlinien 2. Antikes Judentum 3. Mittelalter und Neuzeit 4. Moderne (Literatur S. 221)

1.

Hauptlinien

Die Spannung zwischen biblischen Aussagen über Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (—»Gott) und konkreten individuellen Erfahrungen von Unrecht und Schicksalsschlägen (-»Schicksal) wurde vor allem im Rahmen exegetischer Traditionen zu bestimmten biblischen Erzählungen zum Ausdruck gebracht, vor allem zum Hiobbuch bzw. zur Hiobgestalt (-»Hiob/Hiobbuch). Die Annahme von Lohn und -»Strafe als weitgehend automatische Folgen menschlichen Verhaltens begründete aber von der alten -»Weisheit her die Standardantworten auf das Theodizeeproblem und bildete die Basis der populären religiösen —»Ethik, weshalb auch das Grundproblem angesichts extremer Schicksale stets akut blieb. Eine gesonderte Behandlung des Theodizeeproblems begegnet jedoch nur selten. Der Grund liegt im Vorrang des kollektiven Geschicks Israels vor dem Geschick des einzelnen, auch die Annahme einer besonderen -»Vorsehung Gottes bezüglich seines Volkes Israel ließ die individuelle und die allgemeine Vorsehung als Thema in den Hintergrund treten. Daher dient das Geschick des Individuums (auch Hiobs) fast durchweg als Exempel für das kollektive Geschick Israels. Das Problem des -»Bösen bzw. des -»Leidens und damit der Theodizee stellte sich auf diesem Hintergrund aber in dem Maß dringlicher, als Israels Mißgeschick nicht mehr überzeugend als Straffolge seiner Sünden und der Sünden der Väter begreifbar zu machen war und bei Gegnern die Behauptung und intern die Befürchtung der Machtlosigkeit des Gottes Israels aufkommen ließ. Das Theodizeeproblem erhielt daher für jüdisches Denken seine besondere Brisanz im Blick auf Israels Geschichte, was auch in der Exegese zu manchen biblischen Passagen (z.B. Ez 21,8-10; 33,10-20; Hab 1 , 2 - 4 ; Threni) immer wieder zutage tritt. Die Infragestellung der Gerechtigkeit oder Geschichtsmächtigkeit Gottes wurde folglich auch weniger als theoretisch-theologische Herausforderung empfunden als eine Infragestellung des Gottes Israels und damit der Rolle des Volkes Israel in der Welt. Dies gilt insbesondere in der Konfrontation mit den vier Weltreichen -»Daniels und dann mit den großen Tochterreligionen Christentum und Islam, die nicht zuletzt als politische Mächte („Esau/Edom" und „Ismael") begriffen wurden, und zuletzt gegenüber dem -»Antisemitismus und seiner extremsten Ausprägung in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Inbegriff der unbegreiflichen und unbegründeten Feindschaft gilt „Amalek", Repräsentant der jeweils die Existenz Israels bedrohenden Macht, die insofern auch Gottes Macht in Frage stellt. 2. Antikes

Judentum

Der Vielfalt des Judentums in der Zeit bis 70 bzw. 135 n. Chr. entsprechend sind unterschiedliche Aussagen zum Problem der Theodizee überliefert, auch wenn es sich meist nur um Bekräftigungen der Gerechtigkeit Gottes und um Dementis des Gegenteils handelt. Hinweise auf eine thematische Zuspitzung verraten schon die stereotypen Formulierungen in Koh 7,15f.; 8,14; 9,2 und gewisse Passagen in der Weisheitsliteratur (s. Prato zu Jesus -»Sirach). Mehr spekulatives Interesse verraten jedoch Aktualisierungen alter Stoffe, vor allem von Traditionen über den Ursprung des Bösen und über negative Zivilisationsfolgen (äthHen 1 - 3 6 ; Gigantenbuch) im Rahmen der Themenkomplexe Engelfall und Sintflut

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(vgl. äthHen 9—11; 102-104; Jub 5). Dies geschah trotz narrativer Mittel in einem universalgeschichtlichen Kontext und insofern schöpfungs- und geschichtstheologisch motiviert. Die Betonung des Bösen entschärfte das Theodizeeproblem aber nur scheinbar und provozierte neue kritische Fragen in bezug auf Gottes Allmacht und Einzigkeit, weshalb der -»Dualismus da und dort als Erklärungsmodell zumindest anklang, in der Regel freilich monistisch relativiert: in Texten aus —»Qumran anthropologisch-dämonologisch als Zwei-Geisterlehre (vgl. 1QS 111,13—IV,26), im rabbinischen Judentum theologisch in der Spannung zwischen Gottes Strenge (middat ha-ditt) und Erbarmen (middat ha-rahamim), repräsentiert durch die Gottesnamen JHWH und 'Elobim, und anthropologisch zwischen „gutem Trieb" und „bösem Trieb". Ein Trend zur Entlastung Gottes durch Betonung seiner Überweltlichkeit und die Vermeidung von Anthropopathismen kennzeichnet teilweise schon die griechischen, vor allem aber später die aramäischen -»Bibelübersetzungen (Targumim). Damit wurde aber eine unmittelbare Vorsehung und ein direktes Eingreifen Gottes in N a t u r und Geschichte in Frage gestellt, was die Vorstellung eines weitreichenden astralen Determinismus (-•Astrologie; -»Wille/Willensfreiheit) begünstigte, soweit individuelles Mißgeschick nicht - wie in der Regel - vor allem als Folge von -»Sünde und Vätersünden verstanden und somit eine Rechtfertigung des göttlichen Urteils (siddüq had-din) vollzogen wurde, die später z. B. bei Todesfällen auch durch Rezitation einer entsprechenden Formel zum Ausdruck gebracht wird. Entschärft wurde das Problem durch die Hoffnung auf eine eschatologische bzw. jenseitige Vergeltung. Die Kehrseite war, daß Gottes Macht und Gerechtigkeit damit für diese Welt und dieses Leben zumindest vorläufig in Frage gestellt wurden; damit auch Gottes Weltordnung, die Tora (—»Gesetz), die mit der göttlichen Weisheit gleichgesetzt wurde und kosmologisch-funktional weitgehend stoischen Vorstellungen von der Weltordnung entsprach. Da die Verwirklichung der Tora aber Israels exklusive Erwählungsaufgabe in der Geschichte darstellt, lief auch diese Linie der Kritik auf eine Infragestellung Israels in seiner Sonderexistenz hinaus. Wie in der Frage der Vorsehung, der Allmacht und der Allwissenheit (vor allem der Präszienz) Gottes entschärfte sich das individuelle Theodizeeproblem mit der Entwicklung der Transzendenzvorstellung, da mit der Anerkennung der absoluten Jenseitigkeit und Unerfaßbarkeit der Gottheit auch die für die Theodizeefrage geforderte Begreifbarkeit des Wirkens Gottes als einer Person entfällt und von daher wie im Fall Hiobs nur die Ergebung in Gottes unbegreiflichen Willen möglich ist. Einen Ansatz zu systematischen Überlegungen auf dieser Basis enthält das 4. Esrabuch (—»Esra/Esraschriften). Hier wurde neben dem kollektiven Aspekt auch der individuelle bzw. universal^menschliche Aspekt der Theodizee dramatisch thematisiert, indem das verheißene, aber schier unerreichbare göttliche Heilsziel mit ausdrücklichem Entsetzen einer massa perditionis konfrontiert wird, während im inhaltlich verwandten syrischen Baruch die auf Israel zugespitzte kollektive Theodizeefrage dominiert. 3. Mittelalter

und

Neuzeit

Die jüdische Literatur des Mittelalters enthält Zeugnisse sehr unterschiedlicher Richtungen. 3.1. Die vorherrschende traditionelle Frömmigkeit fußt weiterhin auf den rabbinischen Grundlagen: Gottes Gerechtigkeit tritt vor allem durch immanente Vergeltung in Erscheinung, Probleme werden durch die erhoffte eschatologische Vergeltung entschärft, gleichzeitig treten die dämonologischen Erklärungen der Übel in der Welt stärker hervor. Gott wird betont als Person begriffen, und selbst Anthropomorphismen und Anthropopathismen der Bibel werden zäh verteidigt. 3.2. Diese traditionelle Linie geriet in Gegensatz zu philosophisch orientierten Auffassungen, für die Gott als Person gegenüber einer transzendenten, unerfaßbaren Gott-

220

Theodizee III

heit zurücktritt und das Theodizeeproblem daher eher als Teilproblem der Schöpfungstheologie und der Ethik erscheint. Diese philosophisch-theologischen Behandlungen des Themas erfolgten im Rahmen der mittelalterlichen Diskussionen zum Theodizeeproblem, nuanciert infolge der unterschiedlichen Orientierung an neuplatonischen oder aristotelischen Vorgaben. Angesichts der feststehenden Ansicht, daß die Schöpfung die beste aller möglichen Welten hervorbringt und einem indirekten göttlichen Regiment untersteht, ob infolge ewig emanierender Kräfte oder mittels separater Intelligenzen, vermochte diese Linie die menschlichen Extremschicksale nicht zu erklären und verwies dafür auf die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens, was letzten Endes auf eine der traditionellen Frömmigkeit entsprechende Ergebung in das Schicksal hinauslief, relativiert durch die Aussicht auf eine endgültige Vervollkommnung im Jenseits, sei es durch Rückkehr der inkorporierten -»Seele zu ihrem höheren Ursprung, sei es durch Aufgehen im göttlichen intellectus agens. Doch gerade in dem Punkt stellte sich das Theodizeeproblem wegen der unterschiedlichen Chancen zur Erreichung der menschlichen Zweckbestimmung erneut, was am positiven Charakter der Schöpfung wie an der endgültigen Lösung des Theodizeeproblems Zweifel aufkommen ließ. Dieselbe Problematik betraf das kollektive Geschick Israels, das philosophierende Theologen nur mit M ü h e mit ihren universalen Ansätzen vereinbaren konnten, und zwar gerade, weil sie an der Tora als der bestmöglichen Voraussetzung für die Erreichung der endgültigen menschlichen Zweckbestimmung und zugleich als exklusiver Offenbarung für Israel festhielten. Die so provozierte Unsicherheit führte in Zusammenhang mit deterministischen Tendenzen auch zu Konversionen, denn sie ließ sich theologisch nicht beheben. 3.3. Es war die ->Kabbala, die auf neuplatonisch-spekulativer Basis mit Mitteln der biblisch-rabbinischen Tradition eine den Frommen überzeugende Lösung bot, obschon auch sie an der Transzendenz der Gottheit streng festhielt und somit eine Rechtfertigung der Person Gottes mit dieser entfällt. Im System der Sefirot, der zehn göttlichen Wirkungskräfte, die den traditionellen Sphären und geistigen Zwischenstufen emanatorisch vorgeordnet wurden, setzten die Kabbalisten extreme Kräfte zur Linken und zur Rechten an, deren negative Wirkungen nach „ u n t e n " durch „mittlere" Wirkungskräfte ausbalanciert werden. Es sind vor allem die extreme Strenge des göttlichen Gerichts (Sefira V, links) und die absolute göttliche Güte (Sefira IV, rechts), eine spekulative Überhöhung der rabbinischen Begriffe middat ha-rahamim und middat ha-dtn, deren emanierende Kräfte „ u n t e n " Böses bewirken, sofern sie nicht durch die mittleren Kräfte ausgewogen werden. Dieser Prozeß der Ausbalancierung wird durch die Sünde gestört, durch Israels Tora-Verwirklichung aber wieder in Gang gesetzt, womit die traditionelle Auffassung von einer immanenten Vergeltung sefirot-theologisch begründet und überhöht wird. Die Einbindung der Schöpfungs- und Tora-Theologie sowie der heilsgeschichtlichen Funktion Israels in diese Vorgänge relativierte zwar das individuelle und heilsgeschichtliche Problem intellektuell befriedigend und frömmigkeitsgeschichtlich sehr wirksam als zweitrangige, „untere" Erscheinungen gegenüber den Sefirot-Prozessen, stieß aber gleichwohl an Grenzen: das individuelle Schicksal unverschuldeten Übels und Israels hartes Geschick waren damit nicht restlos befriedigend zu erklären. Die Kabbalisten setzten daher zusätzlich Ursprünge des Bösen in Kräften außerhalb des Sefirot-Systems an und griffen dabei zu bekannten mythologischen Mitteln, was den traditionellen Dämonenund Teufelsglauben förderte. Andrerseits boten sie eine schöpfungstheologische, seelsorgerlich weit wirksamere Lösung für eine stets als problematisch empfundene Form unverschuldeten individuellen Übels: Angeborene Gebrechen werden auf ungünstige Sefirot-Konstellationen zurückgeführt, die sich im abnehmenden M o n d manifestieren. Seelen, die unter solchen Bedingungen inkorporiert werden, sind unvollkommen, leiden unverschuldet, ihnen gilt deshalb in besonderer Weise die göttliche Liebe, und daher haben sie auch im Sinne der traditionell geforderten imitatio Dei Anspruch auf ent-

Theodizee III

221

sprechende mitmenschliche Liebe. Übel, die in der Tradition meist wenig überzeugend auf Sünden der Vorfahren zurückgeführt wurden und somit negative gesellschaftliche Konsequenzen hatten, erscheinen hier als „Leiden der (göttlichen) L i e b e " , die zu liebevoller Hinwendung verpflichten. Das individuelle Theodizeeproblem wurde damit z w a r spekulativ nicht behoben, aber doch erheblich entschärft.

4. Moderne Da das moderne J u d e n t u m auf der Basis der Aufklärung eine ausgesprochen optimistische Weltsicht entwickelt hatte, traf die Katastrophe der nationalsozialistischen Verfolgungen diese Richtungen theologisch ins M a r k , während O r t h o d o x e und Chasidim auch dabei noch die traditionellen Mittel der Lösung des Theodizeeproblems anzuwenden vermochten, was a u f liberaler und säkularer Seite heftige Reaktionen ausgelöst hat. D i e sog. „ H o l o c a u s t - T h e o l o g i e " sah sich d a r u m in besonderer Weise mit der T h e o dizeefrage konfrontiert. Eine e x t r e m e Richtung (Rubenstein) stellte nicht nur prinzipiell Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als göttliche Eigenschaften in Frage, sie n a h m die „ G o t t ist t o t " - Formel auf und eliminierte damit das Theodizeeproblem zumindest scheinbar. Andere suchen auf theologischen Wegen den Ausgleich mit der Tradition und heben hervor, daß ein vorrangig anthropozentrischer Ansatz zwar dem überwältigenden, unbegreiflichen Eindruck des Leides und des Bösen entspricht, aber in einer theozentrischen Sicht angesichts der Unbegreiflichkeit der G r ö ß e Gottes relativiert werden muß, ein Konzept, das im Effekt der kabbalistischen Relativierung im R a h m e n der Sefirot-Lehre n a h e k o m m t . Die e x t r e m e H o l o c a u s t - T h e o l o g i e wirkt d a r u m auch mehr im säkularen und politischen R a u m als in den religiös verankerten Gruppierungen, für die aber diese Zuspitzung des Theodizeeproblems durchaus aktuell bleibt.

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Theodizee IV

(GTBS 965). - Christoph Münz, Der Welt ein Gedächtnis geben, Gütersloh 1995, 2 0 2 - 399. Richard L. Rubenstein, After Auschwitz. History, Theology, and Conteraporary Judaism, Indianapolis, Ind. 1966 Baltimore, Md. z 1992.

Johann Maier IV. Dogmatisch 2. Die Problematik der Gottesprädikate und 1. Theodizee als Rechtfertigung des Glaubens der Heilsgeschichte 3. Theodizee als Anstoß des Glaubens (Literatur S. 228)

1. Theodizee

als Rechtfertigung

des

Glaubens

Mit dem von G.W. —»Leibniz nach Rom 3,4f. gebrauchten Begriff der Theodizee (Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l'Homme et l'Origine du Mal, Amsterdam 1710) stellt sich die immer wieder aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des vielgestaltigen Übels (-»Böse, Das) in der Welt (malum metaphysicum, physicum et morale nach Leibniz) unter neuzeitlichen Bedingungen auf besondere Weise. Denn wenn das Theodizeeproblem in seiner klassischen Exposition die Doppelfrage stellt: si quidem deus ... est, unde malaf Bona vere unde, si non estf (—»Boethius, cons. 1,4 [um 524]), so steht vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Strebens, Wahrheit als Gewißheit zu begreifen, nicht mehr nur die ontologische Bestimmung des Übels zur Diskussion (z.B. als privatio boni), sondern in letzter Konsequenz die Frage nach der Existenz Gottes überhaupt und die damit eingeleitete mögliche Transformation der Theodizee zur Anthropodizee (Zahrnt 11 ff.), sofern als Prinzip der Seinsauslegung und Weltgestaltung das menschliche Selbstbewußtsein angesetzt wird. Damit erhält das Theodizeeproblem eine auch eminent erkenntnistheoretische Dimension, die theologisch insofern von Bedeutung ist, als es in dogmatischer Hinsicht nun nicht um eine oft als hybrid abgewiesene Rechtfertigung Gottes vor der sich sowohl zum Ankläger als auch zum Verteidiger und schließlich als Richter aufspielenden menschlichen -»Vernunft geht (vgl. Rom 9,20f.), sondern um eine auch religionskritische Rechtfertigung menschlicher Gottes Vorstellungen angesichts gegenläufiger Welt- und Selbsterfahrungen um des im christlichen -»Glauben mitgesetzten einheitlichen Wirklichkeitsverständnisses willen. Daher gehört unter neuzeitlichen Bedingungen auch das fundamentale Problem des Verhältnisses von Glaubensgewißheit und -»Skepsis zur Theodizee, oder anders gewendet: das Theodizeeproblem als Rechtfertigung des Glaubens insgesamt ist nicht bloß eine „theologische Grenzfrage" (Antwort 226), sondern es wird zu einem fundamentaltheologischen Problem sowohl im Blick auf eine mögliche Verifizier- oder Falsifizierbarkeit seines kognitiven Gehalts und seiner orientierenden Kraft (Sprachlogik 63 - 2 0 7 ) als auch im Blick auf ein an neuzeitlichen Idealen des Systems orientiertes Verständnis von theologischer -»Wissenschaft, speziell wissenschaftlicher -»Dogmatik überhaupt (Bayer 136f.). So verstanden betrifft das Theodizeeproblem zwar nahezu alle dogmatischen Topoi in ihrem Zusammenhang (Gottes- und Schöpfungslehre, Anthropologie, Christologie, Soteriologie und Eschatologie), aber es sind in erster Linie schöpfungstheologische Überlegungen, die die unterschiedlichen dogmatisch relevanten Lösungsversuche - weitgehend unabhängig von konfessionsspezifischen Differenzen — im Blick auf entsprechende Gottesprädikate leiten (Härle, Dogmatik 439). Ist Gott „die alles bestimmende Wirklichkeit" (R. -»Bultmann), -»Schöpfer und lenkender Erhalter der Welt, allmächtig, allgütig, allwissend und gerecht, personal in seinem Verhältnis zu seiner Schöpfung als -»Liebe bestimmt, so ist die Erfahrung von aktiv und willentlich verursachtem wie auch von passiv und unfreiwillig erlittenem Übel insbesondere hinsichtlich seiner oft unbegreiflichen Maßlosigkeit auf vielerlei Weise eine tiefgreifende -»Anfechtung, Gefährdung und Störung eines theistischen Glaubens, wenn nicht sogar ein „Fels des -»Atheismus" (Georg Büchner, Dantons Tod, 3. Akt; vgl. Härle, Leiden).

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(GTBS 965). - Christoph Münz, Der Welt ein Gedächtnis geben, Gütersloh 1995, 2 0 2 - 399. Richard L. Rubenstein, After Auschwitz. History, Theology, and Conteraporary Judaism, Indianapolis, Ind. 1966 Baltimore, Md. z 1992.

Johann Maier IV. Dogmatisch 2. Die Problematik der Gottesprädikate und 1. Theodizee als Rechtfertigung des Glaubens der Heilsgeschichte 3. Theodizee als Anstoß des Glaubens (Literatur S. 228)

1. Theodizee

als Rechtfertigung

des

Glaubens

Mit dem von G.W. —»Leibniz nach Rom 3,4f. gebrauchten Begriff der Theodizee (Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l'Homme et l'Origine du Mal, Amsterdam 1710) stellt sich die immer wieder aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des vielgestaltigen Übels (-»Böse, Das) in der Welt (malum metaphysicum, physicum et morale nach Leibniz) unter neuzeitlichen Bedingungen auf besondere Weise. Denn wenn das Theodizeeproblem in seiner klassischen Exposition die Doppelfrage stellt: si quidem deus ... est, unde malaf Bona vere unde, si non estf (—»Boethius, cons. 1,4 [um 524]), so steht vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Strebens, Wahrheit als Gewißheit zu begreifen, nicht mehr nur die ontologische Bestimmung des Übels zur Diskussion (z.B. als privatio boni), sondern in letzter Konsequenz die Frage nach der Existenz Gottes überhaupt und die damit eingeleitete mögliche Transformation der Theodizee zur Anthropodizee (Zahrnt 11 ff.), sofern als Prinzip der Seinsauslegung und Weltgestaltung das menschliche Selbstbewußtsein angesetzt wird. Damit erhält das Theodizeeproblem eine auch eminent erkenntnistheoretische Dimension, die theologisch insofern von Bedeutung ist, als es in dogmatischer Hinsicht nun nicht um eine oft als hybrid abgewiesene Rechtfertigung Gottes vor der sich sowohl zum Ankläger als auch zum Verteidiger und schließlich als Richter aufspielenden menschlichen -»Vernunft geht (vgl. Rom 9,20f.), sondern um eine auch religionskritische Rechtfertigung menschlicher Gottes Vorstellungen angesichts gegenläufiger Welt- und Selbsterfahrungen um des im christlichen -»Glauben mitgesetzten einheitlichen Wirklichkeitsverständnisses willen. Daher gehört unter neuzeitlichen Bedingungen auch das fundamentale Problem des Verhältnisses von Glaubensgewißheit und -»Skepsis zur Theodizee, oder anders gewendet: das Theodizeeproblem als Rechtfertigung des Glaubens insgesamt ist nicht bloß eine „theologische Grenzfrage" (Antwort 226), sondern es wird zu einem fundamentaltheologischen Problem sowohl im Blick auf eine mögliche Verifizier- oder Falsifizierbarkeit seines kognitiven Gehalts und seiner orientierenden Kraft (Sprachlogik 63 - 2 0 7 ) als auch im Blick auf ein an neuzeitlichen Idealen des Systems orientiertes Verständnis von theologischer -»Wissenschaft, speziell wissenschaftlicher -»Dogmatik überhaupt (Bayer 136f.). So verstanden betrifft das Theodizeeproblem zwar nahezu alle dogmatischen Topoi in ihrem Zusammenhang (Gottes- und Schöpfungslehre, Anthropologie, Christologie, Soteriologie und Eschatologie), aber es sind in erster Linie schöpfungstheologische Überlegungen, die die unterschiedlichen dogmatisch relevanten Lösungsversuche - weitgehend unabhängig von konfessionsspezifischen Differenzen — im Blick auf entsprechende Gottesprädikate leiten (Härle, Dogmatik 439). Ist Gott „die alles bestimmende Wirklichkeit" (R. -»Bultmann), -»Schöpfer und lenkender Erhalter der Welt, allmächtig, allgütig, allwissend und gerecht, personal in seinem Verhältnis zu seiner Schöpfung als -»Liebe bestimmt, so ist die Erfahrung von aktiv und willentlich verursachtem wie auch von passiv und unfreiwillig erlittenem Übel insbesondere hinsichtlich seiner oft unbegreiflichen Maßlosigkeit auf vielerlei Weise eine tiefgreifende -»Anfechtung, Gefährdung und Störung eines theistischen Glaubens, wenn nicht sogar ein „Fels des -»Atheismus" (Georg Büchner, Dantons Tod, 3. Akt; vgl. Härle, Leiden).

Theodizee IV 2. Die Problematik

der Gottesprädikate

und der

223 Heilsgeschichte

War für den (neu-)platonisch gebildeten und in seinem Christsein umstrittenen Boethius die Allmacht Gottes fraglos mit dessen Sein als Ursprung aller Dinge gegeben, so ist doch Gott in seinem vollkommenen Gutsein eigens und zunächst in einem Vernunftschluß zu sichern, um das Theodizeeproblem zu lösen: Wenn Gott als Ursprung aller Dinge gedacht wird und das Gute wie das Vollkommene immer „ f r ü h e r " (dem Begriff und dem Seinsrang nach ursprünglicher) als das Übel oder Unvollkommene im Sinne einer Verringerung oder Zerstörung eines zuvor gegebenen Guten oder Vollkommenen ist, dann muß Gott als Ursprung aller Dinge zugleich auch das höchste Gute (summum bortum) sein (Boethius, cons. 111,10). Die Erfahrung des Übels, die für Boethius auch und gerade in dem ungerechten Mißverhältnis besteht, daß es oft den Guten schlecht und den Schlechten gut geht bzw. zu gehen scheint, ist aber dann kein Einwand gegen die Allmacht und Güte Gottes, wenn die Existenzweise des Übels syllogistisch als eine Form des Nichtseins begründet werden kann: Für den allmächtigen Gott gibt es nichts, was er nicht vermag. N u n kann und will Gott als der zuhöchst und vollkommen Gute aber nicht das Üble tun. Also ist das Übel nichts (malum nihil est), wenn der es nicht kann, der alles kann (ebd. 111,12). Somit wird dem Übel die Seinsweise eines nihil privativum zugeschrieben und damit ein substantielles, ursprüngliches, reales, sachhaltiges und wesenhaftes Sein abgesprochen. Es ist wie ein zwischen Sein und Nichtsein schwebender trügerischer Schein zum Vergehen bestimmt. Dieser onto-theologischen Schlußfolgerung existentielle Relevanz für von Leid (-•Leiden) persönlich Betroffene absprechen zu wollen wäre sicherlich - gerade im Blick auf Boethius' Biographie - ungerechtfertigt (Rosenau, Fragen 61-70). Dennoch liegt hier eine Unterbestimmung der nicht nur als Mangel, passive Schwäche und Unvollkommenheit in Erscheinung tretenden, sondern gerade sich auch als ihrerseits machtvolle und aktive Kraft produzierenden Realität des Bösen vor, die weniger in substanz-ontologischen als vielmehr in relationalen Kategorien zu fassen wäre (Häring 2.7f.). Ihre Berechtigung hat diese Argumentation für einen nur zweitrangigen ontologischen Status des Übels allerdings - wie auch der in dieser Hinsicht vergleichbare biblisch-christliche Mythos vom ursprünglich guten, dann aber gefallenen —»Engel (Lucifer; Satan; -»Teufel) - darin, daß eine dualistische Aufspaltung der Wirklichkeit (-»Dualismus) durch die Annahme eines guten und eines gleichermaßen ursprünglich bösen Prinzips, Gott und Gegengott (-»Marcion; -»Manichäismus), zur Lösung des Theodizeeproblems zugunsten der alles bestimmenden Wirklichkeit des einen Gottes abgewehrt wird. Darüber hinaus findet die Erklärung des Übels als einer Weise des Nichtseins auch unter offenbafungstheologischen Prämissen z. B. der Erwählungs- und Versöhnungslehre K. -•Barths eine spezifische Aufnahme, wenn er die -»Sünde als das in -»Jesus Christus im Prinzip überwundene „Nichtige" bestimmt (KD III/3, §50; s.a. III/l, §42). Allerdings zeichnet sich bereits hier eine Aporie des Theodizeeproblems ab, die darin besteht, daß aus denselben Prämissen - nämlich der Annahme der traditionellen theistischen Gottesprädikate - ganz unterschiedliche, ja kontradiktorische Folgerungen gezogen werden können: entweder wird an der Realität des Übels uneingeschränkt festgehalten und die Realität Gottes eingeschränkt oder aufgegeben, oder es wird an der Realität Gottes uneingeschränkt festgehalten und die Realität des Übels eingeschränkt oder aufgegeben. Beides kann keine befriedigende Antwort sein, wenn das Theodizeeproblem ja gerade im Verhältnis der Realität Gottes zur Realität des Übels besteht. Jedoch könnte eine befriedigende Lösung des Theodizeeproblems - wenn überhaupt entweder dann gefunden werden, wenn die leitenden Prämissen, d.h. die Gottesprädikate der Allmacht, der Allwissenheit, der Güte, der Liebe und -»Gerechtigkeit überprüft und gegebenenfalls revidiert werden, oder wenn die Antwort auf das Theodizeeproblem angesichts des dann als ebenso unauflöslich wie unabweisbar akzeptierten Rätsels der Herkunft des Übels, des Leids, des Bösen und der Sünde (mysterium inequitatis) auf

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Theodizee IV

eine andere Weise als die einer theo-logischen Argumentation gesucht wird, nämlich im Sinne eines bestimmten religiös-ethischen Umgangs und Verhaltens einschließlich seiner spezifischen Sprach- und Handlungsmöglichkeiten in -»Seelsorge, -»Gebet und -•Gottesdienst (Bayer 206). Der Versuch einer Verbindung der genannten Alternativen zeichnet z.B. den in dieser Hinsicht paradigmatischen Umgang August ins mit dem Theodizeeproblem aus. Die ebenso biographisch (Confessiones) wie geschichtstheologisch (De Civitate Dei) motivierte Theodizeefrage ist bei Augustin nicht nur aus rhetorischen, sondern auch aus programmatisch-sachlichen Gründen in eine vorgängige und alles tragende Glaubensgewißheit (certitudo) eingebettet, die forschendes Nachdenken und staunende Anbetung vereint. Unter der Voraussetzung der (neu-)platonisch gefaßten Gottesprädikate insbesondere der Vollkommenheit und darum auch Unwandelbarkeit (conf. VII,3/4) kann die von Augustin selbst vorübergehend übernommene dualistische Antwort des Manichäismus nicht länger überzeugen: Z w a r nehmen die Manichäer die Realität des Übels durchaus ernst, aber es kann nicht auf ein mit dem Guten gleichursprüngliches Prinzip zurückgeführt werden, das sich mit dem dann unvollkommen und veränderlich vorzustellenden Guten im Kampf befände. Vielmehr hat das nur abgeleiteterweise existierende Übel eine im onto-theologischen Einheitsgrund liegende Ursache, die so beschaffen sein muß, daß sie auch das vom Manichäismus übergangene Phänomen der -»Freiheit und darum auch -»-Verantwortung des Menschen für das Böse erklären kann. Damit rückt mit der biblischen Erzählung vom Sündenfall (Gen 3) die Willensfreiheit (—»Wille/Willensfreiheit) als Erklärungsgrund des Bösen (conf. VII,3/5) neben seiner ontologischen Depotenzierung als Mangel des Guten (ench. 10— 15) einschließlich des als konsequente Strafe im Sinne eines immanenten Tun-Ergehen-Zusammenhangs verstandenen Leids in den Mittelpunkt des Theodizeeproblems. Dabei muß freilich die entscheidende Frage nach dem Verhältnis von Gottes Allmacht und Vollkommenheit zur menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit geklärt werden. Eine Vermittlung sieht Augustin in der Präzisierung der geschöpflichen, d . h . im Unterschied zu Gott endlichen, begrenzten, relativen Freiheit gegeben, die gemäß der Vorstellung von einer creatio ex nihilo — im Unterschied zu einem neuplatonischen Emanationsmodell — sich darum sowohl dem göttlichen Sein und damit dem Guten als auch dem Nichtigen und Bösen willentlich zuwenden bzw. sich über das wahre Gute täuschen, irregehen und es verfehlen kann (civ. XII,1). Die geschöpfliche Willensfreiheit als solche aber ist ein hohes Gut, das auch durch den faktischen Mißbrauch zum Bösen nicht aufgehoben wird, so daß der allmächtige und vollkommen gute Gott als Ursache (Schöpfer) endlicher und darum auch der Möglichkeit nach irregehender Freiheit wegen seiner „Zulassung" des Übels und seiner Folgen nicht anzuklagen ist. Diese in Variationen bis in die Gegenwart immer wieder auch zur Wahrung der Personalität (-»Person) des Menschen vorgetragene Überlegung (vgl. Kreiner, Gott [1994] 134-174) müßte aber zur Unterstützung ihrer Uberzeugungskraft geschichtstheologisch in eine von -»Prädestination zu unterscheidende -»Vorsehung Gottes (Providentia) eingebettet werden, nach der die zugelassenen negativen Folgen an sich guter endlicher Freiheit in einer eschatischen Allversöhnung aufgehoben werden (so -»Origenes; vgl. Zahrnt 104), anstatt daß der zugelassene Mißbrauch endlicher Freiheit unendliche Verdammnis gemäß der auch von Augustin vertretenen eschatologischen Vorstellung vom „doppelten Ausgang" nach sich zieht, zu der er sich vor allem durch die Auseinandersetzung mit -»Pelagius zugunsten der späteren Behauptung eines in soteriologischer Hinsicht unfreien Willens sowie einer entsprechend strengen (doppelten) Prädestination Gottes genötigt sah. So aber verstrickt sich Augustins Lösung des Theodizeeproblems mittels der geschöpflichen Willensfreiheit letztlich in einer unausgeglichenen Spannung zwischen Freiheit und (Erb-) Sünde, Vorsehung und doppelter Prädestination des allmächtigen und vollkommen guten Gottes (civ. XI,17; XXI).

Theodizee IV

225

Allerdings birgt eine eschatologische Lösung des Theodizeeproblems sowohl in bezug auf eine Allversöhnung als auch in bezug auf einen vor dem Hintergrund einer Prädestination angenommenen doppelten Ausgang u.a. die Gefahr, das mit der geschöpflichen Freiheit gesetzte Übel des Mißbrauchs und das daraus entstehende Leid innerhalb einer felix culpa- oder auch bonum per malum-Theorie (z. B. —»Thomas von Aquino, Summa contra Gentiles 111,71,2476: si malum est, Deus est-, vgl. S.th. 1,2,3 ad 1) zu verharmlosen und als das eigentlich „Nichtseinsollende" (F. W.J. -+ScheIIing) aus dem Blick zu verlieren, indem es z. B. als Bedingung oder Voraussetzung für das bei weitem höhere Gut der Versöhnung und Erlösung in Jesus Christus (Augustin, civ. XIV,27) oder für die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes (vgl. Joh 9 , 1 - 3 ) instrumentalisiert wird. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn bei der Diskussion des Theodizeeproblems die ursprünglich kausale Frage nach der Herkunft des Übels (unde malum) final oder teleologisch transponiert wird zur Frage nach seinem Zweck (Augustin, civ. XII,4f.; praed. 80,8) innerhalb einer von der Schöpfung bis zum Eschaton reichenden heilsgeschichtlichen oder metaphysischen Sinntotalität (so in reformierter Tradition, vgl. Röhls 73 - 7 5 ; aber auch bei Pannenberg 188-201, zu ihm Neuhaus 207-240). Vor dem Hintergrund seiner auch onto-theologische Argumentationen abweisenden Metaphysikkritik hat I. ->Kant daher solchen „doctrinalen" Antworten auf die Theodizeefrage die Grundlage entzogen, die z. B. das uns zweckwidrig erscheinende Übel in einem höheren Zusammenhang göttlicher Weisheit relativieren, auf die geschöpfliche Endlichkeit des Menschen im Unterschied zum vollkommenen Schöpfergott zurückführen - der das Übel zwar nicht wolle, aber zulasse - , Kalkulationen über das Übergewicht des Guten im Vergleich zum Bösen in der Welt insgesamt anstellen, das Übel als Prüfung Gottes um der zukünftigen Seligkeit im Jenseits willen verstehen - wo das mögliche diesseitige Ungleichgewicht zwischen Tun und Ergehen mittels göttlicher Gerechtigkeit ausgeglichen sein würde - oder als „Wetzstein der Tugend" zweckrationalisieren wollen (Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee [1791]: Kants Werke. Akademie-Textausg., Berlin, VIII 1912/ 1923, 253-271, Zitat 261,32). Somit bleibt allein die Möglichkeit einer „authentischen" Offenbarung des göttlichen Willens, um eine Antwort auf die Theodizeefrage zu finden, wie sie Kant zufolge —•Hiob im Unterschied zu seinen bloß „räsonnierenden" Freunden im Medium eines moralisch-praktischen Vernunftglaubens zuteil geworden sei. Unter der Voraussetzung der Offenbarung Gottes eine Lösung des Theodizeeproblems zu finden heißt daher zum einen, auch der Metaphysikkritik Kants Rechnung zu tragen, zum anderen aber bedeutet es ebenfalls, das Theodizeeproblem zu verschärfen. Denn nun wird nicht nur das vielgestaltige reale Übel in der Welt angesichts der Allmacht, Gerechtigkeit und Güte Gottes zum Anlaß der Theodizeefrage, sondern auch das Medium, in dem diese Frage beantwortet werden könnte, nämlich der sich auf die Offenbarung Gottes beziehende Glaube selbst. Eine Folge dieser Problemverschärfung ist die Revision der bisher das Theodizeeproblem leitenden Gottesprädikate, vor allem der Allmacht und/oder der Güte, ohne daß die Bestimmung oder Erfahrung Gottes als Liebe aufgehoben werden müßte. Eine solche Revision bahnt sich bereits in der Theophanie vor Hiob im Wettersturm (Hi 38ff.) an, wo Gott als der Heilige entsprechend seinem transmoralischen Offenbarungsmedium in seiner Allmacht jenseits von Gut und Böse, als mysterium fascinans et tremendum (R. -»Otto) erfahren wird. Hiob kann durch Klage und Anklage hindurch das durchaus mit Gottes transmoralischem Wirken in Verbindung zu bringende Leid tragen, wenn er sich im Verhältnis der ebenfalls transmoralischen (und transrationalen) Macht der Liebe zu Gott in seiner Unverfügbarkeit und Unbegreiflichkeit befindet (vgl. Archibald MacLeish, J.B. A Play in Verse, Boston, Mass. 1958; dt.: Spiel um Job, Berlin u.a. 1958, 11. Szene; S. -»Kierkegaard, Das Erbauliche, das in dem Gedanken liegt, daß wir gegen Gott immer unrecht haben: ders., Entweder-Oder, 1843, 2. Teil, Ultimatum; vgl. auch Rahner 466; Neuhaus 165-206).

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Eine besondere Vertiefung erhält diese Sicht bei -»-Luther (De servo arbitrio, 1525) in bezug auf die Genese des Glaubens. Denn wenn Gott einerseits kraft seiner Allmacht alles, auch den Glauben, allein wirkt, allein dieser Glaube aber andererseits zum Heil führt, dann ist die Tatsache, daß es auch Unglauben gibt, der seinerseits zum Unheil führt, ebenfalls auf Gottes (ausbleibendes) Wirken zurückzuführen und Gott somit für das Unheil verantwortlich zu machen (WA 18,684-686.709-712.753f.; vgl. Steinacker 144). Unter Beibehaltung des Gottesprädikats der Allmacht wird so allerdings das Gottesprädikat der Güte in der polaren Spannung zwischen dem deus absconditus, der in seiner unerforschlichen Majestät supra nos Tod und Leben wirkt, und dem deus revelatus, der sich pro nobis in Jesus Christus als derjenige offenbart, der Heil und Seligkeit wirkt, zugunsten der Souveränität des Willens Gottes suspendiert und einer eschatologischen Verifikation im „Licht der Herrlichkeit" vorbehalten. Sie erhält ihre vorwegnehmende Gewißheit (certitudo) im „Licht der Gnade" dessen, was Gott an den Gläubigen tut, aber sie entzieht sich dem „Licht der N a t u r " , d . h . einer rationalen, auf allgemeine Versicherung (securitas) bedachten Gottes-, Welt- und Selbsterkenntnis (WA 18,784f.). Diese aus der Innenperspektive des (Rechtfertigungs-)Glaubens und seiner Konstitutionsbedingungen gewonnene Antwort auf die Theodizeefrage (Ebeling 517) mit Blick auf eine polare Spannung in Gott selbst verliert allerdings da an Überzeugungskraft im Sinne von Authentizität, wo sie wiederum im Rahmen metaphysischer Gesamtkonzepte z. B. mittels einer auch für Gott theogonisch zur Erklärung des Bösen in Anspruch genommenen Unterscheidung zwischen „ G r u n d " und „Existenz" (so bei Schelling; vgl. Rosenau, Theogonie) oder innerhalb einer heilsgeschichtlich ausgelegten Dialektik von Essenz, Existenz und Essentifikation als Ausdruck „einer Partizipation des göttlichen Lebens an der Negativität des kreatürlichen Lebens" (P. —•Tillich, Systematische Theologie, Stuttgart, I g 1984, 311; vgl. Eickhoff) ontologisiert wird, der gegenüber sich das persönlich erfahrene Leid des einzelnen immer sperrig verhält (Ebeling 515). Daher ist die Konsequenz naheliegend, aufgrund einer Besinnung auf die spezifische Offenbarung Gottes in Jesus Christus nicht das Gottesprädikat der Güte, sondern eher das der Allmacht zu revidieren, um das Theodizeeproblem in anderer Weise anzugehen: Im Tod Jesu Christi am Kreuz offenbart sich Gott nicht als allmächtig, sondern als einer, der selbst Leid im Gefühl eigener Ohnmacht zu tragen auf sich genommen hat (Solle 2 6 - 3 8 . 1 7 8 - 1 8 4 ) . Von der Vorstellung eines majestätisch-allmächtigen Gottes, der auch noch als Grund und Abgrund des Übels ehrerbietige Anerkennung und Liebe verlangt, ist daher „atheistisch" Abschied zu nehmen. Im Rahmen einer so angelegten theologia crucis, die auf das Mitleiden Gottes in Jesus Christus abhebt, bleibt allerdings die Frage nach dem „Woher" des Übels unter ausdrücklichem Verzicht auf metaphysische oder heilsgeschichtliche Gesamtlösungen zugunsten einer finalen Lösungsperspektive unbeantwortet. Leiden und ihre stets auch gesellschaftlich bedingten Ursachen sind nicht ergeben hinzunehmen oder gar als -»Sühne zu glorifizieren, sondern so weit wie irgend möglich in „solidarischer Praxis" (Janßen 32.67) zu verhindern und zu beseitigen (Metz). Und im Blick auf unabänderliches Leiden kommt es darauf an, es zumindest sprachlich - in Klage und Anklage - zu artikulieren, damit es nicht stumm macht und abstumpft, sondern Lebens- und Widerstandskräfte mobilisiert werden können. So führt der christologisch-soteriologische Gedanke der „Stellvertretung" zur ethischen Aufforderung, „Christi Bruder" (Solle 215) zu werden, denn „Gott hat keine anderen Hände als die unseren" (ebd. 183). Doch so richtig es in dogmatischer Hinsicht ist, zur Lösung des Theodizeeproblems auf das spezifisch christliche Gottesverständnis anstatt auf für ideologischen Mißbrauch anfällige allgemeine Gottesprädikate einzugehen (Jüngel 69ff.; vgl. Neuhaus 277-313), so wenig überzeugend ist die Betonung eines (mit-) leidenden Gottes (Moltmann 63—68; vgl. Neuhaus 255-276), wenn damit Verbindlicheres gegeben werden soll als eine Antwort, die sich nur jeder vom Leid Betroffene selbst zum Trost sagen kann (Kreiner,

Theodizee IV

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Gott [1994] 55) angesichts einer impliziten ethischen Dauerbelastung und damit Überforderung des Menschen im Umgang mit dem erheblich verkürzt in den Blick genommenen Phänomen des Leids, des Übels und des Bösen (Häring 179ff.; Härle, Dogmatik 450.454). Neuere Ansätze des Theodizeeproblems im Rahmen einer Prozeß theologie (Griffin) versuchen, die Stärken einer metaphysischen oder heilsgeschichtlichen Gesamtschau einerseits mit dem existentiell Relevanten der Vorstellung eines (mit-)leidenden, als Liebe bestimmten Gottes andererseits zu vermitteln und die jeweiligen Schwächen zu vermeiden. Auch hier ist es das Gottesprädikat der Allmacht, das revidiert wird: Im Rückgang auf A.N. -»-Whitehead und seine prozeßphilosophische Konzeption von einer sich kreativ und selbständig entwickelnden Welt, die nicht der Herrschaft einer theistisch als ens realissimum/ens perfectum vorzustellenden höchsten Macht unterliegt, sondern vielmehr den schöpferischen und frei umzusetzenden Impulsen göttlicher Potentialität folgt (Whitehead, Process and Reality. An Essay in Cosmology, New York 1929 [GiffL 1927-1928]; dt.: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt a.M. 1979 2 1984, 5. Teil, Kap. II; vgl. Maaßen), wird das Übel als nebenwirkendes Ingrediens der immer komplexeren Ausdifferenzierung kosmologischer Strukturen erklärt und um der Entwicklung positiver Möglichkeiten willen gerechtfertigt, das auch der im kreativen Wechselspiel mit den Weltprozessen sich ebenfalls entwickelnde und insofern auch in seiner Macht eingeschränkte Gott nicht a limine beseitigen kann. Der dennoch prozeßtheologisch angenommene eschatische Triumph des Guten über das Böse, der Liebe über den Haß bleibt allerdings gerade wegen der Suspension des Gottesprädikats der Allmacht unbegründet (Kreiner, Gott [1994] 109-127). 3. Theodizee

als Anstoß des

Glaubens

Eine dogmatisch befriedigende Lösung des Theodizeeproblems wird wohl letztlich nicht gefunden werden; es bleibt „imperfekt" (Graf 18.241) und somit eine „offene Frage" (Bayer 201.207). Dennoch muß das Resultat nicht eine „Theologie des Schweigens" sein (Küng 121 f.; vgl. Neuhaus 241-254), denn jede der hier typisierend angesprochenen Antworten hat Stärken wie Schwächen, die sich auch nach dem je situativ und geschichtlich bedingten Anlaß der Theodizeefrage bemessen (Neuhaus 24). Grundsätzlich haben solche Versuche mindestens darin ihren Sinn, daß sie leitende Gottesvorstellungen immer wieder einer kritischen Prüfung unterziehen und somit Ideologisierungen vermeiden helfen sowie Perspektiven für einen bestimmten Umgang mit dem Problem des Übels in einem immer „angefochtenen Glauben" (Ratschow 233-315) an die Liebe, Güte, Gerechtigkeit und Allmacht Gottes ermöglichen. Dabei liegt nach Kierkegaard die eigentliche Anfechtung des christlichen Glaubens weniger in der allgemein menschlichen Erfahrung des malum metaphysicum, physicwn et tnorale, sondern im „Ärgernis" des spezifisch christologisch begründeten Paradoxes, daß diejenigen, die der Einladung des Gottmenschen zum Heil folgen, in eben dieser -»Nachfolge Jesu ihr Kreuz auf sich zu nehmen haben. Denn gläubige Nachfolge ist unter den Bedingungen dieser Welt notwendigerweise Leiden „um Christi willen" (Kierkegaard, Einübung im Christentum, hg. v. Walter Rest, München 1977,133ff.), das nicht schicksalhaft verhängt, sondern freiwillig in „unendlicher Leidenschaft" übernommen und im Konflikt mit dem „Bestehenden" ausgetragen wird. So gesehen ist die Erfahrung des vielgestaltigen Übels gar nicht das dem christlichen Glauben Rätselhafte und eine unerklärliche Störung des Gottvertrauens bis hin zum möglichen Glaubensverlust (Streminger), sondern es ist der unvermeidliche Ausdruck des menschlich-endlichen Verhältnisses zum göttlichen Absoluten in seiner qualitativen Differenz (Kierkegaard, Einübung 144f.). Daher ist den Gläubigen das Übel kein Einwand gegen Gott, sondern geradezu eine paradoxe Bestätigung „dafür, daß etwas Absolutes existiert" (ebd. 142). Damit werden alle teleologischfinalen Rationalisierungsversuche des Theodizeeproblems, die dem Leid und dem Übel einen bestimmten guten Zweck unterstellen (bonum per malum) und es insofern meta-

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Theodizee IV

physisch oder innerweltlich verstehbar machen wollen, im N a m e n des spezifisch christlichen Glaubens abgewiesen: gerade als Ausdruck des Absoluten unter den Bedingungen der Welt „dient es eigentlich zu n i c h t s " (ebd.). E s kann freilich nach Kierkegaard in „indirekter M i t t e i l u n g " aufmerksam machen a u f das Religiöse und m u ß daher nicht zur Kapitulation des Glaubens führen (Kreiner, G o t t [1997] 3 1 3 ) . Es führt nicht zum „ A b b r u c h " , sondern bleibt im doppelten Sinne des W o r t e s „ A n s t o ß " des Glaubens (Neuhaus 13). Ein solcher A n s t o ß m u ß nicht notwendigerweise zu quietistischer H i n n a h m e und Entschuldigung allen Übels führen. E r impliziert gerade auch wegen des Verzichts auf spekulative Gesamtlösungen ein (sozial-)ethisches E n g a g e m e n t coram mundo in der Spannung zwischen Sein und Sollen, Ideal und Wirklichkeit. Denn wenn nach Hiob, Luther oder Kierkegaard die (transrationale) Liebe als B a n d zwischen Glaube und guten Werken die angemessene Haltung gegenüber dem (transrationalen) G o t t als mysterium fascinans et tremendum ist, dann erweist sie ihre Stärke auch in der Bereitschaft, ethische Verantwortung zu übernehmen, Schuld offen zu benennen und nach Möglichkeit zu tilgen, letztlich um G o t t um der Liebe willen trotz aller Rätsel und Anfechtungen angesichts bleibender Ungerechtigkeiten und unvermeidbaren Leids ins R e c h t zu setzen. Diese F o r m von Stellvertretung setzt nicht auf die christologisch oder kosmologisch erschlossene Liebe eines ohnmächtigen bzw. nicht allmächtigen Gottes, sondern vielmehr auf die Liebe der (glaubenden) Menschen zu G o t t als der alles bestimmenden Wirklichkeit, der sich gerade im Glauben und seiner Konstitution erfahrbar als tragfähiger und verläßlicher Grund des Daseins erweist. So gesehen ist Theodizee schließlich nicht der hybride Versuch des anklagenden Geschöpfs, seinen angeklagten Schöpfer vor den Richterstuhl der Vernunft zu zerren, sondern ein gottesfürchtiger Beitrag glaubender Menschen zur Humanisierung der Lebenswelt durch ihre Auslegung und Gestaltung jenseits von Resignation und Einfalt. Literatur Die Antwort des Glaubens. Syst. Theol. in 50 Art., hg. v. Heinrich Ott/Klaus Otte, Stuttgart/ Berlin 1972 3 1981, Art. 19. - Oswald Bayer, Autorität u. Kritik, Tübingen 1991, bes. 136f.201-207. - Klaus Berger, Wie kann Gott Leid u. Katastrophen zulassen?, Gütersloh 1999. - Gerhard Ebeling, Dogmatik des christl. Glaubens, Tübingen, III 1979, bes. 5 1 4 - 5 1 9 . - Jörg Eickhoff, Theodizee. Die theol. Antwort Paul Tillichs im Kontext der phil. Fragestellung, Frankfurt a.M. u.a. 1997. Gerold Graf, Gott dennoch Recht geben. Die Theodizeefrage als ein entscheidendes Problem bes. bei Luther, Bultmann u. Solle, Frankfurt a.M. u.a. 1983. - David R. Griffin, God, Power, and Evil. A Process Theodicy, Philadelphia, Pa. 1976. - Hermann Häring, Das Problem des Bösen in der Theol., Darmstadt 1985. - Wilfried Härle, Leiden als Fels des Atheismus? Analysen u. Reflexionen zum Philosophengespräch in „Dantons Tod": ders. u.a. (Hg.), Unsere Welt - Gottes Schöpfung. FS Eberhard Wölfel, 1992 (MThSt 32) 1 2 7 - 1 4 3 . - Ders., Dogmatik, 1995 2 2000 (GLB) bes. 4 3 9 - 4 5 5 . - Hans Gerd Janßen, Das Theodizee-Problem der Neuzeit, Frankfurt a.M. u.a. 1982. - Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977 4 1982 «1992. - Armin Kreiner, Gott u. das Leid, Paderborn 1994. - Ders., Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente, Freiburg u.a. 1997. - Hans Küng, Credo, München 1992. - Helmut Maaßen, Gottes Beziehung zum Guten u. Bösen in Whiteheads rationaler Wertethik: Helmut Holzhey u.a. (Hg.), Natur, Subjektivität, Gott, Frankfurt a.M. 1 9 9 0 , 2 6 2 - 2 7 7 . - Johann Baptist Metz, Theol. als Theodizee?: Theodizee - Gott vor Gericht? (s.u.) 1 0 3 - 1 1 8 . - Mit Gott streiten. Neue Zugänge zum Theodizee-Problem, hg. v. Harald Wagner, 1998 (QD 169). - Jürgen Moltmann, Trinität u. Reich Gottes, München 1980 = 3 1994, § 6. - Gerd Neuhaus, Theodizee - Abbruch oder Anstoß des Glaubens, Freiburg i.Br. u.a. 1993 = J 1994. - Wolfhart Pannenberg, Syst. Theol., Göttingen, II 1991. - Karl Rahner, Warum läßt uns Gott leiden?: ders., Sehr, zur Theol., Zürich/Köln, X I V 1980, 4 5 0 - 4 6 6 . - Carl Heinz Ratschow, Der angefochtene Glaube (1957), Gütersloh 1978. - Jan Röhls, Theol. ref. Bekenntnisschr., Göttingen 1987. - Hartmut Rosenau, Theogonie. Schellings Beitr. zum Theodizeeproblem: N Z S T h 32 (1990) 2 6 - 5 2 . - Ders., Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens, Moers 1996. - Dorothee Solle, Leiden, Stuttgart 1973. - Walter Spam, Leiden - Erfahrung u. Denken. Materialien zum Theodizeeproblem, München 1980. - Ders., Mit dem Bösen leben. Zur Aktualität des Theodizeeproblems: N Z S T h 32 (1990) 2 0 7 - 225. - Sprachlogik des Glaubens, hg. v. Ingolf U. Dalferth, München 1974. - Peter Steinacker, Luther u. das Böse: N Z S T h 33 (1991)

Theodizee V

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1 3 9 - 1 5 1 . - Gerhard Streminger, G o t t e s G ü t e u. die Übel der Welt. D a s T h e o d i z e e p r o b l e m , T ü bingen 1 9 9 2 . - T h e o d i z e e - G o t t vor Gericht?, hg. v. Willi Oelmüller, M ü n c h e n 1990. - Heinz Z ä h m t , W i e kann G o t t das zulassen?, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1985 ' 1 9 9 6 .

Hartmut Rosenau V. Praktisch-theologisch (Literatur S . 2 3 1 )

Die Theodizeethematik erweist sich als lebensgeschichtliche Problematik. Sie bricht als authentische Frage nicht nur in Krisensituationen auf, sondern gehört auch als Zuspitzung der Gottesfrage konstitutiv zur Bewegung des Glaubens. Ein Glaube, der sich nicht abschottet gegenüber dem Entsetzlichen im eigenen Leben und in der Geschichte und der sich von der Schattenseite der Wirklichkeit herausfordern läßt, also ein „angefochtener Glaube" (Ratschow), ist unterwegs von „ G o t t " zu Gott, der eben in seiner freien Geschichte mit den Menschen den Gottesbildern widerspricht und sie überholt. Das zweite Gebot (->Bilder) bietet einen Schlüssel zur theologischen Deutung der Theodizeen. Die Theodizeefrage wird jeweils in religions- und kulturgeschichtlichen Kontexten artikuliert. Die jeweiligen Referenzsysteme machen herkunfts- und wirkungsgeschichtliche Interpretationen unerläßlich. Bereits in Schülerbeiträgen finden sich klassische und optimistisch-aufklärerische, magische und metaphysische, biblische und protest-atheistische, also antworthaltige Konfigurationen zur Theodizeethematik. Den wirkungsgeschichtlich variablen Inhalten derselben liegt die Differenzerfahrung zwischen Lebenserwartung und Lebenserfolg, zwischen vorläufigem Sinnentwurf und faktischer Gegenerfahrung zugrunde. Diese condition humaine macht eine Unterscheidung zwischen thematischer und unthematischer bzw. expliziter und impliziter Theodizee sinnvoll. Im Kontext der praktisch-theologischen Arbeit gilt es, die Hiobfrage (-»Hiob/Hiobbuch) in der Theodizeefrage zu entdecken und von ihr her die Theodizeefrage zu modifizieren und zu korrigieren. Das eigene Profil des Hiobbuches läßt eine Reihe von theologischen Korrektiven an der philosophischen Theodizeethematik hervortreten: Hiob zieht nicht in einer Art Exodus aus J H W H aus, er bedrängt ihn vielmehr, so daß er auf den Deus contra Deum stößt. Hiob leidet an der Verborgenheit Gottes, der sich in eine entsetzliche Sinnfinsternis und -ferne zurückgezogen hat, er leidet an einem fremdartigen Gott, gegen den er den nahen und bekannten Gott anruft. Wenn auch - zumal bei einer Krisenintervention - der Aufbau einer empathischen Beziehung zum Betroffenen ganz entscheidend ist, so gilt es jedoch, auf der inhaltlichtheologischen Ebene im Unterricht und in der poimenischen und homiletischen Praxis einige Fehleinschätzungen zu vermeiden: a) den mit theologischen Argumenten geforderten Verzicht auf Theodizeen; b) die Denunziation einiger spezieller Theodizeen; c) die Behauptung einer generellen Deutbarkeit des Leids, des Bösen, des Sinnwidrigen etc. Zu a): Gegen die grundsätzliche Absage an Theodizeen steht die Einsicht, daß sich die Tatsachenverarbeitung (die Diagnose, die Todesnachricht etc.) und die Sinn- und Wertverarbeitung im konkreten Lebensvollzug nicht voneinander trennen lassen. Der Betroffene transzendiert seine Situation auf einen (prinzipiell überholbaren) Sinn hin. Der Versuch, eine Kontinuität zwischen dem Einst und Jetzt herzustellen, erweist sich als eine „notwendende" lebensgeschichtliche Aufgabe. Zu b): Da Theodizeen an einem biographischen Ort entstehen und ein Rückfall in überholte Theodizeen etwa während des seelsorgerischen Gesprächs häufig vorkommt, ist mit Denunziationen einzelner Theodizeen wenig gedient. Der Glaube steht allerdings in einem kritischen Verhältnis zu Theodizeegestalten aller Art, formt sie um, erweitert und verläßt sie. Zu c): V.E. Frankl erklärt: „Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die scheinbar negativen Seiten der menschlichen

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1 3 9 - 1 5 1 . - Gerhard Streminger, G o t t e s G ü t e u. die Übel der Welt. D a s T h e o d i z e e p r o b l e m , T ü bingen 1 9 9 2 . - T h e o d i z e e - G o t t vor Gericht?, hg. v. Willi Oelmüller, M ü n c h e n 1990. - Heinz Z ä h m t , W i e kann G o t t das zulassen?, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1985 ' 1 9 9 6 .

Hartmut Rosenau V. Praktisch-theologisch (Literatur S . 2 3 1 )

Die Theodizeethematik erweist sich als lebensgeschichtliche Problematik. Sie bricht als authentische Frage nicht nur in Krisensituationen auf, sondern gehört auch als Zuspitzung der Gottesfrage konstitutiv zur Bewegung des Glaubens. Ein Glaube, der sich nicht abschottet gegenüber dem Entsetzlichen im eigenen Leben und in der Geschichte und der sich von der Schattenseite der Wirklichkeit herausfordern läßt, also ein „angefochtener Glaube" (Ratschow), ist unterwegs von „ G o t t " zu Gott, der eben in seiner freien Geschichte mit den Menschen den Gottesbildern widerspricht und sie überholt. Das zweite Gebot (->Bilder) bietet einen Schlüssel zur theologischen Deutung der Theodizeen. Die Theodizeefrage wird jeweils in religions- und kulturgeschichtlichen Kontexten artikuliert. Die jeweiligen Referenzsysteme machen herkunfts- und wirkungsgeschichtliche Interpretationen unerläßlich. Bereits in Schülerbeiträgen finden sich klassische und optimistisch-aufklärerische, magische und metaphysische, biblische und protest-atheistische, also antworthaltige Konfigurationen zur Theodizeethematik. Den wirkungsgeschichtlich variablen Inhalten derselben liegt die Differenzerfahrung zwischen Lebenserwartung und Lebenserfolg, zwischen vorläufigem Sinnentwurf und faktischer Gegenerfahrung zugrunde. Diese condition humaine macht eine Unterscheidung zwischen thematischer und unthematischer bzw. expliziter und impliziter Theodizee sinnvoll. Im Kontext der praktisch-theologischen Arbeit gilt es, die Hiobfrage (-»Hiob/Hiobbuch) in der Theodizeefrage zu entdecken und von ihr her die Theodizeefrage zu modifizieren und zu korrigieren. Das eigene Profil des Hiobbuches läßt eine Reihe von theologischen Korrektiven an der philosophischen Theodizeethematik hervortreten: Hiob zieht nicht in einer Art Exodus aus J H W H aus, er bedrängt ihn vielmehr, so daß er auf den Deus contra Deum stößt. Hiob leidet an der Verborgenheit Gottes, der sich in eine entsetzliche Sinnfinsternis und -ferne zurückgezogen hat, er leidet an einem fremdartigen Gott, gegen den er den nahen und bekannten Gott anruft. Wenn auch - zumal bei einer Krisenintervention - der Aufbau einer empathischen Beziehung zum Betroffenen ganz entscheidend ist, so gilt es jedoch, auf der inhaltlichtheologischen Ebene im Unterricht und in der poimenischen und homiletischen Praxis einige Fehleinschätzungen zu vermeiden: a) den mit theologischen Argumenten geforderten Verzicht auf Theodizeen; b) die Denunziation einiger spezieller Theodizeen; c) die Behauptung einer generellen Deutbarkeit des Leids, des Bösen, des Sinnwidrigen etc. Zu a): Gegen die grundsätzliche Absage an Theodizeen steht die Einsicht, daß sich die Tatsachenverarbeitung (die Diagnose, die Todesnachricht etc.) und die Sinn- und Wertverarbeitung im konkreten Lebensvollzug nicht voneinander trennen lassen. Der Betroffene transzendiert seine Situation auf einen (prinzipiell überholbaren) Sinn hin. Der Versuch, eine Kontinuität zwischen dem Einst und Jetzt herzustellen, erweist sich als eine „notwendende" lebensgeschichtliche Aufgabe. Zu b): Da Theodizeen an einem biographischen Ort entstehen und ein Rückfall in überholte Theodizeen etwa während des seelsorgerischen Gesprächs häufig vorkommt, ist mit Denunziationen einzelner Theodizeen wenig gedient. Der Glaube steht allerdings in einem kritischen Verhältnis zu Theodizeegestalten aller Art, formt sie um, erweitert und verläßt sie. Zu c): V.E. Frankl erklärt: „Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die scheinbar negativen Seiten der menschlichen

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Existenz, insbesondere jene tragische Trias, zu der sich Leid, Schuld und Tod zusammenfügen, auch in etwas Positives, in eine Leistung gestaltet werden können, wenn ihnen- nur mit der rechten Haltung und Einstellung begegnet wird" (Frankl 32). So berechtigt die Transformations- bzw. Integrationsthese als Grundsatz eines therapeutischen Ansatzes ist, ihre theologische Problematik zeigt die Erfahrung der Nicht-Identität bzw. des Todes an, dessen Annahme paradoxerweise zur Identität gehört. Gilt es einerseits, Protest und Engagement gegen vermeidbares Leid uneingeschränkt zu fördern, so ist andererseits die menschliche Transformationsleistung auf die ganz andere Wirklichkeit Gottes zu beziehen, der in seiner freien Gnade auch die Erfahrung der NichtIdentität umschließt. Aufgrund der Analyse von über 1.000 Biographien Betroffener hat E. Schuchardt einen idealtypischen spiralischen Verlauf der Krisenverarbeitung herausgestellt und wichtige Einsichten für die Krisenintervention und das Eingehen auf die Theodizeefrage gewonnen. Erste Phase: Der Krisenauslöser versetzt den Betroffenen in panische Angst und Ungewißheit; er verdrängt das Ereignis und flüchtet in rationale Refugien. Zweite Phase: Das unannehmbare Faktum (der Unfall, die Diagnose, der Verlust) wird schließlich unabweisbar. In dieser Phase der Gewißheit schwankt der Betroffene zwischen verstandesmäßigem Ja und gefühlsmäßigem Nein. In der dritten Phase dominieren vitale Gefühlsausbrüche und Aggressionen, die sich gegen alles Mögliche richten können, da der Krisenauslöser selbst unangreifbar ist. Während dieser aggressiven Phase wie auch in den folgenden der Verhandlung (vierte Phase) und der Depression (fünfte Phase) ist äußerste Zurückhaltung gegenüber „argumentativem T r o s t " geboten, da er in diesen unverzichtbaren Durchgangsstadien nur blockierend wirkt. Wichtig ist aber während dieser Phasen das sensible Begleiten, das sympathetische Nahesein, das Nicht-Verbergen eigener Hilflosigkeit. Gerade hier läßt sich beobachten, wie der christliche Glaube den Betroffenen befreit, seine Aggressionen und seinen Protest vor einer letzten Instanz freizugeben, und wie die aggressive Klage im Wissen um ein unbedingtes Gehaltensein kathartische Wirkungen zeigt: eine Vorstufe zur bejahenden (nicht-resignativen!) Annahme (sechste Phase), zur Aktivität (siebte Phase) und Solidarität bzw. sozialer Integration (achte Phase). Die Studie zeigt insgesamt, daß eine unzureichende oder fehlende seelsorgerische Begleitung den Lernprozeß Krisenverarbeitung erschwert oder sogar verhindert wie auch umgekehrt eine sympathetische Begleitung das Erreichen des Zieles sozialer Integration erleichtert, wenn nicht bewirkt. Auch wenn die Krisenintervention bzw. die seelsorgerische Begleitung fehlt, erweist sich der Glaube als Kraft, den Schmerz herauszuschreien, rationale Einsichten und emotionale Strebungen zu verbinden, Ohnmacht und Leid zu durchwinden - die Voraussetzungen dafür, daß Leid erzeugende Strukturen verändert werden.

Von der Orientierungsstufe an tragen Schülerinnen und Schüler die Theodizeefrage vor, ausgelöst durch Nachrichten von Kriegen und Katastrophen, durch Konfrontation mit globaler Ungerechtigkeit und Gewalt, mit dem plötzlichen Tod in der Nähe, mit Gegenerfahrungen aller Art. Da sie als authentische Frage die innere Not und Hilflosigkeit angesichts massiver Sinnwidrigkeit artikuliert, steht hinter der Frage die tiefere Bitte um Hilfe und Zuwendung. Von aktuellen Beiträgen (Biographien, Nachrichten, Kurzgeschichten etc.) abgesehen ist die altersspezifische Thematisierung des Hiobbuches und der Klagepsalmen sinnvoll. Die Gegenerfahrung des Grauens, des Scheiterns und des Bösen wird hier nicht überspielt, sondern in eindringlichen Bildern und Metaphern artikuliert und in der Sprache der Hoffnung auf die verborgene Gegenwärtigkeit Gottes bezogen. In Anlehnung an die Hiob-Dichtung und in der Identifikation mit dem exemplarischen Ich der Klagepsalmen wird eine Disposition zu aufbegehrendem Protest ermöglicht und der Unterdrückung von aggressiven Motiven vorgebeugt. Im Augenblick der Trauer und des Zorns Gott herbeizuschreien, den Gedanken, Gefühlen, ja sogar den Todeswünschen im Gebet freien Lauf zu lassen und authentisch zu beten: diese elementare und ganzheitliche Redeform, worin sich die spezifisch biblische Wirklichkeitserfahrung ausdrückt, zu vermitteln, gehört sicherlich zur unterrichtlichen Präsenz der Theodizeethematik. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sind mit Theodizeen aus der Religions- und Philosophiegeschichte zu konfrontieren. Als didaktisch-methodische Leitfrage gilt es zu bedenken: Wird im Theodizeemodell nicht die menschliche Welterfahrung für zureichend erklärt, Gottes verborgenen Heilssinn zu enträtseln? Schließlich gilt es, an jede Theodizee die katalytische Frage zu stellen: Ubi Christus?

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Die homiletische Arbeit wird sich vor allem auf zwei Aufgaben konzentrieren, erstens die i m m e r wieder aktuelle Theodizeefrage der gottesdienstlichen Gemeinde, aber auch die latenten und impliziten F r a g e k o m p l e x e der Theodizee aufzugreifen, und zweitens die Theodizeefrage so zu wenden, daß sie den Fragenden in die Konfrontation mit G o t t führt. Wenn z. B. das schuldhafte Verhalten und Versagen eines Menschen eine Katastrophe auslöst, ist die F r a g e reflexiv auf den Fragenden zu beziehen: W a r u m läßt G o t t das zu, daß ich schuldig werde? Die Selbsterhellung und Einsicht in eigene Schuld und die Erkenntnis, d a ß das Böse eine transbiographische M a c h t ist, von der zugleich in der I c h - F o r m zu reden ist, läßt die Predigthörer und -hörerinnen dem G o t t begegnen, der aus lähmenden Schuldzusammenhängen befreit. Literatur Klaus Berger, Wie kann Gott Leid u. Katastrophen zulassen?, Stuttgart 1996. - Walter Dietrich/ Christian Link, Die dunklen Seiten Gottes. I. Willkür u. Gewalt. II. Allmacht u. Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn, I 1996 3 2000 II 2000. - Gerhard Fitzthum, Das Ende der Menschheit u. die Phil. Zum Spannungsverhältnis v. Ethik u. Theodizee, Gießen 1992. - Viktor E. Frankl, Das Leiden am sinnlosen Leben, 1977 = 4 1978 (HerBü 615). - Bernward Gesang, „Angeklagt: Gott". Uber den Versuch, vom Leiden in der Welt auf die Wahrheit des Atheismus zu schließen, Tübingen 1997. - Albert Görres, Sinn u. Unsinn der Krankheit. Hiob u. Freud: ders., Kennt die Psychologie den Menschen? Fragen zw. Psychotherapie, Anthropologie u. Christentum, München/Zürich 1978, 1 5 1 - 1 7 1 . - Helmut Gollwitzer, Krummes Holz - aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, München 1970. - Walter Gross/Karl-Josef Kuschel, „Ich schaffe Finsternis u. Unheil!" Ist Gott verantwortlich f. das Übel?, Mainz 1992. - Helmut Hollenstein, Der schülerorientierte Bibelunterricht am Beispiel der Theodizeefrage, 1984 (RPäH 16). - Hans Küng, Gott u. das Leid, 1967 5 1977 (ThMed 18). - Hermann Lübbe, Vollendung der Säkularisierung - Ende der Religion?: Otto Schatz (Hg.), Was wird aus dem Menschen?, Graz u.a. 1974, 1 4 5 - 1 5 8 . - Dieter Lührmann, Art. Glaube: RAC 11 (1979) 4 8 - 1 2 2 . - Johann Baptist Metz (Hg.), „Landschaft aus Schreien". Zur Dramatik der Theodizeefrage, Mainz 1995. - Tobias Mickel, Seelsorgerliche Aspekte im Hiobbuch, 1990 (ThA 48). - Mit Gott streiten. Neue Zugänge zum Theodizee-Problem, hg. v. Harald Wagner, 1998 (QD 169). - Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott, München 1972. - Gerd Neuhaus, Theodizee - Abbruch oder Anstoß des Glaubens, Freiburg i.Br. u.a. 1993 = 2 1994. - Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, 1987 (KT NF 6). Carl Heinz Ratschow, Der angefochtene Glaube, Gütersloh 1957 3 1967. - Erika Schuchardt, Warum gerade ich ...? Leiden u. Glauben. Schritte mit Betroffenen u. Begleitenden, Gelnhausen 1981 Göttingen '1993. - Dorothee Solle, Leiden, 1973 (ThTh.E). - Heinz Zähmt, Warum ich glaube. Meine Sache mit Gott, München 1977. H e l m u t Hollenstein VI. Philosophisch 1. Begriffliche Unterscheidungen 2. Theodizeeanalogie 3. Plato: Die ontologische Depotenzierung des Bösen 4. Der Neuplatonismus 5. Die Theodizee des metaphysischen Rationalismus 6. Idealismus und Theodizee 7. Theodizee und Geschichtsphilosophie 8. Die Theodizee der „theologia naturalis" 9. Anverwandlungen des Theodizeemotivs (Quellen/Literatur S. 236) 1. Begriffliche

Unterscheidungen

Sachlich und genetisch verbindet sich der Begriff der Theodizee mit dem gleichnamigen Werk von G.W. —>Leibniz. E r führt bestimmte Implikationen des metaphysischen Rationalismus mit sich, nach denen die Theodizee das Unternehmen der gerichtsprozeßanalogen Rechtfertigung Gottes angesichts des Vorwurfs der Verantwortlichkeit für die Übel in der Welt beschreibt, wobei sich diese Rechtfertigung vor dem Gerichtshof der menschlichen Vernunft vollzieht. Sie formuliert die Anklage, benennt die entlastenden Argumente der Verteidigung und spricht auch das Urteil. D e r Begriff der Theodizee (Oedt;, öltet], vgl. R o m 3 , 5 ) umfaßt all diese Gesichtspunkte in nuce. Die Erweiterung und unspezifische H a n d h a b u n g des Begriffs führte zu seiner Ausdehnung auf alle denkbaren rationalen Erklärungsversuche des - » L e i d e n s und des - » B ö s e n . Für die Leibniz

Theodizee V I

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Die homiletische Arbeit wird sich vor allem auf zwei Aufgaben konzentrieren, erstens die i m m e r wieder aktuelle Theodizeefrage der gottesdienstlichen Gemeinde, aber auch die latenten und impliziten F r a g e k o m p l e x e der Theodizee aufzugreifen, und zweitens die Theodizeefrage so zu wenden, daß sie den Fragenden in die Konfrontation mit G o t t führt. Wenn z. B. das schuldhafte Verhalten und Versagen eines Menschen eine Katastrophe auslöst, ist die F r a g e reflexiv auf den Fragenden zu beziehen: W a r u m läßt G o t t das zu, daß ich schuldig werde? Die Selbsterhellung und Einsicht in eigene Schuld und die Erkenntnis, d a ß das Böse eine transbiographische M a c h t ist, von der zugleich in der I c h - F o r m zu reden ist, läßt die Predigthörer und -hörerinnen dem G o t t begegnen, der aus lähmenden Schuldzusammenhängen befreit. Literatur Klaus Berger, Wie kann Gott Leid u. Katastrophen zulassen?, Stuttgart 1996. - Walter Dietrich/ Christian Link, Die dunklen Seiten Gottes. I. Willkür u. Gewalt. II. Allmacht u. Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn, I 1996 3 2000 II 2000. - Gerhard Fitzthum, Das Ende der Menschheit u. die Phil. Zum Spannungsverhältnis v. Ethik u. Theodizee, Gießen 1992. - Viktor E. Frankl, Das Leiden am sinnlosen Leben, 1977 = 4 1978 (HerBü 615). - Bernward Gesang, „Angeklagt: Gott". Uber den Versuch, vom Leiden in der Welt auf die Wahrheit des Atheismus zu schließen, Tübingen 1997. - Albert Görres, Sinn u. Unsinn der Krankheit. Hiob u. Freud: ders., Kennt die Psychologie den Menschen? Fragen zw. Psychotherapie, Anthropologie u. Christentum, München/Zürich 1978, 1 5 1 - 1 7 1 . - Helmut Gollwitzer, Krummes Holz - aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, München 1970. - Walter Gross/Karl-Josef Kuschel, „Ich schaffe Finsternis u. Unheil!" Ist Gott verantwortlich f. das Übel?, Mainz 1992. - Helmut Hollenstein, Der schülerorientierte Bibelunterricht am Beispiel der Theodizeefrage, 1984 (RPäH 16). - Hans Küng, Gott u. das Leid, 1967 5 1977 (ThMed 18). - Hermann Lübbe, Vollendung der Säkularisierung - Ende der Religion?: Otto Schatz (Hg.), Was wird aus dem Menschen?, Graz u.a. 1974, 1 4 5 - 1 5 8 . - Dieter Lührmann, Art. Glaube: RAC 11 (1979) 4 8 - 1 2 2 . - Johann Baptist Metz (Hg.), „Landschaft aus Schreien". Zur Dramatik der Theodizeefrage, Mainz 1995. - Tobias Mickel, Seelsorgerliche Aspekte im Hiobbuch, 1990 (ThA 48). - Mit Gott streiten. Neue Zugänge zum Theodizee-Problem, hg. v. Harald Wagner, 1998 (QD 169). - Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott, München 1972. - Gerd Neuhaus, Theodizee - Abbruch oder Anstoß des Glaubens, Freiburg i.Br. u.a. 1993 = 2 1994. - Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, 1987 (KT NF 6). Carl Heinz Ratschow, Der angefochtene Glaube, Gütersloh 1957 3 1967. - Erika Schuchardt, Warum gerade ich ...? Leiden u. Glauben. Schritte mit Betroffenen u. Begleitenden, Gelnhausen 1981 Göttingen '1993. - Dorothee Solle, Leiden, 1973 (ThTh.E). - Heinz Zähmt, Warum ich glaube. Meine Sache mit Gott, München 1977. H e l m u t Hollenstein VI. Philosophisch 1. Begriffliche Unterscheidungen 2. Theodizeeanalogie 3. Plato: Die ontologische Depotenzierung des Bösen 4. Der Neuplatonismus 5. Die Theodizee des metaphysischen Rationalismus 6. Idealismus und Theodizee 7. Theodizee und Geschichtsphilosophie 8. Die Theodizee der „theologia naturalis" 9. Anverwandlungen des Theodizeemotivs (Quellen/Literatur S. 236) 1. Begriffliche

Unterscheidungen

Sachlich und genetisch verbindet sich der Begriff der Theodizee mit dem gleichnamigen Werk von G.W. —>Leibniz. E r führt bestimmte Implikationen des metaphysischen Rationalismus mit sich, nach denen die Theodizee das Unternehmen der gerichtsprozeßanalogen Rechtfertigung Gottes angesichts des Vorwurfs der Verantwortlichkeit für die Übel in der Welt beschreibt, wobei sich diese Rechtfertigung vor dem Gerichtshof der menschlichen Vernunft vollzieht. Sie formuliert die Anklage, benennt die entlastenden Argumente der Verteidigung und spricht auch das Urteil. D e r Begriff der Theodizee (Oedt;, öltet], vgl. R o m 3 , 5 ) umfaßt all diese Gesichtspunkte in nuce. Die Erweiterung und unspezifische H a n d h a b u n g des Begriffs führte zu seiner Ausdehnung auf alle denkbaren rationalen Erklärungsversuche des - » L e i d e n s und des - » B ö s e n . Für die Leibniz

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Theodizee VI

vorangehende Tradition bietet es sich an, von Theodizee-Analogien zu sprechen; die Theoreme dagegen, die im Anschluß an und in Auseinandersetzung mit Leibniz entwickelt worden sind, gehören zur Rezeptionsgeschichte. Der kontextfreie und assoziative Gebrauch ist dem Bereich der Anverwandlungen zuzuordnen. 2.

Theodizeeanalogie

Die Tendenz, bereits vor Leibniz von einer Theodizee zu sprechen, legte eine Denkfigur nahe, die schon Leibniz der Tradition entnahm, nämlich der Frage nach der Möglichkeit einer friktionsfreien Ausbalancierung der klassischen Gottesprädikationen, vor allem jener der Güte, Allmacht und Gerechtigkeit. Als Beleg der Rechtfertigung solcher Rückübertragung von Begriff und Sache der Theodizee dient folgendes Epikur (341-271 v.Chr.) zugeschriebene Fragment (-»Lactantius, ir. 13,20f.): „Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er mißgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl mißgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel, und warum nimmt er sie nicht weg?"

Diese Einwände verstärken sich, wenn die Gottheit, die entlastet werden soll, der Schöpfer- und Erlösergott des Judentums und Christentums ist, wie die theologische Anverwandlung des Theodizeebegriffs belegt. Das angeführte Epikurzitat variierend und erweiternd, bestimmen drei Voraussetzungen die Rückübertragung der neuzeitlichen Theodizeeproblematik auf analoge Kontexte in Antike und Mittelalter: 1. die Überzeugung von der Kohärenz bestimmter Begriffe, im Rückgriff auf die das Problem des Bösen entfaltet wird (Gott - Mensch Welt); 2. die Ausweitung der sog. Theodizeefrage zu der umfassenderen Frage nach einer Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie, von griechischem Denken und christlichem Glauben (die „Hellenisierung des Christentums"); 3. die Diskussion der sog. Theodizeefrage als eines Sonderfalls der Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik. So erörtert Plato zwar die „Gerechtigkeit Gottes" (Tht. 176b-c); infolge der unüberwindbaren, im Sein selbst wurzelnden Differenz des Gottes bzw. der Idee zu allem Gewordenen aber darf eine Antwort freilich nicht erwartet werden. Der Gott, der nicht Schöpfer ist, ist — anders als im Christentum - rechtfertigungsunbedürftig. Stoiker und Neuplatoniker radikalisierten dieses Argument durch eine „monistische" Umformulierung der Ideenlehre (vgl. den Theismus der Logoslehre, der anders als die platonische Idee nicht mehr dualistisch auf die Welt der Erscheinungen hin entworfen ist). Der klassische Dualismus bezieht die Erscheinungswelt auf die intelligible Welt, wie diese umgekehrt in der Welt der Erscheinungen gegenwärtig gedacht wird: aus der Teilhabe des Seienden am Göttlichen folgte ein unbedingter Optimismus. In vierfacher Hinsicht ist daher das Negative mit der Harmonie des Kosmos und der Weltordnung vereinbar, denn: 1. das Übel ist in der Naturordnung eine relative und negative Größe; 2. die Weltordnung regiert gegen das moralische Übel; 3. der Mensch kann sich frei über das Übel erheben; 4. der vernünftige Blick auf das Ganze nimmt keine Übel wahr; die Wahrnehmung des Übels ist die Folge unzulässiger Vereinzelung. Alle vier Strategien verweisen auf den Topos von der ontologischen Depotenzierung des Bösen. 3. Plato: Die ontologische

Depotenzierung

des Bösen

Intelligible Welt der Ideen und Erscheinungswelt unterscheiden sich darin, daß letztere an der Materie partizipiert. Die Harmonie, die Plato von ihr behauptet, stellt sich, anders als in der Ideenwelt, nur durch Streit und Widerspruch her. Sie ist dem Wechsel von Entstehen und Vergehen unterworfen. Die daraus entstehenden Mängel - bis hin zu dem Vorwurf, die endliche Welt habe Anteil am Negativen - lassen sich nur entkräften,

Theodizee VI

233

wenn die Materie als völlig passiv und qualitätslos angesehen wird; sie ist reine Privation {axipr\Theodoret von Kyrrhos, h.e. V,27.40; Sokrates, h.e. VI,3; Sozomenus, h.e. VIII,2) sowie die nestorianische Chronik von Se'ert aus dem 11. Jh. (PO 5) Auskunft. Theodor wurde, wie man der Korrespondenz mit -»Johannes Chrysostomus (PG 47,313) entnehmen kann, um 350 in -» Antiochien geboren und stammte aus begütertem Elternhaus, das Kontakte zum Magistrat besaß (Chrysostomus, ep. 204) und dem jungen Mann eine gediegene Ausbildung (Sozomenus, h.e. VIII,2) beim heidnischen Rhetor Libanius (314-ca. 393) ermöglichte. Im Alter von etwa 20 Jahren lernte Theodor Johannes Chrysostomus kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband (Sokrates, h.e. VI,3). Beide traten zusammen ins antiochenische Asketerion des Carterius und des -»Diodor von Tarsus ein, wo Theodor nicht ohne innere Krise — er schwankte einige Zeit zwischen Ehe und Ehelosigkeit - seine theologischen Studien abschloß. Auf Johannes' Drängen entschloß sich Theodor schließlich doch zu einer aszetischen Lebensform. Nach dem Studium empfing er die Priesterweihe durch Bischof Flavian von Antiochien (Bischof 381-404), dessen jungnizänischen Flügel er während des meletianischen Schismas (-»Antiochien 11.4.) stärkte und dem er als Seelsorger und Theologe zur Seite stand. Seine in dieser Zeit vor allem gegen -»Eunomius und -»Apollinaris gerichteten rhetorischen und literarischen Aktivitäten trugen ihm alsbald den Ruf eines streitbaren Theologen ein, „der es mit der ganzen häretischen Phalanx bestens aufnahm" (Theodoret, h.e. V,40). Nach einem kürzeren Aufenthalt in Tarsus wurde Theodor 392/93 als Nachfolger des Olympius zum Bischof des kilikischen Mopsuestia geweiht, wo er nach dem Zeugnis nestorianischer Biographen (Chronik von Se'ert: PO 5,286f.) entschieden gegen den heidnischen Mopsos-Kult vorging. In seinem 36 Jahre währenden Episkopat (Theodoret, h.e. V,40) verfaßte er nicht nur zahlreiche Kommentare und dogmatische Werke, sondern trug auch zur Beilegung der pneumatomachischen Kontroverse in Kleinasien maßgeblich bei (vgl. T R E 12,199,40-201,44). So verteidigte Theodor während der Konferenz von Anazarbus, die von einigen Biographen kurz vor der Bischofsweihe angesetzt wird (Chronik von Se'ert: PO 5,286f.), auf der von den Neunizänern geschaffenen theologischen Grundlage die Gottheit des Heiligen -»Geistes gegen die Mazedonier. 394 vermittelte Theodor auf einer Provinzsynode in -» Konstantinopel in Kirchenfragen, wo es um die Neubesetzung des Bischofsstuhles von Bostra ging (PG 138,449-456). Auf den anwesenden Kaiser -»Theodosius I. hinterließ die Predigt des Bischofs von Mopsuestia einen bleibenden Eindruck (Johannes I. von Antiochien [gest. 441] bei Facundus, defens. II,2,13f.). Als Bischof stand Theodor in regem Gedankenaustausch mit den Geistesgrößen seiner Zeit. Die Jugendfreundschaft mit Johannes Chrysostomus hielt Theodor auch dann noch aufrecht, als jener bereits im Exil war (Chrysostomus, ep. 112), ja, er verwandte sich sogar für den Konstantinopler Bischof bei Kaiser Arcadius (reg. 395-408; Chronik von Se'ert: PO 5,320f.), allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Schließlich sei noch —»Basilius von Caesarea erwähnt, dem Theodor seinen Johanneskommentar (CSCO 116,1) widmete und den er im Kampf gegen Eunomius unterstützte, ferner -»Gregor von Nazianz (Facundus, defens. VII,7,32—35) und schließlich sogar -»Cyrillus von Alexandrien, der allerdings nach Ausbruch der nestorianischen Kontroverse (-»Nestorius/Nestorianischer Streit) von dieser Freundschaft nichts mehr wissen wollte. Spätere Autoren haben auf diesen Gesinnungswandel des alexandrinischen Bischofs nachdrücklich aufmerksam gemacht (Facundus, defens. 111,6,33-45). 420 griff Theodor in den pelagianischen Streit (-»Pelagius/Pelagianischer Streit) zunächst zugunsten des -»Julian von Aeclanum, dem er zeitweilig Gastrecht einräumte,

Theodor von Mopsuestia

241

ein, zögerte aber nicht, ihn später nach seiner Abreise auf einer kilikischen Provinzsynode als Häretiker zu verurteilen (Collectio palatina 15). Theodor verstarb 428 noch vor Ausbruch der nestorianischen Kontroverse nach einem reichen, von großem Schaffensdrang erfüllten Leben im Alter von rund 80 Jahren. 2. Werk Theodor war ein außergewöhnlich fruchtbarer Schriftsteller, wie seine Schriftenkataloge bei Ebedjesu (BOCV 3,1,30-35) und in der Chronik von Se'ert (PO 5,289-291) belegen. Beide Kataloge ergänzen einander, weichen aber in der Angabe der einzelnen Titel geringfügig voneinander ab. Theodor gilt als der bedeutendste Exeget der antiochenischen Schule und neben Nestorius als wichtigster Theologe der persischen Kirche, der fast kein Buch der Heiligen Schrift unkommentiert ließ. Die meisten erhaltenen Werke sind daher auch exegetischer Natur; beträchtliche Teile derselben sind im griechischen Original bzw. in syrischer und lateinischer Übersetzung überkommen. Die postume Verurteilung Theodors im Verlaufe des Drei-Kapitel-Streites 553 (vgl. T R E 16,740,35-52) führte jedoch zu einer fast vollständigen Vernichtung des dogmatischen Schrifttums und jener exegetischen Werke, die einen starken Bezug zur inkriminierten Christologie erkennen ließen, wie etwa des Johanneskommentars. Wo, wie in diesem Falle, die griechische Überlieferung fragmentarisch ist, bietet die syrische Übersetzung oft den vollständigen Text. 2.1. Exegetische Kommentare zum Alten Testament. Vom Kommentar zur Tora liegen nennenswerte syrische und griechische Fragmente zu Genesis (comm. in Gen.) vor, während der commentarius in Exodum bis auf wenige Zitate als verloren gilt. Theodor kommentierte ferner Josua und Richter, wovon allerdings nichts erhalten ist. Der Kommentar zu den Samuelbüchern soll von Elias von Nisibis (11. Jh.) vollendet worden sein (PO 5,289). Bedeutend und kontrovers ist der dem Cyrillus von Alexandrien gewidmete Hiobkommentar, von dem die Akten der 2. ökumenischen Synode von -> Konstantinopel einige Zitate bewahrt haben. Der Ekklesiastes-Kommentar (comm. in Eccl.) ist fragmentarisch in syrischer Übersetzung erhalten. Der Psalmenkommentar (comm. in Ps.) konnte für die Psalmen 1 - 8 0 aus den -»Katenen ebenfalls vollständig wiederhergestellt werden; weitere Fragmente liegen in einer lateinischen Übersetzung des Julian von Aeclanum vor. Der Kommentar zu den Kleinen Propheten (comm. in XII Proph.) ist als einzige Schrift vollständig im griechischen Urtext erhalten. Von den großen Propheten kommentierte Theodor Jesaja, Ezechiel, Jeremia, Daniel, wovon nur bescheidene Reste überkommen sind. 2.2. Exegetische Kommentare zum Neuen Testament. Umfangreich wie das Kommentarwerk zum Alten Testament ist auch das zum Neuen Testament. Theodor kommentierte alle Evangelien, doch ist nur der Kommentar zum Johannesevangelium (comm. in Io.) vollständig in syrischer Übersetzung und in zahlreichen griechischen Katenenfragmenten überkommen. Auch liegen erwähnenswerte griechische Fragmente zum Matthäusevangelium vor, während sich von den Kommentaren zum Markus- und Lukasevangelium nur schwache Spuren in der Überlieferung nachweisen lassen (Devreesse, Essai 3 6 - 3 8 ) . Ischodad von Merw zitiert im 9. Jh. aus einem Theodor-Kommentar zur Apostelgeschichte (comm. in Acta.), doch ist umstritten, ob dieser mit den von E. Dobschütz edierten Fragmenten identisch ist. Das Corpus Paulinum wurde von Theodor ebenfalls vollständig kommentiert (comm. in ep. Pauli); der griechisch und lateinisch erhaltene Kommentar liefert nach dem Zeugnis der Chronik von Se'ert (PO 5,288f.) gleichsam den Schlüssel zum rechten Verständnis der Paulinen. Was die anderen Schriften des Neuen Testaments anbelangt, so steht fest, daß Theodor den 1. Petrusbrief, den Jakobusbrief sowie den 1. Johannesbrief nirgends zitiert, was wohl mit der Eigenart des syrisch-antiochenischen -»Kanons zusammenhängt, in den die „katholischen Briefe" erst spät Eingang gefunden haben (so Devreesse, Essai 42 gegen Pirot 121-153).

242

Theodor von Mopsuestia

2.3. Dogmatische Werke. Während sich die exegetischen Werke Theodors sehr leicht identifizieren lassen, gestaltet sich die Rekonstruktion der theologischen Werke nach den vorliegenden Listen der Chronik von Se 'ert und des Kataloges bei Ebedjesu ungleich schwieriger, da die Titel der einzelnen griechischen Schriften unterschiedliche Wiedergaben im Syrischen und Arabischen erfahren haben. Das in die Zeit des antiochenischen Presbyterates vor 392 fallende dogmatische Hauptwerk De incarnatione adversas apolinaristas et anomoeos, welches -»Gennadius von Marseille (vir. ill. 12) noch in den Händen hielt und lobend erwähnte, gilt bis auf wenige griechische Fragmente weiterhin als verschollen, nachdem das einzige syrische Manuskript der Bibliothek von Se 'ert in den Wirren des Kurdenaufstandes von 1909 verlorenging (Devreesse, Essai 4 4 - 4 8 ) . Von der antiarianischen Streitschrift gegen Eunomius (c. Eun.) existieren noch wenige Fragmente; die von Theodor 392 im kleinasiatischen Anazarbus geführte Disputatio cum Macedonianis (disp. c. Mac.) hingegen ist vollständig syrisch überliefert. Nicht mehr erhalten sind die bei Ebedjesu und in der Chronik von Se 'ert erwähnten Schriften über die Erbsünde (wohl zwischen 4 1 5 - 4 1 8 während der Zeit des Gnadenstreites mit Julian von Aeclanum entstanden), gegen die Perser, gegen die Allegoristen (Origenisten) sowie ein eschatologischer Traktat über den Antichristen. 2.4. Praktische Werke. Von Theodors aszetischen Werken De sacerdotio und De perfectione morum ist außer wenigen beim syrischen Mystiker Isaak von Ninive (7. Jh.) überlieferten Fragmenten nichts erhalten geblieben. Die katechetischen Homilien (hom. cat.), deren syrische Übersetzung erst zu Beginn des 20. Jh. wiederentdeckt wurde, sind für die Liturgiegeschichte und die Kenntnis der Theologie Theodors von unschätzbarem Wert. Sie erklären im einzelnen das Symbolum (1-10), das Gebet des Herrn (11), die Taufe (12-14) sowie schließlich die Eucharistie (15/16) und entstammen der Presbyteratszeit in Antiochien vor 392. Eine unter dem Namen Theodors überlieferte Anaphora ist als unecht zu betrachten. Es handelt sich hierbei um ein überarbeitetes, ostsyrisches Formular der vornizänischen Addai-Mari-Liturgie (-+ Abendmahlsfeier I.4.4.). 3.

Theologie

3.1. Theologische Stellung und Methode. Theodor galt zeit seines Lebens als orthodoxer Bischof, wurde aber während der nestorianischen Kontroverse durch Cyrillus von Alexandrien als christologischer Häretiker gebrandmarkt. Der unselige Drei-Kapitel-Streit (-> Justinian) führte zur Vernichtung fast seines gesamten dogmatischen Werkes und markierte das vorläufige Ende antiochenischer Christologie im Osten des Römischen Reiches. Die Stellung des „seligen Schriftdeuters", wie ihn die persische Kirche ehrfurchtsvoll nennt, blieb allerdings auch im Westen dank der zahlreichen Übersetzungen ins Lateinische unangefochten. Neben spanischen und nordafrikanischen Theologen des 6. Jh. (Facundus) lassen irische und auch deutsche Theologen wie ->Hrabanus Maurus Beeinflussungen durch die exegetische Methode Theodors erkennen (S wete I, xxxv-lviii). Theodors historisch-grammatische Exegese des Alten Testamentes, vor allem der Propheten, versteht sich als Gegenentwurf zum extremen Allegorismus der Origenisten (-»Orígenes/Origenismus), schließt aber eine maßvolle typologische Betrachtung der Heiligen Schrift keineswegs aus (->Schriftauslegung). Sie resultiert aus einem gestuften Offenbarungsverständnis, wonach Gesetz und Propheten lediglich als Schatten des Künftigen zu werten sind. Diese heilsgeschichtliche Schau sichert dem Alten Testament eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem Neuen und führt zu einer Zurückdrängung der christologischen und pneumatologischen Interpretation einschlägiger Prophetentexte, was ihm von Kaiser Justinian im II. Constantinopolitanum zum Vorwurf gemacht wurde. Das christologische Schema der „Zweiheit vor der Einheit" spiegelt sich in dem Verhältnis der beiden Testamente zueinander wider. 3.2. Theologische Hauptthemen. Die Fixierung auf den christologischen Streit des 5. Jh. brachte es mit sich, daß die Verdienste Theodors in der Trinitätslehre nicht immer

T h e o d o r von Mopsuestia

243

recht erkannt und in angemessener Weise gewürdigt wurden. So leistet etwa seine an der kontinuierlichen Taufpraxis der Kirche orientierte Pneumatologie einen wesentlichen Beitrag zum Abschluß des trinitarischen D o g m a s , indem sie, ontologisch gewendet, das nizänische H o m o u s i o s sachlich auch auf die Gottheit des Geistes ausdehnt (—»Taufe; -»Trinität). Als Schüler und Presbyter des Flavian in der Tradition des Meletius von Antiochien (gest. 381) stehend, neigte T h e o d o r in der Trinitätslehre eher dem jungnizänischen Flügel in Antiochien zu, hat aber auch immer in der Begrifflichkeit den Brükkenschlag zu den Altnizänern versucht. Seine theologische Begrifflichkeit in den katechetischen Homilien wie auch im P r o p h e t e n k o m m e n t a r ist hoch entwickelt. So spricht Theodor von Wesen und N a t u r Gottes (oöaia, ipöaiQ), wenn er auf die ontische bzw. natürliche Einheit in - » G o t t zu sprechen k o m m t , vnöataaic, bzw. npöaconov hingegen verwendet er, wenn er auf die unterschiedlichen Personen in der Gottheit eingeht. M ö g licherweise ist es gerade dieses Bemühen, welches in der engen Verflechtung des onöaxaaiQ- mit dem 7tpöHiob/Hiobbuches und des -»Koheletbuches hochreflektierte, radikale Infragestellungen ihrer eigenen Voraussetzungen zu verdanken. Sosehr weisheitliche Theologie die Profile aller anderen Konzeptionen in ihren Spätstadien mit geprägt hat, sowenig sind Weisheit und Tora in den Schriften des masoretischen Kanons über eine freundliche Nachbarschaft hinausgekommen. Die Vereinigung aller theologischen Konzeptionen unter der Herrschaft der Tora sollte im masoretischen Kanon durch nichts tangiert werden. Demgegenüber hat die jüdisch-christliche Tradition der griechischen Bibel in ihrem Kanon die Schrift des Jesus Sirach (-+ Sirach/Sirachbuch, entstanden im 2. Jh. v. Chr.) aufgenommen, die erstmals explizit Weisheit und Tora identifiziert und auf dieser Basis die umfassende Integration von Heilsgeschichte und Prophetie in die Weisheit leistet. Hier wird das endgültige Miteinander der verschiedenen theologischen Konzeptionen sichtlich anders akzentuiert als im masoretischen Kanon. 5. Theologie

der

Apokalyptik

Die Theologie der -»Apokalyptik wird bewußt nach den abschließenden Bemerkungen zum masoretischen Kanon und zu demjenigen der griechischen Bibel behandelt. Das in seiner Endgestalt apokalyptische Danielbuch (-»-Daniel/Danielbuch und Zusätze) ist im masoretischen Kanon unter den „Schriften" eher versteckt worden, während es im jüdisch-christlichen Kanon der griechischen Bibel als Prophetenbuch im Sinne der Septuaginta gelesen werden soll. Demgegenüber ist zu betonen, daß die Apokalyptik, obwohl mit allen bisher dargestellten Konzeptionen vertraut, sich durch Eigenständigkeit von ihnen klar abhebt und im Sinne einer theologischen Konzeption vielleicht sogar die profiliertesten Konturen aufweist. Unter den Judentümern der Zeitenwende war sie, wie die in —»Qumran erhaltenen Schriften und die urchristliche Literatur (-»Urchristentum) in ihren Anfängen belegen, von außerordentlicher Bedeutung. Sie hat sich jedoch bei der Kanonbildung wegen des ihr eigenen institutionskritischen Charakters weder im Judentum noch im Christentum nachhaltig durchsetzen können. Die Apokalyptik weiß um Geheimoffenbarungen an besonders ausgezeichnete Gestalten der jüdischen Glaubensgeschichte. Ihnen werden Offenbarung und Deutung von Gottes Beschluß über die Weltgeschichte zuteil. Ihre göttlich determinierten innergeschichtlichen Wandlungen und Wendungen laufen auf das berechenbare kosmische Ende der Welt zu. Mit der Scheidung im Gericht bricht Gottes Reich an, ein neuer Aon, der mit dem alten nichts gemein hat. Bis zu seinem Anbruch bleibt die Offenbarung dem Apokalyptiker anvertrautes Geheimnis. Diese Fiktion dient der Absicht, das Wissen um das nahe Ende den apokalyptischen Zirkeln vorzubehalten. Es ist der apokalyptische Zweig des Judentums gewesen, dessen durch die Gestalt eines Menschensohnes oder Messias modifizierbare theologische Konzeption zur „Mutter der christlichen Theologie" (Käsemann) geworden ist. Literatur James Barr, The Concept of Biblical Theol. An O T Perspective, London 1999. - Walter Brueggemann, Theol. of the OT. Testimony, Dispute, Advocacy, Minneapolis, Minn. 1997. - Brevard S. Childs, Biblical Theology of the Old and New Testaments. Theological Reflection on the Chris-

268

Theologie II/l

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Hermann Spieckermann

n/1.2. Neues Testament 1. Grundsätzliches mentlicher Theologie

1.

2. „Neutestamentliche Theologie" heute (Literatur S. 271)

3. Grundaussagen neutesta-

Grundsätzliches

Alle christliche Theologie bezieht sich auf die —»Bibel und hier vornehmlich auf das Neue Testament zurück. Damit greift sie wiederum Theologie auf, die allerdings noch nicht Theologie im späteren, seit dem Ende des 2. Jh. n. Chr. herausgebildeten Sinn ist (s.u. II/2.). Das Wort und der Begriff OeoXoyia (dazu s.u. II/2.1.) fehlen im Neuen Testament wie auch in der Septuaginta. Urchristliches theologisches Denken ist jedoch in den Aussagen und Argumentationsstrukturen der urchristlichen Texte und der von ihnen gespiegelten urchristlichen Bekenntnis- und Verkündigungssprache präsent. Die unterschiedlichen theologischen Sprachformen bezeugen dabei die lebendige Vielfalt urchristlichen Lebens (Balla) und letztlich der Wirkungsgeschichte Jesu von Nazareth (-»-Jesus Christus). Sie begegnen in der Gestalt von Erzähl- und Spruchgut (Jesustradition), von formelhaft geprägten und zumeist im -»Gottesdienst beheimateten Bekenntnis- und Glaubensüberlieferungen (—»Glaubensbekenntnisse]), von überwiegend konkreten und situationsbezogenen Erörterungen, Belehrungen und Apologien (Briefe), von diskursiven Vertiefungen und Begründungen urchristlichen -»Glaubens und urchristlicher Verkündigung, aber auch in der Gestalt von parakletischen Aufrufen und Zurechtweisungen (-•Paränese), und schließlich dies alles im Zusammenhang mit einer als wahr und gültig erlebten und so das christologische Denken befördernden Interpretation der heiligen Schriften -»Israels (s.o. II/l.l.) durch die christusgläubigen jüdischen wie nicht jüdischen Gemeinden. Ein so beschriebener Zugang zur neutestamentlichen Theologie greift den Ansatz R. -»Bultmanns auf („ ... die Theologie des NT besteht in der Entfaltung der Gedanken, in denen der christliche Glaube sich seines Gegenstandes, seines Grundes und seiner Konsequenzen versichert": 1 f.), führt ihn aber in der Weise fort, daß bereits diese „Gedanken" und nicht erst ihre exegetisch-theologische „Entfaltung" als neutestamentliche Theologie angesprochen werden. Spätere christliche Theologie versucht, urchristliche Theologie zu verstehen, gründet aber nicht in ihr. Sie findet vielmehr ihren Grund und Gegenstand, von dem sie reden will und muß, - wie die urchristlichen Schriften - in dem in Jesus Christus beschlossenen -•Heil des Gottes Israels für alle Glaubenden, seien sie Juden oder Menschen aus den

Theologie I I / l

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Völkern. Sie steht insofern gleichsam neben urchristlicher Theologie; aber sie kann ihren Grund und Gegenstand nicht bei sich haben, ohne seine primäre und exemplarische Artikulation in urchristlichen Theologien wahrzunehmen und sich anzueignen. Christliche Theologie gehört somit in die Wirkungsgeschichte der biblischen, vornehmlich der neutestamentlichen Texte hinein. In ihren auf diese Texte bezogenen Auslegungs- und Vergewisserungsakten erfaßt sie die in ihnen implizierte Theologie, bezieht diese auf ihren damals wie heute relevanten Grund und Gegenstand und führt sie so kreativ und orientiert an den Erfordernissen von Geschichte und Gegenwart fort. Das bringt notwendig Transformationen mit sich, ja kann auch zu Infragestellungen biblischer Theologien führen, wenn nämlich das Selbst- und Weltverständnis solcher Theologien durch die Wirklichkeitserfahrungen und die Geschichtsauffassungen der jeweiligen Gegenwart nicht mehr hinreichend gedeckt werden können. Dazu bedarf es des kritischen Gesprächs der christlichen Theologie mit den benachbarten Geistes-, Religions-, aber auch Human- und Naturwissenschaften. Auch das Nebeneinander von nicht immer einfach miteinander zu vermittelnden biblischen Theologien (Strecker) macht die schöpferische und zugleich integrative theologische Arbeit der Nachfolgenden unabdingbar (Gnilka, Theologie [1994] 454ff.; vgl. Räisänen, Theologie [2000] lOOff.). Biblische Texte sind weder vom Prinzip einer systematischen Korrelation untereinander noch vom Postulat einer direkten Kommunikation mit den religiösen oder philosophischen Gedanken ihrer Umwelt geprägt. Die Frage, wieweit solche Devianz oder Dissonanz auch gegenwärtige Theologie bestimmen soll, ist die Frage nach der Gestalt dieser Theologie selbst. 2. „Neutestamentliche

Theologie"

heute

Es ist die Aufgabe heutiger christlicher Theologie, die Erinnerung an die anfängliche Gestalt von Theologie unter den Verstehensbedingungen der Gegenwart wachzuhalten. Christliches theologisches Denken muß sich immer wieder an den Ort seines Entstehens führen lassen, den es zwar im geschichtlichen Abstand nicht einfach erneut betreten kann, ohne den es aber auch seinen Grund und Gegenstand „heute" nicht vertreten kann. Deshalb erfordern biblische bzw. neutestamentliche Theologie historisch-kritische und theologische Denkarbeit zugleich. Theologische Arbeit am Neuen Testament in „rein" historische auflösen zu wollen würde - abgesehen von den hermeneutischen Problemen (—»Hermeneutik) — auf eine deskriptive ur- und frühchristliche —•Religionsgeschichte (W. —>Wrede; Räisänen, Theologie [2000]) hinauslaufen. Die Kanonbildung (-»Kanon) käme als eher störender Faktor in den Blick. Exegese wäre von der Frage nach der theologischen „Kohärenz der neutestamentlichen Schriften" (Schröter 282) dispensiert. Unkritische Repristinierung biblischer Theologien bedeutete in gleicher Weise einen Verzicht auf theologische Arbeit an den Texten und würde sie als positiven Faktor zu heutiger „Kohärenzstiftung" nicht ernst nehmen (ebd.; vgl. Luz). Theologische Rezeption der neutestamentlichen Theologien nimmt diese dagegen vor allem in ihrem alttestamentlichen Kontext wahr, ob dieser nun als das im Neuen rezipierte Alte Testament (Hübner I, 62ff.) bestimmt wird oder die beide Testamente miteinander verbindende Geschichte ihrer Kanonisierung akzentuiert wird (Stuhlmacher I, 6ff.; II, 287ff.) oder - und darauf kommt es an - der gegenseitige Erschließungscharakter beider Schriftensammlungen erarbeitet wird (Oeming; Kittel; Müller; Thüsing III, 221ff.; vgl. weiter Merk 124ff.). Alttestamentlichjüdische Theologien sind nicht - schlußendlich überwundene - Voraussetzungen oder Rahmenbedingungen urchristlicher Theologien (anders Bultmann 109ff.; Conzelmann 21f¥.; Strecker 4ff.28ff.), sondern sind im Urchristentum in der Gestalt heiliger Schriften gegenwärtig, die einerseits dem Christusglauben zu seinen theologischen Konturen verhelfen (Marquardt I, 140ff.; vgl. Stuhlmacher I, 5) und sich andererseits den Christusgläubigen erst von daher voll erschließen (z. B. Rom 10,4: Ziel der Tora - Christus; Joh 5,46: Mose ... hat von mir geschrieben).

270

Theologie II/l

Ein umfassend systematischer Zugang zur neutestamentlichen Theologie (Schelkle; vgl. auch Thüsing) dürfte sich heute um des historischen Profils urchristlicher Gruppen und ihres je unterschiedlichen Konnexes mit jüdischem Leben willen (vgl. Becker) verbieten. Das kann aber nicht heißen, daß neutestamentliche Theologie nur noch als in sich hochdifferenzierte und deshalb weithin hypothetische urchristliche Theologiegeschichte (Berger; Schmithals) darzustellen sei. Auch wenn gegenwärtig eine der Bultmannschen Synthese entsprechende Gesamtkonzeption nicht mehr zu erkennen ist (vgl. Räisänen, Theologie [2000] 66; ders., Theologie [1999] 541 f.), zeigt doch neuere religionswissenschaftliche und zugleich systematische Bemühung um die urchristliche(n) Theologie(n) immerhin, daß sich die Beobachtung von theologischer Komplexität mit der Suche nach gemeinsamen Basismotiven oder Grundaxiomen und einer, letztlich auch durch die Kanonbildung erkennbar werdenden, Einheit des Neuen Testaments verbinden läßt (Theißen). Dem mag künftig die Kombination von historischen und themenorientierten Arbeitsschritten in neutestamentlichen „Theologien" durchaus entgegenkommen (Räisänen, Theologie [2000] 97ff.). 3. Grundaussagen

neutestamentlicher

Theologie

3.1. Da wir das in Jesus Christus beschlossene Heil nicht ohne seine Explikation in neutestamentlichen Theologien haben, erfordert die verstehende Analyse dieser Theologien auch die historische und theologische Rückfrage nach Jesus von Nazareth. Die Kohärenz urchristlicher Theologien liegt nicht in einer erst noch hinter den Texten zu suchenden Einheit ihrer Aussagen, sondern in ihrem gemeinsamen Bezug auf Jesus als den Christus, und dies vor allem im Zusammenhang mit einer zunehmenden Ablehnung der urchristlichen Jesusdeutungen durch die jüdische Kritik - ein für urchristliche Theologiebildung grundlegender Anstoß, nun selbst die Frage des gültigen Tora-, Schrift- und Israelverständnisses innovativ oder auch kontrovers zu reflektieren. 3.2. Das Wirken, die Verkündigung und das Geschick Jesu von Nazareth sind wiewohl theologisch strukturiert - weder in eins zu sehen mit urchristlicher Theologie noch lediglich - wie bei Bultmann (1 f.) — als deren (jüdische) Voraussetzung zu verstehen. Vielmehr schließt sich urchristliche Theologie an die Gotteserfahrung, die Schrift- und Israeldeutungen sowie die Umkehr- und Heilsbotschaft Jesu an, begreift sich aber nicht etwa als Fortführung oder Vergegenwärtigung „jesuanischer" Theologie, sondern als existentielle, kerygmatische und denkerische Reaktion auf Jesus und sein singuläres Geschick, nämlich seine Verwerfung und Kreuzigung in Jerusalem und seine vollgültige Bestätigung bzw. Erhöhung durch den Gott Israels und der heiligen Schriften in seiner Auferweckung von den Toten (-»Auferstehung), die dabei als Eröffnung der eschatologischen Zeit der Erfahrung der -»Herrschaft Gottes bzw. Christi im Medium und Bereich des urchristlichen Glaubens bis hin zu ihrer universalen Erfüllung im Eschaton begriffen wurde (vgl. I Thess l,9f.; I Kor 15,20-28; Rom 8,31-39). War es das Werk Jesu gewesen, dem Gottesvolk Begegnungen mit „seinem" Gott in oft bestürzender und vergleichsweise unerhörter Intensität zu vermitteln, so vermittelte sich im Glauben an den auferstandenen Jesus Christus dieser Gott selbst in umfassender Weise an die Menschen Israels und - schon in vorpaulinischer Zeit - an Menschen über Israels Grenzen hinaus, indem sie nun Jesus, den Christus, durch den Gottes- und Christusgeist (-»Geist) als den neuen und für sie bleibend gültigen Grund ihres Existierens, Glaubens und Hoffens (-»Eschatologie; -»Hoffnung) erfuhren. Das urchristliche — auf den Offenbarungen und Erlebnissen vieler Zeugen bis hin zu Paulus beruhende - Grundbekenntnis, Gott habe Jesus von den Toten auferweckt (Rom 10,9; I Kor 15,1-11), meint dabei die durch Gott vollzogene und Menschen erfahrbar gemachte Selbstidentifikation mit dem irdischen und dem gekreuzigten Jesus, der fortan als Kyrios angerufen werden konnte (Rom 10,9; Phil 2,9-11). Mit solchen Evidenzerfahrungen entstand nicht etwa eine neue Religion, sondern eher die vielfach

Theologie II/l

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überwältigende oder erhellende (II Kor 4,6) Einsicht in eine zuvor nicht gekannte (Phil 3 , 4 - 1 1 ) oder nur unzulänglich geahnte (Lk 24,25 - 2 7 . 4 4 - 49) Dimension der Gültigkeit der eigenen (jüdischen) Religion. Erst in diesem Zusammenhang wird auch der unverdiente Tod Jesu in Aufnahme und Fortentwicklung traditioneller theologischer Topoi (wie -»Stellvertretung; -»Sühne; Loskauf; - » O p f e r ; -»Versöhnung; „ F l u c h " [-»Segen/ Segen und Fluch]; s.a. -»Kreuz) soteriologisch gedeutet (I Kor 1 5 , 3 - 5 ; R o m 3 , 2 4 - 2 6 ; 4,24f.; 8 , 3 2 - 3 4 ; I Kor 6,20; Gal 3,13; Hebr 7 , 2 3 - 2 8 ; 9 , 1 1 - 2 8 ) . 3.3. Es kommt so — vor allem bei Paulus — zu einem neuen Verständnis der Tora (Gal 3,10ff.; R o m 3 , 2 7 - 3 1 ; 7,7ff.; -»Gesetz), des Tempeldienstes (I Kor 3,16; 6,19; -•Tempel) und des Gottesvolkgedankens, der durch die - christusgläubige Juden und Nichtjuden umfassende - Rede von der eKKXtjaia xoö Oeoß (I Kor 1,2; 15,9; -»Kirche) universale Struktur annimmt, ohne sich konkret von Israel zu lösen (Rom 2 , 2 5 - 3 , 8 ; 3 , 2 9 f . ; 1 0 , 9 - 1 3 ; 1 1 , 1 1 - 3 2 ) . Die paulinische Theologie der von Gott aus - » G n a d e gewährten -»Rechtfertigung des Gottlosen (Rom 5 , 6 - 1 1 ) ist dabei die von ihm - in Reaktion auf jüdische Kritik an der -»Mission der Völker - zu immer deutlicherer Artikulation geführte theologische Grundüberzeugung von dem Heil schenkenden und so in sich „gerechten" (Rom 3,26; -»Gerechtigkeit) „biblischen" Gott und Vater Jesu, deren Kehrseite die Überzeugung von der totalen Heilsunfähigkeit des Menschen darstellt ( - » M e n s c h ; -»Sünde). 3.4. Ein spätes Stadium (zweite/dritte Generation) urchristlicher Theologie repräsentiert schließlich die Verschriftlichung der Jesus-Christus-Uberlieferung in den Evangelien, die allerdings nicht einseitig unter dem Aspekt der Parusieverzögerung (-»Gericht; -•Zeit) interpretiert werden sollte. In ihr spiegelt sich vielmehr der unumkehrbar gewordene Prozeß der Ablösung der urchristlichen Gemeinden von Israel, den die seit 70 n. Chr. greifbare neue Form der umfassenden, schriftlichen Jesus-Erzählung ( - » F o r m geschichte) im Sinn einer eigenen „Grunderzählung" (Theißen 233) noch befördert, besonders im Matthäus- und im —»Johannesevangelium. In etwa der gleichen Zeit gewinnt der Gedanke der apostolischen Begründung der kirchlichen -»Tradition (-»Apostel) immer deutlichere Konturen (Paulusschule, Lukanische Schriften). Späturchristliche Theologie blickt zurück auf die kirchenbegründende Verkündigung und Lehre der Apostel (und Propheten) als Fundament alles künftigen kirchlichen Lebens (Act l,15ff.; Eph 2 , 1 9 - 2 1 ; 4 , 1 1 - 1 4 ; I T i m 2,7; II Petr 3,2). Dies kommt zur Sprache im sog. Revelationsschema (Kol l,24ff.; Eph 3,1 ff.; -»Offenbarung), im Gedanken der apostolischen Einrichtung kirchlicher „ Ä m t e r " (I T i m 3,1 ff.; 5,1 ff.; T i t 1,5ff.; - » A m t ; -»Pastoralbriefe) sowie schließlich in der Entstehung „apostolischer" -»Pseudepigraphie 3.5. Nicht zuletzt diese Entwicklungen, die bereits auf das 2. J h . n. Chr. vorausweisen, halten die Frage nach der Mitte und Einheit neutestamentlicher Theologie grundsätzlich offen. Jeder Antwortversuch ist zugleich eine gegenwärtige theologische Stellungnahme, die den Grund und Gegenstand christlicher Theologie (s.o. 1.) in seiner Ausgelegtheit durch die neutestamentlichen Theologien möglichst unverkennbar zur Sprache zu bringen versucht. Literatur Peter Baila, Challenges to N T Theology. An Attempt to justify the Enterprise, 1997 (WUNT 11/95). - Gerhard Barth, Bibl. Theol. Eine vorläufige Bilanz: EvTh 58 (1998) 3 8 4 - 3 9 9 . - Jürgen Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche, 1993 (SBS 155). - Klaus Berger, Theologiegesch. des Urchristentums. Theol. des NT, Tübingen/Basel 1994 2 1995 (UTB.WG). - Rudolf Bultmann, Theol. des NT, Tübingen 1953; durchg. u. erg. v. Otto Merk, Tübingen '1984 (UTB 630). - Hans Conzelmann, Grundriß der Theol. des NT, 1967 (EETh 2); bearb. v. Andreas Lindemann, Tübingen 4 1987 '1997 (UTB 1446). - Christoph Dohmen/Thomas Söding (Hg.), Eine Bibel - zwei Testamente. Positionen bibl. Theol., Paderborn u.a. 1995 (UTB 1893). - Joachim Gnilka, Ntl. Theol. Ein Überblick, Würzburg 1989. - Ders., Theol. des NT, 1994 (HThK.S 5). - Leonhard Goppelt, Theol. des NT, hg. v. Jürgen Roloff, Göttingen 1976 3 1978 (UTB 850). - Hans Hübner, Bibl. Theol. des

272

Theologie II/2

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3. Theo-

Voraussetzungen

Das Wort Theologie geht auf griechisch OeoXoyla (dazu ôeoXoyeîv, OeoXôyoç usw.) zurück, das ins Lateinische als theologia/theologus (selten deiloquium!deiloquus) entlehnt worden ist. Im klassischen griechischen Sprachgebrauch bedeutet OeoXoyelv über -»Gott oder einen Gott reden, und OeoXoyia ist die Wissenschaft von Gott (Liddell/Scott 790). In christlicher Verwendung bedeuten die Begriffe (PGL 626ff.): 1. Von jemandem oder etwas als von Gott sprechen. Heiden „theologisieren" (OeoXoyeïv) Menschen oder geschaffene Dinge. 2. Daher kann OeoXoysîv/OeoXoyia bedeuten, von Gott allgemein oder vom Sohn oder heiligen Geist als Gott zu sprechen. 3. Häufig wird OeoXoyia in nichtchristlichen wie christlichen Texten im Sinne des Sprechens von oder zu Gott oder einen Gott im Gebet oder Lobpreis verwendet. Eine verbindliche christliche Theologie entfaltete sich in der Spätantike (-»Antike und Christentum). Das Römische Reich bestimmte ihren gesellschaftlichen, religiösen und geistigen Hintergrund und griff seit -»Konstantin auch in das Leben und Denken der Kirche ein; die Staatsmacht legte Vorgaben für ihre theologische Einheit fest und suchte sie durchzusetzen (z.B. —»Justinian). Gegen Ende der neutestamentlichen Zeit hatte der jüdische Nährboden, aus dem das Christentum erwachsen war, an Bedeutung verloren (-»Judenchristentum); doch blieb sein Einfluß für die christliche Praxis und Eschatologie immer noch wirksam (Daniélou I). Die frühe christliche Theologie greift auf das griechische Denken zurück, insbesondere den mittleren Piatonismus (-»Plato/ Piatonismus; -»Neuplatonismus) und die aristotelische Tradition ( - » Aristoteles/Aristotelismus). Im lateinischen Westen zeigt die Theologie eine stärker ethische Ausrichtung auf dem Hintergrund des Stoizismus (-»Stoa/Stoizismus/Neustoizismus) und römischen Rechtsdenkens; doch auch im Westen spielt der durch das griechische Christentum ver-

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mittelte Piatonismus eine entscheidende Rolle, so bei -» Augustin und -»-Ambrosius. Neuere Untersuchungen haben zudem einen weiteren, im östlichen, insbesondere syrischen Christentum entspringenden Strom deutlicher hervortreten lassen. Theologen wie -•Afrahat und —>Ephraem Syrus zeigen einen dichterischen, mystischen Zugang zur Theologie, der sich vom spekulativen griechischen Denken abhebt. Einige der frühen Züge des östlichen Christentums sind allerdings von der griechisch bestimmten Reichskirche abgewiesen worden, und die moderne -»Dogmengeschichtsschreibung hat diese Tradition im allgemeinen nicht in ihr Geschichtsbild eingezeichnet (Murray). 2. Philosophie

und das Wort

Gottes

Die patristische Theologie hat zwei Grundlagen, die -»Philosophie und das -»Wort Gottes. Die griechische Philosophie stellt negative Umschreibungen Gottes bereit, die für Plato und Aristoteles kennzeichnend sind: leidenschaftslos, unsagbar, ungezeugt, unsichtbar {änaOtji;, äpprjzoQ, dysvvtjrot;, äöpaxoq). -»Tertullian kann sich zwar abschätzig über die Philosophie äußern (praescr. 7), macht aber regen Gebrauch von stoischen Vorstellungen wie etwa der Auffassung, Gott müsse als substantia körperlich sein (carn. 11; vgl. an. 3). Der Wahrheitsgehalt einer philosophischen Vorstellung kann sogar von -»Hippolytus zugestanden werden, der die Philosophie als Wurzel der -»Häresie verwirft (haer. 1,19). Einige christliche Denker behaupten, die ältere Philosophie gehe auf -»Mose zurück und sei daher gottgegeben (Justin, I, apol. 59): Sokrates und Heraklit lebten mit Vernunft (ßerä Aöyov) und waren bereits Christen, als die sie auch gelitten haben (Justin, I apol. 46; Athenagoras, leg. 31). Die bestimmende Vorstellung des mittleren Piatonismus, wie sie bei Autoren wie Albinus (2. Jh. n.Chr.) zum Tragen kommt und in den Hauptstrom des christlichen Denkens eingegangen ist, war die des transzendenten ersten Prinzips, das durch einen zweiten Geist oder Gott zur natürlichen Ordnung in Beziehung tritt und ihr durch ihn bekannt wird. Die Christen fanden darin wie in der Schrift den Vater und den Sohn, den Schöpfer und sein Wort wieder. -»Gregor der Wundertäter preist -»Origenes, weil er seine Schüler dazu drängte, die Theologie der unterschiedlichen philosophischen Schulen zu studieren, von ihnen allen zu lernen, aber keiner zu vertrauen. Die Wahrheit liegt in der recht verstandenen heiligen Schrift, deren rechtes Verständnis die Erklärung ihrer Rätsel und Gleichnisse verlangt (pan. Or. XIII, 1 5 0 - X V , 183). Origenes selbst entfaltet in seinem Werk Von den Prinzipien Vorstellungen über die Natur Gottes und seines -»Logos, von denen er behauptet, sie seien dem Weisen allein aus der Vernunft zugänglich; der heilige -»Geist aber und damit die volle Wahrheit über Gott wird erst aus der heiligen Schrift erkannt. So wird Gottes Wort als Quelle wahrer Theologie verstanden. Die heilige Schrift allerdings war dunkel. Der -»Kanon war zwar noch nicht vollständig abgeschlossen, stand aber doch zur Zeit des Origenes im wesentlichen fest (-»Bibel III). Die -»Schriftauslegung aber hatte von Anfang an Probleme aufgeworfen. Im Wortsinn genommen führt das Alte Testament zum Ebionitismus (-»Judenchristentum) oder Marcionitismus (-»Marcion). Ungebundene Spekulation weist den Weg zu Entwürfen eigener Art wie denen des -»Basilides, -»Valentin und —»Ptolemäus, die einen dem Schöpfer gegenüber höherstehenden Gott postulieren. Sie teilten die mittelplatonische Neigung, eine unmittelbare Verwicklung des höchsten Wesens in die dem Wandel unterliegende Welt zu bestreiten und die Vorstellung anderer Mittelwesen zu entfalten. Es war die Leistung des -»Irenäus, den überkommenen -»Glauben in der Glaubensregel (—»Glaubensbekenntnisse] V.2.) zusammenzufassen. Darin folgten ihm u.a. Tertullian und Origenes. Diese Regel gab einen Abriß der Lehren, die vor der -»Taufe vermittelt wurden, und war trinitarisch. Auch wenn die Trinitätslehre (-»Trinität) noch nicht ausgebildet war, spiegelte diese verpflichtende Taufunterweisung die Grundzüge christlicher Erfahrung (vgl. Gal 4,6). Sie bekräftigte den höchsten Rang des Vaters als Quelle allen Seins, die Sendung Jesu Christi als seines Sohnes und die an Seele und Leib der Gläubigen wirkende heiligmachende Kraft des heiligen Geistes. Origenes beginnt

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sein Von den Prinzipien mit der Bekräftigung einer solchen Glaubensregel als fester apostolischer -»Tradition, beansprucht aber für den geistig befähigten Erklärer das Recht und die Pflicht, ihre logischen Grundlagen auszuloten und ihre Lücken auszufüllen und so zu einer umfassenden Weltsicht zu kommen. Die spekulative Theologie beginnt somit bei dem mit der Taufe verbundenen dreifachen Bekenntnis. Eine drängende Frage des Gottesbildes ergab sich unmittelbar aus der Schriftauslegung. Nach der Bibel ist der Mensch nach dem —»-Bild Gottes geschaffen, und sie schreibt Gott häufig leibliche Züge wie Augen oder Arme zu. Einfache Christen glaubten weithin, Gott habe wie der Mensch einen wenn auch dem menschlichen überlegenen Leib, und auch Irenaus behauptete, der Mensch sei leiblich das Bild Gottes (haer. V,6,l). Tertullian nahm aus philosophischen Gründen an, daß Gott körperlich sei, da nach stoischer Auffassung keine Substanz ohne corpus existieren kann. Origenes widmet einen großen Teil von princ. I der Darlegung, daß Gott unkörperlicher Geist ist: Das Bild Gottes im Menschen ist seine Rationalität, in der er den göttlichen Logos abbildet. Obwohl sich diese Auffassung letztendlich durchsetzte, war der Anthropomorphismus im 4. und 5. Jh. noch weit verbreitet (-»Origenes/Origenismus 4.3.). Augustin berichtet, er habe das wörtliche Verständnis der Bibel in seinem christlichen Umfeld gelernt und den Manichäern (—•Manichäismus) nicht Rede stehen können, die einen Gott mit Haaren und Fingernägeln lächerlich machten. Für sie war Gott eine geistige Lichtsubstanz, die aber immer noch körperlich gedacht wurde. Die Predigten des Ambrosius brachten Augustin die Auffassung nahe, daß das Bild Gottes im Menschen geistiger Art ist (conf. 111,7,12; V 14,24). Nach Beschäftigung mit den Schriften des —»Porphyrius und dem Neuplatonismus einiger Mailänder Christen machte er sich die Vorstellung einer völlig unkörperlichen geistigen göttlichen Substanz zu eigen, die im geistigen Vermögen der menschlichen -»Seele abgebildet ist. Bei der inneren Einkehr fand er eine Widerspiegelung des transzendenten Lichtes im menschlichen Geist (conf. VII,10,16). Diese Überzeugung blieb für Augustin bestimmend und bildet den Hintergrund seiner psychologischen Trinitätsanalogien (trin. IX,2,2-5,8; X,11,17-12,19). Im Mittelpunkt des auf Bibel und Tradition beruhenden Glaubens stand die - » O f fenbarung in -»Jesus Christus, und die meisten theologischen Auseinandersetzungen der ersten Jahrhunderte kreisen um sie. Die biblischen Aussagen mußten gedeutet werden, um sie mit der philosophischen Theologie in Einklang zu bringen. Ist Gott transzendenter Geist und wird Christus mit dem weltimmanenten Logos gleichgesetzt, dann muß Christus, auch wenn er Schöpfer, Erlöser und Weltenrichter ist, einen nachgeordneten und abgeleiteten Status haben. Dementsprechend entsteht - bei Origenes, im -•Arianismus und Neuarianismus (—»Eunomius) - ein „Subordinationismus", der dann wiederum abgelehnt (-»Athanasius) oder dahingehend abgewandelt (-»Gregor von Nazianz) wird, daß Christi Gottheit nicht geringer ist als die des Vaters. H a t aber Christus als eigene göttliche Person existiert, bevor er Fleisch annahm? -»Marcell von Ancyra stellte das in Frage. Die gegenteilige Auffassung fand Eingang in das -»Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis. Wenn Christus völlig göttlich ist, kann dann seine Menschheit einen menschlichen Geist in sich schließen? -»Apollinaris von Laodicea stellte das in Frage, wurde aber verurteilt. Wie ist Christus in der verfügbaren philosophischen Begrifflichkeit zu beschreiben, wenn er sowohl Gott als auch Mensch ist? Als eine Natur, Substanz, Person (6aig, önöoTaoiQ, npöaamov) oder als zwei (-»Nestorius; -»Chalkedon, ökumenische Synode)? Bei den -»Monophysiten kam es darüber zu besonders verwickelten Auseinandersetzungen. In ihnen schlugen sich die Schwierigkeiten nieder, die sich daraus ergaben, daß einerseits der Logos als vermittelnder Gott gedacht wurde (eine Vorstellung, die eher mit der Menschheit Christi in Einklang zu bringen war) und andererseits der Glaube verlangte, daß seine Gottheit uneingeschränkt ist. In diesen Auseinandersetzungen kam das Gewicht des Glaubens zum Tragen: Gott kommt in erlösender Liebe zum Menschen, und eine reflektierte Aussage darüber darf weder die Gottheit mindern noch die Menschheit verkürzen.

Theologie II/2 3. Theologie

275

und Praxis

Der Gläubige war zu einer entschiedenen Lebensführung verpflichtet, und die Vorbereitung auf die Taufe legte Gewicht auf eine ethische Unterweisung (vgl. —»Didache). Die theologische Unterweisung befaßte sich in erheblichem Umfang mit sittlichen Verhaltensweisen, und zwar nicht nur im Westen (Tertullian; -»-Cyprian), sondern, wie die Schriften von -»Clemens von Alexandrien zeigen, auch im Osten. Die Getauften waren zu einem heiligen und zuchtvollen Leben verpflichtet, in einigen Gebieten, besonders im syrischen Osten, zu strenger -•Askese. Asketisches Leben wurde „philosophisches Leben" genannt. Es galt allgemein als Vorbedingung für ein wirkliches Verstehen Gottes. Bei Clemens und Orígenes beginnt der Lernende mit dem Glauben (niffzit;) und schreitet fort zur Erkenntnis (yvcocru;), eine Vorstellung, die jedem Platoniker einsichtig war. Ist -•Alexandrien der Ort, an dem die erste wissenschaftliche Theologie Gestalt gewinnt (Hamack I, 637-697), dann muß dieser moralische und geistige Kontext nachdrücklich mit bedacht werden. Theologie ist nicht bloße Gelehrsamkeit, sondern persönliche Bildung in Heiligkeit. Alle Arten der „Philosophie", Naturphilosophie, Logik und Ethik, sollen studiert werden, und erst dann kann der Geist zur Erkenntnis Gottes fortschreiten. Für —»Evagrius Ponticus zieht dieser Schritt bereits das Erreichen der añádela (Leidenschaftslosigkeit) nach sich. Johannes -»Cassianus umschreibt sie für westliche Mönche als „Herzensreinheit", die zur Schau Gottes führt (Mt 5,8). Auch für den Anfänger ist diese Wahrnehmung Gottes in Anbetung wesentlich. In der Taufe sagt er Satan ab und wendet sich Gott zu, der Vater, Sohn und heiliger Geist heißt; im -»Abendmahl hat die Gemeinde teil am großen —» Gebet und gedenkt tätig der Geschichte des Heils Werkes Christi; das vom Gläubigen täglich gebetete -» Vaterunser faßt nach Orígenes und Cyprian die Wahrheit zusammen, wie sie Christus zu erkennen gegeben hat. Der gottesdienstliche Brauch liefert Athanasius Argumente gegen die Arianer, -»Basilius von Caesarea gegen die Pneumatomachen und Augustin gegen Pelagius. Das Gebet ist so in die Tradition und Theologie einbezogen. Geistliche Erleuchtung ermöglicht Theologie. In rechter Weise von Gott zu sprechen überschreitet die Grenzen des auf sich selbst gestellten menschlichen Geistes. Daher machen sich Menschen falsche Götter (rama éOeokóyrjaav; Hippolytus, haer. IV,43,2). Gregor von Nazianz gibt zu, daß man im Gottesdienst beständig von Gott reden kann, aber nicht beständig „theologisiert" (OeoXoyeiv), und d.h. ihn spekulativ bedenkt (or. 27,4). Daher bedarf Augustin, auch nachdem er die geistige N a t u r des transzendenten Gottes erfaßt hat, des entscheidenden Aktes der —»Gnade, um sich zu bekehren und von geschlechtlicher Leidenschaft zu befreien (conf. VIII); diese Erfahrung hat seine spätere Theologie in erheblichem M a ß bestimmt. In der Tradition nach Clemens und Orígenes nähert man sich dem Geheimnis des Wesens Gottes durch die Bildersprache der biblischen Typen und Allegorien; es läßt sich nicht unmittelbar ausdrücken. —»Gregor von Nyssa bekräftigt im Gegenüber zu den kataphatischen Aussagen des Eunomius und Aetius den apophatischen Zugang: unsere Erkenntnis Gottes ist stets vorläufig. Seit dem späten 2. Jh. benutzte die christliche Theologie die Philosophie, um den aus der Schrift und Tradition empfangenen Glauben näher zu entfalten. Sie stellte damit die traditionellen Hellenisten vor eine Herausforderung, und die Entwicklung des Neuplatonismus nach -»Plotin und Porphyrius läßt das erkennen (Saffrey). Zunehmend wurden sowohl bei Christen (Eunomius) als auch bei Nichtchristen (-»Proclus) aristotelische Elemente einbezogen. Dieser Präzisierungsversuch trug zur Aufsplitterung der Monophysiten im Osten bei, er trug aber auch zur spekulativen Synthese des -»Dionysius Areopagita bei, dessen Einfluß weit in den Westen hineinwirkte, in dem der Augustinismus vorherrschte. Augustin gab dem Glauben, der auf dem gründete, was Gott durch die -»Autorität der Kirche offenbart hat, Vorrang, war aber überzeugt, daß die Vernunft das Geglaubte entfalten und durchdringen müsse (Stead, Philosophy 219-229; T R E 4,662-666). Das gab auch weiterhin Anstöße zu einer rationalen Theologie (z. B. -»Anselm von Canterbury).

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Theologie II/3

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Stuart George Hall II/3. Theologie im lateinischen Christentum des Mittelalters 1. Monastische Theologie: Theologie und Gottverlangen 2. Frühscholastische Theologie: Die Theologie des Sic et Non 3. Hochscholastik: Theologie als Wissenschaft 4. Spätmittelalterliche Reformtheologie: Theologia affectiva (Literatur S. 279)

Von -»Alkuin bis Gabriel -»Biel ist mittelalterliche Gelehrsamkeit durch eine Geisteshaltung maßgeblich gekennzeichnet, wonach nicht dem einzelnen, sondern nur der Kirche durch ihren Klerus zu lehren erlaubt war. Theologie war deshalb das kooperative Weitergeben einer überlieferten Weisheit. Die Autorität des Klerikers als magister lag seiner göttlichen Berufung innerhalb der kirchlichen Hierarchie zugrunde (s.u. II/4.2.). 1. Monastische

Theologie:

Theologie

und

Gottverlangen

Im Grunde genommen war und blieb die mittelalterliche Theologie Exegese (-»Schriftauslegung). Dabei ging sie von der Voraussetzung aus, daß Gott in der Bibel sowohl etwas von sich selbst als auch etwas von der wahren Natur der Schöpfung offenbart hatte. Im 9. Jh. konnte —»Hrabanus Maurus auf diese Weise behaupten, daß die Weisheit der Bibel die ganze Welt erhelle, da sie sich von der unabänderlichen Weisheit Gottes ableite. Die Aufgabe des Exegeten sei es, die ewigen, unter den Worten des heiligen Textes verborgenen Wahrheiten zu enthüllen (PL 107,377-379). Dieses Verständnis bestimmte die Theologie des lateinischen Mittelalters bis zum 12. Jh. Die Mönche wandten sich einer exegetischen Synthese zu, die die gesamte Bibel zum Evangelium Christi (Allegorie), zur Kirche und ihrem Wirken (Tropologie) und zur eschatologischen Schau (Anagogie) in Beziehung setzte. Ihr Unterfangen betraf nicht die Aneignung neuen Wissens, sondern vielmehr die durch die Kirchenväter überlieferte symbolische Sicht der Schöpfung als Basis ihres kontemplativen Daseins und ihrer Einheit mit Gott. 2. Frühscholastische

Theologie:

Die Theologie

des Sic et Non

Mit dem Entstehen der Städte wurden die Klosterschulen durch die Schulen der Kathedralkirchen der großen Städte allmählich überflügelt. Obwohl die monastischen Schulen ihr traditionelles Gepräge bewahrten, ist die Unterweisung im 11. Jh. durch eine wachsende Spannung gekennzeichnet. -»Anselm von Canterbury benutzte die Dialogform in seinen theologischen Schriften als pädagogisches Mittel, um seine Leser zu Wahrheiten hinzuführen, die er bereits gefunden hatte. Paradigmatisch ist aber der Streit zwischen dem Mönch -»Bernhard von Clairvaux und dem magister Petrus —»Abaelard.

Theologie II/3

III

Bernhard kämpfte gegen die Ziele der neuen magistri, die er als Neugier und ungebändigten Wissensdrang betrachtete. Im 12. Jh. hat das Mönchtum bekanntlich neue und verschiedene Formen - Prämonstratenser, Zisterzienser, Viktoriner usw. - angenommen. Die monastischen Schriftsteller profitierten von den neuen Quellen - in erster Linie -»Origenes und (Pseudo-) -»Dionysius - , die in zunehmendem M a ß e herangezogen wurden, aber in ihren Schriften liegt der Akzent immer mehr auf der Willenspsychologie und persönlichen Erfahrung. In ihrer Auslegung der heiligen Schrift wird der Heilsgeschichte und der -»Eschatologie immer mehr Bedeutung beigemessen. Aber die mächtigen Triebkräfte, die im 12. Jh. auf allen Gebieten des Lebens wirksam wurden, führten dazu, daß die in den Klöstern üblichen collationes durch die scholastischen lectiones im 13. Jh. fast völlig verdrängt wurden. Die erste Aufgabe des Klerikers bestand nach wie vor darin, Gottes Wort auszulegen. In diesem Sinne wurden auch in den neuen Schulen die Texte der Bibel auf der Basis patristischer und monastischer Kommentare Satz für Satz behandelt. Im frühen 12. Jh. wurde die -*Glossa ordinaria, der Standardkommentar des ganzen Mittelalters, auf diese Weise zusammengestellt. Aus didaktischen Gründen war jedoch das Bedürfnis der Theologie nach geordneten Zusammenfassungen sehr groß. Bei der Lösung einer aufgrund divergierender auctoritates aufgeworfenen Frage suchte man einen Standpunkt, von dem aus die einschlägigen Quellen miteinander in Einklang gebracht werden konnten. Dies war die Methode, die Abaelard aufgriff, als er in seinem Sic et non die abweichenden Ansichten der auctoritates zu wichtigen Themen als pro et contra gegenüberstellte. In dieser Methode hat die umfangreiche Quästionenliteratur des Mittelalters ihren Ursprung. Es galt aber, nicht nur Fragen der Diskordanz zu lösen, sondern auch Ordnung in der Vielfalt der Quellen zu schaffen. Die umfassendste Bestandsaufnahme erfolgte in dem Liber sententiarum des -•Petrus Lombardus. Dieses theologische Grundbuch des ganzen Mittelalters stellt Texte aus der heiligen Schrift und den Kirchenvätern systematisch zusammen. Der Umschlag von der rein induktiven Sammelarbeit der ersten magistri zu den deduktiven Konstruktionen des späten 12. Jh. erfolgte durch die Boethiuskommentare -•Gilbert Porretas. Gilbert versuchte, Prinzipien (regulae) für die Theologie zu entwerfen, um so die sacra doctrina als eine Wissenschaft fortbestehen zu lassen. In dieser Zeit wurde die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie immer problematischer. Durch neue Übersetzungen erfuhr der mittelalterliche Wissensbestand eine immense Bereicherung: Euklid, Ptolemäus, Hippokrates und Galen, vor allem aber die Werke des -»Aristoteles samt seinen arabischen Kommentatoren. Um die Wende vom 12. zum 13. Jh. suchte —• Alanus ab Insulis in seinen Regulae caelestis iuris die wesentlichen Inhalte der Sentenzenwerke nach der Regularmethode zu einem geordneten Ganzen zusammenzufassen. Unter seinen regulae finden sich aber nicht nur theologische Sätze, sondern auch Sätze, die auf philosophischen Ansichten beruhen. Bald kam den Theologen zu Bewußtsein, wie groß der Abstand zwischen überlieferter Schriftauslegung und griechischer Philosophie war. Sie waren in Sorge, weil rein rationale Begründungen für die theologischen Sätze angeboten wurden. Schließlich appellierte man an die kirchlichen Autoritäten. 1210 und 1215 wurden Vorlesungen über Aristoteles' Naturphilosophie und Metaphysik an der Universität -»Paris verboten. Es scheint, daß diese Verurteilungen in den nächsten Jahrzehnten befolgt wurden. 3. Hochscholastik:

Theologie

als

Wissenschaft

Die erste Hälfte des 13. Jh. war für die Vorstellung der Theologie als Wissenschaft von grundlegender Bedeutung. Die Theologen fanden in der Geometrie eine Methodologie, die sich noch mit dem gnadenhaften Charakter des Glaubens vertrug. Da nach Euklidischer Vorstellung jedes wissenschaftliche Verfahren von unableitbaren Prinzipien - Axiomen - ausgehen muß, schlug -»Wilhelm von Auxerre vor, die Glaubensartikel als die Prinzipien einer wissenschaftlichen Darlegung der Theologie aufzufassen (Summa III f. 131v; IV f. 254v). Den Glaubensartikeln fehlte aber eine für die wissenschaftlichen

278

Theologie II/3

Prinzipien wesentliche Eigenschaft: die Evidenz. Zwei Versuche gingen dahin, diese Schwierigkeit zu beheben. Die Illuminationstheorie, die vor allem vom Weltklerus vertreten wurde, schrieb den Artikeln eine gnadenhafte mystische Evidenz zu. -*Thomas von Aquino behauptete dagegen, daß es sich bei der Theologie um eine subalternierte Wissenschaft handle, da ihre Prinzipien Gottes Wissen von sich selbst, das er durch seine Boten bekannt machte, untergeordnet seien. Dementsprechend suchte Thomas in seiner Summa theologica nicht etwa nach neuen Erkenntnissen, sondern versuchte, die Lehren der Schrift auf eine vernunftgemäße Weise auszulegen. Gleichzeitig aber suchten die neuen Orden des 13. Jh. - Dominikaner, Franziskaner usw. - aufgrund ihrer Kontakte mit Andersgläubigen - Muslimen, Juden, aber auch Heiden - die Einwände, die gegen das Christentum erhoben wurden, zu entkräften. Der Theologe mußte sich unter Berufung auf die natürliche Vollkommenheit des Menschen um die Voraussetzungen des Glaubens bemühen. Zu solchen Voraussetzungen gehörten die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Diese Wahrheiten bieten die grundlegenden Erkenntnisse dar, von denen aus das Verständnis der Glaubenswahrheiten, wenn auch nicht ihre Gründe erfaßt werden können. Die Naturphilosophie des Aristoteles, durch die diese Wahrheiten bewiesen werden sollten, zog aber auch die Artistenfakultät in ihren Bann. Während die Theologen in ihren Bibel- und Sentenzenkommentaren davon ausgingen, daß es sich bei ihnen um das Ausschöpfen der Quelle aller Wahrheit handle, machten sich die magistri artium eine andere Aristotelesdeutung zu eigen. -»Siger von Brabant und seine Kollegen wollten erst die eigentlichen Gedanken des Philosophen verstehen. Durch die neue philosophische Auslegung der Artisten fühlte man aber das Bedürfnis, den Bereich der veritates catholicae genau abzugrenzen. Dies geschah zunächst in Form einer Zensurierung der von der katholischen Wahrheit abweichenden Lehren. Im Jahre 1277 veröffentlichte der Bischof von Paris seine berühmte Liste von 219 verurteilten Sätzen, wobei er zwischen 179 philosophischen und 40 theologischen Irrlehren unterschied. Da die philosophischen Lehrmeinungen von Ungläubigen stammten, konnten sie nicht als haeretica, sondern aufgrund ihrer Folgerungen nur als erronea, periculosa oder temeraria bezeichnet werden. Das Scheitern des Bemühens um die Einheit der Tradition zwang die Theologen immer wieder, die Verurteilungen im Rückgriff auf die Tradition zu begründen. So wurde um die Wende zum 14. Jh. eine Lehrmeinung als contra sacram scripturam, contra dicta sanctorum oder contra determinationem Ecclesiae verurteilt. Weil päpstlichen Theologen oft überspitzte Ansprüche für die Autorität des Heiligen Stuhls geltend machten, suchte Wilhelm von -»Ockham der Lehrautorität des Papstes Grenzen zu setzen. Im Rahmen einer Diskussion der Definition der Häresie berichtet er von einer Meinung, die die Inhalte der Heiligen Schrift, apostolische Traditionen, Offenbarungen, historische Berichte und die daraus abgeleiteten Folgerungen als veritates catholicae zählt (Dialogus 1,2,5). Im Laufe des 14. Jh. wurde Ockhams Liste der katholischen Wahrheiten zur herrschenden Ansicht der Theologen. Während J. Wyclif mit aller Entschiedenheit den realen Vorrang der Heiligen Schrift herausstellte, bemühte sich -»Petrus von Ailly um die Auswahl und Abstufung der Qualifikationen. 4. Spätmittelalterliche

Reformtheologie:

Theologia

affectiva

Aber die gesellschaftlichen Strukturen, die der klerikalen Wissenschaftsauffassung noch bei Ockham zugrunde lagen, hatten sich in den letzten Jahrhunderten der Epoche, die wir als Mittelalter bezeichnen, radikal geändert. Die bedeutendsten Lehrer der neuen Zeit waren nicht mehr ausschließlich Kleriker. Im 13. Jh. entstand ein blühendes Frömmigkeitsleben in Zusammenhang mit einem zunehmenden Mitspracherecht der Laien in religiösen Fragen. Beginengemeinschaften verteidigten die Position, daß fromme Laien — auch Frauen — ebensoviele Verdienste erwerben können wie ein Mönch oder Kleriker. Seit dem ausgehenden 14. Jh. suchten die —»Brüder vom gemeinsamen Leben durch zeitgemäße Formen einer verinnerlichten Frömmigkeit - eine devotio moderna - Kirche

Theologie II/3

279

und Gesellschaft zu erneuern. Neue Formen des mystischen Lebens und Lehrens traten mit dem Bürgertum auf. Die neue Mystik legte Wert darauf, daß der mystische Kontakt mit Gott allen Christen zugänglich sei. Mystisches Denken diente als Antrieb zur Ausbildung einer neuen affektiven Theologie, in der es nicht auf intellektuelle Gotteserkenntnis, sondern auf lebendige Gotteserfahrung ankam. Die weit verbreitete Imitatio Christi (vor 1427) zielte nicht auf eine spekulative Handlungstheorie, sondern auf gelebte Spiritualität. Dementsprechend griffen die neuen Reformtheologen des Spätmittelalters Gedankengänge —> Augustins, der monastischen Mystik des 12. Jh. und der franziskanischen Theologie des 13. Jh. auf und wandten sich von den sterilen Subtilitäten und Sophismen der Scholastiker ab. Sie stellten die Überlegenheit affektiv angeeigneten Erfahrungswissens heraus, das allen Christen zugänglich sei. Meister —»Eckhart versicherte, auch der Handwerker, der in seiner Werkstatt seine Pflicht tue, sei Gottes Freund. In seiner Lehre verband Eckhart eine tiefgründige Einheitstheologie mit einer neuen Form volkssprachlicher Predigt. J . -> Gerson bemühte sich, die neue affektive Theologie zu systematisieren und sie mit der herkömmlichen scholastischen Theologie zu harmonisieren. Er regte eine moralischpraktisch orientierte Reformtheologie an, die im 15. Jh. in Klöstern und Universitäten Bedeutung gewann. Der vielseitige Gabriel Biel verarbeitete die Anliegen verschiedener theologischer Schulen und suchte sie unter pastoraltheologischem Aspekt zu verbinden. Nach dem Sieg des Papsttums im Konzil von Konstanz wurden aber die Sentenzen des Lombardus allmählich durch die Summa theologica des Aquinaten als theologisches Textbuch ersetzt. Johannes von Torquemada (gest. 1468) fügte Konzilsdefinitionen, die Lehren der Kirchenväter und päpstliche Entscheidungen (Summa de ecclesia V 2 9) Ockhams Aufzählung hinzu. Ansätze zu einem neuen Wissenschaftsverständnis, die man bei mittelalterlichen Denkern - wie dem Erzbischof Anselm von Canterbury, dem katalanischen Mystiker R. ->Lullus, dem deutschen Kardinal —»Nikolaus von Kues - , die die klerikale Auffassung nie geteilt haben, finden konnte, sind im Sand verlaufen. Auf die religiöse Herausforderung der Zeit reagierte die Kirche durch Rekurs auf hierarchische Strukturprinzipien ihrer Verkündigung und Verfassung. Literatur Marie-Dominique Chenu, La théologie comme science au XHIe siècle, 2 1943 3 1957 (BiblThom 33). - Ders., La théologie au douzième siècle, Paris 1957 3 1976. - Kent Emery Jr., Monastic, Scholastic and Mystical Theologies in the Later Middle Ages and Beyond, Aldershot 1996. - Berndt Hamm, Frömmigkeitstheol. am Anfang des 16. Jh. Stud. zu Johannes v. Paltz u. seinem Umkreis, 1982 (BHTh 65). - Anne Hudson, The Prématuré Reformation. Wycliffite Texts and Lollard History, Oxford 1988. - Ulrich Köpf, Die Anfänge der theol. Wissenschaftstheorie im 13. Jh., 1974 (BHTh 49). - Geoffrey W.H. Lampe (Hg.), The Cambridge History of the Bible. II. The West from the Fathers to the Reformation, Cambridge 1969. - Albert Lang, Die Entfaltung des apologetischen Problems in der Scholastik des MA, Freiburg i.Br. 1962. - Ders., Die theol. Prinzipienlehre der ma. Scholastik, Freiburg i.Br. 1964. - Jean Leclercq, L'amour des lettres et le désir de Dieu, Paris 1957; dt.: Wiss. u. Gottverlangen. Zur Mönchstheol. des MA, Düsseldorf 1963. - Charles Lohr, Modelle für die Uberlieferung theol. Doktrin. Von Thomas v. Aquin bis Melchior Cano: D G u . kath. Theol., hg. v. Werner Löser u.a., Würzburg 1985 = 1 1 9 8 8 , 1 4 8 - 1 6 7 . - H e n r i de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l'écriture, 4 Bde., Paris 1 9 5 9 - 1 9 6 4 . - Bernard McGinn u.a. (Hg.), Christian Spirituality, 3 Bde., New York 1 9 8 5 - 1 9 8 9 ; dt.: Gesch. der christl. Spiritualität, 3 Bde., Würzburg 1 9 9 3 - 1 9 9 7 . - Ders., The Presence of God. A History of Western Christian Mysticism, 3 Bde., New York 1 9 9 1 - 1 9 9 8 ; dt.: Die Mystik im Abendland, 3 Bde., Freiburg i.Br. 1 9 9 4 - 1 9 9 9 . - Heiko A. Oberman, The Harvest of Médiéval Theology. Gabriel Biel and Late Médiéval Nominalism, Cambridge, Mass. 1963; dt.: Spätscholastik u. Reformation. I. Der Herbst der ma. Theol., Zürich 1965. - Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten M A , München 1992. - Hermann Schüssler, Der Primat der hl. Sehr, als theol. u. kanonistisches Problem im SpätMA, 1977 (VIEG 86). - H. Leith Spencer, English Preaching in the Late Middle Ages, Oxford 1993. - Brian Tierney, Origins of Papal Infallibility. 1 1 5 0 - 1 3 5 0 , 1972 2 1988 (SHCT 6). - Paul de Vooght, Les sources de la doctrine chrétienne d'après les theologiens du XlVe siècle et du début du XVe, Brügge 1954. - Nicholas Watson, Richard Rolle and the Invention of Authority, Cambridge 1991.

Charles Lohr

280

Theologie II/4

II/4. Theologie von der Reformation bis zur Gegenwart II/4.1. Evangelische Theologie II/4.2. Katholische Theologie II/4.3. Orthodoxe Theologie

S. 286 S. 290

II/4.1. Evangelische Theologie 1. Reformation und Gegenreformation 2. O r t h o d o x i e , Puritanismus und Pietismus 3. Deismus und Aufklärung 4. Die Entwicklung seit Schleiermacher (Literatur S. 2 8 5 )

1. Reformation

und

Gegenreformation

Die Entwicklung der christlichen Theologie empfing bedeutende Impulse durch die reformatorischen Auseinandersetzungen (-»Reformation) des 16. Jh. Führende Vertreter der europäischen Renaissance wie -»Erasmus von Rotterdam hatten für die Begründung christlichen Lebens und Denkens die Notwendigkeit eines unmittelbaren Rückgriffs auf den Originaltext der Schrift in den Ursprachen betont und sowohl die Zuverlässigkeit des Textes wie der Übersetzung der Vulgata (—»Bibelübersetzungen) anhaltender Kritik unterzogen. Dieses Anliegen fand Eingang in die erste Phase der reformatorischen Kritik an den überlieferten Lehren und Praktiken der Kirche. -»Luther und —»Zwingli fordern in ihren frühen Schriften eine theologische Erneuerung und Korrektur auf der Basis eines unmittelbaren Rückgangs auf die -»Schrift, wobei die mittelalterliche theologische Tradition entweder marginalisiert (Zwingli) oder mit Argwohn betrachtet wurde, unter anderem wegen ihrer offenkundigen Überschätzung der aristotelischen Substanzontologie und wegen ihrer Vernachlässigung des „angefochtenen Glaubens" (Luther). Aber dieser neue und unmittelbare Rückgriff auf die Schrift hatte keine Geringschätzung der patristischen Tradition zur Folge. Nach Luthers Verständnis implizierte das theologische Erkenntnisprinzip sola scriptura kein Mißtrauen gegenüber der Tradition oder ihre Marginalisierung. Vielmehr öffnete Luther den Theologiebegriff für die öffentliche Verkündigung des Evangeliums und für den existentiellen Umgang mit dem Worte Gottes (vgl. besonders WA 50,657-661) und normierte damit die Theologiegeschichte der Tradition. Insofern läßt sich für den jungen Luther das theologische Programm der Reformation auf die Formel bringen: „Schrift und -*Augustin". Luthers Reformprogramm läßt sich vielleicht am besten als kritische Wiederaneignung überkommener Traditionen des christlichen Glaubens im Lichte seiner Einsicht in das schöpferische Gotteswort interpretieren, die jeweils nach ihrer Begründung in der Schrift bewertet wurden. —»Melanchthon betrachtete die Reformation als eine Repristination der Theologien von Augustin und -»Ambrosius; für ihn war die Berufung auf die testimonia patrum integrales Element der theologischen Methode wie der konfessionellen Apologetik der frühen Reformation. Dieses Interesse am patristischen Erbe, insbesondere an Augustin, ist kennzeichnend auch für das gesamte Schrifttum -»Calvins, für den die Kirchenväter eine Linse darstellten, durch welche die Schrift gelesen und interpretiert werden konnte; und eben der Auslegung der Schrift sollte die strenge systematische Entfaltung der Lehre in der Institutio religionis christianae dienen. Während der radikale Flügel der Reformation einschließlich der allgemein als „Anabaptismus" bezeichneten Bewegung (-»Schwärmer; -»Täufer/Täuferische Gemeinschaften) Wert auf den unmittelbaren Umgang des Individuums mit der Schrift legte und in einem radikalen Biblizismus nicht nur das patristische Erbe, sondern auch die wissenschaftliche Erforschung des literalen Schriftsinnes überging, hielt die obrigkeitliche Reformation an den wesentlichen Themen der kirchlichen Lehrtradition - wie der Kindertaufe und dem Trinitätsdogma (-»Trinität) - fest, weil sie im Rechtfertigungsglauben impliziert waren und deshalb als schriftgemäß anerkannt und tradiert werden konnten, ohne doch formaliter eine sichere biblische Grundlage zu besitzen.

Theologie II/4

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Als Antwort auf die theologischen Herausforderungen der Reformation unterstrich das Konzil von Trient (-»Tridentinum) die Bedeutung der -»Tradition für die theologische Argumentation und Konstruktion. Die göttliche -»Offenbarung war auf zwei im wesentlichen unabhängige Weisen mitgeteilt worden - in der Heiligen Schrift und in der ungeschriebenen Tradition. Obwohl Trient das Verhältnis dieser beiden theologischen Quellen nicht mit aller wünschenswerten Klarheit definierte, ist doch unbestreitbar, daß die Tradition in römisch-katholischer Theologie eine wesentlich größere Rolle spielen mußte als bei irgendeinem ihrer protestantischen Gegner, wobei dem Lehramt der Kirche eine maßgebliche Funktion bei der Weitergabe und Interpretation der christlichen Lehre zugeschrieben wurde. Dieser Ansatz wurde vom Ersten Vatikanischen Konzil mit der Konstitution Dei Filius über den katholischen Glauben erneut bekräftigt und vom Zweiten Vatikanischen Konzil weiterentwickelt (—»Vatikanum I und II). 2. Orthodoxie,

Puritatiismus und Pietismus

Die nachreformatorische Epoche wurde Zeugin einer Reihe wichtiger Entwicklungen in der christlichen Theologie. Im Protestantismus entstand das — auch als „zweite Reformation" bezeichnete - Phänomen der „-»Orthodoxie", die in ihren systematischtheologischen Werken die Grundeinsichten der ersten Phase der Reformation in eine feste wissenschaftliche Form brachte. Die wachsende Rivalität zwischen lutherischen und reformierten Kirchen vor allem in Deutschland verstärkte das Bemühen um den Ausbau kohärenter theologischer Systeme. Das in der Spätrenaissance, insbesondere an der Universität von Padua neu erwachte Interesse an der Kategorienlehre und der Metaphysik des -»Aristoteles mündete in die Konstruktion komplexer theologischer Systeme, weil die zwischen den konfessionellen Theologien strittigen Fragen (insbesondere der Christologie und der Abendmahlslehre) Probleme aufwarfen, die mit den Mitteln der Rhetorik und der formalen Logik nicht zu lösen waren. In der reformierten Tradition gelten die Werke Th. -»Bezas oft als Beleg für einen radikalen Wandel in Stil und Ansatz gegenüber Calvins Institutio. Kennzeichnend für einige von ihnen, darunter Bezas Behandlung der Prädestinationslehre (-»Prädestination), ist das Bemühen um den Nachweis, daß sich die Hauptthemen reformierter Theologie auf der Basis einer strengen theologischen Methodologie ableiten und rechtfertigen ließen. Die reformierte theologische Tradition erfuhr eine bedeutende Weiterentwicklung und Umgestaltung im -»Puritanismus, einer englischsprachigen Variante des Calvinismus, die der theologischen Strenge und den erfahrungsbezogenen Aspekten des Glaubens ein besonderes Gewicht beimaß. Dieser Ansatz zeigt sich bei Autoren wie John Owen (1616-1683) und R. -»Baxter in England und J. -»Edwards in Nordamerika. Zwar wurden die Schriften der Puritaner als ernstzunehmende theologische Werke oft vernachlässigt, doch stellen sie zweifellos einige der kreativsten und wichtigsten Beiträge zur theologischen Auseinandersetzung mit der philosophischen Agenda des 17. Jh. dar. Zur gleichen Zeit etwa kam es im deutschen Luthertum (aber auch bei den Reformierten) zur Entstehung des -»Pietismus als einer bedeutenden Bewegung eigener Art. Pietistische Autoren wie Ph.J. -»Spener und vorher schon J. —»Arndt legten zunehmend den Akzent auf die persönliche Bekehrung und einen „lebendigen Glauben". Solche Gedanken wurden im 18. Jh. in England von J. -»Wesley und Charles Wesley (17071788) weiterentwickelt. Allerdings haben die puritanischen und die pietistischen Autoren das ontologische Interesse der lutherischen wie der reformierten Orthodoxie als „scholastisch" abgetan und damit wie die Autoren der philosophischen und der theologischen Aufklärung einer Spaltung zwischen der Erkenntnis der Natur und der Erkenntnis der Freiheit bzw. der Humanität Vorschub geleistet, die die Theologie angesichts des -»Sensualismus und des -»Empirismus der exakten -»Naturwissenschaften noch vor erhebliche Schwierigkeiten stellen sollte. Im Ergebnis schwächten diese Tendenzen den Stellenwert der theologischen Spekulation in der Kirche und rückten den Bezug der Theologie zur persönlichen Moral und Frömmigkeit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

282 3. Deismus und

Theologie II/4 Aufklärung

Die Entwicklung der Theologie als wissenschaftliche Disziplin unterlag im Zuge der Auseinandersetzung mit der —»Aufklärung einem radikalen Wandel. Die Ursprünge dieser Bewegung lassen sich bis zum englischen -»Deismus des 17. und des frühen 18. Jh. zurückverfolgen, der die Vernunft als theologische Quelle in den Mittelpunkt stellte. In mancher Hinsicht beruhte diese Entwicklung auf wachsender Feindschaft gegen die institutionalisierte Religion in England. Deistische Denker wie Lord E. -»Herbert of Cherbury behaupteten die Existenz einer in allen Völkern anzutreffenden universalen Religion, die durch die persönlichen Interessen von Priestern und von anderen gesellschaftlichen Kräften korrumpiert worden war. Matthews Tindals (1656-1733) Christianity as Old as Creation (London 1730) sah im Christentum nichts anderes als eine „erneute Bekanntmachung der natürlichen Religion". Gott gilt als Inbegriff der anerkannten menschlichen Ideen der Gerechtigkeit, Vernünftigkeit und Weisheit. Diese universale Religion ist zu allen Zeiten und an jedem Ort zugänglich, während das überlieferte Christentum auf der Idee einer göttlichen Offenbarung basierte, die den vor Christus Lebenden verschlossen war. Nach Cherburys Überzeugung ließ sich einiges von dieser ursprünglichen sittlich-vernünftigen Religion wiedergewinnen; er forderte eine rationale Kritik der christlichen Theologie auf der Grundlage der Priorität der Vernunft gegenüber der Offenbarung. Die Ursprünge der aufgeklärten Kritik am christlichen Dogma zeigen sich in dieser Entwicklung. Deutsche Autoren um die Mitte und das Ende des 18. Jh. forderten - häufig unter Bezug auf die deistischen Denker - eine radikale Revision des christlichen Dogmas. Als Begründer der Disziplin der Dogmengeschichte im 18. Jh. gilt allgemein Samuel Gottlieb Lange (1767-1823; Ausführliche Geschichte der Dogmen, Leipzig, I 1796). Wie er behauptete auch Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709-1789), Dogmen wie die Zweinaturenlehre und die Trinitätslehre (-»Trinität) ließen sich nicht im Neuen Testament finden (-»Dogmengeschichtsschreibung). Ihre Entstehung verdanke sich einer Verwechslung der platonischen Logos-Vorstellung mit derjenigen des Johannesevangeliums und der irrtümlichen Annahme, Jesus sei die Personifikation statt ein Exemplar dieses Logos. Die Geschichte des Dogmas war somit eine Geschichte von Irrtümern von Irrtümern allerdings, die grundsätzlich reversibel wären, stünde nicht jeder derartigen Rekonstruktion der geschlossene Widerstand der institutionalisierten Kirchen entgegen. Der erste ernsthafte Versuch, allgemeine Entwicklungsprinzipien innerhalb der Dogmengeschichte zu unterscheiden (Gehalt des Dogmas im Wechsel seiner geschichtlichen Formen), geht auf F.C. —»Baur - vor allem auf sein Werk Die christliche Lehre von der Versöhnung (Tübingen 1838) — zurück, der die Entwicklung des christlichen Dogmas geschichtsphilosophisch zu erklären suchte. Der Gipfel dieser Disziplin ist nach allgemeiner Überzeugung mit A. von -»Harnack erreicht, dessen Dogmengeschichte eine Säule liberal-protestantischer Forschung darstellt. Harnack vertrat auf der Grundlage seiner historischen Studien zur Entstehung der christlichen Lehre eindringlich die These, der Übergang des Evangeliums aus seinem von hebräischer Denkweise und Rationalität geprägten Ursprungsmilieu in ein von radikal anderen Denkweisen gekennzeichnetes hellenistisches Milieu markiere einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des christlichen Denkens. Der Begriff des Dogmas verdankt sich nach Harnack dem spezifischen, durch hellenistische Denkformen und Diskursmodelle gekennzeichneten historischen Kontext, in welchem die dogmatischen Aussagen der frühen Kirche formuliert worden seien (-»Antike und Christentum). Das Programm und die Prämissen der Aufklärung bedeuteten vor allem eine Herausforderung für die Christologie (-»Jesus Christus). Den ersten rationalistischen Infragestellungen der traditionellen Deutung Christi als vere Deus, vere homo begegnete man mit ihrer Zurückweisung aufgrund des biblischen Befundes. Im Kern vertraten die

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283

orthodoxen Kritiker auf unterschiedlichem Reflexionsniveau die These, daß die aufgeklärte Sicht von Person und Werk Christi mit dem Neuen Testament unvereinbar sei. In zunehmendem Maße machten jedoch die rationalistischen Kritiker geltend, daß sie von ihren philosophischen Prämissen her bereits die Zuverlässigkeit der neutestamentlichen Aussagen über Christus in Frage stellen mußten. Das wird am deutlichsten bei der Entstehung der „Frage nach dem historischen Jesus", die sich bis zu H.S. ->Reimarus und G.E. ->Lessing zurückverfolgen läßt. Reimarus behauptete, die neutestamentlichen Aussagen über die Auferstehung Jesu seien ein Versuch, das schmachvolle Ende des Lebens Jesu umzudeuten; Lessing konstatierte - vor allem in den Wolfenbütteler Fragmenten eines Ungenannten (1774-1778) - einen „garstigen breiten Graben" zwischen der neutestamentlichen Darstellung der Geschichte Christi und dem Wahrheitsbewußtsein der Gegenwart. Infolgedessen konnte das neutestamentliche Bild der Existenz Jesu einer historisch-kritischen und philosophischen Rekonstruktion unterzogen werden und erforderte sie geradezu. Mit dem Vordringen der Aufklärung war die traditionelle christliche Theologie also vor eine Reihe fundamentaler Herausforderungen gestellt. Die wissenschaftlichen und historischen Fundamente der traditionellen Lehre von den „zwei Naturen" Christi waren in Frage gestellt; schwerwiegende Kritik richtete sich gegen die Vernunftgemäßheit zentraler christlicher Inhalte einschließlich des Erbsündendogmas, die Geschichtlichkeit der Auferstehung und die Notwendigkeit göttlicher Offenbarung. Doch der Herausforderung der Aufklärung konnte begegnet werden: dies war die Leistung F.D.E. Schleiermachers. 4. Die Entwicklung seit

Schleiermacber

Schleiermacher kam vom herrnhutischen Pietismus her, der entscheidendes Gewicht auf eine persönliche Christusfrömmigkeit und ein individuelles Bekehrungsbewußtsein legte. Seine theologische Leistung ist im Zusammenhang mit der frühromantischen und mit der idealistischen Kritik an den Prämissen der Aufklärung und am transzendentalen Kritizismus Kants zu sehen, die als Selbstkritik der Vernunft hinsichtlich ihrer Grenzen aufzufassen ist und die auf verschiedenen Wegen zum Gedanken der Selbstoffenbarung des Absoluten als Voraussetzung menschlicher Erfahrung vorstößt. Das erste bedeutende Dokument seiner theologischen Methode ist Schleiermachers 1799 anonym veröffentlichte Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Die darin entfaltete Apologie des Christentums basiert auf einer Deutung der Religion als unmittelbares Realitätsgefühl, als lebendiges Bewußtsein des Universums, von dem das Individuum nur ein Teil und von dem es schlechthin abhängig ist. Religion erscheint als grundlegendes, eigentümliches und einheitsstiftendes Element menschlichen Lebens und menschlicher Kultur. In seinem dogmatischen Hauptwerk Der christliche Glaube (1821/1822; 2. Aufl. 1830/1831) betont Schleiermacher, daß der christliche Glaube primär nicht Lehrsätze und deren begriffliche Bestimmung zum Gegenstand hat; dogmatische Aussagen stellen vielmehr einen abgeleiteten Ausdruck seiner primär religiösen Wahrheit dar, die in der Erfahrung der Erlösung besteht. Als Fundament der christlichen Theologie muß daher die christliche Frömmigkeit betrachtet werden, die der individuellen Person kraft ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Kirche eigen ist. Das Wesen dieser Frömmigkeit ist nicht ein theoretisches oder praktisches Prinzip, „weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" (Schleiermacher2 I, 34 [§ 3]). Das allgemein-menschliche Gefühl, für die Duplizität der Selbsttätigkeit auf ein schlechthinniges Woher angewiesen zu sein, läßt sich Schleiermacher zufolge im Kontext des christlichen Glaubens als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit von Gott identifizieren und interpretieren. Dieses „schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl" bezeichnet den religionstheoretischen und psychologischen Rahmen, innerhalb dessen die Dogmatik das christlich-fromme Selbstbewußtsein hinsichtlich seiner Wahrheit entfaltet.

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Schleiermachers theologischer Ansatz übte auf die theologische Reflexion der Moderne beträchtlichen Einfluß aus. So unterschiedlich die Auseinandersetzung mit Schleiermachers Erbe bei A.E. -»Biedermann, der Erlanger „Erfahrungstheologie", der Theologie der „Erweckung" F.A.G. -»Tholucks, bei A. -»Ritsehl, W. -»Herrmann und P. -»Tillich ausfällt, ihre Ansätze weisen doch einen gemeinsamen, durchlaufenden theologischen Faden auf. Auch die -»Religionskritik, die L. -»Feuerbach vortrug, meinte mit ihrem Mißverständnis des Gedankens eines unmittelbaren Realitätsbewußtseins sich auf die gefühlstheoretische Bestimmung der Religion stützen zu können. Von größtem Gewicht für die Geschichte des Theologieverständnisses war die Auseinandersetzung K. -»Barths mit dem Schleiermacherschen Programm im ganzen, die im übrigen mit seiner Zustimmung zu zentralen Gedanken vor allem des Marburger Neukantianismus (-»Kant/Neukantianismus II) und der Philosophie Heinrich Barths (1890-1965) in Zusammenhang steht. Barth verstand das in der Phase der -»Dialektischen Theologie vorbereitete theologische Programm als eine erneute Bekräftigung der theologischen Priorität der Offenbarung. Deshalb insistiert er auf dem besonderen Charakter der Theologie als Wissenschaft, der in ihren einzigartigen Erkenntnisvoraussetzungen begründet ist. Die Auseinandersetzung zwischen Barth und H. -»Scholz über die Wissenschaftlichkeit der Theologie sowie zwischen Barth und Harnack über die kritische Funktion der Geschichte illustriert die absolute Vorrangstellung eines Offenbarungsbegriffs in Barths Theologie, der das Offenbar-Sein Gottes in der geschöpflichen Welt als absolut freie Folge eines inneren Sich-Offenbar-Seins Gottes versteht und deshalb in Gottes Schöpfungshandeln nur eine technische Voraussetzung und nicht etwa eine Ermöglichung des Offenbar-Seins Gottes für die geschöpfliche Vernunft erblickt. Die von Barth behauptete innere Beziehung zwischen dem Offenbarungsereignis und der Trinitätslehre verschaffte letzterer neues Interesse und führte zu erneuter Behandlung dieser Lehre im späten 20. Jh., wie bedeutende Werke von K. -»Rahner, E. Jüngel, L. Boff und T.F. Torrance belegen. Barths Betonung dieses Verständnisses von Offenbarung gab den Anstoß zu vielen wichtigen Entwicklungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der theologischen Diskussion über den Ort der — von Barth leidenschaftlich abgelehnten - -»Natürlichen Theologie, den theologischen Ort der -»Metaphysik und das Wesen der Offenbarung sowie über das Wesen und die theologische Relevanz des Übergangs von der Moderne zur -»Postmoderne. Auf Barths Schriftauslegung lassen sich auch entscheidende Impulse für die Ausbildung einer „narrativen Theologie" zurückführen, sofern Barth der Schrift neue Würde und Bedeutung als „Geschichte Gottes" verlieh. Andere meinen, die Bewegung sei - vor allem in Nordamerika - durch H.R. -»Niebuhrs The Meaning of Revelation (New York 1941) angestoßen worden. Niebuhrs beständiges Hervorheben der Offenbarung Gottes in der Geschichte führte ihn zu der Erkenntnis, daß Erzählungen ein besonders angemessenes Ausdrucksmittel für diese Offenbarung darstellen. Doch lassen sich bei Niebuhr selbst viele theologische Eigentümlichkeiten Barths beobachten, so daß sich in diesem Aspekt seines Denkens wiederum Barthsche Anliegen spiegeln könnten. Zu den neueren Theologen, die Barthsche Themen reflektieren oder von ihnen beeinflußt sind, gehören J. Moltmann, Jüngel, Torrance und R. Jenson. Eine grundsätzliche Alternative zu Barths Theologieverständnis liegt weniger in den verschiedenen Programmen einer „apologetischen Theologie" vor, die angesichts der -»Säkularisierung und der Modernisierung des sozialen Lebens mit dem Menschen der Gegenwart verhandeln möchte (E. -»Hirsch; Tillich; P. -»Althaus, W. -»Eiert), als vielmehr in dem Programm einer „theologischen Exegese", das R. -»Bultmann unter Berücksichtigung von Motiven aus M. -»Heideggers frühem Hauptwerk Sein und Zeit (Halle 1927) entwickelte und das Gerhard Ebeling und Ernst Fuchs (1903-1983) zum Programm einer „hermeneutischen Theologie" ausbauten. Es beruht auf dem am Offenbarungsgeschehen selbst gewonnenen Grundsatz, daß als Gegenstand theologischer

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Reflexion nur die Verstehensprozesse in Betracht kommen, in denen das biblische Offenbarungszeugnis das Offenbarungsgeschehen auslegt. Deshalb kann das Offenbarungsgeschehen seine existenzverwandelnde und orientierende Kraft in der Gegenwart nur unter der Bedingung entfalten, daß es für die Frage nach dem adäquaten Selbstverständnis der Person erschlossen wird. In der kritischen Annahme, daß weder Barths Verständnis einer „Theologie des Wortes G o t t e s " noch das Programm einer „hermeneutischen T h e o l o g i e " dem Problem der geschichtlichen Welt und der notwendigen Auseinandersetzung mit der idealistischen wie mit der marxistischen Geschichtsphilosophie gewachsen ist, hat Wolfhart Pannenberg ein Verständnis von systematischer Theologie als Entfaltung des christlichen Gottesgedankens im strikten Sinn vorgetragen (Systematische Theologie I—III). Die Metakritik der Wissenschaftstheoriegeschichte macht es möglich, in einem spezifischen Sinne den hypothetischen Rang theologischer Aussagen zu behaupten, weil sie der Bewährung in der eschatischen Situation des Reiches Gottes (-»-Herrschaft Gottes/Reich Gottes) harren, in der allererst von Gottes Offenbar-Sein gesprochen werden kann. Mit dem Gedanken, daß Gottes eschatischer Selbsterweis in der Auferweckung des Gekreuzigten antizipiert sei, macht Pannenberg nicht nur auf die fundamentale Bedeutung der Oster erscheinungen für den christlichen Glauben aufmerksam, sondern sucht auch das intensive ökumenische Gespräch mit der römisch-katholischen Gestalt der kirchlichen Lehre. Eine besonders einflußreiche Modifikation dieses Rekurses auf Geschichte läßt sich in Nordamerika, vor allem in der Yale Divinity School (-»Yale), beobachten. Autoren wie H. Frei und G. Lindbeck entwarfen „postliberale" theologische Ansätze, die der Tradition und der religiösen Gemeinschaft eine maßgebliche Rolle bei der Artikulation christlicher Lehre zuschreiben. Diese Konzeption, die sich auf die an Traditionszusammcnhängen interessierte Philosophie Alasdair Maclntyres stützt, hat in der neueren englischsprachigen Theologie einen beträchtlichen Einfluß ausgeübt. Einige der wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre spielen sich schließlich im Grenzbereich zwischen Theologie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen - etwa den —»SozialWissenschaften (vgl. auch —»Soziologie) und der —»Psychologie - sowie im Dialog zwischen Theologie und -»Naturwissenschaften, einschließlich Physik, Kosmologie und Evolutionstheorie ab. Das wachsende Interesse an den Naturwissenschaften hat zu einem neuen Interesse an der natürlichen Theologie und an den überlieferten metaphysischen und onto-theologischen Fragestellungen geführt und verspricht weiterhin bedeutsame Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten. Literatur Karl Barth, Die prot. Theol. im 19. Jh. Ihre Vorgesch. u. ihre Gesch., Zürich 1947 5 1985. Ders., Einf. in die ev. Theol., Zürich 1962 3 1985. - August Baur, Zwingiis Theol. Ihr Werden u. ihr System, 2 Bde., Halle 1 8 8 5 - 1 8 8 9 = Hildesheim 1 9 8 3 - 1 9 8 4 . - Jörg Baur, Die Vernunft zw. Ontologie u. Evangelium. Eine Unters, zur Theol. Johann Andreas Quenstedts, Gütersloh 1962. - Leonardo Boff, A trinidade, a sociedade e a libertaijäo, Petröpolis 1986; dt.: Der dreieinige Gott, Düsseldorf 1987. - Georg Denzler/Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.), Theol. Wiss. im „Dritten Reich". Ein ökum. Projekt. Unter Mitarb. v. Vicco v. Bülow, 2000 (ArTe 110). - Gerhard Ebeling, Dogmatik des christl. Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979. - Peter Eicher, Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theol., München 1977. - Werner Eiert, Morphologie des Luthertums, 3 Bde., München 1931 M952/1953 '1965. - Francis Schüssler Fiorenza/John P. Galvin, Systematic Theology. Roman Catholic Perspectives, 2 Bde., Minneapolis, Minn. 1991. - David F. Ford (Hg.), The Modern Theologians, Oxford 1989 2 1998. - Günter Frank (Hg.), Der Theologe Melanchthon, Stuttgart 2000 (Melanchthon-Schr. der Stadt Bretten 5). - Hans W. Frei, The Eclipse of Biblical Narrative, New Häven, Conn. 1974. - Ders., Types of Christian Theology, New Häven, Conn. 1992. - Heinrich Fries (Hg.), Kath. Theologen Deutschlands im 19. Jh., 3 Bde., München 1975. - Rosino Gibellini, Hb. der Theol. im 20. Jh., Regensburg 1995. - Friedrich Wilhelm Graf, Liberale Theol. Eine Ortsbestimmung, Gütersloh 1993 (Troeltsch-Stud. 7). - Adolf v. Harnack, Lb. der DG, 3 Bde., Tübingen 1 8 8 6 - 1 8 9 0 M909 = Darmstadt 1990. - Ders., Das Wesen des Christentums (1901), hg. u. kommentiert v. Trutz Rendtorff, Gütersloh 1999. - H D T h G . - Heinrich Heppe, Die Dogmatik der

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I I / 4 . 2 . Katholische T h e o l o g i e 1. Unterschiedliche Gestalten von Theologie 2. Glaube als Erkenntnisprinzip len der Theologie 4. Die Kirchlichkeit der Theologie (Literatur S. 290) 1. Unterschiedliche

Gestalten

von

3. Die Quel-

Theologie

Im Begriff T h e o l o g i e verbinden sich nach katholischem Verständnis unterschiedliche Inhalte, die jeweils a u f die klassische Bedeutung von Oeokoyeiv zurückgeführt werden können: sowohl der „Vollzug religiöser R e d e v o m Göttlichen oder von den G ö t t e r n " , w o n a c h Theologie die im Kult vollzogene Götteransage, die Proklamation Gottes, die Predigt bedeutet (Seckler, T h e o l o g i e 1 8 2 ; so wurden in der Antike H o m e r , Hesiod, Orpheus als T h e o l o g e n , als Gotteskünder bezeichnet, und bei den Kirchenvätern werden -»•Moses und die - » P r o p h e t e n , —»Paulus und J o h a n n e s und —»Jesus Christus selbst T h e o logen genannt), als auch, wie bei —»Plato, die kritische Kontrolle durch die Vernunft in der religiösen R e d e von G o t t (resp. 3 7 9 a ) , also die vernunftgeleitete Erkenntnisbemühung um das Göttliche. D e m n a c h haben T h e o l o g e n eine vorwiegend kritische Funk-

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tion zu erfüllen, nämlich vor Superstition und Leichtgläubigkeit zu schützen. -»Aristoteles spricht von einem theologischen Erkennen innerhalb der -»Philosophie, soweit diese im Rahmen ihrer Erkenntnismöglichkeiten Aussagen über -»Gott machen will. Für diese Theologie wurden in der Folgezeit unterschiedliche Begriffe verwendet wie: Erste Philosophie, -»Metaphysik, metaphysische Theologie, verschiedentlich auch -•Natürliche Theologie. Seine heute vorherrschende Bedeutung hat das Wort Theologie in der mittelalterlichen Geistesgeschichte angenommen, am einprägsamsten zusammengefaßt bei -»Anselm von Canterbury in den Formulierungen Credo ut intelligam (Prosl. c. I) und Fides quaerens intellectum (so der ursprüngliche Titel der Schrift Proslogion). In der so verstandenen Theologie ist die Vernunft nicht auf den Rahmen ihres philosophischen Erkenntnismodus begrenzt, sondern hier ist der geoffenbarte und geschenkte -»Glaube der Ausgangspunkt, über den sich die Vernunft vergewissern und den sie durchdringen will. Theologie ist hier ein Verstehenwollen des Glaubens. Der personale Glaube, das Feststehen in Gott und seiner Botschaft, wird zu einem Erkenntnisimpuls, der wissenschaftlich und methodisch erkennen will, was in ihm steckt. Der Glaube als persönliche, unvertretbare Stellung zu Gott ist die subjektive Seite einer Grundhaltung, die das Licht ergreift und erschließt, das sich im Glauben zeigt. Die Methodik, wie in diesem Verständnis die Reflexion auf den Glauben erfolgt, ist die wissenschaftliche, so wie sie sich in der mittelalterlichen -»Universität herausgebildet hat. Gegen diese Entwicklung gab es Widerstände. Was soll die menschliche ratio an Erkenntnis beibringen, wo uns doch das Licht der göttlichen Vernunft selbst erleuchtet hat? „Wer zündet ein Licht an, um die Sonne zu sehen?" spottete -»Petrus Damiani (zitiert nach L. Oeing-Hanhoff, Art. Dialektik: H W P 2 [1972] 177) über den Versuch, den Glauben mittels der rationalen Durchdringung zu erhellen. Das Wissenschaftsmodell war von Aristoteles übernommen und vor allem über -»Averroes vermittelt worden. Und diesem Model! sollte die sacra eruditio unterworfen werden? Demgegenüber plädierten die Anti-Dialektiker dafür, die Gottesgelehrsamkeit eher als sapientia denn als scientia zu begreifen. Sie habe ihre eigenen Erkenntnisquellen, die den Wissenschaften fremd sind. Es könne nicht legitim sein, die Gottesweisheit den Methoden und Forderungen zu unterwerfen, die für die weltlichen Disziplinen Geltung haben mögen. M a n dürfe die Botschaft, die Heil schenkt, nicht zum Gegenstand einer Disziplin machen, die mit jenen Disziplinen methodisch zu vergleichen sei. Es war im wesentlichen - » T h o m a s von Aquino, der in der Entstehung der mittelalterlichen Universität dafür kämpfte und durchsetzen konnte, daß neben der ersten theologia im aristotelischen Sinn, die auf der Vernunft gründet, eine zweite theologia etabliert wurde, die den Glauben zum Gegenstand hat und diesen mittels der ratio zu durchdringen und als Licht der Erkenntnis darzulegen hat. In dieser Theologie übernimmt der Glaube die rationale Analyse seiner selbst, einmal um in den Vollbesitz seiner selbst zu gelangen, dann aber auch, um mittels der Vernunft seine Wahrheit darzustellen, mitzuteilen und überhaupt mitteilbar zu machen (Seckler, Spannungsfeld 174). Theologie versteht sich in diesem Sinn als rationale Durchdringung des Glaubens und als dessen Kommunikation mittels der Vernunft nach den Kriterien, die für sie gelten und die nicht der Beliebigkeit oder auch der (kirchenamtlichen) Verfügung unterliegen. Dies wurde innerhalb des katholischen Denkens besonders durch Melchior Cano (1509-1560), einen Theologen des Tridentiner Konzils (-»Tridentinum), verbindlich, der die ratio humana zu den loci theologici alieni, jenen Erkenntnisquellen der Theologie zählte, die diese mit anderen Formen der Erkenntnis gemeinsam hat. Die Tatsache, daß dieses Konzept in der katholischen Theologie weithin rezipiert wurde, schließt nicht aus, daß es daneben auch Strömungen gibt, die es in Frage stellen und Theologie schwerpunktmäßig als binnenkirchliche Verkündigung verstehen, die anderen Gesetzen zu gehorchen habe, als sie für die Wissenschaften gelten, und die folglich in Ausbildungsstätten vermittelt werden solle, die in kirchlicher Trägerschaft stehen und demgemäß lehramtlichen Direktiven zu folgen haben.

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Gegenstand der Theologie ist, wie das Wort besagt, Gott. Darin finden die verschiedenen theologischen Disziplinen, die sich im Laufe der Neuzeit herausgebildet haben, ihre strukturierende Mitte. Während in der Väterzeit nur die Gotteslehre im engeren Sinn als theologia bezeichnet wurde und Gott damit gleichsam als ein Gegenstand unter mehreren erschien, ist bei Thomas von Aquino Gott das umfassende Formalprinzip der Theologie. Die vielen Dinge, über die in ihr gesprochen wird, werden sub ratione Dei (S.th. 1,1,7) als der alles bestimmenden Wirklichkeit in den Blick genommen. 2. Glaube als

Erkenntnisprinzip

Die wissenschaftstheoretische Diskussion hat deutlich gemacht, daß Erkennen, insbesondere wissenschaftliches Erkennen, keinesfalls einfachhin die Abbildung dessen darstellt, was in der Wirklichkeit vorhanden ist. -»Erkenntnis setzt vielmehr voraus, daß Wahrnehmungen und Erfahrungen im Licht einer bestimmten Frage betrachtet, also in den Horizont einer Theorie gestellt werden. Erkenntnis zeigt nicht die unverstellte Wirklichkeit, sondern einen perspektivisch und methodisch bestimmten Ausschnitt. Dies gilt insbesondere für die hermeneutischen Wissenschaften, deren Erkenntnisinteresse nicht darin besteht, allgemein gültige und unveränderliche (Natur-) Gesetze zu erkennen, sondern konkrete Lebensentwürfe und Sinntotalitäten zu verstehen. Dieses Verstehen geschieht aus dem Interesse, die Kommunikation zwischen Menschen aufrecht zu erhalten (Habermas) sowie rechtes Handeln und richtige Gestaltung der Welt im Lichte der Sinnfrage zu ermöglichen. Für diese Erkenntnishaltung ist es unabdingbar, daß das verstehende Subjekt sich in den Erkenntnisvorgang mit einbringt und sich dabei auf die zu erkennende Wirklichkeit einläßt. Wo Erkenntnis im Rahmen von Sinnfindung, Daseinsauslegung und Existenzverwirklichung erfolgt, kann objektivierende Distanz kein erstrebenswertes Ziel und Mittel sein. Solches Verstehen setzt voraus, daß das Subjekt sich nicht zurücknimmt, sondern sich engagiert. Innerhalb dieses Ansatzes ist Glaube unbedingtes Sich-Einlassen auf eine als (mögliche) Offenbarung sich zeigende Sinn-Totalität (Neuner). Er ist die Voraussetzung dafür, daß erkannt werden kann, was in der sich so zeigenden Wirklichkeit „steckt". Dieses Sich-Einlassen ist durchaus vernünftig, kann aber nur jeweils in dieser sich darin erschließenden Erkenntnis begründet werden, selbst wenn sie sich als wirkliche Einsicht begreift und dann auch als solche im Diskurs ausweisen kann. Es gilt, in den hermeneutischen Zirkel einzutreten, um zu sehen, was hier zu sehen ist. Glaube erweist sich damit als subjektives Prinzip der Erkenntnis, ohne den der zu erkennende Gegenstand dunkel und verschlossen bliebe. Was für die hermeneutischen Wissenschaften insgesamt gilt, wird in der Theologie in exemplarischer Weise sichtbar und deutlich. Glaube wird zum Licht, das die Wirklichkeit als ganze in eine neue, unbedingte Sinnantwort stellt. Dadurch wird die Vernunfttätigkeit des Menschen neu organisiert. Alle Einzelerkenntnisse stehen in Relation zu diesem Sinnwissen. 3. Die Quellen der

Theologie

Theologie gründet auf -»Offenbarung. Diese ist zunächst ein Ereignis zwischen Personen, konkret zwischen Jesus von Nazareth und denen, die ihn hören und sich in ihrem Lebensentwurf auf ihn einlassen. Diese Offenbarung ist von Anfang an vielgestaltig. Als interpersonaler Vorgang kann sie nicht auf eine Uroffenbarung zurückgeführt werden, die lediglich in unterschiedlichen Verständnissen weitergegeben worden wäre. Auch die Überlieferung ist ein personaler Prozeß, in dem der zum Glauben Kommende nicht einer abstrakten -»Wahrheit, sondern Zeugen begegnet, an denen er diesen Lebensentwurf erkennt und ihn übernimmt. -»Tradition ist damit ein lebendiger Vorgang, in dem die ursprüngliche Botschaft jeweils neu ausgelegt und verstanden und dabei zu einem Lebensganzen systematisiert wird. Innerhalb dieses Prozesses spielt die Festschreibung der Botschaft und ihre Sammlung in den biblischen Büchern eine gewichtige Rolle. Die -»Schrift steht innerhalb des Gesamtvorgangs der Überlieferung, sie ist deren ur-

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sprungsnahes Zeugnis. Wegen ihrer Ursprungsnähe ist sie normativ, sie kann durch die spätere Uberlieferung nicht überboten oder inhaltlich ergänzt werden. M i t dieser Feststellung ist die traditionelle Kontroverse über die „Quellen der Offenbarung", die sich an die Aussage des Konzils von Trient angeschlossen hatte, die Offenbarung sei „in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen enth a l t e n " (DH 1501), entschärft. Denn diese Aussage wird heute weitestgehend nicht mehr im Sinne einer Zwei-Quellen-Vorstellung verstanden. Wenn heute auch katholischerseits von der Suffizienz der Schrift gesprochen wird, ist damit allerdings eine kirchliche Dimension der Überlieferung der Schrift impliziert. Die Formulierung des -»-Vatikanums II, daß Schrift und Tradition „die eine der Kirche anvertraute heilige Hinterlassenschaft des Wortes G o t t e s " bilden (Dei Verbum 10: D H 4213), macht noch nicht hinreichend deutlich, daß die Schrift die Norm der Überlieferung darstellt. Die „ausdrückliche Nennung der Möglichkeit entstellender Tradition und die Herausstellung der Schrift als eines auch traditionskritischen Elements im Inneren der K i r c h e " (J. Ratzinger im Kommentar zum II. Vatikanum: L T h K 2 13 [1967] 524) wäre gerade im Vatikanum II als einem Reformkonzil angemessen gewesen, um dem Wort von der ecclesia Semper reformanda eine angemessene Fundierung zu verleihen. Allerdings ist nach katholischer Vorstellung eine grundsätzliche Trennung und Gegenüberstellung von Schrift und Kirche (Tradition) ausgeschlossen. Vielmehr steht die Schrift in der -»Kirche und kann demnach nur durch deren Anerkennung als Offenbarung erkannt und festgehalten werden. Dies gilt insbesondere in der Wertung der Dogmen, die als sachgerechte Interpretationen der Offenbarung verstanden werden. Weil die Kirche die -»Verheißung hat, nicht grundsätzlich aus dem Glauben herauszufallen (Unfehlbarkeit), werden die Dogmen als von der jeweiligen Fragestellung und von konkreten Fehlentwicklungen herausgeforderte ursprungs- und sachgerechte Formulierungen des christlichen Glaubens verstanden. Sie schließen die gestellte Problematik nicht ab, sondern sind exemplarische Formen der grundsätzlich unabgeschlossenen Aufgabe, die christliche Botschaft in die jeweilige Sprache und Verstehensmöglichkeit zu übersetzen. Das Problem der Dogmenentwicklung, insbesondere der Weiterentwicklung und eventuellen Neufassung dogmatischer Definitionen, wird in der katholischen Theologie kontrovers diskutiert. Konfessionelle Differenzen zeigen sich jedoch nach wie vor in der Frage der Anbindung der Tradition an das Lehramt. 4. Die Kirchlichkeit

der

Theologie

Glaube als Fundament von Theologie ist ein interpersonales Geschehen, Glaube impliziert Gemeinschaft, ihm eignet damit eine kirchliche Dimension. Theologie als Reflexion des Glaubens auf sich selbst ist ein kirchlicher Vollzug. Daraus ergibt sich eine entscheidende Differenz zwischen Theologie einerseits und -*Religionsphilosophie bzw. -•Religionswissenschaft andererseits. Während letztgenannte allein auf der Erkenntnis des jeweiligen Wissenschaftlers gründen, basiert Theologie auf dem Glauben der Kirche: sie reflektiert deren Glauben. Die subjektive Übereinstimmung mit dem von der Glaubensgemeinschaft vorgetragenen und sie konstituierenden Glauben und das materielle Gründen auf ihm ist Bedingung für Theologie. Dies schließt nach katholischem Verständnis auch die Bindung an das Lehramt und dessen authentische und definitive Aussagen mit ein. D a m i t kann nicht gemeint sein, daß Theologie einfachhin den Verlautbarungen des bischöflichen und päpstlichen Lehramts unterworfen wäre oder gar daß es ihre Aufgabe sei, „Beweise" für die Richtigkeit des vom Lehramt Proklamierten zu erbringen. Es bedeutet aber, daß in Extremfällen, in denen gesprochen werden muß, weil der Glaube in der Gefahr steht, durch sein Gegenteil verdrängt zu werden, wo es nicht möglich ist, die Klärung dem wissenschaftlichen Diskurs und der allgemeinen Rezeption seiner Ergebnisse zu überlassen, das letzte und entscheidende Wort beim bischöflichen Lehramt liegt. Das folgt aus der kirchlichen Verfassung der Theologie. Daraus ergibt sich andererseits, daß das hierarchische Lehramt die Aussagen der Theologie

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als qualifizierter kirchlicher Funktion ernst zu nehmen und auch deren eventuell kritische Anfragen in seinen Entscheidungen mit in Betracht zu ziehen hat. T h e o l o g i e wird bei aller kirchlichen Bindung nicht aus bischöflicher Delegation betrieben. Sie ist selbst eigenständiger kirchlicher Vollzug und kann nicht aus dem bischöflichen o d e r päpstlichen A m t abgeleitet werden. Beide L e h r ä m t e r , das hierarchische und das theologische (zur Lehre von den beiden magisterii, d e m magisterium cathedrae pastoralis und d e m magisterium cathedrae magistralis [ T h o m a s von Aquino] und zur Geschichte ihres Verhältnisses, vgl. Seckler, W ä n d e 105 - 1 3 5 ) , müssen kooperieren, weil sie aufeinander angewiesen sind, ohne daß das eine auf das andere zurückgeführt werden könnte. In der Problematik der Bindung der Theologie und der T h e o l o g e n an ein außeruniversitäres L e h r a m t werden immer wieder Fragen an die Wissenschaftlichkeit der T h e o l o g i e laut. Eingriffe von außen (z. B. Bußschweigen, Verweigerung des nihil obstat) führen zu Zweifeln an ihrer Freiheit und nicht selten auch an ihrer Legitimität innerhalb der Universität. Das Verhältnis von Theologie und hierarchischem L e h r a m t hat auch innerkatholisch Anlaß zu Kontroversen gegeben. Literatur Hans-Michael Baumgartner, Theol. zw. den Fronten. Zum Ort der Theol. an der europ. Univ.: J T G G 1993 (1994) 6 1 - 7 6 . - Wolfgang Beinert, Theol. Erkenntnislehre: ders. (Hg.), Glaubenszugänge. Lb der kath. Dogmatik I, Paderborn 1995 (Lit. 1 8 8 - 1 9 7 ) . - Bernhard Casper, Die Bedeutung der Lehre vom Verstehen f. die Theol.: ders./Klaus Hemmerle/Peter Hünermann, Theol. als Wiss., 1970 (QD 45). - Albert Franz (Hg.), Bindung an die Kirche oder Autonomie. Die Theol. im gesellschaftlichen Diskurs, Freiburg i.Br. 1999. - Matthias Gatzemeier, Theol. als Wiss., Stuttgart 1975. - Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1981. - Peter Hünermann/Dietmar Mieth (Hg.), Streitgespräch um Theol. u. Lehramt. Die Instruktion über die kirchl. Berufung der Theologen in der Diskussion, Frankfurt a.M. 1991. - Walter Kasper, Theol. u. Kirche, Mainz 1987. - Rudolf Langthaler, Theol. als Wiss., Frankfurt a.M. 2000. - Peter Neuner, Der Glaube als subjektives Prinzip der theol. Erkenntnis: HFTh 4 (1988) 5 1 - 6 7 . - Karl Rahner, Art. Theol.: H T T L 7 (1973) 2 3 6 - 2 4 7 . - J o s e p h Ratzinger, Theol. Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheo]., München 1982. - Richard Schaeffler, Glaubensreflexion u. Wissenschaftslehre. Thesen zur Wissenschaftstheorie u. Wissenschaftsgesch. der Theol., 1980 (QD 82). - Max Seckler, Im Spannungsfeld v. Wiss. u. Kirche, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1980. - Ders., Theol. als Glaubenswiss.: HFTh 4 (1988) 1 7 9 - 2 4 1 . - Ders., Die schiefen Wände des Lehrhauses. Katholizität als Herausforderung, Freiburg i.Br. 1988. - Jürgen Werbick, Den Glauben verantworten, Freiburg i.Br./Basel/Wien 2000. Peter N e u n e r II/4.3. Orthodoxe Theologie 1. Vorbemerkung 2. Orthodoxe Theologie vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart 3. Grundzüge des orthodoxen Theologieverständnisses (Anmerkungen/Literatur S.297) 1.

Vorbemerkung

Die o r t h o d o x e Theologie (vgl. O r t h o d o x e Kirchen) gründet sich in der - » T r a d i t i o n der patristischen und byzantinischen Theologie. Die Eroberung Konstantinopels 1 4 5 3 hatte zur Folge, d a ß die byzantinische Theologie nicht mehr in Konstantinopel selbst, sondern in Griechenland, R u ß l a n d und den Balkanstaaten ihre wesentliche Fortsetzung fand. 2. Orthodoxe

Theologie

vom

15. Jahrhundert

bis zur

Gegenwart

Der Darstellung ist kein streng definierter Theologiebegriff zugrunde gelegt, vielmehr wird auf solche Theologen (Patriarchen, Laien, Kirchenreformer etc.) und theologischen Schriften (Bekenntnisse, Briefe, wissenschaftliche Abhandlungen etc.) Bezug genommen, die für ihre Zeit repräsentativ sind und für die orthodoxe Theologiegeschichte insgesamt eine entscheidende Bedeutung gewonnen haben. In der historischen Entwicklung der o r t h o d o x e n Theologie lassen sich folgende Perioden voneinander abgrenzen: N a c h 1 4 5 3 stand die o r t h o d o x e T h e o l o g i e zunächst im

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Zeichen der Bewahrung der patristisch-byzantinischen Tradition. Spätestens seit Beginn des 17. Jh. machten sich jedoch die Einflüsse von -»Reformation und Gegenreformation bemerkbar (zu bereits früher nachweisbaren ersten Ansätzen einer Übernahme scholastischer Termini und Argumentationsweisen vgl. Wendebourg, Mysterion), und konfessionelle Polemik bestimmte die theologischen Kontroversen. Im 18. und 19. Jh. rückte die Auseinandersetzung mit den neuen philosophischen Ansätzen vor allem der -»Aufklärung in den Vordergrund. Zugleich setzte im 19. Jh. eine Rückbesinnung auf die Quellen orthodoxer Theologie ein, die schließlich im 20. Jh. zur vollen Entfaltung gelangte (zur Periodisierung vgl. Podskalsky, Theologie [1988] 79ff.). 2.1. Die griechische

orthodoxe

Theologie

In der griechischen orthodoxen Theologie (vgl. -»Griechenland) setzte sich nach 1453 die spätbyzantinische Tradition zunächst im wesentlichen unverändert fort. Ihren herausragenden Vertreter fand sie in —»Gennadios Scholarios, dem ersten Patriarchen unter türkischer Herrschaft. Auch die etwa ein Jahrhundert später an die Tübinger Theologen Martin Crusius (1526-1607) und J. Andreae ergehenden Antwortschreiben des Patriarchen Jeremias II. (1536-1595) lassen noch überwiegend byzantinische Prägung erkennen, thematisch weisen sie jedoch schon über ihre Zeit hinaus. Von der im 17. Jh. an Intensität gewinnenden interkonfessionellen Auseinandersetzung gibt das Bekenntnis der orientalischen Kirche (1625, veröffentlicht 1661) ein bemerkenswertes Zeugnis. Dieses als reine Privatschrift entstandene, für lutherische Freunde in -»Helmstedt formulierte orthodoxe Glaubensbekenntnis des Metrophanes Kritopoulos (1589-1639) kann als erster bedeutender wissenschaftlicher Versuch eines orthodoxen Theologen, die durch die Reformation aufgeworfenen theologischen Fragen zu behandeln, verstanden werden (vgl. Karmiris, Mvrjfieia 489ff.). Vertrat Kritopoulos in seinem Bekenntnis noch traditionell orthodoxe Positionen, so gilt das Orientalische Bekenntnis des christlichen Glaubens (1629) des Kyrillos Loukaris (1572-1638), der von 1601 bis 1620 Patriarch von Alexandrien und von 1620 bis 1638 mit Unterbrechungen Patriarch von Konstantinopel war, in wesentlichen Punkten als calvinistisch. Für die weitere Entwicklung der orthodoxen Theologie bedeutet dieses Bekenntnis einen folgenreichen Einschnitt: von da an wird es gebräuchlich, zur Widerlegung heterodoxer Positionen auf Argumentationsmuster zurückzugreifen, die aus der katholisch-protestantischen Kontroverse stammen, eine Vorgehensweise, die für die interkonfessionelle wie innerorthodoxe Auseinandersetzung des 17., 18. und 19. Jh. insgesamt bestimmend bleiben sollte. Eine Übernahme scholastischer Termini und Argumentationsweisen kennzeichnet die Confessio Orthodoxa (veröffentlicht 1667) des Kiever Metropoliten Petr Mogila (-»Petrus Mogila) und die direkt gegen das Bekenntnis des Loukaris gerichtete Confessio Dosithei (1672) des Patriarchen Dositheos von Jerusalem (1641-1707), die beide weitgehend auf sog. antilukaristischen Synoden rezipiert worden sind. Wichtige Kontroverspunkte zwischen dem Bekenntnis des Loukaris und der Confessio Dosithei bestehen in der Glaubenslehre (Gerechtigkeit aus Glauben versus Glaube als Ursache gerechten Handelns), der Ekklesiologie (in der Confessio Dosithei Betonung des institutionellen Aspekts, „einer Kirche mit lehrendem, disziplinarischem Amtscharakter" [Georgi 66]) und der Sakramentenlehre (Sakramente als „Siegel der Verheißungen Gottes" versus Sakramente als „wirksame Werkzeuge, die den Eingeweihten die Gnade mit Notwendigkeit mitteilen"; calvinistisches Abendmahlsverständnis versus Transsubstantiationslehre [vgl. Georgi 66ff.]). Auf die Ideen der Aufklärung, die sich im 18. Jh. zu verbreiten begannen, wurde überwiegend mit Ablehnung reagiert. Über seine Schriften wie seine Tätigkeit als Rektor der 1743 von Patriarch Kyrill V. gegründeten Athosakademie versuchte Eugenios Bulgaris (1716-1806) eine vorsichtige Öffnung - an der Athosakademie hielt er beispielsweise Vorlesungen über -»Leibniz und Ch. -»Wolff - , stieß damit jedoch auf erheblichen Widerstand. Eine Sonderstellung im ausgehenden 18. Jh. nahm Nikodemos Hagioreites

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aus Naxos (1749-1809) ein. Stand er als Verfasser unter westlichem, römisch-katholischem Einfluß, so wirkte er als Herausgeber des Pedalion, einer Sammlung des orthodoxen Kirchenrechts, des Euergetinos, einer Sammlung von Vätersprüchen, sowie durch die redaktionelle Bearbeitung der Philokalie im Sinne einer Wiederentdeckung genuin orthodoxer Quellen. In den im 19. Jh. geführten theologischen Auseinandersetzungen standen sich von der Aufklärung beeinflußte Theologen wie Theokletos Pharmakides (1784-1860) und Neophytos Bambas (1770-1855) und Traditionalisten unter der Führung von Konstantinos Oikonomos (1780-1857) gegenüber. In der theologischen Fakultät von Athen dominierte eine „scholastische" Ausrichtung, die sich namentlich in den Dogmatiken von Chrestos Androutsos (1869-1935) und Panagiotes Trembelas niederschlug. Das von dem russischen Theologen Georgij Florovskij auf dem ersten allorthodoxen Theologenkongress (Athen 1936) vorgestellte Programm einer „neopatristischen Synthese" (s.u. 3.) fand jedoch auch Anklang unter den griechischen Theologen. In der Gegenwart knüpfen daran Ioannis Zizioulas und Chrestos Yannaras an. 2.2. Die russische

orthodoxe

Theologie

Mit der Eroberung von Konstantinopel und der äußeren wie inneren Konsolidierung des russischen Staatswesens sah sich die orthodoxe Theologie in -»-Rußland in besonderer Weise der Wahrung der Tradition verpflichtet. Diese Aufgabe stellte sich zugleich aber auch durch innerhalb der Kirche auftretende separatistische Tendenzen, die zur Klärung des orthodoxen Standpunktes nötigten. Zur Widerlegung der sog. „Häresie der Judaisierenden" entstand Der Erleuchtet (1502-1504) von Iosif von Volokolamsk, die erste umfassende russische Darstellung des orthodoxen Glaubens. Gleichfalls waren die Herausgabe der ersten kirchenslavischen Vollbibel (1499) durch Erzbischof Gennadij von Novgorod sowie die Ubersetzungstätigkeit des Maksim Grek (1470-1556) (z.B. seine Übersetzung des Psalters mit Erklärungen) durch die Auseinandersetzung mit den „Judaisierenden" veranlaßt. Eine Übergangsphase in der theologiegeschichtlichen Entwicklung markierten Die Darlegung der Wahrheit (ca. 1566) des Zinovij von Oten' sowie Das Sendschreiben gegen die Lutheraner (um 1560) des Parfenij Urodivyj. In den Schriften flössen innerorthodoxe Auseinandersetzung (mit den 1553 von einer Moskauer Synode verurteilten Lehren u.a. des Mönches Feodosij Kosoj) und konfessionelle Polemik (gegen die „Lutheraner") ineinander. Spätestens seit dem 17. Jh. wurde, wie für die griechische, so auch für die russische Theologie die Ausrichtung an Methodik und Fragestellungen der westlichen Theologie charakteristisch. Eine unverkennbare Nähe zur katholischen Theologie begegnet in der bereits erwähnten Confessio Orthodoxa des Petr Mogila. Als Gesamtdarstellung des orthodoxen Glaubens konzipiert, war sie im Original in lateinischer Sprache und in enger Anlehnung an die Katechismen des Petrus —»Canisius verfaßt. Der katholische Einfluß zeigt sich beispielsweise in der Reduktion der Sakramentenlehre auf forma und materia oder auch in der Bezeichnung der eucharistischen Wandlung als Transsubstantiation (fiezovaicoaii; statt fieraßoXrj). Petr Mogila hat nicht nur durch seine Confessio Orthodoxa zu einer Latinisierung der orthodoxen Theologie beigetragen, sondern auch durch das von ihm 1631 in Kiev gegründete Collegium Mogilianum, die zur damaligen Zeit einzige höhere Bildungseinrichtung für orthodoxe Theologen. In Rußland hat sich diese von der Ukraine ausgehende Richtung der Theologie nur mit gewissen Einschränkungen (vgl. den „Brotanbeterstreit") durchsetzen können. Einen ihrer Hauptvertreter fand sie in Metropolit Stefan Javorskij (1658-1722), der sich in seinem Werk Der Fels des Glaubens auf die Controversiae R. ->Bellarminis und andere römisch-katholische Quellen stützte, um die Lehren einer von protestantischen und freidenkerischen Elementen geprägten Bewegung in Rußland zu widerlegen.

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Eine Wende hin zu einer protestantischen Ausrichtung der Theologie erfolgte unter Feofan Prokopovic (1681-1736), dem theologischen und kirchenpolitischen Kontrahenten Stefan Javoskijs (es ist umstritten, wie das Verhältnis Prokopovics zum Protestantismus im einzelnen zu bestimmen ist, vgl. Härtel). Theologiegeschichtlich hat Prokopovic durch seine in Kiev gehaltenen Vorlesungen zur Dogmatik, die in der Folgezeit zu einem Standardwerk in der theologischen Ausbildung werden sollten, und seinen -»Katechismus, insbesondere aber als Hauptverfasser des Geistlichen Reglements (1721) Bedeutung erlangt. Mit dieser Schrift, die Peter I. der Große (reg. 1682-1725) zur Begründung weitreichender kirchlicher Reformen (u.a. die Abschaffung des Patriarchats, rigide Klosterreform) diente, schuf Prokopovic zugleich die Voraussetzungen für eine höhere Bildung des russischen Klerus sowie die Entwicklung einer wissenschaftlichen Theologie. Als bedeutender Theologe ging aus dem neu etablierten Bildungssystem u.a. Piaton Levsin (1737-1812), Metropolit von Moskau, hervor. Seine Kurze russische Kirchengeschichte (1805) läßt sich als erster „Versuch einer kritisch-wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der russischen Kirche" (Smolitsch 1,42) verstehen, seine Orthodoxe Lehre oder kurzgefaßte christliche Theologie (1765) fand weite Verbreitung, mehr noch in Griechenland und den Balkanstaaten als in Rußland (vgl. auch T R E 17,736f.). Im Laufe des 19. Jh. vollzogen sich in der russischen Theologie Entwicklungen, denen die Tendenz zu einer profiliert orthodoxen Theologie innewohnte. Zwar wurde durch den Oberprokuror des Heiligen Synod, Nikolaj Graf Protasov (1798-1855; Oberprokuror 1836-1855), der nicht folgenlos gebliebene Versuch gemacht, die Ausbildung im Sinne eines Petr Mogila zu reformieren: die zu dieser Zeit entstandene Dogmatik von Metropolit Makarij Bulgakov (1816-1882), die über Jahrzehnte hinweg in der akademischen Lehre verwendet wurde, zeigt in ihrer Anlage unverkennbar römisch-katholischen Einfluß. Die später entstandenen Dogmatiken von Bischof Sil'vestr Malevanskij (1827-1908) und Nikolaj P. Malinovskij (gest. 1917) stehen ebenfalls in dieser Tradition. Und auch mit der Anwendung historisch-kritischer Methoden, die mit der AkademieReform von 1869 offizieller Bestandteil des Lehr- und Forschungsprogramms wurden, folgte die orthodoxe Theologie dem zeitgenössischen westlichen, vor allem protestantischen Vorbild. Zugleich jedoch kam es zu bedeutenden theologischen Leistungen, die nicht in Abhängigkeit, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit der westlichen Theologie und in Rückbesinnung auf die Quellen der Orthodoxie erfolgten. Ihren Niederschlag fand die theologische Arbeit vor allem in den seit Mitte des 19. Jh. zahlreich erscheinenden Zeitschriften (vgl. Felmy, Auseinandersetzung). Eine herausragende Gestalt der ersten Hälfte des 19. Jh. ist Metropolit Filaret Drozdov von Moskau (1782—1867). Sein Ausführlicher christlicher Katechismus befindet sich noch heute im Gebrauch. Unter ihm begann der Rektor der Moskauer Geistlichen Akademie Aleksandr Vasil'evic Gorskij (1812-1875) mit ersten kritischen Arbeiten zur Kirchengeschichte. In der Folgezeit sollte sich die historische Arbeit in einer Weise etablieren, daß sich für die theologiegeschichtliche Entwicklung der zweiten Hälfte des 19. Jh. insgesamt die Bezeichnung „Historische Schule" (Florovskij) eingebürgert hat. Von der Vielzahl an Spezialuntersuchungen, die in dieser Zeit entstanden, erscheinen solche besonders bemerkenswert, die zu einer Revision des herkömmlichen Geschichtsbildes nötigten. Genannt seien hier die Arbeiten von Nikolaj Kapterev (1847-1917), in denen das historische Recht der vom Staat verfolgten Altgläubigen aufgezeigt wurde, und diejenigen Evgenij E. Golubinskijs (1834-1912) zu den Anfängen der russischen Kirchengeschichte. Für die Erschließung der für die Entwicklung einer orthodoxen Theologie eigenen Grundlagen kam die wichtigste Bedeutung der Patristik zu. Seit 1843 erschienen die Werke der Kirchenväter in russischer Ubersetzung an der Moskauer Geistlichen Akademie. Die bedeutendsten Arbeiten auf dem Gebiet der Patristik hat Vasilij Bolotov (1854-1900) geleistet. Wichtige Impulse in systematisch-theologischer Hinsicht lieferten Religionsphilosophie und Laientheologie. Z u ihren herausragenden Vertretern gehört A.S. —»Chomjakov.

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In seinen ekklesiologischen Überlegungen spielt der Begriff „Sobornost" eine entscheidende Rolle, unter dem die „Manifestation der geistlichen Gemeinschaft in gegenseitiger Liebe" (Slenczka, Lehre 535) verstanden werden kann. Der von Chomjakov in dezidierter Gegenüberstellung zu ekklesiologischen Entwürfen der westlichen Christenheit entwikkelte Begriff ist bis heute für die orthodoxe Theologie relevant geblieben. Einen bleibenden Einfluß hat ferner Vladimir S. Solov'ev (1853-1900) mit seiner Lehre von der Sophia ausüben können. Unter anderem hat Sergij N. Bulgakov (1871-1944) daran angeknüpft. Mit seiner Lehre von der Sophia versucht Bulgakov, Gottes Wirksamkeit in der Schöpfung begreiflich zu machen und damit dem atheistischen einen „christlichen Materialismus" entgegenzustellen. In der Wende vom 19. zum 20. Jh. ist ein Schwerpunkt in der Behandlung soteriologischer Fragestellungen festzustellen. Auch hier zeigt sich das Bestreben, sich von einem westlichen — und das heißt im konkreten Fall juridischen - Verständnis der Soteriologie zu lösen. In unterschiedlichem Maße wird die ethisch-subjektive Seite der Erlösung in den Vordergrund gerückt. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Schriften von Antonij Chrapovickij (1863-1936), Pavel J. Svetlov (1862-1941) und dem späteren Patriarchen Sergij Stragorodskij (1867-1944). Eine extreme Form der moralischen Interpretation gibt Michail M. Tareev (1866-1934), der in das Zentrum seiner Erlösungslehre die Versuchung Jesu (Mt 4) stellt. Die radikale Veränderung der politischen Verhältnisse in Rußland seit 1917 hatte zur Folge, daß die theologische Arbeit nicht unmittelbar in Rußland selbst, dafür aber in dem von Emigranten gegründeten Institut St. Serge in Paris und dem St. Vladimir's Theological Seminary in Crestwood, New York, fortgeführt werden konnte. Zu den auch für die gegenwärtige orthodoxe Theologie außerordentlich bedeutsamen Theologen gehören namentlich Georgij Florovskij (1893-1979) (s.u. 3.), John Meyendorff (geb. 1926), der mit seinen Arbeiten über —»Gregorios Palamas die Entwicklung des Neopalamismus entscheidend beförderte, sowie Nikolaj Afanas'ev (1893-1966) mit seiner Konzeption einer „eucharistischen Ekklesiologie". 2.3. Die orthodoxe

Theologie

in

Südosteuropa

Wie in der griechischen und russischen ist auch in der orthodoxen Theologie Südosteuropas nach einer Phase der Orientierung an westlicher Theologie gegenwärtig die Tendenz zur Rückbesinnung auf die eigenen Quellen zu beobachten. In der serbischorthodoxen Kirche gehören zu den wichtigsten Vertretern dieser Richtung Bischof Nikolaj Velimirovic von 2ica (1880-1956), der Belgrader Theologe Justin Popovic (18491979) und in jüngster Zeit Bischof Atanasije Jevtic. Entscheidende Impulse für die orthodoxe Theologie Südosteuropas gingen von der im cisleithanischen Teil des Habsburgerreichs gelegenen deutschsprachigen Theologischen Fakultät Czernowitz aus. Dort erhielten Stefan Zankov (1881-1965), der herausragende Vertreter der orthodoxen Theologie Bulgariens, ebenso wie Dumitru Staniloae (1903-1993), der bedeutendste rumänische orthodoxe Theologe der Gegenwart, ihre Ausbildung. 3. Grundzüge des orthodoxen

Theologieverständnisses

In der neueren orthodoxen Theologie, die ihre bedeutendsten Vertreter in Theologen wie Nikolaj Afanas'ev, Georgij Florovskij, Vladimir Losskij, John Meyendorff, Nikos A. Nissiotis, Alexander Schmemann, Dumitru Staniloae, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas hat, wird als Ausgangs- wie Zielpunkt der theologischen Reflexion die kirchliche Erfahrung herausgestellt (vgl. Felmy, Einführung lff.). Erfahrung ist hier - in dezidierter Abgrenzung zu einem allgemein religiösen Verständnis von Erfahrung - ausschließlich von der liturgischen und asketischen Praxis der Kirche her bestimmt und kann synonym mit dem Begriff „Kirchlichkeit" verwandt werden (vgl. Florenskij 7f.). Als primäre Aufgabe für die theologische Reflexion stellt sich damit die Explikation

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der liturgischen, mystischen und asketischen Erfahrung der Kirche. „ O r t h o d o x e r " T h e o loge kann entsprechend nur derjenige sein, der an der kirchlichen Erfahrung partizipiert und sein Denken an dem altkirchlichen Grundsatz der lex orandi — lex credendi ausrichtet: „ W e n n du T h e o l o g e bist, dann bete wirklich; und wenn du wirklich betest, bist du T h e o l o g e " ( - » E v a g r i u s Ponticus, zitiert nach Staniloae I, 99). Daß mit dem Erfahrungsbezug ein wesentliches Merkmal orthodoxen Theologieverständnisses benannt ist, findet seine Bestätigung in der Auswahl derer, die unter den in der orthodoxen Kirche als Heilige Verehrten das Ehrenprädikat „der Theologe" tragen. Es sind dies der Evangelist Johannes, der Kirchenvater -»Gregor von Nazianz und der Mystiker -»Symeon der neue Theologe. In einem Aufsatz über Die drei Theologen, der speziell der Frage gewidmet ist, „nach welchem Prinzip" diese „so genannt worden sind und ob zwischen ihnen irgendeine Beziehung oder Verbindung besteht" (Panteleimon 77f.), kommt der russische Ieromonach Panteleimon zu dem Ergebnis, daß über eine grundsätzliche Übereinstimmung in theologischen Kernfragen hinaus vor allem ein gemeinsames, an der kirchlichen Erfahrung orientiertes Theologieverständnis festzustellen sei. So erkläre etwa Symeon der neue Theologe „ein hoch-sittliches, tugendhaftes Leben in der segensreichen Atmosphäre der Kirche und ihrer Mysterien" (ebd. 96) zur notwendigen Voraussetzung „wahrer Theologie", und für Gregorios von Nazianz sei „Theologie so eng mit dem tätigen Glauben, mit dem christlichen Leben im Schöße der orthodoxen Kirche verbunden, daß er sie selbst auch gedanklich nicht trennt" (ebd. 92). Die theologische Reflexion hat sich als Reflexion der kirchlichen Erfahrung zugleich in geschichtlicher Perspektive zu vollziehen, denn „die Kirche ist der Leib Christi, wie er sich ständig in der Geschichte bezeugt" (Nissiotis 4 9 ) . Geschichte ist hier exklusiv theologisch als Heilsgeschichte verstanden, und o r t h o d o x e T h e o l o g i e wird dann ihrer Aufgabe gerecht, wenn sie sich in den in diesem Sinne verstandenen geschichtlichen P r o z e ß hineinzustellen und selbst zu einem Zeugnis der Offenbarung zu werden vermag. Im Hinblick auf den Stellenwert theologischer Aussagen heißt das: Im Gegensatz zu D o g m e n 1 ( - » D o g m a 1.2.) haben sich theologische Aussagen als Auslegung der Offenbarung im M e d i u m der kirchlichen Erfahrung erst noch zu bewähren. Die Kirche als ganze gilt in ihrer Lehre als unfehlbar, einzelne Aussagen o r t h o d o x e r Theologen können sich gleichwohl als irrig erweisen. So formuliert Staniloae einen o r t h o d o x e n G r u n d k o n sens, wenn er schreibt: „Eine ,willkürliche Meinung' (Häresie) kann m a n c h m a l auch von Mitgliedern der Hierarchie vertreten werden. Die Kirche als Ganzheit, als Leib Christi ist aber irrtumsfrei und rezipiert nur das, was das Heil ihrer Glieder nicht gef ä h r d e t " (Dogmatik I, 98). Von einem in der orthodoxen Theologie weithin geklärten Lehrbegriff kann nicht ausgegangen werden. Unter dem Einfluß der insbesondere seit Mitte des 19. Jh. in Rußland intensiv betriebenen historischen Forschung kommt es zu einer Infragestellung der bis dahin postulierten Identität von Offenbarung und Dogma. Dem damit aufgegebenen Problem der Dogmenentwicklung sucht orthodoxe Theologie zumeist durch die Unterscheidung zwischen dem mit der Offenbarung vollkommen übereinstimmenden Inhalt und der äußeren, dem historischen Wandlungsprozeß unterliegenden Form zu begegnen (vgl. Glubokovskij: „Die russische Theologie stellt eine historische Auslegung der Dogmen als der offenbarten Wahrheiten nur zur Verfügung, um sie in ihrer ganzen objektiven Fülle verständlich zu machen und die historische Rechtmäßigkeit ihrer Formen zu zeigen" [11]; zu anderen Ansätzen vgl. z. B. Tareev). Als Problem stellt sich ferner der Dogmenbegriff selbst, wie weit er zu fassen ist und welches die Kriterien dafür sind: Gelten allein die auf den ökumenischen Konzilien von der ganzen Kirche anerkannten Glaubenswahrheiten als Dogmen? Wie ist unter dieser Voraussetzung aber das Filioque zu beurteilen? Der Patristiker Bolotov, der in dieser Frage strikt historisch argumentiert, ordnet das Filioque als Lokaltradition der Kirche des Westens (—»Augustin) und damit als Theologoumenon 2 ein. Andere, für die die Ubereinstimmung von Lehre und Kirchengemeinschaft eine unaufgebbare ekklesiologische Voraussetzung ist, bemühen sich demgegenüber um den Nachweis, daß die östliche Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes allein aus dem Vater ein - wenn auch nicht von den ökumenischen Konzilien offiziell definiertes, so doch dem Sinngehalt nach - Dogma ist. Unter dieser ekklesiologischen Voraussetzung kann es allerdings zu einer erheblichen Ausweitung des Dogmenbegriffs auf die Lehre und Verkündigung der Kirche insgesamt kommen, bei der sich die Frage stellt, wie etwa die -»Bekenntnisschriften des 17. Jh. einzuschätzen sind. Wenn sie als allgemein verbindliche Formulierungen von Glaubenswahrheiten der orthodoxen Kirche gelten, wie sind dann bestimmte, nachweislich

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von der westlichen Theologie geprägte dogmatische Standpunkte einzuordnen, in denen Florovskij u.a. eine deutliche Abweichung von orthodoxer Tradition erkennen (vgl. Florovskij, Puti; Felmy, Theologie [1985])? Quellen der orthodoxen Theologie sind Schrift und Tradition. Der betonte Erfahrungsbezug in der neueren orthodoxen Theologie wirkt sich auch auf das Verständnis des Traditionsbegriffs aus: „Die Annahme der kirchlichen Tradition ist nichts anderes als der Glaube an das ständige Verweilen des Herrn in der Welt und in der Kirche, die Annahme des ununterbrochenen charismatischen, heiligenden L e b e n s " (Florovskij, Tradition 1473; vgl. Kallis, Orthodoxie 41ff.). Der Begriff wird von daher nicht ausschließlich auf einen fest umschriebenen Textcorpus (z. B. die Schriften der Kirchenväter) oder/und eine bestimmte Epoche (z.B. die Zeit der Sieben Ökumenischen Konzilien) bezogen, sondern auf sämtliche Zeugnisse der Offenbarung. Dazu gehören als „ungeschriebene Tradition" der Riten (-»-Ritus) und -»Symbole insbesondere die gottesdienstlichen Vollzüge. Für ein dynamisches Traditionsverständnis steht in paradigmatischer Weise das von Georgij Florovskij entworfene Programm einer „neopatristischen Synthese", ein Programm, das in der orthodoxen Theologie allgemein Zustimmung gefunden hat (vgl. Procès Verbaux). Florovskij entwirft darin Perspektiven für eine zeitgenössische orthodoxe Theologie, und zwar auf der Grundlage einer „Rückkehr zu den Vätern" (Florovskij spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Rehellenisierung" der orthodoxen Theologie). Intendiert ist damit nicht, und das ist im Hinblick auf das Traditionsverständnis von entscheidender Bedeutung, eine unreflektierte Wiederholung patristischer Theologie, sondern deren Aneignung als Deutungshorizont für die theologische Reflexion in der Gegenwart: „In vollkommener Weise kann man den Vätern nur in einem schöpferischen Prozeß, nicht durch Nachahmung folgen" (Florovskij, Puti 506; zum Programm der „neopatristischen Synthese" vgl. Künkel 261 ff.). Florovskij entwickelt sein Programm einer „Rückkehr zu den Vätern" vor dem Hintergrund einer seiner Einschätzung nach für die Geschichte der orthodoxen Theologie weithin kennzeichnenden „Pseudomorphose", d.h. der Übernahme von Denkmustern, die der orthodoxen Tradition fremd waren und diese überlagert haben, eine These (zu deren Entfaltung vgl. Florovskij, Puti), die von verschiedener Seite und aus unterschiedlichen Gründen kritisiert worden ist, u.a. deshalb, weil sie - „vielleicht ungewollt - eine fühlbare Diskreditierung der griechisch-russischen Theologie der frühen Neuzeit zur Folge" (Podskalsky, Theologie [1988] 69f.) hatte (vgl. auch Wendebourg, „Pseudomorphosis"). Mit der Herausstellung des Erfahrungsbezugs in der neueren orthodoxen Theologie verbindet sich häufig eine kritische Distanz zum Postulat der Wissenschaftlichkeit der Theologie. Der Tendenz zur Systematisierung, wie sie für katholische und protestantische, aber auch die orthodoxe „scholastische" Theologie des 17. und 18. Jh. kennzeichnend sei, wird die lebendige Erfahrung der Kirche entgegengestellt, die sich nicht begrifflich fixieren und in ein rationalistisches Schema bringen lasse (vgl. Nissiotis: T h e o logie der Kirche ist nicht „möglich als ein rationalistisches Bemühen zur Ausarbeitung eines autarken theologischen Systems, das sich durch sich selbst beweist, das statisch und in sich geschlossen ist. In erster Linie ist die Theologie eine vernünftige charismatische W i r k u n g " [55]). Prinzipiell wird der Vorbehalt gegenüber einer streng wissenschaftlich ausgerichteten Theologie gnoseologisch begründet: Gottes Wesen, so wird im Anschluß an Gregorios Palamas herausgestellt, sei an sich unerkennbar und nicht auf Grundlage der attalogia entis zu erschließen, allein in den Energien Gottes sei es erfahrbar. Der apophatische Charakter orthodoxer Theologie, den im übrigen auch orthodoxe Theologen betonen, die sich nicht explizit auf Palamas beziehen (vgl. Staniloae I, 104), widerstrebe der Spekulation mit abstrakter Begrifflichkeit: „Der metaphysische Versuch, durch die Zusammenschau wissenschaftlicher Erkenntnisse das unfaßbare Mysterium zu ergründen, vermag nicht die kategoriale Grenze der menschlichen Logik zu überwinden und verfehlt sein Ziel. Diese Metaphysik bleibt dinglich, endokosmisch und daher für die Theologie unergiebig, denn sie unternimmt die Überwindung des Endokosmischen durch die Verdinglichung des Transzendenten, das in den Bereich des Mythos abgleitet. Gott aber als der Überseiende, kann nicht Gegenstand einer solchen Metaphysik werden" (Kallis, Dornbusch 18f.).

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Insgesamt zeichnet sich o r t h o d o x e Theologie jedoch nicht durch eine prinzipielle Wissenschaftsfeindlichkeit aus, wie etwa die Anwendung historisch-kritischer M e t h o d e n in der russischen o r t h o d o x e n Theologie im ausgehenden 19., beginnenden 20. Jh. zeigt. Es fehlen jedoch weitgehend Ansätze einer ausgearbeiteten wissenschaftsmethodologischen Reflexion. 3 Anmerkungen 1

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In der neueren orthodoxen Theologie wird in der Frage des Geltungsanspruchs die kerygmatische Bedeutung der Dogmen hervorgehoben (vgl. Kallis, Orthodoxie 52: „Nur in diesem Verständnis kann das Dogma [sie!], d.h. als Kerygma [sie!] im gebräuchlichen Sinn, seine Heilsfunktion erfüllen, indem es nicht als das Produkt einer doktrinären Institution erscheint, ... sondern als die Stimme Gottes, der Aufruf zur Verwirklichung des in der Kirche erlebten Mysteriums der Wahrheit"). Bolotov war der erste, der - in einem im Rahmen der Unionsverhandlungen mit den Altkatholiken verfaßten Gutachten zur Filioque-Fnge - konsequent zwischen Dogma, Theologoumenon und theologischer Meinung unterschieden und dabei allein dem Dogma eine für die Kirchengemeinschaft konstitutive Bedeutung zuerkannt hat (vgl. Bolotov, K voprosu). Zu den Thesen Bolotovs und der sich an ihre Veröffentlichung anschließenden Auseinandersetzung, vgl. Slenczka, Ostkirche 218ff. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die orthodoxe Theologie sich bis zum 19. Jh. nicht im Kontext der in der Universität verbundenen Wissenschaften zu behaupten hatte und damit ein entscheidender Faktor für die Ausbildung des Wissenschaftscharakters der westlichen Theologie für sie keine unmittelbare Relevanz hatte (vgl. Podskalsky, Theologie [1977]; ders., Theologie [1988]).

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von Papst Johannes Paul II. weit verbreitet. Er betonte den Eigenwert der Kulturen und die Wichtigkeit ihrer Erneuerung. Gegenüber den früheren Konzepten bringt das Konzept der Inkulturation insofern etwas Neues, als sich in der Regel die lokale christliche Gemeinschaft unter Leitung des Heiligen Geistes als handelndes Subjekt versteht; ausgehend von der örtlichen Situation sollen der Makro-Kontext ebenso wie Rückwirkungen auf kontinentaler Ebene miteinbezogen werden. Inkulturation setzt Konvivenz anstelle von Dominanz voraus. In diesem Sinn befolgt sie ein globales methodologisches Prinzip, das sich nach biblischem Vorbild der Schöpfung (Genesis), der Inkarnation und Kenose (Phil 2) verpflichtet weiß und sie auf der Ebene historischer Kontingenz individuell und kollektiv (z. B. Act 17) nachvollzieht. Während sich frühere Versuche nach dem Prinzip von Kern und Schale nur auf die Form bezogen, verändert das Konzept der Inkulturation auch die Inhalte. Der Begriff und die von ihm gemeinte Sache machten in der katholischen Missionstheorie und Theologie rasch Schule (z. B. Enzyklika Redemptoris Missio [1990] Nr. 54), und zwar im Sinne eines Erfordernisses und nicht einer Konzession. 2.2. Die ökumenische Bewegung, insbesondere ihr missionarischer Zweig, ist mit einer ähnlichen Problematik beschäftigt. Ausgehend von der Analyse ungleicher Machtverteilung redete bereits die Weltmissionskonferenz von Bangkok der Kontextualisierung das Wort, so wie sie in Kreisen und Schriften des Theological Education Fund 1972 (Ministry in Context, Bromley 1972) vorgeschlagen wurde. „Kontext" ist seit den siebziger Jahren methodisches Prinzip ökumenischer und missionarischer Theologie. M a n wird hier eher von kontextuellen Theologien und von Theologien des Volkes reden und damit unterstreichen, daß jede Theologie vom Kontext geprägt ist, in welchem sie produziert wird. Das fundamentale Problem besteht darin zu bestimmen, wie sich Text und Kontext miteinander vertragen bzw. zueinander verhalten: Wie kann der Text seine befreiende Kraft, seine Andersheit trotz und wegen der Sorge um die adäquate Bezugnahme auf den Kontext bewahren? Welchen Stellenwert hat letzterer? Daraus ergibt sich die weitere Frage nach der Beziehung von klassischer und situierter Theologie, von philosophischer Hermeneutik und kontextueller Interpretation, von traditioneller und kritischer Theorie. Obwohl die ökumenischen Verlautbarungen zum Thema zuweilen und zunehmend die katholische Terminologie der Inkulturation aufnehmen, sind sie eher dem kritischen Prinzip verpflichtet. Auf evangelikaler Seite ist der sog. WillobankReport (La culture au risque de l'Évangile. Rapport de Willobank, Lausanne 1979; vgl. Blaser, Repères 299-308) zu erwähnen, der sich an den Übersetzungs-Modellen von Eugene A. Nida und Charles H. Kraft orientierte. 2.3. Die ökumenische Studie Evangelium und Kultur (z. B. Konsultation von Riano 1984 [IRM 74 (1985) N r . 294]) ist auf dem Hintergrund einer neuen Situation zu lesen. Mehrere spezifische Lesarten des Evangeliums sind bereits im Schwange: die grass-root theologies des einfachen Volkes in Afrika und Asien, die Bibelgespräche in den Basisgemeinden Lateinamerikas und die damit verbundene re-leitura; der Kampf gegen die Diskriminierung und der Aufbruch der Frauen tragen das Ihre bei. 1989 warnte die Weltmissionskonferenz von San Antonio vor einer Verabsolutierung der Kultur; sie kann Minderheiten, zuweilen auch Mehrheiten (wie ehemals in -»Südafrika) unterdrücken. Der Zweideutigkeit des Kulturellen wird sich mehr und mehr auch der Süden bewußt, ohne jedoch das Prinzip der Inkulturation aufzugeben. Auf der Weltmissionskonferenz von Salvador de Bahia 1996 wurde das Verhältnis von Evangelium und Kultur nochmals in diesem Sinne thematisiert. Kriterium ist, ob das inkulturierte Evangelium entmenschlichende und erniedrigende Wirkungen hat oder ob es Gerechtigkeit, Leben und Frieden bringt. Das Evangelium zu inkulturieren bedeutet nicht, in einer Ethnotheologie zu enden, sondern die Transformation der Gesellschaft anzustreben. Wie die Inkarnation die Inkulturation erfordert, so begründet die Erlösung die Notwendigkeit von Veränderung und Kritik.

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2.4. Eine Methodendebatte hat in den letzten Jahren eingesetzt: Wie verhalten sich Inkulturation und Kontextualisierung zueinander? Sind sie deckungsgleich oder ist das Konzept der Kontextualisierung insofern umfassender, als es sowohl das Befreiungsanliegen wie auch die Inkulturationsbestrebungen miteinander verbindet (Bosch; Blaser)? Oder divergieren beide Konzepte derart, daß sie als Ausdruck eines katholischen Bemühens im einen und eines protestantischen Anliegens im anderen Fall verstanden werden müssen (Zorn)? Muß das Konzept der Kontextualisierung mit semiotischen Methoden ergänzt werden, welche Schlüsselsymbole, Werte und Verhaltensmuster von Völkern für die Sinnerfahrung und Erkenntnis von Christus fruchtbar machen (Schreiter)? Ob die Debatte relevant ist, müßte an der jeweiligen Verwirklichung der verschiedenen Optionen erhoben werden. Übersetzung ist in jedem Fall das Erkennungszeichen christlicher Gemeinschaft und Theologie seit ihren Anfängen, wie etwa die altkirchlichen Liturgien beweisen. Dieser pfingstliche Charakter (Sanneh) ist im Blick auf die heutige Fragestellung wichtig: Bibelübersetzungen in ca. 2.200 einheimische Sprachen unter Verwendung lokaler Gottesnamen, afrikanische Messen und Gebete, kreolische Oralität, lateinamerikanischer Tanz als Gotteslob, balinesische Kunst im Dienste der biblischen Botschaft u.a. sind überprüfbare Realisierungen der theoretischen Inkulturation- bzw. Kontextualisierungs-Diskussion. 2.5. Ist die Forderung nach Inkulturation überholt? In der ökumenischen Bewegung ist mierkulturelle Hermeneutik zu einer vordringlichen Aufgabe geworden, deren Möglichkeiten und Modalitäten Gegenstand interdisziplinärer Untersuchungen sind. Wenn auch das Verstehen im Vergleich zu früher noch schwieriger geworden ist, so haben doch alle Theologien, die westlichen inbegriffen, einander nötig; sie beeinflussen und befruchten sich gegenseitig, weshalb auch der Austausch von Theologiestudierenden und von missionarischen Mitarbeitern diesen Prozeß fördern helfen. Die lokale Inkulturation darf darum nicht allzu lokal sein und die unendliche Anzahl von Kontexten nicht überbewertet werden. Aus der Inkulturation darf keinesfalls die Provinzialisierung der Theologie folgen (Bosch). Kulturen sind im Fluß und durchdringen sich gegenseitig. Kulturen, die sich nicht von anderen befruchten lassen, erstarren und sterben. Die westliche Kultur selbst ist aus einer Abfolge von /«ierkulturationen entstanden (beispielsweise der keltisch-römisch-christlichen Kultur mit derjenigen der Goten, Franken und Sachsen). Eine vergleichbare Interkulturation hat sich überall dort vollzogen, wo in der Neuzeit das Evangelium mit fremden Völkern und Kulturen in enge Berührung getreten ist und sich trotz vieler negativer Begleiterscheinungen als eine integrierende und schöpferische Kraft erwiesen hat (Rossel). 3. Inkulturierte/kontextuelle

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3.1. Die neuen Theologien eröffnen für die zeitgenössische Theologiegeschichte ein neues Kapitel. Neben der finanziellen, administrativen und evangelistischen Autonomie, wie sie für und von den ehemaligen Missionskirchen gefordert wird, bedeutet die Erarbeitung eigenständiger Theologien eine Art „vierte Autonomie". Als Theologien „von unten", auf der Rückseite der Geschichte, bewerkstelligen sie gegenüber den abendländischen Onto-, Wort- und Existenztheologien den sog. epistemologischen Bruch, womit sie Teil der postmodernen Versuche werden, sich aus den Zwängen einer religiösen und ideologischen Vorherrschaft zu befreien. Die Ökumenische Vereinigung der Dritte-Welt Theologen (EATWOT) war und ist Ausdruck und Forum dieses Bemühens. Das Nebeneinander afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer, ozeanischer und europäisch-amerikanischer Theologien verändert das Bild der Kirchengeschichte im allgemeinen und der Theologiegeschichte im speziellen. Die christliche Tradition wird synchron und diachron gebildet aus einer Anzahl von lokalen Theologien, die sich kulturell unterscheiden und je nur einen Aspekt der ganzen christlichen Tradition repräsentieren. Daraus entsteht eine ökumenische Debatte, in welcher jeder Partner seinen spezifischen

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Ort anerkennt und es akzeptiert, in der Relationalität zu leben und sich in der Relativität zu denken. Welche Zukunft wird jedoch einem Christentum und seiner Theologie beschieden sein, das seine kulturellen Kontexte zum methodischen Prinzip erhebt? Gibt es die Einheit in der Verschiedenheit? Bereichert oder entstellt die Verbindung mit neuen kulturellen, weltanschaulichen oder religiösen Paradigmen die Explikation der christlichen Botschaft? 3.2. Nach dem zeitweiligen Rückzug auf die Existenztheologie hat die protestantische Theologie in den europäischen Gesellschaften der sechziger Jahre das Thema der Geschichte neu in den Blick bekommen (Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann, Ernst Käsemann, G. v. -»-Rad; vgl. Blaser, Théologie 182-196). Diesem geht das Auftauchen des Befreiungsthemas parallel; später folgt der Übergang der Theologie vom „gekreuzigten Gott" zum „gekreuzigten Volk" (Jon Sobrino: König). Man kann die politische Theologie im Westen, die Theologie der Armen in der Dritten Welt, die schwarze Theologie in den -» Vereinigten Staaten von Amerika und in Südafrika sowie die feministischen Theologien als kontextuelle Befreiungstheologien, die alle und jede auf ihre Weise auf eine Leidenssituation antworten und von einer unterdrückten Gruppe entwickelt werden, begreifen. 3.3. Unter dem Stichwort „Inkulturation" figurieren vor allem schwarze, afrikanische, asiatische, ozeanische und andine Theologien. Aus nicht-europäischer Perspektive sind auch die euro-amerikanischen Theologien kontextuell bedingt und unter dem Aspekt der Inkulturation zu begreifen. Die Literatur spricht meistens von der Theologie in Afrika, Asien und Lateinamerika und bezeichnet damit drei Haupttypen kontextueller bzw. inkulturierter Theologie, die allerdings nicht einfach je einem Kontinent zuzuordnen sind. Sie ist in liturgischen Texten, Liedern und Traktaten ebenso greifbar wie in gelehrten Abhandlungen, deren Autoren aus Platzgründen nur auswahlweise und summarisch erwähnt werden können. 3.3.1. Nach den weltpolitischen Veränderungen der frühen neunziger Jahren macht die Befreiungstheologie Lateinamerikas nun auf die früher weniger wahrgenommene Komplexität der Welt der Armen aufmerksam (andine und indianische Kulturen, schwarze Bevölkerungsteile, Situation der Frauen). Sie reflektiert die mörderischen Konsequenzen des totalen Marktes, ökologische Anliegen und Volksreligion (s.o. II/5.2.). 3.3.2. In Asien, wo das Christentum nur eine kleine Minderheit bildet, stehen das Verhältnis zu und der theologische Dialog mit anderen Religionen im Mittelpunkt des Interesses (Ariarjah), neben der Interpretation und teilnehmenden Begleitung der großen gesellschaftlichen Veränderungen im 20. Jh. (Thomas); diese bilden das kritische asiatische Prinzip (Emerito P. Nacpil; vgl. Elwood [1979] 3—6). Eine kosmische Christologie oder Versuche, christliche Vorstellungen und Begriffe mit hinduistischen, buddhistischen oder volkstümlichen zu vermitteln (Samartha; Pieris), legen sich hier besonders nahe (z.B. das chinesische dao für logos). Auch der verborgene Christus (Panikkar) und der Schmerz Gottes (Kitamori) sowie der Yin-Yang-Weg des Denkens (Jung Young Lee; vgl. Elwood [1979] 25-32) prägen das theologische Denken im asiatischen Raum. Befreiungstheologisch orientiertes Handeln wie dasjenige der früher viel diskutierten koreanischen Minjungtheologie unterstreicht den direkten Bezug des minjung, der untersten Gesellschaftsklasse, zum ochlos des Markusevangeliums (Ahn). Deren Realität ist das -»Kreuz, und somit ist der Ort theologischer Reflexion nicht das Büro, sondern die Straße und das Gefängnis. Auch für die indische Dalit-Theologie hat das Leiden eine Schlüsselfunktion und ist ->Jesus Christus selbst ein Kastenloser. Daher ist das „Nicht-Volk" Gottes wirkliches Volk (P. Nirmal). 3.3.3. Beispiele inkulturierter Theologie in Melanesien (Ozeanien, Polynesien, Pazifik) sind im Westen weitgehend unbekannt. Im pazifischen Raum und seinen Inseln wurde die Distanz zu den weißen Missionaren als besonders groß empfunden. Wie können

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die Umwälzungen der Moderne, angekündigt durch das Erscheinen des weißen Mannes, in einer wesentlich mythischen Kosmologie verortet werden? Für melanesische Christen leisten die christliche Botschaft, die Sakramente, die Liturgie dabei Hilfestellung. Christus kann nur verstanden werden, wenn er als melanesischer Nachbar erfahren wird, der die Erfahrungen und Leiden der Bevölkerung teilt. Da er aber gleichzeitig Schöpfer ist (Kolosserbrief), ist er auch Ursprung und Ziel melanesischer Kultur. Andere Christologien bezeichnen ihn als bigman oder als Initiator, d.h. Anführer eines neuen Exodus, Anfang des Glaubens, Initiation in die Welt von morgen. Die „Kokosnuß-Theologie" (Havea), heute in Tahiti ersetzt duch die „fenua-Theologie", betont die Abhängigkeit von und Verbundenheit der Menschen mit der Erde als Lebensspenderin. Insgesamt kreisen asiatische Spiritualität und christliche Theologie um die Pole Schmerz, Kreuz und Leiden (Song). 3.3.4. Was den nicht-europäischen Kontext überhaupt auszeichnet, spielt insbesondere in Afrika eine hervorragende Rolle: die enge Verkettung von Religion und Kultur. Die afrikanischen Gemeinschaften sind sehr stark geprägt von der Symbolwelt der traditionalen Religion, der sich auch die Christen nicht entziehen können und wollen (Bimwenyi-Kweshi; Mushete). Für ihre Theologie geht es unter Berücksichtigung dieses Hintergrunds darum, gleichzeitig christlich und afrikanisch zu bleiben. Wie beides konkret zu vereinen ist, bleibt allerdings umstritten, um so mehr als die Verarbeitung beider Traditionen durch philosophische, soziologische, psychologische und politologische Kritik in ein neues Stadium getreten ist (Eboussi-Boulaga; Metogo; Mbembe). Die Aufgabe der Theologie wird auch in Afrika zusätzlich vom überlagernden Erbe der Missionsperiode (traditionale Religion als -»Heidentum, -»Spiritualismus, -»Pietismus, Individualismus) belastet. Romane afrikanischer Schriftsteller zeigen oft schonungslos das Scheitern des Christentums in der afrikanischen Kultur (Mongo Beti, Le pauvre Christ de Bomba, Paris 1956; dt.: Der arme Christ von Bomba, Wuppertal 1980). Heute neigen verschiedene afrikanische Theologen dazu, eine Identität des von den Missionaren gepredigten Gottes mit dem Gott der afrikanischen Tradition zu behaupten und zu argumentieren, in Afrika sei Gott vor den Missionaren präsent gewesen (Mbiti; Setiloane). Stein des Anstoßes ist dabei der Bezug auf die Ahnen und auf den ihnen gebührenden Respekt. Ist Jesus der Proto-Ahne (Bujo; Charles Nyamiti: Parratt 5 8 - 6 8 ; vgl. auch Schreiter, Faces 3 - 2 3 ) , der Häuptling (Kasabele) oder der ganz Andere? 3.3.5. Von der afrikanischen Theologie zu unterscheiden ist die schwarze Theologie, die ihren Ausgang im Kampf um die schwarzen Bürgerrechte in den USA hat. Angelegt im Denken Martin.Luther -»Kings hat.eine neue Generation schwarzer Theologen die Botschaft von dem auf der Seite der Schwarzen stehenden Gott in Jesus Christus entwickelt. Dieser ist selbst „schwarz" und entlarvt die Theologie der Weißen als unterdrückerisch. In Vergangenheit und Gegenwart sind Gottes Verheißungen die einzige Hoffnung des schwarzen Volkes, wie etwa seine Gospels zeigen (Cone; West). Im Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika und im Kairos-Dokument von 1985 hat schwarze Theologie eine neue Ausprägung gefunden. Aber auch im politisch motivierten Kampf um Befreiung des schwarzen Volkes, der ein Kampf gegen den weißen Gott bzw. die weißen Götter ist, bleiben Afrikaner ihren spezifischen Traditionen und Lebensweisen verpflichtet (Tutu; vgl. auch Parrett 46-55). Was die Entwicklung in den USA anbetrifft, so ist die schwarze Theologie zum Ausgangspunkt auch für andere Gruppen geworden, z. B. der schwarzen Frauen (womanist-, vgl. Walker; Williams), der Hispanics (mujerista und mestiza; vgl. Isasi-Diaz; Anzaldüa; Elizondo) u.a. 3.3.6. Das Befreiungsdenken ist auch in anderen Ländern des afrikanischen Kontinents wirksam geworden, besonders in bezug auf die zunehmende Verarmung ganzer Berufsgruppen durch das moderne Wirtschaften (Ela). Schwarze und afrikanische Theologie müssen darum zusammenfinden, was auch die Haltung der ethisch motivierten

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sog. Theologie des Wiederaufbaus ist; diese sucht die E x o d u s - T r a d i t i o n mit der R ü c k kehr aus dem Exil zu verbinden. Christus der Erneuerer tritt den nekrophilen Kräften afrikanischer Gesellschaften entgegen ( M a n a ; M u g a m b i ; K a r a m a g a ) . 3.4. Gemeinsam ist diesen spezifischen Ausprägungen die Fokussierung auf das mehrdimensional verstandene Elend und/oder auf die traditionelle Religion, die gegenüber dem Christentum der Missionare älter ist. Die Botschaft des Evangeliums, will sie denn überleben, m u ß sich in bezug auf diesen K o n t e x t artikulieren. Die Frage der „inkultur i e r t e n " Theologien des Südens lautet: Inwiefern ist der Bruch mit dem Christentum des N o r d e n s unvermeidlich? Gibt es neue Universalität in der theologischen K o m m u nikation, und wie kann sie ohne Totalitätsansprüche erreicht werden? Die kritische F r a g e in der Auseinandersetzung bleibt die Deutung Jesu von Nazareth als des Christus Gottes und damit die christliche Relektüre der im Alten Testament bezeugten E r w ä h lungsgewißheit Israels. Literatur Byung-Mu Ahn, Draussen vor dem Tor. Kirche u. Minjung in Korea, 1986 ( T h ö 20). - Gloria Anzaldüa, Borderlands. La Frontera. The New Mestiza, San Francisco, Calif. 1987. - Seevaratnam Wesley Arijariah, Bible and People of other Faiths, 1985 (RiBS 26); dt.: Die Bibel u. die Andersgläubigen, Frankfurt a.M. 1994. - D e r s . , Not without my Neighbour, Genf 1999. - Oscar BimwenyiKweshi, Discours théol. negro-africain, Diss. Leuven 1977; dt.: Alle Dinge erzählen v. Gott. Grundlegung afrikanischer Theol., 1982 (TDW 3). - Klauspeter Blaser, Volksideologie u. Volkstheol. ö k u m . Entwicklungen im Lichte der Barmer Theol. Erklärung, 1991 (ÖEH7). - Ders., La théologie au X X e siècle. 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Theologie

der Religionen

angesichts

der globalisierten

2. Unterschiedliche Welt

N i c h t nur politisch, sozial und ö k o n o m i s c h , sondern auch technologisch und epistemologisch sind Gesellschaften in der heutigen Welt Produkte eines ungeheuren U m bruchs, sofern infolge der rasanten Entwicklung der Informationstechnologie selbst entlegenste Weltgegenden durch ein N e t z fast zeitgleicher K o m m u n i k a t i o n miteinander verbunden sind. Dies hat neue Weisen der W a h r n e h m u n g der Welt und unserer Stellung in ihr erzeugt. Es reißt ü b e r k o m m e n e Schranken zwischen „ l o k a l " und „ r e g i o n a l " , „ n a t i o n a l " und „ i n t e r n a t i o n a l " nieder, verändert unsere v o r m o d e r n e Verhältnisbestimmung zwischen „ p r i v a t e r " und „öffentlicher" Sphäre und führt dazu, d a ß ein neues Bewußtsein öffentlicher Rechenschaft und persönlicher Verantwortung im Blick auf weltweite Vorgänge und Situationen entstanden ist. Neben diesem P h ä n o m e n der „Globalisierung" beschleunigt die wachsende Migrationsbewegung die urbane M i s c h u n g von Glaubensweisen, Kulturen und Völkern rund um die Welt. In einer Situation, in der die industrielle Wirtschaft nicht nur der Produktion von Vernichtungswaffen dient, sondern wegen problematischer System- und Ordnungsentscheidungen auch umweltzerstörende Tendenzen befördert, sieht sich die menschliche Gemeinschaft einer ungewissen Z u k u n f t gegenüber, in der mehr denn je das Überleben der menschlichen Gattung, der menschlichen Werte und der Mittel zu menschlicher Erfüllung a u f Messers Schneide steht. In diesem K o n t e x t gilt es, die christliche T h e o l o g i e der Religionen zu betrachten. M i t anderen Worten, die Welt von heute wird in wichtigen Beziehungen polyzentrisch. In einem K o n t e x t sich ausbreitender Säkularität und n o r m a t i v e r Relativierung gerät, w a s in der Vergangenheit selbstreferentiell als das Z e n t r u m humanisierender Religion, Kultur und Zivilisation für alle ohne A u s n a h m e akzeptiert w a r , unter die Forderung, Kriterien menschlicher Erfüllung R a u m zu gewähren, die deutlich miteinander konkurrieren oder Alternativen darstellen. Monistische Konstruktionen für menschliche Lebens-

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führung stehen unter Kritik. An dieser Stelle begegnet die christliche Theologie mit ihrer Behauptung der weltgeschichtlichen Einzigkeit und Endgültigkeit des Erlösungswerks und der Botschaft Christi ihrer schärfsten Herausforderung. 2. Unterschiedliche

Richtungen

Historisch lassen sich bei der Thematisierung der nicht-christlichen Religionen durch die christliche Theologie des vergangenen 20. Jh. recht gut drei Tendenzen unterscheiden, von denen jedoch mehr als eine - sei es gleichzeitig oder sukzessiv - die Entwürfe mancher Theologen prägen kann. Diese drei Tendenzen lassen sich so zusammenfassen, daß die Glaubensüberzeugung oder der Glaube des anderen entweder als in sich irrelevant (s.u. 2.1.), als in sich relevant (s.u. 2.2.) oder als lediglich bedingt relevant (s.u. 2.3.) betrachtet wird. „Relevant" bezieht sich dabei in der Regel auf den fremden Glauben als Mittel zum Heil, d.h. zu letzter menschlicher Erfüllung, weniger auf den Heilsstand von Individuen oder Gemeinschaften, obwohl in manchen Fällen, vor allem im allgemeinen Bewußtsein, auch ein Urteil über die Heilsaussichten der Nicht-Glaubenden selbst gefällt wird. 2.1.

„Exklusivismus"

Nach der ersten Richtung gibt es nur einen wahren Glauben: denjenigen, der -»Jesus Christus als den einzigen Erlöser des Menschengeschlechts bekennt und im Kontext einer bestimmten Interpretation der Heilsgeschichte der Welt die exklusive Wahrheit der christlichen Offenbarung anerkennt (wobei die richtige Interpretation dieser Offenbarung ein weiteres Problem darstellt). Andere religiöse Wege werden als in sich heilsunwirksam verworfen; ein aufrichtiges Gewissen seitens des Nicht-Glaubenden kann als notwendige Bedingung für das Heil betrachtet werden oder auch nicht. Eine Grundvoraussetzung dieser Position ist die Überzeugung, daß Gottes Offenbarung in gewissem Sinn ein ursprünglich Gegebenes ist, wenngleich sie in ihrem faktischen Verständnis und ihrer Anwendung der Korruption ausgesetzt ist, da alle religiöse Bemühung von Menschen unweigerlich den Heilsprozeß gefährdet. Die Erlösung wird in paradoxer Weise beschrieben als Realisierung eines dreifachen sola: sola gratia, sola fides et sola scriptura, d.h. des biblisch begründeten Glaubens, der sich Gottes rettender - • G n a d e verdankt, obwohl selbst der aufrichtige Christ infolge der angeborenen Schwachheit der menschlichen Natur („Erbsünde") dazu neigt, die Heilsmittel zu korrumpieren. Diesem Verständnis entspricht die Tendenz zur Behauptung einer unheilbaren Infektion der nicht-christlichen Religionen durch angeborene geistliche Hybris, die Gottes Heilshandeln negiert. Folglich war die Hand Gottes von Anfang an nicht in diesen Religionen gegenwärtig, um ihnen von innen her einen lebensfähigen Samen der Erlösung einzupflanzen. Diese Auffassung findet sich bereits im Denken der alten Kirche, etwa beim späten 7+Augustin, der zwar „als erster alle Gerechten von Anbeginn bis zum Ende der Welt als Glieder der ecclesia ab Abel, der ,Kirche von Abel an', betrachtete" (vgl. Sullivan 30), aber all jenen nur eine geringe oder gar keine Heilsmöglichkeit in Aussicht stellte, die seiner Meinung nach nicht der einen wahren Kirche Christi angehörten. Diese Menschen — einschließlich der ungetauften Kinder - waren für das Heil verloren, weil sie (zumindest aufgrund der Erbsünde) schuldhaft unwissend waren oder die Wahrheiten abgewiesen hatten, die ihnen hätten die Erlösung bringen können. Z u m Sprachmodell dieses Ansatzes gehört die Rede von der vollständigen „Neuschöpfung" der Person durch Gottes Gnade, ungeachtet der verderblichen Einflüsse der Welt. Theologen dieser Richtung sind - zumindest typologisch, wenn nicht faktisch geneigt, einer Klassifikation des christlichen Glaubens als Religion unter anderen zu widersprechen. Denn der christliche Glaube steht wegen der Einzigartigkeit seines Ursprungs und seiner Wirklichkeit völlig für sich (vgl. den Titel von H. Kraemers [18881965] Werk Religion and the Christian Faith). Mit anderen Religionen kann die christ-

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liehe Religion höchstens als Phänomen, d.h. in einer Beobachterperspektive, verglichen werden, doch selbst dann führt der Vergleich angeblich in die Irre und bleibt an der Oberfläche. Dementsprechend kommt auch der Unterscheidung zwischen natürlicher und besonderer Offenbarung keine Bedeutung zu, weil „natürliche Offenbarung", wie immer auch interpretiert, in sich für das Heil ungenügend ist. Bei dieser Auffassung wird die Weltgeschichte einer partikularen Deutung der als Kontinuum verstandenen Heilsgeschichte des „Alten" und Neuen Testaments im realen Sinne angepaßt. Es wird nicht versucht, der Geschichte anderer Völker in ihrer eigenen Wirklichkeit eine Heilsrelevanz zuzuerkennen. Ferner läßt sich bei dieser Richtung eine Privilegierung der judäo-hellenistischen kulturellen M a t r i x , welche die Formulierung und die geschichtliche Entwicklung des christlichen Glaubens prägte, gegenüber anderen kulturellen Kontexten kaum vermeiden. Theologen dieser Richtung beargwöhnen jede Form von interreligiösem Dialog oder „kultureller Übersetzung", die christliche und nicht-christliche theologische Einsichten zu verbinden sucht, als Gefährdung der Einzigartigkeit der biblischen Offenbarung und als Verrat an der heiligen Aufgabe, das Depositum der Heilswahrheit über Ursprung und Ziel der Welt unversehrt weiterzugeben. Gelegentlich werden bei diesem Standpunkt zwei Versionen unterschieden: 1) a priori oder 2) a posteriori. 1) Nach der a-priori- Version sei aufgrund erster Prinzipien (daher a priori) das theologische Urteil möglich, daß nicht-christliche Religionen soteriologisch ohne Belang sind. In der Moderne gilt K. -»Barth oft als Hauptvertreter dieser Position. P. Tillich gibt Barths Ansatz so wieder, „daß die eigene [christliche] Religion [...] Offenbarung [ist], während die anderen Religionen nur vergebliche Versuche sind, Gott zu erreichen. Ein vergeblicher Versuch, Gott zu erreichen - das wird zur Definition aller Religionen" (Tillich 144, Hervorhebung J . J . L . ) . M i t dieser Position wird eine bestimmte Interpretation von Hegels Denken zurückgewiesen, nach der die christliche Offenbarung vorbehaltlos der Befragung durch die menschliche Vernunft ausgesetzt werden kann. Die Einzigartigkeit der Wahrheit der Offenbarung Gottes in Jesus als dem Licht der Welt bildet bei Barth auch den Kontext der Passagen seiner Kirchlichen Dogmatik, die ausführen, daß es innerhalb wie außerhalb des Kreises der Kirche „andere Lichter" oder „andere W o r t e " gebe, die durchaus als gut und wahr zu gelten hätten (KD IV/3, 1 2 2 - 1 7 4 ) . Dennoch leitet sich ihre Gültigkeit einzig von dem Licht her, das Jesus als Wort Gottes ist; außerdem fügt die durch sie geschenkte Erleuchtung derjenigen durch Jesus nichts hinzu. Nirgends geht Barth zu der Behauptung fort, daß solche anderen Lichter oder Worte in nicht-christlichen Religionen unbeschadet ihrer Inkraftsetzung durch Christus dennoch in ihren Symbolen und Lehren und aufgrund derselben für ihre Anhänger Quellen des Heils darstellen könnten. Im Gegenteil, die anderen Religionen werden als solche als heilsirrelevant verworfen. Insofern ist Barth ein Theologe der Exklusivität der Heilswahrheit. 2) Theologen, welche die a-posteriori-Version dieses Ansatzes vertreten, verwerfen die Religion von Nicht-Glaubenden als Heilsweg teilweise angeblich aufgrund empirischer Prüfung (daher a posteriori) dieser Religionen (vgl. z. B. Kraemer; Newbigin; beide stark von Barth beeinflußt). Da indessen diese „empirische Prüfung" offenkundig im vorhinein stets von a-priori-Annahmen bezüglich der exklusiven Bedeutung Christi und/ oder der christlichen Offenbarung im Heilsprozeß geleitet ist, läßt sich eine sinnvolle Unterscheidung zwischen a priori und a posteriori hier nicht aufrechterhalten. Wegen ihres in vieler Hinsicht kompromißlosen Heils- und Gnadenmonismus widerspricht diese theologische Position am stärksten dem eingangs beschriebenen Geist des Zeitalters. Ihre große Stärke liegt in der Betonung der besonderen Eigenart der christlichen Offenbarung, der Heilsbedeutung Christi und der Rolle der erlösten Gemeinschaft, der Kirche, wie in ihrer unzweideutigen Lektüre der Weltgeschichte von der christlichen Heilsgeschichte her. Aber in ihren Formulierungen setzt sie sich dem

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Vorwurf aus, das souveräne Heilswirken Gottes von den Nicht-Christen als eigenen religiösen Gemeinschaften zu isolieren, sich unsensibel und intolerant gegenüber Anhängern anderer Religionen zu verhalten und den Aufbau von Solidarität zwischen Völkern und Kulturen, die angesichts einer gefährlich ungewissen Zukunft dringend nötig wäre, zu untergraben. Kritiker sehen in dieser Position den Versuch einer Selbstimmunisierung gegen ernsthafte Anfragen aus dem bzw. gegen den Dialog mit der nicht-christlichen oder säkularen Welt. Zudem fehlt hier nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine theologische Strategie, um das biblische Paradigma als Deutungsmitte der Weltgeschichte zugleich so zu verstehen, daß es der Individualität und der inneren Würde der partikularen Geschichten anderer Glaubensgemeinschaften in sich Raum gewähren kann - so wie nach Barth „Israels Geschichte sich wirklich als Konzentrat aller Geschichte und insofern an ihrer Stelle ... abspielt" (KD IV/3, 70) und alle Geschichte in der Geschichte des Christusereignisses ihre Klärung und Erfüllung fand. Einige Hauptmerkmale dieser Richtung und ihr allgemeines Charakteristikum, die Exklusivität der Heilswahrheit, finden sich mit neuen Akzenten (z. B. Betonung der patristischen und mittelalterlichen Wurzeln und der „Transzendierung" der „modernen Dualismen" von Glauben und Vernunft, Körper und Geist, Gnade und Natur zugunsten einer „partizipativen", platonische Einsichten reklamierenden Theologie) im neueren Denken der sog. „radikalen Orthodoxie" und ihres Hauptvertreters J. Milbank. Allerdings bleibt diesen Kritikern der modernen (westlichen) Kultur noch viel zu tun, um ihre Ansichten als ein tragfähiges und kohärentes System plausibel zu machen. 2.2. „Pluralismus" Nach der zweiten religionstheologischen Richtung sind nicht-christliche Traditionen oder zumindest die größeren nicht-christlichen Religionen zwar nicht unbedingt ebenso soteriologisch effektiv wie die christliche Religion (oft findet sich eine Tendenz zur Bevorzugung christlicher Ethik und Denkkategorien), aber sie sind als solche heilsrelevant. Ihre Anhänger können ohne ausdrücklichen oder impliziten Rekurs auf christliche Mittel zur endgültigen Erfüllung gelangen. Diese pluralistische Konzeption (-»Pluralismus) ist erst in jüngster Zeit mit der Etablierung demokratischer Verfassungs- und Denksysteme zur Geltung gekommen. Sie ist im Grunde eine Demokratisierung des Glaubensbegriffs und anderer Größen (z. B. der religiösen Geschichte) im Licht einer Auffassung von letzter Wirklichkeit oder Transzendenz („Gott"), die sich entweder wesensmäßig einer Konzeptualisierung entzieht (hier zeigen sich Spuren einer rationalistischen kantischen Erkenntnistheorie) oder in sich vielfältig ist (d.h. es gibt mehr als eine religiöse Letztwirklichkeit oder Transzendenz). Deshalb können christliche Gottesvorstellungen und christliche Heilsmittel keine Endgültigkeit beanspruchen. Es handelt sich noch um einen dualistischen, manchmal auch „theistischen" Ansatz im Unterschied zu solchen Ansätzen, welche die menschlichen Vorstellungen des Transzendenten relativieren, indem sie es im Letzten monistisch auffassen (wie einige Formen des Neo-Advaita). Nach J. Hick, einem führenden Vertreter dieser Richtung, transzendiert die absolute Wirklichkeit jede endgültige verbale und begriffliche Kategorisierung, oder vielmehr diese Wirklichkeit kann, da im Letzten ein Geheimnis, in mehr als einer Weise, theistisch und nicht-theistisch, konzeptualisiert werden. Hick zufolge hat die Transzendenz (oder the Real) die Ausbildung der größeren religiösen Kulturen der Welt selbst beeinflußt (obwohl menschliche Erfüllung auch außerhalb dieser Kulturen erreicht werden kann); vom menschlichen Standpunkt aus ist eine gültige Beziehung zu ihr sowohl durch theistische persottae (Jahwe, Trinität, Krishna, Allah) wie durch nicht-theistische impersottae (die Buddhanatur einiger buddhistischer Schulen und saccidananda [Sein-BewußtseinSeligkeit] einiger Richtungen des Neo-Vedanta) möglich. Ein anderer hier zu nennender Denker ist J. Cobb mit seiner These, daß es religiös mehr als eine letzte Wirklichkeit gibt (z. B. ein buddhistisches Letztes und ein christliches Letztes) und jede ein gültiges

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Ziel für seine Anhänger sein kann. Bei dieser Richtung scheint die Unterscheidung zwischen natürlicher und spezieller Offenbarung (oder zwischen natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie) insofern hinfällig zu werden, als die menschliche Vernunft das Kriterium oder den Katalysator für die zwischen beiden Bereichen wahrzunehmende Kohärenz darstellt. Mit welchem Recht sind solche Denker als christlich zu betrachten? Überwiegend scheinen es zufällige Gründe zu sein (z. B. eine Vorliebe für bestimmte, auf Geburt oder Erziehung zurückführbare Denk- und Diskursformen), obwohl einige die These vertreten, daß sachgemäße Analyse der christlichen „Offenbarung" zu dieser egalitären Schlußfolgerung führt, so daß es sich um einen authentischen christlichen Standpunkt handelt. Die pluralistische Position ist von christlichen Theologen der anderen beiden Richtungen kritisiert worden, weil sie den Kern des christlichen Glaubens im besonderen wie immer sie ihn im einzelnen bestimmen - und die religiöse Glaubenspraxis im allgemeinen preisgebe und ein unakzeptables rationalistisches und relativistisches Konzept von religiöser Wahrheit vertrete. Menschliche Vernunft entscheidet darüber, wie und was zu glauben ist, und dies ebenfalls auf der Basis einer partikularen, nämlich an der Natur demokratischer Verfassungen orientierten Gestalt von Rationalität. Die besondere Rolle des Glaubens für die Epistemologie religiöser Praxis ist ausgeblendet. Die Stärke dieser Position ist ihr egalitärer Zug, der im Einklang mit dem Geist der Zeit steht. 2.3. „lnklusivismus" Nach der dritten religionstheologischen Richtung befinden sich nicht-christliche Religionen (und Nicht-Christen) nur im Besitz einer Heilswahrheit, soweit sie von den christlichen Kategorien her bestätigt werden kann. Diese Position hat einen altehrwürdigen Stammbaum mit Wurzeln in den Theologien von Denkern wie Justin der Märtyrer, Irenaus von Lyon und -* Clemens von Alexandrien unter den frühen Kirchenvätern. Diese Denker hatten bereits den Gedanken ausgesprochen, daß die Anhänger eines anderen Glaubens, zu denen nicht nur Juden und — vor oder nach Christus lebende - „Heiden", sondern auch abgefallene Christen („Häretiker" und „Schismatiker") gehörten, gerettet werden konnten trotz ihrer am Tage liegenden falschen Glaubensüberzeugungen, wenn sie sich aufrichtig bemühten, gemäß der „Vernunft" (ratio, logos) zu leben. In der Praxis galten aber insbesondere „Häretiker" und „Schismatiker" als verloren, weil man sie für schuldig befand, im falschen Glauben zu verharren; d.h. man ging davon aus, daß die Wahrheit des rettenden Glaubens einsichtig war und sie ihn um selbstsüchtiger Ziele willen verworfen hatten. So setzte sich der Grundsatz durch* daß ein aufrichtiges Leben eine hinreichende Bedingung für das Heil darstelle (unter sonst gleichen Bedingungen wie der Mitwirkung und der wirksamen Gnade Gottes und einem den Grundsätzen der Moral verpflichteten Lebensstil). Nichtsdestoweniger war auch noch bei diesem Ansatz das Heil ein Ziel, das von Nicht-Christen und Andersdenkenden nur als Individuen, aber nicht als Gruppen und Gemeinschaften erlangt werden konnte. Indessen erwuchsen der christlichen Theologie allmählich etwa vom 16. Jh. an aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren neue Fragen bezüglich der Nicht-Glaubenden. Zu diesen Faktoren gehörten die wachsenden Spaltungen zwischen den Christen selbst (was die Feststellung der Heilswahrheit schwierig machte), die unaufhaltsame Erforschung der Welt, das Aufkommen einer wissenschaftlichen Beobachtermentalität und die nach der —»Aufklärung der Vernunft zugeschriebene Rolle bei der Wahrheitserkenntnis. Nicht länger war davon auszugehen, daß die Wahrheit des christlichen Glaubens sich so darstellen ließ, daß sie eindeutig Zustimmung abnötigte. Statt dessen wurde der Kontext einer Wahrheit als Bedingung nicht nur ihrer Erkenntnis, sondern auch ihrer Formulierung zum Thema. Vom 19. Jh. an war in diesem neuen Verständnis zunehmend der Status des glaubenden Individuums als Glied einer Glaubensgemeinschaft eingeschlossen. Galt der Glaube in der Vergangenheit nur als eine individuelle Angele-

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genheit, so kam er - und mit ihm auch der Glaubende - jetzt zunehmend als Funktion eines konstituierten sozialen Kontextes in den Blick. Kurz, der Beurteilung von Fragen des Glaubens und der Wahrheit eröffnete sich nun ein Anwendungsbereich für das, was wir heute Wissenssoziologie nennen. Unter der Vorherrschaft der römisch-katholischen Kirche waren in der Vergangenheit als soteriologische Prinzipien formuliert worden: das votum ecclesiae (implizit gelebtes Verlangen nach Zugehörigkeit zur Kirche - hier taucht die Aufrichtigkeit des Lebensziels auf), der Grundsatz gratia perficit naturam (Gottes Gnade erschafft die verwundete Natur nicht neu, sondern stellt sie wieder her und rehabilitiert sie) und fides non destruit sed perficit rationem (christlicher Glaube baut auf die Einsichten des natürlichen Lichts der Vernunft). Sie erfuhren in der Moderne eine bedeutsame Weiterentwicklung und Nuancierung, um Theologien zu entwerfen, die aufgrund christlicher Kategorien Gottes Heilswillen für das Menschengeschlecht in den verschiedenen Kulturen und Religionen und durch sie betonten. Es geht hierbei um ein Gleichgewicht zwischen dem Heil für das Individuum aufgrund eines aufrichtigen Lebens und der Anerkennung der strukturellen Prozesse, durch die menschliche Wesen geprägt werden. Wie angedeutet, ist diese Art von Theologisieren kennzeichnend für die römischkatholische Kirche. Einen Eindruck vermitteln Konzepte wie „hindu-katholisch" (so die Selbstbezeichnung des bengalischen Katholiken B. Upadhyay [1861-1907], vgl. Lipner, Brahmabandhab Upadhyay), „anonymer Christ" im Unterschied zu explizitem Christsein (K. -»Rahner), „ordentliche" (d.h. nicht-christliche) Heilswege im Gegenüber zum „außerordentlichen" (d.h. christlichen) Heilsweg (Küng) und „der unbekannte Christus im Hinduismus" (so der Titel von R. Panikkars bahnbrechender Abhandlung The Unknown Christ ofHinduism). Hier wird weiterhin die theologische „Absolutheit" des christlichen Glaubens vertreten, aber in einer Weise, die dem Glauben anderer Völker Raum gewährt und ihre Geschichten in die christliche Heilsgeschichte integriert. In neuerer Zeit wirkten unter anderem die Entscheidungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (—»Vatikanum I und II) wie eine Wasserscheide für diese Position, indem sie die Einsichten der Vergangenheit zusammenfaßten und ihre Entfaltung für die Z u k u n f t freigaben (obwohl römische Verlautbarungen vor allem aus der jüngsten Zeit des Pontifikats von Johannes Paul II. [Papst ab 1978] diese Position zu unterlaufen scheinen). Dieser Ansatz ist natürlich nicht auf den römischen Katholizismus beschränkt und wurde in unterschiedlicher Weise sowohl von Denkern aus anderen Traditionen (wie W. Pannenberg und P. Tillich, die auf jeweils eigene Weise nicht-christliche Religionen als Heilswege bejahen) wie auch aus der Dritten Welt in Vergangenheit und Gegenwart weiterentwickelt (Einzelheiten bei Lipner, Response; Sugirtharajah; Gispert-Sauch). Theologen der ersten Richtung warfen diesem Ansatz vor, er gebe die Einzigartigkeit der christlichen Offenbarung preis und untergrabe die logische Grundlage des christlichen Zeugnisses in der Welt. Theologen der zweiten Richtung kritisierten an ihm eine Vereinnahmungstendenz, da er solchen, die nicht beanspruchen oder auch nicht wünschen, als Christen zu gelten, mehr oder weniger verdeckt eine christliche Identität aufdränge. Allgemein vertreten diese Kritiker auch die These, daß dieser Ansatz nicht die Tatsache einer wirklichen Differenz zwischen christlichem und nicht-christlichem Glauben anzuerkennen vermöge. 3.

Ausblick

Abschließend bleibt zu fragen, welche Richtung die christliche Theologie im Blick auf die anderen Religionen an der Schwelle des dritten Jahrtausends einschlagen könnte. Im Kontext immer weiter fortschreitender Globalisierung der menschlichen Ressourcen wie der menschlichen Familie angesichts einer unvorhersagbaren Z u k u n f t ist eine konstruktive Neubewertung der Religionen anderer Kulturen und entsprechende Zusammenarbeit mit ihnen gefragt. Dies verlangt zweifellos eine Theologie der Solidarität und des Dialogs. Besonders dringlich in einer Nach-Holocaust-Ära wäre eine Neube-

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wertung des Glaubens und der Geschichte der Judenheit im Licht ihres besonderen Verhältnisses zur Christenheit. Ist es theologisch jemals möglich, diese Geschichte und diesen Glauben - wie in der Vergangenheit oft geschehen - in gewisser Hinsicht als durch die Einsichten des christlichen Glaubens überholt zu betrachten? Ein anderes dringendes Problem ist die Auseinandersetzung mit der wachsenden religiösen Mentalität des -»New Age und seinen Tendenzen. Im Grunde ist diese Mentalität eklektisch und antiinstitutionell und verweist damit auf ein reales Bedürfnis der Gegenwart nach Überprüfung von -»Dogma, -»Lehre, -»Ritus und Institutionalisierung (-»Kirche) in ihrer Bedeutung für den christlichen Glauben und seine Praxis. Und schließlich muß die christliche Theologie auch ihr Verhältnis zur Vernunft, zur Wissenschaft und zur Säkularität neu bestimmen, also zu ihrem Unvermögen in der Vergangenheit, sich der Infragestellung durch dezidiert humanistische und säkulare Normen und Werte auszusetzen. Andernfalls läuft sie mit Recht Gefahr, irrelevant und obsolet zu werden und vor ihrer Aufgabe zu versagen, sich ganz von dem großen Auftrag der Evangelisierung unserer Welt mit ihren Konflikten in Anspruch nehmen zu lassen. Literatur Gerald Anderson/Thomas Stransky (Hg.), Christ's Lordship and Religious Pluralism, Maryknoll, N.Y. 1981. - Karl Barth, KD IV/3. - Carl E. Braaten/Philip Clayton (Hg.), T h e Theology of Wolfhart Pannenberg, Minneapolis, Minn. 1988. - John Cobb, Beyond Dialogue, Philadelphia, Pa. 1982. - Gavin D'Costa, Christian Uniqueness Reconsidered. T h e Myth of a Pluralistic Theology of Religions, Maryknoll, N.Y. 1990. — George Gispert-Sauch, „Asian Theology": David Ford (Hg.), The Modern Theologians, Oxford 1993 Cambridge, Mass. 2 1997, 4 5 5 - 4 7 6 . - John Hick, An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent, London 1989. - Ders./Brian Hebblethwaite, Christianity and Other Religions, Glasgow 1980 Oxford 2 2001. - Hendrik Kraemer, Religion and the Christian Faith, London 1956. - Hans Küng, Christentum u. Weltreligionen, München 1985. - Julius Lipner, „A Modern Indian Christian Response": Harold Coward (Hg.), Modern Indian Responses to Religious Pluralism, Albany, N.Y. 1987, 2 9 1 - 3 1 4 . - Ders., Brahmabandhab Upadhyay. T h e Life and Thought of a Revolutionary, Delhi 1999. - John Milbank/ Catherine Pickstock/Graham Ward (Hg.), Radical Orthodoxy. A New Theology, London 1999. - Lesslie Newbigin, T h e Gospel in a Pluralist Society, London 1989. - Raimundo Panikkar, T h e Unknown Christ of Hinduism, London 1964; dt.: Christus, der Unbekannte im Hinduismus, Luzern/ Stuttgart 1965. - Ders., Myth, Faith and Hermeneutics, Bangalore 1983; dt.: Rückkehr zum Mythos, Frankfurt a . M . 1985. - Wolfhart Pannenberg, Syst. Theol., Göttingen, I 1988. - Rasiah S. Sugirtharajah (Hg.), Asian Faces of Jesus, London 1993.-FrancisSullivan, Salvation Outside the Church. Tracing the History of the Catholic Response, London 1992. - Paul Tillich, T h e Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian: J . C . Brauer (Hg.), T h e Future of Religions, Chicago 1966, 2 4 1 - 2 5 5 ; dt.: Die Bedeutung der Religionsgesch. f. die Syst. Theol.: ders., Korrelationen. Die Antworten der Religion auf Fragen der Zeit, Stuttgart 1975 (Erg.- u. Nachlaßbde. zu den G W IV) 1 4 4 - 1 5 6 . - Keith Ward, Religion and Revelation, Oxford 1994.

Julius J. Lipner III. Enzyklopädisch 1. Einleitung 2. Christliche Theologie als Wissenschaft 3. Der Gegenstand der christlichen Theologie 4. Die Gliederung der theologischen Wissenschaft 5. Theologie als Habitus (Literatur S. 340)

1. Einleitung Zu den dringenden Aufgaben des gegenwärtigen theologischen Diskurses gehört die kontinuierliche Arbeit an einer formalen Enzyklopädie. Sie tritt keineswegs an die Stelle der Methodenlehren in den einzelnen theologischen Disziplinen; wohl aber muß sie den einzelnen Methodenlehren zugrunde liegen (anders: Mildenberger). Weil die theologischen Disziplinen wegen der Konzentration auf ihre Gegenstände ihren Zusammenhang zu verlieren drohen, hat sie die Verantwortung aller Disziplinen dafür einzuschärfen, ihren Ort im Ganzen der theologischen Wissenschaft und ihre Funktion im Leben der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt zu bedenken. Sie hat daher „die Funktion

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wertung des Glaubens und der Geschichte der Judenheit im Licht ihres besonderen Verhältnisses zur Christenheit. Ist es theologisch jemals möglich, diese Geschichte und diesen Glauben - wie in der Vergangenheit oft geschehen - in gewisser Hinsicht als durch die Einsichten des christlichen Glaubens überholt zu betrachten? Ein anderes dringendes Problem ist die Auseinandersetzung mit der wachsenden religiösen Mentalität des -»New Age und seinen Tendenzen. Im Grunde ist diese Mentalität eklektisch und antiinstitutionell und verweist damit auf ein reales Bedürfnis der Gegenwart nach Überprüfung von -»Dogma, -»Lehre, -»Ritus und Institutionalisierung (-»Kirche) in ihrer Bedeutung für den christlichen Glauben und seine Praxis. Und schließlich muß die christliche Theologie auch ihr Verhältnis zur Vernunft, zur Wissenschaft und zur Säkularität neu bestimmen, also zu ihrem Unvermögen in der Vergangenheit, sich der Infragestellung durch dezidiert humanistische und säkulare Normen und Werte auszusetzen. Andernfalls läuft sie mit Recht Gefahr, irrelevant und obsolet zu werden und vor ihrer Aufgabe zu versagen, sich ganz von dem großen Auftrag der Evangelisierung unserer Welt mit ihren Konflikten in Anspruch nehmen zu lassen. Literatur Gerald Anderson/Thomas Stransky (Hg.), Christ's Lordship and Religious Pluralism, Maryknoll, N.Y. 1981. - Karl Barth, KD IV/3. - Carl E. Braaten/Philip Clayton (Hg.), T h e Theology of Wolfhart Pannenberg, Minneapolis, Minn. 1988. - John Cobb, Beyond Dialogue, Philadelphia, Pa. 1982. - Gavin D'Costa, Christian Uniqueness Reconsidered. T h e Myth of a Pluralistic Theology of Religions, Maryknoll, N.Y. 1990. — George Gispert-Sauch, „Asian Theology": David Ford (Hg.), The Modern Theologians, Oxford 1993 Cambridge, Mass. 2 1997, 4 5 5 - 4 7 6 . - John Hick, An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent, London 1989. - Ders./Brian Hebblethwaite, Christianity and Other Religions, Glasgow 1980 Oxford 2 2001. - Hendrik Kraemer, Religion and the Christian Faith, London 1956. - Hans Küng, Christentum u. Weltreligionen, München 1985. - Julius Lipner, „A Modern Indian Christian Response": Harold Coward (Hg.), Modern Indian Responses to Religious Pluralism, Albany, N.Y. 1987, 2 9 1 - 3 1 4 . - Ders., Brahmabandhab Upadhyay. T h e Life and Thought of a Revolutionary, Delhi 1999. - John Milbank/ Catherine Pickstock/Graham Ward (Hg.), Radical Orthodoxy. A New Theology, London 1999. - Lesslie Newbigin, T h e Gospel in a Pluralist Society, London 1989. - Raimundo Panikkar, T h e Unknown Christ of Hinduism, London 1964; dt.: Christus, der Unbekannte im Hinduismus, Luzern/ Stuttgart 1965. - Ders., Myth, Faith and Hermeneutics, Bangalore 1983; dt.: Rückkehr zum Mythos, Frankfurt a . M . 1985. - Wolfhart Pannenberg, Syst. Theol., Göttingen, I 1988. - Rasiah S. Sugirtharajah (Hg.), Asian Faces of Jesus, London 1993.-FrancisSullivan, Salvation Outside the Church. Tracing the History of the Catholic Response, London 1992. - Paul Tillich, T h e Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian: J . C . Brauer (Hg.), T h e Future of Religions, Chicago 1966, 2 4 1 - 2 5 5 ; dt.: Die Bedeutung der Religionsgesch. f. die Syst. Theol.: ders., Korrelationen. Die Antworten der Religion auf Fragen der Zeit, Stuttgart 1975 (Erg.- u. Nachlaßbde. zu den G W IV) 1 4 4 - 1 5 6 . - Keith Ward, Religion and Revelation, Oxford 1994.

Julius J. Lipner III. Enzyklopädisch 1. Einleitung 2. Christliche Theologie als Wissenschaft 3. Der Gegenstand der christlichen Theologie 4. Die Gliederung der theologischen Wissenschaft 5. Theologie als Habitus (Literatur S. 340)

1. Einleitung Zu den dringenden Aufgaben des gegenwärtigen theologischen Diskurses gehört die kontinuierliche Arbeit an einer formalen Enzyklopädie. Sie tritt keineswegs an die Stelle der Methodenlehren in den einzelnen theologischen Disziplinen; wohl aber muß sie den einzelnen Methodenlehren zugrunde liegen (anders: Mildenberger). Weil die theologischen Disziplinen wegen der Konzentration auf ihre Gegenstände ihren Zusammenhang zu verlieren drohen, hat sie die Verantwortung aller Disziplinen dafür einzuschärfen, ihren Ort im Ganzen der theologischen Wissenschaft und ihre Funktion im Leben der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt zu bedenken. Sie hat daher „die Funktion

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der Metatheorie der Theologie, die als Teil der Theologie über die Theologie reflektiert" (Dinkel 41f.; vgl. insgesamt Kahler 1 - 6 7 ) . Im übrigen wird auch das Gespräch mit den kontextuellen Theologien nur auf dem Boden eines enzyklopädischen Diskurses zu Verständigungen führen. Er bezieht sich auf die Ausdifferenzierung des theologischen Systems in der europäischen Neuzeit, die in einer auch für jene lehrreichen Weise in der Ausbildung einer -»Praktischen Theologie als Theorie der Praxis ihre Pointe hat. Wird sie als „Krone" (Schleiermacher, Praktische Theologie 26) des theologischen Studiums verstanden, so impliziert dies eine im Gegenstand der Theologie begründete, streng funktionale Deutung der Gliederung der Theologie, die damit dem Auftrag der Kirche entspricht, in verschiedenen Kommunikationssituationen die Wahrheitsgewißheit des christlichen -»Glaubens zu erschließen (anders: Bayer, Theologie; F. Wagner). Nach dem Selbstverständnis protestantischer Theologie und nach dem Stand des enzyklopädischen Diskurses (G. Hummel: T R E 9,716-742; besonders 726ff.) bringt eine formale Enzyklopädie nur eine individuelle Perspektive auf den Begriff und auf den Gegenstand der Theologie zur Geltung, allerdings mit dem Ziel der freien intersubjektiven Verständigung. Die individuelle Darstellung der protestantischen Perspektive wird sich namentlich von den Bestimmungen einer an das römisch-katholische Lehramt gebundenen (s.o. II/4.2.) bzw. einer der Tradition der orthodoxen Väter verpflichteten Theologie (s.o. II/4.3.) unterscheiden, dient aber auch und gerade in ihren polemischen Bezügen dem ökumenischen Gespräch und darüber hinaus dem Gespräch mit dem Judentum und dem interreligiösen Dialog. Der folgende Grundriß legt die Definition der Theologie als wissenschaftlicher Selbstbesinnung des christlichen Glaubens auf sein eigenes Wesen zugrunde (vgl. Althaus; Herms). Er schließt an die Bestimmung der Theologie als „positiver Wissenschaft" an, d.h. einer solchen, die „zur Lösung einer praktischen Aufgabe erforderlich" ist (Schleiermacher, Kurze Darstellung [KD] § 1; vgl. Hagenbach). Er unterscheidet sich damit nicht nur von der Deduktion der Theologie aus dem Begriff des absoluten Wissens (F. Wagner), sondern auch vom kerygmatischen Modell einer Theologie als „kirchlicher Wissenschaft" (Barth; Mildenberger) sowie von den postmodernen Modellen einer „Poietologie" (Bayer, Gott) und einer autonomen „ -»-Weisheit" (Moltmann). Gegenüber diesen Deutungen von Theologie knüpft er an den alten Begriff der Theologie als habitus intellectus practicus (König § 54) an und bestimmt die praktische Aufgabe der Theologie als die der ,,zusammenstimmende[n] Leitung der christlichen Kirche" (Schleiermacher, KD § 5) als eines komplexen Religionssystems im Verhältnis zu seiner jeweiligen sozialen Umwelt mit dem Ziel des ewigen Lebens (König § 54). Dieser Bestimmung entspricht das Bildungsziel der „theologischen Kompetenz" (Herms) in allen öffentlichen Positionen, die der Erbauung der christlichen Gemeinde, der Förderung ihrer Dialog-, Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit in der sozialen Welt dienen. 2. Christliche

Theologie

als

Wissenschaft

Nicht zu allen Zeiten und nicht in allen sozio-kulturellen Formationen existiert christliche Theologie als -»Wissenschaft, d.h. als Element eines sozialen Funktionssystems „—•Bildung", als eine besondere Institution innerhalb der Organisation des Bildungswesens und als Profil eines Berufs, der die -»Wahrheit der Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Wirksamkeit zu erforschen und zu explizieren trachtet. Allerdings ist dem christlichen Glauben das Prinzip fides quaerens intellectum (-»Anselm von Canterbury), die Ausbildung von Reflexionsgestalten, von seinen Anfängen her eingestiftet (s.o. 1172.). Deshalb stellt der — in der Schule von -»Alexandrien vorbereitete und seit der AristotelesRezeption in der Mitte des 12. Jh. ausdrücklich erhobene — Anspruch, nicht Weisheit, sondern Wissenschaft, und zwar höchste Wissenschaft zu sein (Lang), in der Christentumsgeschichte nur eine folgenreiche Innovation und nicht etwa eine Revolution dar. An dieser Innovation, mit der die theologische Schule in den Entstehungszusammenhang

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des Systems der -» Universität gehört, gilt es in der gegenwärtigen sozio-kulturellen Lage des Christentums aus drei Gründen entschieden festzuhalten. Erstens hat der wissenschaftstheoretische Diskurs im Lichte positivistischer und rationalistischer Prämissen dazu geführt, den Wissenschaftscharakter der Theologie überhaupt zu bestreiten oder zu vergleichgültigen (vgl. hierzu besonders Pannenberg; Ebeling, Rationalismus; Sauter). Sodann macht das Programm pluraler Realitätskonstruktionen die Idee des Wissens und damit die Idee der Wahrheit selbst fragwürdig. Und schließlich hat die wissenschaftskritische Definition der Theologie als einer autonomen Weisheit die Folge, daß die Theologie die allgemeine wissenschaftstheoretische Aufgabe, das Verhältnis zwischen dem religiös-weltanschaulichen Interpretationsrahmen der forschenden Subjekte (und ihren darin begründeten ethischen Überzeugungen) und den Forschungsprozessen in den Einzelwissenschaften selbst aufzuzeigen, nicht mit der gebotenen Deutlichkeit einzuschärfen vermag. Weil Theologie letztlich als Theorie hinsichtlich der Bedingungen wahren Wissens zu entfalten ist, ist sie Wissenschaft. Das zeigt gerade die wissens- und erkenntnistheoretische Reflexion im Anschluß an die neuzeitliche Theoriegeschichte des Erfahrungsbegriffs. In der okzidentalen Neuzeit hat der Begriff „-»Erfahrung" über die erkenntnistheoretische Bedeutung hinaus, die ihm der englische -» Empirismus (John Locke [1632-1704]; D. —»Hume) gegeben hatte, in den verschiedenen Gestalten des Idealismus eine grundsätzliche Rolle gewonnen (E. Herms: TRE 10,90ff.). Er meint den fundamentalontologischen Sachverhalt des menschlichen „In-der-Welt-Seins", das sich in einem Prozeß der gemeinsamen Gegenstandskonstitution unter der Alternative von Irrtum und Wahrheit vollzieht. Die genaue und durchsichtige Entfaltung des Sachverhalts „Erfahrung" wird die synthetische, die intersubjektive und die zeitlich-geschichtliche Struktur unserer theoretischen, praktischen und ästhetischen Gegenstandskonstitution hervorheben: einer Gegenstandskonstitution also, die sich sowohl auf die Inhalte eines möglichen Wissens als auch auf die Geltung rechtlicher und sittlicher Regeln und schließlich auch auf die Wahrnehmung des Naturschönen und auf die Gestaltung des Kunstwerks erstreckt. Die Struktur des Erfahrungsprozesses nun läßt sich in sachgerechter Weise auf dem Boden der metakritischen Intentionen beschreiben, die -*Schleiermachers Dialektik, -»Hegels Phänomenologie des Geistes und —»Diltheys Idee einer Kritik der historischen Vernunft gegenüber dem transzendentalen Kritizismus —»Kants geltend machten. Sie suchen zu zeigen, daß der endlichen Vernunft lediglich formal-logische Regeln der Verknüpfung bzw. der Gesprächsführung apriorisch gegeben sind, während die inhaltlichen Bestimmungen von Begriffen, Kategorien, Ideen, Regeln, Schemata, Modellen und Hypothesen als fehlbare, kontingente und perspektivische Interpretationsakte im Rahmen einer Bildungsgeschichte des Wissens gelten müssen. Diese Interpretationsakte nun sind ihrerseits begründet in einer wie auch immer bestimmten Überzeugung der Interpreten, in einer Daseinsgewißheit, die Elemente der Selbstgewißheit, der Weltgewißheit und der Transzendenzgewißheit zusammenschließt. Sie ist es, in deren Licht uns alle erkennbaren Gegenstände gegeben sind, und d.h. erscheinen. Eine vollständige transzendentale Deutung unserer Gegenstandskonstitution führt daher schlüssig zum Gedanken eines Fundierungs- und Korrelationsverhältnisses von Gewißheit, Glaube, Erkennen, Handeln und Darstellen (vgl. Herms). Sie weist der christlichen Theologie ihren wissenschaftssystematischen Ort als Wissenschaft von derjenigen Daseinsgewißheit zu, die im Rahmen der Religionsgeschichte durch eine Folge solcher Offenbarungsereignisse (-»Offenbarung) gestiftet wird, in denen die transzendente Ursprungsmacht sich selbst in ihrem Wesen als wahre - d.h. als die das sterbliche, fehlbare und sich verfehlende Dasein tragende »Liebe (vgl. I Joh 4,16) und darin als der tragende Grund aller Wirklichkeit erschließt (vgl. Joh 1,1-4). Es entspricht diesem wissenschaftssystematischen Ort, daß der Theologie insgesamt unbeschadet aller Hypothesenbildung in ihren einzelnen Fächern assertorischer Charakter zukommt (Ebeling, Theologie 118).

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Im Verhältnis zu den einzelnen Natur-, Kultur- und Sozialwissenschaften kommt der Theologie daher der Status einer - de facto mit den institutionellen Philosophien, gelegentlich auch mit den Geschichtswissenschaften und mit der Soziologie konkurrierenden - Grund- und Leitwissenschaft zu, die in praktischer Absicht den Interpretationsrahmen einer Offenbarungserfahrung entfaltet, die als solche das Ethos der konfessionell bestimmten Glaubensgemeinschaften in der Geschichte ihres Daseins innerhalb ihrer sozialen Umwelten und damit auch das Ethos der wissenschaftlichen Erkenntnis prägt. An diesem Status partizipieren alle theologischen Einzeldisziplinen, insofern sie mit den verschiedenen Aspekten des theologischen Gegenstandes beschäftigt sind. 3. Der Gegenstand

der christlichen

Theologie

Auf dem Boden einer wissenschaftssystematischen Ortsbestimmung der Theologie erfordert die enzyklopädische Aufgabe, die Einheit der theologischen Fächer und ihre Verschränkung im Bildungsziel der theologischen Kompetenz aufzuzeigen, zunächst eine Definition des Gegenstandes der Theologie. Wir definieren diesen Gegenstand der Theologie als das erinnerte Gesamtleben des Christentums, wie es sich aufgrund seines Ursprungs und seiner Geschichte als gegenwartsbestimmend erweist und uns für die gegenwärtige Ermöglichung der Dialog-, Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit aus Glauben - also der Praxis des christlichen Lebens - aufgegeben ist. Aus reformatorischer Perspektive ist dieser Gegenstand durch die drei folgenden Gesichtspunkte, die auf die Geschichte der Wesensbestimmungen des Christentums Bezug nehmen, genauer charakterisiert: 1) Der christliche Glaube besteht in einer Daseinsgewißheit, einer inhaltlich bestimmten Überzeugung, die der Person in der Tiefe ihres Selbstbewußtseins (Selbstgefühls) aufgrund ihres geistgewirkten Erschlossen-Seins (Offenbar-Seins) als zweifelsfrei wahr gewiß ist und die sie deshalb mit anderen zur Glaubensgemeinschaft — zur „Gemeinschaft der Heiligen", zu einer Koinonia in sozial erfahrbarer Gestalt - zusammenschließt, in der es Anbetung -»Gottes, —»Vertrauen, -»Liebe und -»Hoffnung gibt. 2) Inhalt dieser Daseinsgewißheit ist das „Wort vom Kreuz" (I Kor 1,18): der Versöhnungswille Gottes des Schöpfers gegenüber seinem aus unerforschlichem Grunde „unter die Sünde verkauften" (Rom 7,14) und dem Leid des Todes ausgesetzten Geschöpf, der es in der Folge der Erwählung Israels zum Volke Gottes in den Formen des Gesetzes und des Evangeliums zu seiner Bestimmung zur cooperatio cum deo (-»Luther) und zu deren ewiger Vollendung durch den Tod hindurch führt (s.u. 4.2.1.). 3) Diese Daseinsgewißheit verbietet das Verschweigen. Sie äußert sich in der freien Übernahme des Auftrags, das Offenbarungsgeschehen als ihren Grund und Inhalt in Gestalt der eigenen fehlbaren und schuldfähigen Lebensführung für die jeweilige soziale Umwelt zu bezeugen und sie dadurch auch anderen zu tradieren, zu erschließen und so zu vergegenwärtigen (vgl. M t 28,19f.). Aus diesem Grunde existiert die Glaubensgemeinschaft notwendig als „Bildungsinstitution" (Preul) in der Geschichte eines Traditionsprozesses, in der sich die Kirche eine Ordnung des Gottesdienstes, einen Inbegriff der Lehre (des Dogmas, des Bekenntnisses) und eine organisatorische Verfassung mit kirchenrechtlicher Bindungskraft gibt und in der sie in der Teilhabe an der Geschichte der sozialen Evolution nicht nur missionarische, diakonische und ästhetische Initiativen ergreift, sondern auch auf die sozio-politischen Systementscheidungen und auf die Mentalitätsgeschichte ihrer Umwelt Einfluß nimmt. Aus dieser Gegenstandsbestimmung, die auf den Begriff der -»Kirche als genuines soziales System hinausläuft, ergibt sich die im folgenden zu zeigende strikt funktionale Strukturierung des theologischen Fächerkanons (vgl. Dinkel 46). 4. Die Gliederung der theologischen

Wissenschaft

Wegen der Natur ihres Gegenstandes verknüpft die theologische Wissenschaft ein exegetisches, ein historisches, ein systematisch-theologisches und ein praktisch-theolo-

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327

gisches Erkenntnisinteresse. Nachdem sich jedoch die Hauptdisziplinen des Fächerkanons gegenüber der bis in die frühe Neuzeit bestehenden Einheitlichkeit des Faches Theologie institutionell verselbständigt und methodisch ungemein ausdifferenziert haben, ist es geboten, den sachlogischen inneren Zusammenhang dieses vierfachen Interesses jeweils im Rekurs auf eine fundamentaltheologische Reflexion aufzuzeigen. Sie ist auch für die hier nicht zu besprechenden Disziplinen der Diakoniewissenschaft (—»Diakonie), der —•Missionswissenschaft, des —• Kirchenrechts, der Biblischen und der Christlichen Archäologie, der Christlichen -•Publizistik sowie für die Institute der Ökumenischen Theologie (-»Ökumene) von Belang. 4.1. Fundamentaltheologie Als „positive Wissenschaft" am Bildungsziel der theologischen Kompetenz in den verschiedenen Kommunikationssituationen der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt orientiert, hat sich die Theologie in allen ihren Einzelfächern stets Rechenschaft über den theologischen Charakter ihrer Forschungs-, Lehr- und Lernprozesse zu geben. Sie vermag dies in der Form der —•Fundamentaltheologie zu tun, die nicht als eine neu zu etablierende Einzeldisziplin, sondern als theologische Grundlagendisziplin anzusehen ist, die alle Einzeldisziplinen angeht (so ansatzweise Ebeling; Petzoldt). Im Unterschied zur römisch-katholischen Sicht (vgl. Petri; Seckler; H. Wagner) hat Fundamentaltheologie in reformatorischer Perspektive zu ihrem Gegenstand die Konstitutionsbedingungen der Lebenspraxis aus der Wahrheitsgewißheit des Glaubens und die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Erfassung des Traditionsprozesses, in welchem diese ihr Kontinuum hat (vgl. Roth). Denn wenn in reformatorischer Perspektive die Frage nach dem Grund und Inhalt des Glaubens mit der Entfaltung eines Begriffs der Offenbarung als der Selbsterschließung des Gemeinschaftswillens des Schöpfers aller Dinge im Heiligen Geist zu beantworten ist, so ist von hier aus ein Fundierungs- und Korrelationsverhältnis von Offenbarung und Erfahrung zu entwickeln (Herms; Schwöbel; Stock), das für die Forschungs-, Lehr- und Lernprozesse in allen Einzeldisziplinen bedeutsam ist. Es legt Diskurse über wenigstens vier einzelne Themenfelder nahe. Die fundamentaltheologische Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung führt erstens zum Problem der religiösen Erfahrung. Sie orientiert sich an der Problemgeschichte des Religionsbegriffs und an den gegenwärtigen Theorien der Funktion der Religion unter den Bedingungen des religiös-weltanschaulichen Pluralismus (Dux; Luckmann; Luhmann; vgl. hierzu F. Wagner: TRE 28,522—545; R. Preul: ebd. 546-559) und zeigt in Auseinandersetzung mit der -*Religionskritik, den - • Atheismen und den -»Nihilismen in Philosophie und Kunst die Notwendigkeit öffentlicher Dialoge über die condition humaine und das ihr eingeschriebene Verlangen nach Eigentlichkeit bzw. nach „Lebensgewinn" (Theißen) auf (vgl. Grom; Holm; -*Religionsphilosophie; -•Religionspsychologie). Die fundamentaltheologische Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung schließt - zweitens - metaphysische Erörterungen über die Verfassung der Werdeprozesse der Natur als Möglichkeitsraum menschlicher Freiheit sowie fundamentalanthropologische Erörterungen über das Wesen humaner Personalität ein (-»Metaphysik; —»Natürliche Theologie; -•Ontologie). Denn die Ausrichtung der Einzeldisziplinen auf das Bildungsziel der theologischen Kompetenz in den verschiedenen Kommunikationssituationen der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt wäre selbstwidersprüchlich, wenn dieses Bildungsziel nicht als ein Bestimmen von Gegenwart gedeutet werden könnte, das die Geschichtlichkeit des Daseins im Rahmen eines zielgerichteten Kontinuums des Weltprozesses und damit die Möglichkeitsbedingungen eines zielorientierten Redens und Handelns voraussetzt. Das Gewährt-Sein dieser Voraussetzung kraft der schöpferischen Ewigkeit des Schöpfers aller Dinge haben die theologischen Einzeldisziplinen je für ihr Gegenstandsgebiet (in den Theorien über den Gegenstand, über das Zeichen [-•Semiotik], über die -»Sprache, über das Selbst [-»Person; -»Seele], über

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die -»Zeit, über die Geschichte und über Sozialität) zur Sprache zu bringen und in der Metakritik abstrakter Theoriegestalten, die dieses Gewährt-Sein methodisch oder prinzipiell vernachlässigen, zu bewähren. Die fundamentaltheologische Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung intendiert - drittens - einen Begriff von Offenbarung als des je gegenwärtigen Geschehens (Erschlossen-Werdens) existenzbestimmender (ethosprägender) Wahrheit. Ihm entspricht es, das Inne-Werden solcher existenzbestimmender Wahrheit selbst als einen individuellen und gemeinschaftlichen Verstehensprozeß aufzufassen. Aus diesem Grunde kommt der Hermeneutik als der Theorie dieses Verstehensprozesses eine grundsätzliche, alle Einzeldisziplinen integrierende Bedeutung zu, die sich in der praktisch-theologischen Theoriebildung zu bewähren hat. Viertens schließlich betrifft die fundamentaltheologische Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung die Einordnung der Theologie in den Kontext der Wissenschaften und in das öffentliche Bildungswesen überhaupt. Als besondere Gestalt einer Grund- und Leitwissenschaft partizipiert die Theologie an dem allgemeinen erkenntnisund wissenschaftstheoretischen Diskurs hinsichtlich der Bedingungen möglicher Erfahrung überhaupt (vgl. besonders Pannenberg) und bestimmt von daher auch ihr Verhältnis zu den philologischen, historischen, rhetorischen, therapeutischen und pädagogischen Methodenlehren ihrer empirischen Bezugswissenschaften. Deren unkritische Affirmation ist der Theologie aus Gründen, die mit den Konstitutionsbedingungen des Glaubens und damit mit ihrem positiven Charakter gegeben sind, verwehrt. 4.2. Exegetische Theologie 4.2.1. Nach reformatorischer Erkenntnis ist christlicher Glaube die geistgewirkte Gewißheit von der Wahrheit des Evangeliums, welches das Christusgeschehen — das im Tode am Kreuz bewährte und in den österlichen Erscheinungen des Gekreuzigten als des Auferstandenen offenbare Lebenszeugnis Jesu von Nazareth (-»Jesus Christus) von der verborgenen, der unscheinbaren Gegenwart der kommenden Gottesherrschaft in seinem Dasein - als das Ereignis des universalen, Juden und Heiden in die Gemeinschaft des Volkes Gottes erhebenden, göttlichen Heilswillens zum Inhalt hat. 4.2.2. Diese geistgewirkte Wahrheitsgewißheit (vgl. bes. I Kor 2,12f.) liegt den mannigfachen oralen Kommunikationsformen zwischen Anwesenden bereits zugrunde, in denen Jesu eigenes Lebenszeugnis und dessen vielgestaltige Interpretation in der apostolischen Bezeugung des offenbaren göttlichen Heilswillens zur Sprache kommt. Ihre Verschriftlichung und ihre kohärente Ausgestaltung in Form vorbildgebender theologischer Konzeptionen vollzieht sich unter ausdrücklicher Verwendung der -*Schrift, der Dokumente der Glaubensgeschichte Israels in ihrer durch die Septuaginta repräsentierten Textgestalt. Die christliche Rezeption der Schrift verbindet die ausdrückliche Anerkennung ihrer fortbestehenden Gültigkeit mit einer tiefgreifenden Relektüre und Neuinterpretation im Sinne einer Urkunde des Alten Bundes (II Kor 3,4). Die Legitimität dieser-eigentümlichen Rezeption läßt sich nur auf dem Wege der Teilhabe an der Gewißheit des christlichen Glaubens und der verstehenden Anerkennung der kirchlichen Glaubenslehre begründen, und zwar dergestalt, daß die existenzbestimmende Kraft des Heils- und Offenbarungsgeschehens nicht als Ersetzung der Gottes-, Welt- und Selbstgewißheit Israels, sondern als deren Konkretisierung und insofern allerdings als deren Erfüllung begriffen wird. Aus diesem Grunde hat ein komplexer kirchengeschichtlicher Prozeß zur Ausbildung eines Doppel-Kanons aus Altem und Neuem Testament (-»Kanon) geführt. Er repräsentiert eine für die Regel des -»Gottesdienstes, für die kirchliche Lehre und -»Verkündigung und für die praxis pietatis normative Schriftensammlung, die den Inhalt des apostolischen Wahrheitsbewußtseins im Rückgriff auf die Glaubensgeschichte Israels und im Licht verschiedener theologischer Leitimaginationen für die verstehende Aneignung durch raum-zeitlich und sozio-kulturell entfernte Personen fixiert. Ganz abgesehen

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von der unbestreitbaren Tatsache, daß diese Schriftensammlung eine kulturelle Wirkungsgeschichte von einzigartiger Extensität und Intensität freigesetzt hat, fungiert sie als das inhaltliche Kriterium der Unterscheidung zwischen schriftgemäßen und nicht schriftgemäßen Bestimmungen einer im Licht der Glaubensgewißheit geführten Lebenspraxis. Die Normativität und Gültigkeit dieser Schriftensammlung als prinzipieller Regel jedweder Kommunikation des Evangeliums im christlichen Gesamtleben (auch als prinzipieller Regel der Befugnisse eines kirchlichen Lehramts) hat die reformatorische Bewegung aus gegebenem Anlaß mit der Exklusive sola scriptum in einem traditionskritischen Sinne eingeschärft (Epitome: BSLK 767—827). Diese Regel formuliert den hermeneutischen Grundsatz, daß der biblische DoppelKanon als Heilige Schrift die suffiziente Quelle aller auf sie gerichteten Interpretationsakte sei (Härle, Sola scriptura; ders., Dogmatik). Dieser Grundsatz nimmt mitnichten eine bloß formale Autorität der Heiligen Schrift an der Stelle einer bloß formalen Autorität eines kirchlichen Lehramts in Anspruch; er ist vielmehr darin verankert, daß den Texten selbst vermöge der verstehenden Teilhabe ihrer Verfasser an dem von ihnen bezeugten Heils- und Offenbarungsgeschehen ein jeweils individueller „Erschlossenheitsstatus" (Herms, Klarheit) zu eigen ist. Sie sind - auch und gerade in ihrem effektiven und exhibitiven Sprachgestus (Bayer, Theologie [1973]) - menschlicher Ausdruck und menschliche - daher auch fehlbare, gebrochene, unvollständige und zu vervollkommnende - Mitteilung eines in der Offenbarungsrelation ihrer Autoren gründenden ursprünglichen Wahrheitsbewußtseins. Ihre Interpretation erweist sich daher für alle jeweiligen Gegenwartsaufgaben der Kirche und der christlichen Existenz als die notwendige Bedingung, unter der der Inhalt des Offenbarungszeugnisses zugleich zum Grund des Glaubens wird. Denn nur wenn die jeweilige Erlebnisgegenwart von der lebendigen Erinnerung an das Heilsgeschehen bestimmt ist, gibt es in der Fülle ihrer geschichtlichen Erscheinungen so etwas wie christliche Identität. Die kanonische Gestalt eines „äußeren Wortes", das dieses Wahrheitsbewußtsein zur Sprache bringt, und dessen „äußere Klarheit" ist - in dem Reichtum der historischen, religionsgeschichtlichen und textgeschichtlichen Gesichtspunkte, die mit der Verwurzelung der —•Bibel in den Kulturen des Alten Orients und der Spätantike gegeben ist — der besondere Untersuchungsgegenstand der Exegetischen Theologie (—•Schriftauslegung). 4.2.3. Eben wegen ihres so zu bestimmenden Untersuchungsgegenstandes kommt der exegetischen Kompetenz sowohl für die Kirchengeschichtsschreibung als auch für die systematisch reflektierte und begründete Lösung der Gegenwartsaufgaben der Kirche und der christlichen Existenz in der Gesellschaft eine so grundlegende Bedeutung zu. Sie ist die Fähigkeit, angesichts der Gefahr des gesuchten oder ungesuchten Mißverstehens - im Anschluß an die bereits in der griechisch-römischen Antike angelegten methodischen Grundsätze (vgl. Cancik 1780) - die genuine Aussageintention, d.h. den literalen Sinn der biblischen Texte in ihrer primären Kommunikationssituation und im Blick auf ihre Rezeptions- und Auslegungsgeschichte auf eine konsensfähige Weise zu erschließen, so daß die gegenwärtige Lehre - der Inbegriff der Interpretationsakte des Evangeliums in der kirchlichen und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit - auf ihre Evangeliumsgemäßheit überprüft werden kann (Grundlagen 49). Es liegt in der Natur des Verstehens, daß dieser Interpretationsprozeß eine niemals abgeschlossene Aufgabe darstellt, die sich in einem forschungs-, kirchen- und lebensgeschichtlich mehrfach bestimmten Zirkel des Verstehens vollzieht. Die exegetische Kompetenz bewährt sich somit in der verstehenden Deskription des Textes. Sie erschließt die „Sache des Textes" (Bultmann), insofern der Text selbst nicht etwa ein vergangenes, sondern ein anderes bzw. ein fremdes Verstehen repräsentiert. Wie die Geschichte der Hermeneutik des Alten Testaments (vgl. L. Schmidt: T R E 15,137ff.) und wie das Interesse an der „—•Biblischen Theologie" beweisen, gestaltet sich die Aufgabe der verstehenden Deskription im Blick auf die christliche Rezeption

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der Septuaginta als Altes Testament als besonders schwierig. Insofern gehört die sachgemäße Bestimmung der Einheit des biblischen Offenbarungszeugnisses auf dem Boden von Luthers christologischer (und damit tropologischer oder figuraler) Deutung der Psalmen (Ebeling, Anfänge) und damit die Erkenntnis der gesamtbiblischen Intertextualität zur exegetischen Kompetenz in beiden Bibelwissenschaften notwendig hinzu (Gunneweg; Grundlagen 50; Janowski). Für die Aufgabe der verstehenden Deskription haben die alttestamentliche und die neutestamentliche —»BibelWissenschaft einen komplexen Methodenkanon entwickelt (vgl. die Übersicht bei J.W. Rogerson/B.J. Diebner: T R E 6,346-374; O. Merk: ebd. 375 - 4 0 9 ; Seidl; Schnelle; Berger). Seine Leistung besteht „in einer vollständigen synchronen und diachronen Beschreibung des Einzeltextes in seinem Wachstum, in seiner Struktur, in seiner Zugehörigkeit zu Traditionen und lit. [erarischen] Werken" (Seidl 1782f.), und diese Beschreibung gewinnt durch Einbeziehung religions- und sozialgeschichtlicher Fragestellungen noch an Genauigkeit. Sie zielt auf das „Nachkonstruieren" (Schleiermacher, Hermeneutik) einer schriftlich fixierten Rede in der Geschichte ihrer Kommunikationssituationen, das als die genuine Intention der historisch-kritischen Methode zu gelten hat. Deren Ende anzusagen (Maier) oder sie durch meditative oder applikative Auslegungsformen zu ersetzen öffnet der Willkür und der Beliebigkeit Tür und Tor. Allerdings ist die Aufgabe der verstehenden Deskription erst dann erfüllt, wenn die Interpretation eine Antwort auf die Frage nach der Semantik der quellensprachlichen Textgestalten (Zeichenkörper) gibt und damit im Sinne „theologischer Exegese" die „Sache des Textes" (Bultmann) freizulegen sucht. Die Sache der in der kanonischen Schriftensammlung enthaltenen Texte aber ist eine jeweils individuelle Existenz-Mitteilung, die Mitteilung eines Übergangs aus der verkehrten in die wahre oder die eigentliche Daseinsgewißheit, die sich für die Glaubensgemeinschaft kraft des Offenbarungsgeschehens erschließt und die in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt eine bestimmte Lebensform ermöglicht und gebietet. Die verstehende Deskription hat insofern die durch die neutestamentliche Gotteserkenntnis konstituierte Einheit der biblischen Texte als verschiedene Gestalten eines Ethos (Theißen; Wolter) freizulegen, die sich als „paradigmatische" (Herms, Kirche 174, im Anschluß an Schleiermacher) Beschreibungen eines Lebens in der Ordnung der Liebe - ubi et quando visum est Deo — auch in der Erlebnisgegenwart der Interpreten in ihrer Überzeugungskraft erweisen werden. Daher ist die verstehende Deskription der kanonischen Texte der Heiligen Schrift auf eine Theorie des Verstehens angewiesen, die deren sensus literalis zu decodieren in der Lage ist. Die Theorie des Verstehens gehört, wie gezeigt, zu den fundamentaltheologischen Aufgaben der Theologie. Wird sie hier insbesondere der exegetischen Kompetenz zugerechnet, so heißt dies im Sinne eines funktionalen Begriffs von Theologie allerdings, daß die „Bewährung" (vgl. Schleiermacher, KD § 209) der historischen, der systematischen und der praktisch-theologischen Argumentation an der Schrift ohne eine solche Theorie zur blanken quellensprachlichen Wiederholung verkommt. Eine Entfaltung der Verstehenslehre auf der Linie der existentiellen Interpretation dürfte sich auch angesichts der kritischen Debatte über dieses Projekt (Berger; Nethöfel) nach wie vor als grundsätzlich sachgerecht erweisen (Gunneweg). Zwar hatte -> Bultmann zu Unrecht die Bestimmung der fundamentalontologischen (existential-analytischen) Momente des Daseins als eine „neutrale" philosophische Aufgabe angesehen (GuV I, 294-312; besonders 305f.) und nicht klar genug zwischen Glaubensgewißheit und Glaubensentscheidung unterschieden; aber er bezog mit vollem sachlichem Recht den Glauben als Entscheidung auf das unverfügbare Verstehen des apostolischen Kerygmas, das seinerseits ein ursprüngliches Wahrheitsverstehen repräsentiert. Im Anschluß daran hat die Verstehenslehre von einem gehaltvollen Begriff von „Selbstverständnis" auszugehen und zu zeigen, daß die Person die befreiende Wahrheit des Kerygmas überhaupt zu verstehen vermag, weil sie in der Frage nach ihrer wahren

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Bestimmtheit („Eigenthchkeit") existiert und eben diese Eigentlichkeit im ganzen Umfang der cooperatio cum deo (der Mitwirkung an der Verkündigung, an der Gestaltung der Kirche, an der theologischen Erkenntnis und an den Aufgaben in der sozialen Welt) zu finden vermag. Eine Verstehenslehre, die über Bultmanns Andeutungen hinaus die Sozialttat des Daseins in den Blick nimmt, bietet selbstverständlich Raum für die sozialethischen und sozialgeschichtlichen Ansätze der Exegese (TRE 31,531 ff.) und schlägt damit die Brücke zur theologischen Histonk, zur systematischen Reflexion und zur Theorie der kirchlichen und der religionspädagogischen Praxis. 4.3. Historische Theologie 4.3.1. Die geistgewirkte Gewißheit von der Wahrheit des Evangeliums, die Menschen im Alltag des sozialen Lebens zur Glaubensgemeinschaft (zur Koinonia) zusammenschließt, begründet eine Lebenspraxis je in der geschichtlichen Gegenwart der „Kirche in der Gesellschaft" (Honecker; Stock; vgl. bereits Wendland). Daher schließt die Befähigung des theologischen Berufs zu einer zusammenstimmenden Leitung der Kirche in dieser Gegenwart (s.o. 1. und 3.) historische Kompetenz als die Fähigkeit ein, die die Entwicklung des Christentums erinnernd zu vergegenwärtigen weiß (vgl. Schleiermacher, KD § 5.149). Zu dieser historischen Kompetenz leitet die Kirchengeschichte an. 4.3.2. Wie alle Geschichtsschreibung (-»Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie) bedarf auch die —•Kirchengeschichtsschreibung einer Histonk, die nicht nur eine Methodenlehre (Heuristik und Kritik der historischen Quellen; vgl. zuletzt Markschies), sondern auch eine Systematik (vgl. schon Droysen) umfaßt, in der sie sich über die makrotheoretischen Prinzipien ihrer Forschungs- und Darstellungsprozesse und damit über die Schemata und über die Modelle verständigt, mit deren Hilfe sie ihre Quellen zur Sprache bringt. Diese Prinzipien kann sie nicht ohne weiteres dem sog. „allgemeinen" geschichtstheoretischen Diskurs (vgl. besonders Faber; A. Schmidt; Baumgartner; Danto; Conze; Rüsen; Koselleck) entnehmen; sie muß sie vielmehr in metakritischer Auseinandersetzung mit dessen Leitimaginationen auf dem Boden der fundamentaltheologischen Reflexion (s.o. 4.1.) selbst entwickeln und nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der „Geschichtsphilosophie" und ihren realgeschichtlichen Folgen (vgl. besonders Marquard) eine Geschichtsauffassung in der Perspektive des Glaubens entwerfen. Das ist möglich im Lichte eines konkreten (d.h. möglicherweise bestehende Restriktionen überwindenden) Begriffs der Geschichtlichkeit des Daseins (Heidegger; Bultmann). Ein solcher Begriff bezeichnet die - von der Seinsverfassung der Natur zu unterscheidende - Seinsverfassung personaler Instanzen, welche die Bedingung der Möglichkeit derjenigen Gestaltungs- und Veränderungsprozesse ist, die wir geschichtlich nennen (vgl. Herms, Rechtfertigungslehre; Pannenberg, Anthropologie). Mit Hilfe eines solchen Begriffs ist schließlich auch eine Beantwortung der Frage möglich, ob und in welchem Sinne im Blick auf das reale „Ensemble von Geschichten" (Nipperdey 877) von einer „Theologie der Geschichte" bzw. von einer „Welt"- oder „Universalgeschichte", also von der Geschichtsmächtigkeit Gottes die Rede sein könne (vgl. Pannenberg III, 473 ff.539if.; zuletzt Rendtorff). 4.3.3. Alle Geschichtserzählung (oral history) und Geschichtsschreibung beruht auf dem fundamentalanthropologischen (existentialen) Sachverhalt, daß das „Verstricktsein in Geschichten" (Schapp) in der Erinnerung gegen das Vergessen präsent gehalten werden muß. Denn weil die Lebensführung sich in den jeweils jetzt zu treffenden Entscheidungen über das zukünftig Mögliche realisiert, ist sie bezogen auf ein Wissen über das Wirkliche, das in früheren (d.h. anderen und vergangenen) Entscheidungen gründet. Dieses Wissen muß ausdrücklich gesucht und in Erinnerung gerufen werden, nicht nur weil es absichtslos vergessen, sondern auch weil es unwillkürlich verdrängt oder auf Grund der Vorurteile eines herrschenden Geschichtsbildes (etwa als „Nationalgeschichte" oder als „Geistesgeschichte" oder als „Klassenkampfgeschichte") oder eines politischen Mythos

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(Sorel, Gewalt) gezielt verzerrt wird (vgl. zum besonderen Problem protestantischer Weltsichten auch Scholder 87ff.; Lehmann). Indem die Historiographie die an den „Erinnerungsorten" (Nora; Fran^ois/Schulze) haftende alltägliche Erinnerungskultur methodisch-reflektiert zu intensivieren sucht, will sie ,,[a]ufklären durch Geschichte" (Berding) und dadurch auch den Geschichtsunterricht der Schulen bestimmen. 4.3.4. Geschichtserzählung und Geschichtsschreibung verfolgen nicht so sehr das biographische Interesse an individuellen Lebensgeschichten; sie gehen vielmehr von dem Sachverhalt aus, daß auch soziale Subjekte in ihrem konfliktträchtigen Zusammenleben mit anderen sozialen Subjekten eine Geschichte, d.h. einen Inbegriff von Veränderungen des Identischen haben und deshalb das „historisch Erforschbare" (Droysen 191) sein können. Historische Untersuchungen jeweils begrenzter Gegenstände der „empirischen Geschichtskunde" bedürfen daher erstens der grundbegrifflichen (kategorialen) Orientierung an Aussagen einer „reinen" oder „spekulativen" -»Ethik über die „vollkommenen ethischen Formen" einer sozialen Welt, die ihrerseits in einer Deutung des Selbstbewußtseins leibhaft existierender Personen verankert sind (vgl. Schleiermacher, Ethik). Aus ihnen ergibt sich eine Bestimmung der Erfahrung des Sozialen, die sich auf die Probleme der Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse des Daseins bezieht: nämlich auf das ökonomische Problem des Erwerbs der Mittel zum Leben; auf das politische Problem der Etablierung von Recht durch Herrschaft; auf das kulturelle Problem der Uberlieferung von technischem und ethischem Wissen und auf das religiös-weltanschauliche Problem der daseinsbestimmenden Uberzeugungen und ihrer ästhetischen Darstellung (vgl. schon Droysen). Die vielfachen Gegenstände der Geschichtserzählung und der Geschichtsschreibung werden dann als Elemente eines selbst geschichtlich veränderlichen Zusammenhangs von „Interaktionsordnungen" (Gesellschaften; vgl. Herms, Kirche [1990] 54ff.) im faktischen Antagonismus ihres Innenverhältnisses wie ihrer Außenverhältnisse zu begreifen sein. Im Gegensatz zu solchen Geschichtsauffassungen, die von einer notwendigen Logik der sozialen Evolution ausgehen (z.B. Dux), rechnet nun eine Geschichtsauffassung in der Perspektive des Glaubens - zweitens - mit der Verantwortlichkeit personaler Akteure für die Veränderungen der System- und Ordnungsentscheidungen, mit denen die Gesellschaften das ihnen allen mit der menschlichen Seinsverfassung gestellte Problem zu lösen suchen, und damit auch für deren konstruktiven oder destruktiven, lebensdienlichen oder lebensgefährdenden Charakter. Sie fragt daher nach den Bedingungen im Bildungswesen und in der moralischen Kommunikation einer Gesellschaft, unter denen das Interesse an verantwortlicher Mitgestaltung geweckt wird, und nach den allgemeinen Partizipationsmöglichkeiten, unter denen die Chance zu dessen Realisierung gegeben wird. Schließlich achtet eine Geschichtsauffassung aus der Sicht des Glaubens auf den Zusammenhang zwischen den normativen religiös-weltanschaulichen Uberzeugungen, der die personalen Akteure sozialer Subjekte tatsächlich bestimmt, und der ethischen Qualität ihrer Entscheidungen im Innenverhältnis und in den Außenverhältnissen. Eine Ausgrenzung gerade des religiös-weltanschaulichen Problems aus dem Begriff der Sozialität des Daseins verkürzt die Erfahrung des Sozialen (gegen Wehler) und verhindert die Erkenntnis und die Anerkennung geschichtlicher Schuld (vgl. Wittram; Herms, Schuld). Erst im Rahmen eines allgemeinen Begriffs von Geschichte aus der Perspektive des Glaubens vermag die Kirchengeschichtsschreibung ihre genuine Aufgabe und ihr Verhältnis zu den Geschichtswissenschaften überhaupt zu bestimmen. Sie kann für ihre Aufgabe von dem biblisch, dogmatisch und fundamentalethisch zu begründenden Leitbegriff der „Kirche in der Gesellschaft" ausgehen. Dieser besagt ein Doppeltes: Erstens: Als ein durch Gottes Wort und Geist konstituiertes distinktes soziales Gebilde vermag auch die Glaubensgemeinschaft in ihren einzelnen kirchlichen Gestalten eine

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historisch erforschbare Geschichte zu haben, nämlich insofern sie ihre konstitutiven Institutionen und Ordnungen - insbesondere die Ordnung des Gottesdienstes und des Kirchenjahrs, die Ordnung der Lehre und des Bekenntnisses, die Ordnung ihrer Ämter, ihrer Leitung und ihrer Verfassung - formt und damit immer auch das Ethos und die symbolische Welt indigener Kulte und mannigfache volksreligiöse Trends integriert. Sie stellt durch die verstehende Teilnahme an diesem Ordnungsgefüge eine eigene Öffentlichkeit mit spezifischen Regeln der Mitgliedschaft her. Ihre Geschichte ist in dieser Hinsicht als ein „Ensemble" von Geschichten einer hochkomplexen Zeichengebung für die sie verbindende Wahrheitsgewißheit, als die Geschichte eines Streits um deren adäquate Erkenntnis und Befolgung (vgl. Arnold) und als kontingente Reihe religiöser Aufbrüche und Erneuerungen zu erzählen. Zweitens: Als dieses distinkte soziale Gebilde steht die Glaubensgemeinschaft in ihren einzelnen kirchlichen Gestalten in einem selbst geschichtlich variierenden, sei es erleidenden, sei es mitbestimmenden Wechselverhältnis zu der Geschichte ihrer jeweiligen sozialen Umwelt, nach welchem sich auch die Epochen und Perioden ihres Gesamtlebens charakterisieren lassen. In diesem selbst geschichtlich variierenden Wechselverhältnis gehen von der für sie konstitutiven regelmäßigen Vergegenwärtigung des Heils- und Offenbarungsgeschehens entscheidende Impulse für die Evolution der sozialen Interaktionsordnungen aus, wie dies insbesondere die langwierige Arbeit an einer sachgerechten Unterscheidung zwischen der geistlichen und der weltlichen Gewalt und damit der Entkopplung von religiöser Identität und politischer Herrschaftsideologie (vgl. Moltmann, Perspektiven 189—211), aber auch die christlichen Beiträge zur Gestaltung des Bildungswesens, zur Menschenrechtsbewegung, zum Wohlfahrtsstaat, zur Idee der sozialen Marktwirtschaft (->Wirtschaft) und nicht zuletzt zur Kunstgeschichte und zur Sepulkralkultur (—»Sepulkralkunst) exemplarisch zeigen. Umgekehrt aber ist die sozial verfaßte Glaubensgemeinschaft den traumatischen Störungen des kollektiven Selbstbewußtseins in ihrer sozialen Umwelt ausgesetzt (vgl. hierzu Eder) und deshalb nicht nur in die verhängnisvollen Katastrophen der sozialen Evolution - den -»Antisemitismus, den Kolonialismus, den -»Rassismus, den —»Imperialismus und den Totalitarismus - verstrickt, sondern auch von der Gefahr täuschender stereotyper Geschichtsbilder bedroht (vgl. Scholder 97). Schließlich sind die Kirchen unter den besonderen Bedingungen der neuzeitlichen Modernisierungsprozesse mit einer Religions- und Christentumskritik konfrontiert, die maßgeblichen Einfluß auf die moralische Kommunikation dieser Epoche gewinnt (vgl. Beutel). In diesem Sinne benennt der Leitbegriff der „Kirche in der Gesellschaft" die Aufgabe einer historischen Systematik, die die „empirische Geschichtskunde" und deren methodische Interpretation der Quellen im einzelnen anzuleiten und im Lichte eines Begriffs der „Kirche der begnadigten Sünder" (Barmen III: Die Barmer theologische Erklärung, ed. Alfred Burgsmüller/Rudolf Weth, Neukirchen-Vluyn 1983, 36) die präzise Beschreibung der ethischen Verantwortlichkeit zu orientieren vermag. In der Geschichtsschreibung des Alten Testaments (s.o. I I / l . l . ) und in der Apostelgeschichte des Lukas (s.o. II/1.2.) ist diese Aufgabe kanonisch vorgezeichnet. Hält man sich dies vor Augen, kann Ebelings wirkungsvolle These, die Kirchengeschichte sei als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift zu verstehen, nach wie vor Wahrheitswert beanspruchen, wenn sie nur für den Zusammenhang von ereignis-, struktur-, mentalitäts- und theologiegeschichtlichen Fragestellungen ausdrücklich geöffnet wird. 4.3.5. Nicht nur die Geschichte der „allgemeinen" Historiographie, auch die der Kirchengeschichtsschreibung kennt glanzvolle Muster wissenschaftlicher Prosa (A. von -»Harnack). Sie zeigen exemplarisch, daß der historische Forschungsprozeß sich in der Form narrativer Konstruktionen mitteilt, die rhetorischer und stilistischer Gestaltung fähig und bedürftig sind. Indessen wäre es verfehlt, den Schein eines historischen Positivismus oder Objektivismus dadurch zu vermeiden, daß man den geschichtlichen Er-

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eignissen selbst im Interesse einer kritischen Geschichtstheorie die Struktur von Erzählzusammenhängen zuspricht (Danto, bes. 143ff.; Baumgartner). Vielmehr ist es das Ziel aller Geschichtsdarstellung, durchsichtig und wahrheitsgetreu (Mosheim) das Verstehen und das Mißverstehen zu rekonstruieren, das den geschichtswirksamen Einzel-, Strukturund Theorieentscheidungen und ihrem Scheitern zugrunde liegt, wie sie die jeweilige Erlebnis- und Handlungsgegenwart der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt prägen. Weil die Aufgabe des theologischen Berufs stets die Aufklärung und gegebenenfalls die Korrektur und Revision des historischen Bewußtseins für die kirchliche und für die gesellschaftliche Öffentlichkeit einschließt, leitet die Kirchengeschichte zum Verstehen der Herkunftsgeschichte des Glaubens an und hat damit unschätzbares Gewicht für die Läuterung der christlichen Identität. 4.4. Systematische

Theologie

Ist der einheitliche Gegenstand aller ponderablen christlichen Theologie die christliche Gewißheit - die Gewißheit der Wahrheit des Evangeliums von dem versöhnenden und vollendenden Handeln Gottes des Schöpfers in Jesus Christus, die durch ihr Offenbarwerden im Heiligen Geist geschaffen wird, und damit der Inbegriff der notwendigen und der hinreichenden Bedingungen ihres rituell-liturgischen, ihres ethisch-diakonischen und ihres ästhetischen Praktisch-Werdens im Verhältnis zur jeweiligen sozialen Umwelt der Kirche - , so besteht die spezifische Funktion der Systematischen Theologie darin, den Anspruch auf Wahrheit, auf Gültigkeit und damit auf Verstehen und intersubjektive Anerkennung zu entfalten, der diesen Mitteilungsformen wegen ihres Gegenstandsbezugs innewohnt. Zwar schließt der Traditionsprozeß des Christentums in den verschiedenen institutionellen Formen, in denen er sich vollzieht, schon immer die Aufgabe ein, die kirchliche Lehre als schriftgemäße Reflexionsgestalt über diesen Gegenstand - und damit über die Bedingungen der individuellen Teilhabe an den Ausdrucksformen, an der Ethosgestalt und an der Schönheit der Glaubensgewißheit - verstehbar zu machen (fides quaerens intellectum [s.o. 2.]). Aber gegenüber den mannigfachen Formen elementarer katechetischer Anleitung (—»Katechetik) zeichnet sich ein funktionaler Begriff Systematischer Theologie durch ein Explikationsniveau aus, für das folgende Näherbestimmungen gelten. 4.4.1. Als Anleitung zum je gegenwärtigen Verstehen des Wahrheitsanspruchs der kirchlichen Lehre - sowohl für die kirchliche Gemeinschaft als auch für eine jeweilige interessierte gesellschaftliche Öffentlichkeit - bedarf die systematische Disziplin einer Prinzipienlehre (vgl. o. 4.1.). Die Prinzipienlehre entfaltet die Voraussetzungen, unter denen die theologische Theorieaufgabe insgesamt allererst möglich ist. Zu ihnen gehört erstens die Besinnung auf die Gegebenheitsweise dieses Gegenstandes; diese hat in der gegenwärtigen kirchengeschichtlichen Lage auf jeden Fall den konfessionellen Gegensatz zwischen dem römisch-katholischen Autoritätsprinzip (s.o. II/4.2.) und dem genuin reformatorischen Schriftprinzip als den beiden — vorläufig noch - kontradiktorisch entgegengesetzten Weisen zu erörtern, die Normalität des kirchlichen Zeugnisses zu erheben. Zweitens gehört zu diesen Voraussetzungen die Begründung des systematischen Verfahrens, das dieser Gegebenheitsweise gerecht wird und das mit einer Erörterung der unhintergehbar analogen, symbolischen bzw. metaphorischen Natur der religiösen Rede zu beginnen hat. Sie schließt übrigens auch die Entscheidung über den anzustrebenden „wissenschaftlichen Ausdruck" (Schleiermacher, KD §§ 209 ff.) ein, d.h. über die größtmögliche begrifflich-kategoriale Bestimmtheit, die die systematische Reflexion gegenüber den Quellensprachen der kanonischen Texte und gegenüber den symbolischen, rhetorischen und poetischen Mitteilungsformen im christlichen Gesamtleben anzustreben hat. Der Suche nach solcher größtmöglicher Bestimmtheit kommt seit der alexandrinischen Theologie deshalb so großes Gewicht zu, weil sie die hermeneutische Aufgabe orientiert, den Sachbezug und damit die Semantik bzw. die Extension der überlieferten Mitteilungsformen eines Lebens aus Glaubensgewißheit zu erschließen. Drittens

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gehört zu diesen Voraussetzungen schließlich die Besinnung auf die grundsätzliche Einheit von -»Dogmatik und Ethik (Schleiermacher; R. -»Rothe; F.H.R. [von] -»Frank; M. —»Kahler; K. -»Barth) im Gegenzug zur grundsätzlichen Verselbständigung der theologischen Ethik seit G. -»Calixt — einer Einheit, die sich aus der lebensbestimmenden Kraft der christlichen Daseinsgewißheit ergibt und in die nunmehr auch die theologische -»Ästhetik aufzunehmen ist (Stock/Roth). Die sorgsame Entwicklung dieser Voraussetzungen wird nicht nur die in der Perspektivität der Frömmigkeit begründete, unhintergehbare Perspektivität der Glaubenslehre im ganzen erkennen lassen; sie wird auch die dialogische Absicht der systematischen Reflexion als dialektischer Bezugnahme auf die konfessionell und positionell verschiedenen systematischen Problemlösungen in der jeweiligen Gegenwart, also die Anerkennung ihrer wohlverstandenen „Kirchlichkeit" (Schleiermacher, KD § 196) unter Beweis stellen. Ihre unvermeidlich historische Form schließt ihren assertorischen Charakter nicht aus, sondern gerade ein. 4.4.2. Als Anleitung zum je gegenwärtigen Verstehen des Wahrheitsanspruchs der Glaubenslehre intendiert die systematische Disziplin den Zusammenhang dessen, was der Theologie insgesamt als ihr Gegenstand gegeben ist. Im Unterschied zu dessen heilsgeschichtlicher Anordnung empfiehlt sich für evangelische Theologie eine Ordnung der materialen Dogmatik, die das subiectum theologiae (Martin Luther) ins Zentrum stellt und von diesem her die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes als Grund und Ziel einer „Bildungsgeschichte" (Herms, Gesellschaft) des geschöpflichen Daseins entwickelt. Diese Ordnung zeigt, wie sich die Erlebnis- und Handlungsgegenwart der durch eine gemeinsame Wahrheitsgewißheit zum Volke Gottes aus Juden und Heiden zusammengeschlossenen Einzelnen im Rahmen einer Perspektive von Ganzheit, von Wirklichkeit deuten und gestalten läßt. Demgemäß wird die materiale Dogmatik wenigstens vier Gedankenkreise zu unterscheiden haben. Sie entfaltet erstens die Gotteserkenntnis des christlichen Glaubens als die Erkenntnis derjenigen einen, transzendenten, absolut guten Ursprungsmacht, die kraft ihrer ewigen Entschiedenheit, einer geschöpflichen Welt zum höchsten Guten zu werden, in ihrer Lebendigkeit und Treue sich verstehbar und erfahrbar zu vergegenwärtigen vermag (vgl. Ex 3,14). Sie entfaltet zweitens in der Form der Lehre von der Schöpfung die Welterkenntnis des christlichen Glaubens, die die natürlichen (kosmologischen) Voraussetzungen und die Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Daseins namhaft macht und dabei auf die großen ontologischen bzw. metaphysischen Themenfelder des Seiend-Seins (Raum, Zeit, Materie, Bewegung, Evolution, Ideen) und auf den Begriff geschöpflicher Personalität als endlicher und abhängiger Freiheit und der damit gesetzten Bestimmung, aber auch auf das Problem des Schlechten und des Übels zu sprechen kommen muß (s.o. 4.1.). Sie entfaltet drittens in der Form der Lehre von der -»Sünde und der -»Rechtfertigung das Heils- und Offenbarungsgeschehen der Auferweckung des Gekreuzigten, in welchem jene eine, transzendente, absolut gute Ursprungsmacht sich gegenüber der menschlichen Selbstverfehlung als der Heilige Geist der Wahrheit, der Liebe und der Hoffnung konkretisiert und dadurch ein bestimmungsgemäßes Leben in der Ordnung der Liebe erschafft. Und sie entfaltet viertens in der Form der Lehre von der Vollendung die in der Liebe des Glaubens und der Hoffnung verankerte, zuversichtliche Erwartung einer absoluten Zukunft, in der „Gott abwischen wird alle Tränen von ihren Augen" (Apk 21,4) und damit die Verborgenheit seines Heilssinnes aufhebt. Indem die materiale Dogmatik mit diesen vier Gedankenkreisen die Erlebnis- und Handlungsgegenwart der christlichen Existenz auslegt, gibt sie auch eine Antwort auf die Frage, unter welchen notwendigen und hinreichenden Bedingungen das geschöpfliche Dasein seiner Bestimmung zur cooperatio cum Deo gerecht zu werden vermag, und identifiziert damit den systematischen Ort der theologischen Ethik. 4.4.3. Die durch Gottes Geist in der Wahrheitsgemeinschaft der Kirche zusammengeschlossenen Einzelnen haben ihr je gegenwärtiges Leben im Zusammenleben mit an-

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deren Ethosgestalten im Rahmen und unter den Regeln des sozialen Systems selbst zu gestalten. Deshalb schließt die Systematische Theologie notwendigerweise eine Theorie der konkreten Sittlichkeit ein, die die ethische Orientierung für das Handeln und das Leiden im Horizont der Glaubensgewißheit zum Gegenstand hat. Sie mündet in eine Lehre von der Verantwortung und von der ethischen Urteilsbildung. Der Blick auf die Theoriegeschichte der theologischen Ethik läßt erkennen, daß eine Verselbständigung dieser Disziplin nur aus technischen Gründen zweckmäßig war und ist. Denn theologische Ethik, die in einer Theorie der Verantwortung ihre Pointe hat, geht von fundamentalethischen Prämissen aus, die letztlich auf dem Wege fundamentaltheologischer Argumentation und materialer Dogmatik zu begründen und zu entfalten sind (anders Rendtorff). Zu diesen fundamentalethischen Prämissen einer konkreten ethischen Entscheidungsund Urteilsbildung gehören insbesondere die fundamentalanthropologischen Bestimmungen humaner Personalität (s.o. 4.4.2.). In theologischer Perspektive bezeichnet dieser Begriff das geschöpfliche, leib-seelisch existierende Dasein im Sinne eines Gefüges von Gottesverhältnis, Weltverhältnis und Selbstverhältnis der Person. Er benennt die grundlegende Möglichkeitsbedingung für das menschliche In-der-Welt-Sein: nämlich im Rahmen der Regeln des Naturgeschehens die eigene Gegenwart in der Kommunikation und Interaktion mit seinesgleichen im Lichte eines Lebensziels (eines Woraufhin bzw. eines Worumwillen als des Guten) frei bestimmen, aber von der Gewißheit eines Lebensziels im Selbstgefühl abhängig sein und dessen Bestimmtheit im Gewissen erleben zu müssen. Aus diesem Begriff ergibt sich im übrigen, daß die Aufgabe der Selbstgestaltung des Lebens nicht nur die Sozialität des Daseins — das Dasein in den Institutionen des sozialen Lebens - , sondern auch die Religiosität des Daseins - das Dasein in den Traditionen religiös-weltanschaulicher Orientierung - betrifft (vgl. schon Rothe V, 396-509). Auf dem Boden dieser Prämissen entfaltet die theologische Ethik die spezifisch christliche Sicht des allgemeinen (uns Menschen allen gestellten) ethischen Problems. Sie interpretiert in der Form der Pflichtenlehre (-»Pflicht) die christliche Sicht der normativen Sachverhalte als eine in der Glaubensgeschichte Israels verwurzelte und in Jesu Botschaft von der verborgenen, der unscheinbaren Gegenwart des Reiches Gottes (-»Herrschaft Gottes/Reich Gottes) vollzogene Auslegung der ursprünglichen Schöpfungsnorm (-»Dekalog; -»Bergpredigt im Sinne des primus usus legis). Indem sie die kanonische Sicht dessen, was sein soll, begründet, grenzt sie sich von dem Grundsatz der allgemeinen Erkennbarkeit des natürlichen Sittengesetzes im Sinne der römisch-katholischen Lehre, aber auch von den rein formal-prozeduralen Deutungen des Sittlichen in der Folge der Moralphilosophie Kants ab (-»Sitte/Sittlichkeit). Sodann beantwortet die theologische Ethik die allgemeine ethische Frage der Normenbefolgung im Lichte der soteriologischen und der ekklesiologischen Reflexion der -»Rechtfertigung des sündigen Menschen. Sie entfaltet gegenüber den Theorien der Entwicklung des moralischen Urteils wie gegenüber abstrakten Gesinnungsethiken den gemeinchristlichen Grundgedanken, daß sich die Erfüllung der ursprünglichen Schöpfungsnorm - das Leben in der Ordnung der Liebe - der geistgewirkten Gewißheit der wahren Liebe Gottes und damit der verstehenden Teilhabe an der kirchlichen Wahrheitsgemeinschaft verdankt. Sie beschreibt aber auch gegenüber den abstrakten Gehorsamsethiken die „Freude an dem, was sein soll" (Stock, Tugendlehre 146ff.): den Wandel des affektiven Lebens, der sich in der Spontaneität und der Zielstrebigkeit des richtigen und des gekonnten Handelns äußert. So entwirft sie im Gespräch mit moralphilosophischen Konzeptionen eine realistische Gestalt der Tugendlehre (-»Tugend), die die Auseinandersetzung mit den aus dem Sünder-Sein der Person entspringenden Lastern nicht außer acht läßt und auch das Ertragen des Leids der Endlichkeit - der Krankheit, der Behinderung und des Sterbens — als Aufgabe der vita christiana nicht verschweigt. Schließlich zeigt die theologische Ethik in der Form einer Güterlehre, in welcher Weise die Mitglieder der kirchlich verfaßten Wahrheitsgemeinschaft des Glaubens an-

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gesichts der enormen technischen und ethischen Herausforderungen in einer heraufkommenden Weltgesellschaft verantwortlich handeln können (Herms, Gesellschaft; Honecker; Rendtorff). Sie unterstellt einen substantiellen Begriff der Güter als wünschenswerter und vorzugswürdiger (und deshalb auch zu schützender und zu verteidigender) Resultate menschlicher Kommunikation und Kooperation. Dabei stützt sie sich auf die - auch die historische Systematik orientierende (s.o. 4.3.4.) - sozialtheoretische Erkenntnis, daß diese Güter von der Verfassung, von den System- und Ordnungsentscheidungen über die Regeln der sozialen Interaktion in der Wirtschaft, in der politischen Herrschaft, im Bildungs- und Wissenschaftswesen, in der Kunst und in der Medienwelt abhängig sind, wie umgekehrt die Qualität dieser System- und Ordnungsentscheidungen in dem Interesse der Akteure und damit in ihrer Bildungsgeschichte verankert ist. Gerade weil die Güterlehre die individuelle Verantwortung in den funktionalen Positionen (den Berufen) einschärft, schließt sie notwendigerweise eine Theorie der medialen Präsenz der Kirche in den Öffentlichkeiten der Gesellschaft ein, die die Anleitung der Kirche zur ethischen Urteilsbildung (vgl. besonders Honecker) reflektiert. Eine mit dem Schwerpunkt der Güterlehre konzipierte Sozialethik wird angesichts der Globalisierungsprozesse der Gegenwart insofern „ökumenische Sozialethik" (Robra) sein, als sie bewegt und getragen sein wird von der Solidarität mit den elementaren Nöten der Menschheit hinsichtlich der äußeren und der inneren Lebensbedingungen und nach Wegen sucht, das Leitbild der „verantwortlichen Gesellschaft" (Wendland) weltweit einleuchtend zu machen. So ist die theologische Ethik insgesamt von einer Sicht des Höchsten Guten charakterisiert, die die inhaltliche Füllung der sozialethischen Leitideen der Gerechtigkeit und des Friedens und damit die Erfassung und die Lösung ethischer Probleme entscheidend prägt und die Selbstbestimmung der Glaubensgemeinschaft zur cooperatio cum Deo konkretisiert. 4.4.4. Intendiert die systematische Begriffssprache auf dem Boden der fundamentaltheologischen Reflexion die Beschreibung des Verstehensprozesses, in dem die Mitglieder der Wahrheitsgemeinschaft der Kirche im kritischen Dialog mit alternativen religiösweltanschaulichen Überzeugungen existieren, so erübrigt sich eine besondere systematische Teildisziplin der - » A p o l o g e t i k , weil diese die Arbeit aller theologischen Disziplinen angeht (vgl. Roth). 4.4.5. Die jeweilige Erlebnisgegenwart der in der Wahrheitsgemeinschaft des Glaubens verbundenen Einzelnen umfaßt auch die ästhetische Erfahrung der Wirklichkeit und ihre Verdichtung in den Formen des artifiziellen Kunstwerks. Die ästhetische Erfahrung der Wirklichkeit erblickt oder entdeckt das Schorf-Sein .(-»Schönheit) des. Seienden auch und gerade in seiner Verhülltheit durch das Schreckliche, das Häßliche und das Entsetzliche und sucht es in der Weise des darstellenden Handelns zu erfassen, die ursprünglich der Rede des Glaubens von Gott und mit Gott und der gemeinsamen Feier der vermittelten Realpräsenz Gottes (-»Abendmahl) zu dienen bestimmt ist. Aus diesem Grunde schließt die Exegetische Theologie die Betrachtung der Bibel als sprachliches Kunstwerk und schließt die Historische Theologie die Erforschung des christlichen Gesamtlebens in seiner die Kunstgeschichte prägenden und beeinflussenden Kraft ein. 4.5. Praktische

Theologie

4.5.1. In der individuellen Lebensgeschichte wird die gemeinschaftsstiftende Wahrheitsgewißheit des Glaubens - als ein singulärer Fall von religiös-weltanschaulicher Daseinsgewißheit überhaupt - in ihrer existenztragenden und lebenspraktischen (die soziale Identität der Glaubenden bestimmenden) Bedeutung nicht in einem Nu gewonnen, sowenig sie in den Entscheidungen über die Selbstgestaltung des Lebens, in den Konflikten und im konkreten Schuldig-Werden, im Leid des Hungers und der Unterdrückung, der -•Krankheit, des -»Zweifels und des Sterbens (-»Tod) fraglos aufrechterhalten bleibt. Sie erschließt sich vielmehr nur in Lern- und Bildungsprozessen; sie ist angewiesen auf

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den Zuspruch des göttlichen Segens und auf die regelmäßige Teilnahme an der Ursprungssituation des Glaubens und deren liturgischer Vergegenwärtigung in der gottesdienstlichen Feier; sie lebt von den Diskursformen im Rahmen verschiedener Gemeindetypen und von der meditativen Pflege der Frömmigkeit; sie bedarf der Gestaltung an den festlichen Höhepunkten wie der Begleitung in den Krisen- und Grenzsituationen des Lebens; und sie erfordert nicht zuletzt eine der Wahrheitsgemeinschaft des Glaubens entsprechende Kirchenverfassung. Als die dem Heilswillen Gottes des Schöpfers entsprechende Wahrheitsgewißheit eines individuellen leib-seelischen Lebens in seiner sichtbaren geschichtlichen Erscheinung bedarf sie also der Leitung. Unter den Voraussetzungen des reformatorischen Kirchenverständnisses wird die Praktische Theologie als „Krone" des theologischen Studiums im Unterschied zum episkopal-sakramentalen Paradigma des römischen Katholizismus an einer der evangelischen Glaubensweise entsprechenden Idee von Kirchenleitung als „Seelenleitung" (Schleiermacher, Praktische Theologie 40) orientiert sein, die der selbständigen Urteils- und Handlungsfähigkeit der Mitglieder der kirchlich verfaßten christlichen Überzeugungsgemeinschaft dient (Dinkel). Deren Lebenspraxis ist das Worumwillen derjenigen Praxis, und zwar derjenigen beruflichen, professionellen Praxis, als deren theologische Theorie sich unter ihren neuzeitlichen Konstitutionsbedingungen (Ahlers; Drehsen; Gräb, Kirche; Karle, Seelsorge) Praktische Theologie entwickelt hat. Im Bezug auf sie konkretisiert sich die Tbeologizität aller theologischen Disziplinen. Diese Idee erlaubt es, die spezifischen Funktionen des Pfarramts (-»Pfarrer), des Lehramts an öffentlichen Schulen (-»Religionsunterricht), der kirchlichen Bildungseinrichtungen, der diakonischen Verbände, der kirchlichen Publizistik und schließlich der Kirchenorganisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (und deren kirchenrechtlicher Reflexionsgestalten) unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu begreifen, der in einer „Kirchentheorie", einer Theorie der Kirche als spezifischer „Bildungsinstitution" in ihrer sozialen Umwelt als Bindeglied zwischen systematischer Ekklesiologie und Praktischer Theologie (Preul, Kirchentheorie), zu begründen und zu entfalten ist. 4.5.2. Nach reformatorischer Erkenntnis gründet die Wahrheitsgewißheit des Glaubens in demjenigen Offenbarungsgeschehen, das die menschliche Mitteilung dieser Wahrheit in verschiedenen Kommunikationssituationen voraussetzt und in Dienst nimmt. Diese Erkenntnis geht davon aus, daß diese Mitteilung selbst als gutes Werk, als „Medium der Identitätsdarstellung" (Preul, Luther 13) und damit als Ausdrucksgestalt und Mitteilungsform der Liebe des Glaubens zu verstehen ist, die die Lebenspraxis der cooperatio cum Deo in den Institutionen des sozialen Lebens möglich machen will. Insofern ist die Aufgabe der professionellen Praxis in den verschiedenen theologischen Berufsrollen und insbesondere im Pfarramt (vgl. zuletzt Karle, Pfarrberuf) mit der elementaren Aufgabe des allgemeinen Priestertums (—• Priester/Priestertum II) identisch. Sie unterscheidet sich von den Erfordernissen des allgemeinen Priestertums dadurch, daß sie diese identische Aufgabe in öffentlichen Situationen wahrnimmt (vgl. Härle) und dafür auf die - selbst lebensgeschichtlich geprägte - Einübung in methodische und methodologische Kompetenzen angewiesen ist, in deren theoretischer Erörterung sich die gegenwärtige Praktische Theologie auf verschiedenen Wegen (vgl. jetzt Schröder) als „kritische Integrationswissenschaft" (H. Schröer: TRE 27,210,51) versteht. Als diese „kritische Integrationswissenschaft" setzt die Praktische Theologie die exegetische, die historische und die systematische Kompetenz voraus und macht sie sich zunutze: nämlich die Einsicht in die Wahrheit des biblischen Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses, die Einsicht in das Wesen des christlichen Glaubens, die Einsicht in das Verständnis der ethischen Entscheidungen der Person sowie die Einsicht in die geschichtswirksamen Tendenzen und Faktoren, welche die Gegenwart der Kirche als des Systems der „Kommunikation des christlichen Wirklichkeitsverständnisses" (Preul, Kirchentheorie 153ff.) bestimmen (vgl. Grundlagen 53f.). Zu diesen Voraussetzungen zählt

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auch die fundamentaltheologisch und prinzipientheoretisch zu begründende Fähigkeit, für die theoretische Beschreibung des Alltags innerhalb der natürlichen und sozialen Welt von den nichttheologischen Wissenschaften zu lernen und zugleich den kritischen Dialog mit ihnen zu pflegen (Grundlagen 54; vgl. Daiber). Unter diesen Voraussetzungen entwickelt die Praktische Theologie als Basis ihrer Subdisziplinen (-»Liturgiewissenschaft/Liturgik; -»Homiletik; —•Seelsorgelehre; -»Kybernetik; Religionspädagogik) ein Leitbild der Praxissituatiott des Dienstes der Versöhnung (vgl. II Kor 5,18), das die Aufgabe der zusammenstimmenden Kirchenleitung ernst nimmt und von daher die verschiedenen praktisch-theologischen Theorieansätze und Fragestellungen zu vermitteln vermag. Für die sachgemäße Bestimmung dieses Leitbilds der Praxissituation des „Dienstes der Versöhnung" ist erstens der wahrnehmungstheoretische Ansatz wichtig, der im Anschluß an das Programm der „Evangelischen Kirchenkunde" mit dem Hauptzweig einer „religiösen Volkskunde" (Drews) die „religiöse Lage der Gegenwart" (Tillich) und ihre mannigfachen religionskulturellen Suchbewegungen (Grözinger; Gelebte Religion) und -»Synkretismen (besonders W. Sparn: T R E 32,552-556), aber auch die konträren Orientierungsmuster in der kirchlichen Mitgliedschaft und ihren verschiedenen Milieus (Hauschildt, Milieus) erforscht. Hier gilt es, im Rückgriff auf den fundamentaltheologischen und fundamentalethischen Diskurs einen prägnanten Begriff der „Religion im gesellschaftlich-öffentlichen R a u m " (Gelebte Religion 13-95) zu gewinnen, der zwischen der faktischen Wirksamkeit religiös-weltanschaulicher Überzeugung in der sozialen Praxis und der durchaus problematischen Präsenz der Kirche und der Theologie in der Medienwelt zu unterscheiden hilft. Darüber hinaus ist zweitens der lern- und entwicklungstheoretische Ansatz bedeutungsvoll, der darauf achtet, daß die Wahrheitsgewißheit des Glaubens sich nicht anders als in der konfliktreichen Entwicklung einer individuellen Lebensgeschichte und in den Phasen eines Lebenszyklus deo volente erschließt, und der damit nicht nur den Reichtum der biographischen und autobiographischen Literatur fruchtbar zu machen (Schweitzer, Lebensgeschichte), sondern auch die Funktion der Amtshandlungen neu zu bestimmen vermag (Gräb, Lebensgeschichten). Im übrigen stellt dieser Ansatz auch die Brücke zur Theoriegeschichte der Religionspädagogik her, in der Gesichtspunkte einer - bislang oft vernachlässigten - kritischen Schulgeschichte (-»Schule/Schulwesen) mit Gesichtspunkten eines genuin theologischen Bildungsbegriffs zu vermitteln sind. Wie jener erstgenannte macht auch dieser letztgenannte Ansatz nur im Zusammenhange der konkreten historischen Bestimmung der realen Gegenwart Sinn. Drittens gilt es zu sehen, daß diese beiden Theorieansätze darauf konzentriert sind, die religionskulturellen Rahmenbedingungen und die entwicklungspsychologischen Verlaufsformen zu erhellen, unter denen die professionellen Verfahrensweisen in der Praxis der theologischen Berufe stehen. Ist deren Ziel die je eigene Teilhabe an der Wahrheitsgemeinschaft des Glaubens und darin das je eigene Gespräch mit Gott und die je eigene Selbstverantwortiyig in der sozialen Welt, so konvergieren die einzelnen Subdisziplinen der Praktischen Theologie in der Praxis der jeweils situationsgerechten Interpretation des verbum externum in seinen verschiedenen Gestalten und damit in der „Darstellung christlich bestimmter personaler Identität" (Preul, Luther 30). Gottesdienst und Predigt, Seelsorge und Unterricht, Gemeindeaufbau und Medienpräsenz dienen der situativ variierenden, beschreibenden Vergegenwärtigung (ebd. 84ff.) eines Lebens im Lichte der Glaubensgewißheit, wie es im kanonischen Offenbarungszeugnis selbst und in der davon bestimmten theologischen Existenz seiner Interpreten in der Geschichte des christlichen Gesamtlebens zum Ausdruck kommt. Aus alledem ergibt sich, daß die praktisch-theologische Theoriebildung um den Begriff der kommunikativen Kompetenz zentriert ist (ebd. 33). Diese wird in der Fähigkeit konkret, mit Menschen aller möglichen sozialen Gruppen und Herkunftsgeschichten sprechen, in helfenden Gesprächen verschlüsselte Signale der Angst und der Hoffnung

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entziffern, in kognitiven Lehr- und Lernprozessen erzählen, fragen, argumentieren, im Gottesdienst in die „Kunst, Gott zu feiern" (Volp), einführen und darin stets das eigene Affiziert-Sein von der Wahrheit des Evangeliums zeigen zu können. Sie ist im Kern auch im Umgang mit ikonischen (—»Bilder VII) und musikalischen Zeichen (—»Musik und Religion IV) und in der Einbeziehung rhythmischer Expressivität (—>Tanz II) sprachliche Kompetenz (Preul, Kirchentheorie 269ff.) und damit dialogische Kompetenz. Sie sucht in den einzelnen Kommunikationssituationen Sinn und Bedeutung anderer Rede in Hinsicht auf die Frage nach der Wahrheit des Evangeliums zu verstehen und dadurch dessen bisherige Interpretation dergestalt zu bereichern und zu erweitern, daß die erhellende, die Wirklichkeitserschließende Kraft des Glaubens zum Vorschein kommt. Wie sie selbst nur in einem eigenen Verstehensprozeß möglich ist, realisiert sie sich in einem hermeneutischen Verfahren (Hauschildt, Seelsorge) auf eine der Textpragmatik des kanonischen Offenbarungszeugnisses analoge Weise. Dieses hermeneutische Verfahren ist der methodischen und methodologisch reflektierten Orientierung an Kunstregeln (Schleiermacher, KD § 132.265) fähig und bedürftig, die die praktisch-theologischen Subdisziplinen insbesondere auf den Gebieten der -»Rhetorik (Otto), der Gesprächsführung, der Didaktik und der Unterrichtsplanung und -gestaltung erörtern. Es liegt im Begriff der Methode, daß sie selbst ein Element des Ziels ist, das mit ihrer Hilfe angestrebt wird. Indem der streng funktional verstandene theologische Fächerkanon in die Ausbildung der praktisch-theologischen Methodenlehren mündet, weiß er sich insgesamt dem ideologie- und götzenkritischen Ziel verpflichtet, in der Wahrheitsgemeinschaft des Glaubens die je eigene Dialog-, Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit - also die „Freiheit eines Christenmenschen" (Martin Luther) menschlich möglich zu machen. Umgekehrt wird die methodisch angeleitete dialogische Kompetenz - diese „Krone" des theologischen Studiums — nur real werden, wenn sie tatsächlich aus dem Inbegriff der exegetischen, der historischen und der systematischen Kompetenz erwächst. 5. Theologie

als

Habitus

Das Studium der Theologie und das „Bilden einer eignen Überzeugung" (Schleiermacher, KD § 219) in demselben gelingt nur unter einer doppelten Bedingung: daß es verankert bleibt in jenem Studium „in der Theologie", das sich nach Luther im Gebet, in der Meditation und in der Anfechtung vollzieht (WA 50,657—661), und daß es getragen wird von der „Lust und Liebe" (BSLK 661,35ff.), die die affektive Wirkung der stets angefochtenen Glaubensgewißheit ist. Das Studium „in der Theologie", in dem Laien und Theologen miteinander existieren, hat immer schon mit den Reflexionsgestalten zu tun, aus denen sich die ausdrückliche wissenschaftliche Form ergibt. Aber der wissenschaftlichen Form droht die Eitelkeit, wenn sie sich nicht in der Erfahrung des „angefochtenen Glaubens" (Ratschow) und d.h. im „Widerstreit von Glaube und Erfahrung" (Härle 455) bewegt. Literatur Zu 1.: Paul Althaus, Die christl. Wahrheit. Lb. der Dogmatik, Gütersloh, I 1947 II 1948. Karl Barth, K D . - Ders., Einf. in die ev. T h e o l . , Zürich 1962. - Oswald Bayer, Theol., 1994 ( H S T 1). - Ders., Gott als Autor. Z u einer poietologischen Theol., Tübingen 1999. - Rudolf Bultmann, Theol. Enzyklopädie, hg. v. Eberhard Jüngel/Klaus W. Müller, Tübingen 1984. - Christoph Dinkel, Kirche gestalten - Schleiermachers Theorie des Kirchenregiments, 1996 (SchlA 17). - Gerhard Ebeling, Studium der Theol. Eine enzyklopädische Orientierung, Tübingen 1975 = 1977 ( U T B 446). - Einf. in das Studium der ev. Theol., hg. v. Henning Schröer, Gütersloh 1982. - E d w a r d Farley, Theologia. T h e Fragmentation and Unity of Theol. Education, Philadelphia, Pa. 1983. — Grundlagen der theol. Ausbildung u. Fortbildung im Gespräch, hg. v. Werner Hassiepen/Eilert Herms, Stuttgart 1993 (Reform der theol. Ausbildung 14). - Karl Rudolf H a g e n b a c h , Encyklopädie u. Methodologie der theol. Wiss., Leipzig 1833. - L e o n h a r d Hell, Entstehung u. Entfaltung der theol. Enzyklopädie, M a i n z 1999. - Eilert H e r m s , W a s heißt „theol. K o m p e t e n z " ? : W z M 3 0 (1978) 2 5 3 - 2 6 5 = ders., T h e o r i e f. die Praxis - Beitr. zur T h e o l . , München 1982, 3 5 - 4 9 . - Eberhard Jüngel, Das Verhältnis

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Theologie III

343

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Perspektiven hermeneutischer Theol., Neukirchen-Vluyn 2000, 75 - 96. - Isolde Karle, Seelsorge in der Moderne, Neukirchen-Vluyn 1996. - Dies., Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Gütersloh 2001 (Prakt. Theol. u. Kultur 3). - Gert Otto, Predigt als Rede. Uber die Wechselwirkung v. Homiletik u. Rhetorik, Stuttgart 1976. - Reiner Preul, Luther u. die Prakt. Theol. Beitr. zum kirchl. Handeln in der Gegenwart, 1989 (MThSt 25). - Ders., Kirchentheorie (s.o. zu 3.). - Friedrich D.E. Schleiermacher, Prakt. Theol. (s.o. zu 1.). - Bernd Schröder, In welcher Absicht nimmt die Prakt. Theol. auf Praxis Bezug?: Z T h K 98 (2001) 101 - 1 3 0 . - Friedrich Schweitzer, Lebensgesch. u. Religion. Rel. Entwicklung u. Erziehung im Kindes- u. Jugendalter, München 1987 Gütersloh *1999. - Ders., Die Religion des Kindes. Zur Problemgesch. einer religionspädagogischen Grundfrage, Gütersloh 1992. - Reiner Strunk, Vertrauen. 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Konrad Stock

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Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

Theologie des Alten und Neuen Testaments -»Biblische Theologie

Theologie und Philosophie —»Glaube und Denken; -»Philosophie; -»Theologie, Christliche

Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 1. Bedeutung und Entstehung 2. Theologiegeschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert 3. Zur Verwissenschaftlichung der Theologiegeschichtsschreibung (Quellen und Literatur S. 347)

1. Bedeutung und

Entstehung

Die moderne Theologiegeschichtsschreibung bildet sich in der „Sattelzeit" (Koselleck) von 1750-1850 als Teil der Geschichte der „gelehrten", der Universitätstheologie heraus (explizit Will 325f.) und ist negativ von der Kirchen- (als Institutionen-) und Dogmengeschichte (der kirchlichen Lehren) strikt abzugrenzen (-»Kirchengeschichtsschreibung; -»Dogmengeschichtsschreibung). Innerhalb der Übergangssemantik von (noch aristotelisch geprägten) Erfahrungs- und (modernen) Erwartungsbegriffen stellt „Theologiegeschichte" einen Neologismus dar, der besonders für den neuzeitlichen -»Protestantismus charakteristisch bleibt. Dafür sind die Professionalisierungs-, Historisierungs- und Relativierungsschübe die unabdingbare Voraussetzung gewesen. Daß die gelehrte -»Theologie überhaupt zu einem eigenen Gegenstand des Forschungsinteresses avanciert, setzt zunächst die seit J.S. -»Semler bestehende Grundunterscheidung von allgemeiner -»Religion und Theologie von Berufstheologen für Berufstheologen voraus. Mit der Theologiegeschichte reflektiert die protestantische Theologie die neuzeitlichen sozialen Ausdifferenzierungsprozesse innerdisziplinär. Daß dies im Medium der Historiographie geschieht, unterstreicht sodann die Teilnahme der Theologie an der allgemeinen Herausbildung des historischen Bewußtseins und der modernen Geschichtswissenschaft seit L. von -»Ranke (vgl. Crouter/Graf/Meckenstock 2). In diesem Historisierungsschub spiegelt sich die Erfahrung der durch beschleunigte Veränderungen (die politische und industrielle „Doppelrevolution") herausgebildeten modernen, funktional differenzierten Gesellschaft (Niklas Luhmann [1927-1998]), die das Bewußtsein ihrer eigenen Singularität und Abständigkeit von der Vergangenheit auf den Umgang mit vergangenen Epochen projiziert. Im Medium der Geschichtsschreibung versucht sich die Systematische Theologie ihrer eigenen Wahrheit zu vergewissern. Damit wird die gelehrte Theologie, die sich als nichts anderes als Theologien der Gelehrten (Universitätsprofessoren) erweist, schließlich als eine prinzipiell zeitbedingte Größe beobachtet und dezidiert in die allgemeine Kulturund Bildungsgeschichte hineingestellt (programmatisch schon bei Christian Wilhelm Flügge, Einleitung in die Geschichte der theologischen Wissenschaften, Halle 1799; zit. Crouter/Graf/Meckenstock 3). Daher muß die protestantische Theologie in ihrer historischen Selbstreflexion die schmerzhafte Erfahrung verarbeiten, daß jedenfalls ihre Wahrheit (im Unterschied zum Anspruch des konfessionellen Katholizismus auf Uberzeitlichkeit in einem antimodernistischen Kontext: Crouter/Graf/Meckenstock 4; vgl. Nipperdey, Geschichte 1800-1866, 406-415) einen unaufgebbaren und vor allem auch unaufhebbaren Zeitkern hat. Die Historiographie stellt den Versuch zur Selbsterfassung des durch die -»Aufklärung veränderten -»Neuprotestantismus dar. Aber auch die katholische Theologiegeschichte partizipiert an dieser modernen Gesamttendenz, da sie insbesondere die eigene „katholische Aufklärung" der Gelehrten als eigenständige innerkirchliche Reformbewegung des 18. Jh. rehabilitiert hat (van Dülmen 137-150; Plongeron), wenn auch der Akzent sonst eher auf Papst- und Institutionengeschichte und

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Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

Theologie des Alten und Neuen Testaments -»Biblische Theologie

Theologie und Philosophie —»Glaube und Denken; -»Philosophie; -»Theologie, Christliche

Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 1. Bedeutung und Entstehung 2. Theologiegeschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert 3. Zur Verwissenschaftlichung der Theologiegeschichtsschreibung (Quellen und Literatur S. 347)

1. Bedeutung und

Entstehung

Die moderne Theologiegeschichtsschreibung bildet sich in der „Sattelzeit" (Koselleck) von 1750-1850 als Teil der Geschichte der „gelehrten", der Universitätstheologie heraus (explizit Will 325f.) und ist negativ von der Kirchen- (als Institutionen-) und Dogmengeschichte (der kirchlichen Lehren) strikt abzugrenzen (-»Kirchengeschichtsschreibung; -»Dogmengeschichtsschreibung). Innerhalb der Übergangssemantik von (noch aristotelisch geprägten) Erfahrungs- und (modernen) Erwartungsbegriffen stellt „Theologiegeschichte" einen Neologismus dar, der besonders für den neuzeitlichen -»Protestantismus charakteristisch bleibt. Dafür sind die Professionalisierungs-, Historisierungs- und Relativierungsschübe die unabdingbare Voraussetzung gewesen. Daß die gelehrte -»Theologie überhaupt zu einem eigenen Gegenstand des Forschungsinteresses avanciert, setzt zunächst die seit J.S. -»Semler bestehende Grundunterscheidung von allgemeiner -»Religion und Theologie von Berufstheologen für Berufstheologen voraus. Mit der Theologiegeschichte reflektiert die protestantische Theologie die neuzeitlichen sozialen Ausdifferenzierungsprozesse innerdisziplinär. Daß dies im Medium der Historiographie geschieht, unterstreicht sodann die Teilnahme der Theologie an der allgemeinen Herausbildung des historischen Bewußtseins und der modernen Geschichtswissenschaft seit L. von -»Ranke (vgl. Crouter/Graf/Meckenstock 2). In diesem Historisierungsschub spiegelt sich die Erfahrung der durch beschleunigte Veränderungen (die politische und industrielle „Doppelrevolution") herausgebildeten modernen, funktional differenzierten Gesellschaft (Niklas Luhmann [1927-1998]), die das Bewußtsein ihrer eigenen Singularität und Abständigkeit von der Vergangenheit auf den Umgang mit vergangenen Epochen projiziert. Im Medium der Geschichtsschreibung versucht sich die Systematische Theologie ihrer eigenen Wahrheit zu vergewissern. Damit wird die gelehrte Theologie, die sich als nichts anderes als Theologien der Gelehrten (Universitätsprofessoren) erweist, schließlich als eine prinzipiell zeitbedingte Größe beobachtet und dezidiert in die allgemeine Kulturund Bildungsgeschichte hineingestellt (programmatisch schon bei Christian Wilhelm Flügge, Einleitung in die Geschichte der theologischen Wissenschaften, Halle 1799; zit. Crouter/Graf/Meckenstock 3). Daher muß die protestantische Theologie in ihrer historischen Selbstreflexion die schmerzhafte Erfahrung verarbeiten, daß jedenfalls ihre Wahrheit (im Unterschied zum Anspruch des konfessionellen Katholizismus auf Uberzeitlichkeit in einem antimodernistischen Kontext: Crouter/Graf/Meckenstock 4; vgl. Nipperdey, Geschichte 1800-1866, 406-415) einen unaufgebbaren und vor allem auch unaufhebbaren Zeitkern hat. Die Historiographie stellt den Versuch zur Selbsterfassung des durch die -»Aufklärung veränderten -»Neuprotestantismus dar. Aber auch die katholische Theologiegeschichte partizipiert an dieser modernen Gesamttendenz, da sie insbesondere die eigene „katholische Aufklärung" der Gelehrten als eigenständige innerkirchliche Reformbewegung des 18. Jh. rehabilitiert hat (van Dülmen 137-150; Plongeron), wenn auch der Akzent sonst eher auf Papst- und Institutionengeschichte und

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Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

Theologie des Alten und Neuen Testaments -»Biblische Theologie

Theologie und Philosophie —»Glaube und Denken; -»Philosophie; -»Theologie, Christliche

Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 1. Bedeutung und Entstehung 2. Theologiegeschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert 3. Zur Verwissenschaftlichung der Theologiegeschichtsschreibung (Quellen und Literatur S. 347)

1. Bedeutung und

Entstehung

Die moderne Theologiegeschichtsschreibung bildet sich in der „Sattelzeit" (Koselleck) von 1750-1850 als Teil der Geschichte der „gelehrten", der Universitätstheologie heraus (explizit Will 325f.) und ist negativ von der Kirchen- (als Institutionen-) und Dogmengeschichte (der kirchlichen Lehren) strikt abzugrenzen (-»Kirchengeschichtsschreibung; -»Dogmengeschichtsschreibung). Innerhalb der Übergangssemantik von (noch aristotelisch geprägten) Erfahrungs- und (modernen) Erwartungsbegriffen stellt „Theologiegeschichte" einen Neologismus dar, der besonders für den neuzeitlichen -»Protestantismus charakteristisch bleibt. Dafür sind die Professionalisierungs-, Historisierungs- und Relativierungsschübe die unabdingbare Voraussetzung gewesen. Daß die gelehrte -»Theologie überhaupt zu einem eigenen Gegenstand des Forschungsinteresses avanciert, setzt zunächst die seit J.S. -»Semler bestehende Grundunterscheidung von allgemeiner -»Religion und Theologie von Berufstheologen für Berufstheologen voraus. Mit der Theologiegeschichte reflektiert die protestantische Theologie die neuzeitlichen sozialen Ausdifferenzierungsprozesse innerdisziplinär. Daß dies im Medium der Historiographie geschieht, unterstreicht sodann die Teilnahme der Theologie an der allgemeinen Herausbildung des historischen Bewußtseins und der modernen Geschichtswissenschaft seit L. von -»Ranke (vgl. Crouter/Graf/Meckenstock 2). In diesem Historisierungsschub spiegelt sich die Erfahrung der durch beschleunigte Veränderungen (die politische und industrielle „Doppelrevolution") herausgebildeten modernen, funktional differenzierten Gesellschaft (Niklas Luhmann [1927-1998]), die das Bewußtsein ihrer eigenen Singularität und Abständigkeit von der Vergangenheit auf den Umgang mit vergangenen Epochen projiziert. Im Medium der Geschichtsschreibung versucht sich die Systematische Theologie ihrer eigenen Wahrheit zu vergewissern. Damit wird die gelehrte Theologie, die sich als nichts anderes als Theologien der Gelehrten (Universitätsprofessoren) erweist, schließlich als eine prinzipiell zeitbedingte Größe beobachtet und dezidiert in die allgemeine Kulturund Bildungsgeschichte hineingestellt (programmatisch schon bei Christian Wilhelm Flügge, Einleitung in die Geschichte der theologischen Wissenschaften, Halle 1799; zit. Crouter/Graf/Meckenstock 3). Daher muß die protestantische Theologie in ihrer historischen Selbstreflexion die schmerzhafte Erfahrung verarbeiten, daß jedenfalls ihre Wahrheit (im Unterschied zum Anspruch des konfessionellen Katholizismus auf Uberzeitlichkeit in einem antimodernistischen Kontext: Crouter/Graf/Meckenstock 4; vgl. Nipperdey, Geschichte 1800-1866, 406-415) einen unaufgebbaren und vor allem auch unaufhebbaren Zeitkern hat. Die Historiographie stellt den Versuch zur Selbsterfassung des durch die -»Aufklärung veränderten -»Neuprotestantismus dar. Aber auch die katholische Theologiegeschichte partizipiert an dieser modernen Gesamttendenz, da sie insbesondere die eigene „katholische Aufklärung" der Gelehrten als eigenständige innerkirchliche Reformbewegung des 18. Jh. rehabilitiert hat (van Dülmen 137-150; Plongeron), wenn auch der Akzent sonst eher auf Papst- und Institutionengeschichte und

Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

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auf die Spiritualität der Massen (Frömmigkeitsgeschichte) fällt. Aus diesen Überlegungen folgt, daß Theologiegeschichte eine temporal-kausal geleitete Beobachtung zweiter Ordnung von normativen Geltungsansprüchen (Theorien) dogmatischer und/oder ethischer Provenienz darstellt (-»Dogmatik; -»Ethik) und deshalb die Selbstbeobachtung protestantischer Theologie stimulieren könnte (Murrmann-Kahl, Konstruktivität 174-181). Wenn auch der Sprachgebrauch zunächst uneinheitlich ist, so befaßt sich die Theologiegeschichte in der Regel mit der Theologieproduktion seit der Aufklärung. Dabei umfassen die zu verhandelnden Themen die prinzipielle Historisierung der traditionellen Wissensbestände (insbesondere der Dogmatik der altprotestantischen -»Orthodoxie), ihre Umformung durch Aufklärung, -»Romantik und die Philosophie des deutschen -•Idealismus, die Pluralisierung der Theologie (Crouter/Graf/Meckenstock 5) und die sich darin widerspiegelnde Individualisierung der Zugangsweisen und schließlich ihre „Fundamentalpolitisierung" (Graf, Profile I, 19 u.ö.) seit der -»Französischen Revolution in Konservatismus und Liberalismus. In all diesen Bereichen wird die Grundfrage nach dem Verhältnis von Christentum und Moderne gestellt und mithin die Debatte nach der christlichen Legitimität der -»Neuzeit geführt. 2. Theologiegeschichtsschreibung

im 19. und 20.

Jahrhundert

Trotz des getriebenen, ungeheuren historiographischen Aufwandes hat allerdings die protestantische Theologiegeschichtsschreibung noch nicht den Gang einer sicheren Wissenschaft antreten können. Das hängt zunächst mit den äußeren Faktoren zusammen, daß Theologiegeschichte der Neuzeit weitgehend von systematischen Theologen betrieben wird und daß sich eigene Lehrstühle für Theologiegeschichte nicht institutionalisieren ließen. Diesem Manko entspricht intern die weitläufige normative Überformung der jeweiligen Geschichtsschreibung. Da die normativen Interessen der Theologen hinsichtlich ihrer eigenen Position dominieren, handelt es sich in der Regel um normative Ansprüche, die im Medium der Geschichtsschreibung und zum Zweck der Selbstlegitimierung prozedieren. Insofern hat die Theologiegeschichte bislang nicht überzeugend an die Standards und Problemdiskurse der säkularen Geschichtswissenschaft insbesondere über Historismus und historische Sozialwissenschaft angeschlossen. Viele historiographische Arbeiten bedienen sich vielmehr der Geschichte als eines „Steinbruchs" zum Zweck der Selbstlegitimation (vgl. Wagner, Theologiegeschichte 113f.l95-200). In der faktischen Pluralität der Theologiegeschichten systematischer Theologen spiegelt sich insgesamt die positioneile und plurale Verfaßtheit der modernen protestantischen Theologie getreulich wider (-»Pluralismus). 2.1. Zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Daß die Theologiegeschichtsschreibung in den Dienst der Selbstlegitimation des Protestantismus und vor allem auch der eigenen Schule und Position gestellt wird, kann man am Bemühen erkennen, auf historiographischem Wege das „protestantische Prinzip" zu bewähren. Dieser Leitfrage folgen sowohl I.A. —»Dorner als auch Gustav Frank (1832—1904) (besonders in Bd. III und IV), der zu Recht den Epochenbruch seit der Aufklärung betont. Aus dem Geist einer freien, noch G.W.F. -»Hegel verpflichteten Theologie schreiben Carl Schwarz (1812-1885) und O. -»Pfleiderer (unter Einbeziehung der angelsächsischen Entwicklung), dem die Erlanger Erfahrungstheologie (F.H.R. von -»Frank) und die konservative Bibeltheologie (M. -»Kähler) konkurrierend zur Seite treten (vgl. Röhls I, XXIff.). Der entscheidende Bruch zwischen Alt- und Neuprotestantismus wird von E. -»Troeltsch vielfältig beschrieben, einschließlich seiner These, -»Luther und die -»Reformation dem Spätmittelalter zuzurechnen (Troeltsch, Bedeutung2 26 u.ö.) und den „Neuprotestantismus" mit der Aufklärung beginnen zu lassen. Bei ihm ist die Einsicht erreicht, daß der neuzeitliche Protestantismus eine wesentlich eigenständige Formation darstellt. Als Übergang zur dann strikt negativen Bewertung desselben Phänomens ist die Sichtweise R. -»Seebergs und W. -»Elerts zu nennen. Das insgesamt historistisch geprägte Ge-

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Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

schichtsverständnis artikuliert A. (von) -»Harnack mit seiner auf Fortschritt angelegten Entwicklungsgeschichte in der prinzipiellen Spannung von Institutionen und großen Persönlichkeiten. „Als Geschichtsforscher müssen wir Institutionen aufsuchen. Als Menschen Persönlichkeiten" (Harnack, Geschichte 158). 2.2. Theologiegeschichte im 20. Jahrhundert. Auch die beiden Antipoden K. -»Barth und E. -»Hirsch wurzeln hinsichtlich ihres historiographischen Ansatzes noch tief im Historismus des 19. und frühen 20. Jh. (vgl. Barth 1 - 5 ; Hirsch, Theologiegeschichte 205 - 2 1 9 ) . Dennoch ist ihre entfaltete Historiographie auf dieser Basis grundverschieden, worin sich die jeweiligen theologischen Weichenstellungen widerspiegeln. K. Barth folgt einer historischen Selbstvergewisserung des erhobenen dogmatischen Geltungs- und Erneuerungsanspruchs, indem er die neuzeitliche Theologie- als konsequente Verfallsgeschichte beschreibt. Demnach habe sich der angeblich „absolutistische Mensch" (als Rebell gegen Gott) des 18. Jh. (Barth 60-114) auch im 19. Jh. derart durchgesetzt, daß Gott und seine Offenbarung in die einseitige Abhängigkeit des Menschen geraten seien. Folglich versucht Barth, einerseits diesen Verfall bei Theologen (F.D.E. -» Schleiermacher: Barth 379-424; F.Ch. -»Baut: ebd. 450-458; D.F. -»Strauß: ebd. 490-515; Isaak August Dorner: ebd. 524-534; R. -»Rothe: ebd. 544-552; A. -»Ritsehl: ebd. 598-605) und Philosophen (besonders J.-J. —»Rousseau: ebd. 153-207; Hegel: ebd. 343—378) aufzudecken, andererseits mehr oder weniger biblizistische Außenseiter des 19. Jh. (G. -»Menken: ebd. 469-483; J.T. -»Beck: ebd. 562-569; A.F.Ch. -»Vilmar: ebd. 570-578; H.F. -»Kohlbrügge: ebd. 579-587; J. Ch. -»Blumhardt: ebd. 588-597) dem Vergessen zu entreißen und als Vorläufer der eigenen Offenbarungstheologie aufzuwerten (in der Tendenz wiederholt bei Mildenberger). N i m m t man die einseitige Fixierung auf einzelne „große M ä n n e r " der Theologie jenseits ihrer soziohistorischen Verortung und die spektakulären Fehlurteile (besonders über Ritsehl: Barth 599, dem Barths Theologie im Ansatz am meisten verpflichtet ist!) hinzu, ist die Problematik einer durch die dogmatische Position dominierten Historiographie offenkundig (Murrmann-Kahl, „Mysterium trinitatis?" 77-100). Dagegen entwickelt E. Hirsch seine breit angelegte Theologiegeschichte (1949-1954) unter der brennenden Gegenwartsfrage, wie die Umformungskrise des Christentums und Protestantismus in der Neuzeit bestanden werden kann. Auch wenn seine eigenen systematischen Lösungen nicht überzeugen mögen (Herms 97-129; Hose 43 - 7 6 ) , bleibt doch die Leitfrage von heuristischer Fruchtbarkeit, so daß die deutsche zu Recht im Rahmen der europäischen, die theologische im Rahmen der allgemeinen Denkentwicklung dargestellt wird, die Hirsch speziell im deutschen Idealismus kulminieren sieht. Als Umformungskrise ist gemäß dem einschlägigen 26. Kapitel (Hirsch, Geschichte III, 3 - 1 8 ; vgl. Hose 171-204) dieser Weg deshalb zu begreifen, weil die anfänglich intendierte Verbindung von irreduzibel neuzeitlichem Wahrheitsbewußtein und christlicher Tradition in einer projektierten „christlichen Aufklärung" fortschreitend aufgelöst wurde (Hirsch, Geschichte III, 10-13). Insofern hat Hirsch das Thema der Umformungskrise des Christentums in der Neuzeit zu Recht zum überpositionellen „Leitgesichtspunkt" seiner Historiographie (ebd. 15) gewählt, an den die eigenen systematischen Bemühungen selbständig anschließen können. 3. Zur Verwissenschaftlichung

der

Theologiegeschichtsschreibung

Angesichts der möglichen historiographischen Extreme von der normativ inspirierten Verfallsgeschichte als Folie für die eigene Dogmatik (Barth) bis zur materialreichen Deskription ohne übergreifende Strukturierung (tendenziell bei Röhls), scheint das Modell einer Theologiegeschichtsschreibung auf empirischer Basis mit allgemeinen Leitfragen, wie es von E. Hirsch repräsentiert wurde, noch am ehesten weiterführend zu sein. Freilich können die historistischen Prämissen seiner Geschichtsschreibung nicht mehr übernommen, sondern müssen im Anschluß an die Geschichtswissenschaft (repräsentativ Nip-

Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

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perdey und Wehler) durch den Fortgang zur historischen Sozialwissenschaft ersetzt werden (vgl. Graf, Profile I, 11-54). Historische Zweitbeobachtung muß das Wissen um Struktur/Prozesse (longue durée) und Ereignisse (temps courts), um fundamentale gesellschaftliche Veränderungen von der Stände- über die Klassen- bis zur funktional differenzierten Gesellschaft (beschrieben von M. -»Weber bis N. Luhmann) in sich integrieren. Daraus folgt insgesamt, daß die Theologiegeschichte nur in dem Maße einen sicheren Weg einschlagen wird, als sie sich konsequent der Methoden der Geschichtswissenschaft und der Wissenschaftsgeschichtsschreibung (gegen Hirsch, Theologiegeschichte 217 f.) bedient. Hierfür weisen insbesondere neuere Studien im Blick auf Mentalitätsgeschichte (nicht nur der Gelehrten) und spezifische religiöse Milieus einen sinnvoll beschreitbaren Weg (vgl. Blaschke/Kuhlemann; Stenglein-Hektor; Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte 243-294.462-491). Genau aus diesem Grund kann sie aus sich selbst heraus keine normativen Erwartungen befriedigen (Wagner, Theologiegeschichte 197f.). Der Aufbau historischer Komplexität widerstreitet geradezu den beanspruchten Vereindeutigungen in der Form dogmatischer und ethischer Theorien. Dagegen sind die Wechselbeziehungen zwischen Wissenschafts- und anderen Subsystemen der Gesellschaft zu beobachten, woraus nicht zuletzt das Interesse an Biographieforschung, Gelehrtenpolitik und Politisierung des neuzeitlichen Protestantismus resultiert (vgl. Graf, Profile II/l, 12-117; Hübinger). Unter dieser Voraussetzung bleibt aber grundsätzlich richtig, daß die spannende Frage der Theologiegeschichtsschreibung darin besteht, wie Christentum und Protestantismus unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft plausibilisiert werden können (vgl. Wagner, Metamorphosen), womit die Frage nach den Transformationsprozessen des Protestantismus auf der Tagesordnung bleibt. Insofern bietet die Theologiegeschichte die nur ihr eigentümliche Perspektive der historiographischen „Re-Konstruktion" theologischer Theoriegebilde, die von anderen wissenschaftlichen Disziplinen in dieser Weise nicht wahrgenommen wird. Quellen und Literatur S.a. die Quellenverzeichnisse zu den Art. —•Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie, -»Kulturprotestantismus, -»Neuprotestantismus. - Zs. f. Neuere Theologiegesch. (ZNThG), hg. v. Richard E. Crouter/Friedrich Wilhelm Graf/Günter Meckenstock, Berlin/New York, 1 (1994) ff. Heinrich Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance, 1994 (FSÖTh 72). - Karl Barth, Die prot. Theol. im 19. Jh. (1947), Zürich 4 1981. - Klaus-Martin Beckmann, Prot. Theol., Düsseldorf/Wien 1973. - Hendrikus Berkhof, 200 Jahre Theol., Neukirchen-Vluyn 1985. - Hans-Joachim Birkner, Protestantismus im Wandel, München 1971. - Olaf Blaschke/Frank-Michael Kuhlemann, Religion in Gesch. u. Gesellschaft: dies. (Hg.), Religion im Kaiserreich, Gütersloh 1996 (Rel. Kulturen der Moderne 2) 7 - 5 6 . - Richard E. Crouter/Friedrich Wilhelm Graf/Günter Meckenstock, Editorial: Zs. f. Neuere Theologiegesch. 1 (1994) 1 - 8 . - Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands im 18. u. 19. Jh. nach ihrem Leben u. Wirken, 4 Bde., Neustadt a.d. Orla 1831-1835. - Isaak August Dorner, Gesch. der prot. Theol., bes. in Deutschland, München 1867. - Volker Drehsen, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen der Prakt. Theol., 2 Bde., Gütersloh 1988. - Ders./Walter Sparn (Hg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse, Berlin 1996. - Richard van Dülmen, Kultur u. Alltag in der Frühen Neuzeit. III. Religion, Magie, Aufklärung 16.-18. Jh., München 1994. - Werner Eiert, Der Kampf um das Christentum, München 1921. Hermann Fischer, Syst. Theol. Konzeptionen u. Probleme im 20. Jh., Stuttgart u.a. 1992. - Felix Flückinger/Wilhelm Anz, Die prot. Theol. des 19. Jh., 1975 (KIG 4/P). - Franz Hermann Reinhold v. Frank, Gesch. u. Kritik der neueren Theol., hg. v. Paul Schaarschmidt, Erlangen/Leipzig 1894. - Gustav Frank, Gesch. der prot. Theol., 4 Bde., Leipzig 1862-1905. - Heinrich Fries/Herbert Vorgrimler (Hg.), Bilanz der Theol. im 20. Jh. Perspektiven, Strömungen, Motive, 3 Bde., Freiburg i.Br./Basel/Wien 1969-1972. - Wilhelm Gaß, Gesch. der prot. Dogmatik, 4 Bde., Berlin 1854-1867. - Johann Carl Ludwig Gieseler, Rückblick auf die theol. u. kirchl. Richtungen u. Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre, Göttingen 1837. - Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Profile des neuzeitlichen Protestantismus, 2 Bde., Gütersloh 1990-1993. - Ders./Hans Martin Müller (Hg.), Der dt. Protestantismus um 1900, Gütersloh 1996. - Martin Greschat (Hg.), Theologen des Protestantismus

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Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung

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Denkens, 5 Bde., Gütersloh 1 9 4 9 - 1 9 5 4 Nachdr. Münster 1984. - Ders., Theologiegesch. u. die Aufgabe der ev. Theol.: Christi. Wahrheit u. neuzeitliches Denken (s.o. bei Herms) 2 0 5 - 2 3 4 . - Jochen Hose, Die „Gesch. der neuern ev. T h e o l . " in der Sicht Emanuel Hirschs, 1999 (EHS.T 654). - Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus u. Politik, Tübingen 1994. - Martin Kahler, Gesch. der prot. Dogmatik im 19. Jh., hg. v. Ernst Kahler, München 1962. - Karl Friedrich August Kahnis, Der innere Gang des dt. Protestantismus, Leipzig 1854. - Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Gestalten u. Typen des Neuluthertums, Gütersloh 1968. - Ders., Gesch. des Protestantismus v. 1 7 8 9 - 1 8 4 8 , Gütersloh 1969. - Ders., Programme der Theol., München 1978. - Ders., Politischer Protestantismus, Saarbrücken/Scheidt 1987. - Ferdinand Kattenbusch, Von Schleiermacher zu Ritsehl, 1892 3 1903 ( V T K G 7); später u.d.T.: Die dt. ev. 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Theologiestudium I

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des Protestantismus f. die Entstehung der modernen Welt: H Z 97 (1906) 1 - 6 6 ; 2. Aufl. separat: München/Berlin 1 1 9 1 1 . - Ders., Rückblick auf ein halbes J h . der theol. Wiss. (1909): ders., Z u r rel. Lage. GS II, Tübingen 1 9 1 3 , 1 9 3 - 2 2 6 . - Ders., Die Soziallehren der christl. Kirchen u. Gruppen. GS I, Tübingen 1912. - Ders., Das neunzehnte Jh.: ders., Aufs, zur Geistesgesch. u. Religionssoziologie. GS IV, hg. v. Hans Baron, Tübingen 1925, 6 1 4 - 6 4 9 . - Falk Wagner, Aspekte der Rezeption Kantischer Metaphysik-Kritik in der ev. Theol. des 19. u. 20. Jh.: N Z S T h 2 7 (1985) 2 5 - 41. - Ders., Z u r Theologiegesch. des 19. u. 20. Jh.: T h R N F 5 3 (1988) 1 1 3 - 2 0 0 . - Ders., Was ist Theol.?, Gütersloh 1989, 2 9 - 1 4 4 . - Ders., M e t a m o r p h o s e n des modernen Protestantismus, Tübingen 1999, 1 - 1 1 9 . - Hans-Ulrich Wehler, Dt. Gesellschaftsgesch., 3 Bde., München 1 9 8 7 - 1 9 9 5 . - Claude Welch, Protestant T h o u g h t in the Nineteenth Century, 2 Bde., N e w Häven, C o n n . 1 9 7 2 - 1 9 8 5 . Gunther Wenz, Gesch. der Versöhnungslehre in der ev. Theol. der Neuzeit, 2 Bde., 1 9 8 4 - 1 9 8 6 ( M M H S T 9.11). - Georg Andreas Will, Einl. in die hist. Gelahrtheit u. die Methode, die Gesch. zu lehren u. zu lernen (1766): Theoretiker der dt. Aufklärungshistorie, hg. v. H o r s t Walter Blanke/ Dirk Fleischer, Stuttgart-Bad Cannstatt, I 1990 (Fundamenta Histórica 1/1) 3 1 3 - 3 4 9 . - Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., München 2 0 0 0 . - Matthias Wolfes, Prot. Theol. u. moderne Welt. Stud. zur Gesch. der liberalen Theol. nach 1918, 1999 ( T B T 102). Zeitgesch. in Lebensbildern. Aus dem dt. Katholizismus des 19. u. 20. Jh., hg. v. Jürgen Aretz/Rudolf M o r s e y / A n t o n Rauschner, 9 Bde., M a i n z / M ü n s t e r 1 9 7 3 - 1 9 9 9 . - O t t o Zöckler, Die christl. Apologetik im neunzehnten Jh., Gütersloh 1904.

Michael Murrmann-Kahl

Theologiestudium I. Alte Kirche und Mittelalter II. Reformation bis zur Gegenwart III. Praktisch-theologisch

S. 354 S. 358

I. Alte Kirche und Mittelalter 1. Antikes Christentum 2. Frühes Mittelalter (7. bis 11. Jahrhundert) versitäten (Quellen und Literatur S. 3 5 3 )

1. Antikes

3. Die frühen Uni-

Christentum

In der frühesten Zeit lehrten Apostel in -»-Synagogen (Act 13,14ff.) und an weltlichen Lehrstätten (Act 19,9f.), bildeten aber auch andere für Verkündigungsaufgaben heran (II Tim 1,13f.) und benutzten Bücher (ebd. 4,13). Zugleich wirkten -»Propheten und Lehrer (Did l l f f . ) , die sich ebenfalls Mitarbeiter heranbildeten. Dabei entwickelte sich eine -»Tradition christlicher Lehre und kirchlichen Handelns; deren Pflege und Weitergabe bald Amtsaufgabe der Bischöfe (-»Bischof) und Presbyter wurde (-»Amt/ Ämter/Amtsverständnis). Schulmäßige Glaubensunterweisung (—»Glaube) für Ubertrittswillige, Katechumenen und fortgeschrittene Hörer wurde auch von Laien erteilt. Der Unterricht setzte mit Grammatik, Literatur, -»Rhetorik und -»Philosophie die geläufige antike Bildungstradition (-»Bildung; -»Antike und Christentum) voraus oder schloß sie ein (vgl. -»Apollinaris). Als christliche Lehrer tätige Laien waren -»Justin der Märtyrer, der in Ephesus und -»Rom, und -»Clemens von -»Alexandrien, der in der alexandrinischen Katechetenschule (-»Katechumenat/Katechumenen) und später in -»Palästina wirkte und weite Studienreisen zu verschiedenen Lehrern unternommen hat. Seine Hauptschriften vermitteln ein stufenweise fortschreitendes Programm christlicher Bildung. -»Origenes war zunächst Clemens' Nachfolger in Alexandrien und lehrte später in Caesarea in Palästina. Sein Schüler -»Gregor der Wundertäter schildert den Unterricht in Naturphilosophie, Logik und philosophischer Theologie, den Origenes erteilte, bevor er sich der biblischen Theologie zuwandte, für deren Vermittlung die geistliche ->Schriftauslegung bestimmend war (pan. Or. 13,150-15,183). Seit etwa 200 war der Dienst und der Aufstieg in den niederen Rängen der Geistlichkeit (wie Subdiakon oder -»Lektor) ein wesentlicher Weg der Zurüstung für das

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des Protestantismus f. die Entstehung der modernen Welt: H Z 97 (1906) 1 - 6 6 ; 2. Aufl. separat: München/Berlin 1 1 9 1 1 . - Ders., Rückblick auf ein halbes J h . der theol. Wiss. (1909): ders., Z u r rel. Lage. GS II, Tübingen 1 9 1 3 , 1 9 3 - 2 2 6 . - Ders., Die Soziallehren der christl. Kirchen u. Gruppen. GS I, Tübingen 1912. - Ders., Das neunzehnte Jh.: ders., Aufs, zur Geistesgesch. u. Religionssoziologie. GS IV, hg. v. Hans Baron, Tübingen 1925, 6 1 4 - 6 4 9 . - Falk Wagner, Aspekte der Rezeption Kantischer Metaphysik-Kritik in der ev. Theol. des 19. u. 20. Jh.: N Z S T h 2 7 (1985) 2 5 - 41. - Ders., Z u r Theologiegesch. des 19. u. 20. Jh.: T h R N F 5 3 (1988) 1 1 3 - 2 0 0 . - Ders., Was ist Theol.?, Gütersloh 1989, 2 9 - 1 4 4 . - Ders., M e t a m o r p h o s e n des modernen Protestantismus, Tübingen 1999, 1 - 1 1 9 . - Hans-Ulrich Wehler, Dt. Gesellschaftsgesch., 3 Bde., München 1 9 8 7 - 1 9 9 5 . - Claude Welch, Protestant T h o u g h t in the Nineteenth Century, 2 Bde., N e w Häven, C o n n . 1 9 7 2 - 1 9 8 5 . Gunther Wenz, Gesch. der Versöhnungslehre in der ev. Theol. der Neuzeit, 2 Bde., 1 9 8 4 - 1 9 8 6 ( M M H S T 9.11). - Georg Andreas Will, Einl. in die hist. Gelahrtheit u. die Methode, die Gesch. zu lehren u. zu lernen (1766): Theoretiker der dt. Aufklärungshistorie, hg. v. H o r s t Walter Blanke/ Dirk Fleischer, Stuttgart-Bad Cannstatt, I 1990 (Fundamenta Histórica 1/1) 3 1 3 - 3 4 9 . - Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., München 2 0 0 0 . - Matthias Wolfes, Prot. Theol. u. moderne Welt. Stud. zur Gesch. der liberalen Theol. nach 1918, 1999 ( T B T 102). Zeitgesch. in Lebensbildern. Aus dem dt. Katholizismus des 19. u. 20. Jh., hg. v. Jürgen Aretz/Rudolf M o r s e y / A n t o n Rauschner, 9 Bde., M a i n z / M ü n s t e r 1 9 7 3 - 1 9 9 9 . - O t t o Zöckler, Die christl. Apologetik im neunzehnten Jh., Gütersloh 1904.

Michael Murrmann-Kahl

Theologiestudium I. Alte Kirche und Mittelalter II. Reformation bis zur Gegenwart III. Praktisch-theologisch

S. 354 S. 358

I. Alte Kirche und Mittelalter 1. Antikes Christentum 2. Frühes Mittelalter (7. bis 11. Jahrhundert) versitäten (Quellen und Literatur S. 3 5 3 )

1. Antikes

3. Die frühen Uni-

Christentum

In der frühesten Zeit lehrten Apostel in -»-Synagogen (Act 13,14ff.) und an weltlichen Lehrstätten (Act 19,9f.), bildeten aber auch andere für Verkündigungsaufgaben heran (II Tim 1,13f.) und benutzten Bücher (ebd. 4,13). Zugleich wirkten -»Propheten und Lehrer (Did l l f f . ) , die sich ebenfalls Mitarbeiter heranbildeten. Dabei entwickelte sich eine -»Tradition christlicher Lehre und kirchlichen Handelns; deren Pflege und Weitergabe bald Amtsaufgabe der Bischöfe (-»Bischof) und Presbyter wurde (-»Amt/ Ämter/Amtsverständnis). Schulmäßige Glaubensunterweisung (—»Glaube) für Ubertrittswillige, Katechumenen und fortgeschrittene Hörer wurde auch von Laien erteilt. Der Unterricht setzte mit Grammatik, Literatur, -»Rhetorik und -»Philosophie die geläufige antike Bildungstradition (-»Bildung; -»Antike und Christentum) voraus oder schloß sie ein (vgl. -»Apollinaris). Als christliche Lehrer tätige Laien waren -»Justin der Märtyrer, der in Ephesus und -»Rom, und -»Clemens von -»Alexandrien, der in der alexandrinischen Katechetenschule (-»Katechumenat/Katechumenen) und später in -»Palästina wirkte und weite Studienreisen zu verschiedenen Lehrern unternommen hat. Seine Hauptschriften vermitteln ein stufenweise fortschreitendes Programm christlicher Bildung. -»Origenes war zunächst Clemens' Nachfolger in Alexandrien und lehrte später in Caesarea in Palästina. Sein Schüler -»Gregor der Wundertäter schildert den Unterricht in Naturphilosophie, Logik und philosophischer Theologie, den Origenes erteilte, bevor er sich der biblischen Theologie zuwandte, für deren Vermittlung die geistliche ->Schriftauslegung bestimmend war (pan. Or. 13,150-15,183). Seit etwa 200 war der Dienst und der Aufstieg in den niederen Rängen der Geistlichkeit (wie Subdiakon oder -»Lektor) ein wesentlicher Weg der Zurüstung für das

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Theologiestudium I

Amt des Diakons, Presbyters oder Bischofs. Diese niederen Geistlichen waren zahlreich. Sie erhielten, zuweilen schon seit dem fünften oder sechsten Lebensjahr, eine praktische Schulung für liturgische und pastorale Aufgaben und zum Umgang mit der Schrift und lernten aus den Predigten des Bischofs Schriftauslegung und -»Theologie (Beispiele bei Jones 910-914; Wickham). Bedeutende Theologen sind über diesen Weg (-»Athanasius; -»Cyrillus von Alexandrien; -»Leo I. der Große) ins Bischofsamt gekommen. Ein anderer Weg führte über die Ausgewiesenheit in der Zivilverwaltung. -»Cyprian, -»Ambrosius und -»Synesius hatten vor ihrer Wahl zum Bischof ein staatliches Amt inne, für das sie die übliche rhetorische und philosophische Schulung durchlaufen hatten. Ambrosius war bei seiner Wahl zum Bischof nicht einmal getauft; doch sein Bildungsgang und seine Erfahrung boten die Eignungsvoraussetzungen für seine Tätigkeit als Lehrer und Schriftsteller auf dem Feld der Kirchenleitung, Ethik und sogar Liturgik; seine Theologie bezog er im wesentlichen von den zeitgenössischen griechischen Kirchenschriftstellern -»Gregor von Nazianz und -»Gregor von Nyssa. Diese wiederum waren, wie auch ihre Zeitgenossen -»Basilius von Caesarea und -»Diodor von Tarsus, auf einem dritten Weg, durch das -»Mönchtum, zu theologischer Geltung gekommen. Sie alle hatten jedoch zuvor in Athen eine weltliche Bildung erfahren. Viele Mönche allerdings waren, wie -»Hieronymus und -»Evagrius Ponticus feststellten, bildungsfeindlich. Wie auch -»Didymus von Alexandrien und andere Origenisten (—»Origenes/Origenismus 4.3.) machte Evagrius das Kloster zu einer Stätte biblischer und systematischer theologischer Arbeit, die bildungsbeflissenen jüngeren Geistlichen wie Johannes -»Cassianus offenstand. Die Klöster wurden zu Zentren weltlicher wie theologischer Bildung, insbesondere in der späteren antiochenischen Schule (-»Antiochien), im Umkreis von -»Konstantinopel (zumal nach der Schließung der Athener -»Akademie durch -»Justinian) und in gallischen monastischen Zentren wie -»Lerins und Arles. —»Caesarius von Arles förderte die Bildung der Geistlichkeit und die Schulung von Lektoren in Landgemeinden, die bereit waren, Priester zu werden. -»Augustin befaßte sich als Rhetoriklehrer mit Literatur und Philosophie und fand über den -»Neuplatonismus zum orthodoxen Glauben. Die Leitvorstellung, die er anstrebte, war ein Leben in einer philosophischen (d.h. asketischen) Gemeinschaft. Als Bischof sammelte er einen Kreis gleichgesinnter Schüler und Geistlicher um sich. Zur Ordnung ihres Lebens stellte er Regeln auf, die den Grundstock der -»Augustinusregel bilden. -»Gregor I. der Große, der selbst Mönch war, entfaltete in ethischen und pastoralen Lehrschriften ein Programm für die Bildung und Lebensgestaltung der Geistlichen mit nachhaltiger Wirkung in der abendländischen Kirche. 2. Frühes Mittelalter

(7. bis 11.

Jahrhundert)

In der östlichen Kirche beruhte die kirchliche Bildung weiterhin auf der klassischen griechischen Literatur, Philosophie und Rhetorik (-»Antike und Christentum; -»Byzanz). Ein theologisches Studium war Teil der geistlichen und praktischen Zurüstung von Mönchen und Priestern. In klösterlichen Schulen entwickelte sich das Instrumentarium der theologischen Beweisführung (-»Monenergetisch-monotheletischer Streit; Bilderstreit [-»Bilder V/1.6.]). Das Mönchtum konnte praktisch und politisch tätig werden (-»Akoimeten; -»Theodor Studites) oder aber ein geistliches Leben im Rückzug aus der Welt anstreben (-»Athos; -»Symeon der Neue Theologe). Zu neuen, schöpferischen Synthesen kam es selten. Die Schriften von -»Maximus Confessor und zumal -»Johannes von Damaskus bestanden wie ein großer Teil der theologischen Arbeit überhaupt aus der Sammlung, Erläuterung und erneuten literarischen Umsetzung verbindlicher Texte der Vergangenheit. -»Florilegien waren daher ebenso beliebt wie -»Katenen patristischer Bibelkommentare, und auch die persönliche -»Spiritualität und -»Mystik bezog sich weitgehend auf anerkannte Sammlungen (-»Nilus von Ankyra; -»Johannes Moschus). Im Frankenreich (-»Frankreich II.l.) und in -»Spanien drängten Konzilien weiterhin auf eine offensichtlich notwendige Schulung der Geistlichen (HKG[J] II/l, 327-329).

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Unterdessen entfalteten die -»Keltischen Kirchen (insbesondere in -»-Irland) eine lebhafte theologische Arbeit mit einem bedeutenden theologischen Schrifttum, das mit seiner Schriftauslegung und seinen Bußbüchern (s. T R E 19,7,25ff.) deutlich auf eine Zurüstung der Geistlichen für ihre seelsorgerlichen Aufgaben ausgerichtet war. Mit der Mission griff diese Bewegung auf Britannien über, wo -»Columba Bildungsstätten einrichtete, und erfaßte auch das Frankenreich und Oberitalien (-»Columbanus). Danach gewann die angelsächsische Kirche einen hohen theologischen Rang, und angelsächsische Mönche riefen im Zusammenhang ihrer Missionstätigkeit im östlichen Frankenreich bedeutende klösterliche Bildungszentren wie Utrecht, Echternach (-»Willibrord) oder Fulda (-•Bonifatius [Winfrith]) ins Leben. Der Einfluß Gregors des Großen machte sich auch in Spanien geltend, wo -»Isidor von Sevilla exegetische, historiographische und vor allem praktisch-theologische Arbeiten schrieb, die weite Verbreitung fanden und dem biblischen und theologischen Unterricht der Folgezeit eine Fülle patristischer Zeugnisse erschlossen. In der Karolingischen Renaissance erfuhr das Bildungswesen einen neuen Aufschwung. -»Karl der Große suchte den Grund für eine christliche Bildung zu legen und unterworfene Völker (-»Sachsen I) dem Christentum zuzuführen. Die Klöster dienten als Bildungszentren, in denen nicht nur für das klösterliche Leben bestimmte Jungen wie z.B. -»Hrabanus Maurus oder —»Gottschalk der Sachse unterrichtet wurden, sondern auch junge Adelige eine allgemeine Bildung in den -*Artes liberales erhielten. Neben die klassischen lateinischen Schriftsteller wie Vergil und Cicero traten dabei auch bedeutende Schriften der Kirchenväter. Das Ausmaß dieser Christianisierung ist umstritten (Gibson; McKitterick); auf jeden Fall aber bemühte sich Karl um die besten liturgischen, kanonischen und biblischen Texte, die er bekommen konnte. Karl stellte fähige Gelehrte wie den aus der Domschule von York hervorgegangenen -»Alkuin und Mönche wie -»Benedikt von Aniane in seinen Dienst. Die Hofschule zur Bildung junger Adeliger wurde reformiert und gewann durch das Wirken Alkuins hohen Rang. Die hauptsächlichen Bildungsstätten aber blieben die Kloster- und Domschulen. Die theologische Unterweisung schritt von den Artes liberales fort zum Studium der heiligen Schrift und der Kirchenväter, denen bezeichnenderweise auch Origenes zugerechnet wurde. -»Agobard von Lyon zeigte, daß sowohl das Klosterleben als auch das bischöfliche Wirken an neuen Maßstäben gemessen werden konnte, und förderte die Kirchenreform wie die Bildung der Geistlichkeit.

Eine Entsprechung zur karolingischen Renaissance gab es auch im Osten. Sie brachte eine Erneuerung philologischer Studien durch -»Photius und -»Arethas von Caesarea mit sich, die theologischen wie auch weltlichen Zielen zugute kam. Die Missionsunterweisung legte mit dem Wirken und der Übersetzungstätigkeit von -»Cyrillus, und Methodius den Grund für eine theologische Bildung unter den slavischen Völkern. Während des im späteren 9. Jh. eintretenden Bildungsverfalls wurden die Geistlichen in Kloster- und Domschulen unterwiesen (-»Schule/Schulwesen). Nach den mit -»Cluny verbundenen Reformbewegungen setzte in klösterlichen Zentren, insbesondere in Bec (—»Lanfrank von Bec), wo -»Alexander II. studierte, und in Laon (-»Anselm von Laon) ein Aufschwung wissenschaftlicher theologischer Arbeit ein. Unter Lanfrank und —»Anselm von Canterbury wuchs -»Canterbury zu einem Mittelpunkt geistigen Bemühens und theologischer Arbeit heran. Zugleich rückte die von den vier ersten -»Lateransynoden und Papst -»Gregor VII. aufgenommene Kirchenreform das Kirchenrecht in den Mittelpunkt des theologischen Interesses. Infolge der Entfaltung einer Kirchenrechtswissenschaft durch -»Ivo von Chartres gewann dabei insbesondere die Schule von -»Chartres Bedeutung. 3. Die frühen

Universitäten

Die Theologie erhielt neue Anstöße durch die Erneuerung des Studiums der antiken Philosophie, insbesondere des -»Aristoteles, dessen Werk der christlichen Welt aus Marokko und Spanien über Bildungszentren wie Chartres vermittelt wurde. Die aristote-

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Theologiestudium I

lische —»Logik beflügelte eine freie Forschung anstelle eines einfachen Studiums der heiligen Schrift unter Beiziehung verbindlicher patristischer Kommentierungen (vgl. -•Autorität I). Die neue Form der Schulung und Prüfung rief die —»Disputatio ins Leben. Sie unterwarf die Darstellung und Erörterung von Gedanken festen formalen Regeln und ersetzte selbst in der Schriftauslegung das überkommene Verfahren von lectio, tneditatio und praedicatio. Die mit dem Namen -»Abaelard verknüpfte Methode des sie et non konfrontierte gegensätzliche Vorstellungen und wog sie gegeneinander ab. -»•Paris wurde zur wichtigsten Pflegestätte der neuen Wissenschaft. Hier entstand die Einrichtung der theologischen Fakultät innerhalb der Universität (-»Fakultäten, Theologische; —»Universität). Dabei wetteiferten drei örtliche Bildungsstätten miteinander. Das Stift —»Sankt Viktor ( - » H u g o von St. Viktor; Richard von St. Viktor [gest. 1173]) entwickelte unter Anlehnung an -»Bernhard von Clairvaux die augustinische mystische Tradition fort und öffnete sie für eine neue rationale Schriftauslegung und Theologie. Links der Seine zog die von hervorragenden Lehrern wie Abaelard geprägte Fakultät der Artes mit ihrer Anwendung der neuen Logik auf theologische wie auf naturphilosophische und metaphysische Fragen zahlreiche Studenten an. Das feste Zentrum war die alte Domschule von Notre Dame. Spannungen zwischen freier Forschung und Autorität waren unausweichlich und spitzten sich in den Anklagen gegen -»Gilbert Porreta, Abaelard und -»Amalrich von Bena zu. In dieses Klima stießen zudem die rasch wachsenden Bettelorden, insbesondere die -»Franziskaner und -»Dominikaner hinein. Sie schulten ihre Ordensangehörigen in örtlichen Bildungsstätten überall in Europa für die -»Predigt. Die geistige Herausforderung des Wirkens von Ungläubigen und Häretikern veranlaßte sie zugleich aber auch, mit ihren vielversprechendsten Studenten und besten Lehrern in Paris tätig zu werden. Sie hatten dort eigene Niederlassungen und Dozenten, die zugleich mehr oder minder fest in das Studium generale eingebunden waren, aus dem die Universität hervorging. Dabei kam es auch zu Streitigkeiten untereinander. Die Franziskaner folgten der augustinischen Philosophie und affektiven Theologie (-»Bonaventura). Die Dominikaner dagegen übernahmen und verfochten die Synthese des - » T h o m a s von Aquino als verbindliche Lehre. Um die Mitte des 13. J h . beherrschten die Orden, insbesondere die Dominikaner, die theologische Lehre. Im Anschluß an die Bettelorden fanden dabei bald auch die -»Augustiner-Eremiten, die -»Benediktiner, die -»Karmeliter und andere ihren Platz. Die auch den jüngeren Fakultäten wie -»Cambridge und -»Oxford als Vorbild dienende Pariser Studienordnung setzte eine Grundbildung in den Artes liberales voraus. Sie konnte in einem Kloster, in einem der studio der Bettelorden, in einer Domschule oder in der Aries-Fakultät der Universität selbst erworben werden. Dazu gehörten auch biblische und patristische Studien. Viele studierten in einem Ordenskonvent unter dessem Studienleiter (magister regens) und übernahmen dann selbst ohne förmlichen Universitätsabschluß anderwärts eine Lehrtätigkeit. Diejenigen, die das Studium fortsetzten, lasen zunächst ein oder zwei Jahre über die Sententiae und qualifizierten sich dadurch für das Bakkalaureat. Die Fähigsten konnten dann nach weiteren Studienjahren den Grad des magister oder doctor (beide Begriffe waren üblicherweise austauschbar) erwerben. Er vermittelte eine herausgehobene Stellung; denn die Universität bildete eine Gemeinschaft von Magistern und Scholaren, die eine beträchtliche Unabhängigkeit gegenüber kirchlicher und bürgerlicher Aufsicht genoß (Cobban 80-84). Der gesamte theologische Ausbildungsgang dauerte 1 2 - 1 4 Jahre, die durch eine zwischenzeitliche Wahrnehmung anderer Aufgaben außerhalb der Universität unterbrochen sein konnten. Der fortbildungswillige Bakkalaureus hatte ein oder zwei Jahre lang die grundlegenden theologischen Vorlesungen zu halten. Sie behandelten seit der Zeit von -»Alexander Halesius nicht mehr die Schrift, sondern die Sentenzen des -»Petrus Lombardus. Auch wenn einzelnes darin strittig war, boten sie doch eine so klare und übersichtliche Zusammenfassung der biblischen und patristischen Theologie, daß sie bis zu ihrer Ablösung durch das Werk des Thomas von Aquino das grundlegende theologische Lehrbuch blieben. Viele, sämtlich auf Sentenzenvorlesungen aufstrebender Theologen (z. B. Bonaventura) beruhende Sentenzenkommentare sind erhalten. In gleicher Weise wurden die Sentenzen in anderen Universitäten wie etwa Cambridge verwendet (vgl. —»Duns Scotus). Es ist mittlerweile auch deutlich, daß der Ausbildungsgang des angehenden Universitätslehrers üblicherweise nicht kontinuierlich verlief. Ordensangehörige übten nach ihrer Graduierung in den

Theologiestudium I

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Artes ein Zeitlang eine Lehrtätigkeit aus, dann widmeten sie ein oder zwei Jahre an der Universität dem „Lesen" der Sentenzen und nahmen darauf Lehraufgaben in örtlichen oder provinzialen Ordensschulen wahr (Courtenay; vgl. den Werdegang von Meister -»Eckhart). Diese Praxis verbreitete die Fortentwicklung der Theologie in den bedeutenden Ordensschulen und brachte in einem gewissen Umfang auch die an den Universitäten selbst wenig beachtete Vorstellung des ius ubique docendi der zum Doktor Graduierten zur Geltung. Während der Zeit der -»Scholastik erlebte die wissenschaftliche Theologie eine reiche Entfaltung. Zahlreiche Geistliche aber wurden geweiht, ohne eine theologische Bildung erfahren zu haben, die über das zum Lesen der Messe und der heiligen Schrift Erforderliche hinausging. Viele erhielten eine örtliche Schulung, die zunehmend mehr an den Domschulen als in den Klöstern erfolgte. Eine eingehende Zurüstung für die Predigt vermittelten die Bettelorden und Reformklöster. Aufstiegsorientierte Geistliche studierten häufig eher Kanonisches Recht als Theologie. Über diesen Weg sind Päpste wie -»Alexander III. und -»Bonifatius VIII. ebenso aufgestiegen wie T h o m a s -»Becket und viele andere. Das Standardlehrbuch dafür war in Bologna und anderwärts das Werk -»Gratians (-»Kirchenrechtsquellen I.8.). Die Neigung von Geistlichen zu einer häufig in Abwesenheit von ihren Gemeinden ausgeübten juristischen Tätigkeit ist verschiedentlich beklagt worden. Einer bewußten Förderung des geistlichen Lebens diente (in Oxford und Cambridge in höherem M a ß als in Paris) die Einrichtung von Kollegien mit einer streng begrenzten Zahl von Studenten innerhalb der Universität. Aus dem gleichen Streben nach geistlicher Vertiefung erwuchsen zudem neue Bewegungen, die neben dem theologischen Studium die persönliche Frömmigkeit förderten und von denen einige auch Frauen offenstanden (-»Beginen/Begarden; -»Brüder vom gemeinsamen Leben; Lollarden [J. - » W y c l i f ] ) . Quellen und

Literatur

Siehe die Literaturangaben zu den zahlreichen Stichworten, auf die im Text verwiesen wird; die nachstehende Zusammenstellung ist eine Ergänzung dazu. Anselm. Aosta, Bee and Canterbury. Papers in Commemoration of the Nine Hundredth Anniversary of Anselm's Enthronement as Archbishop, hg. v. David E. Luscombe/Gillian R. Evans, Sheffield 1996. - Augustine through the Ages. An Encyclopedia, hg. v. Allan D. Fitzgerald, Grand Rapids, Mass./Cambridge 1999 (Lit.). - Benedictine Culture 750-1050, hg. v. Willem Lourdaux/ Daniel Verhelst, 1982 (MLSt 11). - Alan B. Cobban, The Medieval Universities. Their Development and Organization, London 1975. - Marcia L. Colish, Peter Lombard, 2 Bde., Leiden/New York/Köln 1994 (Studies in Intellectual History 41). - Dies., Rez. v. Pedersen (s.u.): JEH 50 (1999) 250. - Giles Constable, The Reformation of the Twelfth Century, Cambridge 1997. - John J. Contreni, The Cathedral School of Laon. Its Manuscripts and Masters, 1978 (MBM 29). - Ders., Carolingian Learning, Masters and Manuscripts, Aldershot/Brookfield, Vt. 1992. - William J. Courtenay, The Instructional Programme of the Mendicant Convents at Paris in the Early Fourteenth Century: The Medieval Church (s.u.) 7 7 - 9 2 . - Virginia Davis, William Waynflete. Bishop and Educationalist, 1993 (SHMR 6). - Margaret Gibson, Rez. v. McKitterick (s.u.): JThS NS 42 (1990) 7 3 2 - 7 3 4 . Grégoire le Thaumaturge, Remerciement à Origène suivi de la lettre d'Origène à Grégoire. Texte grec, intr., trad, et notes par Henri Crouzel (SC 148). - Heresy and Literacy 1000-1500, hg. v. Peter Biller/Ann Hudson, Cambridge 1994 (Cambridge Studies in Medieval Literature 23). - HKG(J) [HCH]. - A History of the Univ. in Europe, ed. by Walter Ruegg. I. Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde De Ridder-Symeons, Cambridge/New York 1992; dt.: Gesch. der Univ. in Europa, hg. v. Walter Ruegg. I. MA, München 1993. - The History of the Univ. of Oxford, hg. v. Trevor Henry Aston. I. The Early Oxford Schools, ed. Jeremy I. Catto, Oxford 1984; II. Late Medieval Oxford, ed. Jeremy I. Catto/Ralph Evans, ebd. 1992. - Peter Francis Howard, Beyond the Written Word. Preaching and Theology in the Florence of Archbishop Antoninus 1427-1459, Florenz 1995 (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Quaderni di „Rinascimento" 28). - C. Stephen Jaeger, The Envy of Angels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe. 950-1200, Philadelphia, Pa. 1994. - Judith L. Kovacs, Divine Pedagogy and the Gnostic Teacher according to Clement of Alexandria: Journal of Early Christian Studies 9 (2001) 3 - 2 5 . - George Lawless, Augustine of Hippo and his Monastic Rule, Oxford 1997. - Brian Lawn, The Rise and Decline of the Quaestio disputata with Special Emphasis on its Use in the Teaching of Medicine and Science, Leiden 1993 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 2). - The Libraries of the Cistercians, Gilbertines and Premonstratensians, hg. v. David N. Bell, London 1992 (Corpus

354

T h e o l o g i e s t u d i u m II

of British Medieval Library Catalogues 3). - Heinz Löwe, Religiosität u. Bildung im frühen MA. Ausgew. Aufs., hg. v. Tilman Struve, Weimar 1994. - Robert Austin Markus, Gregory the Great and his World, Cambridge 1997. - Henri Irénée Marrou, Histoire de l'éducation dans l'antiquité, Paris 1948 '1965; dt.: Gesch. der Erziehung im klass. Altertum, Freiburg i.Br. 1957. - Geoffrey Haward Martin/John Roger Lonsdale Highfield, A History of Merton College. Oxford, Oxford 1997. - Rosamund McKitterick, T h e Carolingians and Written Word, Cambridge 1989. - Dies., T h e Carolingian Church and the Book: T h e Church and the Book, hg. v. Robert N. Swanson, in Vorb. 2002 (SCH[L] 38). - T h e Medieval Church. Universities, Heresy, and the Religious Life. FS Gordon Leff, hg. v. Peter Biller, 1999 (SCH[L].S 11). - Franco Morenzoni, Thomas de Chobham et la promotion de la prédication au début du XIII siècle, Turnhout/Paris 1995 (Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen-Âge et Temps Modernes 30). - Ulrich Neymeyr, Die christl. Lehrer im zweiten J h . , 1989 (SVigChr 4). - Jaques Paquet (Hg.), Les universités à la fin du moyen âge. Actes du congrès internationale de Louvain 2 6 . - 3 0 . mai 1975, Louvain 1978 *1980. - Olaf Pedersen, T h e First Universities. Studium generale and the Origins of Univ. Education in Europe, Cambridge 1997. - Peter Raedts, Richard Rufus of Cornwall and the Tradition of Oxford Theology, 1987 ( O E M ) . - Pierre Riche, Éducation et culture dans l'Occident médiéval, Aldershot 1993. Richard William Southern, St. Anselm, Cambridge 1990. - Ders., Scholastic Humanism and the Unification of Europe. I. Foundations, Oxford/Cambridge, Mass. 1995. - Columba Stewart, Cassian the Monk, New York 1998 (Oxford Studies in Hist. Theology). - Thomas Sullivan, Benedictine Monks at the Univ. of Paris, A.D. 1 2 2 9 - 1 5 0 0 . A Biographical Register, Leiden 1995 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 4). - Johannes M . M . H. Thijssen, Censure and Heresy at the Univ. of Paris, 1 2 0 0 - 1 4 0 0 , Philadelphia, Pa. 1998 (Middle Ages Series). - Joseph W. Trigg, God's Marvelous Oikonomia. Reflections of Origen's Understanding of Divine and Human Pedagogy in the Address ascribed to Gregory Thaumaturgus: Journal of Early Christian Studies 9 (2001) 2 7 - 5 2 . - Unarmed Soldiery. Studies in the Early History o f All Souls College Oxford. T h e Chichele Lectures, 1 9 9 3 - 1 9 9 4 , by James McConica and others, Oxford 1998. - Nicholas Vincent, Master Alexander of Salisbury, Bishop of Coventry and Lichfield, 1 2 2 4 - 1 2 3 8 : J E H 46 (1995) 615 - 6 4 0 . - Robin Darling Young, Evagrius the Iconographer. Monastic Pedagogy in the Gnostikos: Journal of Early Christian Studies 9 (2001) 5 3 - 7 1 . Stuart George Hall II. R e f o r m a t i o n bis zur G e g e n w a r t 1. Vorbemerkungen 2. Reformation und Orthodoxie 19. Jahrhundert 5. Im 20. Jahrhundert (Literatur S. 357) 1.

3. Pietismus

4. Aufklärung und

Vorbemerkungen

Dem Thema fehlt es nicht an Breite, Gewicht, Dauer und literarischer Präsentation (bis hin zu K. -»Barth und Gerhard Ebeling [geb. 1912]); gleichwohl ist es bislang lexikographisch kaum berücksichtigt worden. In R G G 3 erscheint es aufschlußreich gerade einmal als „Theologiestudium, Reform des" (Schrey); in R E 5 muß man es unter dem Stichwort „Unterrichts- und Bildungswesen, theologisches" (Cohrs) suchen. Das Thema ist keineswegs identisch mit Pfarrerausbildung, gehört jedoch zu ihr. Diese hat in der T R E keinen eigenen Artikel, sondern wird unter -»Kirchliche Berufe lediglich passim gestreift. Außerdem wird Theologie, abgesehen von künftigen Pfarrern, vor allem auch als Lehramtsstudiengang belegt. Die O r g a n i s a t i o n des T h e o l o g i e s t u d i u m s variiert s o w o h l konfessionell als a u c h z w i schen L ä n d e r n wegen der unterschiedlichen O r g a n i s a t i o n der a k a d e m i s c h e n Institutionen. Beispielsweise h a t das Tridentinische Konzil (—»Tridentinum) die Priesterausbildung in Seminaren vorgeschrieben; in D e u t s c h l a n d ist diese a b e r z u m Teil im Verbund mit den theologischen - » F a k u l t ä t e n und d a m i t a u c h in Partizipation a n deren E n t w i c k l u n g erfolgt. M o d e r n e Anweisungen z u m katholischen T h e o l o g i e s t u d i u m finden sich im crétant

de Institutione

Sacerdotali

Dé-

des Z w e i t e n Vatikanischen Konzils (—»Vatikanum

II), das d a n n a u c h eine breitere E r ö r t e r u n g ausgelöst h a t . In den N i e d e r l a n d e n ist die G e s c h i c h t e der p r o t e s t a n t i s c h e n F a k u l t ä t e n und d a m i t die T h e o l o g e n a u s b i l d u n g teilweise eng m i t der F r ö m m i g k e i t s g e s c h i c h t e verbunden g e w e s e n . D i e angelsächsische u n d n o r d a m e r i k a n i s c h e T h e o l o g e n a u s b i l d u n g an Universitäten, „ S e m i n a r e n " o d e r Colleges, vollends die in der Dritten Welt ist äußerst vielfältig und unterschiedlich und k a n n a u c h in ö k u m e n i s c h e r K o o p e r a t i o n erfolgen (s.u. III.5.). Aus diesen B e m e r k u n g e n läßt sich

Theologiestudium II

355

bereits entnehmen, daß die Ausgestaltung des neuzeitlichen Theologiestudiums ähnlich wie die Geschichte der Kirche selbst von vielfältigen Faktoren abhängt, die jeweils zu würdigen sind. Nichtsdestoweniger lassen sich Kontinuitäten, gemeinsame Probleme und übergreifende Strukturen aufweisen. Ein instruktives Beispiel bietet hierfür die neuzeitliche Geschichte des Theologiestudiums im deutschsprachigen Protestantismus. 2. Reformation

und

Orthodoxie

Die Wittenberger Reformation betraf nicht zuletzt das Theologiestudium, das alsbald auch als Vorbedingung für das kirchliche Amt zunehmend durchgesetzt wurde. Der mögliche Erfolg von Studienreformmaßnahmen erwies sich hier einmal eklatant. Die Reformation hat denn auch in Kombination von theologischen und bibelhumanistischen Ansätzen das Theologiestudium dauerhaft geprägt mit der Anwendung des Prinzips sola scriptura auf den Lehrstoff und der darum geforderten Kenntnis der biblischen Sprachen sowie mit der damit einhergehenden Relativierung (nicht Eliminierung) der Philosophie. Unter den Anweisungen zum Theologiestudium ist -»Luthers Vorrede zum 1. Band seiner deutschen Schriften von 1539 (WA 50,654-661), die „eine rechte weise, in der Theologia zu studirn", mit der berühmten Trias Oratio, Meditatio, Tentatio anzeigen will, lange überaus wirksam gewesen. Dabei fixiert die Oratio die Angewiesenheit des Theologen auf den Heiligen Geist, wodurch zugleich die Frömmigkeit in das Studium integriert wird. Die Meditatio meint den Umgang mit dem Schriftwort und alles, was dem dient, also den ganzen von der Schriftauslegung her begriffenen Stoff. Die Tentatio bringt die Existentialität und den Lebensbezug des theologischen Geschäfts mit sich. Gefördert und geformt wurden die evangelischen Studierenden durch die Betreuung in Stipendienhäusern, zuerst in —»Marburg, aber auch in -»Wittenberg, -•Heidelberg und vor allem in —»Tübingen. Zur Theologenausbildung an staatlichen Universitäten oder Hochschulen hatte schon —»Melanchthon keine Alternative gesehen. Dabei übte der Staat in mancher Hinsicht auch seinen Einfluß aus, ohne daß man insgesamt von einer gravierenden Verformung des Theologiestudiums wird sprechen können. Die Impulse Luthers und Melanchthons aufnehmend, wurde der Rostocker D. -»Chytraeus zum vielzitierten Anfänger der beachtlichen eigenen Gattung der Anweisungsliteratur (u.a. Oratio de studio theologiae recte inchoando, Wittenberg 1560). Sie ist mit den bis in die Gegenwart immer wieder veröffentlichten theologischen -»Enzyklopädien als Beschreibungen des Studienstoffes verwandt oder fällt gelegentlich auch damit zusammen. Schon Chytraeus wendet sich gegen die bloß intellektuelle Wissensvermittlung. Z w a r wird Luthers Trias nicht von allen lutherisch-orthodoxen Autoren propagiert, die sich zur Sache geäußert haiben, aber die Reihe ist doch beachtlich. Sie reicht von den Prolegomena der Loci (1603) Matthias Hafenreffers (1561-1619) bis zu J. -»Gerhard, der die Theologie bereits als habitus theodotos versteht. Das hergebrachte Schema vermag sich auch mit der Wissenschaftslehre des Neuaristotelismus zu verbinden, wie sich an dem Straßburger Johann Konrad Dannhauer (1603-1666; -»Orthodoxie I; -»Straßburg) und dem Wittenberger A. -»Calov zeigt. Trotz der durchgehaltenen Kontinuität wurde im 17. Jh. auch Kritik am Theologiestudium vorgebracht. Sie richtete sich vielfach gegen die als steril empfundene Kontroverstheologie sowie gegen die Intellektualisierung oder neuerliche Scholastisierung des Studiums, forderte hingegen den persönlichen Praxisbezug, so J. -»Arndt und J.V. -»Andreae, aber gleichfalls der Wittenberger Balthasar Meisner (1587-1626) und der Erfurter Universitätskritiker Johann Matthäus Meyfart (1590-1642), der zusätzlich das akademische Leben der Theologen thematisierte. Die konkreten Vorschläge reichen dabei bereits bis zu praktischen Übungen. 3. Pietismus Der Erfolg des durch Ph.J. -»Spener etablierten -»Pietismus bestand wesentlich in der Verwirklichung eines theologischen Studienreformprogramms, wie es sich in seinen

356

Theologiestudium II

Pia Desideria (1675), aber auch in einem sonstigen beachtlichen Anweisungsschrifttum (u.a. De impedimentis studii theologici, Frankfurt a.M. 1690) findet. Die Präferenz hat eine biblische Theologie samt den biblischen Sprachen vor der Dogmatik. Reserve besteht gegenüber der nicht mehr von allen zu betreibenden Kontroverstheologie und auch gegenüber der Philosophie. Gefordert werden Studienberatung und praktische Übungen, dazu kommt die Empfehlung akademischer Collegia pietatis. Intendiert ist der fromme Student oder „Gottesgelehrte", der sich mit seinem Fach identifiziert und dessen Sache „praktisch" vorweg auf sich selbst bezieht. Genau besehen, verblieben Spener und seine Nachfolger damit weithin im Rahmen der lutherisch-orthodoxen Konzeption vom Theologiestudium, so daß an dieser Stelle keine erhebliche Differenz aufbrach. Hingegen geriet er darüber in die Kontroverse mit Georg Konrad Dilfeld (gest. 1684), einem Schüler von G. —»Calixt, der in Annäherung zur Aufklärung das Theologiestudium bereits als ein mit den Kräften der Vernunft wie jedes andere zu betreibendes theologisches Geschäft verstand. Vorerst behielt Spener das Feld. In -»Gießen, im Tübinger Herzoglichen Stipendium (—»Tübingen) und vor allem in -»Leipzig kamen Reformen des Theologiestudiums in Gang. In Leipzig sammelte A.H. —»Francke im Rahmen eines akademischen Collegium philobiblicum einen Kreis gleichgesinnter Studenten, der dann zur Zelle der die Universität und ihre Gesetze überschreitenden pietistischen Bewegung in Leipzig wurde. Als Professoren an der jungen Universität -»Halle vertraten Francke und seine Kollegen das pietistische Programm einer Reform des Theologiestudiums in wirksamen Schriften und Lehrveranstaltungen und setzten es bis hin zur Studienberatung, Studienförderung und Verwirklichung des Praxisbezugs tatkräftig um, was die theologische Fakultät Halle zeitweilig überaus attraktiv machte. Durch J.J. -»Rambach wurde die hallische Studiengestaltung auch nach Gießen übertragen. 4. Aufklärung

und 19.

Jahrhundert

Die fromme Konzeption des hallischen Pietismus stieß bei manchen aber auch auf Ablehnung, zumal sie wissenschaftlich, d.h. philosophisch und historisch, nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein schien. Im Bruch mit der lutherischen Trias konzipierten J.S. -»Semler (Halle) und L. von —»Mosheim (Göttingen) mit der Kurtzen Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen (1756) das Theologiestudium als eine mit den Kräften der Vernunft zu betreibende Wissenschaft und trennten sie damit vom persönlichen Glauben. Die Diastase hatte weitgehend Erfolg, auch wenn sie zumeist einen Stachel hinterließ. Bereits -»Herders Briefe, das Studium der Theologie betreffend (17801786), faktisch eine theologische Enzyklopädie, versuchen, wenn auch bezeichnend unscharf, überkommene Weisheit und neue Wissenschaft wieder miteinander zu verbinden. Eine dauerhaft bestimmende neue Konzeption hat dann F.D.E. -»Schleiermacher mit seiner Kurzen Darstellung des Theologischen Studiums (1810/1830) vorgelegt. Epochal ist dabei die berufsbezogene Bestimmung der Theologie als Wissenschaft für das Kirchenregiment mit den miteinander zusammenhängenden Teilen philosophische, historische und praktische Theologie. Die Frage nach dem Theologie treibenden Subjekt erübrigt sich somit. Keineswegs alle späteren theologischen Enzyklopädisten haben Schleiermachers Grundriß übernommen, aber indem die jüngste Präsentation der Grundlagen der Theologischen Ausbildung und Fortbildung im Gespräch (1993) ganz auf die zwar nicht erwerbbare, sondern nur zu gewinnende Kompetenz des Amtsträgers ausgerichtet ist, befindet sie sich nach wie vor innerhalb des Schemas Schleiermachers. Abgesehen davon besteht das ganze 19. Jh. hindurch das Nebeneinander von frommer Theologenerziehung durch eindrückliche theologische Lehrer wie z. B. A.G. -»Tholuck in Halle, J.T. -»Beck in Tübingen oder A. -»Schlatter und der kritisch-wissenschaftlichen Richtung mit dem ihr eigenen imponierenden Pathos. Dabei kann es durchaus auch zu vorteilhafter gegenseitiger Durchdringung kommen.

Theologiestudium II 5. Im 20.

357

Jahrhundert

Gegen Ende des 19. Jh. brach die Diskussion um die Reform des Theologiestudiums neu auf. Der Liberale Wilhelm Bornemann (1858-1946) prangerte, kombiniert mit kirchenkritischer Attitüde, Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart (M886) an und brachte dabei erstmalig die Hochschuldidaktik in die Debatte, in der sie sich von da an dann auch langfristig behauptete. Das Seminar kommt als Unterrichtsform neben der Vorlesung auf. Die Bewältigung der angewachsenen theologischen und außertheologischen, für den Theologen aber dennoch für nötig gehaltenen Stoffe wird dauerhaft ebenso zum schwierigen Problem wie das von der Schule nicht oder nicht mehr geleistete Erlernen der alten Sprachen. Der mehrfach, u.a. von A. von -»Harnack, gemachte Vorschlag der Fakultativerklärung des Hebräischen mit entsprechenden Konsequenzen für das Alte Testament tangierte erstmals den hergebrachten Studienstoff zentral. Obwohl noch mehrfach wiederholt, wurde dem Vorschlag für Volltheologen nie stattgegeben, wohl aber für Lehramtsstudenten. Die Reformdiskussion betraf ferner die Verringerung des historischen Stoffes und die Einbeziehung verschiedener nichttheologischer Fächer. In Front gegen den Liberalismus gründete F. von —•Bodelschwingh d.Ä. 1905 eine erste nicht-universitäre, vom Staat unabhängige Theologische Schule in Bethel (-+Hochschulen, Kirchliche). Im Kirchenkampf kamen die kirchlichen Hochschulen in Wuppertal und Berlin hinzu. Abgesehen von einem besonders intensiven Lehrangebot in den alten Sprachen haben sich die Kirchlichen Hochschulen derzeit weithin den theologischen Fakultäten angenähert. Eine eigene Würdigung wird der Bildungsleistung der Kirchlichen Hochschulen in der ehemaligen DDR zukommen müssen. Alternative Angebote machten in den vergangenen Jahrzehnten die von evangelikalen Kreisen getragenen Studienhäuser in manchen Universitätsstädten und die freilich recht marginal gebliebenen Freien Theologischen Akademien. Die Zeit des Nationalsozialismus und die Jahre danach brachten überhaupt eine Verkirchlichung des Studiums mit sich, die ältere Gegensätze zurücktreten ließ (exemplarisch Hahn/Wolf), aber z. B. das geistliche Leben des Studierenden wieder thematisierte. Der Realität von Frauen als Theologiestudierenden stellte man sich nur zögerlich. Die hochschulpolitische Situation der 60er Jahre führte zu einer breiten Diskussion über die Studienreform, die lange Jahre u.a. in der mit Vertretern der Landeskirchen, des Fakultätentages (-•Fakultäten, Theologische) und der Studierenden besetzten Gemischten Kommission zur Reform der theologischen Bildung geführt wurde. Mag man auch den Ertrag für begrenzt halten (Hauschild), mit der Berücksichtigung der Hochschuldidaktik, mit der verstärkten Einbeziehung der Humanwissenschaften, durch die unterschiedliche berufliche Ausrichtung der Studierenden auf Pfarramt oder Lehrämter und nicht zuletzt durch die Mitbestimmung von Studierenden und Mitarbeitern in den Fakultäten änderte sich der Stil des Theologiestudiums beträchtlich. Bewirkt war dies vorwiegend durch exogene Faktoren und nicht eigentlich durch einen theologischen oder geistlichen Aufbruch. Die Auswirkungen des schwankenden Bedarfs an Theologen (durch Strukturreformen bedingter Stellenabbau einerseits, Einrücken starker Jahrgänge in den Ruhestand andererseits) auf das Theologiestudium lassen sich noch nicht absehen (vgl. u. III.4.). Literatur Martin Brecht, Philipp Jakob Spener u. die Reform des Theologiestudiums: ders., Ausgew. Aufs. II. Pietismus, Stuttgart 1997, 3 1 5 - 3 3 0 . - Ders., Konzeptionen der Theologenausbildung in Württemberg vom 16. bis zum 18. Jh.: ebd. 2 3 1 - 2 5 0 . - Ders. u.a. (Hg.), Gesch. des Pietismus, Göttingen, I 1993 II 1995 (s.v. Theologenausbildung, Theologiestudium). - Ferdinand Cohrs, Art. Unterrichts- u. Bildungswesen, theol.: RE 3 20 (1908) 3 0 1 - 3 1 8 . - Eugen Drewermann, Hat das Philosophiestudium f. die Theologenausbildung heute überhaupt noch Sinn?: ThGl 56 (1966) 1 9 - 2 4 . - Paul Feine, Zur Reform des Studiums der Theol., Leipzig 1920 (repräsentativ f. die Thematik nach dem Ersten Weltkrieg). - Wilhelm Hahn/Hans-Heinrich Wolf, Reform des Theologiestudiums: MPTh 41 (1952) 1 2 9 - 1 4 4 . - Werner Hassiepen/Eilert Herms (Hg.), Grundlagen der theol. Aus-

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Theologiestudium III

bildung u. Fortbildung im Gespräch, Stuttgart 1993 (Reform der theol. Ausbildung 14). - WolfDieter Hauschild, Reform der theol. Ausbildung. Eine problematische Unternehmung zw. Veränderung u. Beharrung: Kirchl. Dienst u. Theol. Ausbildung (s.u.) 1 2 5 - 1 3 8 . - Johann Gottfried Herder, Briefe, das Studium der Theol. betreffend: ders., SW, hg. v. Bernhard Suphan, Berlin, X - X I 1879; Nachdr. Hildesheim 1967 = 1978. - Wolfgang Herrmann, Theol. Ausbildung u. ihre Reform, Münster 1976 (Lit.). - Chi-Won Kang, Frömmigkeit u. Gelehrsamkeit. Die Reform des Theologiestudiums im luth. Pietismus des 17. u. des frühen 18. Jh., Gießen/Basel 2001 (Kirchengesch. Monogr. 7) (Lit.). - Kirchl. Dienst u. Theol. Ausbildung. FS Heinrich Reiss, hg. v. Helmut Begemann/Carl Heinz Ratschow, Bielefeld 1985. - LThK 2 . Das Zweite Vatikanische Konzil T. II, 13 (1967) 3 3 7 - 3 5 5 . - Paul Nordhues, Die Zurüstung des Theologen für den Seelsorgedienst: ThGl 56 (1966) 5 - 1 9 . - Erhard Peschke, Stud. zur Theol. August Hermann Franckes. II/4. Das Studium der Theol., Berlin 1966, 1 2 7 - 224. - Josef Pohlmeyer, Der zweite Bildungsweg u. die Theol.: ThGl 56 (1966) 5 3 - 5 7 . - Albrecht v. Raab-Straube, Vergleichende Bemerkungen zur Reform des Theologiestudiums. Studium der Kath. u. Ev. Theol.: ThGl 56 (1966) 5 7 - 6 2 . - Karl Rahner, Zur Reform des Theologiestudiums, 1966 (QD 41). - Bruno Roschwick, Reform der Theologenausbildung: ThGl 56 (1966) 6 8 - 8 1 (Lit.). - Hermann Schaluck, Die Reform des theol. Studiums aus der Sicht der Orden: ThGl 56 (1966) 6 2 - 6 7 . - Friedrich Schleiermacher, Kurze Darst. des theol. Studiums. Krit. Ausg. v. Heinrich Scholz, Leipzig 1910; Nachdr. Darmstadt 1961 u.ö. - Heinz-Horst Schrey, Art. Theologiestudium, Reform des: R G G 3 6 (1962) 838f. - Henning Schröer/Dietrich Ritsehl/ Lothar Engel, Art. Theol. Fakultäten: EKL 3 4 (1996) 8 5 3 - 8 6 5 . - Paulus Wacker, Bildungsmisere auch in der Theologenausbildung: ThGl 56 (1966) 1 - 4 . - Heinrich Zimmermann u.a., Reform des Theologiestudiums aus der Sicht des Professors: ThGl 56 (1966) 2 4 - 4 8 . M a r t i n Brecht

III. Praktisch-theologisch 1. Grundlagen 2. Reform des Theologiestudiums 3. Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland und Theologiestudium 4. Gegenwartslage 5. Internationale Kontexte (Literatur S. 363) 1.

Grundlagen

Viele Studierende haben durch lebensgeschichtlich wichtige Erfahrungen ihr Interesse a m Theologiestudium entdeckt. Das biographische Element spielt eine wesentliche Rolle für Studienmotivation und Studienverlauf. Wesentlich für die M o t i v a t i o n ist die Bildung einer persönlichen Glaubensüberzeugung, ein positives Bild des Berufs, die positive Beurteilung der Qualitäten des Studiums und Übereinstimmung mit den eigenen Interessengebieten und Neigungen. Zugangsvoraussetzung im Bereich der -»Evangelischen Kirche in Deutschland ist die allgemeine Hochschulreife. Ein Numerus clausus als Zugangsbeschränkung besteht nicht. O r t des Theologiestudiums ist die staatliche oder die Kirchliche H o c h s c h u l e ( - » F a kultäten, Theologische; - » H o c h s c h u l e n , Kirchliche). Die drei Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein können als Ergänzungsprüfungen nachgeholt werden. D a s Theologiestudium bietet die Möglichkeit, in einen Bildungsprozeß einzutreten, der zwischen Aneignung der christlichen - » T r a d i t i o n , Kennenlernen der institutionalisierten F o r m e n des Christentums und Reflexion von religiöser Erfahrung im K o n t e x t gegenwärtiger Lebenswelten vermittelt. Das Studium beeinflußt den Prozeß der Identitätsfindung, indem es dazu anleitet, T e x t e und andere D o k u m e n t e theoriegeleitet zu reflektieren und gleichzeitig zu prüfen, o b der Wahrheitsanspruch der in Geltung stehenden kirchlichen Lehre persönlich vertreten werden kann. Fachübergreifende universitäre L e h r a n g e b o t e können zur Vertiefung genutzt werden (interdisziplinäres Lernen). Auslandsstudien dienen der Horizonterweiterung und werden gefördert. D a s Theologiestudium ist p r i m ä r auf die Berufsfelder P f a r r a m t ( - » P f a r r e r II) und schulisches L e h r a m t bezogen. Daneben bestehen andere theologische Studiengänge (Dip l o m , M a g i s t e r ) . Im Z u s a m m e n h a n g der Einrichtung staatlicher Fakultäten werden die Aspekte Berufsbezogenheit und Wissenschaftspflege gleichermaßen genannt. D a s T h e o logiestudium stellt als erste Phase einen integralen Bestandteil im Konzept der dreipha-

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sigen Ausbildung zum Pfarramt dar (Studium, Vikariat, Fortbildung). Die Zusammengehörigkeit der Phasen wird nicht nur von den Kirchen (Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland 1998), sondern auch vom Evangelisch-Theologischen Fakultätentag bekräftigt (1997). Mit dem Begriff theologische Kompetenz wird der Bildungsertrag der drei Phasen zusammengefaßt: als Inbegriff der Fähigkeiten, die für die auftragsgemäße und professionelle Führung des Pfarramtes erforderlich sind. Ziel des Studiums ist die Gewinnung der Grundfertigkeit, die für theologische Kompetenz unverzichtbaren elementaren Kenntnisse und Einsichten in eigenen Argumentations- und Artikulationsleistungen persönlich zu vertreten. Theologische Kompetenz kann durch die Begriffe kommunikative, missionarische und kybernetische Kompetenz sachgemäß entfaltet werden. Die Ausdifferenzierung evangelischer Theologie in den Hauptdisziplinen Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie (Dogmatik, Ethik) und Praktische Theologie spiegelt sich in den Studien- und Prüfungsordnungen der Fakultäten und Kirchen. Einzelaspekte der Fächer werden zwar in Nachbarwissenschaften behandelt. Doch nur in der Zusammensicht der Fächer läßt sich nach evangelischer Auffassung das Wesen des christlichen Glaubens bestimmen. Auch hier spielt das Kriterium der Berufsbezogenheit der Ausbildung eine wichtige Rolle. Die Frage nach der Mindestausstattung der Fakultäten ist von hoher Bedeutung. Ordinationsvoraussetzung ist ein mindestens sechssemestriges Hochschulstudium an einer theologischen Fakultät oder Kirchlichen Hochschule. Kirchliche Examina stellen berufsqualifizierende Abschlüsse dar (Hochschulrahmengesetz). Da die Berufsfelder Pfarramt und Lehramt konfessionell bestimmt sind, ist die evangelische Konfessionszugehörigkeit der Studierenden grundlegend (vgl. Positionspapier des Evangelisch-Theologischen Fakultätentages 1994, Abs. 2). Besondere Regelungen bestehen für Studierende aus Gliedkirchcn des ökumenischen Rates der Kirchen, die in der Regel Aufbaustudiengänge wahrnehmen (Magister). 2. Reform

des

Theologiestudiums

Der Diskurs über wissenschaftstheoretische und -politische Fragen und die hohe Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen führte in den 60er Jahren zu einer breiten Diskussion über Studienreformen. Von 1965 bis 1977 arbeiteten in der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums Fachkommission I (GK I) der Evangelisch-Theologische Fakultätentag und die Ausbildungsreferentenkonferenz (ARK I) zusammen (Studienreformkommission Evangelische Theologie). Die Ergebnisse der Beratungen wurden 1978 vorgelegt {Theologiestudium~Vikariat—Fortbildung). Anforderungen und Abläufe der Bildungsprozesse der drei Phasen wurden festgehalten. Examensanforderungen wurden formuliert (Differenzierung von Grundwissen und Spezialgebiet). Das Ziel der Ausbildung sollte die wissenschaftlich begründete, selbständige theologische Urteilsbildung sein. Intendiert war die Berücksichtigung der Human wissenschaften, deren Einfluß jedoch stärker im Vikariat zum Tragen kommen sollte. Kirchliche Prüfungsordnungen setzten das Konzept um. 1985/86 konstituierte sich die GK I neu und erhielt einen zweifachen Arbeitsauftrag. Zum einen sollten die Veränderungen der Studienbedingungen beachtet werden, um das Theologiestudium im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vergleichbar zu halten. Vorrangig war aber die inhaltliche Diskussion über das Wesen pastoraler (theologischer) Kompetenz, die im Gesamtplan noch ausgeklammert war. 1988 legte die GK I die Grundsätze für die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen der Gliedkirchen der EKD vor: Ausbildung in Bindung an den Auftrag des kirchlichen Amtes, Entwicklung theologischer Kompetenz als Grundlage der Ordination, Zusammenhang von Ausbildung und Fortbildung, Wahrnehmung der biographischen Situation der Studierenden, Textorientierung des Studiums. Die Diskussion über die Grundsätze zwischen 1988 und 1993 wurde 1993 dokumentiert (vgl. Grundlagen der theologischen Ausbildung und Fortbildung im Gespräch).

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Theologiestudium III

Um auf Dauer eine Anerkennung von kirchlichen Examina und Diplomabschlüssen zu sichern, wurde es nötig, eine Zwischenprüfung/Diplomvorprüfung einzuführen, wie sie in anderen Studiengängen längst üblich war. Gleichzeitig sollte die Struktur des Studienverlaufs deutlicher werden, da viele Studierende nach plausiblen Studienplänen fragten (Problem der Förderungshöchstdauer bei Stipendien etc.). Angesichts der Finanzlage der Bundesländer mußte die Ausstattung theologischer Fakultäten als staatlicher Bildungseinrichtungen erneut mit inhaltlichen und strukturellen Aussagen über das Profil der Ausbildung begründet werden.

1995 beschloß der Rat der EKD, die Rahmenordnung für die Zwischenprüfung/Diplomvorprüfung im Studiengang Evangelische Theologie als Richtlinie aufzustellen. Der Rat empfahl den Gliedkirchen in ihren Prüfungsordnungen, die Zwischenprüfung nach Maßgabe dieser Richtlinie zu regeln und dabei Empfehlungen des Evangelisch-Theologischen Fakultätentages 1995 zu berücksichtigen. Die Zwischenprüfung wird nach Maßgabe kirchlichen Rechts in Zusammenarbeit mit den Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen durchgeführt. Zwischenprüfungen und Diplomvorprüfungen, die nach Vorgaben der Rahmenordnung abgelegt sind, werden von allen Gliedkirchen der EKD anerkannt. Die Zwischenprüfung/Diplomvorprüfung schließt das Grundstudium ab. Durch sie sollen Studierende nachweisen, daß sie das Ziel des Grundstudiums erreicht und insbesondere die inhaltlichen Grundlagen ihres Faches, ein methodisches Instrumentarium und eine systematische Orientierung erworben haben, die erforderlich sind, um das Studium mit Erfolg fortzusetzen.

Seit 1997 setzten die Gliedkirchen und Fakultäten die Rahmenordnung um, so daß die intendierte gegenseitige Anerkennung bereits weitgehend gelungen ist. Es wurde nötig, einen Konsens über Stoffpläne herzustellen, welche die Gegenstände des Theologiestudiums bestimmen. Eine einheitliche Grundstruktur des Theologiestudiums an allen deutschen Ausbildungsstätten wurde intendiert, die sich in den Prüfungsordnungen der Gliedkirchen und den Diplomprüfungsordnungen der Fakultäten niederschlagen soll. Der wesentliche Bestand der Sachgebiete theologischer Lehre, die für die wissenschaftliche Ausbildung zum geistlichen Amt im Rahmen einer berufsbezogenen Ausbildung nötig sind, sollte im Einvernehmen zwischen Kirchen und Fakultäten bestimmt werden. In einem zweiten Schritt sollte über Gegenstände und Zulassungsvoraussetzungen für Zwischenprüfung/Diplomvorprüfung und Erstes Kirchliches Theologisches Examen/Diplomprüfung beraten werden. Die GK I führte von 1994 bis 1995 eine Anhörung von Vertretern der Hauptdisziplinen durch. Veränderungswünsche des Evangelisch-Theologischen Fakultätentages wurden 1997 in die Beratungsvorlagen der GK I von 1996 eingearbeitet (Übersicht über die Gegenstände des Studiums der Evangelischen Theologie und die Voraussetzungen und Gegenstände der theologischen Prüfungen): Als Hauptfächer werden Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie und Praktische Theologie definiert. Weitere Fachgebiete sind Religions- und Missionswissenschaften sowie Kirchen- und Staatskirchenrecht. Als Themenschwerpunkte sind in allen Hauptfächern die Aspekte Kirche und Israel, theologische Frauenforschung, Ökumene und Diakonie zu berücksichtigen. Zwischen Pflichtveranstaltungen und Wahlpflichtveranstaltungen aus den fünf Hauptfächern wird unterschieden. Der Pflichtbereich sollte insgesamt höchstens 80 der 160 Semesterwochenstunden ausmachen, welche vom Rat der EKD 1994 festgelegt wurden (zwölf Semester Regelstudienzeit: acht Semester, ein Prüfungssemester, drei Sprachsemester). Richtlinien zur Erstellung einer Prüfungsordnung für die Erste Theologische Prüfung/Diplomprüfung werden seit 1999 entwickelt, sie sollen in eine Rahmenordnung, die von den Kirchen und Fakultäten gleichermaßen umgesetzt wird, münden (Leistungsnachweise aus dem Studium; studienabschließende Prüfung: wissenschaftliche Hausarbeit, praktisch-theologische Hausarbeit, schriftliche und mündliche Fachprüfungen). Die GK Fachkommission II hat für Lehramtsstudiengänge Modellstudienordnungen entwickelt (Im Dialog über Glauben und Leben). Ziele und Inhalte der Lehramtsstudiengänge Evangelische Theologie/Religionspädagogik werden in einer Verschränkung von wissenschaftlich-theologischen und beruflichen Anforderungen beschrieben (reli-

Theologiestudium III

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gionspädagogische Kompetenz). Pfarramts- und Lehramtsstudierende sollen zumindest teilweise gemeinsam studieren können (Evangelisch-Theologischer Fakultätentag 1996). 3. Gliedkirchen

der Evangelischen

Kirche in Deutschland

und

Theologiestudium

Die Kirchen bemühen sich um einen intensiven Kontakt zu den Studierenden durch Zusammenarbeit mit Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen, zum anderen durch besondere kirchliche Begleitung. Die Gliedkirchen der EKD führen Listen mit den Namen ihrer Studierenden. Über den Zugang zur Liste entscheidet der Wohnsitz zur Zeit des Abiturs (Kirchenmitgliedschaft), es kann auch der Schulort als Kriterium herangezogen werden (Lebensmittelpunkt). In den Kirchen der -»Evangelischen Kirche der Union geschieht dies vor dem Hintergrund des Kirchengesetzes über die Ausbildung der Pfarrer (§ 4 Abs. 1), entsprechende Gesetze gelten in anderen Gliedkirchen. Ein Rechtsanspruch auf Übernahme in den Vorbereitungsdienst besteht nicht durch Zugehörigkeit zur Liste. Die Liste soll die Verbindung zwischen Studierenden und Kirche stärken. Der Zugang zur Liste erfolgt meist in den ersten Semestern. Verknüpfungen zwischen Studium und kirchlicher Praxis werden angestrebt. Dazu dient vor allem die Einrichtung von Praktika in diversen kirchlichen Handlungsfeldern. Tagungen, Studienfahrten und die Einrichtung von Studienhäusern an Hochschulstandorten dienen der Begleitung und der kritischen Vergewisserung über die Berufseignung. Die Zugehörigkeit zur Liste ist in der Regel Voraussetzung zur Zulassung zum kirchlichen Examen und damit zum Vikariat. Inwieweit positiv von einem landeskirchlichen Sozialisierungseffekt geredet werden kann, entscheiden jedoch vor allem die realen Zugangsmöglichkeiten zu Vikariat und Pfarramt und die Wahrnehmung des aktuellen Pfarrerbildes. N u r wo gute Chancen zur Realisierung des Berufswunsches bestehen, können Studierende bereits während der ersten Phase der Ausbildung einen positiven Bezug zu ihrer Kirche aufbauen und sich in Ruhe dem Studium widmen. Die Pflege religiöser Praxis während des Studiums stellt für viele Studierende ein Problem dar (Lohse; Seitz). Hier sind von Kirchen und Fakultäten in Z u k u n f t wichtige Aufgaben zu lösen, um Studierende mit dem spirituellen Reichtum der eigenen Tradition und der ökumenischen Weite des Christentums vertraut machen zu können. Anglikanische und römisch-katholische Modelle der Vernetzung von Studium und -»-Spiritualität können hilfreich sein (vgl. Rahmenordnung für die Priesterbildung). 4.

Gegenwartslage

Der Anstieg der Studierendenzahlen aufgrund veränderter Bildungsmöglichkeiten und der kirchlichen und gesellschaftlichen Situation Anfang der 80er Jahre führte zu Restriktionen im Fall von Wechsel wünschen. Manche Landeskirchen hatten sich mit einer großen Zahl von Anträgen auf Aufnahme in die Liste auseinanderzusetzen. Aus Gründen der Personalplanung wurde der Wechsel nur noch für Theologenehepaare zugelassen. Der in der Ausbildung weiter Fortgeschrittene zog den Partner in die je eigene Herkunftskirche nach (Kriterium im Zweifelsfall: Beginn des Theologiestudiums). Diese Vorgehensweise wurde durch Beschluß der ARK I 1995 bestätigt. Härtefälle und Ausnahmen werden von den Landeskirchenämtern im Einzelfall geregelt. Die Konsultation der Ausbildungs- und Personalreferenten der EKD 1998 (Würzburg VII) hielt zwar prinzipiell am sog. Landeskirchenkindertum als Grundlage der Personalplanung aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Beheimatung fest, votierte jedoch für eine behutsame Öffnung. Hintergrund war der sich abzeichnende Rückgang der Aufnahmen (1994/95: 6.028, 738 neu; 1995/96: 5.578, 629 neu; 1996/97: 5.099, 598 neu; 1997/98: 4.674, 465 neu; 1998/99: 4.271, 490 neu; 1999/2000: 3.580, 354 neu). Die finanziell angespannte Lage der Kirchen führte zu Verminderungen der Ausbildungskapazitäten (Schließung von -»Predigerseminaren), der Zugang zum Vikariat wurde fast überall erschwert. Die Öffentlichkeitswirkung dieser Restriktionen hatte zur Konsequenz, daß motivierte Abitu-

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Theologiestudium III

rienten, die sich für Theologie und Kirche interessierten, in andere Berufsfelder abwandern. Die Kirchen sehen sich zu Beginn des 21. Jh. vor der Herausforderung, für Studium und Beruf werben zu müssen, da die Zahl der Studierenden dem prognostizierten Bedarf kaum noch entspricht. Entsprechende Entwicklungen gibt es im Sektor der Lehramtsstudierenden, auch wenn deren Ausbildungs- und Berufssituation von den Bundesländern in höherem Maß bestimmt wird als durch die Kirchen (veränderte Einstellungschancen wegen Pensionierungszahlen nach 2000). Die Fakultäten bieten zwar auf Grund der Proportion von Lehrenden und Studierenden in allen theologischen Studiengängen eine gute Ausbildungssituation, sind aber in ihrem Bestand trotz rechtlicher Absicherung angefragt, da personelle und materielle Einschnitte drohen (Planstellen, Sachkosten), welche die Qualität der theologischen Ausbildung beeinträchtigen können. Kooperationsmodelle sollen der Standortsicherung dienen. Der Anteil der Frauen unter den Studierenden ist seit Anfang der 90er J a h r e auf etwa 5 0 Prozent angewachsen. 1999 betrug die Gesamtzahl der evangelischen Theologiestudierenden in Deutschland 11.357. D a v o n waren 5 . 6 6 8 mit dem Berufsziel Pfarramt eingeschrieben, 2 . 4 8 9 L e h r a m t (Sekundarstufe II), 7 9 5 L e h r a m t (Sekundarstufe I und Primarstufe), 7 0 0 Bereich Didaktik, 4 4 4 andere Lehramtsstudiengänge, 1 . 7 6 9 Diplom, Magister und besondere Studiengänge.

5. Internationale

Kontexte

Im weltweiten Horizont der Ausbildung stellt das deutsche Modell einer staatskirchlichen Kooperation zwar eine besondere Konstruktion dar, findet jedoch in der Schweiz, Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, den skandinavischen Staaten und seit den 90er Jahren auch in mittel- und osteuropäischen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts strukturelle Entsprechungen. Die Rechtsgestalten der Kooperation zwischen Kirchen, Ministerien und Fakultäten variieren je nach konkreter Ausformung der staatskirchenrechtlichen Tradition. Der europäischen protestantischen Tradition entspricht es, daß die Ausbildung zum Pfarramt akademisch fundiert ist. In der Regel richten Kirchen eigene Ausbildungsstätten ein (Colleges, Seminaries). Oft ist neben dem Besuch des kirchlichen Colleges das Studium an staatlichen Departments of Religious Studies oder Fakultäten möglich. Dabei bieten die kirchlichen Bildungseinrichtungen neben konfessions- und institutionsbezogenen theorieorientierten Curricula vor allem die Vernetzung mit der kirchlichen Praxis, während die Fakultäten oder Departments Theologie im Zusammenhang der Religionswissenschaft lehren. Deren Ziel läßt sich am Beispiel der Faculty of Divinity der University of -»Cambridge (Großbritannien) zusammenfassen: „Between three and four billion of the world's population are directly envolved in the major religions. The fostering of religious understanding, therefore, has immense implications, not only for the convictions, values and world-views of people throughout the world, but also for the flourishing of communities, institutions and whole social systems. The Cambridge Faculty of Divinity is at the forefront of response to this complex situation." Bildungsziel ist die Schaffung einer Kultur gegenseitiger Toleranz. Pars pro toto sei das britische Ausbildungsmodell skizziert: In Großbritannien steht vor dem Zugang zum kirchlichen College eine Selection Conference, die im Auftrag des Bischofs oder der Kirchenleitung (nichtepiskopal geleitete Kirchen) agiert. Neben Bildungskriterien steht dabei die Verbindung zur Kirche und Motivation zu Studium und Beruf im Mittelpunkt des Auswahlverfahrens. Die Colleges fördern neben der Ausbildung vor allem das gemeinsame seminaristische Leben, ermöglichen seelsorgerliche und spirituelle Betreuung. Forschung wird zwar auch an Colleges betrieben, steht jedoch gegenüber der Lehre im Hintergrund. Lehrkräfte der Colleges sind oft gleichzeitig an den Fakultäten tätig. Die wissenschaftlichen Grade (Bachelor, Master, Doctor of Theology/Divinity) werden in der Regel von den Colleges aus an den Fakultäten erworben, bzw. von diesen bestätigt. Während das Ziel der Colleges die Hinführung zur Ordination

Theologiestudium III

363

ist (Ordained Ministry), studieren an den Fakultäten viele independent students, die das akademische Bildungsangebot ohne direkten Bezug zur Kirche nutzen. Sowohl die Ausbildungsgänge der Colleges wie der Fakultäten werden gerade in Großbritannien als Zweitstudiengang oder als Aufbaustudium wahrgenommen. Viele Ordinanden haben eine erste Ausbildung abgeschlossen und entschließen sich nach Jahren beruflicher Praxis für das Theologiestudium. Individuell zusammengestellte Ausbildungspläne ermöglichen den Zugang zu Studium und Pfarramt auf dem 2. Bildungsweg. Berufsbegleitendes Studium ist möglich. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die -»Kirche von England haben durch das Abkommen von Meißen Zusammenarbeit in Fragen der theologischen Ausbildung vereinbart (1988). Die jungen Kirchen der weltweiten Ökumene haben in der Folge der Mission bzw. der Prägung durch ehemalige Kolonialmächte entsprechende Modelle der theologischen Ausbildung übernommen. Die Inkulturation westlicher Ausbildungsmodelle seit dem späten 19. Jh. in neue ethnische und soziale Kontexte hat langfristig spezifische theologische Veränderungsprozesse in Gang gesetzt. Ein Nachlassen westlicher traditioneller Paradigmen ist festzustellen, auch wenn herkömmliche Curricula (Bibelstudium, Kirchengeschichte - vor allem der je eigenen Konfession, Dogmatik, praktische Kurse) weiterhin gelten. Insgesamt ist eine deutlich höhere Gewichtung der praxisorientierten Anteile der Ausbildung festzustellen, die eher deutschen Fachhochschulstudiengängen entspricht. Eine vom ökumenischen Rat der Kirchen 1996 in Oslo einberufene Konferenz Global Consultation on Ecumenical Theological Education: Its Viability Today hat sich der Frage nach der Zukunft theologischer Ausbildung vor dem Horizont globaler Verflechtungen von Ökonomie, Technologie und Kommunikation gestellt und machte die Notwendigkeit engerer Zusammenarbeit der verschiedenen am Theologiestudium und an der Ausbildung insgesamt beteiligten Institutionen und Personen deutlich. Literatur An Int. Directory of Theol. Colleges 1997. Compl. and Ed. by Alec Gilmore, Genf 1997. Ausbildung Ev. Religionslehrer. Studium der Theol. Empfehlungen des Rates der EKD zur Ausarbeitung von Studienordnungen f. Studiengänge der Ev. Theol. mit dem Ziel einer Ersten Lehramtsprüfung, Stuttgart 1980 (Reform der theol. Ausbildung 13). - Thomas Benner, Handreichung f. Theologiestudium u. Vikariat, hg. vom Ausbildungsdezernat der Ev. Kirche v. KurhessenWaldeck, Kassel 1999. - Der Beruf des Pfr., der Pfarrerin heute. Ein Diskussionspapier zur V. Würzburger Konsultation über Personalplanung in der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 1989. - Rudolf Bohren (Hg.), Einf. in das Studium der ev. Theol., München 1964. - Markus Braun, Reformation des Theol.-Studiums, Hamburg 1966. - Karl-Fritz Daiber, Theologiestudium u. rel.-kirchl. Wandel: T h Z 47 (1991) 254 - 274. - Dekret „Die theol. Ausbildung der künftigen Priester" der Kongregation f. das kath. Bildungswesen, Rom 1976. - Directory of Theol. Education Institutions in Europe, hg. v. der Konferenz Europ. Kirchen, Genf 1 1981. - Gerhard Ebeling, Studium der Theol. Eine enzyklopädische Orientierung, Tübingen 1975 (UTB 446). - Lothar Engel/Dietrich Werner (Hg.), Ökum. Perspektiven theol. Ausbildung, Frankfurt a.M. 1990 (ÖR.B 60). - Heinrich Frick, Einf. in das Studium der ev. Theol., Gießen 1947. - Grundlagen der theol. Ausbildung u. Fortbildung im Gespräch. Die Diskussion über die „Grundsätze f. die Ausbildung u. Fortbildung der Pfarrerinnen u. Pfr. der Gliedkirchen der E K D " . Dokumentation u. Erträge 1988-1993. Im Auftrag der Gemischten Kommission f. die Reform des Theologiestudiums hg. v. Werner Hassiepen/ Eilert Herms, Stuttgart 1993 (Reform der theol. Ausbildung 14). - Wolfgang Herrmann, Theol. Ausbildung u. ihre Reform, Münster 1976. - Im Dialog über Glauben u. Leben. Zur Reform des Lehramtsstudiums Ev. Theol./Religionspädagogik. Empfehlungen der Gemischten Kommission, Gütersloh 1997. - Eduard Lohse, Kleine ev. Pastoralethik, Göttingen 1985. - John Pobee (Hg.), Towards Viable Theol. Education. Ecumenical Imperative, Catalyst of Renewal, Genf 1997. - Judo Poerwowidaglo, Towards the 21st Century. Challenges and Opportunities for Theol. Education, Madurai 1993 = Genf 1995. - Rahmenordnung f. die Priesterbildung, verabschiedet v. der Vollversammlung der Dt. Bischofskonferenz, Bonn 1988. - Dietrich Rössler, Grundriß der Prakt. Theol., 1986 2 1994 (GLB). - Heinz Schmidt, Art. Ausbildung: R G G " 1 (1998) 976(. - Henning Schröer (Hg.), Einf. in das Studium der ev. Theol., Gütersloh 1982. - Manfred Seitz, Praxis des Glaubens. Gottesdienst, Seelsorge u. Spiritualität, Göttingen 1978. - Georg Strecker (Hg.), Theol. im 20. Jh.,

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Theophilus von Alexandrien

Tübingen 1983. - Studium der Ev. Theol. zur Vorb. auf den Pfarrerberuf. Ubersicht über die Studienmöglichkeiten im Bereich der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, 1989 u.ö. (EKD.T 28). - Studium der Theol. in Europa. Theol. Fak. u. Kirchl. Hochschulen. ErgH. zu EKD.T 28, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 1995. - Theol. im Horizont der Ökumene. Informationen f. ev. Theologinnen, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hamburg/Hannover 3 1997. - Theologiestudium. Entwurf einer Reform, hg. v. Wolfgang Lautner/Gerd Lautner, München 1965. - Theologiestudium - Vikariat - Fortbildung. Gesamtplan der Ausbildung f. den Pfarrerberuf. Empfehlungen des Rates der EKD, hg. v. der Kirchenkanzlei der EKD, Stuttgart *1978 (Reform der theol. Ausbildung 12). - Univ. of Cambridge. The Faculty of Divinity, Cambridge 1998. - Heinrich Vogel, Grundfragen des Studiums der Theol., Berlin 1957. - Dietrich Werner, Religiosität im Theologiestudium, Stuttgart 1990.

Thomas Benner/Werner Hassiepen

Theopaschiten/Theopaschitischer Streit ->Byzanz, -»Jesus Christus, -»Neuchalkedonismus

Theophanie -»Offenbarung

Theophilus von Alexandrien (gest. 412) 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 367)

1. Leben Uber Theophilus ist vor dem Jahr 385, als er Timotheus auf dem Bischofsstuhl von -•Alexandrien folgte, nichts Sicheres bekannt. Nach seinem Tode im Jahre 412 wurde sein Neffe -»Cyrillus von Alexandrien sein Nachfolger. Sein bis heute umstrittenes Profil verdankt sich bestimmten, in den Quellen kontrovers geschilderten Episoden seiner Karriere: die Attacke auf das alexandrinische Serapeum, das Eingreifen des Theophilus in den origenistischen Streit und sein Vorgehen gegen die origenistischen Mönche und -»Johannes Chrysostomus. 1.1. Der Angriff auf das alexandrinische Serapisheiligtum wird in verschiedenen, zum Teil untereinander divergierenden Versionen überliefert (Rufinus, h.e. XI,22ff.; Sokrates, h.e. V,16f.; Sozomenus, h.e. VII,15; vgl. auch Theodoret, h.e. V,22; Eunapius, v. S. 4 7 1 473). Der Vorfall muß vor 392 stattgefunden haben (Hieronymus, vir. ill. 134). Oft wird eine Verbindung zu einem von Kaiser —»Theodosius I. am 16. Juni 391 erlassenen Edikt (CodTheod 16,10,11) hergestellt, das den Besuch der Tempel verbietet. Von Zerstörung ist dort nicht die Rede (Noethlichs 1161). Sokrates' Version verdankt sich im wesentlichen den heidnischen Gewährsleuten Helladios und Ammonios, die als Beteiligte an den Unruhen Theophilus als den Hauptschuldigen sehen, der eine kaiserliche Anordnung zur Zerstörung des Mithraeums und des Serapeums erwirkt und ausgeführt habe. Die von - * Rufin von Aquileia präsentierte Version ist detaillierter und auch in ihrem Ablaufbild plausibler (vielleicht nach Sophronius, vgl. Hieronymus, vir. ill. 134 und dazu Orlandi, Scritto) und findet sich, mit einigen signifikanten Varianten und Zusätzen, ähnlich auch bei Sozomenos. Demnach war die Attacke auf das Serapeum keine von Theophilus geplante Aktion. Vielmehr fand man bei der Vergrößerung einer von Kaiser Konstantius II. (reg. 337-361) der homöischen Gemeinde gegebenen Basilika Reste eines heidnischen Heiligtums (vgl. Sokrates, h.e. 111,2 und ihm folgend Sozomenus, h.e. V,7, welche die Geschichte vom profanierten Mithraeum 30 Jahre zurückprojizieren und mit der Ermordung des Homöerbischofs Georg verbinden [vgl. Thelamon 248]. Wenn Sozomenus in h.e. VII,15,2 von einem Dionysosheiligtum spricht, so will er vielleicht

364

Theophilus von Alexandrien

Tübingen 1983. - Studium der Ev. Theol. zur Vorb. auf den Pfarrerberuf. Ubersicht über die Studienmöglichkeiten im Bereich der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, 1989 u.ö. (EKD.T 28). - Studium der Theol. in Europa. Theol. Fak. u. Kirchl. Hochschulen. ErgH. zu EKD.T 28, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 1995. - Theol. im Horizont der Ökumene. Informationen f. ev. Theologinnen, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hamburg/Hannover 3 1997. - Theologiestudium. Entwurf einer Reform, hg. v. Wolfgang Lautner/Gerd Lautner, München 1965. - Theologiestudium - Vikariat - Fortbildung. Gesamtplan der Ausbildung f. den Pfarrerberuf. Empfehlungen des Rates der EKD, hg. v. der Kirchenkanzlei der EKD, Stuttgart *1978 (Reform der theol. Ausbildung 12). - Univ. of Cambridge. The Faculty of Divinity, Cambridge 1998. - Heinrich Vogel, Grundfragen des Studiums der Theol., Berlin 1957. - Dietrich Werner, Religiosität im Theologiestudium, Stuttgart 1990.

Thomas Benner/Werner Hassiepen

Theopaschiten/Theopaschitischer Streit ->Byzanz, -»Jesus Christus, -»Neuchalkedonismus

Theophanie -»Offenbarung

Theophilus von Alexandrien (gest. 412) 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 367)

1. Leben Uber Theophilus ist vor dem Jahr 385, als er Timotheus auf dem Bischofsstuhl von -•Alexandrien folgte, nichts Sicheres bekannt. Nach seinem Tode im Jahre 412 wurde sein Neffe -»Cyrillus von Alexandrien sein Nachfolger. Sein bis heute umstrittenes Profil verdankt sich bestimmten, in den Quellen kontrovers geschilderten Episoden seiner Karriere: die Attacke auf das alexandrinische Serapeum, das Eingreifen des Theophilus in den origenistischen Streit und sein Vorgehen gegen die origenistischen Mönche und -»Johannes Chrysostomus. 1.1. Der Angriff auf das alexandrinische Serapisheiligtum wird in verschiedenen, zum Teil untereinander divergierenden Versionen überliefert (Rufinus, h.e. XI,22ff.; Sokrates, h.e. V,16f.; Sozomenus, h.e. VII,15; vgl. auch Theodoret, h.e. V,22; Eunapius, v. S. 4 7 1 473). Der Vorfall muß vor 392 stattgefunden haben (Hieronymus, vir. ill. 134). Oft wird eine Verbindung zu einem von Kaiser —»Theodosius I. am 16. Juni 391 erlassenen Edikt (CodTheod 16,10,11) hergestellt, das den Besuch der Tempel verbietet. Von Zerstörung ist dort nicht die Rede (Noethlichs 1161). Sokrates' Version verdankt sich im wesentlichen den heidnischen Gewährsleuten Helladios und Ammonios, die als Beteiligte an den Unruhen Theophilus als den Hauptschuldigen sehen, der eine kaiserliche Anordnung zur Zerstörung des Mithraeums und des Serapeums erwirkt und ausgeführt habe. Die von - * Rufin von Aquileia präsentierte Version ist detaillierter und auch in ihrem Ablaufbild plausibler (vielleicht nach Sophronius, vgl. Hieronymus, vir. ill. 134 und dazu Orlandi, Scritto) und findet sich, mit einigen signifikanten Varianten und Zusätzen, ähnlich auch bei Sozomenos. Demnach war die Attacke auf das Serapeum keine von Theophilus geplante Aktion. Vielmehr fand man bei der Vergrößerung einer von Kaiser Konstantius II. (reg. 337-361) der homöischen Gemeinde gegebenen Basilika Reste eines heidnischen Heiligtums (vgl. Sokrates, h.e. 111,2 und ihm folgend Sozomenus, h.e. V,7, welche die Geschichte vom profanierten Mithraeum 30 Jahre zurückprojizieren und mit der Ermordung des Homöerbischofs Georg verbinden [vgl. Thelamon 248]. Wenn Sozomenus in h.e. VII,15,2 von einem Dionysosheiligtum spricht, so will er vielleicht

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Theophilus von Alexandrien

Tübingen 1983. - Studium der Ev. Theol. zur Vorb. auf den Pfarrerberuf. Ubersicht über die Studienmöglichkeiten im Bereich der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, 1989 u.ö. (EKD.T 28). - Studium der Theol. in Europa. Theol. Fak. u. Kirchl. Hochschulen. ErgH. zu EKD.T 28, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 1995. - Theol. im Horizont der Ökumene. Informationen f. ev. Theologinnen, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hamburg/Hannover 3 1997. - Theologiestudium. Entwurf einer Reform, hg. v. Wolfgang Lautner/Gerd Lautner, München 1965. - Theologiestudium - Vikariat - Fortbildung. Gesamtplan der Ausbildung f. den Pfarrerberuf. Empfehlungen des Rates der EKD, hg. v. der Kirchenkanzlei der EKD, Stuttgart *1978 (Reform der theol. Ausbildung 12). - Univ. of Cambridge. The Faculty of Divinity, Cambridge 1998. - Heinrich Vogel, Grundfragen des Studiums der Theol., Berlin 1957. - Dietrich Werner, Religiosität im Theologiestudium, Stuttgart 1990.

Thomas Benner/Werner Hassiepen

Theopaschiten/Theopaschitischer Streit ->Byzanz, -»Jesus Christus, -»Neuchalkedonismus

Theophanie -»Offenbarung

Theophilus von Alexandrien (gest. 412) 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 367)

1. Leben Uber Theophilus ist vor dem Jahr 385, als er Timotheus auf dem Bischofsstuhl von -•Alexandrien folgte, nichts Sicheres bekannt. Nach seinem Tode im Jahre 412 wurde sein Neffe -»Cyrillus von Alexandrien sein Nachfolger. Sein bis heute umstrittenes Profil verdankt sich bestimmten, in den Quellen kontrovers geschilderten Episoden seiner Karriere: die Attacke auf das alexandrinische Serapeum, das Eingreifen des Theophilus in den origenistischen Streit und sein Vorgehen gegen die origenistischen Mönche und -»Johannes Chrysostomus. 1.1. Der Angriff auf das alexandrinische Serapisheiligtum wird in verschiedenen, zum Teil untereinander divergierenden Versionen überliefert (Rufinus, h.e. XI,22ff.; Sokrates, h.e. V,16f.; Sozomenus, h.e. VII,15; vgl. auch Theodoret, h.e. V,22; Eunapius, v. S. 4 7 1 473). Der Vorfall muß vor 392 stattgefunden haben (Hieronymus, vir. ill. 134). Oft wird eine Verbindung zu einem von Kaiser —»Theodosius I. am 16. Juni 391 erlassenen Edikt (CodTheod 16,10,11) hergestellt, das den Besuch der Tempel verbietet. Von Zerstörung ist dort nicht die Rede (Noethlichs 1161). Sokrates' Version verdankt sich im wesentlichen den heidnischen Gewährsleuten Helladios und Ammonios, die als Beteiligte an den Unruhen Theophilus als den Hauptschuldigen sehen, der eine kaiserliche Anordnung zur Zerstörung des Mithraeums und des Serapeums erwirkt und ausgeführt habe. Die von - * Rufin von Aquileia präsentierte Version ist detaillierter und auch in ihrem Ablaufbild plausibler (vielleicht nach Sophronius, vgl. Hieronymus, vir. ill. 134 und dazu Orlandi, Scritto) und findet sich, mit einigen signifikanten Varianten und Zusätzen, ähnlich auch bei Sozomenos. Demnach war die Attacke auf das Serapeum keine von Theophilus geplante Aktion. Vielmehr fand man bei der Vergrößerung einer von Kaiser Konstantius II. (reg. 337-361) der homöischen Gemeinde gegebenen Basilika Reste eines heidnischen Heiligtums (vgl. Sokrates, h.e. 111,2 und ihm folgend Sozomenus, h.e. V,7, welche die Geschichte vom profanierten Mithraeum 30 Jahre zurückprojizieren und mit der Ermordung des Homöerbischofs Georg verbinden [vgl. Thelamon 248]. Wenn Sozomenus in h.e. VII,15,2 von einem Dionysosheiligtum spricht, so will er vielleicht

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Theophilus von Alexandrien

Tübingen 1983. - Studium der Ev. Theol. zur Vorb. auf den Pfarrerberuf. Ubersicht über die Studienmöglichkeiten im Bereich der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD, 1989 u.ö. (EKD.T 28). - Studium der Theol. in Europa. Theol. Fak. u. Kirchl. Hochschulen. ErgH. zu EKD.T 28, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 1995. - Theol. im Horizont der Ökumene. Informationen f. ev. Theologinnen, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hamburg/Hannover 3 1997. - Theologiestudium. Entwurf einer Reform, hg. v. Wolfgang Lautner/Gerd Lautner, München 1965. - Theologiestudium - Vikariat - Fortbildung. Gesamtplan der Ausbildung f. den Pfarrerberuf. Empfehlungen des Rates der EKD, hg. v. der Kirchenkanzlei der EKD, Stuttgart *1978 (Reform der theol. Ausbildung 12). - Univ. of Cambridge. The Faculty of Divinity, Cambridge 1998. - Heinrich Vogel, Grundfragen des Studiums der Theol., Berlin 1957. - Dietrich Werner, Religiosität im Theologiestudium, Stuttgart 1990.

Thomas Benner/Werner Hassiepen

Theopaschiten/Theopaschitischer Streit ->Byzanz, -»Jesus Christus, -»Neuchalkedonismus

Theophanie -»Offenbarung

Theophilus von Alexandrien (gest. 412) 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 367)

1. Leben Uber Theophilus ist vor dem Jahr 385, als er Timotheus auf dem Bischofsstuhl von -•Alexandrien folgte, nichts Sicheres bekannt. Nach seinem Tode im Jahre 412 wurde sein Neffe -»Cyrillus von Alexandrien sein Nachfolger. Sein bis heute umstrittenes Profil verdankt sich bestimmten, in den Quellen kontrovers geschilderten Episoden seiner Karriere: die Attacke auf das alexandrinische Serapeum, das Eingreifen des Theophilus in den origenistischen Streit und sein Vorgehen gegen die origenistischen Mönche und -»Johannes Chrysostomus. 1.1. Der Angriff auf das alexandrinische Serapisheiligtum wird in verschiedenen, zum Teil untereinander divergierenden Versionen überliefert (Rufinus, h.e. XI,22ff.; Sokrates, h.e. V,16f.; Sozomenus, h.e. VII,15; vgl. auch Theodoret, h.e. V,22; Eunapius, v. S. 4 7 1 473). Der Vorfall muß vor 392 stattgefunden haben (Hieronymus, vir. ill. 134). Oft wird eine Verbindung zu einem von Kaiser —»Theodosius I. am 16. Juni 391 erlassenen Edikt (CodTheod 16,10,11) hergestellt, das den Besuch der Tempel verbietet. Von Zerstörung ist dort nicht die Rede (Noethlichs 1161). Sokrates' Version verdankt sich im wesentlichen den heidnischen Gewährsleuten Helladios und Ammonios, die als Beteiligte an den Unruhen Theophilus als den Hauptschuldigen sehen, der eine kaiserliche Anordnung zur Zerstörung des Mithraeums und des Serapeums erwirkt und ausgeführt habe. Die von - * Rufin von Aquileia präsentierte Version ist detaillierter und auch in ihrem Ablaufbild plausibler (vielleicht nach Sophronius, vgl. Hieronymus, vir. ill. 134 und dazu Orlandi, Scritto) und findet sich, mit einigen signifikanten Varianten und Zusätzen, ähnlich auch bei Sozomenos. Demnach war die Attacke auf das Serapeum keine von Theophilus geplante Aktion. Vielmehr fand man bei der Vergrößerung einer von Kaiser Konstantius II. (reg. 337-361) der homöischen Gemeinde gegebenen Basilika Reste eines heidnischen Heiligtums (vgl. Sokrates, h.e. 111,2 und ihm folgend Sozomenus, h.e. V,7, welche die Geschichte vom profanierten Mithraeum 30 Jahre zurückprojizieren und mit der Ermordung des Homöerbischofs Georg verbinden [vgl. Thelamon 248]. Wenn Sozomenus in h.e. VII,15,2 von einem Dionysosheiligtum spricht, so will er vielleicht

Theophilus von Alexandrien

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die Angabe von Sokrates [h.e. V,16,3] korrigieren, der hier schon vom Serapisheiligtum redet und in diesem Zusammenhang auch phalli erwähnt.). Daraus ergab sich - wie, wird nicht ganz klar - ein Aufstand der Heiden, in dessen Verlauf sich diese in dem auf einem Hügel gelegenen Serapistempel verschanzten. Von dort aus unternahmen sie Ausfälle, bei denen auch Christen verschleppt wurden, die anschließend gefoltert und getötet wurden. Bestärkt von einem Agitator im Philosophengewande, Olympius (vgl. Damascius, Isid., Frgm. 91 ff. [ed. Zintzen]), weigerten sich die Heiden, den Bitten der lokalen Autoritäten nachzugeben und den Serapistempel zu verlassen. Schließlich wird der Kaiser eingeschaltet. Dieser preist in einem Schreiben die getöteten Christen als Märtyrer, gewährt den Heiden Amnestie und befiehlt, die heidnischen Tempel zu schleifen. Die Christen besetzen daraufhin den von den Heiden geräumten Ort und verwandeln ihn anschließend in eine Kirche (Sozomenus: nach Kaiser Arkadius benannt [Calderini 167]; Rufin, h.e. XI,27f., berichtet in diesem Zusammenhang eine translatio der Gebeine Johannes des Täufers aus Palästina unter Athanasius [?] [vgl. auch Storia della Chiesa di Alessandria II, 1 2 - 1 6 . 6 1 - 6 3 ; The Chronicle of John 74f.] sowie die anschließende Errichtung einer Kirche und eines martyrium nach der Zerstörung des Serapeums [?] [Calderini 166.170f.; Martin 222]). Auch andere Tempel wurden zerstört, so z.B. in Kanopos (Rufin, h.e. XI,26). Man wird zögern, Theophilus, der immerhin -»Synesius von Cyrene zum Bischof von Cyrene weihen konnte, einen das bei antiken Christen übliche Maß allzuweit überschreitenden antiheidnischen Fanatismus zuschreiben zu wollen. 1.2. In innerkirchlichen Angelegenheiten war Theophilus zunächst vermittelnd tätig: 391 übertrug eine Synode von Capua dem neutralen Theophilus die Aufgabe, im antiochenischen Schisma (->Antiochien) eine Entscheidung zwischen Flavian (Bischof von Antiochien 381-404) und Evagrius (TRE 3,110,38-45) herbeizuführen. Flavian verweigerte sich jedoch diesem Verfahren; eine 393 in Cäsarea (Palästina) tagende Synode, an der Theophilus nicht teilnehmen konnte, da er mit antiheidnischen Maßnahmen beschäftigt war, bestätigte Flavian als legitimen Bischof (Severus: The Sixth Book II/l, 223f.). Wir besitzen das von H.-G. Opitz auf 400/401 datierte Fragment eines Briefes an Flavian von Antiochien, in dem Theophilus ihn drängt, dem evagrianischen Klerus Gemeinschaft zu gewähren (Severus: ebd. II/2, 303f.307f.) - 394 tagte Theophilus zusammen mit Flavian unter dem Vorsitz des Ortsbischofs Nektarius (gest. 397) in Konstantinopel, um den Fall einer umstrittenen Bischofswahl in Bostra zu entscheiden. Um die gleiche Zeit erfolgte auch die Intervention des Theophilus in die zwischen Epiphanius von Salamis (ca. 315-403) und -»Hieronymus auf der einen Seite und Johannes von Jerusalem (gest. 417) und Rufin von Aquileia auf der anderen Seite ausgetragenen origenistischen Kontroverse (s. T R E 25,415f.). Mit vermutlich gleichlautenden Briefen des Theophilus an die Jerusalemer Kirche und an Hieronymus versehen, reiste der alexandrinische Presbyter Isidor nach Pfingsten 396 nach Palästina. Unter Wahrung einer gewissen Neutralität mahnte Theophilus offenbar zum Frieden und zur Einhaltung der Kirchensatzungen (vgl. Nautin). Johannes von Jerusalem untersagte Isidor die Auslieferung des Briefes an Hieronymus und sandte seinerseits eine Apologie an Theophilus (Hieronymus, c. Joan. 5.38f.), in der er die von Epiphanius vorgenommene widerrechtliche Ordination des Hieronymusbruders Paulinianus als Hauptursache der Kontroverse herausstellte (Hieronymus, c. Joan. 41). 397 erfolgte die vorläufige Aussöhnung zwischen den vier Kontrahenten. 397 befand sich Theophilus wiederum in Konstantinopel, um seinen Günstling, den alexandrinischen Priester Isidor, als Bischof durchzusetzen. Doch mußte er dem Druck des kaiserlichen Hofes nachgeben und den am 26. Februar 398 inthronisierten Johannes Chrysostomus akzeptieren. 1.3. Bei seiner Vermittlung in der palästinischen Kontroverse hatte Theophilus sich offenbar in der Streitfrage des Origenismus nicht engagiert. Im Osterfestbrief des Jahres 399 verwahrte er sich gegen die anthropomorphitische Position, die -»Gott einen Körper

366

Theophilus von Alexandrien

zuschrieb (Johannes Cassianus, coli. 10,2: SC 54,75; Sokrates, h.e. VI,7; Sozomenus, h.e. VIII.ll). Laut Sokrates/Sozomenus gab Theophilus daraufhin dem lautstarken Protest der anthropomorphitischen Mönche nach und begann, die Klöster in der Nitria von origenistischen Mönchen zu säubern. Höhepunkt der Kampagne war das Vorgehen gegen die sog. „Langen Brüder", vier großgewachsene origenistische Mönchsbrüder. Palladius (dial. VI,49-117), Sokrates (h.e. VI,9) und Sozomenus (h.e. VIII,12) bestreiten eine theologische Motivation des Theophilus: Sie sehen die Ursache in der Assoziation der „Langen Brüder" mit dem ehemaligen Günstling des Theophilus, dem Priester und Vorsteher des Gästehauses der alexandrinischen Kirche, Isidor. Theophilus soll sich mit Isidor u.a. wegen Geld- und Erbschaftsangelegenheiten überworfen haben (angeblich wollte Theophilus für die Armenhilfe bestimmte Gelder zum Errichten von Kirchen zweckentfremden). Isidor, seines Amtes enthoben, begab sich zu den „Langen Brüdern" in die nitrische Wüste. Theophilus benutzte nun den Origenismus der nitrischen Mönche, um die anthropomorphitischen Mönche gegen sie aufzuhetzen. Ist diese Version auch einseitig, so wird sie doch teilweise durch Theophilus selbst bestätigt (Hieronymus, ep. 92: CSEL 55/2,147-155). Doch war auch der Antiorigenismus des Theophilus eine in sich konsistente häresiologische Position, die keine Revision seiner anti-anthropomorphitischen Position implizierte (vgl. Richard, Nouveaux Fragments 63 [Frgm. 7]). Hauptpunkte seiner Kritik an —»Origenes sind der Subordinatianismus, die Leugnung der -»Auferstehung von den Toten, die Erlösung des -»Teufels, die Begrenzung der Allmacht Gottes und der Wirksamkeit des Heiligen -»Geistes, die Lehre vom Fall der -•Seelen. E. A. Clark vermutet eine Frontstellung des Theophilus gegen den monastischen Origenismus des -»Evagrius Ponticus (Clark 105-121). Der Origenismus wurde offenbar auf einer alexandrinischen Synode verurteilt, die u.a. den Konflikt zwischen dem angeblichen „Priester" Origenes und seinem Bischof polemisch kommentierte (Palladius, dial. VII,1—10; Declerck 503 -506). Die origenistischen Mönche begaben sich erst nach Palästina und dann nach Konstantinopel, wo sie den Ortsbischof Johannes Chrysostomus um Hilfe gegen Theophilus baten. Im Weigerungsfalle drohten sie, die Sache vor den Kaiser zu bringen (Palladius, dial. VII,61-82). Johannes nahm sie auf, schrieb zwei Briefe an Theophilus und versuchte zu vermitteln. Offenbar hatte Johannes auch einige der Mönche zu Priestern geweiht (Theophilus nach Hieronymus, ep. 113,1: CSEL 55/ 2,393f.). Theophilus verbat sich eine Einmischung mit Verweis auf can. 5 der I. ökumenischen Synode von -»Nicäa. Die Mönche erreichten durch eine Petition beim Kaiser, daß dieser Theophilus vor ein von Johannes zu leitendes Tribunal lud. Offenbar spllte - wie seit -»Konstantin I. üblich - Theophilus erst durch eine Bischofssynode abgesetzt werden. Theophilus kam mit großem Anhang, landete in Lykien und begab sich von dort nach Konstantinopel, wo er von der Kaiserin gastlich aufgenommen wurde (Palladius, dial. VIII,36-48). Theophilus versammelte seinerseits eine kleine, überwiegend mit ägyptischen Bischöfen besetzte Synode in Chalkedon („Eichensynode") als Synodalgericht, das Johannes, der mit 40 Bischöfen tagte, vorlud. Als die Synode um Johannes die Ladung mit Verweis auf can. 5 von Nicäa ablehnte, wurde Johannes 403 von der „Eichensynode" abgesetzt (Photius, cod. 59; Palladius, dial. VIII,167-186.237243); er mußte auf kaiserliche Anordnung ins Exil gehen. Bevor er seinen Verbannungsort erreichte, führten ein Vorfall im kaiserlichen Palast und Unruhen in der Hauptstadt zu seiner tumultuarischen Rückberufung; Theophilus zog sich daraufhin nach Alexandrien zurück. Doch war er selbst später bereit, gegenüber den Anhängern des schließlich abgesetzten und in der Verbannung verstorbenen Johannes Chrysostomus Milde walten zu lassen (PG 66,1409AB). 2. Werk Das literarische Werk des Theophilus, das hauptsächlich aus zum Teil fragmentarisch überlieferten Briefen und Homilien (vielfach nur in lateinischer, syrischer, armenischer oder arabischer Übersetzung) besteht, ist nach Umfang und Inhalt noch nicht vollständig

Theophilus von Alexandrien

367

erschlossen und ausgewertet (vgl. u. Quellen 1.). Bedeutsam ist auch die von Theophilus zwischen 3 8 8 und 3 9 5 veröffentlichte Ostertabelle, die für die folgenden 100 J a h r e den Ostertermin nach dem 19jährigen alexandrinischen Osterzyklus kalkulierte (E. Schwartz 2 8 f . ; - » Ostern/Osterfest/Osterpredigt). 3.

Wirkung

B e v o r man eine fundierte Bewertung des Theophilus als Bischof, Kirchenpolitiker und besonders als T h e o l o g e n versuchen kann, m u ß er noch gründlicher als bislang erforscht werden. Deutlich wird, daß er als Kirchenpolitiker nicht ohne Geschick und Erfolg die innere Stabilität und die äußere Stellung der ihm anvertrauten Kirche zu w a h r e n und zu mehren suchte, seine Beziehungen zur kaiserlichen M a c h t gestalteten sich enger und konfliktfreier als z. B. bei —»Athanasius, und auch auf dem risikoreichen Feld der Beziehungen zu z. B. Antiochien und Konstantinopel agierte er alles in allem erfolgreicher als sein berühmter Vorgänger (vgl. H a a s ) . Als Bischof mußte er wie seine Vorgänger versuchen, die Pressionen von Seiten des alexandrinischen Kirchenvolkes und verschiedener ägyptischer M ö n c h s g r u p p e n sowohl zu manipulieren als auch einzudämmen. Die Z w ä n g e , denen Theophilus sich dabei ausgesetzt sah, waren der institutionellen Verfassung des spätantiken Christentums systemimmanent; diese auf Theophilus allein zu projizieren und damit zu personalisieren versperrt das historische Verständnis. In seiner eigenen Kirche überdauerte ihn sein R u h m als bedeutendster Förderer des Kirchenbaus auf dem alexandrinischen Bischofsthron (fast ein Dutzend Kirchen werden mit seinem Episkopat verknüpft, vgl. M a r t i n 2 2 1 - 2 2 5 ) sowie als Bekämpfer des Heidentums. Quellen 1. Theophilus von Alexandrien: Gute Auflistungen finden sich in: CPG 2 , 2 5 8 0 - 2 6 8 4 . - HansGeorg Opitz (s.u.) 2 1 5 9 - 2 1 6 5 . - Agostino Favale (s.u.) 5 - 2 4 . - Marcel Richard, Écrits (s.u.). 2. Weitere Quellen: The Chronicle of John, Bishop of Nikiu. Transi, from Zotenberg's Ethiopie Text by Robert Henry Charles, London 1916 = Amsterdam 1980 (TTSS 3). - Eunapius, Vitae sophistarum, hg. v. Joseph Giangrande, Rom 1956. - Palladius, Dialogue sur la vie de Jean Chrysostome. I. Intr., texte critique, trad. et notes par Anne-Marie Malingrey/Philippe Leclerq, 1988 (SC 341). - Hieronymus, Contra Joannem Hierosolymitanum, ed. Jean Louis Feiertag, 1999 (CChr.SL 79A). - Ders., De viris inlustribus, ed. Ernest Cushing Richardson, 1896 (TU 14/1 a, 1 - 5 6 ) . - Rufinus, KG: Eusebius Werke. II. Die KG, hg. v. Eduard Schwartz/Theodor Mommsen, 2 Bde., 1903/1908 (GCS 9/1.2). - The Sixth Book of the Select Letters of Severus Patriarch of Antioch in the Syriac Version of Athanasius of Nisibis, ed. and transi, by Ernest Walter Brooks, I I / 1 - 2 1903-1904 (WTTS) = London 1969. - Sokrates, KG, hg. v. Günther Christian Hansen, 1995 (GCS NF 1). - Sozomenos, KG, hg. v. Joseph Bidez/Günther Christian Hansen, 1960 (GCS 50). Theodoret v. Kyros, KG, hg. v. Léon Parmentier/Günther Christian Hansen, 3 1997 (GCS NF 5). Literatur Antonio Baldini, Problemi della tradizione sulla „distruzione" del Serapeo dell'Alessandria: Rivista storica dell'Antichità 15 (1985) 9 7 - 1 5 2 . - Edward White Benson, Art. Theophilus (9): DCB 4 (1887) 9 9 9 - 1 0 0 8 . - Aristide Calderini, Dizionario dei nomi geografici e topografici dell' Egitto Greco-Romano, Kairo, 1/1 1935. - Elizabeth A. Clark, The Origenist Controversy. The Cultural Construction of an Early Christian Debate, Princeton, N.J. 1992. - José Declerck, Théophile d'Alexandrie contre Origène. Nouveaux Fragments de l'Epistula Synodalis Prima (CPG 2595): Byz. 54 (1984) 4 9 5 - 5 0 7 . - René Delobel/Marcel Richard, Art. Théophile d'Alexandrie: D T h C 15/1 (1946) 5 2 3 - 5 3 0 . - A. De Nicola, Art. Theophilus: EEC 2 (1992) 831. - Etienne Drioton, La discussion d'un moine anthropomorphite Audien avec le patriarche Théophile d'Alexandrie en l'année 399: R O C 20 [ = 2. Sér. 10] (1915-1917) 9 2 - 1 0 0 . 1 1 3 - 1 2 8 . - Adalbert De Vogué, Histoire littéraire du mouvement monastique dans l'antiquité. Première Partie. Le monachisme latin. T. 3, Paris 1996, 15 - 90. - Agostino Favale, Teofilo d'Alessandria (345 C.-412). Scritti, vita e dottrina, Turin 1958 (Biblioteca del Salesianum 41). - Garth Fowden, Bishops and Temples in the Eastern Roman Empire A.D. 3 2 0 - 4 3 5 : J T h S NS 29 (1978) 5 3 - 7 8 . - Christopher Haas, Alexandria in Late Antiquity, Baltimore, Md./London 1997. - L. Habachi, The Destruction of Temples in Egypt: Medieval and Middle Eastern Studies. FS Aziz Suryal Atiya, hg. v. Sami A. Hanna, Leiden 1972,

Theophilus von Antiochien

368

1 9 2 - 1 9 8 . - Rudolf Herzog, Der Kampf um den Kult v. Menuthis: Pisciculi, 1939 (AuC.E 1) 1 1 7 - 1 2 4 . - Karl Holl, Die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits: ders., GAufs. zur KG. II. Der Osten, Tübingen 1928, 3 1 0 - 3 3 5 . - Adolf Jülicher, Bemerkungen zu der Abh. des Hrn. Holl „Die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits": ebd. 3 3 5 - 3 5 0 . - Annik Martin, Les églises d'Alexandrie aux 3e et 4e siècles: REA 30 (1984) 2 1 1 - 2 2 5 . - Pierre Nautin, La lettre de Théophile d'Alexandrie à l'église de Jérusalem et la réponse de Jean de Jérusalem (juin-juillet 396): R H E 6 9 (1974) 3 6 5 - 3 9 4 . Karl-Leo Noethlichs, Art. Heidenverfolgung: RAC 13 (1986) 1149-1190. - Hans-Georg Opitz, Art. Theophilos v. Alexandrien: PRE 2,5,2 (1934) 2 1 4 9 - 2165. - Tito Orlandi, Uno scritto di Teofilo di Alessandria sulla distruzione del Serapeum?: ParPass 121 (1968) 9 - 1 8 . - Ders., Un frammento copto di Teofilo di Alessandria: R S O 44 (1969) 2 3 - 2 6 . - Marcel Richard, Une Homélie de Théophile d'Alexandrie sur l'institution de l'Eucharistie: R H E 33 (1937) 4 6 - 5 4 (wiederabgedruckt: ders., Op. Minora, Turnhout/Leuven, II 1977, Nr. 37). - Ders., Les Fragments exégétiques de Theóphile d'Alexandrie et de Théophile d'Antioche: R B 47 (1938) 3 8 7 - 3 9 7 (wiederabgedr.: ebd., Nr. 38). Ders., Les Écrits de Théophile d'Alexandrie: Muséon 52 (1939) 3 3 - 5 0 . - Ders., Nouveaux Fragments de Theóphile d'Alexandrie: NAWG 1975,2, 57 - 65 (wiederabgedr.: ebd., Nr. 39). - Eduard Schwartz, Christi, u. jüd. Ostertafeln, 1905 (AGWG NF 8/6) 28f. - Jacques Schwartz, La fin du Sérapeum d'Alexandrie: Essays in Honor of C. Bradford Welles, 1966 (ASP 1) 9 7 - 1 1 1 . - Storia della Chiesa di Alessandria, hg. v. Tito Orlandi, Mailand, II 1970. - Françoise Thelamon, Païens et chrétiens au IVe siècle. L'apport de l'Histoire ecclésiastique de Rufin d'Aquilée, 1981 (EAug) 1 5 9 - 279. - Ewa Wipszycka, La christianisation de l'Egypte aux IVe-VIe siècles. Aspects sociaux et ethniques: dies., Études sur le christianisme dans l'Égypte de l'antiquité tardive, Rom 1996, 62-105.

Winrich Alfried Lohr

Theophilus von Antiochien (gest. ca. 1. Leben

1.

2. Werk und Denken

180/191)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 371)

Leben

Theophilus wurde 169 Bischof von - » Antiochien, der sechste laut -»Eusebius (h.e. IV,20; chron., can. II: ed. Alfred Schoene, Berlin, I 1866 = 2 1967, 170), der siebte laut -•Hieronymus (ep. 121,6,15; vir. ill. 25), der -»Petrus an die Spitze der Liste setzt. Sein Geburtsort ist unbekannt; die Erwähnung von Tigris und Euphrat als „unserem Land benachbart" (Autol. 11,24) besagt nicht, daß er anderswo als in Antiochien geboren ist; gestorben ist er nach 180 (Erwähnung des am 17. März 180 gestorbenen M a r c Aurel in 111,27.28) und vor 1 9 0 / 1 9 1 , dem Datum der Wahl seines zweiten Nachfolgers Serapion auf den antiochenischen Stuhl. Theophilus nennt als Grund für seine Wendung vom Unglauben zum Glauben seine Betroffenheit von der gegenwärtigen Erfüllung prophetischer Weissagungen (1,14); er dürfte daher ursprünglich eher Jude als Heide gewesen sein. 2. Werk und

Denken

2.1. Hieronymus (ep. 121; vir. ill. 25) schreibt Theophilus zu Unrecht einige nicht mehr erhaltene Abhandlungen zu. Echt sind dagegen wahrscheinlich die bei Eusebius genannten, ebenfalls nicht mehr erhaltenen Schriften Ilepi idTopicöv (h.e. II,28,30f.) und drei weitere Arbeiten (h.e. IV,24), nämlich die KaxrjxtjriKä ßißlia sowie je eine gegen Hermogenes und gegen -»Marcion gerichtete antihäretische Abhandlung, von denen sich Spuren in den Büchern an Autolykos finden. Die christliche Unterweisung und die Polemik waren somit Theophilus' bevorzugte literarische Tätigkeitsfelder. Erhalten sind allein die Bücher an Autolykos. Sie geben sich als fiktive oder tatsächliche Auseinandersetzung mit einem weiter nicht bekannten heidnischen Ansprechpartner Autolykos, zielen aber wohl auf eine größere Öffentlichkeit. Der Verfasser entfaltet darin unterschiedliche Themen, die er möglicherweise vor ihrer Vereinigung zu einer einzigen Schrift jeweils unabhängig für sich behandelt hat. Eine Reihe von ihnen gilt

Theophilus von Antiochien

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1 9 2 - 1 9 8 . - Rudolf Herzog, Der Kampf um den Kult v. Menuthis: Pisciculi, 1939 (AuC.E 1) 1 1 7 - 1 2 4 . - Karl Holl, Die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits: ders., GAufs. zur KG. II. Der Osten, Tübingen 1928, 3 1 0 - 3 3 5 . - Adolf Jülicher, Bemerkungen zu der Abh. des Hrn. Holl „Die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits": ebd. 3 3 5 - 3 5 0 . - Annik Martin, Les églises d'Alexandrie aux 3e et 4e siècles: REA 30 (1984) 2 1 1 - 2 2 5 . - Pierre Nautin, La lettre de Théophile d'Alexandrie à l'église de Jérusalem et la réponse de Jean de Jérusalem (juin-juillet 396): R H E 6 9 (1974) 3 6 5 - 3 9 4 . Karl-Leo Noethlichs, Art. Heidenverfolgung: RAC 13 (1986) 1149-1190. - Hans-Georg Opitz, Art. Theophilos v. Alexandrien: PRE 2,5,2 (1934) 2 1 4 9 - 2165. - Tito Orlandi, Uno scritto di Teofilo di Alessandria sulla distruzione del Serapeum?: ParPass 121 (1968) 9 - 1 8 . - Ders., Un frammento copto di Teofilo di Alessandria: R S O 44 (1969) 2 3 - 2 6 . - Marcel Richard, Une Homélie de Théophile d'Alexandrie sur l'institution de l'Eucharistie: R H E 33 (1937) 4 6 - 5 4 (wiederabgedruckt: ders., Op. Minora, Turnhout/Leuven, II 1977, Nr. 37). - Ders., Les Fragments exégétiques de Theóphile d'Alexandrie et de Théophile d'Antioche: R B 47 (1938) 3 8 7 - 3 9 7 (wiederabgedr.: ebd., Nr. 38). Ders., Les Écrits de Théophile d'Alexandrie: Muséon 52 (1939) 3 3 - 5 0 . - Ders., Nouveaux Fragments de Theóphile d'Alexandrie: NAWG 1975,2, 57 - 65 (wiederabgedr.: ebd., Nr. 39). - Eduard Schwartz, Christi, u. jüd. Ostertafeln, 1905 (AGWG NF 8/6) 28f. - Jacques Schwartz, La fin du Sérapeum d'Alexandrie: Essays in Honor of C. Bradford Welles, 1966 (ASP 1) 9 7 - 1 1 1 . - Storia della Chiesa di Alessandria, hg. v. Tito Orlandi, Mailand, II 1970. - Françoise Thelamon, Païens et chrétiens au IVe siècle. L'apport de l'Histoire ecclésiastique de Rufin d'Aquilée, 1981 (EAug) 1 5 9 - 279. - Ewa Wipszycka, La christianisation de l'Egypte aux IVe-VIe siècles. Aspects sociaux et ethniques: dies., Études sur le christianisme dans l'Égypte de l'antiquité tardive, Rom 1996, 62-105.

Winrich Alfried Lohr

Theophilus von Antiochien (gest. ca. 1. Leben

1.

2. Werk und Denken

180/191)

3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 371)

Leben

Theophilus wurde 169 Bischof von - » Antiochien, der sechste laut -»Eusebius (h.e. IV,20; chron., can. II: ed. Alfred Schoene, Berlin, I 1866 = 2 1967, 170), der siebte laut -•Hieronymus (ep. 121,6,15; vir. ill. 25), der -»Petrus an die Spitze der Liste setzt. Sein Geburtsort ist unbekannt; die Erwähnung von Tigris und Euphrat als „unserem Land benachbart" (Autol. 11,24) besagt nicht, daß er anderswo als in Antiochien geboren ist; gestorben ist er nach 180 (Erwähnung des am 17. März 180 gestorbenen M a r c Aurel in 111,27.28) und vor 1 9 0 / 1 9 1 , dem Datum der Wahl seines zweiten Nachfolgers Serapion auf den antiochenischen Stuhl. Theophilus nennt als Grund für seine Wendung vom Unglauben zum Glauben seine Betroffenheit von der gegenwärtigen Erfüllung prophetischer Weissagungen (1,14); er dürfte daher ursprünglich eher Jude als Heide gewesen sein. 2. Werk und

Denken

2.1. Hieronymus (ep. 121; vir. ill. 25) schreibt Theophilus zu Unrecht einige nicht mehr erhaltene Abhandlungen zu. Echt sind dagegen wahrscheinlich die bei Eusebius genannten, ebenfalls nicht mehr erhaltenen Schriften Ilepi idTopicöv (h.e. II,28,30f.) und drei weitere Arbeiten (h.e. IV,24), nämlich die KaxrjxtjriKä ßißlia sowie je eine gegen Hermogenes und gegen -»Marcion gerichtete antihäretische Abhandlung, von denen sich Spuren in den Büchern an Autolykos finden. Die christliche Unterweisung und die Polemik waren somit Theophilus' bevorzugte literarische Tätigkeitsfelder. Erhalten sind allein die Bücher an Autolykos. Sie geben sich als fiktive oder tatsächliche Auseinandersetzung mit einem weiter nicht bekannten heidnischen Ansprechpartner Autolykos, zielen aber wohl auf eine größere Öffentlichkeit. Der Verfasser entfaltet darin unterschiedliche Themen, die er möglicherweise vor ihrer Vereinigung zu einer einzigen Schrift jeweils unabhängig für sich behandelt hat. Eine Reihe von ihnen gilt

Theophilus v o n Antiochien

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den üblichen Anliegen der christlichen - » A p o l o g e t i k des 2. J h . : der Widerlegung heidnischer E i n w ä n d e gegen die neue Religion, der Polemik gegenüber dem Heidentum und unausgesprochen auch gegenüber gnostischen Deutungen von Schriftstellen, der (partiellen) positiven Darlegung der Lehren beider Testamente und dem Aufruf zur Bekehrung. Keine Entsprechung in der frühchristlichen Apologetik hat dagegen eine in diese Ausführungen eingeschaltete Erläuterung des Sechstagewerks. Eigenständig ist auch eine Weltchronologie ( - » Z e i t r e c h n u n g ) a m Schluß des Werkes; unter Rückgriff auf biblische, heidnische und jüdische Autoren erstellt Theophilus eine durchgehende Chronologie von der Weltschöpfung bis auf seine eigene Z e i t , u m den zeitlichen Vorrang von - » M o s e gegenüber H o m e r zu erweisen. 2 . 2 . Der in den Büchern an Autolykos wirksame dreifache - heidnische, jüdische und christliche - geistige Hintergrund bekundet sich auf je unterschiedlichem Niveau. Theophilus greift gelegentlich auf Begriffe und Vorstellungen der zeitgenössischen -»Philosophie zurück, um u.a. die negativen Eigenschaften Gottes, die zweifache Zuständlichkeit des -»Logos, bestimmte Entwürfe der Kosmogonie und den Leib-Seele-Dualismus (-»Leib und Seele) zur Sprache zu bringen. Daß er dabei aus häufig polemisch und partiell verwendeten Handbüchern und Anthologien schöpft, zeigt zugleich aber auch die Oberflächlichkeit seiner klassischen Bildung. Theophilus' jüdische Bildung tritt insbesondere in der beträchtlichen Anzahl seiner häufig aus dem Gedächtnis gegebenen Schriftanführungen zutage. Sie ist des öfteren näherhin als eine hellenistisch-jüdische Bildung aufgefaßt worden, wie sie -»Philo von Alexandrien vertritt. Doch sind Theophilus' Berührungspunkte mit dieser Art jüdischer Geistigkeit dafür keineswegs spezifisch. Die Methoden zur Lösung von Verständnisschwierigkeiten oder zur Erhebung des wahren Sinnes von Schriftstellen wie etwa die bereits von heidnischen Autoren verwendete Etymologie waren allgemein geläufig; allgemein geläufig war es auch, Texten Sinnebenen zuzuschreiben, die zur Erschließung der tieferen Wahrheit ihrer Botschaft geeigneter erscheinen als der buchstäbliche Sinn (-•Schriftauslegung). Ungeachtet sachlicher Berührungen setzt diese Art der Schriftauslegung noch keine unmitrelbare Abhängigkeit von Philo voraus. Kennzeichnend ist möglicherweise, daß Theophilus trotz seiner Neigung, gerade seine jüdischen Quellen (darunter -»Josephus Flavius) zu nennen, über Philo völlig schweigt. Dagegen läßt er in der Erklärung des Sechstagewerks deutliche Beziehungen zur rabbinischen Literatur erkennen. Seinen christlichen Glauben gibt Theophilus nicht offen zu erkennen. Er übergeht etwa den Namen Christi (-»Jesus Christus) sowohl in seiner Chronologie als auch bei der Etymologie des Wortes „Christ", das er auf XPWtóq („gut": Autol. 1,1.12) und - auch hier ohne Nennung Christi - auf xpieiv („salben": 1,12) zurückführt. Diese Zurückhaltung erklärt sich möglicherweise daraus, daß der Bischof seine Bücher an Autolykos als axoixeiú>5r¡ ypáfifiaxa (Eusebius, h.e. IV,24), als vorläufige elementare Hinführung auf eine Bekehrung und nicht als erschöpfende Darstellung der christlichen Lehre angelegt hat. Aus dem Neuen Testament zitiert er ausdrücklich Joh 1,1.3 (Autol. 11,22), doch allein im Blick auf den Logos als Schöpfer, sowie moralische Anweisungen zur ehelichen Treue (III, 13) und zur Liebestätigkeit (111,14), doch nur im Gefolge von Prophetentexten (111,12-14). 2.3. Weil ihm d a r a n gelegen ist zu betonen, daß leibliche Augen unmöglich - » G o t t unmittelbar schauen können (1,5), listet er gelegentlich die negativen Eigenschaften G o t tes auf (1,3); auch weist er einige von den Heiden und Gnostikern beanstandete Ant h r o p o m o r p h i s m e n zurück (11,22), trägt aber keine Bedenken, andere gelten zu lassen (1,3: „Allerdings, G o t t z ü r n t " ; vgl. 11,29); er sieht G o t t d a r a u f g e r i c h t e t , sich dem M e n schen durch seine Werke erkennen zu geben (1,4.5; 11,10); einzigartig, vor der stofflichen Welt bestehend (11,10), die er aus dem N i c h t s geschaffen hat (1,4; 11,4.13), will G o t t sich durch sein H a n d e l n offenbaren und sich in seiner Allmacht, ordnungstiftenden Geistigkeit, Vollkommenheit, Unwandelbarkeit, Souveränität sowie seiner Vorsehung und Fürsorge bekunden, die er durch vielfältige, d e m Menschen durch die Geschichte hindurch erwiesene Zeichen bezeugt. Den L o g o s und die Weisheit beschreibt Theophilus als Gehilfen Gottes bei seinem Schöpfungswerk: der L o g o s ist von Ewigkeit her im Inneren Gottes beschlossen (évdiáOsTog, 11,10.22), bevor er von ihm im Blick auf die Schöpfung hervorgebracht (npoAlthaus über Geschichte und Existenz. Er übernahm dort eine Dozentenstelle und schrieb 1936 eine Habilitationsarbeit über -*Lessing. Noch im selben Jahr folgte er einem Ruf nach Heidelberg. In Bonn war er K. -»Barth begegnet. In seine Studienzeit fiel eine lebensgefährliche Gesundheitskrise, die ihn am Ende in den Rollstuhl zwang. Erst nach einem vierjährigen Passionsweg fand sich ein Medikament, das ein Leben lang unverzichtbar blieb. Schon früh geriet Thielicke in Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Regime. Aufgrund von kritischen Reden und Aufsätzen wurde er 1940 abgesetzt und mit einem Schreib-, Rede- und Reiseverbot belegt. Später beteiligte er sich an der Widerstandsgruppe des „Freiburger Kreises", und nach dem 20. Juli 1944 entging er nur mehr zufällig der Verhaftung. Inzwischen hatte er geheiratet und war vom Württembergischen Bischof Theophil Wurm (1868— 1953) in ein Gemeindepfarramt in Ravensburg berufen worden. Schnell wurde die Virtuosität des jungen Predigers erkennbar, die u.a. E. ->Brunner in einem enthusiastischen Brief rühmte. Wurm schuf deshalb 1942 für ihn ein „Theologisches Amt der Württembergischen Landeskirche" und sorgte dafür, daß er in Stuttgart und darüber hinaus eine ausgedehnte Predigt- und Vortragstätigkeit ausüben konnte. Schon hier begann die enorme literarische Produktivität Thielickes: Stenogramme der vorgetragenen Glaubenslehre bildeten den Grundstock für Publikationen nach dem Kriege. Nachdem die Zerstörung Stuttgarts im Bombenkrieg Thielicke kurz nach Korntal vertrieben hatte, erfolgte bereits wenige Monate nach Kriegsende seine Berufung an die wieder ins Leben gerufene Theologische Fakultät der Universität Tübingen. 1947 zog er in einer vielbeachteten Predigt gegen das Unrecht zu Felde;, das teilweise im Rahmen der „Entnazifizierung" geschah, und setzte sich gegen eine Kollektivverdammung des deutschen Volkes zur Wehr. 1954 wurde er als Gründungsdekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät nach Hamburg berufen. In diesen Jahren entwickelte er sich zu einer der prägenden Gestalten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er beteiligte sich an der Debatte um die deutsche Wiederaufrüstung und um das ethische Problem der Atombewaffnung. In einer Ansprache vor dem Deutschen Bundestag beklagte er 1962 den inneren Substanzverlust der deutschen Demokratie und den Niedergang des Begriffs „Vaterland". Dabei hatte er an politischen oder kirchlichen Ämtern wenig Interesse. Er hatte zwar kurzzeitig im Tübinger Stadtrat gesessen und war 1951 zum Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz gewählt worden. Freude machte ihm jedoch nur das Amt des Rektors der Universität, zunächst in Tübingen ab 1951, später in Hamburg ab 1960. Darüber hinaus konzentrierte er sich mit exorbitantem Erfolg auf sein akademisches Lehramt, seine ausgedehnte Vortrags- und Predigttätigkeit und sein immenses literarisches Engagement. Ein jäher Absturz folgte in den späten sechziger Jahren. Thielicke geriet ins Fadenkreuz der Studentenrevolte und wurde als eine der Symbolfiguren des Establishments angeprangert. Einer seiner berühmt gewordenen Gottesdienste in der H a m b u r g e r St. Michaelis-Kirche wurde gestört bis an den R a n d des Abbruchs, und seine Verbindungen zu Wirtschaftskreisen, die er in diakonischem Interesse zu nutzen pflegte, wurden Gegenstand einer Diffamierungskampagne. Thielicke wich in dieser Situation trotz seiner tiefen Enttäuschung zwar nicht einfach zurück, sondern stellte sich der Diskussion. Dennoch fand seine Predigttätigkeit bald ihr Ende, und er wetterte danach nur noch ab und zu literarisch gegen die Folgen der Studentenrevolte oder auch gegen den Weltkirchenrat als „Politclub", als dieser durch sein Antirassismusprogramm ( - » R a s s i s m u s II.3.4.) für Turbulenzen sorgte. Der letzte Abschnitt von Thielickes Wirken w a r vor allem der literarischen Produktion und der außeruniversitären Förderung der jungen Generation im Pfarramt gewidmet. Er gründete einen Kreis zur gemeinsamen Predigtvorbesprechung, der sich später als „Projektgruppe Glaubensinformation" etablierte und mehrere gemeinverständliche Briefserien zur Information über Glaubensfragen und zur theologischen Elementarbildung veröffentlichte. E r schrieb u.a. die restlichen Bände seiner Dogmatik sowie eine Anthropologie und wurde im April 1975 emeritiert. Gestorben ist er a m 5. M ä r z 1986 in H a m b u r g .

2. Werk 2.1. Die Theologische Ethik, das erste von Thielickes beiden Hauptwerken, geht von einer tiefen Krise des Säkularismus aus, die zwischen 1933 und 1945 ihren Höhepunkt hatte. Ihre Kennzeichen sind die (im Nationalsozialismus erfahrene) „Dämonisierung der Welt" und die Infragestellung der christlichen Ethik durch angebliche „Eigengesetzlichkeiten des Lebens", die nicht durch einen falschen christlichen Ordnungsbegriff theologisch sanktioniert werden dürfen. Es ist unmöglich geworden, aus „normativen Instanzen" wie dem Gewissen oder dem Naturrecht Grundsätze menschlichen Handelns abzuleiten. Thielicke sieht sich vielmehr zu einer N o t m a ß n a h m e gezwungen: „Methodisch gehen wir so vor, daß wir die ethische Problematik von Modellen, also von exemplarischen geschichtlichen Situationen aus entfalten" (Ethik II/l, 5). Es geht um eine theologische Analyse der Wirklichkeit und deren Grundsituation: Die Welt steht zwischen Sündenfall und Jüngstem Gericht. Das Sein des Menschen und der Welt im Spannungsfeld zwischen „diesem Ä o n " und dem Äon der eschatologischen Vollendung tritt besonders deutlich hervor in dem, was Thielicke in Anlehnung an Karl Jaspers (1883 — 1969) die „Grenzsituation" (-»Situation) nennt. Er faßt diesen Begriff freilich streng theologisch: Grenzsituationen sind gleichsam zugespitzte Modellfälle, in denen sich das Problem aufs Äußerste verdichtet, „wie der Christ als Gerechtfertigter und ,Herausgerufener' inmitten einer Welt der Auflehnung leben und seinem Heile verbunden bleiben d a r f " (ebd.). Die Modelle und damit auch ihr zugespitzter Fall, die Grenzsituationen, ergeben sich also nicht aus einer allgemeinen Lebensphänomenologie, sondern werden im Lichte der Rechtfertigungslehre erkennbar. Zugleich werden sie in den Kontext eines speziellen Verständnisses der Erhaltungsordnungen Gottes gestellt. Thielicke ist nämlich die Rede von den „Schöpfungsordnungen" durch ihre völkisch-rassenideologische Mißinterpretation suspekt geworden, und so variiert er sie zur Lehre von den Ordnungen des „noachitischen Bundes" (Ethik I, 246 u.ö.), die die Welt unter den Bedingungen „dieses Ä o n s " am Leben erhalten. Aus diesen Grundelementen ergibt sich f ü r Thielicke der entscheidende Grundsatz für die materiale christliche Ethik: „Der ethischen Weisheit letzter Schluß ist... der Kompromiß" (Ethik II/l, 59). N u r so läßt sich eine Fahrrinne in den gefährlichen Gewässern der ethischen Orientierungsprobleme finden. Denn hinter der Vielfalt der Modelle, die Thielicke vorführt, erkennt er ein Grundmodell: „ D a s Modell des ethischen Verhältnisses zur Welt [ist] die Konfliktsituation" (ebd. 56). Die Konfliktsituation ist sozusagen die alltägliche Variante der erwähnten Grenzsituation, und diese ist der extreme Typus des Konfliktes. In barocker Weitläufigkeit entfaltet Thielicke daraufhin ein umfassendes Panorama von Konfliktsituationen, angefangen von der Notlüge, insbesondere im totalen Staat, über die Steuerehrlichkeit und die Diplomatenlist bis hin zur Höflichkeit und dem Verhalten des Arztes am Kränkenbett! Überall geht es darum, Kompromisse zu finden, die einen ethisch gangbaren Weg markieren und den unausweichlichen Tribut an unsere Situation in „diesem Ä o n " darstellen. Sie sind begründet in der „ A k k o m o d a t i o n " Gottes an die gefallene Welt: Sie darf unter der göttlichen Geduld weiterleben, obwohl sie ihr Sein verwirkt hat.

2.2. Das zweite Hauptwerk Thielickes, seine Dogmatik Der Evangelische Glaube, setzt mit der Kritik an einer theologiegeschichtlichen Linie ein, die bei Ph.J. —»Spener und vor allem ED.E. -»Schleiermacher beginnt und in R. —• Bultmann ihren „vorläufigen H ö h e p u n k t " erreicht hat: Ausgangspunkt der Theologie ist der -»Mensch als Subjekt der Erfahrung und des Verstehens, weshalb Thielicke zusammenfassend von „cartesianischer" Theologie spricht. Er sieht -»Descartes mit seinem Satz Cogito ergo sum als den „Initiator aller jener Bewegungen" an (Glaube I, 18). Es muß aber um das gehen, „,woran' der Glaube glaubt und wodurch das Subjekt dann zur ,neuen Kreatur' verwandelt w i r d " (ebd. I, XI). Kann man Thielicke bis hierher noch mit Barth Seite an Seite gegen eine „Herrschaft der Existenzanalyse" und für einen strengen Offenbarungsbegriff im Sinne der Selbsterschließung Gottes kämpfen sehen, so gehen die Wege jedoch bezüglich der theologischen Relevanz der Situation des Menschen als des Adressaten der Offenbarung auseinander. Für Thielicke sind die Verstehensbedingungen des Hörers

424

Thielicke

von systematisch-theologischer Bedeutung, weshalb er eine „Theologie des Geistes" ins Zentrum seiner Dogmatik stellt. Dadurch soll die Existenzanalyse nicht Ausgangspunkt der Theologie sein, wohl aber Gegenstand des Rückblicks auf die durch den Heiligen -»Geist gewirkte Aktualisierung des Heilsgeschehens pro me, in dem das alte „cartesianische" Selbst des Menschen gestorben ist. Die Neuschöpfung des Menschen durch den Geist gibt ihm eine neue Identität in der conformitas, der „Analogie" mit Gott, die freilich stets „fremde Gerechtigkeit" bleibt. Von diesem Ausgangspunkt aus bearbeitet Thielicke dann die wichtigsten Lehrstücke der klassischen Dogmatik und setzt sich mit jeweils aktuellen Themen wie dem Mythos-Problem, der Rede vom „Tode G o t t e s " oder einer „ausschließlich gesellschaftlich, oft nur sozial-revolutionär interessierten T h e o l o g i e " (ebd. II, VIII) auseinander. 3.

Wirkung

Nach seinem Tode war Helmut Thielicke in der wissenschaftlich-theologischen Diskussion bald mehr oder weniger vergessen. Abgesehen von einigen Getreuen hat er keine Schule gebildet. Der originelle Ansatz seiner Ethik wurde in neueren theologischen Werken nur noch mehr anmerkungsweise zitiert. Seine Dogmatik wurde kaum rezipiert. Theologiegeschichtliche Darstellungen des 20. J h . konnten ihm keine epochemachende Bedeutung zumessen. In krassem Gegensatz dazu steht die immense Wirkung, die er durch seine Predigten, Vorträge und gemeinverständlichen Publikationen, aber auch durch seine akademischen Vorlesungen ausgeübt hat. Bei seinen Lehrveranstaltungen platzten die Hörsäle aus allen Nähten. Nachdem er seine Predigttätigkeit in Hamburg zunächst in der Hauptkirche St. Jacobi aufgenommen hatte, mußte er alsbald aus Raumgründen in den „ M i c h e l " überwechseln, wo sich Stunden vor Beginn die Leute drängten, um Sitzplätze zu ergattern; die Stückzahlen vor allem seiner Predigtbände und Reiseberichte erreichten geradezu astronomische Höhen; man konnte ihn im Radio und auf Schallplatte hören, und er reiste mit seinen wortgewaltigen Reden aller Art um die Welt. Seine Klientel rekrutierte sich aus allen Schichten der Bevölkerung. Zahllose Menschen, Theologen und Nichttheologen, verdanken Thielicke unverzichtbare Anregungen und Impulse für ihr eigenes Denken, Glauben und Predigen. Spricht man von den einflußreichsten theologischen Lehrern des 2 0 . J h . und zumal den bedeutendsten Predigern, so nennen viele nach wie vor ihn an erster Stelle. Überall, wo er das Wort ergriff, wurde er zu einem faszinierenden Dolmetscher zwischen der biblischen Wahrheit und dem Fragehorizont des säkularen Zeitgenossen, und so hielt er denn auch die -»Predigt für die größte Aufgabe des Theologen auf dieser Erde. Quellen 1. Bibliographien: Traute Lindau, Prof. D. Dr. Helmut Thielicke D.D., Bibliogr. 1932-1961 (Prüfungsarbeit der Hamburger Bibliotheksschule, vorgelegt am 30. Juli 1962; unveröff. Ms. in der Staats- u. Universitätsbibliothek Hamburg). - Susanne Spenner, Bibliogr. Helmut Thielicke: Leben angesichts des Todes (s.u. bei Lit.) 3 0 7 - 325. - Friedrich Langsam (s.u. bei Lit.) 271 ff. Alle Bibliographien sind unvollständig, weil viele Gelegenheitspublikationen Thielickes nicht bibliographierbar sind. 2. Hauptwerks: Gesch. u. Existenz. Grundlegung einer ev. Geschichtstheol., Gütersloh 1935 *1964. - Vernunft u. Offenbarung. Eine Stud. über die Religionsphil. Lessings, Gütersloh 1947. Theol. Ethik, 3 Bde., Tübingen; I. Prinzipienlehre, 1958 31965; II/l. Entfaltung. Mensch u. Welt, 1959 3 1965; II/2. Entfaltung. Ethik des Politischen, 1958 2 1966; III. Entfaltung. Ethik der Gesellschaft, des Rechtes, der Sexualität u. der Kunst, 1964 2 1968. - Der Ev. Glaube. Grundzüge der Dogmatik, 3 Bde., Tübingen; I. Prolegomena, 1968; II. Gotteslehre u. Christologie, 1973; III. Theol. des Geistes, 1978. - Mensch sein - Mensch werden. Entwurf einer christl. Anthropologie, München 1976. Glauben u. Denken in der Neuzeit. Die großen Systeme der Theol. u. Religionsphil., Tübingen 1983 1 1988. - Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, Hamburg 1984. Literatur Ad van Bentum, Helmut Thielickes Theol. der Grenzsituationen, 1965 (KKTS 12). - Friedrich Langsam, Helmut Thielicke - Konkretion in Predigt u. Theol., 1996 (CThM.PT 26). - Leben

Tholuck

425

angesichts des Todes. FS Helmut Thielicke zum 60. Geburtstag, Tübingen 1968. - Agne Nordlander, Die Gottebenbildlichkeit in der Theol. Helmut Thielickes, Diss. Uppsala 1973. - Hans-Jürgen Quest, Helmut Thielicke: Tendenzen der Theol. im 20. Jh., hg. v. Hans Jürgen Schulz, Stuttgart 2 1967,549 - 5 5 5 . - Hartmut Weber, Die luth. Sozialethik bei Johannes Heckel, Paul Althaus, Werner Eiert u. Helmut Thielicke, Diss. Göttingen 1959. - Hans-Otto Wölber, Helmut Thielicke: L M 25 (1986) 1 4 9 - 1 5 1 . - Zum Gedenken an Helmut Thielicke ( 1 9 0 8 - 1 9 8 6 ) . Ansprachen auf der Akademischen Gedenkfeier am 4. Dezember 1986, Pressestelle der Univ. Hamburg 1987 (Hamburger Universitätsreden 45).

Lutz Mohaupt Tholuck, Friedrich

August Gottreu

1. Leben und Werk

1. Leben

2. Nachwirkung

(1799-1877) (Quellen/Literatur S. 428)

und "Werk

Tholuck ist in biographischer und werkgeschichtlicher Hinsicht exemplarischer Repräsentant der Erweckungsbewegung (—» Erweckung/Erweckungsbewegung), deren verschiedene Seiten er „am vollständigsten und wirksamsten in seiner Person zusammengefaßt" (Kähler, Art. Tholuck 696) hat. Am 30. März 1799 in einem kinderreichen Handwerkerhaus zu Breslau geboren, versucht sich der junge Tholuck kurzfristig in der Goldschmiedekunst, beschließt dann aber infolge ,,absolute[r] Untauglichkeit für jeden praktischen Beruf" (Maser, Goethe 233) und aufgrund einer stupenden Sprachbegabung, in Berlin orientalische Philologie zu studieren. Doch findet er in der spätromantischen Liebe zur weltflüchtigen -»Mystik des Morgenlandes, von der einige Schriften der 20er Jahre zeugen (vgl. Maser, Mystik), nur vorübergehende religiöse Befriedigung. Erst als er unter dem Einfluß des bekannten Orientalisten Heinrich Friedrich von Diez (1751-1817) und mehr noch unter dem des schlesischen Barons Hans Ernst von Kottwitz (1757-1843) neopietistisch-erwecklichen Kreisen Berlins zugeführt wird, erhält er die entscheidenden Impulse seines religiösen Lebens. Er wirkt als Sekretär der Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden (vgl. Maser, Freund Israels), wendet sich dem akademisch-theologischen Beruf zu und wird 1820 gegen den Widerstand F.D.E. -»Schleiermachers und unter Protektion des preußischen Kultusministers Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770-1840) Privatdozent in Berlin, 1823 außerordentlicher Professor und 1826 schließlich auf Betreiben mittlerweile erstarkter religiös-konservativer Kräfte, vielleicht sogar auf Veranlassung Friedrich Wilhelms III., Ordinarius in —»Halle, der mit ca. 950 Immatrikulierten damals größten theologischen Fakultät in Deutschland, wo er -r unterbrochen nur durch häufige Reisen und einen Jahresaufenthalt (Mai 1828 bis April 1829) als Gesandtschaftsprediger in Rom - bis zu seinem Tode am 10. Juni 1877 bleibt. Hinter den äußeren Lebensdaten verbirgt sich eine intensive Kampfesgeschichte des inwendigen Menschen, die den körperlich eher Fragilen, emotional Uberempfindlichen und in ständiger Selbstbeobachtung Begriffenen nicht selten an den Rand des Selbstmords führt. In dem Erweckungstraktat Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner, oder: die wahre Weihe des Zweiflers, die seinen Ruhm begründete, hat der erst 24jährige Tholuck im Jahr 1823 diesem religiösen Psychodrama in Form eines Briefwechsels zweier um geistliche Erkenntnis ringender Jünglinge namens Guido und Julius außerordentlich wirkungsvollen Ausdruck verliehen. Noch zu Lebzeiten seines Autors wurde das Büchlein insgesamt achtmal neu aufgelegt, dazu ins Englische, Holländische, Französische, Dänische und Schwedische übersetzt. Im Zentrum steht das Sündenthema, das den Geist der Zeit auch ansonsten heftig bewegte. Tholuck spitzt es zu, indem er gegen W.M.L. -»De Wettes Theodor die These vertritt, die „wahre Weihe des Zweiflers" sei ausschließlich von der schonungslosen Anerkenntnis persönlicher Sündenverfallenheit zu erwarten: „Willst du die Höllenfahrt in's eigene Herz nicht wagen, / Wird dich kein Himmelsflug an's Herz der Gottheit tragen!" (Gespräche 171). In der Entfaltung dieses

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angesichts des Todes. FS Helmut Thielicke zum 60. Geburtstag, Tübingen 1968. - Agne Nordlander, Die Gottebenbildlichkeit in der Theol. Helmut Thielickes, Diss. Uppsala 1973. - Hans-Jürgen Quest, Helmut Thielicke: Tendenzen der Theol. im 20. Jh., hg. v. Hans Jürgen Schulz, Stuttgart 2 1967,549 - 5 5 5 . - Hartmut Weber, Die luth. Sozialethik bei Johannes Heckel, Paul Althaus, Werner Eiert u. Helmut Thielicke, Diss. Göttingen 1959. - Hans-Otto Wölber, Helmut Thielicke: L M 25 (1986) 1 4 9 - 1 5 1 . - Zum Gedenken an Helmut Thielicke ( 1 9 0 8 - 1 9 8 6 ) . Ansprachen auf der Akademischen Gedenkfeier am 4. Dezember 1986, Pressestelle der Univ. Hamburg 1987 (Hamburger Universitätsreden 45).

Lutz Mohaupt Tholuck, Friedrich

August Gottreu

1. Leben und Werk

1. Leben

2. Nachwirkung

(1799-1877) (Quellen/Literatur S. 428)

und "Werk

Tholuck ist in biographischer und werkgeschichtlicher Hinsicht exemplarischer Repräsentant der Erweckungsbewegung (—» Erweckung/Erweckungsbewegung), deren verschiedene Seiten er „am vollständigsten und wirksamsten in seiner Person zusammengefaßt" (Kähler, Art. Tholuck 696) hat. Am 30. März 1799 in einem kinderreichen Handwerkerhaus zu Breslau geboren, versucht sich der junge Tholuck kurzfristig in der Goldschmiedekunst, beschließt dann aber infolge ,,absolute[r] Untauglichkeit für jeden praktischen Beruf" (Maser, Goethe 233) und aufgrund einer stupenden Sprachbegabung, in Berlin orientalische Philologie zu studieren. Doch findet er in der spätromantischen Liebe zur weltflüchtigen -»Mystik des Morgenlandes, von der einige Schriften der 20er Jahre zeugen (vgl. Maser, Mystik), nur vorübergehende religiöse Befriedigung. Erst als er unter dem Einfluß des bekannten Orientalisten Heinrich Friedrich von Diez (1751-1817) und mehr noch unter dem des schlesischen Barons Hans Ernst von Kottwitz (1757-1843) neopietistisch-erwecklichen Kreisen Berlins zugeführt wird, erhält er die entscheidenden Impulse seines religiösen Lebens. Er wirkt als Sekretär der Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden (vgl. Maser, Freund Israels), wendet sich dem akademisch-theologischen Beruf zu und wird 1820 gegen den Widerstand F.D.E. -»Schleiermachers und unter Protektion des preußischen Kultusministers Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770-1840) Privatdozent in Berlin, 1823 außerordentlicher Professor und 1826 schließlich auf Betreiben mittlerweile erstarkter religiös-konservativer Kräfte, vielleicht sogar auf Veranlassung Friedrich Wilhelms III., Ordinarius in —»Halle, der mit ca. 950 Immatrikulierten damals größten theologischen Fakultät in Deutschland, wo er -r unterbrochen nur durch häufige Reisen und einen Jahresaufenthalt (Mai 1828 bis April 1829) als Gesandtschaftsprediger in Rom - bis zu seinem Tode am 10. Juni 1877 bleibt. Hinter den äußeren Lebensdaten verbirgt sich eine intensive Kampfesgeschichte des inwendigen Menschen, die den körperlich eher Fragilen, emotional Uberempfindlichen und in ständiger Selbstbeobachtung Begriffenen nicht selten an den Rand des Selbstmords führt. In dem Erweckungstraktat Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner, oder: die wahre Weihe des Zweiflers, die seinen Ruhm begründete, hat der erst 24jährige Tholuck im Jahr 1823 diesem religiösen Psychodrama in Form eines Briefwechsels zweier um geistliche Erkenntnis ringender Jünglinge namens Guido und Julius außerordentlich wirkungsvollen Ausdruck verliehen. Noch zu Lebzeiten seines Autors wurde das Büchlein insgesamt achtmal neu aufgelegt, dazu ins Englische, Holländische, Französische, Dänische und Schwedische übersetzt. Im Zentrum steht das Sündenthema, das den Geist der Zeit auch ansonsten heftig bewegte. Tholuck spitzt es zu, indem er gegen W.M.L. -»De Wettes Theodor die These vertritt, die „wahre Weihe des Zweiflers" sei ausschließlich von der schonungslosen Anerkenntnis persönlicher Sündenverfallenheit zu erwarten: „Willst du die Höllenfahrt in's eigene Herz nicht wagen, / Wird dich kein Himmelsflug an's Herz der Gottheit tragen!" (Gespräche 171). In der Entfaltung dieses

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Grundsatzes wird die unmittelbare Lebenserfahrung des einzelnen dem wissenschaftlichen Allgemeininteresse der philosophischen Spekulation kontrastiert. Die Sünde sprengt notwendig den Rahmen gelehrter Untersuchung, weil sie ein für die Vernunft Unausdenkliches ist, von deren Tatsächlichkeit man sich keinen Begriff machen kann, obwohl sie lebensgeschichtlich unleugbar ist. Uberwunden werden kann sie weder durch theoretische noch durch praktische Selbstanstrengung, sondern nur durch die Faktizität göttlichen Versöhnungshandeln, wie es in der Person Jesu Christi manifest ist.

Tholucks hamartiologische Konzeption, die sein Freund und Hallenser Kollege (seit 1839) J. -»Müller später mit der nötigen wissenschaftlichen Sorgfalt ausgearbeitet hat (vgl. Wenz, Sünde 304ff.), zielt auf die Einsicht, daß in der distanzlosen Bedrängnis persönlicher Sündenschuld die spekulationswidrige Unteilbarkeit des Individuums ebenso evident ist wie die Unausweichlichkeit des Religiösen, dessen Anspruch auf Selbständigkeit gegenüber allem philosophischen Hegemoniebestreben zu behaupten sei. Den Erfolg seines - innerhalb von drei Wochen niedergeschriebenen - erweckungstheologischen Standardtraktats haben Tholucks übrige Werke (vgl. im einzelnen Witte I, 473f.; II, 534-543) nicht wiederholen können. Die wichtigsten von ihnen sind gesammelt in einer 1862-1873 bei Friedrich Andreas Perthes in Gotha erschienenen elfbändigen Werkausgabe. Daß dabei die Predigtbände (Bde. II-VI) eine zentrale Stellung einnehmen, zeigt an, daß die nachhaltige Wirkung von Tholucks langjähriger akademischer Tätigkeit in Halle trotz einiger beachtenswerter Ansätze insbesondere zur Apologetik weniger in einer originellen wissenschaftlich-systematischen Leistung als vielmehr in der Erbaulichkeit des Predigers und Seelsorgers begründet liegt. Durch virtuose „Seelenmassage" gelang es dem ebenso wunderlich-schrulligen wie weitherzig-weltläufigen „Studentenprofessor" (vgl. Beyreuther, Tholuck 305), das anfangs noch vom -•Rationalismus eines Julius August Ludwig Wegscheider (1771-1849) und W. ->Gesenius beherrschte Halle (vgl. Witte II, 174ff.) zu einer Hochburg der Erweckungsbewegung zu machen und für nahezu zwei Menschenalter zu prägen. Was die wissenschaftlichen Arbeiten Tholucks betrifft, so waren am einflußreichsten die aus seiner Lehrtätigkeit erwachsenen biblischen Kommentare, insbesondere zum Römerbrief (1824), zum Johannesevangelium (1827), zur Bergpredigt (1833), zum Hebräerbrief (1836) und zu den Psalmen (1843). Alle diese Kommentare erlebten viele Auflagen und haben mehr als alles andere dazu geholfen, „den Geistlichen im Amt den Geschmack an rationalistischer Bibelauslegung zu verderben" (Hirsch V, 103). Als einen fortgesetzten Kampf gegen einen mittlerweile nicht mehr nur verständigen (rationalismus vulgaris), sondern spekulativ gewordenen und darin radikalisierten Rationalismus betrachtete Tholuck seine Auseinandersetzung mit der Junghegeischen Schule, insbesondere mit dem 1835 publizierten Leben Jesu von D.F. Strauß. Ohne sich mit dem mehr oder minder pauschal als pantheistisch (vgl. Pannenberg 95ff.) klassifizierten System des „Berliner Messias" (Gespräche 183), in dem er das Leben zum Begriff, das Faktum zur Idee verflüchtigt sah, genauer auseinanderzusetzen, versucht Tholuck gegen die Straußsche Ansicht, die Evangelien seien mythische Sagen im Sinne geschichtsartiger Einkleidungen urchristlicher Ideen, deren historische Authentizität zu behaupten und einen Beweis für die Glaubwürdigkeit der evangelischen Wundergeschichten zu erbringen. Unbeschadet dessen geriet Tholuck selbst in den Verdacht eines latenten Hegelianismus, gegen den er sich 1840 insbesondere mit Blick auf den Herausgeber der Evangelischen Kirchenzeitung, E.W. —•Hengstenberg, in einem ausführlichen Vorwort zum zehnten Jahrgang des von ihm bis 1849 edierten, als Alternative zu den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik und zu den Theologischen Studien und Kritiken konzipierten Litterarischen Anzeigers für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt verteidigte. Diese Episode zeigt, daß Tholucks Verhältnis zu dem Bündnis, das die Erweckungsbewegung in den 30er Jahren mit dem neu sich formierenden Konfessionalismus eingegangen war, trotz seiner politisch und religiös konservativen Optionen und der damit gegebenen Nähe zu Hengstenberg ambivalent blieb. Als die restaurative Tendenz der

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Theologie in der Epoche gesteigerter staatlicher und kirchlicher Reaktion seit 1850 ihren Höhepunkt erreichte, fühlte Tholuck sich noch einmal „als Erweckungstheologe herausgefordert, jetzt aber nicht mehr durch den Rationalismus, sondern durch die falsche Verherrlichung des 17. Jahr[hundert]s, die durch die Bekämpfung der Aufklärung und die repristinatorische Zuspitzung des neuen Glaubenslebens inzwischen zur Herrschaft gekommen war. Aufgrund umfassender Quellenforschungen begann er eine Geschichte des Rationalismus zu schreiben, die diesen trotz seiner schweren Verirrungen als historisch notwendige Erscheinung, nämlich als heilsame Krisis einer schon in der Orthodoxie vorhandenen kirchlichen Erkrankung aufweisen wollte" (Stephan 115). Unter historiographischen Gesichtspunkten ist besonders die eingehende Berücksichtigung des soziokulturellen Kontexts der dargestellten Theologen und ihrer Theologien hervorzuheben. Ideenpolitisch aber konnte Tholuck, auch wenn er über Studien zur Vorgeschichte des Rationalismus kaum hinausgelangte, deutlich machen, daß er der verbreiteten Verherrlichung einer vergangenen, kirchlich dominierten Einheitskultur und der Sehnsucht nach scholastischer Objektivität theologischer Lehre nicht vorbehaltlos zu folgen bereit war, vielmehr für den legitimen Anspruch frommer Subjektivität in der Sphäre der Religion und der Kirche einzutreten gedachte. Entsprechend stand Tholuck, der in den 30er Jahren mit finanzieller Hilfe aus England die Hauptschriften -»-Calvins in billigen Bänden wieder zugänglich gemacht hatte, der fortschreitenden Konfessionalisierung des religiösen Bewußtseins reserviert gegenüber. Während Hengstenberg und namentlich F.J. -»Stahl dezidiert die religionspolitischen Interessen des Neuluthertums vertraten und sein Freund und Fakultätskollege Heinrich Ernst Ferdinand Guericke (1803-1878) 1834/35 sogar eine separierte lutherische Gemeinde ausrief, hielt sich Tholuck beharrlich zur Partei der sog. Positiven Union, deren 1850 von J. Müller, dem greisen J.A.W. —»Neander und C.I. —»Nitzsch gegründetes Publikationsorgan, die Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben, ihm nach Einstellung des Litterarischen Anzeigers als wichtigstes literarisches Forum diente. Schließlich blieb der alte Tholuck auch darin den ursprünglichen Motiven der Erweckungsbewegung treu, daß er eine dauerhafte Belebung der Volksreligion nur von innen her für möglich hielt, nicht aber durch polizeistaatlichen Druck oder die äußere Autorität einer streng hierarchisch organisierten Amts- und Bekenntniskirche. Darüber darf nicht vergessen werden, daß Tholuck alles andere gewesen ist als ein Anhänger der sog. progressiven Kräfte seiner Zeit. Die 1846 „für nachdenkende Laien, welche Verständigung suchen", publizierten Gespräche über die vornehmsten Glaubensfragen der Zeit, die er den erweckten Emil, der seine Position repräsentiert, mit dem Lichtfreund Karl, dem radikalisierten Linkshegelianer Julius und dem Konfessionalisten Gerhard führen läßt, beweisen dies in wünschenswerter Klarheit. Gegen die religiöstheologische Ideenwelt der Liberalen zieht Tholuck in vielbesuchten Zeitpredigten ebenso zu Felde wie gegen das politische Demokratieverlangen im —»Vormärz. Die Revolution von 1848 lehnt er deshalb trotz eines gewissen Reformwillens vehement und kompromißlos ab. Der bei Theologen des 19. Jh. insgesamt und inbesondere in der Erweckungsbewegung so beliebte Organismusgedanke samt seinen antidemokratischen Implikationen prägte auch Tholucks gesellschaftspolitische Vorstellungswelt. Die dem Aufklärungsgeist des 18. Jh. zugeschriebene Denkweise, dergemäß Staat und Volk nur ein verabredeter Zusammenschluß einzelner seien, galt ihm wie schließlich noch seinem bedeutendsten Schüler, M. —>Kähler, zeitlebens als Kennzeichen eines verkehrten „Atomismus der Personenwelt", welcher „die Person zum Zähler [Wähler] herabfwürdigt] und ... die Mechanik der Zählung an die Stelle des lebensvollen gegliederten Ganzen [setzt]" (Kahler, Zeitfragen 389). 2.

Nachwirkung

Die Nachwirkung Tholucks gründet sich im wesentlichen auf seine Schrift über die Lehre von der Sünde und vom Versöhner. Deren enormer Erfolg erklärt sich daraus,

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Tholuck

daß in ihr alle charakteristischen Merkmale der Erweckungsbewegung und ihrer Theologie vereint sind: das brennende Sündenbewußtsein und die entsprechende Rückbesinnung auf die theologischen Zentralthemen —»Gnade und —•Versöhnung, deren Vernachlässigung als Grundschaden des Rationalismus, aber auch eines lebensarmen —»Supranaturalismus erachtet wurde, die entschiedene Zuwendung zur Bibel, der durchweg existentielle Bezug, die Konzentration auf das Praktische, das eschatologische Geschichtsbewußtsein, ferner die Vorliebe für das Geheimnisvolle, Charismatische und Visionäre sowie der Zug ins Erbauliche, Pathetische, ja Geschmäcklerische (vgl. Geiger 441 ff.). Hinzu k o m m t die betont biographische bzw. autobiographische Ausrichtung. Bewußt auf der Grenze zwischen wissenschaftlicher und erbaulicher Diktion angesiedelt (vgl. Hirsch V, 104), ist Tholucks Erweckungstraktat konzipiert als persönliches Wort und Lebenszeugnis, das von Herzen k o m m t und zu Herzen gehen soll. „Theologische Beschäftigung ist bei Tholuck ... in der drastischsten Weise Beschäftigung mit sich selbst, theologische Darbietung durchaus Selbstdarbietung" (K. Barth 436). Infolgedessen bleibt die Lehre von der Sünde und dem Versöhner mit einer dogmatischen Zweideutigkeit behaftet, die auch für alle sonstigen Werke Tholucks charakteristisch ist und ihn bei seinen rechtgläubigen Freunden nicht selten dem Verdacht des Latitudinarismus, bisweilen sogar der Heterodoxie aussetzte. Sosehr Tholucks Theologie Offenbarungs- und Schrifttheologie zu sein behauptet, so sehr basiert sie doch immer auch auf der Überzeugung einer unmittelbaren Koinzidenz von Gottes- und Selbsterkenntnis im Herzen. Die Selbsterfahrung des sündigen Menschen, sein Schuldbewußtsein und Erlösungsbedürfnis sind infolgedessen nicht nur unabdingbare Momente, sondern auch Fundament der Gotteserkenntnis, nicht allein Medium, persönliche Schuld wahrzunehmen, sondern zugleich Mittel, sie zu überwinden. Aus diesem inneren Spannungsreichtum und einem - mit -»Hegel zu reden (vgl. Hegel, S W VIII, 19) - durchweg „kavaliermäßigen" Umgang mit dem traditionellen Dogma sowie einer „elastischen Handhabung des Schriftprinzips" (Hirsch V, 111) erklärt es sich, warum Tholuck zum Anreger recht unterschiedlicher theologischer Bewegungen werden konnte. Die Möglichkeit, den Glauben in bloß subjektiver Selbsterfahrung aufgehen zu lassen, ist bei ihm ebenso angelegt wie die Möglichkeit, alles an die positive Autorität der Offenbarung zu binden, wie sie sich in dem durch das kirchliche Bekenntnis authentisch ausgelegten Schriftwort manifestiert. Quellen 1. Werke: Sufismus sive Theosophia Persarum pantheistica, quam e MSS. bibliothecae regiae Berolinensis persicis, arabicis, turcicis eruit atque illustravit, Berlin 1821. - Die Lehre v. der Sünde u. vom Versöhner, oder die wahre Weihe des Zweiflers, Hamburg 1823. - Auslegung des Briefes Pauli an die Römer nebst fortlaufenden Auszügen aus den exegetischen Sehr, der Kirchenväter u. Reformatoren, Berlin 1824. - Blüthensammlung aus der Morgenländischen Mystik nebst einer Einl. über die Mystik überhaupt u. morgenländische insbesondere, Berlin 1825. - Die speculative Trinitätslehre des späteren Orients. Eine religionsphil. Monogr. aus hsl. Quellen der Londoner, Oxforder u. Berliner Bibliothek, Berlin 1826. - Komm, zu dem Evangelio Johannis, Hamburg 1827. - Philol.-theol. Auslegung der Bergpredigt Christi nach Matthäus, zugl. ein Beitr. zur Begründung einer rein-bibl. Glaubens- u. Sittenlehre, Hamburg 1833. - Commentar zum Briefe an die Hebräer, Hamburg 1836. - Die Glaubwürdigkeit der ev. Gesch., zugl. eine Kritik des Lebens Jesu v. Strauß, f. theol. u. nichttheol. Leser darg., Hamburg 1837. - Vermischte Sehr, größtentheils apologetischen Inhalts, Hamburg 1839. - Stunden christl. Andacht. Ein Erbauungsbuch, Hamburg 1 8 3 9 - 1 8 4 0 . - Übers, u. Auslegung der Psalmen f. Geistliche u. Laien der christl. Kirche, Halle 1843. - Vier Predigten über die Bewegungen der Zeit, gehalten im akademischen Gottesdienste der Univ. Halle im Sommer 1845, Halle 1845. - Sechs Predigten über rel. Zeitfragen, gehalten im akademischen Gottesdienste der Univ. Halle im Winter 1845/46, Halle 1846. - Gespräche über die vornehmsten Glaubensfragen der Zeit, zunächst f. nachdenkende Laien, welche Verständigung suchen, Halle 1846 Gotha 2 1865. - Predigten über die neuesten Zeitbewegungen, Halle 1848-1851. - Der Geist der luth. Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jh., teilweise nach hsl. Quellen, Hamburg/Gotha 1852. - Vorgesch. des Rationalismus, 1 / 1 - 2 , Halle 1853-1854; I I / 1 - 2 , Berlin 1 8 6 1 - 1 8 6 2 . - Lebenszeugen der luth. Kirche aus allen Ständen vor u. während der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Berlin 1859. - Gesch. des Rationalismus, Berlin, I 1865 = Aalen 1970.

Tholuck

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2. Gedruckte Briefe: Aus A. Tholucks Anfängen. Briefe an u. v. Tholuck. Ein Beitr. zur Gesch. der rel. Erneuerung im 19. Jh., hg. v. Gottlieb N . Bonwetsch, Gütersloh 1922. 3. Ungedruckte Quellen: Der umfangreiche Nachlaß Tholucks befindet sich seit 1993 in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen, Franckeplatz 1, 06110 Halle. Er enthält neben der über 10.000 Bände umfassenden, systematisch geordneten Privatbibliothek u.a. 4.500 Briefe an Tholuck, 140 Briefe Tholucks, Tagebuch- u. sonstige persönliche Aufzeichnungen sowie Vorlesungsnachschriften. Die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin verwahrt in verschiedenen Sammlungen u. Nachlässen zahlreiche Briefe v. Tholuck, u.a. sechs Briefe an Ludwig v. Gerlach und über 220 Briefe an E.W. Hengstenberg. Die Universitätsbibliothek Heidelberg besitzt 13 Briefe an Carl Ullmann (->Vermittlungstheologie), die Landesbibliothek Kiel 31 Briefe an August Detlev Twesten, die Staats- u. Universitätsbibliothek Göttingen zahlreiche Briefe an M . Kähler. Größere Briefcorpora haben sich sonst nicht nachweisen lassen. Zahlreiche Gelehrtennachlässe in diversen Bibliotheken der Bundesrepublik enthalten jeweils nur einen oder einige wenige Briefe an Tholuck. Im Archiv von Pusey House (Oxford) befinden sich einige Zeugnisse des über mehrere Jahre sich erstreckenden regen Briefwechsels Tholucks mit E. -»Pusey. Literatur Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit. Stud. zum Verhältnis v. Subjektivität u. Sünde bei August Tholuck, Julius Müller, Sören Kierkegaard u. Friedrich Schleiermacher, 1996 (BHTh 94). - Hans-Martin Barth, Du, Gott, bist nur Dir bekannt! Islamische Mystik im Urteil des ev. Erweckungstheologen August Tholuck: Adel Theodor Khoury/Gottfried Vanoni (Hg.), Geglaubt habe ich, deshalb habe ich geredet. FS Andreas Bsteh zum 65. Geburtstag, Würzburg/Altenberge 1998 (Religionswiss. Stud. 47) 40 - 62. - Karl Barth, Die prot. Theol. im 19. Jh., Zürich 1947 = H a m burg, I—II 1975. - Erich Beyreuther, Die Erweckungsbewegung, 1963 2 1977 (KIG 1). - Ders., Friedrich August Tholuck: NELKB 29 (1974) 1 0 3 - 1 0 7 = ders., Frömmigkeit u. Theol. GAufs. zum Pietismus u. zur Erweckungsbewegung, Hildesheim/New York 1980,305-316. - Hermann Cremer, Rez. Leopold Witte (s.u.): ThStKr 62 (1889) 3 9 8 - 4 1 6 . - Martin Leberecht de Wette, Theodor oder des Zweiflers Weihe. Bildungsgesch. eines ev. Geistlichen, Berlin 1822. - M a x Geiger, Das Problem der Erweckungstheol.: T h Z 14 (1958) 430 - 450. - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, SW, hg. v. Hermann Glockner, VIII. System der Phil. I. Die Logik, Stuttgart-Bad Cannstatt 1928 = 4 1964. - Emanuel Hirsch, Gesch. der neuern ev. Theol. im Zusammenhang mit den allg. Bewegungen des europ. Denkens, Gütersloh, V 1954 = J 1975. - Martin Kähler, Dogm. Zeitfragen. Alte u. neue Ausführungen zur Wiss. der christl. Lehre. II. Z u r Lehre v. der Versöhnung, Leipzig 1898. - Ders., Mittelstraße 10. 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Julius Müller: KuD 30 (1984) 298-329. - Ders., Gesch. der Versöhnungslehre in der ev. Theol. der Neuzeit, 2 Bde., 1984-1986 ( M M H S T 9.11). - Ders., Licht des Herzens. Aufklärung u. Erweckung bei Friedrich August Gottreu Tholuck: Aufklärung u. Erneuerung. Beitr. zur Gesch. der Univ. Halle im ersten Jh. ihres Bestehens (1694-1806). Z u r Dreihundertjahrfeier im Auftrag des Rektors hg. v. Günter Jerouschek/Arno Sames, H a n a u / H a l l e 1994, 332-342. - Klaus-Gunther Wesseling, Art. Friedrich August Gott[t]reu Tholuck: BBKL 11 (1997) 1251-1266 (Lit.). - Leopold Witte, Das Leben D. Friedrich August Gottreu Tholuck's, 2 Bde., Bielefeld/Leipzig 1884-1886. - Walter Zilz, August Tholuck. Leben u. Selbstzeugnisse, Gotha 1930.

Gunther Wenz

430 Thomas,

Thomas,

Apostel

Apostel

(Quellen und Literatur S. 433)

1. Der -»Apostel Thomas wird in den synoptischen —» Evangelien in den Apostellisten erwähnt: Mt 10,3 (an siebter Stelle), M k 3,18 (an achter Stelle), Lk 6,15 (an achter Stelle) und Act 1,13 (an sechster Stelle). Im ->Johannesevangelium wird Thomas siebenmal genannt (Joh 11,16; 14,5; 20,24.26.27.28; 21,2). In Joh 14,22 liest die Vetus Syra anstatt „Judas, nicht der Ischarioth" „ T h o m a s " (Syrus Sinaiticus [sys]) bzw. „Judas T h o m a s " (Syrus Curetonianus [syc]), wo der N a m e Thomas auf unterschiedliche Weise buchstabiert wird. Der N a m e meint im Aramäischen „Zwilling", was im Griechischen als SiSüfiog übersetzt wird; speziell in der Perikope Joh 20,24-28 basiert er auf Joh 1 , 4 5 - 5 1 und Joh 21,2. In Joh 20,24-28 ist Thomas derjenige, dem der auferstandene Herr im Hause des Apostels erscheint und der ein besonderer Augenzeuge der Auferstehung wird. Deshalb ist sein N a m e mit einer Reihe von Schriften verbunden, in denen der Apostel Empfänger spezieller Offenbarungen des Herrn und angeblicher Schreiber apokrypher Evangelien oder Traditionen (-»Apokryphen II) ist, der als Zwillingsbruder eine besondere Beziehung zu Jesus unterhält. Nach Pistis Sophia c. 42 und 43 hat Jesus nach seiner Auferstehung außer Philippus und Matthäus auch Thomas damit beauftragt, seine Reden schriftlich niederzulegen. Der N a m e Thomas war ursprünglich ein Epitheton, das sich in der christlichen Tradition zu einem Personennamen entwickelte. Die Tradition in sys und syc, daß der Apostel Judas Zwillingsbruder, nämlich des Herrn Jesus (vgl. den Brief des Judas, Bruders des ->Jakobus, Bruders des Herrn) war, findet sich speziell in den apokryphen Thomasakten, ist aber auch im koptischen Thomasevangelium vorhanden sowie im sog. Buch von Thomas dem Athleten, das auch im Koptischen in der Bibliothek von —»Nag Hammadi überliefert wurde. Daher stellt sich die Frage der Herkunft und ursprünglichen Heimat der Judas-Thomas-Tradition und ihrer theologischen Bedeutung wie auch des Verhältnisses und der chronologischen Entwicklung dieser Thomasschriften zueinander. 2. Das Thomasevangelium (vgl. -»Apokryphen II.6.2.), eine Spruchsammlung von 114 Logien, ist in einer koptischen Version und teilweise auf griechisch in OxyPap 1,653 und 654 überliefert. Der koptische Text beginnt folgendermaßen: „Dies sind die geheimen Worte, die Jesus, der Lebendige, sagte und die Didymus Judas Thomas aufgeschrieben hat." Im griechischen Text (OxyPap 654) war der Empfänger (Judas, der) auch Thomas (hieß oder war). Übrigens wird der Apostel im Thomasevangelium sonst nur Thomas genannt. Er hat aber eine spezielle Position, da er Empfänger der drei geheimen Worte Jesu ist, die er nicht sagen kann oder darf (EvThom 13). Der pleonastische und hybride Name Didymus Judas Thomas im Incipit des Evangeliums, der eine Mischform darstellt, weist darauf hin, daß das Koptische auf eine griechische Vorlage zurückgeht, die den N a m e n Judas Thomas, der sich wahrscheinlich im syrischen Original befand, mit dem Text von Joh 20,24-28 verschmolzen hat. Der griechische Papyrus hat einen besseren Text bewahrt. Er bietet den Namen des Apostels in einer Form, die mit der griechischen Version der Thomasakten übereinstimmt. 3. Die Thomasakten (—»Apokryphen II.6.10.4.) sind auf griechisch und auf syrisch überliefert. Die griechische Version hat das syrische Original am besten bewahrt, ausgenommen das sog. Perlenlied (c. 108-113), wo die syrische Version die bessere ist. Das Perlenlied ist übrigens nur in einem syrischen und in einem griechischen Manuskript erhalten geblieben, was die Frage aufwirft, ob es ursprünglich als separate Dichtung im Umlauf oder in allen Versionen der Thomasakten vorhanden war und bei einer späteren „orthodoxen" Rezension daraus entfernt wurde. Die Thomasakten sind ursprünglich im Syrischen verfaßt worden, höchstwahrscheinlich in -»Edessa, dem Zentrum des frühen syrischsprachigen Christentums. Die überlieferte syrische Version ist einer späteren orthodoxen Bearbeitung unterzogen worden, weil die Manichäer ( - » M a -

Thomas,

Apostel

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nichäismus) den „ u r s p r ü n g l i c h e n " T e x t lasen und im R a h m e n der m a n i c h ä i s c h e n M y thologie interpretierten, insbesondere das Perlenlied. Die Thomasakten setzen das Thomasevangelium voraus; sie haben verschiedene Logien mehr oder weniger wörtlich übernommen und auch Elemente der Spruchsammlung im Rahmen der Erzählung verwendet und bearbeitet. Ein gutes Beispiel ist EvThom 7: „Jesus sagte: Selig ist der Löwe, den der Mensch ißt, und der Löwe wird Mensch werden; und verflucht sei der Mensch, den der Löwe frißt, und der Löwe wird Mensch werden." Das Motiv des Löwen, der einen vom Apostel Thomas verfluchten Menschen frißt, spielt eine Rolle in der ersten Praxis (Tat) der T h o masakten (ActThom 6,8). Die drei geheimen Worte, die Jesus Thomas sagte, werden auch in den Thomasakten (c. 47; vgl. c. 39) erwähnt. D e r Apostel w i r d in den T h o m a s a k t e n mit verschiedenen N a m e n bezeichnet. D a s älteste syrische M a n u s k r i p t kennt nur den N a m e n J u d a s . D a s vollständigste syrische M a n u s k r i p t nennt den Apostel a u c h J u d a s , aber in einigen Fällen a u c h J u d a s T h o m a s oder einfach T h o m a s . Die griechische Version nennt ihn meistens J u d a s o d e r a u c h T h o m a s , in einigen Fällen J u d a s T h o m a s . N u r im ersten Kapitel heißt er J u d a s T h o m a s , der a u c h D i d y m o s ist. D e r „ u r s p r ü n g l i c h e " N a m e des Apostels w a r also J u d a s , der als Zwillingsbruder des H e r r n galt. Die Verbindung v o n J o h 1 4 , 2 2 mit J o h 2 0 , 2 4 - 2 9 h a t deshalb Anlaß zu der Schöpfung eines fiktiven Apostels J u d a s T h o m a s , Zwillingsbruder des H e r r n , gegeben, einer theologischen K o n z e p t i o n , die im syrischsprachigen R a u m entwickelt w u r d e und in den T h o m a s a k t e n ihren vollständigsten A u s d r u c k fand. Die T h o m a s a k t e n bieten eine A r t Biographie des Apostels, die in den Evangelien auf d e m Leben J e s u basiert. Sie ist gewissermaßen eine I m i t a t i o n des Lebens Jesu, in d e m die Passionsgeschichte im Z e n t r u m steht. Die T h o m a s a k t e n enden deshalb m i t d e m M a r t y r i u m des Apostels, w o b e i sich allerhand A n k l ä n g e a n die Leidensgeschichte J e s u finden. Die c a . 7 0 0 neutestamentlichen Z i t a t e o d e r Anspielungen in den T h o m a s a k t e n zeigen dies deutlich an. In der ersten Tat der Thomasakten (c. 1 - 1 6 ) wird Thomas als ein Zimmermann wie Jesus selber dargestellt und für drei Pfund Silber als Sklave an den Kaufmann Abban verkauft, wie auch Jesus selbst von dem anderen Judas einmal „verkauft" wurde. Der Kaufmann und Thomas gelangen in die Stadt Andrapolis (Stadt der Menschen!) und werden zur Hochzeit der Königstochter eingeladen. Bei der Mahlzeit verkleidet Thomas sich als der leidende Jesus, wird vom Mundschenk auf die Wange geschlagen, worauf der Mundschenk bei einer Quelle von einem Löwen gefressen wird (c. 8; vgl. E v T h o m 7). Der König, von diesem Wunder beeindruckt, bittet Thomas, für seine Tochter zu beten. Im Brautgemach sieht der Bräutigam „den Herrn Jesus im Aussehen des Apostels Judas Thomas, der sie vor kurzem gesegnet hatte". Der Apostel sagt: „Ich bin nicht Judas mit dem Zunamen Thomas, ich bin sein Bruder" (c. 12). Der Herr predigt darauf im Brautgemach die absolute Enthaltsamkeit, die eyKpäxeia, und bekehrt die jungen Leute. Auch in den anderen Taten kann Thomas als Jesus erscheinen. Er ist die körperliche Offenbarung des Herrn und predigt das Evangelium der sexuellen Abstinenz. Einerseits sind Thomas und Jesus fast identisch, sie sind Zwillinge und können des anderen Platz einnehmen, andererseits wird die Identität doch geleugnet. Thomas ist nicht Jesus, nur sein Diener (c. 160). Im Zusammenhang mit diesem subtilen Spiel mit der Identität des Apostels und seines Herrn begegnet in den Thomasakten die Polymorphie, sowohl von Jesus als auch von seinem Gegenspieler, dem Satan (-»Teufel). Jener erscheint einer Dienerin als ein alter Mann und einer jungen Frau als ein schöner Jüngling (c. 44). Die zwei großen Spieler in der Weltgeschichte sind nie gleich erkennbar, sie vermummen sich: Jesus als Thomas, der Satan als Schlange oder auch als ein schwarzer Mann. Thomas und Jesus sind deshalb nicht physisch gleich, ihre Identität ist spirituell. Judas Thomas ist der Typos des wahren Gläubigen, der das Evangelium Jesu predigt und es gewissermaßen verkörpert. Das wird insbesondere klar im dritten Akt, der Geschichte eines Jünglings, der vom Gift des Satans in Gestalt eines Drachen getötet und von Thomas wieder zum Leben erweckt wird. Der Jüngling sagt zum Apostel: „Denn du bist ein Mensch, der zwei Gestalten hat. ... Denn ich sah jenen Mann, wie er neben dir stand und auch zu dir sprach: ,Ich habe viele Wunder durch dich zu zeigen und habe große Werke durch dich zu vollbringen, durch welche du Lohn gewinnen und viele zum Leben erwecken wirst, und sie werden in Ruhe im ewigen Lichte sein als Kinder G o t t e s . ' " Im -»Martyrium des Apostels (c. 1 5 0 - 1 7 0 ) , wo er ausdrücklich Judas heißt, sagt er aber: „Ich bin nicht Jesus, sondern ein Knecht Jesu. Ich bin nicht Christus, sondern ein Diener Christi. Ich bin nicht Gottes Sohn, ich bete aber darum, bei ihm für würdig gehalten zu werden." Der Apostel

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Thomas,

Apostel

wird von vier Soldaten durchstochen und von den Brüdern im Grabmal der ehemaligen Könige begraben.

Die ganze Geschichte, alle Taten des Apostels, spielt sich im Lande der Inder ab. Von dort wurden seine Gebeine von einem der Brüder heimlich weggenommen und in die Gegend des Westens getragen. Der Westen ist in diesem Kontext Edessa, w o die Thomasakten auch verfaßt wurden. -»Ephraem Syrus (carmina Nisibina 42,1 f.) erwähnt, daß die Gebeine des Apostels von einem Kaufmann nach Edessa getragen wurden: „Es klagte der Böse: ... Der Apostel, den ich in Indien tötete, ist mir nach Edessa zuvorgekommen." Die Pilgerin Egeria (-»Jerusalem IV.7.), die Edessa im Jahr 381/382 n. Chr. besuchte, ging in das Martyrium des heiligen Thomas und las aus seinen Schriften. Das Chrotiicon Edessenum (sub xxxviii) berichtet, daß der Sarkophag des Apostels Thomas im Jahre 705 (d.h. 392/393 n. Chr.) in die ihm gewidmete Kirche überführt wurde. 4. Als Thomasschrift aus —»Nag H a m m a d i ist weiter noch das Buch des Thomas des Athleten bekannt, das im Incipit Bekanntschaft mit dem Thomasevangelium verrät. Das Buch beginnt: „Die geheimen Worte, die der Erlöser zu Judas Thomas sprach und die ich, Matthäus, niedergeschrieben habe." Das Thomasevangelium, die Thomasakten und das Buch von T h o m a s dem Athleten gehören zu der Judas-Thomas-Tradition, die im syrischsprachigen Gebiet, speziell in Edessa, zuhause ist. Das Thomasevangelium ist die älteste Schrift und gehört in die zweite Hälfte des 2. Jh., die Thomasakten in die erste Hälfte des 3. Jh., und das Buch von Thomas dem Athleten ist vielleicht noch ein wenig jünger. Athlet ist in diesem Raum ein bekannter Titel für Asketen. Er begegnet in den Thomasakten (c. 39), bei Ephraem (carmina Nisibina 18,5; hymni de Paradiso 12,6) und bei -»Afrahat (dem. XIV,680,14; VI,265,8). 5. Bekannt sind weiter noch das Kindheitsevangelium des israelitischen Philosophen T h o m a s (-»Apokryphen H.6.7.2.), das ins Ende des 2. Jh. gehört, und die Thomasapokalypse (-»Apokalyptik/Apokalypsen V.2.2.5.), die Beziehungen zum Manichäismus aufweist. Im Manichäismus war ebenfalls ein Missionar Thomas bekannt, ein Schüler Manis; er soll eine Reihe von Psalmen, die sog. Thomaspsalmen, verfaßt haben, die Teil des manichäischen Psalters sind. Es stellt sich die Frage, ob der manichäische Thomas eine reale oder eine fiktive Persönlichkeit ist, die Mani vom syrischsprachigen Christentum übernommen hat. Wie Jesus einen Schüler Thomas hatte, so hätte auch Mani einen Jünger mit demselben N a m e n gehabt. Es ist jedenfalls klar, daß die ganze ThomasTradition einen großen Einfluß auf Mani ausgeübt hat und daß die Thomasschriften, insbesondere die Thomasakten, zum Schrifttum der manichäischen Gemeinde und von Mani selbst gehörten. Die manichäische Vorstellung vom avt^uyoq, dem Paargenossen Manis, könnte auf die Thomas-Tradition zurückgehen. 6. Der Apostel Judas Thomas, eine fiktive theologische Figur und Prediger der Enkrateia (-»Keuschheit), war der Apostel von Edessa. In der Doctrina Addai, der Legende der frühen Christianisierung von Edessa, schickte Judas Thomas den Apostel Addai zum König Abgar, was daraufhinweist, daß Judas Thomas als der ursprüngliche Apostel von Edessa galt (vgl. Eusebius, h.e. 111,1,1-3, wo Thomas der Apostel der Parther ist; Edessa galt als die Tochter der Parther). Das macht es auch wahrscheinlicher, daß die Thomasschriften in Edessa verfaßt wurden oder jedenfalls Beziehungen zu der in Edessa beheimateten theologischen Tradition hatten, in der Judas Thomas, der Zwilling Jesu und Typos des wahren enkratitischen Gläubigen, eine zentrale Rolle spielte. Es fragt sich nun, woher diese theologische Tradition stammt. Die enkratitische Lehre in den Thomasakten stammt aus einem Milieu, in dem die Theologie -»Tatians vorherrschend war. Die Vorstellung eines Zwillingsbruders oder Paargenossen läßt sich auch aus der Theologie Tatians herleiten. Der Mensch vereinigt sich mit dem göttlichen Geist, d.h. Christus, wird so Christus gleich und auf diese Weise gerettet (vgl. Tatian, or. 13,15). Die Dämonologie der Thomasakten ist auch Tatians Dämonologie gleich (or. 16), und

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

433

das Perlenlied beschreibt die Rückkehr des Menschen zu seinem ursprünglichen paradiesischen Zustand, wo er mit seinem Bruder vereinigt wird, und ist ohne Tatians Oratio (c. 13,30) nicht zu verstehen. Wenn dabei berücksichtigt wird, daß auch das Thomasevangelium Beziehungen zu Tatians Diatessaron aufweist, darf angenommen werden, daß die Vorstellung eines Zwillingsbruders Jesu, Judas Thomas, aus einem von Tatians Theologie tiefgreifend beeinflußten Milieu stammt und der symbolisch-narrative Ausdruck seiner soteriologischen Ideen ist. Quellen

und

Literatur

Beate Blatz, Das kopt. Thomasevangelium: N T A p o ! I (1987) 9 3 - 1 1 3 . - Oscar Cullmann, Kindheitserzählung des Thomas: ebd. 3 4 9 - 3 6 1 . - Han J.W. Drijvers, Thomasakten: NTApo 5 II (1987) 2 8 9 - 3 6 7 . - Albertus Frederik Johannes Klijn, John XIV 22 and the Name Judas Thomas: Studies in John. FS Jan Nicolaas Sevenster, 1970 (NT.S 24) 8 8 - 9 6 . - Raymond Kuntzmann, Le symbolisme des jumeaux au Proche-Orient ancien, 1983 (BeRe 12) 1 6 4 - 2 1 2 . - Simon Mimouni, Art. Thomas: DSp 15 (1991) 7 0 8 - 7 1 8 . - Paul-Hubert Poirier, Évangile de Thomas, Actes de Thomas, Livre de Thomas. Une tradition et ses transformations: Apocrypha 7 (1996) 9 - 2 6 . - Ders., Les Actes de Thomas et le manichéisme: Apocrypha 9 (1998) 2 6 3 - 2 9 0 . - Aurelio de Santos Otero, Thomasapokalypse: NTApo 5 II (1987) 6 7 5 - 6 7 9 . - Hans-Martin Schenke, Das Buch des Thomas: NTApo 5 I (1987) 1 9 2 - 2 0 4 . - Yves Tissot, L'encratisme des Actes de Thomas: A N R W II.25.6 (1988) 4 4 1 5 4430.

Hendrik J.W. Drijvers

Thomas von Aquino

(1224-1274J/Thomismus/Neuthomismus

1. Leben 2. Werke 3. Schwerpunkte der historischen Thomasforschung 4. Philosophie (ausgewählte Grundthesen) 5. Grundriß der Theologie des Thomas 6. Der Thomismus/Neuthomismus 7. Thomas in der gegenwärtigen Theologie (Quellen/Literatur S. 464)

1. Leben Thomas wurde 1224 oder 1225 auf der Burg Roccasecca östlich der Stadt Aquino in der gleichnamigen Grafschaft geboren. Das Geburtsjahr errechnet sich nach den zuverlässigen Nachrichten, daß Thomas mit 49 Jahren bzw. im 50. Lebensjahr am 7. März 1274 gestorben ist. Die Stadt Aquino liegt etwa auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel. Den Namen aber hat Thomas von der Grafschaft, die seit dem Ende des 10. Jh. wechselnden Zweigen der Familie gehörte. Der Vater Landulph gehörte nicht dem mächtigsten Zweig an, die Mutter Theodora aus. der neapolitanischen Familie Caracciolo war entfernt mit Kaiser -»Friedrich II. verwandt. Der Familienbesitz lag an der Nahtstelle zwischen den kaiserlichen und päpstlichen Herrschaftsgebieten. Dies und die verwandtschaftlichen Verhältnisse sind insofern bedeutsam, als Thomas in die Spannungen zwischen Kaiser und Papst (-»Kaisertum und Papsttum) hineingeboren wurde - mit Folgen für seinen Lebensweg.

Als jüngster Sohn (unter drei Brüdern und fünf Schwestern) wurde Thomas, wie damals üblich, für den Dienst der Kirche bestimmt, d.h. mit fünf bzw. sechs Jahren als „Oblate" (dazu anschaulich Fuhrmann 42f.!) ins nahegelegene Benediktinerkloster Monte Cassino verbracht, wohl mit dem Hintergedanken der Eltern, er könne dort einmal Abt werden. Als Oblate war Thomas schon Benediktinermönch, aber in noch unverbindlicher Form, vorbehaltlich einer späteren persönlichen Entscheidung im Erwachsenenalter. Er konnte also das Kloster ohne kirchenrechtliche Probleme auch wieder verlassen. Dies tat er, als der Vater ihn auf Anraten des Abtes 1239, nach dem Wiederaufflammen des Streites zwischen Kaiser und Papst -»Gregor IX., nach Neapel schickte. Denn der Streit betraf unmittelbar auch Monte Cassino: Die kaiserlichen Truppen vertrieben alle Mönche, die nicht in den Territorien Kaiser Friedrichs II. geboren waren. Thomas studierte nun - im Alter von ca. 15 Jahren, wie damals bei Studienbeginn

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das Perlenlied beschreibt die Rückkehr des Menschen zu seinem ursprünglichen paradiesischen Zustand, wo er mit seinem Bruder vereinigt wird, und ist ohne Tatians Oratio (c. 13,30) nicht zu verstehen. Wenn dabei berücksichtigt wird, daß auch das Thomasevangelium Beziehungen zu Tatians Diatessaron aufweist, darf angenommen werden, daß die Vorstellung eines Zwillingsbruders Jesu, Judas Thomas, aus einem von Tatians Theologie tiefgreifend beeinflußten Milieu stammt und der symbolisch-narrative Ausdruck seiner soteriologischen Ideen ist. Quellen

und

Literatur

Beate Blatz, Das kopt. Thomasevangelium: N T A p o ! I (1987) 9 3 - 1 1 3 . - Oscar Cullmann, Kindheitserzählung des Thomas: ebd. 3 4 9 - 3 6 1 . - Han J.W. Drijvers, Thomasakten: NTApo 5 II (1987) 2 8 9 - 3 6 7 . - Albertus Frederik Johannes Klijn, John XIV 22 and the Name Judas Thomas: Studies in John. FS Jan Nicolaas Sevenster, 1970 (NT.S 24) 8 8 - 9 6 . - Raymond Kuntzmann, Le symbolisme des jumeaux au Proche-Orient ancien, 1983 (BeRe 12) 1 6 4 - 2 1 2 . - Simon Mimouni, Art. Thomas: DSp 15 (1991) 7 0 8 - 7 1 8 . - Paul-Hubert Poirier, Évangile de Thomas, Actes de Thomas, Livre de Thomas. Une tradition et ses transformations: Apocrypha 7 (1996) 9 - 2 6 . - Ders., Les Actes de Thomas et le manichéisme: Apocrypha 9 (1998) 2 6 3 - 2 9 0 . - Aurelio de Santos Otero, Thomasapokalypse: NTApo 5 II (1987) 6 7 5 - 6 7 9 . - Hans-Martin Schenke, Das Buch des Thomas: NTApo 5 I (1987) 1 9 2 - 2 0 4 . - Yves Tissot, L'encratisme des Actes de Thomas: A N R W II.25.6 (1988) 4 4 1 5 4430.

Hendrik J.W. Drijvers

Thomas von Aquino

(1224-1274J/Thomismus/Neuthomismus

1. Leben 2. Werke 3. Schwerpunkte der historischen Thomasforschung 4. Philosophie (ausgewählte Grundthesen) 5. Grundriß der Theologie des Thomas 6. Der Thomismus/Neuthomismus 7. Thomas in der gegenwärtigen Theologie (Quellen/Literatur S. 464)

1. Leben Thomas wurde 1224 oder 1225 auf der Burg Roccasecca östlich der Stadt Aquino in der gleichnamigen Grafschaft geboren. Das Geburtsjahr errechnet sich nach den zuverlässigen Nachrichten, daß Thomas mit 49 Jahren bzw. im 50. Lebensjahr am 7. März 1274 gestorben ist. Die Stadt Aquino liegt etwa auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel. Den Namen aber hat Thomas von der Grafschaft, die seit dem Ende des 10. Jh. wechselnden Zweigen der Familie gehörte. Der Vater Landulph gehörte nicht dem mächtigsten Zweig an, die Mutter Theodora aus. der neapolitanischen Familie Caracciolo war entfernt mit Kaiser -»Friedrich II. verwandt. Der Familienbesitz lag an der Nahtstelle zwischen den kaiserlichen und päpstlichen Herrschaftsgebieten. Dies und die verwandtschaftlichen Verhältnisse sind insofern bedeutsam, als Thomas in die Spannungen zwischen Kaiser und Papst (-»Kaisertum und Papsttum) hineingeboren wurde - mit Folgen für seinen Lebensweg.

Als jüngster Sohn (unter drei Brüdern und fünf Schwestern) wurde Thomas, wie damals üblich, für den Dienst der Kirche bestimmt, d.h. mit fünf bzw. sechs Jahren als „Oblate" (dazu anschaulich Fuhrmann 42f.!) ins nahegelegene Benediktinerkloster Monte Cassino verbracht, wohl mit dem Hintergedanken der Eltern, er könne dort einmal Abt werden. Als Oblate war Thomas schon Benediktinermönch, aber in noch unverbindlicher Form, vorbehaltlich einer späteren persönlichen Entscheidung im Erwachsenenalter. Er konnte also das Kloster ohne kirchenrechtliche Probleme auch wieder verlassen. Dies tat er, als der Vater ihn auf Anraten des Abtes 1239, nach dem Wiederaufflammen des Streites zwischen Kaiser und Papst -»Gregor IX., nach Neapel schickte. Denn der Streit betraf unmittelbar auch Monte Cassino: Die kaiserlichen Truppen vertrieben alle Mönche, die nicht in den Territorien Kaiser Friedrichs II. geboren waren. Thomas studierte nun - im Alter von ca. 15 Jahren, wie damals bei Studienbeginn

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Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

üblich - in Neapel die -+Artes liberales. Diese, obligatorisch für jeden Studenten vor Aufnahme eines Fachstudiums, umfassen nach heutigem System etwa die Kollegstufe eines humanistischen Gymnasiums und die ersten Universitätssemester bis zum Philosophicum, sind also durchaus dem obligatorischen Studium der „Humanities" an einem heutigen amerikanischen College vergleichbar. Thomas hatte hier seine erste und nachhaltige Begegnung mit der Philosophie des -> Aristoteles, soweit sie damals im Abendland bekannt war. Lebensentscheidend wurde die Begegnung mit Brüdern aus dem damals noch jungen Mendikantenorden der „Predigerbrüder" (OP), nach ihrem Gründer —•Dominicus bald „-•Dominikaner" genannt. Das Ordensideal der Verbindung von (quantitativ reduzierter) monastischer Lebensform, Studium, Seelsorge und „demokratischer" Verfassung einschließlich örtlicher Flexibilität (Verzicht auf die monastische stabilitas loci) bewegten Thomas im April 1244 zum Eintritt. Die Familie nahm diesen Schritt zunächst nicht hin, konnte aber den Widerstand des jungen „Bettelmönches" auch durch Entführung und einjährigen „Hausarrest" auf Roccasecca nicht brechen. Vom Herbst 1245 bis zur ersten Hälfte 1248 studierte der von der Familie freigelassene Thomas in Paris — frühere Zweifel an diesem Pariser Aufenthalt sind heute weithin verstummt. Und zwar schloß er zuerst die in Neapel begonnenen philosophischen Studien ab, studierte aber unter Verkürzung der üblichen Studienzeiten (und also wohl mit Spezialerlaubnis seiner Ordensoberen) gleichzeitig auch schon Theologie als freiwilliger Assistent von -^Albert dem Großen, dessen Vorlesungen er kopierte. Ganz sicher aber ging er 1248 für vier Jahre als Assistent von Albert nach ->Köln, wo dieser das Kölner Generalstudium des Ordens, die Wurzel der späteren (mittelalterlichen) Universität, aufbauen sollte. Albert machte Thomas zum Baccalaureus biblicus, betraute ihn also mit dem Vortrag der kursorisch kommentierten und glossierten Bibel, im Mittelalter die erste Phase des theologischen Lehrens, die mit der „Bibelkunde" an einer heutigen theologischen Fakultät vergleichbar ist. Aus dieser Zeit stammen die kursorischen Kommentare zu Jeremia und den Klageliedern und mit ziemlicher Sicherheit auch der zu Jesaja, der schon die Eigentümlichkeiten der späteren Bibelkommentare erkennen läßt: strenge wörtliche Exegese, in Verbindung mit, aber deutlich abgegrenzt von spiritueller Erschließung. Gleichzeitig aber schrieb Thomas sorgfältig die Vorlesungen Alberts über De divinis nominibus des (Pseudo-) -»Dionysius Areopagita und, für ihn prägend, über die Nikomachische Ethik des Aristoteles mit. In diese Zeit fällt auch seine Ordination zum Priester - Genaueres wissen wir nicht. Nicht nur die intellektuellen Qualitäten des T h o m a s , sondern auch sein staunenerregendes Arbeitsethos und seine Arbeitsleistung wurden schon damals von seinen Mitstudenten und nicht zuletzt von seinem Lehrer Albert w a h r g e n o m m e n . Das spiegelt sich in gut verbürgten Anekdoten. Deren bekannteste ist der Spitzname, den die Mitstudenten ihm gaben: „der stumme O c h s e " Anspielung auf seine Schweigsamkeit und zugleich auf seine auch sonst bezeugte hünenhafte Gestalt. Albert soll darauf mit dem Satz reagiert haben: „ W i r nennen ihn den stummen Ochsen, aber das Brüllen seiner Lehre wird in der ganzen Welt widerhallen."

Auf nachdrückliche Empfehlung Alberts wurde Thomas 1252 (oder schon 1251?) nach Paris geschickt, um dort sofort eine Lehrtätigkeit als Baccalaureus sententiarius aufzunehmen. In dieser Eigenschaft hatte er die um 1155 abgeschlossenen Vier Bücher der Sentenzen des Pariser Magisters und späteren Bischofs -»Petrus Lombardus zu kommentieren, die inzwischen zum quasi-offiziellen Lehrbuch der Dogmatik avanciert waren und dies bis ins 16. Jh. blieben. Thomas war erst 27 Jahre alt - die Statuten schrieben 29 Jahre vor, was die zögerliche Genehmigung des Ordensmeisters erklären dürfte. Allerdings hatte er dadurch die damals unüblich lange Zeit von vier Jahren, um sein erstes Großwerk zu schreiben, den Sentenzenkommentar (Scriptum super Libros Sententiarum). Seine Ernennung zum Magister, die normalerweise dem Baccalauréat folgte, machte Schwierigkeiten, weil das Verhältnis der Ordenstheologen zu den Magistern aus dem Weltklerus heillos vergiftet war, seit jene in den Jahren nach 1229 während eines Lehr-

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

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Veranstaltungsstreiks der Professoren und Studenten (wegen Auseinandersetzungen mit kirchlichen und weltlichen Behörden) sich als Streikbrecher betätigt hatten. Thomas wurde 1256, auf einem neuerlichen Höhepunkt des Streites, auf Veranlassung des Papstes zum Magister ernannt - aber erst im August 1257 im Rahmen einer gütlichen Beilegung des Streites zusammen mit -»Bonaventura in das Kollegium der Magistri aufgenommen. Von nun an verlief das Leben des Thomas für 12 Jahre arbeitsreich wie immer, aber konfliktfrei - die Entstehung weiterer Werke ergibt sich durch die Beanspruchung seiner verschiedenen Tätigkeiten. Er las - Dienstpflicht des Magisters - über die Heilige Schrift, wobei unklar ist, worüber, hielt die obligatorischen Disputationen, zusammengefaßt und redigiert in der Serie Quaestiones disputatae de veritate, bestand die gefürchteten, zweimal im Jahr verpflichtenden Disputationen De quolibet, schrieb Streitschriften und redigierte wahrscheinlich noch nach Amtsantritt als Magister seinen Sentenzenkommentar zu Ende. Bis 1259 blieb er noch in Paris — folgenreich unterbrochen freilich durch die Mitwirkung in einer Kommission zur Studienförderung auf dem Generalkapitel des Ordens in Valenciennes im Juni 1259. Der Orden, der inzwischen mehrere neue Studienhäuser gegründet hatte, war zur Förderung des theologischen Nachwuchses an einem häufigen Austausch des Pariser Personals interessiert. Thomas promovierte noch seinen Nachfolger und wurde nach Italien zurückgerufen. Vielleicht ging er - die biographischen Quellen sind uneindeutig - zunächst nach Neapel, wo er dann tatsächlich etwas ruhigere Zeit gehabt hätte, die vor allem der Weiterarbeit an der schon in Paris begonnenen Summa contra Gentiles zugute kam. In den folgenden Jahren wurde er Konventslektor bei den Dominikanern in Orvieto - nicht, wie lange angenommen, am Studienhaus beim päpstlichen Hof. Er stand dennoch mehrfach den Päpsten für Auftragsarbeiten (Catena aurea; Contra errores Graecorum) zur Verfügung und hatte demgemäß - unschätzbar für einen mittelalterlichen Theologen Zugang zu den päpstlichen Archiven. Es folgte eine mehrjährige Tätigkeit (1265-1268) als Leiter des von ihm selbst zu gründenden römischen Studienhauses seines Ordens. 1266 (1267?) begann er dort aus persönlicher Initiative die Arbeit an dem Werk, das ihn in der Theologiegeschichte unsterblich machte: an der Summa Theologiae. Das Erste Buch (Prima Pars) konnte er noch in Rom vollenden, als er im Sommer 1268 so der jüngste Forschungsstand - wieder nach Paris gerufen und geschickt wurde. Über die Gründe geben die Quellen keine direkte Auskunft. Dürfen wir aber aus den Fakten die Gründe erschließen, so sollte Thomas als der beste Mann des Ordens in Paris dreierlei tun: das neuerlich in die Kontroverse geratene Aristotelesstudium, das die Studienordnung der Dominikaner inzwischen vorschrieb, gegen die konservativen Kritiker verteidigen; gleichzeitig in einer Art Zwei-Fronten-Krieg die auf —• Averroes (Ibn Rusd) zurückgehende arabische Tradition der Aristoteles-Interpretation und ihrer Pariser Sympathisanten, der „Averroisten", bekämpfen, deren Thesen von einer doppelten -»Wahrheit, von der Unpersönlichkeit Gottes, von der Einheit der -•Seele in allen Menschen und von der Determination der -»Freiheit durch die Erkenntnis für christliche Theologen unannehmbar waren; und schließlich sollte er die Lebensform der neuen Orden verteidigen, deren Magistri seit 1229 immer wieder einmal von den Weltklerikern aus dem Lehrbetrieb der Universität ausgeschlossen werden sollten.

Die etwa dreieinhalb Jahre des zweiten Pariser Aufenthalts sind die arbeitsreichsten im Leben des Thomas. Wäre die literarische Produktion dieser Jahre — u. a. die ganze zweigeteilte Secunda Pars der Summa Theologiae — nicht, von kleinen Randunschärfen abgesehen, literarkritisch gesichert (s.u. 2.1.), man würde sie nicht glauben, trotz der ihm zur Verfügung stehenden Sekretäre. Man hat ausgerechnet (Torrell, Magister 254f.), daß Thomas umgerechnet durchschnittlich pro Tag 12,5 enggetippte DIN-A4-Seiten geschrieben hat - de facto mehr, denn es hat ja auch Feiertage und Unterbrechungen, z. B. durch Disputationen, gegeben. Im Frühjahr 1272 - um Ostern - wurde Thomas wieder nach Italien gerufen, und zwar nach Neapel. Wiederum kann man die Gründe nur rekonstruieren. An der Universität Paris war wieder einmal Streik - diesmal gegen den Bischof; Thomas war nicht mehr nötig. Zudem war sein Zwei-

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Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthoitiismus

Fronten-Krieg nicht erfolgreich, wie die postume Mitverurteilung 1277 beweist. Ferner hat Karl I. von Anjou (reg. 1266-1285), der neue König von Neapel/Sizilien, sanften Druck auf den Orden ausgeübt, einen berühmten, für Studenten aus ganz Europa attraktiven Mann an „seine" Universität zu schicken. Und schließlich war für Neapel ohnehin die Errichtung eines Generalstudiums des Ordens beschlossen.

Die Zeiten und die Arbeitsbeanspruchungen wurden nun vergleichsweise etwas ruhiger. Thomas setzte die Arbeit am Dritten Buch der Summa Theologiae fort, schrieb weitere Aristoteles-Kommentare, überarbeitete (teilweise) frühere Werke, predigte vor Studenten und sogar vor dem einfachen Volk. Augenzeugen berichten von häufigerer Geistesabwesenheit. Deren Höhepunkt ereignete sich am 6. Dezember 1273, als Thomas nach einer langen Ekstase nur mit Mühe seine Messe zu Ende bringen konnte, hernach sein Schreibgerät weglegte und keine Zeile mehr geschrieben hat. Den Grund nannte er mit den vielzitierten Worten: „Ich kann nicht mehr. Alles was ich geschrieben habe, erscheint mir wie Stroh — verglichen mit dem, was ich geschaut habe." Die mehrfache Bezeugung und die Auswirkung erlauben kaum einen Zweifel. Im Zeitalter bezeugter Nahtoderfahrungen muß aber auch die Ekstase einen gleichzeitigen gesundheitlichen Zusammenbruch nicht ausschließen. Im Frühjahr 1274 berief Papst Gregor X . (1271-1276) Thomas als Sachverständigen zum Zweiten Konzil von -»Lyon. Auf der Reise von Neapel nach Lyon starb er am 7. März in der Zisterzienserabtei Fossanova (80 km südlich von Rom). Man hat ihn zunächst dort auch bestattet, doch die Mönche mußten den Leichnam nach einigen Monaten wieder hergeben. Nach manch unwürdigem Gefeilsche fand er 1369 auf Geheiß Papst Urbans V. (1362—1370) seine letzte Ruhestätte in Toulouse, wo sein Grab heute in der restaurierten Jakobinerkirche zugänglich ist. Zum Beginn der Verehrung und Nachwirkung s. u. 6.2. 2. Werke 2.1. Summarische

Chronologie

Die Hauptwerke des Thomas sind fast alle unvollendet geblieben, auch und besonders die Summa Theologiae (im folgenden: S.th.). Völlig abgeschlossen sind eigentlich nur die Summa contra Gentiles (CG) und der Ijob-Kommentar. Denn selbst beim Sentenzenkommentar (SK) ist offen, ob er im Ganzen die Gestalt hat, die Thomas aus der Hand geben wollte. Die Schriftkommentare hat Thomas nur teilweise aus dem Zustand der studentischen reportatio in die selbst redigierte expositio überführen können. Einige Aristoteleskommentare sind abgebrochen worden, ebenso einer der Boethiuskommentare und das Compendium theologiae, einige Disputationen (QD) nicht redigiert, und selbst kleinere Schriften wie De regno nicht zu Ende gebracht. Dieser seltsame Tatbestand erklärt sich aber nicht nur aus dem vielfältigen Wechsel in den Aufgaben des Thomas. Nicht bei allen Werken hat ihm ein Ortswechsel oder am Ende der Tod die Feder aus der Hand genommen. Daraus resultiert freilich bei vielen Schriften des Thomas eine beträchtliche Unsicherheit in der Datierung - im Glücksfall nur um ein paar Monate oder ein Jahr, gegebenenfalls aber auch um ganze Lebensabschnitte. Die folgende summarische Chronologie gibt daher den gegenwärtigen Stand der Forschung (nach Torreil, Magister) wieder, muß aber nach wie vor Unsicherheiten einkalkulieren: In Paris und Köln während der Studentenzeit und als Baccalaufeus biblicus (1245-1252): „Kursorische" Kommentare zu Jeremia, den Klageliedern und zu Jesaja. In Paris als Baccalaureus sententiarius (1252-1256): SK; De ente et essentia; De principiis naturae; Principium (Doppel-AntrittsVorlesung als Magister). In Paris als Magister (1256-1259): Abschluß der Redaktion des SK; QD De veritate (De ver.); Super Boetium De Trinitate (unvollendet); Expositio libri Boetii De hebdomadibus; Contra impugnantes Dei cultum et religionem (zur Verteidigung der neuen Orden); CG 1,1-53; QQ V I I - X I (die eingebürgerte Zählung entspricht nicht der Chronologie). In (Neapel? und) Orvieto (1259-1265): Überarbeitung von CG 1,1-53 und Weiterarbeit, Abschluß vor 1265; Kommentar zu De divinis nominibus des Pseudo-Dionysius (oder erst 1265-1268?);

T h o m a s von A q u i n o / T h o m i s m u s / N e u t h o m i s m u s

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Ijob-Kommentar; Fronleichnamsoffizium; Catena aurea (Glossa continua super Evangelia), zu Mt; Contra errores Graecorum; kleinere Schriften, meist gutachterliche Äußerungen auf Anfragen (De emptione et venditione ad tempus [zur Zinsfrage]; De rationibus fidei [zur Diskussion mit Muslimen]; Expositio super primam et secundam Decretalem [ = Kommentar zum Glaubensbekenntnis des IV. Laterankonzils und zur Verurteilung der Trinitätslehre des -»Joachim von Fiore]; De articulis fidei et ecclesiae sacramentis [für den Erzbischof von Palermo - vielleicht erst nach 1265]). In Rom als Regens des Studienhauses (1265-1268): S.th., Prima Pars-, Catena aurea zu Mk, Lk und Joh; QD De potentia (De pot.), De anima, De spiritualibus creaturis; Compendium theologiae (unvollendet); Kommentar zu Aristoteles' De anima (der erste der Aristoteles-Kommentare); Gutachten (Responsio de CVlll articulis), De regno ad regem Cypri auch unter dem Titel De regimine principum (unvollendet). In Paris (1268-1272): S.th., Secunda Pars (zweigeteilt), Tertia Pars qq. 1 - 2 5 ; Kommentare zu Matthäus und Johannes (nicht redigiert); QD De malo (vor oder nach 1270?); QD De virtutibus (De virtutibus in communi, De caritate, De correctione fraterna, De spe, De virtutibus cardinalibus)•, QQ I - V I und XII (XII nicht redigiert); QD De unione verbi incarnati; Streitschriften gegen die Averroisten (De unitate intellectus; De aeternitate mundi); zur Verteidigung der Bettelorden (De perfectione vitae spiritualis; Contra doctrinam retrahentium a religione); Aristoteleskommentare zu: De sensu et sensato; Physik; Meteora (unvollendet); Peri Hermeneias (unvollendet); Posteriora Analytica; Nikomachische Ethik; Politik (unvollendet); Metaphysik; De caelo et mundo (unvollendet); De generatione et corruptione (unvollendet); Kommentar zu dem pseudo-aristotelischen Liber de causis; De substantiis separatis; zahlreiche Gutachten (u.a. De forma absolutionis; Antwort auf ihm durch den Ordensmeister oder Mitbrüder vorgelegte Fragen; Brieftraktat an die Gräfin von Brabant: irreführend bekannt unter dem Titel De regimine Judaeorum, was aber nur eines der Themen ist). In Neapel (1272-1274): S.th., Tertia Pars qq. 2 6 - 9 0 - das die Summa formal zum Abschluß bringende Supplementum Tertiae Partis (Suppl.) wurde später von Schülern (wahrscheinlich nicht Reginald von Piperno [gest. 1290]) aus Texten des Sentenzenkommentars zusammengestellt; Kommentar zu den Paulusbriefen (doch schon in Paris 1269-1272? persönliche Redaktion nur für Rom 1 - 8 sicher, vielleicht noch für I Kor 1 - 7 , 9 ) ; Predigten über die Zehn Gebote, das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das Ave Maria (auf italienisch; Überlieferung in lateinischer reportatio). 2.2. Werkbiographische

Gewichtung

Es hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Diskussion um die „richtige" Einteilung und Klassifizierung der Werke des T h o m a s gegeben. Der äußere Anlaß liegt schon in den ersten Listen der T h o m a s w e r k e kurz nach seinem T o d (s.u. 6.2.): Gegenüber den leicht abgrenzbaren Großwerken hat man die Vielzahl der oft nur wenige Druckseiten umfassenden kleinen Texte unter dem nichtssagenden Titel Opuscula zusammengefaßt und deren höchst unterschiedliches Eigenprofil eingeebnet. Dabei konnte es nicht bleiben, nachdem in der jüngeren T h o m a s f o r s c h u n g - vor allem seit der Introduction (1950) von M a r i e - D o m i n i q u e Chenu und deren Vorarbeiten — die Einsicht sich Bahn gebrochen hatte, daß die Erfassung des literarischen Genus einer Schrift zumindest einen methodischen Zugang zur Bewertung ihrer Sachaussagen eröffnet. Was für Luther eine schiere Selbstverständlichkeit ist, gilt auch für T h o m a s . Prägend wurde in dieser Hinsicht der Catalogue ofSt. Thomas' Works (1956) von Ignatius T. Eschmann, weil J a m e s A. Weisheipl und Gilles Emery (in: Torreil, Initiation) dessen Kategorisierung übernehmen. Diese lautet folgendermaßen: Theologische Synthesen — Akademische Disputationen — Kommentare zur Heiligen Schrift - K o m m e n t a r e zu Aristoteles - Andere Kommentare — Polemische Schriften - Abhandlungen über besondere T h e m e n - Gutachten — Briefe Liturgische Werke und Predigten ( - Werke unsicherer Echtheit). Also eine Kategorisierung nach Inhalten und zudem nach abnehmendem Umfang. Wenn es aber stimmt, daß spätestens seit 1248 die Biographie des T h o m a s als Werkbiographie geschrieben werden kann und muß - vorbildlich bei Torrell (Magister) - , dann könnte sich auch, sogar mit noch größerem methodologischem Gewinn, eine Kategorisierung nach den jeweiligen professionellen Kontexten empfehlen. Diese sähe dann so aus: 1. Werke im Zusammenhang der Lehrtätigkeit: a) die Schriftkommentare; b) der SK; c) die QQD; d) die QQ. — 2. Forschungswerke: a) die Aristoteleskommentare; b) die Kommentare zu

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-•Boethius; c) der Kommentar zu Pseudo-Dionysius; d) der Kommentar zum Liber de causis. - 3. Streitschriften aus gegebenem Anlaß: a) Gegen die Gegner der Bettelorden; b) Gegen die Averroisten. - 4. Auftragsarbeiten und Gutachten: a) Contra errores Graecorum; b) Antworten (Responsiones) auf Anfragen; c) Briefe (besser: Brieftraktate - denn es sind keine Briefe im modernen Sinne); De rationibus fidei; der Brief an die Gräfin von Brabant; De forma absolutionis; d) De regno (De regimine principum). - 5. Traktate und Lehrbücher aus persönlicher Initiative: a) De principiis naturae; b) De ente et essentia; c) CG; d) Compendium Theologiae; e) S.th.; f) De substantiis separatis; und andere Klein-Traktate. - 6. Predigten: a) wirkliche Predigten (unter den zahlreichen T h o m a s zugeschriebenen Predigten sind, wie inzwischen feststeht, nicht mehr als 19 echt, teilweise sogar in italienisch); b) umgearbeitete Predigten (über das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das Ave Maria, die Zehn Gebote). - 7. Liturgische Texte und Gebete: a) das Fronleichnamsoffizium; b) der Eucharistie-Hymnus Adoro te devote (nicht zum Fronleichnamsoffizium gehörig, lange umstritten, inzwischen mit höchster Wahrscheinlichkeit als echt einzustufen); c) die wenigen Gebete in den Ausgaben (z.B. Marietti-Ausgabe, Opuscula theologica II, 273-289) sind hinsichtlich ihrer Echtheit unsicher - atmen aber ganz den Geist der thomanischen Theologie (s. u. 5 . 1 . - 2 . ) . Sowohl Eschmann wie Weisheipl wie Emery geben ein Verzeichnis wahrscheinlich unechter Werke des T h o m a s - wobei es sich nicht selten um Auszüge aus echten Werken handelt. In dieses „kontextuelle" Werkverzeichnis lassen sich leicht die in der chronologischen Liste aufgeführten Werke einordnen. Für die Plausibilität dieser werkbiographischen Kategorisierung spricht auch ein fast tragisch-ironischer Umstand: Die genannten Werkverzeichnisse eröffnen mit den „theologischen Synthesen", deren bedeutendste natürlich die S.th. ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß T h o m a s die Prima Pars in Rom nicht nur ausarbeitete, sondern auch, gemäß der Absicht des Prologs, für die „Anfänger" zu schreiben, als Kolleg vortrug. Auch zirkulierte sie bereits in Italien vor der Rückkehr des T h o m a s nach Paris. Und doch hat sie nicht auf direktem Weg das große Publikum erreicht, für das sie geschrieben war. Schon gegen Ende des 13. und dann im 14. Jh. entstanden Zusammenfassungen, um nicht zu sagen: Vulgarisierungen der Secunda Pars - also der theologisch-ethischen Teile der S.th. Die Dogmatik aber wurde auch in den Studienhäusern des Ordens nach dem SK gelehrt - mit gelegentlichem vergleichendem Seitenblick in die S.th. So auch noch auf dem ersten Höhepunkt der thomistischen Schulbildung, bei Johannes Capreolus, dem Princeps thomistarum (gest. 1444). Erst F. ->Vitoria, der „Vater der spanischen Scholastik", führte 1526 in Salamanca die S.th. als theologisches Lehrbuch anstelle des SK ein. „Dies war wohl nicht ganz der Erfolg, den sich T h o m a s für sein Werk gewünscht hätte . . . " (Torreil, Magister 176).

3. Schwerpunkte

der historischen

Thomasforschung

3.1. Thomas und die Frühscholastik Z u r Zeit der normativen Geltung der Theologie und Philosophie des T h o m a s (s.u. 7.1.) hat sich die Arbeit an T h o m a s mehr für die werkimmanente Interpretation einerseits und für die nachfolgende schulthomistische Kommentierung andererseits interessiert. Die Frühscholastik, also die Epoche zwischen -»Anselm von Canterbury und dem Beginn des 13. Jh., erschien als unzulängliche Durchgangsphase, überholt nicht nur, aber endgültig durch Thomas. Intensive Erforschung der Frühscholastik - aufgrund ungedruckter, inzwischen zunehmend aber auch edierter Quellen — hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur das Eigenprofil, die Vielfalt, die eigenen Problemspannungen und Qualitäten der Theologie des 12. Jh. und ihrer Schulen freigelegt, sie hat vor allem zeigen können, daß T h o m a s einerseits diese Traditionen kennt und andererseits vielfach auf ihnen aufbaut. Seine Originalität wird dadurch nicht geschmälert, denn einmal verarbeitet er die f r ü h scholastischen Ansätze im Rahmen und zu den Bedingungen seiner Neuansätze, und zum anderen hat er einige auch zu Ende gedacht, nicht selten auch überwunden, vor allem in der theologischen Anthropologie.

3.2. Thomas und die ältere

Hochscholastik

Ähnlich wie den frühscholastischen Theologen ergeht es den älteren Kollegen und Vorgängern des T h o m a s im 13. Jh., sowohl denen in seinem eigenen Orden wie denen aus dem —•Franziskanerorden und dem Weltklerus. Das liegt auch hier wieder daran, daß sich unter der Dominanz des Neuthomismus das editorische Interesse erheblich weniger etwa auf die Werke des Bonaventura oder der sog. älteren Franziskanerschule mit -»Alexander von Haies (Halesius), Johannes de Rupella (de la Rochelle; gest. 1245) u.a. richtete. Heute weiß man und erforscht weiter, daß und wie T h o m a s in Anknüpfung und Einspruch sich auf seine Vorgänger und Kollegen bezieht, die sich in seinen Schriften oftmals hinter den berühmten quidam verbergen, wenn T h o m a s aus gegebenem Anlaß zur Einleitung seiner Argumentation einen Diskussionsstand referiert. Ein Beispiel:

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Bei der Ausarbeitung seines Traktates über das Alte Gesetz (S.th. I-II 101-105) hat T h o m a s sich immer wieder mit den Auffassungen im Gesetzestraktat der Summa Halensis auseinandergesetzt (vgl. D T h A 13).

3.3. Thomas und Augustin - und die Kirchenväter Um T h o m a s gegen die reformatorische Theologie und deren massive Kritik an Aristoteles zu profilieren, hat sich in den Jahrhunderten nach der Reformation das Interesse vornehmlich auf das Verhältnis des T h o m a s zu Aristoteles gerichtet, gefördert auch dadurch, daß in der Frontstellung gegen die Philosophie der Neuzeit ohnehin mehr der Philosoph als der Theologe Thomas gefragt war. Inzwischen hat der Einfluß der Kirchenväter auf T h o m a s und darin besonders die Beziehung zu -»August in wieder den ihr von der Sache her angemessenen Platz in der Thomasforschung gefunden. Das paradoxe Ergebnis: Je vertrauter T h o m a s in seinem Spätwerk mit Aristoteles ist nicht zuletzt durch das Studium neu übersetzter Werke - , desto stärker knüpft er an Augustin an, besonders und entscheidend in der Lehre von Gnade, Tugend und Sünde und in der Sakramentenlehre. Die Entdeckung des historischen Semipelagianismus (s.u. 4.5.) läßt ihn augustinischer denken als selbst die „Berufsaugustinisten" unter seinen Kollegen und Gegnern in Paris.

3.4. Thomas und Aristoteles Die Untersuchung der prekären Beziehung des T h o m a s zu -»Aristoteles - nicht zuletzt anhand der Aristoteleskommentare - erbringt nach wie vor höchst kontroverse Urteile. Sie reichen von der These, T h o m a s interpretiere absolut texttreu und halte seine eigene Meinung zurück, bis zur gegenteiligen These, T h o m a s korrigiere Aristoteles interpretierend nach seiner eigenen Meinung, und zu vermittelnden Thesen, wonach T h o m a s Aristoteles, ohne dessen vorchristliche Lehren zu verbergen, doch soweit wie möglich „getauft" habe. Je nach Stellungnahme gestaltet sich dann auch das Urteil über das Verhältnis des T h o m a s zu der durch die „Averroisten" vermittelten arabischen Tradition der Aristoteles-Interpretation. Wenn man sich den „Zwei-Fronten-Krieg" während der zweiten Pariser Lehrtätigkeit vergegenwärtigt, läßt sich die Vielfalt der Thesen verstehen. Schon die Frage, w a r u m T h o m a s überhaupt (über das ja inzwischen erlaubte und vorgeschriebene Aristotelesstudium hinaus) die Serie der Kommentare geschrieben hat, die nie Vorlesungstext waren, ist nicht schlüssig zu beantworten. Noch einmal ein anderes Problem ist die Funktion des aristotelischen Begriffsinstrumentariums im Rahmen der systematisch-theologischen Argumentation: nur Formulierungshilfe? Oder doch Verstehenshilfe auf dem schmalen Grat zwischen Selbstauslieferung an ein Vorverständnis und dessen hermeneutisch-kritischer Verarbeitung?

3.5. Theologie und Philosophie bei Thomas Die Spannweite der Suchfragen ist nach wie vor extrem: Ist T h o m a s überhaupt Philosoph? Ist er vorwiegend Philosoph, der die Glaubensaussagen den philosophischen Argumenten mehr oder weniger äußerlich hinzufügt? Ist die (aristotelische) Philosophie Vorverständnis einerseits, Verstehenshilfe und Formulierungsinstrument andererseits, jederzeit kritisch umzuformen, wenn Glaubenswahrheit das verlangt? Ist er .Philosoph, weil er als Theologe von der Einheit der Wahrheit überzeugt ist und darum Wahrheit anerkennen will, wo immer sie entdeckt wurde? Ist er Philosoph nur, um die Philosophie von innen her ihrer Unfähigkeit zur Gotteserkenntnis und der realitätsgemäßen Rede von Gott zu überführen? Entsprechend extrem gehen die Antworten und Thesen auseinander. Nach wie vor erscheinen philosophiegeschichtliche Monographien und Überblicke, in denen das Mittelalter - zu schweigen von der Zeit der alten Kirche und der Kirchenväter nicht vorkommt, in denen vielmehr von den Griechen (und Römern) gleich zu —»Descartes und der Neuzeit hinübergelenkt wird. Nach wie vor - wenngleich schwächer werdend - ist vor allem aus evangelischer Sicht und auf den Spuren -»Luthers das Urteil aktenkundig, T h o m a s habe sich in der Interpretation und argumentativen Durchdringung der Glaubenswahrheit einem aristotelischphilosophischen Vorverständnis ausgeliefert und dadurch jene verderbliche Entwicklung der Theologie eingeleitet, der die Reformatoren mit dem radikalen Rückruf zum biblischen Zeugnis Einhalt gebieten mußten. Stark ist auch die Tendenz - sei sie aus ökumenischem, sei sie aus innerkatholischem (anti-neuscholastischem) Interesse gespeist-, die Philosophie bei T h o m a s zu minimalisieren und zum mehr oder weniger technischen Instrument der begrifflichen und sprachlichen Fassung der Glaubensaussage herunterzuspielen. Dem entgegengesetzt betonen an T h o m a s orientierte Philosophen die unbefangene Vernunft- und damit Philosophiefreudigkeit des Thomas, der philosophische Einsicht, frei von jedem Fideismus, so weit vortreibe, bis die Grenze des Geheimnisses erreicht ist, vor dem die natürliche Vernunft blind ist. Eine junge Tendenz, vor allem in den USA, liest T h o m a s zugleich mit den Augen L. -»Wittgensteins und K. -»Barths, arbeitet demgemäß zunächst die Grenze der -»Sprache vor der Unsagbarkeit Gottes heraus und anschließend die These,

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daß nach Thomas eine philosophische Gotteserkenntnis noch gar keine Gotteserkenntnis sei. Entscheidungen müssen am Detail getroffen und dann zu einem differenzierten Gesamtbild integriert werden. Monokausale Thesen haben von vornherein die Vielfalt der Werke und argumentativen Kontexte gegen sich, in denen das Verhältnis von Philosophie und Theologie bei Thomas akut wird. 3.6. Thomas

und die

Spätscholastik

Diese Frage ergibt sich zunächst aus einem philosophie- und theologiegeschichtlichen Interesse: Warum wurde die thomistische Tradition so schnell zur Via antiqua gegenüber den Scotisten (-»Duns Scotus) und anschließend der Via moderna der Ockhamisten (-»Ockham; G. -•Biel)? Die Frage nach dem Verhältnis der Spätscholastik des 14. und 15. Jh. zu Thomas verfolgt aber zunehmend auch ein reformationsgeschichtliches und ökumenisches Interesse. Welche subtilen Wandlungen im Vergleich zu Thomas selbst hat die thomistische Tradition durchlaufen, um den Anschluß an den Mainstream der Via moderna nicht zu verpassen? Welchen „Thomas" lernte daher Luther kennen, wenn er ihn denn nicht durch Originallektüre kennenlernte (was infolge der Schulbindung der theologischen Ausbildung damals nicht Standard war)? Was waren die bedeutsamen Themen, in denen außerhalb wie innerhalb der thomistischen Schule die Lehre des Thomas mißverstanden, umgeformt, aufgegeben wurde? Was waren die Folgen - von der Philosophie bis zur Weltgeschichte? Dies führt unmittelbar zu den beiden folgenden Forschungsschwerpunkten: 3.7. Thomas

im Kontext

der reformatorischen

Theologie

Historisch gibt es immer noch Einzelfragen, wieweit Luther und die anderen Reformatoren Thomas im Original kannten und gegebenenfalls ab wann; und woher sie aus zweiter Hand Kenntnisse über Thomas hatten und wie zuverlässig diese waren. Die ältere Auffassung, wonach Luther Thomas niemals im Original eingesehen hat, ist jedenfalls so wenig zu halten wie der Vorwurf vorsätzlicher Ignoranz (vgl. dazu Janz, Luther on Thomas). Die Frage, wie und warum Thomas für Luther und bis heute für lutherische Theologie der große Antipode reformatorischer Theologie werden konnte, ist darum nach wie vor Gegenstand der Forschung. Umgekehrt ist von Interesse, wie ein anerkennendes Verständnis reformatorischer Theologie dadurch blockiert wurde, daß diese terminologisch in thomistische Sprachmuster einrastete, folglich nur mißverstanden werden konnte und so von den katholischen Kontroverstheologen des 16. Jh. mit thomistischen Argumenten „widerlegt" wurde. Die Tatsache, daß in den Editionen der reformatorischen Bekenntnisschriften sowie der Werke der Reformatoren immer wieder Thomas und nicht, wie historisch richtig, spätscholastische Theologen als Belege beigebracht werden, wo die Reformatoren sich gegen „die Scholastiker" wenden, gibt ihrerseits historische Fragen auf. 3.8. Thomas

und das Konzil von

Trient

Dies gilt ebenso für das Verhältnis des Trienter Konzils (—•Tridentinum) zu Thomas. An einigen neuralgischen Punkten der Kontroverse mit der Reformation ist mit Händen zu greifen, daß man sich auf Thomas zu stützen meint, während man ihn tatsächlich subtil umdeutet. Zu Zeiten der Dominanz des Neuthomismus wurde diese Differenz vehement bestritten - wie die Differenz zwischen Thomas und dem Schulthomismus überhaupt. Heute herrscht Klarheit, daß Thomas durch Trient dadurch seine Chance in der katholischen Kirche und Theologie bekam, daß die Via moderna denn doch durch die Kritik der Reformatoren intellektuell diskreditiert war, andererseits eine augustinische Position als zu nahe bei den abzuwehrenden Reformatoren empfunden wurde. Die Suche nach einem „mittleren Weg" begünstigte die Vorausvermutung einer Deckungsgleichheit zwischen Trient und Thomas, ist aber heute eine von Fall zu Fall offene historische und systematische Frage. Sie lenkt unmittelbar hinüber zum ökumenischen Gespräch (s.u. 7.3.). 4. Philosophie 4.1.

(ausgewählte

Grundthesen)

Grundlegendes

Unter den entgegengesetzten Beurteilungen (s. o. 3.5.) dürften folgende Feststellungen der historischen Wahrheit am nächsten kommen: T h o m a s philosophierte als Christ und christlicher Theologe in einer bindend vom kirchlichen Christentum geprägten geistigen Welt. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, an einer philosophischen Lehre festzuhalten, die eindeutiger Glaubenslehre widersprach (vgl. CG 1,7; In Boetium de Trinitate 2,3!). Ein solcher Widerspruch mußte selbst bei philosophischer Schlüssigkeit zuungunsten der Philosophie entschieden werden - etwa im Fall der aristotelischen Lehre von der

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Ewigkeit der Welt oder der universalen Einzigkeit des voög. Es sei denn, es stellt sich heraus, daß der Widerspruch nur ein scheinbarer war, die Glaubenslehre sich im Licht philosophischer Einsichten als falsch verstanden erwies — etwa im Fall der gläubigen Beurteilung der materiellen Welt, wo der vorchristliche Philosoph Aristoteles zum Kronzeugen des christlichen Schöpfungsglaubens (-»Schöpfer/Schöpfung) wurde und dabei half, eine glaubenswidrige platonisierende Abwertung der irdischen Wirklichkeiten (einschließlich der Sexualität) zu durchschauen und zu überwinden. Damit wird schon klar: Der Glaube zieht zwar der philosophischen -»Vernunft Grenzen, aber die Vernunft und damit die Philosophie haben das Recht, für die Theologie zur Suchfrage nach dem richtigen Verständnis der Glaubenswahrheit zu werden. Und dies eben dadurch, daß sie ihr eigenes Fragen so konsequent wie möglich betreiben. Die Einheit der -»Wahrheit, gründend in der Einheit der Wirklichkeit durch den Schöpfergott, gewährleistet, daß in jedem Fall Wahrheit erkannt wird, die auch dann um des Glaubens willen von Interesse ist, wenn sie nicht unmittelbar mit geoffenbarter Glaubenswahrheit in Berührung kommt. Der Glaube zieht zwar der Vernunft eine Grenze, aber er bevormundet sie nicht auf dem Gebiet ihrer ureigenen Kompetenz. Ja man kann sogar umgekehrt sagen: Die Vernunft zieht dem Glauben eine Grenze im Hinblick auf sein Verständnis: Eine schlechterdings unvernünftige theologische These kann keine Glaubenswahrheit zum Verstehen bringen - man denke etwa an die nicht seltenen reinen „Vernunftgründe" in den Sed-contra-Argumenten, an das häufige Argument, Gott müsse absurderweise etwas frustra geschaffen haben, wenn z. B. das eigene Wirken der Geschöpfe nur Schein sein sollte (S.th. I 105,5 in corp.) oder wenn die Geschlechtsorgane von Mann und Frau nicht auch im Urständ schon zur Fortpflanzung gedient haben sollten (S.th. I 98,2 gegen die Kirchenväter-Theorie von der sog. „Paradieses-Ehe"). In diesem Sinne läßt sich also eine Philosophie, ja in gewissem Maße ein philosophisches „System" aus dem Werk des Thomas herauslösen, innerhalb dessen autonom gedacht wird („Ich sehe nicht, wieso die Erklärung der Worte des Philosophen etwas mit der Glaubenslehre zu tun haben soll": Resp. de art. XLII, a. 33, n. 806) und das dennoch unter dem Vorzeichen des christlichen Glaubens, näherhin des Schöpfungsglaubens steht als dem „geheimen Notenschlüssel" (Pieper, Philosophia negativa 15). Wenn man will, mag man es eine „christliche Philosophie" nennen - darf das aber nicht so verstehen, als werde hier zu theologischen Argumentationszwecken ad hoc eine Philosophie zurechtgemacht. Der christliche Glaube entläßt vielmehr das philosophische Denken in die Autonomie seines Fragens, weil Christen nicht auf Kosten des Denkens glauben, sondern im Gegenteil mit einer Vernunft, der der Glaube die Augen geschärft hat, philosophisch fragen. Darum besteht auch zwischen Vernunft und Offenbarung nicht die in der Neuzeit so scharf empfundene Spannung. Was kann der Vernunft besseres geschehen, als daß sie durch Gottes Wort noch weiter zu schauen vermag als aus eigener Kraft und zudem vor Irrtum geschützt bleibt? So ist es kein Widerspruch, daß der, welcher der größte Theologe des Mittelalters werden sollte, tatsächlich als Philosoph angefangen hat - als Student in Neapel, Paris und Köln - und sich sein philosophisches Interesse um seiner selbst willen, seine Neugier auf philosophische Quellen bleibend bewahrt und darum zumindest in Paris den kollegialen Kontakt zu den „Artisten" gepflegt hat. So werden die Formen verständlich, in denen Thomas Philosophie betrieben - konkret: Aristoteles studiert und „verwandelt" (W. Metz) - und sie zur Theologie in Beziehung gesetzt hat: an Aristoteles orientierte Reflexion der Weltwirklichkeit, auf die sich der Glaube bezieht; Heranziehung aristotelischer Begriffe als Modellvorstellungen zur Explikation eines Begriffes der Glaubenssprache; Heranziehung eines ganzen aristotelischen Gedankenganges zur analogen Erläuterung eines theologischen Zusammenhangs; Widerlegung eines aristotelischen Gegenargumentes durch bessere Aristotelesinterpretation; sachgerechte Öffnung des aristotelischen Gedankens auf die alle Philosophie überschreitende Wahrheit des Glaubens hin. Man kann also Thomas mit Fug und Recht einen Aristoteliker nennen - aber es kann keine Rede davon sein, daß er tatsächlich, wie Luther mißverstehend

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urteilte, die Theologie an Aristoteles ausgeliefert hätte und so zum „born und grundsuppe aller ketzerey" (WA 15,184,32) geworden sei. 4.2.

Seinslehre

In der Forschung nicht (mehr) kontrovers ist, daß die Auffassung vom Sein als solchem zu den originalen Fortbildungen der aristotelischen Metaphysik durch Thomas gehört »Heideggers Vorwurf der „Seinsvergessenheit" trifft jedenfalls Thomas nicht. In einem souveränen philosophiegeschichtlichen Überblick hält er fest, daß „schließlich einige sich erhoben, um das Seiende als Seiendes {ens inquantum est ens) zu betrachten; und sie betrachteten die Ursache der Dinge nicht nur, sofern sie diese oder solche (haec vel talia), sondern sofern sie Seiende sind" (S.th. I 44,2 in corp.; weil Thomas vorher schon Plato und Aristoteles apostrophiert hat, ist zu unterstellen, daß Thomas zumindest auch sich selbst zu den „einigen" zählt). Dieses Sein des Seienden ist nicht als solches existent - also nicht neuplatonisch das „Eine" (rö ev), aus dem alle einzelnen Seienden „emanieren", und auch nicht Gott selbst, so daß alle Seienden ein Stück von Gott wären. Es ist als solches nur in den Seienden als deren oberster formaler Grund der Wirklichkeit (Aktualität). Abgesehen davon, absolut betrachtet, ist das Sein unbegrenzt und im negativen Sinn unendlich - denn es kann von unbegrenzt vielen Seienden „gehabt" werden. Begrenzt wird es dadurch und dann, daß und wenn ein Wesen - ein Naturding, ein Lebewesen, ein Mensch, ein Geist, ein Gedanke, eine Beziehung - das Sein als sein Sein aufnimmt wie eine Potenz den Akt. Die Erfassung des Seins durch Verallgemeinerung des letzten Wirklichkeitsprinzips aller Seienden erlaubt es, das nicht in sich selbst existente, aber in allen Seienden wirkliche Sein auf seine allgemeinsten Eigentümlichkeiten zu untersuchen. Diese sind: res (jedes Seiende als ein Wesen, ein Ding, ein Sachverhalt), unum (jedes Seiende als im Hinblick auf das Sein ungeteilt, sonst wären es mehrere Seiende), aliquid (mit sich identisch im Unterschied zu anderen Seienden), verum und bonum (in Übereinstimmung mit einem Erkennen und Wollen/Streben). Diese abstrakten Bestimmungen des Seins - mit dem eingebürgerten Fachausdruck: die „Transzendentalien" - zeigen ihre konkrete Bedeutung sofort, wenn man sie sich einmal wegdenkt. Dann wäre möglich, daß ein Seiendes nur ein Schein wäre; daß ein Seiendes von mehreren Wirklichkeitsgründen bestimmt wäre; daß es ununterscheidbar mit anderen Seienden vermischt wäre; daß es nicht mehr Maßstab für Erkennen und Streben wäre. Kurzum: jedes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Wirklichkeit wäre nichtig. Die abstrakten obersten Proprietäten des Seins des Seienden formulieren den ontologischen Sachgrund für die Vertrauenswürdigkeit aller existentiellen Wirklichkeitsbezüge und damit den grundlegenden Einspruch gegen jeden metaphysischen Nihilismus.

Die nächsten Schritte in der Durchführung der Lehre vom Sein folgen wieder Aristoteles: „Seiend" ist keine Gattung, sondern oberste (analoge) formale Bestimmung aller Gattungen, die nur als begrenzt zu verwirklichende solche sind (-»Analogie). Die grundlegende Gliederung alles Seienden erfolgt nach den Kategorien Substanz und Akzidens-. Jedes Seiende ist entweder ein Selbstandwesen oder eine außerwesentliche Bestimmung eines Selbstandwesens. Die außerwesentliche Bestimmung zerfällt in (nochmals zu unterteilende) neun Gattungen von Akzidentien: Quantität, Qualität, Ortsbestimmung (übt), Zeitbestimmung (quando), Tätigkeit (actio), Erleiden/Empfangen (passio), konkrete Anwesenheit am Ort (situs), äußere Ausstattung (habitus, „Anhaben", nicht zu verwechseln mit dem habitus, der zusammen mit der dispositio = Zurüstung/ Voreinstellung eine Untergliederung der Qualität ist) und der Beziehung (relatio), der nach Aristoteles metaphysisch „schwächsten" Art des Seins, weil ein reines „Zwischen" zwischen zwei Selbstandwesen. Thomas freilich überschreitet (auch) hier Aristoteles: Die „Schwäche" der relatio gilt für die Beziehung unter Seienden derselben (geschöpflichen) Ordnung. In bezug auf Gott aber ist die relatio die seinsmächtigste Kategorie, denn der Beziehung zu Gott verdankt alles Geschaffene, Substanzen wie Akzidentien, das Sein, ohne daß Gott dabei eine Veränderung erleidet (S.th. I 13,7). Bedeutsam ist,

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daß hiermit die ursprünglich logisch als Aussageweisen („Kategorien", „Prädikamente") in Anspruch genommenen Bestimmungen als ontologische Bestimmungen des Seins zu stehen kommen, oder besser: Die Kategorien sind logisch zwingende Aussageweisen, weil sie zuvor zwingend die obersten Bestimmungen des Seins erfassen. 4.3.

Naturphilosophie

In der Naturphilosophie („Physik") ist Thomas am meisten bei Aristoteles geblieben. Die Naturphilosophie steht dabei an der Stelle, an der heute die Naturwissenschaft steht: Beide suchen Grund und Verlauf des Werdens und Vergehens der Dinge zu erklären. Der Unterschied liegt in der Methode: durch spekulatives Fragen nach dem Grund der Möglichkeit auf der Basis alltäglicher Beobachtung dort, durch Induktion, gezieltes Experiment und Rückschluß hier. Solches hat im 13. Jh. seine ersten zaghaften Anfänge - nicht zuletzt bei Albert dem Großen, dem Lehrer des Thomas. Diesem ist das freilich immer fremd geblieben - und so ist seine Naturphilosophie für Menschen des naturwissenschaftlichen Zeitalters fremdartig. Kern der Naturphilosophie ist die Unterscheidung von materia (DÁIJ) und forma (noptpr)), die beide im Verhältnis von Potenz und Akt zueinander stehen („Hylemorphismus"). Beide Unterscheidungspaare sind analog vielfältig anwendbar — bis hin zur Seinslehre. Zudem kann jede konstituierte Substanz als „Materie" aufgefaßt werden, die durch Akzidenzien eine weitere „ F o r m " , d.h. eine zusätzliche Gestaltung erhält. Das Konzept ist der Versuch zu erklären, wie, was durch tägliche Beobachtung feststeht, ein (Natur-)Ding sich verändern kann, sei es, daß es als es selbst eine andere Gestalt annimmt (der Baum war grün und ist jetzt braun), sei es, daß es zu sein aufhört und in ein anderes übergeht (das Holz war Holz und ist jetzt Asche). In beiden Fällen weist der Sprachgebrauch darauf hin, daß sich etwas verändert und doch etwas anderes sich unter der Veränderung durchhält. Der „klassische" und darum am schwierigsten zu deutende, darum auch für heutiges Denken verschlossenste „Fall" ist die Zerstörung (corruptio) einer Substanz durch Hervorbringung (generatio) einer neuen: Holz wird Asche, Luft wird Feuer, Wasser wird Eis, ein Samenkorn wird eine Pflanze usw. Wenn die Redeweise „X wird Y " berechtigt ist, so ist zu schließen, daß dem Werdevorgang etwas sich Durchhaltendes zugrunde liegt, während etwas anderes sich wandelt; daß, mit anderen Worten, jeder Werdevorgang zwei Prinzipien impliziert und demnach jede gewordene Substanz aus zwei Seinsprinzipien zusammengesetzt ist. Das sich Durchhaltende nennt T h o m a s mit Aristoteles „Erstmaterie" (materia prima), das ablösend sich Wandelnde „substantielle F o r m " (forma substantialis). So wenig wie das Sein und das Wesen dürfen Form und Materie als in sich existierende Wirklichkeiten Verstanden Weiden - die Frage nach ihren Seinsprinzipien entstünde dann von neuem. Sie „existieren" nur miteinander und abhängig voneinander: die Erstmaterie als reine, aber wirkliche Potentialität, die Form als Prinzip der Wesensbestimmung und des Seins ( f o r m a dat esse, vgl. Q D De anima a. 9). Dies als gedankliches Postulat zur ontologischen Erklärung von Werden und Vergehen, aber festgehalten im Vertrauen auf die Fähigkeit der Vernunft, schlußfolgernd Wirklichkeit zu erfassen (s.u. 4.6.). Daraufhin läßt sich auch die Anschlußfrage beantworten, wodurch denn die Dinge zu Einzeldingen innerhalb der Art oder gar der Gattung werden. An der Form kann es nicht liegen - denn die bestimmt das Artwesen des Dinges, und das ist dasselbe in vielen Individuen. Also muß es an der Materie liegen. Indem sie die Form „aufnimmt", vereinzelt sie das Wesen, und zwar grundlegend durch das erste der Akzidenzien, die Ausdehnung als Prinzip der Vielheit. Darum lautet die Formel: Die Individuation erfolgt „durch die von der Ausdehnung gekennzeichnete Erstmaterie" (materia prima quantitate signata). Auch jetzt aber gilt: Dies sind sachliche Abfolgen; zeitlich fällt alles zusammen bei der „Hervorbringung" eines Naturdings, so daß man - die Texte bringen einmal diesen, einmal jenen Aspekt zur Sprache - genauso sagen muß: Die Form individuiert - eben dadurch, daß sie der Materie das Sein mitteilt, das voraussetzungsgemäß immer nur Einzelsein sein kann. Eine Auffassung, die im Mittelalter nicht wenige Anhänger hatte, hat T h o m a s immer abgelehnt: die Meinung, daß viele Naturdinge mehrere substantielle Formen haben („Formenpluralismus"),

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Thomas von Aquino/Thomistnus/Neuthomismus

also die Vorstellung, daß z. B. ein Tier zunächst die Form hat, die es zum körperlichen Ding macht (wie auch z. B. ein Stein), sodann die Form des in Selbstbewegung existierenden Lebewesens, darüber hinaus die Form des zu sinnlicher Erkenntnis und sinnlichem Streben fähigen Sinnenwesens. Vielmehr übernimmt die jeweils höchstrangige Form auf höhere Weise die Gestaltungsfunktionen aller anderen - im Tier also die anima sensitiva, die „sinnliche Seele" (vgl. CG IV,11 n. 3461-3465; S.th. I 76,4). Und noch eine andere verbreitete Meinung hat Thomas abgelehnt, nämlich daß alle Geschöpfe, also auch die reinen Geister, aus Materie und Form zusammengesetzt seien. Die letzteren, also die Engel, versteht Thomas als reine, voneinander verschiedene Formen: jeder Engel eine eigene Art (species). Beide Thesen haben unmittelbare Folgen für die Anthropologie. 4.4.

Anthropologie

Auch der Mensch ist eine Substanz, besteht somit aus Erstmaterie und substantieller Form. Diese ist im Falle des Menschen die Geistseele ( a n i m a rationalis) und folglich sie allein (S.th. I 7 6 , 3 - 4 ) : Der Mensch ist animal rationale. Damit kann Thomas nun die Konsequenz aus seiner Anschauung von der Individuation ziehen: Wenn diese Geistseele es ist, die als einzige Form der Erstmaterie individuierend das Sein mitteilt, dann ist damit das spezifisch Christliche philosophisch eingeholt: der Mensch als Einzelwesen vor Gott, als Person. Für alle untermenschliche Kreatur gilt wie bei Aristoteles: Das Einzelding ist um der Art und ihrer Erhaltung willen da, sozusagen als Durchgangsstation der Art. Der Mensch aber ist um seiner selbst willen da, sowohl der Art wie dem Einzelsein nach (propter se et in specie et in individuo: QD De ver. 5,3). Darum „ist die Person das Vollkommenste in der ganzen N a t u r " ( p e r s o n a est perfectissimum in tota natura: S.th. I 29,3). Es sind solche Aussagen, die zu dem Urteil berechtigen, daß der Weg der Entdeckung des Subjektes (nicht „subjektivistisch" mißzuverstehen!) bei T h o mas erkenntnistheoretisch seinen Anfang nimmt - nachdem schon Augustin mit der Selbstentdeckung des religiösen Subjektes in seinen Confessiones sozusagen den „ Z u bringer" gebahnt hat. Freilich gerät Thomas dabei vor ein schwieriges Problem. Die Geistbeseelung des Menschen besteht nicht in einer Anteilhabe an dem einen universalen VOÜQ: Der Christ Thomas widerspricht hier entschieden dem Averroes, dem sprichwörtlichen Commentator (der Werke des Aristoteles), und mag nicht glauben, daß jener Aristoteles korrekter interpretiert als sein christlicher Anhänger (vgl. De unitate intellectus). Jeder Mensch hat seine Geistseele (-»Seele V.VI). Da diese aber nicht aus Materie und Form zusammengesetzt ist, kann sie auch nicht auf dem Wege der Zeugung des leiblichen menschlichen Lebens weitergegeben werden: Sie wird unmittelbar von Gott geschaffen (S.th. I 118,1-2; vgl. 75,6 ad 1) und in zeitlichem Abstand von der Zeugung dem werdenden Menschen im Mutterleib „geeint" (S.th. I 76,5-8), „eingegossen" (S.th. I-II 83,1 ad 4). Was allerdings nicht heißt, daß die Geistseele erst (separat) geschaffen und dann „eingegossen" wird. Erschaffung und Einung mit dem Leib sind ein und derselbe Vorgang (vgl. QD De pot. 3,10 und schon QD De ver. 16,1 ad 13). Dennoch hat diese Lehre Folgen für die Entfaltung der Lehre von der „Erbsünde" (-»Sünde). Da die Seele reiner Geist ist, kann sie auch durch den Tod des Leibes nicht zerstört werden (S.th. I 75,5-6). Das hat Folgen für die Entfaltung der individuellen —»Eschatologie (s. u. 5.4.10.). Wir haben hier also den einzigartigen Fall, daß die Wesensform des Menschen nicht direkt eine Erstmaterie beformt, sondern erst nachträglich einen schon konstituierten Leib bestimmt, der darum bis dahin einer anderen, niederen Wesensform unterstanden haben muß und nach dem Tode wieder von einer solchen bestimmt ist. Ist die Seele auch die einzige Wesensform des Menschen, so ist sie dennoch nicht mit „dem Menschen" identisch (S.th. I 75,4). Der Leib ist nicht Gefäß oder gar Gefängnis der Seele, er ist beseelter und vergeistigter Leib und leibhaftige Geistseele. Mit diesen Thesen, die ihn in heftige Auseinandersetzungen stürzten, hat Thomas auch im Bereich der Anthropologie eine platonisierende Abwertung der menschlichen Leiblichkeit überwunden - und daraus auch, trotz zeitbedingter Einschränkungen, weitgehende ethische Konsequenzen gezogen, vor allem im Bereich -»Ehe und -»Sexualität und überhaupt der Bewertung der sinnlichen Antriebssphäre (vgl. bes. S.th. I-II 2 2 - 4 7 : die Lehre von den passiones ammae, den „Leidenschaften"; s.u. 5.4.4.). 4.5.

Freiheit

Von besonderer Bedeutung sowohl für den Fortgang der Philosophiegeschichte wie der Theologiegeschichte, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Reformation, ist im Rahmen der Anthropologie die Interpretation der menschlichen -»Freiheit.

T h o m a s von A q u i n o / T h o m i s m u s / N e u t h o m i s m u s

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Thomas muß sich hier nach mehreren Seiten absichern. Daß er als Aristoteliker das freie Entscheidungsvermögen (liberum arbitrium) des Menschen vertritt, versteht sich schon deshalb von selbst, weil es ja von der christlichen Tradition der Verantwortung vor dem Gebot Gottes vorausgesetzt scheint. Thomas kann - von Luthers Rückfragen noch gar nicht berührt - für die Existenz des freien Willens mit dem Hinweis votieren, andernfalls seien Lohn und Strafe sinnlos (QD De malo 6 in corp.). Andererseits wird er von seinen Gegnern in der Nähe zu den Thesen der Averroisten gesehen, die Gegenstand der ersten Verurteilung durch den Pariser Bischof Stephan Tempier im Jahre 1270 waren. Diesen Thesen zufolge übt die Erkenntnis des anzustrebenden Gutes einen nötigenden Einfluß auf die Entscheidung des Willens aus. Deshalb gibt Thomas denn auch die klarste, in der Sache abschließende Darstellung seiner Auffassung im zeitlichen Umfeld der Verurteilung von 1270: in Q D De malo 6 - womöglich aus diesem aktuellen Anlaß in die Disputationsreihe eingefügt. Z u Beginn des Z w e i t e n Buches der S.th. entfaltet er minutiös den Aufbau des freien Aktes von der ersten (sinnlichen) W a h r n e h m u n g des anzustrebenden Gegenstandes bis zum Akt der Wahl, der unmittelbar der H a n d l u n g vorausgeht (S.th. I-II qq. 6 - 1 7 ) . Anschließend e r ö r t e r t er das Zusammenspiel der freien Entscheidung mit den w o m ö g l i c h einschränkenden Bedingungen aufgrund der leiblich-sinnlichen Wesensseite des M e n schen in der Lehre von den „ L e i d e n s c h a f t e n " (S.th. I-II qq. 2 7 - 4 8 ) - mit entsprechenden Folgen für die Z u r e c h n u n g und Bewertung der Sünde (S.th. I-II qq. 7 4 - 7 7 ) . Soweit die Freiheit zur Ausstattung der menschlichen N a t u r gehört, wird sie, das kann „psychol o g i s c h " verdeutlicht werden, durch die Sünde w o m ö g l i c h unendlich geschwächt, doch nie völlig aufgehoben (S.th. I-II 8 5 , 1 - 2 ) . D a m i t stößt T h o m a s auf die Frage, was diese „ n a t ü r l i c h e " Freiheit gegenüber Gott leistet. Die Entscheidung darüber kann letztlich nur in der Theologie fallen. Hier hat er eine Grenze zu respektieren, die die Spätscholastik nicht zu respektieren gezwungen war: Thomas hat durch genaue Lektüre der Spätschriften Augustins und eines unter dem Namen Indiculus Coelestini (DS/ D H 2 3 8 - 2 4 9 ) zirkulierenden Dossiers anti-semipelagianischer Thesen als einziger im 13. Jh. den historischen Semipelagianismus entdecken können. Natürlich noch nicht unter diesem Namen! Aber er unterscheidet seit der CG (111,147 n. 3209; 149 n. 3224) den error bzw. die haeresis Pelagii von dem error pelagianorum - und beschreibt unter diesem Namen die Positionen, die auf der sog. Zweiten Synode von Orange (529), deren Texte (DS/DH 3 7 0 - 4 0 0 ) er als solche nicht kennt, verurteilt wurden. Damit ist klar: Eine Freiheit Gott gegenüber gibt es für den Sünder nicht - der „Anfang des Glaubens" (initium fidei) und der „Anfang des guten Werkes" (initium botti operis), also der erste Schritt auf Gott hin ist dem Sünder nur möglich, wenn Gott ihm zuvor dazu seine Gnade schenkt und seinen Willen bewegt. Die transzendentaltheologische Aussage über Gottes G n a d e als Grund der Möglichkeit des ersten und dann aller weiteren Schritte auf G o t t hin und die philosophischanthropolpgische Aussage von der freien Entscheidungsfähigkeit des Willens kann T h o m a s nur dadurch miteinander verbinden, d a ß er den Grund der Freiheit in keiner Weise subjektiv in den Befähigungen der Seele sieht, sondern objektiv in der grenzenlosen Erschlossenheit des Willens für das Gute in seiner Universalität. Weil kein begrenztes G u t - theologisch: kein geschaffenes Gut — den universalen H o r i z o n t des Guten, auf den hin der Wille passiv (!) erschlossen ist - theologisch: das „natürliche Verlangen, G o t t selbst zu s c h a u e n " (desiderium naturale videndi Deum per essentiam: S.th. I-II q q . 1 - 5 ) - , ausfüllen kann, deshalb ist der menschliche Wille frei gegenüber allem, was nicht G o t t selbst ist, wie eingeschränkt, psychologisch gesehen, seine Freiheit konkret a u c h immer sein mag. Deshalb gehört nach Thomas die Freiheit zu sündigen auch nicht etwa zum Wesen der Freiheit, sondern zu ihrem „Defekt" (QD De ver. 22,6 in corp.; QD De malo 16,5 in corp.; S.th. I 62,8 ad 3). Damit ist zugleich festgehalten, daß Gottes Freiheit und die des Menschen nicht in „Konkurrenz" zueinander treten können. Gott als das wahrhaft universale Gut begründet das freie Handeln des Menschen, indem er das Streben des Willens auf sich hin entgrenzt. Darum ist jede menschliche freie Handlung zugleich ganz von Gott und ganz vom Menschen. Und darum ist die menschliche Freiheit dann vollendet, wenn sie sich definitiv in der Hingabe an Gott verbraucht. Es mußte erst ein autonomistisches Freiheitsverständnis zur Herausforderung für die Theologie werden, ehe der Eindruck eines Konkurrenzverhältnisses entstehen und daraufbin Luther mit der These vom un-

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T h o m a s von A q u i n o / T h o m i s m u s / N e u t h o m i s m u s

freien Willen reagieren mußte, um in Sachen Freiheit die augustinische und - unerkannt - thomanische Tradition durchzuhalten. 4.6.

Erkenntnistheorie

Anders als beim Freiheitsverständnis ist T h o m a s in der -»Erkenntnistheorie nicht an biblische oder kirchlich-traditionelle, konkret: an augustinische Vorgaben gebunden. Philosophisch gesehen und mit dem ganzen intellektuellen Optimismus des antiken Erbes kann T h o m a s den Intellekt als die vornehmste aller Seelenpotenzen ansehen - so wie er auch sehr selbstverständlich erklären kann, das Sehen sei vornehmer als das H ö r e n wegen seiner größeren Geistnähe (S.th. I 7 8 , 3 in corp. und viele Parallelen). Die Distanz zu Augustin zeigt sich grundlegend darin, d a ß T h o m a s die platonische A n n a h m e angeborener Ideen ( - » I d e e ) ablehnt, in deren Licht sich die Einzeldinge zur Erkenntnis abzeichnen (S.th. I 8 4 , 1 ) . Vielmehr ist der Intellekt ursprünglich (im ontologischen Sinne) „eine leere Tafel, auf der nichts geschrieben s t e h t " (Aristoteles, de an. 111,4: 4 2 9 b 3 1 f . ; vgl. T h o m a s , Q D De spiritualibus creaturis a. 9 in corp.). Als solche ist aber die Seele durch den Intellekt „gewissermaßen alles" ( q u o d a m m o d o omnia, Q D De ver. 1,1 in c o r p . ) , das heißt: sie ist unbegrenzt fähig, auf die Weise der F o r m u n g eines Erkenntnisbildes die Wirklichkeit zu verinnerlichen. D a m i t ist zugleich der Unterschied zum geistigen Streben (des Willens) ausgesprochen, das sich nach außen dem Gegenstand des Strebens selbst zuwendet, wie er durch das innerliche Erkenntnisbild vorgestellt wird. Im Blick auf diese Vorgänge sind folgende Unterscheidungen von Bedeutung (vgl. ausführlich S.th. I qq. 79; 8 4 - 8 8 ) : a) Zwischen intellectus und ratio: Der Intellekt (Verstand) ist die Fähigkeit, das Erkenntnisbild zu haben und zu bewahren - unabhängig von dessen Zustandekommen; die Vernunft (ratio) ist die Fähigkeit, im Erkenntnisprozeß diskursiv von einem zum anderen fortzuschreiten mit dem Ziel des intellektiven Verstehens; demzufolge gibt es bei Gott selbst ebenso wie in der Anschauung Gottes kein rationales Verfahren, sondern nur noch „intuitives" reines Verstehen, b) Zwischen intellectus agens und intellectus possibilis: Der „tätige Verstand" ist die Fähigkeit, aus den sinnlichen Wahrnehmungen (die bereits durch den „Gemeinsinn" zum sinnlichen Bild zusammengefaßt sind) den geistig einsehbaren Gehalt herauszuheben, zu „abstrahieren"; der „aufnehmende Verstand" ist die Fähigkeit, die aus den Sinneswahrnehmungen abstrahierten Gehalte zu erfassen, als allgemeine Begriffe festzuhalten und in ihrem Lichte durch Rückwendung zu den Sinneswahrnehmungen (conversio ad pbantasmata) die Einzeldinge geistig zu erkennen, c) Zwischen intellectus speculativus und intellectus practicus: Der erste erfaßt die rein theoretischen Sachverhalte, der zweite richtet sich auf das konkret hier und jetzt zu Tuende, sei es im technischen, sei es im ethischen Bereich, d) Zwischen ratio superior und ratio inferior: Die erste urteilt nach den höchsten Maßstäben, die zweite nach untergeordneten Maßstäben, die selbst wieder den höchsten unterliegen. Der Erkenntnisprozeß ist noch nicht mit der Gewinnung eines Allgemeinbegriffs abgeschlossen, sondern erst wenn der Intellekt componendo et dividendo urteilt, also einem erkannten Subjekt/Objekt ein Prädikat bejahend „hinzufügt" oder verneinend von ihm „abtrennt". Alle diese Unterscheidungen sind solche zwischen Funktionen des einen geistigen Erkenntnisvermögens, nicht zwischen real verschiedenen Vermögen. Sie haben ihren Sinn darin, das In-derWelt-Sein des Menschen durch Erkenntnis durchsichtig zu machen und dadurch den Zusammenhang zwischen Erkennen und Handeln zu klären. Bei all dem geht Thomas - wie in der Naturphilosophie auch - von der Voraussetzung einer ursprünglichen Fähigkeit des Intellektes aus, extramentale Wirklichkeit zu erfassen. Er hat dabei aber die transzendentalen Bedingungen menschlicher Erkenntnis in einer Weise ausgearbeitet, die der Neuzeit nur die Grundfrage übrigließ, ob diese Bedingungen Denkgesetze begründen, die die Gegenstände des Erkennens als solche konstituieren, aber über ihre Wirklichkeit außerhalb des Erkennenden nichts gewährleisten können, oder ob ihnen nach wie vor zugetraut werden darf, extramentale Wirklichkeit zu erkennen zu geben. F ü r T h o m a s allerdings stellt sich die F r a g e des Wirklichkeitsbezugs der Erkenntnisgesetze bei der F r a g e nach möglicher Gotteserkenntnis. Denn hier ist nicht nur zu fragen, ob die formal-logische Fortsetzung des transzendentalen Rückfragens Wirklichkeit a u c h jenseits des Bereichs empirischer Erfahrungswirklichkeit erfaßt. Vielmehr ist im Erfolgsfalle mit einer reduplizierten Bildhaftigkeit zu rechnen: Die un-weltliche, immaterielle Wirklichkeit Gottes ist dem M e n s c h e n einerseits nur erkennbar in derjenigen Bildhaftigkeit, die jeder sinnengebundenen Erkenntnis z u k o m m t , und darüber hinaus in jener,

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die einer weltgebundenen Erkenntnis unweltlicher Wirklichkeit eignet. Unsere Gotteserkenntnis kann, wenn überhaupt, immer nur analog (-»Analogie) sein, das heißt, unsere Begriffe können Gott in einem Bild materieller Wirklichkeit immer nur „repräsentieren" (S.th. I 13,2). Unter diesen Voraussetzungen und in diesen Grenzen allein kann Thomas sich einen „-*Gottesbeweis" zutrauen und abverlangen. 4.7. Der

Gottesbeweis

Das für sich selbst nicht existierende Sein ist in den wirklich begrenzten Seienden gleichwohl nicht nur leeres Dasein oder neutrale Vorhandenheit. Es ist die „Vollkommenheit aller Vollkommenheiten" (QD De pot. 7,2 ad 9). Das kann T h o m a s freilich nur sagen, weil er weiß, daß alles Seiende sein Sein von einer „äußeren" Quelle hat, die in sich die Fülle des Seins umfaßt, ohne mit dem allgemeinen Sein des Seienden identisch zu sein. Damit erreicht T h o m a s nicht nur die Grenze der Metaphysik über Aristoteles hinaus, sondern auch die Grenze zur Theologie. Er unternimmt den „Gottesbeweis" (S.th. I 2,3) auf „fünf Wegen" (aus der Bewegung der Dinge, aus ihrem Verursachtsein, aus ihrer Nicht-Notwendigkeit, aus ihrer relativen Gutheit, aus ihrer Zielausrichtung), bringt damit die Ansätze bei Aristoteles auf den Punkt und kann auch Motive der neuplatonischaugustinischen Tradition integrieren. Wie weit führen die „fünf Wege" philosophisch?

Thomas ist überzeugt, daß sich Gott als principium, als Ursprung der Welt beweisen lasse, und spricht in diesem Zusammenhang von einer theologia secundum philosophicas disciplinas (S.th. I 1,1 in corp.; in obi. 2 Hinweis auf Aristoteles, metaph. VI,l,1026al8). Dennoch hält er das Entscheidende christlicher Gotteserkenntnis für philosophisch nicht beweisbar: daß Gott für die Menschen ewiges Heil in der Gemeinschaft mit ihm sein will und ist (ebd.). Die bewunderten alten Philosophen sieht er daher in ständiger Angst (CG 111,48 n. 2261). Die Schlußformel aller „fünf Wege": „Und das nennen alle Gott" (Et hoc omnes dicunt Deum), ist daher nicht eine religionsgeschichtliche Feststellung, sondern der „Sprung in die Sprache des Glaubens" (G. Ebeling). Darum kann Thomas die Quästion mit dem Gottesbeweis in einer Argumentation aufbauen, die rein philosophisch nicht erreichbar ist: Woher hat er zu allem Anfang einen Begriff von Gott, der - insoweit noch im Einklang mit dem sog. ontologischen Gottesbeweis des -»Anselm von Canterbury - einschließt, daß Sein und Wesen in Gott zusammenfallen, das Prädikat „ist" also im Subjekt „Gott" enthalten und also Gottes Sein begrifflich „durch sich selbst bekannt" (per se notum) ist? Denn - im Unterschied zu Anselm - „für uns" (quoad nos) bedarf dieser Gott ja erst des aposteriorischen Nachweises (S.th. I 2,1; in obi. 3 Anspielung auf Anselm). Was haben in einem philosophischen Gottesbeweis Bibelzitate zu suchen, nämlich Rom 1,20 (S.th. I 2,2 sed contra) und Ex 3,14 (ebd. 3 sed contra)? Der Gottesbeweis wird also sozusagen im Auftrag der Schrift durchgeführt. Er ist nicht zu verstehen als rationaler Aufstieg zu einem vorher unbekannten Gott, sondern als weitestmögliche, sich keine Anstrengung des Begriffs schenkende rationale Annäherung an den schon bekannten Gott. Die „fünf Wege" sind ebenso wie der nachfolgende Traktat über Wesen, Eigenschaften und Handeln Gottes (S.th. I qq. 3 - 2 6 ) metaphysische Entfaltung und Kommentierung der Aussagen des christlichen Gottesglaubens. Herausgelöst aus dem christlichen Kontext, sind sie nur die philosophische Explikation der Gottes frage, insofern diese ja gerade nach Thomas die Heilsfrage einschließt (Pannenberg). Die Trinitätslehre (S.th. I 27-43) ist daher nicht der Überschritt von der Philosophie in die Theologie, sondern die noch einmal bis an die letzten Grenzen durchgeführte rationale Durchdringung der für die Vernunft nicht erreichbaren Aussagen über den Gott des christlichen Glaubens, der auch vorher schon Thema war (W. Metz). 4.8. Philosophische

Ethik

Wie die Gottes- und Schöpfungslehre, so ist auch und gerade die theologische Ethik in der Secunda Pars der S.th. - obwohl man sie nur unter Vorbehalt so bezeichnen kann (s.u. 5.1.3.) - geprägt durch umfangreiche philosophische Erörterungen. Sie er-

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weisen T h o m a s , was das Interesse an ethischen Fragen und die Gründlichkeit der Argumentation angeht, als den größten Ethiker des 13. Jh. Unter Thomasforschern ist ein exemplarischer Vergleich geläufig: Im III. Buch der Sentenzen, dist. 33, handelt Petrus Lombardus von den vier seit Ambrosius so genannten „Kardinaltugenden" Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhaltung: für die Kommentatoren des 13. Jh. der klassische Ort, ethische Fragen anzuschneiden. Der Text des Lombarden umfaßt nicht mehr als eine Spalte in einem Folio-Band. Odo Rigaldi (gest. 1275), dem älteren Zeitgenossen des Thomas aus dem Franziskanerorden, fallen dazu 5 Quästionen ein, Albert dem Großen 4, Bonaventura 6. Thomas bringt und löst 41 Quästionen. Es ist der erste durchkonstruierte Traktat zur (Grundlegung der) theologischen Ethik. Nimmt man noch die vorausgehenden distinctiones über Glaube, Hoffnung und Liebe hinzu, so haben wir einen Vorentwurf zur Secunda Pars der S.th. Was für die Philosophie überhaupt gilt (s.o. 4.1.), gilt auch für die Ethik: Man kann mit der nötigen methodischen Vorsicht den Grundriß einer philosophischen Ethik aus den theologischen Zusammenhängen herauspräparieren. Dieser hat zwei Brennpunkte. Der erste ist der Tugend-Begriff und weist auch hier Thomas als Aristoteliker aus. Es ist sehr bezeichnend und für die theologische Ethik sehr fruchtbar, daß Thomas diese nicht als Lehre von Normen und -»Pflichten, sondern als Lehre von -»Tugenden konzipiert - also nicht nur, wie viele vor ihm, von Tugenden handelt, sondern die Begründung der Gutheit ethischen Handelns in der Tugend sieht und mithin die Ethik als Tugendethik anlegt. Dazu bewegt ihn ein wissenschaftstheoretischer und ein anthropologischer Impuls. Ethik ist wissenschaftliche Lehre vom guten Handeln. Dieses aber zielt immer auf ein Einzelhaftes (actiones sunt in particularibus). Wissenschaft als Erkenntnisbemühung aber zielt auf Allgemeingültiges (s.o. 4.6.). Wie kann Wissenschaft also an das Handeln herankommen, das sich wegen seiner Einzelhaftigkeit der Erfassung in allgemeingültigen Regeln per definitionem entzieht? Das ist das wissenschaftstheoretische Problem aller Ethik. Die Reflexion auf die Normen und Maßstäbe, auch die von der Vernunft erkannten und nicht nur aus einem Gesetz entnommenen, bleiben bei dem, was dem Handeln äußerlich ist. Die Betrachtung der bloßen Fähigkeiten und Seelenvermögen aber bleibt dort stehen, wo über die ethische Qualität des Handelns noch gar nicht entschieden ist. Ethik muß also da ansetzen, wo eben darüber entschieden wird, aber in einer allgemeingültigen, „naturartigen" und darum sozusagen Vorhersagen erlaubenden Weise, nicht in der immer kontingenten Einzelhaftigkeit des Handelns selber. Kurzum: Thema der Ethik ist die Instanz im Menschen, die zwischen dem bloßen Handlungsvermögen und dem einzelnen sittlichen Akt steht. Eben diese Bedingung erfüllt die Tugend als bleibende, bestimmte, aber das einzelne noch offen lassende Tätigkeitsvorprägung - so kann man den formalen Begriff habitus wiedergeben - zum guten Handeln. An dieser Stelle springt der anthropologische Impuls ein. Die Tugend - also der habitus im ethischen Bereich im Unterschied zur „Kunst" (ars) als dem habitus im technischen Bereich - ist, wie Thomas immer wieder ausspricht, die „Vollendung" (perfectio) des Tätigkeitsvermögens, indem sie dieses mit einer bleibenden Neigung ausstattet, in einer bestimmten, hier: ethisch guten Richtung zu handeln: ««reiner Neigung, der auch entgegenzuhandeln möglich bleibt, aber einer festen Neigung, die nach Art einer „zweiten Natur" wirksam ist, also ein im Bereich der Ethik erreichbares Höchstmaß an Allgemeingültigkeit und damit Wissenschaftsfähigkeit besitzt. Der andere Schwerpunkt, auch für das ökumenische Gespräch von Bedeutung, liegt auf der Seite der äußeren Maßstäbe des Handelns, nämlich der Gedanke des „ N a t u r gesetzes", bzw., wie T h o m a s meist sagt, des „natürlichen Gesetzes" (lex naturalis) und, damit verbunden, aber nicht identisch, des „ —»Naturrechtes" (ius naturale). Der Gedanke hat bekanntlich seine Wurzeln in der -»-Stoa (Cicero) und im Neuplatonismus und ist auf dem Weg über Augustin für das Mittelalter vorgegeben. Dies freilich in der seit Menschengedenken selbstverständlichen ( R o m 2,14f.!) Identifikation mit den Geboten des -»Dekalogs und daher mit dem von Gott dem Menschen „ins H e r z geschriebenen" -»Gesetz. Die in der Thomasforschung und Thomasrezeption bis heute umstrittene — weil politisch und kirchenamtlich bedeutsame - Frage ist, welcher Art die „ N a t u r " ist, die hier ihr „Gesetz" gibt und „ R e c h t " setzt, und ob sich daraus konkrete ethische Weisungen ableiten lassen, die zu ihrer Begründung nicht auf den Glauben noch auf bestimmte Bildungsvoraussetzungen angewiesen, sondern allen ohne langes Nachdenken einsichtig sind. Diese Weisungen entsprechen daher den Erstprinzipien auf dem Feld der spekulativen Vernunft. Das Ersterfaßte in der praktischen Vernunft ist das Gute als Ziel des Strebens gemäß dem Satz „Das Gute ist, wonach alle streben" (Aristoteles). Durch Umformung in einen präskriptiven Satz wird daraus das oberste

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Geoot des natürlichen Gesetzes: „Das Gute ist zu tun - und das Böse ist zu meiden" (S.th. I-II 94,2). Die Ableitbarkeit konkreter Normen entscheidet sich an der Bestimmung des „Guten". Die Antwort bietet das bekannte Axiom „Alles Seiende ist, sofern es ist, gut" (S.th. I 5,3 in corp.) oder: „Das Seiende und das Gute fallen zusammen (convertuntur)" (S.th. I 5 , 1 - 4 ; 6 , 1 - 3 ; 48,5.6; 73,1). Das Naturgesetz gebietet, wirklichkeitsgerecht zu handeln, die Ethik gründet in der Metaphysik. Das sachliche Problem und zugleich die reformatorische Kritik an diesem Gedanken besteht darin, daß hier eine ähnliche Struktur zu entstehen scheint wie bei der sog. „natürlichen Theologie": hier das selbstmächtige Erdenken Gottes, dort das selbstmächtige Erdenken (und Beurteilen!) von Gottes Gebot. Doch stellt Thomas hier zwischen spekulativer und praktischer Vernunft gerade kein Grund-Folge-Verhältnis her, sondern (nur) eine Parallelität. Philosophisch ist das Ethische unableitbar, der Mensch findet sich „von Natur aus" nur mit dem Streben nach dem Guten (nach der „Glückseligkeit") vor (S.th. I-II qq. 1 - 5 ) , ausgelegt in den Grundstrebungen der Selbsterhaltung, der Arterhaltung und der Gotteserkenntnis (wie Thomas optimistisch meint). Ansonsten ist der Mensch das nicht-festgestellte Wesen, offen in den Dimensionen seines Weltverhältnisses. Das „Gute", das Grundlage des Naturgesetzes ist, ist gewiß auch das vorgegebene Gute einer außermenschlichen Wirklichkeit, aber ebensosehr der noch offene, allererst zu suchende Seinsund Vollendungszuwachs des handelnden Menschen. Alle Konkretion begründet sich erst durch Schlußfolgerung und freie Festlegung auf der Grundlage von Situation, Erfahrung, Gewohnheit, als (buchstäblich) „Erfindung" von Normen (S.th. I-II 91,3 in corp.). Ergebnis: Philosophisch gesehen gibt es kein Naturgesetz im Sinne einer Liste materialer ethischer Weisungen. Das natürliche Gesetz ist nur ein allgemeiner Handlungsumriß, der den Menschen freigibt in das vernünftige und situations- wie geschichtsbezogene Erwägen. Wenn unter dem Namen „Naturgesetz" von Thomas dennoch inhaltliche ethische Weisungen aufgestellt werden, sind es solche, die er aus dem geoffenbarten Gesetz kennt, vor allem dem Dekalog. Es handelt sich dann um jene „Kontinuität spekulativen und praktischen Denkens, dessen nur die Theologie fähig ist" (Kluxen, Ethik 236). Die von T h o m a s nicht eigens gestellte Doppelfrage, ob die konkreten G e b o t e des Naturgesetzes ohne Glauben erkennbar seien, und: ob der Glaube selbst eine Forderung des Naturgesetzes sei, führt denn auch bei T h o m a s in verwirrende und nicht völlig miteinander ausgeglichene Textzusammenhänge (vgl. D a s Gesetz, k o m m . v. O . H . Pesch, 1977 [ D T h A 13] 6 1 9 - 6 2 9 ) . Dies zeigt, wie wenig T h o m a s hier die Integration von philosophischer und theologischer Ethik auflösen wollte. Der reformatorische Verdacht, hier - gerade hier - werde das biblische Zeugnis an eine vorchristliche philosophische Vorgabe ausgeliefert, kann sich höchstens auf eine mißverstehende Thomasinterpretation beziehen, die als gesetzgebende „ N a t u r " hicht das offene Wesen des Menschen ansieht, das allerdings weiterer ethischer Orientierung bedarf, sondern eine dem Menschen äußerlich normierende Instanz, deren Weisung zudem mit der natürlichen Vernunft erkennbar und begründbar ist.

5. Grundriß

der Theologie

5.1. „Scholastische"

des

Thomas

Theologie

T h o m a s ist „scholastischer" T h e o l o g e im 13. J h . ( - » S c h o l a s t i k ) . Sein gesamtes Wirken und dessen literarischer Niederschlag vollziehen sich demnach in einem geistigen Viereck, dessen Winkel die von der Forschung sog. „evangelische Bewegung", das weithin erschlossene Erbe der (Philosophie und) T h e o l o g i e der Kirchenväter, die weit gediehene Entwicklung der Formen und Techniken des universitären Lehr- und Forschungsbetriebes sowie die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen von Seiten des immer reichhaltiger bekannt werdenden Erbes der antiken (griechischen, römischen, jüdischen, arabischen) Philosophie sind. Die „evangelische Bewegung" ist eine Hinwendung zur Heiligen -»Schrift, zur biblischen Geschichte und zum Ideal der Urkirche, die seit dem 12. J h . weit über Klerus und Theologen hinaus mit kirchenreformerischem Impuls geistlich aufgeschlossene Kreise der Kirche erfaßt, in der T h e o logie in Gestalt heilsgeschichtlicher Entwürfe deutliche Spuren hinterläßt, in der Gründung von Orden neuen Typs sich institutionalisiert, auch neue Tendenzen in der christlichen Kunst begünstigt (der arme und leidende statt des triumphierenden Christus!) - freilich auch in Wechselwirkung

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T h o m a s von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

mit Programm und Erfahrung der Kreuzzüge steht. Der „Predigerbruder" Thomas ist Mitglied eines dieser neuen, der Seelsorge und „evangelischen" Unterweisung verpflichteten Orden. An der Universität wirkt sich die evangelische Bewegung in den beiden Eckpunkten der theologischen Ausbildung aus: dem cursus biblicus durch den baccalaureus biblicus am Anfang und der biblischen Vorlesung als Vorrecht und Hauptaufgabe des Magister. Das verpflichtende Erbe der Kirchenväter - der Sancti im Unterschied zu den Magistri (Vorgänger im 12. Jh.) und zu den quidam ([ältere] Zeitgenossen und Kollegen) - steht durch die rege Abschreibetätigkeit in den Klöstern reichhaltig zur Verfügung, inzwischen weit über die primitive Form bloßer Sentenzensammlungen hinaus. Vorwiegend natürlich die lateinischen Kirchenväter (wie Ambrosius; -»Hieronymus; Augustin; -»Hilarius von Poitiers; -»Leo I. der Große; -»Gregor I. der Große, -»Beda Venerabiiis), aber auch, teilweise seit langem übersetzt, griechische Kirchenväter (wie -»Athanasius von Alexandrien; [Pseudo-] -»Dionysius Areopagita; -»Maximus Confessor, -»Johannes von Damaskus). In der -*Glossa ordinaria des -»Anselm von Laon, einem Kommentar zur gesamten Heiligen Schrift durch Väterzitate zu jedem Vers, verschwisterte sich das patristische Erbe mit der evangelischen Bewegung: Die Glossa, für die Psalmen und die Paulusbriefe durch Petrus Lombardus zur Magna Glossatura erweitert, wird zum exegetischen Handbuch des mittelalterlichen Magisters; Hieronymus wird zur Autorität für die Exegese, Gregor für die Moraltheologie, Augustin für die Dogmatik - und für schlechthin alles. Offener Widerspruch ist kaum möglich, wohl aber die sog. expositio reverentialis: respektvoll-vorsichtige Relativierung im Licht neuer Fragestellungen, meist durch Distinktion der Aspekte der Begriffe und des Sprachgebrauchs der Worte. Die Techniken universitären Lehrens und Forschens sind seit dem Streit zwischen Dialektikern und Antidialektikern im 12. Jh. inzwischen stark standardisiert. Innerhalb der lectio der Heiligen Schrift hat sich die quaestio entwickelt, z. B. aus Anlaß widersprüchlicher Bibeltexte, aus der quaestio die verselbständigte Form der -»Disputatio mit These, Argumenten und Gegenargumenten, der determinatio (solutio, responsio) des Magisters und seiner Antwort auf die Gegenargumente. Deren redigierte Form liegt vor in der Literatur der Quaestiones disputatae - nicht nur bei Thomas. Wiederum deren stilisierte Kurzform wird zur literarischen Gestalt der Summa - nicht nur bei Thomas - , aber auch der obligatorischen Sentenzenkommentare. Die alte lectio lebt fort im redigierten (expositio) oder von Studenten mitgeschriebenen (reportatio) Schriftkommentar und nach derselben Technik in den Kommentaren zu den antiken oder patristischen Autoren (Aristoteles, Pseudo-Dionysius, Boethius). Freiere Formen zeigen die in Bücher und Kapitel eingeteilten Werke, u.a. die CG und die Streitschriften. Innerhalb aller Werke begegnen wir Analysen, Deduktionen aus Axiomen oder Glaubensvorgaben, Syllogismen, Distinktionen, Ausschlußverfahren, Analogien, Veranschaulichungen, metaphorischen Argumenten, Plausibilitätserwägungen („Konvenienzbeweise") usw. (zu den Herausforderungen seitens der antiken Philosophie s.o. 4.1.). In diesem Kontext weitet sich das Viereck zuweilen zum Fünfeck. Der fünfte Winkel ist eine betonte Wahrnehmung der missionarischen Dimension von Glaube und Theologie. Sie zeigt sich nicht nur in dem durchgängigen Bemühen, die Glaubensvorgabe so weit wie möglich rational nachzuvollziehen, sondern auch in dem großangelegten Versuch einer Art „Dogmatik in fundamentaltheologischer Perspektive" in Gestalt der CG und deren Auswirkungen in kleineren Schriften wie dem Compendium Theologiae und De rationibus fidei. Denn wie man auch immer über Inhalt und Methode der CG urteilen mag, das ist es zumindest auch: die intellektuelle Verantwortung des Glaubens vor dem Forum des Unglaubens, den die Christenheit im islamischen Südspanien vor der Haustür und durch die Präsenz der außerchristlichen Philosophie im Haus hatte, durch den Versuch, den Weg der fragenden Vernunft auf den Glauben hin so weit wie irgend möglich zu gehen, bevor von dem geredet wird, was die Vernunft sich nicht selber sagen kann, was also dem Gläubigen nur durch Plausibilitäten („Wahrscheinlichkeiten", rationes verisimiles) verständlich gemacht, dem Ungläubigen aber nur durch Widerlegung seiner Einwände verdeutlicht werden kann. Seine Grundsätze solcher Verantwortung des Glaubens zeigt Thomas durch den Hinweis, mit dem Ungläubigen müsse man auf der gemeinsamen Basis diskutieren: mit dem Häretiker auf der Basis des Neuen Testamentes, mit dem Juden auf der Basis des Alten Testamentes, mit dem Heiden auf der Basis der Vernunft (S.th. I 1,8; Q IV 18 q. 9 art. 3). 5.2. Heilsgeschichte

und theologische

Wissenschaft

Im Zuge der Aristotelesrezeption wird auch das aristotelische Wissenschaftsideal selbstverständlich, weil hilfreich. Demnach ist Wissen, Wissenschaft (scientia), Erkenntnis aus den notwendigen und notwendig wirkenden Gründen eines Sachverhaltes. An der zwingenden Notwendigkeit hängt die Allgemeingültigkeit der Erkenntni s, dargestellt in der zwingenden Ableitbarkeit der Schlußfolgerungen aus den Prämissen. Geschichte

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ist demnach nicht wissenschaftsfähig, weil per definitionem kontingent, nicht notwendig ableitbar. Diesem Wissenschaftsideal ist in bezug auf die Theologie auch Thomas verpflichtet (S.th. 1 1 , 2 - 4 ) . In den 30er Jahren des 20. Jh. aber entdeckt (auch) die katholische Theologie die Geschichte als theologische Grundkategorie. Weil jedoch bis dahin durch Neuscholastik und Neuthomismus (s.u. 6.2.) die Vorstellung von der Glaubenslehre als einem System überzeitlich formulierbarer, von Geschichte nicht betroffener wahrer Sätze (theologia perennis) selbstverständlich war, steht mit der Entdeckung der Geschichte einerseits die normative Autorität des Thomismus und im Hintergrund die des Thomas auf dem Spiel, der dem Neuthomismus als der geschichtsferne Metaphysiker schlechthin galt, und andererseits die Kontinuität der gegenwärtigen katholischen Theologie mit ihrer klassischen Tradition. So setzt seit Ende der 30er Jahre eine lebhafte internationale Debatte über die Frage ein, ob Thomas geschichtlich denke oder ob sein „System" zumindest offen sei für geschichtliches Denken. „Geschichtlich" bedeutet hier (noch) nicht geschichtlichen Wandel in Theologie und Glaubenssprache (worüber Thomas sich auch Gedanken macht; vgl. S.th. II-II 1,7; 2,7), sondern „heilsgeschichtlich". Das scheint quer zu stehen zu seinem Verständnis von Offenbarung als Belehrung (s.u. 5.4.1.). Die Forschung macht das Problem fest an der Frage nach dem theologischen Sinn des Planes der S.th., die nach einem (wie immer benannten) Schema vom Ausgang aller Dinge von Gott und deren wesensgemäßer Heimkehr zu ihm aufgebaut ist (exitus - reditus, egressus - regressus, principium/processio - firtis). Was liegt näher, als beim exitus an die I" Pars (Gott, Schöpfung) zu denken, beim reditus an die II" Pars (Handeln des Menschen nach Gesetz und aus Gnade)? Was bedeutet dann aber die Nachstellung der Christologie, der Sakramentenlehre und der Eschatologie in der III" Pars, also der Daten der tatsächlichen Heilsgeschichte? Die Debatte, die mit einem inspirierenden Aufsatz von Marie-Dominique Chenu, Der Plan der „Summe" (1939), beginnt, führt, grob pauschaliert, zu zwei kontroversen Grundtypen der Deutung. 1) 1" und II" Pars beschreiben die allgemeinen (abstrakten, notwendigen) Grundlagen des Verhältnisses zwischen Gott und Schöpfung, die III" Pars die kontingente (konkrete, heilsgeschichtliche) Verwirklichung. 2) Auch I" und II" Pars deuten die Heilsgeschichte, aber in ihren allgemeinen, schöpfungsursprünglichen Grundlinien, die III" Pars deutet ihren kontingenten christologischen Weg. Eine mittlere Position beobachtet die Durchmischung von strukturellen und heilsgeschichtlichen Argumenten und Deutemustern über die ganze S.th. hin, ohne die Sonderstellung der III" Pars mit der Kulmination im Kreuzestod und der Auferstehung Christi zu verkennen. Die Debatte hat ihren Höhepunkt überschritten, die möglichen Positionen scheinen ausgereizt. Dennoch erbringt das Problem in Einspruch oder Präzisierung immer noch neue Beiträge zu dieser „Fingerübung der Thomasforschung" (Uberblicke und Forschungsberichte in den Beiträgen von U. Horst: Thomas von Aquin I [s. Lit. zu 2.] 3 7 3 - 3 9 5 ; O . H . Pesch: ebd. 4 1 1 - 4 3 7 ; ferner bei Seckler, Heil 3 3 - 4 7 ; Pesch, Art. Thomas 129f.; ders., Thomas v. Aquin [1988] 3 8 7 - 4 0 0 ; Torrell, Magister [s. Lit. zu 1.] 1 6 8 - 1 7 4 ) . Im Extremfall geht ein Beitrag bis zur Kritik an der ganzen Debatte, die der „Architektonik" der S.th. bisher nicht gerecht geworden sei, nämlich der von Thomas in Stoffdisposition und Detail vorangetriebenen rationalen Durchdringung der Offenbarungswahrheit, soweit deren gestufte Offenbarungsqualität das zuläßt. Bei dieser Vollendung der Philosophie in der Theologie kommen dann die kontingenten, nur dem Glauben erkennbaren geschichtlichen Heilsereignisse ausdrücklich nur „als Peripherie und Ausschmückung der Hauptlehre" zu stehen (W. Metz 15).

Unabhängig von der eigenen (fortbildend an Seckler [ebd.] anschließenden) Stellungnahme läßt sich von daher der Grundansatz der Theologie des Thomas wie folgt umschreiben: Die Ordnung der Sachverhalte (ordo rerum) bestimmt den Erkenntniszusammenhang (ordo disciplinae) - und nicht ist dieser an jene äußerlich herangetragen (SK I prol.; dist. 2 divisio textus; S.th. I prol.). Dieser ordo rerum aber ist eine Geschichte, die einst und immer neu mit dem Hervorgang der Geschöpfe aus dem Schöpfungsakt Gottes beginnt und mit der Heimkehr aller Dinge in wesensgemäßer Abbildung seiner Gutheit in Gottes Ewigkeit sich vollendet. Bei den Menschen geschieht dies in verste-

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hender Erkenntnis und Liebe zum dreieinigen Gott (S.th. I 47; 93,5-9). Der „Weg" dahin ist immer schon Christus, auch vor seinem geschichtlichen Erscheinen (S.th. 12 prooem.; III 1,5-6), er ist das „Instrument" der Heilsliebe Gottes (S.th. III 48,6). Dieser Christus immer schon einbeziehende schöpfungstheologische Ansatz erlaubt sachlichsystematische, „strukturelle" rationale Durchdringung in jeder möglichen Intensität. Zugleich ist er nicht nur „offen" für geschichtliches Denken, sondern ist selbst von Geschichte bestimmt: von der Schöpfung als Geschichte. Eben dadurch aber ist Thomas entlastet von der Nötigung, über die von der Bibel vorgegebenen kargen Periodisierungen hinaus („vor dem Gesetz — unter dem Gesetz - unter der Gnade") sich in stets problematischen Konstruktionen einer Geschichtsi/er/aw/stheologie zu versuchen, denen gegenüber er eine „befeuerte Zurückhaltung" (Seckler, Heil 207) an den Tag legt. Dieser zugleich schöpfungstheologische und geschichtstheologische Ansatz bestimmt alle drei Teile der S.th. Der Übergang zur III" Pars markiert jene Konkretisierung der Heilsgeschichte, die auf die Sünde des Menschen bezogen (S.th. III 1,3!) und „strukturell" nicht deduzierbar ist. Kennzeichen dieses Übergangs ist die nun verstärkt ins Spiel gebrachte Methode des (je nach Sachverhalt differenzierten) „Angemessenheitsargumentes" („Konvenienzargument"). Es ermöglicht, das aristotelische Wissenschaftsideal auf kontingente Geschichte anzuwenden: Diese hat in Gottes Freiheit keinen notwendigen Grund, aber einen Grund, den der Theologe meditativ zu verstehen versuchen kann. 5.3. Die Integration

der theologischen

Ethik in die

Dogmatik

Dieser Ansatz erhellt auch eine der bedeutsamsten Eigenarten der Theologie des Thomas und wird zugleich dadurch kommentiert: den, modern gesprochen, Einbezug der theologischen Ethik in die Dogmatik. Ausweislich S.th. I-II prol. handelt die II" Pars vom Menschen als dem Ebenbild Gottes (—»-Bild Gottes) auf dem Weg zu Gott durch sein Handeln. Sie ist also theologische Anthropologie im Medium der Erörterung seines sittlichen Handelns, also im Medium des Stoffes einer theologischen Ethik. Sie ist also nicht nur „Tugendethik" aus wissenschaftstheoretischen Gründen (s.o. 4.8.), sondern aus Gründen des geschichtstheologischen Ansatzes: Geführt durch Gottes Gesetz, befähigt allein durch seine Gnade, die allererst den Willen in Bewegung bringt und als „eingegossene Tugend" zur Grundneigung des Menschen auf Gott hin wird, gehen die Menschen ihren Heimweg zu Gott. Durch Christus ist sein „Neues Gesetz" mit der „Gnade des Heiligen Geistes" identisch geworden - was Thomas, über Augustin hinaus, als einziger Theologe des Mittelalters vertritt, und auch das erst in der S.th. (I-II 106,1; vgl. Kühn, Via caritatis 191-197). Es ist darum keine verhängnisvollere Verkennung des theologischen Ansatzes des Thomas denkbar als die bald einsetzenden „Zusammenfassungen" der II" Pars zu Handreichungen für die Beichtväter (s.o. 2.2.) und die Entstehung thomistischer Handbücher der Moraltheologie, die sich im Zuge der Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen in der Neuzeit aus dem Kontext der Gnaden- und Tugendlehre lösen und wieder zur Gesetzes- und Gebotsmoral werden. 5.4. Grundthemen

und Grundaussagen

— in

Auswahl

5.4.1. Theologie (sacra doctrina) ist nicht zuerst menschliche Reflexion über die geoffenbarte Glaubensvorlage, sondern Belehrung über Gott durch Gott selbst, daher mit revelatio und Sacra scriptura gleichgesetzt und gegen theologia secundum philosophicas disciplinas abgegrenzt (S.th. I 1,1.3.8—10; Zahlenangaben im folgenden beziehen sich auf die S.th.), „gleichsam eine Einprägung des göttlichen Wissens" (I 1,3 ad 2). Ihr Gegenstand ist nicht der Mensch vor Gott bzw. Gott vor dem Menschen, sondern Gott in sich selbst (11,7), als begründende Erstwahrheit aller Dinge (II-II 1,1), uns zugänglich in seinem Wort (ebd. und I 1,1.8-10). Dies erklärt u.a. das Fehlen der Erfahrungsdimension im Theologiebegriff (nicht: bei den Einzelinhalten!) und das Fehlen der Anfechtung im Glaubensbegriff. Theologie ist reines Verstehen der Herrlichkeit Gottes (I 1,4), deren größtes Werk die Rechtfertigung des Sünders ist (I-II 113,9) - und darum

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-•Weisheit als Verstehen aus den höchsten Gründen (I 1,6). Als Wissenschaft ist sie scientia subalternata (I 1,2), d.h. sie entnimmt ihre Basissätze („Prinzipien") einer höheren Erkenntnis (wie die M u s i k der Mathematik). Diese höhere Erkenntnis ist aber konsequent nicht die mit der sacra doctrina ja identische Bibel oder die Lehrverkündigung der Kirche, sondern die in der Bibel sich aussprechende „Erkenntnis Gottes und der Seligen" (ebd.). Aus ihr zieht die menschliche Reflexion aber nicht nur weitere Schlußfolgerungen im Sinne einer „Konklusionstheologie", sondern sucht durch Anwendung der Verfahrensweisen einer nach dem aristotelischen Ideal verstandenen Wissenschaft die inneren Zusammenhänge der geoffenbarten Gotteserkenntnis darzustellen - angefangen von der Zusammenfassung der biblischen Botschaft in den Artikeln des Glaubensbekenntnisses als principia der theologischen Wissenschaft (I 1,8; II-II 1,6) über die Palette der wissenschaftlichen Techniken (s.o. 5.1.) bis zum Ende in der Unsagbarkeit Gottes, den wir in analogen „ N a m e n " nur „repräsentieren", nie begreifen können (I 13,2: Erbe der „apophatischen Theologie" des Pseudo-Dionysius). Denn aller intellektuelle Optimismus hat bei Thomas stets sein Widerlager in dem feierlichen Satz: „Das ist das Letzte (ultimum) in der menschlichen Erkenntnis von Gott, daß sie weiß, von Gott nichts zu wissen" (QD De pot. 7,5 ad 14; vgl. S.th. I 1,9 ad 3). 5.4.2. Gotteslehre. Auf der Grundlage des theologisch orientierten „Gottesbeweises" (s.o. 4.7.) entfaltet T h o m a s zunächst in I qq. 3 - 2 6 die Lehre v o n Gott unter d e m Aspekt seiner Einheit (De Deo uno), die demnach nicht im modernen Sinne eine „natürliche T h e o l o g i e " ist, s o viele Bausteine einer solchen in Gestalt philosophischer Analysen sie auch enthalten mag. Themen sind: Einfachheit, vollkommene Gutheit, Unendlichkeit Gottes als „Eigenschaften" des Ipsum esse subsistens, schöpferische Immanenz in den Kreaturen, Einheit (I 3 - 1 1 ) ; die Möglichkeit geschöpflich vermittelter und unvermittelter Gotteserkenntnis und menschlicher Rede von Gott im Ineinander von Erkenntnisoptimismus und Agnostizismus (I 12-13; Analogieproblem!); schöpferisches und unfehlbar-sicheres Wollen Gottes (I 14-21); unfehlbare Vorsehung und nicht „doppelte", aber entschiedene -»Prädestination ohne Aufhebung von Freiheit und Schuld (122- 24); Macht und Glückseligkeit Gottes (I 25-26). Die sich anschließende Betrachtung Gottes unter d e m Aspekt seiner Drei-Einheit {De Deo trino, I qq. 2 7 - 4 3 ) entfaltet sich von der als selbstverständlich rezipierten „psychologischen" Trinitätslehre Augustins (—»Trinität) und des boethianischen Personverständnisses her, schreitet v o n der processio als trinitarischem Oberbegriff (I 27) über die relatio subsistens (I 28) zur Dreiheit der göttlichen Personen vor (I 2 9 - 3 0 ) und betrachtet deren Eigentümlichkeiten im Gegenüber zueinander und zum einen göttlichen Wesen (I qq. 3 1 - 4 2 ) . Die gekennzeichnete Eigenart des Ansatzes - Gott in sich als Thema der Theologie - bedingt, daß gegenüber dieser gedanklich ungemein geschlossenen Reflexion auf die sog. „immanente" Trinität die sog. „ökonomische" Trinität - der dreifaltige Gott in seiner heilsgeschichtlich fortschreitenden Selbstoffenbarung - nur in I 43 („Die göttlichen Sendungen") und ansonsten nur indirekt in den anderen Traktaten zur Sprache kommt, vor allem in der Gnadenlehre und damit zusammenhängend in der die ganze IV Pars begleitenden Lehre von den „Gaben des Heiligen Geistes" sowie natürlich in der Christologie und in der Sakramentenlehre. Die historische wie sachliche Abkünftigkeit jeder immanenten von der ökonomischen Trinitätserkenntnis bleibt so verdeckt (vgl. Pesch, Plädoyer). 5.4.3. D i e materiale Schöpfungslehre spiegelt die v o n ihr her denkende und redende Gotteslehre (s.o. auch 5.2.), bedenkt also zunächst den Schöpfungsakt als Seinsmitteilung an das Kontingente, einschließlich des Übels (I qq. 4 4 - 4 9 ) , und betrachtet dann, gruppiert um eine Exegese des biblischen Schöpfungsberichtes (I qq. 65 - 7 4 ) , die Engel (I qq. 5 0 - 6 4 ) und den M e n s c h e n (I qq. 7 5 - 8 9 ) mit den Interpretamenten der aristotelischneuplatonischen Intelligenzenlehre und der aristotelisch-hylemorphistischen Anthropologie (s.o. 4.4.). In der anschließenden Lehre vom (historisch vorgestellten) Urständ und der ursprünglichen Gerechtigkeit (iustitita originalis) des Menschen (I qq. 90-102) ist wichtig und charakteristisch: 1. die im Rahmen mittelalterlicher Voraussetzungen positive Bewertung der Frau (I 92); 2. die

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generelle positive Wertung der materiell-leiblichen Wirklichkeit (I qq. 91; 97; 102); 3. die Ablehnung der Vorstellung von der „Paradieses-Ehe" (vor dem Sündenfall keine Zeugung von Nachkommenschaft durch Geschlechtsverkehr: I 98); 4. die Interpretation der Gottebenbildlichkeit des Menschen als Verbundenheit mit dem dreieinigen Gott in Erkenntnis und Liebe - eines der bemerkenswertesten Beispiele für die heilsgeschichtliche Bestimmtheit aller Teile der S.tb.\ und 5. die Interpretation der Ursprungsgerechtigkeit als völlige gehorsame Verbundenheit des Geistes [ratio) mit Gott und dadurch Folgsamkeit der Sinne und des Leibes gegenüber dem Geist, und dies als dem Wesen des Menschen gemäß und dennoch gerade so als Geschenk der Gnade. Dies wird wichtig für das Verständnis der Ursprungssünde (Erbsünde, -»Sünde) wie der Rechtfertigung des Sünders (s.u. 5.4.5.). Den Abschluß bildet die Lehre von der göttlichen Welterhaltung und Weltregierung (I qq. 1 0 3 - 1 1 9 ) - schon ein Stück Reflexion auf den reditus (s.o. 5.2.) in der 1° Pars und zu begreifen in Entsprechung zu Gottes schöpferischem Verhältnis zur Welt, das relative Autonomie und Freiheit der Geschöpfe nicht einschränkt, sondern begründet (I 105,5!). 5.4.4. Die theologische Ethik - nur mit Vorbehalt so zu nennen (s.o. 5 . 3 . ) - entfaltet sich als Lehre von den theologisch-anthropologischen Konstituentien der menschlichen „ H e i m k e h r " (reditus) zu G o t t g e m ä ß den Strukturen einer Metyphysik des menschlichen Handelns. Sie kreist demnach um folgende Themen: Endziel (beatitudo, Seligkeit: Durchdringung des biblischen Themas mit aristotelischer, neuplatonischer und augustinischer Spekulation, I-II qq. 1 - 5 ) ; Aufbau der menschlichen Handlung (Willentlichkeit, Freiheit, Teilakte: I-II qq. 6 - 1 7 ) ; Moralität (I-II qq. 1 8 - 2 1 ) ; Bedeutung des sinnlichen Trieblebens (die mit den nicht-menschlichen Sinnenwesen gemeinsamen, aber beim Menschen der Vernunft unterstellten Akte, die passiones animae, Leidenschaften: I-II 2 2 - 4 8 ; vgl. -»Affekt). Es folgt die Erörterung der Prinzipien des menschlichen Handelns, und zwar der inneren (habitus, Tugenden, Gaben des Heiligen Geistes als der Prinzipien guten Handelns: I-II qq. 4 9 - 7 0 ; der Laster als Prinzipien des schlechten Handelns, also der Sünde, die in diesem Aufriß folgerichtig als Tatsünde behandelt wird einschließlich der Erbsünde als einer ihrer Ursachen: I-II qq. 7 1 - 8 9 ) ; und der äußeren, d.h. des Gesetzes (I-II qq. 9 0 - 1 0 8 ) und der Gnade (I-II qq. 1 0 9 - 1 1 4 ) . Im einzelnen werden die Tugenden, also die mit der Gnade „eingegossenen" inneren Prinzipien des menschlichen guten Handelns, nach den großen Gruppen der drei „theologischen" Tugenden -»Glaube, -»Hoffnung und -»Liebe und der vier „Kardinaltugenden" Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhaltung im Zweiten Teil der ¡1° Pars (II-II) breit erörtert, die Gebote und Geistesgaben werden ihnen zugeordnet (II-II qq. 1 - 1 7 0 ) , einige Quästionen über die Charismen und die christlichen Lebensstände bilden den Abschluß (II-II 1 7 1 - 1 8 9 ) . 5.4.5. Theologische Ethik als Gnadenlehre. Die innerhalb dieser Gedankenführung charakteristischen Thesen des T h o m a s erweisen die theologische Ethik als Entfaltung der Gnadenlehre und darin als theologische Anthropologie: Unvermittelte Gottesschau als Formalkonstitutiv der Glückseligkeit (I-II 3,8); „natürliches Verlangen" (desiderium naturale) nach der Gottesschau, das nicht vergeblich sein kann und doch sich nicht aus menschlicher Kraft erfüllt (I-II 3,8; 5 , 5 - 7 in Verbindung mit I 12,1); kein sittlich indifferenter Akt in concreto (I-II 18,4.9 in Verbindung mit 109,2); Verpflichtung, selbst dem schuldlos und unüberwindlich irrigen Gewissen zu folgen (I-II 1 9 , 5 - 6 ; vgl. Q D De ver. 17,4 obi. 4 und ad 4; Suppl. 21,4: lieber die Exkommunikation ertragen als gegen das Gewissen handeln); moraltheologisch-abstrakte Indifferenz, aber ganzmenschliche Gültigkeit und konkrete Integrierbarkeit der sinnlichen Triebsphäre (I-II 24,1 - 4 ) ; habitueller Charakter der Tugend (I-II 55,1 - 4 ) ; Notwendigkeit der Gaben des Heiligen Geistes (im mittelalterlichen Verständnis von Jes 11,2f.) im Hinblick auf die Gottunmittelbarkeit jeder christlichen Existenz (I-II 6 8 , 1 - 8 ) ; Umformung der aristotelischen Lehre von der äftapxia als heilbarer Verfehlung der Tugendmitte in eine dezidiert theozentrische Bestimmung der Sünde als Abkehr von Gott als letztem Ziel und Hinkehr zu einem geschöpflichen Gut als Ersatz-Endziel (I-II 71,6 u.ö.); „läßliche" Sündhaftigkeit der ohne Steuerung durch den Willen aktiv werdenden habituellen sinnlichen Konkupiszenz (peccatum sensualitatis: I-II 74,8); das Fehlen der ursprünglichen Gerechtigkeit (s.o. 5.4.3.), also das Nicht-Unterworfensein des Geistes unter Gott als formelles Element, chronische Unbeherrschbarkeit der Sinne (Konkupiszenz) und des Leibes als materielles Element der Erbsünde, die dem Ansatz gemäß in der Lehre von der Sünde „nur" als Ursache von Tatsünde zur Sprache kommt (I-II 82,3 im Kontext von qq. 8 1 - 8 3 ) ; todbringende Dialektik zwischen Ziel und Kraft(losigkeit) des alttestamentlichen Sittengesetzes als negativer Hinweis auf Christus (I-II 1 0 0 , 9 - 1 2 ) ; die „okkasionelle" Todeswirkung des Gesetzes (I-II 98,1 ad 2.2 ad 2; 99,2 ad 3), aber überwindbar durch die positive Zeichenfunktion des alten Zeremonial- und Judizialgesetzes, denn an ihr entsteht der „Glaube an den Mittler" ( f i d e s media-

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toris), der eine Zugehörigkeit zum Neuen Bund schon in alttestamentlicher Zeit ermöglicht (I-II 98,2 ad 4.6 ad 3; 101,2; 104,2; vgl. II-II 2,7).

Explizit in die Lehre von der Gnade führt die Lehre vom „Neuen Gesetz des Evangeliums", weil dieses nicht nur kausal mit der „Gnade des Heiligen Geistes" zusammengehört, sondern mit ihr dergestalt identisch ist (I-II 106,1), daß alle geschriebene Weisung, selbst die des Evangeliums, nur sekundäre Funktion hat, als Disposition für die oder als Manifestation der Gnade des Geistes (I-II 106,1 ad 1; 108,1-4). Die Gnadenlehre als solche beginnt - ungewöhnlich - mit der Frage nach der Notwendigkeit der Gnade, und sie wird - abweichend von früheren Äußerungen - begründet in erster Linie mit dem konkreten Status der gefallenen Natur, der gegenüber sie auch für die „natürliche" Sittlichkeit als gratia sartarts wirkt (I-II 109,1-2.4.6.7); erst sekundär folgt ihre Notwendigkeit aus dem (abstrahierend betrachteten) Gegenüber der Natur zu Gott als ihrem „über-natürlichen" Ziel (I-II 109,3.5). Die formal-ontologische Bestimmung der Gnade als quaedatn qualitas in essentia animae im ontischen (nicht zeitlichen) Voraus zu den Tugenden ist entgegen manchem Verdacht dynamisch (auf die Spontaneität des christlichen Lebens hin) und personal-relational (als Begründung des Freundschaftsverhältnisses zu Gott) zu verstehen (I-II 110,1-4 in Verbindung mit II-II 23,1). Die Rechtfertigung des Sünders ist, als anfanghafte Wiederherstellung der urständlichen Gerechtigkeit, unfehlbare Wirkung der Gnade als gratia operans, wobei der Freiheit des Menschen nicht eine quasi-partnerschaftliche „Mitwirkung" zukommt, sondern nur reine, mit dem Glauben koinzidierende Resonanz des Geistes {mens) auf das, was Gott wirkt (I-II 112,2-3; 113,1-8). Das „Verdienst" artikuliert die innere Teleologie der Gnade auf ihre eschatologische Entfaltung hin, proklamiert also gerade nicht einen menschlichen „Beitrag": Nicht der Mensch wirkt mit der Gnade mit, sondern die Gnade bezieht als gratia cooperans das (zuvor) begnadet-freie Handeln des Menschen ein. Der existentiell unauftrennbare Heilsakt wird unter der Vorgabe von I Kor 13,13 unterscheidend entfaltet in der Dreiheit der „theologischen Tugenden" Glaube, Hoffnung und Liebe (II-II qq. 1 - 4 6 ) . Darin ist der Glaube, abstrakt für sich genommen, ein Erkenntnisakt sui generis, nämlich der Akt der Zustimmung zur Ersten Wahrheit, befohlen vom durch die Gnade bewegten Willen (actus assentiendi primae veritati, imperatus a volúntate mota per gratiam: II-II 2,9; vgl. 6,1); der sog. „ungeformte Glaube", ein Erkenntnisakt in bezug auf Gottes Offenbarung also, der nicht einbezogen ist in das Gesamtverhältnis des Menschen zu Gott in Liebe aufgrund von Gnade, ist daher keine Vorstufe des ganzen Glaubens, sondern der Rest von Glaubensexistenz nach Verlust der Gnade, die diese allererst ermöglicht hat (II-II 4 , 3 - 5 ; 6,2). Im Unterschied zum Glauben als der Erkenntnisebene christlicher Existenz ist die Hoffnung, abstrakt betrachtet, die Gründung der Existenz auf die im Glauben an Gott bejahte Verheißung (II-II 16,1-8). Die Liebe hingegen muß im Licht des Doppelgebotes Jesu verstanden werden als Glaube, Hoffnung und die gesamte christliche Existenz umgreifender Vollzug und Stand personaler Freundschaft mit Gott und in diesem Sinne als die „Form" aller Tugenden (II-II 23,1-8). Diese Freundschaft mit Gott in der Liebe entfaltet sich - so die kirchenamtlich nie rezipierte Sonderthese des Thomas - in den ebenfalls „eingegossenen" Kardinaltugenden und der mit diesen verbundenen Teiltugenden (II-II qq. 4 7 - 1 7 0 in Verbindung mit I-II 6 3 , 3 - 4 ; 6 5 , 2 - 5 ) . Innerhalb dieser wird die „Gottesverehrung" (religio) mit ihren Teiltugenden und damit alles kultische Tun konsequent der Gerechtigkeit zugeordnet (II-II qq. 8 1 - 1 2 0 ) ; dadurch ist das eigentliche, in Glaube, Hoffnung und Liebe sich vollziehende Gottesverhältnis von allem Ritualismus und Legalismus radikal befreit: Die Gottesverehrung ist keine theologische Tugend (II-II 81,5!). Bemerkenswert ist ferner, daß der Stolz als Verweigerung der Unterwerfung des Geistes unter Gott einerseits als Verstoß gegen die Maßhaltung eingeordnet wird - als maßlose Sucht nach der eigenen Ehre - , andererseits eben so als die Ursünde Adams gesehen wird, also in genauer Ubereinstimmung mit der Lehre vom Urständ, von der Erbsünde und von der Rechtfertigung (II-II qq. 1 6 2 - 1 6 4 ; vgl. o. 5.4.3.). In der Lehre von den Lebensständen vertritt Thomas einen abstrakten Vorrang der vita contemplativa vor der vita activa, konkret aber hat eine vita activa den Vorrang, die um der Ehre

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Gottes und des Heiles der Menschen willen die direkte Ausübung der vita contemplativa zeitweilig hintanstellt - wie im Predigerorden, dem T h o m a s angehört, gemäß dem Grundsatz: „Betrachtend [bei den Geheimnissen Gottes] verweilen und das Betrachtete anderen mitteilen" (contemplari et contemplata aliis tradere: II-II qq. 1 7 9 - 1 8 9 , bes. 1 8 2 , 1 - 2 ; vgl. Q D De caritate 11 ad 6). Das ist noch nicht Luthers theologische Ethik des weltlichen Berufs, aber ein wesentlicher Schritt dahin.

5.4.6. Die Christologie erklärt nicht Christus selbst zum Thema der Theologie Thomas denkt nicht „christozentrisch" im modernen Sinne. Christus ist der „Weg", auf dem Gott die Menschen zu sich heimführt, der Erlöser, der sie rettet, und darum kraft ewiger Prädestination ihr Haupt und die Quelle aller Gnade (es gibt keine gratia Dei im Unterschied zu einer gratia Christi) (I 2,1 prol.; III prol.; qq. 7; 8; 24). Von diesem Ansatz her entfaltet Thomas die spezielle Christologie mit folgenden Eigentümlichkeiten: starke Herausarbeitung der vollen Menschheit Christi (Wendung von der sog. neuchalkedonensischen zur altchalkedonensischen Christologie im Spätwerk); Erklärung der hypostatischen Union im Sinne der Theorie der reinen Union: nur ein einziges esse personale in Christus, aber zufolge der angenommenen Menschennatur ein sekundäres esse substantiale, das seine Subsistenz ausschließlich im Aufgenommensein in die Subsistenz des Logos hat (III qq. 1 - 2 6 ) . 5.4.7. Ebenfalls im Licht der Grundaussage gestaltet Thomas die Soteriologie: Alle „Mysterien Christi" (Worte und Taten Christi, in langen biblischen Erörterungen zum Leben Jesu entfaltet: III qq. 35—59) wirken auf die Weise des Werkzeugs (instrumentum) der Heilsliebe Gottes (Einfluß der Thomas hier besonders vertrauten alten Konzilien, darunter des II. Konzils von Konstantinopel 553 [-• Konstantinopel, ökumenische Synoden] und der griechischen Kirchenväter); alle anderen Wirkweisen beschränken sich auf das irdische Leben („Verdienst") oder gar allein auf seinen Tod („Genugtuung", „Opfer", „Erlösung") und werden erst durch die werkzeugliche Indienstnahme von Seiten der Heilsliebe Gottes in Kraft gesetzt (III 48,6 im Vergleich mit 48,1-5); die Genugtuungslehre des Anselm von Canterbury nimmt Thomas zwar auf, sogar als die umfassende Deutung des Kreuzestodes, auf die „Opfer" und „Erlösung" zurückzuführen sind, aber im Vergleich zu Anselm sehr zurückhaltend (III 46,2!). Der Primat der grundlosen Heilsliebe Gottes schließt dabei jede juridische „Verrechnung" des Werkes Christi mit Gottes Gerechtigkeit aus: Die Annahme der Genugtuung Christi zugunsten der Sünder ist freie Tat Gottes (III 48,2 ad 1; vgl. 69,2 ad 1 und Suppl. 13,2). 5.4.8. In die Christologie fügt Thomas die Mariologie ein: als Lehre vom Anfang des irdischen Lebens Jesu (III qq. 2 7 - 3 4 ) . Thomas behandelt alle traditionellen mariologischen Themen mit gewohnter Akribie, beantwortet die neu aufgekommene Frage nach der erbsündlosen („unbefleckten") Empfängnis Marias aber negativ: es wäre eine Einschränkung des Vorrangs Christi (III 27,2-3). 5.4.9. Die Sakramentenlehre (III qq. 6 0 - 9 0 ; Suppl. qq. 1 - 6 8 ) übernimmt bei Thomas die Aufgabe zu erklären, wie die geschichtlich abgeschlossenen „Mysterien" Christi an den Menschen jeder Gegenwart wirksam werden können. Dies geschieht, indem die Sakramente instrumental wirksam werden durch ihre dreifache Zeichenstruktur (causant significando, nicht: significant causando). Im Anschluß an Augustin bezeichnen die Sakramente zugleich das historisch vergangene Heilswerk Christi, die dadurch bewirkte gegenwärtige Gnade und die erhoffte Vollendung am Ende der Geschichte. Durch diese dreifache Zeichenstruktur wird der spiritualis contactus und darin die „subjektive" applicatio des „objektiven" Erlösungswerks hergestellt. Vorstellungen eines quasi-dinghaften „Heilsmittels" werden - jedenfalls im Spätwerk - dadurch ausgeschaltet, daß Thomas 1. die damals und dann später wieder so mißverständlichen Formeln von der Wirksamkeit der Sakramente ex opere operato (durch den Vollzug selbst) an denen, qui non ponunt obicem (die keinen Riegel vorschieben), nicht mehr verwendet, sondern ihren richtigen Sachsinn anders ausdrückt; und 2. indem erst das Wort das sakramentale Zeichen (die Handlung, nicht nur das Element) eindeutig und dadurch zur konzentriertesten

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

457

Predigt macht, so daß 3. Thomas mit Augustin sagen kann: „Das Wort im Sakrament wirkt nicht, weil es gesagt wird, sondern weil es geglaubt wird" (III 6 0 , 6 - 7 ) . Die Siebenzahl der Sakramente begründet Thomas mit der gewährleistenden kirchlichen Tradition, lehnt auf dieser Basis umlaufende Thesen von einer Einsetzung einzelner Sakramente (vor allem der Firmung) durch die Kirche ab (nur Christus/Gott kann Zeichen und Wort zum wirksamen Heilswerkzeug verbinden) und erläutert den Sinn der Siebenzahl durch Konvenienzargumente (III 65). Die Verhältnisbestimmung von Zeichen und Werkzeug, genauer: die instrumentale Wirksamkeit der sakramentalen Zeichenhandlung wird von Thomas nur formal festgestellt, aber nicht weiter durchdacht, was zu gegensätzlichen Interpretationen Anlaß bot (III 60 und 62). Darin zeigt sich freilich das Grundinteresse des Thomas in der Sakramentenlehre: die alleinige Hauptursächlichkeit Gottes bei der Wirkung des Sakramentes herauszustellen (III 64). Besonders ausführlich behandelt Thomas -»Taufe (III qq. 6 6 - 7 1 ) - geradezu das Paradigma der Anwendung des allgemeinen Sakramentsbegriffs - und Eucharistie (qq. 7 3 - 8 3 ; -»Abendmahl HI/2). Dabei konzentriert er sich, vor dem Hintergrund der Kontroverse um -»Berengar von Tours und einer oftmals materialistischen Volksfrömmigkeit, auf eine realistische, aber nicht-materialistische Deutung der Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi durch die ausgearbeitete Lehre von der Transsubstantiation (nur die Substanz des Leibes und Blutes Christi empfängt der Gläubige, was er ißt und trinkt, sind die Akzidentien von Brot und Wein: vgl. bes. III 76,5!), wobei Thomas sich der philosophischen Schwierigkeiten dieser Lehre bewußt ist. Zum „Opfercharakter" der Eucharistie macht er dagegen nur ganz spärliche Aussagen (III 83,1) - weit entfernt von dem Gewicht, das diese Lehre im Spätmittelalter und am Vorabend der Reformation bekommen sollte.

5.4.10. Die Eschatologie, wie der zweite Teil der Sakramentenlehre nicht mehr vollendet und daher im Supplementum aus dem Sentenzenkommentar ergänzt, sucht den wörtlich verstandenen und im mittelalterlichen Weltbild verifizierten biblischen Aussagen gerecht zu werden und müht sich vor allem um die rechte Zuordnung von allgemeinem und besonderem Gericht. Der bestimmende theozentrische Ansatz tritt wiederum zutage in der charakteristischen Sinndeutung des allgemeinen Gerichtes über das je individuelle hinaus: als letzter Akt der Selbstoffenbarung Gottes in der universalen Scheidung zwischen Guten und Bösen (Suppl. 88,1 ad 2) - also: als letztes Wort der sacra doctrina gemäß 1 1 , 1 ! 5.4.11.

Rätselhafterweise fehlt bei Thomas eine thematische

Ekklesiologie.

Dies hat lebhafte Diskussionen ausgelöst, die teilweise mit historisch nicht überzeugenden, teilweise anachronistischen, teilweise ideologischen Argumenten geführt wurde. Die - selbstverständlich immer hypothetische - Antwort dürfte (mit Sabra) lauten: Das Fehlen einer Ekklesiologie bei Thomas ist weder Zufall noch Versehen noch Mangel an Problembewußtsein, sondern Absicht, zumindest eine stillschweigende, aber konsequente Vorentscheidung. Denn die Kirche ist kein Gegenstand der sacra doctrina. Diese betrachtet alles im Hinblick auf Gott (sub ratione Dei), also, was den Menschen betrifft, im Hinblick auf seine Erschaffung und Vollendung in der Gottesgemeinschaft aus Gnade. Darin ist die Kirche kein eigenes Thema, denn sie ist entweder - als Gemeinschaft der Glaubenden - Ergebnis und Frucht dieses göttlichen Heilshandelns, oder sie ist dessen Werkzeug und Mittel - wie Gesetz, Gnade und Sakramente. Zu beiden Hinsichten von Kirchesein hat Thomas alle materialen Aussagen einer Ekklesiologie beisammen, vor allem in der Lehre vom Neuen Gesetz (I-II qq. 1 0 6 - 1 0 7 ) , vom Glauben (II-II qq. 1; 11), von der Liebe (II-II q. 39), von Christus (III q. 8), von den Sakramenten (III 60ff. passim). Aber er macht daraus bewußt keinen Traktat - so wie er auch eine klar erkennbare Geschichtstheologie hat, ohne daraus einen Traktat über den Verlauf der Heilsgeschichte zu machen. Man kann bedauern, daß spätestens hier eine grundlegend individualistische Sicht des menschlichen Heils dominierend in Erscheinung tritt und damit der Gemeinschaftsbezug des Glaubens ohne konstruktive Auswirkung auf die Synthese bleibt. Aber man kann nicht sagen, Thomas sei nicht konsequent bei seinem Ansatz geblieben.

5.5.

Würdigung

Eine zugleich historische wie sachliche Würdigung muß einsetzen beim Verständnis von der Aufgabe der Theologie, das Thomas in seinem ganzen Werk durchhält und das im Kontext der methodologischen Diskussionen bei den Vorgängern und Zeitge-

458

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

nossen als Ergebnis reflektierter Entscheidungen gelten muß (s.o. 5.4.1.): Theologie ist Mit- und Nachvollzug der Gedanken Gottes über Welt, Mensch und Geschichte, Mitvollzug seiner sacra doctrina, bis an die Grenze, die Gottes Geheimnis selbst der Verstehensbemühung des Menschen setzt. Zwar ist unser Nichtwissen in bezug auf Gott das ultimum unseres Wissens um Gott (s.o. 5.4.1.). Dennoch ist auch ein nur schwächliches Ergebnis willkommener als der Verzicht auf den Verstehensversuch (CG 1,8 n. 49!). Dieser reicht allemal aus, Theologie zur Weisheit zu machen, zum Verstehen aller Dinge aus ihren höchsten Gründen (S.th. 11,6). In diesem Verstehen ist auch die Spannung zwischen notwendiger Wesenswahrheit Gottes und der Geschöpfe und der kontingenten Geschichte von Gottes Heilshandeln zusammengehalten und hat im Aufbau der von Thomas in Abkehr vom System der Sentenzenkommentare originär konzipierten S.th. ihren am Sachverhalt orientierten methodischen Ausdruck gefunden. Dieses Konzept und seine Ausführung machen diese Theologie zum Dokument eines zur Vollreife seiner Reflexionsgestalt gekommenen Glaubens. Und dies einerseits in wissenschaftlicher Hinsicht, andererseits aber auch in menschlich-religiöser Hinsicht. Die immer wieder gestellte und gegenwärtig verstärkt bedachte Frage, wie denn die Frömmigkeit, das „geistliche Leben", die „Spiritualität" des Thomas zu beschreiben und zu werten sei, ist, über alle biographisch bekannten Einzelheiten seiner liturgischen und Gebetspraxis hinaus, im Kern ganz einfach zu beantworten: Diese Theologie ist seine Spiritualität. Im Kontext und als Höhepunkt der Scholastik des 13. Jh. ist die Theologie des Thomas sozusagen „Gottesdienst des Denkens". Weil sie dabei das Geheimnis Gottes nicht rationalistisch einebnet, sondern ins Licht rückt und schützt, sind Einwände im Detail natürlich jederzeit möglich, gegen die Gesamtkonzeption aber nur dann, wenn sie entgegen Intention und Textbefund als „System" mißverstanden würde, dessen Autor sich zutraute, jede theologische Aussage aus einer vorausgehenden und schließlich aus der Vorgabe des Glaubens umstandslos schlußfolgernd abzuleiten. Dabei würde der Ansatz in seiner existentiellen Tragweite (einschließlich der in Kauf genommenen gedanklichen Risiken) verkannt, und das Ende wäre der Plan der S.th. als ein für selbstverständlich und ewig-gültig gehaltenes Schema der Aufteilung des theologischen „Stoffes". Eine solche Inanspruchnahme des Thomas könnte das Paradigmatische seiner Theologie nur verstellen. Der in seinen originären Impulsen zurückgewonnene Thomas aber wird heute nicht als einfach zu rezipierende und zu kopierende, aber neu vollziehbare Möglichkeit intellektueller Glaubensexistenz, als, wie man gesagt hat, Theologie von „sapientialem Typus" (vgl. Congar, Le sens 76.84f.) wahrgenommen und gegenwärtig wieder verstärkt als Quelle theologischer Weisheit ausgeschöpft (s.u. 7.2.). Ihre sachbedingte Grenze hat diese Theologie an der auf diesem Wege nicht einholbaren Situation des angefochtenen Glaubens auf all seinen Ebenen. Die Anfechtung hat möglicherweise im Leben des Thomas — aber wir wissen wenig darüber —, nicht aber in seiner Theologie einen Platz. Deutlichstes Indiz: Wo Luther in der Prädestinationslehre die Gefahr der Verzweiflung spürt, sieht Thomas nur die Gefahr des Irrtums ('S.th. I 23,5 ad 3). Und auch die formale Definition des Glaubensaktes als cum assensione cogitare (S.th. II-II 2,1, im Anschluß an Augustin) denkt bei dem cogitare (wörtlich: „herumwälzen") nicht an die Anfechtung, sondern, wie der Fortgang der Überlegungen erweist, an die unabschließbare Bemühung um ein Verstehen des durch Gottes Offenbarung Gesagten. Hier ist die Theologie des Thomas, ist ein an Thomas orientiertes theologisches Denken in der Kirche angewiesen auf den Dialog mit anders strukturierten Weisen von Theologie. 6. Der 6.1. Zur

Thomismus/Neuthomismus Terminologie

Das W o r t „ T h o m i s m u s " bedeutet im Sprachgebrauch der Forschung 1. das Ganze der Philosophie und Theologie des T h o m a s sowohl in methodologischer wie inhaltlicher Hinsicht; 2. die Lehrtradition der thomistischen Schule, die seit dem Ende des 13. Jh. bis in die Gegenwart die Doktrin des T h o m a s zu verteidigen, auf neue Fragen anzuwenden und in diesem Z u s a m m e n h a n g

T h o m a s von A q u i n o / T h o m i s m u s / N e u t h o m i s m u s

459

auch genauer zu interpretieren trachtet; 3. die Position des spanischen Thomisten Domingo Banez (1528-1604) und seiner Anhänger im sog. Gnadenstreit mit L. -»Molina und dem Molinismus im 16. Jh., ebenfalls mit Wellenschlägen bis ins 20. Jh. Im deutschen Sprachraum hat sich von daher auch die terminologische Unterscheidung von „thomanischer" („thomasischer") und „thomistischer" Lehre eingebürgert, aber noch nicht völlig durchgesetzt, die im romanischen und angelsächsischen Sprachraum schwer nachahmbar ist. Infolgedessen wird die Terminologie, weil abhängig von der Einschätzung des Unterschiedes zwischen Thomas und seiner „Schule", ohne allgemein akzeptierte Regeln gebraucht mit der Folge, daß sowohl bei Literaturtiteln wie im Sprachgebrauch der Argumentation nur der Inhalt entscheidet, in welchem Sinne die Begriffe „Thomismus" bzw. „thomistisch" jeweils zu verstehen sind. Im folgenden wird „Thomismus" im Sinne des zweiten Begriffs gebraucht. 6 . 2 . Geschichtlicher

Überblick

Es gibt keine den heutigen Stand der Forschung repräsentierende Gesamtdarstellung der Geschichte des T h o m i s m u s , weder für die Philosophie n o c h für die Theologie. W a h r scheinlich w ä r e sie in der Balance zwischen angemessener Ausbreitung der Details vor dem Hintergrund der unterschiedlichen geistigen und theologischen Herausforderungen einerseits und einer auf Lesbarkeit bedachten Umfangsbegrenzung andererseits auch eine Überforderung. Gut verfügbar sind: umfassende Bibliographien, die biographischen und literarhistorischen Daten (meist in Kurzbiographien und Lexikonartikeln), materialreiche Überblicke, monographische Untersuchungen zum historischen K o n t e x t und zur zeitgenössischen Problemlage, und nicht zuletzt die Quellen, besonders aus dem 16. und den folgenden Jahrhunderten, in zumeist nicht-kritischen Editionen. Ferner haben wir eine beträchtliche Anzahl von Einzelstudien zu bedeutenden Figuren des T h o m i s m u s und von Längs- und Querschnitten zu thematischen Schwerpunkten (s. Lit. zu 6.). N a c h wie vor einleuchtend ist folgende, an Reginald G a r r i g o u - L a g r a n g e anschließende Periodisierung der Geschichte des T h o m i s m u s : 1. E p o c h e der Defensiones (13.-15. J h . ) ; 2 . E p o c h e der Kommentare, besonders zur S.th. (Ende 15. J h . bis zum Konzil von Trient, mit späteren Weiterführungen); 3. E p o c h e der Disputationes (Trienter Konzil bis M i t t e des 18. J h . ) ; 4. Neuthomismus (seit M i t t e des 18. J h . ) . In der ersten Epoche bemüht man sich um Verteidigung und Absicherung der thomanischen Lehre: gegen Thomas-Gegner im eigenen Orden und gegen die sog. mittlere und jüngere -•Franziskanerschule, bald besonders gegen —>Duns Scotus und Wilhelm von -»Ockham und deren Anhänger. Man erstellt eine Literatur von zusammenfassenden Kompendien (abbreviationes; s.o. 2.2.), Indices (tabulae), Tabellen von widersprüchlichen Lehren zwischen Früh werk und Spätwerk (concordantiae). Gegen franziskanische „Korrektorien" der Thomas-Lehre verfaßt man Gegen-Korrektorien (sarkastischer Titel: Correctorium corruptorii...). Trotz aller Kontroversen wird Thomas noch vor 1280 und dann fortschreitend als Autorität zitiert und um die Wende zum 14. Jh. schon mit Heiligenschein dargestellt. Der Orden stellt sich auf mehreren Generalkapiteln (1278, 1286, 1309, 1313) hinter Thomas und begründet damit die fortschreitende Identifikation zwischen Predigerorden und Thomistenschule. Nach der Heiligsprechung durch Papst -»Johannes X X I I . 1323 und der nachfolgenden Aufhebung der Verurteilung von 1277 durch den Pariser Bischof 1325 ist die Kontroverse um Thomas nicht mehr durch Häresieverdacht belastet (wichtige Namen bei Pesch/ Schlüter, Art. Thomismus 158f.; Obenauer). Höhepunkt dieses „defensiven" Thomismus ist der Princeps tbomistarum Johannes Capreolus mit seinen dem SK folgenden (s.o. 2.2.) Libri quatuor defensionum [!j theologiae divi doctoris Thomae de Aquino. Von diesem profunden, die ganze bisherige Diskussion einbeziehenden Werk werden wiederum zusammenfassende Kompendien hergestellt. Sein Einfluß reicht bis in die zweite Epoche der Kommentare. 1526 führte F. Vitoria in Salamanca die S.th. anstelle des SK als theologisches Lehrbuch ein und schrieb einen Kommentar. Ihm folgte 1596 die Universität Löwen. Diese institutionelle Entwicklung förderte die Literatur der Kommentare zur S.th. Teilkommentare entstanden schon seit der Mitte des 15. Jh. in Köln. Den einflußreichsten Kommentar, den ersten zur ganzen S.th., schrieb J. —»Cajetan de Vio in den Jahren 1507-1522, also vor und nach der Begegnung mit Luther im Oktober 1518 und den dafür verfaßten Traktaten vom September 1518. Er wurde, ungeachtet innerthomistischer Kritik, der einflußreichste Kommentar zur S.th., weil sich Vitoria und seine Nachfolger in -»Salamanca ihm anschlössen und der Neuthomismus diesen Einfluß durch den Abdruck in der Leonina-Ausgabe der S.th. bis ins 20. Jh. festigte. Insgesamt gibt es laut einer Zählung von 1924 bis dahin 90 Kommentare zur ganzen S.th., 218 zur I" Pars, 108 zur /-//, 89 zur U li, 148 zur III" Pars, 9 zum Suppl.

460

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

Nicht die unmittelbare Auseinandersetzung mit der reformatorischen Theologie, wohl aber die eigenständige Bearbeitung der von der Reformation aufgenommenen neuen Fragen sowie die Antwort des Tridentinums darauf führten zu bemerkenswerten Fortbildungen des Thomismus, inhaltlich vor allem durch Verstärkung der „positiven" Theologie (biblischer Beweis) in antireformatorischer apologetischer Absicht, formal durch Überschreitung der literarischen Form des articulatim vorgehenden Kommentars. Idealtypisch pointiert, bearbeiteten die Thomisten den Thomastext wie T h o m a s einst die Sentenzen: Aus Anlaß und Anregung des Textes wurden eigenständige Disputationen erarbeitet. Die vermehrten methodologischen Fragen, besonders die Methoden der Argumentation aus der Heiligen Schrift und der Tradition, wurden formal an die Kommentierung von S.th. I q . l angebunden - mit beträchtlichen Verlagerungen des Gewichtes und der Frageinteressen im Vergleich zu Thomas. Wichtige Namen sind vor allem Domingo de -»Soto, der eine thomistische Interpretation des Tridentinums durchsetzte, und Melchior Cano (um 1509-1560), der mit seinen De locis theologicis die katholisch-theologische Erkenntnislehre bis heute beeinflußt - und übrigens auch einen, nur teilweise edierten, Kommentar zur S.th. geschrieben hat. Diese Entwicklungen, die eine Art „Reformthomismus" anzielten, bestimmten allerdings nicht die ganze Breite der Thomistenschule. Domingo Banez wollte in der Auseinandersetzung mit Molina und Francisco de -»Suàrez reine Thomas-Interpretation betreiben. Mit Johannes a Sancto T h o m a (1589-1644) erreichte die Epoche der Disputationes und damit der nachtridentinische Thomismus noch einmal einen Höhepunkt und mit Charles-René Billuart (1685-1757) den Abschluß. Der Neuthomismus begann um die Mitte des 18. Jh. in Italien, und zwar auf philosophischem Gebiet - so daß bis in die erste Hälfte des 20. Jh. der philosophische vor dem theologischen Neuthomismus auf allen Entwicklungsstufen eine eigenartige Phasenverschiebung wahrte, die erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu Ende ging (s.u. 7.1.). Er schaltete sich in die Auseinandersetzung mit der -»Aufklärung und dem deutschen -»Idealismus ein, veranlaßte im Laufe des 19. Jh. eine Rückkehr der katholisch-theologischen Fakultäten zum Thomismus wenigstens in einem weiteren Sinne (Symptom: die beiden Gesamtausgaben der Thomas-Werke in Parma, 1853-1873, und Paris, 1871-1880), wurde naturgemäß zum Gegner der geschichtlich denkenden (katholischen) - • T ü b i n g e r Schule und gewann seine Dominanz durch seinen Einfluß an der römischen Kurie im Vorfeld und Umfeld des Ersten Vatikanischen Konzils („Römische Schule") (—>Vatikanum I und II). Kirchenamtliche Bestätigung und dadurch entscheidende Vorherrschaft als kirchliche „NormalTheologie" gewann der Neuthomismus durch die Thomas-Enzyklika Aeterni Patris Unigenitus Papst -»Leos XIII. von 1879 (Erklärung des T h o m a s zum authentischen Lehrer der Kirche, D S / D H 3139f.); durch die vom selben Papst veranlaßte neue Gesamtausgabe der Thomaswerke (Editio Leonina)-, durch die von der römischen Kongregation für die Studien 1914 veröffentlichten und normativ gemachten 24 thomistischen (philosophischen) Grundthesen (Theses approbatae philosophiae thomisticae, D S / D H 3601-3624); und durch die Vorschrift im Codex Iuris Canonici (C1C) von 1917, can. 1366, Philosophie und Theologie in den katholischen Seminaren „nach Methode, Lehre und den Prinzipien des hl. T h o m a s zu dozieren". Der so ausgerüstete Neuthomismus schaltete sich wiederum in das philosophische Gespräch und die theologischen Kontroversen der ersten Hälfte des 20. Jh. ein und entfaltete darin sowohl beträchtliche Lebenskraft als auch eine manchmal heilsame, manchmal wenig hilfreiche Bremskraft für das theologische Fragen und Denken. Er provozierte freilich auch schon zwischen den beiden Weltkriegen, auf breiter Front aber nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl historisch wie systematisch orientierte Durchbrüche durch den Schulthomismus hin zu einer Erschließung der Thomas-Lehre in deren eigenem Kontext. In Entsprechung zum Stand dieser Entwicklungen hat das 20. Jh. auch wieder Kommentare zur S.th. hervorgebracht, sei es von einzelnen Theologen, sei es als Gemeinschaftswerke.

6.3. Eigenart

im Vergleich

zu

Thomas

6.3.1. Formale Eigenart. D i e T h o m i s t e n b e m ü h e n sich in i m m e r feinerer Ausdifferenzierung u m die f o r m a l e Beweisstruktur der T h o m a s t e x t e . G a n z e S.th.-Kommentare bringen lediglich d e n T h o m a s t e x t auf formgerechte Syllogismen oder lösen - b e s o n d e r s in der E p o c h e der Disputationes - den T h o m a s t e x t in strenge D i s p u t a t i o n s f o r m auf. D a s neue G e w i c h t der „ p o s i t i v e n " T h e o l o g i e , konkret: der biblischen E x e g e s e , b e w i r k t auch bei den T h o m i s t e n eine verstärkte H i n w e n d u n g zur Heiligen Schrift, aber nicht primär als Q u e l l e t h e o l o g i s c h e r Inspiration, sondern als Arsenal v o n dieta probantia. S c h o n Cajetan hat zu den biblischen Partien der S.th. nur ganz k n a p p e K o m m e n t a r e („Omnia clara sunt"). Im Z u g e der Verselbständigung der biblischen Exegese überläßt m a n in den späteren K o m m e n t a r e n die biblischen Partien den biblicis. Erst die jüngsten K o m m e n t a r e (z. B. in der D T h A u n d in der englischen T h o m a s - A u s g a b e ) vergleichen

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

461

auch die Exegese des Thomas wenigstens summarisch mit dem exegetischen Forschungsstand - mit oftmals überraschendem Ergebnis. Die Thomisten fühlen sich verpflichtet, die Terminologie des Thomas zu präzisieren, z. B. Unterscheidungen durch weitere Subdistinktionen aufzufächern oder nur gelegentlich und beiläufig vorgenommene Distinktionen zu terminologischer Festigkeit zu führen. — M a n ist auch recht unbekümmert gegenüber Lehrentwicklungen bei Thomas. Abgesehen von den unübersehbaren Wandlungen, die schon in den concordantiae des 14. Jh. namhaft gemacht wurden, zitiert man ohne Rücksicht auf die Chronologie die Thomastexte durcheinander. Das ist allerdings kein Privileg des Thomismus - so wenig wie die andere Unart, Gegner nur nach isoliert gefaßten Thesen und ohne Beachtung des Zusammenhangs zu „widerlegen". 6.3.2. Die inhaltliche Eigenart läßt sich in folgenden Stichworten zusammenfassen (Beispiele s. bei Pesch/Schlüter, Thomismus): stärkere Gewichtung des Aristotelismus bei der Interpretation der Thomastexte und Zurückdrängung der augustinischen Komponente (das Erbe Cajetans); programmatische artti-scotistische und anti-ockhamistische Tendenz bei gleichzeitiger Übernahme der Problemstellungen, der Terminologie und auch einzelner Theologumena; wenig Sensibilität für die Entwicklungen des neuzeitlichen Denkens und des neuzeitlichen Stils der Wissenschaften, statt dessen eine gewisse Ghettobildung, vor allem im Streit mit Scotisten und später Molinisten. Da sowohl die aufkommenden Naturwissenschaften als auch die neuzeitliche Philosophie (Descartes!) sich als Ablösung bzw. kritische Fortbildung des Aristotelismus verstanden, wurde dieser, im 13. Jh. M o t o r einer geistigen Revolution, nun zum Faktor der Erstarrung. Erst im Neuthomismus wird die Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Denken aufgenommen, und auch dies erst im 20. Jh. in einer nicht nur auf Abwehr zielenden Weise - und darum auch innerthomistisch bis heute umstritten. 6.4.

Würdigung

Der Thomismus hat der Absicht nach getan, was Anhänger einer großen Gestalt der Theologiegeschichte immer tun müssen: die Lehre des großen Schulhauptes in der Diskussion zu verteidigen, auf neue Fragen und geistige Herausforderungen schöpferisch anzuwenden und dadurch als geistige Kraft lebendig zu erhalten. Er hat es dabei zu Fortbildungen der thomanischen Doktrin gebracht, die gelegentlich sogar weltgeschichtliche Fernwirkungen hatten, z. B. die Entwicklung der Idee der Menschenrechte und des Völkerrechts durch Francisco de Vitoria und Francisco de Suärez und deren Auswirkungen - wenn auch zunächst oft erfolglos - auf die Behandlung der Indianer. Amerikas. Leistung und Fügung zugleich war auch die Durchsetzung einer thomistischen Interpretation des Trienter Konzils als Antwort auf die Reformation, wodurch die problematischen Positionen des spätscholastischen Ockhamismus nicht weitergeführt wurden und Thomas lange vor dem Neuthomismus zum maßgebenden kirchlichen Theologen avancierte. Dies war um so bedeutsamer, als im Molinismus in der Sache spätscholastische Auffassungen, zumindest eine ockhamistische „Mentalität" mit ihrem optimistischen Freiheitsverständnis wieder auflebte, so daß die gegnerischen Thomisten unbewußt und ungewollt in antireformatorischem Kontext Grundanliegen der Reformation hochhielten. Nicht vergessen sei auch der mäßigende und begrenzende Einfluß führender Thomisten auf und nach dem Ersten Vatikanischen Konzil, die zur Vermeidung von maximalistischen Übertreibungen bei der Dogmatisierung von Primat und unfehlbarem Lehramt des Papstes beitrugen und damit Türen zum Gespräch auch über dieses dornige Thema des ökumenischen Dialogs offenhielten. Vor allem aber: N u r die dem Thomismus zugewachsene Rolle als Inbegriff katholischer Theologie hat, auch noch in allem Mißbrauch dieser Rolle durch einzelne und durch Institutionen, das Gespräch mit Thomas durch die Jahrhunderte lebendig erhalten, wie es sonst keinem mittelalterlichen Theologen zuteil wurde. Allenfalls Duns Scotus ließe sich zum Vergleich heranziehen - und würde ihn wirkungsgeschichtlich kaum bestehen.

462

Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus

Mit dieser positiven Bedeutung des Thomismus verbindet sich seine Problematik. Versuche, die konstruktive Auseinandersetzung mit der Philosophie der Aufklärung und des deutschen Idealismus aufzunehmen, was naturgemäß nur in nicht-thomistischer Denkweise und Terminologie geschehen konnte, wurden unter neuthomistischer Führung kirchenamtlich verurteilt, wie jüngst durch die Rehabilitation des 1887 postum zensurierten italienischen Theologen und Philosophen Antonio Rosmini (1797-1855) wieder zu Bewußtsein gebracht wurde (Erklärung des Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, vom 1. Juli 2001; vgl. OR vom 30.6./1.7.2001; HerKorr 55 [2001] H. 9, 457-460). Das Aufblühen der historischen Forschung im 19. Jh. hat den Thomismus nicht das geschichtliche Denken gelehrt, sondern ihn gerade in der Überzeugung von der zeitlosen Gültigkeit der thomistischen und darin der römisch-katholischen Lehre bestärkt. „Geschichte" war nicht als solche eine theologische Kategorie (s.o. 5.2.), sondern der Bereich des schlechterdings nicht Wahrheitsfähigen. Zu studieren war sie nur und studiert wurde sie auch nur in der doppelten Erwartung, daß sich dabei zeigte, wie 1. Thomas alle früh- und hochscholastischen Vorstufen überwand und zur einsamen Vollendung führte und 2. wie die thomistische Lehrtradition in Kontinuität mit solcher Höhe stand und bestenfalls noch marginale Präzisierungen anzubringen hatte. So konnte der Thomismus - ein gern gebrauchtes Bild — als „Bollwerk" erscheinen gegen alle Gefährdungen durch die Zeitläufte, die Tagesmoden, das zunehmend antitheologische philosophische Denken und, nicht zuletzt, „gefährliche" Tendenzen von Seiten des ökumenischen Dialogs mit den Kirchen der Reformation. Die erstaunliche Tatsache, daß nicht der Thomas dieses „Bollwerk"-Thomismus, sondern der historisch als Mensch und Christ des 13. Jh. wiederentdeckte Thomas heute zum Anreger philosophischen und theologischen Denkens geworden ist, lenkt abschließend den Blick auf: 7. Thomas

in der gegenwärtigen

7.1. Das Problem der kirchlichen

Theologie Normativität

In Gestalt der neuthomistischen Interpretation (s.o. 6.3.) w a r T h o m a s bis zur M i t t e des 2 0 . J h . im Besitzstand, in manchen (südeuropäischen) Ländern und nicht zuletzt an der römischen Kurie noch länger. Theologische Äußerungen konnten jederzeit auf Ubereinstimmung mit T h o m a s bzw. den 2 4 Thesen überprüft werden und gegebenenfalls der kirchlichen Zensur verfallen. N u r die Fortführung der alten Schulstreitigkeiten und die Kontroverse mit der Tradition der Franziskanertheologie w a r kirchenamtlich unbedenklich. Z w a r hat die Thomasforschung sich je länger, desto weniger an der Freiheit des Fragens hindern lassen, aber formelle Vorstöße gegen die N o r mativität des ( N e u - ) T h o m i s m u s als Interpretationsschlüssel zur kirchlichen Lehre und gar als Garanten der Einheit der Kirche mußten sehr vorsichtig argumentieren. Nachweislich standen historische (Marie-Dominique Chenu; Y v e s C o n g a r ; Henri de - > L u b a c u . a . ) und systematische Neuaufbrüche (Karl - » R a h n e r ; Gustav Siewerth u. a.) in der Gefahr kirchlicher Konflikte.

Noch für das Zweite Vatikanische Konzil war von interessierten Vätern eine Beschlußvorlage De doctrina S. Thomae servanda vorbereitet worden, die auf eine Kanonisierung der Philosophie des Thomas abzielte. Die Methode und die Prinzipien des Thomas sollten „außer Diskussion" stehen und wegen ihrer engen Verknüpfung mit den Dogmen der Kirche wie ein „dogmatisches Faktum" von allen Gläubigen [!] festgehalten und bejaht werden (LThK 2 13 [1967] 706f.). Aber diesem Antrag ist das Konzil ausdrücklich nicht gefolgt - und das bedeutete das Ende einer eng und mechanistisch gehandhabten Normativität des Thomismus. In zwei Zusammenhängen formuliert das Konzil Grundsätze zur Bedeutung des Thomas. Bei der Bemühung zu erfassen, wie „Glaube und Vernunft sich in der einen Wahrheit treffen", dienen „die Kirchenlehrer, besonders der Heilige Thomas von Aquin, als Vorbilder" (Vatikanum II, Erklärung über die christliche Erziehung, Art. 10: LThK 2 13 [1967] 395). Die Studenten der Theologie sollen „lernen, mit dem Heiligen Thomas als Meister (Sancto Thoma magistro) die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu ver-

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stehen, um sie, soweit möglich, zu erhellen" (Dekret über die Ausbildung der Priester, Art. 16: LThK 2 13 [1967] 343f.). Also Vorbildhaftigkeit des Thomas weniger in den materialen Inhalten seiner Lehre als in der Offenheit und dem intellektuellen M u t seiner Fragestellungen! Eine gegenwärtig zu beobachtende Bemühung um eine Ehrenrettung und Aufwertung des (Neu-)Thomismus - wofür man gute Gründe haben kann! - sucht begreiflicherweise diese beiden Konzilsaussagen stark zu machen und inhaltlich zu füllen und kann sich dabei auch auf spätere lehramtliche Äußerungen stützen (Berger). Die alte Normativität des Thomismus, die nicht selten ganze theologische Existenzen gefährden, in Einzelfällen auch zerstören konnte, wird zum Glück für die Kirche und die zu wünschende Fortwirkung der Theologie des Thomas nicht wiederherzustellen sein. 7.2. Thomas

in der gegenwärtigen

katholischen

Theologie

Diese Fortwirkung ist in erstaunlicher Weise festzustellen. M a n kann geradezu von einer Thomas-Renaissance unter den jüngeren Theologen und - bei diesem Autor nicht selbstverständlich - auch Theologinnen sprechen. Dazu nur thesenhafte Hinweise (s. die jüngeren und jüngsten Literaturtitel zu 5. und die Bilanzen in Aquinas as Authority). Zum einen geht die Thomasforschung auf den gewohnten Bahnen weiter, und zwar zunächst die Werkausgaben und Ubersetzungen in die Weltsprachen, die Erschließung durch Indices, die Arbeit der Fachkommissionen, Institute und Fachorgane. Andere große Figuren der mittelalterlichen Theologie lösen nicht im entferntesten solche Forschungsinitiativen aus. Das Jubiläumsjahr 1974 (700jähriger Todestag) wurde schon zu einer Bilanz der Thomasforschung, im Rückblick von heute eine Zwischenbilanz. Was die Themen und Themenbereiche betrifft, so ist, im Gegensatz zur ersten Hälfte des 20. Jh., die Unterscheidung zwischen Thomas und thomistischer Schultradition selbstverständlich — was gar nicht mit Vorwürfen und Abqualifizierungen verbunden sein muß. Von daher ist zunächst die Frage nach der theologischen Methode ein interessierendes Thema der jüngeren Thomasforschung, darunter mit Recht auch seine Methode der Bibelexegese. Inhaltliche Schwerpunktthemen sind: das Verständnis vom Wesen des Glaubens; das Menschenbild mit dem Hauptinteresse auf der Leib-Seele-Einheit und dem Freiheitsproblem. Das meiste Interesse finden theologisch-ethische Themen bei Thomas, von der Grundlegung der Ethik, den theologischen Impulsen seiner philosophischen Ethik, der Frage nach der sittlichen Autonomie, der Tugendlehre, der Lehre vom Gesetz. Eher im Schatten ist heute - im Kontext der aktuellen exegetischen und systematischen Neuorientierungen - die Arbeit an den Details der thomanischen Trinitätslehre, der Christologie und Soteriologie - wohingegen, aus denselben Gründen, die Deutung der „Mysterien" des Lebens Jesu durch T h o m a s geradezu Hochkonjunktur haben. Im Schatten ist auch die Lehre von den Engeln und, mit Einschränkungen, von der Sünde, obwohl auch hier die Grundimpulse weiterwirken. Und schließlich wird T h o m a s zunehmend erforscht zu Themen der Theologie, die er nicht selbst zum Gegenstand eines Traktates gemacht hat, zu denen er aber ungesagte Vorentscheidungen treffen mußte, um seine Werke schreiben zu können: Kirche, Geschichtstheologie, Pneumatologie. Verständlicherweise will man heute auch wissen, was T h o m a s (schon) sagte über die Juden, den Islam, die Frauen. Es ist, hier wie überall, erlaubt, daß gegenwärtige Fragen auch die Themen der Thomasforschung beeinflussen.

Der Ertrag dieser Thomasforschung geht nun umgekehrt in charakteristischer Weise auch ein in die „normale" Arbeit der katholischen Theologie. Die skizzierte Lösung des historischen Thomas aus der beanspruchten normativen Interpretation durch den Thomismus wirkt sich dabei in einer Grundtendenz aus, die sich auf die Formel bringen läßt: vom „authentischen Lehrer" zum „Kirchenvater". Einen „authentischen Lehrer" muß man zitieren, und zwar mit dem Unterton: Damit ist das Problem geklärt. Einen „Kirchenvater" darf man zitieren, mit dem Unterton: Es ist eine Freude, bei ihm Hilfe für ein aktuelles Problem zu finden. In der nachkonziliaren dogmatischen und fundamentaltheologischen Lehrbuchliteratur wie in den theologischen Monographien zu theologischen Einzelthemen ist Thomas, anders als früher, ein Kronzeuge der Tradition, unter Umständen der am intensivsten zu Rate gezogene, aber er hat keineswegs einfach

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das letzte Wort, und: neben ihm stehen nun auch die anderen Großen des Mittelalters, Bonaventura, Duns Scotus, —»Nikolaus von Kues . . . Aber Thomas ist eine und manchmal die klassische Berufungsinstanz. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob die jeweiligen Autoren unter Berufung auf Thomas theologische Fragen und Entwicklungen bremsen oder weitertreiben wollen. Entscheidend ist: An Thomas kann und will niemand vorbei (man prüfe einmal die Personenregister!). Er ist zum „Kirchenvater" geworden, wie Augustin es für das Mittelalter war. Mit einer nüchternen Einschränkung: Dies alles gilt an der Speerspitze der Forschung unter Sachkennern. Ausweislich der Bibliographien gibt es nach wie vor eine breite Literatur von „thomistischen" Thomasarbeiten im alten, von den jüngeren Entwicklungen unbeeindruckten Stil. Es bleibt zu hoffen, daß aus der Speerspitze der Forschung der Konsens der Forschung von morgen wird. Dies gilt auch und besonders für einen letzten Punkt: 7.3. Thomas

im ökumenischen

Dialog

Seit mehr als 40 Jahren gibt es auch eine evangelische Thomasforschung. Reformatorisch orientierte Theologie hatte sich zwar immer schon für Thomas interessiert: als ihren sachlich (nicht: historisch) klassischen Antipoden. Dafür hatten gesorgt: der Umstand, daß die führenden Gegner -»-Luthers im Ablaßstreit Thomisten waren und dessen Lehre mit der der Kirche gleichsetzten; der Aufstieg des Thomismus zur antireformatorischen kirchlichen Lehrnorm nach dem Tridentinum; die Thomas unvermeidlicherweise, wie beschrieben, überschreitenden Entwicklungen im Thomismus. Erst die historische Neuentdeckung des Thomas in der ersten Hälfte des 20. Jh. - die Entdeckung des christlichen Philosophen (Josef Pieper; Etienne Gilson), des originären Theologen (Marie-Dominique Chenu; Edward Schillebeeckx; Yves Congar; Max Seckler), des Exegeten (Beryl Smalley; Henri de Lubac), des geschichtlichen Denkers (Diskussion um den Plan der S.th.) — machten Thomas für evangelische Theologie positiv interessant. Zwar wirkt im Gefolge der Verdikte Luthers gegen Thomas der alte Bann der schnellen, negativ ausgewerteten Zitate und Belege noch nach. Aber an der Speerspitze der Forschung versucht eine evangelische im Verein mit einer ökumenisch fragenden katholischen Thomasforschung, Thomas gezielt in jenes Sachgespräch mit der reformatorischen Theologie einzubringen, das im 16. Jh. durch eine Verkettung widriger theologiegeschichtlicher und kirchenpolitischer Umstände nicht geführt werden konnte. Selbstverständlich mit Schwerpunkt auf den noch nicht oder noch nicht abschließend geklärten Fragen des reformatorisch-katholischen Gesprächs, also: die Lehre von Rechtfertigung und Gnade, das Verständnis von Glaube, Hoffnung und Liebe, die Lehre vom Gesetz und überhaupt die Lehre von den Grundlagen des menschlichen Handelns in der Gnade Gottes, die Frage der „natürlichen Theologie" bzw. der „natürlichen Gotteserkenntnis", die Lehre von den Sakramenten und nicht zuletzt die Lehre von der Kirche. Schon gibt es zu all dem Forschungsberichte, weil die Literatur allmählich unübersehbar wird. Grundtendenz dieser Forschung: mit der Methode einer historisch sachgemäßen „vorkonfessionellen" Thomaslektüre sucht man bei Thomas nach dem „Vätererbe" auch der evangelischen Theologie (Kühn, Via caritatis 13), von dem diese profitieren könnte. Thomas also auf dem Weg zum „Kirchenvater" auch der evangelischen Theologie? Quellen 1. Bibliographien: Pierre Mandonnet/Jean Destrez, Bibliogr. thomiste, Le Saulchoir 1921; hg. u. erg. v. Marie-Dominique Chenu, Paris 2 1960 (BiblThom 1). - BThom 1 (1924)-13 (1965); fortgef. in RLT 1 (1966)-29 (1993); fortgef. in Doctor Angelicus. Int. Thom. Jb. 1 (2001) ff. - Richard Ingardia, Thomas Aquinas. Int. Bibliography 1977-1990, Bowling Green, Oh. 1993. — Fortlaufende Bibliogr. in den Fachorganen (s.u. Quellen 4.). 2. Gesamtausgaben: Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia, 25 Bde., Parma 1852—1873; Neudr. New York 1948 -1950. - Doctoris Angelici Divi Thomae Aquinatis Sacri Ordinis FF. Praedicatorum opera omnia, Paris 1871-1880 (,,Vives"-Ausgabe). - Sancti Thomae Aquinatis doctoris angelici

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opera omnia iussu Leonis XIII édita, Rom 1882ff. („Editio Leonina", bisher 38 Bde, zuletzt Bd. 24/2). - Turin 1948ff. (Turiner oder „Marietti"-Ausgabe, bisher 30 Bde.; mit eingebürgerter Abschnittsnumerierung der nicht in qq. u. aa. eingeteilten Werke). - St. T h o m a e Aquinatis opera omnia, hg. v. Roberto Busa, 7 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1980 (Indicis thomistici supplementum). 3. Auswahlausgaben, Einzelausgaben und Übersetzungen: Sentenzenkommentar: Scriptum super libros sententiarum magistriPetriLombardi episcopiParisiensis, lib. I—II, ed. Pierre Mandonnet, 2 Bde., Paris 1929; lib. I I I - I V dd. 1 - 2 2 , ed. François Moos, 2 Bde., Paris 1933/1947; lib. III in 2 Bde., NA Paris 1956 (für lib. IV dd. 2 3 - 5 0 keine neuere Ed.; s. ersatzweise ed. Busa [s.o.]). De ente et essentia: Uber das Sein u. das Wesen, hg. v. Rudolf Allers, Wien 1936 Darmstadt 2 1953; überprüfter u. berichtigter Nachdr. 1991 (Bibliothek klass. Texte) (lat.-dt.). - Ed. Franz Leo Beeretz, Stuttgart 1979 2 1987 (lat.-dt.). - E d . Hans Seidl, 1988 (PhB 415) (lat.-dt., mit Komm.).-De principiis naturae (Die Prinzipien der Wirklichkeit): ed. Richard Heinzmann, Stuttgart 1999 (lat.-dt., mit Komm.). - Quaestiones Disputatae: Von der Wahrheit - De veritate (Quaestio 1). Ausgew., übers, u. hg. v. Albert Z i m m e r m a n n , 2 1986 (PhB 384) (lat.-dt.). - De la Vérité. Question 2 (La science en Dieu). Intr., trad. et commentaire de Serge-Thomas Bonino, Freiburg i.Ue./Paris 1996 (Vestigia 17) (lat.-franz.). - Über den Lehrer - De Magistro. Quaestiones disputatae de veritate, quaestio XI. Summa theologiae, ps. I, quaestio 117, art. 1, hg., übers, u. kommentiert v. Gabriel Jüssen/ Gerhard Krieger/Jakob H . J . Schneider. Mit einer Einl. v. H . Pauli, 1988 (PhB 412) (lat.-dt.). Boethiuskommentar: Uber die Trinität. Eine Auslegung der gleichnamigen Sehr, des Boethius. In librum Boethii De Trinitate expositio. Ubers, u. Erläuterungen v. Hans Lentz. Mit einer Einf. v. Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1986. - Summa contra Gentiles: hg. v. Karl Albert u.a., 4 Bde., 1974-1996 (TzF 15-19) (lat.-dt.). - Compendium Theologiae: Ed. Rudolf Tannhof, Graz 1963 (lat.-dt.). - Aristoteleskommentare: Prologe zu den Aristoteleskomm., übers, v. Francis Cheneval/ Ruedi Imbach, Frankfurt a . M . 1992 (dt.). - Philosophie: Die Phil, des T h o m a s v. Aquin. Auswahlausg., hg. v. Eugen Rolfes, NA mit Einl. u. Bibliogr. v. Karl Bormann, 2 1977 (PhB 100) (dt.). De rationibus fidei: Ed. Ludwig Hagemann/Reinhold Glei, 1987 (CIsC.L) (lat.-dt. mit Komm.). Summa Theologiae: 5 Bde., Ottawa 1941-1954. - 5 Bde., 1951-1952 (BAC 77.80.81.83.87). Editiones Paulinae, Rom 1962. - DThA (mit Suppl., bisher 30 Bde., lat.-dt., mit Komm.). - Ed. Thomas Gilby/T. Chrysostom O'Brien, 60 Bde., L o n d o n / N e w York 1S64-1979 (ohne Suppl., lat.engl., mit Einf., Anm., Anh. u. Glossaren). - Die Gottesbeweise in der „Summe gegen die Heiden" u. der „Summe der Theol.", hg. v. Horst Seidl, 2 1986 (PhB 330) (lat.-dt. mit Einl. u. Komm.). Fünf Fragen über die intellektuelle Erkenntnis (S.th. I 8 4 - 8 8 ) , hg. v. Eugen Rolfes, NA mit Einl. u. Bibliogr. v. Karl Bormann, 2 1977 (PhB 191). - Uber die Sittlichkeit der Handlung. Summa Theologiae ITI 1 8 - 2 1 . Einl. v. Robert Spaemann, übers, v. Rolf Schönberger, Weinheim 1990 (dt. mit Komm.). - Die Hoffnung (S.th. II-II 17-22), übers, v. Josef Fulko Groner, Anm. u. Komm. v. Arthur Fridolin Utz, Freiburg i.Br. 1987 (dt.). - Recht u. Gerechtigkeit (S.th. II-II 5 7 - 7 9 ) , übers, v. Josef Fulko Groner, Anm. sowie vollst. Überarb. u. erg. Komm. v. Arthur Fridolin Utz. Nachfolgefassung v. Bd. 18 der D T h A , Bonn 1987 (dt.). - Religion, Opfer, Gebet, Gelübde (S.th. II-II 80-88), übers, v. Josef Fulko Groner, Anm. u. Komm. v. Arthur Fridolin Utz, Paderborn 1998 (lat.-dt.). - Schriftkommentare: Das Wort. Die ersten elf Lesungen des 1. Kap. aus dem JohannesKomm. ins Dt. übertr. v. Josef Pieper, München 1935 3 1955. - Der Prolog des Johannes-Evangeliums. Super evangelium St. Joannis lectura (caput I, lectio I - I X ) , eingef. u. erl. v. Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1986. - De unitate intellectus: eingef. u. erl. v. Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1987 (lat.-dt.). - De substantiis separatis: eingef. u. erl. v. Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1989 (lat.-dt.). - Predigten: T h o m a s v. Aquin als Seelsorger. Drei kleine Werke (Glaubensbekenntnis, Vaterunser, Ave Maria), hg. v. Fritz Hoffmann/Alfred Kulok, Leipzig 2 1998 (dt.). Alle weiteren Ausgaben und Übersetzungen bei Gilles Emery (s.u. Lit. zu 2.). Ausführlichere Beschreibung und ebenso Verzeichnis weiterer Ausgaben und Übersetzungen bei Otto Hermann Pesch, T h o m a s v. Aquin [1988] (s.u. Lit. zu 5.) 4 0 4 - 4 0 9 . 4. Hilfsmittel und Organe der Thomasforschung: Ludwig Schütz, Thomas-Lexikon, Paderborn 1881 2 1885; Nachdr. S t u t t g a r t - B a d Cannstatt 1983. - Roy Joseph Deferrari/Mary Inviolata Barry, A Lexicon of St. T h o m a s Aquinas based on the Summa Theologica and Selected Passages from his Other Works, Baltimore, Md./Washington 1948 (engl. Uberarb. v. Ludwig Schütz [s.o.]). Dies., A Complété Index of the Summa Theologica of St. T h o m a s Aquinas, Baltimore, M d . 1956. - Roberto Busa, Index Thomisticus. Sancti T h o m a e Aquinatis Operum O m n i u m Indices et Concordantiae, 49 Bde., R o m / S t u t t g a r t - B a d Cannstatt 1974-1980 (computergestützte Dokumentation des thomanischen Vokabulars vom 9 . - 1 6 . Jh.; auch auf C D - R O M ) . - Roberto Busa, Clavis Indicis Thomistici. Lat.-Engl., R o m / S t u t t g a r t - B a d Cannstatt 1979. - C. Viola, Table générale et index analytique des oeuvres complètes de St. T h o m a s d'Aquin. Un guide pour l'édition Vivès: BPhM 29 (1987) 178-192.

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Indices in den Registerbänden zur S.th. und CG in der Editio Leonina und in der MariettiAusgabe, zu diesen und den anderen Werken auch jeweils in den Übersetzungen. Organe der Thomasforschung sind vor allem: Ang.; BPTF; CTom; DoC; Doctor Angelicus. Int. T h o m . Jb. 1 (2001) ff.; DomSt; D T ; DT(P); EThL; FZPhTh; Gr.; IThQ; M M ; N R T h ; NSchol; RSPhTh; R T h A M ; R T h o m ; Schol.; TFil; T T h ; T h o m . Institute: Commissio Leonina, Grottaferrata (Italien), ab 2002: Paris. - Grabmann-Institut zur Erforschung der ma. Theol. u. Phil., München (Universität). - Pontifical Institute of Médiéval Studies, Toronto (Canada). - Pontificia Universitas St. Thomas Aquinatis („Angelicum"), Rom. - Thomas-Institut, Köln (Universität). - T h o m a s Instituut te Utrecht (Niederlande). Literatur Vorbemerkung: Das folgende Verzeichnis kann naturgemäß nur eine Auswahl aus einer nicht mehr übersehbaren Literatur aus allen Weltsprachen und vielen anderen Sprachen sein. Kriterien der Auswahl sind: 1. Ältere Arbeiten nur, wenn sie eine Wirkungsgeschichte in der Thomasforschung hatten; ansonsten konsultiere man die Bibliographien und die mit Lit. gekennzeichneten Titel. 2. Jüngere Literatur mit Vorrang nach ca. 1960, d.h. nach dem Ende der kirchenamtlichnormativen Bindung der katholischen Theologie und der Thomasforschung an den Neuthomismus. з. Im Zweifel Vorrang der Buchliteratur vor der (oft sehr wichtigen) Aufsatzliteratur. Unter Wichtige Aufsatzsammlungen werden keine Einzeltitel mehr verzeichnet. 4. Nur in Ausnahmefällen auch Buchveröffentlichungen, die nicht ausschließlich T h o m a s gelten, in denen dieser jedoch in gewichtiger Weise einbezogen wird. 5. Es wird nach den Hauptziffern des Artikels gegliedert; auf wichtige Überschneidungen wird hingewiesen. Zu 1.: Gilbert Keith Chesterton, St. T h o m a s Aquinas, London 1933 New York 1956; dt.: T h o m a s v. Aquin, Salzburg 1935 Heidelberg 1957 = Der stumme Ochse. Über T h o m a s v. Aquin, 1960 (HerBü 75); Neudr. Freiburg i.Br. 1978. - Michel-Marie Dufeil, Guillaume de St.-Amour et la polémique universitaire parisienne 1250-1259, Paris 1972. - Willehad Paul Eckert, Stilisierung u. Umdeutung der Persönlichkeit des hl. T h o m a s v. Aquino durch die frühen Biographen: Kirche im Wachstum des Glaubens. FS Mannes Dominikus Köster, Freiburg i.Ue. 1971, 7 - 3 5 . - Horst Fuhrmann, Einladung ins M A , München 1987 3 1988. - Ulrich Horst, Ev. Armut u. Kirche. T h o m a s v. Aquin u. die Armutskontroversen des 13. u. beginnenden 14. Jh., Berlin 1992 ( Q G D O D N F 1). - Ders., T h o m a s v. Aquin u. der Predigerorden: RoJKG 17 (1998) 3 5 - 5 2 . - Das Leben des hl. T h o m a s v. Aquino, erzählt v. Wilhelm v. Tocco u. andere Zeugnisse zu seinem Leben. Übertr. u. eingel. v. Willehad Paul Eckert, Düsseldorf 1965 (enth. die biographischen Quellen aus dem 13. и. 14. Jh.). - Josef Pieper, Hinführung zu T h o m a s v. Aquin, München 1958; u.d.T.: T h o m a s v. Aquin. Leben u. Werk, München 3 1986. - St. T h o m a e Aquinatis vitae fontes praecipuae [sie!], hg. v. Angelico Ferrua, Alba 1968. - Jean-Pierre Torrell, Art. Thomas d'Aquin: DSp 15 (1991) 7 1 8 773. - Ders., Initiation à St. T h o m a s d'Aquin. Sa personne et son œuvre, Freiburg i.Ue. 1994; dt.: Magister Thomas. Leben u. Werk des T h o m a s v. Aquin, Freiburg i.Br. 1995 (Lit.). — James A. Weisheipl, Friar T h o m a s Aquinas. His Life, Thought and Works, New York 1974 2 1983; dt.: Thomas v. Aquin. Sein Leben u. seine Theol., Graz 1980. Siehe auch unten zu 4. und 5. in den Überblicken und Einführungen. Zu 2.: Marie-Dominique Chenu, Intr. à l'étude de St. Thomas d'Aquin, Paris 1950 = 4 1984; dt.: Das Werk des hl. T h o m a s v. Aquin. Vom Vf. durchg. u. verb. dt. Ausg., Ubers., Verz. u. Erg., Heidelberg/Graz 1960 = 1982. - Gilles Emery, Bref catalogue des œuvres de St. Thomas: Torrell, Initiation (s.o. Lit. zu 1.) 4 8 3 - 5 2 5 ; f. die dt. Übers, bearb. v. Ruedi Imbach, ebd. 345 - 374 (verzeichnet jeweils alle Ausg., vorliegende dt. Ubers, u. fremdsprachliche Übers., wenn mit Komm, verbunden). - Ignatius T. Eschmann, A Catalogue of St. Thomas's Works: Etienne Gilson, The Christian Philosophy (s.u. Lit. zu 4.) 3 7 9 - 4 3 9 . - T h o m a s v. Aquin. I. Chronologie u. Werkanalyse, hg. v. Klaus Bernath, 1978 (WdF 188). Die umfangreiche Aufsatz-Literatur zu den literarhistorischen Fragen siehe in der Bibliographie bei Torrell, Initiation (s.o. Lit. zu 1.), bes. unter den Namen Bataillon, Boyle, A. Dondaine, H.-F. Dondaine, Gauthier, Geenen, Gils, Glorieux, Grabmann, Gy, Imbach, Mandonnet, Panella, Pelster, Weisheipl. Zu 3.: Wichtige Aufsatzsammlungen: Albertus Magnus - Doctor universalis 1280/1980, hg. v. Gerbert Meyer/Albert Zimmermann, 1980 (WSAMA.P 6). - Albertus Magnus (1200- 2000): WuA(M) 41 (2000) H . 4 (Themenh.). - Albertus Magnus. Neue Zugänge, Aspekte u. Perspektiven, hg. v. Walter Senner unter Mitarb. v. Henryk Anzulewicz u.a., 2001 ( Q G D O D N F 10). - Aquinas and Problems of his Time, hg. v. Gérard Verbeke/V. Verhelst, 1976 (ML.St 5). - Leonhard E. Boyle, Facing History. A Différent T h o m a s Aquinas (GAufs.), Louvain 2000. - T h e Eternity of the World in the Thought of T h o m a s Aquinas and his Contemporaries, hg. v. Jozef M.B. Wissink,

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Thomas von Bradwardine

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Otto Hermann Pesch

Thomas von Bradwardine (ca. 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

1290-1349) (Quellen/Literatur S. 476)

1. Leben Thomas von Bradwardine wurde in den frühen 90er Jahren des 13. Jh. wahrscheinlich in der Umgebung von Chichester in Sussex geboren und ist als Mathematiker, Naturphilosoph und Theologe hervorgetreten. 1321-1323 war er in -»Oxford Fellow des Balliol College. 1323 wurde er Fellow des Merton College. Hier fand er Anschluß an einen Kreis von Mathematikern, Logikern, Physikern und Astronomen, deren Wirken die Oxforder Universität während der ersten Hälfte des 14. Jh. zu einem führenden Zentrum naturphilosophischer Studien werden ließ. Bradwardines frühe Beschäftigung mit der Mathematik und Philosophie lassen deutlich den fördernden Einfluß dieses anregenden Umfeldes erkennen. Während des Jahrzehnts nach seinem Eintritt in Merton verfaßte er eine Reihe bedeutender Abhandlungen mit einer großen thematischen Spannbreite. Damit gewann er die Protektion des Bischofs von Durham Richard von Bury (1287-1345), der während des zweiten Viertels des 14. Jh. wissenschaftliche Untersuchungen jeder Art anregte und insbesondere die Fellows von Merton förderte. 1335 folgte Bradwardine der Einladung Burys an seinen bischöflichen Hof und fand dadurch Anschluß an einen Kreis der begabtesten Naturphilosophen des 14. Jh. Auch die kirchliche Laufbahn Bradwardines verdankte sich zum Teil dem Einfluß seines bischöflichen Gönners. Etwa zwei Jahre nach seinem Eintritt in Burys Dienst wurde er Kanzler der St. Paulskathedrale in London. 1339 übernahm er zusätzlich die Aufgabe des Hofkaplans und Beichtvaters Königs Eduard III. (1327-1377). Sie forderte ausgedehnte Reisen im Gefolge des Königs innerhalb wie außerhalb Englands. Trotz der Belastung durch seine Amtspflichten trat er auch weiterhin als Gelehrter hervor. Während der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre des 14. Jh. gewann er durch seine Predigt- und Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen den Ruf eines der fähigsten englischen Theologen, dessen Gelehrsamkeit ihm den Ehrennamen doctor profundus eintrug. Seine kirchliche Laufbahn erreichte ihren Höhepunkt mit seiner Weihe zum Erzbischof von Canterbury im Juli 1349 in Avignon. Schon kurz darauf fiel er jedoch der Pest zum Opfer und verstarb am 26. August 1349 in Lambeth. 2. Werk Bradwardines Schriften verteilen sich auf zwei Hauptgruppen, einmal seine Arbeiten zur Naturphilosophie mit Beiträgen zur Mathematik, Kontinuität und Physik der Bewegung, und zum anderen seine theologischen Schriften, die sich bemühen, Natur-

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Thomas von Bradwardine

karnation des Gottessohns bei T h o m a s v. Aquin, 1978 ( B H T h 57). - O t t o H e r m a n n Pesch, Die theol. Grundlagen der Ethik bei T h o m a s v. Aquin u. Martin Luther: Fondements de l'éthique chrétienne, hg. v. Jean-Louis Leuba, N a m u r 1995 (Publications de l'Académie int. des sciences religieuses) 2 5 3 - 2 9 2 . - Ders., Scholastik - Gottesdienst des Denkens: Veritas et communicatio. FS Ulrich Kühn, hg. v. Heiko Franke u . a . , Göttingen 1992, 1 8 7 - 2 0 1 . - Ders., „Behold, I a m doing a N e w T h i n g " (Is. 4 3 . 1 9 ) ? History of Salvation and Historic M o m e n t s of Transition in T h o m a s Aquinas and M a r t i n Luther: ScEs 5 3 (2001) 1 2 3 - 1 4 2 . - Ders., Kleines Plädoyer f. eine „asketische" Lehre v o m Dreieinen Gott. A m Beispiel T h o m a s v. Aquin u. Martin Luther: Weg u. Weite. FS Karl Lehmann, hg. v. Albert Raffelt unter Mitwirkung v. Barbara Nichtweiß, Freiburg i.Br. 2 0 0 1 , 171 - 1 9 6 . - Eugene F. Rogers Jr., T h o m a s Aquinas and Karl Barth. Sacred Doctrine and the Natural Knowledge of God, N o t r e D a m e , Ind./London 1995. - H a n n s Rückert, Rechtfertigungslehre (s.o. Lit. zu 6.). - George Sabra, T h o m a s Aquinas' Vision o f the Church. Fundamentals of an Ecumenical Ecclesiology, 1987 ( T T S 27) (Lit.). - S. H . Siedl, T h o m a s v. Aquin u. die moderne Exegese: Z K T h 93 (1971) 2 9 - 44.

Otto Hermann Pesch

Thomas von Bradwardine (ca. 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

1290-1349) (Quellen/Literatur S. 476)

1. Leben Thomas von Bradwardine wurde in den frühen 90er Jahren des 13. Jh. wahrscheinlich in der Umgebung von Chichester in Sussex geboren und ist als Mathematiker, Naturphilosoph und Theologe hervorgetreten. 1321-1323 war er in -»Oxford Fellow des Balliol College. 1323 wurde er Fellow des Merton College. Hier fand er Anschluß an einen Kreis von Mathematikern, Logikern, Physikern und Astronomen, deren Wirken die Oxforder Universität während der ersten Hälfte des 14. Jh. zu einem führenden Zentrum naturphilosophischer Studien werden ließ. Bradwardines frühe Beschäftigung mit der Mathematik und Philosophie lassen deutlich den fördernden Einfluß dieses anregenden Umfeldes erkennen. Während des Jahrzehnts nach seinem Eintritt in Merton verfaßte er eine Reihe bedeutender Abhandlungen mit einer großen thematischen Spannbreite. Damit gewann er die Protektion des Bischofs von Durham Richard von Bury (1287-1345), der während des zweiten Viertels des 14. Jh. wissenschaftliche Untersuchungen jeder Art anregte und insbesondere die Fellows von Merton förderte. 1335 folgte Bradwardine der Einladung Burys an seinen bischöflichen Hof und fand dadurch Anschluß an einen Kreis der begabtesten Naturphilosophen des 14. Jh. Auch die kirchliche Laufbahn Bradwardines verdankte sich zum Teil dem Einfluß seines bischöflichen Gönners. Etwa zwei Jahre nach seinem Eintritt in Burys Dienst wurde er Kanzler der St. Paulskathedrale in London. 1339 übernahm er zusätzlich die Aufgabe des Hofkaplans und Beichtvaters Königs Eduard III. (1327-1377). Sie forderte ausgedehnte Reisen im Gefolge des Königs innerhalb wie außerhalb Englands. Trotz der Belastung durch seine Amtspflichten trat er auch weiterhin als Gelehrter hervor. Während der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre des 14. Jh. gewann er durch seine Predigt- und Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen den Ruf eines der fähigsten englischen Theologen, dessen Gelehrsamkeit ihm den Ehrennamen doctor profundus eintrug. Seine kirchliche Laufbahn erreichte ihren Höhepunkt mit seiner Weihe zum Erzbischof von Canterbury im Juli 1349 in Avignon. Schon kurz darauf fiel er jedoch der Pest zum Opfer und verstarb am 26. August 1349 in Lambeth. 2. Werk Bradwardines Schriften verteilen sich auf zwei Hauptgruppen, einmal seine Arbeiten zur Naturphilosophie mit Beiträgen zur Mathematik, Kontinuität und Physik der Bewegung, und zum anderen seine theologischen Schriften, die sich bemühen, Natur-

T h o m a s von Bradwardine

475

philosophie und Theologie in einen systematischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Zur ersten Gruppe gehören: Geometría speculativa (aus den frühen 1320er Jahren), eine Abhandlung über die euklidische Geometrie; De incipit et desinit (1323), ein früher Beitrag zur Frage der Kontinuität; Tractatus de futuris contingentibus (Mitte der 1320er Jahre), eine Untersuchung zum Problem der kontingenten Zukunft; Tractatus de proportionibus (1328), eine mathematische Annäherung an das Studium der Bewegung; Tractatus de continuo (späte 1320er Jahre) mit einer philosophischen Beweisführung für die aristotelische Vorstellung der unendlichen Teilbarkeit. Beachtliche Gründe sprechen dafür, daß Bradwardine auch der Verfasser einer kurzen Abhandlung über das künstliche Gedächtnis, De arte memorativa, ist. Keine dieser Schriften ist im strengen Sinn theologisch, doch sie eröffnen einen Zugang zum Verständnis des Umgangs Bradwardines mit philosophischen und theologischen Fragen. Insbesondere belegen sie sein Bestreben, vor dem Eintreten in metaphysische Erörterungen physikalische Grundsätze aufzustellen und zu verifizieren. Tatsächlich zeigen auch seine theologischen Arbeiten in ihrem Aufbau eine bemerkenswerte Nähe zu einer mathematischen Beweisführung. Durchgängig gibt sich in den philosophischen Schriften seine Beherrschung der aristotelischen Naturphilosophie wie auch sein Vertrauen in sie zu erkennen. Das theologische Hauptwerk Bradwardines, De causa Dei contra Pelagium (1346), greift zur Verfechtung der Aussage von Gottes Allwissenheit und Allmacht sowohl auf die aristotelische Naturphilosophie wie auf die augustinische Theologie zurück. Den Anlaß zu dieser Arbeit boten zeitgenössische Spekulationen über Wesen und Ausmaß des Vorherwissens Gottes. Insbesondere beschäftigte Bradwardine die Frage, ob Gottes vollkommenes und vollständiges Vorherwissen zukünftigen kontingenten Geschehens (-»Kontingenz) durch den freien -»Willen des Menschen veränderbar sei. Er stellte sich gegen die von Wilhelm von —»Ockham u.a. vertretene Auffassung, Gott könne, um sich dem freien Willen des Menschen anzupassen, zuweilen zulassen, daß sein Vorherwissen unvollständig bleibe. In Anlehnung an -»Boethius behauptete Bradwardine demgegenüber, daß Gottes vollständiges Wissen der Z u k u n f t dem freien Willen des Menschen gar nicht entgegenstehe, da Gottes Wahrnehmung der -»Zeit sich wesenhaft von der unseren unterscheide: Menschen existieren in der Zeit und erfahren diese als kontinuierliche Geschehensabfolge; Gott aber existiert außerhalb der Zeit und erfaßt alle geschaffenen Ereignisse in einem einzigen Augenblick. Aus ihrer philosophischen Einbettung gelöst, kann die Auffassung Bradwardines schroff deterministisch erscheinen. Aus der Sicht seiner grundlegenden philosophischen Arbeiten zu den Fragen von Kontingenz, Kontinuität und Zeit aber enthüllt sich ihre Scharfsinnigkeit und Originalität. Sie hat zweifellos eine lebhafte zeitgenössische Diskussion über Zeit, Kontingenz, -»Gnade und freien Willen angeregt. 3.

Wirkung

Aufgrund seiner bemerkenswerten Laufbahn als Naturphilosoph und Theologe und seiner öffentlichen Tätigkeit hat Bradwardine beträchtlichen Einfluß ausgeübt. Bis zum späten 14. Jh. hatten seine naturphilosophischen Abhandlungen allenthalben in Europa den Rang von Standardlehrbüchern für den Universitätsunterricht gewonnen. Z u Lebzeiten stand er in einem lebhaften Gedankenaustausch mit anderen zeitgenössischen Theologen wie Thomas von Buckingham (gest. nach 1353), Robert Holcot (gest. 1349), Adam von Wodeham (gest. 1358), Johannes von Mirecourt und -»Gregor von Rimini. Seine Behandlung von -»Prädestination, Gnade und freiem Willen in De causa Dei hatte Auswirkungen auf die Theologie von J. -»Wyclif, auch wenn sich dessen Zugang zu diesem Themenkreis wesentlich von dem Bradwardines unterschied. Uber Wyclif kamen auch spätere Reformer mit den Vorstellung Bradwardines in Berührung. Er ist zuweilen als ein Vorläufer der -»Reformation angesehen worden, doch darf die mittelalterliche Einbindung seines Denkens nicht außer acht bleiben. Seine Vorstellungen

476

T h o m a s von Bradwardine

waren z w a r in ihrer Ausgestaltung neuartig und boten sich gelegentlich auch streitbar dar, vertraten aber in den Fragen der G n a d e , des freien Willens und der Prädestination im Vergleich zu den Spekulationen anderer zeitgenössischer Theologen doch eher eine konservative Haltung. Quellen Thomas Bradwardine, De causa Dei contra Pelagium et de virtute causarum ad suos Mertonenses, libri très, ed. Henry Seville, London 1618 (Nachdr. Frankfurt a.M. 1964). - Le De futuris contingentibus de Thomas Bradwardine, ed. Jean-François Genest: RechAug 14 (1979) 249 - 3 3 6 . - Geometry and the Continuum in the Fourteenth Century. A Philosophical Analysis of Thomas Bradwardine's Tractatus de Continuo, ed. John Emery Murdoch, Diss. Univ. of Wisconsin, Madison, Wis. 1957. - Thomas Bradwardine, Geometria speculativa. Latin Text and Engl. Transi, with an Intr. and Comm. by George Molland, Stuttgart 1989 (Boethius 18). - An Intriguing Fourteenth-Century Document. Thomas Bradwardine's De arte memorativa, ed. Hüner Gillmeister: ASNS 220 (1983) 1 1 1 - 1 1 4 . - Thomas Bradwardine's Treatise on „incipit" and „desinit". Ed. and Intr. by Lauge Olaf Nielsen: Cahiers de l'Institut du moyen-âge grec et latin 42 (1982) 1 - 8 3 . Thomas of Bradwardine, His Tractatus de Proportionibus. Its Significance for the Development of Mathematical Physics, ed. and transi, by H. Lamar Crosby Jr., Madison, Wis. 1955 2 1961 (Publ. in Medieval Science 2). - Bradwardine (?) on Ockham's Doctrine of Consequences. An Ed. by Niels Jorgen Green-Pedersen: Cahiers de l'Institut du moyen-âge grec et latin 42 (1982) 8 5 - 1 5 0 . Literatur Edith Wilks Dolnikowski, Thomas Bradwardine. A View of Time and a Vision of Eternity in Fourteenth-Century Thought, Leiden 1995. - Brian Fleming, Thomas Bradwardine. Oxford Scholar, Royal Servant and Archbishop of Canterbury, Diss. Univ. catholique de Louvain 1964. - JeanFrançois Genest/Katherine H. Tachau, La lecture de Thomas Bradwardine sur les Sentences: AHDL 56 (1990) 3 0 1 - 3 0 6 . - Sebastian Hahn, Thomas Bradwardinus u. seine Lehre v. der menschlichen Willensfreiheit, 1905 (BGPhMA 5/2). - Zenon Kaluza, La prétendue discussion parisienne de Thomas de Bradwardine avec Thomas de Buckingham. Témoignage de Thomas de Cracovie: R T h A M 43 (1976) 2 0 9 - 2 3 6 . - Ders., Le problème du „Deum non esse" chez Etienne du Chaumont, Nicolas Aston et Thomas Bradwardine: Mediaevalia Philosophia Polonorum 24 (1979) 3 - 1 9 . - Justin Ferdinand Laun, Prädestination bei Wiclif u. Bradwardin: Imago Dei. Beitr. zur theol. Anthropologie. FS Gustav Krüger, hg. v. Heinrich Bornkamm, Gießen 1932, 6 3 - 8 4 . - Ders., Thomas v. Bradwardin, der Schüler Augustins u. Lehrer Wyclifs: Z K G 47 (1928) 3 3 3 - 3 5 6 . - Ders., Recherches sur Thomas Bradwardin, précurseur de Wyclif: RHPhR 9 (1929) 2 1 7 - 2 3 3 . - Gordon Leff, Bradwardine and the Pelagians. A Study of his „De causa Dei" and its Opponents, 1957 (CSMLT NS 5). - Donald J . McCarthy, Free Choice and Liberty According to Thomas Bradwardine, Diss. Univ. of Toronto 1965. - Alister E. McGrath, The Anti-Pelagian Structure of „Nominalist" Doctrines of Justification: EThL 57 (1981) 1 0 7 - 1 1 9 . - A. George Molland, An Examination of Bradwardine's Geometry: Archive for the History of Exact Sciences 19 (1978) 1 1 3 - 1 7 5 . - Calvin Normore, Future Contingents: Cambridge History of Later Medieval Philosophy, ed. Norman Kretzmann/Anthony Kenny/Jan Pinborg, Cambridge 1982, 3 5 8 - 3 8 1 . - Heiko A. Oberman, Archbishop Thomas Bradwardine. A Fourteenth-Century Augustinian. A Study of his Theology in its Hist. Context, Utrecht 1958. - Ders., Thomas Bradwardine. Un précurseur du Luther?: RHPhR 40 (1960) 1 4 6 - 1 5 1 . - John Adam Robson, Wyclif and the Oxford Schools. The Relation of the „Summa de ente" to Scholastic Debates at Oxford in the Later Fourteenth Century, 1961 (CSMLT 8). Beryl Roland, Bishop Bradwardine on the Artificial Memory: J W C I 41 (1978) 3 0 7 - 3 1 2 . - Marie Louise Rouré, La problématique des propositions insolubles au XIII siècle - William Shyreswood, Walter Burleigh et Thomas Bradwardine: AHDL 37 ( 1 9 7 0 - 7 1 ) 205 - 3 2 6 . - Paul Vincent Spade, Insolubilia and Bradwardine's Theory of Signification: AEPHE 85 (1977-78) 3 9 1 - 3 9 3 . - Eleonore Stump/Norman Kretzmann, Eternity: JPh 78 (1981) 4 2 9 - 4 5 8 . - Edith Dudley Sylla, Compounding Ratios. Bradwardine, Oresme, and the First Ed. of Newton's Principia: Transformation and Tradition in the Sciences. Essays in Honor of I. Bernard Cohen, ed. Everett Mendelsohn, Cambridge 1 9 8 4 , 1 1 - 4 3 . -Graziella Frederice Viscovini, Due comment] anonimi al „Tractatus proportionum" di Tommaso Bradwardine: Rinasc. 2. Ser. 19 (1979) 2 3 1 - 2 3 3 . - James A. Weisheipl, Ockham and Some Mertonians: MS 30 (1968) 1 6 3 - 2 1 3 . - Ders., Repertorium Mertonense: MS 31 (1969) 1 7 4 224. - Ders., Ockham and the Mertonians: The History of the Univ. of Oxford. I. The Early Oxford Schools, ed. Jeremy I. Catto, Oxford 1984, 6 0 7 - 6 5 8 . - Ders./Heiko A. Oberman, The Sermo Epinicius ascribed to Thomas Bradwardine (1346): AHDL 26 (1958) 295 - 329. Edith Wilks Dolnikowski

Thomas von Cantimpré

477

Thomas von Cantimpré (um 1201—um 1270) 1. Leben

1.

2. Werk und Wirken

(Quellen/Literatur S. 479)

Leben

Als Angehöriger der Adelsfamilie De oder Du Mon wurde Thomas um 1201 in Bellinghem bei Leeuw St. Pierre südwestlich von Brüssel geboren. Mit fünf Jahren wurde er aufgrund eines Gelübdes seines Vaters Oblate eines Klosters in Lüttich. Unter dem Eindruck einer Kreuzzugspredigt des Jacques de Vitry (1160/70-1240) wurde er 1217 Novize des Augustiner-Chorherrenstifts Cantimpré bei Cambrai. 1232 trat er in Löwen in den Dominikanerorden über und wurde bald nach 1232 Schüler von -> Albert dem Großen im Studium generale der Dominikaner in Köln, bevor er etwa 1 2 3 7 - 1 2 4 0 im Konvent St. Jacques in Paris wirkte. Dort nahm er nach eigener Angabe 1238 an einem Ordenskapitel teil (Bonum universale 1,19,5: ed. Colvenerius [1605]). Ohne es zum Magister der Theologie gebracht zu haben, wurde er nach Löwen zurückgerufen, wo man ihn 1246 zum Subprior und Lektor wählte. Wegen der noch für 1258 von ihm selbst bezeugten Arbeit an seinem Spätwerk, dem Bonum universale (2,57,42), das er dem Ordensgeneral von 1254 bis 1263, Humbertus de Romanis (gest. 1277), gewidmet hat, und dem späten Abschluß der Vita des Abtes Johannes muß er nach 1263 gestorben sein, vermutlich um 1270. 2. Werk und

Wirken

Als -»Augustiner-Chorherr verfaßte Thomas 1.) die Vita Ioannis Cantipratensis, des Gründungsabtes seines Klosters Johannes (gest. 1205/10; Arbeit an der Vita 1 2 2 3 1228, Abschluß erst nach 1260), 2.) eine Vita der Begine Maria von Oignies (1177/781213) 1231 unter dem Namen eines Frater Nicolaus als Ergänzung zur Biographie ihres Beichtvaters, Jacques de Vitry, und 3.) 1232 eine Vita der Reklusin und Wundertäterin Christina von Sint Truiden (1150-1224) nach Erkundigungen bei ihrer Freundin Ivetta von Huy (gest. 1227/28). Als Dominikaner vollendete er seine Naturenzyklopädie De natura rerum (1225/26ca. 1241), die durch folgende Eckdaten bestimmt ist: Beginn der Enzyklopädie nach Nat. rer. 1,26 zur Zeit des Bischofsamtes von Jacques de Vitry in Akkon, der im Prolog noch lebend als Kardinalbischof von Tusculum/Frascati erwähnt wird, 14 bis 15 Jahre Arbeit am Werk nach Aussage des Epilogs, Nat. rer. 19,7, Z. 8 f. (ed. Boese 414) und 1241 Aufschließung einer neuen Zinnmine in Deutschland nach Nat. rer. 15,6, Z. 2 f. (ed. Boese 377). Das nur in zwei Handschriften in der Urform in 19 Büchern erhaltene Werk wurde nach dem von H. Boese 1969 entdeckten Handexemplar des Thomas (London, British Library, MS Harley 3717; Boese, Textüberlieferung) vom Autor bald nach 1241 vielfach durch Zusätze (vor allem im 1. Buch über die menschlichen Körperteile a capite ad plantam pedis) und ein 20. Buch De ornatu celi et motu syderum, fast wörtlich nach Buch 2 der Philosophia mundi (PL 1 7 2 , 3 9 - 1 0 2 ) des Wilhelm von Conches (um 1 0 8 0 - u m 1154), erweitert ( = Thomas II). Mindestens 114 Handschriften mit unterschiedlichen Textänderungen und individuellen Zusätzen oder Kürzungen aus dem 13. bis 15. Jh. sind erhalten. Im Codex Cusanus 203 aus der 2. Hälfte des 13. Jh. und anderen Handschriften liegt z.B. eine erheblich verkürzte Fassung, eine Versio abbreviata, vor, und die Handschrift 1062/1270 der Stadtbibliothek in Trier aus dem 14. Jh. läßt bewußt alle Tiere des Orients, die also nicht in Mitteleuropa vorkommen, fort (vgl. die vorläufige Liste bei Boese, Textüberlieferung 54f.).

Thomas bekennt im Epilog 19,7, Z. 9—12, Auslöser seiner Naturenzyklopädie sei eine Anregung des -»Augustin in De doctrina Christiana (11,39,59) gewesen. Das Werk beginnt mit drei Büchern über den Menschen: 1.) über seine Körperteile von Kopf bis Fuß, deren spezifische Krankheiten und zum Teil ihre Heilmittel, eine verkürzte Fassung des pseudo-aristotelischen Briefes an Alexander den Großen über die Erhaltung der

478

T h o m a s von Cantimpré

Gesundheit und zum Schluß die sieben Lebensperioden von der Geburt bis zum Tod (Buch 1); 2.) über seine Seele, fast ausschließlich nach dem wahrscheinlich von dem Zisterzienser Aicher von Clairvaux (12. Jh.) stammenden pseudo-augustinischen Traktat De spiritu et anima (Buch 2; vgl. Norpoth); 3.) die monströsen Menschen des Orients (Buch 3). Diese Ungeheuer leiten über zu den Tieren, welchen in jeweils alphabetischer Reihenfolge die Bücher 4 bis 9 gewidmet sind (Vierfüßer, Vögel, Meerungeheuer, Fische, Schlangen und Würmer, d.h. niedere Tiere). Die folgende Trias (Bücher 1 0 - 1 2 ) behandelt die Pflanzen (Bäume, aromatische Bäume und Sträucher sowie Kräuter). Es folgen in jeweils einem Buch die wundersamen Quellen (13), die kostbaren Steine (14), die sieben Metalle (15), die sieben Erdregionen mit ihren Feuchtigkeiten wie Tau und Regen (16), die sieben Planeten (17), die meteorologischen Erscheinungen wie Donner und Blitz, Winde, Wolken, Nebel und der Regenbogen (18), die vier Elemente (19) und schließlich das mittelalterliche astronomische Weltmodell mit dem Tierkreis, seinen um die Erde kreisenden Planeten, der Sonnen- und Mondfinsternis und dem Kometen (20). T h o m a s hat, beginnend mit der lateinischen Übertragung (ca. 1210) der 19 Tierbücher des -»Aristoteles (De animalibus 1 - 1 0 ; de partibus animalium 1 1 - 1 4 ; de generatione animaltum 15—19) aus dem Arabischen durch Michael Scotus (vor 1 2 0 0 - u m 1235), eine große Anzahl von antiken und mittelalterliche Quellenautoren, die zum Teil im Prolog und im Kontext genannt werden, herangezogen. Ihre selten wörtlich, meistens aber in eigener Formulierung angeführten Aussagen hat T h o m a s zu einem interessanten „Netzwerk unterschiedlicher Informationen über die Natur verarbeitet" (Hünemörder/ Ruh 842). Dabei stehen die nicht sehr häufigen eigenen christlichen Moralisationen, hauptsächlich bei den Tieren, offensichtlich weniger im Vordergrund als das sachliche Erkenntnisinteresse an der Natur. Dennoch sollte das Werk ein umfassendes Handbuch hauptsächlich für Ordensgeistliche sein, um ihre Predigten zur Stärkung des Glaubens und zur Verbesserung der Sitten durch entsprechende Abschweifungen und Exempel aus der Natur aufzulockern und zu würzen (Prolog, Z . 91—96). Wieweit Thomas sein Ziel erreicht hat, läßt sich erst absehen, wenn wenigstens ein Teil der lateinischen Predigten des Hohen und Späten Mittelalters (Schneyer) in Ausgaben zur Verfügung steht. Auf jeden Fall wurde die in den Handschriften meist anonyme Enzyklopädie bereits um 1256/60 von Albert dem Großen für die Bücher 2 2 - 2 6 seines Aristoteles-Kommentars De animalibus ausgiebig, aber kritisch (Hünemörder, Kritik) benutzt. Der Niederländer Jakob van Maerlant (um 1235-um 1300) übertrug in seinem Werk Naturen Bloeme (vgl. Verwijs) die ersten 15 Bücher in mittelniederländische Reime. Zwischen 1261 und 1264 hat auch sein Namensvetter Thomas von Aquino die in Nat. rer. 4,33, p. 127 geschilderten beiden Jagdmethoden auf den Elefanten, das Symbol des Teufels, in seine Verbalerklärung des Buches Hiob, die Expositio super lob ad litteram zu lob 40,19, Z. 4 7 5 - 5 0 8 (Sancti Thomae de Aquino Opera omnia, Rom, XXVI 1965), übernommen. Carlos Steel (25f.) weist darauf hin, daß offensichtlich Thomas von Aquino mit der Enzyklopädie während seines Studium generale bei den Dominikanern in Orvieto in Berührung gekommen ist. Den größten Erfolg erzielte jedoch ein unbekannter Kompilator, der im süddeutschen oder österreichischen Raum bereits um 1250 eine ebenfalls anonyme Bearbeitung anfertigte, welche mehrere Redaktionen erlebte. 1912 wurde diese Fassung als eine „dritte Gruppe" von ThomasHandschriften bezeichnet (Ferckel 15ff.) und 1961 als „Thomas III" (Brückner 19). Der künftige Herausgeber Benedikt Konrad Vollmann (Thomas) unterscheidet aufgrund der handschriftlichen Überlieferung einen nur erschließbaren Ur-Thomas III, eine gleichfalls nicht erhaltene weitere Bearbeitung Thomas Illa-b und deren Aufspaltung in zwei Handschriften-Familien Thomas lila und Thomas Illb (Vollmann, Enzyklopädie). Nur in der Familie Thomas lila, wozu immerhin neun Handschriften gehören, findet sich am Anfang ein neuer Kurzprolog, ein Abkürzungsverzeichnis und ein völlig neues 20. Buch mit offenbar zeitgenössischen Rezepten gegen viele Krankheiten. Abgesehen von Umstellungen und kleineren Kürzungen des Textes läßt Thomas Illb diesen Prolog und Buch 20 sofort und später noch weitere Teile fort. Die lateinische Hauptvorlage von Konrads von Megenberg Buch der Natur (1348/50) gehörte zu der noch durch eine erhaltene Handschrift repräsentierten Unterfamilie Thomas IHbl. Die vielen Textzeugen der Vulgata-Fassung mit ihren zahlreichen Uberlieferungsfehlern und der wichtigen Voranstellung der Bücher 16—19 von Thomas II bilden die Unterfamilie Thomas IIIb2. Fast alle zusätzlichen Kapitel des Ur-Thomas III stammen

T h o m a s von C a n t i m p r é

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aus einer weiteren Naturenzyklopädie mit dem Incipit Triplex est esse, die zu Unrecht dem Karmeliter John Folsham (gest. 1348) zugeschrieben und um 1245 wahrscheinlich in England zusammengestellt wurde (Hünemörder, Lösung). Eine kritische Ausgabe von Dmitri Abramov ist fast abgeschlossen. Der im Manuskript fertige Kommentar von Christian Hünemörder zu Thomas III berücksichtigt diese Quelle sogar für die nur noch bei Thomas lila erhaltenen Textstellen. U m 1258 vollendete T h o m a s sein moraldidaktisches Bonum universale de apibus, worin er die Lebensweise der Bienen zu derjenigen der Prälaten (Buch 1) und der Klosterbrüder (subditi, Buch 2) in Beziehung setzt und geistlich-moralisch ausdeutet. Die stoffliche Grundlage für seine Moralisierungen bildet der T e x t des Bienenkapitels (9,2) seiner Enzyklopädie, auf die T h o m a s im Prolog rückverweist. D u r c h die Nennung der N a m e n vieler Dominikaner ermöglicht das Werk einen guten Einblick in die damalige Ordensgeschichte. 1 2 4 0 verfaßte T h o m a s die Lebensbeschreibung der Reuerin M a r g a r e t e von Y p e r n ( 1 2 1 6 - 1 2 3 7 ) im Auftrag ihres dominikanischen Beichtvaters Siger von Lille (vgl. Meersseman). U m 1 2 3 0 w a r T h o m a s der Zisterzienserin L u t g a r t von Tongeren ( 1 1 8 2 - 1 2 4 6 ) im Kloster Aywières begegnet, mit der er bis zu ihrem Tode freundschaftlich verbunden blieb. E r setzte der Heiligen und Schutzpatronin von Flandern noch in ihrem Todesjahr durch ihre Vita De S. Lutgarde virgine ein sehr persönliches literarisches Denkmal. T h o m a s war sicherlich ein für seine Z e i t guter lateinischer Stilist, wenn auch nicht ohne Prätention. Als Dominikaner gehörte er z w a r nicht zur Ordenselite, wurde aber offenbar neben seiner Tätigkeit als Subprior und Lektor in L ö w e n vor allem als H a giograph und Erzähler erbaulicher Geschichten im Bonum universale geschätzt. D a ß seine Naturenzyklopädie sehr schnell bearbeitet, von M ä n n e r n wie Albertus M a g n u s und T h o m a s von Aquino zitiert wurde und eine so große handschriftliche Verbreitung v o m 13. bis 15. J h . erzielte, hat ihn wohl schon selber überrascht, so daß er sich erst etwa 2 0 J a h r e nach ihrer Vollendung als ihr A u t o r zu erkennen g a b mit der Dedikation: Kevolvi autem librum illum De natura rerum, quem ipse multo labore per annos quindecim de diversis auctoribus utilissime compilavi (Ich habe aber jenes Buch über die N a t u r der Dinge, das ich selber mit vieler M ü h e fünfzehn J a h r e lang auf sehr nützliche Weise aus unterschiedlichen Autoren zusammengestellt habe, erneut aufgeschlagen). Quellen Liber de natura rerum: Liber de natura rerum. I. Text, hg. v. Helmut Boese, Berlin 1973. Konrad v. Megenberg, Buch der Natur, hg. v. Franz Pfeiffer, Stuttgart 1861 = Hildesheim 1962. - Eelco Verwijs (Hg.), Jacob van Maerlant's Naturen Bloeme, Groningen 1878 = Arnhem 1980. - Bonttm universale de apibus: Bonum universale de apibus, hg. v. Georgius .CoJvenerius, Duaci 1597; 1605; 1627 (sowie etwa 125 Hs.). - Vita der Maria v. Oignies: De B. Maria Oigniacensi Supplementum auctore coaevo Fr. Nicoiao, Canonico Regulari coenobii Campratani: ActaSS Junii IV, Antwerpen u.a. 1643ff., 6 6 6 - 6 7 8 . - Vita der Christina v. Sint Truiden: Vita S. Christinae Mirabilis virginis Trudopolitanae auctore Thoma Cantipratano OP: ActaSS Julii V, Antwerpen u.a. 1643ff., 6 3 7 - 660. - Vita der Margareta de Ypris: G. Meersseman, Les frères prêcheurs et le mouvement dévot en Flandre au XHIe siècle: AFP 18 (1948) 1 0 6 - 1 3 0 . - Vit a der Lutgart v. Tongeren: De S. Lutgarde virgine S.O.C. Aquiriae in Brabantia auct. Thoma Cantipratano coevo: ActaSS Junii III, Antwerpen u.a. 1643 ff., 2 3 1 - 2 6 2 ; Ed. der lat. Kurzfassung: G. Hendrix, Primitive Versions of Thomas of Cantimprés „Vita Lutgardis": Citeaux 29 (1978) 1 6 2 - 1 7 4 . - Vita loannis Cantipratensis: R. Godding, Vita loannis Cantipratensis: R H E 76 (1981) 2 4 1 - 3 1 6 . Literatur Baudouin van den Abeele, Bestiaires encyclopédiques moralisés. Quelques succédanés de Thomas de Cantimpré et de Barthélémy l'Anglais: Reinardus, Amsterdam, 7 (1994) 209 - 228. - Helmut Boese, Zur Textüberlieferung v. Thomas Cantimpratensis' Liber de natura rerum: AFP 39 (1969) 5 3 - 6 8 . - J. H. Bormans, Thomas de Cantimpré indiqué comme une des sources où Albert le Grand et surtout Maerlant ont puisé les matériaux de leurs écrits sur l'histoire naturelle: BASB 19 (1852) 1 3 2 - 1 5 9 . - Annemarie Brückner, Quellenstud. zu Konrad v. Megenberg. Thomas Cantimpratanus „De animalibus quadrupedibus" als Vorlage im „Buch der Natur", Diss. Univ. Frankfurt a.M. (1959) 1961. - A. Debroux, Thomas de Cantimpré (vers 1200-1270). L'homme et son œuvre

480

Thomas von Kempen

écrite. Essai de bibliographie, M s . m a s c h . Univ. Louvain 1979. - Christoph Ferckel, Die Gynäkologie des T h o m a s v. Brabant. Ein Beitr. zur Kenntnis der ma. Gynäkologie u. ihrer Quellen, München 1912 (Alte Meister der Medizin u. Naturkunde 5). - Christian Hünemörder, Probleme der Intention u. Quellenerschließung der sog. 3. Fassung des „Liber de natura r e r u m " des T h o m a s v. Cantimpré: Ewald Könsgen (Hg.), A r b o r a m o e n a comis, Stuttgart 1 9 9 0 , 2 4 1 - 2 4 9 . - Ders., Hochmittelalterliche Kritik a m Naturkundlich-Wunderbaren durch Albertus Magnus: Dietrich Schmidtke (Hg.), Das Wunderbare in der ma. Lit., Göppingen 1994, 1 1 1 - 1 3 5 . - Ders., Die Lösung des Rätsels der sog. 3. Fassung der naturkundlichen Enzyklopädie De natura rerum v. T h o m a s v. Cantimpré: AIHS 4 9 ( 1 9 9 9 [2000]) 2 5 2 - 2 6 8 . - Ders./Kurt R u h , T h o m a s von Cantimpré: VerLex 2 9 (1995) 8 3 9 - 8 5 1 . - Alexander Kaufmann, T h o m a s von Cantimpré, 1899 (VGG 1899/1). - Paul Kirsch, Des T h o m a s von Cantimpré Buch der Wunder und denkwürdiger Vorbilder, Diss. Univ. Jena 1875. - L e o N o r poth, Der pseudo-augustinische Traktat „ D e spiritu et a n i m a " , Diss. Univ. München 1924 = Ansb a c h / K ö l n / B o c h u m 1971. - R L S 1 - 9 . - Carlos Steel, Animaux de la Bible et animaux d'Aristote: ders./Guy Guldentops/Pieter Beullens (Hg.), Aristotle's Animais in the Middle Ages and Renaissance, 1999 (ML.St 27) 1 1 - 3 0 . - W. A. van der Vet, Het bienboëc van T h o m a s van Cantimpré en zijn exempelen, 's-Gravenhage 1902. - Benedikt Konrad Vollmann, T h o m a s v. Cantimpré, Liber de naturis rerum, Redaktion III ( T h o m a s III), Eichstätt 1 9 9 2 (vorläufiger masch. Arbeitstext). Ders., Enzyklopädie im Wandel. T h o m a s v. Cantimpré „ D e natura r e r u m " , unveröff. M s .

Christian Hünemörder Thomas von Kempen 1. Leben

2. Werk

(1379/80-1471) 3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 4 8 2 )

1. Leben Thomas Hemerken wurde zwischen dem 29. September 1379 und dem 24. Juli 1380 in Kempen am Niederrhein in einer Handwerkerfamilie geboren. Wohl durch Vermittlung seines wesentlich älteren Bruders Johannes (gest. 1432), eines Windesheimer Kanonikers, kam er mit etwa 13 Jahren in die Schule der —»Brüder vom Gemeinsamen Leben in Deventer, wo er von Florens Radewijns (1350-1400) beeinflußt wurde. Bei einer Wallfahrt lernte er 1399 das Chorherrenstift Agnetenberg bei Zwolle kennen. Hier trat er zunächst als donatus ein, legte 1407 die feierliche Profeß ab und wurde 1413/14 zum Priester geweiht. In Agnetenberg war er 1425-1431 und erneut seit 1448 Subprior, seit 1448 auch Novizenmeister. Unter ihm wurde das Stift zu einem Zentrum der von G. -»Grote begründeten -*Devotio moderna. Als Procurator (Verwalter) hat er sich dagegen nicht bewährt. Neben seinen Verpflichtungen als Geistlicher und Inhaber von Ämtern bestand seine Tätigkeit im Schreiben von Büchern: im Kopieren fremder (u.a. seit 1427 vier vollständige Abschriften der Bibel) und im Verfassen eigener Werke (seit etwa 1420). Am 1. Mai oder 25. Juli 1471 starb er in Agnetenberg. 2. Werk Thomas werden seit einer vor 1488 verfaßten anonymen Vita 38 Werke zugeschrieben, die teilweise in Autographen überliefert sind. Durch seine intensive Abschreibetätigkeit besaß er eine gründliche Kenntnis christlicher Literatur (zumal der Bibel). Deshalb hat er in seinen eigenen Werken zahllose traditionelle Formulierungen und Zitate verwendet, so daß es oft schwierig ist, daneben seine originalen Gedanken zu erkennen. Da seine Wirkung in erster Linie auf der Imitatio Christi beruht, hat sich die Forschung bisher weitgehend auf dieses Werk konzentriert und die übrigen Schriften weniger beachtet. De imitatione Christi besteht in der Vollfassung, die in einem Autograph von 1441 vorliegt, aus vier Büchern (I-II-IV-III; durch den Buchdruck wurde die Reihenfolge I-IIIII-IV üblich). Daneben wurden unvollständige Fassungen und einzelne Bücher getrennt überliefert. Das Werk ist nicht in sich geschlossen und inhaltlich klar strukturiert, sondern es gehört der in der Devotio moderna beliebten Gattung des Rapiarium an, einer Art Anthologie. Buch I bietet Anleitung zum geistlichen Leben für Anfänger im Kloster und in der Welt. Das kurze Buch II handelt vom inneren Leben und von den individuellen

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Thomas von Kempen

écrite. Essai de bibliographie, M s . m a s c h . Univ. Louvain 1979. - Christoph Ferckel, Die Gynäkologie des T h o m a s v. Brabant. Ein Beitr. zur Kenntnis der ma. Gynäkologie u. ihrer Quellen, München 1912 (Alte Meister der Medizin u. Naturkunde 5). - Christian Hünemörder, Probleme der Intention u. Quellenerschließung der sog. 3. Fassung des „Liber de natura r e r u m " des T h o m a s v. Cantimpré: Ewald Könsgen (Hg.), A r b o r a m o e n a comis, Stuttgart 1 9 9 0 , 2 4 1 - 2 4 9 . - Ders., Hochmittelalterliche Kritik a m Naturkundlich-Wunderbaren durch Albertus Magnus: Dietrich Schmidtke (Hg.), Das Wunderbare in der ma. Lit., Göppingen 1994, 1 1 1 - 1 3 5 . - Ders., Die Lösung des Rätsels der sog. 3. Fassung der naturkundlichen Enzyklopädie De natura rerum v. T h o m a s v. Cantimpré: AIHS 4 9 ( 1 9 9 9 [2000]) 2 5 2 - 2 6 8 . - Ders./Kurt R u h , T h o m a s von Cantimpré: VerLex 2 9 (1995) 8 3 9 - 8 5 1 . - Alexander Kaufmann, T h o m a s von Cantimpré, 1899 (VGG 1899/1). - Paul Kirsch, Des T h o m a s von Cantimpré Buch der Wunder und denkwürdiger Vorbilder, Diss. Univ. Jena 1875. - L e o N o r poth, Der pseudo-augustinische Traktat „ D e spiritu et a n i m a " , Diss. Univ. München 1924 = Ansb a c h / K ö l n / B o c h u m 1971. - R L S 1 - 9 . - Carlos Steel, Animaux de la Bible et animaux d'Aristote: ders./Guy Guldentops/Pieter Beullens (Hg.), Aristotle's Animais in the Middle Ages and Renaissance, 1999 (ML.St 27) 1 1 - 3 0 . - W. A. van der Vet, Het bienboëc van T h o m a s van Cantimpré en zijn exempelen, 's-Gravenhage 1902. - Benedikt Konrad Vollmann, T h o m a s v. Cantimpré, Liber de naturis rerum, Redaktion III ( T h o m a s III), Eichstätt 1 9 9 2 (vorläufiger masch. Arbeitstext). Ders., Enzyklopädie im Wandel. T h o m a s v. Cantimpré „ D e natura r e r u m " , unveröff. M s .

Christian Hünemörder Thomas von Kempen 1. Leben

2. Werk

(1379/80-1471) 3. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 4 8 2 )

1. Leben Thomas Hemerken wurde zwischen dem 29. September 1379 und dem 24. Juli 1380 in Kempen am Niederrhein in einer Handwerkerfamilie geboren. Wohl durch Vermittlung seines wesentlich älteren Bruders Johannes (gest. 1432), eines Windesheimer Kanonikers, kam er mit etwa 13 Jahren in die Schule der —»Brüder vom Gemeinsamen Leben in Deventer, wo er von Florens Radewijns (1350-1400) beeinflußt wurde. Bei einer Wallfahrt lernte er 1399 das Chorherrenstift Agnetenberg bei Zwolle kennen. Hier trat er zunächst als donatus ein, legte 1407 die feierliche Profeß ab und wurde 1413/14 zum Priester geweiht. In Agnetenberg war er 1425-1431 und erneut seit 1448 Subprior, seit 1448 auch Novizenmeister. Unter ihm wurde das Stift zu einem Zentrum der von G. -»Grote begründeten -*Devotio moderna. Als Procurator (Verwalter) hat er sich dagegen nicht bewährt. Neben seinen Verpflichtungen als Geistlicher und Inhaber von Ämtern bestand seine Tätigkeit im Schreiben von Büchern: im Kopieren fremder (u.a. seit 1427 vier vollständige Abschriften der Bibel) und im Verfassen eigener Werke (seit etwa 1420). Am 1. Mai oder 25. Juli 1471 starb er in Agnetenberg. 2. Werk Thomas werden seit einer vor 1488 verfaßten anonymen Vita 38 Werke zugeschrieben, die teilweise in Autographen überliefert sind. Durch seine intensive Abschreibetätigkeit besaß er eine gründliche Kenntnis christlicher Literatur (zumal der Bibel). Deshalb hat er in seinen eigenen Werken zahllose traditionelle Formulierungen und Zitate verwendet, so daß es oft schwierig ist, daneben seine originalen Gedanken zu erkennen. Da seine Wirkung in erster Linie auf der Imitatio Christi beruht, hat sich die Forschung bisher weitgehend auf dieses Werk konzentriert und die übrigen Schriften weniger beachtet. De imitatione Christi besteht in der Vollfassung, die in einem Autograph von 1441 vorliegt, aus vier Büchern (I-II-IV-III; durch den Buchdruck wurde die Reihenfolge I-IIIII-IV üblich). Daneben wurden unvollständige Fassungen und einzelne Bücher getrennt überliefert. Das Werk ist nicht in sich geschlossen und inhaltlich klar strukturiert, sondern es gehört der in der Devotio moderna beliebten Gattung des Rapiarium an, einer Art Anthologie. Buch I bietet Anleitung zum geistlichen Leben für Anfänger im Kloster und in der Welt. Das kurze Buch II handelt vom inneren Leben und von den individuellen

T h o m a s von Kempen

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Voraussetzungen (-»Demut, Friedfertigkeit, Einfalt, Leidensbereitschaft), unter denen das Gebet zur Begegnung mit Gott führt. Buch III - fast so umfangreich wie die drei anderen zusammen - beschreibt den inneren Trost, der aus dem täglichen Umgang mit Christus in der richtigen Haltung (vor allem Demut, Gehorsam, Gottvertrauen und Kreuzesnachfolge) erwächst. Buch IV enthält eucharistische Betrachtungen und Gebete, die sich vom Inhalt der anderen Teile deutlich unterscheiden. Das Thema der Nachfolge Christi begegnet vom Motto des ersten Buches (Joh 8,12) an zwar immer wieder, beherrscht aber nicht das ganze Werk, das vielmehr eine Sammlung geistlicher Anweisungen für Kleriker und Laien, Religiösen und Weltleute darstellt. Die Forschung hat sich bisher vorwiegend mit der Frage nach dem Verfasser der Imitatio beschäftigt und daneben die formale Gestaltung und den Inhalt vernachlässigt. Im Autograph von 1441 findet sich die Bemerkung: Finitus et completus ... per manus fratris thome kempis (Delaisse 548). Darin sahen manche Forscher nur einen Beweis für die Kopiertätigkeit, nicht für die Autorschaft des Thomas. Zwar überwiegt in den Abschriften die Zuschreibung an ihn. Doch da in vielen Handschriften andere Namen genannt sind (am häufigsten „Johannes Gersen", häufig J. -»Gerson und -»Bernhard von Clairvaux), ließen sich ebenfalls Argumente für diese Verfasser finden. (So wurde „Gersen" - vermutlich eine Schreibvariante von Gerson - besonders durch italienische Autoren als ein im übrigen unbekannter Abt von Vercelli identifiziert.) Gelehrter Scharfsinn brachte immer neue Personen ins Spiel (u.a. G. Grote, G. -»Zerbolt von Zütphen, Konrad von Fritzlar); insgesamt wurden etwa 40 Namen ernsthaft diskutiert. Heute hat sich weitgehend die Überzeugung durchgesetzt, Thomas von Kempen habe die Imitatio in die überlieferte Fassung gebracht. Angesichts des kompilatorischen Charakters der Schrift kann man Thomas auch als ihren Redaktor bezeichnen. Seine wichtigsten Quellen sind neben der Bibel -»Ludolf von Sachsen, Bernhard von Clairvaux und verschiedene Vertreter der Devotio moderna. Viele seiner Werke dienen unmittelbar der Unterweisung der Novizen oder dürften in Zusammenhang damit entstanden sein, so z. B. Parvum alphabetum monachi in schola Dei (Opera omnia III, 315-322), Manuale parvulorum (ebd. IV, 161-178), Doctrinale iuvenum (ebd. IV, 179-199), Libellus spiritualis exercitii (ebd. II, 329-355), ferner die Orationes et meditationes de vita Christi (ebd. V, 1 - 3 6 1 ) und die Orationes de passione dotnini et beata virgine et aliis sanctis (ebd. III, 331-399). Auch De imitatione Christi (ebd. II, 1 - 2 6 3 ) hat didaktischen Charakter, wendet sich aber über den Bereich des Klosters hinaus zugleich an Weltmenschen. Das gilt noch stärker für das Soliloquium animae (ebd. I, 189—346), das in der Tradition des geistlichen Selbstgesprächs steht, und ebenso für die einzige volkssprachliche Schrift des Thomas Van goeden woerden to hören ende die to spreken (ebd. III, 323-329) sowie für fünf Epistulae über das geistliche Leben (ebd. IV, 447-483). Andere Briefe sind für Religiösen bestimmt: Epistula devota ad quendam regulärem (ebd. II, 321-328), Epistula ad quendam cellerarium (ebd. I, 129-187) und Epistula ad quendam a ministerio suo absolutum (ebd. IV, 3 9 9 445). Aus Thomas' Wirken im Kloster stammen auch die drei Zyklen seiner Predigten: Sermones devoti (ebd. I, 81-128), Sermones ad novicios reguläres (ebd. VI, 1 - 3 1 4 ) und Sermones de vita et passione Domini (ebd. III, 59-313), seine liturgischen Dichtungen, Cantica (ebd. IV, 241-398) und schließlich die historischen Werke, die der Unterweisung der Novizen dienen wollen: der Dialogus noviciorum in vier Büchern mit den Viten von Grote sowie von Radewijns und seinen Schülern (ebd. VII, 1—329) und die Chronica Montis S. Agnetis (ebd. VII, 331-525). 3.

Wirkung

Die außerordentliche Wirkung des Kempeners beruht - soweit bisher erforscht — fast ausschließlich auf der Imitatio Christi. Das zeigt nicht nur die handschriftliche Uberlieferung des Werks (mehr als 770 erhaltene Handschriften, davon ca. 150 mit volkssprachlichen Übersetzungen, unter ihnen ca. 70 niederländische und mehr als 60 deut-

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Thomas von Kempen

sehe, d.h. nieder-, mittel- und vor allem oberdeutsche), sondern auch seine Verbreitung in unzähligen Drucken bis in die Gegenwart (im lateinischen Original sowie in Übersetzungen und Bearbeitungen). Anders als die Überlieferung der Imitatio ist ihre ebenso reiche und vielfältige Rezeption und Wirkung von der Forschung bisher nur punktuell behandelt worden. Ihr Einfluß erstreckt sich vor allem auf die religiöse Literatur, weniger auf die Theologie. Da Thomas viele traditionelle Elemente verwendet und da der Gedanke der Nachfolge Christi vor ihm bereits eine lange Geschichte hat (-»Nachfolge Jesu), ist es schwierig, die Rezeption seines Werks exakt nachzuweisen, wenn nicht ausdrückliche Zitate vorliegen. Für die spätmittelalterliche Frömmigkeit hatte die Imitatio als ein Hauptwerk der Devotio moderna zweifellos große Bedeutung. Dem neuzeitlichen Katholizismus wurde sie besonders durch Ignatius von Loyola nahegebracht. Sie bildet eine wichtige Quelle seiner „Geistlichen Übungen" (Ejercicios espirituales), in denen ihre Lektüre für die zweite bis vierte Exerzitienwoche empfohlen wird (Nr. 100). Auch andere katholische Vermittler haben das Werk immer wieder herausgegeben und übersetzt, empfohlen und ausgewertet. Für den deutschen Sprachraum wurde seit Ende des 18. Jh. die Übersetzung J . M . —»Sailers (Nachfolge Jesu Christi, München 1794) besonders wichtig; sie liegt noch der verbreiteten Ausgabe in Reclams Universalbibliothek (Das Buch von der Nachfolge Christi, bearb. v. Walter Kröber, Stuttgart 1954) zu Grunde. Der Protestantismus hat die Imitatio (meist mit Ausnahme des vierten Buches) ebenfalls hoch geschätzt - insbesondere Außenseiter wie z.B. V. -•Weigel, vor allem jedoch die europäische Frömmigkeitsbewegung der frühen Neuzeit in England, den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz. In pietistischen Lektüreempfehlungen werden aus dem Spätmittelalter gerne J. -*Tauler, die ->Theologia deutsch und Thomas von Kempen nebeneinandergestellt. Selbst dort, wo man aus Mißtrauen gegen „katholische" Mystik die beiden erstgenannten ausscheidet, wird die Imitatio weiterhin empfohlen. Bedeutende Autoren haben eigene Ausgaben oder Bearbeitungen veranstaltet: u.a. J. —•Arndt, der in Zwey alte vnd edle Büchlein, Magdeburg 1605, Die Deutsche Theologia und Die Nachfolgung Christi miteinander verband, P. —»Poiret (Kempis commun ou les quatre livres de l'imitation de Jésus-Christ, Amsterdam 1683), G. Arnold (Thomas von Kempis Geistreiche, Andaechtige und Erbauliche Schafften, So wol die Bücher von der Nachfolge Christi als dessen andere in 24. Büchern bestehende vortreffliche Betrachtungen ..., Leipzig/Stendal 1712) und G. —•Tersteegen (Thomae a Kempis Bücher von der Nachfolge Jesu Christi. Auffs neue, nach einer der allerältesten Handschrifften, treulich übersetzet, und an statt des vierten Buchs vermehret mit denen Göttlichen HertzensGesprächen des gottseligen Gerlachs, insgemein genandt der andere Thomas a Kempis ..., Düsseldorf 1730). Tersteegens Buch Der kleine Kempis: oder: kurtze Sprüche und Gebätlein, aus denen meistens unbekannten Wercklein des Thomae a Kempis zusammengetragen zur Erbauung der Kleinen (1734 Solingen '1758), eine Auswahl von 500 Sprüchen und sieben längeren Gebeten, wurde häufig nachgedruckt und noch im 20. Jh. gelesen. Da diese Ausgaben wie alle religiöse Gebrauchsliteratur sehr selten geworden sind, fehlen bis heute nicht nur Untersuchungen, sondern selbst zuverlässige bibliographische Angaben über sie. Quellen Neueste GA: Opera omnia, hg. v. Michael Joseph Pohl, 7 Bde., Freiburg i.Br. 1 9 0 2 - 1 9 2 2 . De imitatione Christi libri quatuor, hg. v. Tiburzio Lupo, Vatikanstadt 1982. Literatur Albert Ampe, L'imitation de Jésus-Christ et son auteur, 1973 (SusEr 25). - Ders./Bernard Spaapen, Art. Imitatio Christi: DSp 7 (1971) 2 3 3 8 - 2 3 6 8 . - Willem Audenaert, Thomas a Kempis. De imitatione Christi en andere werken. Een Short-Title catalogus van de 17de en 18de eeuwse drukken in de bibliotheken van Nederlandstalig Belgié, 1985 (IT 3). -Stephanus G. Axters, Elenchus codicum manuscriptorum in quingentésimo anno ab obitu Thomae Hemerken a Kempis, Kempen 1971. Erika Bauer, Heinrich Hallers Ubers, der „Imitatio Christi", 1982 (ACar 88). - Piergiovanni Bo-

Thomasius,

Christian

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nardi/Tiburzio Lupo, L'Imitazione di Cristo e il suo autore, 2 Bde., Turin 1964. - Cebus C. de Bruin (Hg.), De middelnederlandse vertaling van De imitatione Christi (Qui sequitur) van Thomas a Kempis, Leiden 1954. - Pierre Debongnie, Les thèmes de l'Imitation: R H E 36 (1940) 2 8 9 - 3 4 4 . - Leon M . J . Délaissé, Le manuscrit autographe de Thomas à Kempis et „L'Imitation de JésusChrist". Examen archéologique et édition diplomatique du Bruxellensis 5 8 5 5 - 6 1 , 2 Bde., 1956 (PSc 2). - Rudolf T.M. van Dijk, Art. Thomas Hemerken a Kempis: DSp 15 (1991) 8 1 7 - 8 2 6 . Ders., De spiritualiteit van de devote regulier. Beschouwingen Over de Agnietenbergkroniek van Thomas v. Kempen: O G E 72 (1998) 5 4 - 1 0 4 . - Paul van Geest, De sermones van Thomas a Kempis: Trajecta 2 (1993) 3 0 5 - 3 2 6 . - Ders./Erika Bauer/Burghart Wachinger, Art. Thomas Hemerken v. Kempen: VerLex 2 9 (1995) 8 6 2 - 8 8 2 . - Jacques Huijben/Pierre Debongnie, L'auteur ou les auteurs de l'Imitation, 1957 (BRHE 3 0 ) . - R o g e r Lovatt, The „Imitation of Christ" in late médiéval England: T H S 5. Ser. 18 (1968) 9 7 - 1 2 1 . - Uwe Neddermeyer, Radix Studii et Spéculum Vitae. Verbreitung u. Rezeption der „Imitatio Christi" in Hss. u. Drucken bis zur Reformation: Stud. zum 15. Jh. FS Erich Meuthen, hg. v. Johannes Helmrath, München, I 1994, 457 - 481. - Kurt Ruh, Gesch. der abendländischen Mystik, München, IV 1999, 1 8 6 - 1 9 4 . - Thomas v. Kempen. Beitr. zum 500. Todesjahr 1 4 7 1 - 1 9 7 1 , Kempen 1971. Ulrich Köpf

T h o m a s c h r i s t e n -»Indien T h o m a s i u s , Christian

(1655-1728)

1. Leben und Werke 1. Leben

und

1.1. Von Leipzig

2. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 486)

Werke nach

Halle

Christian T h o m a s i u s , geboren a m 1. J a n u a r 1 6 5 5 (nach julianischem Kalender), ents t a m m t einer alten Juristenfamilie und ist Leipziger Professorensohn wie G.W. Leibniz. J a k o b T h o m a s i u s ( 1 6 2 2 - 1 6 8 4 ) , der Vater, w a r Professor der Philosophia tnoralis und Beredsamkeit und seit den 7 0 e r J a h r e n zugleich R e k t o r der städtischen Gymnasien bei St. Nicolai und St. T h o m a s ; er hatte mit seinem jüngeren Bruder J o h a n n in Wittenberg studiert. Für Christian ist der Onkel J o h a n n T h o m a s , Rechtslehrer in J e n a , dann Altenburgischer R a t , Gesandter beim Reichstag in Regensburg und Verfasser des Schäferromans Dämon und Lisille (1663), eine wichtige Orientierung in den frühen Studienjahren. Wie damals üblich in Professorenfamilien, wird der Sohn gleich nach der Geburt immatrikuliert. Seit 1669 studiert er Philosophie. Der Vater führt ihn in H, —»Grotius ein, die Magisterdisputation von 1672 über die Souveränitätstheorie (De duplici majestatis subiecto; vgl. Hoke) schließt an ähnliche Auffassungen des Onkels an. Nach der Lektüre des lus naturae et gentium (1672) von S. —»Pufendorf wendet er sich der Jurisprudenz zu und studiert seit 1675 an der brandenburgischen Universität in Frankfurt an der Oder. Samuel Stryk (1640-1710) promoviert ihn 1679 zum Doktor beider Rechte. Von der darauffolgenden Bildungsreise in die Niederlande ist immer wieder die Rede, doch fehlt der Beweis, daß sie überhaupt stattgefunden hat. Daß niemand den gelegentlich geäußerten Zweifeln (z. B. von Schubart-Fikentscher 7) nachgegangen ist, darf als typisch gelten für elementare Schwächen der Forschung. 1 6 8 0 heiratet T h o m a s i u s Auguste Christine Heyland (gest. 1 7 3 9 ) , die T o c h t e r eines braunschweigischen Hofrates. Die Söhne Christian Polycarp und Christian August und die T ö c h t e r Sophie Elisabeth und Christiane Auguste erreichen das Erwachsenenalter, weitere Kinder sterben früh. Neben der wenig erfolgreichen Praxis als A d v o k a t (Rechtskonsulent) beginnt er 1682, und verstärkt n a c h dem T o d des Vaters, an der Universität zu lehren und zu publizieren. Seine Brüche mit der Tradition vollzieht er an mehreren F r o n t e n und in verschiedenen Diskursen, und er tut es mit einem gehörigen Sendungsbewußtsein. Statt des schwarzen Talars steht er in der bunten Kleidung des mondänen Kavaliers mit Federhut, Degen und Stiefeln auf dem Katheder und doziert über das neueste -»Naturrecht. In der Disputation

Thomasius,

Christian

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nardi/Tiburzio Lupo, L'Imitazione di Cristo e il suo autore, 2 Bde., Turin 1964. - Cebus C. de Bruin (Hg.), De middelnederlandse vertaling van De imitatione Christi (Qui sequitur) van Thomas a Kempis, Leiden 1954. - Pierre Debongnie, Les thèmes de l'Imitation: R H E 36 (1940) 2 8 9 - 3 4 4 . - Leon M . J . Délaissé, Le manuscrit autographe de Thomas à Kempis et „L'Imitation de JésusChrist". Examen archéologique et édition diplomatique du Bruxellensis 5 8 5 5 - 6 1 , 2 Bde., 1956 (PSc 2). - Rudolf T.M. van Dijk, Art. Thomas Hemerken a Kempis: DSp 15 (1991) 8 1 7 - 8 2 6 . Ders., De spiritualiteit van de devote regulier. Beschouwingen Over de Agnietenbergkroniek van Thomas v. Kempen: O G E 72 (1998) 5 4 - 1 0 4 . - Paul van Geest, De sermones van Thomas a Kempis: Trajecta 2 (1993) 3 0 5 - 3 2 6 . - Ders./Erika Bauer/Burghart Wachinger, Art. Thomas Hemerken v. Kempen: VerLex 2 9 (1995) 8 6 2 - 8 8 2 . - Jacques Huijben/Pierre Debongnie, L'auteur ou les auteurs de l'Imitation, 1957 (BRHE 3 0 ) . - R o g e r Lovatt, The „Imitation of Christ" in late médiéval England: T H S 5. Ser. 18 (1968) 9 7 - 1 2 1 . - Uwe Neddermeyer, Radix Studii et Spéculum Vitae. Verbreitung u. Rezeption der „Imitatio Christi" in Hss. u. Drucken bis zur Reformation: Stud. zum 15. Jh. FS Erich Meuthen, hg. v. Johannes Helmrath, München, I 1994, 457 - 481. - Kurt Ruh, Gesch. der abendländischen Mystik, München, IV 1999, 1 8 6 - 1 9 4 . - Thomas v. Kempen. Beitr. zum 500. Todesjahr 1 4 7 1 - 1 9 7 1 , Kempen 1971. Ulrich Köpf

T h o m a s c h r i s t e n -»Indien T h o m a s i u s , Christian

(1655-1728)

1. Leben und Werke 1. Leben

und

1.1. Von Leipzig

2. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 486)

Werke nach

Halle

Christian T h o m a s i u s , geboren a m 1. J a n u a r 1 6 5 5 (nach julianischem Kalender), ents t a m m t einer alten Juristenfamilie und ist Leipziger Professorensohn wie G.W. Leibniz. J a k o b T h o m a s i u s ( 1 6 2 2 - 1 6 8 4 ) , der Vater, w a r Professor der Philosophia tnoralis und Beredsamkeit und seit den 7 0 e r J a h r e n zugleich R e k t o r der städtischen Gymnasien bei St. Nicolai und St. T h o m a s ; er hatte mit seinem jüngeren Bruder J o h a n n in Wittenberg studiert. Für Christian ist der Onkel J o h a n n T h o m a s , Rechtslehrer in J e n a , dann Altenburgischer R a t , Gesandter beim Reichstag in Regensburg und Verfasser des Schäferromans Dämon und Lisille (1663), eine wichtige Orientierung in den frühen Studienjahren. Wie damals üblich in Professorenfamilien, wird der Sohn gleich nach der Geburt immatrikuliert. Seit 1669 studiert er Philosophie. Der Vater führt ihn in H, —»Grotius ein, die Magisterdisputation von 1672 über die Souveränitätstheorie (De duplici majestatis subiecto; vgl. Hoke) schließt an ähnliche Auffassungen des Onkels an. Nach der Lektüre des lus naturae et gentium (1672) von S. —»Pufendorf wendet er sich der Jurisprudenz zu und studiert seit 1675 an der brandenburgischen Universität in Frankfurt an der Oder. Samuel Stryk (1640-1710) promoviert ihn 1679 zum Doktor beider Rechte. Von der darauffolgenden Bildungsreise in die Niederlande ist immer wieder die Rede, doch fehlt der Beweis, daß sie überhaupt stattgefunden hat. Daß niemand den gelegentlich geäußerten Zweifeln (z. B. von Schubart-Fikentscher 7) nachgegangen ist, darf als typisch gelten für elementare Schwächen der Forschung. 1 6 8 0 heiratet T h o m a s i u s Auguste Christine Heyland (gest. 1 7 3 9 ) , die T o c h t e r eines braunschweigischen Hofrates. Die Söhne Christian Polycarp und Christian August und die T ö c h t e r Sophie Elisabeth und Christiane Auguste erreichen das Erwachsenenalter, weitere Kinder sterben früh. Neben der wenig erfolgreichen Praxis als A d v o k a t (Rechtskonsulent) beginnt er 1682, und verstärkt n a c h dem T o d des Vaters, an der Universität zu lehren und zu publizieren. Seine Brüche mit der Tradition vollzieht er an mehreren F r o n t e n und in verschiedenen Diskursen, und er tut es mit einem gehörigen Sendungsbewußtsein. Statt des schwarzen Talars steht er in der bunten Kleidung des mondänen Kavaliers mit Federhut, Degen und Stiefeln auf dem Katheder und doziert über das neueste -»Naturrecht. In der Disputation

Thomasius,

Christian

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nardi/Tiburzio Lupo, L'Imitazione di Cristo e il suo autore, 2 Bde., Turin 1964. - Cebus C. de Bruin (Hg.), De middelnederlandse vertaling van De imitatione Christi (Qui sequitur) van Thomas a Kempis, Leiden 1954. - Pierre Debongnie, Les thèmes de l'Imitation: R H E 36 (1940) 2 8 9 - 3 4 4 . - Leon M . J . Délaissé, Le manuscrit autographe de Thomas à Kempis et „L'Imitation de JésusChrist". Examen archéologique et édition diplomatique du Bruxellensis 5 8 5 5 - 6 1 , 2 Bde., 1956 (PSc 2). - Rudolf T.M. van Dijk, Art. Thomas Hemerken a Kempis: DSp 15 (1991) 8 1 7 - 8 2 6 . Ders., De spiritualiteit van de devote regulier. Beschouwingen Over de Agnietenbergkroniek van Thomas v. Kempen: O G E 72 (1998) 5 4 - 1 0 4 . - Paul van Geest, De sermones van Thomas a Kempis: Trajecta 2 (1993) 3 0 5 - 3 2 6 . - Ders./Erika Bauer/Burghart Wachinger, Art. Thomas Hemerken v. Kempen: VerLex 2 9 (1995) 8 6 2 - 8 8 2 . - Jacques Huijben/Pierre Debongnie, L'auteur ou les auteurs de l'Imitation, 1957 (BRHE 3 0 ) . - R o g e r Lovatt, The „Imitation of Christ" in late médiéval England: T H S 5. Ser. 18 (1968) 9 7 - 1 2 1 . - Uwe Neddermeyer, Radix Studii et Spéculum Vitae. Verbreitung u. Rezeption der „Imitatio Christi" in Hss. u. Drucken bis zur Reformation: Stud. zum 15. Jh. FS Erich Meuthen, hg. v. Johannes Helmrath, München, I 1994, 457 - 481. - Kurt Ruh, Gesch. der abendländischen Mystik, München, IV 1999, 1 8 6 - 1 9 4 . - Thomas v. Kempen. Beitr. zum 500. Todesjahr 1 4 7 1 - 1 9 7 1 , Kempen 1971. Ulrich Köpf

T h o m a s c h r i s t e n -»Indien T h o m a s i u s , Christian

(1655-1728)

1. Leben und Werke 1. Leben

und

1.1. Von Leipzig

2. Wirkung

(Quellen/Literatur S. 486)

Werke nach

Halle

Christian T h o m a s i u s , geboren a m 1. J a n u a r 1 6 5 5 (nach julianischem Kalender), ents t a m m t einer alten Juristenfamilie und ist Leipziger Professorensohn wie G.W. Leibniz. J a k o b T h o m a s i u s ( 1 6 2 2 - 1 6 8 4 ) , der Vater, w a r Professor der Philosophia tnoralis und Beredsamkeit und seit den 7 0 e r J a h r e n zugleich R e k t o r der städtischen Gymnasien bei St. Nicolai und St. T h o m a s ; er hatte mit seinem jüngeren Bruder J o h a n n in Wittenberg studiert. Für Christian ist der Onkel J o h a n n T h o m a s , Rechtslehrer in J e n a , dann Altenburgischer R a t , Gesandter beim Reichstag in Regensburg und Verfasser des Schäferromans Dämon und Lisille (1663), eine wichtige Orientierung in den frühen Studienjahren. Wie damals üblich in Professorenfamilien, wird der Sohn gleich nach der Geburt immatrikuliert. Seit 1669 studiert er Philosophie. Der Vater führt ihn in H, —»Grotius ein, die Magisterdisputation von 1672 über die Souveränitätstheorie (De duplici majestatis subiecto; vgl. Hoke) schließt an ähnliche Auffassungen des Onkels an. Nach der Lektüre des lus naturae et gentium (1672) von S. —»Pufendorf wendet er sich der Jurisprudenz zu und studiert seit 1675 an der brandenburgischen Universität in Frankfurt an der Oder. Samuel Stryk (1640-1710) promoviert ihn 1679 zum Doktor beider Rechte. Von der darauffolgenden Bildungsreise in die Niederlande ist immer wieder die Rede, doch fehlt der Beweis, daß sie überhaupt stattgefunden hat. Daß niemand den gelegentlich geäußerten Zweifeln (z. B. von Schubart-Fikentscher 7) nachgegangen ist, darf als typisch gelten für elementare Schwächen der Forschung. 1 6 8 0 heiratet T h o m a s i u s Auguste Christine Heyland (gest. 1 7 3 9 ) , die T o c h t e r eines braunschweigischen Hofrates. Die Söhne Christian Polycarp und Christian August und die T ö c h t e r Sophie Elisabeth und Christiane Auguste erreichen das Erwachsenenalter, weitere Kinder sterben früh. Neben der wenig erfolgreichen Praxis als A d v o k a t (Rechtskonsulent) beginnt er 1682, und verstärkt n a c h dem T o d des Vaters, an der Universität zu lehren und zu publizieren. Seine Brüche mit der Tradition vollzieht er an mehreren F r o n t e n und in verschiedenen Diskursen, und er tut es mit einem gehörigen Sendungsbewußtsein. Statt des schwarzen Talars steht er in der bunten Kleidung des mondänen Kavaliers mit Federhut, Degen und Stiefeln auf dem Katheder und doziert über das neueste -»Naturrecht. In der Disputation

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Christian

De crimine bigamiae bekennt er sich 1685 als kämpferischer Schüler des von den orthodoxen Theologen verfemten Pufendorf, mit dem er kurz darauf durch die Vermittlung des Bruders Gottfried (1660-1746), des späteren Polyhistors und Medicus in Nürnberg, persönlich bekannt wird, und zieht die erbitterte Feindschaft seiner einstigen Lehrer, besonders Valentin Alberti (1635-1697), August Pfeiffer (1640-1698) und Johann Benedikt Carpzov (1607-1657), nun auch auf sich. Die Institutiones iurisprudentiae divinae von 1688 gehen auf Vorlesungen über Pufendorf zurück. Am 31. Oktober 1687, am Tag von Luthers Thesenanschlag, kündigt er am Schwarzen Brett in deutscher Sprache eine auf deutsch zu haltende Vorlesung über Gracians Handorakel an: Welcher Gestalt man denen Franzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle? Gewiß nicht als erster in Deutschland (vgl. Hodermann), aber wohl erstmals in Leipzig durchbricht er das Monopol des Lateinischen für den akademischen Unterricht.

Aus Anlaß der Monatsgespräche, einem satirischen Unterhaltungsjournal über „curiöse" „Bücher und Fragen", das von 1687 bis April 1690 in Leipzig und Halle erscheint, werden Untersuchungen gegen ihn eingeleitet. Vorlesungen, der Konflikt mit dem dänischen Hofprediger Hector Gottfried Masius (1653-1709), ein Rechtsgutachten, mit dem er für A.H. -»Francke eintritt, und ein öffentlicher Disput über die „Mischheirat" des lutherischen Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz (1664-1704) mit der reformierten Schwester des Kurfürsten Friedrich III., Marie Amalie, führen im März 1690 zum Lehrund Publikationsverbot in Kursachsen. Er kommt dem Haftbefehl aus Dresden zuvor und geht nach -»Halle, der Umzug mit der Familie und dem zunächst beschlagnahmten Hausrat erfolgt erst im Jahr darauf. Thomasius lehrt inzwischen als brandenburgischer Rat in Halle vor Studenten, die ihm aus Leipzig gefolgt sind, ehe im Juli 1694 die neue Universität formell gegründet wird. Zusammen mit dem 1692 berufenen Stryk, dem ehemaligen Lehrer, wird Thomasius in den folgenden drei Jahrzehnten zu ihrer prägenden Gestalt. 1.2. Vom Pietismus zurück zur Kritik Nach einer Phase ernsthafter Hinwendung zu pietistischer Frömmigkeit, die sich bereits in den letzten Folgen der Monatsgespräche von 1689 niederschlug, und einer damit verbundenen Selbstkritik (Nachdrückliche und scharfe Lektion-, Ostergedanken) erfolgt um 1699 der Bruch mit Francke und seinen inzwischen die Fakultät dominierenden Anhängern. Thomasius hat es auch in Halle von Anfang an mit entschlossenen Gegnern zu tun, zwischen 1694 und 1713 versuchen ihn die Theologen in vier formellen Beschwerden zu Fall zu bringen. In der berühmten, in der Form eines Dialogs zwischen Orthodoxus und Christianus (!) aufgebauten Disputation An haeresis sit crimen? (1697) wird argumentiert, daß -»Häresie niemals justitiabel sein kann: Haeresis non est crimen, quia error est (26; Ketzerei ist keine Straftat, weil es sich um einen Irrtum [des Intellekts] handelt), und da Ketzerei jeweils auf nichts anderes als einen interessenbedingten Meinungsdissens zurückgeht (heute würde man sagen: auf die Differenz zwischen Deutungskonstrukten), darf der Ketzer nicht kriminalisiert werden. Weder der Klerus und die kirchliche Obrigkeit noch der Staat haben deshalb das Recht, ihn zu verfolgen: Tolerare haereticum juxta se in republica est adhuc minus officio humanitatis (De jure principis circa haereticos 25). Thomasius wendet sich nun auch gegen die Hexenprozesse, die Folter und den Hexenglauben selbst und ist maßgeblich an deren Abschaffung in Preußen beteiligt. 1.3. Philosophie Die von den Pietisten mit einer Anklage wegen Atheismus erreichte Amtsenthebung Ch. -»Wolfis und seine Verbannung aus Halle trägt er zwar nicht mit, aber er sucht sie auch nicht zu verhindern. Die Ursache mag eine Fremdheit gegenüber dieser Philosophie und ihren Quellen im Grundsätzlichen gewesen sein, die nirgends so deutlich wird wie in dem Versuch von Wesen des Geistes (1699), einer antimechanistischen (also auch anticartesianischen) und vehement antimaterialistischen „mosaischen" WeltGeist-Physik (nach Gen 1,2: „Gottes Geist schwebte über dem Wasser"). Danach setzen sich alle Körper aus Materie, Licht und Luft zusammen. Alles Sein ist vom Wirken des

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Geistes erfüllt, es gibt Geist ohne Stoff, aber keine Materie ohne Geist. Das Experiment wird als ein falscher Zugang zur Erkenntnis der Natur verworfen (Albrecht 254), weil es „künstlich" ist. So hat Thomasius auch einem Buch über die Wünschelrute ein philosophisches Vorwort gewidmet. Er folgt einer aristotelischen Tradition, die gewiß nicht „modern" ist, sowie einer platonistischen Weltgeist-Physik, die auch -»Paracelsus, G. -•Bruno und Tommaso Campanella (1568-1639) sowie einige Pietisten oder Dichter wie sein Schüler Barthold Heinrich Brockes (1680-1747; vgl. T R E 10,64,23ff.) vertreten haben. Daß er damit weiter am Pietismus festgehalten habe, läßt sich daraus und aus anderen Koinzidenzen freilich nicht schließen. Am 23. September 1728 ist Thomasius nach kurzer Krankheit in Halle gestorben. 2.

Wirkung

Das verbreitete Klischee vom „Vater der deutschen Aufklärung" fordert zur Differenzierung heraus. In der Logik {Philosophia aulica-, Vernunftlehre) hält er den Einfluß des „Willens" auf die Erkenntnis für so entscheidend, daß ihm jedes Vertrauen in die eigenständige Fähigkeit des Verstandes abgeht. Er ist schon deshalb gewiß kein Rationalist. In der Erkenntnislehre ist er von John Lockes (1632—1704) -»Empirismus nur insoweit beeinflußt, als dieser den traditionell aristotelischen Grundsätzen nicht widerspricht. Seine Ethik (Sittenlehre) der „vernünftigen und tugendhaften Liebe", die der normale Mensch aber meist verfehlt, läuft auf einen eher „pessimistischen Voluntarismus" (Albrecht 257) hinaus, und zeit seines Lebens ist Thomasius ein überaus frommer Mann gewesen. Dergleichen verbindet man mit -»Aufklärung nicht einmal in Deutschland. „Aufklärer" ist er allenfalls trotz seiner philosophischen Lehren, nämlich in der Art, wie er sie vertritt, in seiner Praxis als nicht nur gelehrter, sondern rechtlich denkender Jurist, als vitaler Mensch und als frommer Christ. Über die libertas philosophandi (B. -»Spinoza) hinaus vertritt er die Selbständigkeit des Denkens, die man später „Selbstdenken" genannt hat, und neigt aus diesem Grund zur Philosophie des Eklektizismus (Albrecht). Den Aristoteles macht er zum Popanz seiner Kritik am Pedantismus, wie das die Humanisten schon immer getan hatten, nicht weil er jemals konsequent antiaristotelisch gedacht hätte. Der Spott über den „Mann mit dem Bart" ist kulturpädagogisch, nicht philosophisch. Wenige Autoren, auch solche der Aufklärung, haben sich so offensichtlich um die angemessene Vortragsweise ihrer Gedanken bemüht wie Thomasius. Die Fallen des „performativen Widerspruchs" müssen ihm geläufig gewesen sein, auch wenn er den Begriff nicht kannte. Er wendet sich gegen den Aberglauben - aber hat nicht ein halbes Jahrhundert zuvor Gabriel Naude ( 1 6 0 0 1653) der Magie den Boden entzogen und noch darüber hinaus, im Vorgriff auf P. —»Bayles Dictionnaire historique et critique (Amsterdam 1692-1695), das Gedächtnis manch großen Mannes vor der Verteufelüng gerettet? Wenn das „Aufklärung" ist, dann fällt sie zusammen mit der neuzeitlichen Traditionskritik, die bei F. -»Petrarca einsetzt. Wenn er immer wieder auf der Nützlichkeit des Wissens insistiert, sozusagen auf dessen „Umsetzung" für die soziale und moralische Praxis im Umgang unter den Menschen, so steht er der Populärphilosophie der Aufklärung nahe - hat diese aber nicht ihrerseits tiefe Wurzeln in der humanistischen Moralistik des 16. und 17. Jh.? An seinem Begriff von -»Toleranz schließlich läßt sich deren eigentliches Wesen erkennen: Sie ist diejenige moralische Kompetenz, die dazu befähigt, die Folgen der funktionalen Systemdifferenzierung zu ertragen. Der Ketzer begeht einen Irrtum - aber der ist eine Sache der Erkenntnis und des Glaubens, und deshalb nicht der Rechtsordnung. Beide Bereiche folgen je eigenen, nicht aufeinander reduzierbaren Normen. Man kann das nur hinnehmen, es läßt sich nicht systematisch aus einem übergeordneten Prinzip deduzieren. Dazu aber bedarf es einer Hinnahmebereitschaft, die man Toleranz zu nennen beginnt.

Aufklärung? Was Thomasius antreibt, ist ein zuletzt religiöser, machtferner -»Individualismus, die wahrhaft christliche Freiheit zu glauben - nicht in Übereinstimmung mit dem Dogma, sondern in selbstloser Gottesliebe und aus „natürlicher" Menschlichkeit. Was diesem unwahrscheinlichen Ziel entgegensteht, dem muß die Geltung entzogen werden, jeder Zugriff glaubensfremder Ansprüche, des Intellekts, des Vorurteils und der Moral ebenso wie des Klerus, des Dogmas, des Rechts und der staatlichen Gewalt. Das heißt, er geht nicht den Weg des -»Quietismus, sondern des Aktivismus. Dazu

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gehört für ihn nicht nur die gelehrte Argumentation und Kritik, sondern auch die Selbstexpression als leidendes, aggressives, lachendes, spottendes, verachtendes oder triumphierendes Individuum. Das macht Thomasius, vielleicht in der Nachfolge M . E . de -»Montaignes, zum Vertreter eines um diese Zeit seltenen Gelehrtentypus (Jaumann, Aufklärung), für den das eigene individuelle Lebensbeispiel, die exemplarische Selbstthematisierung, sowohl intellektuelle wie religiöse Verbindlichkeit gewinnt. Quellen 1. Editionen: Ausgew. Werke, hg. v. Werner Schneiders, Hildesheim 1993 ff. (Reprints mit Vorw. u. zusätzlichen neuen Reg.). - „Schern = u. ernsthaffter, vernünfftiger u. einfältiger Gedancken [...]. Erster Monath oder Januarius [...]". Nachdr. des ersten H. der ersten Zs. in dt. Sprache, hg. u. mit einem Nachwort versehen v. Paul Raabe: Jahresgabe f. 1988 der Gesellschaft der Freunde der Herzog August Bibliothek, Weinheim 1988, 117-124. - Vom Laster der Zauberei. Über die Hexenprozesse, lat. u. dt. Text, hg., Überarb. u. mit einer Einl. versehen v. Rolf Lieberwirth, 1967 (Thoma. 5) = München 1986. 2. Einzelwerke (Auswahl): Annotationes theoretico-practicae in D.J. Strauchii Dissertationes, Frankfurt a.d.O. 1683. - Diss. de iure circa colores. Vom Farben-Recht, Leipzig 1683. - Diss. de crimine bigamiae, Leipzig 1685. - Discours, welcher Gestalt man denen Franzosen im gemeinen Leben u. Wandel nachahmen solle? (1687): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXII 1994, o.S. - Institutiones iurisprudentiae divinae, Frankfurt a.d.O. 1688; dt.: Drei Bücher der göttlichen Rechts-Gelahrtheit..., Halle 1709 Nachdr. 1963. - Introductio ad philosophiam aulicam (1688): Ausgew. Werke (s.o. 1.), I 1993; dt.: Einl. zur Hof-Phil. (1712): ebd., II 1994. - Discurs v. den Mängeln der heutigen Academien, Halle 1688. - Scherz- u. ernsthafte, vernünftige u. einfältige Gedanken über allerlei nützliche Bücher u. Fragen [Monatsgespräche], Frankfurt a.d.O./Leipzig/Halle 1688-1690. Rechtmäßige Erörterung der Ehe- u. Gewissens-Frage, Halle 1689. - Rechtliches Bedencken über die Leipzigische Universitäts-Acta mit M. Francken, Leipzig 1689/1690. - Einl. zur Vernunftlehre (1691): Ausgew. Werke (s.o. 1.), VIII 1998. - Ausübung der Vernunftlehre (1691): Ausgew. Werke (s.o. 1.), IX 1998. - Einleitung zur Sittenlehre (1692): Ausgew. Werke (s.o. 1.), X 1995. - Historia sapientiae et stultitiae, 3 Bde., Halle 1693; dt.: Historie der Weißheit u. Thorheit, 3 Bde., Halle 1692. - Nachdrückliche u. scharfe Lektion an sich selbst (1694): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXII 1994, o.S. - Oster-Gedanken vom Zorn u. der bitteren Schreib-Art wider sich selbst (1695): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXII 1994, o.S. - De jure principis circa adiaphora, Halle 1695. - Confessio doctrinae suae/Erinnerung wegen einer gedr. Sehr. (1695): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXII 1994, o.S. - Ausübung der Sittenlehre, Halle 1696 Nachdr. Hildesheim 1968. - Problema iuridicum an haeresis sit crimen?, Halle 1697. - De jure principis circa haereticos, Halle 1697. - Summarischer Entwurf der Grundlehren, die einem Studioso iuris zu wissen u. auff Universitäten zu lernen noethig, Halle 1699 Nachdr. Aalen 1979. - Versuch v. Wesen des Geistes, Halle 1699. - Theses inaugurales de crimine magiae, Halle 1701; dt.: Kurze Lehrsätze v. dem Laster der Zauberei, Halle 1704 Nachdr. 1967 (s.o. 1.). - Kleine Teutsche Schriften (1701): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXII1994. - Fundamento iuris naturae et gentium ex sensu communi dedueta, Halle 1705 Nachdr. Aalen 1963. - Auserlesene dt. Sehr. (1705): Ausgew. Werke (s.o. 1.), XXIII 1994. - Cautelae circa praecognita jurisprudentiae, Halle 1710; dt.: Höchstnöthige Cautelen, welche ein Studiosus juris zur Erlernung der KirchenRechts-Gelahrtheit ... zu beobachten hat, Halle 1710. - (Diss.) de origine ac progressu processus inquisitorii contra sagas, Halle 1712; dt.: Vom Ursprung u. 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Thomasius,

Christian

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Herbert Jaumann

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Thomasius,

Thomasius, Gottfried 1. Leben

2. Werk

Gottfried

(1802-1875) (Quellen/Literatur S. 491)

1. Leben Gottfried Thomasius, ein direkter Nachfahre von Ch. Thomasius, wurde am 26. Juli 1802 in Egenhausen (Franken) geboren. Bis zu seinem 16. Lebensjahr unterrichtete ihn sein Vater, der Pfarrer Friedrich Christian Thomasius (1770-1847). Danach besuchte er das Ansbacher Gymnasium (1818-1821), auf dem ihn der Religionslehrer Theodor Lehmus (1777-1837) (sein späterer Schwiegervater) beeindruckte, vor allem aber der Lehrer und nachmalige Rektor Christian von Bomhard (1785-1862), der ihn zusätzlich auch privat unterrichtete und in ihm das wissenschaftliche Interesse erweckt hat. Am 27. September 1821 immatrikulierte sich Thomasius als Student der Philosophie und Theologie in -»Erlangen, wechselte dann im Frühjahr 1823 nach -»Halle, wo offenbar nur Georg Christian Knapp (1753-1825) einen tieferen Eindruck auf ihn machte, um schließlich in Berlin sein Studium zu beenden (Herbst 1824 - August 1825). Diese letzten zwei Semester haben Thomasius in besonderer Weise geprägt: Bei F.A.G. —»Tholuck, den er dann ein Leben lang verehrt hat, hörte er mit Interesse Dogmatik. A. -»Neanders Vorlesungen über Christologie und Dogmengeschichte gefielen ihm vorzüglich, ohne daß davon ein prägender Einfluß auf seine eigenen Arbeiten ausgegangen wäre. Für Ph.K. -»Marheineke kam er zu einem differenzierten, die Hochschätzung seiner spekulativen Kraft mit dem Tadel seiner Vernachlässigung der positiven Offenbarung verbindenden Urteil. F.D.E. -»Schleiermacher hat ihn als Dozent und Prediger gleichermaßen beeindruckt. Die erweckliche Gefühlsfrömmigkeit des Berliner Konventikelwesens mißbilligte er wegen ihres Mangels an kirchlichem Geist. Der Einfluß G.W.F. —»Hegels schließlich, den man für Thomasius bisweilen überschätzt hat, blieb doch wohl im wesentlichen auf dessen Ansatz einer dialektisch-prozeßhaften Geschichtsschau beschränkt. Im August 1825 kehrte Thomasius in seine fränkische Heimat zurück. Nach dem theologischen Examen wurde er Vikar in Cadolzburg, dann Pfarrverweser in Kalchreuth (1827 Zweites Theologisches Examen). 1829 kam er als 3. Pfarrer (Nachmittagsprediger) an die Kirche zum Heiligen Geist in Nürnberg, 1831 wechselte er, ebenfalls als 3. Pfarrer, an die dortige St. Lorenz-Kirche. Aus dem ihm 1830 übertragenen Amt als Gymnasialprofessor für Religion erwuchs das zweibändige Lehrbuch Grundlinien zum Religions-Unterricht an den mittleren und oberen Klassen gelehrter Schulen (Nürnberg 1839/1842 "1912), das 1841 durch königlichen Erlaß an den höheren Schulen Bayerns eingeführt wurde und dort ein halbes Jahrhundert in Gebrauch geblieben ist. Am 6. Juni 1830 vermählte er sich mit Emilie Lehmus (1808-1871). Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor.

Nachdem 1839 eine zunächst vorgesehene Berufung an die theologische Fakultät der Universität Erlangen nicht zustande gekommen war, wurde Thomasius dort zum 1. April 1842 zum ordentlichen Professor der Dogmatik ernannt. Dieser Neuzugang hat an der Erlanger Fakultät die Ausbildung einer geschlossenen konfessionell-lutherischen Theologie („Erlanger Schule") nachhaltig befördert. Am 31. Mai 1842 übertrug man Thomasius zudem das durch den Rückzug von G.C.A. von —»Harleß freigewordene Amt des Universitätspredigers. 1843 wurde er zum D. theol. h.c. promoviert. Einen Ruf an die Leipziger Theologische Fakultät lehnte Thomasius im April 1850 trotz der dafür in Aussicht gestellten erheblichen Gehaltsaufbesserung (genaue Angaben bei Jordan, Thomasius [1919] 458f.) umgehend ab. Möglicherweise ist ihm kurz darauf auch die Stelle des Oberhofpredigers in Dresden angetragen worden (so Stählin, Art. Thomasius [1875] 744; aus den Akten nicht eindeutig zu belegen). Den Mittelpunkt seiner Lehrtätigkeit bildete das kontinuierlich vorgetragene Kolleg über Dogmatik. Vorlesungen über Symbolik, Dogmengeschichte, Geschichte der protestantischen Theologie und praktische Exegese kamen hinzu. Bedeutung und Einfluß gewann Thomasius zudem als Prediger (mehrere Predigtbände, zahlreiche Einzeldrucke). Eine von ihm entworfene neue Perikopenreihe ist durch Erlaß des bayerischen Oberkonsistoriums vom 15. Juli 1868 zum fakultativen Gebrauch zugelassen worden. Daneben war Thomasius langjähriger Fakultätsvertreter auf der bayerischen Generalsynode (erstmals 1853), ferner Mitherausgeber der

Thomasius,

Gottfried

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Zeitschrift für Protestantismus und Kirche (1846-1859) sowie Vorstandsmitglied im lutherischen Missionsverein (seit 1843). Im Februar 1873 wurde er zum Geheimen Kirchenrat ernannt. Im J a h r 1867 legte T h o m a s i u s sein A m t als Universitätsprediger, zum Jahresende 1872 auch das des Universitätsseelsorgers, das er seit 1 8 6 7 innehatte, nieder. N a c h d e m er seine Vorlesungstätigkeit bis zuletzt aufrechterhalten hatte (das letzte Kolleg brach er in der Auslegung des für seine Christologie zentralen Textes Phil 2 , 5 - 1 1 ab), starb T h o m a s i u s nach kurzer Krankheit a m 2 4 . J a n u a r 1 8 7 5 . Sein Kollege C . A . G . von - » Z e z s c h w i t z hielt ihm die Leichenpredigt, auf dem Neustädter Kirchhof in Erlangen wurde er beigesetzt. 2.

Werk

Das theologische Werk des T h o m a s i u s , mit dem er zur Ausgestaltung der sog. E r langer Theologie wesentlich beitrug, umfaßt Arbeiten zur D o g m a t i k , Dogmengeschichte, Landeskirchengeschichte (Das W i e d e r e r w a c h e n des evangelischen Lebens in der lutherischen Kirche Bayerns. Ein Stück süddeutscher Kirchengeschichte [ 1 8 0 0 - 1 8 4 0 ] , Erlangen 1867) und Praktischen Theologie (praktische Exegese [Praktische Auslegung des Briefes Pauli an die Kolosser, Erlangen 1869], Predigten, Katechetik). In theologiegeschichtlicher Perspektive sind vor allem drei H a u p t w e r k e näheren Eingehens wert. Ein Beitrag 2.1. Die Bedeutung seiner wissenschaftlichen Erstlingsarbeit Orígenes. zur Dogmengeschichte des dritten Jahrhunderts (Nürnberg 1837), deren Entstehungsgeschichte bis in die Vikarszeit zurückreicht, liegt vor allem in der geschichtstheoretischen Konstruktion, in die T h o m a s i u s seine Darstellung der T h e o l o g i e des - » O r í g e n e s einbettet und die nicht allein für seine eigene Christliche Dogmengeschichte (s.u. 2 . 3 . ) , sondern auch überhaupt für die Geschichtsauffassung der Erlanger Theologie bestimmend geworden ist. Als Ausgangspunkt dient dabei die Unterscheidung der objektiv gegebenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus von der Geschichte ihrer subjektiven Aneignung im individuellen und kirchlichen Glaubensbewußtsein. Das Christentum versteht Thomasius als „die vollkommenste Offenbarung Gottes", die, „weil göttlich, auch ewig und unveränderlich", kurz: „ein Perfectum absolutum" ist (Orígenes 3f.). Während sich nun der Glaube des einzelnen wie auch der Kirche „durch einen unmittelbaren Akt die ganze Wahrheit, das ganze, in Christo der Welt erschienene, Heil zu[-eignet]" und sich insofern „im vollständigen Besitz desselben" befindet (ebd. 5), vermag sich das Glaubensbewußtsein diesen Heilsbesitz nur mittelbar und sukzessiv, nämlich als „ein fortwährendes Wachsthum an Einsicht in das Wesen der Offenbarung" zu erschließen (ebd. 6), das sich in der dogmatischen Fixierung der Glaubenseinsicht vollendet: „Das Dogma ist eben die, in den Begriff gefaßte, Glaubenswahrheit, nicht sie stlbst, Wie sie an sich ist, sondern die kirchliche Bestimmung derselben, ... der entsprechende Ausdruck für das Gesammtbewußtsein der Kirche; die Formel, in welcher der Glaube der Gemeinde seine Befriedigung findet" (ebd. 6f.). Dieser Prozeß der kirchlichen Dogmenbildung beschreibt für Thomasius „eine, mit innerer Nothwendigkeit stufenweis fortschreitende, wahrhaft dialektische Bewegung, die ... mit jedem neuen Schritt, den sie thut, den reichen Inhalt des christlichen Bewußtseyns vollständiger auseinanderlegt" (ebd. 7). Die Folgerichtigkeit des dogmengeschichtlichen Entwicklungsprozesses sieht Thomasius durch dessen Motor, den Geist Gottes, gewährt (vgl. ebd. 9 - 1 1 ) . Diese Auffassung, die die Geschichte des kirchlichen Lehrbegriffs zugleich als den Selbsterweis seiner Wahrheit versteht, widerspricht unverkennbar den Prinzipien der aufgeklärt-rationalistischen (z.B. J.S. —»Semler; Wilhelm Münscher [ 1 7 6 6 1814]) und idealistisch-spekulativen Dogmengeschichtsschreibung (z. B. F.Ch. ->Baur; Ph.K. Marheineke) des späteren 18. und frühen 19. Jh. 2.2. Als die erste D o g m a t i k des konfessionellen Luthertums will das systematischtheologische opus magnum des T h o m a s i u s (Christi Person und Werk. Darstellung der evangelisch-lutherischen D o g m a t i k v o m Mittelpunkte der Christologie aus, 3 Bde., E r langen 1 8 5 2 - 1 8 6 2 z 1 8 5 6 - 1 8 6 3 3 1 8 8 6 - 1 8 8 8 [gekürzt]), indem es „den Gemeinglauben der K i r c h e " zur Darstellung bringt, nicht dogmatische Speziallehren referieren, sondern „ d a s , was sich der Kirche als schriftgemäße Wahrheit bewährt hat und durch ihren Consensus sanctionirt i s t " (ebd. I, IV), verständig entfalten. D a s im Untertitel verwendete

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Thomasius,

Gottfried

Epitheton „ l u t h e r i s c h " hält T h o m a s i u s insofern für entbehrlich, als damit nicht „etwas Sonderliches, das etwa neben oder außerhalb des Allgemein-christlichen und Evangelischen l ä g e " , sondern das, „ w a s das w a h r h a f t Allgemeine, was insbesondre die rechte, schriftgemäße Mitte zwischen den konfessionellen Gegensätzen bildet" (ebd. I, V ) , gemeint ist. Indem Thomasius „Christi Person und Werk" als den ,,wesentliche[n] Inhalt des christlichen Glaubens" erkennt (ebd. I, 2), entscheidet er sich für eine christologisch zentrierte Disposition des dogmatischen Materials: Bd. I verhandelt „Die Voraussetzungen der Christologie" (Gotteslehre, Anthropologie, Urstandslehre, Hamartiologie), Bd. II „Die Person des Mittlers" (Inkarnation, „Die Person des Gottmenschen", „Die gottmenschlichen Stände"), Bd. III „Das Werk Christi" (Versöhnungslehre, Pneumatologie, Wort- und Sakramentenlehre, die Lehre von Glauben, Rechtfertigung und Heiligung, Ekklesiologie und Eschatologie). Da für Thomasius die Glaubenserfahrung des einzelnen das Prinzip der dogmatischen Theoriebildung darstellt („Das Lebensprinzip unserer Kirche ... ist wesentlich Erfahrung von der Gnade Gottes in Christo.... Wer nun die selige Erfahrung der Rechtfertigung gemacht hat, kann nicht anders, als jeden dieser Sätze [sc. der Dogmatik], die zugleich in der heiligen Schrift ihre volle Bestätigung finden, unterschreiben. Eben damit aber hat er sich zugleich im Wesentlichen zu der Lehre unserer Kirche ... bekannt": Das Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche in der Konsequenz seines Prinzips, Nürnberg 1848, 3 f . l 5 ) , bietet jeder Paragraph zunächst „die Aussage unseres persönlichen Glaubens", die dann anhand der einschlägigen Schriftstellen und kirchlichen Konsenstexte ausführlich entfaltet wird. Die bedeutendste Fortbildung des überkommenen Lehrbestands und zugleich das theologische Proprium dieser Dogmatik besteht in der für Thomasius und dann auch - unbeschadet aller individuellen Nuancen - für die Erlanger Theologie insgesamt eigentümlichen Kenosis-Lehre: dem sich an Phil 2 , 5 - 1 1 anschließenden Gedanken der radikalen Selbstentäußerung des göttlichen Logos. Sie gründet in dem Interesse, das vere homo des Mensch gewordenen Sohnes Gottes uneingeschränkt zur Geltung zu bringen: „Hätte der Sohn Gottes der menschlichen Natur, indem er sie annahm, sofort die unbeschränkte Fülle seiner Gottesherrlichkeit mitgetheilt ..., so wäre sie damit der ihr natürlich anhaftenden irdischen Beschränktheit entkleidet, der Homogeneität mit unserm gegenwärtigen Lebens- und Leidensstande entnommen und von vornherein zu einer Vollendung potenzirt worden, von welcher aus jedenfalls keine Geschichte mehr möglich gewesen wäre" (Christi Person und Werk II, 142). Zur näheren Bestimmung der in der Inkarnation vollzogenen göttlichen Selbstentäußerung trifft Thomasius eine auf die Eigenschaften Gottes zielende Unterscheidung: Während die immanenten göttlichen Eigenschaften (absolute Macht, Wahrheit, Heiligkeit, Liebe) dem Mensch gewordenen Logos unaufgebbar zu eigen sind, hat er sich der relativen göttlichen Eigenschaften (Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart) entäußert, „und zwar nicht bloß ihres Gebrauchs, sondern ihres Besitzes" (ebd. II, 239). Diese Konstruktion hat F.H.R. (von) -»Frank als eine „recht mechanische und unmögliche Teilung der göttlichen Eigenschaften" (F.H.R. Frank, Geschichte 262), P. Althaus als einen ,,Ungedanke[n]" (Die christliche Wahrheit, Gütersloh 5 1959, 454) kritisiert. Abgesehen von dieser speziellen Lehrbildung hat die Dogmatik des Thomasius keine nennenswerte theologiegeschichtliche Wirkung erzielt. Immerhin ist sie für die Konsolidierung der Erlanger Theologie und damit auch für die bayerische Theologenausbildung jener Zeit von Bedeutung gewesen. „Thomasius' Dogmatik ist Glaubenszeugnis im Gewände einer auf dem Luthertum ruhenden Theologie; das ist ihre Kraft und ihre Grenze" (Jordan, Thomasius [1919] 464). 2.3. Die von T h o m a s i u s a m E n d e seines Lebens auf der Grundlage einer erstaunlich breiten Quellenkenntnis verfaßte Dogmengeschichte (Die Christliche Dogmengeschichte als Entwicklungs-Geschichte des kirchlichen Lehrbegriffs, Erlangen, I 1 8 7 4 2 1 8 8 6 [Patristik], II 1 8 7 6 2 1 8 8 9 [Mittelalter und Reformationszeit]) kann insofern e p o c h e m a c h e n d genannt werden, als sie das bis dahin fast durchweg geübte Verfahren, den periodisch geordneten Stoff jeweils nach den einzelnen loci abzuhandeln, aufgab und statt dessen die ganze Lehrentwicklung der christlichen Kirche als einen organisch-dialektischen P r o zeß auffaßte, der im L u t h e r t u m , näherhin in der —> Konkordienformel seinen einstweiligen Abschluß gefunden hat. Den Gedanken einer Entwicklung der christlichen Lehraussagen von der unmittelbaren Glaubenserfahrung bis hin zu ihrer im Dogma abschließend fixierten Gestalt des „Gemeinglaubens", den Thomasius bereits in seinem Origenes skizziert hat, bringt er hier zu reifer Vollendung. Dabei definiert er „Dogma" als „die Form, in der sich der christliche Gemeinglaube nach seinen wesentlichen Momenten einen bestimmten und gemeingiltigen Ausdruck gibt" (Dogmengeschichte

Thomasius,

Gottfried

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I, 7). Die Entwicklung der christlichen Dogmengeschichte versteht Thomasius zugleich organisch und dialektisch: Organisch, d.h. als „successive Auseinanderlegung und naturgemäße Aufeinanderfolge ihre[r] im Keim beschlossenen Momente" (ebd. 1,12), verläuft sie hinsichtlich ihres Inhalts, der sich in der folgerichtigen Bewegung „vom Allgemeinen zum Besondern, vom Unbestimmten zum Bestimmten" (ebd.) entfaltet (Trinitätslehre, Christologie, Sünden- und Gnadenlehre, Versöhnungslehre, Rechtfertigungslehre, Ekklesiologie); dialektisch, d.h. in der strukturellen Abfolge von ,,unmittelbare[r] Einheit, Gegensatz, Vermittlung" (ebd. I, 14) dagegen hinsichtlich ihrer Form. Der Prozeß der kirchlichen Lehrbildung „setzt seine Dialektik so lange fort, bis sich die Kirche mit dem Irrtum vollständig auseinandergesetzt und ihn nach seinen beiden Seiten überwunden hat. Dann setzt sie in der rechten Mitte den Lehrbegriff fest" (ebd. I, 17). Das Resultat dieses Lehrbildungsprozesses „ist das fertige Dogma. ... Im Symbol wird es zur publica doctrina" (ebd.). Daß „die dogmenbildende Glaubensarbeit der Kirche" in der Konkordienformel zu ihrem Abschluß gekommen ist, bedeutet für den bewußt in lutherischer Perspektive arbeitenden Thomasius (vgl. ebd. I, VII) kein dogmatisches, sondern ein historisches Urteil: „Seitdem [haben sich] neue symbolische Bestimmungen nicht herausgebildet" (ebd. II, 446). Zugleich wird die „innerlich zusammenhängende, fortschreitende, organische Entwicklung ..., vermöge deren die christliche Kirche ihren Gemeinglauben zum ausgestalteten Lehrbegriff entwickelt und ihm einen bestimmten symbolischen Ausdruck gegeben hat", für Thomasius zum geschichtlichen Beweis dessen, daß in ihr „das Walten des göttlichen Geistes" am Werk gewesen ist (ebd.). F ü r die Konsolidierung der Erlanger T h e o l o g i e ist T h o m a s i u s , zumal in seiner dogmatischen und dogmengeschichtlichen Arbeit, von erheblicher Bedeutung gewesen. A u c h darf m a n seine - freilich weithin auf Bayern beschränkte - kirchliche W i r k u n g (Religionsunterricht, Theologenausbildung, Predigtarbeit) nicht unterschätzen. Gleichwohl ist T h o m a s i u s in der Theologiegeschichte des 19. Jh. eher eine Randerscheinung geblieben: Eine eigene theologische Schule hat er nicht zu begründen v e r m o c h t , und seine Dogmengeschichte ist bereits nach zehn J a h r e n durch A. - + H a r n a c k s Lehrbuch der Dogmengeschichte (I 1886) antiquiert w o r d e n . Quellen Die wichtigsten Werke sind im Text genannt. 1. Akten: Personalakte Gottfried Thomasius (Archiv der Friedrich-Alexander-Univ. ErlangenNürnberg, Signatur: A 2 - 1 Nr. T 6). - Nachlaß Gottfried Thomasius (Landeskirchl. Archiv Nürnberg). -2. Bibliographie: Hermann Jordan, Thomasius [1919] (s.u. bei Lit.) 4 7 2 - 4 7 6 . - 3 . Weitere Werke: Predigt ... am ... Jubelfeste der Augsburger Confession, Nürnberg 1830. - Grundbegriffe der Dogmatik: ZPK 5 (1843) 1 7 1 - 1 8 7 . - Rede bei der Trauung des Herrn Dr. / Jac / Wilh / Renaud ... mit Fräulein Ottilie Lehmus, Erlangen 1843. - Gedanken über wahre u. falsche Religion: ZPK 7 (1844) 6 1 - 7 3 . - Beitr. zur kirchl. Christologie, Erlangen 1845. - Die Genesis des kirchl. Lehrbegriffs: ZPK 11 (1846) 1 - 4 1 . - Ein vorläufiges Bedenken über das neue Bekenntniß: ZPK 13 (1847) 1 2 9 - 1 3 6 . Literatur Peter Aschoff, Die Kirche im Leben u. Werk v. Gottfried Thomasius, 1999 (LKGG 21). - Georg Lorenz Bauer, Die neuere prot. Kenosislehre, Paderborn 1917. - Horst Beintker, Art. Thomasius, Gottfried: EKL 2 3 (1959) 1437. - Hans-Rudolf Bek, Menschwerdung u. Versöhnung. Eine krit. Unters, zur christozentrischen Dogmatik des G. Thomasius, Diss.masch. Heidelberg 1962. - Karlmann Beyschlag, Die Erlanger Theol., Erlangen 1993 (EKGB67) 9 3 - 9 8 u. passim.-Martin Breidert, Die kenotische Christologie des 19. Jh., Gütersloh 1977. - Franz Hermann Reinhold Frank, Zum Gedächtniß an Thomasius: ZPK 69 (1875) 1 1 3 - 1 1 7 . - Ders., Gesch. u. Kritik der neueren Theol., insbes. der syst., seit Schleiermacher, Leipzig 1908, bes. 2 5 9 - 262. - Gustav Frank, Gesch. der prot. Theol., Leipzig, IV 1905, bes. 460ff. - Martin Hein, Luth. Bekenntnis u. Erlanger Theol. im 19. Jh., 1984 (LKGG 7). - Hermann Jordan (Hg.), Eine Selbstbiographie v. Gottfried Thomasius vom Jahr 1842: BBKG 24 (1917) 1 4 0 - 1 4 4 . - Ders., Thomasius, Gottfried: Anton Chroust (Hg.), Lebensläufe aus Franken, München/Leipzig 1919 (VGFG 7. R. 1) 4 5 1 - 4 7 6 . - Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Die Erlanger Theol. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen der Gesch. der Theol. Fak. 1743-1877, München 1960, bes. 1 6 4 - 1 7 8 . - Friedrich Mildenberger, Gesch. der dt. ev. Theol. im 19. u. 20. Jh., 1981 (ThW 10) bes. 9 5 - 9 9 . - Ulrich Schindler-Joppien, Das Neuluthertum u. die Macht. Ideologiekrit. Analysen zur Entstehungsgesch. des luth. Konfessionalismus in Bayern (1825-1838), 1998 (CThM.BW 16). - Notger Slenczka, Stud. zur Erlanger Theol. I. Der Glaube u. sein Grund, 1998 (FSÖTh 85). - Adolf v. Stählin, Art. Thomasius, Gottfried: AELKZ 8 (1875) 3 2 1 - 3 3 1 . - Ders., Löhe, Thomasius, Harleß. Drei Lebens- u. Geschichtsbilder, Leipzig 1887. -

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Thorwaldsen

Ders., Art. Thomasius, Gottfried: R E 3 19 (1907) 7 3 9 - 7 4 5 . - Paul Tschackert, Art. Thomasius, Gottfried: ADB 38 (1894) 1 0 2 - 1 0 4 . - Friedrich Wilhelm Winter, Die Erlanger Theol. u. die Lutherforschung im 19. Jh., 1995 (LKGG 16) 6 9 - 1 1 3 . - Carl Adolf Gerhard v. Zezschwitz, Gedächtnißrede auf Dr. Gottfried Thomasius, Erlangen 1875.

Albrecht Beutel

Thorwaldsen (Thorvaldsen), Bertel (ca. 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

1768-1844)

(Literatur S. 496)

1. Leben Adolf Rosenberg hat 1896 eine mehr als 100 Jahre später noch immer geltende Aussage über Leben und Wirken Bertel Thorvaldsens gemacht: „Als unser Jahrhundert begann, fielen die ersten Strahlen des Ruhms auf einen jungen dänischen Bildhauer, dessen Name bald die ganze gebildete Welt erfüllen sollte. Jetzt, wo dieses Jahrhundert . . . sich seinem Ende zuneigt, gilt Bertel Thorvaldsen in dem Urteil aller, die durch schöpferische Thaten, durch Wort und Schrift für die ,neue Kunst' kämpfen, als eine gefallene und mit Recht vergessene Größe" (Rosenberg 1). Selten ist ein bildender Künstler von so überragender internationaler Wertschätzung zu seiner Schaffenszeit nach seinem Tod so rasch und so gründlich in Vergessenheit geraten. Dies lag vor allem an seinem dem Klassizismus verbundenen, der Romantik innerlich abgeneigten und einem einer bürgerlichen aufgeklärten Kunstauffassung noch nicht aufgeschlossenen Weltbild. Als sein noch dem 18. Jahrhundert verhafteter italienischer Gegenspieler Antonio Canova 1822 in Rom starb, sah sich Bertel Thorvaldsen, der in die katholische „Kunsthauptstadt" der Welt 1796 eingewanderte protestantische - oder besser akatholische kühle und naive Nordländer, auf der Höhe seines Ruhmes, der bis an sein Lebensende 1844 in Kopenhagen anhielt. Der Zeitpunkt der Geburt Thorvaldsens in Kopenhagen ist, seiner einfachen Herkunft gemäß, nicht eindeutig festlegbar. Als Geburtsdatum galt seit 1796 der 19. November 1770. Mehr Wahrscheinlichkeit hat ein Taufeintrag vom 13. November 1768. Friederike Brun überlieferte 1812, daß Thorvaldsen „1771 oder 1 7 7 2 " geboren sei. Der Vater war der Holzschnitzer und Zimmermann Gotskalk Thorvaldsen aus Nordisland, der Karen Grönlund, Tochter eines jütländischen Küsters, geheiratet hatte. Sein Vorname war Bertel, aus dem im Italienischen Alberto und im Deutschen manchmal Albrecht wurde. Das Monogramm AT, dem Dürermonogramm AD nachempfunden, das Thorvaldsen öfter verwendete, ist hieraus verständlich.

Die dem Vater früh aufgefallene künstlerische Begabung des Jungen veranlaßte ihn, diesen 1781 in die Freischule der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen zu schicken. Die Kleine Silbermedaille für Modellieren wurde ihm 1787 verliehen, und bald darauf erhielt er die Große Silbermedaille für das Relief Ruhender Amor. 1791 und 1793 schlössen sich Goldmedaillen und der erste Preis der Akademie für das Relief Die Apostel Petrus und Johannes heilen einen Lahmen an. Ein dreijähriges Stipendium für Rom war damit verbunden. Da das Reisestipendium nicht verfügbar war, bekam Thorvaldsen Unterstützung für die Fortführung seiner Arbeiten in Kopenhagen - Porträtmedaillons, Vignetten und Statuen nach Entwürfen seines Lehrers Nicolai Abraham Abildgaard (1743-1809) - , bis er 1796 seine Reise nach Rom antreten konnte. Am 8. März 1797 traf er am Tiber ein, später feierte er diesen Tag als seinen „römischen Geburtstag". In Rom fand Thorvaldsen in dem Theologen Friedrich Christian Münter (1761-1830) und dem dänischen Archäologen Georg Zoega (1755-1809) frühe Förderer. Er studierte antike Skulpturen und kopierte sie in Gips und Marmor. Gleich nach seiner Ankunft schloß er sich Asmus Jakob Carstens (1754-1798), Carl Ludwig Fernow (1763 1808) und Joseph Anton Koch (1768-1839) an. 1798 nahm er seine Wohnung in der Via Sistina 25, 1804 zog er in die benachbarte „Casa Buti", Via Sistina 4 8 - 5 1 , einem bevorzugten Künstlerquartier für deutsche Künstler. Noch immer war er Stipendiat der

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Thorwaldsen

Ders., Art. Thomasius, Gottfried: R E 3 19 (1907) 7 3 9 - 7 4 5 . - Paul Tschackert, Art. Thomasius, Gottfried: ADB 38 (1894) 1 0 2 - 1 0 4 . - Friedrich Wilhelm Winter, Die Erlanger Theol. u. die Lutherforschung im 19. Jh., 1995 (LKGG 16) 6 9 - 1 1 3 . - Carl Adolf Gerhard v. Zezschwitz, Gedächtnißrede auf Dr. Gottfried Thomasius, Erlangen 1875.

Albrecht Beutel

Thorwaldsen (Thorvaldsen), Bertel (ca. 1. Leben

2. Werk

3. Wirkung

1768-1844)

(Literatur S. 496)

1. Leben Adolf Rosenberg hat 1896 eine mehr als 100 Jahre später noch immer geltende Aussage über Leben und Wirken Bertel Thorvaldsens gemacht: „Als unser Jahrhundert begann, fielen die ersten Strahlen des Ruhms auf einen jungen dänischen Bildhauer, dessen Name bald die ganze gebildete Welt erfüllen sollte. Jetzt, wo dieses Jahrhundert . . . sich seinem Ende zuneigt, gilt Bertel Thorvaldsen in dem Urteil aller, die durch schöpferische Thaten, durch Wort und Schrift für die ,neue Kunst' kämpfen, als eine gefallene und mit Recht vergessene Größe" (Rosenberg 1). Selten ist ein bildender Künstler von so überragender internationaler Wertschätzung zu seiner Schaffenszeit nach seinem Tod so rasch und so gründlich in Vergessenheit geraten. Dies lag vor allem an seinem dem Klassizismus verbundenen, der Romantik innerlich abgeneigten und einem einer bürgerlichen aufgeklärten Kunstauffassung noch nicht aufgeschlossenen Weltbild. Als sein noch dem 18. Jahrhundert verhafteter italienischer Gegenspieler Antonio Canova 1822 in Rom starb, sah sich Bertel Thorvaldsen, der in die katholische „Kunsthauptstadt" der Welt 1796 eingewanderte protestantische - oder besser akatholische kühle und naive Nordländer, auf der Höhe seines Ruhmes, der bis an sein Lebensende 1844 in Kopenhagen anhielt. Der Zeitpunkt der Geburt Thorvaldsens in Kopenhagen ist, seiner einfachen Herkunft gemäß, nicht eindeutig festlegbar. Als Geburtsdatum galt seit 1796 der 19. November 1770. Mehr Wahrscheinlichkeit hat ein Taufeintrag vom 13. November 1768. Friederike Brun überlieferte 1812, daß Thorvaldsen „1771 oder 1 7 7 2 " geboren sei. Der Vater war der Holzschnitzer und Zimmermann Gotskalk Thorvaldsen aus Nordisland, der Karen Grönlund, Tochter eines jütländischen Küsters, geheiratet hatte. Sein Vorname war Bertel, aus dem im Italienischen Alberto und im Deutschen manchmal Albrecht wurde. Das Monogramm AT, dem Dürermonogramm AD nachempfunden, das Thorvaldsen öfter verwendete, ist hieraus verständlich.

Die dem Vater früh aufgefallene künstlerische Begabung des Jungen veranlaßte ihn, diesen 1781 in die Freischule der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen zu schicken. Die Kleine Silbermedaille für Modellieren wurde ihm 1787 verliehen, und bald darauf erhielt er die Große Silbermedaille für das Relief Ruhender Amor. 1791 und 1793 schlössen sich Goldmedaillen und der erste Preis der Akademie für das Relief Die Apostel Petrus und Johannes heilen einen Lahmen an. Ein dreijähriges Stipendium für Rom war damit verbunden. Da das Reisestipendium nicht verfügbar war, bekam Thorvaldsen Unterstützung für die Fortführung seiner Arbeiten in Kopenhagen - Porträtmedaillons, Vignetten und Statuen nach Entwürfen seines Lehrers Nicolai Abraham Abildgaard (1743-1809) - , bis er 1796 seine Reise nach Rom antreten konnte. Am 8. März 1797 traf er am Tiber ein, später feierte er diesen Tag als seinen „römischen Geburtstag". In Rom fand Thorvaldsen in dem Theologen Friedrich Christian Münter (1761-1830) und dem dänischen Archäologen Georg Zoega (1755-1809) frühe Förderer. Er studierte antike Skulpturen und kopierte sie in Gips und Marmor. Gleich nach seiner Ankunft schloß er sich Asmus Jakob Carstens (1754-1798), Carl Ludwig Fernow (1763 1808) und Joseph Anton Koch (1768-1839) an. 1798 nahm er seine Wohnung in der Via Sistina 25, 1804 zog er in die benachbarte „Casa Buti", Via Sistina 4 8 - 5 1 , einem bevorzugten Künstlerquartier für deutsche Künstler. Noch immer war er Stipendiat der

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Kopenhagener Akademie, die am 3. Dezember 1799 sein Stipendium um weitere zwei Jahre verlängerte. Entscheidend für seine Zukunft wurde die Figur des Jason, die er 1800 erstmals in Ton formte. Thorvaldsens finanzielle Lage verschlechterte sich 1802, so daß er an eine Heimreise dachte, doch durch die Fürsprache seines bildhauerischen Lehrers Abildgaard erhielt er für ein sechstes Jahr eine Unterstützung. Eine zweite Fassung des Jason entstand Ende 1802. Friederike Brun, Schwester Friedrich Christian Münters, finanzierte deren Abformung in Gips, und 1803 bestellte der englische Bankier Thomas Hope eine Marmorfassung, damit sicherte er die finanzielle Existenz des Bildhauers für die Zukunft. Ab 1803 begann eine Produktion von Skulpturen und Reliefs mit Themen aus der antiken Mythologie und von Porträtbüsten. Auftraggeber und Abnehmer waren Rombesucher, die die Skulpturen in seinen Ateliers an der Piazza Barbarini bestellten und aussuchten. Thorvaldsen gehörte bald zur „römischen Gesellschaft" und liebte das gesellige Zusammensein mit den Künstlern, besonders mit denen der deutschen Künstlerkolonie. Er erhielt Ehrungen und Auszeichnungen, wurde Professor an der Florentiner und an der Kopenhagener Akademie, Mitglied und Präsident der Accademia di San Luca in Rom, der Kunstakademien in Mailand, Perugia, Turin, Wien, Berlin, München, Antwerpen, Paris, Stockholm, Amsterdam, New York usw. 1819 besuchte Thorvaldsen erstmals wieder seine Geburtsstadt. Auf dem Weg dorthin besichtigte er bei Luzern den nach seinem Entwurf von Lukas Ahorn (1789/90-1856) aus dem Felsen gehauenen Schweizerlöwen. Auf der Rückreise nach Rom kam er über Berlin und Dresden nach Warschau und Wien. Ende 1820 traf Thorvaldsen wieder in Rom ein. 1825 gab es dort konfessionelle Bedenken gegen die Wahl Thorvaldsens zum Präsidenten der Accademia di San Luca, die Papst Leo XII. (1823-1829) mit den Worten abwehrte: „Ist es einem Zweifel unterworfen, daß Thorvaldsen der größte Bildhauer ist, den wir zur Zeit haben?" (Rosenberg 75). 1833 wurde er Direktor der Kunstakademie in Kopenhagen, und so reiste er 1838 mit einem Großteil seiner Werke, die er der Stadt Kopenhagen vermachen wollte, wieder nach Kopenhagen. Dort wurde 1839 mit dem von ihm initiierten Bau eines Personalmuseums für diese Werke nach Entwürfen von Michael Gottlieb Bindesböll (1800-1856) begonnen. 1841 kehrte er nach Rom zurück, wo er nur bis Ende 1842 blieb, denn die Liebe zu seinem Geburtsland führten ihn zurück nach Kopenhagen, wo er am 24. März 1844 starb. 1848 wurde sein Sarg in den Hof des Thorvaldsen-Museums überführt, das am 17. September 1848 eröffnet wurde und einen Überblick über die Schöpfungen des Bildhauers gewährt und dazu seine Kunstsammlungen und seine Bibliothek zeigt. 2. Werk Die meisten plastischen Werke Thorvaldsens sind in Anlehnung an antike Vorbilder entworfene, in Ton und Gips modellierte Figuren, Figurengruppen oder Reliefs, deren Marmorausführung er versierten Mitarbeitern und Gehilfen überließ. Nach überwiegender Meinung seiner Zeitgenossen hat er niemals einen Meißel angefaßt: „Es ist übrigens allgemein bekannt, daß Thorvaldsen die aus seiner Werkstatt hervorgehenden Bildwerke nicht selber anrührt... Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß Thorvaldsen mit dem reichen Genie und der großen Erfindungsgabe lieber seine Gestalten in Ton modellierte, was dann doch das eigentliche Kunstwerk war" (Athanasius Graf von Raczynski, Geschichte der Neueren Kunst, Berlin, III 1841, 277). Gegenüber dem dänischen Archäologen Peter Oluf Brendsted äußerte sich Thorvaldsen 1822 selbst über seine Fertigungsmethode: „Ich mache jeden Morgen einen Rundgang durch die Werkstätten wie ein Arzt, der die Patienten besucht. Aber ich kümmere mich hauptsächlich um chirurgische Eingriffe" (Breve fra P.O. Brondsted 1801-1833, Memoirer og Breve XL—VII, Kopenhagen 1926, 144). Nur wenige seiner Werke, wie die Reliefs für Christiansborg und die Ausstattung der Vor Frue Kircke in Kopenhagen, der Alexanderfries in Rom, Grabmäler und Denkmäler, waren für bestimmte Plätze gefertigt. Die übrigen Skulpturen entstanden in römischen Ateliers, in Kopenhagen oder in Nysö bei Kopen-

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hagen als „ a u t o n o m e " Erfindungen, die - manchmal in mehreren Fassungen - auf Bestellung oder frei z u m Kauf angeboten wurden. D a n e b e n beschäftigten den Bildhauer Porträtplastiken, die ihm erhebliche Einnahmen verschafften. Thorvaldsen war als Künstler zugleich Hersteller und Unternehmer und entwickelte damit einen neuen Künstlertypus des 19. Jh., der dazu im Geniekult des Jahrhunderts verankert ist. So gibt es von ihm zahlreiche skulpturale Selbstbildnisse und vor allem, wie v o n keinem anderen Künstler seiner Zeit, außerordentlich viele Bildnisse v o n der H a n d seiner Künstlerfreunde. In R o m hatte er begabte Werkstattleiter und Mitarbeiter, wie Pietro Tenerani ( 1 7 8 9 1870) und Luigi Bienaimé ( 1 7 9 5 - 1 8 7 8 ) . Der in Rom erworbene Ruf des Künstlers brachte ihm 1807 den Auftrag, für das neu erbaute Schloß Christiansborg in Kopenhagen vier Reliefs anzufertigen, darunter das Thema der Caritas als christlicher Nächstenliebe. Für die Schloßkirche in Brahetrolleborg auf Fünen schuf er 18051814 ein Taufbecken als Reliefs (eine Terracottafassung von 1832 in der lutherischen Christuskirche in Rom). Der erwartete Besuch Napoleons in Rom 1812 führte zur Modellierung des Frieses mit dem Alexanderzug für einen Saal im Quirinalspalast. 1816 betätigte er sich als Restaurator für antike Giebelfiguren aus Ägina für Kronprinz Ludwig von Bayern (1786-1868), für den er in München weitere Aufträge ausführte, wie die Reiterstatue des Kurfürsten Maximilian I. (17561825; seit 1806 König von Bayern) und das Grabmal für den Schwager des späteren Königs, Eugène de Beauharnais (1781-1824), Herzog von Leuchtenberg. König Ludwig I. von Bayern wollte ihn für eine in München geplante Apostelkirche für einen Relieffries gewinnen, jedoch unterblieb der Auftrag. In dieser Zeit entwickelte Thorvaldsen eine besondere Affinität zu deutschen „Kunden", die eifrige Romreisende waren und zu denen neben Adeligen und Kunstsammlern auch Auftraggeber für „bürgerliche" öffentliche Denkmäler gehörten, wie für -»Schiller in Stuttgart, für -»Goethe in Frankfurt (nicht ausgeführt) und für Gutenberg in Mainz. Dazu kamen private Grabmäler, wie für Johann-Philipp Bethmann-Hollweg, Auguste Böhmer, und eine Gedächtnisstätte für den Sohn von Heinrich Mylius. Für Warschau schuf Thorvaldsen 1822 ein Denkmal des sitzenden Astronomen Kopernikus und ein Reiterdenkmal des Fürsten Joseph Poniatowski, auch Lord Byron wurde von ihm als Sitzfigur 1831 modelliert. Für die Kirche Maria del Carminé in Neapel stiftete König Ludwig I. von Bayern 1836 die Standfigur des enthaupteten Staufersohns Konradin in mittelalterlicher Tracht, die Peter Schöpf (1804-1875) nach Thorvaldsens Tod 1847 in Marmor fertigte. Während für den gleichzeitig mit Thorvaldsen arbeitenden katholischen Italiener A n t o n i o C a n o v a ( 1 7 5 7 - 1 8 2 2 ) die Skulptur die „Transformation von Fleisch zu Stein" (Licht, Studi 97) war, galt für den „Protestanten" Thorvaldsen „die Idee des Steins, der z u m Fleisch wird" (Licht, Canova 48). Thorvaldsen fühlte sich durch die CanovaGruppe der drei Grazien v o n 1 8 1 5 - 1 8 1 7 in diesem Sinne herausgefordert und entschloß sich, eine eigene Version des T h e m a s zu formulieren. Während Canovas Grazien sinnlich-fleischlich modelliert sind und sich in einem Halbkreis eng umarmen, sind Thorvaldsens 1817-1819 entstandenen Figuren mit dem zugefügten kleinen Amor im ruhigen Gespräch miteinander befaßt (Abb. 1). Sie berühren sich kaum. Die „sinnliche N a t u r " in der Existenz der Figuren bei Canova ist einer „Kälte" der Figuren gewichen. Neben den Figuren aus der antiken Mythologie, wie etwa dem stehenden Ganymed und dem Ganymed mit dem Adler, dem Herkules, dem Adonis oder dem Merkur, war auch Thorvaldsens sitzender Hirtenknabe beliebt. Seine Figur der mit dem Peplos bekleideten Hebe folgt griechischen Vorbildern. Bei der Formulierung der Venus mit dem Apfel bemühte sich der Bildhauer dagegen 1813-1816 gegenüber den antiken Vorbildern um eine eigenständige Lösung der zu seiner Zeit beliebten Darstellung. D e n H ö h e p u n k t seines Ansehens erreichte Thorvaldsen, als er gegen viele Widerstände im Auftrag Kardinal E. —•Consalvis, dessen Grabskulptur er als Porträtbüste für das Pantheon ebenfalls fertigte, ab 1825 das Grabmal für Papst -»Pius VII. Chiaramonti mit seiner Sitzfigur in der römischen Peterskirche schuf. Entwürfe für die architektonische U m r a h m u n g lieferten Guiseppe Valadier ( 1 7 6 2 - 1 8 3 9 ) und Karl Friedrich Schinkel ( 1 7 8 1 - 1 8 4 1 ) . N i e wieder durfte ein Nichtkatholik in der Papstkirche eine Skulptur aufstellen. Papst Leo XII. besuchte am 18. Oktober 1826 demonstrativ den Bildhauer in seinem Atelier. D a s Grabmal für Pius VII. und die für die lutherische Kopenhagener Vor Frue Kirke gedachten M o d e l l e von Apostelstatuen zusammen mit dem der Christusfigur s o w i e des Taufbeckens für Brahetrolleborg und der Büste Consalvis w a r e n

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eigens für diesen Besuch in den Vordergrund gerückt worden, wie es der Maler Hans Detlef Christian Martens ( 1 7 9 5 - 1 8 6 4 ) in einem Gemälde überliefert hat. Der Bildhauer hat sich nur indirekt zu seiner Religiosität geäußert. Als der Freund Jorgen Balthasar Baihoff meinte, sein Mangel an Glaube sei ihm bei der Gestaltung der wenigen von ihm erdachten christlichen Themen hinderlich, meinte Thorvaldsen: „ H a b e ich nicht die Gottheiten des Heidentums gut dargestellt, obwohl ich nicht an sie glaube?" (mitgeteilt von Rudolf Zeitler, Klassizismus und Utopia, Stockholm 1954, 148). Aus dieser Haltung heraus ist es ihm gelungen, seine überlebensgroße Christusfigur geradezu zu einem Mythos religiöser Plastik des 19. J h . werden zu lassen, auf ihrem Sockel steht: „Kommet zu m i r " (Abb. 2). Sie fand viele Nachahmungen (z. B. Potsdam-Sanssouci, Friedenskirche, Nachbildung aufgestellt 1851). August Kestner überlieferte, wie Thorvaldsen „in seiner naiv-analysierenden Art" ihren Charakter erläuterte: „Simpel muß so eine Figur sein, denn Christus steht über Jahrtausenden" (Römische Studien, Berlin 1850, 78). Die Bewegung der ausgebreiteten und einladenden Hände der frontal gesehenen langgewandeten Standfigur solle „seine Liebe, seine Umarmung der Menschen aus(drücken), so wie ich es mir gedacht habe, daß der Haupt-Charakter von Christus ist" (ebd.). 1819 hatte Thorvaldsen in Stuttgart die Christusfigur Johann Heinrich Danneckers (1758-1841) als leicht voranschreitende Gewandfigur, die nach oben weist, gesehen. Vermutlich wurde er von ihr zu seiner ganz dem Betrachter zugewandten Christusfigur angeregt. 1821 war in Rom das Modell fertig, es folgten die plastischen Entwürfe von Apostelstatuen für das Mittelschiff der Kopenhagener Frauenkirche, die verschiedene Mitarbeiter ausführten. Weitere Reliefs mit christlichem Inhalt an und in der Kirche stammen von ihm und seinen Mitarbeitern (Relief Kreuztragung Christi, Schutzengel, Die christliche Liebe, Taufe, Abendmahl, Giebelgruppe Predigt Johannes des Täufers, Medaillons mit vier Evangelisten, Kreuztragung). Für einen englischen Sammler wurde 1823 ein modellierter stehender Engel nach antiken Anregungen mit einer Taufschale aus dem Marmor gehauen, den Thorvaldsen abgewandelt als knieenden Taufengel 1839 der Frauenkirche schenkte (zeitgenössische Nachbildung aus Ton in Blumenthal bei Potsdam). 1823 wurde Thorvaldsen gebeten, bei der Herstellung von drei der vier Evangelistenstatuen in der Grabkapelle der württembergischen Königin Katharina Pawlowna (1788-1819) auf dem Rotenberg bei Stuttgart behilflich zu sein. Für die Evangelisten Matthäus und Markus lieferte er die Bozzetti, die von Johann Leeb (1790-1863) und Johann Nepomuk Zwerger (1798-1868) ausgeführt wurden, Theodor Wagner wies er an, seiner Lukasfigur den Löwen hinzuzufügen. 3.

Wirkung

Größte Verehrung fand Thorvaldsen in seinem Geburtsland, das ihn als den bedeutendsten und einzigen international anerkannten Bildhauer des Landes und als Genie feierte. Als er am 17. September 1838 aus R o m „heimkehrte", gestaltete sich seine Ankunft zu einer nationalen Feier. Das Thorvaldsen-Museum neben dem königlichen Schloß in Kopenhagen wurde zu einer Kultstätte. Aber Adolf Rosenberg hat schon 1896 ausgesprochen, was noch immer gilt: „Nur Dänemark pflegt noch mit Ehrfurcht und Pietät das Gedächtnis seines großen Sohnes ... Die Dänen nehmen freilich in ihrem einseitigen Patriotismus Thorvaldsen für sich allein in Anspruch" (1). So wird dort auch sein Andenken durch nippeshafte Nachbildungen seiner Figuren wachgehalten, besonders aber in Figurinen und in Reliefs der Königlichen Porzellanmanufaktur Kopenhagen. Kaum jemand weiß, daß auf vielen Friedhöfen die Christusfiguren mit dem einladenden Händegestus der Christusfigur von Thorvaldsen nachempfunden sind. In den Museen der Welt gibt es nur wenige Thorvaldsen-Skulpturen. Sie sind konzentriert im Thorvaldsen-Museum in Kopenhagen zu sehen. Sein künstlerischer Einfluß auf die erste Generation amerikanischer Bildhauer war besonders groß. Viele deutsche Bildhauer, wie Christian Daniel Rauch ( 1 7 7 7 - 1 8 5 7 ) , Christian Friedrich Tieck ( 1 7 7 6 - 1 8 5 1 ) , Rudolph Schadow ( 1 7 8 6 - 1 8 2 2 ) , Konrad Eberhard ( 1 7 6 8 - 1 8 5 9 ) , Franz Pettrich ( 1 7 7 0 1844), Emil Wolff ( 1 8 0 2 - 1 8 9 7 ) u.a., die in R o m zur Zeit Thorvaldsens sich ausbildeten, konnten sich seinem Vorbild nicht entziehen. Erstmals erhielt der Bildhauer 1977 eine Ausstellung in Köln, der in R o m 1990 und in Nürnberg und Schleswig 1991/92 weitere Ausstellungen folgten.

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Tafel 6

Abb. 1 Bertel T h o r w a l d s e n , A m o r und die Grazien, M a r m o r . T h o r w a l d s e n - M u s e u m , Kopenhagen ( 1 8 1 7 - 1 8 1 9 )

Tafel 7

Abb. 2 Bertel Thorwaldsen, Christusfigur aus der Frauenkirche, M a r m o r . Kopenhagen (1833)

Thüringen

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Gerhard Bott Thüringen 1. Allgemeiner historischer Uberblick 2. Anfänge des Christentums und der kirchlichen Organisation 3. Der Verlauf der Christianisierung 4. Monastisches Leben und Kanonikerstifte 5. Spätmittelalterliches Christentum 6. Reformation und Konfessionalisierung 7. Kirchenreform, Pietismus und Aufklärung 8. Der Protestantismus zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg 9. Der römische Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert 10. Die Thüringer evangelische Kirche 11. Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ( 1 9 3 3 - 1 9 4 5 ) 12. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen 13. Kirchenkundlich-statistische Daten (Quellen/Literatur S.515)

Thüringen

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Palazzo del Quirinale: Thorvaldsen (s. o. zu Katharina Boti) 3 5 - 4 1 . - Ders., Bertel Thorvaldsen la vita e l'opera dello scultore, R o m 1997. - Else Kai-Sass, Thorvaldsens Portraetbuster, 3 Bde., Kopenhagen 1 9 6 3 - 6 5 . - John Kenworthy-Browne, Drawings and M o d e l s by Thorvaldsen: The Conoisseur 184 (1973) 2 5 6 - 2 6 0 . - Julius Lange, Thorvaldsen's Darst. des Menschen. Ein kunstgesch. Umriß. Ins Dt. übertr. v. M a t h i l d e M a n n , Berlin 1894. - Fred Licht, Thorvaldsen and Continental Tombs of the Neoclassic Period: Bertel Thorvaldsen (s.o. zu Siegfried Gohr) 173 - 202. Ders., Canova u. Thorvaldsen: Künstlerleben in R o m (s.o. Ausstellungskataloge) 4 5 - 5 1 . - A. Listov, Pavernes Gravmaeler og Thorvaldsens M i n d e s m a e r k e over Pius VII i Roms St. Peterskirke: Dansk Maanedsskrift 2 (1865) 1 1 7 - 1 4 1 . - H e r m a n n Lücke, Antonio Canova u. Bertel Thorvaldsen: Kunst u. Künstler des 19. Jh., hg. v. Robert Dohme, Leipzig 1883. - Adolf Michaelis, Thorvaldsen u. Zoega: ZBKu 38 (1903) 1 9 3 - 1 9 6 . - Stig Miss, Das Thorvaldsen M u s e u m : Künstlerleben in Rom (s.o. Ausstellungskataloge) 3 4 1 - 3 5 4 . - Melchior Missirini, Intera collezione di tutte le opere inventate e scolpite dal cav. Alberto T h o r w a l d s e n . Incisa a contorni con illustrazioni del chiarissimo abate Misserini, 2 Bde., Rom 1831. - Ferdinando M o r i , Le statue e li bassorilievi inventati e scolpiti in marmo dal cavaliere Alberto T h o r w a l d s e n . Incisi e publicati da Ferdinando M o r i , R o m 1811. - Karl T. Müller, Thorwaldsen, Berlin 1938. - Theodor Oppermann, Thorvaldsen. H a n s Barndom og ungdom, 1 7 6 8 - 1 7 9 7 , Kopenhagen 1924. - Ders., Thorvaldsen. M a n d o m s a a r e n e i Rom, 1 7 9 7 1819, Kopenhagen 1927. - H. Pfundheller, Thorvaldsen u. die Frauenkirche in Kopenhagen: PKZ (1881) Nr. 2 9 - 3 1 . - Antonio Pinelli, Il Perseo di Canova e il Giasone di Thorvaldsen. Due modelli di „nudo eroico" a confronto: Thorvaldsen (s.o. zu Katharina Bott) 2 1 - 3 3 . - Adolf Rosenberg, Thorwaldsen, Bielefeld/Leipzig 1896. - Karl L u d w i g Schorn, Thorvaldsens Arbeiten für die Frauenkirche in Kopenhagen: Kunstblatt (1824) 1 1 3 - 1 3 9 . - M a r i a n n e Saabye, Thorvaldsen-Bibliogr.: Bertel Thorvaldsen (s.u.) 4 6 9 - 4 8 1 . - Sigurd Schultz, Thorvaldsen og Vor Frue Kirke: D a n m a r k s Kirker, Kopenhagen, 1/2 1949, 1 9 3 - 2 2 8 . - Schwäbischer Klassizismus zw. Ideal u. Wirklichkeit. 1 7 7 0 - 1 8 3 0 , hg. v. Christian v. Holst. II. Aufsätze, Stuttgart 1993 (Zeichnen, M a l e n , Bilden). T h . Seemann, Bertel Thorwaldsen: Klassiker der Plastik. M o d e r n e Plastiker, Leipzig 1884, 3 5 - 6 7 . - Franz Sickler, Die plastischen Werke Thorwaldsens, des Dänen, in R o m : Journal f. Lit., Kunst, Luxus u. M o d e ( J a n u a r 1814) 5 6 8 - 5 7 7 . - H a r a l d C. Tesan, Dt. Bildhauer bei Thorvaldsen in Rom: Künstlerleben in Rom (s.o. Ausstellungskataloge) 2 5 9 - 277. - Ders., Thorvaldsen u. seine Bildhauerschule in Rom, Köln/Weimar/Wien 1998. - Justus M a t t h i a s Thiele, Thorvaldsens Jugend 1 7 7 0 - 1 8 0 4 . N a c h des verstorbenen Künstlers Briefwechsel, eigenhändigen Aufzeichnungen u. hinterlassenen Papieren, aus dem Dan. v. H a n s Wachenhausen, Berlin 1851. - Ders., Thorvaldsens Leben nach den eigenhändigen Aufzeichnungen, nachgelassenen Papieren u. dem Briefwechsel des Künstlers. Dt. v. Henrik Helms, 3 Bde., Leipzig 1 8 5 2 - 1 8 5 6 . - Ders., Thorvaldsen's Arbeiten u. Lebensverhältnisse im Zeiträume 1 8 2 8 - 4 4 . Nach dem dän. Orig. bearb. u. verkürzt v. F.C. Hillerup, 2 Bde., Kopenhagen 1 8 5 4 - 1 8 5 7 . - Bertel Thorvaldsen. Unters, zu seinem Werk u. zur Kunst seiner Zeit, hg. v. Gerhard Bott, Köln 1977 (Kölner Ber. zur Kunstgesch. 2). - T h o r w a l d s e n s Werke in einer Ausw. u. in Umrissen. Nebst kurzer Erklärung u. einer Lebensskizze des Verfassers, Stuttgart 3 1839. - Anne Lise Thygesen, Thorvaldsen, Hansen og de tolv apostle: Meddelelser fra Thorvaldsens M u s e u m s (1989) 1 1 3 - 1 1 8 . - Karl L u d w i g v. Ulrichs, Thorvaldsen in R o m . Aus Wagner's Papieren, Würzburg 1887. - Fr. Emil G. Warnstedt, Thorvaldsens Arbeiten für die Frauenkirche in Kopenhagen, Kopenhagen 1820. - Carl Frederick Wilckens, Züge aus Thorvaldsens Künstler- u. Umgangsleben. N a c h der 2. dàn. Ausgabe v. Theodor Schorn, Kopenhagen 1875. - Ders., Thorvaldsens sidste Ar, Optegnelser of hans fordums kammertjener, med inledning af Dyveke Heisted og Billedredaktion ved Bjarne J a m a l s , Kopenhagen 1973. - Jürgen Wittstock, Gesch. der dt. u. skandinavischen Thorvaldsen-Rezeption bis zur Jahresmitte 1819, Diss. H a m b u r g 1973; o . 0 . 1 9 7 5 . - Ders., Zur Voraussetzung u. Entwicklung des Reliefstils bei Thorvaldsen: Bertel Thorvaldsen (s.o. zu Siegfried Gohr) 3 9 - 4 8 . - Angela Zucconi, Lettere di italiani a Thorvaldsen: Studi Germanici 5 (1942) 3 5 5 - 3 7 8 .

Gerhard Bott Thüringen 1. Allgemeiner historischer Uberblick 2. Anfänge des Christentums und der kirchlichen Organisation 3. Der Verlauf der Christianisierung 4. Monastisches Leben und Kanonikerstifte 5. Spätmittelalterliches Christentum 6. Reformation und Konfessionalisierung 7. Kirchenreform, Pietismus und Aufklärung 8. Der Protestantismus zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg 9. Der römische Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert 10. Die Thüringer evangelische Kirche 11. Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ( 1 9 3 3 - 1 9 4 5 ) 12. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen 13. Kirchenkundlich-statistische Daten (Quellen/Literatur S.515)

498 1. Allgemeiner

Thüringen historischer

Überblick

Unter Thüringen wird im folgenden das politische Gebiet verstanden, das am 4. Januar 1920 als Land Thüringen gegründet wurde und mit Unterbrechung von 1952 bis zur Wiedergründung am 3. Oktober 1990 besteht (als Freistaat seit dem 25. Oktober 1993). Ausgenommen sind in der Darstellung ab 1815 die Teile des Landes, die bei -•Kurhessen-Waldeck verblieben oder 1815 zu -»Preußen kamen (vgl. TRE 29,581). Geographisch handelt es sich bei dem Kerngebiet Thüringens um eine Beckenlandschaft, die im Westen, Norden und Osten von Flußläufen (Werra, Unstrut, Saale bzw. Weiße Elster) begrenzt und von Kalk- und Bundsandsteinzonen umgeben wird. Im Norden schließt sich der Harz an, im Süden überschreitet die politische Landschaft Frankenwald und Thüringer Wald auf Franken hin. Der Name der Thüringer taucht erstmals Ende des 4. Jh. n. Chr. (Vegetius, Mulomedicina III 6,3 [Toringi]) auf. Sie stehen in Kontinuität zum älteren Volksverband der Hermunduren. Das kurzlebige, nach der Mitte des 5. Jh. enstandene Königreich der Thüringer griff im Norden bis zur späteren Altmark, im Osten über die Elbe und im Süden bis in das Maingebiet aus. Der Sieg der Chlodwig-Söhne Theuderich und Chlotar 531 über den letzten König Herminafrid führte zum Zusammenbruch des Reiches und zur Einbeziehung in das merowingisch-fränkische Herrschaftsgebiet bis zu Unstrut und Saale mit jeweiligem nördlichem und östlichem Vorland. Für das Ende des 7. Jh. sind Besitzungen des in Würzburg residierenden Herzogs Heden in strategisch wichtigen Randbezirken des Thüringer Beckens bezeugt (s.u.). Die karolingische Reichsteilung 741 wies Thüringen Karlmann (gest. 794) zu. Das Gebiet wurde Aufmarschgebiet zur Sicherung gegen Sachsen und Slawen. Die spätkarolingische Zeit kennt Markenherzöge und ihre Tendenz zu eigenmächtiger Herrschaft. Den sächsischen Liudolfingern gelang nach der Mitte des 9. Jh. die Festigung ihrer Herrschaft im nördlichen Thüringen. Mit König Heinrich I. (reg. 919-936) rückte Thüringen in unmittelbare Nähe des ostfränkisch-sächsischen Königtums. Dessen Ausgriff über die Saale und Elbe und die Bistumsgründungen von -»Magdeburg, Merseburg, Zeitz/Naumburg und Meißen 968 machten Thüringen zum Binnenland des Reiches. Für die ottonische Zeit wurde die politische Aktivität von Grafengeschlechtern wichtig, unter denen die Grafen von Weimar(-Orlamünde) und die Ekkehardiner als Markgrafen zwischen Saale und Mulde eine besondere Rolle spielten. (Möglicherweise geht der Ursprung der Grafen von Käfernburg[-Schwarzburg] bereits auf karolingische Zeit zurück.) Für die Geschichte Thüringens im Hochmittelalter wurde die Einwanderung der Ludowinger aus dem mittleren Maingebiet (um 1040), der Ausbau der Territorialherrschaft der Erzbischöfe von —»-Mainz mit dem Zentrum -»Erfurt und die Herrschaftsbildung zahlreicher Grafen- und Herrengeschlechter (Grafen von Schwarzburg-Käfernburg, Grafen von Gleichen, Vögte von Weida) wichtig. Zwischen Harz und Hainleite etablierten sich seit dem 12. Jh. die Grafengeschlechter derer von Ilfeld-Honstein, von Klettenberg, von Rothenburg, von Kirchberg und von Beichlingen, zu Beginn des 13. Jh. gefolgt von den Grafen von Stolberg. Die Ludowinger waren zusammen mit den Käfernburgern und sächsischen Grafen am Aufstand gegen König -»Heinrich IV. 1073/75 beteiligt. Die Verleihung der Landgrafenwürde durch König Lothar III. (reg. 1125-1137) 1131 an Ludwig I. (reg. 1131—1140) band sie an den König und versetzte sie in einen Stand, der dem eines Herzogs ähnlich war. Sie erwarben durch Heirat neben nordthüringischen Gebieten die Herrschaft Hessen (Kassel-Marburg) und wurden treue Gefolgsleute -»Friedrich I. Barbarossas. Als ihre Rivalen agierten durch politische Anbindung an das Erzstift Mainz die Grafen von Gleichen-Tonna. Die Klosterpolitik der Grafen von Käfernburg-Schwarzburg stellte mit der Gründung von Georgenthal (1143) den Versuch dar, den Ludowingern und ihrer Gründung Reinhardsbrunn ein Gegengewicht zu bieten. In den Auseinandersetzungen mit Heinrich dem Löwen (1129-1195) sicherten sich die Landgrafen durch - wenn auch späte - Parteinahme für seine Gegner die Pfalzgraf-

Thüringen

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schaft Sachsen. Ihre Existenz als Landgrafen war kurze Zeit durch die Erwägung König Heinrichs VI. bedroht, die Belehnung der Ludowinger nach dem Tode Ludwigs III. 1190 nicht wieder vorzunehmen. Damit wäre Thüringen ein Kronland des Reiches geworden. Die dann doch erfolgte Belehnung Hermanns I. (reg. 1190-1217) veranlaßte den neuen Landgrafen zu mehrfach wechselnder Parteinahme in dem staufisch-welfischen Thronstreit nach der 1198 erfolgten Doppelwahl Philipps von Schwaben (reg. 1198-1208) und Ottos IV. (reg. 1198-1218). Hermanns Sohn Ludwig IV. (reg. 12171227) sicherte sich die Vormundschaft über seinen Neffen, den Markgrafen Heinrich von Meißen (reg. 1221-1288), und ließ sich von Kaiser -»Friedrich II. mit der Markgrafschaft belehnen. Seine weitergehenden Pläne wurden durch seinen Tod während des Kreuzzuges 1227 zunichte. Seinem Bruder Heinrich Raspe (um 1204-1247) als seinem Nachfolger waren im Spannungsfeld zwischen Papst —»Innocenz IV. und Friedrich II. schwierige politische Aufgaben gestellt. Noch vor seiner Wahl zum König (1246) erreichte er die Belehnung seines Neffen Heinrich von Meißen mit Thüringen und der Pfalzgrafschaft Sachsen. Bei seinem Tod 1247 war der Übergang der Landgrafschaft Thüringen an die Wettiner eingeleitet. Sie stellte zwischen 1382 und 1440 ein eigenes Fürstentum dar. Bis 1547 teilte sie ihre politische Geschichte mit der der Markgrafschaft Meißen. Das Erzstift Mainz, das mit wechselndem Geschick in die Politik Thüringens eingriff, hatte, beginnend wohl schon in spätkarolingischer Zeit, seine Besitzungen (etwa 900 Quadratkilometer) vor allem im Eichsfeld und im Erfurter Raum konzentriert. Dazu kamen Burgen und Streubesitz. Der größte Teil der durch Erzbischof Adalbert I. (11111137) erworbenen Güter lag in Thüringen. Im 14. und 15. Jh. erlebte Thüringen eine Reihe von Kriegen, die die politische Landkarte veränderten. Nachdem die Versuche der Könige Adolf von Nassau (reg. 12921298) und Albrecht I. von Habsburg (reg. 1298-1308) gescheitert waren, Thüringen zum Reichsland zu machen, hatte sich Friedrich II. der Ernsthafte (reg. 1323-1349) eines Aufstands der Grafen von Orlamünde, von Schwarzburg, der Herren von Reuß und der Städte Mühlhausen und Erfurt zu erwehren. Der Bruch des Landfriedens war ihm Anlaß, im sog. Grafenkrieg (1342-1345) die Positionen der Grafen von Schwarzburg und Weimar-Orlamünde entscheidend zu schwächen. Die Macht der Vögte von Weida wurde durch Friedrich III. den Strengen (reg. 1349-1381) im Vogtländischen Krieg (13541359) gebrochen, ihre Herrschaften teilweise an die Wettiner verkauft und der Landgrafschaft zugeteilt. Die Chemnitzer Teilung 1382 übertrug, vorbereitet durch Maßnahmen systematischer Landesverwaltung (u.a. Lehnbuch Friedrichs des Strengen 1349), Thüringen dem Markgrafen Balthasar (reg. 1349-1406) und das Oster- und Pleißenland den Söhnen Friedrichs des Strengen. Die Folgen einer unter geographisch-herrschaftspolitischem Gesichtspunkt unvorteilhaften wettinischen Landesteilung durch den Sohn Balthasars, Friedrich den Friedfertigen (1406-1440), wurden durch die Besetzung Thüringens durch die Söhne Friedrichs des Strengen abgefangen. Inzwischen hatte sich, begünstigt durch ein Zusammenspiel zwischen -»Ludwig IV. dem Bayern und Berthold VII. von Henneberg (1284-1340), die hennebergische Herrschaft nicht nur im oberen Werratal und bis auf die H ö h e des Thüringer Waldes ausgebreitet, sondern auch in einzelnen Besitzungen bis in das Thüringer Becken vorgeschoben. Die Eheschließung Friedrichs des Strengen mit Katharina von Henneberg (reg. 1353—1381) entsprang wohl politischer Einsicht. Friedrich sicherte, als 1353 ein anstehender Erbfall eintrat, bei Kaiser Karl IV. (reg. 1347-1378) den Erwerb des hennebergisch-coburgischen Landesteils für die Wettiner. Bis 1920 unterstand das Coburger Land den Wettinern und gehörte nach 1485/1547 zu den ernestinisch-thüringischen Herrschaften. Die Belehnung Friedrichs IV. des Streitbaren (1370-1428) mit dem Herzogtum Sachsen-Wittenberg brachte ihm neben erheblichem territorialem Zugewinn im mittleren Elbraum vor allem die Kurfürstenwürde ein und führte zur Übertragung des sächsischen Herzogtitels an seine sämtlichen regierenden Nachkommen, so daß in Thüringen auch künftig wettinische „Herzöge von Sachsen" regierten.

500

Thüringen

Eine weitere wettinische Landesteilung, 1445 in Altenburg vorgenommen, stand aufgrund gegenseitigen Mißtrauens unter ungünstigen Vorzeichen. Sie führte zum Sächsischen Bruderkrieg (1446-1451), in dem sich die Brüder Friedrich der Sanftmütige (1412-1464) und Wilhelm III. gegenüberstanden und der weite Teile Thüringens verwüstete. Wilhelm III. wählte Weimar als seine Residenz. Erfurt unterstellte sich 1483 wettinischer Schutzherrschaft. Die Leipziger Teilung 1485 (TRE 29,558,52—60) brachte den ernestinischen Wettinern einen weit zerdehnten, in sich zerrissenen Herrschaftsbereich ein: das westliche Gebiet mit Eisenach/Gotha, das relativ geschlossene mittelthüringische Gebiet mit Weimar, dazu das Coburger Land, Plauen, Zwickau, Grimma, Altenburg und Torgau sowie das Herzogtum Sachsen-Wittenberg. Seitdem zog sich bis 1815 quer durch das nördliche Thüringen von Leipzig bis zur Werra ein wettinisch-albertinischer Besitzkomplex, der seinerseits u.a. schwarzburgische Teilgebiete einschloß. Einen politisch tiefen Einschnitt erlebte Thüringen durch den Ausgang des —•Schmalkaldischen Krieges. Der ernestinische Herzog Johann Friedrich der Großmütige (15031554), von Kaiser —»-Karl V. in Gefangenschaft geführt, verlor einen Teil des ernestinischen Territoriums, u.a. den Kurkreis mit Wittenberg und damit die Kurwürde an die Albertiner. Der Vorgang wirkte lange Zeit als Trauma nach und bestimmte das politische Handeln seines Sohnes und Nachfolgers, Johann Friedrichs des Mittleren (1529-1595), bis hin zum Abenteuer der Grumbachschen Händel, deren für den Ernestiner unglücklicher Ausgang die lebenslange Gefangenschaft in kaiserlichem Gewahrsam zur Folge hatte. Als sein Bruder Johann Wilhelm (geb. 1530) im März 1573 starb, drängte Kurfürst August von Sachsen (reg. 1553-1586) auf die Obervormundschaft über seine Söhne, die er bis 1586 wahrnahm. Der Erfurter Vertrag von 1572 eröffnete die ein Jahrhundert fortdauernde Reihe der ernestinischen Landesteilungen. Die Situation stabilisierte sich nach 1640 bzw. 1680 durch die Entstehung der beiden ernestinischen Hauptregentschaftslinien Weimar und Gotha, die danach nochmals in drei bzw. sieben Speziallinien zerfielen. Johann Casimir (1564-1633), Regent des Gothaer und Coburger Gebiets seit 1586, sorgte durch Eröffnung eines gesonderten Konsistoriums und die Einrichtung eines Geheimen Rates für die Durchstrukturierung der Verwaltung seines Landes. In Weimar entwickelte Wolfgang Ratichius (1571 -1635) eine zukunftweisende Pädagogik, ebenfalls in Weimar hatte die „Fruchtbringende Gesellschaft" (1617) eine ihrer Wurzeln. Das Engagement der Ernestiner im ->Dreißigjährigen Krieg forderte große Opfer, u.a. den Tod dreier Prinzen. Die religiös motivierten Reformen Emsts I. von SachsenGotha (1601 — 1675; s.u.) erwuchsen vor diesem Hintergrund. Mit ihm und seinen Nachfolgern rückte Gotha für ein Jahrhundert in die Führungsrolle unter den Ernestinern auf. Den schwarzburgischen Linien Arnstadt und Sondershausen wurde 1697, der Linie Rudolstadt 1710 die Reichsfürstenwürde, den reußischen Linien 1673 die Reichsgrafenwürde zuteil, zwischen 1778 und 1806 fünf von ihnen die Reichsfürstenwürde. In Sachsen-Weimar legte die vormundschaftliche Regierung Anna Amalias von Braunschweig-Wolfenbüttel (1739-1807), der jungen Witwe des Herzogs Ernst August II. Konstantins (1738-1758), zwischen 1759 und 1775 den Grund für die literarische Kultur der Goethezeit unter Carl August (1757-1828). Seine Gegnerschaft zu Napoleon brachte dem Land 1815 erheblichen territorialen Zugewinn und dem Herrscherhaus den Titel „Großherzog". Eine erste Verfassung (Mai 1816) erfüllte innenpolitische Hoffnungen des Regenten. Die Linie Gotha-Altenburg (seit 1680) erlosch 1825. Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen (reg. 1780-1834) gab mit einer Landesteilung seine bisherige Herrschaft auf und erhielt das Herzogtum Sachsen-Altenburg. Thüringen erhielt 1816 mit dem Oberappellationsgericht Jena eine die Teilstaaten einende Institution. 1833 wurde der Anschluß an den preußischen Zollverein erreicht. Von ihm profitierte zuerst die vogtländische Textilindustrie. Die Unruhe der Pariser Revolution von 1830 griff vor allem auf Altenburg und Gotha über, wo Verfassungsreformen gefordert und teilweise durchgesetzt wurden.

Thüringen

501

Die republikanische Bewegung der Revolution von 1848 erfaßte Altenburg am stärksten. Hier wurde sächsisches Militär zu Hilfe gerufen. Herzog Joseph (1789-1868) dankte ab. Zu Volksaufständen kam es auch in den Herrschaften Reuß jüngere Linie (j.L.). Weimar erhielt für vier Jahre das gleiche, allgemeine Wahlrecht. Landwirtschafts-, Justizund Verfassungsreformen erfuhren alle thüringischen Kleinstaaten. Die von Weimar aus stark betriebenen Pläne zu einer staatlichen Vereinheitlichung Thüringens mit Erfurt als Hauptstadt versandeten Mitte 1849. Die bestimmenden politischen und kulturellen Kräfte Thüringens im 19. Jh. wurden Weimar (Großherzog Carl Alexander, 1853-1901) und Gotha (Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, 1818-1893). Beide protegierten in unterschiedlicher Konsequenz die Reichseinigung durch Preußen. Die Arbeiterbewegung meldete sich nach 1870 als politische Macht zu Wort. In Gotha fand 1875 der Sozialistenkongreß mit der Vereinigung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands statt. Die beiden 1876 und 1877 folgenden Parteitage der neuen Partei wurden ebenfalls in Gotha abgehalten. Im Landtag von Schwarzburg-Rudolstadt war 1871 der erste Sozialdemokrat vertreten. Die Reichstagswahl 1877 zeigte die Sozialdemokraten in Thüringen als zweitstärkste Partei. Zu Beginn des 20. Jh. waren auch Apolda, Altenburg, Jena, Sonneberg, Saalfeld und die reußischen Herrschaften zu Hochburgen der Sozialdemokratie geworden. Bei der Reichstagswahl 1912 war sie die politisch stärkste Kraft im Lande. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs dankten alle thüringischen Fürsten zwischen dem 10. und dem 25. November 1918 ab. In Weimar tagte 1919 die Nationalversammlung wegen drohender Unruhen im Lande zeitweise unter Militärschutz. In allen thüringischen Einzelstaaten kamen teilweise radikal linke Parteien an die Regierung. In Gotha kam es 1919 zum Bürgerkrieg, in dem sich an der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USFD) orientierte Arbeiter und Reichswehr gegenüberstanden. Die Verhandlungen um die Bildung eines Landes Thüringen erreichten nur ein Teilziel. Der preußische Regierungsbezirk Erfurt schloß sich dem Lande nicht an. Coburg optierte für Anschluß an Bayern. Die folgenden Jahre waren bis 1924 durch zur Radikalität neigende linke Regierungen bestimmt (Sozialdemokratische Partei Deutschlands/USPD/ Kommunistische Partei Deutschlands). Nach einer Zwischenzeit mit bürgerlichen Regierungen wurde am 8. Dezember 1929 für einige Monate mit Volksbildungs- und Justizminister Wilhelm Frick (1877-1946) ein Nationalsozialist Mitglied der Landesregierung. Hitler erhoffte sich von dieser Konstellation ein Modell nationalsozialistischer Machtergreifung. Sie wurde in Thüringen mit dem Regierungsantritt von Fritz Sauckel (1894-1946) am 31. Juli 1932 verwirklicht, der 1933 Reichsstatthalter in Thüringen wurde, ohne Landtag regierte und bis 1945 seine Behörde „zu einer faktischen Regionalregierung" (Mai 100) umwandelte. Nach der Besetzung Thüringens durch amerikanische Truppen wurde der linkssozialistische Buchenwald-Häftling Hermann Brill (1895-1959) vorläufiger Regierungspräsident der Provinz Thüringen, die nun auch die preußischen Gebiete und einige Kreise des Landes Sachsen umfaßte. Brill wurde von Walter Ulbricht (1893-1973) ausgeschaltet und floh nach Hessen. Thüringen wurde nun Musterland für die Vereinigung von SPD und KPD. Der erste Ministerpräsident des Landes, Rudolf Paul (1893-1978), floh im September 1947 nach West-Berlin. Das Land wurde im Zuge der Verwaltungsreform der DDR am 23. Juli 1952 auf die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt. Um 1960 stellte die Bevölkerung des Bezirks Erfurt den in der DDR prozentual höchsten Anteil an Flüchtlingen in die BRD und das westliche Ausland. Hatten die Wahlen von 1946 noch einmal nahezu die Parteienverhältnisse der Weimarer Republik ergeben, so brachten die Volkskammerwahlen vom 18. Juli 1990 eine überwältigende Mehrheit (52,6%) für die mit der Christlich-Demokratischen Union (CDU) verbundene Allianz für Deutschland.

502 2. Anfänge

Thüringen des Christentums

und der kirchlichen

Organisation

Die vorbonifatianischen Anfänge des Christentums in Thüringen sind nur durch wenige Spuren zu erschließen. D a ß es vor 531 am altthüringischen Königshof mit Amalaberga, der Schwester Theoderichs des Großen und Gattin König Herminafrids, homöisch geprägtes Christentum gab, hatte für die Bewohner des Landes keine Folgen. Der Schlotheimer Fund von 1985, datiert auf das zweite Jahrzehnt des 7. Jh., weist w o h l lediglich auf die Präsenz fränkisch-merowingischen Christentums im militärischen Schutzgürtel an der Grenze des Frankenreichs in Thüringen hin (-»Franken). D i e unter fränkischem Einfluß eingesetzten thüringischen H e r z ö g e des 7. Jh., die Vertreter der fränkischen Zentralgewalt in Thüringen und Teile des thüringischen Adels w a r e n bereits christianisiert. Möglicherweise gehen die Besitzungen der Kirchen von Reims und Chälons-sur-Marne a m Westrand des Thüringer Beckens s o w i e in der Gegend v o n Nordhausen auf Schenkungen von im Dienst der Franken stehenden Herzögen des 7. Jh. in diese Zeit zurück. O b die Schenkung v o n Gütern, die H e r z o g H e d e n in Würzburg 704 und 716 Erzbischof -»Willibrord von Utrecht in den strategisch wichtigen Bereichen des Umkreises v o n Arnstadt, in G r o ß m o n r a und in H a m m e l b u r g übereignete, kirchenpolitische Pläne verrät, m u ß offenbleiben. - • B o n i f a t i u s traf bei seinem ersten Aufenthalt im Lande (719) auf Vertreter der thüringischen Oberschicht (seniores), die Christen waren, gleichzeitig auch auf Kleriker, die seinen Anforderungen an ein priesterliches Leben nicht entsprachen. Sie bezeugen in jedem Falle organisiertes Christentum vor dem Beginn der Wirksamkeit des Bonifatius. Der Wirkungsschwerpunkt des Angelsachsen in Thüringen bezog sich weniger auf die Missionierung des Landes als auf den Aufbau einer an Rom orientierten Kirchenorganisation. Darauf weist neben der in ihrer inhaltlichen Formulierung bemerkenswerten Bischofsweihe und den Anordnungen des Papstes (TRE 7,71,13-18) die Gründung eines Klosters in Ohrdruf (725) hin, das wohl u.a. der Ausbildung von Priesternachwuchs diente. Vor 741 entstand als weiterer Stützpunkt Sülzenbrücken (15 km südwestlich von Erfurt), wo Wynnebald, ein Verwandter des Bonifatius, als Priester wirkte. Zeitlich in der Mitte der thüringischen Wirksamkeit des Bonifatius lag seine Erhebung zum Erzbischof durch Papst Gregor II. (732), jedoch konnte er einen Bischof für Erfurt (vermutlich Willibald, den Bruder Wynnebalds) erst am 22. Oktober 741 oder 742 weihen. Da das Bistum Erfurt, dessen Sprengel sich mit weiten Teilen Thüringens deckte, nie real in Funktion trat, sondern von Bonifatius wenige Jahre später in seinen Mainzer Funktionsbereich einbezogen wurde, ergab sich daraus eine für Thüringen charakteristische Situation: Das Land blieb ohne einen kirchlich-administrativen Mittelpunkt, da der Südteil des Territoriums unter die Jurisdiktion des Bistums Würzburg geriet, das Gebiet nördlich der Unstrut um Allstedt seit 802/827 zu Halberstadt gehörte und das Bistum Bamberg nach 1007 sich bis in das südöstliche Thüringen schob. Unbestreitbar ist der Charakter Erfurts als eines frühen kirchlichen Zentrums, das im 9. Jh. Sitz eines Mainzer Chorbischofs, seit dem 14. Jh. eines Weihbischofs etwa im Range eines Generalvikars wurde. 3. Der Verlauf der

Christianisierung

Für die „dunklen Jahrhunderte" (Herrmann, Kirchengeschichte I, 38) zwischen etwa 7 5 0 und 1050 sind sichere Auskünfte über den Verlauf der Christianisierung lediglich über die Feststellung der Gründung von Pfarrkirchen zu erhalten. Als Gründungen des (frühen) 8. Jh. sind Kirchen in Milz (723), Sülzenbrücken (741/42), Tricusti (Wüstung bei Sondershausen, erwähnt 772), Kölleda und Ohrdruf (777) erschließbar. Tonndorf (10 km südlich von Erfurt), Jena und vielleicht Rohr bei Meiningen bieten archäologische Anhaltspunkte für eine Datierung in karolingische Zeit. Im würzburgischen Werragebiet bildeten im Zuge frühen Landesausbaus wohl schon in karolingischer Zeit Pfarrkirchen in Breitungen, Dorndorf, Hausen, Meiningen und Leutersdorf kirchliche Mittelpunkte königlicher Marken. Das gleiche gilt für Schleid und Mellrichstadt (741) sowie Heringen an der Werra, Großenlupnitz (779) und Görmar bei Mühlhausen. Im oberen Werratal sind Pfarrkirchen erst nach der Jahrtausendwende mit Gewißheit nachzuweisen. Nördlich des Thüringer Waldes weisen gleiche Ortsnamenwurzeln

Thüringen

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auf frühe markähnliche Siedlungskomplexe hin, in denen mehrfach ein „ K i r c h " - D o r f auftaucht. Die Gründung dieser frühen Pfarrkirchen dürfte in karolingische Zeit gehören. Auch die Kirchen mancher der späteren Archidiakonate und Erzpriestersitze entstanden wohl in dieser Zeit. Der dichte Besitz der Klöster Fulda und Hersfeld in Thüringen verspricht weitere Anhaltspunkte für die Feststellung der Ausbreitung des Netzes der Pfarrkirchen. Es scheint von Anfang an im Eichsfeld und im mittleren Thüringen dichter gewesen zu sein als in den von königlichen M a r k e n gegliederten Gebieten. Für künftige Forschung ist auf die Untersuchung des häufig an vermutlich frühen thüringischen Kirchengründungsorten auftauchenden Petruspatroziniums und seinem Verhältnis zum übrigen frühen Patrozinienbestand zu verweisen. Das östliche Thüringen v o m Tal der Saale an wurde erst in ottonischer Zeit mit der Errichtung des Bistums Z e i t z / N a u m b u r g 9 6 8 (vgl. T R E 2 9 , 5 6 3 , 4 3 - 5 6 4 , 1 5 ) von der Gründung von Pfarrkirchen erreicht. Der O r t s n a m e „ K i r c h b e r g " bei Jena ist 9 3 7 bezeugt. Wahrscheinlich entstanden die Peterskirchen von Stöben bei C a m b u r g und Lobeda schon vor 968. Den C h a r a k t e r einer Burgbezirkspfarrei trug die Pfarrkirche von Orlamünde. Die Christianisierung des Orlagaus, der schon in karolingischer Zeit zum Reich und unter die Jurisdiktion des Erzbischofs von Mainz gehörte, begann nach vergeblichen Versuchen unter Erzbischof Friedrich von M a i n z (937 - 954) erst nach der Jahrtausendwende und ging mit dem fortschreitenden Landesausbau parallel. Dieser scheint sich nach neueren archäologischen Erkenntnissen auch auf den Neubau von steinernen (Pfarr-) Kirchen im längst christianisierten Gebiet ausgewirkt zu haben. Die Entstehung der mittleren kirchlichen Verwaltungsebenen in Gestalt von fünf Archidiakonaten und 51 Erzpriestersitzen im erzbischöflich mainzischen Thüringen unter Erzbischof Adalbert I. kann somit als eine Konsequenz aus dem Anwachsen der Bevölkerung und der Z u n a h m e der Siedlungsdichte gelten. Bereits zwischen 1060 und 1 0 7 3 hatte Erzbischof Siegfried I. ( 1 0 6 0 - 1 0 8 4 ) einen stark umstrittenen, aber im wesentlichen erfolgreichen Vorstoß in Thüringen unternommen und sich in den Besitz der vollen Zehntrechte gebracht.

Der weitere Ausbau der Kirchenorganisation erfolgte seit dem Ende des 12. Jh. mit der Anlage von großräumigen Rodungspfarreien. Sie entstanden im vogtländischen Südteil des Bistums Naumburg als „Herrschaftspfarreien" (Schlesinger I, 362), für die sich der einheimische Adel einsetzte und an deren weiterem Ausbau nach 1260 sich der Deutsche Orden beteiligte. Bis zum 17. Jh. dauerte die Aufteilung der alten Großpfarreien in kleinere Sprengel an. Den entstehenden Städten gelang in der Regel die Konstituierung einer eigenen Parochie unter Loslösung von einer Mutterpfarrei. Die besondere Situation Erfurts führte entsprechend der Entwicklung in den ländlichen Großpfarreien zur Aufteilung der Marienpfarrei in schließlich 26 Einzelpfarreien. Erfurt wurde im 15. Jh. „die kirchenreichste Stadt in ganz Mittel- und Ostdeutschland" (Schulze, Kirche 132). 4. Monastisches

Leben und

Kanonikerstifte

Die frühen Klostergründungen in Ohrdruf, Milz und Rohr wurden rasch von Hersfeld und Fulda übernommen. Ähnlich erging es dem von den Ottonen mit großen Plänen begleiteten Memleben, das nach seiner Gründung durch - » O t t o I. bereits 1015 durch Hersfeld erworben wurde. Das Walpurgiskloster bei Arnstadt sowie die Propstei Göllingen waren von Anfang an Hersfelder Eigenklöster. Ungebrochene Existenzkraft bewies das zwischen 961 und 1802 bestehende Reichsstift St. Crucis in Nordhausen, ursprünglich als Kanonissenstift gegründet. Teilweise nach Thüringen eingewanderte Geschlechter stifteten als Grablegen Hausklöster, so z. B. die Ludowinger Reinhardsbrunn (1085), die ostsächsische Adlige Paulina Paulinzella (als Doppelkloster) (1106), die Grafen von Tonna-Gleichen Volkenroda (1131), die Markgrafen von der Lausitz Bürgel (Thalbürgel) (1133), die Grafen von Schwarzburg-Käfernburg Georgenthal (1143), die Vögte von Weida Mildenfurth (1193) und Cronschwitz (1238). Von der Siegburger Reform wurde Saalfeld, zunächst auch Erfurt St. Peter erfaßt. Im Bündnis mit laikalen Kräften gewann die Hirsauer Reform (-»Hirsau) starken Einfluß auf benediktinische Männer- und Frauenkonvente des Landes (u.a. Reinhardsbrunn; Erfurt St. Peter; Heusdorf bei Apolda; Beichlingen). Die insgesamt 30 Zisterzienserinnenkonvente Thüringens waren besonders stark im Eichsfeld vertreten. Alle thüringischen Archidiakonatssitze befanden sich an Kanonikerstiften. Ihrem Selbstverständnis nach sahen sich die - * Augustinerchorherren den bestehenden bzw.

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Thüringen

entstehenden Städten verpflichtet (Erfurt; Naumburg; Bibra; Altenburg), die —•Prämonstratenser der Seelsorge an Neusiedlern (Ilfeld; Mildenfurth; Veßra). Die Deutschordensballei Thüringen stellte die gewichtigste deutsche Provinzorganisation dieses Ordens (—•Ritterorden) dar. Sie reichte über das Land hinaus und zählte mindestens neun Komturate und etwa 50 thüringische Kirchenpatronate. Bereits 1224 kamen die -»Franziskaner (Erfurt; Eisenach), 1228 die -»Dominikaner ins Land. Die -»Augustinereremiten gründeten ihren bedeutendsten Konvent in Erfurt. Mit ihm war das Generalstudium der Provinz Saxonia verbunden. Seit 1372 konnten die -»Kartäuser in Erfurt und in Eisenach Fuß fassen. Auf Drängen thüringischer Dynasten zog im 15. Jh. die Observanzbewegung in die Bettelorden ein. Über die Erfurter Abtei St. Peter, die zum eigentlichen Zentrum der Bursfelder Kongregation aufstieg, gewann dieser Reformorden Einfluß auf den größten Teil der Benediktiner- und einige Zisterzienserinnenklöster (-»Benediktiner; -»Zisterzienser). 5. Spätmittelalterliches

Christentum

Den gewachsenen Ansprüchen der Landesherren entsprach seit Ende des 13. Jh. die Gründung von funktional mit den Residenzen verbundenen Kollegiatstiften (-»Stift), die durch Gestaltung des Gottesdienstes in Verbindung mit der Einrichtung von Schulen (Eisenach; Gotha; Altenburg; Schleusingen; Römhild) und Hospitälern anregend wirkten. In Erfurt sorgten vor Gründung der Universität die bereits bestehenden Stifte für weitreichende Ausstrahlung auf das Bildungswesen. In die Seelsorge schalteten sich zunehmend die Orden ein, wobei neben den Bettelorden der Deutsche Orden eine besonders wichtige Rolle spielte. Ihm gehörte eine beachtliche Zahl von thüringischen Adligen an. Die Stiftung von städtisch unterhaltenen Prädikaturen in der zweiten Hälfte des 15. Jh. spielte beim Einzug der Reformation eine Schlüsselrolle. Wieviele Dörfer Anteile am Pfarrerwahlrecht hatten, bleibt noch zu untersuchen. In den ländlichen Regionen verbesserte die Verdichtung des Netzes von Kirchen und Kapellen den Zugang zu den Heilsangeboten. Besondere Gnade versprach der 1451 von -»Nikolaus von Kues in Erfurt im Nachklang zum Jubeljahr 1450 ausgerufene -»Ablaß, der in der Stadt zu erwerben war. Er wurde nochmals 1490 verkündet. Die im thüringischen Bereich verhältnismäßig reiche Produktion von geistlichen Spielen läßt auf starke Breitenwirkung im Lande schließen. Die Teilnahme an den -»Kreuzzügen des 12. und 13. Jh. war dagegen eher Angelegenheit des Adels. Für das 15. Jh. lassen sich in Thüringen - darunter auch in Dörfern - 24 Kaiandbruderschaften nachweisen. Ähnlich zahlreich dürften Fronleichnamsbruderschaften (-•Bruderschaften) gewesen sein. Neben unzähligen regionalen Wallfahrtsorten kamen dem Hülfensberg ( M ö n s Sancti Salvatoris) im Eichsfeld seit Mitte des 14. Jh. und Grimmenthal seit 1497 die Bedeutung von Fernwallfahrtsorten zu. Seit Mitte des 14. Jh. fand im Anschluß an Judenpogrome die -»Inquisition Opfer unter Anhängern der Bewegung der -»Brüder und Schwestern des freien Geistes, den -»Beginen von Erfurt, Eisenach und Mühlhausen und kleinen Gruppen von —•Waldensern. Kryptoflagellanten (-»Geißler) hielten sich zwischen 1360 und etwa 1460 vor allem in Regionen südlich des Harzes zwischen Nordhausen, Querfurt und Weißensee. Thüringens Bedeutung für die mittelalterliche Theologie war vor Gründung der Universität mit der Tätigkeit großer Erfurter Ordenstheologen verbunden, dem Dominikaner Meister -»Eckhart, dem Franziskaner Johann von Erfurt (ca. 1250-ca. 1320) und dem Augustinereremiten Heinrich von Friemar d.Ä. (gest. 1340). Auch nach Gründung der Universität 1392 (-»Erfurt) stellten die Orden mit den Lehrern ihrer Studieninstitutionen immer wieder Theologen und Philosophen als Professoren. Der Augustinereremit -»Johannes von Paltz war nur für fünf Jahre an der Universität tätig und entfaltete dann eine breite Wirksamkeit als Prediger und pastoraler Schriftsteller. Unter den in Thüringen verehrten Heiligen nahm -»Elisabeth von Thüringen einen besonderen Platz ein. Ihre Vita bot Anhaltspunkte zur Indienstnahme als Patronin des

Thüringen

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Landes, zumal auch ihr Ehegatte, Landgraf Ludwig IV., als Heiliger verehrt wurde. Bereits ein Angehöriger des Geschlechts der Grafen von Käfernburg, der Eremit Günther (gest. 1045), hatte als Heiliger gegolten. Das Erzstift Mainz hatte angesichts der Randlage Thüringens und der relativ großen Vollmacht der Archidiakone sich immer wieder seiner Gerichtsbarkeit zu versichern. Dazu diente nach 1250 die Einsetzung von erzbischöflichen Exekutoren und an der Wende zum 14. Jh. die Ernennung von iudices generales per Thuringiam (Generalrichter für Thüringen) oberhalb der Archidiakonatsebene. Sie waren seit etwa 1420 gleichzeitig Professoren an der Juristenfakultät Erfurt. Für die Verwaltung der erzbischöflichen Besitzungen waren Provisoren, für die allgemeine kirchliche Verwaltung Generalkommissare (commissarius generalis in spiritualibus et temporalibus) zuständig. Spannungen ergaben sich zwischen ihnen und den juristischen Vertretern von eximierten geistlichen Institutionen sowie der Universität Erfurt. Aus dem allmählich generell beanspruchten Vogteirecht der Wettiner, der Grafen von Schwarzburg und der Vögte von Weida über die Klöster in ihren Territorien erwuchsen die Wurzeln für das Landesherrliche -> Kirchenregiment. Sein erster programmatischer Vertreter wurde der wettinische Landgraf Wilhelm III. (1440/45—1482), der sich mit den kirchlichen Reformbewegungen seiner Zeit verbündete (TRE 29,566,37-41) und in scharfe Konflikte mit dem Bistum Naumburg geriet, über das er die Schutzvogtei ausübte. Als besonderer Förderer der Franziskanerobservanz ließ er sich im Franziskanerhabit in dem von ihm gestifteten Franziskanerkloster in Weimar bestatten. 6. Reformation

und

Konfessionalisierung

1521 machte sich in Erfurt, 1522 in Nordhausen, Altenburg, Neustadt an der Orla und Coburg, 1523 in Eisenach, Mühlhausen, Weimar, Jena, Orlamünde und Gotha, 1524 in Eisfeld, Weida und Saalfeld die reformatorische Bewegung in Protesten, Unruhen und konkreten Forderungen bemerkbar. Sie erhielt Organisatoren und Sprecher in den Predigern, die im gleichen zeitlichen Zusammenhang ihre Tätigkeit begannen. Einige von ihnen (Friedrich Myconius [1490-1546] in Gotha; Johann Grau [gest. 1559] in Weimar; Anton Musa [um 1485-1547] in Jena; Balthasar Düring [gest. 1529] in Coburg) gehörten später zu den ersten zwölf ernestinischen Superintendenten. Ein erstes Signal für ein landesherrliches Eingreifen zugunsten der Reformation stellte der im August 1525 durch Kurfürst Johann ergangene Befehl dar, das Wort Gottes lauter und rein ohne menschlichen Zusatz zu verkündigen. Ihm folgte die Anweisung, künftig die Messe nur noch in deutscher Sprache zu feiern; Das ernestinische Thüringen wurde im Gefolge erster Visitationen im Frühjahr 1525 und 1526 das Ursprungsland der Superintendenturverfassung (vgl. T R E 29,567,13-32). Zeitgleich mit der frühen Reformationsbewegung traten in Eisenach, Orlamünde, Allstedt und Mühlhausen mit J. -»Strauß, -»Karlstadt und Th. -»Müntzer Vertreter dieser Bewegung auf, die, wurzelnd in radikaler Wirtschafts- und Sozialethik, Apokalyptik und augustinisch-mystischer Frömmigkeit, andere Wege gingen als die Wittenberger Reformation. Ihr Wirken in Thüringen endete noch vor 1530. Seit 1527 fand von Franken und Hessen her die Täuferbewegung (-»Täufer/Täuferische Gemeinschaften) mit H. -»Hut, Hans Römer (erwähnt zwischen 1524 und 1534) und M. —>Rinck Eingang in den Randgebieten Thüringens. Ihren Höhepunkt erreichte sie nach weiterer Ausweitung um 1535. Einflüsse des Zwinglianismus ließen sich nur vereinzelt feststellen. Einen Uberblick über den Weg der Reformation in die thüringischen Dörfer hat die Forschung noch nicht gewonnen. Visitationen im Sommer und Herbst 1527 im Osten des Landes führten wie die von 1 5 2 8 / 2 9 , die die Mitte und den Süden einbezogen, lediglich zu ersten Erhebungen. Abgeschlossen w a r die erste Phase des Visitationswerks 1551 mit der Fertigstellung der Bewidmung, die die Einkünfte der Pfarreien festlegte. Sie betraf auch Ubergangsregelungen für Renten, die an abgesetzte Kleriker

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Thüringen

zu zahlen waren. Abfindungen an ehemalige Ordensleute und Kanoniker waren im Zuge der Klosterund Stiftssequestrationen bestimmt worden. Der Einfluß von Landesherrschaft und Adel auf den Gang der kirchlichen Umgestaltung machte sich außerhalb des ernestinischen Herrschaftsbereichs besonders stark in Gebieten bemerkbar, die teils landsässigem, teils reichsunmittelbarem Lehnsrecht unterstellt waren, so z. B. in einigen reußischen und schwarzburgischen Herrschaften. Hier konnten sich die Landesherrn lange Zeit gegen die ernestinische Visitation wehren bzw. den Vollzug ihrer Bestimmungen verhindern, auch wenn ihre Untertanen offen Zuneigung zur Reformation zeigten. Am frühesten gelang die Einführung der Reformation im schwarzburgischen Arnstadt (1531), als letzter Landesherr gab Heinrich XV. von Lobenstein (gest. 1550) im September 1543 den Widerstand gegen die Reformation auf. Im gleichen Jahr schloß sich Graf Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen (1478-1559) der Reformation an. Mit dem Tode Herzog -»Georgs von Sachsen am 17. April 1539 war für das albertinische Thüringen das letzte Hindernis für den Beginn der Reformation entfallen. Eine erste „eilende Visitation" berührte im August 1539 die Städte, eine folgende im Sommer und Herbst 1540 erfaßte auch die Dörfer. Mit dem Tode des Albertiners wurde auch in der Reichsstadt Mühlhausen, die seit 1525 unter Oberhoheit Hessens und der wettinischen Häuser gestanden hatte, der Weg für die offizielle Annahme der Reformation durch den Rat frei. Sie erfolgte im September 1542 ohne Rücksicht auf die starken Kräfte im Rat, die sich an die mittelalterliche Kirche gebunden fühlten. Sie sorgten 1548 für die Zustimmung zum Augsburger -»Interim. Erst 1558 vermochte es der politische Druck des albertinischen Kurfürsten August, dem Rat die Annahme der Augsburgischen Konfession ( - • Augsburger Bekenntnis) aufzuerlegen. Der Rat erbat sich die Barfüßerkirche als Kirche für die Anhänger der alten Lehre, mußte sie jedoch 1566 aufgeben, weil sich kein Priester gefunden hatte, der die Messe feierte. Einen tiefen Einschnitt bedeuteten neben den politischen (s.o. 1.) die kirchlich-theologischen Folgen des Ausgangs des Schmalkaldischen Krieges und des Augsburger Reichstags v o n 1548 ( - • Reichstage der Reformationszeit). Der bisherige Kurfürst Johann Friedrich widerstand allen kaiserlichen Forderungen nach Zugeständnissen in Glaubensfragen, die ernestinischen T h e o l o g e n folgten und bestärkten ihn. D e m Interim mußte Mühlhausen sich beugen. Auch Günther XL. v o n Schwarzburg (reg. 1 5 2 6 - 1 5 5 2 ) stimmte ihm zu, nicht jedoch Burggraf Heinrich IV. v o n M e i ß e n (reg. 1547-1554), der sich persönlich der Wittenberger Reformation nicht angeschlossen hatte, aber sich vor die Untertanen seines 1547 entstandenen Territoriums stellte, um die geistliche Gerichtsbarkeit in seinem Lande nicht aus der H a n d zu geben. Die H o h e Schule und spätere Universität —»Jena entwickelte in den Folgejahren ein theologisches Gegenprogramm zum nunmehr albertinischen Wittenberg und Leipzig. D i e -»Gnesiolutheraner fanden hier einen ihrer stärksten Stützpunkte und einen Z u fluchtsort. Bis 1591 wurde die Universität Akteurin wie Leidtragende des Wechselspiels ernestinischer (Religions-)Politik (vgl. T R E 1 6 , 5 5 9 , 5 1 - 5 6 0 , 6 ) . Der seit 1552 in Eisenach ansässige N . von - » A m s d o r f f meldete sich als außeruniversitäre Autorität mit Gutachten und Streitschriften zu Wort. D a s ernestinische Thüringen erlebte nach 1550 eine Reihe von Visitationen, die der Stärkung eines eigenen theologischen Profils dienen (1554/55) und an religionspolitischen Wendepunkten die Durchsetzung obrigkeitlicher M a ß n a h m e n kontrollieren sollten (1562; 1569; 1574). Ihre Folge war jeweils die Entlassung zahlreicher Pfarrer. Erst die albertinische vormundschaftliche Regentschaft seit 1573 vermochte es, vermittelt durch die Diplomatie J. —>Andreaes, den größten Teil der thüringischen Territorien dem Konkordienwerk zuzuführen. Lediglich die reußischen Herrschaften Obergreiz und Gera stimmten zunächst d e m —»Konkordienbuch v o n 1580 nicht zu, erkannten es aber 1599 neben der reußischen Konfession von 1567 an, die stark gnesiolutherisch geprägt war. Nordhausen hielt sich aus territorialpolitischen Gründen von der theologischen Einigungsbasis von 1580 fern, und die Pfarrer der hessischen Ämter Schmalkalden und Vacha folgten in der Ablehnung ihrem Landesherrn Landgraf Wilhelm IV. (reg. 1567-1592). In Schmalkalden setzte Landgraf Moritz von Hessen (reg. 1592-1627) 1608 die reformierte Konfessionalisierung durch. Sie bestimmte bis 1626 die Kirchlichkeit des ehemals hennebergischen

Thüringen

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Landesteils und veränderte sich nach dem folgenden, lutherisch geprägten Zwischenspiel ab 1648 zur Bikonfessionalität. Eine 1533 für Schwarzburg-Arnstadt vorgeschlagene konsistoriale Behörde scheint nicht in Funktion getreten zu sein. Während der nur 25 Jahre währenden Existenz der Burggrafschaft Meißen wurde 1548 eine ähnliche Institution ins Leben gerufen. Ansätze zu einer Konsistorialverfassung entwickelte seit 1561 der ernestinische Herzog Johann Friedrich der Mittlere (1529-1595; vgl. T R E 18,695,11-30). Sie führten zum Protest und zur Entlassung von M . -»Flacius Illyricus und seinen Freunden in Jena. Die Grafschaft Henneberg erhielt 1574 ein Konsistorium, die ernestinischen Landesteilungen zogen jeweils die Einführung bzw. Weiterführung der Konsistorialverfassung nach sich (beginnend um 1590 mit Coburg), ohne daß in jedem Fall eine eigene Behörde installiert wurde. Die reußischen Herrschaften führten nach 1635 Konsistorien ein, die bis 1920 bzw. 1934 bestanden. Während der albertinischen Obervormundschaftsregierung trat in Teilen des ernestinischen Thüringen die kursächsische Kirchenordnung von 1580 ( T R E 18,683,23-27) in Kraft. Sie wurde in Sachsen-Weimar 1664 durch eine eigene Kirchenordnung abgelöst, während im Fürstentum Eisenach und in den Coburger und Gothaer Landesteilen die von J. -»Gerhard verfaßte Kirchenordnung des Herzogs Johann Casimir (1572-1632) von 1626 zur Geltung kam. Stark liturgiereformerisch orientiert war die 1582 in der Grafschaft Henneberg eingeführte Ordnung. Schwarzburg-Sondershausen erhielt 1649 eine erste eigenständige Kirchenordnung. Die Gegenreformation zog im Eichsfeld seit 1 5 7 4 ein, getragen durch die Gründung des Jesuitenkollegs Heiligenstadt. Ihr konnten lediglich die im Gebiet ansässigen Adelsherrschaften widerstehen. Auch in Erfurt machten sich mit dem Z u z u g von Jesuiten 1 5 8 2 gegenreformatorische Einflüsse bemerkbar. D a s zur Abtei Fulda gehörige A m t Rockenstuhl (später Amtsgerichtsbezirk Geisa), das 1 5 4 2 zum größten Teil der Wittenberger R e f o r m a t i o n zugefallen w a r , erlebte mit dem A m t s a n t r i t t von Abt Balthasar von Dernbach 1 5 7 0 energische Bemühungen um die R ü c k f ü h r u n g zum römischen Katholizismus. Sie führten erst zum Erfolg, n a c h d e m 1578 der Kaiser eingriff. Die ritterschaftlichen Besitzungen des Gebiets wurden zwischen 1628 und 1 6 3 2 vorübergehend rekatholisiert. F ü r das kirchliche Leben Thüringens wurden das 17. und 18. J h . besondere Blütezeiten der Kirchenmusik (vgl. die Liste der Liederdichter bei H e r r m a n n , Kirchengeschichte II, 2 2 9 - 2 3 2 ) . Spiritualistische Bewegungen wie das Auftreten von Esaias Stiefel (gest. 1627) und Ezechiel M e t h (gest. 1640) in Erfurt und im albertinischen Thüringen wurden aufm e r k s a m w a h r g e n o m m e n , fanden aber wenig E c h o . In Erfurt, getragen von acht Stadtpfarreien, in den rekatholisierten Gebieten des Eichsfeldes und der R h ö n und im Kreuzstift Nordhausen lebte tridentinisch geprägte F r ö m m i g k e i t im Gegenüber zu der von der R e f o r m a t i o n geprägten Frömmigkeit weiter, wenn auch nicht spannungslos. 1 6 6 7 zogen Ursulinen in Erfurt ein. 7. Kirchenreform,

Pietismus

und

Aufklärung

Erfahrung und Deutung des Dreißigjährigen Krieges führten 1 6 4 0 zur Durchführung einer das ganze H e r z o g t u m Sachsen-Gotha umfassenden „ R e f o r m des L e b e n s " durch H e r z o g Ernst I. Sie n a h m Kirchenreformideen der Z e i t auf und g e w a n n u.a. im Schulwesen starke Ausstrahlung weit über Thüringen hinaus. Kritik an den G o t h a e r Vorgängen erhob sich in Weimar. Die R e f o r m bereitete den Boden für den Hallischen - » P i e tismus, der im Umkreis von G o t h a und Erfurt eine seiner Wurzeln hatte und a m G o t h a e r H o f vorsichtige Förderung fand. Die übrigen ernestinischen H ö f e verhielten sich kritischer und beobachteten mißtrauisch v o m Pietismus ausgelöste Vorgänge an der Universität Jena. In Erfurt meldeten sich seit 1692 ekstatische Erscheinungen, in Coburg und Reuß nach 1700 die radikalpietistische Bewegung. Während obrigkeitliche Förderung der neuen Frömmigkeit im Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld lediglich die Angelegenheit der Regentschaft Herzog Christian Emsts (1729-1745) war, gewann sie in den reußischen Herrschaften nachhaltigen Einfluß. Heinrich XXIV. Reuß-Köstritz (1681-1748) wurde einer der vertrautesten Ratgeber A.H. -»Franckes, in der Residenz von Reuß-Ebersdorf löste sich eine herrnhutische Brüdergemeine von der Hof- und

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Ortsgemeinde. Die herrnhutische Diasporaarbeit (-»Brüderunität/Brüdergemeine) fand weite Verbreitung, vor allem in den ernestinischen Territorien. Am schwarzburgischen Hof in Rudolstadt wurden Gedanken des Reformprogramms Ph.J. —»Speners aufgenommen und durch den Kanzler Ahasverus Fritsch ( 1 6 2 9 - 1 7 0 1 ) ohne Folgen propagiert. Anregungen des Pietismus für Waisenfürsorge und die Ausbildung von Pfarrern wirkten an mehreren Orten Thüringens nach.

Dort, wo der Pietismus nicht Eingang in breitere Kreise fand, lebte die Frömmigkeit des 17. Jh. zunächst ungebrochen weiter. An den meisten Höfen wurden sie und der Pietismus verhältnismäßig abrupt zwischen 1730 und 1750 durch aufgeklärte Einstellungen zum überlieferten Christentum abgelöst. Im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg erfolgte dieser Wechsel nach dem Tode des Kirchenrats E.S. -»Cyprian 1745, im Herzogtum Sachsen-Weimar mit dem Regierungsantritt von Carl August. Hier wurde beim Schloßneubau 1774 auf den Einbau einer Kapelle verzichtet. Zwischen 1770 und 1795 wurden nach und nach Kirchenzucht (in Reuß ältere Linie [ä.L.] 1848) und Einzelbeichte abgeschafft. Zur gleichen Zeit setzte der Rückgang der Kommunikantenzahlen ein. Zur Popularisierung rationalistischer Religiosität auf der Grundlage eines verkürzten Kantianismus trugen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen leitende Geistliche wie die Generalsuperintendenten Josias Friedrich Christian Löffler ( 1 7 5 2 - 1 8 1 6 ) , seit 1788 in Gotha, Johann Friedrich Röhr ( 1 7 7 7 - 1 8 4 8 ; vgl. T R E 2 7 , 3 1 4 , 1 0 - 2 3 ) , seit 1820 in Weimar, Jonathan Schuderoff ( 1 7 6 6 - 1 8 4 3 ) , seit 1806 in Ronneburg, und K.G. ->Bretschneider bei. Sie gehörten zu den geschätzten Predigern.

Mit der veränderten Religiosität fielen die Schranken der lutherischen Territorien gegenüber den Reformierten. Der Beitritt der thüringischen Staaten zum Rheinbund forderte die freie Religionsausübung für römische Katholiken. Die von der Universität längst geforderte Gründung einer Seelsorgestelle in Jena 1808 wurde von Napoleon reich dotiert. Sie änderte schließlich ihren Status zu dem einer Pfarrei. Widerstand gegen die religiöse Aufklärung machte sich in Thüringen nur leise bemerkbar. Er regte sich in Sachsen-Coburg-Gotha als Protest gegen ein von J.F.Ch. Löffler eingeführtes Lesebuch und führte zur Auswanderung einiger Familien. Schwerer faßbar war die latent andauernde Opposition der Herrnhuter Diaspora. J.G. von -»Herders maßvolle Gesangbuch- und Perikopenreform, sein Eintreten für Luthers Katechismus und sein Umgang mit der Jenaer Theologie waren in seiner kritisch erwägenden Haltung gegenüber den Maßgaben der veränderten Religiosität begründet. Der Angriff Karl August von Hases (1800-1890) auf J.F. Röhr (Anti-Röhr, 1837) war bereits Ausdruck einer gewandelten theologischen Gesamtsituation. 8. Der Protestantismus

zwischen Befreiungskriegen

und Erstem

Weltkrieg

Das kirchliche Klima Thüringens mit Ausnahme von Reuß ä.L. war bis um 1850 überwiegend durch den liberalen Protestantismus geprägt. Abweichungen von diesem Gesamtbild sowie Konflikte ergaben sich durch die Einstellung einzelner Landesherren oder Geistlicher. Die Erweckungsbewegung (—»Erweckung/Erweckungsbewegungen) machte sich an wenigen Orten bemerkbar, getragen durch einzelne Pfarrer, so etwa durch Ernst Joseph Gustav Valenti (1794-1871) in Bad Sulza. Im Herzogtum Altenburg meldete sich nach 1830 der Einfluß von Martin Stephan (1777-1846; T R E 29,572,49-51). Mit dem Ausgang der napoleonischen Kriege setzte sich das Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach wie auf geistiger und politischer, so auch auf kirchlicher Ebene an die Spitze der Entwicklung. Die erste Landtagssitzung nach Einführung der Verfassung brachte eine Reihe von innerkirchlichen Angelegenheiten zur Verhandlung, die auf Vorschläge zu einer teilweisen Trennung von Staat und Kirche hinausliefen. Sie kam nicht zur Ausführung. Eine Synodalverfassung wurde 1873 eingeführt. Sachsen-Meiningen folgte 1876. In den übrigen Staaten scheiterte die Einführung an den Landtagen. Die Revolution von 1848 führte zwischen 1848 und 1869 außer in Reuß ä.L. zur Auflösung der Konsistorien und zur Übernahme ihrer Funktionen durch Ministerialabteilungen. An die Spitze der demokratischen Bewegung des Revolutionsjahrs setzten sich, teilweise ermuntert durch ihren Lehrer Karl von Hase in Jena, Studenten der Theo-

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Thüringen

logie. D e r Kandidat der Theologie Carl Daniel Adolph Douai ( 1 8 1 9 - 1 8 8 8 ) wurde als Anführer der Republikaner in Altenburg zeitweise inhaftiert. Einige Pfarrer wurden Sprecher der Bürgerwehren. Initiiert durch den Jenaer T h e o l o g e n E d u a r d Schwarz ( 1 8 0 2 - 1 8 7 0 ) ging eine Delegiertenversammlung aus allen Einzelstaaten an Verhandlungen über eine Kirchenverfassungsreform. Sie versandeten in der Entwicklung des Jahres 1849. A u c h Reformversuche in den Einzelstaaten brachten keine Ergebnisse. Als relativ unverbindliches Kontaktorgan hielt sich bis 1 8 7 2 der Thüringer Kirchentag, der 1 8 6 9 zu erneuten, wenn auch ergebnislosen Verhandlungen der ernestinischen Staaten Weimar, G o t h a und Meiningen über die Verfassungsfrage ermutigte. Ein Thüringer Kirchenblatt (1849) hielt sich ebenso wie die Thüringische Kirchenzeitung (1870) lediglich anderthalb Jahre. Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wurde durch den Landesherrn kraft eigenen Rechts a m 21. Juni 1851 eine Kirchgemeindeordnung erlassen, die der Kirchgemeindevertretung, aus dem 1821 entstandenen Schulvorstand erwachsen, mitwirkende und beratende Funktionen zuschrieb. 1 8 5 4 folgte Schwarzburg-Rudolstadt dem Weimarer Vorgehen, zwischen 1865 und 1893 die übrigen Staaten außer Sachsen-Coburg und Gotha. Dem theologisch konservativ orientierten Milieu, das sich um 1 8 6 6 bildete, e n t s t a m m ten überwiegend die Träger der Äußeren - » M i s s i o n , des sozialen Engagements im Sinne der -»Inneren Mission, später auch die Befürworter von Synodalverfassungen. Heinrich X X I I . Reuß ä.L. (reg. 1859-1902) berief Pfarrer der hessischen Renitenz in sein Gebiet. Dieser Entwicklung parallel liefen die allmähliche Liberalisierung der kirchenrechtlichen Grundlagen durch Dissidentengesetze (Gotha 1863, Weimar 1864) und Verordnungen über Bildung neuer Religionsgesellschaften (Altenburg 1851, Gotha 1852, Weimar 1864). Zu den Folgen gehörte die Entstehung konfessionell lutherischer Freikirchen (Greiz 1871). Freiprotestantische Gemeinden bildeten sich in Arnstadt, Apolda und Allstedt nach 1859 im Anschluß an die deutschkatholische Bewegung. Unter den kirchlichen Vereinen fanden der Gustav-Adolf-Verein (-»Diasporawerke) (seit 1844, in den reußischen Herrschaften neben dem lutherischen Gotteskasten) und die Missionsvereine, überwiegend an der Leipziger Missionsgesellschaft und der Ostasienmission orientiert, den stärksten Zuspruch. An der Gründung des -»Evangelischen Bundes (1886) waren die Jenaer Professoren Richard Adelbert Lipsius (1830-1892) und Friedrich Nippold (1838-1918) führend beteiligt. Er war besonders im Großherzogtum und im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha verbreitet. Der Greizer Zweigverein wurde 1910 durch Fabrikanten gegründet. Auch die Freunde der Christlichen Welt (TRE 28,93,36-46) fanden in Thüringen eine starke Anhängerschaft. Sammelort für die konfessionell lutherischen Gruppen wurde seit 1879 die Thüringer kirchliche Konferenz. Sie schaltete sich aktiv in anstehende theologische und kirchenpolitische Zeitfragen ein. Die kirchliche Presselandschaft spiegelte die gewandelte Situation nach 1 8 5 0 wider. D e m vorliberalen Rationalismus verpflichtete Sonntagsblätter konnten sich nicht mehr halten. Unter den eher volkstümlich-konservativen Organen erntete das Thüringer Evangelische Sonntagsblatt (seit 1879, Auflage bis 30.000 Exemplare) den stärksten Zuspruch. Die Monatsschrift Die Dorfkirche war weit über Thüringen hinaus verbreitet und als Anleitung für Pfarrer gedacht, das dörfliche Leben im Blick auf ihre Aufgabe besser zu verstehen (TRE 9,147,6-148,26). Wie auch in der Rezeption schöngeistiger Literatur, bildete in der kirchlichen Presse Thüringens der Bezug auf die idealisierten Werte von Bauerntum und Heimat einen wichtigen Hintergrund, dem sich auch der Titel des seit 1924 erscheinenden Sonntagsblattes Glaube und Heimat verdankte. Ein umfangreiches Wirkungsfeld erhielt die große Zahl der Heimatglocken-Ausgaben als Gemeindeblätter für Dörfer und Kleinstädte. Seit 1913 erschien als Publikationsorgan des freien Protestantismus die Christliche Freiheit für Thüringen, seit 1918 Die Freie Volkskirche für Thüringen und Sachsen genannt, begründet und herausgegeben durch den Jenaer Theologen Heinrich Weinel (1874-1936). Die Zeitschrift richtete sich an gebildete Schichten. 9. Der römische

Katholizismus

im 19. und 20.

Jahrhundert

Der Bestand römisch-katholischer Kirchlichkeit in Thüringen blieb nach 1648 zunächst unverändert erhalten (s.o. 6.). 1 7 5 7 wurde das Landkapitel Geisa, das territorial der Fürstabtei Fulda, kirchlich dem Bistum W ü r z b u r g unterstand und seit 1 5 7 4 unbeirrt

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Thüringen

römisch-katholisch geblieben war, dem neu errichteten Fürstbistum Fulda zugeordnet. Die napoleonische Zeit brachte das Ende des Reichsstiftes St. Crucis in Nordhausen am 2. August 1802 und die Gründung einer Pfarrei am Ort des ehemaligen Stifts (1811). Die schon seit 1802 stark eingeschränkte Zuständigkeit des Erfurter Generalgerichts (s.o. 5.) wurde 1849 aufgehoben und zu einer kommissarischen Verwaltungsbehörde des Bistums Paderborn umgestaltet. Der auf Privatinitiative hin errichtete und mit starker Öffentlichkeitswirkung gefeierte sog. Kandelaber auf dem Johannisberg bei Altenbergen (1. September 1811), der den gemeinsamen Grundbestand von reformierter, lutherischer und römisch-katholischer Konfessionalität darstellen wollte, blieb symbolische Demonstration ohne kirchenrechtliche Folgen. 1816 zerschlug sich der Plan der Einsetzung eines Paderborner Weihbischofs in Erfurt. Das Bistum Paderborn erhielt 1821/25 die Zuständigkeit für die Pfarrei Jena und 1851 für die Katholiken im Herzogtum SachsenGotha. Seit 1856 unterstanden die Katholiken des Großherzogtums Sachsen-Weimar (-Eisenach) dem Bistum Fulda. Die römisch-katholische Diaspora des Coburger Gebiets wurde bis 1823 durch das Bistum Würzburg, ab 1830 vom Erzbistum Bamberg aus versorgt. Für Reuß ä.L. wechselte die kirchliche Zuständigkeit des Erzbistums Prag (seit 1822) 1869 zum Bistum Paderborn und 1874 zum Apostolischen Vikariat in Sachsen, das bereits seit 1822 für die Katholiken Sachsen-Altenburgs verantwortlich war. Reuß j.L. wurde 1889 dem Apostolischen Vikariat in Sachsen unterstellt. Unruhe unter der lutherischen Bevölkerung des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt erregte 1871 die Errichtung einer Missionspfarrei in der Residenzstadt. Die Seelsorgestellen und Pfarreien des Herzogtums SachsenMeiningen unterstanden von 1916 an dem Kommissariat Meiningen des Bistums Würzburg. Mit der Bulle Pastoralis officii vom 13. August 1930 erfolgte die Zuweisung der dem Bistum Paderborn unterstehenden Jurisdiktionsgebiete an das Bistum Fulda. Durch den Zustrom von wegen drohender Luftangriffe nach Thüringen Evakuierten war die Ernennung des seit 1943 im Lande arbeitenden Priesters Josef Klettenberg zum Kommissar des Bischofs von Fulda für die thüringische Diaspora motiviert. Die Folgen des Kriegsendes 1945 führten 1946 zur Errichtung eines Fuldaer Generalvikariats in Erfurt. Seine Inhaber erhielten seit 1953 die Würde von Weihbischöfen. Nachdem sich Pläne für die Errichtung einer Päpstlichen Nuntiatur in der DDR zerschlagen hatten, fungierte seit 1973 der in Erfurt ansässige Weihbischof als Apostolischer Administrator des bisherigen Fuldaer Generalvikariats einschließlich des Gebiets des bischöflich-würzburgischen Kommissariats Meiningen (Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen). Das Dekanat Gera mit seiner weit ausgebreiteten Diaspora, die überwiegend auf Zuwanderung nach dem 2. Weltkrieg zurückgeht, verblieb beim Bistum Dresden-Meißen. Mit der Bulle Quo aptius consulatur vom 27. Juni 1994 wurde das Bistum Erfurt errichtet, das Suffraganbistum des Erzbistums Paderborn ist. Bistumspatrone wurden Elisabeth von Thüringen, Bonifatius und Kilian. 10. Die Thüringer evangelische

Kirche

Eine Initiative der Theologischen Fakultät Jena führte nach der Abdankung der Fürsten im November zur Wahl einer „Vorläufigen Thüringer Gesamtsynode" durch die Kirchenvorstände der Gemeinden der bisherigen Landeskirchen mit Ausnahme von Reuß ä.L., die am 10. Dezember 1918 in Jena zusammentrat. Ein Ausschuß begleitete den weiteren Verlauf bis zur Konstituierung der Ordentlichen Synode (3.-9. Dezember 1919), die im August und Oktober von 2 0 - 25% der Wahlberechtigten gewählt worden war. Am 5. Dezember 1919 wurde die Gründung der Thüringer evangelischen Kirche einstimmig beschlossen. Damit war die Entscheidung gegen einen Kirchenbund gefallen. Die neue Kirche sollte zustande kommen, sobald drei der bisherigen Einzelkirchen dem Gründungsbeschluß zugestimmt hätten. Dies war am 13. Februar 1920 der Fall. Bis zum 27. September 1920 traten die restlichen Teilkirchen außer Reuß ä.L. bei.

Thüringen

511

Die preußischen Gebiete blieben wie der politischen Einung Thüringens auch der kirchlichen fern. Den kirchlichen Anschluß Coburgs an Bayern regelte 1921 ein Anschlußvertrag (TRE 5,380,45-381,2) Reuß a.L. lehnte am 29 September 1920 den Beitritt zu der in Aussicht genommenen thüringischen Geamtkirche aus konfessionellen Gründen ab und konstituierte sich als Evangelisch-lutherische Kirche in Reuß a.L., umfassend 27 Pfarreien mit etwa 57.000 Gliedern, mit Presbyterialverfassung (Kirchenvorstande), Synode (Kirchentag) und Konsistorium, dessen Vorsitz der seit 1909 amtierende Superintendent Heinrich Jahn (1862-1945) als Oberkirchenrat übernahm. Ein Vertrag mit Bayern sicherte 1924 den Austausch von Kandidaten und gegenseitige Forderung. Der Text der Verfassung der Thüringer evangelischen Kirche vom 10. Oktober 1924 wurde von 1919 an nach Sachbereichen schrittweise beschlossen, beginnend mit der Kirchgemeindeordnung. Die Leitung der Gemeinden sollte auf der Basis von Urwahlen zustande kommen. Harte Auseinandersetzungen über grundlegende Verfassungsbestimmungen fanden im Oktober 1920 statt. Die Bezeichnung der Kirche als „freie Volkskirche" enthielt ein liberaltheologisches Programm, das bei Konservativen Unruhe ausloste. Ein Kompromiß formulierte, die neue Kirche sei ihrem Ursprung und Wesen nach eine Kirche lutherischen Bekenntnisses. Sie will eine Heimat evangelischer Freiheit und Duldsamkeit sein... das lutherische Bekenntnis behält dieselbe Geltung wie vor dem Zusammenschluß (§ 3). Ein Minderheitenschutzgesetz kam auf Anregung der Landeskirchlichen Gemeinschaft zustande. Oberstes Organ wurde der Landeskirchenrat. Er trat seine Arbeit offiziell am 1. Januar 1921 in Eisenach an. Erster Landesoberpfarrer wurde Wilhelm Reichardt (1871 -1941). Die Arbeit des synodalen Organs (Landeskirchentag) gestaltete sich nach dem Muster der parlamentarischen Parteiendemokratie. Die Pfarrerschaft stellte ein Drittel der Mitglieder. Unter den vertretenen „Richtungen" war der Volkskirchenbund liberaler Herkunft verpflichtet, der Christliche Volksbund dem pietistisch-konfessionellen Erbe, der Einigungsbund für praktisch-kirchliches Christentum (ab 1932 „für protestantisches Kirc h e n t u m " , ab 1933 „für reformatorisches Christentum") vermittelnden theologischen Ansätzen. Der 1. Landeskirchentag hatte sich mit der kirchenfeindlichen Schul- und Kirchenpolitik des Volksbildungsministers M a x Greil ( 1 8 7 7 - 1 9 3 9 ) auseinanderzusetzen. Seit 1926 hatten als Minderheiten die Religiösen Sozialisten und der rassentheoretisch und antisemitisch bewegte Bund für Deutsche Kirche (vgl. T R E 8 , 5 5 5 , 4 5 - 5 5 6 , 1 2 ) Sitz und Stimme im 2. Landeskirchentag. Die mühsamen vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem neuen Staat und der Landeskirche im Zusammenhang der Neuordnung des Pfründenwesens wurden erst mit dem Staatsvertrag vom 15. November 1929 abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeiteten notgedrungen neben den landeskirchlichen Beschlußgremien noch gebietskirchliche Gremien einiger ehemaliger Teilterritorien weiter. Zu den ersten Ergebnissen der Zusammenarbeit innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche gehörten die Gründung eines Predigerseminars 1922 und eines gemeinsamen Sonntagsblattes Glaube und Heimat 1924. Die Diskussionen im Landeskirchentag führten meist zu Kompromißlösungen, die je langer )e mehr von Demokratieverdrossenheit bestimmt waren. 11. Die Zeit der nationalsozialistischen

Herrschaft

(1933-1945)

M i t der 1927 beginnenden Tätigkeit der aus Franken stammenden Vikare Siegfried Leffler ( 1 9 0 0 - 1 9 8 3 ) und Julius Leutheuser ( 1 9 0 0 - 1 9 4 2 ) im Wieratal bei Altenburg datiert der Beginn der deutschchristlichen Bewegung in Thüringen. Als Listenbezeichnung bei den Wahlen zu den Kirchenvertretungen tauchte der Name Deutsche Christen erstmals 1931 in Altenburg auf. Im Landeskirchentag erreichte die Gruppierung am 22. Januar 1933 bei gegenüber 1927 um 3 0 % erhöhter Wahlbeteiligung 3 0 % der Stimmen und wurde damit stärkste Fraktion. Am 5. M a i 1933 wurden die acht Abgeordneten der Religiösen Sozialisten aus dem Landeskirchentag ausgeschlossen und die gesetzlichen Grundlagen der Leitung der Landeskirche zunächst befristet bis 31. Oktober 1933 suspendiert. Die Wahl vom 23. Juli 1933 brachte den Deutschen Christen die absolute Mehrheit von 8 4 , 3 % . Wilhelm Reichardt trat am Jahresende 1933 als Landesoberpfarrer (seit 15. Juli „Landesbischof") zurück. Seine Nachfolger wurden Martin Sasse ( 1 8 9 0 - 1 9 4 2 )

512

Thüringen

und bis 1945 Hugo Rönck (1908-1990). Im Landeskirchenrat dominierten Mitglieder der Kirchenbewegung (seit 1938 Nationalkirchliche Einung) Deutsche Christen. Am 12. September 1933 wurde das Berufsverbot für nichtarische Pfarrer durchgesetzt. Ein spätes Opfer dieser Maßnahme wurde Werner Sylten ( 1 8 9 3 - 1 9 4 2 , umgebracht in Schloß Hartheim/Oberösterreich), der Mitglied der Bekennenden Kirche war. Mit Wirkung vom 1. März 1934 wurde die Evangelisch-lutherische Kirche in Reuß ä.L. auf Grund der Reichsgesetzgebung genötigt, sich auf dem Wege eines Vertragsabschlusses mit einigen Sonderbedingungen der Thüringer evangelischen Kirche anzuschließen. Ihr Leiter war seit 1931 Oberkirchenrat Titus Reuter ( 1 8 7 9 - 1 9 4 4 ) . Er übte bis zu seiner Amtsenthebung am 26. Juni 1939 unter Beibehaltung seines Titels die Funktion eines Oberpfarrers in seinem bisherigen Dienstbereich aus und wurde, ohne sich einer der Widerstandsgruppierungen anzuschließen, einer der unermüdlichen Kritiker des nationalsozialistischen Staates und seiner Kirchenpolitik.

Der Widerstand formierte sich am 27. Juni 1934 in der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft unter Leitung von Pfarrer Ernst Otto (1891-1941), der 1938 in den Wartestand versetzt wurde. Seine Funktion übernahm am 8. November 1938 Gerhard Säuberlich (1901-1959), seit 23. Mai 1943 Moritz Mitzenheim (1891-1977). Neben dieser Gruppe fand sich seit 22. Juni 1937 im Wittenberger Bund die kirchenpolitische Mitte mit eigener ideologiekritisch theologischer Grundlage. Ein großer Teil der Pfarrerschaft hielt sich bei individuell wechselnden Optionen vom Anschluß an die Deutschen Christen oder ihre Gegner frei. Im Juli 1935 sagten sich 100 Pfarrer von der geistlichen Leitung des Landeskirchenrats los. Der Vorgang wurde mit Geldstrafen und Versagung von Anstellungen geahndet. Vertreter des Dahlemer Flügels der Bekennenden Kirche, unter ihnen Helmut Gollwitzer (1908-1993), brachen mit der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft und verließen, genötigt durch den Landeskirchenrat, die Landeskirche. Seit 1937 wurden weitere Pfarrer vom Dienst suspendiert. Der Einfluß der Deutschen Christen auf die Gemeindebasis entsprach im ganzen nicht ihrem propagandistischen Aufwand, der immer wieder mit Verweigerung beantwortet wurde. Schwierigkeiten entstanden ihnen auch durch den ihnen zugehörigen Kirchenrat Paul Lehmann (1884—1960), der als Agent der Geheimen Staatspolizei tätig war. Gemeinden, die sich um illegal amtierende Pfarrer sammelten, entstanden in Kaltenwestheim (Rhön), Metzels bei Meiningen, Meuselwitz, Neuhaus am Rennweg, Ilmenau, Jena, Saalfeld, Elgersburg, Neuenhof bei Eisenach, Mihla und Gera-Röpsen. 1938/39 kam es zum Anschluß von Gemeinde(teile)n in Gotha, Zeulenroda, Neuhaus am Rennweg und Arnstadt an die Evangelischlutherische (altlutherische) Kirche in Preußen.

Lutherische Bekenntnisgemeinschaft und Wittenberger Bund näherten sich 1938 einander an und vereinbarten am 2. Juni 1938 ein gemeinsames Aktionsprogramm und am 5. Februar 1941 Vorschläge zur Neuordnung der Landeskirche. Beide Erklärungen sowie die Bereitschaft beider Gruppierungen zur Zusammenarbeit mit dem neu gebildeten Landeskirchenrat auf der Basis gemischter Kommissionen (1943) blieben ohne greifbare Folgen. Die am 15. Juli 1944 veröffentlichte neue Kirchenordnung, die gravierende Eingriffe in Tauf- und Trauungsliturgie enthielt, führte zum Einspruch der Kanzlei der DEK. Am 6. Mai 1939 wurde mit einer Feierstunde auf der Wartburg bei Eisenach das von Siegfried Leffler geleitete, von Walter Grundmann (1906-1976) wissenschaftlich verantwortete Institut zur Erforschung (und Beseitigung) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben eröffnet. An ihm beteiligten sich 13 deutsche Landeskirchen. Es existierte, mit guten Publikationsbedingungen ausgestattet, bis 1945. Zu seinen für Thüringen wirksamen Produkten gehörten das

Liederbuch Großer Gott, wir loben dich und die von W. Grundmann erstellte Auswahlübersetzung

des Neuen Testaments Die Botschaft Gottes. Die Aktivitäten des Instituts versiegten allmählich seit 1943. Die Gründung des Instituts war einer der Höhepunkte der seit 1933 angelegten antisemitischen Politik des Landeskirchenrats. Martin Sasse hatte den Novemberpogrom von 1938 mit einem sich auf M . -»Luther berufenden antijüdischen Pamphlet begleitet. Bereits am 10. Februar 1939 stellte ein Kirchengesetz fest, Juden könnten nicht Mitglieder der Thüringer evangelischen Kirche werden. Am 9. August 1939 wurde die Entfernung aller jüdischen Symbole und Bilder aus

Thüringen im Jahre 1918 ( Göttingen kgr. Preußen, Prov. Hannover

Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach

Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha

ICSX1

Herzogtum Sachsen-Meiningen

Herzogtum Sachsen-Altenburg

Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen

ISSASI

Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt

Fürstentum Reuß ä.L.

Fürstentum Reußj.L.

i 0

Ksr. Österreich-Ungarn, Kgr. Böhmen

i= 7,5

15

22,5 km

430»

Thüringen

513

Kirchenräumen verfügt, a m 2 8 . Dezember 1941 der „Ausschluß rassejüdischer Christen aus der K i r c h e " beschlossen.

Die seit 1938 gewandelte nationalsozialistische Kirchenpolitik machte sich in Thüringen in für die Ziele der Deutschen Christen schwer verständlichen Gegenmaßnahmen bemerkbar. Der Landeskirchenrat hatte a m 14. M ä r z 1938 den Pfarrern den Treueeid auf Hitler auferlegt, der nur geringen Widerstand gefunden hatte. A m 20. April 1938 ordnete Rudolf H e ß nach einem Protest der W i t w e des Großherzogs von Sachsen-Weimar die Entfernung des Hakenkreuzes an, das am 11. April auf Anordnung des NSDAP-Kreisleiters von Eisenach anstelle des Kreuzes auf dem Bergfried der Wartburg angebracht worden war. H e ß befahl a m 11. August 1939 auch die Entfernung der Hakenkreuze, die als Kombination mit dem christlichen Kreuz auf mehreren Kirchtürmen Thüringens angebracht worden waren.

12. Die Evangelisch-Lutherische

Kirche in

Thüringen

Nach der Besetzung Eisenachs durch US-amerikanische Truppen (6. April 1945) sprachen am 10. April 1945 Vertreter der den Deutschen Christen gegenüber kritisch eingestellten Gruppen (einschließlich der Religiösen Sozialisten) beim Landeskirchenrat vor und drängten auf den Rücktritt von H. Rönck und eine Umbildung des Landeskirchenrats. Die sich bis zum 30. April hinziehenden schriftlichen Verhandlungen wurden durch die Verhaftung Röncks durch die Besatzungsbehörden beendet. Zum neuen Landesbischof wurde am 2. Mai durch den Vertreter Röncks der Eisenacher Pfarrer Moritz Mitzenheim ernannt und am 3. Mai ein neuer Landeskirchenrat durch den bisherigen Finanzdezernenten verpflichtet. Eine innerkirchlich bestellte Spruchstelle entschied zwischen Januar 1946 und Mai 1948 nach eigenen Angaben die Entlassung aller Mitglieder des bis 1945 amtierenden Landeskirchenrats, von 53 Beamten, Angestellten und Mitarbeitern der kirchlichen Verwaltung sowie von 84 Pfarrern, die Amtsniederlegung aller Superintendenten, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, und die Versetzung von 14 Pfarrern. Empfohlen wurde die Weiterbeschäftigung von 44 ursprünglich als belastet geltenden Pfarrern. Am 19. Oktober 1947 wurde Moritz Mitzenheim in das Amt eines Landesbischofs der Thüringer evangelischen Kirche eingeführt. Die im Herbst 1948 gewählte Synode trat am 18. Oktober zusammen und beschloß, die Landeskirche umzubenennen in Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen. Eine neue Verfassung wurde am 2. November 1951 verabschiedet. Sie gilt mit Änderungen (zuletzt 4. April 1998) bis heute. Z u ihren in den deutschen landeskirchlichen Verfassungen - von der Position des Präses der Evangelischen Kirche im - » R h e i n l a n d abgesehen - analogielosen M e r k m a l e n gehört die starke Stellung des Landesbischofs, der Vorsitzender des Landeskirchenrats und Vorsitzender der Synode ist, deren administrative Leitung in der H a n d eines Präsidenten liegt. Die wichtigste Veränderung (1995) betrifft die Änderung der Superintendenturverfassung mit der Einführung von Kirchenkreissynoden. Landesbischof Mitzenheim bekleidete sein A m t bis 1970. Sein Nachfolger bis 1978 wurde Ingo Braecklein (geb. 1 9 0 6 - 2 0 0 1 ) . Ihm folgten bis 1992 Werner Leich (geb. 1 9 2 7 ) , bis 2 0 0 1 R o l a n d Hoffmann (geb. 1938) und seit 2 0 0 1 Christoph Kähler (geb. 1944).

Bereits 1948 war die Landeskirche der -»Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der -»Evangelischen Kirche in Deutschland beigetreten. Von 1968 bis 1988 gehörte sie der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der D D R an. Die Ordnung des -»Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, dessen Mitglied die Landeskirche von 1969 bis 1991 war, wurde unter maßgeblicher Beteiligung des damaligen Mitglieds des Landeskirchenrats, Oberkirchenrat Ingo Braecklein, erarbeitet. In spezifischen Krisensituationen, die aus der Kirchenpolitik der D D R erwuchsen, handelte der Landeskirchenrat eher taktisch als positioneil. So zeigte es sich in der Regelung, den Betroffenenen im Konflikt zwischen - » J u g e n d w e i h e und -»Konfirmation einen Weg zu ermöglichen, die eine alternative Entscheidung umging. Ähnliche Lösungen wurden in Personalentscheidungen ge-

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Thüringen

troffen. Die starke Annäherung der Leitung der Landeskirche an einen kompromißgeleiteten kooperativen Kurs den Partei- und Staatsbehörden gegenüber wurde nicht nur innerkirchlich von unterschiedlichen Gruppen kritisiert, sondern führte seit 1958 zu einer i m m e r stärkeren Isolierung der Landeskirche von den übrigen Landeskirchen in der D D R . Sie wurde erst allmählich unter der Leitung der bischöflichen Nachfolger von M . Mitzenheim behoben. 1 9 9 2 wurden Vermutungen bestätigt, daß der leitende Jurist der Landeskirche, Oberkirchenrat Gerhard L ö t z ( 1 9 1 1 - 1 9 8 1 ) , der als Mitglied der C D U u.a. langjähriges Mitglied der Volkskammer der D D R und des Hauptvorstands der C D U w a r , sich seit 1 9 5 5 zur Mitarbeit im Staatssicherheitsdienst der D D R verpflichtet hatte.

Seit 17. März 1991 ist die Landeskirche wieder Gliedkirche der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, seit 27. Juni 1991 der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Vertrag, der die Beziehungen zwischen dem Freistaat Thüringen und den evangelischen Kirchen in Thüringen regelt, wurde am 15. März 1994 abgeschlossen. Die am 28. April 1970 unter dem Druck der politischen Verhältnisse erfolgte, vertraglich geregelte, mit vielen Ausnahmeklauseln versehene Eingliederung des Dekanats Schmalkalden in die thüringische Landeskirche wurde durch Wiedereingliederung in die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck am 15. März 1991 rückgängig gemacht. Für die Ausbildung zur Erteilung des nach Art. 7(3) Grundgesetz vorgesehenen schulischen Religionsunterrichts wurde 1 9 9 2 ein Pädagogisch-Theologisches Z e n t r u m in Reinhardsbrunn eröffnet (seit 1998 in Neudietendorf). Neu konstituiert haben sich nach 1 9 9 0 das Seelsorgeseminar (Aus- und Weiterbildung für Seelsorge), die Jugendbildungsstätte Neulandhaus (Eisenach), die Evangelische Erwachsenenbildung Thüringen und das Erwachsenenbildungswerk sowie in umgestalteter Anknüpfung an bereits vorhandene Institutionen die Evangelische Akademie Thüringen und die Evangelische Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik „ J o h a n n e s F a l k " (Eisenach). Innerhalb des Freistaats Thüringen befinden sich vier Grundschulen und zwei Gymnasien in kirchlicher Trägerschaft.

13. Kirchenkundlich-statistische

Daten

Der Freistaat Thüringen hatte 1998 2.470.099 Bewohner (mittlere Zahl). Von ihnen waren etwa 3 6 % Glieder der römisch-katholischen Kirche oder der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen oder einer der beiden weiteren im Gebiet des Freistaats vertretenen evangelischen Landeskirchen (Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen [-»Sachsen III.], Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck). Im gleichen Jahre zählte die Jüdische Landesgemeinde Thüringens 445 Mitglieder. (Die Zahl der Angehörigen von Freikirchen und religiösen Sondergemeinschaften wurde nicht ermittelt.) Der Anteil der Glieder der römisch-katholischen Kirche an der mittleren Gesamtzahl der Landesbewohner betrug etwa 7 , 4 % . Eine den veröffentlichten Angaben folgende vorsichtige Berechnung des Verhältnisses des Anteils der Glieder der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen und zusätzlich der Glieder der römisch-katholischen Kirche zur Bevölkerungszahl in den der Landeskirche zugehörigen Gebieten des Landes ergab etwa den gleichen Anteil wie die Berechnung des Gesamtbevölkerungsanteils (etwa 3 6 % ) . Wahrscheinlich wird eine genauere Erfassung und Auswertung der Zahlen in der kommenden Zeit diesen Anteil als zu hoch erscheinen lassen. Die absoluten Zahlen weisen ein starkes Gefälle von den westlichen Landesteilen zu den östlichen auf. Der Höhepunkt der Austritte aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen nach 1989 lag in den Jahren zwischen 1990 und 1993. Dabei handelte es sich zum großen Teil um Austritte auf Grund bereits bestehender Distanz zur Kirche, die durch Einführung des Einzugs der Kirchensteuer durch die Finanzämter entschieden wurden. Die Zahlen von (Wieder-)Aufnahmen in die Kirche betrugen zwischen 1994 und 1998 durchschnittlich ein Sechstel bis ein Achtel der Austrittszahlen. Die Entwicklung der Kirchengliedschaftszahlen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen war mitbeteiligt an der Entscheidung zur Verringerung der Anzahl der Aufsichtsbezirke (Visitationsbereiche) von vier auf drei, die der Superintendenturen

Thüringen

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von 4 0 auf 18 und die der Gemeindepfarrstellen für 1.435 Kirchgemeinden von 1.017 (1988) auf 508 (2000). In den Schulen ist auf Grund gesetzlicher Regelung nur dort Ethikunterricht zu erteilen, wo auch Religionsunterricht erteilt wird und umgekehrt. Am evangelischen Religionsunterricht im Freistaat Thüringen beteiligen sich 2 2 , 7 % der Schülerinnen und Schüler, am römisch-katholischen Religionsunterricht 6 , 7 % , am Ethikunterricht 6 5 , 4 % , weder am Religions- noch am Ethikunterricht 5 , 1 % . Im Jahre 1992 nahmen mehr als 2 4 % der Schülerinnen und Schüler der Klasse 8 im Freistaat an der Konfirmation teil, im Jahre 2001 bei nahezu gleichbleibender Schülerzahl knapp 18% der 3 3 . 6 2 0 in Frage kommenden Jugendlichen. Der Teilnehmeranteil von Jugendlichen an der Jugendweihe lag 1992 bei 3 5 % , 2001 bei 4 7 % . 3 5 % der Schulpflichtigen des 8. Schuljahrs, darunter u.a. 5 % Firmlinge aus römisch-katholischen Familien, verzichteten im Jahre 2001 auf eine öffentliche Feier. Quellen 1. Bibliographien: Bibliogr. zur hennebergischen Gesch., bearb. v. Eckart Henning/Gabriele Jochums, 1976 (MDF 80). - Bibliogr. zur thüringischen Gesch., bearb. v. Hans Patze, 2 Bde., 1965-1966 (MDF 32). - Falk Burkhardt, Chronik u. Bibliogr. zur Revolution v. 1848/49 in Thüringen, Erfurt 1998 (Thüringen gestern u. heute 6). - Thüringen-Bibliogr., Jena 1961 ff. (1961 - 1 9 6 3 u. 1970-1982 bearb. v. Doris Kühles; 1964-1969 v. Werner Schmidt/Doris Kühles; 1982-1984 v. Ute Bohn; 1985 v. Ute Bohn/Edeltraud Paetrow; ab 1986 v. Edeltraud Paetrow/Eva-Maria Brückner; erscheint jährlich ab Berichtsjahr 1961). 2. Quellen: EKO 1/1-2. - Archivführer Thüringen, hg. v. der Archivberatungsstelle Thüringen, bearb. v. Frank Boblenz/Bettina Fischer, Weimar 1999. - Altenburger Urkundenbuch, bearb. v. Hans Patze, Jena 1955 (Veröff. der Thüringischen Hist. Kommission 5). - Amtsblatt der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, Eisenach 1947 ff. - Atlas des Saale- u. mittleren Elbegebiets, hg. v. Otto Schlüter/Oskar August, Leipzig *1954-1961; 1. Aufl. u.d.T.: Mitteidt. Heimatatlas, hg. v. Max v. Bahrfeldt, Magdeburg 1935. - Martin Bauer, Erfurter Personalschriften 1540-1800. Beitr. zur Familien- u. Landesgesch. Mitteldeutschlands, Neustadt a.d.Aisch 1998 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye 30). - Martin Bauer, Ev. Theologen in u. um Erfurt im 16. bis 18. Jh., Neustadt a.d.Aisch 1992 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye 22). - Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Univ. Erfurt (1392-1521), hg. v. Rainer C. Schwinges/Klaus Wriedt, Jena/Stuttgart 1995 (Veröff. der Hist. Kommission f. Thüringen, Große R. 3). - Thomas Björkman, Ein Lebensraum f. die Kirche. Die Rundbriefe v. Landesbischof D. Mitzenheim 1945-1970, 1991 (BHEL 28). - Der Briefwechsel des Friedrich Myconius (1524-1546), bearb. v. Hans Ulrich Delius, 1960 (SKRG 18/19). - Johann Georg Brückner, Sammlung verschiedener Nachrichten zu einer Beschreibung des Kirchen- u. Schulenstaates im Herzogthum Gotha, 3 Bde., Gotha 1753-1768. - Chronicon Ecclesiasticum Nicolai de Siegen, hg. v. Franz Xaver Wegele, Jena 1855 (Thüringische Geschichtsquellen 2). - Die Chronik des Härtung Cammermeister, bearb. v. Robert Reiche, Halle 1896 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 35). - Codex diplomaticu? S?xoniae Regiae. J. Urkunden der, Markgrafen, v. Meißen u, Landgrafen v. Thüringen, Leipzig. 1,1/1.948-1099,1882; 1,1/2. 1100-1195,1889; 1,1/3.1196-1234, 1898; 1,2/1. 1381-1395, 1899; 1,2/2. 1396-1406, 1902; 1,2/3. 1407-1418, 1909; 1,2/4. 1419-1427, 1941. - Codex Eberhardi des Klosters Fulda, 2 Bde., 1995-1996 (VHKH 5 8 / 1 - 2 ) . - Die dt. Königspfalzen. Repertorium der Pfalzen, Königshöfe u. übrigen Aufenthaltsorte der Könige im dt. Reich des MA. II. Thüringen, bearb. v. Michael Gockel, Göttingen, Lfg. 1984-2000. - Karl Gottlob Dietmann, Die gesamte der ungeänderten Augspurgischen Konfession zugethane Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen u. denen einverleibten, auch einigen angrenzenden Landen, 5 Bde., Dresden/Leipzig 1752-1763. - Düringische Chronik des Johann Rothe, hg. v. Rochus v. Liliencron, Jena 1859 (Thüringische Geschichtsquellen 3). - Martin Erbstößer, Ein neues Inquisitionsprotokoll zu den rel.-sozialen Bewegungen in Thüringen Mitte des 14. Jh.: WZ(L).GS 14 (1965) 379-388. - Martin Erbstösser/Ernst Werner, Ideologische Probleme des ma. Plebejertums, 1960 (FMAG 7). - Friedrich Myconius, Gesch. der Reformation, hg. v. Otto Clemen, mit einem Nachwort v. Helmut Claus, Gotha 1990. - Friedrich Myconius 1490-1546. Lebensbild u. neue Funde zum Briefwechsel des Reformators. Mit einer textgesch. Einl. u. einem Korrespondentenverz. der gesamten Erstausg., bearb. v. Heinrich Ulbrich, 1962 (SKRG 20). - Fürstlich Sächsische Ernestinische, das Kirchen- u. Schulwesen wie auch Christi. Disziplin betreffende Verordnungen [...], Gotha 1670 1 1720. - Fuldische Frauenklöster in Thüringen. Regesten zur Gesch. der Klöster Allendorf, Kapellendorf u. Zella/Rhön, bearb. u. eingel. v. Johannes Mötsch, München/Jena 1999 (Veröff. der Hist. Kommission f. Thüringen, Große R. 5). - Gesamtübersicht über die Bestände des Landeshauptarchivs Magdeburg, I u. II bearb. v. Berent Schwineköper, Halle 1954-1955; III/l, bearb. v. Horst Gring-

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muth-Dallmer, Halle 1961; IV, bearb. v. Horst Gringmuth-Dallmer/Berent Schwineköper/Manfred Kobuch, Halle 1960. - Grundriß der dt. Verwaltungssgesch. 1 8 1 5 - 1 9 4 5 . XV. Thüringen, bearb. v. Thomas Klein, Marburg 1983. - Karl Güldenapfel, Die ev. Kirchenbücher Thüringens, Görlitz 1934. - Hennebergisches Urkundenbuch, hg. v. Karl Schöppach, 7 Bde., Meiningen 1 8 4 2 1877. - Detlef Ignasiak, Regententafeln thüringischer Fürstenhäuser. Mit einer Einf. in die Gesch. der Dynastien in Thüringen, Jena 1996. - Kirchenblatt der ev.-luth. Kirche in Reuß ä.L., Greiz 1 9 1 9 - 1 9 3 4 . - Herbert Koch, Die prot. Kirchenarchive des Großherzogtums Sachsen: Mitt. der Zentralstelle f. dt. Personen- u. Familiengesch. 12/14 (1914) 8 9 - 1 6 0 . - Konrad Stolles thüringischerfurtische Chronik, hg. v. Ludwig Friedrich Hesse, Stuttgart 1854 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 32); Nachdr. Amsterdam 1968. - Mainzer Urkundenbuch. I. Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137), bearb. v. Manfred Stimming, Darmstadt 1932; II. Die Urkunden seit dem Tode Erzbischof Adalberts I. (1137) bis zum Tode Erzbischof Konrads (1200), bearb. v. Peter Acht, Darmstadt 1 9 6 8 - 1 9 7 1 . - Ordnung wie es in des Durchl. Hochgeb. Fürsten u. Herrn [...] Johann Casimirs, Hertzogen zu Sachsen [...] Fürstenthum u. Landen [...] gehalten werden solle, Coburg 1626 *1713. - Päpstliche Urkunden u. Regesten aus den Jahren 1 2 9 5 - 1 3 7 8 , die Gebiete der heutigen Provinz Sachsen u. deren Umlande betreffend, bearb. v. Gustav Schmidt, 2 Bde., Halle 1 8 8 6 - 1 8 8 9 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 21/22). - Die Protokolle der Kirchenvisitationen im Bereich des jetzigen Fürstentums Reuß ä.L., hg. v. E. Bartsch: Jahresber. u. Mitt. des Vereins f. Greizer Gesch. zu Greiz 6 - 1 0 (1904) 1 - 7 3 . - Regesta archiepiscoporum Maguntinensium. Regesten zur Gesch. der Mainzer Erzbischöfe ( 7 4 2 - 1 2 8 8 ) , hg. v. Cornelius Will, 2 Bde., Innsbruck 1 8 7 7 - 1 8 8 6 ; Nachdr. Aalen 1966. - Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae, bearb. u. hg. v. Otto Dobenecker, I, 5 0 0 - 1 1 5 2 ; II. 1 1 5 2 - 1 2 2 7 ; III. 1 2 2 8 - 1 2 6 6 , Stuttgart 1 8 9 6 - 1 9 2 5 ; Nachdr. Bde. 1 - 3 Vaduz 1986; IV. 1 2 6 7 - 1 2 8 8 , Jena 1939. - Regesten der Erzbischöfe v. Mainz v. 1 2 8 9 - 1 3 9 6 . I. 1 2 8 9 - 1 3 5 3 , bearb. v. Ernst Vogt/Heinrich Otto, 2 Bde., Leipzig 1913 Darmstadt 1 9 3 2 - 1 9 3 5 ; II. 1 3 5 4 - 1 3 9 6 , bearb. v. Fritz Vigener, 2 Bde., Leipzig 1 9 1 3 1914. - Regesten der Urkunden des Sächsischen Landeshauptarchivs Dresden. I. 9 4 8 - 1 3 0 0 , bearb. v. Harald Schieckel, Berlin 1960 (Schriftenreihe des Sächsischen Landeshauptarchivs Dresden 6). - Registrum Subsidii Clerico Thuringiae Anno 1506 impositi, hg. v. Ulrich Stechele: Z V T h G 10 (1882) 1 - 1 7 9 . - Friedrich Rudolphi, Gotha Diplomatica oder Ausführliche hist. Beschreibung des Fürstenthums Sachsen-Gotha, 5 Bde., Frankfurt a.M. 1 7 1 5 - 1 7 1 7 . - Fritz Schäfer, Die Sammlung v. Bildern Thüringer Pfr. im landeskirchl. Archiv zu Eisenach: Der Archivar 14 (1961) 1 2 7 - 1 3 1 . - Das Schloßarchiv zu Eisenberg: Mitt. des Geschichts- u. Altertumsforschenden Vereins zu Eisenberg in Thüringen 30 (1913) 1 4 3 - 1 9 1 . - Thüringer Kirchenblatt u. kirchl. Anzeiger. A. Gesetze u. Verordnungen. B. Kirchl. Anzeigen, Eisenach 1 9 2 9 - 1 9 4 4 . - Thüringer Kirchenrecht. Handausg. der Verfassung u. anderer wichtiger Bestimmungen der Thüringer ev. Kirche, Eisenach 1938. Thüringer Kirchl. J b . , Altenburg, 1 ( 1 8 9 5 ) - 2 3 (1917); bis Jg. 5 [1899] u.d.T.: Kirchl. J b . f. das Herzogtum Sachsen-Altenburg; bis Jg. 9 [1903] u.d.T.: Kirchl. Jb. f. das Herzogtum Sachsen-Altenburg u. das Fürstentum Reuß j.L. - Thüringer Pfarrerbuch, hg. v. der Gesellschaft f. Thüringische K G , bearb. v. Bernhard Möller u.a., Neustadt a.d.Aisch, I. 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Ernst Müller, Weimar 1960 (Veröff. des thüringischen Landeshauptarchivs Weimar 4). - Ubersicht über die Bestände des Landesarchivs Rudolstadt, bearb. v. Hans Eberhardt, Weimar 1964 (Veröff. des thüringischen Landeshauptarchivs Weimar 8). - Ubersicht über die Bestände des Sächsischen Landeshauptarchivs u. seiner Landesarchive, hg. unter Mitw. der Hist. Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wiss., Leipzig 1955 (Schriftenreihe des Sächsischen Landeshauptarchivs Dresden 1). - Ubersicht über die Bestände des thüringischen Landeshauptarchivs Weimar, bearb. v. Hans Eberhardt, Weimar 1959 (Veröff. des thüringischen Landeshauptarchivs Weimar 2). - Unterkonsistorium Gehren. Bestandsverz., bearb. v. Jens Beger, Rudolstadt 1998 (Repertorien des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt 4). - Urkundenbuch der Deutschordensballei Thüringen, hg. v. Karl Heinrich Lampe, Jena, I 1936 (Thüringische Geschichtsquellen 10). - Urkundenbuch der Erfurter Stifter u. Klöster, bearb. v. Alfred Overmann, I. 7 0 6 - 1 3 3 0 ; II. Die Urkunden der Stifter St. Marien u. St. Severi ( 1 3 3 1 - 1 4 0 0 ) ; III. Die Urkunden des Augustiner-Eremitenklosters ( 1 3 3 1 - 1 5 6 5 ) , Magdeburg 1 9 2 6 - 1 9 3 4 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 5.7.16). - Urkundenbuch der Reichsabtei Hersfeld, hg. v. Hans

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Weirich, I 1936 (VHKH 19/1). - Urkundenbuch der Vögte v. Weida, Gera u. Plauen sowie ihrer Hauskloster Mildenfurth, Cronschwitz, Weida u. zum hl. Kreuz bei Saalburg, bearb. v. Berthold Schmidt, 2 Bde., Jena 1885-1892 (Thüringische Geschichtsquellen 5 / 1 - 2 ) . - Urkundenbuch des Eichsfeldes, bearb. v. Aloys Schmidt, I. Anfang saec. I X - 1 3 0 0 , Magdeburg 1933 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen N R 13). - Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg. I. 962-1207, bearb. v. Felix Rosenfeld, Magdeburg 1925 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen u. des Freistaates Anhalt NR 1). - Urkundenbuch des Klosters Frauensee 1202-1540, hg. v. Waldemar Kuther, 1961 (MDF 20) - Urkundenbuch des Klosters Fulda, bearb. v. Edmund Ernst Stengel, I 1913-1958 (VHKH 10/1) - Urkundenregesten zur Gesch. der Verwaltung des Bistums Würzburg im hohen u. späten MA (1136 -1488), bearb. v. Wilhelm Engel, 1945 (QFGBW 9). - M a x Vollen, Sammlung der kirchl. Gesetze u. 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Kunstdenkmäler des Fürstenthums Schwarzburg-Sondershausen, bearb. v. Friedrich Apfelstedt, 2 Bde., Sondershausen 1886-1887; Nachdr. Bd. II Arnstadt 1991. - Beschreibende Darst. der älteren Bau- u. Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen u. angrenzender Gebiete, bearb. v. Gustav Sommer, H . 2.4-6.9.11-13.22.28, Halle 1879-1909. Gesch. Thüringens, hg. v. Hans Patze/Walter Schlesinger, 6 Bde., 1967-1980 (MDF 4 8 / 1 - 6 ) . Hb. der hist. Stätten Deutschlands. IX. Thüringen, hg. v. H a n s Patze, Stuttgart 1968 2 1989; XI. Provinz Sachsen/Anhalt, hg. v. Berent Schwineköper, Stuttgart 1975 2 1987. - Hb. der Mainzer KG, hg. v. Friedheim Jürgensmeier, 2 Bde., Würzburg 1997 - 2000 (BMKG 6). - Rudolf Herrmann, Thüringische KG, 2 Bde., Weimar/Jena 1937-1947; Nachdr. Waltrop 2000. - Ulrich Heß, Gesch. der Behördenorganisation der thüringischen Staaten u. des Landes Thüringen v. der Mitte des 16. Jh. bis zum Jahre 1952, Jena/Stuttgart 1993 (Veröff. der Hist. Kommission f. 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Thüringen

523

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Thurneysen

Thurneysen, Eduard 1. Leben

2. Werk

(1888-1974) 3. Wirkung

(Quellen/Literatur S.526)

1. Leben Eduard Thurneysen wurde am 10. Juli 1888 als Sohn des Pfarrers Eduard Thurneysen (1856-1931) und seiner Ehefrau Elise, geb. Blüss (1865-1891), im schweizerischen Walenstadt, Kanton St. Gallen, geboren. Kindheit und Jugend verlebte er in Basel, wo sein Vater seit 1892 Pfarrer am Bürgerspital war. Prägend waren der frühe Tod der Mutter (1891) und der durch die mit Ch. -»Blumhardt d.J. verbundene Stiefmutter Emilie Hindermann vermittelte Kontakt nach Bad Boll. Die erste Begegnung des 16jährigen 1904 mit Blumhardt, der ihm die Bedeutung des Seh-Vorganges und die den Partner ganzheitlich ernstnehmenden Art des —»Gespräches für die -»Seelsorge erschloß, wirkte sich entscheidend auf seine -»Seelsorgelehre aus. Thurneysen studierte von 1907 bis 1911 Theologie in -»Basel und -»Marburg bei B. -»Duhm, Paul Wernle (1872-1939), E. -»Troeltsch, Adolf Jülicher (1857-1938), Wilhelm Heitmüller (1869-1926), W. -»Hertmann sowie Hermann Cohen (1842-1918) und war von 1911-1913 CVJM-Sekretär im Züricher Glockenhof. In -»Zürich kam es zu den wichtigen Begegnungen mit H. -»Kutter, L. -»Ragaz und Rudolf Pestalozzi (1882-1961). Im Pfarramt 1913-1920 in Leutwil-Dürrenäsch reifte die lebenslange Weggefährtenschaft mit K. -»Barth, damals Pfarrer im benachbarten Safenwil, den Thurneysen aus der Studentenverbindung „Zofingia" kannte, aber auch die Freundschaft zu Georg Merz (1892-1959), der den Kontakt zum Münchner Verleger Albert Lempp (Kaiser-Verlag) vermittelte. Bereits im Leutwiler Pfarramt setzte Thurneysens intensive Vortragstätigkeit ein. Von 1920 bis 1927 war er Pfarrer in Brüggen-Winkeln im Kanton St. Gallen. 1923 gründete er mit Karl Barth, Georg Merz und F. —»Gogarten die Zeitschrift Zwischen den Zeiten-, seit 1933 gab er mit Karl Barth die Reihe Theologische Existenz heute heraus. Von 1927 bis 1959 wirkte Thurneysen als Münsterpfarrer in Basel und prägte die Stadtgemeinde als geschätzter Prediger. In seiner aus dem Gottesdienst erwachsenden Seelsorge pflegte er den Seelsorgebrief, die Sprechstunde im Amtszimmer und das Telefon als entscheidende Instrumente. Mit dem Ehrendoktor der Universitäten -»Gießen (1927) und Aberdeen (1934) fand sein Werk frühe Anerkennung. Seit 1930 war Thurneysen als Lehrbeauftragter und seit 1941 als nebenamtlicher außerordentlicher Professor für Praktische Theologie an der Universität Basel tätig. 1959 trat er vom Pfarramt zurück und übernahm im Ruhestand Gastprofessuren in -»Hamburg und -»Berlin. Am 21. August 1974 starb er in Basel. Sein letzter Eintrag im Gästebuch des Ferienhauses der Tochter in Blonay faßt zusammen, was Thurneysen in prophetischer Weise lebenslang bewegt hatte: ,,... die herrliche Landschaft, die ahnen läßt, wie unbegreiflich strahlend dereinst die erneute Erde uns Kindern Gottes vor Augen stehen wird, und dazu werden alle, alle, die einst gelebt haben, gehören, auch die hier unten Geplagten, Verkürzten, Geschundenen" (zit. nach Hoch 203). 2. Werk „Die theologische Arbeit Eduard Thurneysens ist in ihren Anfängen herausgewachsen aus den Nöten des Pfarramts. Und in den Aufgaben des Pfarramts hat sie noch heute ganz offen ihren Zielpunkt" (K. Barth, Geleitwort zu E. Thurneysen, Das Wort Gottes und die Kirche [1971], 227). Barths Würdigung macht darauf aufmerksam, daß Thurneysen aus dem Gemeindepfarramt heraus wichtige Beiträge zur Praxis der Kirche wie zu deren theologischer Fundierung vorgelegt hat. In den Gattungen —»Predigt, Aufsatz, Vortrag, Traktat und Kalenderbeitrag erwies er sich als Meister der kleinen Form, und die beiden Monographien zur Seelsorge (1946 und 1968) wirken in dem 480 Titel umfassenden Werk, das nur zusammen mit der Tätigkeit als Seelsorger, Prediger und Hochschullehrer als Einheit verstanden werden kann, eher singulär. Der -»Dialektischen

Thurneysen

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Theologie vermittelte er mit seinem Brückenschlag zu F.M. -»Dostojewski, Ch. Blumhardt d.J. und den Religiösen Sozialisten (-»Religiöser Sozialismus), vgl. u.a. seine Auslegung der Bergpredigt (1936), wichtige Zugänge. Thurneysen stellt nicht den stringenten systematischen Denker, sondern den künstlerisch-unkonventionellen, als Basler Münsterpfarrer dann auch eher pastoralen Kopf neben Karl Barth dar. Thurneysens Werk kann als theologische Programmschrift zur Praxis der Kirche verstanden werden, die auf die Ausbildung einer eigenständigen Praxistheorie (-»Theorie und Praxis) verzichtet und deren methodische Hinweise nicht den Charakter handlungswissenschaftlicher Aussagen besitzen, sondern biblisch auf die Reich-Gottes-Verkündigung in Kirchenzucht und Exorzismus bezogen, der traditionellen Pastoralklugheit zuzuordnen sind. Thurneysens gegenüber der zeitgenössischen akademischen -»Praktischen Theologie innovative Leistung (vgl. T R E 27,206,7ff.) besteht in der Verschmelzung der theologischen Reflexion der Praxis der Kirche mit Elementen der traditionellen -»Pastoraltheologie zu einer auch sprachlich neuen und ungewöhnlichen Einheit. Praktische Theologie und ihre Einzeldisziphnen werden nicht mehr segmenthaft verstanden. Mit der Formel von der Weitergabe des Zeugnisses legt er dem Fach ein gemeinsames Paradigma zugrunde. Es ist damit im Gesamten der Theologie nicht mehr Anwendungswissenschaft, sondern Wahrnehmungsperspektive und wird zur Tür „in den Raum der Kirche, auf den die Theologie in ihrer Gesamtheit bezogen erscheint" (Aufgabe der Theologie: Das Wort Gottes und die Kirche [1927], 196-231, hier 202). Auf vielfältige "Weise bietet Thurneysen dazu Metaphern, Gleichnisse und Bilder (wie etwa sein „Gewittergleichnis") an, die beschreiben, was sich in der -»Verkündigung als dem zentralen Paradigma der Praktischen Theologie ereignet. Praktische Theologie als schriftorientierte pneumatologische Wahrnehmungslehre greift auf die grundlegenden Vorgänge des Lesens und des Sehens zurück. Lesen wird als ästhetischer und nicht als starker technisch im Sinne der Informationsvermittlung verstandener kommunikativer Vorgang zur Wahrnehmung des Handelns und Redens Gottes gedacht. Die nur im Gesamtkonzept von Thurneysens Praktischer Theologie sinnvoll verstehbare Seelsorgelehre bildet den Mittelpunkt des Werkes und ist auf den Gottesdienst, die Predigt und die Lehre von der Gemeinde zurückbezogen. Sie enthält den Reflex der Seelsorgepraxis Thurneysens, nicht aber deren methodische Reflexion. Lediglich im Briefwechsel mit Charlotte von Kirschbaum (1899-1974) wird Thurneysens sich im engsten Freundeskreis vollziehende Ehe- und Krisenseelsorge auch in ihrem methodischen Vollzug greifbar. Thurneysen versteht Seelsorge als Wahrnehmungsakt, bei dem -»Psychologie und Seelsorge zusammenwirken und die Sprache des -»Wortes Gottes einen Raum der Begegnung zur Verfügung stellt. In der als Christusbegegnung verstandenen Seelsorge kommt es für Gesprächspartner wie Seelsorger zum ö f f n e n der Augen, zum Eintreten in die Perspektive Gottes und damit zur Wahrnehmung des sündigen Menschen im Licht der -»Vergebung der Sünden. Im Verhältnis zur Psychologie geht Thurneysen noch von einer weltanschaulichen Neutralität der humanwissenschaftlichen Methoden im Sinne „reiner" Desknption aus. Er ordnet deshalb ohne Zurücksetzung der anderen Disziplinen die Theologie konsequent der psychoanalytischen Methode (-»Psychoanalyse/Psychotherapie) vor. Der (von Emil Pfennigsdorf übernommene) Begriff „Hilfswissenschaft" zur Beschreibung des Verhältnisses von Humanwissenschaften und Seelsorge gilt für Thurneysen nur im relationalen, nicht aber im wertenden Sinne, um den Primat der Heiligen Schrift für die Seelsorge aufrechtzuerhalten. Thurneysen fordert zugleich durchgängig eine hohe humanwissenschaftliche Kompetenz des Seelsorgers. Auch seine Rede von der „Bruchlinie" im Seelsorgegespräch ist Hinweis auf die Unverfügbarkeit des Handelns, bezieht sich auf das Aufdecken der Gottesrelation und darf nicht im Sinne eines Abbrechens im Gespräch karikiert werden. „Bruchlinie" besitzt einen spezifischen Bildcharakter, dem

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Thurneysen

es nicht um das Zerbrechen, sondern um ein Aufbrechen im Sinne eines PerspektivenWechsels geht, indem die gegenseitige Wahrnehmung im Seelsorgegespräch in die Wahrnehmung Gottes umschlägt. Der mit Thurneysen befreundete Basler Psychiater Gaetano Benedetti bezeichnet das charismatische Hören als dessen große Gabe. Thurneysens Solidarität mit den Leidenden habe sich in grundsätzlichen Punkten mit ganz anders gearteten Erfahrungen, die der Psychiater am Kranken mache, berührt, und der Standort des Glaubens gestattete ihm, in -»Psychiatrie und Psychotherapie keine Konkurrenz zu sehen, sondern ihnen einen ureigenen Raum zu belassen. „Er wusste um einen Bereich psychischer Mechanismen, die auch in der Sicht seiner den ganzen Menschen umfassenden Seelsorge selbständig bleiben mussten und eine Eigengesetzlichkeit hatten, die vom Glauben unabhängig ist" (Benedetti 262). 3.

Wirkung

Auch wenn Karl Barth 1921 im Vorwort zur 2. Auflage seines Römerbriefes prognostizierte, daß später kein Spezialist dahinterkommen werde, „ w o in unserer auch hier bewährten Arbeitsgemeinschaft die Gedanken des einen anfangen, die des andern aufhören" (Römerbrief, München 2 1922, X V I I I ) , und Thurneysens Einfluß auf Karl Barth nicht unterschätzt werden darf, liegt seine entscheidende Wirkung doch im Bereich der Praktischen Theologie und insbesondere der Seelsorge (vgl. T R E 3 1 , 6 0 , 3 0 - 6 1 , 9 ) . Hier kam es nach anfänglich begeisterter Aufnahme seiner Anliegen in der kirchlichen Praxis zu folgenreichen Mißverständnissen durch die Seelsorgebewegung. Die nachgeordnete Funktion der Methodik und der Verzicht auf eine eigenständige, im Gespräch mit den psychologischen Disziplinen entwickelte Praxistheorie führten dazu, daß Thurneysens Seelsorgelehre einseitig methodisch und handlungswissenschaftlich rezipiert und darin konsequent als autoritär kritisiert werden mußte. Erst im ausgehenden 20. J h . kommt es zur Neuentdeckung durch eine ästhetisch orientierte Praktische Theologie: Obwohl sein Werk alle Voraussetzungen dazu geboten hätte, habe Thurneysen die Ausbildung einer eigenständigen Praxistheorie unterlassen. In dieser Neubewertung werden die Grenzen eines Konzeptes sichtbar, das in seiner Weiterentfaltung möglicherweise auch das des Freundes Karl Barth entschieden in Frage gestellt hätte. Thurneysen steht - ähnlich wie H. —> Asmussen — für die Frühform eines neuen Typus Praktischer T h e o logie, der weder von den Zeitgenossen noch von den mit Thurneysens zum Teil lähmenden Auswirkungen auf die kirchliche Praxis unmittelbar beschäftigten Rezipienten zureichend zur Kenntnis genommen werden konnte. Quellen 1. Bibliographie: Nr. 1 - 3 2 6 : Gottesdienst - Menschendienst. FS Eduard Thurneysen zum 70. Geburtstag, Zollikon 1958, 333-350; Nr. 327-434: Wort u. Gemeinde. FS Eduard Thurneysen zum 80. Geburtstag, hg. v. Rudolf Bohren, Zürich 1968, 521-526; Nr. 435 - 479: Rudolf Bohren, Prophetie u. Seelsorge. Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982, 266-268. 2. Schriften (Auswahl): Suchet Gott, so werdet ihr leben! Predigten v. Karl Barth u. Eduard Thurneysen, Bern 1917, erw. NA München 1928. - Dostojewski, München 1921. - Komm Schöpfer Geist! Predigten v. Karl Barth u. Eduard Thurneysen, München 1924 31926. - Christoph Blumhardt, München 1926. - Das Wort Gottes u. die Kirche, München 1927. - Lebendige Gemeinde u. Bekenntnis, 1935 (TEH 21). - Die Bergpredigt, 1936 (TEH 46). - Der Brief des Jakobus, Basel 1941. - Der Brief des Paulus an die Philipper, Basel 1943. - Die Lehre v. der Seelsorge, Zürich 1946 '1988. - Seelsorge im Vollzug, Zürich 1968. - Das Wort Gottes u. die Kirche. Aufs. u. Vortr., hg. mit Ernst Wolf, 1971 (TB 44). - In seinen Händen. Grabreden. Ein Trostbuch mit begleitenden Texten v. Rudolf Bohren, Neukirchen-Vluyn 1978. - Die neue Zeit. Predigten 1913-1930, hg. v. Wolfgang Gern, Neukirchen-Vluyn 1982. 3. Briefwechsel: Karl Barth/Eduard Thurneysen, Briefwechsel. I. 1913-1921, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1973 (Karl Barth GA V/3). - Dies., Briefwechsel. II. 1921-1930, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1974 21987 (Karl Barth GA V/4). - Dies., Briefwechsel. III. 1930-1935 einschließlich des Briefwechsels zw. Charlotte v. Kirschbaum u. Eduard Thurneysen, hg. v. Caren Algner, Zürich 2000 (Karl Barth GA V/34).

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Tier Literatur

Gaetano Benedetti, Pfarrer Eduard Thurneysen. Ansprache an der Gedenkfeier- KBRS 131 (1975) 2 6 1 - 2 6 3 . - Rudolf Bohren, Das Wort Gottes u. die Kirche- EvTh 36 (1976) 3 1 2 - 3 2 4 . Ders., Trost f Berufstroster- Eduard Thurneysen, In seinen Händen. Grabreden, Neukirchen-Vluyn 1978, 1 5 5 - 1 6 7 . - Ders., Prophetie u. Seelsorge. Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982. Ders., Macht u. Ohnmacht der Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 6 3 - 4 7 2 . - Ders., Art. Thurneysen, Eduard: Ev. Lexikon f. Theol. u. Gemeinde 3 (1994) 2 0 0 3 - 2 0 0 4 . - M . H. Bolkestein, Ed. Thurneysen's leer van de zielzorg in de Spiegel van de kntiek KeTh 31 (1980) 8 9 - 1 0 6 . - Hartmut Genest, Kerygmatische u. therapeutische Seelsorge. Zur Konzeption der Seelsorge bei Eduard Thurneysen u. Dietrich Stollberg: Das Wort, das in Erstaunen versetzt, verpflichtet. FS Jürgen Fangmeier, Wuppertal 1994, 2 5 1 - 2 6 1 . - Wolfgang Gern, Aufbruche zu einer neuen Zeit. Zu den frühen Predigten v. Eduard Thurneysen 1913-1930: Eduard Thurneysen, Die neue Zeit. Predigten 1 9 1 3 - 1 9 3 0 , hg. v Wolfgang Gern, Neukirchen-Vluyn 1982, 2 5 6 - 2 7 3 . - Ders., „Wo ist Gott?" Homiletische Unters, zu den Predigten Eduard Thurneysens aus der Zeit 1913 bis 1930, Diss. Heidelberg 1984. - Wilhelm Grab, Deutungsarbeit Überlegungen zu einer Theol. therapeutischer Seelsorge: PTh 86 (1997) 3 2 5 - 3 4 0 . - Albrecht Grözinger, Offenbarung u. Praxis. Zum schwierigen prakt.-theol. Erbe der Dialektischen Theol. ZThK.B 6 (1986) 1 7 6 - 1 9 3 . - Ders., „Steile, grifflose Wände". Zur Genese u. zur Aktualität der prakt.-theol. Theorie Eduard Thurneysens: PTh 77 (1988) 427 - 444. - Ders., „Das lebendige Wort Gottes selbst". Zum Verständnis der Predigt bei Eduard Thurneysen. ZGDP 6 (1988) H. 4, 1 5 - 1 8 . - Ders., Eduard Thurneysen: Gesch. der Seelsorge in Einzelporträts, hg. v. Christian Moller, Göttingen, III 1996, 2 7 7 - 2 9 4 . - Dorothee Hoch, Eduard Thurneysen: Der Reformation verpflichtet. Gestalten u. Gestalter in Stadt u. Landschaft Basel, Basel 1979, 1 9 9 - 2 0 3 . - Martin Jochheim, Seelsorge u. Psychotherapie. Hist.-syst. Stud. zur Lehre v. der Seelsorge bei Oskar Pfister, Eduard Thurneysen u. Walter Uhsadel, Bochum 1998. - Gerardus Johannes Nicolaas de Körte, Pastoraat van de verzoening. Mogelijkheden en grenzen van de theologie van het Woord, met name van Eduard Thurneysen, voor het katholiek pastorat, Diss. Utrecht 1994. - Wolfram Kurz, Der Bruch im seelsorgerlichen Gesprach. Zum Sinn einer verfemten poimenischen Kategorie: PTh 74 (1985) 4 3 6 - 4 5 1 . - Rudolf Landau, „Bruchhnien" - Beobachtungen zum Aufbruch einer Theol. Erinnerungen an die Theol. Eduard Thurneysens: EvTh 45 (1985) 1 3 9 - 1 5 8 . Ursula Pfafflin, Frau u. Mann - ein symbolkrit. Vergleich anthropologischer Konzepte in Seelsorge u. Beratung, Gütersloh 1992. - Paul Fredi de Quervain, Psychoanalyse u. dialektische Theol., 1978 (JPA.B 3). - Klaus Raschzok, Em theol. Programm zur Praxis der Kirche. Die Bedeutung des Werkes Eduard Thurneysens f. eine gegenwartig zu verantwortende Prakt. Theol.: T h L Z 120 (1995) 2 9 9 - 3 1 2 . - Gol Rim, Gottes Wort, Verkündigung u. Kirche. Die syst.-theol. Grundlagen der Theol. Eduard Thurneysens, Munster 2000 (Theologie 10). - Max Schoch, Eduard Thurneysen ( 1 8 8 8 1974). Theol. der Seelsorge: Gegen die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. u. 20. Jh., hg. v. Stephan Leimgruber/dems., Basel/Freiburg l.Br./Wien 1990, 3 3 1 - 3 4 3 . - Helmut Tacke, Fragen u. Dank an Eduard Thurneysen: ders., Mit den Müden zur rechten Zeit zu reden, NeukirchenVluyn 1989, 1 9 3 - 2 0 2 . - Bertil Werkstrom, Bekannelse och Avlösmng. En typologisk undersökning av Luthers, Thurneysens och Buchmans biktuppfattnmgar, 1963 (STL 24). - Klaus-Gunther Wesseling, Art. Thurneysen, Eduard: BBKL 11 (1996) 1 5 5 5 - 1 5 6 9 . - Klaus Winkler, Eduard Thurneysen u. die Folgen für die Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 4 4 - 4 5 6 . Klaus R a s c h z o k

Tiefenpsychologie

-»Psychoanalyse/Psychotherapie

Tier 1. Dogmatisch

1.

2. Ethisch

3. Praktisch-theologisch

(Literatur S. 532)

Dogmatisch

1.1. In der D o g m a t i k des 2 0 . J h . führt das T i e r ein Schattendasein. D a s ist um so erstaunlicher, als unter dem Einfluß der Umweltkrise ( - » Ö k o l o g i e ) das Interesse an der Schöpfungslehre und einer Schöpfungsethik ( - » S c h ö p f e r / S c h ö p f u n g I X ) in den vergangenen Jahrzehnten merklich zugenommen hat. D a s Stichwort „ T i e r " sucht m a n aber auch in neueren Entwürfen zur Schöpfungslehre meistens vergeblich. Wohl ist von „ S c h ö p f u n g " , „ N a t u r " , „ E v o l u t i o n " und „ G e s c h i c h t e " die Rede, selten aber von Pflan-

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Tier Literatur

Gaetano Benedetti, Pfarrer Eduard Thurneysen. Ansprache an der Gedenkfeier- KBRS 131 (1975) 2 6 1 - 2 6 3 . - Rudolf Bohren, Das Wort Gottes u. die Kirche- EvTh 36 (1976) 3 1 2 - 3 2 4 . Ders., Trost f Berufstroster- Eduard Thurneysen, In seinen Händen. Grabreden, Neukirchen-Vluyn 1978, 1 5 5 - 1 6 7 . - Ders., Prophetie u. Seelsorge. Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982. Ders., Macht u. Ohnmacht der Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 6 3 - 4 7 2 . - Ders., Art. Thurneysen, Eduard: Ev. Lexikon f. Theol. u. Gemeinde 3 (1994) 2 0 0 3 - 2 0 0 4 . - M . H. Bolkestein, Ed. Thurneysen's leer van de zielzorg in de Spiegel van de kntiek KeTh 31 (1980) 8 9 - 1 0 6 . - Hartmut Genest, Kerygmatische u. therapeutische Seelsorge. Zur Konzeption der Seelsorge bei Eduard Thurneysen u. Dietrich Stollberg: Das Wort, das in Erstaunen versetzt, verpflichtet. FS Jürgen Fangmeier, Wuppertal 1994, 2 5 1 - 2 6 1 . - Wolfgang Gern, Aufbruche zu einer neuen Zeit. Zu den frühen Predigten v. Eduard Thurneysen 1913-1930: Eduard Thurneysen, Die neue Zeit. Predigten 1 9 1 3 - 1 9 3 0 , hg. v Wolfgang Gern, Neukirchen-Vluyn 1982, 2 5 6 - 2 7 3 . - Ders., „Wo ist Gott?" Homiletische Unters, zu den Predigten Eduard Thurneysens aus der Zeit 1913 bis 1930, Diss. Heidelberg 1984. - Wilhelm Grab, Deutungsarbeit Überlegungen zu einer Theol. therapeutischer Seelsorge: PTh 86 (1997) 3 2 5 - 3 4 0 . - Albrecht Grözinger, Offenbarung u. Praxis. Zum schwierigen prakt.-theol. Erbe der Dialektischen Theol. ZThK.B 6 (1986) 1 7 6 - 1 9 3 . - Ders., „Steile, grifflose Wände". Zur Genese u. zur Aktualität der prakt.-theol. Theorie Eduard Thurneysens: PTh 77 (1988) 427 - 444. - Ders., „Das lebendige Wort Gottes selbst". Zum Verständnis der Predigt bei Eduard Thurneysen. ZGDP 6 (1988) H. 4, 1 5 - 1 8 . - Ders., Eduard Thurneysen: Gesch. der Seelsorge in Einzelporträts, hg. v. Christian Moller, Göttingen, III 1996, 2 7 7 - 2 9 4 . - Dorothee Hoch, Eduard Thurneysen: Der Reformation verpflichtet. Gestalten u. Gestalter in Stadt u. Landschaft Basel, Basel 1979, 1 9 9 - 2 0 3 . - Martin Jochheim, Seelsorge u. Psychotherapie. Hist.-syst. Stud. zur Lehre v. der Seelsorge bei Oskar Pfister, Eduard Thurneysen u. Walter Uhsadel, Bochum 1998. - Gerardus Johannes Nicolaas de Körte, Pastoraat van de verzoening. Mogelijkheden en grenzen van de theologie van het Woord, met name van Eduard Thurneysen, voor het katholiek pastorat, Diss. Utrecht 1994. - Wolfram Kurz, Der Bruch im seelsorgerlichen Gesprach. Zum Sinn einer verfemten poimenischen Kategorie: PTh 74 (1985) 4 3 6 - 4 5 1 . - Rudolf Landau, „Bruchhnien" - Beobachtungen zum Aufbruch einer Theol. Erinnerungen an die Theol. Eduard Thurneysens: EvTh 45 (1985) 1 3 9 - 1 5 8 . Ursula Pfafflin, Frau u. Mann - ein symbolkrit. Vergleich anthropologischer Konzepte in Seelsorge u. Beratung, Gütersloh 1992. - Paul Fredi de Quervain, Psychoanalyse u. dialektische Theol., 1978 (JPA.B 3). - Klaus Raschzok, Em theol. Programm zur Praxis der Kirche. Die Bedeutung des Werkes Eduard Thurneysens f. eine gegenwartig zu verantwortende Prakt. Theol.: T h L Z 120 (1995) 2 9 9 - 3 1 2 . - Gol Rim, Gottes Wort, Verkündigung u. Kirche. Die syst.-theol. Grundlagen der Theol. Eduard Thurneysens, Munster 2000 (Theologie 10). - Max Schoch, Eduard Thurneysen ( 1 8 8 8 1974). Theol. der Seelsorge: Gegen die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. u. 20. Jh., hg. v. Stephan Leimgruber/dems., Basel/Freiburg l.Br./Wien 1990, 3 3 1 - 3 4 3 . - Helmut Tacke, Fragen u. Dank an Eduard Thurneysen: ders., Mit den Müden zur rechten Zeit zu reden, NeukirchenVluyn 1989, 1 9 3 - 2 0 2 . - Bertil Werkstrom, Bekannelse och Avlösmng. En typologisk undersökning av Luthers, Thurneysens och Buchmans biktuppfattnmgar, 1963 (STL 24). - Klaus-Gunther Wesseling, Art. Thurneysen, Eduard: BBKL 11 (1996) 1 5 5 5 - 1 5 6 9 . - Klaus Winkler, Eduard Thurneysen u. die Folgen für die Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 4 4 - 4 5 6 . Klaus R a s c h z o k

Tiefenpsychologie

-»Psychoanalyse/Psychotherapie

Tier 1. Dogmatisch

1.

2. Ethisch

3. Praktisch-theologisch

(Literatur S. 532)

Dogmatisch

1.1. In der D o g m a t i k des 2 0 . J h . führt das T i e r ein Schattendasein. D a s ist um so erstaunlicher, als unter dem Einfluß der Umweltkrise ( - » Ö k o l o g i e ) das Interesse an der Schöpfungslehre und einer Schöpfungsethik ( - » S c h ö p f e r / S c h ö p f u n g I X ) in den vergangenen Jahrzehnten merklich zugenommen hat. D a s Stichwort „ T i e r " sucht m a n aber auch in neueren Entwürfen zur Schöpfungslehre meistens vergeblich. Wohl ist von „ S c h ö p f u n g " , „ N a t u r " , „ E v o l u t i o n " und „ G e s c h i c h t e " die Rede, selten aber von Pflan-

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Tier Literatur

Gaetano Benedetti, Pfarrer Eduard Thurneysen. Ansprache an der Gedenkfeier- KBRS 131 (1975) 2 6 1 - 2 6 3 . - Rudolf Bohren, Das Wort Gottes u. die Kirche- EvTh 36 (1976) 3 1 2 - 3 2 4 . Ders., Trost f Berufstroster- Eduard Thurneysen, In seinen Händen. Grabreden, Neukirchen-Vluyn 1978, 1 5 5 - 1 6 7 . - Ders., Prophetie u. Seelsorge. Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982. Ders., Macht u. Ohnmacht der Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 6 3 - 4 7 2 . - Ders., Art. Thurneysen, Eduard: Ev. Lexikon f. Theol. u. Gemeinde 3 (1994) 2 0 0 3 - 2 0 0 4 . - M . H. Bolkestein, Ed. Thurneysen's leer van de zielzorg in de Spiegel van de kntiek KeTh 31 (1980) 8 9 - 1 0 6 . - Hartmut Genest, Kerygmatische u. therapeutische Seelsorge. Zur Konzeption der Seelsorge bei Eduard Thurneysen u. Dietrich Stollberg: Das Wort, das in Erstaunen versetzt, verpflichtet. FS Jürgen Fangmeier, Wuppertal 1994, 2 5 1 - 2 6 1 . - Wolfgang Gern, Aufbruche zu einer neuen Zeit. Zu den frühen Predigten v. Eduard Thurneysen 1913-1930: Eduard Thurneysen, Die neue Zeit. Predigten 1 9 1 3 - 1 9 3 0 , hg. v Wolfgang Gern, Neukirchen-Vluyn 1982, 2 5 6 - 2 7 3 . - Ders., „Wo ist Gott?" Homiletische Unters, zu den Predigten Eduard Thurneysens aus der Zeit 1913 bis 1930, Diss. Heidelberg 1984. - Wilhelm Grab, Deutungsarbeit Überlegungen zu einer Theol. therapeutischer Seelsorge: PTh 86 (1997) 3 2 5 - 3 4 0 . - Albrecht Grözinger, Offenbarung u. Praxis. Zum schwierigen prakt.-theol. Erbe der Dialektischen Theol. ZThK.B 6 (1986) 1 7 6 - 1 9 3 . - Ders., „Steile, grifflose Wände". Zur Genese u. zur Aktualität der prakt.-theol. Theorie Eduard Thurneysens: PTh 77 (1988) 427 - 444. - Ders., „Das lebendige Wort Gottes selbst". Zum Verständnis der Predigt bei Eduard Thurneysen. ZGDP 6 (1988) H. 4, 1 5 - 1 8 . - Ders., Eduard Thurneysen: Gesch. der Seelsorge in Einzelporträts, hg. v. Christian Moller, Göttingen, III 1996, 2 7 7 - 2 9 4 . - Dorothee Hoch, Eduard Thurneysen: Der Reformation verpflichtet. Gestalten u. Gestalter in Stadt u. Landschaft Basel, Basel 1979, 1 9 9 - 2 0 3 . - Martin Jochheim, Seelsorge u. Psychotherapie. Hist.-syst. Stud. zur Lehre v. der Seelsorge bei Oskar Pfister, Eduard Thurneysen u. Walter Uhsadel, Bochum 1998. - Gerardus Johannes Nicolaas de Körte, Pastoraat van de verzoening. Mogelijkheden en grenzen van de theologie van het Woord, met name van Eduard Thurneysen, voor het katholiek pastorat, Diss. Utrecht 1994. - Wolfram Kurz, Der Bruch im seelsorgerlichen Gesprach. Zum Sinn einer verfemten poimenischen Kategorie: PTh 74 (1985) 4 3 6 - 4 5 1 . - Rudolf Landau, „Bruchhnien" - Beobachtungen zum Aufbruch einer Theol. Erinnerungen an die Theol. Eduard Thurneysens: EvTh 45 (1985) 1 3 9 - 1 5 8 . Ursula Pfafflin, Frau u. Mann - ein symbolkrit. Vergleich anthropologischer Konzepte in Seelsorge u. Beratung, Gütersloh 1992. - Paul Fredi de Quervain, Psychoanalyse u. dialektische Theol., 1978 (JPA.B 3). - Klaus Raschzok, Em theol. Programm zur Praxis der Kirche. Die Bedeutung des Werkes Eduard Thurneysens f. eine gegenwartig zu verantwortende Prakt. Theol.: T h L Z 120 (1995) 2 9 9 - 3 1 2 . - Gol Rim, Gottes Wort, Verkündigung u. Kirche. Die syst.-theol. Grundlagen der Theol. Eduard Thurneysens, Munster 2000 (Theologie 10). - Max Schoch, Eduard Thurneysen ( 1 8 8 8 1974). Theol. der Seelsorge: Gegen die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. u. 20. Jh., hg. v. Stephan Leimgruber/dems., Basel/Freiburg l.Br./Wien 1990, 3 3 1 - 3 4 3 . - Helmut Tacke, Fragen u. Dank an Eduard Thurneysen: ders., Mit den Müden zur rechten Zeit zu reden, NeukirchenVluyn 1989, 1 9 3 - 2 0 2 . - Bertil Werkstrom, Bekannelse och Avlösmng. En typologisk undersökning av Luthers, Thurneysens och Buchmans biktuppfattnmgar, 1963 (STL 24). - Klaus-Gunther Wesseling, Art. Thurneysen, Eduard: BBKL 11 (1996) 1 5 5 5 - 1 5 6 9 . - Klaus Winkler, Eduard Thurneysen u. die Folgen für die Seelsorge: PTh 77 (1988) 4 4 4 - 4 5 6 . Klaus R a s c h z o k

Tiefenpsychologie

-»Psychoanalyse/Psychotherapie

Tier 1. Dogmatisch

1.

2. Ethisch

3. Praktisch-theologisch

(Literatur S. 532)

Dogmatisch

1.1. In der D o g m a t i k des 2 0 . J h . führt das T i e r ein Schattendasein. D a s ist um so erstaunlicher, als unter dem Einfluß der Umweltkrise ( - » Ö k o l o g i e ) das Interesse an der Schöpfungslehre und einer Schöpfungsethik ( - » S c h ö p f e r / S c h ö p f u n g I X ) in den vergangenen Jahrzehnten merklich zugenommen hat. D a s Stichwort „ T i e r " sucht m a n aber auch in neueren Entwürfen zur Schöpfungslehre meistens vergeblich. Wohl ist von „ S c h ö p f u n g " , „ N a t u r " , „ E v o l u t i o n " und „ G e s c h i c h t e " die Rede, selten aber von Pflan-

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Tier

zen und Tieren als Geschöpfen neben dem Menschen. Eine rühmliche Ausnahme macht vor allem die Kirchliche Dogmatik K. -»Barths. Auch in der Theologie- und Kirchengeschichte sind die Tiere einigermaßen vernachlässigt worden. Wirkungsgeschichtliche Bedeutung gewann vor allem —»Franciscus von Assisi, der die Tiere liebevoll als „kleine Brüder" bzw. als „Bruder Tier" bezeichnete und 1980 von Papst Johannes Paul II. zum Patron der Natur- und Umweltschützer ernannt wurde. Zwar betrachtet die ältere kirchliche Tradition auch die Tiere als beseelte (-»Seele) und empfindungsfähige Wesen, in denen Gottes Schöpfermacht gegenwärtig ist (z. B. -»Thomas von Aquino, S.th. I 8,2 und 3; I 71 f.), grenzt sie aber als vernunftlose Wesen vom Menschen deutlich ab. Anders liegen die Dinge bei A. -»Schweitzer und P. -»Teilhard de Chardin, die allerdings beide keine reguläre Dogmatik geschrieben haben. Ansätze zu einer dogmatischen Reflexion über die Tiere bietet auch die amerikanische -»Prozeßtheologie. In der Sicht des jüdischen wie des christlichen Glaubens sind Tiere neben dem Menschen Gottes Geschöpfe. Um den erkenntnistheoretischen und ethischen Gehalt dieser Bestimmung systematisch-theologisch zu erfassen, sind die einschlägigen biblischen Aussagen in ein Verhältnis zu den Erkenntnissen moderner Biologie und Ökologie, aber auch zu den realen Lebensbedingungen von Tieren in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation und ihrem Wirtschaftssystem zu setzen. Das Geschöpfsein der Tiere wie des Menschen ist keine empirische Feststellung, sondern eine religions-kulturelle Zuschreibung, deren erkenntnistheoretische und praktische Relevanz sich aber an ihrem natürlichen Sein aufzeigen lassen muß. 1.2. Die biblische Tradition stellt die Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen dar. Beide sind nach Gen l f . zu einer asymmetrischen Lebensgemeinschaft bestimmt. Diese anthropozentrische Sichtweise der Tiere durchzieht die gesamte biblische Tradition. Beide, Tiere wie Menschen, werden von G o t t in gleicher Weise gesegnet. Sichtbare Gestalt des verbindenden Segens ist die Fruchtbarkeit (Gen 1,22.28). Was beide unterscheidet, ist der Herrschaftsauftrag des Menschen (Gen 1,26.28). Dieser schließt aber nicht das R e c h t der Tiertötung ein. Vielmehr werden Menschen wie Tiere im Urständ der Schöpfung als Vegetarier geschildert (Gen l , 2 9 f . ) . Der Schöpfungsbericht Gen 2,4bff. begründet die Erschaffung der Tiere damit, daß dem Menschen, der beauftragt wird, den Garten (in) Eden zu bebauen und zu bewahren (Gen 1,15), eine Hilfe zur Seite gestellt werden soll. Erst nachdem er unter den Tieren keine entsprechende Ergänzung gefunden hat, erschafft G o t t die Frau (Gen 2,18ff.). Der biblische M y t h o s versinnbildlicht zum einen die enge Zusammengehörigkeit von M e n s c h und Tier - der T e x t kann ja sogar so gelesen werden, als seien zunächst die Tiere dazu bestimmt, den Menschen bei der Wahrnehmung seines Schöpfungsauftrags zu unterstützen! - , andererseits aber auch die bestehende Asymmetrie ihres Verhältnisses; ist es doch der Mensch, der den Tieren ihren N a m e n gibt und damit eine (Definitions-)Macht ausübt, nicht etwa umgekehrt.

Daß die Tiere mit den Menschen eine asymmetrische Schöpfungsgemeinschaft bilden, geht auch aus der Sintfluterzählung hervor. Als Gott die menschliche Gattung wegen ihrer Sündhaftigkeit vernichten will, reut es ihn sogar, die Tiere erschaffen zu haben (Gen 6,6f.). Andererseits werden nicht nur Noah und seine Familie, sondern es wird auch von jeder Tiergattung je ein Paar gerettet (Gen 6,19f.). Der nach der Sintflut gestiftete Noahbund schließt nicht nur die Menschen, sondern auch alle Tiere ein (Gen 9,12.15f.). So bilden nach alttestamentlicher Sicht Mensch und Tier auch in soteriologischer Hinsicht eine Gemeinschaft (Moltmann 193ff.). Diese Auffassung setzt sich fort in den prophetischen Verheißungen endzeitlichen Tierfriedens (Jes ll,66f.; Hos 2,18; Jes 65,25) wie auch in der eschatologischen Hoffnung des -»Paulus, daß auch die Tiere, die unter der Sünde des Menschen zu leiden haben, Anteil an der Erlösung bekommen (Röm 8,19-23). Einen Bruch im Mensch-Tier-Verhältnis markieren Sündenfall und Sintflut, insofern fortan — zur Ernährung - die Tötung von Tieren gebilligt wird (Gen 9,3). Das Herrschaftsverhältnis des Menschen gegenüber den Tieren wird nun ein gewalttätiges und geht mit Furcht und Schrecken unter den Tieren einher (Gen 9,2). Umgekehrt werden

Tier

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die Tiere zu potentiellen Feinden des Menschen, von denen Gott ihr Leben fordert, wenn sie den Menschen angreifen und töten (Gen 9,4). Die Tiertötung wird aber nicht allein aus Gründen der Ernährung, sondern auch zu kultischen Zwecken erlaubt, wobei zwischen reinen und unreinen Tieren unterschieden wird. Für eine biblisch-theologische wie auch systematisch-theologische Sichtweise des Mensch-Tier-Verhältnisses ist die alttestamentliche Opferpraxis und ihre neutestamentliche Aufhebung ein wichtiger Aspekt (—»Opfer). Tieropfer werden in der Genesis bereits vor Gen 9 geschildert (Gen 4,4; 8,20). So dienen die Tiere mit ihrem Leben der Kommunikation zwischen Gott und Mensch. Das Tieropfer tritt an die Stelle des im Alten Testament abgewiesenen Menschenopfers. Es ist also von Gott angeordnete stellvertretende Lebenshingabe zugunsten des Menschen. Entsprechend ist systematischtheologisch zu fragen, ob das Ende jeglicher Opferpraxis, das der Tod Jesu heraufführt, auch Folgen für den Umgang mit fremdem Leben haben müsse. In diesem Z u s a m m e n h a n g ist auch zu bedenken, daß nach biblischer Sichtweise Tieren und Menschen ihre Sterblichkeit gemeinsam ist (Prov 3 , 1 8 - 2 1 ; R o m 8,20). Positiv gewendet haben nach Prov 3,19ff. Menschen und Tiere denselben Lebensodem bzw. eine Seele. In gleiche Richtung verweist auch das Verbot des Genusses tierischen Blutes in Gen 9,4, das mit dem Hinweis begründet wird, das Blut sei bei Tier wie Mensch Sitz des Lebens. Umgekehrt wird die Befreiung von der Sterblichkeit im Neuen Testament von Paulus nicht nur als Hoffnung für den Menschen, sondern auch für die übrigen Geschöpfe formuliert ( R o m 8 , 2 0 - 2 3 ; vgl. auch Prov 3,21!).

1.3. Auch außer-christliche Religionen bestimmen den Status der Tiere, doch bilden eindeutige lehrmäßige Aussagen traditionsimmanent eher die Ausnahme und sind traditionsübergreifend so gut wie ausgeschlossen. Die Tatsache, daß Menschen allenthalben Tiere zu Opfern ebenso wie wirtschaftlich nutzen und, selbst wenn Tötung (etwa kraft des Ahimsa-Gebotes) generell oder bestimmter Tierarten (etwa des Rindes) verboten sind, Regelungen zur Nutzung entwickeln, unterstreicht, daß sie von sich selbst ausgehen. Es ist aber nicht von vorgegebenen Grundsätzen abzuleiten, welche Ähnlichkeiten oder Differenzen herausgestellt werden. Die in den heiligen Schriften von Juden und Christen ausgesprochene unüberbrückbare Differenz findet sich auch im Koran und der muslimischen Tradition. Der Wesensunterschied schwächt sich ab, wenn in Stammeskulturen ein „Herr der Tiere", bald eine Hypostase des „Höchsten Wesens", bald ein Geistwesen, das sich nur schwer eindeutig dazu in Beziehung setzen läßt, als Spender von Nahrung und Jagdwild gelten. Totem-Tiere (—•Totem/Totemismus) üben gewisse Schutzfunktionen für die einzelnen oder Mitglieder der jeweiligen Totemgruppen aus, was sie aber nicht zu Gottheiten oder in jeder Beziehung höheren Wesen erhebt. Selbst aus tiergestaltig dargestellten Gottheiten darf keineswegs auf Vergottung der entsprechenden Tierarten geschlossen werden, als „heilig" apostrophierte Tiere können jedoch Repräsentanten von Gottheiten darstellen und stellvertretend Verehrung und Opfergaben erhalten. Daß jedoch heilige Tiere, z. B. die Kuh in Indien, wirtschaftlich genutzt, ihre Produkte wie etwa der Urin kultisch verwendet werden, ist nur ein Beispiel dafür, daß die Grenzen zwischen Wesensbestimmung und Metapher, etwa als Begleittiere von Gottheiten zur Veranschaulichung ihrer Charakteristika, alles andere als eindeutig ausfallen und selbst innerhalb ein und derselben Tradition unterschiedlich bestimmt werden können. Wie die aus biblischer Wurzel vertraute wesenhafte Grenze zwischen Gottheit (Schöpfer) und Tier (Geschöpf), kann auch der Unterschied zwischen Tier und Mensch eingeebnet werden. In den weitaus meisten Traditionen, die wie die buddhistische oder viele Richtungen des -> Hinduismus den Glauben an Reinkarnation lehren, ist er zeitlich und veränderlich, weil prinzipiell in jedem Tier eine menschliche Seele wohnen kann. Dabei gilt -»• Wiedergeburt als Tier in der Regel als Strafe für Fehlverhalten und deswegen ausgesprochen leidvoll, kann aber bei einwandfreiem Verhalten zu einer besseren Existenz führen. Wird damit gerechnet, daß Menschen als Tiere wiedergeboren werden können, was keineswegs für alle Reinkarnationslehren gilt, begründet dies häufig zu-

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mindest theoretisch Verbote, diese zu mißhandeln und zu töten. Die Religionsgeschichte kennt aber zahlreiche andere Begründungen dieses sog. Ahimsa-Gebotes, weshalb der Nachweis von Mikroorganismen wie Viren oder Bakterien bei strengen Verfechtern zu vielfältigen Irritationen geführt hat. 1.4. Aus biologischer und evolutionsgeschichtlicher Sicht läßt sich die biblische Auffassung vom Tier und seines Verhältnisses zum Menschen leicht kritisieren. Schon die pauschale Unterteilung des Lebendigen in Mensch, Tier und Pflanze ist morphologisch und phylogenetisch unzureichend (vgl. Wuketits). Nicht nur gibt es fließende Übergänge zwischen anorganischer und organischer Materie, vegetativem und tierischem Leben, sondern auch evolutionsgeschichtlich ein für die anthropologische Diskussion wichtiges Tier-Mensch-Übergangsfeld. Seine Vernachlässigung in der theologischen und philosophischen Anthropologie (-»Mensch) führt zwangsläufig zur Überbetonung der „Sonderstellung" des Menschen und zur Unterbetonung tierischer Entwicklungsmöglichkeiten. Evolutionsgeschichtlich erweist sich aber auch die Vorstellung eines vegetarischen Urzustandes der Tier- wie der Menschenwelt als unhaltbar. Fleischfressende Tiere gab es lange vor der Gattung des homo sapiens und ihrer Vorläufer. Fleischverzehr läßt sich außerdem auch bei anderen Primaten als dem Menschen beobachten. Gleichwohl bringen die anthropologischen Bestimmungen der Bibel wie auch ihre Aussagen zum ursprünglichen Verbot der Tiertötung und zum Tieropfer religiöse Grundeinsichten zum Ausdruck, die mit den Erkenntnissen der modernen Biologie einschließlich der Ökologie und der vergleichenden Verhaltensforschung keineswegs erledigt sind. Sie reflektieren die faktische Stellung des Menschen in der von ihm nicht nur vorgefundenen, sondern stets auch kulturell überformten Natur. Schöpfung ist die N a t u r nicht schon als solche, sondern nur, sofern sie — der religiös gedeutete - Lebensraum des Menschen ist. Sich selbst aber definiert der Mensch ganz wesentlich im Gegenüber zu den Tieren, wie allein schon aus der kollektiven Begriffsbildung „ T i e r " ersichtlich ist. Gerade in solcher Selbstunterscheidung (vgl. Gen 2,19f.) bleibt er aber den Tieren verbunden. 1.5. Philosophisch wirksam wurde die aristotelische Definition des Menschen als (qiov koyiKÓv bzw. als (¿úov nohxiKÓv. Anthropologisch kann der Mensch aber auch als „betendes Tier" (Hardy) charakterisiert werden, d.h. als unseres Wissens einzige Spezies, die -»Religion ausbildet. Die Religion, auch die jüdische oder christliche, thematisiert den Menschen jedoch keineswegs einseitig als den Tieren überlegenes, sondern ebensosehr als „Mängelwesen" (Arnold Gehlen [1904-1976]). Der Lebensraum der Schöpfung ist nicht für den Menschen allein bestimmt, doch er allein ist, nach allem, was wir wissen, zur Stellungnahme zu den grundlegenden Sachverhalten des Lebens fähig. Zu ihnen gehören nicht nur allgemeine Stoffwechselvorgänge, sondern auch die Tatsache, daß Leben immer nur auf Kosten anderen Lebens existieren kann. Das gilt nicht nur für die Individuen, sondern auch für das Verhältnis der Spezies untereinander. Die menschliche Gattung kann nicht bestehen, ohne die Lebensbedingungen anderer Tiere einzuschränken. Dieses Problem verschärft sich mit dem rasanten Anwachsen der Weltbevölkerung. Nun töten auch Tiere sich untereinander. Der Mensch aber tötet Tiere willentlich und bewußt. Er frißt nicht ihr Fleisch, sondern bereitet es zu und verzehrt es. Er weiß auch um den qualitativen Unterschied zwischen Ernten und Töten, d.h. der gewaltsamen Vernichtung eines Lebens, das individuelle Züge trägt. Sowohl die biblischen Erzählungen eines utopischen vegetarischen Anfangs als auch die eschatologischen Hoffnuiigsbilder eines vegetarischen Endzustandes und nicht zuletzt die alttestamentliche Opferpraxis bringen diesen Sachverhalt erzählerisch, poetisch und rituell zu Bewußtsein. Zugleich zeigt sich, daß die Qualifizierung der Welt als Schöpfung wie auch von Meinsch und Tier als Geschöpfen über den empirischen Bereich des Natürlichen hinausweist. Die Wahrheit des Schöpfungsglaubens kann letztlich nur als eschatologische, Menschen

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und Tiere einschließende Hoffnung auf Versöhnung von Natur und Geist ausgesagt werden. W i e für den Menschen hat auch die Bestimmung der T i e r e als Geschöpfe Verheißungscharakter. Sie hat also angesichts der realen Lebensverhältnisse, die zu einem erheblichen Teil durch die menschliche Nutzung der Natur gemäß menschlichen Zielsetzungen und Bedürfnissen bestimmt sind, eine kontrafaktische Bedeutung.

2. Ethisch Auch wenn sich im Alten Testament zahlreiche Bestimmungen zu einem ethisch und religiös verantwortlichen Umgang mit Tieren finden, hat das Christentum bis in die Gegenwart doch keine ausgebaute Tierethik entwickelt. Im Gegenteil konnte die Übernahme der aristotelischen Sichtweise der T i e r e als vernunftloser Wesen zu der Konsequenz führen, auf Tiere sei moralisch keine Rücksicht zu nehmen (Augustin, civ. 1,20; T h o m a s von Aquino, S.th. II-II 64 a. 1). Der Anstoß zu theologischen Entwürfen einer Schöpfungs- und Tierethik geht vor allem von der Philosophie aus, in der sich die T i e r und Ökoethik inzwischen zu einer blühenden Disziplin der angewandten Ethik entwikkelt hat, deren Publikationen kaum mehr überschaubar sind. Die neuzeitliche ethische Sichtweise der T i e r e steht zunächst unter dem philosophischen Einfluß von R . -»Descartes, der Tiere mit seelen- und empfindungslosen Maschinen verglichen hat, I. - » K a n t und J . G . -»Fichte. Heutige Tierethik beruft sich demgegenüber auf die Mitleidsethik A. -»Schopenhauers, auf F. -»Nietzsche und die - » L e bensphilosophie, auf A. Schweitzers Lehre von der Ehrfurcht vor dem Leben und vor allem auf die tierethischen Argumente des -»Utilitarismus, die klassisch von Jeremy Bentham ( 1 7 4 8 - 1 8 3 2 ) formuliert worden sind. Intensiv werden heute vor allem die Fragen der Massentierhaltung, des Vegetarismus, medizinischer und pharmazeutischer Tierversuche sowie des Artenschutzes diskutiert. Über den klassischen Tierschutz hinaus reicht die Idee von Tierrechten bzw. Rechten der N a t u r , die in Analogie zu den M e n schenrechten postuliert werden. Immerhin behandelt das deutsche Tierschutzgesetz von 1986 Tiere nicht mehr nach dem Sachenrecht, sondern bezeichnet sie als Mitgeschöpfe, für deren Wohlergehen der M e n s c h Verantwortung trägt (Lorz 1). Allerdings erfährt dieser Grundsatz in den Ausführungen des Gesetzes deutliche Einschränkungen. Systematisch lassen sich anthropozentrische und physiozentrische Ansätze einer T i e r ethik unterscheiden (vgl. Krebs 3 3 7 - 3 7 9 ) . W ä h r e n d der Anthropozentrismus dem M e n schen eine moralische Sonderstellung einräumt, mißt der Physiozentrismus auch der N a t u r einen moralischen Wert bei. Gewöhnlich unterscheidet man drei Varianten des Physiozentrismus, nämlich (a) den Pathozentrismus, (b) den Biozentrismus, (c) den radikalen Physiozentrismus. Der Pathozentrismus oder Sensitivismus schreibt allen leidensbzw. empfindungsfähigen Lebewesen moralischen Wert zu, der Biozentrismus ausnahmslos allem Lebendigen, der radikale Physiozentrismus der Natur als ganzer. Neben pathozentrischen Argumenten (z. B. Singer; Regan; U. Wolf; J . - C . Wolf) werden auch teleologisch-naturrechtliche (z.B. J o n a s ; Meyer-Abich), schöpfungstheologische (Altner; Irrgang) oder unbestimmt religiöse Argumentationen wie Schweitzers Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben, der Verweis auf die Heiligkeit allen Lebens oder holistische T h e o rien vertreten. Beim Anthropozentrismus lassen sich wiederum zwei Grundpositionen unterscheiden: (a) epistemischer Anthropozentrismus (Irrgang; modifizierter Kantianismus: Regan; Patzig; Seel), (b) moralischer Anthropozentrismus (Kant und der klassische Kantianismus). Während der epistemische Anthropozentrismus die Tatsache betont, daß der M e n s c h sich erkenntnistheoretisch wie ethisch die Welt nur in menschlichen Begriffen erschließen kann und in der Beobachter- wie Teilnehmerposition perspektivisch begrenzt ist, hält der moralische Anthropozentrismus überdies einzig Menschen für die Träger moralischer Werte. Neben Ansätzen eines pathozentrisch erweiterten Anthropozentrismus (z. B. Irrgang) finden sich auch Argumentationen, welche die moralische Berücksichtigung von Tieren indirekt damit begründen, daß ihnen wie der N a t u r insgesamt

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zwar kein unmittelbar moralischer, wohl aber - aus Sicht des Menschen - ein ästhetischer oder pädagogischer Wert z u k o m m t (Böhme; Seel; Tugendhat). Die Analyse der verschiedenen Argumentationsstrategien ergibt, d a ß radikal physiozentrische Ansätze theoretisch inkonsistent sind. O f t m a l s begehen sie naturalistische Fehlschlüsse. D a ß es abgesehen von einem wertenden Wesen absolute Werte in der Natur geben soll, ist eine sinnlose Vorstellung. Wo auf Gott als den Schöpfer dieser außermenschlichen Werte verwiesen wird, m u ß bedacht werden, daß auch in diesem Fall der Mensch es ist, der eine entsprechende Wertperspektive einnimmt. Er ist es, der in diesem Fall die Welt gewissermaßen mit den Augen Gottes betrachtet. Sehr wohl k a n n aber mittels hermeneutischer Überlegungen und Analogieschlüsse - das pathozentrische Empfindungsargument einsichtig gemacht werden, wobei freilich zu beachten ist, d a ß nur der Mensch auf Tiere moralisch Rücksicht nehmen k a n n , nicht aber umgekehrt. Auch in diesem Fall bleibt ein erkenntnistheoretischer Anthropozentrismus unvermeidlich. Die anthropozentrische Verzweckung fremden Lebens bedeutet nicht in jedem Fall seine M i ß a c h t u n g und Vernichtung. D a ß die Tiere nach biblischer Sicht ursprünglich dazu bestimmt sind, dem Menschen eine Hilfe zu sein, billigt ihnen eine Eigenwertigkeit und relative W ü r d e zu, die mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen (vgl. Gen 1,27; -•Bild Gottes) zwar nicht identisch ist, jedoch eine Analogie zu ihr bildet. In säkularisierter Gestalt besagt der Gedanke der W ü r d e des Menschen nach Kant, d a ß der Mensch einen unendlichen Wert hat und daher niemals sich selbst oder andere rein als Mittel zur Erreichung außerhalb seiner selbst liegender Zwecke einsetzen darf. Analog kann auch der ethische Sinn der biblischen Bestimmung der Tiere als Geschöpfe Gottes rekonstruiert werden. D e m n a c h steht die N u t z u n g von Tieren, sei es als Arbeitskräfte oder als Lieferanten regenerierbarer tierischer Produkte (z. B. Milch, Eier, Wolle), nicht unbedingt zur Achtung ihrer Eigenwertigkeit und Geschöpflichkeit im Widerspruch, sofern sie auf artgerechte Weise erfolgt. Ein Grundkonflikt besteht aber dort, w o (empfindungsfähige) Tiere zum vermeintlichen Nutzen des Menschen willentlich Leiden ausgesetzt oder getötet werden. Hierbei ist nicht nur an die direkte T ö t u n g von tierischen Individuen, sondern auch an die Verdrängung von Arten im Kampf u m natürliche Ressourcen mit der Folge eines heute rasant beschleunigten Artensterbens zu denken. 3.

Praktisch-theologisch

Theologisch sind Tiere als Gegenstand nicht nur des Schöpfungshandelns Gottes, sondern — folgt m a n den Andeutungen in R o m 8 - auch des Heilshandelns Gottes zu betrachten. Was d a r a u s f ü r das kirchliche Handeln folgt, ist umstritten. Die katholische Tradition kennt seit jeher Tiersegnungen (Benediktionale N r . 78). Seit einigen Jahren werden Tiersegnungen und -gottesdienste auch in manchen protestantischen Kirchen praktiziert (vgl. Blanke), sind aber - wie andere —»Benediktionen oder —• Sakramentalien - umstritten. Tiergottesdienste wollen die Einheit der Schöpfung in der kirchlichen Praxis sichtbar machen. Andererseits können so auch fragwürdige Formen der Tierliebe verstärkt werden, bei denen Tiere als menschlicher Liebesersatz dienen. Zwischen Tierliebe, die ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor ist, menschlicher Vereinsamung und Kinderfeindlichkeit herrscht in unserer Gesellschaft eine merkwürdige Diskrepanz. Darin besteht nicht nur ein liturgisches, sondern auch ein pastoralpsychologisches Problem. Abzulehnen sind auf jeden Fall kirchliche Handlungen auf Tierfriedhöfen. Sie ließen sich selbst unter Berufung auf R o m 8 theologisch nicht rechtfertigen, sondern wären ein Anklang an außerchristliche Tierkulte und somit Ausdruck eines nachchristlichen -•Synkretismus. Literatur Günter Altner, Naturvergessenheit. Grundlagen einer umfassenden Bioethik, Darmstadt 1991. - Karl Barth, KD, III/l 1945, 187ff.231ff.; 1II/4 1951, 396ff. - Benediktionale. StA f. die kath. Bistümer des dt. Sprachgebietes, hg. v. den Liturg. Instituten Salzburg, Trier, Zürich, Freiburg

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Tiersymbolik I

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36 (1980) 1 4 - 2 6 . 5 7 - 7 2 . - Konrad Stock, Die Achtung des Tieres u. die Selbstachtung des Menschen: Tierärztliche Umschau 50 (1995) 8 1 1 - 8 1 5 . - Gotthard M . Teutsch, Tierversuche u. Tierschutz, München 1983. - Ders., Mensch u. Tier. Lexikon der Tierschutzethik, Göttingen 1987. — Ders., Zur Verantwortung des Menschen f. das Tier als Mitgeschöpf. Ein Diskussionsbeitr. des Wiss. Beirats des Beauftragten f. Umweltfragen des Rates der EKD, 1991 (EKD.T 41). - Themenheft Pflanzen u. Tiere: Lotusblätter. Zs. f. Buddhismus, München, 14 (2000) H . 2 . - Ernst Tugendhat, Die Mitleidsethik. Tiere, Kinder, Ungeborenes Leben: ders., Vorl. über Ethik, Frankfurt a. M . 1993, 1 7 7 - 1 9 6 . - Stanley Walens, Art. Animals: EncRel(E) 1 (1987) 2 9 1 - 2 9 6 . - Jürg Weber, Grundrechte f. Tiere u. Umwelt, Frankfurt a.M. 1990. - Franz-Elmar Wilms, Das Tier. Mitgeschöpf, Gott oder Dämon, 1987 (EHS.T 306). - Jean-Claude Wolf, Tierethik. Neue Perspektiven f. Menschen u. Tiere, Freiburg i.Ue. 1992. - Ursula Wolf, Das Tier in der Moral, Frankfurt a.M. 1990. - Franz M . Wuketits, Grundriß der Evolutionstheorie, Darmstadt 1982 (Grundzüge 42). Ulrich H . J . Körtner

Tiersymbolik I. II. III. IV.

Altes Testament Antikes J u d e n t u m N e u e s Testament In der Geschichte des Christentums

S. 5 3 7 S.540 S. 5 4 2

I. Altes T e s t a m e n t 1. Gott/gegengöttliche (dämonische) Wesen

2. Menschen

3. Sachliches

(Literatur S.536)

Ikonographische Tiersymbolik läßt sich aus dem Alten Testament für Bundeslade, ->Tempel und Palast erschließen: Dort begegnen Löwen (I Reg 7,29.36; 10,19f.; II Chr 9,18f.), Stiere (I Reg 7,25.29; 10,19 L X X ) und Keruben ( = Mischwesen mit Menschenkopf, Löwenkörper und Flügeln, Ex 25,20; I Reg 6 , 2 3 - 2 8 ; 8,6f.; vgl. II Chr 3 , 1 0 - 1 4 ; 5,7f.). Die bronzene Schlange (II Reg 18,4; vgl. Num 2 1 , 4 - 9 ) , die Stierbilder, die -»Jerobeam aufstellen ließ (vgl. I Reg 1 2 , 2 6 - 28; ablehnend: Ex 32; Hos 8,5f.; 10,5f.), und das Sarafbild (II Reg 18,4) spiegeln kultische Symbolik wider. Die Mischwesen in Ezechiels Thronwagenvision (Ez 1; 10) sind wie die Serafim (geflügelte Schlangen?) in Jesajas Berufungsvision (Jes 6,2.6) durch kultische Darstellungen inspiriert, jedoch modifiziert (Keel, Jahwe-Visionen 74ff.). 1. Gott/gegengöttliche

(dämonische)

Wesen

1.1. Repräsentanten) des Göttlichen. Das in der literarischen Symbolik dominierende Bild für - » J a h w e ist das des L ö w e n , eines altorientalischen Symbols königlicher H e r r schaft ( A m 3 , 8 ; H o s 5 , 1 4 ; 1 1 , 1 0 ; 13,7; Jes 3 1 , 4 ; 3 8 , 1 3 ; Jer 2 5 , 3 4 - 3 8 ; 4 9 , 1 9 ; 5 0 , 4 4 ; Hi 1 0 , 1 6 ; T h r 3 , 1 0 u.ö., indirekt Joel 4 , 1 6 ; A m 1,2; 3 , 8 ) . Auch der Bär ( T h r 3 , 1 0 ; H o s 13,8), der Panther ( H o s 13,7) und der (Wild-)Stier (vgl. ikonographische Symbolik sowie Gen 4 9 , 2 4 ; Ps 1 3 2 , 2 . 5 [Keel, T i e r e 159], vgl. N u m 2 3 , 2 2 ; 2 4 , 8 ) können J a h w e repräsentieren. J a h w e ist der „ H e r r der T i e r e " (vgl. Keel, T i e r e 1 9 0 f . ) ; er reitet nach Ps 1 8 , 1 1 a = II Sam 2 2 , 1 1 a ; E z 9 , 3 und 1 0 , 4 auf einem Keruben (s. auch oben zur ikonographischen Symbolik). W ä h r e n d diese Bilder Gottes Kraft und bedrohliche M a c h t betonen, drücken der Geier ( E x 19,4; D t n 3 2 , 1 1 ; Jes 3 1 , 5 ; vgl. Schroer, Göttin 69) und die M e t a p h e r von (Gottes) Flügeln (Ps 3 6 , 8 ; 5 7 , 2 ; 6 1 , 5 ; 6 3 , 8 ; Ruth 2 , 1 2 ) Fürsorge und Bergung aus. Aber nicht nur große und mächtige Tiere, auch kleine T i e r e wie die M o t t e (Hos 5 , 1 2 [?]; Ps 3 9 , 1 2 ) und der Wurm(fraß) ( H o s 5 , 1 2 ) können J a h w e s vernichtende Kraft thematisieren. Gazellen, Hinden (Cant 2 , 7 ; 3 , 5 ) und Tauben ( C a n t 1 , 1 5 ; 4 , 1 ; 5 , 1 2 ) e n t s t a m m e n der Sphäre der Liebesgöttin(nen) (Schroer, Geist 197—225). 1.2. Repräsentant(en) des Gegengöttlichen/Dämonischen. Als von G o t t g e z ä h m t e oder überwundene chaotische Gegenwelt begegnen vielfältige Drachengestalten, s o Leviathan (Ps 1 0 4 , 2 6 ; 7 4 , 1 2 - 1 7 ; Hiobbuch), Tannin (Gen 1 , 2 1 ; Hi 7 , 1 2 ; Ps 7 4 , 1 3 ; 1 4 8 , 7 ;

Tiersymbolik I

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36 (1980) 1 4 - 2 6 . 5 7 - 7 2 . - Konrad Stock, Die Achtung des Tieres u. die Selbstachtung des Menschen: Tierärztliche Umschau 50 (1995) 8 1 1 - 8 1 5 . - Gotthard M . Teutsch, Tierversuche u. Tierschutz, München 1983. - Ders., Mensch u. Tier. Lexikon der Tierschutzethik, Göttingen 1987. — Ders., Zur Verantwortung des Menschen f. das Tier als Mitgeschöpf. Ein Diskussionsbeitr. des Wiss. Beirats des Beauftragten f. Umweltfragen des Rates der EKD, 1991 (EKD.T 41). - Themenheft Pflanzen u. Tiere: Lotusblätter. Zs. f. Buddhismus, München, 14 (2000) H . 2 . - Ernst Tugendhat, Die Mitleidsethik. Tiere, Kinder, Ungeborenes Leben: ders., Vorl. über Ethik, Frankfurt a. M . 1993, 1 7 7 - 1 9 6 . - Stanley Walens, Art. Animals: EncRel(E) 1 (1987) 2 9 1 - 2 9 6 . - Jürg Weber, Grundrechte f. Tiere u. Umwelt, Frankfurt a.M. 1990. - Franz-Elmar Wilms, Das Tier. Mitgeschöpf, Gott oder Dämon, 1987 (EHS.T 306). - Jean-Claude Wolf, Tierethik. Neue Perspektiven f. Menschen u. Tiere, Freiburg i.Ue. 1992. - Ursula Wolf, Das Tier in der Moral, Frankfurt a.M. 1990. - Franz M . Wuketits, Grundriß der Evolutionstheorie, Darmstadt 1982 (Grundzüge 42). Ulrich H . J . Körtner

Tiersymbolik I. II. III. IV.

Altes Testament Antikes J u d e n t u m N e u e s Testament In der Geschichte des Christentums

S. 5 3 7 S.540 S. 5 4 2

I. Altes T e s t a m e n t 1. Gott/gegengöttliche (dämonische) Wesen

2. Menschen

3. Sachliches

(Literatur S.536)

Ikonographische Tiersymbolik läßt sich aus dem Alten Testament für Bundeslade, ->Tempel und Palast erschließen: Dort begegnen Löwen (I Reg 7,29.36; 10,19f.; II Chr 9,18f.), Stiere (I Reg 7,25.29; 10,19 L X X ) und Keruben ( = Mischwesen mit Menschenkopf, Löwenkörper und Flügeln, Ex 25,20; I Reg 6 , 2 3 - 2 8 ; 8,6f.; vgl. II Chr 3 , 1 0 - 1 4 ; 5,7f.). Die bronzene Schlange (II Reg 18,4; vgl. Num 2 1 , 4 - 9 ) , die Stierbilder, die -»Jerobeam aufstellen ließ (vgl. I Reg 1 2 , 2 6 - 28; ablehnend: Ex 32; Hos 8,5f.; 10,5f.), und das Sarafbild (II Reg 18,4) spiegeln kultische Symbolik wider. Die Mischwesen in Ezechiels Thronwagenvision (Ez 1; 10) sind wie die Serafim (geflügelte Schlangen?) in Jesajas Berufungsvision (Jes 6,2.6) durch kultische Darstellungen inspiriert, jedoch modifiziert (Keel, Jahwe-Visionen 74ff.). 1. Gott/gegengöttliche

(dämonische)

Wesen

1.1. Repräsentanten) des Göttlichen. Das in der literarischen Symbolik dominierende Bild für - » J a h w e ist das des L ö w e n , eines altorientalischen Symbols königlicher H e r r schaft ( A m 3 , 8 ; H o s 5 , 1 4 ; 1 1 , 1 0 ; 13,7; Jes 3 1 , 4 ; 3 8 , 1 3 ; Jer 2 5 , 3 4 - 3 8 ; 4 9 , 1 9 ; 5 0 , 4 4 ; Hi 1 0 , 1 6 ; T h r 3 , 1 0 u.ö., indirekt Joel 4 , 1 6 ; A m 1,2; 3 , 8 ) . Auch der Bär ( T h r 3 , 1 0 ; H o s 13,8), der Panther ( H o s 13,7) und der (Wild-)Stier (vgl. ikonographische Symbolik sowie Gen 4 9 , 2 4 ; Ps 1 3 2 , 2 . 5 [Keel, T i e r e 159], vgl. N u m 2 3 , 2 2 ; 2 4 , 8 ) können J a h w e repräsentieren. J a h w e ist der „ H e r r der T i e r e " (vgl. Keel, T i e r e 1 9 0 f . ) ; er reitet nach Ps 1 8 , 1 1 a = II Sam 2 2 , 1 1 a ; E z 9 , 3 und 1 0 , 4 auf einem Keruben (s. auch oben zur ikonographischen Symbolik). W ä h r e n d diese Bilder Gottes Kraft und bedrohliche M a c h t betonen, drücken der Geier ( E x 19,4; D t n 3 2 , 1 1 ; Jes 3 1 , 5 ; vgl. Schroer, Göttin 69) und die M e t a p h e r von (Gottes) Flügeln (Ps 3 6 , 8 ; 5 7 , 2 ; 6 1 , 5 ; 6 3 , 8 ; Ruth 2 , 1 2 ) Fürsorge und Bergung aus. Aber nicht nur große und mächtige Tiere, auch kleine T i e r e wie die M o t t e (Hos 5 , 1 2 [?]; Ps 3 9 , 1 2 ) und der Wurm(fraß) ( H o s 5 , 1 2 ) können J a h w e s vernichtende Kraft thematisieren. Gazellen, Hinden (Cant 2 , 7 ; 3 , 5 ) und Tauben ( C a n t 1 , 1 5 ; 4 , 1 ; 5 , 1 2 ) e n t s t a m m e n der Sphäre der Liebesgöttin(nen) (Schroer, Geist 197—225). 1.2. Repräsentant(en) des Gegengöttlichen/Dämonischen. Als von G o t t g e z ä h m t e oder überwundene chaotische Gegenwelt begegnen vielfältige Drachengestalten, s o Leviathan (Ps 1 0 4 , 2 6 ; 7 4 , 1 2 - 1 7 ; Hiobbuch), Tannin (Gen 1 , 2 1 ; Hi 7 , 1 2 ; Ps 7 4 , 1 3 ; 1 4 8 , 7 ;

Tiersymbolik I

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Jes 27,1; 51,9), Rahab (Ps 89,10ff.; Hi 2 6 , 5 - 1 4 ; Jes 51,9), Behemot (Hi 40,15-24), die Paradiesschlange (Gen 3). Die Drachen können zu Repräsentationen des Bösen werden (vgl. Hi 40,25-41,26). Asasel, der Sündenbock (vgl. Lev 16), hat die Züge eines Wüstendämons. Wilde Tiere wie Eulen, Strauße, Schakale, die oft zusammen mit Dämonen verlassene Orte/ Gegenden bevölkern (Jes 13,21 f.; 34,12 L X X ; vgl. auch Ps 44,20; Jer 9,10; 10,22; 49,33; 51,37), geben diesen den Charakter einer Gegenwelt. 2.

Menschen

2.1. Feindbild. In den Psalmen werden die Feinde des Beters, die Frevler, oft mit wilden Tieren verglichen (vgl. nur Ps 22,13 f. 17.22), vor allem mit Löwen (Ps 7,3; 10,9; 17,12; 22,14.17.22; 34,11; 35,17; 57,5; 58,7; 91,13), Schlangen (Ps 58,5; 91,13; 140,4), Hunden (Ps 22,17.21; 59,7.15), (Wild-)Stieren (Ps 22,13.22) und Bienen (Ps 118,12; vgl. Dtn 1,44). Der Bär - obwohl auch gefährlich und häufig zusammen mit dem Löwen genannt — fehlt in diesem Zusammenhang (Keel, Feinde 202). Hervorgehoben werden die Gefährlichkeit und Gewalttätigkeit der wilden Tiere, die den Beter hinwegraffen können und bedrohen, ohne daß konkret ausgedrückt wird, daß sie den Klagenden angefallen, angesprungen, gepackt oder gebissen haben. Die wilden Tiere sind stereotype Bedrohungsbilder, mit denen keine differenzierteren Aussagen über die Feinde oder ihr Vorgehen verbunden sind (Westermann 84). Bei den Propheten werden wilde, feindliche Tiere überwiegend als Gerichtsbilder verwendet, so der Löwe (Jes 15,9; Jer 2,15; 4,7; 5,6; 50,17; Am 3,12; in Völkersprüchen: Jer 49,19; 50,44; 51,38), der Wolf (Jer 5,6), die Schlange (Jer 8,17), Raubvögel (Jer 12,9; 49,22; Hab 1,8 [indirekt: Jes 8,8]), Insekten (Jes 7,18), besonders Heuschrecken (Jer 51,14; Jdc 6,5). In einer Beistandszusage in Ez 2,6 finden sich Skorpione. Aber auch Israel kann Jahwe gegenüber zum Feind (zum Löwen) werden (Jer 12,8). 2.2. Selbstbild des Beters und Bilder des Zuspruchs. Während die wilden Tiere in der Feindklage vorherrschen, fehlen sie in den Psalmen und Threni in der Ich- (Wir-) Klage. Dort vergleicht sich der Beter mit domestizierten, kleinen, nicht-aggressiven Tieren, so dem Schaf (Ps 119,176), dem Lamm (Jer 11,19), einer Dohle (Steinkauz? Eule?: Ps 102,7), einem Vogel (Ps 102,8; Thr 3,52), einer Taube (Ps 74,19; vgl. Jes 38,14; als Wunsch Ps 55,7), einer Heuschrecke (Ps 109,23), einem Wurm (Ps 22,7; anders: Hiob 7,12). Die Sehnsucht nach Gott wird in Ps 42,2 anhand einer nach frischem Wasser lechzenden Hinde, die Sehnsucht nach dem Heiligtum in Ps 84,4 anhand von Sperling und Schwalbe ausgedrückt. In Vertrauensaussagen des Beters vergleicht sich dieser in Ps 23 (indirekt) mit einem Schaf, und es heißt in Ps 18,34 = II Sam 22,34 (vgl. Hab 3,19), daß Gott „gleich macht meine Füße den Hindinnen". Im Danklied wird in Ps 124,7 die Seele einem Vogel verglichen, in Ps 103,3-5 (vgl. Jes 40,30f.) die eigene Regeneration mit dem Bild des Geiers (Schroer, Göttin 69; vgl. ferner Phönix: Hi 29,1). Die Stärkung wird in Ps 92,11 (Wildstier) zur Sprache gebracht. Zuspruch durch Tiermetaphern wird in Jes 35,6; Mal 3,20 (springen wie Hindin, Kälblein), Jes 41,14 (fürchte dich nicht, du Wurm) und in Mi 2,12 (Versammeln einer Herde von Schafen) ausgedrückt. 2.3. Schmäh- und Kritikbilder. Schmäh- und Kritikbilder finden sich besonders in der erzählenden Literatur und den Propheten. Pejorativ verwendet ist der Hund (II Sam 3,8; 9,8; 16,9; II Reg 8,13; für begierige Volksführer Jes 56,10f.). Zum Floh vgl. I Sam 24,15; 26,20. Amtsinhaber, die ihre Stellung mißbrauchen, sind (raubende) Wölfe (Zeph 3,3; Ez 22,27), despotische Herrscher sind wie brüllende Löwen (Ez 22,25; Zeph 3,3; Prov 28,15), Falschpropheten wie Füchse (Schakale?) in den Ruinen (Ez 13,4), die Frauen Samarias Basankühe (Am 4,1; vgl. Jer 46,21 [Söldner wie gemästete Kälber]). Tiere und

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Tiersymbolik I

ihre Triebe (Sexualität) werden auf Menschen(gruppen) bezogen (Prov 7,22f.; 11,22; Jer 2,23; 5,8; Hos 8,9). Negativ sind auch Hos 7,11 (Ephraim als einfältige Taube); Thr 4,3 (die Tochter meines Volkes grausam wie die Strauße), Jer 8,6 (jeder stürmt dahin ... wie das Roß in der Schlacht). 2.4. Liebesbilder. Nicht nur Feinde, auch geliebte Menschen werden mit Tieren verglichen: Schönheit, Grazie, Agilität des/der Geliebten werden in Vergleichen und Metaphern mit Gazelle, jungem Hirsch, der Gemse (vgl. Cant 2,9.17; 8,14; 4,5; Prov 5,19), der Effekt, Männer zu verwirren, wird im Vergleich der Geliebten mit der Stute (Cant 1,9), die sexuelle Gier in der Fuchsmetapher (Cant 2,15) hervorgehoben (Keel, Hohelied). Die Taube (Cant 2,14; 5,2; 6,9) verweist auf die Liebe(sgöttin) (Keel, Hohelied 100f.), die Bezeichnung der Augen als Tauben (Cant 1,15; 4,1; vgl. 5,1) auf die Tauben als Botenvögel der Liebesgöttin(nen) (Keel, Hohelied 7 2 - 7 5 ) . Zu weiteren Tiervergleichen s. Cant 4,1 (Ziegen); 5,11 (Rabe). 2.5. Gruppenbilder. Die meisten Stammessprüche in Gen 49; Dtn 33 beschreiben mittels narrativ entfalteter Tiervergleiche lobend (Gen 49,9.17.21.27) oder tadelnd (Gen 49,14f.) die Charakteristika eines Stammes. So wird Juda in Gen 49,9 als Löwe bezeichnet (vgl. Dtn 33,20 [Gad]; 33,22 [Dan]; ferner Num 23,24; Ez 19,1-9; Mi 5,7), Issachar als Esel (Gen 49,14), Dan als Schlange (Gen 49,17), Naphtali als Hindin (Gen 49,21) und Benjamin als Wolf (Gen 49,27). Auch (Völker und) Reiche und ihre Herrscher werden häufig durch Tiervergleiche und -metaphern charakterisiert (vgl. Jes 7,18; 27,1; Ez 17,3; 2 9 , 2 - 5 ; 32,2; Jer 46,20; 48,40; 51,34; Dan 7f. [im Geschichtsüberblick]; vgl. Liwak, bes. 210f. mit Anm. 35f.). Das Bild der Kleinvieh-/Schafherde steht in so enger Korrespondenz zum Bild des Hirten, daß ersteres auch mitgedacht werden muß, wenn der Begriff fehlt (vgl. II Sam 5,2; 7,8; Ps 78,70ff.). Meist ist mit der Herde Israel gemeint (vgl. Jes 53,6; Jer 23,1 f.; Ez 34; Sach 11; Psalmen). Das Bild thematisiert Führung(s-) und Schutz(losigkeit), vgl. Ps 80,2; I Reg 22,17; Num 27,17; Sach 11,3; Jes 13,14, anders die Klage Israels in Ps 44,12, vgl. (bezüglich des Gottesknechts) Jes 53,7. Gelegentlich bezieht sich das Bild der Herde aber auch auf Fremdvölker (Jes 13,14; Jer 49,20; 50,45; Mi 5,7). 2.6. Weisheitliche Lehrbilder. Eine große Rolle spielt der Tiervergleich in weisheitlich geprägten Texten, die Erfahrungen ausdrücken, werten und mahnen (vgl. Hi 9,25f.; Jer 17,11; Koh 9,12; Prov 6,6; 17,12; 23,5; 26,11.17; 28,1; 30,25; Jer 13,23; Sir 13,18; 25,16; Ps 32,9 sowie die Kontrastvergleiche Jes 1,3; Jer 8,7). 2.7. Utopische Hoffnungsbilder. Der eschatologische Tierfriede (Jes 11,6-8; 65,25) sowie der Ritt des Messias auf einem Esel und nicht auf einem (mit Krieg konnotierten) Pferd sowie das Entfernen der Rosse in Sach 9,9f. beschreiben das messianische Friedensreich. 3.

Sachliches

Insgesamt begegnen Tiere mehr im Vergleich mit Personen und Gruppen, seltener im Vergleich mit anderen Tieren (Jer 51,27; Joel 1,6; 2,4; Hi 39,20; Hab 1,8) oder Sachen/Natur (Ps 29,6; 114,4a.6a; Prov 23,32). Literatur Gefährten u. Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, hg. v. Bernd Janowski u.a., Neukirchen-Vluyn 1993 (Lit.). - Manfred Görg, Art. Schlange: NBL 3 (2001) 4 8 2 484. - Othmar Keel, Feinde u. Gottesleugner. Stud. zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen, 1969 (SBM 7). - Ders., Die Welt der altorient. Bildsymbolik u. das AT. Am Beispiel der Psalmen, Zürich u.a. 1972 4 1984. - Ders., Jahwe-Visionen u. Siegelkunst, 1977 (SBS 84/85). Ders., Das Hohelied, 1986 (ZBK.AT 18). - Ders., Allgegenwärtige Tiere. Einige Weisen ihrer Wahrnehmung in der hebräischen Bibel: Gefährten u. Feinde des Menschen (s.o.) 1 5 5 - 1 9 8 . - Ders./Max Küchler/Christoph Uehlinger, Orte u. Landschaften der Bibel, Zürich u.a., I 1984, 1 0 0 - 1 8 0 . -

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Tiersymbolik II

Rüdiger Liwak, Die atl. Großmächte in der Metaphorik der Prophetie: Prophetie u. gesch. Wirklichkeit im alten Israel. FS Siegfried Herrmann, Stuttgart u.a. 1991, 2 0 6 - 2 3 0 . - Peter Riede, Im Netz des Jägers. Stud. zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen, 2000 ( W M A N T 85). - James Allen Rimbach, Animal Imagery in the OT. Some Aspects of Hebrew Poetics (Ph.D. Diss. The Johns Hopkins Univ. 1972), Univ. Microfilms, Ann Arbor, Mich. 1972. - Silvia Schroer, Der Geist, die Weisheit u. die Taube. Feministisch-krit. Exegese eines ntl. Symbols auf dem Hintergrund seiner altorient. u. hell.-frühjüd. Traditionsgesch.: FZPhTh 33 (1986) 1 9 7 - 2 2 5 . - Dies., Die Göttin u. der Geier: ZDPV 111 (1995) 60 - 80. - Eckart Schwab, Die Tierbilder u. Tiervergleiche des alten Testaments: BN 59 (1991) 3 7 - 4 3 (Lit.). - Claus Westermann, Vergleiche u. Gleichnisse im Alten u. NT, 1984 (CThM.BW 14). - August Wünsche, Die Bildersprache des AT, Leipzig 1906. Petra von Gemünden II. Antikes J u d e n t u m 1. Apokryphen und Pseudepigraphen Schrifttum (Literatur S. 540)

2. Philo von Alexandrien

3. Qumran

4. Rabbinisches

In der Zeit des Zweiten Tempels hören wir von Protesten gegen Tierdarstellungen, die durch das Bilderverbot motiviert sind: Protestierende entfernen den goldenen Adler über dem Tempeltor (Josephus, Bell 1,650-653; Ant X V I I , 1 5 1 - 1 5 6 ) und zünden den Palast des Herodes Antipas mit seinen Tierdarstellungen an (Josephus, Vita 65f.). Tiere auf Münzen sind extrem selten. In der spätantiken jüdischen Kunst ist Tiersymbolik im und am -»Tempel, in und an -»Synagogen und Katakomben, auf Öllampen, Goldgläsern, Sarkophagen, Ossuarien und Amuletten bezeugt. In der Synagogenkunst begegnen besonders Löwe, Adler, Stier, gehörnte Tiere, Fische und Delphine. Häufig im Zusammenhang mit dem Toraschrein und der Menora sind Löwendarstellungen (Hachlili 321 f.; Wischnitzer-Bernstein 1 4 - 1 6 ; Goodenough VII), ebenso der Adler, später Tauben (Wischnitzer-Bernstein 16). Löwe, Stier, Adler, Greif, Vögel, Fische und Delphine finden sich besonders im Begräbniskontext (Goodenough VII). Zu den Zodiakdarstellungen vgl. Hachlili 3 0 1 - 3 0 9 ; Charlesworth, Astrology 1 9 3 - 1 9 8 . 1. Apokryphen

und

Pseudepigraphen

Tiersymbolik wird in apokalyptischen Texten zur Geschichtsdeutung (vgl. im Alten Testament: D a n 7) verwendet, besonders deutlich ist dies in der Tierapokalypse (äthHen 85-90). T i e r e stellen z u m einen außermenschliche Akteure in der Geschichte dar: Auf den Messias wird IV Esr 12,1.31 f. das Bild v o m brüllenden L ö w e n (in bezug auf G o t t : IV Esr 11,37) bezogen, ä t h H e n 9 0 , 3 7 wird der Messias als weißer Bulle dargestellt. B e h e m o t und Leviathan werden immer mehr zu Symbolen des Bösen ( - » T e u f e l ) , die in der messianischen Z e i t zerstört (äthHen 6 0 , 7 - 9 ) und von den F r o m m e n gegessen werden (syrBar 2 9 , 4 ) . Die Schlange erscheint im Z u s a m m e n h a n g mit dem H a d e s (slHen 42,1;. g r B a r 4), mit dem Satan oder wird mit diesem identifiziert ( A p k M o s 16; g r B a r 9; vgl. IV M a k k 18,8). Z u m anderen werden menschliche Akteure in der Geschichte in Gemeinschaftsbildern dargestellt: als T a u b e (IV Esr 5 , 2 6 ; vgl. LibAnt 2 1 , 6 ; 3 9 , 5 ) , als H e r d e (IV Esr 5 , 1 8 ) , vor allem als Schafe (IV Esr 5 , 2 6 ; ä t h H e n 8 9 , 1 2 - 9 0 ; weitere Tierbilder: IV Esr 4 , 2 4 ; Testjud 2 5 , 5 ; äthHen 9 6 , 2 ; vgl. LibAnt 2 3 , 7 ) . Die Schafe werden in der Tierapokalypse (äthHen 8 5 - 9 0 ) jedoch auch spezifiziert ( 8 9 , 1 2 : J a k o b ; 8 9 , 1 3 : J o s e p h ; 8 9 , 1 5 : M o s e , etc.) und differenziert (äthHen 8 9 , 3 5 ; vgl. auch 8 9 , 3 2 . 4 1 . 5 4 . 7 4 ; 9 0 , 7 . 2 6 [verblendete Schafe], anders 8 9 , 4 4 ) . Die Schafe werden von Tieren, die feindliche Völker repräsentieren, angegriffen und dezimiert: von Wölfen (89,13ff.), H u n d e n , Füchsen und Wildschweinen ( 8 9 , 4 2 f . ; vgl. 89,72), von L ö w e n , Panthern, W ö l f e n , H y ä n e n , Füchsen und allen wilden Tieren ( 8 9 , 5 5 ) , von Raubvögeln wie Adler, Geier, H a b i c h t e n , R a b e n ( 9 0 , 2 f . ) . N a c h der Geburt des Messias (als weißer Bulle, 9 0 , 3 7 ) werden alle T i e r e (nicht nur die Schafe/Israel) in weiße Bullen - in die Urgestalt der Z e i t von A d a m bis Isaak ( 8 5 , 3 - 8 9 , 1 2 ) — verwandelt ( 9 0 , 3 8 ) . Die Adlervision IV Esr 11,1 - 1 2 , 3 5 meint wahrscheinlich die römische Herrschaft (Stemberger 2 6 - 2 9 ; vgl. auch A s s M o s 10,8), die Schlange in Sib V,29 N e r o , der D r a c h e in PsSal 2 , 2 5 Pompejus.

538

Tiersymbolik II

Auch sonst werden Tiere zur Charakterisierung von Personen und ihrem Verhalten herangezogen (I M a k k 3,4; II M a k k 11,11; TestDan 5,7; TestGad 2,2; TestBenj 11,1; TestDan 1,8; TestNaph 2,1; IV Esr 8,29f.; Testjud 21,7; TestAss 2,9; 4,5). Zum Vergleich der -»Seele mit einem Vogel vgl. grBar 10,1-5. 2. Philo von

Alexandrien

Charakteristisch für ->Philo ist die Psychologisierung der Tiersymbolik: Tiere/Tierherden stellen bei Philo die unvernünftigen Kräfte im Menschen, die unvernünftigen (animalischen) Seelenkräfte und seine Sinne (Post 6 6 - 6 9 ; Det 170; Sacr 45.104f.; Agr 29f.34; Cher 70) dar. So symbolisieren Rosse (All 1,72; II,99.101f.; Virt 13; Agr 73; vgl. SpecLeg 11,142), Hunde (Gig 35), giftige (SpecLeg IV,86) und wilde Tiere und Vögel (All 11,11) sowie das goldene Kalb (Post 158) die Affekte, die Schlange besonders den Affekt der tjöovrj (Op 157; All 11,71-74; Quaest in Gn 1,47f.). Menschen, die sich von ihren Affekten mitreißen lassen, sind roher als ein wildes Tier (Agr 154), sind Schweinen (Agr 144) und Hunden (SpecLeg IV,91; VitCont 40) zu vergleichen. Der griechische Einfluß ist deutlich bei der Vorstellung vom animalischen Seelenteil, beim Bild des Hirten (voöq etc.) unvernünftiger Kräfte (Sacr 45.104f.; Agr 29ff. u.ö.; vgl. ->Plato, leg. 713d) und des Rosselenkers (vgl. Plato, Phdr. 246A f.; 253C f.). N u n können bei Philo Tiere, die die Affekte symbolisieren, gleichzeitig positiv konnotiert sein. Besonders deutlich wird das bei der Schlange: hier wird der Schlange der Eva, die die r\öovr\ symbolisiert, die des Mose bzw. Dans gegenübergestellt, die die ocopo(Jüvt] (Besonnenheit) symbolisiert (All 11,79.81; Agr 97.107-109), vgl. auch Bock und Widder als Symbole vollkommener Logoi (Som 1,197-199), die Taube als Symbol der Weisheit (Her 126) oder als Symbol des voog (Her 234). 3.

Qumran

In den Qumranschriften (-> Qumran) gewinnen Tiere relativ selten symbolische Bedeutung. Es dominieren Gemeinschaftsbilder, mit denen die Gemeinde oder die Feinde bezeichnet werden: die Gemeinde wird der Herde (CD 13,9; 19,8f.; vgl. ferner l Q p H a b 12,4; CD 1,13f.)> feindliche Reiche werden dem Geier ( l Q p H a b 3,11), dem Löwen (4QpNah 169 Frgm. 4,1.4-6), Fischen ( l Q p H a b 6,2), ihre Könige dem Drachen/Reptilien verglichen (CD 8,9f.; 19,22-24; 1 Q H 5,27 [ = ed. Maier 13,27]). Besonders in den Hodayot begegnet der Löwe als Feind (1QH 5,7.9.13.19 [ = ed. Maier 13,7.9.13.19]). Daneben finden wir das Bild des aus dem Nest gestoßenen Vogels (1QH 4,9 [ = ed. Maier 12,9]), Vergänglichkeitsbilder (1QH 9,5; vgl. auch 1QS 11,10) und Tiere als Tierkreiszeichen (4Q186; 4Q318). 4. Rabbinisches

Schrifttum

4.1. Gott/dämonische(s)

Wesen

Das im Alten Testament dominierende Bild für Gott, der Löwe, wird von den Rabbinen aufgegriffen (bBer 3a; bHul 59b; BemR 13 zu 7,12); ebenso die Metapher von den Fittichen Gottes (ShirR 1,3). Gott kann aber auch mit einer Gazelle (ShirR 2,9f.; 8,14) oder einer Hindin (MTeh zu 22,2.20) verglichen werden, die bat qol (bBer 3a) wie auch die Stimme des Messias (ShirR 2,13) erinnern an eine Taube. Aber auch der Geist der Verführung kann einem Löwen verglichen werden (bSan 64a). Die Schlange (WaR 26 zu 21,4) und der Wolf (BerR 57 zu 22,21; ShemR 21 zu 14,16) repräsentieren den Satan. Behemot und Leviathan, das Land- und das Seeungeheuer, werden in der zukünftigen Welt geschlachtet (WaR 13 zu 11,1) und von den Frommen verspeist (bBB 7 4 b - 7 5 a ) , Gott wird ihnen aus der H a u t des Leviathan Hütten machen (bBB 75a).

Tiersymbolik II 4.2. Völker und

539

Personen

4.2.1. Völker und Reiche. Israel wird oft mit Schafen, einer Schaf- bzw. Kleinviehherde verglichen (häufig zusammen mit dem Hirten und in Opposition zum Wolf), vgl. BerR 57 zu 22,21; ShemR 21 zu 14,16; BerR 65 zu 27,8; ShemR 2 zu 3,1; 20 zu 18,17; BemR 23 zu 33,1; MTeh zu 23,1; ShirR 1,7f., ferner mit (einem) Löwen (ShemR 29 zu 20,1; BemR 20 zu 23,24; MTeh zu 23,1; ShirR 1,9; EstR zu 8,2); mit Fischen (das Wasser als ihr lebenserhaltendes Element ist die Tora: bBer 61b; bAZ 3b; BerR 97 zu 48,16); einer geschundenen Kuh (MTeh zu 129,4); mit Stuten (ShirR 1,9), der Taube (bBer 53b; BerR 39 zu 2,1; ShemR 20 zu 13,17; ShirR l,14f.; 2,14; bSan 95a), dem Esel (WaR 13 zu 11,1; vgl. EstR 5 zu 3,1) und den Bienen (DevR 1 zu 1,1). Manchmal wird differenziert: In bezug auf Gott ist Israel wie eine Taube (ShirR 2,14; ShemR 21 zu Ex 14,15), in bezug auf die Völker klug wie die Schlangen (ShirR 2,14) bzw. wie die wilden Tiere (ShirR 2,14 = ShemR 21 zu 14,15). Zu Tierbildern in bezug auf Stämme vgl. MTeh zu 90,3; BemR 13 zu 7,12; BerR 39 zu 12,2; 65 zu 27,20; 86 zu 39,1; 98 zu 49,9.21; 99 zu 49,26f.28. Im Unterschied zu Israel werden die Völker dem Vieh (QohR zu 3,18), den Farren (ShirR 1,15), den Eseln (MTeh zu 9,21) und dem Hund (WaR 13 zu 11,1) verglichen, die Feinde Israels dem Löwen (bBer 13a), dem Wolf (bBer 13a), dem Habicht (ShirR 2,14) und der Schlange (bBer 13a; ShirR 2,14). Mit wilden und unreinen Tieren (Löwen, Leoparden, Pardern, Bären, Wölfen, Hunden, Füchsen, Schlangen, Schweinen, Eseln und Fliegen) werden feindliche Reiche bzw. deren Repräsentanten verglichen (ShirR 4,8; bSan 94b; WaR 13 zu 11,1; MTeh zu 22,13; EstR 1 zu 1,1; ShirR 2,14f.; ShemR 20 zu 13,17). Die Römer und ihre Herrschaft werden mit dem Schwein verglichen (WaR 13 zu 11,1; MTeh zu 80,14; QohR 1,9.28; BerR 65 zu 26,34 u.ö. [vgl. Stemberger]; wegen ihrer Unreinheit? dem Eber in römischen Feldzeichen?), mit dem (Wild-)Ochsen (BerR 65 zu 27,1) und dem Adler (EstR 5 zu 3,6; 1 zu 1,1). 4.2.2. Charakterisierung von Personen und ihrem Verhalten. Zur Charakterisierung von Personen (gruppen) werden Tiere herangezogen (MTeh zu 22,1; ShirR 2,10; BerR 98 zu 49,17; 99 zu 49,27; bSan 95a; bMeg 16b; BemR 22 zu 22,12; bBer 3b; QohR zu 1,1; EstR 1 zu 1,4; 5 zu 3,1; bSan 68a; BerR 41 zu 13,7; DevR 1 zu 2,31; bBQ 92b; bTem 16a; bSan 90b; bPes 49b). „Löwe" ist ein Ehrentitel für einen Gelehrten (bGit 83b; bShab 111b; bBQ 117a; MTeh zu 7,5.8; BemR 19 zu 19,2), „ R a b e n " bezeichnet die Schüler der Weisen (ShirR 5,11). Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis vgl. bPes 112a; bYom 53b. Der Unwissende/Frevler kann als Wurm (ShemR 20 zu 18,17), Vieh (QohR 3,18) oder Hund (WaR 9 zu 7,11; ShemR 9 zu 7,9; MTeh zu 4,8; bBB 8a) bezeichnet werden; das Geschlecht der Endzeit wird dem Hund gleichen (ShirR 2,13). 4.3. Paränetische und erklärende

Bilder

Tiere haben auch paränetische, warnende und erklärende Funktion. So dienen Tiere (und ihre Eigenschaften) als Modell/Vorbild (bPes 112a = BemR 20 zu N u m 25,6; mAv 5,20[23]; QohR 3,18; ShirR 4,11; MTeh zu 23,2), zur Ermahnung (mAv 4,15[20]; ySan IV,22b; DevR 1 zu 1,1; BerR 86 zu 39,2) und Erklärung (bKet 63a; ShirR 2,16; WaR 13 zu 11,1; BerR 19 zu 3,1; QohR 1,18). Fabeln und Gleichnisse thematisieren besonders den Umgang mit Stärkeren/Feinden (BerR 64 zu 26,28; 78 zu 33,1; EstR 5 zu 3,1; BerR 57 zu 22,21; BemR 20 zu 22,3; vgl. bSan 105a; EstR 5 zu 3,2; ShirR 3,6; MMish zu 9,2; vgl. ferner bBer 13a; BerR 19 zu 3,11; EstR 5 zu 3,6). Besondere Bedeutung hatten die Fuchsfabeln (vgl. bBer 61b; QohR zu 5,14; BerR 78 zu 33,1; EstR 5 zu 3,1). R. ->Jochanan ben Zakkaj hat nach bSuk 28a; bBB 134a von Wäscher- und Fuchsfabeln nichts zurückgelassen. R. Meir soll 300 Fuchsfabeln gesammelt haben (bSan 38b), und R. Bar Kappara soll bei einem Mahl bei jedem Gang 300 Fuchsfabeln erzählt haben (WaR 28 zu 23,10; QohR zu 1,3).

540 4.4.

Tiersymbolik III Sonstiges

Zum Vergleich von Tieren mit Sachen s. EstR 4 zu 1,22; MMish 23,32; BemR 10 zu 6,3 (Schlange = Wein); bBQ117a; ShirR 5,11; MTeh zu 11,7 (Seele = beflügelte Heuschrecke); vgl. ferner BerR 98 zu 49,7 (Schlange = Zorn); ShemR 9 zu 7,9 (Schlange = Herrschaft). Charakteristisch für die rabbinische Tiersymbolik ist, daß sie als Textinterpretation auftritt, sei es, daß im Alten Testament erwähnte Tiere (oft in variierender Weise) ausgelegt werden, sei es, daß in der Auslegung Tiersymbolik einen Sachverhalt des Textes erhellt, ohne daß dort von Tieren die Rede sein muß. Ferner werden auch geschlossene Tierfabeln in der Auslegung erzählt. Es dominieren Gemeinschaftsbilder für Israel. Literatur Samuel Back, Die Fabel in Talmud u. Midrasch: M G W J 25 (1876) 2 7 - 38.195 - 2 0 4 . 2 6 7 - 275. - James H. Charlesworth, Jewish Astrology in the Talmud, Pseudepigrapha, the Dead Sea Scrolls, and Early Palestinian Synagogues: H T h R 70 (1977) 1 8 3 - 2 0 0 . - Ders., How Barisat bellowed. Folklore, Humor, and Iconography in the Jewish Apocalypses and the Apocalypse of John, North Richland Hills, Tex. 1998. - Asher Feldman, The Parables and Similes of the Rabbis. Agricultural and Pastoral, Cambridge 1924 = 2 1927 (Nachdr. Folcroft, Pa. 1975). - Erwin R. Goodenough, Jewish Symbols in the Greco-Roman Period, 12 Bde., 1 9 5 3 - 1 9 6 8 (BollS); bes. VII.-VIII. Pagan Symbols in Judaism, 1958. - Rachel Hachlili, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Land of Israel, 1988 (HO VI1/1). - Robert Morris Johnston, Parabolic Interpretations Attributed to Tannaim (Ph.D. Diss. Hartford Seminary Foundation 1977), Univ. Microfilms Int., Ann Arbor, Mich. 1978. - Bernhard Königsberger, Aus dem Reiche der altjüd. Fabel: ZVVK 6 (1896) 1 4 0 - 1 6 1 . - Yehudi Leib Louis Lewysohn, Die Zoologie des Talmuds. Eine umfassende Darst. der rabbinischen Zoologie, unter steter Vergleichung der Forschungen älterer u. neuerer Schriftsteller, Frankfurt a.M. 1858. - Johann Maier, Die Qumran-Essener. Die Texte vom Toten Meer, 3 Bde., München u.a. 1 9 9 5 - 1 9 9 6 . - Raymond Pautrel, Les canons du Mashai rabbinique: RSR 26 (1936) 6 - 4 5 ; 28 (1938) 2 6 4 - 2 8 1 . - Haim Schwarzbaum, Talmudic-Midrashic Affinities of Some Aesopic Fables: Laogr. 22 (1965) 4 6 6 - 4 8 3 . - Aaron M . Singer, Animals in Rabbinic Teaching. The Fable (Diss. The Jewish Theol. Seminary of America), Univ. Microfilms Int., Ann Arbor, Mich. 1979. - Günter Stemberger, Die röm. Herrschaft im Urteil der Juden, Darmstadt 1983. - Rahel WischnitzerBernstein, Symbole u. Gestalten der jüd. Kunst, Berlin-Schöneberg 1935.

Petra von Gemünden

III. Neues Testament (Literatur S. 541)

Auffallend ist die Zurückhaltung gegenüber Tiersymbolen im Neuen Testament. Das ist besonders beim Gottesbild unübersehbar, wo Gott als Bildempfänger fehlt. Nur seine Umgebung wird durch Tiere symbolisiert: Die vier Lebewesen der -»Apokalypse des Johannes sind von den Cherubim (Ez 10) inspiriert. Anders als bei -»Ezechiel haben sie jedoch vier verschiedene Gestalten (Löwe, Stier, Mensch, Adler: Apk 4,7; vgl. Langenberg 3 8 - 4 1 ) . Diese Zurückhaltung gegenüber Tiermetaphern zeigt sich auch in den Gleichnissen: Während es im Neuen Testament eine ganze Reihe von Pflanzengleichnissen gibt, sind Tiergleichnisse äußerst selten (Lk 1 1 , 1 1 - 1 3 par.; 1 5 , 4 - 7 par.; vgl. Mt 25,32f.), was um so auffälliger ist, als sowohl im hellenistischen wie im rabbinischen Schrifttum Tierund nicht Pflanzenfabeln dominieren. Könnte das mit der jesuanischen Anthropologie zusammenhängen ? Weiter zeigt sich die Zurückhaltung gegenüber Tiermetaphern auch in der Christologie: Der Menschensohn in seiner Heimatlosigkeit wird Mt 8,20 par. den Füchsen und Vögeln kontrastiert. Ferner begegnen Tiere in seiner Umgebung: Bei Jesu Taufe ist die Taube als Botentier der Gottheit zu verstehen (Mk 1,11 par.; Joh 1,32; vgl. Schroer).

Tiersymbolik III

541

Jesus zieht auf einer Eselin in Jerusalem ein (Mt 21,2ff.; vgl. Mk 11,2 ff. par.; Joh 12,14f.; vgl. Sach 9,9). Die Schlange in Joh 3,14 expliziert die johanneische Christologie und Soteriologie. Bezeichnenderweise ist die Zurückhaltung gegenüber Tiermetaphern vor allem in der Apokalypse aufgegeben. Zwei traditionelle Bilder, das des Löwen (Apk 5,5) und das des Lammes, werden neu auf Christus bezogen. Letzteres drückt meist den Heilstod Christi aus (Joh 1,29.36; [Act 8,32]; I Petr 1,19; Apk 5 , 6 - 1 2 ; 7,14; 12,11; 13,8 u.ö.), daneben aber auch dessen herrscherliche (Apk 5,6; 6,16) und kriegerische (17,14) Funktion. Zahlreicher sind dagegen die Tierbilder, wenn es um Feinde Christi, Gottes und der Gemeinde geht: Hinter den Gegenmächten des Lammes stehen die Chaosmächte Leviathan und Behemot; sie stehen hinter dem Tier aus dem Abgrund (Apk ll,7)/aus dem Meer (Apk 13,1-4, man beachte seine Darstellung als Mischwesen im Unterschied zu Dan 7) und dem Tier aus der Erde (Apk 13,11-18), die das römische Reich und seine Vertreter (Apk 19,20; 20,10: die falschen Propheten) dämonisieren, genauer satanisieren (13,2b.4). Apk 17 rückt das Tier ins Zentrum. Apk 17,11 zielt (im Unterschied zu 17,9f.) wohl auf den Nero redivivus. Nur in der Apokalypse findet sich das Bild des Drachen (Apk 12f.; 16,13; 20,2), der das römische Reich zur gottfeindlichen Macht par excellence - dem -»Teufel oder Satan - mythisch verdichtet und auch mit der (Paradies-)Schlange gleichgesetzt werden kann (zu weiteren Tierbildern für dämonische Mächte vgl. Apk 9 , 3 - 1 1 ; 16,13). Die Schlange (als Täuscherin) in II Kor 11,3 und der Löwe (Satan, I Petr 5,8; vgl. Ps 22,14) sind Gegner auch im Inneren des Menschen. In Mk 4,14 par. werden die Vögel auf den Satan (Markus), den Bösen (Matthäus) bzw. den Teufel (Lukas) von außen kommend - gedeutet. Das Seeungeheuer in Mt 12,40 ist schon im Judentum als mythisches Todesbild aufgefaßt (Jon 2,3 f.6 LXX). Politische Konnotationen evozieren wahrscheinlich die Schweine in Mk 5,11 ff. (Theißen 117). Feinde der Gemeinde/der Jünger werden als Wölfe bezeichnet (Mt 10,16 par.; Joh 10,12; Mt 7,15; Act 20,29); beim Täufer (Mt 3,7 par.; vgl. auch 12,34; 23,33) und in der Briefliteratur finden sich Schmäh- und Kritikbilder besonders in bezug auf Gegner bzw. Irrlehrer (vgl. Phil 3,2; Jud 10; II Petr 2,12.22; vgl. Tit 1,12). Leicht pejorativen Charakter hat vielleicht Mt 15,26f. Als Gemeinschaftsbild begegnet fast ausschließlich das Bild der (Schaf-)Herde (Mt 9,36; 10,6.16; 15,24; Lk 15,4-7 par.; Joh 21,15-17; I Kor 9,7; Hebr 13,20; I Petr 2,25, ferner Rom 8,36 [Zitat Ps 43,23 LXX]). Mt 25,32f. erzählt von der eschatologischen Trennung von Schafen und Böcken, Mt 13,47 f. von der eschatologischen Scheidung von guten und schlechten Fischen. Gelegentlich werden einzelne Menschen mit Tierbildern bezeichnet: In Lk 13,32 nennt Jesus Herodes Antipas einen Fuchs; Apk 22,15 meint mit den Hunden vielleicht, männliche Kultprostituierte. Indirekt werden Menschen mit Tieren verglichen in Gal 5,15, eventuell auch in Gal 5,1; Phil 4,3; I Tim 6,1. Tiere können im weisheitlichen Zusammenhang mit stabilisierender und/oder argumentativer Funktion vor Augen gestellt werden (Lk 12,6f. par.; 12,24 par.; 12,33; Mt 23,37 par.; Jak 5,2), sie finden sich auch in Sprichwörtern und paradoxen Aussagen (Mt 7,6; 10,16; 23,24; Lk 17,36b par.; Mk 10,25 par.; I Kor 9,9; I Tim 5,18). Griechisch beeinflußt ist das Bild vom Zügeln der Zunge (Jak 3,3-5). Vergleiche von Tieren mit (Teilen von) Tieren finden sich besonders in der Apokalypse (9,8.17; 13,2). Insgesamt fällt bei der neutestamentlichen Tiersymbolik auf, daß sie alttestamentliche Bildtraditionen fortsetzt. Die psychologisierende Deutung (-»Philo von Alexandrien; s.o. II.2.) tritt zurück. Dafür wird in der einzigen neutestamentlichen Schrift, in der Tiersymbolik tragend wird, in der Johannesapokalypse, die geschichtstheologische Tiersymbolik der jüdischen Apokalyptik weitergeführt. Literatur Georg Glonner, Zur Bildersprache des Johannes v. Patmos. Unters, der Johannesapokalypse anhand einer um Elemente der Bildinterpretation erw. hist.-krit. Methode, 1999 (NTA NF 34). -

542

Tiersymbolik IV

Heinrich Langenberg, Die prophetische Bildsprache der Apokalypse. Erklärung sämtlicher Bilder der Offenbarung, Metzingen o.J. [1951] z 1992. - Hermann v. Lips, Schweine füttert man, Hunde nicht - ein Versuch, das Rätsel v. Matthäus 7,6 zu lösen: Z N W 79 (1988) 1 6 5 - 1 8 6 . - Peter Riede, Art. Schaf: NBL 3 (2001) 4 5 6 - 4 5 9 . - Silvia Schroer, Der Geist, die Weisheit u. die Taube. Feministisch-krit. Exegese eines ntl. Symbols auf dem Hintergrund seiner altorient. u. hell.-frühjüd. Traditionsgesch.: F Z P h T h 33 (1986) 1 9 7 - 2 2 5 . - Werner Straub, Die Bildersprache des Apostels Paulus, Tübingen 1937. - Gerd Theißen, Lokalkolorit u. Zeitgesch. in den Evangelien. Ein Beitr. zur Gesch. der synopt. Tradition, 1989 ( N T O A 8).

Petra von Gemünden

IV. In der Geschichte des Christentums 1. Zum Begriff

1. Zum

2. Zur Forschungslage

3. Mittelalter

4. Neuzeit

(Literatur S. 550)

Begriff

Im folgenden soll der zumindest dem Mittelalter nicht völlig angemessene Begriff „Tiersymbolik" im weitesten Sinne gefaßt werden. Er soll die Verwendung von Tieren als Trägern eines expliziten oder impliziten Symbolgehalts bezeichnen, gleichviel, ob dieser in Gestalt einer Metapher, eines Vergleiches, einer Allegorie oder einer sonstigen rhetorischen Grundform begegnet. Zwischen literarischen und bildlichen Tiersymbolen wird dabei prinzipiell nicht unterschieden. Bei allen Vorbehalten darf man wenigstens in bezug auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit noch Einhorns Ansicht zustimmen, wonach „Wort und Bild im Verhältnis der Wechselwirkung zueinander" stehen und „insgesamt gesehen ... einen einheitlichen Kosmos' der Bedeutungen" (15£.) darstellen. Wichtig ist allerdings, daß das symbolische Tier unzweideutig dem Tierreich zugeordnet wird. Anthropomorphe Tiergestalten bleiben ausgespart. 2. Zur

Forschungslage

In seiner Untersuchung zur geistlichen Tierinterpretation mußte D. Schmidtke 1968 feststellen, daß „die Erschließung der geistlichen Tiersymbolik ..., obgleich es sich dem Ursprung nach um eine literarische Erscheinung handelt, überwiegend im Bereich der Kunstgeschichte erfolgt" sei (Schmidtke, Tierinterpretation 44). Das hat sich ungeachtet weiterer wichtiger kunstgeschichtlicher Studien (Michel, Tiere als Symbol; Hassig; Benton) inzwischen, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Arbeit Schmidtkes, geändert. Im Laufe der letzten dreißig Jahre sind weiterführende literaturwissenschaftliche und vor allem germanistische Studien zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tiersymbolik vorgelegt worden, zum einen Untersuchungen zu tiersymbolischen Texten oder Themenbereichen, die (wie auch Schmidtke) katalogartige Belegsammlungen zu verschiedenen Tieren bieten (Henkel; Lecouteux; Harris, Etymachia), und zum anderen Monographien zu einzelnen Tieren (Ch. Gerhardt, Metamorphosen; Einhorn; Misch). Zusammen mit älteren kunstgeschichtlichen Arbeiten (Debidour; Blankenburg; Evans) und neueren Sammelbänden (Clark/McMunn; Houwen; Flores, Animals) ermöglichen sie einen relativ raschen und zuverlässigen Überblick über die symbolischen Bedeutungen der meisten Tiere während der christlichen Jahrhunderte. Es bestehen zwar weiterhin Forschungsdesiderate: Die frühchristlichen, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theorien der Tiersymbolik sind noch nicht hinlänglich erforscht, wichtige tiersymbolische Schriften (besonders lateinische, wie die unten genannten Sammlungen von Naturexempeln) sind noch nicht ediert, mehrere häufig angeführte Tiere (Bär, Adler, Löwe) harren noch einer angemessenen Behandlung, und vor allem ist die Geschichte der Tiersymbolik nach dem Ende des 17. Jh., falls überhaupt schreibbar, noch keineswegs geschrieben worden. Trotzdem darf die Tiersymbolik im Vergleich zu benachbarten Bereichen wie etwa der -»Pflanzensymbolik als verhältnismäßig gut erschlossen gelten.

3.

Mittelalter

3.1. Autoren und Werke: Ein chronologischer

Überblick

Die Tiersymbolik des christlichen Mittelalters schöpfte vornehmlich aus drei Quellen: der Bibel, dem -*Physiologus sowie der tierallegorischen Theorie und Praxis einzelner Kirchenväter; nachhaltige Wirkung entfalteten dabei vor allem: das Exameron des -»•Ambrosius (CSEL 32/1), die Moralia in Job —»Gregors des Großen (CChr.SL 143.143A.143B) und die Enarrationes in Psalmos des -»Augustin (CChr.SL 38—40). Zudem liegt die von diesem in De doctrina christiana (CChr.SL 32, besonders 8 f.33 f.) entfaltete Zeichentheorie, wonach Naturphänomene als potentiell polyvalente signa translata auf andere, oft höhere Realitäten verweisen können, allen mittelalterlichen Vorstellungen vom „Buch der Natur" zugrunde. Aus patristischer Zeit stammen ferner der Liber formularum spiritalis intelligentiae des -»Eucherius von Lyon und die Etymologiae des -»Isidor von Sevilla. Eucherius' Werk (CSEL 31,3-62) ist das früheste einer Reihe von allegorischen Wörterbüchern, oft distinctiones genannt, welche die verschiedensten uneigentlichen „Bedeutungen" von bestimmten Dingen (einschließlich Naturphänomene) verzeichneten und vor allem Predigern (-»Predigt) bereitstellten. Isidors Etymologiae (ed. Wallace Martin Lindsay, 2 Bde., 1911 [SCBO]) stehen dagegen am Anfang der Tradition der mittelalterlichen Enzyklopädik (-»Enzyklopädie) und erwiesen sich für spätere Autoren besonders dadurch als nützlich, daß sie das naturkundliche Wissen der Antike zusammentragen, zum Teil kommentieren und in leicht überschaubare Bücher gliedern. Isidors Etymologiae weitgehend verpflichtet ist die bedeutendste Naturenzyklopädie der karolingischen Zeit, De universo oder De naturis rerum des -»Hrabanus Maurus (PL 111,9-614). Im Gegensatz zu Isidor, aber spätere Entwicklungen vorwegnehmend, fügt Hrabanus den meisten Tierberichten eine geistliche Deutung bei. Auch die Tradition des Eucherius wurde im 9. Jh. fortgesetzt, vornehmlich durch die besonders häufig aus Augustin und Gregor schöpfende distinctio, die in der Forschung gewöhnlich Clavis genannt wird (SpicSol 2,3 - mit irreführender Datierung!) und von deren insgesamt zehn Büchern zwei den Tieren gewidmet sind. Das 11. und 12. Jh. war die Blütezeit der sog. Bestiarien. Diese Kompendien erwuchsen zumindest mittelbar aus dem Physiologus, gesellten dessen Tierarsenal aber oft eine Reihe von Eigenschaftsberichten und Auslegungen aus anderen Quellen zu. Einige von ihnen, wie die beiden bei Migne wohl fälschlicherweise —»Hugo von St.Viktor zugeschriebenen Bücher De bestiis et aliis rebus (PL 177,9—164), spielten bei der Entwicklung der mittelalterlichen Tiersymbolik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dies gilt besonr ders für die französischen Übertragungen von lateinischen Bestiarien, die um 1120 von Philippe de Thaon (Le bestiaire, ed. Emmanuel Walberg, Lund/Paris 1900) und dann um 1220 von Guillaume le Clerc (Le Bestiaire. Das Thierbuch des normannischen Dichters Guillaume le Clerc, ed. Robert Reinsch, Wiesbaden 1967 [Altfranz. Bibliothek 14]) und von Pierre de Beauvais (Le Bestiaire, ed. Charles Cahier/Arthur Martin, Mélanges d'archéologie, d'histoire et de littérature, Paris, 1/2 1851, 85-100.106-232; 1/2 1853, 203-288; 1/4 1856, 55-87) angefertigt wurden. Die Verfügbarkeit solcher volkssprachlicher Texte ist wohl der Hauptgrund dafür, daß Physiologus-Tieie samt ihren allegorischen Bedeutungen auch in die volkssprachlich-höfische Literatur Eingang fanden. Ein Löwe mit ursprünglich im Physiologus beschriebenen Eigenschaften kommt z.B. in mehreren höfischen Romanen vor - nicht nur im Yvain des Chrétien de Troyes (ca. 1140 - ca. 1190) und im Iwein —»Hartmanns von Aue, sondern auch in weniger bekannten Werken wie der Chevalerie de Judas Macabé und dem Roman de Kanor (s. McMunn) oder dem englischen Romance of Guy ofWarwick (ed. Julius Zupitza, 1875 [EETS.ES 25f.]). Als volkssprachliche Bearbeitung eines Bestiars muß auch das Bestiaire d'amour (ca. 1250, ed. Cesare Segre, Mailand 1957) des Richard de Fournival (1201-1260) erwähnt werden, wohl das erste Werk, das Eigenschaftsberichte aus der Physiologus-Tradition systematisch auf den Bereich der weltlichen Liebe übertrug. Richards Bestiar wurde seinerseits ins Mittelniederfränkische übertragen (s. Holmberg)

544

Tiersymbolik IV

und hatte einen unmittelbaren Einfluß auf spätere minnedidaktische Gedichte wie Le Dit de la panthère d'Amor des Nicole de Margival (ed. Henry A. Todd, Paris 1883) oder den Dit dou lyon des Guillaume de Machaut (Œuvres de Guillaume de Machaut, ed. Ernest Hoepffner, Paris, II 1911,159-237). Im mittelhochdeutschen Raum sind für ihre zum Teil äußerst kreative Verwendung von verschiedenen Tieren aus der Bestiarien-Tradition drei späthöfische Romane hervorzuheben: Albrechts Jüngerer Titurel (vgl. Rausch), der anonyme Reinfried von Braunschweig (vgl. H. Vögel), sowie der Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt (ed. Samuel Singer, 1906 [DTMA 7]). In lateinischer Sprache brachte die Zeit vom Ende des 12. bis zur Mitte des 14. J h . eine Reihe großangelegter Nachschlagewerke hervor. Drei wichtige Gattungen erreichten ihren Höhepunkt. Die einflußreichsten mittelalterlichen distinctiones stammen fast alle aus den Jahrzehnten um 1200. Dies gilt etwa für die Summa quae dicitur Abel des 1197 verstorbenen -»Petrus Cantor (Exzerpte: SpicSol 2,3), die biblisch orientierten Distinctiones dictionum theologicalium des -»Alanus ab Insulis (PL 2 1 0 , 6 8 5 - 1 0 1 2 ) , die vor allem Gregor dem Großen verpflichteten Allegoriae in universam sanctam scripturam (PL 1 1 2 , 8 4 9 - 1 0 8 8 ; Hrabanus Maurus zugeschrieben), sowie das wegen seiner nicht immer überschaubaren Ordnungsprinzipien etwas irreführend betitelte Alphabetum des Petrus von Capua (gest. 1214) (Exzerpte: SpicSol 2,3). Das naturkundliche Wissen der einschlägigen antiken und frühmittelalterlichen Autoritäten wurde dann besonders in der ersten Hälfte des 13. J h . in zum Teil gewaltigen Naturenzyklopädien zusammengetragen und mittels einer reichen Handschriftenüberlieferung Predigern, Autoren und Illustratoren zur Verfügung gestellt. Z u nennen sind das umfangreiche, besonders gründlich auf -»Aristoteles eingehende De animalibus -»Alberts des Großen (ed. Hermann Stadler, 1 9 1 6 - 1 9 2 0 [BGPhMA 15f.]), das noch entschlossener auf Vollständigkeit erpichte Spéculum naturale des -»Vinzenz von Beauvais (Douai 1624 = Graz 1964), sowie die beiden um 1240 fertiggestellten Enzyklopädien Liber de natura rerum des - » T h o m a s von Cantimpré (ed. Helmut Boese, Berlin 1973) und De proprietatibus rerum des Bartholomäus Anglicus (nur in Inkunabeln verfügbar). Besonders T h o m a s und Bartholomäus, die beide mehrfach übersetzt wurden, scheinen auf spätere Autoren einen bemerkenswerten Einfluß ausgeübt zu haben (s. Harris, Etymachia; Rausch). Den mittelbaren Einfluß dieser Enzyklopädien zeigt nicht zuletzt die „neue lexikalisch-tiersymbolische G a t t u n g " (Schmidtke, Tierinterpretation 93) der Naturexempelsammlungen, welche das von Naturenzyklopädien einerseits und distinctiones andererseits aufgestellte Material kombinierten, entwickelten und homiletischen Zwecken dienlich machten. Zwischen 1281 und 1292 verfaßte ein Unbekannter (möglicherweise M a r cus de Orvieto) die nur handschriftlich überlieferte Exempelsammlung Proprietates rerum moralizate, die sieben Bücher der Enzyklopädie des Bartholomäus der Reihe nach bearbeitet und mit zum Teil einfallsreichen Interpretationen versieht. Dem Bartholomäus ebenfalls verpflichtet, aber seine Kapitel nach Auslegungszielen ordnend, verfaßte dann im frühen 14. J h . der Dominikaner Joannes a San Geminiano (gest. nach 1333) seine mehrfach gedruckte Summa de exemplis et rerum similitudinibus locupletissima (Lyon 1585). Schließlich muß das etwa drei Jahrzehnte später mit staunenswerter Akribie und Erfindungskraft kompilierte Reductorium morale (Venedig 1583) des nachweislich mit -»Petrarca befreundeten Petrus Berchorius erwähnt werden, das weitaus mehr Tierinterpretationen unterbringt als jedes andere Werk des abendländischen Mittelalters. Unter den von Berchorius benutzten Quellen ist übrigens der etwas irreführend genannte Physiologus-Exkurs im Renner Hugos von Trimberg zu verzeichnen (ed. Gustav Ehrismann, Tübingen 1 9 0 8 - 1 9 1 1 [Literarischer Verein Stuttgart 247f.252.256] = Berlin 1970), eine weitgehend unabhängige kleine Naturexempelsammlung, die zusammen mit den Werken vieler anderer Dichter (z. B. Frauenlob; Der Marner; Reinmar von Zweter; -»Heinrich von Langenstein; Heinrich von Mügeln [Belege bei Schmidtke, Tierinterpretation; Henkel]) von einer weiterhin regen Beschäftigung mit der tiersymbolischen Tradition in der deutschsprachigen Literatur des Spätmittelalters zeugt.

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Hauptträger dieser Tradition im späten und ausgehenden Mittelalter waren aber Prediger und Kompilatoren von erbaulichen Kurztraktaten. Zu den lateinischen Predigern, die Tiereigenschaften mit bemerkenswerter Häufigkeit interpretieren, gehörten z.B. Armandus de Bellovisu (14.Jh.), Konrad Holtnicker (gest. 1279) und Johannes Gritsch (um 1440) (s. Harris, Etymachia), zu den deutschen Johannes Veghe (ca. 14311504) und vor allem Johannes Geiler von Kaysersberg (Schmidtke, Tierinterpretation 182-186), der allegorische Tiere sogar als Ausgangspunkt von Predigtzyklen benutzte. Der weitaus einflußreichste spätmittelalterliche Tiertraktat aber war die sog. Etymachia, die Tiere und andere Naturphänomene systematisch mit den sieben Todsünden und sieben Tugenden vergleicht. Dieser Traktat wurde im 15. Jh. viermal ins Deutsche übersetzt und stiftete zudem eine bildliche Tradition, deren bekanntester Vertreter wohl der um 1400 gewirkte Tugenden- und Laster-Teppich des Regensburger Rathauses ist (s. von der Leyen/Spamer), die aber etwa in der Form von Kupferstichen des Heinrich Aldegrever (1502-1555/61) weit ins 16. Jh. hineinreichen sollte. Nicht zuletzt an der Wirkungsgeschichte der Etymachia läßt sich im Spätmittelalter eine verstärkte Komprimierung und Visualisierung der tiersymbolischen Tradition bemerken. Beide sind Tendenzen, die sich dann im 16. Jh. durch die Entwicklung der Emblematik (-»Emblem/ Emblematik) besonders stark ausprägen sollten. 3.2. Bevorzugte

Tierarten und

-eigenschaften

Biblische Tiere sind erwartungsgemäß in der symbolischen Fauna der christlichen Jahrhunderte besonders häufig vertreten. Oft wurden die betreffenden Bibelstellen schon von Kirchenvätern auf einen geistlichen Sinn hin interpretiert, und die dabei hergestellte Beziehung von Eigenschaft und Deutung blieb bis zum Ende des Mittelalters weithin geläufig. Beispiele hierfür wären die in Cant 2,14 geschilderte Angewohnheit der Taube, in Felslöchcrn zu wohnen, welche zunächst bei Gregor dem Großen und anschließend von mehreren mittelalterlichen Autoren auf die in Christi Wunden nistende Seele bezogen wurde (PL 79,499), oder die in Mt 2 1 , 1 - 7 begegnende Eselin mit Füllen, die von Augustin (tract. ev. Jo. 51,5: CChr.SL 36,441), Hieronymus (Matt. III ad 21,2: CChr.SL 77,182) und etlichen Nachfolgern als Juden bzw. Heiden interpretiert wurden. In anderen Fällen wurden Auslegungen von biblischen Tieren erst durch den Einfluß einer frühmittelalterlichen auctoritas kanonisch. Die Verbindung des Hasen, der seine Ruhestätte im Fels errichtet (Prov 30,26), mit dem andächtigen Christen ist z.B. erstmals bei Hrabanus Maurus (PL 111,205), aber danach häufig belegt. Besonderer und andauernder Beliebtheit erfreuten sich auch einige, wenn auch keineswegs alle Tiereigenschaften und -deutungen des Physiologus. Das grimmige Einhorn, das sich nur von einer Jungfrau fangen läßt, der Pelikan, der seine toten Jungen mit dem eigenen Herzblut wiederbelebt, der alte Phönix, der sich im Feuer verbrennt, damit ein neuer entstehen kann - diese Tiertypen und andere aus dem Physiologus gehörten jahrhundertelang zum Gemeingut westlicher Kultur und wurden immer wieder mit ihren ursprünglichen Deutungen (auf Christi Geburt, Opfertod und Auferstehung) in Zusammenhang gebracht. Die mittelalterliche Rezeption des Physiologus war aber keine ausschließlich konservative, sondern in vieler Hinsicht eine ausgesprochen kreative, insofern als seine Eigenschaftsberichte oft variiert, zusammengefaßt oder erweitert und seine Moralisierungen oft radikal verändert wurden (Gerhardt, Metamorphosen; Harris, Panther). Es ließe sich verallgemeinernd sagen, daß etwa bis zur Entstehungszeit der großen Enzyklopädien und Naturexempelsammlungen das zu symbolischen Zwecken benutzte Tierarsenal fast ausschließlich aus Tierarten bestand, die entweder in der Bibel oder im Physiologus Erwähnung gefunden hatten oder die im Abendland sowieso heimisch waren - wobei hinzugefügt werden muß, daß vertraute (und deswegen auch vielleicht wirkungsvoller zu personifizierende) Tiere wie Fuchs, Wolf oder Bär vor allem in Fabeln und Tierepen auftraten, während sich theologisch oder naturkundlich gelehrte Autoren

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tendenziell eher für exotische Tiere interessierten. Im 13. und 14. Jh. gaben aber dann die neuen, umfangreichen Tierbücher Auskunft über sehr viele Tiere, die bisher entweder völlig unbekannt oder seit der Antike in Vergessenheit geraten waren, und viele von den in diesen Büchern neu beschriebenen Eigenschaften wurden binnen kurzem von geistlichen Autoren mit allegorischen Deutungen versehen. Besonders schöpferisch in dieser Hinsicht waren die auf Bartholomäus Anglicus zurückgehenden Naturexempelsammlungen, aber auch zwei Werke aus dem 14. Jh., die auf Thomas von Cantimpre fußten: Konrads von Megenberg Das Buch der Natur (ed. Franz Pfeiffer, Stuttgart 1861 = Hildesheim 1971), eine hochdeutsche Übertragung des De natura rerum, sowie die ursprünglich lateinische Etymachia. Konrad lieferte z. B. Interpretationen von dem Fisch Afforus, dem Säugetier Guessides oder dem Vogel Porphirio, während der Autor der Etymachia etwa den Orix auf avaritia, den Orasius auf Caritas oder den Pathio auf gula bezog. Deutungen von solch obskuren Tieren blieben in den allermeisten Fällen ohne jeglichen Einfluß. Diese Sachlage hängt zweifellos nicht zuletzt mit der Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit zusammen, sonst völlig unbekannte Tiere auf sinnvolle oder nutzbringende Weise zu illustrieren - z. B. ging mit der oben erwähnten Visualisierung der Etymachia-Tradition die Tendenz einher, leichter identifizierbare Tiere als Embleme der Tugenden und Laster zu verwenden. In sämtlichen späteren, vornehmlich auf Bildern basierenden Vertretern dieser Tradition werden dementsprechend das Dromedar durch ein Pferd, die Sirene durch ein Schwein und das Kamel durch einen Eber ersetzt. 3.3. Bedeutungen

und

Auslegungsziele

Im Physiologus und (wenn auch schon in geringerem Maße) bei den Kirchenvätern und in den distinctiones werden die beschriebenen Tiere durchweg in heilsgeschichtlichem Sinne interpretiert. Schon in karolingischer Zeit hat es natürlich Ausnahmen gegeben: Zum Beispiel assoziiert Hrabanus Maurus in De Universo den Adler und den Phoenix nicht nur mit Christus, sondern auch mit irdischen Mächten bzw. gläubigen Christen (PL 111,243 —244.246). Erst im 13. Jh. wurde mit der Palette von Tieren auch die ihrer geistlichen Deutung beträchtlich erweitert. Eine wesentliche Rolle spielte hierbei das IV. Lateran-Konzil vom Jahre 1215 (—•Lateransynoden), das zu einer regelrechten Flut von neuen moraltheologischen Schriften führte. In solchen Werken wurden Tiere sehr häufig dazu verwendet, gewöhnliche Christen bzw. deren Tugenden, Laster, lobenswertes oder sündhaftes Verhalten zu veranschaulichen. Im Spätmittelalter wurde z. B. der Löwe nicht mehr nur mit Christus oder dem -»Teufel, sondern auch mit allen Todsünden und den entgegengesetzten Tugenden, mit guten und schlechten Menschen, mit Heiligen und Ketzern in Verbindung gebracht. Spätestens seit dem 12. Jh. tragen ursprünglich geistliche Tiersymbole aber auch durchaus profane Bedeutungen. Diese kamen nicht nur in der höfischen Literatur, sondern auch in der politischen und satirischen Dichtung zum Vorschein. Es gab beispielsweise in -»England eine lange literarische Tradition, in der Tiere als Symbole von politisch wichtigen Akteuren oder Konzepten verwendet werden. Zu dieser Tradition gehörten u.a. das VII. Buch der Historia regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth (s. Curley), das auf König Richard II. (1367-1400) anspielende Gedicht Richard the Redeless (ed. Walter W. Skeat, London 1921) und verschiedene satirische Balladen aus der Zeit der Rosenkriege (ed. Thomas Wright, Political Poems and Songs relating to English History, 2 Bde., 1859-1861 [RBMAS 14/lf.]). Erst in der frühen Neuzeit kam es aber zu einer weitgehenden Säkularisierung der Tiersymbolik. Sie verlief langsam und zögerlich, scheint aber um 1600 ziemlich weit vorangeschritten zu sein. Als Paradebeispiel dafür darf der Panther dienen, der im Physiologus wegen seines süßen Atems auf Christus gedeutet, in der mittelhochdeutschen Literatur dann auch auf die irdische Geliebte, auf Ketzer oder auf einen freigebigen Gönner bezogen, in den einschlägigen Emblembüchern aber ausschließlich mit weltlichen

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Vorstellungen wie „Untergang durch Ausschweifungen", „Gefährdung durch Schönheit", „flüchtige Gelegenheit" oder „unersättlicher Tyrann" assoziiert wurde (Harris, Panther; Henkel/Schöne 404-407). 3.4. Grundsätzliche

Polyvalenz

und „natürliche"

Symbolik

Im Prinzip waren, vor allem im Mittelalter, alle Dinge polyvalent. Es war also theoretisch möglich, daß ein Tier ein grenzenloses Spektrum von symbolischen Bedeutungen hatte. Und dieses Spektrum war vielfach auch in der Praxis erstaunlich breit. Bei aller Bedeutungspluralität sind aber von den frühen christlichen Jahrhunderten an Tendenzen zu bemerken, bestimmte Tiere vornehmlich mit bestimmten Bedeutungen zu verbinden. Einige Tiere wurden fast immer als Symbole in bonarn partem benutzt, beispielsweise der Elefant, der Caladrius, der Hirsch, die Nachtigall, der Schwan, der Pelikan oder der Phönix. Andererseits wurden etwa der Drache, die Schlange, der Basilisk, der Wolf, die Fledermaus und der Fuchs fast durchweg in malam partem gedeutet. Die Prädominanz von positiven oder negativen Bedeutungen wie auch die symbolische Ambivalenz von bestimmten Tierarten (beispielsweise vom Löwen [vgl. Apk 5,5; I Petr 5,8] oder vom Raben [vgl. Gen 8,6f.; Lev 11,15; I Reg 17,4-6]) ist in manchen Fällen selbstverständlich auf die Bibel zurückzuführen. Mitgeschwungen hat aber wohl schon im Mittelalter die Vorstellung von einer gewissen „natürlichen" Symbolik. Die Tatsache, daß Vogelarten tendenziell positive, Schlangenarten, Raubtieren und anderen für häßlich gehaltenen Tieren dagegen tendenziell negative Bedeutungen beigemessen wurden, oder daß große und eindrucksvolle Tiere (Löwe, Bär, Adler) häufig als Christusoder Teufelssymbole fungierten, während kleinere, anscheinend weniger signifikante Tiere (Maulwurf, Biene, Frosch) in der Regel eher mit Menschen und deren Eigenschaften verglichen wurden, ist wohl wenigstens zum Teil auf intuitive psychologische Reflexe zurückzuführen. Die Vorstellung von einer gewissen „Wesenssymbolik" der betreffenden Tiere drückt sich auch in der mittelalterlichen Heraldik aus, in der starke, grimmige oder auch für edel gehaltene Tiere vorzugsweise vorkommen (s. Scheibelreiter). 4.

Neuzeit

Alle gängigen mittelalterlichen Vorstellungen der Tiersymbolik fußten im Grunde auf Denkprozessen, die man heute als „vorwissenschaftlich" einstufen würde. Es darf also nicht verwundern, daß solche Denkprozesse schon im 16. Jh. anfingen, ihre vorher relativ selten angezweifelte Gültigkeit und Gewichtigkeit zu verlieren. Dies gilt für den Begriff des „Buches der N a t u r " , für die -»Schriftauslegung nach dem Prinzip des vierfachen Schriftsinns, f ü r die häufig noch unkritische Befragung von auctoritates, sowie für das den mittelalterlichen Denkschemen zugrundeliegende Postulat einer tiefen qualitativen Kluft zwischen der menschlichen und der tierischen Natur. Die im 16. Jh. einsetzende kritische Infragestellung dieser Traditionen umfaßte solch scheinbar verschiedenartige Entwicklungen wie M . -»Luthers Beharren auf dem Literalsinn der Bibel, die noch etwas zaghafte Anwendung einer „moderneren" naturwissenschaftlichen Methode in den Schriften etwa des Ulisse Aldrovandi (1522-1605?) oder die Vorstellungen der französischen theriophilistes um M.E. de -»Montaigne, daß die Tiere nicht nur „confreres et compagnons" der Menschen seien, sondern auch das Potential hätten, über die Begrenztheit der menschlichen Natur hinauszusteigen (s. Boas). Trotzdem war es etlichen mittelalterlichen Tiersymbolen beschieden, noch in der frühen Neuzeit einen erheblichen Einfluß auszuüben: M a n denke nur an die überaus zahlreichen rhetorischen Figuren und Anspielungen bei J. -»Milton (s. Banks), bei Martin Opitz (1597-1639) (s. Fox) und nicht zuletzt bei W. -»Shakespeare (z.B. seine Verwendung des Pelikan [King Lear III,iv,68ff.; Hamlet IV,v,145ff.; Richard II II,i,125ff.] oder Basilisken [Cymbeline II,iv,106ff.; Richard III I,ii,148ff.]). Vor allem lebte die mittelalterliche Tiersymbolik aber in den sog. Emblembüchern weiter. Fast alle Emblematisten des 16. und 17. Jh. beschäftigten sich zumindest gelegentlich mit Tieren, besonders

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reich an tiersymbolischen Emblemen sind aber drei von den vier sog. Centuriae des Joachim Camerarius (1534—1598) (Symbolorum et emblematutn centuriae tres, Heidelberg 1605), die Vierfüßler (Buch II, 1595), Vögel und Insekten (Buch III, 1596) und Wasser- und Kriechtiere (Buch IV, 1604) behandeln. Charakteristisch für Camerarius sowie für die anderen Verfasser von Emblembüchern, die sich eingehend mit Tieren beschäftigen (wie etwa Jacob Cats [1577-1660]), ist ihre Nutzung einer besonders bunten Palette von frühchristlichen, mittelalterlichen und auch antiken Quellen (s. Henkel/Schöne). Trotz solcher Zeichen des produktiven Weiterlebens im 16. und 17. Jh. konnten die meisten mittelalterlichen tiersymbolischen Traditionen die philosophischen und naturwissenschaftlichen Umbrüche des 18. und 19. Jh. aber nicht mehr überleben. Im Lichte der von den philosophes angekündigten und in der Entwicklungstheorie Ch. -»Darwins kulminierenden Vorstellung von Menschen und Tieren als engverwandten Gliedern einer kontinuierlichen Abfolge von Lebewesen schienen althergebrachte Formen der Symbolik wohl zunehmend jeglicher ernstzunehmenden Grundlage zu entbehren. Von dem mittelalterlichen Gedanken, daß Gott das Tierreich vornehmlich geschaffen habe, um die Menschheit über sein Wesen und Treiben zu informieren, ist A. Schopenhauers Ansicht, daß „das Tier im wesentlichen dasselbe wie der Mensch" sei (Paralipomena, Berlin 1851, § 177), essentiell verschieden. In einem solchen Kontext starben sehr viele mittelalterliche tiersymbolische Traditionen zwangsläufig aus, und sie wurden in der Regel durch keine neuen ersetzt. Infolgedessen sind in bezug auf die Tiersymbolik der Neuzeit Verallgemeinerungen jeder Art, wie unvermeidlich sie in einem Artikel wie dem vorliegenden auch sein mögen, stets mit äußerster Vorsicht zu genießen. Von dem oben beschriebenen philosophischen Paradigmawechsel war nicht zuletzt die Tiermalerei betroffen. Man darf behaupten, daß spätestens seit dem Zeitalter der Emblembücher die Verwendung von Tieren als Symbole bei vielen Künstlern einem (oft naturwissenschaftlich orientierten) Interesse für Tiere an sich gewichen ist, das zur Herstellung von unzähligen Tierporträts mit unterschiedlicher Naturnähe geführt hat. Diese Tradition reicht zwar bis zu A. -»Dürer und seinen Löwen-, Hasen- oder Walroß-Zeichnungen zurück, erreichte aber erst im 19. Jh. mit dem Hervortreten von spezialisierten Tiermalern wie George Stubbs (1724—1806) oder Edwin Landseer (1802-1873) ihren Höhepunkt. Auch die meisten Bildhauer interessierten sich schon von der frühen Neuzeit an gewöhnlich mehr für die Körperlichkeit der Tiere als für ihre möglichen symbolischen Bedeutungen - noch ein Trend, der im 19. Jh. gipfelte, am markantesten vielleicht in den Werken der französischen animaliers (s. Mackay). Damit will natürlich nicht besagt werden, daß Tiersymbole unter den Künstlern der Moderne nicht vorkommen. Im Gegenteil: Schon unter den unzähligen Bildern, die Jagdoder Rennsportszenen darstellen, merkt man gelegentlich Spuren auch von älteren tiersymbolischen Traditionen, z. B. im Gemälde The Race Track von Albert Pinkham Ryder (1847-1917) (Cleveland, Oh., Museum of Art), das leicht wahrnehmbare Assoziationen sowohl mit dem weißen Todespferd der Offenbarung als auch mit der Schlange des Paradieses hervorruft. Älteren tiersymbolischen Traditionen verpflichtet sind naturgemäß auch viele Bilder, die im 19. Jh. von bewußt rückblickenden Künstlergruppen wie den deutschen Lukasbrüdern (bzw. Nazarenen) oder den englischen Präraffaeliten gemalt wurden. Man denke etwa an den Falken und die Katze in Friedrich Johann Overbecks (1789-1869) Der Maler Franz Pforr (Berlin, Nationalgalerie) oder an William Holman Hunts (1827-1910) Der Sündenbock (Port Sunlight, Lady Lever Art Gallery). Außerdem zeigte sich noch im 20. Jh. etwa Marc Chagall (1887-1985) von der biblischen-mittelalterlichen Tiersymbolik zutiefst beeinflußt, z.B in seiner Darstellung vom Ochsen in der säkularisierten Krippenszene Die Geburt (1910; Zürich, Kunsthaus), oder von den in Jes 11,6 beschriebenen Tieren, die in seinem wesentlich späteren Buntglasfenster Frieden (1964; New York, United Nations Secretariat Building) vorkommen. In der deutschen Kunst des 20. Jh. war die Tiersymbolik vor allem in der 1911 in München von Vassily Kandinsky (1866-1944) und Franz Marc (1880-1916) gegründeten

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Bewegung „Der Blaue Reiter" von ausschlaggebender Wichtigkeit (s. Zweite). War Kandinsky in erster Linie von dem zu Pferde reitenden und drachentötenden St. Georg fasziniert, den er insgesamt sechsmal darstellte und als eine Art Symbol für die von dem „Blauen Reiter" angestrebte geistige Erneuerung betrachtete, widmete sich M a r c mit als pantheistisch einzustufender religiöser Begeisterung fast ausschließlich der Darstellung von Tieren, denen seiner Meinung nach eine natürliche Unschuld und Reinheit innewohnte, die er im oberflächlichen Materialismus seiner Zeitgenossen schmerzlich vermißte. Marcs Vorstellung von Tieren als (im Gegensatz zum Menschen) vom Schöpfer und seiner Schöpfung noch nicht entfremdeten Wesen sollte später in der Nachkriegskunst auf Joseph Beuys (1912-1986) einen bemerkenswerten Einfluß ausüben. In der modernen Literatur haben symbolische Tiere die verschiedensten Rollen gespielt. Vor allem in der Lyrik sind sie häufig mit dem Dichter selbst, oder zumindest mit dessen poetischen Ich, in Verbindung gebracht worden. Bei den englischen Romantikern (etwa William Wordsworth [1770-1850], John Keats [1795-1821], Percy Bysshe Shelley [1792-1822]) werden das Streben und die Kreativität des Poeten vielfach mit Vögeln wie der Lerche, der Nachtigall oder dem Adler assoziiert, während Alfred de Musset (1810-1857) in seiner Nuit de mai den nötigen Stoizismus des Dichters sowohl durch den Pelikan als auch durch den Wolf versinnbildlicht (Rowland, Animais 100 f. 132; Lau). In der modernen deutschen Lyrik tritt nicht zuletzt bei Dichterinnen eine oft enge Identifizierung mit Tieren und deren Schicksalen hervor. Dies gilt z. B. für Gertrud Kolmar (1894-1943?), u.a. im Gedichtband Die Frau und die Tiere (1938), sowie in der Nachkriegszeit für Sarah Kirschs (geb. 1935) Sammlung Katzenleben (s. Cosentino, Katze). In beiden Bänden werden Sexualität, Einfühlungsvermögen und gesellschaftliche Stellung der jeweiligen Autorin immer wieder implizit mit symbolischen Tieren in Verbindung gebracht. Natürlich können Tiere auch als Kontrastfiguren zum dichterischen Ich fungieren, wie dies in The Darkling Thrush von Thomas Hardy (1840-1928) der Fall ist, in dem der Dichter seine Unfähigkeit äußert, die vom alten Drossel ausgedrückte Hoffnung nachzuvollziehen. Ferner erwiesen sich Tiersymbole, vor allem vielleicht im 19. Jh., zur Charakterisierung von Einzelpersonen als äußerst dienlich. M a n denke an die Verwendung von Tierbildern bei der Darstellung von Marie und vom Tambourmajor in Georg Büchners (1813-1837) Woyzeck, von Quasimodo in Victor Hugos (1802-1885) Notre Dame de Paris oder von unzähligen Personen in den Romanen von Charles Dickens (1812-1870; am konsequentesten vielleicht in Bleak House). Außerdem wurde in den großen Romanzyklen des 19. Jh. Tiersymbolik vielfach systematisch eingesetzt, um wiederkehrende Charakteristika einer ganzen Gesellschaft zu veranschaulichen. Das beste Beispiel hierfür ist wohl Honoré de Balzacs (1799-1850) schon im Prolog zu seiner Comédie humaine angekündigter und vor allem mittels vieler Anspielungen auf Wiederkäuer und Raubtiere durchgesetzter Versuch, die menschliche Gesellschaft nach dem Vorbild eines zoologischen Systems darzustellen. Bei Balzac wie bei vielen anderen Autoren des 19. Jh. kommt der Tiersymbolik vor allem die Aufgabe zu, das Primitive, Aggressive, Amorale in ihren Personen ans Licht zu bringen. Wie Gaede (56) es ausdrückt, ist „das Scheitern des naturverfallenen Menschen ... eines der großen Themen der Literatur des 19. Jh. und das Tier das Mittel, diesen Vorgang deutlich zu machen" - eine These, die er mit Hinweisen auf Büchner, Annette v. Droste-Hülshoff (1797-1848), Theodor Storm (1817-1888) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) auf überzeugende Weise untermauert. Im Gegensatz dazu haben aber viele Autoren, in Deutschland wohl besonders diejenigen, die unter dem Einfluß F.W. -»Nietzsches standen, Tiere und tierisches Verhalten instrumentalisiert, um durchaus positive und nachahmenswerte Eigenschaften zu suggerieren. Der Philosoph meinte ja nicht nur, daß „wir den Menschen nicht mehr vom ,Geist', von der ,Gottheit' ab[leiten], wir haben ihn unter die Tiere zurückgestellt" (Der Antichrist, Leipzig 1895, § 14), sondern daß diese „Zurückstellung unter die Tiere" zu

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einer Neugeburt des Menschen und damit zu bisher ungeahnten Möglichkeiten für die Zukunft führen könne (s. Reed). Schon für Gustave Flaubert (1821 — 1880) hatte das Tierische gelegentlich positive Untertöne gehabt: Sein Terminus bêtise bezeichnet nicht die unbeholfene bäuerische Beschränktheit der comices agricoles in Madame Bovary, sondern auch die gutmütige, anspruchslos-zufriedene Einfachheit der Félicité in Un Cœur simple (s. Clarke). Und für eine Reihe von späteren deutschen Dichtern wie R. M. -•Rilke, Georg Trakl (1887-1914) oder Gottfried Benn (1886-1956) verkörpert das Tier (wie auch bei Franz Marc) eine vom modernen Menschen verlorene, aber durchaus herbeizuwünschende Naturunmittelbarkeit, die es als der „Repräsentant des reinen Lebens" (Fingerhut 13) erscheinen ließ. Als „Orientierungspunkt einer Bewußtwerdung" (Cosentino, Tierbilder 9) spielte das Tier somit vor allem im Expressionismus eine wesentliche Rolle, sprach Theodor Däubler (1876-1934) doch davon, daß „die Rückkehr zum Tier durch die Kunst... unsere Entscheidung zum Expressionismus" sei (Der neue Standpunkt, Leipzig 1919, 100). Seit dem Barockzeitalter (-»Barock) ist die Tiersymbolik in Literatur und Kunst also stets wichtig geblieben, wenngleich die allermeisten ihrer Erscheinungen keinen direkten Einfluß von den oben skizzierten mittelalterlichen Traditionen aufzeigen. Trotzdem sind Spuren dieser Traditionen durch die Neuzeit hindurch immer wieder aufgetreten. Was die Theorie der Symbolik betrifft, erinnert etwa Hofmannsthals Definition von Symbolen als „eigentliche Hieroglyphen..., lebendige geheimnisvolle Chiffren, mit denen Gott unaussprechliche Dinge in die Welt geschrieben hat" (Prosa, ed. Herbert Steiner, 4 Bde., Frankfurt a.M., II 1951, 81), bei aller Betonung des Geheimnisvollen und an anderen Stellen auch des Individuell-Mystischen doch unübersehbar an die alte Vorstellung von der Natur als von Gott verfaßtem Buch. Auch sind einzelne Motive der mittelalterlichen Tiersymbolik vielfach wiederverwertet worden. Hofmannsthals Darstellung des Greifen oder des Basilisken in Das kleine Welttheater (Frink 225 -229), Stefan Heyms (geb. 1913) Anspielungen auf Greifen in Die Züge und Der Wald (Cosentino, Tierbilder 70f.), René Schickeies (1883-1940) Hinweise auf den Pelikan, den Schwan und das Lamm in Der Papst (ebd. 122f.), oder Heinrich Bolls (1917-1985) klare Unterscheidung zwischen Büffeln und Lämmern in der deutschen Nachkriegsgesellschaft (Butler 121-124) wären ohne eine gewisse Kenntnis der mittelalterlichen Symbolik von Seiten des Autors und wohl auch des vorgesehenen Rezipienten kaum denkbar gewesen. Das Gleiche gilt für Romane wie Sean O'Caseys (1880-1964) ]uno and the Paycock und Vladimir Nabokovs (1899—1977) The Real Life of Sebastian Knight (s. Morgan), für Bronzen wie Antoine Louis Baryes (1796-1875) Lion et serpent (Paris, Tuileries) sowie für die von Kochan zusammengestellten Varianten der alten Geschichte vom Einhorn und von der Jungfrau (bei Rilke; Kolmar; Irmtraud Morgner [1933-1990]; Heimito von Doderer [1896-1966] und Martin Walser [geb. 1927]). Und wer heute noch von Adleraugen, einem Basiliskenblick oder dem Löwenanteil spricht, oder aber von einem Phönix, der aus der Asche aufsteigt, zeugt wahrscheinlich völlig unbewußt von der Zählebigkeit eines oft als schablonenhaft abqualifizierten Kulturphänomens. Literatur 1. Im Artikel erwähnte Arbeiten: Theodore Howard Banks, Milton's Imagery, New York 1950. - Janetta Rebold Benton, The Medieval Menagerie. Animais in the Art of the Middle Ages, New York 1992. - Wera v. Blankenburg, Hl. u. dämonische Tiere. Die Symbolsprache der dt. Ornamentik im frühen MA, Leipzig 1943. - George Boas, The Happy Beast in French Thought of the Seventeenth Century, New York 1966. - Michael Butler (Hg.), The Narrative Fiction of Heinrich Boll, Cambridge 1994. - Willene B. Clark/Meradith T. McMunn (Hg.), Beasts and Birds of the Middle Ages. The Bestiary and its Legacy, Philadelphia, Pa. 1989. - Jancis Louise Clarke, Animais and Animai Imagery in the Works of Gustave Flaubert, Diss.masch. Oxford 1978. - Christine Cosentino, Tierbilder in der Lyrik des Expressionismus, 1972 (AKML 119). - Dies., „Seßhafte Ambulanz". Zum Bild der Katze in Sarah Kirschs Lyrikband „Katzenleben": Germanie Notes 16 (1985) 7 - 1 1 . -Michael J. Curley, Animai Symbolism in the Prophecies of Merlin: Clark/McMunn (s.o.) 151-163.

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Allegorese, München 1989 (KGF 11). - Florence McCulloch, Mediaeval Latin and French Bestiaries, Chapel Hill, N.C. 1960. - Paul Michel (Hg.), Tiersymbolik, 1991 (SSF 7). - Ulrich Müller/Werner Wunderlich (Hg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen, St. Gallen 1999 (MA-Mythen 2). - Ann Payne, Medieval Animals, London 1990. - Beryl Rowland, Animals with Human Faces. A Guide to Animal Symbolism, Knoxville, Tenn. 1973. Joyce E. Salisbury (Hg.), The Medieval World of Nature, New York 1993. - Heinrich Schmidt/ Margarethe Schmidt, Die vergessene Bildersprache christl. Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- u. Mariensymbolik, München 1981. - Dietrich Schmidtke, Lastervögelserien. Ein Beitr. zur spätma. Tiersymbolik: ASNS 212 (1975) 241-264. - Malcolm South (Hg.), Mythical and Fabulous Creatures. A Source Book and Research Guide, New York/London 1987. - Jacques Voisenet, Bestiaire chrétien. L'Imagerie animale des auteurs du haut moyen âge (Ve-XIe. s.), Toulouse 1994.

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Tiersymbolik IV

3. Arbeiten zu einzelnen Tieren: Adler: Liselotte Wehrhahn-Stauch, „Aquila-Resurrectio': Z K W 21 (1967) 105-127. - Affe: Dieter Beyerle, Affe, N u ß u. ewige Seligkeit in der ma. Lit.: VB i (1984) 8 9 - 9 9 . - Horst Woldemar Janson, Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renassance, 1952 (SWI 20). - Aspis: Florence McCulloch, The Metamorphoses of the Asp in Latin andFrench Bestiaries: SP 56 (1959) 7 - 1 3 . - Ute Schwab, Die Bedeutungen der Aspis u. die Verwandlungen des Marsus: Gabriel Bianciotto (s.o. 2.) 549-563. - Basilisk: Laurence A. Breiner, The lasilisk: Malcolm South (s.o. 2.) 113-122. - Marianne Sammer, Basilisk - regulus. Eine bedeutungsgesch. Skizze: Müller/Wunderlich (s.o. 2.) 135-160. - Biene: Waldemar Deonna, L'Abeille et le roi: RBAHA 25 (1956) 105-131. - Manfred Misch (s.o. 1.). - Jürgen Stackelberg, Das Sienengleichnis: RomF 68 (1956) 271-293. - Büffel: Lynn White, Jr., Indic Elements in the Iconcgraphy of Petrarch's „Trionfo della morte": Spec. 49 (1974) 201-221. - Caladrius: George C. Dru:e, The Caladrius and its Legend: AJ 69 (1912) 381-416. - Distelfink: Herbert Friedmann, The Sjmbolic Goldfinch. Its History and its Significance in European Devotional Art, Washington, D.C. 1946 (BollS 7). - Drache: Judy Allen/Jeanne Griffiths, The Book of the Dragon, London 1979. - Jonathan D. Evans, The Dragon: Malcolm South (s.o. 2.) 2 7 - 5 8 . - Joyce Tally Lionarons, The Medieval Dragon.The Nature of the Beast in Germanic Literature, Enfield Lock 1998. - Winder McConnell, Mythos Drache: Müller/Wunderlich (s.o. 2.) 171-183. - Eale: George C. Druce, Notes on the Heraldic Jail or Yale: AJ 68 (1911) 173-199. - EberISchwein: Wilfried Schouwink, D a wilde Eber in Gottes Weinberg. Z u r Darst. des Schweines in Lit. u. Kunst des MA, Sigmaringei 1985. - Klaus Speckenbach, Der Eber in der dt. Lit. des MA.: Verbum et Signum. FS Friedricl Ohly, hg. v. Hans Fromm, 2 Bde., München, I 1975, 425 - 476. - Einhorn: Rüdiger Robert Beer, Enhorn. Fabel u. Wirklichkeit, München 1972. - Jürgen W. Einhorn (s.o. 1.). - Nancy Hathawiy, The Unicorn, New York 1980. - Jochen Hörisch, Der Wandel des Einhorns: Müller/Wunderlth (s.o. 2.) 205-228. - Malcolm South, The Unicorn: ders. (s.o. 2.) 5 - 2 6 . - Eisvogel: Wolfgang Harms, Der Eisvogel u. die halkyonischen Tage: Verbum et Signum (s.o. bei Eber) I, 477-515. - ilefant: David F. Bright/Barbara C. Bowen, Emblems, Elephants, and Alexander: SP 80 (1983) 14-24. George C. Druce, The Elephant in Medieval Legend and Art: AJ 76 (1919) 1 - 7 3 . - Nona C. Flores, The Mirror of Nature Distorted. The Medieval Artist's Dilemma in Depicting Animals: Joyce E. Salisbury (s.o. 2.) 3 - 4 5 . - Arthur T h o m a s Hatto, The Elephants in the „Strassbuig Alexander": London Mediaeval Studies 1 (1939) 399-423. - William S. Heckscher, Bernini's Eephant and Obelisk: ArtB 29 (1947) 155-182. - Esel: Gerd Heinz-Mohr, Gott liebt die Esel, S:uttgart 1978. - Martin Vogel, „ O n o s lyra". Der Esel mit der Leier, 2 Bde., Düsseldorf 1973 (Orpheus 13-14). - Fledermaus: Paul Wirz, Über die Bedeutung der Fledermaus in Kunst, Religion t. Aberglauben der Völker: Geographica Helvetica 3 (1948) 267-278. - Fuchs: Kenneth Varty, Renard the Fox. A Study of the Fox in Medieval European Literature, Leicester 1967. - Geier: Christoph Gerhardt, Arznei u. Symbol. Bemerkungen zum altdt. Geiertraktat mit einem Ausblick auf das Pelikanexempel: Harms/Reinitzer (s.o. 2.) 109-182. - Greif: Waltraud Barscht, The Griffn: Malcolm South (s.o. 2.) 8 5 - 1 0 1 . - Winder McConnell, Mythos Greif: Müller/Wunderlich s.o. 2.) 267 - 2 8 6 . - Ingeborg Wegner, Stud, zur Ikonographie des Greifen im MA, Leipzig 1928. - Hahn: Sterling Adolph Callisen, The Iconography of the Cock on the Column: ArtB 21 (1939) l i l - 1 7 8 . - Harpyie: Sieglinde H a r t m a n n , Harpyie: Müller/Wunderlich (s.o. 2.) 287-318. - Beryl Rowland, Harpies: Malcolm South (s.o. 2.) 155-161. - Hase: Johannes B. Bauer, „Lepusculus djmini": Z K T h 79 (1957) 457-466. - Hirsch: Herbert Kolb, Der Hirsch, der Schlangen frißt: Medaevalia litteraria. FS Helmut De Boor, hg. v. Ursula Hennig/Berbert Kolb, München 1971, 583-610. Genevieve Pichon/Jean Dufournet, Le Cerf dans les exempla: Revue des Langues Rommes 98 (1994) 311-320. - Hund: Christoph Gerhardt, Der H u n d , der Eidechsen, Schlangen u. Kröten verbellt: WJKG 38 (1985) 115-132.291-294. - Louise Gnädinger, Hiudan u. Petitcreiu. Gestalt u. Figur des Hundes in der ma. Tristandichtung, Zürich 1971. - Vital Huhn, Löwe u. H i n d als Symbole des Rechts: MFJG 7 (1955) 1 - 6 3 . - Igel: Christoph Gerhardt, Kröte u. Igel in scawankhafter Lit.: Medizinhist. Journal 16 (1981) 340-357. - Kröte: Mary E. Robbins, The Tiuculent Toad in the Middle Ages: Nona C. Flores (s.o. 1.) 25 - 4 7 . - Adrian P. Tudor, T h e Medievd Toad. Demonic Punishment or Heavenly Warning: French Studies Bulletin 59 (1996) 7 - 1 1 (s. auih Igel). - Lamm: Franz Nikolasch, Das Lamm als Christussymbol in den Sehr, der Väter, 1963 (WBTh 3). - Lerche: Verena Doebele-Flügel, Die Lerche. Motivgesch. Unters, zur dt. Lit., insbe;ondere zur dt. Lyrik, Berlin 1977 (QFSKG N F 68). - Löwe: Hermann Baltl, Zur romanischen Löwensymbolik: ZHVSt 53 (1962) 195 - 220. - Waldemar Deonna, Les Lions attaches a la colonie: Melanges d'archeologie et d'histoire. FS Charles Picard, 2 Bde., Paris, 11949,289-308. - Ders. „Salva me de ore leonis": RBPH 28 (1950) 479 - 5 1 1 . - Manfred Zips, Zur Löwensymbolik: FS f. O t t o Höfler zum 65. Geburtstag, 2 Bde., Wien, II 1968, 507-518. (s. auch zu Hund). - Naihtigall: Wendy Pfeffer, The Change of Philomel. T h e Nightingale in Medieval Literature, New Yoik 1985. - Werner Ross, Rose u. Nachtigall. Ein Beitr. zur Metaphorik u. Mythologie des MA: Romanische Forschungen 67 (1955) 5 5 - 8 2 . - Panther: Nigel Harris, Panther (s.o. 1.). - Pelikan: Clristoph

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Gerhardt, Metamorphosen (s.o. 1.). - Victor E. Graham, The Pelican as Image and Symbol: R L C 36 (1962) 2 3 5 - 2 4 3 (s. auch zu Geier). - Pfau: John B. Friedman, Peacocks and Preachers. Analytic Technique in Marcus de Orvieto's „Liber de moralitatibus": Clark/McMunn (s.o. 1.) 1 7 9 - 1 9 6 . - Helmut Lother, Der Pfau in der altchristl. Kunst, 1929 (SCD 18). - Pferd: Heinrich Liitzeler, Zur Ikonographie des Pferdes in der barocken Kunst: FS f. Karl Lohmeyer, Saarbrücken 1954, 1 1 8 - 1 2 4 . - Pierre Somville, Le Cheval et la mort: CISy 4 0 - 4 1 (1980) 131 - 1 3 7 . - Phönix: Christoph Gerhardt, Der Phönix auf dem dürren Baum: Harms/Reinitzer (s.o. 2.) 7 3 - 1 0 8 . - Romy Günthart, Der Phönix. Vom Christussymbol zum Firmenlogo: Müller/Wunderlich (s. o. zu 2.) 4 6 7 - 4 8 3 . Douglas J. McMillan, The Phoenix: Malcolm South (s.o. 2.) 5 9 - 7 4 . - Guy R. Mermier, The Phoenix. Its Nature and its Place in the Tradition of the „Physiologus": Clark/McMunn (s.o. 1.) 7 3 - 1 0 8 . - Heimo Reinitzer, Vom Vogel Phönix. Uber Naturbetrachtung u. Naturdeutung: Harms/ Reinitzer (s.o. 2.) 1 7 - 7 2 . - Rabe: Dietrich Gerhardt, Die Sprache des Raben: VB 6 (1984) 1 5 5 - 1 9 0 . - Hans Messelken, Die Signifikanz v. Rabe u. Taube in der ma. dt. Lit., Diss.masch. Köln 1965. - Uwe Ruberg, Signifikative Vogelrufe. „Ain rapp singt all zeit eras, eras, eras": Harms/Reinitzer (s.o. 2.) 1 8 3 - 2 0 4 . - Jeffrey L. Sammons, Raabe's Ravens: Michigan German Studies 11 (1985) 1 - 1 5 . — Schlange: Hans Egli, Das Schlangensymbol. Gesch., Märchen, Mythos, Ölten 1982. - Kurt Reichenberger, Das Schlangensymbol als Sinnbild v. Zeit u. Ewigkeit. Ein Beitr. zur Emblematik in der Lit. des 16. Jh.: ZRP 81 (1965) 3 4 6 - 3 5 1 (s. auch zu Hirsch). - Schwan: Ricarda Liver, Der singende Schwan. Motivgeschichtliches zu einer Sequenz des 9. Jh.: M H 3 9 (1982) 146—156.-Sirene: Ruth Berman, Sirens: Malcolm South (s.o. 2.) 1 4 7 - 1 5 3 . - Alfred Ebenbauer, Apollonius u. die Sirene. Zum Sirenenmotiv im „Apollonius v. Tyrland" des Heinrich v. Neustadt - u. anderswo: Classica et mediaevalia. FS Josef Szöverffy, hg. v. Irene Vaslef, Washington, D.C./Leiden 1986, 3 1 - 5 6 . - Edmond Faral, La Queue de poisson des sirenes: Rom. 74 (1953) 4 3 3 - 5 0 6 . - Rüdiger Krohn: „daz si totfuorgiu tier sint". Sirenen in der ma. Lit.: Müller/Wunderlich (s.o. 2.) 5 4 5 - 5 6 3 . - Siegfried Walter de Rachewiltz, De sirenibus. An Inquiry into Sirens from Homer to Shakespeare, Diss. Harvard Univ., Cambridge, Mass. 1983. - Meg Twycross, The Medieval Anadyomene. A Study in Chaucer's Mythography, 1972 (MAeM NS 1). - Strauß: M a x Goldstaub, Physiologus-Fabeleien über das Brüten des Vogels Strauß: FS Adolf Tobler zum 70. Geburtstag, Braunschweig 1 9 0 5 , 1 5 3 - 1 9 0 . - Cora E. Lutz, Some Medieval Impressions of the Ostrich: Yale University Library Gazette 54 (1979) 1 8 - 2 5 . - Taube: Regina Scheibe, The Major Professional Skills of the Dove: Luuk A. J. R. Houwen (s.o. 1.) 1 0 7 - 1 3 7 . - Viper: Manfred Bambeck, Hornvipern u. Nattern: Dt. Dante-Jb. 47 (1972) 5 1 - 5 7 . Nigel H a r r i s

Tillich, Paul 1. Leben 1.

(1886-1965) 2. Werk

3. Nachwirkung

(Quellen/Literatur S. 561)

Leben

Geboren w u r d e Paul Johannes Tillich am 20. August 1 8 8 6 in Starzeddel, Kreis Guben, in der damaligen Provinz - » B r a n d e n b u r g (heute Starosiedle, Polen) als einziger Sohn des evangelisch-lutherischen Pfarrers J o h a n n e s O s k a r Tillich, der wenig später zum Superintendenten in der N e u m a r k und dann zum Konsistorialrat der Brandenburgischen Landeskirche berufen wurde. Die M u t t e r , Wilhelmina Mathilde, geb. Dürselen, starb, als Tillich 17 J a h r e alt w a r . E r besuchte zunächst das G y m n a s i u m in Königsberg/Neum a r k , schloß dann aber mit dem Abitur a m Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin ab. D a n a c h studierte er an den Universitäten -»Berlin, - » T ü b i n g e n , - » H a l l e und - » B r e s lau Theologie und Philosophie. O b w o h l er seine E x a m i n a in Berlin ablegte, wurde Halle zu Tillichs geistiger H e i m a t . Von größtem Einfluß auf seine Entwicklung w a r e n dabei die T h e o l o g e n M . —»Kahler, der ihm die Möglichkeit erschloß, Luthers Rechtfertigungslehre ins Z e n t r u m des theologischen Denkens zu rücken (zu Tillichs Verarbeitung von Kählers Gedanken, vgl. Rechtfertigung und Zweifel: Vorträge der Theologischen Konferenz zu Gießen, Gießen 1 9 2 4 , 1 9 - 3 2 = M a i n W o r k s / H a u p t w e r k e [zit. M W / H W ] VI [1992] 8 3 - 9 7 ) , und W. - » L ü t g e n , der z u s a m m e n mit dem jungen Privatdozenten der Philosophie, Fritz Medicus ( 1 8 7 6 - 1 9 5 6 ) , Tillichs Wertschätzung der Schriften der deutschen Idealisten förderte.

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Gerhardt, Metamorphosen (s.o. 1.). - Victor E. Graham, The Pelican as Image and Symbol: R L C 36 (1962) 2 3 5 - 2 4 3 (s. auch zu Geier). - Pfau: John B. Friedman, Peacocks and Preachers. Analytic Technique in Marcus de Orvieto's „Liber de moralitatibus": Clark/McMunn (s.o. 1.) 1 7 9 - 1 9 6 . - Helmut Lother, Der Pfau in der altchristl. Kunst, 1929 (SCD 18). - Pferd: Heinrich Liitzeler, Zur Ikonographie des Pferdes in der barocken Kunst: FS f. Karl Lohmeyer, Saarbrücken 1954, 1 1 8 - 1 2 4 . - Pierre Somville, Le Cheval et la mort: CISy 4 0 - 4 1 (1980) 131 - 1 3 7 . - Phönix: Christoph Gerhardt, Der Phönix auf dem dürren Baum: Harms/Reinitzer (s.o. 2.) 7 3 - 1 0 8 . - Romy Günthart, Der Phönix. Vom Christussymbol zum Firmenlogo: Müller/Wunderlich (s. o. zu 2.) 4 6 7 - 4 8 3 . Douglas J. McMillan, The Phoenix: Malcolm South (s.o. 2.) 5 9 - 7 4 . - Guy R. Mermier, The Phoenix. Its Nature and its Place in the Tradition of the „Physiologus": Clark/McMunn (s.o. 1.) 7 3 - 1 0 8 . - Heimo Reinitzer, Vom Vogel Phönix. Uber Naturbetrachtung u. Naturdeutung: Harms/ Reinitzer (s.o. 2.) 1 7 - 7 2 . - Rabe: Dietrich Gerhardt, Die Sprache des Raben: VB 6 (1984) 1 5 5 - 1 9 0 . - Hans Messelken, Die Signifikanz v. Rabe u. Taube in der ma. dt. Lit., Diss.masch. Köln 1965. - Uwe Ruberg, Signifikative Vogelrufe. „Ain rapp singt all zeit eras, eras, eras": Harms/Reinitzer (s.o. 2.) 1 8 3 - 2 0 4 . - Jeffrey L. Sammons, Raabe's Ravens: Michigan German Studies 11 (1985) 1 - 1 5 . — Schlange: Hans Egli, Das Schlangensymbol. Gesch., Märchen, Mythos, Ölten 1982. - Kurt Reichenberger, Das Schlangensymbol als Sinnbild v. Zeit u. Ewigkeit. Ein Beitr. zur Emblematik in der Lit. des 16. Jh.: ZRP 81 (1965) 3 4 6 - 3 5 1 (s. auch zu Hirsch). - Schwan: Ricarda Liver, Der singende Schwan. Motivgeschichtliches zu einer Sequenz des 9. Jh.: M H 3 9 (1982) 146—156.-Sirene: Ruth Berman, Sirens: Malcolm South (s.o. 2.) 1 4 7 - 1 5 3 . - Alfred Ebenbauer, Apollonius u. die Sirene. Zum Sirenenmotiv im „Apollonius v. Tyrland" des Heinrich v. Neustadt - u. anderswo: Classica et mediaevalia. FS Josef Szöverffy, hg. v. Irene Vaslef, Washington, D.C./Leiden 1986, 3 1 - 5 6 . - Edmond Faral, La Queue de poisson des sirenes: Rom. 74 (1953) 4 3 3 - 5 0 6 . - Rüdiger Krohn: „daz si totfuorgiu tier sint". Sirenen in der ma. Lit.: Müller/Wunderlich (s.o. 2.) 5 4 5 - 5 6 3 . - Siegfried Walter de Rachewiltz, De sirenibus. An Inquiry into Sirens from Homer to Shakespeare, Diss. Harvard Univ., Cambridge, Mass. 1983. - Meg Twycross, The Medieval Anadyomene. A Study in Chaucer's Mythography, 1972 (MAeM NS 1). - Strauß: M a x Goldstaub, Physiologus-Fabeleien über das Brüten des Vogels Strauß: FS Adolf Tobler zum 70. Geburtstag, Braunschweig 1 9 0 5 , 1 5 3 - 1 9 0 . - Cora E. Lutz, Some Medieval Impressions of the Ostrich: Yale University Library Gazette 54 (1979) 1 8 - 2 5 . - Taube: Regina Scheibe, The Major Professional Skills of the Dove: Luuk A. J. R. Houwen (s.o. 1.) 1 0 7 - 1 3 7 . - Viper: Manfred Bambeck, Hornvipern u. Nattern: Dt. Dante-Jb. 47 (1972) 5 1 - 5 7 . Nigel H a r r i s

Tillich, Paul 1. Leben 1.

(1886-1965) 2. Werk

3. Nachwirkung

(Quellen/Literatur S. 561)

Leben

Geboren w u r d e Paul Johannes Tillich am 20. August 1 8 8 6 in Starzeddel, Kreis Guben, in der damaligen Provinz - » B r a n d e n b u r g (heute Starosiedle, Polen) als einziger Sohn des evangelisch-lutherischen Pfarrers J o h a n n e s O s k a r Tillich, der wenig später zum Superintendenten in der N e u m a r k und dann zum Konsistorialrat der Brandenburgischen Landeskirche berufen wurde. Die M u t t e r , Wilhelmina Mathilde, geb. Dürselen, starb, als Tillich 17 J a h r e alt w a r . E r besuchte zunächst das G y m n a s i u m in Königsberg/Neum a r k , schloß dann aber mit dem Abitur a m Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin ab. D a n a c h studierte er an den Universitäten -»Berlin, - » T ü b i n g e n , - » H a l l e und - » B r e s lau Theologie und Philosophie. O b w o h l er seine E x a m i n a in Berlin ablegte, wurde Halle zu Tillichs geistiger H e i m a t . Von größtem Einfluß auf seine Entwicklung w a r e n dabei die T h e o l o g e n M . —»Kahler, der ihm die Möglichkeit erschloß, Luthers Rechtfertigungslehre ins Z e n t r u m des theologischen Denkens zu rücken (zu Tillichs Verarbeitung von Kählers Gedanken, vgl. Rechtfertigung und Zweifel: Vorträge der Theologischen Konferenz zu Gießen, Gießen 1 9 2 4 , 1 9 - 3 2 = M a i n W o r k s / H a u p t w e r k e [zit. M W / H W ] VI [1992] 8 3 - 9 7 ) , und W. - » L ü t g e n , der z u s a m m e n mit dem jungen Privatdozenten der Philosophie, Fritz Medicus ( 1 8 7 6 - 1 9 5 6 ) , Tillichs Wertschätzung der Schriften der deutschen Idealisten förderte.

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Philosophisch wurde Tillich am nachhaltigsten von F.W.J. -»Schelling geprägt. M i t seiner Dissertation Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (Ergänzungs- und Nachlaßbände zu den G W [zit. EGW] IX, 154-272) wurde er 1910 an der Universität Breslau zum Doktor der Philosophie promoviert. 1912 folgte die Promotion zum Licentiaten der Theologie an der Universität Halle mit der Dissertation über Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung ( M W / H W I, 21-112). Während seiner Zeit als Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg habilitierte er sich 1915 an der theologischen Fakultät in Halle mit der nur teilweise veröffentlichten Arbeit Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher (EGW IX, 435-592). Der Krieg war für Tillich eine erschütternde Erfahrung. Das Erleben sinnlosen Gemetzels führte zu zwei Nervenzusammenbrüchen, die behandelt werden mußten, aber auch zum Bruch mit den Werten und politischen Ansichten der Generation seines Vaters. Tillichs freier Lebensstil wie auch seine lebenslange Verbundenheit mit dem -•Sozialismus folgten aus diesen Erfahrungen. Die Niederlage Deutschlands bestätigte ihm den Ruin all dessen, was er mit der bürgerlichen Gesellschaft in Verbindung brachte, einschließlich aller ihrer Formen sozialer und politischer Ordnung sowie ihrer kulturellen Errungenschaften, die in der Weimarer Zeit Gegenstand seiner beißenden Kritik werden sollten. Tillich verbrachte die letzten Kriegsmonate als Garnisonsgeistlicher in Spandau. Dies ermöglichte es ihm, sich noch in Uniform umzuhabilitieren und seine Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Berlin zu beginnen. Damit wurde er auch unmittelbarer Augenzeuge des Zusammenbruchs des Kaiserreichs und des Ausbruchs der Revolution in den Straßen von Berlin. Seine Verbindungen zu linksgerichteten Gruppen, nicht zuletzt die Mitgliedschaft in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Vorgängerin der Kommunistischen Partei Deutschlands), riefen Bestürzung bei der Brandenburgischen Kirchenleitung hervor. Während seiner Berliner Jahre nahm Tillich am Leben, an der Kultur und dem politischem Geschehen der deutschen Hauptstadt regen Anteil. Als einzige größere Veröffentlichung entstand in dieser Zeit das ehrgeizige, damals aber weitgehend unbeachtet gebliebene System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden (1923 = M W / H W I, 113-263). Größere akademische Wirksamkeit entfaltete er in Vorträgen und Aufsätzen, am bemerkenswertesten darunter sein bis heute einflußreicher, bei der Berliner Kant-Gesellschaft gehaltener programmatischer Vortrag Über die Idee einer Theologie der Kultur (1919 = M W / H W II, 6 9 - 8 5 ) . Tillichs Vorstellungen einer theonom durchdrungenen Einheitskultur waren zu dieser Zeit sowohl politischer als auch theologischer Natur. Tatsächlich waren seine Befürwortung des Sozialismus und sein Eintreten für eine Kulturtheologie zwei Seiten desselben Vorhabens, im Nachkriegsdeutschland eine neue soziale Ordnung zu errichten, „deren Grundlage eine durch Gerechtigkeit gestaltete Wirtschaftsordnung, deren Ethos eine Bejahung jedes Menschen um deswillen, daß er Mensch ist, und deren religiöser Gehalt ein Erleben des Göttlichen in allem Menschlichen, des Ewigen in allem Zeitlichen ist" (GW II, 33). Mitte der 20er Jahre sollte er sich angesichts seiner frühen Vision fragen: „War nicht doch alles Romantik, Rausch, Utopie?" ( M W / H W IV, 181). 1919 jedoch kannte er keinen Zweifel, und „-»Religiöser Sozialismus" wurde bald für ihn und seinen Kreis zum bestimmenden Kennzeichen. Wenig begeistert davon, das Leben in der Hauptstadt zugunsten einer kleinen Provinzstadt in Hessen aufgeben zu müssen, nahm Tillich die Ernennung zum Extraordinarius für Theologie in - » M a r b u r g nur zögerlich an. Dort bot er zum ersten Mal eine Vorlesung über Dogmatik an und vollendete sein erstes erfolgreiches Buch Die religiöse Lage der Gegenwart (1926 = M W / H W V, 2 7 - 9 7 ) , in dem er den selbstgenügsamen und ungläubigen Realismus der bürgerlichen Gesellschaft kontrastierte mit dem gläubigen Realismus, der das Aufbegehren gegen das Bürgertum in Wissenschaft und Kunst,

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Politik und Ethik des frühen 2 0 . J h . charakterisierte. W ä h r e n d der drei Semester in M a r burg h a t t e er Kollegen wie R . - » O t t o , mit dem er sich anfreundete, und R . - » B u l t m a n n , mit d e m er nicht befreundet w a r . D a r ü b e r hinaus geriet er l a n g s a m unter den Einfluß des Philosophen M . —»Heidegger, mit dem er allerdings n u r indirekt und hauptsächlich über gemeinsame Studenten K o n t a k t hatte. Später n a h m T i l l i c h für sich in A n s p r u c h , von Heidegger eine neue Betrachtungsweise des Verhältnisses von T h e o l o g i e und Philosophie gelernt zu h a b e n , die schließlich zu seiner b e r ü h m t e n „ M e t h o d e der Korrelat i o n " von philosophischen F r a g e n und theologischen A n t w o r t e n geführt h a t . In seinen frühesten Schriften hingegen bevorzugte er das aus der Schellinglektüre ü b e r n o m m e n e Identitätsprinzip, in d e m G e g e n s ä t z e in einer vereinenden Synthese verschmelzen. 1925 wurde T i l l i c h zum O r d i n a r i u s für R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t an der T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e Dresden berufen und 1 9 2 7 zum H o n o r a r p r o f e s s o r für S y s t e m a t i s c h e T h e o logie an der Universität —»Leipzig e r n a n n t (Die Idee der O f f e n b a r u n g [Antrittsvorlesung]: Z T h K 3 5 [ N F 8] [ 1 9 2 7 ] 4 0 3 - 4 1 2 = M W / H W V I , 9 9 - 1 0 6 ) . Z u dieser Z e i t lehrte er überwiegend auf dem G e b i e t der T h e o l o g i e der Kultur ( - » T a n z , - » K u n s t , —»Technik) und - » R e l i g i o n s s o z i o l o g i e , aber auch der klassischen t h e o l o g i s c h e n Disziplinen, und fuhr damit fort, sein theologisches System in eigenwilligem D i s k u r s zu errichten, bei dem traditionelle theologische T e r m i n i wie „ - » G o t t " o d e r „ - » G l a u b e " ersetzt wurden durch experimentelle U m s c h r e i b u n g e n wie „ d a s , w a s uns unbedingt a n g e h t " , ein Ausd r u c k , der schließlich im Englischen zu „ u l t i m a t e c o n c e r n " umgestaltet wurde. Unter seinen Dresdener Kollegen war Richard Kroner (1884-1974), der nach der Emigration am -»Union Theological Seminary in New York City wiederum sein Kollege werden sollte. Während seiner Zeit in Dresden und Leipzig veröffentlichte Tillich keine größeren Werke außer Die religiöse Lage, das er schon in Marburg vollendet hatte. Aber durch dieses Buch und seine veröffentlichten Vorträge und Aufsätze machte er sich als unabhängiger Denker und scharfsinniger Interpret seiner Zeit einen Namen. Im Jahr 1925 wurde Tillich der Titel eines Doktors der Theologie honoris causa durch die Universität Halle verliehen. N a c h dem T o d von M . - » S c h e l e r im J a h r e 1928 w u r d e T i l l i c h 1 9 2 9 zum Professor für Philosophie und Soziologie an die Universität F r a n k f u r t a m M a i n berufen (Antrittsvorlesung Philosophie und Schicksal: KantSt 3 4 [ 1 9 2 9 ] 3 0 0 - 3 1 1 = M W / H W I, 3 0 7 3 1 9 ) . In F r a n k f u r t w u r d e er Teil einer pulsierenden intellektuellen G e m e i n s c h a f t und k a m in K o n t a k t mit d e m Biologen Kurt Goldstein ( 1 8 7 8 - 1 9 6 5 ) und P s y c h o l o g e n wie A d h e m a r G e l b ( 1 8 8 7 - 1 9 3 6 ) und M a x W e r t h e i m e r ( 1 8 8 0 - 1 9 4 3 ) . A m engsten a b e r a r beitete er z u s a m m e n mit den führenden Sozialtheoretikern der Universität, i n s b e s o n d e r e m i t Karl M a n n h e i m ( 1 8 9 3 - 1 9 4 7 ) und M a x H o r k h e i m e r ( 1 8 9 5 - 1 9 7 3 ) . U n t e r seinen Studenten w a r T h e o d o r A d q r n o ( 1 9 0 3 - 1 9 6 9 ) , der sich n a c h . M a x Schelers T o d bei T i l l i c h habilitierte. D i e Universität F r a n k f u r t b o t Tillich einmal m e h r ein F o r u m für die hitzigen politischen D e b a t t e n , die er seit seinem Weggang aus Berlin 1 9 2 4 v e r m i ß t h a t t e ; 1 9 2 9 trat er der S o z i a l d e m o k r a t i s c h e n Partei D e u t s c h l a n d s bei, w i r k t e b e i m A u f b a u der Z e i t schrift Neue Blätter für den Sozialismus mit (die mit der Z e i t eine Auflage von m e h r als 1 0 . 0 0 0 E x e m p l a r e n erfuhr) und schrieb den Leitartikel der E r s t a u s g a b e ( 1 9 3 0 = M W / H W III, 1 8 9 - 2 0 4 ) . In der Stadt und der Universität F r a n k f u r t f a n d T i l l i c h ein angemessenes geistiges U m f e l d , in d e m er ungehindert von den fachspezifischen G r e n z e n einer theologischen F a k u l t ä t theologisch und philosophisch über die drängenden F r a g e n der Z e i t n a c h d e n k e n k o n n t e . Bezeichnenderweise n a h m er 1 9 3 0 d a n n a u c h nicht die M ö g l i c h k e i t w a h r , in seiner geliebten S t a d t H a l l e eine Professur für S y s t e m a t i s c h e T h e o logie anzunehmen, um weiter in F r a n k f u r t lehren zu k ö n n e n . T i l l i c h blieb an der Universität F r a n k f u r t , bis er 1 9 3 3 zunächst beurlaubt und schließlich 1 9 3 4 v o m neuen R e g i m e entlassen w u r d e , was seiner a k a d e m i s c h e n Karriere in D e u t s c h l a n d ein jähes E n d e bereitete. Das letzte große Werk, das während seines Lebens zuerst in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, Die sozialistische Entscheidung (1933 = M W / H W III, 273 - 4 1 9 ) , wurde konfisziert, bevor es in weiten Kreisen in Umlauf kommen konnte; die wenigen Exemplare, die erhalten blieben,

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zirkulierten heimlich während der nationalsozialistischen Zeit. Einer breiten deutschen Leserschaft wurde das Buch erst ab 1948 zugänglich, als es mit Zulassung der Nachrichtenkontrolle der U.S.Militärregierung in der Westzone und als gesonderte Ausgabe in der Ostzone wiederveröffentlicht wurde. Seine Zeit war jedoch vorbei, und es entfaltete keine Wirkung mehr.

Durch die Initiative von Reinhold -»Niebuhr erhielt Tillich 1933 eine zeitlich befristete Anstellung als Visiting Assistant Professor am Union Theological Seminary in New York City; die dortigen Professoren hatten einen Teil ihrer eigenen Gehälter gestiftet, um dem gerade aus Deutschland Geflohenen ein Einkommen zu ermöglichen. Später wurde diese Stelle in eine reguläre umgewandelt, und 1941 wurde Tillich schließlich zum Füll Professor befördert (Philosophy and Theology [Antrittsvorlesung]: RelLife 10 [1941] 2 1 - 3 0 = MW/HW IV, 279-288). 1955 schied er aus dem Union Theological Seminary aus, um die Stelle als University Professor an der -»Harvard University anzunehmen. Zwischen 1962 und seinem Tod am 25. Oktober 1965 war er schließlich John Nuveen Professor of Divinity an der Universität -»Chicago. In Amerika wurde Tillich zum produktiven Autor und beliebten Redner in Universitäten und an so unterschiedlichen Orten wie Kunstmuseen und psychiatrischen Gesellschaften. Sein Hauptwerk, die dreibändige Systematic Theology (dt.: Systematische Theologie), wurde 1963 vollendet. Der letzte Band ist seiner Frau Hannah gewidmet, die er „die Gefährtin meines Lebens" nannte. Durch ihre Entscheidung, übrigens gegen den Rat von Familie und Freunden, ihre indiskreten Erinnerungen an beider gemeinsames Leben in From Time to Time (1973) zu veröffentlichen, sind die Geheimnisse von Tillichs Privatleben weit mehr in die Öffentlichkeit gelangt, als dies bei anderen Theologen des 20. Jh. der Fall war, die anscheinend umsichtigere Witwen hinterließen. Tillichs Asche wurde beigesetzt im Tillich Park in New Harmony (Posey County, Indiana), ursprünglich Siedlung einer utopischen Gemeinschaft, die von emigrierten deutschen Pietisten gegründet worden war. 2. Werk Tillichs theologischer Ansatz war ganz bewußt kontextgebunden. Charakteristisch war für ihn der Entschluß, Theologie in bewußter Verknüpfung mit der Gegenwart, d.h. in Korrelation mit den wesentlichen Fragen und aktuellen Problemen der Zeit zu treiben. Integraler Bestandteil dieses Ansatzes war seine Überzeugung, daß unsere am tiefsten empfundenen Anliegen implizit religiöse Anliegen sind. Die Sinnsuche in allen Sphären des Lebens - im Intellektuellen, Imaginativen, Erotischen, Sozialen, Politischen - hat für Tillich die Qualität einer religiösen Suche, eines Ersehnens und bisweilen flüchtigen Ergreifens dessen, was jedes Sein und jeden Sinn transzendiert und begründet. Diese Sicht menschlichen Lebens als ein in seinen tiefsten Tiefen religiöses stützt Tillichs Programm einer „Theologie der Kultur", sein vielleicht eigenständigster und bleibendster Beitrag zur Theologie. In der Vielzahl seiner Schriften kam Tillich mit einem relativ kleinen Repertoire untereinander verknüpfter Begriffe aus, die er prägte und ständig umgestaltete, im einzelnen wie auch in ihrer Verbundenheit untereinander, um den Erfordernissen der unmittelbaren Situation zu begegnen, in der er sich jeweils vorfand. Zu den Begriffen, die sein Werk durchziehen, gehören Theonomie und Kairos. Ihre Verwendungen in verschiedenen Perioden nachzuvollziehen hilft dabei, seine besondere Art des Theologisierens zu veranschaulichen. Dabei zeigt sich aber auch, daß es unmöglich ist, einen einfachen Abriß von Tillichs Denken zu geben, als hätte er starre Begriffe geprägt, die zu allen Zeiten in seinen Schriften unverändert blieben. Bestimmte Termini erscheinen in seinem Werk fast von Anfang bis Ende, einschließlich Theonomie und Kairos, ihre Bedeutung wird jedoch modelliert, erweitert und umgestaltet, um seiner Sicht der Bedürfnisse einer stets sich verändernden Gegenwart zu entsprechen. Eingeführt wurde der Begriff der Theonomie von Tillich 1919 in seinem Vortrag Über die Idee einer Theologie der Kultur im Hinblick auf jene wiederkehrenden Mo-

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mente, in denen das Unbedingte in Geschichte und Geistesleben der Menschen hervorbricht, indem es die bestehende Ordnung erschüttert, um die Möglichkeit einer neuen Einheitskultur mit geistiger Tiefe zu schaffen ( M W / H W II, 8 4 - 8 5 ) . Weil es aus den inneren Tiefen des menschlichen Lebens und der Geschichte hervor- und nicht von außerhalb als fremder Eindringling hereinbricht, ist T h e o n o m i e für Tillich eine Gestalt der Autonomie, nicht der Heteronomie, auch wenn T h e o n o m i e Protest gegen die Leere und die Profanität der individuellen Autonomie bedeutet, wie sie vom politischen Liberalismus geschätzt wird. Der Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft in der Katastrophe des verlorenen Krieges zeigte Tillich deren Aushöhlung und schuf Bedingungen für eine neue theonome Einheitskultur auf geistigen wie sozialistischen Grundlagen. Diese Möglichkeit im Nachkriegsdeutschland wahrzunehmen war 1919 Tillichs Ziel. Die relativ geradlinige Dialektik von Heteronomie, Autonomie und T h e o n o m i e wurde zunehmend ausgestaltet und regelmäßig überarbeitet in Tillichs Versuchen, sein Denken den sich verändernden Stimmungen einer stets fließenden Gegenwart anzupassen. 1922 zum Beispiel, als er Kairos schrieb ( M W / H W IV, 5 3 - 7 2 ) , wurde T h e o n o m i e von Tillich immer noch als gegenwärtige Möglichkeit betrachtet; ihre Verwirklichung jedoch wurde als weniger wahrscheinlich gesehen als noch 1919. Ihr Erscheinen war in jedem Falle völlig abhängig vom Durchbruch des Unbedingten, das nun jedoch weniger als Eruption von innen denn als Invasion von außen, d. h. weniger als „Durchbrechen von i n n e n " denn als „Hereinbrechen von a u ß e n " , gesehen wurde. Tillichs ursprüngliche Hoffnungen und Erwartungen waren 1922 zwar noch nicht ganz erloschen, in der M i t t e der zwanziger J a h r e erkannte er jedoch, daß der Geist der bürgerlichen Gesellschaft zu stark gewesen war, um sozialistischen Utopismus zuzulassen. M i t den ersten Anzeichen eines „neuen R e a l i s m u s " in seinem Werk (Über gläubigen Realismus: T h B l 7 [1928] 1 0 9 - 1 1 8 = M W / H W IV, 1 9 3 - 2 2 8 ) trat der Ausdruck Theonomie immer seltener in Erscheinung, bis er schließlich in Die sozialistische Entscheidung (1933 — M W / H W III, 2 7 3 - 4 1 9 ) überhaupt nicht mehr vorkam - und das trotz dessen T h e m a t i k . Z u r Zeit der Übersiedlung nach Amerika war Tillich zu der Überzeugung gelangt, daß der Kairos vorübergegangen und eine neue theonome Zeit nicht länger geschichtlich möglich war. Hatte er zuvor die Zeit als „bedeutungsschwanger" erlebt, so empfand er nun in der Zeit nur noch eine Art Leere. Dieses neue M o m e n t nannte er „spiritual vacuum" oder „sacred void". Und doch wurde nun Theonomie paradoxerweise wieder zu einem regelmäßigen Element seiner Schriften, angefangen mit On the Boundary (Zuerst veröffentlicht in: T h e Interpretation of History, 1936; dt.: Auf der Grenze, Stuttgart 1962). Die Veränderungen in Tillichs Gebrauch von Kairos und Theonomie in diesem neuen Kontext werden deutlich afi den Revisionen, denen er seinen Artikel Kairos vön 1922 unterzog, bevör et ihn 1948 in der englischsprachigen Aufsatzsammlung The Protestant Era veröffentlichte. In der überarbeiteten Fassung wird von Autonomie gesprochen im Sinne einer gesetzartigen Notwendigkeit, die zu einem Punkt führt, an dem man gezwungen ist, entweder in Nostalgie auf eine vorhergehende Theonomie (Ideologie?) zurückzublicken oder in hoffender Erwartung auf das Erscheinen einer neuen Theonomie (Utopie?) zu harren. In Ubereinstimmung mit der erst kurz zuvor entwickelten „Korrelationsmethode" vertrat Tillich 1948 dann die Meinung, „Autonomie" könne nicht mehr als die Frage stellen, auf die „Theonomie" die eigentliche Antwort sei. Aber selbst diese „Antwort" spricht nicht von einer empirischen Möglichkeit: die Theonomie, von der sie spricht, ist nun weit mehr ein -»Symbol eschatologischer Hoffnung, das explizit an -»Jesus den Christus als den Moment des Kairos gebunden ist, an dem alle anderen Momente geschichtlicher Krisen und Möglichkeiten zu messen sind. So setzt sich ein Gedankenstrang fort, der in der Mitte der zwanziger Jahre in der Marburger Vorlesung (Dogmatik [ed. 1986] 2 9 4 - 297) seinen Anfang genommen hatte, in den Aufsätzen gegen Ende des Jahrzehnts weiterentwickelt (vgl. den Abschnitt Christologie und Geschichtsdeutung: Religiöse Verwirklichung [1930] 1 1 - 1 2 7 = MW/HW VI, 189—212) und schließlich 1934 in der Debatte mit E. -»Hirsch über die theologische Deutung der jüngsten Ereignisse in Deutschland noch gestärkt wurde (Die Theologie des Kairos und die gegenwärtige geistige Lage: ThBl 13 [1934] 3 0 5 - 3 2 8 ; Um was es geht: ThBl 14 [1935] 117-120). Bisher wurde Tillich als Denker kata kairon vorgestellt, als Denker, der zugänglich w a r für die Zeit, in die das Schicksal ihn gestellt hatte. Sosehr Tillich in seinen Gele-

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genheitsschriften auch auf die Unmittelbarkeit der Situation antwortete, indem er seine Schlüsselbegriffe den sich stets verändernden Umständen anpaßte, zielte er doch sein Leben lang auch auf systematisches Denken ab, und dies in wenigstens zweifacher Hinsicht: zum einen im methodischen Durchdenken eines gegebenen Untersuchungsgegenstandes und zum anderen im Errichten eines schlüssigen Systems, in dem jeder Teil explizit mit allen anderen verknüpft ist. Tillich betrachtete alle seine Schriften als Teile gedanklicher Systeme. Einerseits erachtete er alle Fragmente als Teile eines idealen Ganzen; andererseits aber hielt er jedes bestehende System nur für ein Fragment. Er veröffentlichte den dritten Band seiner Systematischen Theologie im vollen Bewußtsein der „Unabgeschlossenheit des Abgeschlossenen" (Systematische Theologie III, Vorrede). Über sein ehrgeiziges System der Wissenschaften hinaus, in dem Theologie im Gesamt der Wissenschaften verortet ist, hinterließ Tillich vier Versuche, ein theologisches System zu entwerfen, von denen nur der letzte Versuch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde: die Systematische Theologie von 1913 (EGW IX, 273 - 4 3 4 ) , die Marburger Vorlesung über Dogmatik, die stark überarbeitet wurde im Hinblick auf eine eventuelle Publikation in zwei Bänden unter dem Titel Die Gestalt der religiösen Erkenntnis (EGW X/2, 7 6 174), und die dreibändige Systematische Theologie. Sie alle sind lediglich Kristallisationspunkte in einem stetigen Prozeß, oder, um die Metapher zu wechseln, sie bilden eine Reihe von Momentaufnahmen, die die Form von Tillichs Denken zu einem bestimmten Augenblick zeigen. Sein rastloser Geist jedoch trieb ihn stets weiter über die Stellen hinaus, an denen er zum Zeitpunkt der Momentaufnahme gewesen war. Nur Wochen vor seinem Tod entwarf Tillich in seinem letzten Vortrag noch eine weitere Systematisierung, die weniger darauf konzentriert ist, die Fragen zu beantworten, die aus wissenschaftlicher und philosophischer Kritik am Christentum erwachsen, und die mehr Augenmerk auf den Reichtum mythischer Erzählungen und praktizierter -»Spiritualität in der breiteren Religionsgeschichte der Gegenwart und Vergangenheit richtet (vgl. The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian: The Future of Religions 8 0 - 9 4 = MW/HW VI, 431-446). Wenn man diese aufeinanderfolgenden Versuche der Systembildung nebeneinanderlegt, werden schließlich drei Dinge klar: Erstens versuchte Tillich verzweifelt, Ordnung und Zusammenhang in sein Werk zu bringen, das in einer Zeit ungekannter gesellschaftlicher, politischer und kultureller Zersplitterung entstand; zweitens war er nie zufrieden mit den aufeinanderfolgenden Ergebnissen seiner Bemühungen um Systembildung; drittens aber blieb er stets bestrebt, nicht aufzugeben, sondern es immer wieder „noch einmal zu versuchen". Seinen ersten Versuch der Systembildung unternahm er während seiner Hilfspredigerzeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Alter von 27 Jahren. In einer Zeit, in der er im Bann der Philosophie des deutschen Idealismus stand, begriff Tillich systematische Theologie als „die systematische Darstellung des theologischen Prinzips" (EGW IX, 430) und unterteilte sie in drei Teile: -»Apologetik, -»Dogmatik, —»Ethik. Diese dreigliedrige Struktur lehnte Tillich in der späteren dreibändigen Systematischen Theologie ab, in der er darauf bestand, daß Apologetik, Dogmatik und Ethik allesamt Dimensionen jedes Aspekts der Theologie sind (Systematic Theology I, 3 0 - 3 2 ; dt.: I, 40-42). Aber dies ist nicht die einzige Stelle in der Systematischen Theologie, an der Tillich Positionen verwarf, die er einst selbst vertreten hatte. In seiner allerersten Vorlesung über Dogmatik in Marburg, die ein Jahr nach K. -»Barths erster Dogmatikvorlesung in -»Göttingen stattfand, bestand Tillich darauf, sein Unterfangen ebenfalls mit dem positiven Begriff „Dogmatik" zu bezeichnen. In einem Barth nicht völlig fremden Geist fand Tillich im Ausdruck „Dogmatik" einen Begriff, der sein Vorhaben von dem unterschied, was er damals als defensive, subjektive und individualistische Glaubenslehren des 19. Jh. betrachtete; „Dogmatik" hingegen sei ein „Gemeinschaftssymbol", das die normative und konfessionelle Qualität der Theologie sichere (Dogmatik [ed. 1986] 2 5 -

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37). Als seine Systematische Theologie erschien, war Tillich allerdings zu dem Schluß gekommen, daß der Begriff „Dogmatik" so diskreditiert war, daß er nicht länger in der Theologie verwendbar sei (Systematic Theology I, 32; dt.: I, 42). Diese Beispiele erhellen einen wichtigen Gesichtspunkt: Tillich selbst war kein „Tillich-Schüler", und er versuchte auch seine Studenten von einer solchen Anhängerschaft abzuhalten. Trotz der manchmal subtilen, bisweilen aber auch dramatischen Verschiebungen in seinem Denken besteht jedoch eine erkennbare gedankliche Geradlinigkeit in seinem Werk - eine Geradlinigkeit, die leicht dazu führen kann, fälschlicherweise Identität zu entdecken, wo es nur Verwandtschaft gibt. Tillich selbst betrachtete die 1925 in Marburg gehaltene Dogmatikvorlesung als ersten Schritt zur 1963 vollendeten Systematischen Theologie (Systematic Theology III, 7; dt.: III, 17). Nicht alle seine Schritte folgten aufeinander, noch gingen sie in die gleiche Richtung. Die Kontinuität in Tillichs Systembildung wie auch in seinen Werken als Interpret seiner Zeit ist weniger in der Konstanz von Strukturen oder Ideen zu sehen als vielmehr im beharrlichen Streben des Autors, sich theologisch mit den vorherrschenden geistigen und kulturellen Strömungen des Augenblicks auseinanderzusetzen. Durch die Aufnahme des Gegenwartsmoments in seine Methodik gab Tillich seinen Werken als Theologe etwas Zeitgemäßes, gleichzeitig aber auch ein Moment geplanten Alterns, das es verhindert, daß sie unmittelbare Bedeutung über den Kontext hinaus entfalten, in dem und für den sie entworfen wurden. Der Tillich der formalen Systeme und der Tillich der Gelegenheitsschriften sind insofern ein und derselbe Tillich. Der Wille zur Systembildung und die Unzufriedenheit mit jedem erarbeiteten System bilden eine durchgängige Spannung in Tillichs Werk. Seine sog. „Korrelationsmethode", verbunden mit der Idee eines „offenen Systems", verleiht Tillichs intuitiv-kontextuellem Zugang zu theologischer Praxis den formalen Ausdruck. Tillich zog es vor, von der Kohärenz seines theologischen Systems in Analogie zu organisch-biologischen Systemen zu reden statt in Analogie zu mathematisch-deduktiven Systemen. Deduktive Systeme können sich nicht anpassen oder entwickeln; biologische Systeme können und tun dies. Die Bevorzugung dieses Bildes ermöglichte ihm größeren Spielraum bei der Aufnahme von Material und erlaubte es ihm auch, Neues leichter aufzunehmen und die Perspektiven zu wechseln, während seine Systematische Theologie über vier Jahrzehnte hinweg Gestalt annahm. Jeder Hauptteil der Systematischen Theologie beginnt mit einer Analyse der wesentlichen Merkmale von -» Vernunft, Sein, Existenz, -»Leben und -»Geschichte. Dann folgt eine Analyse der jeweiligen Zweideutigkeiten, wie sie unter den tatsächlichen Bedingungen menschlicher Existenz begegnen. Von diesen Zweideutigkeiten wird behauptet, sie würfen Fragen auf, die innerhalb jener Bedingungen keine Beantwortung fänden; diese Fragen forderten eine Antwort, die nur von jenseits der Grenzen kommen könne. Für jeden Fragenkomplex formuliert Tillich Antworten, wie sie in den bestimmenden Symbolen der christlichen Religion gegeben sind (-»Offenbarung, Gott, der Christus, die Gegenwart des -»Geistes und das Reich Gottes [-»Herrschaft Gottes/Reich Gottes]). Nimmt man Tillichs zusammenfassende Darstellung der Korrelationsmethode in der Einleitung zur Systematischen Theologie für bare Münze (Systematic Theology I, 5 9 - 6 6 ; vgl. dt.: I, 7 3 - 8 0 ) , so erscheint sie formal und mechanistisch; in dieser Hinsicht ist sie auch Gegenstand ausführlicher Kritik gewesen. Das, was Tillich aber tatsächlich mit der Korrelationsmethode in den drei Bänden der Systematischen Theologie tut, zeigt sehr viel mehr Scharfsinn hinsichtlich der Grenzen zwischen Philosophie und Theologie sowie viel mehr Einfühlungsvermögen bezüglich der Komplexität ihrer Wechselwirkungen bei Einzelfragen. Es ist ebenso wenig hilfreich, die Dynamik der Tillichschen Methode auf eine mechanistische Korrelation von Frage und Antwort oder Form und Gehalt zu reduzieren, wie -»Hegels Dialektik auf die Formel „These - Antithese - Synthese" zu verkürzen.

560 3.

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Tillichs bleibenden Einfluß zu messen ist nicht einfach, weder aus europäischer noch aus nordamerikanischer Sicht. Vor seiner Emigration war er weitgehend eine Randfigur der deutschen Theologie gewesen, ließ keinen Schülerkreis zurück und mußte erst wieder ins Gespräch gebracht werden im Nachkriegsdeutschland, wo er aber den Ton zu treffen schien, der mit der deutschen Erfahrung jener Zeit übereinstimmte. In dieser Situation wurde seine Offenheit für philosophische Reflexion und auch für die breiteren kulturellen Strömungen, die damals die -»-Geisteswissenschaften sowie die -•Natur- und —»Sozialwissenschaften umgestalteten, von vielen nachdenklichen Deutschen als wichtiges Gegengewicht zum engen Barthianismus betrachtet, der das theologische und politische Übergewicht im Nachkriegsdeutschland hatte, oft mit der Unterstützung und Ermutigung durch die Besatzungsmächte. Tillichs englischsprachige Schriften wurden von einem Kreis sich aufopfernder Frauen ins Deutsche übersetzt, die zumeist vor seiner Emigration Studentinnen bei ihm gewesen waren, und die Edition seiner Gesammelten Werke (GW) wurde unter der Herausgeberschaft von Renate Albrecht (gest. 1992) unternommen, um die ganze Breite seiner Schriften Studierenden, Wissenschaftlern und interessierten Laien zugänglicher zu machen. In zunehmendem Maße wurde er in deutschen theologischen Fakultäten als einer derjenigen Theologen betrachtet, deren Denken Prüfungsgegenstand sein konnte. Er war zum Bestandteil des protestantisch-theologischen Kanons geworden und erschien neben Denkern wie -> Luther und -»Melanchthon, ->Schleiermacher und Barth auf den Listen der Pflichtlektüre. Unzählige Dissertationen und Habilitationsschriften folgten, und eine Art Tillich-Scholastik entstand. Da manche Forscher neue Quellen zur Stillung ihres Forscherdrangs suchten, entwickelte sich erwartungsgemäß eine unstillbare Neugier an seinem Nachlaß, der sich hauptsächlich in den Archiven der Universitätsbibliothek Marburg und der Andover Library der Harvard Divinity School befindet. Als Resultat kam es zu zunächst wenigen, dann aber immer mehr Publikationen seiner Vorkriegsschriften und -Vorträge, die sich hauptsächlich, aber nicht ausschließlich in den immer noch fortgesetzten Ergänzungs- und Nachlaßbänden zu den Gesammelten Werken (EGW) finden. Diese Texte haben viel dazu beigetragen, unser Verständnis der zentralen Übergangsmomente in Tillichs sich entfaltendem Denken zu erweitern und zu korrigieren. Während seines ersten Jahrzehnts in Amerika hatte Tillich beträchtliche Schwierigkeiten, sich als Theologe zu etablieren. Er sprach kein Englisch, als er ankam, und er hatte keine Kenntnis vom geistigen und politischen Kontext des Amerika, in dem er zu funktionieren lernen mußte. Angesichts seiner Überzeugung, daß der kulturelle Kontext die theologische Praxis bestimmt, war das ein ernstes Problem für Tillich. Die Amerikaner hatten zudem kein Gespür für seine Art des Denkens und betrachteten ihn zunächst gerne einfach nur als einen weiteren „dialektischen Theologen" - ein Mißverständnis, das Tillich in seinen amerikanischen Schriften sowohl ausräumte als auch ausnutzte. H.R. -»Niebuhrs Übersetzung von Die religiöse Lage (The Religious Situation, New York 1932) hatte vor seiner Ankunft in Amerika so etwas wie ein Publikum für Tillich geschaffen, aber der erste amerikanische Sammelband mit Aufsätzen, The Interpretation of History (1936), der sein Denken einer englischsprachigen Öffentlichkeit vorstellen sollte, war damals kein großer Erfolg. Eine zweite Sammlung mit vor der Emigration geschriebenen Aufsätzen, die ins Englische übersetzt wurden, The Protestant Era (1948), war dann schon erfolgreicher. Es waren jedoch die Predigten, besonders der Band The Shaking of the Foundations (1948), und die Terry Lectures an der Yale University, die 1952 unter dem Titel The Courage to Be (MW/HW V, 141-230) veröffentlicht wurden, mit denen Tillich schließlich die Amerikaner für sich gewann und die dazu beitrugen, die Leserschaft für den ersten Band der Systematic Theology zu schaffen, der 1951 erschien. In seinem letzten Lebensjahrzehnt war Tillich zu einem der berühmtesten Intellektuellen Amerikas geworden, der Einfluß nicht nur in der wissenschaftlichen Theologie

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und den damals entstehenden D e p a r t m e n t s of Religious Studies an staatlichen amerikanischen Universitäten ausübte, sondern auch in vielen anderen Bereichen wie Kunst und Architektur, Gesellschaftstheorie und Psychotherapie ( - » P s y c h o a n a l y s e / P s y c h o t h e rapie) sowie im kulturellen und politischen Leben Amerikas. In diesen weiten Bereichen, wenn nicht sogar innerhalb der engeren Grenzen wissenschaftlicher Theologie, w a r Paul Tillich zweifellos der einflußreichste T h e o l o g e des 20. J h . Sein Ansehen in der amerikanischen Öffentlichkeit wird unterstrichen durch die Tatsache, daß er 1 9 6 0 unter den geladenen Gästen bei der Einführung J o h n F. Kennedys ( 1 9 1 7 - 1 9 6 3 ) ins Präsidentenamt war. Tillichs bleibender Beitrag zum religiösen Denken liegt weniger im Gehalt seiner Gedanken, seien sie nun philosophischer oder theologischer N a t u r , noch in den seinem theologischen Werk innewohnenden besonderen Korrelationen, sondern eher in der ihm eigenen Gabe, die grundlegenden Anliegen seiner Generation zu erkennen, und in seinem ruhelos fragenden Geist, mit dem er die vor ihm liegenden Aufgaben in Angriff n a h m . Quellen 1. Bibliographien: Paul Tillich, GW. XIV. Schlüssel zum Werk v. Paul Tillich. Textgesch. u. Bibliogr. sowie Register zu den GW, hg. v. Renate Albrecht/Werner Schüßler, Berlin/New York 2 1990; 1. Aufl. u.d.T.: Register, Bibliogr. u. Textgesch. zu den GW v. Paul Tillich, Stuttgart 1975. - Lawrence Bryan, The Thought of Paul Tillich. A Select Bibliographical Companion to the Systematic Theology, 1973 (Garrett Bibliographical Lectures 9). - Richard Crossman, Paul Tillich. 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T i m o t h e u s Aelurus

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Paradox. Interdisciplinary Reflections on the Centre of Paul Tillich's Thought. Proceedings of the V. Int. Paul Tillich Symposium held in Frankfurt a.M. 1994/Das theol. Paradox. Interdisziplinäre Reflexionen zur Mitte v. Paul Tillichs Denken. Beitr. des V. Int. Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt a.M. 1994, hg. v. Gert Hummel, 1995 (TBT 74). - The Theology of Paul Tillich, ed. Charles W. Kegley/Robert W. Bretall, 1952 (LLT 1) (Lit.). - Theonomy and Autonomy. Studies in Paul Tillich's Engagement with Modern Culture, ed. John J. Carey, Macon, Ga. 1984. - John Heywood Thomas, Paul Tillich. An Appraisal, London/Philadelphia, Pa. 1963. - Ders., Paul Tillich, Richmond, Va. 1966 (Makers of Contemporary Theology). - Ian E. Thompson, Being and Meaning. Paul Tillich's Theory of Meaning, Truth and Logic, Edinburgh 1981. - The Thought of Paul Tillich, ed. James Luther Adams/Wilhelm Pauck/Roger L. Shinn, San Francisco 1985. - Hannah Tillich, From Time to Time, New York 1973. - Edgar A. Towne, Two Types of New Theism. Knowledge of God in the Thought of Paul Tillich and Charles Hartshorne, New York 1997 (American Liberal Religious Thought 4). - Joachim Track, Der theol. Ansatz Paul Tillichs, 1975 (FSÖTh 31). - Truth and History. A Dialogue with Paul Tillich. Proceedings of the VI. Int. Symposium held in Frankfurt a.M. 1996/Wahrheit u. Gesch. Ein Dialog mit Paul Tillich. Beitr. des VI. Int. Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt a.M. 1996, hg. v. Gert Hummel, 1998 (TBT 95). - Thomas Ulrich, Ontologie, Theol., gesellschaftliche Praxis. Stud, zum rel. Sozialismus Paul Tillichs u. Carl Mennickes, 1971 (SDGSTh 31). - Vadakethala F. Vineeth, Self and Salvation in Hinduism and Christianity, New Delhi 1997. - Rainer Martin Wahl, Theol., die aufs Ganze geht. Theol. Zeitdiagnose bei Karl Barth u. Paul Tillich während u. nach dem Ersten Weltkrieg, Kampen 1996. Gerhard Wehr, Paul Tillich zur Einf., H a m b u r g 1998 (Zur Einf. 165). - T h o m a s Weiß, Religio vera? Z u r religionsphil. Lösung der Wahrheitsproblematik im dt. Werk Paul Tillichs, Weimar 2000. - Gunther Wenz, Subjekt u. Sein. Die Entwicklung der Theol. Paul Tillichs, 1979 ( M M H S T 3). - Ders., Tillich im Kontext. Theologiegesch. Perspektiven, Münster 2000 (Tillich-Stud. 2). - Leonard F. Wheat, Paul Tillich's Dialectical Humanism, Baltimore, Md. 1970. - Thietmar Wernsdörfer, Die entfremdete Welt. Eine Unters, zur Theol. Paul Tillichs, Zürich/Stuttgart 1968. - Sturm Wittschier, Paul Tillich. Seine Pneuma-Theol., Nürnberg 1975. - Wolf R. Wrege, Die Rechtstheol. Paul Tillichs, 1996 (JusEcc 56). - Adriaan S.L. Woudenberg, Kairos en het eeuwige nu. Een onderzoek naar de verhouding tussen het presentische en het futurische in Tillichs theologie van de geschiedenis, Bolsward 1993. - Heinz Zahrnt, Die Sache mit Gott. Die prot. Theol. im 20. Jh., München 1966, bes. 382-467. John Clayton

T i m o t h e u s Aelurus (gest. 1. Leben 1.

2. Werk

31. Juli

3. Wirkung

477) (Quellen/Literatur S. 566)

Leben

D e r Presbyter Timotheus,, der zuvor M ö n c h im Kloster des Cyrillus v o n A l e x a n drien w a r , n a h m 4 4 9 mit Bischof D i o s k u r I. v o n Alexandrien an der S y n o d e v o n - > E p h e sus teil. Als D i o s k u r 4 5 1 in -»-Chalkedon abgesetzt w u r d e , trat der v o n der alexandrinischen Führungsschicht gestützte C h a l k e d o n e n s e r Proterius an seine Stelle. N a c h d e m T o d des Kaisers M a r k i a n (reg. 4 5 0 - 4 5 7 ) w ä h l t e indessen die G e m e i n d e v o n - • A l e x a n drien T i m o t h e u s z u m Bischof, o b w o h l Proterius n o c h im A m t war. Seiner S c h m ä c h tigkeit w e g e n erhielt er den S p o t t n a m e n „ d a s W i e s e l " (nicht „die Katze": griechisch aiXovpoQ ist mehrdeutig). Z a c h a r i a s z u f o l g e galt er als in praktischen D i n g e n beschlagen und als Asket. T h e o p h a n e s behauptet, er h a b e zur M a g i e gegriffen und seine Wahl dadurch betrieben, d a ß er nachts u m die Z e l l e n der M ö n c h e geschlichen sei u n d jeden v o n ihnen beim N a m e n gerufen habe (chron. A M 5949: T h e C h r o n i c l e of T h e o p h a n e s C o n f e s s o r , hg. v. Cyril M a n g o / R o g e r Scott, O x f o r d 1997, 169). In anfechtbarer Weise w u r d e er von lediglich zwei Bischöfen, Eusebius v o n Pelusium und Petrus d e m Iberer, g e w e i h t . Der Militärbefehlshaber D i o n y s i u s w a r zu diesem Z e i t p u n k t nicht in A l e x a n drien. Besorgt über die m ö g l i c h e n Folgen einer D o p p e l b e s e t z u n g ließ er n a c h seiner R ü c k k e h r T i m o t h e u s f e s t n e h m e n und v e r w i e s ihn aus der Stadt. N a c h heftigen Unruhen erhielt er jedoch die Erlaubnis zur Rückkehr. Er w a r in der B e v ö l k e r u n g beliebt und förderte seine Beliebtheit durch großzügige Freigebigkeit g e g e n ü b e r den A r m e n . W ä h -

T i m o t h e u s Aelurus

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Paradox. Interdisciplinary Reflections on the Centre of Paul Tillich's Thought. Proceedings of the V. Int. Paul Tillich Symposium held in Frankfurt a.M. 1994/Das theol. Paradox. Interdisziplinäre Reflexionen zur Mitte v. Paul Tillichs Denken. Beitr. des V. Int. Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt a.M. 1994, hg. v. Gert Hummel, 1995 (TBT 74). - The Theology of Paul Tillich, ed. Charles W. Kegley/Robert W. Bretall, 1952 (LLT 1) (Lit.). - Theonomy and Autonomy. Studies in Paul Tillich's Engagement with Modern Culture, ed. John J. Carey, Macon, Ga. 1984. - John Heywood Thomas, Paul Tillich. An Appraisal, London/Philadelphia, Pa. 1963. - Ders., Paul Tillich, Richmond, Va. 1966 (Makers of Contemporary Theology). - Ian E. Thompson, Being and Meaning. Paul Tillich's Theory of Meaning, Truth and Logic, Edinburgh 1981. - The Thought of Paul Tillich, ed. James Luther Adams/Wilhelm Pauck/Roger L. Shinn, San Francisco 1985. - Hannah Tillich, From Time to Time, New York 1973. - Edgar A. Towne, Two Types of New Theism. Knowledge of God in the Thought of Paul Tillich and Charles Hartshorne, New York 1997 (American Liberal Religious Thought 4). - Joachim Track, Der theol. Ansatz Paul Tillichs, 1975 (FSÖTh 31). - Truth and History. A Dialogue with Paul Tillich. Proceedings of the VI. Int. Symposium held in Frankfurt a.M. 1996/Wahrheit u. Gesch. Ein Dialog mit Paul Tillich. Beitr. des VI. Int. Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt a.M. 1996, hg. v. Gert Hummel, 1998 (TBT 95). - Thomas Ulrich, Ontologie, Theol., gesellschaftliche Praxis. Stud, zum rel. Sozialismus Paul Tillichs u. Carl Mennickes, 1971 (SDGSTh 31). - Vadakethala F. Vineeth, Self and Salvation in Hinduism and Christianity, New Delhi 1997. - Rainer Martin Wahl, Theol., die aufs Ganze geht. Theol. Zeitdiagnose bei Karl Barth u. Paul Tillich während u. nach dem Ersten Weltkrieg, Kampen 1996. Gerhard Wehr, Paul Tillich zur Einf., H a m b u r g 1998 (Zur Einf. 165). - T h o m a s Weiß, Religio vera? Z u r religionsphil. Lösung der Wahrheitsproblematik im dt. Werk Paul Tillichs, Weimar 2000. - Gunther Wenz, Subjekt u. Sein. Die Entwicklung der Theol. Paul Tillichs, 1979 ( M M H S T 3). - Ders., Tillich im Kontext. Theologiegesch. Perspektiven, Münster 2000 (Tillich-Stud. 2). - Leonard F. Wheat, Paul Tillich's Dialectical Humanism, Baltimore, Md. 1970. - Thietmar Wernsdörfer, Die entfremdete Welt. Eine Unters, zur Theol. Paul Tillichs, Zürich/Stuttgart 1968. - Sturm Wittschier, Paul Tillich. Seine Pneuma-Theol., Nürnberg 1975. - Wolf R. Wrege, Die Rechtstheol. Paul Tillichs, 1996 (JusEcc 56). - Adriaan S.L. Woudenberg, Kairos en het eeuwige nu. Een onderzoek naar de verhouding tussen het presentische en het futurische in Tillichs theologie van de geschiedenis, Bolsward 1993. - Heinz Zahrnt, Die Sache mit Gott. Die prot. Theol. im 20. Jh., München 1966, bes. 382-467. John Clayton

T i m o t h e u s Aelurus (gest. 1. Leben 1.

2. Werk

31. Juli

3. Wirkung

477) (Quellen/Literatur S. 566)

Leben

D e r Presbyter Timotheus,, der zuvor M ö n c h im Kloster des Cyrillus v o n A l e x a n drien w a r , n a h m 4 4 9 mit Bischof D i o s k u r I. v o n Alexandrien an der S y n o d e v o n - > E p h e sus teil. Als D i o s k u r 4 5 1 in -»-Chalkedon abgesetzt w u r d e , trat der v o n der alexandrinischen Führungsschicht gestützte C h a l k e d o n e n s e r Proterius an seine Stelle. N a c h d e m T o d des Kaisers M a r k i a n (reg. 4 5 0 - 4 5 7 ) w ä h l t e indessen die G e m e i n d e v o n - • A l e x a n drien T i m o t h e u s z u m Bischof, o b w o h l Proterius n o c h im A m t war. Seiner S c h m ä c h tigkeit w e g e n erhielt er den S p o t t n a m e n „ d a s W i e s e l " (nicht „die Katze": griechisch aiXovpoQ ist mehrdeutig). Z a c h a r i a s z u f o l g e galt er als in praktischen D i n g e n beschlagen und als Asket. T h e o p h a n e s behauptet, er h a b e zur M a g i e gegriffen und seine Wahl dadurch betrieben, d a ß er nachts u m die Z e l l e n der M ö n c h e geschlichen sei u n d jeden v o n ihnen beim N a m e n gerufen habe (chron. A M 5949: T h e C h r o n i c l e of T h e o p h a n e s C o n f e s s o r , hg. v. Cyril M a n g o / R o g e r Scott, O x f o r d 1997, 169). In anfechtbarer Weise w u r d e er von lediglich zwei Bischöfen, Eusebius v o n Pelusium und Petrus d e m Iberer, g e w e i h t . Der Militärbefehlshaber D i o n y s i u s w a r zu diesem Z e i t p u n k t nicht in A l e x a n drien. Besorgt über die m ö g l i c h e n Folgen einer D o p p e l b e s e t z u n g ließ er n a c h seiner R ü c k k e h r T i m o t h e u s f e s t n e h m e n und v e r w i e s ihn aus der Stadt. N a c h heftigen Unruhen erhielt er jedoch die Erlaubnis zur Rückkehr. Er w a r in der B e v ö l k e r u n g beliebt und förderte seine Beliebtheit durch großzügige Freigebigkeit g e g e n ü b e r den A r m e n . W ä h -

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Timotheus Aelurus

rend der Fastenzeit wurde ihm eine große Zahl von Taufanwärtern zugeführt. Proterius wurde gemieden und schließlich in seinem Baptisterium ermordet. Während der dadurch ausgelösten Unruhe forderte Kaiser Leo I. (reg. 457—474) in einem Schreiben von den Bischöfen des Reichs eine Stellungnahme zu den Beschlüssen der Synode von Chalkedon und zur Frage der Gültigkeit der Weihe des Timotheus. Sie sprachen sich einmütig gegen ihre Gültigkeit aus. Daraufhin wurde Timotheus zunächst nach Gangra in Paphlagonien und dann nach Chersonesus auf der Krim verbannt. Während seiner langen Verbannung wirkte er weiterhin als geistiger Vater der wachsenden antichalkedonensischen Partei in -»Ägypten, —»Palästina und —»Konstantinopel. Nach dem Tod Leos kehrte er auf Einladung des Kaisers Basiliscus (reg. 475—476) im Triumph nach Konstantinopel zurück, wo Petrus Fullo („der Walker"; —•Monophysiten) zu ihm stieß. Timotheus trug dazu bei, Basiliscus zum Erlaß seiner antichalkedonensischen Enzyklika zu bewegen. Danach besuchte er Ephesus und erneuerte dessen Patriarchatsrang. Schließlich kehrte er nach Alexandrien zurück. Dort verlangte er die Verurteilung von Chalkedon und überwarf sich dadurch mit Acacius von Konstantinopel (reg. 4 7 1 - 4 8 9 ; vgl. T R E 23,226). Dieser unterstützte nun Kaiser Zeno (reg. 474—475; 4 7 6 - 4 9 1 ) , der 476 Basiliscus verdrängte und Timotheus in die Verbannung geschickt hätte, wäre dieser nicht mittlerweile hochbetagt gewesen. Er starb am 31. Juli 477. 2.

Werk

Von den Schriften des Timotheus sind lediglich zwei Abhandlungen gegen Chalkedon und den Tomus Leonis ( - » L e o I.) sowie eine Auswahl von Briefen und Bekenntnissen erhalten. Seine geistige Waffe war das Florileg (-»Florilegien), und er hat dazu beigetragen, es als Mittel der theologischen Auseinandersetzung und Traditionswahrung (-»Tradition) fortzuentwickeln. Offen ist die Frage, ob er dabei das Denken und die Begrifflichkeit von Cyrillus von Alexandrien eingegrenzt oder gedeutet hat. Er war zwar entschiedener Antichalkedonenser, nahm aber zugleich auch eine kritische Haltung gegenüber dem Eutychianismus (—»Eutyches) ein. Insofern stand er theologisch, wenn auch nicht in seiner Begrifflichkeit, Chalkedon nicht fern und hat wesentlich zur Entwicklung von Cyrillus zu -»Severus von Antiochien beigetragen. Obwohl er auf der zweifachen Konsubstantialität Christi und einer unvermischten Einung bestand, hätte er doch niemals eine Rede von zwei Naturen gelten lassen, da er den Begriff „ N a t u r " allein dem Gott-Logos ( - » J e s u s Christus; -»Logos) vorbehielt. Seine Briefe zeigen ihn als überraschend umgänglichen Charakter, der auch ehemaligen Chalkedonensern ohne Schroffheit begegnete. 3.

Wirkung

Timotheus blieb zwar in seinen Bemühungen um eine Aufhebung der Beschlüsse von Chalkedon erfolglos, hat aber wesentliche Bedeutung für den beginnenden Aufbau einer starken und beständigen kirchlichen Hierarchie in Ägypten, die von der Reichskirche Abstand hielt und aus der Bevölkerung mitgetragen wurde. Damit hat er den Grund für die spätere -»Koptische Kirche gelegt. Es wird behauptet, die kirchliche Spaltung des 5. J h . habe zum Erfolg der muslimischen Eroberung Ägyptens im 7. J h . beigetragen. Trifft das zu, dann hatte Timotheus eine nachhaltige Wirkung. Quellen 1. Editionen: Textes monophysites. B. Extraits de Timothée Aelure: Quatre homélies de saint Jean Chrysostome. Textes monophysites..., hg. u. übers, v. François Nau, 1916 (PO 13/2) 202-236. - Timothy Aelurus, Against the Definition of the Council of Chalcedon. Intr., Text, Transi, and Notes by Rifaat Y. Ebied/Lionel R. Wickham: After Chalcedon. Studies in Theology and Church History, ed. Carl Laga/Joseph A. Munitiz/Lucas van Rompay, 1985 (OLA 18) 115-166. - Timotheus Älurus, des Patriarchen v. Alexandrien Widerlegung der auf der Synode zu Chalcedon festgesetzten Lehre. Armenischer Text, hg. v. Karapet Ter-Mekerttschian/Erwand Ter-Minassiantz, Leipzig 1908. - A Collection of Unpubl. Syriac Letters of Timothy Aelurus, with Intr., Text, Transi.

Tischendorf

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and Notes by Rifaat Y. Ebied/Lionel R. Wickham: JThS NS 21 (1970) 321-369. - Axel Moberg, On some Syriac Fragments of the Book of Timotheos Ailuros against the Synod of Chalcedon, Lund 1928. - S. a. CPG 3 (1979) Nrn. 5475-5491. 2. Sonstige Quellen: François Nau, Histoire de Dioscore, Patriarche d'Alexandrie, écrite par son disciple Théopiste: JA Ser. 10/1 (1903) 241-310. - The Ecclesiastical History of Evagrius, hg. v. Joseph Bidez/Léon Parmentier, London 1898 = Amsterdam 1964, bes. 11,8.11; 111,4.6. - Eduard Schwartz, Codex Vaticanus gr. 1431. Eine antichalkedonische Sammlung aus der Zeit Kaiser Zenos, 1927 (ABAW.PPH 32/2), bes. 120f. mit Anm. 29 - 46. - Severus of Antioch, Ep. ad Ioann Tribunum: The Sixth Book of the Select Letters of Severus, Patriarch of Antioch, in the Syriac Version of Athanasius of Nisibis, hg. u. iibers. v. Ernest Walter Brooks, 4 Bde., London 1902-1904 = 1969, II 280f. - Theophanes, The Chronicle of Theophanes Confessor, Transi, with Intr. and Comm. by Cyril Mango/Roger Scott, with the Assistance of Geoffrey Greatrex, Oxford 1997. - Zacharias the Scholastic, The Syriac Chronicle known as that of Zachariah of Mitylene, transi, by Frederick John Hamilton/Ernest Walter Brooks, London 1899. Literatur Luise Abramowski, Ein Text des Johannes Chrysostomus über die Auferstehung in den Belegsammlungen des Timotheus Älurus: After Chalcedon. Studies in Theology and Church History, hg. v. Carl Laga/Joseph A. Munitiz/Lucas van Rompay, 1985 (OLA 18) 1 - 1 0 . - René Draguet, Le florilège antichalcédonien du Vatic. Graec. 1431: RHE 24 (1928) 5 1 - 6 2 . - William H.C. Frend, The Rise of the Monophysite Movement, Cambridge 1972. - Aloys Grillmeier/Theresia Hainthaler, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. II/4. Die Kirche v. Alexandrien mit Nubien u. Äthiopien nach 451, Freiburg i.Br. 1990. - Joseph Lebon, La Christologie de Timothée Aelure: RHE 9 (1908) 677 - 7 0 2 . - Ders., Le Monophysisme sévérien, Louvain 1909. - Ders., La Christologie du monophysitisme syrien: Das Konzil v. Chalkedon. Gesch. u. Gegenwart, hg. v. Aloys Grillmeier/Heinrich Bacht, Würzburg, I 1951, 425-580. - Ders., Version arménienne et version syriaque de Timothée Élure: Handes Amsorya. Monatsschr. f. Armenische Philologie 41 (1927) 713 - 7 2 2 . - Robert Victor Sellers, The Council of Chalcedon, London 1953. - Art. Timothy (18): DCB 4 (1887) 1031-1033. - William A. Wigram, The Separation of the Monophysites, London 1923. Iain R. Torrance Timotheusbriefe —> Pastoralbriefe

Tischendorf, Constantin 1. Leben 1.

2. Werk

von

3. Wirkung

(1815-1874) (Quellen/Literatur S. 569)

Leben

Lobegott Friedrich Constantin von Tischendorf wurde am 18. Januar 1815 in Lengenfeld (Vogtland) als neuntes von elf Kindern des Gerichtsarztes Johann Christlieb Tischendorf geboren. Über das Gymnasium in Plauen führte sein Weg zum Theologiestudium an die Leipziger Universität ( 1 8 3 4 - 1 8 3 8 ) , wo sich nach dem frühen Tod beider Eltern Johann Georg Benedict Winer (1789—1858) des Studenten in väterlicher Weise annahm und sein Interesse auf das Gebiet der neutestamentlichen Exegese lenkte. Z u Ostern 1838 beendete Tischendorf sein Studium als Doktor der Philosophie und trat die Stellung eines Hauslehrers ( 1 8 3 8 - 1 8 3 9 ) im nahegelegenen Großstädteln an. Hier begann er die Arbeit an einer kritischen Ausgabe des Novurn Testamentum Graece, die 1841 in Leipzig erschien und ihm am 6. Januar 1843 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät -»Breslau eintrug. Die Prolegomena dieser Ausgabe bestanden im wesentlichen aus der am 26. Oktober 1840 in Leipzig verteidigten Habilitationsschrift De recensiontbus quas dicunt textus Novi Testamenti ratione potissimum habita Scholzii. Mit der Leipziger Fakultät (-»Leipzig) blieb Tischendorf auch zeitlebens verbunden: 1845 wurde er hier zum außerordentlichen Professor, 1851 zum ordentlichen Honorarprofessor, 1860 dann zum ordentlichen Professor ernannt. Am 18. September 1845 heiratete er Angelika Zehme; aus der Ehe gingen acht Kinder hervor. Von Erfolgen getragen und mit Auszeichnungen überschüttet (am 27. Mai 1869 erhielt er in Rußland den erb-

Tischendorf

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and Notes by Rifaat Y. Ebied/Lionel R. Wickham: JThS NS 21 (1970) 321-369. - Axel Moberg, On some Syriac Fragments of the Book of Timotheos Ailuros against the Synod of Chalcedon, Lund 1928. - S. a. CPG 3 (1979) Nrn. 5475-5491. 2. Sonstige Quellen: François Nau, Histoire de Dioscore, Patriarche d'Alexandrie, écrite par son disciple Théopiste: JA Ser. 10/1 (1903) 241-310. - The Ecclesiastical History of Evagrius, hg. v. Joseph Bidez/Léon Parmentier, London 1898 = Amsterdam 1964, bes. 11,8.11; 111,4.6. - Eduard Schwartz, Codex Vaticanus gr. 1431. Eine antichalkedonische Sammlung aus der Zeit Kaiser Zenos, 1927 (ABAW.PPH 32/2), bes. 120f. mit Anm. 29 - 46. - Severus of Antioch, Ep. ad Ioann Tribunum: The Sixth Book of the Select Letters of Severus, Patriarch of Antioch, in the Syriac Version of Athanasius of Nisibis, hg. u. iibers. v. Ernest Walter Brooks, 4 Bde., London 1902-1904 = 1969, II 280f. - Theophanes, The Chronicle of Theophanes Confessor, Transi, with Intr. and Comm. by Cyril Mango/Roger Scott, with the Assistance of Geoffrey Greatrex, Oxford 1997. - Zacharias the Scholastic, The Syriac Chronicle known as that of Zachariah of Mitylene, transi, by Frederick John Hamilton/Ernest Walter Brooks, London 1899. Literatur Luise Abramowski, Ein Text des Johannes Chrysostomus über die Auferstehung in den Belegsammlungen des Timotheus Älurus: After Chalcedon. Studies in Theology and Church History, hg. v. Carl Laga/Joseph A. Munitiz/Lucas van Rompay, 1985 (OLA 18) 1 - 1 0 . - René Draguet, Le florilège antichalcédonien du Vatic. Graec. 1431: RHE 24 (1928) 5 1 - 6 2 . - William H.C. Frend, The Rise of the Monophysite Movement, Cambridge 1972. - Aloys Grillmeier/Theresia Hainthaler, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. II/4. Die Kirche v. Alexandrien mit Nubien u. Äthiopien nach 451, Freiburg i.Br. 1990. - Joseph Lebon, La Christologie de Timothée Aelure: RHE 9 (1908) 677 - 7 0 2 . - Ders., Le Monophysisme sévérien, Louvain 1909. - Ders., La Christologie du monophysitisme syrien: Das Konzil v. Chalkedon. Gesch. u. Gegenwart, hg. v. Aloys Grillmeier/Heinrich Bacht, Würzburg, I 1951, 425-580. - Ders., Version arménienne et version syriaque de Timothée Élure: Handes Amsorya. Monatsschr. f. Armenische Philologie 41 (1927) 713 - 7 2 2 . - Robert Victor Sellers, The Council of Chalcedon, London 1953. - Art. Timothy (18): DCB 4 (1887) 1031-1033. - William A. Wigram, The Separation of the Monophysites, London 1923. Iain R. Torrance Timotheusbriefe —> Pastoralbriefe

Tischendorf, Constantin 1. Leben 1.

2. Werk

von

3. Wirkung

(1815-1874) (Quellen/Literatur S. 569)

Leben

Lobegott Friedrich Constantin von Tischendorf wurde am 18. Januar 1815 in Lengenfeld (Vogtland) als neuntes von elf Kindern des Gerichtsarztes Johann Christlieb Tischendorf geboren. Über das Gymnasium in Plauen führte sein Weg zum Theologiestudium an die Leipziger Universität ( 1 8 3 4 - 1 8 3 8 ) , wo sich nach dem frühen Tod beider Eltern Johann Georg Benedict Winer (1789—1858) des Studenten in väterlicher Weise annahm und sein Interesse auf das Gebiet der neutestamentlichen Exegese lenkte. Z u Ostern 1838 beendete Tischendorf sein Studium als Doktor der Philosophie und trat die Stellung eines Hauslehrers ( 1 8 3 8 - 1 8 3 9 ) im nahegelegenen Großstädteln an. Hier begann er die Arbeit an einer kritischen Ausgabe des Novurn Testamentum Graece, die 1841 in Leipzig erschien und ihm am 6. Januar 1843 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät -»Breslau eintrug. Die Prolegomena dieser Ausgabe bestanden im wesentlichen aus der am 26. Oktober 1840 in Leipzig verteidigten Habilitationsschrift De recensiontbus quas dicunt textus Novi Testamenti ratione potissimum habita Scholzii. Mit der Leipziger Fakultät (-»Leipzig) blieb Tischendorf auch zeitlebens verbunden: 1845 wurde er hier zum außerordentlichen Professor, 1851 zum ordentlichen Honorarprofessor, 1860 dann zum ordentlichen Professor ernannt. Am 18. September 1845 heiratete er Angelika Zehme; aus der Ehe gingen acht Kinder hervor. Von Erfolgen getragen und mit Auszeichnungen überschüttet (am 27. Mai 1869 erhielt er in Rußland den erb-

Tischendorf

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and Notes by Rifaat Y. Ebied/Lionel R. Wickham: JThS NS 21 (1970) 321-369. - Axel Moberg, On some Syriac Fragments of the Book of Timotheos Ailuros against the Synod of Chalcedon, Lund 1928. - S. a. CPG 3 (1979) Nrn. 5475-5491. 2. Sonstige Quellen: François Nau, Histoire de Dioscore, Patriarche d'Alexandrie, écrite par son disciple Théopiste: JA Ser. 10/1 (1903) 241-310. - The Ecclesiastical History of Evagrius, hg. v. Joseph Bidez/Léon Parmentier, London 1898 = Amsterdam 1964, bes. 11,8.11; 111,4.6. - Eduard Schwartz, Codex Vaticanus gr. 1431. Eine antichalkedonische Sammlung aus der Zeit Kaiser Zenos, 1927 (ABAW.PPH 32/2), bes. 120f. mit Anm. 29 - 46. - Severus of Antioch, Ep. ad Ioann Tribunum: The Sixth Book of the Select Letters of Severus, Patriarch of Antioch, in the Syriac Version of Athanasius of Nisibis, hg. u. iibers. v. Ernest Walter Brooks, 4 Bde., London 1902-1904 = 1969, II 280f. - Theophanes, The Chronicle of Theophanes Confessor, Transi, with Intr. and Comm. by Cyril Mango/Roger Scott, with the Assistance of Geoffrey Greatrex, Oxford 1997. - Zacharias the Scholastic, The Syriac Chronicle known as that of Zachariah of Mitylene, transi, by Frederick John Hamilton/Ernest Walter Brooks, London 1899. Literatur Luise Abramowski, Ein Text des Johannes Chrysostomus über die Auferstehung in den Belegsammlungen des Timotheus Älurus: After Chalcedon. Studies in Theology and Church History, hg. v. Carl Laga/Joseph A. Munitiz/Lucas van Rompay, 1985 (OLA 18) 1 - 1 0 . - René Draguet, Le florilège antichalcédonien du Vatic. Graec. 1431: RHE 24 (1928) 5 1 - 6 2 . - William H.C. Frend, The Rise of the Monophysite Movement, Cambridge 1972. - Aloys Grillmeier/Theresia Hainthaler, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. II/4. Die Kirche v. Alexandrien mit Nubien u. Äthiopien nach 451, Freiburg i.Br. 1990. - Joseph Lebon, La Christologie de Timothée Aelure: RHE 9 (1908) 677 - 7 0 2 . - Ders., Le Monophysisme sévérien, Louvain 1909. - Ders., La Christologie du monophysitisme syrien: Das Konzil v. Chalkedon. Gesch. u. Gegenwart, hg. v. Aloys Grillmeier/Heinrich Bacht, Würzburg, I 1951, 425-580. - Ders., Version arménienne et version syriaque de Timothée Élure: Handes Amsorya. Monatsschr. f. Armenische Philologie 41 (1927) 713 - 7 2 2 . - Robert Victor Sellers, The Council of Chalcedon, London 1953. - Art. Timothy (18): DCB 4 (1887) 1031-1033. - William A. Wigram, The Separation of the Monophysites, London 1923. Iain R. Torrance Timotheusbriefe —> Pastoralbriefe

Tischendorf, Constantin 1. Leben 1.

2. Werk

von

3. Wirkung

(1815-1874) (Quellen/Literatur S. 569)

Leben

Lobegott Friedrich Constantin von Tischendorf wurde am 18. Januar 1815 in Lengenfeld (Vogtland) als neuntes von elf Kindern des Gerichtsarztes Johann Christlieb Tischendorf geboren. Über das Gymnasium in Plauen führte sein Weg zum Theologiestudium an die Leipziger Universität ( 1 8 3 4 - 1 8 3 8 ) , wo sich nach dem frühen Tod beider Eltern Johann Georg Benedict Winer (1789—1858) des Studenten in väterlicher Weise annahm und sein Interesse auf das Gebiet der neutestamentlichen Exegese lenkte. Z u Ostern 1838 beendete Tischendorf sein Studium als Doktor der Philosophie und trat die Stellung eines Hauslehrers ( 1 8 3 8 - 1 8 3 9 ) im nahegelegenen Großstädteln an. Hier begann er die Arbeit an einer kritischen Ausgabe des Novurn Testamentum Graece, die 1841 in Leipzig erschien und ihm am 6. Januar 1843 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät -»Breslau eintrug. Die Prolegomena dieser Ausgabe bestanden im wesentlichen aus der am 26. Oktober 1840 in Leipzig verteidigten Habilitationsschrift De recensiontbus quas dicunt textus Novi Testamenti ratione potissimum habita Scholzii. Mit der Leipziger Fakultät (-»Leipzig) blieb Tischendorf auch zeitlebens verbunden: 1845 wurde er hier zum außerordentlichen Professor, 1851 zum ordentlichen Honorarprofessor, 1860 dann zum ordentlichen Professor ernannt. Am 18. September 1845 heiratete er Angelika Zehme; aus der Ehe gingen acht Kinder hervor. Von Erfolgen getragen und mit Auszeichnungen überschüttet (am 27. Mai 1869 erhielt er in Rußland den erb-

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Tischendorf

liehen Adel), war das Leben Tischendorfs durch rastlose Arbeit gekennzeichnet. Am 7. Dezember 1874 erlag er in Leipzig einem Schlaganfall. Schon früh formulierte Tischendorf seine Lebensaufgabe - die kritische Bearbeitung des neutestamentlichen Textes auf der Grundlage der ältesten Zeugen. Mit der Entzifferung des Codex Ephraemi rescriptus (vgl. T R E 6,123,14-22) in Paris erwarb sich der 25jährige die Aufmerksamkeit der Fachwelt, so daß auch bald die Mittel für weitere Bibliotheksreisen reichlicher flössen. Von Italien aus brach er 1844 zu seiner ersten Orientreise auf. Im Katharinenkloster auf dem Sinai entdeckte er dabei 43 Blätter eines griechischen Alten Testaments aus dem 4. Jh., die er als die älteste bis dahin bekannte Pergament-Handschrift des Septuaginta-Textes identifizierte. Dieser Fund ließ ihn nicht mehr los und drängte ihn neben zahlreichen anderen Handschriften-Unternehmungen in Europa zu zwei weiteren Orientreisen (1853 und 1859), die schließlich am 4. Februar 1859 zur Auffindung des restlichen Teiles jener 1844 entdeckten Blätter im Katharinenkloster führten. Erstmals lag damit ein neutestamentlicher Text aus dem 4. Jh. vor, der an Vollständigkeit die bislang bekannten Zeugen übertraf. Für Tischendorf war mit der Entdeckung des Codex Sinaiticus (vgl. T R E 6,122,39-48) ein Höhepunkt seiner langjährigen, auch ohne diesen Fund außerordentlich fruchtbaren Bemühungen erreicht. Fortan favorisierte er den Sinaiticus, der nun zugleich auch eine zuverlässigere Bewertung von Alexandrinus und Vaticanus ermöglichte. Die letzte Reise war durch russische Mittel finanziert worden. So schlug Tischendorf 1859 eine Schenkung des Codex an den Zaren vor, die aufgrund kirchenpolitischer Verwicklungen um die Wahl eines neuen Erzbischofs jedoch erst 1869 rechtskräftig durch die Sinaitische Bruderschaft vollzogen werden konnte. Alle Vorwürfe, Tischendorf habe den Codex auf unrechtmäßige Weise nach Rußland gebracht (Hotzelt; Peradze; Sevcenko), entbehren angesichts der vorliegenden Dokumente der Grundlage (Gregory; Aland). In der Folge wechselten angespannte Editionstätigkeit und neuerliche Reisen einander ab. Eine vierte Orientreise kam nicht mehr zustande. Paläographische Spezialkenntnis, Organisationstalent und Leidenschaft für die gewählte Aufgabe begründeten Tischendorfs Erfolge. Auf diplomatischem Parkett bewegte er sich ebenso sicher wie auf dem Feld publizistischer Tätigkeit. Der Revolution von 1848 stand er ablehnend gegenüber. In verschiedenen Äußerungen zu theologischen Zeitfragen zeigt sich Tischendorfs Position als die eines kirchlich engagierten, konfessionellen Lutheraners. Seine Motivation zur textkritischen Forschung bezog er wesentlich aus dem apologetischen Anliegen, gegenüber der Skepsis seiner Zeit Alter und Zuverlässigkeit des biblischen Textes nachzuweisen. In diesem Bemühen fand er die Zustimmung weiter Kreise, zugleich aber auch Kritik, die ihn als den „Leipziger Bibelritter" apostrophierte. Der 1845 gegründeten -»Evangelischen Allianz gehörte seine Sympathie. 1871 nahm er an einer Allianz-Deputation zu Alexander II. (1818-1881) teil, die sich für die Lage der Evangelischen in -»Rußland einsetzte. Verschiedene Kontroversen begleiteten seinen Weg. Der Tübinger Orientalist Jakob Philipp Fallmerayer (1790—1861) unterzog Tischendorfs Reiseberichte einer wenig günstigen kritischen Sichtung. Die Feindschaft des Griechen Constantin Simonides (18241867) zog sich Tischendorf zu, nachdem er denselben 1855/56 durch ein Gutachten als Handschriften-Fälscher überführt hatte. Dieser wandte sich daraufhin 1862 mit der Erklärung gegen Tischendorf, er selbst, Simonides, habe den im Katharinenkloster gefundenen Codex 1839 auf dem Athos nach alten Manuskripten angefertigt (vgl. Elliott). Eine komplizierte Beziehung verband Tischendorf mit dem russischen Archimandriten Porfirij Uspenskij (1804-1885), der ebenfalls den Sinai bereist hatte. Nachweislich lag ihm dabei schon 1850 der später von Tischendorf entdeckte und publizierte Codex vor, ohne daß er jedoch dessen Wert erkannte. Indirekt griff er 1862 Tischendorf in einer Broschüre an, die den Codex als Produkt häretischer Kreise darzustellen versuchte. Gleichzeitig aber erhob Uspenskij wiederholt Anspruch auf den Ruhm des Entdeckers. Schärfe besaß die Auseinandersetzung in der Evangelienfrage (Wann wurden unsere

Tischendorf

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Evangelien verfaßt?, Leipzig 1865), in der Adolf Hilgenfeld (1823-1907) und Gustav Volkmar (1809-1893) die Frühdatierung Tischendorfs bestritten. Mit Bitterkeit endeten schließlich die Angriffe, die der Schweizer Publizist und Teilnehmer der Allianz-Deputation zu Alexander II., Ludwig von Wurstemberger (1820-1884), 1872 öffentlich gegen Tischendorf führte: Er warf ihm vor, die Hauptschuld am Scheitern der Deputation zu tragen. Tischendorf antwortete 1872 mit einer Gegendarstellung, vermochte dann aber auf die neuerliche, mit massiven persönlichen Ausfällen versehene Entgegnung Wurstembergers nicht mehr zu reagieren. 2. Werk Die frühen poetischen Versuche sowie gelegentliche exegetische Studien treten vollständig hinter das eine zentrale Arbeitsgebiet Tischendorfs zurück: die Rekonstruktion eines zuverlässigen Bibeltextes. Von 1841 an veröffentlichte er 24 Auflagen des Novum Testamentum Graece nach vier Hauptrezensionen in acht selbständigen Drucken sowie von 1851 an drei Auflagen der Synopsis Evangelica-, vier Auflagen der Septuagmta kommen von 1850 an hinzu. Zugleich machte er einige wichtige Vulgata-Handschriften zugänglich. Eher ein Nebenprodukt seiner Handschriftenreisen war die Entdeckung und Publikation zahlreicher apokrypher Texte, die ein ganz neues Interesse an dieser Literatur begründeten. Auf allgemeinverständliche Weise äußerte sich Tischendorf zu Fragen der Palästinakunde. Regelmäßige Beitrage in der Tagespresse popularisierten seine Forschungen. Die meisten Kräfte wurden jedoch durch die Veröffentlichung und Verwertung der unermüdlich zusammengetragenen Handschriftenfunde bzw. Kollationen in Anspruch genommen. Einerseits geschah dies in Gestalt einzelner Drucke, andererseits in größeren Sammelwerken wie den Monumenta sacra medita. Seit 1850 zählte er diese Editionen in römischen Ziffern als Teile einer „christlichen Urkundenbibhothek". 3.

Wirkung

Weder in den theologischen Diskussionen der Zeit noch in kirchenpolitischer Hinsicht hat Tischendorf erkennbare Spuren hinterlassen. Seine Tätigkeit als akademischer Lehrer blieb begrenzt. Popularität und internationale Ehrungen verbanden sich stets mit seinen aktuellen Entdeckungen. Bleibende Wirkung erlangte Tischendorf nahezu ausschließlich durch die Arbeit am Text des Neuen Testaments. Hier hat er der Kritik am textus receptus - von J.A. -»Bengel und J . J . Wettstein vorbereitet, von C. -•Lachmann 1830 programmatisch zugespitzt - entscheidend zum Durchbruch verholfen. Maßgeblich trug er zum Aufschwung eines breiten textkritischeh Interesses bei. Mit seinen ständig verbesserten Editionen des Novum Testamentum Graece schuf er die Grundlagen für die neuen methodischen Ansätze der Textkritik (-»Textgeschichte/Textkritik) im 20. Jh. Vieles blieb durch seinen frühen Tod jedoch unvollendet. Caspar René Gregory (1846— 1917), seit 1889 Nachfolger auf Tischendorfs Lehrstuhl in Leipzig, brachte mit den Prolegomena zur Editto octava critica maior 1896 einen wichtigen Teil der nachgelassenen Arbeiten seines Vorgängers zum Abschluß und führte durch eigene Handschriftenreisen zugleich darüber hinaus. Unlösbar bleibt vor allem die Entdeckungsgeschichte des Codex Smaiticus mit dem Namen Tischendorfs verbunden. Daß sie in der Erinnerung schließlich alle anderen Leistungen dominierte und das Bild Tischendorfs bis heute in vielen Darstellungen prägt, geht auf die erbauliche Lebensbeschreibung durch Tischendorfs Schwiegersohn Ludwig Schneller Junior (1858-1953) zurück. Quellen 1 Bibliographien. Caspar René Gregory, Art. Tischendorf: B S T R 33 (1876) 1 5 3 - 1 9 3 . - Bibhogr. Konstantin v. Tischendorf ( 1 8 1 5 - 1 8 7 4 ) , zusammengestellt u. eingel. v. Christfried Böttnch, Leipzig 1999 [enthält neben einem vollständigeren Verzeichnis der Schriften erstmals auch Nachlässe, Briefe u. umfassende Sekundärlit.].

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2. Werke (Auswahl): Maiknospen [Gedichte], Leipzig 1838. - Der junge Mystiker, oder die drei letzten Festzeiten aus seinem Leben [Novelle, Pseudonym: Dr. Fritz], Leipzig 1839. - Novum Testamentum Graece, Leipzig 1 8 4 1 - 1 8 8 4 in 41 Aufl.; bes. wichtig: Editio octava critica maior, I 1869 II 1872. - Codex Ephraemi Syri rescriptus, 2 Bde., Leipzig 1843.1845. - Codex FridericoAugustanus, Leipzig 1846. - Monumenta sacra inedita sive reliquiae antiquissimae textus Novi testamenti Graeci, Leipzig 1846. - Reise in den Orient, 2 Bde., Leipzig 1846. - Evangelium Palatinum ineditum sive reliquiae textus Evangeliorum Latini ante Hieronymum versi, Leipzig 1847. - Novum testamentum Latine interprete Hieronymo. Ex celeberrimo Codice Amiatino ..., Leipzig 1850 2 1854. - Vetus Testamentum Graece, 2 Bde., Leipzig 1850 7 1887. - Acta Apostolorum apocrypha, Leipzig 1851 (Nachdr. Darmstadt 1959). - Synopsis Evangelica, Leipzig 1851 7 1898. - Codex Claromontanus, Leipzig 1852. - Evangelia apocrypha, Leipzig 1853 (Nachdr. Hildesheim 1966 2 1987). - Anecdota sacra et profana ex oriente et occidente aliata, Leipzig 1855. - Monumenta sacra inedita. Nova collectio I - V I u. IX, Leipzig 1855-1870. - Von der Wohlthat Christi. Das hochberühmte Rom. Zeugniss aus dem Zeitalter der Reformation f. die Rechtfertigung aus dem Glauben v. Aonio Paleario, Leipzig 1855 '1857. - Hermae Pastor Graece, Leipzig 1856. - Nachricht v. der im Auftrage Seiner Kaiserlichen Maiestät Alexander II. unternommenen Herausgabe der Sinaitischen Bibelhs., Leipzig 1860. - Bibliorum Codex Sinaiticus Petropolitanus I—IV, St. Petersburg 1862 (Nachdr. Hildesheim 1969) [ = Faks.-Ed.; Handausg. Leipzig 1863], - Aus dem Hl. Lande, Leipzig 1862. Die Anfechtungen der Sinai-Bibel, Leipzig 1863. - Waffen der Finsterniß wider die Sinaibibel, Leipzig 1863. - Wann wurden unsere Evangelien verfaßt?, Leipzig 1865 *1866 [Ubersetzungen in 8 Sprachen]. - Apocalypses apocryphae, Leipzig 1866 (Nachdr. Hildesheim 1966). - Novum Testamentum Vaticanum, Leipzig 1867. - Die Sinaibibel, Leipzig 1871. - Die ev. Alliance-Deputation an Kaiser Alexander zu Friedrichshafen, Leipzig 1872. - Ferner ca. 30 Aufs, in Zss., ca. 62 Art. in der Allg. Ztg. (Augsburg). Literatur Kurt Aland, Konstantin v. Tischendorf (1815-1874). Ntl. Textforschung damals u. heute, 1993 (SSAW.PH 133/2). - Am Sarge u. Grabe des D. th. Constantin v. Tischendorf, Leipzig 1874. Hildegard Behrend, Auf der Suche nach Schätzen. Aus dem Leben Constantin v. Tischendorfs, Berlin 1952 10 1970. - Carl Bertheau, Art. Tischendorf: RE 2 19 (1907) 7 8 8 - 7 9 7 . - Matthew Black/ Robert Davidson (Hg.), Constantin v. Tischendorf and the Greek NT, Glasgow 1981. - James Keith Elliott, Codex Sinaiticus and the Simonides Affair, 1982 (ABla 33). - Caspar René Gregory, Art. Tischendorf: ADB 38 (1894) 3 7 1 - 3 7 3 . - Wilhelm Hotzelt, Die kirchenrechtliche Stellung v. Bistum u. Kloster Sinai z.Z. der Entdeckung der Sinaibibel: T h L Z 74 (1949) 4 5 7 - 470. - Alfred Lindner, Constantin v. Tischendorf (1815-1874). Seine Abstammung u. seine Familie: Mitt. des Roland Dresden 12 (1927) 7 1 - 7 7 . - Grzegorz Peradze, Dokumenty, dotyczace zagadnien odnalezienia i tekstu kodeksu Synajskiego [Dokumente zu den Fragen der Entdeckung u. des Textes des Codex Sinaiticus]: Elpis 8 (1934) 1 2 7 - 1 5 1 . - Ludwig Schneller, Tischendorf-Erinnerungen, Leipzig 1927. - Ihor Sevcenko, New Documents on Constantine Tischendorf and the Codex Sinaiticus: Scr. 18 (1964) 5 5 - 8 0 . - Tischendorf-Lesebuch. Bibelforschung in Reiseabenteuern, hg. u. eingel. v. Christfried Böttrich, Leipzig 1999 [mit bislang unveröff. Briefen]. - Johann Ernst Volbeding, Constantin Tischendorf in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literarhist. Skizze, Leipzig 1862.

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Tizian (1476 oder später 1. Leben

2. Werk

1576)

(Literatur S.573)

1. Leben Tiziano Vecellio wurde in Pieve di Cadore in den Dolomiten geboren. Sein Geburtsdatum ist strittig. Er stammte aus einer Familie von Juristen, lokalen Beamten und Kaufleuten. Um 1500 kam er nach -»Venedig. Dort ging er bei Sebastiano Zuccato (ca. 1 4 7 6 - 1 5 2 7 ) sowie den Brüdern Gentile ( 1 4 3 1 - 1 5 0 7 ) und Giovanni Bellini (ca. 1 4 3 2 1516) in die Lehre. Obschon er der städtischen Lebensform Venedigs zeitlebens verbunden war, machte er als Maler eine für seine Zeit einzigartige Karriere. Er etablierte

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2. Werke (Auswahl): Maiknospen [Gedichte], Leipzig 1838. - Der junge Mystiker, oder die drei letzten Festzeiten aus seinem Leben [Novelle, Pseudonym: Dr. Fritz], Leipzig 1839. - Novum Testamentum Graece, Leipzig 1 8 4 1 - 1 8 8 4 in 41 Aufl.; bes. wichtig: Editio octava critica maior, I 1869 II 1872. - Codex Ephraemi Syri rescriptus, 2 Bde., Leipzig 1843.1845. - Codex FridericoAugustanus, Leipzig 1846. - Monumenta sacra inedita sive reliquiae antiquissimae textus Novi testamenti Graeci, Leipzig 1846. - Reise in den Orient, 2 Bde., Leipzig 1846. - Evangelium Palatinum ineditum sive reliquiae textus Evangeliorum Latini ante Hieronymum versi, Leipzig 1847. - Novum testamentum Latine interprete Hieronymo. Ex celeberrimo Codice Amiatino ..., Leipzig 1850 2 1854. - Vetus Testamentum Graece, 2 Bde., Leipzig 1850 7 1887. - Acta Apostolorum apocrypha, Leipzig 1851 (Nachdr. Darmstadt 1959). - Synopsis Evangelica, Leipzig 1851 7 1898. - Codex Claromontanus, Leipzig 1852. - Evangelia apocrypha, Leipzig 1853 (Nachdr. Hildesheim 1966 2 1987). - Anecdota sacra et profana ex oriente et occidente aliata, Leipzig 1855. - Monumenta sacra inedita. Nova collectio I - V I u. IX, Leipzig 1855-1870. - Von der Wohlthat Christi. Das hochberühmte Rom. Zeugniss aus dem Zeitalter der Reformation f. die Rechtfertigung aus dem Glauben v. Aonio Paleario, Leipzig 1855 '1857. - Hermae Pastor Graece, Leipzig 1856. - Nachricht v. der im Auftrage Seiner Kaiserlichen Maiestät Alexander II. unternommenen Herausgabe der Sinaitischen Bibelhs., Leipzig 1860. - Bibliorum Codex Sinaiticus Petropolitanus I—IV, St. Petersburg 1862 (Nachdr. Hildesheim 1969) [ = Faks.-Ed.; Handausg. Leipzig 1863], - Aus dem Hl. Lande, Leipzig 1862. Die Anfechtungen der Sinai-Bibel, Leipzig 1863. - Waffen der Finsterniß wider die Sinaibibel, Leipzig 1863. - Wann wurden unsere Evangelien verfaßt?, Leipzig 1865 *1866 [Ubersetzungen in 8 Sprachen]. - Apocalypses apocryphae, Leipzig 1866 (Nachdr. Hildesheim 1966). - Novum Testamentum Vaticanum, Leipzig 1867. - Die Sinaibibel, Leipzig 1871. - Die ev. Alliance-Deputation an Kaiser Alexander zu Friedrichshafen, Leipzig 1872. - Ferner ca. 30 Aufs, in Zss., ca. 62 Art. in der Allg. Ztg. (Augsburg). Literatur Kurt Aland, Konstantin v. Tischendorf (1815-1874). Ntl. Textforschung damals u. heute, 1993 (SSAW.PH 133/2). - Am Sarge u. Grabe des D. th. Constantin v. Tischendorf, Leipzig 1874. Hildegard Behrend, Auf der Suche nach Schätzen. Aus dem Leben Constantin v. Tischendorfs, Berlin 1952 10 1970. - Carl Bertheau, Art. Tischendorf: RE 2 19 (1907) 7 8 8 - 7 9 7 . - Matthew Black/ Robert Davidson (Hg.), Constantin v. Tischendorf and the Greek NT, Glasgow 1981. - James Keith Elliott, Codex Sinaiticus and the Simonides Affair, 1982 (ABla 33). - Caspar René Gregory, Art. Tischendorf: ADB 38 (1894) 3 7 1 - 3 7 3 . - Wilhelm Hotzelt, Die kirchenrechtliche Stellung v. Bistum u. Kloster Sinai z.Z. der Entdeckung der Sinaibibel: T h L Z 74 (1949) 4 5 7 - 470. - Alfred Lindner, Constantin v. Tischendorf (1815-1874). Seine Abstammung u. seine Familie: Mitt. des Roland Dresden 12 (1927) 7 1 - 7 7 . - Grzegorz Peradze, Dokumenty, dotyczace zagadnien odnalezienia i tekstu kodeksu Synajskiego [Dokumente zu den Fragen der Entdeckung u. des Textes des Codex Sinaiticus]: Elpis 8 (1934) 1 2 7 - 1 5 1 . - Ludwig Schneller, Tischendorf-Erinnerungen, Leipzig 1927. - Ihor Sevcenko, New Documents on Constantine Tischendorf and the Codex Sinaiticus: Scr. 18 (1964) 5 5 - 8 0 . - Tischendorf-Lesebuch. Bibelforschung in Reiseabenteuern, hg. u. eingel. v. Christfried Böttrich, Leipzig 1999 [mit bislang unveröff. Briefen]. - Johann Ernst Volbeding, Constantin Tischendorf in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literarhist. Skizze, Leipzig 1862.

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Tizian (1476 oder später 1. Leben

2. Werk

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(Literatur S.573)

1. Leben Tiziano Vecellio wurde in Pieve di Cadore in den Dolomiten geboren. Sein Geburtsdatum ist strittig. Er stammte aus einer Familie von Juristen, lokalen Beamten und Kaufleuten. Um 1500 kam er nach -»Venedig. Dort ging er bei Sebastiano Zuccato (ca. 1 4 7 6 - 1 5 2 7 ) sowie den Brüdern Gentile ( 1 4 3 1 - 1 5 0 7 ) und Giovanni Bellini (ca. 1 4 3 2 1516) in die Lehre. Obschon er der städtischen Lebensform Venedigs zeitlebens verbunden war, machte er als Maler eine für seine Zeit einzigartige Karriere. Er etablierte

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2. Werke (Auswahl): Maiknospen [Gedichte], Leipzig 1838. - Der junge Mystiker, oder die drei letzten Festzeiten aus seinem Leben [Novelle, Pseudonym: Dr. Fritz], Leipzig 1839. - Novum Testamentum Graece, Leipzig 1 8 4 1 - 1 8 8 4 in 41 Aufl.; bes. wichtig: Editio octava critica maior, I 1869 II 1872. - Codex Ephraemi Syri rescriptus, 2 Bde., Leipzig 1843.1845. - Codex FridericoAugustanus, Leipzig 1846. - Monumenta sacra inedita sive reliquiae antiquissimae textus Novi testamenti Graeci, Leipzig 1846. - Reise in den Orient, 2 Bde., Leipzig 1846. - Evangelium Palatinum ineditum sive reliquiae textus Evangeliorum Latini ante Hieronymum versi, Leipzig 1847. - Novum testamentum Latine interprete Hieronymo. Ex celeberrimo Codice Amiatino ..., Leipzig 1850 2 1854. - Vetus Testamentum Graece, 2 Bde., Leipzig 1850 7 1887. - Acta Apostolorum apocrypha, Leipzig 1851 (Nachdr. Darmstadt 1959). - Synopsis Evangelica, Leipzig 1851 7 1898. - Codex Claromontanus, Leipzig 1852. - Evangelia apocrypha, Leipzig 1853 (Nachdr. Hildesheim 1966 2 1987). - Anecdota sacra et profana ex oriente et occidente aliata, Leipzig 1855. - Monumenta sacra inedita. Nova collectio I - V I u. IX, Leipzig 1855-1870. - Von der Wohlthat Christi. Das hochberühmte Rom. Zeugniss aus dem Zeitalter der Reformation f. die Rechtfertigung aus dem Glauben v. Aonio Paleario, Leipzig 1855 '1857. - Hermae Pastor Graece, Leipzig 1856. - Nachricht v. der im Auftrage Seiner Kaiserlichen Maiestät Alexander II. unternommenen Herausgabe der Sinaitischen Bibelhs., Leipzig 1860. - Bibliorum Codex Sinaiticus Petropolitanus I—IV, St. Petersburg 1862 (Nachdr. Hildesheim 1969) [ = Faks.-Ed.; Handausg. Leipzig 1863], - Aus dem Hl. Lande, Leipzig 1862. Die Anfechtungen der Sinai-Bibel, Leipzig 1863. - Waffen der Finsterniß wider die Sinaibibel, Leipzig 1863. - Wann wurden unsere Evangelien verfaßt?, Leipzig 1865 *1866 [Ubersetzungen in 8 Sprachen]. - Apocalypses apocryphae, Leipzig 1866 (Nachdr. Hildesheim 1966). - Novum Testamentum Vaticanum, Leipzig 1867. - Die Sinaibibel, Leipzig 1871. - Die ev. Alliance-Deputation an Kaiser Alexander zu Friedrichshafen, Leipzig 1872. - Ferner ca. 30 Aufs, in Zss., ca. 62 Art. in der Allg. Ztg. (Augsburg). Literatur Kurt Aland, Konstantin v. Tischendorf (1815-1874). Ntl. Textforschung damals u. heute, 1993 (SSAW.PH 133/2). - Am Sarge u. Grabe des D. th. Constantin v. Tischendorf, Leipzig 1874. Hildegard Behrend, Auf der Suche nach Schätzen. Aus dem Leben Constantin v. Tischendorfs, Berlin 1952 10 1970. - Carl Bertheau, Art. Tischendorf: RE 2 19 (1907) 7 8 8 - 7 9 7 . - Matthew Black/ Robert Davidson (Hg.), Constantin v. Tischendorf and the Greek NT, Glasgow 1981. - James Keith Elliott, Codex Sinaiticus and the Simonides Affair, 1982 (ABla 33). - Caspar René Gregory, Art. Tischendorf: ADB 38 (1894) 3 7 1 - 3 7 3 . - Wilhelm Hotzelt, Die kirchenrechtliche Stellung v. Bistum u. Kloster Sinai z.Z. der Entdeckung der Sinaibibel: T h L Z 74 (1949) 4 5 7 - 470. - Alfred Lindner, Constantin v. Tischendorf (1815-1874). Seine Abstammung u. seine Familie: Mitt. des Roland Dresden 12 (1927) 7 1 - 7 7 . - Grzegorz Peradze, Dokumenty, dotyczace zagadnien odnalezienia i tekstu kodeksu Synajskiego [Dokumente zu den Fragen der Entdeckung u. des Textes des Codex Sinaiticus]: Elpis 8 (1934) 1 2 7 - 1 5 1 . - Ludwig Schneller, Tischendorf-Erinnerungen, Leipzig 1927. - Ihor Sevcenko, New Documents on Constantine Tischendorf and the Codex Sinaiticus: Scr. 18 (1964) 5 5 - 8 0 . - Tischendorf-Lesebuch. Bibelforschung in Reiseabenteuern, hg. u. eingel. v. Christfried Böttrich, Leipzig 1999 [mit bislang unveröff. Briefen]. - Johann Ernst Volbeding, Constantin Tischendorf in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literarhist. Skizze, Leipzig 1862.

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Tizian (1476 oder später 1. Leben

2. Werk

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(Literatur S.573)

1. Leben Tiziano Vecellio wurde in Pieve di Cadore in den Dolomiten geboren. Sein Geburtsdatum ist strittig. Er stammte aus einer Familie von Juristen, lokalen Beamten und Kaufleuten. Um 1500 kam er nach -»Venedig. Dort ging er bei Sebastiano Zuccato (ca. 1 4 7 6 - 1 5 2 7 ) sowie den Brüdern Gentile ( 1 4 3 1 - 1 5 0 7 ) und Giovanni Bellini (ca. 1 4 3 2 1516) in die Lehre. Obschon er der städtischen Lebensform Venedigs zeitlebens verbunden war, machte er als Maler eine für seine Zeit einzigartige Karriere. Er etablierte

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sich nicht nur als führender Maler der Stadt. Er gewann darüber hinaus in ganz Europa hochgestellte klerikale und höfische Auftraggeber und Auftraggeberinnen und brachte es, ohne sich an einen Hof zu binden, zu ökonomischer Unabhängigkeit und sozialem Aufstieg. Am Beginn seiner Laufbahn schlug er 1513 die Berufung durch Papst -»Leo X. nach Rom aus. Statt dessen verpflichtete er sich, im Dogenpalast für den großen Ratssaal ein Schlachtenbild zu malen. Als Entlohnung erbat er vom Rat der Zehn erfolgreich die senseria, ein Maklerpatent am Fondaco dei Tedeschi mit Steuervergünstigungen und einer Pension von 100 Dukaten jährlich. Damit einher gingen die Ernennung zum „Maler der Serenissima" (1516) und die Verpflichtung, die neugewählten Dogen zu porträtieren. Zudem wurden ihm zwei Assistenten und eine Werkstatt bei S. Samuele freigestellt. Seinen Haushalt in einer Mietwohnung in S. Polo führte Cecilia aus Pieve di Cadore, die er 1525 heiratete. Drei ihrer Kinder erreichten das Erwachsenenalter: Pomponio (geb. 1524), der Kleriker, für den sich der Vater wiederholt bei seinen Auftraggebern um Pfründen bemühte, Orazio (geb. 1525), der Maler in der väterlichen Werkstatt, und Lavinia (geb. 1530), die 1555 heiratete und vom Vater eine Mitgift von 1400 Dukaten erhielt. Eine uneheliche Tochter stattete er mit 750 Dukaten aus. Cecilia starb 1530. 1531 zog Tizian in ein Haus, das er in Biri Grande (Fondamenta Nuove) erworben hatte. Dorthin verlegte er auch seine Werkstatt. Das Schlachtenbild für den Dogenpalast stellte er trotz Mahnungen erst 1538 fertig. Zwischenzeitlich hatte er in und außerhalb von Venedig prestigeträchtige und lukrative Aufträge von namhaften Auftraggebern übernommen, wie die Altarbilder für die Franziskaner von Sta. Maria Gloriosa dei Frari, den Bischof von Paphos, Jacopo Pesaro (1465-1547), oder den päpstlichen Legaten und Bischof von Pola, Altobello Averoldi (gest. 1532). Zudem erhielt er von höfischer Seite zunehmend mehr Aufträge für Porträts und Sujets aus Mythologie, Heiligenlegende, biblischer, antiker und zeitgenössischer Geschichte. Seit 1516 arbeitete er für Alfonso I. d'Este (1476-1534) in Ferrara, seit 1523 für dessen Neffen Federigo II. Gonzaga (1500-1540) in Mantua. Dieser machte 1530 Kaiser -»Karl V. auf ihn aufmerksam und vermittelte ihn 1532 an seinen Schwager Francesco Maria della Rovere (1490-1538) in Urbino. 1533 ernannte ihn der Kaiser zum Pfalzgrafen und Ritter vom goldenen Sporn, 1541 verlieh er ihm eine Pension von 100 Dukaten. Die Wertschätzung, die Tizian als huius saeculi Apelles durch Karl V. erfuhr, war in den vierziger Jahren nicht nur Anlaß für Kardinal Alessandro Farnese d.J. (15201589), um seine Dienste zu werben. Sie führte ihn auch vermehrt auf Reisen. So porträtierte er Papst -»Paul III. 1543 in Busseto und 1545/46 zusammen mit dessen Enkeln Alessandro d.J. und Ottavio Farnese (1524-1586) in Rom. Dort war er Gast des Papstes im Belvedere des Vatikan und erhielt das römische Bürgerrecht. Während der Reichstage 1547/48 und 1550 war er auf Einladung des Kaisers in Augsburg, wo er u.a. -»Johann Friedrich von Sachsen und -»Philipp von Hessen porträtierte. Auf dem Heimweg 1548 malte er in Innsbruck König -»Ferdinand und dessen Kinder. Ende 1548 stand ihm in Mailand der Erbprinz -»Philipp von Spanien Porträt, der in der Folgezeit sein wichtigster Auftraggeber wurde. Zu Tizians Freundeskreis zählte Pietro Aretino (1492-1556), der durch seine Kontakte und als Mitautor der Briefe Tizians an seine Auftraggeberschaft dessen Karriere ebenso förderte wie Ludovico Dolce (1508-1568) durch seinen Dialogo della Pittura (1557) und Giorgio Vasari (1511-1574) durch seine Künstlerviten (1550 und 1568). 1566 wurde Tizian Mitglied der Accademia dei Disegno in Florenz. Am 27. August 1576 starb er in Venedig und wurde in Sta. Maria Gloriosa dei Frari beigesetzt. 2. Werk Tizian beherrschte die Freskotechnik ebenso wie die Ölmalerei auf Holz und Leinwand. Der nach seiner Vorlage entstandene Holzschnitt Triumph des Glaubens war ein

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Bestseller; dennoch nutzte er die Druckmedien weniger als künstlerische Ausdrucksmittel denn vielmehr zur Reproduktion seiner Gemälde (vgl. Tiziano e La Silografia Veneziana del Cinquecento). Die Frage nach der Entwicklung von Tizians Stil führte zu einer Einteilung in sechs Perioden. Dabei ist nicht nur die Bestimmung des Frühwerks Gegenstand der kunstgeschichtlichen Diskussion. In Kritik geriet auch die Vorstellung von Tizians „Altersstil". Es handele sich im Unterschied zu der sonst weichen Modellierung der Bildformen durch breite Pinselstriche ohne saubere Umriß- oder Innenzeichnung um einen fleckigen Malstil. Dieser bringe mystisch-körperlose Visionen hervor, die psychologisierend aus dem religiösen Erleben Tizians erklärt werden (vgl. Frey). Dem steht die These von einer synchronen Stilpluralität gegenüber, wobei die fleckige Malweise Hinweis auf unvollendete Bilder (vgl. Hope) oder die jeweilige Bildaufgabe (vgl. Ost) sei. Die Wertschätzung von Tizians Œuvre bis heute liegt nicht nur in den sinnlichästhetischen Qualitäten seiner Malerei begründet, sondern auch in der Souveränität, mit der er die Bildsprache seiner Zeit modernisierte. Beispielhaft ist Tizians Interpretation der Sacra Conversazione in der Pesaro-Madonna (1519—1526; Venedig, Sta. Maria Gloriosa dei Frari; s. Abb. 1). Tizian brach mit der statisch-hieratischen Darstellungskonvention des seit dem 15. Jh. in Italien beliebten Bildthemas. Hier wie auch in anderen Gemälden belebte er das Bildgeschehen, indem er starke Hell-dunkel-Kontraste einführte, die Komposition asymmetrisch anlegte, die Figuren mit affektiven Bewegungsmotiven versah und monumental wirkende Architekturelemente mit einem Landschaftsmotiv verknüpfte, das als Stimmungsträger fungiert. Wesentliche Voraussetzungen für den Bruch mit der Bildtradition sind im Auftragskontext und in Tizians künstlerischem Selbstbewußtsein zu finden (vgl. Aurenhammer). Mit dieser neuen, das Bildgeschehen dramatisierenden (protobarocken) Bildsprache setzte sich Tizian von der Malerei seiner Lehrer ab und wurde vorbildlich für Maler des -»Barock. Souveränität kommt im Werk Tizians auch dort zum Ausdruck, wo er antike, christliche und humanistische Bildmotive und Vorstellungen auf Wunsch oder im Einvernehmen mit seiner Auftraggeberschaft adaptierte. In dem Devotionsbild Alexander VI. stellt Jacopo Fesaro Sankt Peter vor (um 1512; Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Künsten; s. Abb. 2) malte Tizian Venus Victrix und Minerva auf den Sockel, der den Thron Sankt Peters trägt. Die beiden antiken Göttinnen, die Sieg und Tugend repräsentieren, kommentieren in höfisch-humanistischer Manier die Seeschlacht bei Sta. Maura (1502), an der Jacopo Pesaro, der Auftraggeber des Gemäldes, als Kommandant der - im Bildhintergund dargestellten - päpstlichen Flotte teilnahm (vgl. Wittkower). Bei der Einbindung antiker Bildmotive ins christlich-religiöse Sujet kamen nicht nur höfischrepräsentative Interessen zum Tragen. Auch zeigt sich das Bestreben nach historischer Angemessenheit. In der Marter des Heiligen Laurentius (1548?; Venedig, Chiesa dei Gesuiti) lokalisiert eine römische Tempelarchitektur das Martyrium räumlich wie zeitlich, und die Darstellung einer Vesta-Statue verbildlicht nach -»Prudentius' Passio sancti Laurentii den alten Glauben (vgl. Panofsky). Wenn dabei im Bewegungsmotiv der Bildfiguren eine antike Vorlage aufscheint, wie im Fall des Märtyrers Der fallende Galater (Venedig, Museo Archeologico), so erklärt sich dies aus dem Vorbildcharakter, den die Antiken auf Grund ihres leidenschaftlich-bewegten Ausdrucks für Tizian hatten. Hierzu zählte besonders das Bewegungsmotiv des Laokoon (Rom, Vatikanische Museen), das Tizian in der Christusfigur des Averoldialtares (1522; Brescia, SS. Nazaro e Celso; s. Abb. 3) ebenso aufgriff wie etwa im Motiv des vom Adler gequälten Prometheus im Zyklus der für Maria von Ungarn (1505-1558) gemalten pene infernali. Hier leistete Tizian, ausgehend von den erhaltenen Gemälden Prometheus und Sisyphus (1548/49; Madrid, Prado), die Reintegration von antikem Sujet und antiker Form. Er erfüllte damit den Repräsentationsanspruch des höfisch-humanistischen Bildprogrammes, in dem die mythologischen Büßer als Exempla bestrafter Todsünden fungierten (vgl. Tischer). Im Reiterbildnis Karl V. bei Mühlberg (1548; Madrid, Prado), das dem Kaiser

Tafel 8

Abb. 1 Pesaro-Madonna in der Kirche S. Maria Gloriosa dei Frari, Öl/Lw. Venedig (1519-26)

Tafel 9

Tafel 10

!—

Abb. 3 Christi Auferstehung vom Averoldi-Altar in SS. Nazaro e Celso, Öl/Holz. Brescia (1522)

Tafel 11

A b b . 4 Hl. M a r i a M a g d a l e n a als Büßerin, Ö l / H o l z . Palazzo Pitti, Florenz (um 1 5 3 0 - 1 5 3 5 )

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als Defensor fidei ein Denkmal setzt, vereint Tizian Vorstellungen vom Imperator Caesar Augustus und Christianorum militium propugnator mit der erasmischen (-»Erasmus von Rotterdam) - wohl durch —• Dürer vermittelten - Vorstellung vom miles Christianus (vgl. von Einem). Versiert zeigte sich Tizian bei der Übersetzung ikonographischer Grundmuster wie Venus (voluptas) und Minerva (castitas) in der, Mitte der dreißiger Jahre, unvollendet gebliebenen mythologischen Allegorie für Alfonso I. d'Este, die er in den siebziger Jahren für Philipp II. im Bild Spanien eilt der Religion zu Hilfe (Madrid, Prado) übermalte. Durch die Zugabe von Attributen verwandelte er Minerva in die Allegorie der Siegreichen Kirche und Venus in Maria Magdalena (vgl. Wittkower). Diese Metamorphose der Venus ist signifikant in bezug auf die Neuformulierung des wiederholt von Tizian bearbeiteten Sujets der Maria Magdalena (z. B. Heilige Magdalena als Büßerin, Palazzo Pitti, Florenz, um 1530-1535; s. Abb. 4). Hier überblendete er Halbfiguren- und Kurtisanenbildnis und versah die reuige Büßerin mit einer im Devotionsbild - auch nach dem Trienter Konzil (—•Tridentinum) noch - überraschend sinnlichen Präsenz (vgl. Ingenhoff-Danhäuser). Diese ist sonst seinen poesie eigentümlich: Bildern mit kulturell hoher, mythologischer Kodierung (Danae, Venus, Andromeda), die für damalige Betrachter erotischen Charakter hatten. Diese auf Bestellung und als Werbegeschenk gemalten Bilder stehen am Beginn der das Kunstschaffen bis heute kennzeichnenden Struktur vom männlichen Künstler/Betrachter und weiblichen Modell/ Bildmotiv (vgl. Hammer-Tugendhat). Sie erweisen Tizian als Maler, der in der Wahl seiner Bildquellen eng der italienisch sprechenden Kultur seiner Zeit verbunden war (vgl. Ginzburg). Damit wird die Vorstellung von Tizian als humanistischem Maler revidiert, nicht aber das Bild von seiner malerischen und adaptiven Kreativität. Literatur H a n s H . Aurenhammer, Tizian. Die M a d o n n a des Hauses Pesaro, Frankfurt a . M . 1994. Herbert v. Einem, Karl V. u. Tizian, Köln 1960. - Dagobert Frey, Das rel. Erlebnis bei Tizian: J B M 1 (1959) 2 1 8 - 2 6 1 . - Carlo Ginzburg, Tiziano, Ovidio e i codici della figurazione erotica nel ' 5 0 0 : Tiziano e Venezia. Atti del Convegno, Vicenza 1980, 1 2 5 - 1 3 5 ; dt.: Tizian, Ovid u. die erotischen Bilder im Cinquecento: ders., Spurensicherungen. Über verborgene Gesch., Kunst u. soziales Gedächtnis, Berlin 1983, 1 7 3 - 1 9 2 . - Daniela H a m m e r - T u g e n d h a t , Erotik u. Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians: Privatisierung der Triebe? Sexualität in der frühen Neuzeit, hg. v. Daniela E r l a c h / M a r k u s Reisenleitner/Karl Vocelka, Frankfurt a . M . 1994, 3 6 7 - 4 4 6 . - Charles H o p e , Titian, London 1980. - M o n i k a Ingenhoff-Danhäuser, M a r i a M a g d a l e n a , Tübingen 1984. - H a n s Ost, Tizian-Stud., Köln 1992. - Erwin Panofsky, Problems in Titian. Mostly Iconographic, L o n d o n 1969. - Sabine Tischer, Tizian u. Maria v. Ungarn. Der Zyklus der „pene infernali" auf Schloß Binche (1549), Frankfurt a . M . 1994. - Tiziano e L a Silografia Veneziana del Cinquecento, hg. y. Michelangelo M u r a r o / D a v i d Rosand, Vicenza 1 9 7 6 ; engl.: Titian and the Venetian W o o d c u t , Washington, D . C . 1976. - Harold E. Wethey, T h e Paintings o f Titian, 3 Bde., London 1 9 6 9 - 1 9 7 5 . - Rudolf W i t t k o w e r , Allegory and the Migration of Symbols, L o n d o n 1977; dt.: Allegorie u. der Wandel der Symbole in Antike u. Renaissance, Köln 1984.

Sabine Tischer Tobit (Buch) 1. Entstehung und Textüberlieferung 2. Z u r Struktur der Handlung und ihrer literarischen Eigenart 3 . Theologische Implikationen der Handlung 4. Kanonizität und Wirkungsgeschichte (Literatur S. 577)

1. Entstehung

und

Textüberlieferung

Das Tobitbuch ist eine weisheitliche Lehrerzählung (Müller 77ff.; Engel 92; zur Gattungsfrage ausführlich Deselaers 2 6 1 - 2 7 9 ) , die wohl um 200 v. Chr. in der östlichen Diaspora entstanden ist (zur Datierung vgl. Moore 40ff.; Ego 899f.). Als terminus a quo gilt die Kanonisierung der Propheten (vgl. Tob 2,6; 14,4); als terminus ad quem die Makkabäerzeit (vgl. auch die sprachliche Nähe zum Genesisapokryphon und dem Hiobtargum [Fitzmyer, Fragments 665] sowie die inhaltlichen Berührungen mit Jesus

Tobit

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als Defensor fidei ein Denkmal setzt, vereint Tizian Vorstellungen vom Imperator Caesar Augustus und Christianorum militium propugnator mit der erasmischen (-»Erasmus von Rotterdam) - wohl durch —• Dürer vermittelten - Vorstellung vom miles Christianus (vgl. von Einem). Versiert zeigte sich Tizian bei der Übersetzung ikonographischer Grundmuster wie Venus (voluptas) und Minerva (castitas) in der, Mitte der dreißiger Jahre, unvollendet gebliebenen mythologischen Allegorie für Alfonso I. d'Este, die er in den siebziger Jahren für Philipp II. im Bild Spanien eilt der Religion zu Hilfe (Madrid, Prado) übermalte. Durch die Zugabe von Attributen verwandelte er Minerva in die Allegorie der Siegreichen Kirche und Venus in Maria Magdalena (vgl. Wittkower). Diese Metamorphose der Venus ist signifikant in bezug auf die Neuformulierung des wiederholt von Tizian bearbeiteten Sujets der Maria Magdalena (z. B. Heilige Magdalena als Büßerin, Palazzo Pitti, Florenz, um 1530-1535; s. Abb. 4). Hier überblendete er Halbfiguren- und Kurtisanenbildnis und versah die reuige Büßerin mit einer im Devotionsbild - auch nach dem Trienter Konzil (—•Tridentinum) noch - überraschend sinnlichen Präsenz (vgl. Ingenhoff-Danhäuser). Diese ist sonst seinen poesie eigentümlich: Bildern mit kulturell hoher, mythologischer Kodierung (Danae, Venus, Andromeda), die für damalige Betrachter erotischen Charakter hatten. Diese auf Bestellung und als Werbegeschenk gemalten Bilder stehen am Beginn der das Kunstschaffen bis heute kennzeichnenden Struktur vom männlichen Künstler/Betrachter und weiblichen Modell/ Bildmotiv (vgl. Hammer-Tugendhat). Sie erweisen Tizian als Maler, der in der Wahl seiner Bildquellen eng der italienisch sprechenden Kultur seiner Zeit verbunden war (vgl. Ginzburg). Damit wird die Vorstellung von Tizian als humanistischem Maler revidiert, nicht aber das Bild von seiner malerischen und adaptiven Kreativität. Literatur H a n s H . Aurenhammer, Tizian. Die M a d o n n a des Hauses Pesaro, Frankfurt a . M . 1994. Herbert v. Einem, Karl V. u. Tizian, Köln 1960. - Dagobert Frey, Das rel. Erlebnis bei Tizian: J B M 1 (1959) 2 1 8 - 2 6 1 . - Carlo Ginzburg, Tiziano, Ovidio e i codici della figurazione erotica nel ' 5 0 0 : Tiziano e Venezia. Atti del Convegno, Vicenza 1980, 1 2 5 - 1 3 5 ; dt.: Tizian, Ovid u. die erotischen Bilder im Cinquecento: ders., Spurensicherungen. Über verborgene Gesch., Kunst u. soziales Gedächtnis, Berlin 1983, 1 7 3 - 1 9 2 . - Daniela H a m m e r - T u g e n d h a t , Erotik u. Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians: Privatisierung der Triebe? Sexualität in der frühen Neuzeit, hg. v. Daniela E r l a c h / M a r k u s Reisenleitner/Karl Vocelka, Frankfurt a . M . 1994, 3 6 7 - 4 4 6 . - Charles H o p e , Titian, London 1980. - M o n i k a Ingenhoff-Danhäuser, M a r i a M a g d a l e n a , Tübingen 1984. - H a n s Ost, Tizian-Stud., Köln 1992. - Erwin Panofsky, Problems in Titian. Mostly Iconographic, L o n d o n 1969. - Sabine Tischer, Tizian u. Maria v. Ungarn. Der Zyklus der „pene infernali" auf Schloß Binche (1549), Frankfurt a . M . 1994. - Tiziano e L a Silografia Veneziana del Cinquecento, hg. y. Michelangelo M u r a r o / D a v i d Rosand, Vicenza 1 9 7 6 ; engl.: Titian and the Venetian W o o d c u t , Washington, D . C . 1976. - Harold E. Wethey, T h e Paintings o f Titian, 3 Bde., London 1 9 6 9 - 1 9 7 5 . - Rudolf W i t t k o w e r , Allegory and the Migration of Symbols, L o n d o n 1977; dt.: Allegorie u. der Wandel der Symbole in Antike u. Renaissance, Köln 1984.

Sabine Tischer Tobit (Buch) 1. Entstehung und Textüberlieferung 2. Z u r Struktur der Handlung und ihrer literarischen Eigenart 3 . Theologische Implikationen der Handlung 4. Kanonizität und Wirkungsgeschichte (Literatur S. 577)

1. Entstehung

und

Textüberlieferung

Das Tobitbuch ist eine weisheitliche Lehrerzählung (Müller 77ff.; Engel 92; zur Gattungsfrage ausführlich Deselaers 2 6 1 - 2 7 9 ) , die wohl um 200 v. Chr. in der östlichen Diaspora entstanden ist (zur Datierung vgl. Moore 40ff.; Ego 899f.). Als terminus a quo gilt die Kanonisierung der Propheten (vgl. Tob 2,6; 14,4); als terminus ad quem die Makkabäerzeit (vgl. auch die sprachliche Nähe zum Genesisapokryphon und dem Hiobtargum [Fitzmyer, Fragments 665] sowie die inhaltlichen Berührungen mit Jesus

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Tobit

-•Sirach und der Weisheit Salomos [Vetter 521; -»Salomo/Salomo-Schriften III.l.]; zur geographischen Herkunft vgl. die Aufarbeitung der Forschungsgeschichte bei Deselaers 320-341; s.a. Moore 42; Ego 898). Wie die ca. 50 einzelnen Fragmente aus ->Qumran, die auf vier aramäische Handschriften und ein hebräisches Manuskript zurückgehen (Edition und Beschreibung der Fragmente bei Fitzmyer, Tobit), belegen, liegt dem Tobitbuch ein semitischsprachiges Original zugrunde (für eine nähere sprachliche Charakterisierung des hier vorliegenden Mittelaramäisch bzw. späten nachexilischen Hebräisch vgl. Fitzmyer, Fragments 669 mit Einzelbelegen). Da zwar 20% des aramäischen, aber nur 6% des hebräischen Textes erhalten sind, ist die Entscheidung über die ursprüngliche Textform sehr schwierig; aufgrund syntaktischer Strukturen kommt der Annahme eines aramäischen Originals insgesamt wohl größere Plausibilität zu (so Cook 156; Fitzmyer, Fragments; Morgenstern 140; vgl. dagegen aber Beyer, ErgBd. 135, der ein hebräisches Original annimmt). In vollständiger Form liegt das Tobitbuch heute nur noch auf Griechisch in insgesamt drei unterschiedlichen Rezensionen vor: ©' - repräsentiert durch den Codex Vaticanus (4. Jh.), den Codex Alexandrinus (5. Jh.) und den Codex Venetus (8. Jh.) sowie eine Anzahl von Minuskelhandschriften; — repräsentiert durch den Codex Sinaiticus (4. Jh.) sowie die Minuskelhandschriften 319 (3,6-6,16) und 910 (2,2-8). Dabei handelt es sich um voneinander abhängige Textrezensionen. Während aber ©" eine stark ausgeweitete Erzählweise und eine eher semitisierende Sprachform aufweist, ist S 1 knapper und in einem flüssigeren Griechisch verfaßt. ©'" (auf 6,9-12,22 begrenzt) ist eine gegenüber ©' und S " sekundäre Mischform (Hanhart, Tobit 3 1 - 3 6 ) . Mit großer Wahrscheinlichkeit stellt der Langtext in einer heute nicht mehr erhaltenen Form die ursprünglichere Version dar, die dann geglättet und paraphrasiert wurde (vgl. die Überlegungen ebd. 21—48). Dieses Ergebnis wird erhärtet durch die Tatsache, daß die Qumranfragmente im wesentlichen mit der Langform ©" zusammengehen. Darüber hinaus existieren zwei lateinische Versionen: Die Vetus Latina entspricht im wesentlichen dem Sinaiticus und setzt ®" als Vorlage (vgl. speziell La w ) voraus. Wenn der Text von Ms. 319 enger mit Vetus Latina zusammenhängt als die Lesart des Sinaiticus, so beweist dies, daß der Text des Sinaiticus nicht die unmittelbare Vorlage einer relativ freien altlateinischen Übersetzung gewesen sein kann; es ist vielmehr anzunehmen, daß „La eine getreue Übersetzung einer nahestehenden, teilweise verlorenen griechischen Version sein m u ß " (Hanhart, Tobit 13). Als weitere lateinische Übersetzung ist die Vulgata des -»Hieronymus (wohl gegen Ende seiner Übersetzungstätigkeit um 405 entstanden) zu nennen, die nach dessen eigenem Zeugnis (vgl. das Vorwort) an einem Tag mit Hilfe eines Dolmetschers entstand. Große Unterschiede zum griechischen Text sind festzustellen: Einerseits wurde verkürzt und paraphrasiert, andererseits enthält die Vulgata-Version auch zahlreiche Zusätze, die das Geschehen theologisch ausdeuten (vgl. 2,12-18 Bezug zu Hiob; 3 , 1 6 - 2 2 Absage Sarras an die sexuelle Lust, weiterer Lobpreis Gottes; 6 , 1 7 - 2 2 Empfehlung Rafaels zu sexueller Enthaltsamkeit; 7 , 1 1 - 1 4 Empfehlung Rafaels, Sarra dem Tobit zu geben; 7,15 Segnung des Paares; 8,4f. Ermahnung Sarras zu einem dreitägigen Gebet vor dem Vollzug der Ehe; 9,11 f. Segnung der Nachfahren des Paares durch Gabael). Daneben liegen noch weitere alte Übersetzungen des Tobitbuchs ins Syrische (ein Mischtext, vgl. Hanhart, Text 17; Lebram, Peschitta 185ff.), Koptische, Äthiopische und Armenische vor sowie einige spätere hebräische und aramäische Versionen. Schließlich existieren noch mehrere hebräische sowie eine aramäische Version der Tobiterzählung aus dem Mittelalter, die mit ihren midraschähnlichen Erweiterungen Rückübersetzungen aus dem Griechischen bzw. Lateinischen darstellen (so Hebräern Muenster, Hebraeus Fagius und die von M . Gaster edierten Manuskripte; für eine Charakterisierung der Versionen und ihres Verhältnisses zueinander vgl. Zimmermann 1 3 3 138).

Tobit 2. Zur Struktur der Handlung

und ihrer literarischen

575 Eigenart

Haupthandlung ist die Geschichte des frommen und gerechten Tobit, der unverschuldet erblindet und auf wundersame Art und Weise durch göttliche Hilfe mittels eines Engels geheilt werden kann; dieser Handlungsstrang wird parallelisiert mit der Geschichte von der Befreiung Sarras von einem Dämon: Der fromme Tobit aus dem Stamme Naftali, der durch die assyrische Deportation nach Ninive gekommen ist, erblindet, nachdem ihm im Schlaf Vogelkot in die Augen gefallen ist (Kap. lf.). Da Tobit seinen Tod herbeiwünscht, beschließt er, seinen Sohn Tobias zur Abholung des Geldes zu entsenden, das er bei einer seiner früheren Reisen bei einem gewissen Gabael in Rages in Medien hinterlegt hat. Als Reisegefährten wählt er Azarja, einen jungen Mann aus seinem Volke, hinter dem sich der Engel Rafael verbirgt (Kap. 4f.). Als die beiden während ihrer Reise an den Fluß Tigris gelangen, weist Rafael alias Azarja Tobias an, einem Fisch Herz, Leber und Galle zu entnehmen und diese aufzubewahren. Später führt er ihn nach Ekbatana in das Haus Raguels, eines Verwandten Tobias', und bittet ihn, um die Hand von dessen Tochter Sarra anzuhalten. Tobias reagiert zunächst ängstlich: Sarra war bereits sieben Mal verheiratet worden, und alle ihre Ehemänner waren noch in der Hochzeitsnacht durch den Dämon Asmodäus getötet worden. Rafael aber macht Tobias Mut und verrät ihm, wie er aus der Leber und dem Herz des Fisches ein Mittel zur Vertreibung des Dämons herstellen kann (Kap. 6). Tobias befolgt die Anweisungen Rafaels; er kann den Dämon vertreiben und begeht mit Sarra die Brautnacht, ohne zu Schaden zu kommen (Kap. 7 - 8 ) . Derweil zieht Rafael nach Rages, um dort das Geld in Empfang zu nehmen. Nach der vierzehntägigen Hochzeitsfeier kehrt Tobias gemeinsam mit seiner jungen Frau und Azarja nach Ninive zurück (Kap. 9.10). Bei der Begegnung mit seinem Vater streicht Tobias diesem auf den Rat Rafaels hin die Fischgalle auf die Augen; so erlangt dieser sein Augenlicht wieder zurück. Vater und Sohn begehen die Gesundung Tobits und die Verheiratung Tobias' mit einem Freudenfest (Kap. 11). Schließlich gibt sich auch Rafael als von Gott gesandter Engel zu erkennen (Kap. 12). Mit einem Hymnus preist Tobit die Herrschaft Gottes und die künftige Herrlichkeit Jerusalems (Kap. 13); Tobias bleibt bei seinen Eltern bis zu deren Tod; dann zieht er wieder nach Medien, wo er noch Zeuge des Untergangs von Ninive wird (Kap. 14). Diese komplexe Erzählung integriert zeitgenössische literarische Formen mit unverkennbar didaktischer Tendenz (vgl. die Testamente in 4; 14 sowie die weisheitliche Lehre im Munde des Engels in 1 2 , 7 - 1 1 ) . Als weitere eigenständige Gattungen erscheinen Gebete und Dankeshymnen (Belege s.u.). Auffällig sind zudem intertextuelle Anspielungen auf Gen 24 (vgl. hierzu bereits Abrahams; s.a. Nickelsburg und Deselaers mit Einzelbelegen; vgl. Ego 8 8 7 - 8 8 9 ; s.a. die Rezeption von Gen 29,4ff. [Weitzmann 58f.] und Entsprechungen zur Josefsgeschichte [Ruppert, Buch 114f.] sowie Bezüge zum Deuteronomium [Di Lella; Soll; Weitzmann] bzw. - speziell in Kap. 1 4 - auf die Heilsprophetie Deutero- und Tritojesajas). Im Hinblick auf die Rezeption außerbiblischer Traditionen ist auf den Achikarstoff zu verweisen, den der Autor durch die Konstruktion, Achikar sei ein Verwandter Tobits, in den Text integriert (Literatur zu Achikar s.u.). Vor allem frühere Arbeiten verweisen auf das „Märchen vom dankbaren Toten" als traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Erzählung (vgl. Liljeblad; Sieger; Simrock). 3. Theologische

Implikationen

der

Handlung

Im Hinblick auf die theologischen Schwerpunkte der Erzählung ist bei der überschriftartigen Summa einzusetzen, die die zentralen Werte des Buches in 1,3 leitwortartig benennt, nämlich Wahrheit (álr¡0Eia), Gerechtigkeit (SiKaioavvt]) und Barmherzigkeit (eXetjfiOffVVtj) (Engel 92). Diese Leitbegriffe werden - miteinander korrelierend - sowohl auf der Handlungsebene als auch in den didaktischen Redepartien veranschaulicht. Als eine Entfaltung der SiKaioaóvr¡ kann Tobits Handeln angesehen werden, das durch folgende Motive seine exemplarische Gesetzestreue (Levine, Tobit 44; Niebuhr 203 - 2 0 6 )

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veranschaulicht: die Wallfahrt nach Jerusalem und Abgabe des Zehnten (l,6ff.); das Fernhalten von den Speisen der Heiden (l,10f.); die Verheiratung mit einem Partner innerhalb der eigenen Verwandtschaft (zur Endogamie Bow/Nickelsburg 133; Gamberoni, Gesetz 228; McCracken 413; Moore 4 1 . 2 2 9 - 3 2 ; Oeming 170); die Speisung und Bekleidung von Hungrigen und Nackten (l,16f.; 2 , 1 - 4 ) ; die Bestattung der Toten ( 1 , 1 7 20; 2 , 3 - 7 ; hierzu Bow/Nickelsburg 132; Oeming 171) und das Feiern der Jahresfeste wie z.B. des -+'Wochenfestes (2,1—4). Im Kontext einer Entfaltung des Inhaltes der SiKaioauvtj sind darüber hinaus aber auch die Redepartien relevant, in denen folgende Werte als integraler Bestandteil der Paränese erscheinen: die Barmherzigkeit mit den Bedürftigen ( 4 , 7 - 1 1 . 1 6 f . ; 12,8; 14,2.9.11; vgl. Bow/Nickelsburg 132; Oeming 170); die Bestattung der Toten, speziell der Eltern (4,3f.; 12,12f.; 14,12f.); die Heirat mit einer Frau aus dem eigenen Volk (3,17; 4,12f.; 6,12.16; 7,13); die Bruderliebe (4,13); und die Ehrung der Eltern (3,10; 4,3; 5,1; 6,15; 11,17; hierzu Oeming 169; Rabenau 3 2 - 3 8 ) . Nachdem Tobits Leben zunächst geradezu als Exempel für die Ungerechtigkeit der Welt (vgl. die Diastase zwischen der verkündigten Gerechtigkeit [4,6.21] und Tobits eigenem Geschick mit Blindheit, Verfolgung und Schmähungen) verstanden werden kann, veranschaulicht der Gang der Erzählung - als Lebenslehre der Weisheit - eine gerechte Entsprechung von Tun und Ergehen (vgl. die Heilung, die Heirat des Sohnes mit einer Frau aus der eigenen Sippe, das hohe Alter Tobits; vgl. auch das Geschick Sarras sowie das Geschick Achikars [hierzu die explizite Formulierung dieses Zusammenhangs in 14,10]; zum Leiden im Tobitbuch vgl. Moore 32; Lebram, Martyrologie; Ego 893f.). Die Erzählung spiegelt mit ihrer komplexen Kette von ineinander verschränkten Ereignissen sowie mit der Gestalt des Engels Gottes vorhersehende Fürsorge wider (Bow/ Nickelsburg 132). Der göttlichen Hilfe korrelieren auf menschlicher Seite die Gebete, die das menschliche Leben als eine dialogische Existenz vor Gott qualifizieren. Neben Bittgebeten ( 3 , 1 - 6 . 1 1 - 1 5 ; 8 , 5 - 8 ) steht der Lobpreis Gottes (als eigenständige Gattung vgl. 8 , 1 5 - 1 7 ; 11,14.15; 11,17; 13 bzw. im Kontext der Bittgebete 3,2.11; 8,5; zu den Gebeten vgl. u.a. Rabenau 1 3 4 - 1 4 7 ; Flusser 555f.; Ego 894f.). Von zentraler Bedeutung ist schließlich die der Erzählung inhärente Volksperspektive. Wenn Tobit einerseits vor seiner Verbannung noch am Tempelkult partizipiert (vgl. l,3ff.), am Ende seines Lebens aber andererseits auf die Zerstörung Ninives verweist, so läßt der Verfasser dieses Buches die Hauptfigur seines Werkes in seinem 112 Jahre dauernden Leben wichtige Ereignisse der Volksgeschichte miterleben (Engel 84). Während die Kultus- und Jerusalemmotivik im weiteren Verlauf der Handlung keine explizite Rolle mehr spielt und erst im Hymnus des Tobit in Kap. 13 wieder aufgenommen wird, läßt sich die allgemeinere „jüdische" Perspektive durch die gesamte Erzählung hindurch verfolgen (vgl. das Motiv der Endogamie und die Beachtung der Speisegebote [1,10] sowie die materielle Versorgung [2,lff.] und Bestattung [1,17.18] der Volksgenossen). Tobits eigenes Schicksal und das seines Volkes durchdringen sich, wenn Tobit sein eigenes Schicksal auf dem Hintergrund der Drohungen von Dtn 28,37, I Reg 9,7 und Jer 24,9 deuten kann (vgl. 3,3f.) und er in seinem Dankeshymnus anläßlich seiner Heilung die Hoffnung auf die Erbauung Jerusalems und die Rückführung Israels artikuliert ( 1 3 , 1 2 18; vgl. bes. die Parallelität zwischen Tob 13,2 und 13,5, wo die Wendung ins Kollektive erfolgt). Gottes Handeln an Tobit und Sarra erscheint somit als Paradigma für sein künftiges Rettungshandeln an Israel (vgl. auch die heilsgeschichtlichen Motive in 1 4 , 5 7), das - wie die intertextuellen Anspielungen auf die Vätererzählungen der Genesis zeigen - in Kontinuität mit seinem früheren Heilshandeln steht. Man kann die Tobiterzählung als eine Diasporageschichte bezeichnen: Einerseits werden heidnische Vorstellungen aus dem Bereich von Medizin und Magie durch die Figur des Engels in die jüdische Vorstellungswelt integriert und damit „israelitisiert" (hierzu Kollmann 298f.); andererseits entfaltet der Verfasser - gerahmt vom Rückblick auf den

Tobit

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Opferkult in Jerusalem, an dem der einzelne durch Wallfahrten partizipieren konnte, und vom Ausblick auf das neuerbaute Jerusalem der Heilszeit, in dem die Völker zum Zion strömen - die grundlegenden Koordinaten eines Lebens in der Diaspora, wo trotz der Trennung vom Tempel - eine Existenz in der unmittelbaren Führung Gottes möglich ist (hierzu Rabenau 111). Wenn nun vor allem das Endogamiegebot, die Bestattung der eigenen Volksgenossen sowie die Fürsorge der Armen als zentrale Bestimmungen akzentuiert werden, kann von einer Neuauslegung der Tora gesprochen werden. Diese Elemente implizieren, wie auch die Distanzierung von den Speisen der Heiden, eine Abgrenzung nach außen, der nach innen eine Betonung der Solidarität und Identität des Volkes korreliert (speziell zur Dimension des Exils vgl. Engel 94; Levine, Tobit 42; ders., Diaspora 108; Niebuhr 2 0 3 - 2 0 6 ; Soll, Misfortune 222). Durch das Medium des Gebets und der Gebotserfüllung erweist sich das Exil als ein Ort der Gottesnähe, und die Zerstreuung unter die Völker wird zu einer gottgeschenkten Gelegenheit, J a h w e auch unter den Heiden zu preisen (13,8).

4. Kanonizität

und

Wirkungsgeschichte

Über Gründe, warum Tobit nicht in den hebräischen Kanon aufgenommen wurde, läßt sich nur spekulieren (vgl. M o o r e 185, der aus dem offensichtlichen Fehlen eines Glaubens an ein Leben nach dem Tod auf den sadduzäischen Hintergrund des Buches [-•Sadduzäer] verweisen möchte; für nicht-pharisäische halachische Praktiken vgl. 2,9 und 7,13; s. die Zusammenstellung bei Ego 900). Die Wirkungsgeschichte des Buches konnte dieser Umstand freilich nicht schmälern: Als integraler Bestandteil des römischkatholischen Kanons fanden vor allem das Motiv des Schutzengels und das der „drei Tobiasnächte" (vgl. die Version der Vulgata) Eingang in Literatur und Alltagsfrömmigkeit (vgl. zum ganzen Gamberoni, Auslegung). In der bildenden Kunst wurde das Motiv der Wanderschaft des jungen Tobias mit seinem Schutzengel ein Lieblingsthema der italienischen Kunst des Quattrocento; berühmt sind auch die zahlreichen Darstellungen Rembrandt van —»Rijns zu dieser Erzählung (vgl. Weskott). Literatur 1. Textausgaben u. alte Übersetzungen: Klaus Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina, dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle u. den alten talmudischen Zitaten; aramaistische Einl., Text, Übers., Deutung, Grammatik, Wb., dt.-aramäische Wortliste, Reg., Göttingen, I 1984, 298-300; ErgBd. 1994, 134-147. - Joseph A. Fitzmyer, Tobit: Magen Broshi/Ester Eshel u.a., Qumran Cave 4. XIV. Parabiblical Texts. Pt. 2, 1995 (DJD 19) 1 - 7 6 . - Moses Gaster, Two Unknown Hebrew Versions of the Tobit Legend: PSBA 18 (1896) 208-222.259-271; 19 (1897) I-XI.27-38 - ders., Studies and Texts in, Folklore,.Magic, Medieval Romance, Hebrew Apocrypha and Samaritan Archaeology, 3 Bde., London 1928 (Nachdr. New York 1971), I, 1 - 3 8 ; III, 1 - 1 1 . 1 1 - 1 4 . - Robert Hanhart (Hg.), Tobit, Göttingen 1983 (Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum VIII/5). - Ders., Text u. Textgesch. des Buches Tobit, 1984 (AAWG.PH 3. Folge Nr. 139 = MSU 17). - Jürgen Lebram, Tobit: Vetus Testamentum Syriace. Iuxta simplicem Syrorum versionem. Canticum canticorum. Tobit. IV Esrae/The O T in Syriac. Sample Ed., Leiden 1966 = Vetus Testamentum Syriace, ed. The Peshitta Institute Leiden, Leiden, IV/6 1972. - Adolphe Neubauer, The Book of Tobit. A Chaldee Text from a Unique Ms. in the Bodleian Library with other Rabbinical Texts, Engl. Translations and Itala, Oxford 1878. - Bryan Walton, Bibliorum Sacrorum. Biblia Polyglotta complectentia textus originales hebraicos ..., London 1657, 3 5 - 6 3 (enthält Hebraeus Muenster u. Hebraeus Fagii). 2. Kommentare u. Forschungsliteratur: Israel Abrahams, Tobit and Genesis: JQR 5 (1893) 3 4 8 350. - Joseph M. Baumgarten, On the Non-Literal Use of Ma'aser/Dekate: JBL 103 (1984) 245-251. - Daniel A. Bertrand, Le chevreau d'Anna. La signification de l'anecdotique dans le livre de Tobit: RHPhR 68 (1988) 269-274. - Beverly Bow/George W. Nickelsburg, Patriarchy with a Twist. Men and Women in Tobit: Amy-Jill Levine (Hg.), „Women like this". New Perspectives on Jewish Women in the Greco Roman World, 1991 (SBL Early Judaism and its Literature 1) 127-143. Hermann Bückers, Die Bücher Esdras, Nehemias, Tobias, Judith u. Esther, 1953 (HBK 4/2) 181247. - Edward M. Cook, Our Translated Tobit: Kevin J. Cathcart/Michael Mäher (Hg.), Targumic

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Tobit

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Tod I

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Loren T. Stuckenbruck, The Book of Tobit and the Problem of „ M a g i c " : Hermann Lichtenberger/Gerbern S. Oegema (s.o. zu Beate Ego) 2 6 8 - 2 7 9 . - James D. Thomas, T h e Greek Text of Tobit: J B L 91 (1972) 4 6 3 - 4 7 1 . - Paul Vetter, Das Buch Tobias u. die Achikar-Sage: T h Q 86 (1904) 321 - 3 6 4 . 5 1 2 - 5 3 9 ; 87 (1905) 3 2 1 - 3 7 0 . 4 9 7 - 5 4 6 . - Steven Weitzmann, Allusion, Artifice and Exile and the Hymn of Tobit: J B L 115 (1996) 4 9 - 6 1 . - Hanne Weskott, Tobias: LCI 4 (1974) 3 2 0 - 3 2 6 . - Michael O. Wise, A Note on 4Q196 (papTob ar a ) and Tobit I 22: V T 43 (1993) 5 6 6 569. - Frank Zimmermann, The Book of Tobit. An Engl. Transl. with Intr. and Comm., 1958 (JAL).

Beate Ego

Tod I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

Religionsgeschichtlich Altes und Neues Testament Judentum Kirchengeschichtlich Dogmatisch Ethisch Praktisch-theologisch Philosophisch Ikonographisch

S. S. S. S. S. S. S. S.

582 600 605 614 619 624 629 635

I. Religionsgeschichtlich 1. Todesproblematik

1.

2. Der Tod als religiöses Phänomen

3. Ergebnis

(Literatur S. 581)

Todesproblematik

Einer todesverdrängenden Gesellschaft wird „das Problem Tod" (Thiel: Cipolletti 5) auf vielfältige Weise präsent gehalten: durch die Reanimationsmedizin, welche die Berichte über „Nahtodeserfahrung" sprunghaft ansteigen ließ und die Thanatologie („Sterbeforschung") recht eigentlich ins Leben rief; durch die Transplantationschirurgie (-»•Organverpflanzung), welche einer „handhabbaren" Todesdefinition zur Legitimation ihres (lebenserhaltenden) Tuns bedarf („so tot wie nötig, so lebendig wie möglich"); durch Ausstellungen wie die im Frankfurter Museum für Völkerkunde („Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich", Dezember 1989 — März 1991), die von Besuchern förmlich überrannt würde, oder durch Gunther von Hagens Wanderschau mit dem euphemistischen Titel „Körperwelten" (Mannheim 1997/1998; Basel 1999; Köln 2000; Berlin 2001), die zu lebhaften Kontroversen Anlaß gibt; durch populärwissenschaftliche Publikationen zum Thema Tod; schließlich durch die Diskussion um Sterbebegleitung, aktive oder passive Sterbehilfe. Neben der biologischen Dimension des Todes ist die religiöse immer mit präsent. 2. Der Tod als religiöses

Phänomen

Religiöse (und folkloristische) Traditionen wissen wohl um die biologischen Aspekte des Todes mit all seinen Verfallserscheinungen. Dennoch spielen sie in der Bestimmung dessen, was „Tod" und „Leben" sei, eine vergleichsweise geringe Rolle. Andere Kriterien sind ihnen wichtiger. Dazu ein Beispiel: 2.1. Im alten Ägypten (-»Seele I) wird der Verstorbene, der die Wägung des Herzens vor dem Jenseitsgericht bestand, kein Toter, sondern ein „Verklärter" (3hw): er „lebt" im Jenseits eine den Lebenden analoge Existenz. Wer nicht bestand, erleidet einen „zweiten Tod": durch Vernichtung seiner (personalen) Existenz (z. B. im „Feuersee"); dadurch wird er erst zum „Toten" (mt), zum Nichtseienden (jwtj) (vgl. Apk 20,14f.). Einen

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Loren T. Stuckenbruck, The Book of Tobit and the Problem of „ M a g i c " : Hermann Lichtenberger/Gerbern S. Oegema (s.o. zu Beate Ego) 2 6 8 - 2 7 9 . - James D. Thomas, T h e Greek Text of Tobit: J B L 91 (1972) 4 6 3 - 4 7 1 . - Paul Vetter, Das Buch Tobias u. die Achikar-Sage: T h Q 86 (1904) 321 - 3 6 4 . 5 1 2 - 5 3 9 ; 87 (1905) 3 2 1 - 3 7 0 . 4 9 7 - 5 4 6 . - Steven Weitzmann, Allusion, Artifice and Exile and the Hymn of Tobit: J B L 115 (1996) 4 9 - 6 1 . - Hanne Weskott, Tobias: LCI 4 (1974) 3 2 0 - 3 2 6 . - Michael O. Wise, A Note on 4Q196 (papTob ar a ) and Tobit I 22: V T 43 (1993) 5 6 6 569. - Frank Zimmermann, The Book of Tobit. An Engl. Transl. with Intr. and Comm., 1958 (JAL).

Beate Ego

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Religionsgeschichtlich Altes und Neues Testament Judentum Kirchengeschichtlich Dogmatisch Ethisch Praktisch-theologisch Philosophisch Ikonographisch

S. S. S. S. S. S. S. S.

582 600 605 614 619 624 629 635

I. Religionsgeschichtlich 1. Todesproblematik

1.

2. Der Tod als religiöses Phänomen

3. Ergebnis

(Literatur S. 581)

Todesproblematik

Einer todesverdrängenden Gesellschaft wird „das Problem Tod" (Thiel: Cipolletti 5) auf vielfältige Weise präsent gehalten: durch die Reanimationsmedizin, welche die Berichte über „Nahtodeserfahrung" sprunghaft ansteigen ließ und die Thanatologie („Sterbeforschung") recht eigentlich ins Leben rief; durch die Transplantationschirurgie (-»•Organverpflanzung), welche einer „handhabbaren" Todesdefinition zur Legitimation ihres (lebenserhaltenden) Tuns bedarf („so tot wie nötig, so lebendig wie möglich"); durch Ausstellungen wie die im Frankfurter Museum für Völkerkunde („Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich", Dezember 1989 — März 1991), die von Besuchern förmlich überrannt würde, oder durch Gunther von Hagens Wanderschau mit dem euphemistischen Titel „Körperwelten" (Mannheim 1997/1998; Basel 1999; Köln 2000; Berlin 2001), die zu lebhaften Kontroversen Anlaß gibt; durch populärwissenschaftliche Publikationen zum Thema Tod; schließlich durch die Diskussion um Sterbebegleitung, aktive oder passive Sterbehilfe. Neben der biologischen Dimension des Todes ist die religiöse immer mit präsent. 2. Der Tod als religiöses

Phänomen

Religiöse (und folkloristische) Traditionen wissen wohl um die biologischen Aspekte des Todes mit all seinen Verfallserscheinungen. Dennoch spielen sie in der Bestimmung dessen, was „Tod" und „Leben" sei, eine vergleichsweise geringe Rolle. Andere Kriterien sind ihnen wichtiger. Dazu ein Beispiel: 2.1. Im alten Ägypten (-»Seele I) wird der Verstorbene, der die Wägung des Herzens vor dem Jenseitsgericht bestand, kein Toter, sondern ein „Verklärter" (3hw): er „lebt" im Jenseits eine den Lebenden analoge Existenz. Wer nicht bestand, erleidet einen „zweiten Tod": durch Vernichtung seiner (personalen) Existenz (z. B. im „Feuersee"); dadurch wird er erst zum „Toten" (mt), zum Nichtseienden (jwtj) (vgl. Apk 20,14f.). Einen

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zweiten Tod stirbt auch der, dessen Name nicht mehr gedacht (damnatio memoriae) und dem Opferkult und Grabpflege versagt werden. Andererseits können die alten Ägypter -»Leiden (s.a. -»Krankheit) schon als Tod bezeichnen (vgl. Ps 88) und den Angehörigen eines verachteten Berufsstandes (Militär) „tot, obgleich er noch lebt" (SanderHansen 22 Anm. 6), nennen. Die folgenden allgemeineren Ausführungen sollen die am Beispiel Ägypten aufgezeigten Themen aufgreifen und auf breiterer vergleichender Basis weiterführen. 2.2. Stirbt jemand einen „unseligen" („schlimmen") Tod, etwa in der Fremde, unbestattet, durch Unfall, vor der gesetzten Lebenszeit (unverheiratet), mit einem uneingelösten Versprechen, unter einem Fluch der Gemeinschaft oder als Verurteilter aufgrund eines Delikts, dann findet er als Toter keine Ruhe, muß umgehen (Wiedergänger; vgl. -•Seele I), seinen gewaltsamen Tod zwanghaft wiederholen, sich an den Lebenden für die verkürzte Lebenszeit rächen, ihnen Lebenskräfte entziehen oder sie in sein „unseliges" Totendasein mit hineinziehen. Auch wer zu Lebzeiten ohne Wissen der Gemeinschaft und deshalb ungestraft außerhalb der gemeinschaftlichen Norm lebte (heimlich stahl, mordete, schwarze Magie trieb), wird nach seinem Tod ein Wiedergänger; und die Tatsache, daß er umgeht, „denunziert" ihn nachträglich als Untäter. Die Gemeinschaft kann sich vor schadenstiftender Wiedergängerei „unseliger" Toter schützen, indem sie die Toten immobilisiert („nasses Begräbnis", separate oder „umgekehrte" Bestattung des Kopfes, Verpfählen im Grab, Dornen auf dem Grab), so daß postmortale Beweglichkeit und Aktion ausgeschlossen (zumindest erschwert) sind; indem sie sie (was gewisse Formen der -»Todesstrafe geradezu bezwecken) total annihiliert (Rädern, Vierteilen, Verbrennen und Verstreuen der Asche); indem sie den „unseligen" Toten „erlöst" (Rückführung in den Sippenfriedhof, stellvertretende Einlösung des uneingelösten Versprechens, Rücknahme des Banns, „ehrliches" Begräbnis, Totentaufe [vgl. I Kor 15,29]) oder indem sie „prophylaktisch" dafür besorgt ist, daß ein Verstorbener gar nicht erst zum „unseligen" Toten wird („Totenhochzeit" für unverheiratet Gestorbene, Versöhnung mit der Gemeinschaft vor der Hinrichtung). Wer in Übereinstimmung mit der gemeinschaftlichen Norm lebte und stirbt und im räumlichen Bereich der Gemeinschaft bestattet wird, ist ein „seliger" Toter. Sein postmortales (jenseitiges) Dasein richtet sich nach den entsprechenden religiösen (und folkloristischen) Überlieferungen. Und im Rahmen dieser Überlieferungen läuft der Verkehr mit den Lebenden in rituell geregelten Formen weiter (Totenspeisung, Totenkommunion, „Totenbesuchsfeste", Totenbefragung, Gebet). Auch wer einen „seligen" Tod stirbt, kann unversehens zum „unseligen" Toten und Feind der Gemeinschaft werden, wenn diese es ihm gegenüber an der nötigen Pietät fehlen läßt, wenn z. B. die „Totenhilfe" (Zudrücken der Augen, Verhüllen des Gesichts, Hinausschaffen der Leiche durch eine separate Öffnung in der Wand) unterblieb (Hasenfratz, Welt 70f.), wenn die Bestattung nicht rite vor sich ging, wenn die Grabpflege vernachlässigt, bei der Totenspeisung geknausert wird. Schließlich kommt es vor, daß die Nachkommen einen „seligen" Toten (im Ahnenstatus), wenn er ihnen aus dem Jenseits nicht die von ihnen erwartete Hilfe zukommen läßt, nicht mehr beopfern und vergessen, wodurch er (als „Unseliger") endgültig stirbt. Da auch die „seligen" Toten nach fortgesetzter Gemeinschaft mit den Hinterbliebenen trachten, zu ihnen zurückkehren oder sie in ihr Totendasein hinüberziehen („nachholen") wollen, blocken die Lebenden allzu große Anhänglichkeit der Toten (und an die Toten: „Nachweinen", „Nachsterben") durch totenkultische Maßnahmen ab (wo nicht wirkliche Totenfolge vorgesehen ist); und der rituelle Aufwand dafür unterscheidet sich oft nur graduell von den Sicherungsmaßnahmen gegenüber „Unseligen". 2.3. Ist die Vernichtung eines „unseligen" Toten (und das Erlöschen seiner Erinnerung) phänomenologisch dem zweiten Tod zuzuordnen, so der „soziale Tod" einem Totenstatus schon bei Leibes Leben, wie sie beide an der altägyptischen Kultur exemplifiziert wurden (s.o. 2.1.). Den „sozialen Tod" erleidet, wer sich vom Bereich gemein-

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schaftlichen Lebens räumlich entfernt, sei es freiwillig (als Eremit, Mönch), sei es unfreiwillig (als Verirrter, Kriegsgefangener), oder wer außerhalb des (Lebens-)Bereichs gemeinschaftlicher Norm steht - durch normwidriges Verhalten (als Delinquent), durch normwidrigen Stand (als Kastenloser, Armer) oder normwidrigen Zustand (als Alter, Kranker). Wer außerhalb gemeinschaftlicher Norm steht, kann auch räumlich aus dem Lebensbereich der Normengemeinschaft verbannt werden (Ächter [Geächtete], Alte, Kranke); oder aber der Umgang mit ihm innerhalb der Sozietät wird minimalisiert (Kastenlose, „Unehrliche"). Je nach Normenkanon einer Gemeinschaft und Kategorie der sozial Totgestellten werden die Betroffenen bei Leibes Leben zu „unseligen" Toten und als Wiedergänger (s.o. 2.2.) behandelt (Ächter, Verirrte) oder sonst rituell lebend (vgl. Hasenfratz, Welt 39) als Tote markiert (durch Begräbnisritual, Totenhabit) (Mönche, Arme, Alte, Kranke) oder müssen bei bestimmten Anlässen (z. B. „Totenbesuchsfeste"; s.o. 2.2.) die (wirklich) Toten der Gemeinschaft vertreten und repräsentieren (Arme) oder gelten juristisch als Tote (Kriegsgefangene). Daß solche sozial Totgestellte durch ihren Totenstatus oft gerade zum Leben der Gemeinschaft beitragen (der Verbannte durch Erschließung neuen Siedlungsraums; Mönch und Eremit durch Gebet für die Gemeinschaft und Gründung neuer Gemeinschaften zum Wohl der Gemeinschaft; der Outcast durch Tätigkeiten, welche die gemeinschaftliche Norm zwar diffamiert, ohne die die Gemeinschaft aber nicht funktioniert), sei vermerkt. 3.

Ergebnis

Die vorgeführten Vorstellungen sind zeitlich und räumlich sowohl bei traditionellen Kulturen als auch bei solchen mit Schriftreligion weit verbreitet. Sie leben in und neben Schriftreligionen (—»Hinduismus, -»Buddhismus, Judentum [s.u. III.], Christentum [s.u. IV.ff.], -»Islam) auch da weiter, wo diese ein abweichendes (vor- und) nachtodliches „Programm" (—»Eschatologie) vorsehen (—»SeelenWanderung; Zwischenzustände zwischen individuellem Tod und allgemeiner Totenauferstehung am Ende von Zeit und Geschichte; Apokatastasis). Und sie zeigen, daß für religiöse (und folkloristische) Überlieferung - bei aller und hautnaher Kenntnis biologischer Gegebenheiten - der Tod weit ins Leben hineinreicht, wo er als normwidrige Minderung des Lebens erfahren und qualifiziert wird („sozialer Tod"); daß das Leben weit in den Tod hineingreift, wo der Tod die Teilnahme am Leben der Lebenden nicht unterbricht („seliger" Tod); daß pervertierter Tod pervertiertes Leben fortdauern läßt („unseliger" Tod), bis es mit einem zweiten Tod ein definitives Ende findet. Hinzuzufügen ist dem noch abschließend der Extremfall, daß Leben und Tod in einen einzigen Punkt konvergieren: den der Initiation (-»Mysterienreligionen), wenn der Initiand oder Myste - lebend - seinem „alten" Leben abstirbt und gleichzeitig zu neuem, ewigem Leben wiedergeboren wird, dem auch der Tod nichts mehr anhaben kann (vgl. Rom 6,3ff.; -»Taufe). Literatur S.a. die Lit. zu -»Seele I, -»Seelenwanderung I. Zu 1.: Maria Susana Cipolletti, Langsamer Abschied. Tod u. Jenseits im Kulturvergleich, Frankfurt a . M . 1989 (Lit.). - Gehirntod u. Organtransplantation als Anfrage an unser Menschenbild, 1995 ( B T h Z 12 Beih.). - Hans-Peter Hasenfratz, Sinngebung des Todes in säkularer u. „postsäkularer" Welt: GlLern 9 (1994) 5 0 - 5 9 . - Wilhelm Knevels/Franz Böckle/Erich Schmalenberg, Euthanasie. Hilfe beim Sterben, Hilfe zum Sterben, 1975 (EZS 75). - Der Tod. Ende oder Tor zum Leben? Vortragszyklus 1988/89 zu der Ausstellung „Langsamer Abschied", hg. v. Josef Franz Thiel, Frankfurt a.M. 1990. - Der Tod. Ein Lesebuch v. den letzten Dingen, hg. v. Rainer Beck, München 1995. Zu 2.: Paul Geiger, Art. Tod: H W D A 8 (1937 = 2000) 9 7 0 - 9 8 5 (Lit.). - Ders., Art. Tote: ebd. 1 0 1 9 - 1 0 3 4 (Lit.). - Ders., Art. Totenkult: ebd. 1 0 7 9 - 1 0 8 4 (Lit.). - Hans-Peter Hasenfratz, Die toten Lebenden. Eine religionsphänomenologische Stud. zum sozialen Tod in archaischen Gesellschaften, 1982 ( B Z R G G 24) (Lit.). - Ders., Zum sozialen Tod in archaischen Gesellschaften: Saec.

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34 (1983) 126-137. - Ders., Tod u. Seele im Alten Ägypten: Tod u. Jenseits im Altertum, hg. v. Gerhard Binder/Bernd Effe, Trier 1991 (Bochumer Altertumswiss. Colloquium 6) 88-102. - Ders., Die rel. Welt der Germanen, Freiburg i.Br. 1992 31997. - Ders., Leben mit den Toten. Eine Kulturu. Religionsgesch. der anderen Art, Freiburg i.Br. 1998 (Lit.). - Kurt Ranke, Indogermanische Totenverehrung, I 1951 (FFC 140) (Lit.). - Jurij S. Rytcheu, Teryky. Eine Tschuktschenlegende. Aus dem Russ. v. Waltraud Ahrndt, Berlin 1989 = Zürich 1993 = 1996. - Constantin Emil SanderHansen, Der Begriff des Todes bei den Ägyptern, Kopenhagen 1942 (Kgl. Danske Videnskabernes Selskab. Hist.-filol. Meddelelser 29/2). - Hans Joachim Seil, Der schlimme Tod bei den Völkern Indonesiens, Den Haag 1955. - Joachim Friedrich Sprockhoff, Die Alten im alten Indien: Saec. 30 (1979) 374-433. - Josef Franz Thiel, Tod u. Jenseitsglaube in Bantu-Afrika: Tod u. Jenseits im Glauben der Völker, hg. v. Hans-Joachim Klimkeit, Wiesbaden 1978 = 1993, 40-47. - Das Totenbuch der Ägypter, eingel., übers, u. erl. v. Erik Hornung, 1979 (BAW.AO); Düsseldorf/Zürich 1998. Zu 3.: Markwart Herzog, „Descensus ad Inferos". Eine religionsphil. Unters, der Motive u. Interpretationen mit besonderer Berücksichtigung der monographischen Lit. seit dem 16. Jh., 1997 (FTS 53). - Irmgard Wilhelm-Schaffer, Gottes Beamter u. Spielmann des Teufels. Der Tod in SpätMA u. früher Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1999. Hans-Peter Hasenfratz

II. Altes und Neues Testament 1. Der Tod mitten im Leben 2. Sterben und Bestattetwerden 3. Totenwelt und Jenseitsvorstellungen 4. Tod und Schuld 5. Einbrüche in die Welt des Todes 6. Sieg über den Tod 7. Leben mit dem Tod (Literatur S. 597) Der Tod ist ein gesamtbiblisches (und allgemeinmenschliches) Thema. Vieles, was darüber zu sagen ist, gilt für beide Testamente, bei manchem gibt es klare Entwicklungslinien vom einen zum andern. Zudem stand Israel/Palästina während der gesamten biblischen Zeit im Austausch mit den Kulturen der Umwelt, was gerade bei einem Thema wie diesem weitreichende Folgen hat. So schien es sinnvoll, hier einmal zusammenzuführen, was sonst oft getrennt wird. - Die nachfolgenden Abschnitte sind als Stationen eines fiktiven „Weges" angelegt: vom Leben durch den Tod und die Totenwelt zu neuem Leben. 1. Der Tod mitten

im

Leben

Im Alten Testament wird der Tod mit großem Realismus wahrgenommen. Er ist die natürliche Grenze des Lebens, gegen die nicht aufzubegehren ist. Nüchtern wird konstatiert, wie begrenzt und vergänglich das Menschenleben ist (Jes 40,6f.; Ps 39,5f.; 90,5f.; 103,15f.; Hi 1 4 , l f . ; Koh 3,2), daß es, „wenn es hoch kommt, 80 Jahre w ä h r t " (Ps 90,10). Die durchschnittliche Lebenserwartung lag viel niedriger: bei etwa 30 Jahren, und zwar bei Frauen noch tiefer als bei Männern - Folge nicht zuletzt der hohen Kinderund Kindbettsterblichkeit. Es galt als Glück, „alt und lebenssatt" sterben zu dürfen (Gen 25,8; Hi 42,17; vgl. auch Dtn 34,7). Nicht der Tod am Ende eines erfüllten Lebens, wohl aber der vorzeitige Tod bedeutet ein Problem. Das Leben muß Zeit haben, sich zu entfalten. Deswegen sollen Frischverlobte nicht in den Krieg ziehen (Dtn 20,7). Deshalb beklagt David, daß er nicht anstelle seines Sohnes Abschalom gefallen ist (II Sam 19,1). Deshalb werden Auferweckungsgeschichten gerade von in jungen Jahren Dahingerafften erzählt (I Reg 17,17—24; II Reg 4 , 1 8 - 3 7 ; vgl. Mk 5,42; Lk 7,12). Ganz gegen die Regel wird dem frommen König —»Hiskia die Lebensuhr um einige Stunden zurückgestellt (II Reg 20,9—11). In der Regel aber schlägt der Tod überpünktlich und unerbittlich zu. Da ihm Israel keine eigene, göttliche Gewalt zuerkennen will, sieht es letztlich Gott selber als den, der „schlägt" (hebräisch nkh). Einzelne Beispiele dafür werden erzählt (I Sam 25,38; II Sam 6,7; 12,15; vgl. auch Gen 19,24f.; E x 12,29; Num 16,29f.; II Sam 24,15 u.ö.), und generalisierend heißt es: „ J H W H tötet" (Dtn 32,39; I Sam 2,6; vgl. auch Ps 104,29). Gottes unvermittelte Nähe als solche verströmt schon eine Aura des Todes (Ex 19,16—25; 3 3 , 5 . 2 0 - 2 3 ; Lev 16,1 f.; Jes 6,5).

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Nur selten berichtet die Bibel von Menschen, die selber ihrem Leben ein Ende gesetzt haben (I Sam 31,5; II Sam 17,23; Mt 27,5; -»Suizid). Sie tut das ohne moralisierenden, verurteilenden Unterton, sondern in Traurigkeit und Erschrecken darüber, wie restlos ein Leben scheitern und in Hoffnungslosigkeit versinken kann.

Nicht erst am Ende des Lebens, sondern zuvor schon kommt es immer wieder zu Einbrüchen der Todesgewalt. Krankheit, Schmerzen, Verfolgung, Vereinsamung, Not, Angst, Gottverlassenheit: alles, was das Leben der einzelnen oder der Gemeinschaft bedroht und beschädigt, wird als Wirken des Todes bzw. des zum Töten bereiten Gottes erfahren (z.B. Ps 6 , 5 - 9 ; 22,12-22; 3 0 , 2 - 4 ; 38; 6 0 , 3 - 5 ; 7 9 , 1 - 5 ; Thr lf.). Propheten können die Stadt, das Land, so lebendig diese im Augenblick sein mögen, im Vorgriff auf Gottes tödliches Handeln schon jetzt für tot erklären (Jes 1,21-23; Am 5,lf.l6f.). Media vita in morte sumus. Die Verhältnisse und Anschauungen ändern sich in neutestamentlicher gegenüber der alttestamentlichen Zeit kaum. Für die Bevölkerung des Römischen Reichs beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung weniger als 30 Jahre, die Kindersterblichkeit ist ausgesprochen hoch. Pagane wie jüdische Grabinschriften, welche die Erinnerung an die Verstorbenen bewahren wollen, beklagen oft die Frühzeitigkeit und Willkürlichkeit des Todes; Jenseitshoffnungen kommen ausgesprochen selten zu Wort. Angesichts der Nähe des Todes begegnet gern die Ermunterung, die Gabe des kurzen Lebens zu genießen (vgl. I Kor 15,32!). Die christliche Verkündigung präsentiert eine Alternative zu dem vom allgegenwärtigen Tod überschatteten Leben (I Thess 4,13f.; I Kor 15,17-19; Hebr 2,14f.; Mt 4,16 und Lk 1,79 nach Jes 9,1). Personifikationen des Todes begegnen in der Bibel relativ selten (etwa Hos 13,14, eventuell Jes 5,14; 28,15.18; Hab 2,5; Ps 49,15; Cant 8,6). TestAbr (A) 1 6 - 2 0 schildert die Auseinandersetzung Abrahams mit dem Tod(esengel), was an Ex 12,23 und II Sam 24,15ff. erinnert. Im Neuen Testament erscheint Thanatos als Herrscher (Rom 5,14.17; vgl. Weish 1,14), Feind (I Kor 15,26.54f.; als Bundesfreund der Frevler Weish 1,16), dämonischer Reiter (Apk 6,8, zusammen mit Hades; beide vernichtet, 20,14). Mitunter findet sich eine Metaphorisierung des Todes, die mit derjenigen des Lebens einhergeht (Dtn 30,15ff.; Am 5 , 1 4 - 2 0 ) . Im Neuen Testament wird der Tod als Verfallensein an Welt und -»Sünde gern mit dem -»Leben als göttlicher Heilsgabe kontrastiert (Rom 7 , 1 0 - 8 , 2 ; Joh 5,24f.; I Joh 3,14; auch Llc 9,60 par. [Q]).

2. Sterben und

Bestattetwerden

2.1. Biblischer Befund. Stirbt ein Mensch, so wird dies öffentlich bekanntgegeben und gemeinschaftlich betrauert (-»Trauer). Wo nicht, ist es ein schwerer Affront: Jer 22,18. Es gibt eigens mit dieser Aufgabe betraute Klagefrauen (Ez 32,16; II Chr 35,25; vgl. Mt 9,23; Lk 23,27f.), die in ihrem Amt unterwiesen sind und darum als „weise" gelten (Jer 9,16.19; in Am 5,16 eine maskuline Form). Bedeutende Tote werden durch speziell auf sie gedichtete Klagelieder geehrt (II Sam 1,17-27; 3,33f.; II Chr 35,25) und vom „Volk" anhaltend beweint (Gen 50,10f.; Dtn 34,8; I Sam 28,3; II Sam 3,31f.; Jer 22,10). Im Fall des in Ägypten verstorbenen Erzvaters Jakob kommt eine ausgiebige Einbalsamierung hinzu (Gen 50,1-3). Bestimmte Trauerriten werden vollzogen: Man weint öffentlich, zerreißt das Obergewand, legt ein grobleinenes Trauergewand an, verhüllt das Antlitz, bestreut das Haupt mit Asche, schlägt sich auf die Brust, setzt sich in Asche, meidet das Bett, fastet, rauft sich die Haare, schert sich eine Glatze, fügt sich gar (kleinere) Verletzungen zu (Gen 37,34; Lev 19,28; Jos 7,6; I Sam 31,13; II Sam 19,5; II Reg 6,30; Jer 4,8; Ez 27,30f.; 31,15; Am 8,3.10; Hi 2,12f.). Es fällt auf, wenn diese Riten etwa unterbleiben (II Sam 12,23; Jer 16,6f.; Ez 24,17). Teilweise finden sie schon in Vorwegnahme des befürchteten Todes statt (II Sam 12,16; Jon 3 , 5 - 7 ) . Es sind dies „Selbstminderungsriten" (Kutsch), die den Harm über den erlittenen Verlust und die Beugung unter den harten Willen Gottes anzeigen - durchaus auch in der Absicht, Gott wieder milde zu stimmen. Möglichst noch am Tage des Ablebens (das Klima ist heiß!) wird der oder die Tote beigesetzt. Vorzugsweise geschieht dies in einem Familiengrab, das über Generationen immer wieder benutzt

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wird (etwa im Fall der Patriarchen: Gen 23; 25,10; 50,13; oder bei den Davididen: I Reg 2,10; II,43; II Reg 9,28; 23,30; aber auch bei Nordreichskönigen: I Reg 16,28; II Reg 10,35; 15,22). In solchem Zusammenhang kehren regelmäßig Wendungen wieder wie „sich zu den Vätern legen" oder „bei den Vätern begraben werden"; deren Gebeine liegen eben auch in der Gruft. Wer über keine Gruft verfügt, wird in der Erde bestattet, notfalls in einem Massengrab (II Sam 18,17), vielleicht auch unter einem großen Steinhaufen (Jos 7,26; II Sam 18,17). Völlig tabu ist die Verbrennung von Toten (vgl. Am 2,1). Offenbar liegt viel an einem einigermaßen ordentlichen Begräbnis. Dafür zu sorgen ist Pflicht der Familie. Ist diese dazu nicht in der Lage, handeln andere stellvertretend. Die Männer von Jabesch etwa riskieren ihr Leben, um die zur Schau gestellten Leichname -»Sauls und Jonatans zu entwenden und beizusetzen (1 Sam 31,8-13). Auch -»David und -»Jehu finden sich dazu bereit, Hingerichteten diese letzte Ehre zu erweisen (II Sam 21,13f.; II Reg 9,34). Es gibt nichts Schimpflicheres und Schrecklicheres, als den „Hunden", „den Tieren des Feldes" oder „den Vögeln des Himmels" zum Fraß überlassen zu werden (Dtn 28,26; I Sam 17,44; I Reg 21,23f.; II Reg 9,36f.; Jer 7,33; 22,19; Ez 29,5; 39,4); denn nur ordentlich Bestattete können in der Totenwelt Aufnahme finden. In Altisrael werden die Leichname - abgesehen von ägyptisch beeinflußten Sonderfällen (Gen 50,2.26) - nicht eigens behandelt oder präpariert. Man legt sie angekleidet ins Grab (oft die „Grube" genannt) und überläßt sie dem Vorgang der Verwesung. Dieser ist äußeres Anzeichen des geheimnisvollen Ubergangs von der Welt der Lebenden in die der Toten. Die alten Bestattungsbräuche halten sich im Judentum zur Zeit Jesu durch. Gestorbene werden sofort nach dem Tod (Verwesung ab drei Tagen, vgl. Joh 11,39) gewaschen und mit Öl, gegebenenfalls versetzt mit Spezereien, gesalbt (Mk 16,1; Joh 19,39f.), in (zum Teil wertvolle) Stoffe gekleidet (auch Kopf, Hände und Füße: Joh 11,44) und meist in Schlafstellung gebettet (selten in Särge oder Steinsarkophage; es gibt kaum Einbalsamierungen). Die Toten werden in einem Leichenzug zu Grab getragen (Lk 7,12). Bestattung in palästinischem Boden war bei Diasporajuden zunehmend beliebt. Grabbesuche fanden häufig statt, vor allem innerhalb der ersten drei Tage und nach Ablauf eines Monats (vgl. Mk 16,1-8 par.). Ganz besondere Wertschätzung und Verehrung brachte man den (zum Teil monumentalen) Gräbern von Propheten und anderen Frommen, besonders von Märtyrern entgegen (Mt 23,29 par.; vgl. Vitae Prophetarum).

2.2. Archäologischer

Befund. Die auf dem Boden Palästinas/Israels gefundenen Grab-

anlagen aus biblischer Zeit geben wichtige Hinweise auf die Begegnung der damaligen Menschen mit dem Tod. Es genügt hier eine knappe Skizze (weitere Informationen s. -»Bestattung). Grundsätzlich wurden alle Verstorbenen in die Erde abgesenkt, und zwar nicht (wie in Ugarit) jeweils unter dem eigenen Haus, sondern auf eigenen Gräberfeldern. Diese befanden sich zumeist in unmittelbarer Nähe der Siedlungen, von ihnen aus gut sichtbar und leicht begehbar. Man lebte gewissermaßen in Kontakt mit den Toten. Doch meinte man nicht, sie versorgen zu müssen; lediglich beim Begräbnis gab man ihnen gelegentlich einige hilfreiche Dinge für den Weg in die Unterwelt mit (Wegzehrung, Schutzamulette, Götterfigurinen, kleinere Gerätschaften, eine Waffe, Spielzeug und dergleichen). Apotropäische Funktion könnte die Abbildung einer großen (göttlichen?) Hand neben einer Grabinschrift in Khirbet el-Qom aus dem 8. Jh. haben (vgl. Renz/Röllig I, 202-206; III, Taf. X X und dazu Ps 138,7; zu einer anderen möglichen Deutung s.u. 5.1.). Daß man mit den Toten postum keinen eigentlichen Umgang pflegte, zeigen schon die Grabformen. Zunächst überwiegen einfache Erdgräber oder, bei Wohlhabenden, in Fels gehauene Schachtkammergräber (mit schmalem Zugang und flacher Höhlung, welche lediglich das Hineinschieben des Leichnams erlaubten). Ab dem 9. Jh. kommen (neben Erdgräbern) immer häufiger Bankgräber, mitunter auch Stollengräber und später dann Arkosolgräber in Gebrauch: Anlagen mit begehbarem Zugang, auf Mannshöhe abgesenktem Mittelgang und mehreren Bestattungsnischen an den Seiten. Hier ist zwar wiederholter Zutritt vorgesehen, jedoch einzig zum Zwecke der Nachbestattung. Oft finden sich unter den Bänken oder in eigenen Nischen Ossuarien, in denen die abgewitterten Gebeine früher Bestatteter gesammelt wurden, die dem nächsten Toten hatten Platz machen müssen. (Ganz anders das Bild etwa bei den arabischen Nabatäern um die Zeitenwende: In Petra sind Felsgräber förmlich als Häuser mit großem Innenraum und Sitzbänken gestaltet, wo sich die Lebenden mit den Toten zu Mahlfeiern treffen konnten.) Ab der spätalttestamentlichen Zeit zeigt sich in Israel ein gewisser Zug vom Sippen- zum Einzelgrab. Dies hat einerseits gesellschaftliche Gründe - die Sippenstruktur lockert sich - , andererseits religiöse: Der Glaube an die individuelle und leibliche Totenauferstehung erfordert eine individuelle Bestattung und die integrale Erhaltung der sterblichen Uberreste jedes und jeder einzelnen Gläubigen (nicht hingegen, wie in Ägypten, die möglichst unbegrenzte Präservation des Leibes).

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Aus der neutestamentlichen Zeit sind vor allem Gräber in der weiteren Umgebung Jerusalems bekannt, einige von ihnen in Privatgärten angelegt (vgl. Joh 19,41; 18,1.26) oder auch zu größeren Anlagen mit Höfen und Bänken ausgebaut. Meist waren die vor allem in Fels eingelassenen Gräber klein und einfach, etwa mit großen Steinen verschlossen; besonders typisch sind Nischen (loculi) für die Toten. Die Tendenz zum Einzelgrab zeigt das von Josef von Arimathäa für Jesus bereitgestellte (Arkosol-?)Grab, dessen historischer Status allerdings umstritten ist (sowohl bezüglich der Kenntnis der Urgemeinde vom Grab Jesu [so M k 15,47] wie bezüglich seiner Kontinuität mit dem 325/26 unter -»Konstantin entdeckten Höhlengrab [Aedicula der Grabeskirche]). Seit der Zeit -»Herodes' I. werden die Gebeine (nach Ablauf etwa eines Jahres) nach erneuter Salbung in Einzel-Ossuarien beigesetzt (meist aus Kalkstein, geschmückt mit Ornamenten, selten mit Inschriften oder Symbolen), was auf die zunehmende Verbreitung des individuellen Auferstehungsglaubens hindeutet.

3. Totenwelt

und

Jenseitsvorstellungen

3.1. Die Welt der Toten. Wer aus dem Diesseits geschieden und regulär bestattet ist, gelangt ins Totenreich. Israels Vorstellungen davon decken sich weitgehend mit denen seiner Umwelt. In einem Anhang zum Gilgamesch-Epos wird berichtet, wie der Diener und Freund des Helden, Enkidu, in die Gewalt der Unterwelt fällt, weil er dort geltende Tabus keine reine Kleidung, kein feines Öl, keine familiären Kontakte - nicht eingehalten hat. Zwar gelingt es Gilgamesch mit göttlicher Hilfe noch einmal, Enkidus Totengeist heraufzuholen, doch erfährt er nur etwas über die Trostlosigkeit des Lebens dort unten (TUAT III/4, 739-744). Die altgriechischen Unterweltsvorstellungen (-»Griechische Religion 4.) sind weitgehend vom gemeinsamen altorientalisch-ägäischen Erbe bestimmt. Die Totenwelt (Hades) ist eine meist unterirdische Region am Rand der Welt, ein ungeheurer P.aum von Staub und Finsternis, bewohnt von schattenhaften Totenseelen, abgegrenzt von der Lebenswelt durch Flüsse, Tore und Wächter. Homers Odyssee (XI = VEKOia, mit einer an I Sam 28 erinnernden Totenbefragung) und Vergils Äneis (VI) bieten ein impressives Bild. Von einzelnen Heroen wird eine (zumeist erfolgreiche) Unterweltsfahrt (Kaxäßaait;) berichtet (vor allem Herakles, Orpheus). Nur wenige Götterlieblinge werden an einen Seligenort versetzt (Menelaos). Zunehmend verheißen aber -»Mysterien (Eleusinen, Dionysos, später Isis) und orphische Reinigungsriten ein besseres Los. Mit der Erwartung eines Jenseitsgerichts und dem Glauben an die Unsterblichkeit der -»Seele differenzieren sich die Jenseitsvorstellungen (vgl. —»Plates Mythen). In hellenistischer und römischer Zeit werden sie an die neue Kosmologie (Erde im Mittelpunkt mit um sie kreisenden Gestirnssphären) angepaßt, da diese keinen Platz mehr für ein Totenreich unter oder am Rand der Erde läßt: Das Jenseits wandert in die Himmelswelt aus (vgl. Plutarchs Mythen). Das Höllenbild antiker jüdischer und christlicher Texte (Petrusapokalypse; Paulusapokalypse) greift extensiv auf das Interieur der altgriechischen Unterwelt zurück.

Auch in Altisrael erscheint das Totenreich, Scheol genannt, als gleichermaßen freudlos und erbarmungslos. Unersättlich und unerbittlich ist Scheol (Jes 5,14; Prov 1,12; 27,20; Cant 8,6), hält die in sie Hinabgesunkenen fest wie mit Stricken (II Sam 22,6), läßt sie nie mehr frei (Jon 2 , 3 - 7 ; Hi 7,9f.; Ps 49,15). Finster ist es dort unten (Ps 88,7; Hi 17,13) und staubig (Ps 22,30). Alle Aktivität erlischt (Koh 9,10), alles wird schwach (auch die Könige! Jes 14,10f.; Ez 32,18-21), alles ist still (Ps 94,17), höchstens ein Wispern ist noch zu vernehmen (Jes 29,4). Besonders gravierend ist, daß an den Pforten der Unterwelt die Macht des Gottes Israels endet. In Not geratene Gläubige treiben Gott zu eiliger Hilfe an, indem sie ihm vorhalten, er könne, seien sie erst dem Tod in die Hände gefallen, nichts mehr für sie tun - und sie nichts mehr für ihn (Jes 38,18-20; Ps 6,5f.; 30,10f.; 88,10-14). 3.2. Kontakte mit den Toten. Daß die Toten der Scheol nicht mehr entkommen, heißt keineswegs, daß sie vergessen wären und daß man keinen Kontakt zu ihnen suchte, ganz im Gegenteil. Die eigenartige Faszination, welche die Welt der Toten auf die Lebenden ausübt, schafft sich in der Volksreligion Raum, während ihr die Hochreligion, wie sie das Alte Testament weithin prägt, geradezu erbittert entgegenzuwirken sucht.

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Nach priesterlichem Empfinden kann kaum etwas kultisch stärker verunreinigen als die Berührung mit Toten. Sofern sich diese nicht vermeiden läßt, sind intensive Reinigungsriten zur Wiedererlangung der kultischen Integrität vorgesehen (Lev 2 1 , 1 - 4 ; 2 2 , 4 - 7 ; Num 19,11-22).

Ausdrücklich wird es dem Israeliten untersagt, vom Zehnten etwas für die Toten abzuzweigen (als Grabbeigabe? als Leichenschmaus oder Totengedenkmahl? kaum wohl als eigentliches Opfer: Dtn 26,14; vgl. Jes 57,6; Ps 106,28). In der Tora wiederholt verboten und unter schwere Strafe gestellt wird die Totenbeschwörung (Lev 19,31; 20,6.27; Dtn 18,11). Also wurde sie - wie überall im Alten Orient - praktiziert. Das behaupten nicht nur deuteronomistische Geschichtsschreiber (II Reg 21,6; 23,24), das zeigen auch entsprechende Bemerkungen Jesajas (8,19, eventuell 28,15) und vor allem die Erzählung vom Besuch Sauls bei der Totenbeschwörerin von En-Dor (I Sam 28). Der König will bei ihr ein Orakel über den Ausgang der bevorstehenden Entscheidungsschlacht gegen die Philister einholen. Zwar denunziert die deuteronomistische Endfassung des Textes dies als schlimme Gebotsübertretung (28,3.6.9), doch schimmert deutlich genug eine ältere Uberlieferung durch, der Totenbefragung als ein reguläres und probates Mittel der Zukunftserhellung gilt. Leider erfährt man nicht (mehr), welche Mittel und Verfahren die Beschwörerin anwandte. Vermutlich gab sie in eine Grube, die als Austritt aus dem Totenreich bewährt war, bestimmte Essenzen (in analogen Erzählungen aus den Nachbarkulturen ist etwa von Blut, Honig und Milch die Rede), flößte damit dem zu befragenden Totengeist (jetzt ist es derjenige Samuels) vorübergehend Lebenskraft ein und erlangte so von diesem das gewünschte Orakel (das sich übrigens hernach als völlig zutreffend herausstellte).

Schließlich spielen Mäkler im altorientalischen und antiken Totenkult eine bedeutsame Rolle: Im Totenmahl kommunizieren Lebende und Tote; der Tote ist gegenwärtig und speist mit. Im griechisch-römischen Bereich ist zudem auf das Gedächtnismahl hinzuweisen, worin das Andenken des Toten, etwa eines Stifters, periodisch gefeiert wird. Möglicherweise nimmt das christliche -»Abendmahl im hellenistischen Raum Momente des Gedächtnismahls auf (doppelter Anamnesis-Befehl I Kor 11,24f.). 3.3. Differenzierung der Jenseitsvorstellungen. Im alten Ägypten als einziger Kultur des alten Vorderen Orients bildete sich eine differenzierte Vorstellung von einem Leben nach dem Tod heraus, das an Bedeutung das Erdenleben eher noch übertrifft. Daraus erklären sich die im Orient sonst nicht üblichen monumentalen Grabbauten und der Wunsch nach Konservierung des Körpers für die Ewigkeit. Entscheidend freilich ist das Geschick der Seele, die sich — auch dies einzig im Orient - beim Sterben vom Leib löst. Ihr winkt ewiges und seliges Leben im Reich des Osiris, der wohl einzigen Todesgottheit des Orients, die nicht destruktiv gedacht ist. Doch nicht ohne weiteres gelangt die Seele zu Osiris. Sie muß etwa eine geheimnisvolle Halle durchqueren, wobei sie die einzelnen Stationen nur nach korrekter kultischer Anrufung passieren kann. Vor allem muß sie sich vor dem Totengericht verantworten: einem Gremium von 42 Richtern unter Vorsitz des Osiris, vor dem sie sich in 42 plus 40 Anklagepunkten für unschuldig erklären muß; dabei werden auf einer Waage das Herz (mit etwaigen Lügen) und eine Figur der Göttin der Wahrheit gegeneinander aufgewogen; bei negativem Ausgang wird die Seele umgehend von einem Unterweltungeheuer verschlungen (vgl. TUAT II/4, 5 0 8 - 5 1 7 ; hier das berühmte Totenbuch 125). Es liegt auf der Hand, welch starke religiöse und ethische Impulse von solchen Jenseitsvorstellungen auf das Diesseitsleben ausgingen.

Anders als das alte Israel entwickelte das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels (s. u. III.), unter Aufnahme alttestamentlicher wie griechisch-hellenistischer Impulse, differenzierte Jenseitsvorstellungen und -erWartungen. Der sich in der ptolemäischen und noch mehr in der seleukidischen Ära verschärfende soziale und politische Druck, der in der Makkabäerkrise gipfelte, hat die Entfaltung eschatologischer Haltungen massiv verstärkt, wie besonders die erhoffte Vergeltung für Märtyrer und überhaupt für leidende Fromme belegt (II Makk 7; vgl. das IV. Makkabäerbuch; Weish 2-5). Insbesondere apokalyptische Texte beschäftigen sich ausgiebig mit dem Geschick der Toten (etwa in

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Form von Reisen zu den Totenstätten). Die oft unverbundenen Vorstellungen (vgl. das Nebeneinander Ps.-Phokylides 99-117) reichen von einer leiblichen Totenauferstehung bis hin zu Formen astraler-angelischer Unsterblichkeit. Daneben hält sich die ältere Sichtweise, die nicht mit einem Leben nach dem Tode rechnet (-»Sirach; -»Sadduzäer). Zunächst dominiert die Konzeption eines Wartens der Toten auf den Gerichtstag; die Seelen/ Geister der Guten und der Bösen werden etwa in „Hohlräumen" oder „Kammern" aufbewahrt (seit dem Wächterbuch [äthHen 22 aus dem 3./2. J h . v. Chr.]; vgl. IV. Esra; Syrischer Baruch). Zunehmend rückt aber (zumal im Bereich des griechischsprachigen Diasporajudentums) auch das sogleich nach dem Tod zugeteilte individuelle Jenseitslos in den Vordergrund - zum Teil verbunden mit einem Jenseitsgericht (samt Buch und der aus Ägypten bekannten Waage TestAbr A 12f.). Unter dem Einfluß der neuen hellenistischen Kosmologie (Abkehr vom dreistöckigen Weltbild) werden -»Paradies und Bestrafungsort vermehrt in den Himmelsregionen plaziert (Griechischer Baruch; vgl. II Kor 1 2 , 2 - 4 ) . Schließlich geht mit dem Übertritt in das Jenseits oder mit der Totenauferstehung nicht selten auch die Transformation in eine engelgleiche Herrlichkeit einher (vgl. Dan 12,2f.; syrBar 4 9 - 5 1 ) .

Soweit das Neue Testament auf ein jenseitiges Leben Bezug nimmt, steht es im Einflußbereich frühjüdischer Vorstellungen, mit denen es auch die konzeptionelle Unschärfe hinsichtlich der Alternative von individuell-postmortaler und kollektiv-geschichtlicher -»Eschatologie teilt. Die Jesusüberlieferung bietet nur wenige Ausblicke über die Todesgrenzen hinaus (Mt 8,11 f. par.; zu Mk 12,18-27 s.u. 6.2.), da das älteste Christentum noch ganz von der Naherwartung des Gottesreichs bestimmt war (-»Herrschaft Gottes/Reich Gottes). Die Aussagen über Himmel (mit „Schatz" oder „ L o h n " ) und -»Hölle blicken zunächst auf die nahen endzeitlichen Ereignisse voraus, werden aber mit fortschreitender Zeit auch auf das unmittelbar nach dem Tod zu erwartende Los bezogen (so etwa die Sprüche vom „Eingehen in das R e i c h " bzw. „in das L e b e n " [Mt 5,29f. (Q?) par. M k 9 , 4 3 - 4 8 ; Lk 13,23 - 2 9 (Q); M t 7,21; M k 10,25 par.] oder die durch die Martyriumsdrohung ausgelöste Differenzierung zwischen Körper und Seele [Lk 12,'4f. par. (Q)]).

Vor allem rückt die Parabel vom Reichen und Armen (Lk 16,19-31) die Umkehrung der Verhältnisse in Diesseits und Jenseits plastisch vor Augen (unter Verwendung einer ursprünglich ägyptischen Erzählung); zugleich wird die beglaubigende Wiederkehr eines Toten bzw. eine Jenseitsoffenbarung zurückgewiesen zugunsten der Evidenz, die „Mose und die Propheten" im Blick auf die soziale Ungleichheit beanspruchen können (V. 2 7 - 3 1 ) . Nicht zufällig legt Lukas, ein stärker vom Hellenismus bestimmter Christ der dritten Generation, auch sonst einen besonderen Akzent auf das individuelle postmortale Geschick, wie eines der Sterbeworte Jesu zeigt: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23,43; vgl. 16,9; 20,36.38; 21,19; Act 7,55-59; 14,22 und die Warnung vor plötzlichem Sterben Lk 12,16-21). In diesem „Heute" erfüllen sich die göttlichen Verheißungen an Israel (vgl. Lk 2,11; 4,21; 5,26; 19,9). Deren volle geschichtliche Realisierung (vgl. Act 1,6—8; Lk 17,22-37) ebnet der in umfassenden Zeit- und Raumkategorien denkende Lukas aber trotzdem nicht in seine stärker am Individuum orientierte Eschatologie ein. In der altkirchlichen Theologie wird zunehmend differenziert zwischen dem vorläufigen Aufenthalt der Gestorbenen und ihrem endgültigen Geschick (vgl. I Clem 5,4; 50,3f.). Die systematische Frage eines „Zwischenzustands" (zwischen individuellem Tod und kosmischer Vollendung) stellt sich besonders auch für —»Paulus. Freilich schließt der auferstandene und erhöhte Christus, dem Paulus im Tod zu begegnen hofft, bereits die ganze Fülle dessen ein, was Gott zu seiner Zeit an der gesamten Schöpfung (—»Schöpfer/ Schöpfung) tun wird, so daß die zeitliche Diastase zwischen Jenseitszustand und Totenauferstehung an Bedeutung verliert. Sieht der gefangene Apostel in Phil 1 , 2 1 - 2 3 sehnsüchtig auf das „Sein mit Christus" nach seinem baldigen Sterben voraus, so scheint er die sonst von ihm betonte, noch ausstehende Wiederkehr Christi mit der Totenauferstehung (Phil 3,11.20f.; vgl. I Kor 1 5 , 3 5 - 5 8 ) geradezu auszublen-

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den. Auch in II Kor 5 , 1 - 1 0 erwartet er nach dem Sterben unmittelbar das „Daheimsein beim Herrn" (V. 6 - 8 ) . Da sich ein derartiges Ineinanderblenden von individueller und geschichtlichkosmischer Eschatologie auch in manchen frühjüdischen Texten beobachten läßt, ist weder eine substantielle Entwicklung der paulinischen Theologie (in sehr kurzer Zeit!) noch die Beanspruchung eines besonderen Märtyrerprivilegs (in beiden Texten ist die Person des Paulus transparent für alle Glaubenden) zu postulieren.

Ein noch stärkeres Ineinanderblenden der Zeiten liegt wohl bei Johannes vor, wo Christus den Seinen verheißt, sie bei seiner Wiederkunft in ihre „Wohnungen" im Haus seines Vaters hinaufzuführen (Joh 14,2f.; vgl. 12,26.32; 17,24). Demgegenüber unterscheidet die Apokalypse die himmlischen Ruheorte für die Seelen der gewaltsam getöteten Frommen (Apk 6,9—11; 14,13) von der mit Totenauferstehung und Weltgericht anhebenden Vollendung (20,11-14, wo das Gericht wohl nur über die Ungläubigen ergeht). Die Märtyrer blicken indes ungeduldig auf Gottes Gericht und Heil voraus, worin das ganze Gottesvolk aus Juden und Heiden vor dem Thron Gottes gesammelt wird (7,1-17; 14,1—5) und mit Christus herrschen wird (20,4-6, falls hier nicht nur Märtyrer im Blick sind). Während im Frühchristentum das Gericht mit vorangehender Totenauferstehung überwiegend im Gefolge der Endereignisse plaziert wird (Christus als Richter Act 10,42; II Tim 4,1) und in den Rang katechetischen Basiswissens einrückt (Hebr 6,2), begegnet zunehmend auch die Erwartung eines unmittelbar nach dem Tod stattfindenden Gerichts (Hebr 9,27).

Der Ausblick auf die endzeitlichen Geschicke führte fernerhin zu einer Differenzierung zwischen Tod und Tod, wodurch der irdische gegenüber dem endgültigen jenseitigen Tod an Bedeutung verliert. Schon in den ägyptischen Jenseitslehren wurden ähnliche Vorstellungen laut: Das Geschick des Menschen erfüllt sich nicht schon auf Erden, sondern erst im Jenseits. Für die gefahrvolle Reise durch die Unterwelt bietet das Totenbuch mehrere Sprüche, die vor dem zweiten, endgültigen Tod schützen wollen („Spruch, nicht noch einmal zu sterben im Totenreich": Totenbuch 44; 175f.). In der frühchristlichen Literatur warnt die Apokalypse vor dem „zweiten Tod", d.h. vor der endzeitlichen Vernichtung im Feuersee (Apk 2,11; 20,6.14; 21,8), während der gewaltsame (also der erste) Tod vielen, wenn nicht gar allen standhaften Christen droht (wer an der „ersten Auferstehung" - zum Leben - teilhat, verfällt nicht dem „zweiten Tod", 20,5f.). Die Vorstellung eines ewigen Todes ist, allein schon als Gegenpol des „(ewigen) Lebens", gut bezeugt im Judentum (Bill. III, 830f.) wie im Neuen Testament (Mt 7,13; Joh 3,15 f.; Rom 9,22; I Kor 3,17; 15,18; Phil 1,28; Hebr 10,39) und darf vielleicht als Gegengewicht zur Erwartung ewiger Höllenqualen (Mt 5,22.29f.; 25,41; Mk 9,48 [Jes 66,24; vgl. Jdt 16,17]; Lk 16,24) gelten (aber: Apk 20,10!). Trotz ihrer dichotomischen Anthropologie setzt die Martyriumsparänese Mt 10,28 par. (Q) die Vernichtung von Leib und Seele in der Hölle voraus (vgl. Mk 8,35 par.). Später unterscheidet die altkirchliche Theologie den irdischen vom „ewigen", „wirklichen" Tod (Barn 20,1; Diog 10,7; vgl. PGL 613).

4. Tod und Schuld Von früh an weckte in Altisrael (und nicht nur hier!) die Erfahrung des Todes namentlich des unzeitigen Todes - die Frage nach dem Warum. Wie ließ sich das (oftmals so offenkundig ungerechte) konkrete Todesschicksal, wie ließ sich überhaupt die Sterblichkeit des Menschen erklären? Im Rahmen des gemeinorientalischen und auch altisraelitischen Lebens- und Denkzusammenhangs von Tun und Ergehen lag es nahe, die Ursache des Sterbens in der —»Schuld des Menschen zu suchen. Einzelne Beter bekennen von sich, sie hätten den Tod verdient (z.B. Jes 38,17; Ps 38,5; 69,6). Solche Einsicht kann zur generellen Aussage gesteigert werden, der Mensch sei vergänglich wegen des „Zornes" Gottes (Ps 9 0 , 7 - 1 1 ; vgl. auch 130,3). Doch immer sind derartige Äußerungen verbunden mit solchen des Vertrauens und der Hoffnung auf Gottes Güte. Der zweite Schöpfungsbericht scheint Sterbenmüssen und Schuld der Menschen in Zusammenhang zu bringen (Gen 3,15.19). Doch meint die Erzählung kaum, die Menschen wären, hätten sie nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen, unsterblich geblieben; denn von vornherein waren sie aus Erde gemacht (Gen 2,7), und nirgendwo kommt die Möglichkeit in den Blick, sie hätten auch vom Baum des (ewigen) Lebens essen

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können (Gen 2,8; 3,22; demgegenüber bekam Gdgamesch in der Unterwelt immerhin das „Kraut der Unsterblichkeit" ausgehändigt - doch wurde es ihm hernach von einer Schlange [!] gestohlen, Taf. XI: TUAT IV/2, 737f.). Der Mensch ist also sterblich, mit und ohne Schuld. Im antiken Judentum bildete sich indes schon früh eine Lektüre von Gen 3 heraus, wonach Sterblichkeit und Tod erst durch den „Sündenfall" -»Adams (bzw. der Ureltern) über die Schöpfung gekommen sind (Weish 1,13f.; 2,23f.; äthHen 69,11; IV Esr 3,7; syrBar 17,1; VitAd 26,2; bShab 55a/b; Bill. III, 227 - 2 2 9 ) . Unter dem Einfluß jüdischapokalyptischer Adam-Theologie (vgl. IV Esr 3,13-27; 7,10-12.116-119; syrBar 48,42f.; 54,14-19; 56,5-10) entwirft Paulus in Rom 5 , 1 2 - 2 1 ein mythisches Bild der Herrschaft des Todes, die sich infolge Adams Fall über die gesamte Menschheit (und die Schöpfung überhaupt, Rom 8,18-22) erstreckt. Er entfaltet den traditionellen Gedanken, daß die Sünde Verderben und Tod erzeugt (vgl. Jak 1,15; I Kor 5,5; 11,30; Rom 6,23), zu einer universalgeschichtlichen Gegenüberstellung der von Adam und der von Christus bestimmten raumzeitlichen Sphären (vgl. I Kor 15,21 f . 4 2 - 4 9 ) , deren qualitative Differenz durch eine Reihe charakteristischer Symmetriebrüche herausgestellt wird (V. 1 5 - 1 7 : Tatsünde versus Gnadengabe). Wenn er in R o m 7 , 5 f . 7 - 1 3 dabei die Gestalt Adams und das exemplarische „ I c h " des vorchristlichen Menschen ineinanderblendet, fungiert die Paradiesgeschichte als Paradigma der verhängnisvollen Interferenz von Sünde und Tod schlechthin. Sünde wird dabei nicht mehr nur als Gebotsübertretung, sondern als - vom Gesetz provozierter - Drang zur Selbsterhaltung abseits der göttlichen Lebensgaben pointiert, welche die Leben spendende Relation zum Schöpfer unterbricht und den Menschen so dem Tod ausliefert („ich aber starb", V. 9 - 1 1 ; vgl. I Kor 15,56). Die Tiefe der Todverfallenheit in der Sphäre Adams erschließt sich den von Christus Geretteten freilich erst retrospektiv (Rom 7,24.25a; 8,1 f.; vgl. 6,22f.; I Kor 15,57).

Das Alte Testament schildert den Tod mehrfach als den großen Gleichmacher und bestreitet damit jeglichen Zusammenhang zwischen Sterben und Schuld. Sterben müssen unterschiedslos alle: Unschuldige und Schuldige, Arme und Reiche, Junge und Alte, die Menschen wie die Tiere (Hi 3,13-19; Koh 3,19-21; 9 , 1 - 3 ; vgl. schon Gilgamesch, Taf. X: TUAT IV/2, 727). Diese Einsicht kann Trost spenden (auch der Mächtigste entgeht dem Todesschicksal nicht: Jes 14,4-23; Ez 32,17-32; Ps 73,18f.), sie kann zur Mäßigung mahnen (keiner kann seinen Besitz mit hinübernehmen: Jes 10,3; Ps 49,8f.l7-21) oder zu kluger Nutzung der Lebenszeit (keiner lebt ewig: Ps 90,12; Koh 9 , 4 - 1 0 ; 12,1-8), sie kann aber auch tiefe Bitterkeit auslösen (allzu oft trifft der Tod die Falschen zuerst und die Richtigen zuletzt: Hi 21,7-17; Koh 7,15; 8,12). Daß alle gleichermaßen sterben, bedeutet indes auch eine große Ungerechtigkeit. Es ist anständigen, frommen Menschen eine Anfechtung, wenn gewissen- und gottlose Zeitgenossen aus der Tatsache, daß auch sie sterben müssen, entweder keine oder sehr eigenwillige Lehren ziehen: „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot" (ernsthaft in Koh 9 , 4 - 7 , frivol in Jes 22,13; Weish 2 , 1 - 9 ; vgl. auch Lk 12,19; I Kor 15,32). Widerfährt wirklich Guten wie Bösen nur das eine, gleiche Todesgeschick? In der Spätzeit des Alten Testaments meldet sich die Hoffnung zu Wort, daß dem nicht so sei, daß Gott vielmehr - sei es im Tod oder jenseits von ihm — zwischen „Gerechten" und „Frevlern" wieder gerechte Verhältnisse herstellen werde (vgl. etwa Ps 49,16; 73,23-28; Dan 12,3f.; Weish 3,1 — 12 sowie unten 5. und 6.). 5. Einbrüche

in die Welt des

Todes

„Der Mensch, geboren von der Frau - kurzen Lebens ist er . . . Stirbt der Mann wird er je wieder lebendig?" (Hi 14,1.14; vgl. Jes 26,14). Die allgemein menschliche Erfahrung der Unentrinnbarkeit und Endgültigkeit des Todes teilen auch die Menschen der biblischen Welt. Und doch keimt hier und dort die Hoffnung, daß der Tod nicht alles behalten darf, was er einmal verschlungen hat. 5.1. Göttliche Macht gegen die Macht des Todes. Angesichts der offenkundigen menschlichen Ohnmacht gegenüber dem Tod sind es zuerst Götter, die man seiner

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Macht trotzen sieht - freilich nicht, ohne daß sie diese zuvor selbst zu spüren bekommen haben. Nach einem sumerischen Mythos geriet einst die Göttin Inanna in die Fänge der Unterwelt und konnte nur nackt und mit knapper Not wieder entkommen: nicht ohne göttlichen Ersatz zu stellen, der fortan in halbjährlichem Wechsel - Sinnbild des Jahreszeiten-Wechsels! - der Gewalt des Todes unterworfen sein würde (TUAT III/3, 458-495). Ein ugaritisches Epos schildert, wie der Gott Baal von seinem Widersacher Mot/Müt („Tod") besiegt wird und von seiner Gefährtin Anat nur mit Gewalt wieder befreit werden kann - auf daß die beiden gemeinsam das Aufleben der Natur im Frühjahr besorgen können, ehe der Tod sie wieder scheidet (TUAT III/6, 1185-1198). Ein (freilich erst bei Plutarch voll bezeugter) ägyptischer Mythos handelt davon, daß der Gott Osiris durch Hinterlist zu Tode gebracht wurde und von seiner Gefährtin Isis trotz aller Bemühungen nicht ins Leben zurückgerufen werden konnte. Dafür aber gewinnt er die Macht im Reich der Toten und bietet diesen damit eine Heimat (LÄ IV, 623-633).

JHWH konnte als tendenziell einziger Gott Israels nicht sterben und also auch weder auferstehen noch Herr der Unterwelt werden. Er ist dezidiert ein Gott des Lebens, der nichts zu schaffen hat mit der Welt des Todes (s.o. 3.1.) - außer daß er den Zeitpunkt bestimmt, zu dem der Mensch in sie einzutreten hat (s.o. 1.). Darum heißt es im Lied der Hanna: „JHWH tötet" - aber sogleich auch: „und er macht lebendig" (I Sam 2,6; vgl. auch Ps 116,3.8f.). Mehr und mehr hat in Israel die Überzeugung Raum gewonnen, daß JHWHs Macht an den Toren von Scheol nicht einfach enden kann. Er hat Einblick in sie (Prov 15,11), er vermag auch in sie hineinzugreifen, um Menschen, die sich ihm dorthin entziehen wollen, wieder heraufzuholen (Am 9,2; Ps 139,7f.; vgl. auch den todessüchtigen Propheten Jona, Kap. 2). Ins Positive gewendet führt dies zu der Aussage, daß des Menschen Zeit in JHWHs Händen steht (und nicht bei denen, die ihm nach dem Leben trachten: Ps 31,14—16), und zu der noch viel weiter gehenden, daß JHWH den, der ihm vertraut, über den Tod hinaus „beständig" an der „rechten Hand halten" und „ewig" sein „Teil" bleiben werde (Ps 73,23.26). Ist etwa in diesem Sinn die große, nach unten gestreckte Hand über der Grabstätte eines gewissen Urija in Khirbet el-Qom zu verstehen (s.o. 2.2.)? Das Frühchristentum weiß sich von einem singulären Gotteshandeln bestimmt, das es in seinem Glauben und in seiner Verkündigung bekennt: Gott hat den gestorbenen Jesus auferweckt. Bezeugt ist die Auferweckung bzw. Auferstehung Jesu stisformeln (eingliedrig, Gott als Subjekt: Rom 4,24; 8,11; Subjekt Rom 6,4.9; mehrgliedrig I Thess 4,14; Rom 4,25; Ostergeschichten (Grab- und Erscheinungsgeschichten: Mk 35-60).

sowohl in alten Bekenntnis- bzw. Pi10,9; I Kor 6,14; II Kor 4,14; Jesus als ausgebaut I Kor 15,3b—5) wie in den 16; Mt 28; Lk 24; Joh 20f.; vgl. EvPetr

Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten darf als Gravitationszentrum aller neutestamentlichen Theologie bezeichnet werden (vgl. I Kor 15,17f.). In letzter Hinsicht geht es dabei um die Konfrontation von Gott und Tod, die an der Gestalt Jesu ausgetragen wird. Dabei zeichnet sich eine dreifache Perspektive ab, die sich den Zeitmodi von Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart zuordnen läßt. Erstens werden durch die Auferweckung Jesu sein irdisches Leben und seine Botschaft vom nahegekommenen Gottesreich bestätigt. Zugleich kommt es zu einer Neudefinition Gottes: Israels Bekenntnis zu Gott, der die Toten lebendig macht (Achtzehngebet, Benediktion 2 [Bill. IV/1, 211]; Rom 4,17; II Kor 1,9), wird als Bekenntnis zu Gott, der den gekreuzigten Jesus auferweckt hat, reformuliert. Gott schafft über den Abgrund des Todes hinweg Kontinuität; besonders Paulus und Markus unterstreichen dabei die Identität des auferstandenen mit dem irdischen und gekreuzigten Jesus. Zweitens antizipiert Jesu Auferweckung die endzeitliche Totenauferstehung. Das eschatologisch Neue ereignet sich mitten in der noch vom Alten dominierten gegen-

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wärtigen Weltzeit. „War' er nicht erstanden, so war die Welt vergangen" (Evangelisches Gesangbuch Nr. 99). Schon sehr bald bildet sich die Konzeption heraus, daß Jesu Auferstehung die Auferstehung aller Glaubenden in sich schließt (Act 26,23; Rom 1,4; 8,11.29; I Kor 6,14; 15,20.23; II Kor 4,14; I Thess 4,14; Kol 1,18; Apk 1,5). Drittens wird der gestorbene Jesus zu himmlischer Herrlichkeit und Machtfülle erhöht (Messias, Menschensohn, Herr, Sohn Gottes; vgl. besonders Rom 1,4; I Thess 1,10); vom Himmel her erscheint er den Seinen und beauftragt sie zur Verkündigung. Die „hymnische" Tradition kreist um Jesu Erhöhung (Phil 2 , 9 - 1 1 ; I Tim 3,16; Hebr 1,3 usw.; kombiniert mit der Auferstehung Rom 1,4; 8,34; 10,9; Kol 1,18; Eph l,20[ff.]; I Petr 3,21 f.), die besonders von Ps 110 her gedeutet wird. Die Herrschaft der Mächte dieser Welt, deren stärkste der Tod ist (Rom 5,14.17; I Kor 15,26), wird damit erschüttert (Röm 6,9). Um die Wende zum 2. Jh. hat sich die einzigartige Uberwindung des Todes durch den gestorbenen, begrabenen und auferstandenen Christus im dramatischen Bild seiner Hadesfahrt verdichtet (vorbereitet in I Petr 3,19f.; 4,6; Mt 12,40; Apk 1,18), u.a. auch als Überbietung der (lebend!) in die Unterwelt hinabsteigenden antiken Heroen. Zunehmend rückt neben der Errettung der vorchristlichen alttestamentlichen Gerechten (IgnMagn 9,2; EvPetr 41 f.; Justin, dial. 72,4; OdSal 4 2 , 1 0 20) auch die triumphale Uberwindung von Tod, Teufel und Hades in den Vordergrund (Melito, pass. 102; romanartig Nikodemusevangelium 1 7 - 2 7 [NTApo I®, 4 1 4 - 4 1 8 ; vgl. koptische Bartholomäustexte ebd. 439£.]).

5.2. Entrückungen. Der erste Mensch, von dem die Bibel berichtet, er habe den Tod nicht schmecken müssen, ist Henoch, der Siebte im priesterschriftlichen MenschheitsStammbaum (Gen 5,22-24). In der wohl vor-priesterschriftlichen Formulierung, er sei plötzlich „nicht mehr da" gewesen, drückt sich spürbares Erstaunen über das nicht verifizierbare Lebensende eines Ahnen aus. Der priesterliche Erzähler erklärt sich den Vorgang so, daß Henoch „vollkommen mit Gott gewandelt" sei (vgl. Gen 6,9; 17,1 P) und dieser ihn daraufhin zu sich „genommen" habe (hebräisch Iqh; vgl. Sir 44,16; 49,14; äthHen 12,1; slHen 67; Hebr 11,5: „so daß er den Tod nicht sah"). In der frühjüdischen —»Apokalyptik avancierte Henoch deshalb zum privilegierten Himmelfahrer (—»Entrükkung) und Offenbarungsempfänger (im Neuen Testament nur Jud 14-16). Das Leben -»Elias schloß gemäß biblischer Überlieferung mit einer Himmelfahrt (II Reg 2,1-18). Das Geschehen wird in eine menschenleere Gegend verlegt, alle Zeugen werden sorgfältig ausgeschlossen. Einzig -»Elisa, Elias Nachfolger, erlebt, wie der Meister „(hinweg-)genommen" wird (Iqh in V. 3.9.10). Gegen naheliegende Rückfragen wird von ebenso ausgedehnten wie ergebnislosen Suchaktionen berichtet (ein fester Topos in späteren Entrückungsgeschichten!). Einen, der im Himmel ist, kann man auf der Erde nicht finden (V. 16-18). Elias „Geist" aber wirkt weiter: in Elisa (V. 9.15). Daß Elia nicht gestorben sei, hat die Phantasie der Späteren beflügelt. Der alttestamentliche Prophetenkanon schließt mit der Ankündigung, Elia werde wiederkehren, um das Gottesvolk auf den „Tag J H W H s " vorzubereiten (Mal 3,23f.; vgl. Sir 48,9f.). Ihm wurden im Judentum andere Entrückte beigesellt: neben Henoch, Esra und Baruch besonders Mose (Josephus, Ant IV,326; AssMos 10,12?); gemeinsam treten Elia und Mose in der Verklärungsgeschichte als Himmelsbewohner (und Wiederkehrende?) auf (Mk 9 , 2 - 8 par.; vgl. eventuell auch Apk 1 1 , 3 - 1 3 ) . Der wiederkehrende Elia wurde sowohl mit Johannes dem Täufer (Mk 1,2 par.; 9 , 1 1 - 1 3 par.; verneint Joh 1,21) wie mit Jesus selbst (Mk 6,15 par.; 8,28 par.) identifiziert. Besonders Jesu Auferstehung und Erhöhung bieten eine Haftfläche für Entrückungsmotive (im alten Traditionsstück Act 3,20 f. sogar mit Zügen einer Elia-Typologie; ferner Lk 13,35 par.; I Tim 3,16?; Apk 12,5?), die in der lukanischen Himmelfahrtgeschichte (Lk 24,50; Act 1 , 9 - 1 1 ) die Zäsur zwischen der Zeit Jesu und der Zeit der Kirche hervorheben.

Die Kunde, daß einzelne herausragende Fromme dem Tod entrückt worden seien, weckte bei den Frommen der spät- und nachalttestamentlichen Zeit die Hoffnung, auch ihnen könne solches widerfahren. Die beiden Psalmen, die am intensivsten das in seiner Unterschiedslosigkeit so ungerechte Todesschicksal reflektieren, gelangen zu dem Ergebnis, daß der Ungerechte auf jeden Fall sterben müsse, während der Gerechte Aussicht

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habe, dereinst von Gott zu sich „genommen" zu werden (Ps 49,16; 73,24 - beidemal Iqh). Die Weisheit Salomos konstatiert zwar, daß die Gerechten sterben (und oft zu früh!), sieht aber Gott ihre Seele zu sich „nehmen", während die Ungerechten zu ewiger Gottferne verdammt bleiben (Weish 4,10-5,5). In der frühchristlichen Eschatologie nähern sich Entrückung und Totenauferstehung einander an, wenn die „Toten in Christus" auferstehen und zusammen mit den noch Lebenden in die Wolken entrückt werden, um dem wiederkehrenden Christus entgegenzugehen und ihn auf die Erde zu geleiten (I Thess 4,16f.). Die heidenchristlichen Thessalonicher mochten dabei auch an die griechischen Erzählungen von in die Himmelswelt entrückten Heroen denken (z.B. Herakles). 5.3. Erweckungen. Das Alte Testament kennt im Grunde nur eine einzige Überlieferung von der Erweckung eines Toten, die sich in eine Elia- und eine Elisa-Erzählung ausgeformt hat (I Reg 17,17-24 bzw. II Reg 4,18-37; im Kern dürfte der letzteren traditionsgeschichtliche Priorität zukommen). Hier wie dort geht es um Jünglinge, also um vorzeitig vom Tod Ereilte, zudem das eine Mal um den einzigen Sohn einer Witwe, das andere Mal um das Kind einer lange Zeit kinderlos gewesenen Frau: zutiefst tragische Fälle also, die Gottes Macht und Güte in besonderer Weise in Frage stellen (I Reg 17,20!). Daß die Propheten den Müttern ihre Söhne zurückgeben können, wird zunächst ihrer magischen Heilkraft zugeschrieben (I Reg 17,21a; II Reg 4,34f. - ins Postum-Skurrile gesteigert in II Reg 13,20f.), später der Kraft ihres Gebets (I Reg 17,21b.22; II Reg 4,33). Freilich vermögen sie Leben nur auf Zeit wiederzuschenken; der Gedanke an Unsterblichkeit liegt noch völlig fern. Immerhin aber wird hier eine Bresche in die undurchdringliche Wand des Todes gerissen. Von den Totenerweckungserzählungen der Jesustradition greifen die Errettung der Jairustocher (Mk 5 , 2 1 - 4 3 par.) und des Jünglings von Nain (Lk 7,11-17) auf diejenigen des Alten Testaments zurück (vorzeitiger Tod!), reichern sie aber auch mit Motiven der hellenistischen Umwelt an (zur Gattung vgl. Joh 11,1-44; Act 9,36-43; 20,7-12). Die Uberwindung einer konkreten Notlage (besonders Lk 7,12) wird symbolisch vertieft zu einem partiellen Sieg über die Macht des Todes (explizit in Joh 11,21-27). Der Wundertäter Jesus realisiert damit nicht nur eine alttestamentliche Verheißung (Anspielung auf Jes 26,19 in Q: Lk 7,22 par.), sondern weist auch bedeutungsvoll auf sein eigenes Geschick voraus (vgl. Joh 11,45-53). 6. Sieg über den Tod 6.1. Pyrrhussiege des Todes. Im vierten der ins Deuterojesajabuch eingestreuten Lieder vom Gottesknecht (Jes 52,13—53,12) wird das Leiden und Sterben eines Menschen geschildert, das die hier Sprechenden offenbar als exzeptionell erfahren haben (53,1-10). Sein Ende war von besonders großem Elend gezeichnet, woraus sie auf besonders große Schuld und Gottverlassenheit schlössen. Im nachhinein aber wurde ihnen klar, daß nicht er, der „Knecht", schuldig war, sondern sie, die ihn für schuldig gehalten hatten, und daß sein Leiden und Sterben die —»Sühne für ihre Schuld war. Die nicht endende Debatte darüber, wer und was hier im einzelnen gemeint sei, muß an dieser Stelle nicht weitergeführt werden (vgl. dazu Haag). Nur so viel: Wahrscheinlicher als die - im Judentum bevorzugte - kollektive Deutung auf das leidende Gottesvolk ist diejenige auf ein Individuum, zu dem sich hier eine (jüdische) Gruppierung bekennt, indem sie im Tun und Ergehen des „Knechts" Gottes machtvolles Wirken an Israel und der Welt erkennt (-»Stellvertretung).

Der Umschwung in der Wahrnehmung und Einschätzung des „Knechts" ist hervorgerufen durch das zweifache, das Lied rahmende Bekenntnis Gottes zu ihm (52,13 — 15; 53,llf.): „Siehe, mein Knecht wird Erfolg haben" - „mein Knecht, der Gerechte, verschafft vielen -»Rechtfertigung". Diese Aussagen greifen über das erlittene Todesgeschick hinaus. Als der Tod nach diesem einen griff, vergriff er sich; wohl vermochte er sein Leben auszulöschen, doch Gott erweckte durch ihn Viele - und mit ihnen auch ihn - zu neuem Leben.

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Der Tod Jesu läßt sich sachlich in diesen Kontext einzeichnen, auch wenn die explizite Bezugnahme auf Jes 53 nur selten und relativ spät begegnet (Passion Lk 22,37; Act 8,32f.; Sühne I Petr 2,22-25). Angesichts der Tötung von Johannes dem Täufer muß Jesus selbst mit seinem gewaltsamen Tod gerechnet haben; ob er eine heilvolle Wende durch den Tod hindurch (Lk 13,32), eine stellvertretende Übernahme des Gerichts an Israel (Lk 12,49 f.!) oder gar seinen Sühnetod (so eventuell im ursprünglichen Brotwort, I Kor 11,24) erwartet hat, bleibt unsicher. Sein Tod hat im Frühchristentum eine Vielzahl von Deutungen hervorgerufen, die vom leidenden Gerechten (so in der alten Passionsgeschichte; vgl. die Rezeption von Ps 22 in M k 15,24.29.34), dem gewaltsam getöteten Propheten (Lk 1 1 , 4 7 - 5 1 par. [Q]; 13,33; Act 7,52; M k 1 2 , 1 - 1 2 ; vgl. Neh 9,26; II Reg 1 7 , 1 - 2 3 ) bis zum Heilstod durch einen Akt stellvertretender Sühne reichen. Der Sühnetod (mit der Präposition „für") wird in alten Sterbeformeln (Rom 5,6.8; 14,15) und Dahingabeformeln (Rom 8,32; T i t 2,14) bezeugt; teilweise kommt darin eine Uberbietung und Vollendung der vom Tempelkult geleisteten Sühne zum Ausdruck (Rom 3,25f.; 5,9; 8,3; Hebt 7 - 1 0 ) . Auf den Sühnetod des Gottesknechts spielt (verbunden mit einer Auferweckungsformel) wohl bereits Rom 4,25 an (vielleicht auch I Kor 15,3b—5; M k 10,45). Das stellvertretende Sterben ist außerdem auch im griechischen Bereich (für die Polis oder für Freunde, vgl. Rom 5,7) und im Judentum (Sühnetod der Märtyrer: II Makk 7,37f.?; IV Makk 6,28f.; 1 7 , 2 0 - 22) bekannt.

Das frühchristliche Auferweckungsbekenntnis stellt den Kontrast zwischen der Tötung Jesu und der von Gott herbeigeführten Wende drastisch heraus: Gott „löste die Wehen des Todes, da es unmöglich war, daß er vom Tod festgehalten wurde" (Act 2,23f. mit Bezug auf Ps 17,6 L X X [auch Ps 114,3 L X X ; II Sam 22,6]; vgl. Act 4,10; 10,39f.). Der „Pyrrhussieg" des Todes über Jesus wird zum Triumph über den Tod (II Tim 1,10; Hebr 2,14f.; Apk 1,18; s.o. 5.1.). 6.2. Auferstehung der Toten: Der Tod verliert seine Beute (s.o. 3.3.). Der Gedanke einer Totenauferstehung (-»Auferstehung) deutet sich im Alten Testament erst an: als eindrückliche Metapher zunächst in Ez 37 (nicht Tote werden hier erweckt, sondern das vom Exilsgeschick getroffene Israel), als tastende Hoffnung des verletzten Individuums in Hi 19,25 (mit dem „Löser über dem Staub" dürfte Gott gemeint sein, der den ins Grab gesunkenen Hiob rehabilitieren wird), als tröstlicher Zuspruch an die verzagende Gemeinde in Jes 26,19 (in kühner Überbietung des hergebrachten Wissens, 26,14), als verheißungsvolle Perspektive schließlich während der blutigen seleukidischen Verfolgung in Dan 1 2 , 1 - 4 („viele" der „im Erdenstaub Schlafenden" werden „aufwachen": die einen zu „ewiger Abscheu", die anderen, die „vielen Rechtfertigung verschafft haben" - man beachte die Anlehnung von V. 3 an Jes 53,11! - , zu „ewigem Leben"). Die Zeichen mehren sich: Der Tod, indem er wahllos nach allem und jedem greift, vergreift sich an der Ehre Gottes - und das bleibt nicht ohne Folgen. Jesus gibt in seinem Streitgespräch mit den Sadduzäern (Mk 12,18-27 par.) dem Vertrauen Israels auf die Treue Gottes Ausdruck, die auch vor dem Tod nicht haltmacht. In der Selbstvorstellungsformel von Ex 3,6 („ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs") tut Gott seine Macht (SovaßiQ) kund, die nicht mehr - wie im überwiegenden Teil des Alten Testaments - nur die Lebenden, sondern nun auch die Gestorbenen umgreift: Die Schrift selbst bezeugt die über den Tod hinausweisende Bundestreue Gottes. Im übrigen teilt Jesus nicht nur den Glauben vieler jüdischer Gruppierungen an die Auferstehung oder ein Jenseitsleben der Patriarchen (Testjud 25,1; TestBen 10,6; IV Makk 7,19; 16,25; vgl. Lk 16,23), sondern auch die Erwartung eines „engelgleichen Lebens" der Auferstandenen (vgl. äthHen 15,6f.; syrBar 51,10; Bill. I, 890f.). Die theozentrische Begründung der Totenauferstehung weist über den Christusglauben der Gemeinde auf einen Kern echten Jesusguts zurück (vgl. Mt 8 , l l f . par.). Paulus begründet in seiner eschatologischen Belehrung der Thessalonicher (I Thess 4,13-18) die christliche Hoffnung mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu (V. 14). Bereits das von ihm erinnerte Herrenwort (V. 15), wonach die Lebenden bei der Wiederkehr Christi den Toten gegenüber nicht privilegiert seien, zeigt, daß sich die noch

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ganz in unmittelbarer Naherwartung stehenden Gemeinden mit den ersten Todesfällen konfrontiert sahen (vgl. M k 9,1; I Kor 15,51); das Heil schließt neben den Lebenden (so die ältere Eschatologie, vgl. PsSal 17,44; 18,6; IV Esr 13,16-20; Lk 10,23f.) nun auch die Toten ein (vgl. IV Esr 5,41 f.; syrBar 30,1 f.; 51,13). Paulus tröstet seine Adressaten mit einer apokalyptischen Perspektive (V. 16-18; vgl. 5,1-11), qualifiziert aber die Auferstehung der verstorbenen Glaubenden schlicht als Sein „mit dem H e r r n " (vgl. 5,10; Rom 6,8; Phil 1,23). Das Johannesevangelium vertieft eine traditionelle Totenerweckungserzählung zu einer christologischen Neubestimmung von „Auferstehung" und „Leben" (Joh 11,2127). Die schöpferische Relation des Gottessohns zu den Glaubenden erzeugt ein Leben, das von seinem Gegenteil, dem Tod, nicht mehr in Frage gestellt werden kann (V. 26f.; vgl. 5,24; 6,50f.; 14,19; I Joh 3,14). Johannes blendet dabei Gegenwart und Endzeit so ineinander, daß die noch ausstehende Z u k u n f t das hier und jetzt aufbrechende wahre Leben nicht mehr entscheidend überbieten wird (vgl. 5,24-29). Das den Glaubenden verheißene Eingehen in die himmlische Welt (14,2f.; 17,24; ferner 12,26) ist insofern als Prolongation der gegenwärtigen Heilserfahrung anzusprechen (14,23), wohingegen die johanneische Schule später wieder stärker zwischen Gegenwart und Z u k u n f t differenziert (I Joh 2,28-3,3). 6.3. Des Todes Tod. „Er [JHWH] wird vernichten den Tod auf immer" (Jes 25,8). Diese im ganzen Alten Orient unerhörte und auch im Alten Testament singuläre Aussage findet sich nicht von ungefähr in einem ihrer jüngsten Abschnitte, der sog. Jesaja-Apokalypse (Jes 24—27; —»Jesaja/Jesajabuch). Vorbei ist es jetzt mit aller gelassenen oder nüchternen oder tapferen Anerkennung der Todeswirklichkeit. Hier erscheint der Tod als Feind: der Menschen nicht nur, denen er immer und immer wieder die „Tränen" auf die „Wangen" treibt, sondern Gottes, der die Tränen nicht mehr sehen, sondern „abwischen" will, ein für allemal. Dieses eschatologische Geschehen soll zwar auf dem „(Zions-)Berg" Platz greifen, es soll aber nicht nur das erwählte Volk, sondern „alle Völker" umfassen (25,6). Am Ende der Zeiten schafft Gott eine neue condition humaine. Paulus entfaltet in I Kor 15 angesichts der korinthischen Verständnisschwierigkeiten mit dem Auferstehungsglauben (V. 12.34f.; vgl. Act 17,32) eine ausgedehnte eschatologische Belehrung, in deren Mittelpunkt er den Sieg Gottes über den Tod rückt (V. 2 0 28.53-57) und dieses Geschehen anthropologisch auslotet (V. 35ff.). Während das christologische Bekenntnis Gott als denjenigen definiert, der Jesus von den Toten auferweckt hat (s.o. 5.1.), greift das Bekenntnis zum einen und einzigen Gott, der „alles in allem ist" (V. 28), letztlich aus auf seine noch ausstehende Überwindung der Todesmacht. Für die Christen hat diese alte jüdische Hoffnung neue Plausibilität gewonnen. Auch wenn Todesfälle, anders als in I Thess 4,13 ff. erwartet, mit der Zeit immer häufiger vorkommen (vgl. I Kor 11,30; auch R o m 14,7.9), rechnet der Apostel doch damit, die Wiederkunft Christi samt der Totenauferstehung noch zu erleben (I Kor 15,51 f.; wohl anders II Kor 1,8f.; 5,1 ff.; Phil l,21ff.). Im gedrängten Abschnitt I Kor 1 5 , 2 0 - 2 8 wird die im Blick auf die kosmischen Sphären von Adam und Christus gewonnene Spitzenthese, daß „in Christus alle lebendig gemacht werden" (V. 22b), mit Hilfe eines schon vorpaulinischen apokalyptischen Zeitordnungsschemas begründet (V. 2 3 - 2 8 ) . Der gemeinsame Kampf von Gott und seinem Christus gegen die Mächte der Welt (exegetisch begründet mit Ps 110,1 und 8,7) kulminiert im Sieg über den Tod als „letzten Feind" (V. 26, textstrukturell genau in der Mitte von V. 2 4 - 2 8 plaziert). Erst die so erreichte Alleinherrschaft Gottes über die Schöpfung verwirklicht vollgültig die Einheit Gottes gemäß Dtn 6,4, dem Grundbekenntnis Israels (V. 28c; vgl. Sach 14,9; Bill. III, 472). Der in V. 1 2 - 3 4 erwiesenen theologischen Notwendigkeit der Totenauferstehung („Daß") schließt sich in V. 3 5 - 5 8 eine anthropologische Näherbestimmung an („Wie"), worin Auferstehung als Neuschöpfung Gottes expliziert wird. Gegenüber der korinthischen Orientierung an einem körperlosen himmlischen Pneuma (und der damit implizierten Ausblendung von Sterben und Tod!) rückt Paulus im Blick auf Gen 2,7 die Leiblichkeit des gegenwärtigen wie zukünftigen Menschen in den Vordergrund, die in der Vollendung freilich einer fundamentalen Verwandlung unterliegt (zum „geistlichen Leib" vgl. Phil 3,20f.; M k 12,25 par.; syrBar 49-51). Da die Transformation entscheidend darin besteht, daß „das Sterb-

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liehe Unsterblichkeit anzieht" (vgl. II Kor 5 , 1 - 5 ) , gipfelt der Abschnitt in gehobenem Ton und preist mit dem Mischzitat aus Jes 25,8a ( 0 ) und H o s 13,14b nochmals den göttlichen Sieg über den T o d (V. 5 3 - 5 7 ) .

Die Schlußvisionen der Johannesapokalypse handeln zunächst von der Vernichtung von Tod und Unterwelt (Apk 20,14), die durch den Sieg über den Satan und sein Gefolge ermöglicht ist (20,10; vgl. 19,20). Die letzte Aufgabe jener Unheilsmächte besteht in der Herausgabe der Toten zum Weltgericht (20,13; der primär mit Heil konnotierte Terminus „Auferstehung" wird vermieden, vgl. 20,5f.). In der neuen Welt Gottes wird der Tod mit all seinen negativen Folgen „nicht mehr sein" (21,4; auch die Nacht und das Meer sind verschwunden, 21,1.25; 22,5); Lebensstrom und Lebensbäume symbolisieren das ewige Leben. Die Rede von der Vernichtung des Todes im Feuersee (20,14) führt dicht an die altkirchliche Sprachschöpfung vom „Tod des Todes" heran, der in der Auferstehung Jesu antizipiert worden ist ( - * Athanasius, inc. 27.30; Augustin, conf. IV, 12,19; vgl. —• Valentin, Frgm. 4). 7. Leben mit dem

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Der Sieg über den Tod, der in Jesu Auferstehung Ereignis wurde, verändert alle möglichen Erfahrungen des Todes, denen die Glaubenden in der noch andauernden gegenwärtigen Weltzeit ausgesetzt sind, von Grund auf. Durch die Konfrontation Gottes mit dem Tod gewinnt dieser ein neues Gesicht und bekommt einen neuen Ort. Seine Widerständigkeit und seine Zerstörungskraft werden aber deswegen nicht ausgeblendet. Media morte in vita sumus. In der Jesusüberlieferung gerät der Tod in den Horizont der Nachfolge Jesu Christi. Bereits Jesus fordert von seinen Jüngern die Bereitschaft zum Martyrium: „Wer sein Leben verliert, wird es finden" (Lk 17,33 par. [Q]; M k 8,35 par.; J o h 12,25; vgl. M t 10,28 par. [Q]); durch die spätere Zufügung „ u m meinetwillen" (Mk 8,35; vgl. M t 10,39) werden Sterben und Leben an Christus gebunden. Der Aufruf zur Kreuzesnachfolge (Lk 14,27 par. [Q]; M k 8 , 3 4 par.), der wohl bereits auf die Passion Jesu zurückblickt, leitet mit Selbstverleugnung (Mk) bzw. Verlassen des Familienverbands (Q) geradezu etwas wie einen Sterbeprozeß ein, der dem Leben des Gottesreichs schon jetzt R a u m schafft; der „Kelch" bzw. die „ T a u f e " des Todes schließt die Jünger mit Jesu Geschick zusammen (Mk 10,38f. par.).

Es ist vor allem Markus, der sein Evangelium umfassend vom Weg der Nachfolge in das Leiden und den Kreuzestod her entwirft (besonders 8,27—10,52). Die auf die Christen hin transparenten Jünger erfahren die Gegenwart ihres Herrn mitten im Leiden - in akuter Bedrängnis so gut wie in alltäglicher Lebenserschwernis. Auch die beiden anderen Synoptiker geben der Leidensnachfolge großes Gewicht; bei Lukas setzt sie sich in der Weltmission fort (Act 5,41; 9,16; 14,22; 20,22; 21,13). Im Johannesevangelium wird sie christologisch vertieft und mit der Verheißung ewigen Lebens verbunden (Joh 1 2 , 2 3 - 2 6 ; vgl. 12,32f.; 14,3; 17,24). Die Abschiedsreden (besonders 15,18-16,33) ermutigen dazu, das bereits hier und jetzt gewonnene Leben (5,24; vgl. I Joh 3,14) in einer von der Todesmacht überschatteten Welt (Joh 12,35f.; 13,30) nicht an Trauer und Angst preiszugeben, da Jesus doch die Welt besiegt hat (16,33). Bei Paulus finden sich die eindringlichsten Reflexionen zur Tragweite des Sterbens im Leben der Glaubenden, da er es konsequent mit dem Tod Christi korreliert. Wenn er die „Konformität" der Glaubenden mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn herausarbeitet, greift er wohl auf ältere Traditionen zurück, wonach die Christen in ihrer -»Taufe am Sühnetod Jesu wie an seiner Auferstehung teilhaben (Rom 6,3ff.; Kol 2,11-13.20; II Tim 2,11; vgl. Eph 5,14). Mit Christi Kreuzestod und Auferstehung verwandelt sich das Wesen des Todes: Er scheidet jetzt nicht mehr von Gottes Leben, sondern von der Macht der Sünde! Diese grundlegende Einsicht, die beim österlichen „Tod des Todes" ihren Ausgang nimmt, wird bei Paulus in zeitlichen Dimensionen entfaltet: Die Gegenwart der Glaubenden wird als Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen qualifiziert, da sich in ihr die Macht der vergehenden alten Weltzeit (charakterisiert durch die Herr-

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schaft des Todes kraft der Sünde) und die M a c h t der anbrechenden neuen Weltzeit (charakterisiert durch das Leben Gottes, das den T o d überwunden hat) gegenseitig durchdringen. Zunächst markiert der Tod die Befreiung von der Vergangenheit. Wenn die Glaubenden „mit Christus" gestorben sind - kultisch vergegenwärtigt in der Taufe - (Rom 6,1 —14; Gal 2,19f.; 5,24), sind sie der von Adam repräsentierten Todessphäre entnommen. Sie sind damit nicht mehr der Sünde, die auf ein Sein abseits von Gottes Lebensgaben aus ist, unterworfen (vgl. Rom 6,6.11; 8,10), da das Gericht über sie im stellvertretenden Kreuzestod Christi ergangen ist (Gal 3,13; Rom 8,3). Paulus kann diesem sogar dieselbe universale Reichweite zumessen wie dem Tod aller Menschen „in Adam" (vgl. II Kor 5,14c mit I Kor 15,22; Rom 5,15—17). Die scharfe Grenzlinie, die der Tod „mit Christus" gegenüber der (aus dem noch andauernden alten Aon wirkenden) Sündenmacht zieht, muß freilich immer neu aktualisiert und bewährt werden. In seiner Paränese hält Paulus deshalb die Glaubenden an, dieser Bewegung aus dem Reich des Todes in das Leben ständig neu Raum zu geben (Rom 6 , 1 2 - 2 3 ; 8 , 4 - 1 3 ; Gal 5,16-6,10). Obschon die Gegenwart der Glaubenden überschattet bleibt von der Todessphäre Adams, ist der Tod hier nicht mehr von Verhängnis, sondern von der Verheißung des mit ihm verbundenen Lebens Gottes bestimmt. In der Leidensgemeinschaft mit dem gekreuzigten Christus begegnet den Glaubenden das neue Leben in der Gestalt des Todes, wie es der Apostel selber in Leiden und Todesnot exemplarisch vergegenwärtigt („allezeit tragen wir das Sterben Jesu am Leib", II Kor 4 , 1 0 - 1 2 ; vgl. 1,5; 13,4; I Kor 15,31; Röm 8,36; Gal 6,17; Phil 3,10f. und besonders die Peristasenkataloge I Kor 4 , l l f . ; II Kor 4,8f.; 6 , 4 - 1 0 ; 11,23 - 29; 12,10; ferner Röm 8,35). Täglich erfährt der „äußere Mensch" die Zerstörungskraft der Todesmacht, während dem „inneren Menschen" das neue Leben zuströmt (II Kor 4,16). In der Feier des Abendmahls wird dieses Leben, das den Tod bleibend in sich integriert hat, vergegenwärtigt (I Kor 11,23 - 26 par.). Dabei fällt auf, daß in der Paulusschule das Auferstehungsleben zuversichtlicher als beim Apostel selbst bereits für die Gegenwart in Anspruch genommen wird (Kol 2,12f. [aber 3,3f.!]; Eph 2,5f.; 5,14). Hoffnungsvoll blicken die Glaubenden schließlich voraus auf die Zukunft, wenn die Leiber der Auferstehenden wie der noch Lebenden in göttliche Herrlichkeit verwandelt werden (Röm 8,17—25.28—30; I Kor 15; Phil 3,20f.) und der Tod vollkommen überwunden sein wird. Im Leben der Glaubenden haben T o d und Sterben ihren Schrecken verloren, da sie vom Auferstehungsleben Christi durchdrungen sind und von der Liebe Gottes nicht mehr zu trennen vermögen (vgl. R ö m 8,31—39!; I Kor 3 , 2 2 f . ) . An die Stelle der Verhältnislosigkeit, die den T o d bisher gekennzeichnet hat, treten nun Relationen (zu G o t t , Christus und dem Nächsten), die Leben wie Sterben übergreifen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. W i r leben nun oder wir sterben, so sind wir des H e r r n " ( R ö m 1 4 , 7 - 9 ; vgl. Phil 1,21; II Kor 5 , 1 4 f . ; Lk 2 0 , 3 8 b ) . M i t dieser Entdramatisierung des Sterbens nähert sich das Neue Testament wieder dem von Gelassenheit und Vertrauen getragenen Realismus des Alten Testaments im Umgang mit dem T o d an. „ N a c k t k a m ich aus dem Schoß meiner M u t t e r , und nackt kehre ich dorthin zurück. J H W H hat gegeben, und J H W H hat genommen - gesegnet sei der N a m e J H W H s ! " (Hi 1,21) Auch wenn der Hiob der Dichtung so gelassen nicht bleibt, wie es hier klingt: Dies ist das alttestamentliche Ideal des Umgangs mit dem erfahrenen und dem bevorstehenden T o d . Wer sich bei G o t t geborgen weiß, kann mit dem T o d , selbst dem schmerzlichsten, leben. Beispielhaft findet dies Ausdruck in den beiden, nicht zufällig nebeneinander stehenden Psalmen 2 2 und 23. Sie beide handeln von Leben angesichts des Todes, das aber der T o d nicht zerstören kann, weil es in G o t t geborgen ist. Psalm 22, das Mittelstück des ersten Davidpsalters (Ps 3—41), ist - auch gattungsgeschichtlich — eine complexio oppositorum: Einsamkeits- und Gemeinschaftserfahrungen, Gottesferne und Gottesnähe, Verzweiflung und Vertrauen, Angst und Hoffnung, Not und Rettung, Tod und Leben kommen zur Sprache. Im Kontrast zu den Klagen angesichts der Todesmacht (V. 13-22) wird die kaum mehr erwartete Rückkehr zum Leben bejubelt und gemeinsam gefeiert (V. 23 — 27); daraus erwächst die Gewißheit, daß eines Tages alle Welt, ja sogar „die in den Staub Hinabgestiegenen", JHWH dienen werden (V. 2 8 - 3 2 ) . Im Judentum wurde dieser Psalm auf den Messias, auf Esther und auf das jüdische Volk als ganzes gedeutet; das Christentum sah in ihm Tod und Auferstehung

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Christi präfiguriert (vgl. vor allem Mk 15,34), worauf sich wiederum die eigene Hoffnung gegen den Tod gründet (vgl. Rom 6,8f.). Psalm 23 führt die Vertrauensaussagen von Ps 22 fort. Wer unter des guten Hirten „Stecken und Stab" geht, darf von ihm alles Gute erhoffen und muß im Leben und im Sterben „kein Unglück fürchten". Er darf in Gottes „Haus" bleiben (oder: dorthin immer wieder zurückkehren) „auf die Erstreckung der Tage" (Ps 23,6). Wie weit reicht diese Zeitstrecke? Sicher bis zum Sterben, vielleicht darüber hinaus. Nicht von ungefähr findet auch dieser Psalm im Neuen Testament seine christologische Entsprechung (Joh 10,1-18). S o weist die Bibel in ein Leben mit dem T o d ein. Sie stützt sich dabei auf die Erfahrungen solcher, die im Vertrauen auf G o t t den T o d ausgehalten, ihm standgehalten, ihn gar überwunden haben. Literatur Allgemein u. zu 1.: a) Bibel und Antike: Lloyd R. Bailey, Biblical Perspectives on Death, Philadelphia, Pa. 1979. - Christoph Barth, Diesseits u. 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Tod II

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Tod II

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600

Tod III

(FRLANT 138). - Thomas Söding, Hoffnung f. Lebende u. Tote. Das Wort vom Kreuz, 1997 (WUNT 93) 5 9 - 70. - Ulrich Wilckens, Auferstehung, 1970 (ThTh 4). Zu 7.: a) Altes Testament: Alfons Deissler, „Mein Gott, warum hast du mich verlassen . . . ! " (Ps 22,2). Das Reden zu Gott u. v. Gott in den Psalmen am Beispiel v. Psalm 22: Helmut Merklein/ Erich Zenger (Hg.), „Ich will euer Gott werden". Beispiele bibl. Redens v. Gott, 1981 (SBS 100) 9 7 - 1 2 2 . - Jörg Viktor Sandberger, Hermeneutische Aspekte der Psalmeninterpretation, darg. an Psalm 23: Klaus Seybold/Erich Zenger (Hg.), Neue Wege der Psalmenforschung, 1994 (Herders Bibl. Stud. 1) 3 1 7 - 3 4 4 . - Willy Schottroff, Psalm 23. Zur Methode sozialgesch. Bibelauslegung: ders./WoIfgang Stegemann (Hg.), Traditionen der Befreiung, München, I 1980, 7 8 - 1 1 3 . - Josef Schreiner (Hg.), Beitr. zur Psalmenforschung. Psalm 2 u. 22, 1988 (FzB 60). - Fritz Stolz, Psalm 22. Atl. Reden vom Menschen u. ntl. Reden v. Jesus: ZThK 77 (1980) 1 2 9 - 1 4 8 . b) Neues Testament: Herbert Braun, Das „Stirb u. werde" in der Antike u. im N T (1957): ders., GSt zum N T u. seiner Umwelt, Tübingen i 1967, 1 3 6 - 1 5 8 . - Martin Ebner, Leidenslisten u. Apostelbrief, 1991 (FzB 66). - Hartmut Gese, Psalm 22 u. das NT. Der älteste Bericht vom Tode Jesu u. die Entstehung des Herrenmahles: ders., Vom Sinai zum Zion, 1974 (BEvTh 64) 1 8 0 - 2 0 1 . - Eduard Schweizer, Die „Mystik" des Sterbens u. Auferstehens mit Christus bei Paulus: ders., Beitr. zur Theol. des NT, Zürich 1970, 1 8 3 - 2 0 3 . - Robert C. Tannehill, Dying and Rising with Christ. A Study in Pauline Theology, 1966 (BZNW 32). - Samuel Vollenweider, Großer Tod u. Großes Leben: EvTh 51 (1991) 3 6 5 - 3 8 2 . - Alexander J.M. Wedderburn, Baptism and Resurrection, 1987 (WUNT 44).

Walter Dietrich/Samuel Vollenweider

III. Judentum 1. Halacha 2. Anthropologisches Mittelalter (Literatur S. 605)

3. Religiöse Deutung des Todes

4. Entwicklung seit dem

Jüdischer Umgang mit Sterben und Tod und die damit verbundenen Vorstellungen über Wesen, Ursachen und Folgen des Todes reichen in die biblische Tradition zurück, nehmen aber auch zu jeder Zeit vielfältige Einflüsse aus der nichtjüdischen Umwelt auf. Historische Entwicklungen sind hier in vielen Bereichen oft weniger wichtig als regionale Unterschiede. Hier kann es jedoch schon aus Raumgründen nur um die wesentlichen gemeinsamen Elemente jüdischer Tradition gehen; für die Zeit des zweiten Tempels wird auf den vorausgehenden Abschnitt II verwiesen. 1.

Halacha

Eine grundlegende Zusammenfassung rabbinischer Normen über den Umgang mit Sterben und Tod bietet der Trakat Ebel Kabbati („Großer Traktat über die Trauer", euphemistisch auch Semachot, „Freuden" genannt; Datierungen schwanken zwischen 3. und 8. Jh.); jeweils auf neue Problemstellungen aktualisiert, gelten diese Normen bis heute. a) Ein Sterbender (goses) ist laut Sem 1 , 1 - 5 rechtlich in jeglicher Hinsicht wie ein Lebender zu betrachten, bis wirklich der Tod eingetreten ist, auch wenn die Mehrzahl der Sterbenden tatsächlich stirbt (bShevu 37b). Sein mündlicher letzter Wille gilt wie ein schriftliches Testament. Man darf ihm nicht schon die Augen schließen, das Kinn hochbinden oder Vorbereitungen für das Begräbnis treffen. Wer ihn berührt oder bewegt, ist wie jemand, der Blut vergießt. Als goses gilt im allgemeinen jemand, dessen Tod innerhalb von drei Tagen zu erwarten ist; schon in einem früheren Stadium lebensgefährlicher Verletzung oder unheilbarer Krankheit gilt jemand als terefa (wörtlich „Gerissenes"). Gilt für diesen, daß auch lebensgefährliche Behandlungen erlaubt sind, so gilt für den goses, daß man keine außergewöhnlichen Maßnahmen mehr setzen muß, um den Tod zu verzögern (ein Absetzen künstlicher Ernährung ist jedoch verboten). Rabbinisches Beispiel ist der Märtyrertod des Chanina ben Teradion, der noch auf dem Scheiterhaufen ablehnt, sich so zu verhalten, daß er schneller stirbt: „Besser ist, daß (das Leben) nimmt, der es gegeben hat, nicht aber beschädige man sich selbst" (bAZ

Tod III

601

18a). Jede Form aktiver Sterbehilfe und der —»Euthanasie gilt als Mord; dasselbe gilt für Beihilfe zum -»Suizid. Da Gott Herr des Lebens ist, darf der Mensch sich nicht selbst töten (bBQ 91b, belegt mit Gen 9,5). Wer dies tut, dem werden Trauerriten und religiöses Begräbnis verweigert, doch rechnen schon die Rabbinen in den meisten Fällen, vor allem bei Kindern und Frauen, mit Akten der Verzweiflung und geistigen Verwirrung, die nicht als Suizid gelten (Sem 2 , 1 - 5 ) . Nur drei Verbote darf der Mensch auch bei Todesdrohung nicht übertreten - Götzendienst, Unzucht, Mord (bSan 74a); daher gilt auch Selbstmord, um der Zwangskonversion zu entgehen (oft etwa in der Zeit der Kreuzzüge), nicht nur als erlaubt, sondern sogar als „Heiligung des Namens (Gottes)", als -»Martyrium, in dem man Dtn 6,5 erfüllt, Gott „mit ganzer Seele" zu lieben, d.h. auch um den Preis des Lebens (SifDev 32; nefescb bedeutet Seele wie auch Leben). b) Zeichen des Todes sind das Aufhören der Atmung (Gen 7,22) bzw. des Herzschlags (bYom 85a: einen am Sabbat Verschütteten gräbt man bis zur Nase bzw. bis zum Herzen aus; gibt es kein Lebenszeichen, darf man die Leiche erst nach dem Sabbat freilegen; vgl. Raschi zur Stelle). In seinem Kommentar zum —>Schulchan Aruk (Yoreh Deah 338) stellt Moses Isseries fest, daß man Tod und Ohnmacht nicht sicher unterscheiden kann und daher nach Aufhören von Atmung und Herzschlag noch etwas zuwarten soll. Heute anerkennen rabbinische Autoritäten (ausgenommen die äußerste Orthodoxie) das Aussetzen der Hirntätigkeit als gültiges Zeichen des Todes vor allem im Hinblick auf Organentnahmen (-»Organverpflanzung). c) Sobald der Tod feststeht, schließt man dem Toten die Augen (mShab 23,5) und bereitet ihn für die -»Bestattung vor, die so bald als möglich stattzufinden hat (abgeleitet aus Dtn 21,23; seit der Aufklärung aus Angst vor Scheintod innerjüdisch diskutiert, auch von staatlichen Behörden oft bekämpft). Grundmotiv ist die „Ehre des Toten" (kevod ha-met, aram.: yeqara di-schekhiba). Bis zur Bestattung soll der Tote nicht allein gelassen werden. Der Leichnam ist als Eigentum Gottes in seiner Integrität zu bewahren. Das schließt Autopsie aus, sofern diese nicht durch das höhere Prinzip der Sorge um das Leben (piqquach nefesch) geboten erscheint, wenn nämlich die Feststellung der Todesursache der Behandlung anderer Kranker dienen kann; doch auch dann wird vorausgesetzt, daß der Tote in all seinen Teilen bestattet wird. Schon die Rabbinen diskutieren, ob bei Mordopfern Autopsie die wahre Todesursache feststellen und so unter Umständen den Täter entlasten kann (bHul IIb); wenn die Mutter in den Wehen stirbt, ist die Rettung des Kindes durch Kaiserschnitt geboten (bAr 7a). Jede routinemäßige Autopsie wird aber bis heute abgelehnt. Organentnahme von Toten ist dagegen, wo sie der Rettung bzw. Heilung noch Lebender dient, natürlich erlaubt. Die Sorge um die Ehre des Toten bzw. allgemein die Integrität des Leichnams bestimmt u.a. auch die Form der -»Todesstrafen in der Mischna: So erfolgt z. B. die biblisch vorgesehene Hinrichtung durch Verbrennen nicht im wörtlichen Sinn; vielmehr soll man dem Verurteilten flüssiges Blei in den Mund gießen (mSan 7,3). Leichenverbrennung wird daher ebenfalls abgelehnt, die Beisetzung der Asche im allgemeinen aber erlaubt (jedoch ohne Beteiligung eines Rabbiners). Jeder Tote hat Anspruch auf Bestattung. Wer niemanden hat, der dafür sorgt, gilt als „Pflichttoter" (met mitswa)\ jeder einzelne bzw. jede Gemeinde ist verpflichtet, die Bestattung durchzuführen (Sem 4,16ff.). Die Ehrfurcht vor dem Toten verbietet im allgemeinen auch die Exhumierung des Leichnams (Sem 4,7; in bBB 154a-b diskutiert man, ob man bei Erbstreitigkeiten dadurch nachträglich prüfen kann, ob der Erblasser noch minderjährig war, keine Schamhaare hat und damit nicht rechtskräftig vererben kann). Ausnahmen sind von Anfang an geplante Zweitbegräbnisse, die Überführung ins Familiengrab (yMQ 2,4; mSan 6,6 die Gebeine eines Hingerichteten), zur Bestattung im Land Israel (bKet l i l a ) oder wenn das Grab irgendwie gefährdet ist (Erdrutsch, wilde Tiere o.ä.). Prinzipiell jedoch besteht das Grab auf Dauer, ist „Haus der Ewigkeit". Als besonderes Problem ist die rechtmäßige Bezeugung des Todes zu erwähnen (mYev 16): Wenn niemand den Tod bezeugen und der Leichnam nicht sicher identifiziert werden

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Tod III

kann, ist eine eventuelle Witwe halachisch „gebunden" (agunä) und darf keine neue Ehe eingehen. Eine amtliche Todeserklärung, wie sie etwa zur Lösung von Rechtsproblemen nach dem Holocaust im Staat Israel gesetzlich geregelt wurde, gilt in Fragen des Eherechts nicht. 2.

Anthropologisches

Tod ist nach rabbinischem Denken kein punktuelles Ereignis. Zwar ist der Zeitpunkt des eigentlichen Todes ein klar bewußter scharfer Einschnitt, doch nur der Höhepunkt eines langen Prozesses, der schon im Leben beginnt und bis zum ersten Jahrestag des Todes reicht. Schon im Leben ist der Tod gegenwärtig; daran soll etwa das Zerbrechen eines Glases bei der Hochzeit erinnern (bBer 31a); auch gilt der Schlaf als Vorwegnahme („ein Sechzigster*) des Todes (bBer 57b). Ein zu schnelles Sterben gilt als negativ, da man seine Angelegenheiten nicht regeln kann (Sem 3,9), Tod durch Darmkrankheit dagegen als positiv (sei es als Reinigung des Körpers oder als Sühne durch die Schmerzen der Krankheit: bEr 41b; bShab 118b; Sem 3,10—11). Zwar betrachten viele rabbinische Texte gemäß älterer Anthropologie den Tod als ein den Menschen ganzheitlich betreffendes Geschehen; doch weithin setzt sich schon früh die Auffassung des Todes als Trennung von Leib und -»Seele durch („Ausgehen der Seele": mShab 23,5; bYom 20b spricht vom „Schrei der Seele, wenn sie aus dem Körper ausgeht". Auch im Schlaf verläßt die Seele den Leib, um beim Erwachen wiederzukehren: BerR 14,9). Der Tod wird prinzipiell als Störung und Gefährdung der Lebenswelt empfunden, der Tote als hochgradige Quelle der Unreinheit (—»Reinheit) gesehen. Damit verbunden sind verschiedene Tabus vor allem bis zum Begräbnis (Riten der Selbsterniedrigung der Trauernden, Ausschütten des Wassers, Verhängen von Spiegeln, Öffnen der Fenster im Sterbehaus usw.). Rabbinisch setzt man voraus, daß der Verstorbene fühlt und wahrnimmt, was um ihn geschieht (yAZ 3,1,42c); man vermeidet daher alles, was ihn kränken könnte (vor allem natürlich jedes Tun, in dem das Weitergehen des normalen Lebens zu deutlich zum Ausdruck kommt. So soll man z. B. nicht in Gegenwart des Leichnams essen: bBer 17b). Mit dem Begräbnis endet die intensivste Phase der Gegenwart des Toten, dessen Seele jedoch noch tagelang zum Leichnam zurückkehrt, ehe sie ihn endgültig aufgibt (yMQ 3,5,82b; laut Sem 8,1 darf man daher noch dreißig - korrekt wohl: drei - Tage lang zum Friedhof gehen, um nach dem Toten zu schauen, ohne deshalb wegen heidnischer Bräuche beschuldigt zu werden). Zum Ende kommt der Prozeß jedoch erst ein Jahr später, wenn die Verwesung abgeschlossen ist, die Gebeine eingesammelt werden (Ossilegium) bzw. der Grabstein gesetzt wird. Der Tote bewahrt sein Bewußtsein, fühlt die Schmerzen der Verwesung (bShab 152a), merkt, was am Friedhof vor sich geht, und kann, so zumindest in den ersten zwölf Monaten, in gewissem Maß auch noch mit seinen Angehörigen Verbindung halten und für sie Fürbitte leisten (vgl. die Friedhoferzählungen in bBer 18b). Als Aufenthalt des Toten gilt einerseits in Weiterführung älterer Tradition das Grab (daher auch die Bedeutung des Familiengrabes bzw. auch der Bestattung im Land Israel), andererseits ein nicht näher bestimmter Ort im Jenseits; dagegen fehlt die Vorstellung eines —»Fegfeuers: das „Grabesleiden" der Verwesung sühnt Verfehlungen des Toten („Traktat von den Grabesleiden": Adolph Jellinek, Bet ha-Midrash, Jerusalem, I 2 1938, 150-152); nur die größten Sünder gehen nach diesem einen Jahr völlig zugrunde: „ihre Seele vergeht, und ihr Leib wird verbrannt; das Gehinnom speit sie aus, sie werden zu Staub, und der Wind zerstreut sie" (tSan 13,4). 3. Religiöse Deutung des

Todes

„Die Geborenen (sind bestimmt) zu sterben" (mAv 4,22). Diese Aussage wie auch die Deutung von Gen 1,31 „es war sehr gut" (tov me'od): „gut ist der Tod" (tov mot: BerR 9,5) legen nahe, den Tod als Teil der Schöpfungsordnung zu sehen. Dagegen steht die allgemeinere These: „Kein Tod ohne Sünde" (bShab 55a). „Ihr seid Kinder des ersten

Tod III

603

Menschen, den und dessen Nachkommen nach ihm bis zum Ende aller Geschlechter ich mit dem Tod bestraft habe" (SifDev 323). Diese Vorstellung des Todes als Folge der Schuld des ersten Menschen kann auch den Tod Gerechter wie Mose und Aaron erklären, die nach Meinung mancher Rabbinen die gesamte Tora einhielten, während andere auch bei ihnen den Tod als Folge der eigenen Sünde sehen (bShab 55b, vgl. SifDev 339; späte Midraschim - Midrasch Petirat Mosche in zahlreichen Fassungen; Midrasch Petirat Aharon - zeigen das anhaltende Interesse am Thema). Ist man auch in bezug auf solche Einzelgestalten uneinig und spricht in ihrem Fall vom Tod durch den Kuß Gottes (bBB 17a, begründet mit Num 33,38 und Dtn 34,5: sie sterben 'al pi, „am Mund" Gottes - so statt des üblichen „gemäß dem Wort Gottes" verstanden), so denkt man allgemeiner aber doch den Tod als Sühne für eigene Vergehen. Vor der Hinrichtung soll der Verurteilte nach biblischem Vorbild Achans (Jos 7,19 f.) seine Sünden bekennen, „denn jeder, der bekennt, hat Anteil an der kommenden Welt"; die Kurzformel lautet: „Mein Tod sei Sühne für alle meine Sünden" (mSan 6,2). Diese Vorstellung gilt aber auch ganz allgemein für jeden Sterbenden: für jeden Menschen ist der Tod Sühne und wichtigster Akt der Buße (bYom 86; yShevu 1,9,33b diskutiert, ob der Tod an sich oder nur in Verbindung mit der Umkehr des Sterbenden sühnt). Von hier entwickelt sich der Brauch, daß ein Bekenntnis der Sünden bis heute wesentlich zur Sterbevorbereitung gehört. Stirbt ein Mensch vor der „normalen" Zeit (bMQ 28a: mit 50 bzw. zwischen 50 oder 60 Jahren), kann dies als direkte Strafe durch Gott verstanden werden, als die biblisch mehrfach vorgesehene Strafe der „Ausrottung" (karet: z.B. Lev 17,14); da ein früher Tod aber lange Zeit ständige Erfahrung war, ist man mit dieser Deutung immer sehr zurückhaltend geblieben. Insofern jeder Tod direkt oder indirekt als Strafe durch Gott gilt, ist die einzig richtige Reaktion auf eine Todesnachricht das - bei allen schlechten Nachrichten passende (mBer 9,2) — Bekenntnis, daß Gott gerecht ist: „Gepriesen sei der gerechte Richter" (bBer 46b; tsidduq ha-ditt: „Rechtfertigung des Urteils", als Teil der Begräbnisliturgie erst seit gaonäischer Zeit belegt). Leben als Jude ist primär ein Leben unter der Tora. Einmal tot, kann man sich nicht mehr mit der Tora befassen; man ist „unter den Toten frei" (so verstehen die Rabbinen Ps 88,6): „Sobald der Mensch stirbt, ist er befreit von der Tora und von den Geboten" (bShab 30a u.ö.) und leidet darunter. Daher darf auch der Trauernde, solange der Tote vor ihm liegt, nicht Bibel, Mischna und Talmud lesen (Sem 6,1) und ist frei von allen Geboten, die in der Tora genannt sind (mBer 3,1; Sem 10,1). Daher soll man aber auch auf dem Friedhof keine Torarolle und auch keine Gebetsriemen tragen, da man damit die Toten kränken würde (bBer 18a; Sem 13,3). Solange sich jemand mit der Tora befaßt, kann man eigentlich nicht sterben: „Jeder, der sich mit der Tora um ihretwillen befaßt, dem wird sie zum Lebenselixier . . . wer sich aber mit der Tora nicht um ihretwillen befaßt, dem wird sie zum tödlichen Gift" (bTaan 7a). Der Todesengel muß David erst vom Studium der Tora ablenken, damit dieser sterben kann (bBer 30b; ebenso bMQ 28a zu R. Chisda). Rabbi kann erst sterben, als seine Magd die ablenkt, die für ihn beten (bKet 104a). Andererseits heißt es, daß Gelehrte früh sterben, weil sie das Studium der Tora für eitles Gerede unterbrechen (ARN A 26). Direkte Konsequenz daraus ist, daß, wer die Tora aufgibt, vom Judentum abfällt, aus religiöser Sicht als gestorben gilt (Sem 2,8). Erst in der Endzeit wird der Tod überwunden (Ende von mMQ 3 mit Zitat von Jes 25,8). Doch auch die zur messianischen Zeit auferstehen, werden - wie es schon vorrabbinische Tradition will - noch einmal sterben, nun allerdings nach einem vollendeten Leben (so auch noch —»Mose ben Maimon, Ma'amar 'al Techiyyat ha-Metim; auch -»Abraham Ibn Esra in seinem Kommentar zu Dan 12,2), ehe die „kommende Welt" im eigentlichen Sinn anbricht.

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Tod III

4. Entwicklung seit dem Mittelalter Bleiben auch die wesentlichen Auffassungen der Rabbinen vom Tod weiterhin bestimmend, ergeben sich doch vor allem in der Frömmigkeit bestimmte Entwicklungen. Seit etwa dem 11. Jh. ist eine verstärkte Sorge für Sterbende und Tote festzustellen, wozu in den folgenden Jahrhunderten (im aschkenasischen Raum seit dem 16. Jh. breit belegt) überall eigene Vereinigungen gegründet werden (chevra qaddischa oder, weniger spezifisch, chevrat gemilut chasadim). Seit den Kreuzzügen gibt es auch eine eigene Liturgie des Totengedenkens (hazkarat neschamot) zu Jörn Kippur und den Wallfahrtsfesten; das Totengedenken wird auch durch Memorbücher und das Begehen des Jahrestages des Todes („Jahrzeit"; dazu eigene Jahrzeittafeln) gepflegt. Das Qaddisch (—»•Gebet III) wird immer mehr ein Gebet für Tote - seine Rezitation gilt als wesentlich für deren Ruhe. Spezifisch jüdische Friedhöfe werden nun die Regel. Die zunehmende Bedeutung des Todes wird durch Einfluß der —•Kabbala, besonders in der lurianischen Fassung, nochmals intensiviert. Die Betrachtung des Todes gewinnt in der Frömmigkeit an Bedeutung, ein tägliches Sündenbekenntnis soll auf den jederzeit möglichen Tod vorbereiten. Vor allem neuplatonisch orientierte jüdische Philosophen des Mittelalters (aber auch Mose ben Maimon) sehen die Vereinigung der Seele mit dem göttlichen Intellekt als Ziel, das erst im Tod endgültig erreicht wird, das man aber schon in diesem Leben soweit als möglich vorwegzunehmen versucht und worauf man sich durch Abtötung der Sinne, getreues Tun der Gebote und geeignete Meditationspraxis vorbereitet; der Tod wird nicht gefürchtet, sondern geradezu ersehnt (oft zitiert man bTam 32a: „Was muß der Mensch tun, damit er lebe?... Er töte sich selbst"). Ähnlich versucht man, in mystischer Erfahrung schon während des Lebens die Seele zumindest temporär aus den Fesseln des Leibes zu befreien, die himmlische Welt zu erfahren, den „Kuß Gottes" zu erleben, in dem die irdische Seele Gott anhaftet (Basistext Cant 1,2: „Er küsse mich mit Küssen seines Mundes") und der Mensch den Tod erfährt. Auch sonst ist in der Kabbala die Vorstellung verbreitet, im Tod werde die Seele aus dem Leib befreit, beurteilt man also implizit die leibliche Existenz negativ. Auch spekuliert man in der Kabbala über mehrere Bestandteile der Seele beim Tod und ihr jeweiliges Schicksal im Tod (die körperliche Seele, nefesch, bleibt eine Zeitlang im Grab, der Atem/ Geist, ruach, kommt ins irdische Paradies, die eigentliche Seele, neschama, kehrt zur Schekhina zurück) und übernimmt die Vorstellung der -> Seelen Wanderung. Was die Vorbereitung auf den Tod betrifft, ist vor allem die umfangreiche Schrift Torat ha-Adam des -»Mose ben Nachman wichtig geworden, die halachische und midraschische Äußerungen zu Krankheit, Tod, Trauer und Vergeltung im Jenseits systematisch zusammenstellt und vor allem im letzten Teil viele kabbalistische Elemente aufweist. Diese Schrift wurde breit rezipiert, u.a. auch in den einschlägigen Kapiteln des Schulchan Aruk weithin übernommen. Sie ist auch die Basis für eine Reihe von Handbüchern geworden, die meist noch stärker kabbalistisch, vor allem lurianisch, geprägt sind. Besonderen Erfolg hatten Aaron Berechia ben Mose von Modena (gest. 1639) mit seiner Schrift Ma avar Jabbok („Übergang des Jabbok", zuerst Mantua 1626, oft nachgedruckt) und Simon Frankfurt(er) mit Sefer ha-Chayyim („Buch des Lebens", Amsterdam 1703 und öfter), die bis heute die Basis einschlägiger Liturgien bilden. Der Sterbende soll nicht allein gelassen werden, sondern — nach Möglichkeit von mindestens zehn Männern, einem Minjan, begleitet - seine Seele auf die letzte Reise vorbereiten: Selbstprüfung, Sündenbekenntnis, Annahme des göttlichen Gerichts, Reinigung und Verteilung von Almosen sind dabei wesentliche Elemente; mit Lied und Gebet wirken die Anwesenden mit. Gelassene Annahme des Todes (bKet 103b: „Lächelnd sterben ist ein gutes Zeichen") ist ein Ziel: „Möge mein Leib ein Altar sein und meine Seele ein reines Opfer. Durch meinen Tod möge ich Vergebung erlangen, und meine Krankheit sei eine Sühne für all meine Übertretungen, Ungerechtigkeiten und Sünden . . . " (Ma'avar Jabbok, Bene Beraq 1929, 88). Das Bekenntnis des einen Gottes (Dtn 6,4) sollten die letzten Worte des Sterbenden sein.

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Günter Stemberger

IV. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche (Literatur S.613) 1. Alte

2. Mittelalter

3. Reformationszeit

4. Frühe Neuzeit

5. Neuzeit ab 1789

Kirche

1.1. Tod und Leben. Für das frühe Christentum mit seiner Sehnsucht nach der himmlischen Heimat (-»Stadt III.1.2.) war der Tod wesentlich der Durchgang zu einem neuen -»•Leben und zur -»Auferstehung, und somit war der Tod bei einem Märtyrer der eigent-

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liehe Geburtstag. So wurde das ganze Leben von der Geburt an als ein Weg zum Tode gesehen (Augustin, civ. XIII, 10), und der geistliche Tod in der Gottverlassenheit drohte schon in diesem Leben (ebd. XIII,2). Schon dadurch durchdrangen sich die Sphären von Tod und Leben. Der Märtyrertod wiederum (-»Martyrium), der aus heidnischer Sicht als eine nicht vernünftig begründbare Selbsttötung erschien, konnte unmittelbaren Zugang zum Himmel ermöglichen und sogar die -»Taufe ersetzen. Die Todesfurcht wurde artikuliert, gleichzeitig aber kritisiert (Gregor von Nyssa, De anima et resurrectione [PG 46,12]). Die christliche Todesvorstellung profilierte sich gegenüber der paganphilosophischen (Tertullian, mon. 10; test. 4), besonders der Epikurs (s.u. VIII.1.3.). In christlicher Perspektive verlor die -»Trauer an Dramatik (Tertullian, pat. 9; Augustin, conf. IX,12,32). „Tod" und „Leben" waren im Rahmen der Zwei-Wege-Lehre auch Endpunkte verschiedener ethischer Grundausrichtungen (—»Didache 3.). 1.2. Theologische Deutung. Als Ursache des Todes wurden nicht nur die —»Sünde Adams bzw. jedes Menschen angesehen (Augustin, civ. XIII,3f.), sondern auch die Materialität des -»Leibes oder auch die von Gott vorhergesehene Gefahr der Überbevölkerung (Lactantius, inst. VII,11). Dementsprechend konkurrierten natürliche Erklärungen (von Tertullian in an. 52 abgelehnt) mit der theologischen, die auch damit rechnete, das Adamsgeschlecht hätte durch Gehorsam den Tod vermeiden können (Theophilus, Autol. 11,27). Hinzu trat das Motiv des Todes als Erlösung (-»Heil und Erlösung) von einem von der Sünde, von Leid und Bedrängnissen bedrohten Leben (ebd. 11,26; Irenäus, haer. 111,23,6; Clemens von Alexandrien, str. 1,173,2; IV,12,1). In der konkreten Situation einer Seuche war für -»Cyprian der Tod geradezu eine Gnade Gottes, die die Christen der Verfolgung und aller nur möglichen irdischen Übel enthob (Cyprian, De mortalitate 5). Dem Tod wurde auch eine pädagogische Funktion als Mahnung zu rechtem Verhalten und zur Erkenntnis der Begrenztheit menschlichen Daseins zugemessen (Lactantius, opif. IV,16-22). So wurden beiläufig auch pagane Trostmotive in christliche gewendet. 1.3. Zukunft nach dem Tod. Der Tod entließ die -»Seele auf eine Reise in den Himmel. Der Sterbende empfing dafür als Wegzehrung die Kommunion und setzte seine Hoffnung auf Christus, den bildlich als Guten Hirten gesehenen Reisebegleiter (vgl. Pollastri/Giuntella). Der in ein neues Leben führende Tod wurde aber auch zu einem angstbesetzten Moment, denn die —»Dämonen bedrohten die Seele gerade in der Todesstunde, indem sie wie Zöllner am Wegesrand sitzend gedacht wurden (Origenes, hom. in Lc. 23,5; Ps.-Makarios, logos 14,15/hom. 43,9). Der eigentliche Todeskampf war also der gegen die Dämonen. Das getroste Sterben wiederum wurde ein literarisches, auf das Mittelalter verweisendes Motiv (Gregor von Nyssa, De vita Macrinae: Gregorii Nysseni opera VIII/ 1, 397-399; Ambrosius, De bono mortis [passim]). -»Benedikt von Nursia trat als Heiliger seine Seelenreise unbedroht an, zumal er beim Kommunionsempfang verstarb (Gregor d.Gr., dial. 11,37,3). Die Antwort auf die Frage, an welchen Ort der Tod führe, mußte unterschiedliche Komponenten integrieren, vor allem das Verhältnis von Tod, Gericht (-»Gericht Gottes IV) und -»Auferstehung (1/4.). Der Tod versetzte in frühen Anschauungen zunächst einmal an einen sicheren Ort, in die Seligkeit (I Clem 44,5), in den Himmel (Herrn vis 1,1,4f.). Differenzierter ließ sich die Frage nach dem Aufenthaltsort der Toten mit der Vorstellung eines Zwischenzustandes beantworten, in den Gute und Böse eintraten (Justin, dial. 5,3; Tertullian, an. 55.58). Tertullian gab dafür auch einen Begriff mit langer Wirkungsgeschichte vor: Es gab ein refrigerium interim für die Guten (mon. 10,4). -»Augustin unterschied dann die natürliche mors corporis und die mors animae in der Gottverlassenheit von der secunda mors der ewigen Verdammnis (civ. XIII,2). Strittig blieb die Frage, ob auch Nichtchristen im Tode gerettet werden könnten. Nicht nur mit Christi Descensus ad Inferos (-»Höllenfahrt Christi), sondern auch mit einer unterweltlichen Predigt- und Tauftätigkeit der Apostel wurde gerechnet (Herrn sim IX,16,5). Die Acta Perpetuae et Felicitatis gingen von einer Sta-

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tusverbesserung des gestorbenen, ungetauften Bruders der Perpetua durch ihre Fürbitte aus (pass. Perp. 7). Augustin stand dieser Annahme skeptisch gegenüber (nat. et or. 1,10). 1.4. Geistliche Sorge um die Toten. Der Tod beendete mit dem Leben auch die Teilhabe am Leben der Kirche, und hiervon waren besonders die im Stande der -»Buße (V.) befindlichen Christen betroffen. Unter dem Eindruck einer nahenden Seuche oder des drohenden Abfalls zum Heidentum wurde das Bußverfahren abgekürzt (Cyprian, ep. 18; 55,17). Generell aber war umstritten, ob Büßern, jedenfalls bei schweren Sünden, die Sterbekommunion gereicht werden dürfe: Das Konzil von -»Nicäa sprach sich 325 dafür aus (can. 13). Seit dem 4. Jh. wurde die Buße selbst ein Teil des Sterbeaktes. So wurde das Viaticum für die Sterbenden auch der erste Bestandteil einer christlichen Sterbeliturgie (Eusebius, h.e. VI,44). Seit dem 4. Jh. und besonders durch -» Gregor von Nazianz, -»Gregor von Nyssa und -»Ambrosius bildete sich auch das Genus der christlichen Leichenreden heraus, das stark von der klassischen Panegyrik beeinflußt war, zumal sich die Leichenreden vorwiegend auf Angehörige des Kaiserhauses und auf Bischöfe bezogen. Den Abbruch der Beziehung zu den Lebenden und zum Leben der Kirche sollte die Fürbitte für die Toten überwinden helfen. Schon durch -»Tertullian (mon. 10) ist eine solche Fürbitte bezeugt. Die dem Bischof Serapion von Thmuis (4. Jh.) zugeschriebene Sammlung von Gebeten (vgl. T R E 1,759,12-21) enthält auch eines um Ruhe und Schlaf für den Toten und um seine Auferstehung. Augustin differenzierte zwischen einer wirksamen Fürbitte für die Guten und einer unwirksamen für die Bösen (cur. 1; conf. IX,13). Schon in der Alten Kirche setzte eine Diskussion über die Möglichkeit von Totenerscheinungen ein. Augustin trennte die Sphären von Leben und Tod nicht strikt und sah erscheinende Tote als mögliche Vermittler zwischen Lebenden und Toten an (cur. 10.15). 1.5. Leib und Seele, Umgang mit den Toten. Der Tod stellte auch die Frage nach dem künftigen Verhältnis von —»Leib und Seele. Hier ließ sich auf platonische Vorstellungen vom Weiterleben der Seele zurückgreifen (Tertullian, test. 41). Der Tod führte die asketische Abtötung des Leibes zum Ziel, und die Zerstörung des Leibes im Martyrium konnte geradezu erstrebenswert werden (IgnRom 4,3). Grundsätzlich wurde der Tod als Trennung von Leib und Seele gesehen (Athenagoras, res. 16; Irenäus, haer. V,7). Die Trennung der Seele stellte man sich je nach der Art des Todes plötzlich oder allmählich vor (Tertullian, an. 53; Lactantius, inst. VII,12). Die Thnetopsychiten gingen von einem Tod der Seele im leiblichen Tod und von ihrer Wiederbelebung erst in der Auferstehung aus (Eusebius, h.e. VI,37); dahinter stand die Vorstellung einer nicht natürlichen,. sondern von Gott verliehenen. Unsterblichkeit der Seele (Justin; —»Tatian; vgl. Schneider). Die Sorge für die toten Leiber der Märtyrerinnen und Märtyrer führte dann zur Reliquienverehrung (—»Reliquien/Reliquienverehrung) und zur Vorstellung einer vom Märtyrerleib ausgehenden Wunderkraft (Gregor d.Gr., dial. IV,6). Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, die Toten im Mittelalter in die Stadt zu inkorporieren und um die Heiligengräber -»Friedhöfe zu gruppieren. Der Heilige blieb im Tod nicht nur getrost, sondern auch makellos (Sulpicius Severus, ep. 3). Die Sorge um die toten Körper ermöglichte in antiker Tradition gar ihre Einbalsamierung (v. Anton. 90); die heidnische Bekränzung der Toten aber wurde abgelehnt (Tertullian, cor. 10). Ein Sonderproblem stellte die von den Christen im 3. Jh. übernommene pagane Praxis der Totenmahle (-»Bestattung IV/1.) zur Pflege des Gedächtnisses der Verstorbenen dar: Augustin (civ. VIII,27; conf. VI,2) drängte die überkommene Deutung als Speisung der Toten (vgl. Tertullian, test. 4; Epiphanius, anc. 86,5) zurück. So wurden die Totenmahle zur Eucharistie bei den Toten (Syrische Didaskalia 6,22,2). Auch das Einlegen einer Hostie in den Mund der Verstorbenen, um sie an der Eucharistie teilhaben zu lassen, wurde bekämpft (Synode von Auxerre 578, can. 12), doch wurde auch überliefert, Benedikt von Nursia habe ein Wunder gewirkt, als er einem Toten die Eucharistie ins Grab gab (Gregor d.Gr., dial. 11,24).

608 2.

Tod IV Mittelalter

2.1. Tote und Lebende. Im Mittelalter wurde die Verbindung von Lebenden und Toten weiter intensiviert; dabei trat neben der durch die Nähe der Friedhöfe vermittelten Inkorporation der Toten in die Gemeinschaft der Lebenden die Frage nach der Wirkung der Fürbitte über den Tod hinaus und somit die geistliche Kommunikation mit den Toten in den Vordergrund. Tote, so nahm man an, konnten umgekehrt auch für Lebende bitten. Mit den Toten befand man sich weiterhin in sozialer und besitzrechtlicher Gemeinschaft. Seelgerätstiftungen sicherten den Verstorbenen das Gedenken der Lebenden. In —»Cluny und andernorts wurde die Totenmemoria intensiv gepflegt; der Bau und die Ausstattung von Kirchen sicherten das Gedenken an die Stifter. Die Toten wurden in Listen (Libri Vitae) verzeichnet. Das von Cluny ausgehende Allerseelenfest (vgl. TRE 11,72,19-25) nahm alle Toten in das Gedenken auf. Das allgemeine mittelalterliche Bewußtsein, sich mit dem Tod abfinden zu müssen, bestimmte auch die Dichtung (Hartmann von Aue, Der arme Heinrich 92-96.713 - 7 2 4 ; Walther von der Vogelweide, Frau Welt). So ermahnte der Tod dazu, die Welt zu verachten und sich von ihr abzukehren; dazu rieten besonders die Traktate De contemptu mundi. Die Nähe von Tod und Leben verdichtete sich zu Todesahnungen und zu Vorstellungen von der Nähe der Toten. Verstorbene erschienen als Künder des eigenen Todes; man meinte aber auch, Vorzeichen des Todes erkennen zu können. Die toten Heiligen wirkten durch ihre Reliquien für die Lebenden das Heil. Grablegen von Herrschern wiederum verbürgten die Anwesenheit des Königsheils. Große Herrscher sollten auch nach ihrem Tod in Erinnerung bleiben (Einhard, Vita Caroli). Die schon antike Auffassung des Todes als Schlaf (z. B. Honorius Augustodunensis: PL 172,1081C) wurde umgesetzt in die Legende von den Siebenschläfern. Von der Martinslegende ausgehend wurde der schöne Tod zum Leitbild, auch -»•Elisabeth von Thüringen gab ein Vorbild seligen Entschlafens. Das selige Sterben der -•Hildegard von Bingen wurde durch ein Himmelszeichen angezeigt (Vita Hildegardis). 2.2. Deutung des Todes. Im Mittelalter wirkten die altkirchlichen Vorstellungen weiter, besonders durch die Heiligenviten. Der Tod blieb theologisch gesehen eine Folge der Sünde. Der Moment des Sterbens war ein von bösen Mächten gefährdeter Durchgang zum Tode, und so verbrachte man die letzte Stunde gern im Mönchsgewand und sorgte für eine Bestattung in oder bei einer Kirche. Die monastische Existenz bedeutete schon ein Absterben im Diesseits. Von Heiligen wie Christophorus oder vom Erzengel Michael (-•Michaelsverehrung) erhoffte man sich im Tode Geleit; das Totenritual sollte die Mächte des Bösen abwehren. Katharina, Ursula, Barbara und Clara fungierten als Heilige, die das selige Sterben verbürgten. Bruderschaften, die diesen Heiligen unterstellt waren, sorgten für ein angemessenes Begräbnis. In der seit dem Frühmittelalter verfaßten Trostliteratur wurde der Tod abgemildert. Der Tod konnte vor dem Hintergrund göttlicher Vorsehung gedeutet werden, er war gerade darum als unabänderlich hinzunehmen. Das Sterben Christi und der Heiligen bot tröstliche Beispiele. Auch im Hochmittelalter galt der Tod als Erlösung von der Verstrickung in die Welt, als ein freudig zu ersehnendes Gut (Rupert von Deutz, De meditatione mortis). Der österliche Sieg über den Tod erwies dessen Ohnmacht. 2.3. Ritualisierung des Todes. Der Tod brachte das Gericht über das vergangene Leben mit sich, und man blickte im Sterben auf das Leben zurück. In der Karolingerzeit wurde der Sterbebeistand durch eine Sterbeliturgie und die Einschärfung der Sterbeseelsorge normiert. Der Sterbende empfahl Gott seine Seele an (Commendatio animae). Das Sterben wurde nun und bis in die Neuzeit hinein ein öffentlicher Akt, das Sterbezeremoniell seit dem 13. Jh. stark ausgebaut und formalisiert, etwa durch die „Anselmischen Fragen" ( - • A r s moriendi I.3.). Sterben war ein bewußt gestalteter Akt des Menschen, der Auszug aus der Welt und der Abschied von den Lebenden. Es vollzog sich in Demutsgesten, etwa im Liegen auf Stroh oder Asche. Die Sterbekommunion

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erhielt als geradezu magischer Moment eine hohe Bedeutung. So wurden auch die Testamente seit dem 12. Jh. mit religiösen Verfügungen angereichert. M a n versuchte sich des Todes sogar so weit zu bemächtigen, daß man Lebende durch Gebete und Messen zu töten versuchte (dies wurde schon 694 durch eine Synode in Toledo verboten). Die seit dem 12. Jh. häufiger bezeugte Wiederkehr der Toten mußte liturgisch-magisch verhindert werden: Das Zudrücken der Augen und das Schließen des Mundes machte den Toten eine Kontaktaufnahme mit den Lebenden unmöglich. Der gerade Verstorbene konnte noch als lebend angesehen werden, da man mit einem erst allmählichen Auszug der Seele aus ihm rechnete. Die Sorge um die Toten war also auch vom Gedanken an ihren Nutzen und Schaden für die Lebenden bestimmt. Erscheinungen von Toten, wenn sie nicht gerade Heilige waren, wurden ambivalent gesehen. Allerdings wurden Totenerscheinungen durch die Totenmemoria geradezu induziert (Thietmar von Merseburg, Chronik), und das vor allem im Umfeld von Cluny (Petrus Venerabiiis, De miraculis). 2.4. Die Gestalt des Todes. Der Todeskampf wurde in vielfältiger Weise dargestellt. Das körperliche Ringen mit dem Tod aber schrieb man nur den Verdammten zu und verschwieg die abstoßenden Seiten des Sterbens. Gefürchtet war der nicht durch das Sterberitual vorbereitete, jähe Tod, dessen Schrecken in der Volkspredigt der Bettelorden vor Augen gestellt wurden. Gefürchtet wurde aber vor allem der Tod der Seele, weniger der Zerfall des Leibes. Andererseits bestand die Hoffnung, nach einem seligen Tod auch einen auf die Auferstehung vorausweisenden Übergangsleib zu erhalten (Vita Anskarii 3; vgl. auch Dante Alighieri: T R E 8,352,22ff.), zumal die Körper der Heiligen sich immer wieder als unverweslich erwiesen. Im Dies Irae, das dann Bestandteil des Requiems wurde, wurde der Tod, der seit dem 12. Jh. auch personifiziert auftrat, zum furchterregenden Moment und Zustand. Immer noch aber galt der Tod als Durchgang zum wahren Leben, auf den es sich vorzubereiten galt. Die Ritter der Heldenepen standen dem Tod furchtlos gegenüber. Seit dem 11. Jh. sind Erscheinungen von armen Seelen bezeugt, die um nachträgliche Hilfe durch die Lebenden bitten. Umgekehrt konnten die Seelen der Lebenden eine Reise ins Totenreich antreten. So erhielt das Totengedenken in der Messe eine neue Dimension. Am Aschermittwoch gedachte man der eigenen Vergänglichkeit. Andererseits milderte die -»-Mystik (III.4.) die Fixierung auf den körperlichen Tod als den entscheidenden Moment ab. Durch die Einung der Seele mit Gott wurde die Sorge um den Tod hinfällig. Das vollentwickelte und von Krankheiten und Katastrophen geformte mittelalterliche Todesbewußtsein findet in der seit dem 9. Jh. belegten Sentenz media vita in morte sumus seinen Ausdruck. Die Pestwelle des 14. Jh. brachte dieses Bewußtsein zu einem neuen, allerdings durqh andere Seughep und, die insgesamt hohe Sterblichkeit vorbereiteten Höhepunkt. Der Tod war allgegenwärtig und in seinem Schrecken wenigstens vertraut; er war auch der „Bruder T o d " (Franciscus von Assisi nach Thomas von Celano, Vita II, Kap. CLXIII). Auch wenn in den Pandemien selbst das Totenritual oft entfiel (vgl. Boccaccio, Decatnerori), förderten sie doch die Sorge um das Heil der Toten und das Empfinden für die Ars moriendi, das auch durch Erbauungsbücher gefördert wurde. Im Spätmittelalter erwuchs aus dem Todesbewußtsein auch ein neues Lebensbewußtsein; das memento morí konnte zum memento vivere werden. Der Tod wurde aber auch unheimlich, und der Aspekt des Verfalls und Vergehens trat stärker hervor. Zugleich löste sein allgemeiner Triumph auch Widerspruch aus, der im Ackermann aus Böhmen um 1400 (-»Johannes von Tepl 2.1.) seine literarische Form fand. Der Verlust des Lebens, nicht das Gericht, löste hier Furcht aus. Der Tod mußte sich gegenüber dem Ackermann im Dialog behaupten und die Nichtigkeit des Lebens erweisen (s. auch u. IX.). 2.5. Ostkirche. In der byzantinischen Ostkirche wurde der Tod in einer ähnlichen Grundhaltung gesehen. -»Dionysius Areopagita sah den Tod als kämpferische Vollendung des Lebens. Im Tod ist denen, die ein gottgemäßes und heiliges Leben führten,

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Ruhe für Leib und Seele in Abrahams Schoß verheißen (e.h. VII). Beim Areopagiten ist um 500 auch ein christliches Bestattungsritual erkennbar. Es war auch für byzantinische Autoren eine Lebensaufgabe, der Welt abzusterben (Johannes Klimakos, scal. VI). Das Gedächtnis der Verstorbenen ist Bestandteil der ostkirchlichen Liturgie, ihr Wohlergehen ist wie im Westen das Anliegen von Fürbitten. In den Diptychen sind die Toten in Ost und West liturgisch gegenwärtig. Daneben blieben antike Vorstellungen vom Totenreich lebendig, so im mehrfach überarbeiteten Digenis-Epos aus dem 8 . - 1 0 . Jh. (vgl. Beck): Tote gelangten in eine nicht näher definierte Unterwelt. Die Frage nach Belohnung oder Bestrafung konnte gänzlich unbeantwortet bleiben, so daß der Tod auch nicht als Erlösung gesehen werden mußte. Eine positive Würdigung des Todes fand sich am ehesten im monastischen Kontext: Den Mönchen war im Tod die Erfüllung ihres vorbildlichen Lebens verheißen. Im —•Hesychasmus wurde die selige Gottesschau in den Tod hinein verlängert. Vorstellungen von einem Zwischenzustand und das —• Fegfeuer wurden in der byzantinischen Theologie abgelehnt. 3.

Reformationszeit

3.1. Martin Luther. Für -» Luther (III/9.2.) kam die für das ganze Leben entscheidende Frage der -»Rechtfertigung im M o m e n t des Sterbens zu höchster Bedeutung. Durch Christi Sterben war der Tod des Menschen seiner Schrecken beraubt. Der Tod blieb der Sünde Sold — aber Christus hatte die Sünde und den Tod vernichtet. So wurde in Luthers verdeutschter Weiterdichtung des media vita in morte sumus (Evangelisches Gesangbuch [EG] 518) das rechtfertigende Gnadenhandeln Christi hervorgehoben. Im Sterben steht der Mensch allein (Invokavitpredigt 1522: WA 10/3,1). Im Sermon von der Bereitung zum Sterben (WA 2,685-697; vgl. T R E 10,54,8-56) knüpfte Luther 1519 an mittelalterliche Gedanken an: Der Tod ist das Tor zum ewigen Leben. Es galt nun aber, vom Tod und der Betrachtung der Sünde abzusehen und auf Christus zu blicken. Der Tod ist anzunehmen und dadurch zu überwinden, und die Todesangst ist eine Wirkung des Teufels (so auch in Ob man vor dem Sterben fliehen möge: WA 23,355). In Von der Freiheit eines Christenmenschen (WA 7,27f.) ist „ T o d " eine Chiffre für die Angst vor dem leiblichen Tod, die der Christ in geistlicher Hinsicht überwindet. Um so wichtiger ist die —»Seelsorge im M o m e n t des Todes (Ob man vor dem Sterben fliehen möge: WA 23,340-342). In seiner Auslegung des 90. Psalms (WA 40/3,484-594) entfaltete Luther seine Theologie des Todes: Unter dem Gesetz ist der Tod Gottes Nein zu den Sündern, unter dem Evangelium aber ist der Tod als pädagogische M a ß n a h m e Gottes zu sehen, zu der der Christ Ja sagen kann, weil er im Tod von der Sünde frei wird. Die christliche Existenz zielt also geradezu auf ein Todesverlangen. Die bisherige liturgische Totenmemoria in der Totenmesse und die Sorge um die Toten im Fegfeuer entfielen nun. Luther lehnte alle Werke für die Toten ab. Die Toten ruhten in einem Schlaf im Schoß Christi und warteten auf die Auferstehung. Im reformierten Bereich hatten das Begräbnis und das Totengedenken bis ins 19. Jh. hinein keine liturgische Bedeutung; dies galt auch für das von Luther immerhin erlaubte Fürbittengebet für die Toten (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis: WA 2,508). In den evangelischen Begräbnisgebeten wurden die Grundgedanken Luthers entfaltet: Christus hat den Tod unwirksam gemacht und den Weg ins ewige Leben eröffnet. Angesichts des Todes gilt es, die Sünde im Leben zu erkennen. 3.2. Todesdeutungen nach Luther. Nach Vorstufen in der -»Renaissance und dem -»Humanismus hatte das Genus der -»Leichenpredigt einen großen Aufschwung genommen. Hierauf griff besonders der lutherische Zweig der Reformation zurück. Der Tod wurde gern als Entschlafen oder Verscheiden umschrieben; er stellte den Menschen individuell vor Gott. Das Sterben wurde als sanft und selig typisiert, die Realität des Sterbeprozesses wurde also ausgeblendet. Der Tod wurde theologisch gedeutet (als Folge des Sündenfalls) und paränetisch zur Belehrung der Lebenden genutzt. Der Tod blieb

Tod IV

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die letzte entscheidende Bewährungsprobe, auch wenn er nicht ohne das davorliegende Leben gesehen wurde. Im Protestantismus, der eine neue Sterbekunst entwickelte (—» Ars moriendi II), bildete sich auch ein mystisches Todesbewußtsein heraus, das auf Selbsterkenntnis zielte (J. -»Böhme: Ruprecht/Ruprecht I, 134). J. -»Scheffler mahnte zum Absterben schon in diesem Leben, wodurch dem Tod seine Schrecken genommen werden sollten (ebd. 171-174). 4. Frühe

Neuzeit

4.1. Deutungen des Todes. Das Lebensbewußtsein der Renaissance wurde außerhalb der genuin christlich-kirchlichen Sphäre zu einem neuen Todesbewußtsein weiterentwickelt. M.E. de Montaigne qualifizierte den Tod als Ende, nicht als Ziel des Lebens: Sterben zu können heißt, vom Tod frei zu sein (-»Montaigne 2.3.). -»Pascal aber hielt an den traditionellen christlichen Vorstellungen fest, zumal für ihn die Frage von Tod und —»Unsterblichkeit der Seele die existentielle Frage des Lebens war (Pensées, Nr. 194). Insgesamt richtete sich der philosophische Blick auf die Unsterblichkeit der Seele. Der -»Dreißigjährige Krieg verschärfte noch einmal das Todesbewußtsein. Die Flüchtigkeit und Nichtigkeit der Welt und des irdischen Lebens wurden angesichts des andauernd drohenden Todes tief empfunden, wovon bis heute Gesangbuchlieder zeugen: Die Herrlichkeit der Erden muß Rauch und Asche werden (Andreas Gryphius, EG 527); Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (Michael Franck, EG 528); Ich bin ein Gast auf Erden (P. -»Gerhardt, EG 529). Im -»Barock wurden der Tod und seine Schrecken breit ausgemalt, und er trat in vielen Varianten als personifizierte Gestalt auf. Seine Macht ergriff alle Stände (Abraham a Santa Clara, Mercks Wien). Weltfreude und Todesgrauen traten nebeneinander. Die Todesbetrachtung konnte zur Todeserotik werden. Im lutherischen Bereich entstanden Sammlungen von Leichenpredigten, die der erbaulichen Vorbereitung auf den Tod dienen sollten. Die Leichenpredigten selbst gaben der persönlichen Würdigung des Verstorbenen, aber auch seiner Stilisierung zum Vorbild immer mehr Raum. Die Sterbestunde und die rechte Vorbereitung darauf blieben entscheidend für das ewige Heil: Wer weiß wie nahe mir mein Ende (Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt, EG 530). Dieses Ende aber sollte ruhig und vertrauensvoll ausgehalten werden: O Haupt voll Blut und Wunden (P. Gerhardt, EG 85). Die Sorge um das rechte Sterben und die Hoffnung auf die Auferstehung einte evangelische und katholische Christen (-»Auferstehung III). Die Altprotestantische —»Orthodoxie faßte die evangelischen Lehren zusammen: Der Tod beendet als Folge der Sünde das natürliche Leben. Die Seele erlebt nach dem Tod keinen Zwischenzustand, sondern Seligkeit oder Unseligkeit; der Tod ist die Vorstufe zur Auferstehung, in der auch der im Tod aufgelöste Körper erneuert wird. Der -»Pietismus sah den Tod, nicht ohne eine gewisse Vorfreude, als Durchbruch zur ewigen Seligkeit. Die schon in diesem Leben erfahrene Liebe Gottes fand mit dem Tod keine Unterbrechung, und der Glaube sollte alle Anfechtungen im Sterben überwinden. Die Heiligung im Diesseits bewirkte schon die den Tod überwindende Vereinigung mit Gott. So stand das Begräbnis in der Herrnhuter Brüdergemeine (-»Brüderunität/Brüdergemeine) im Zeichen der Farbe Weiß. 4.2. Lebende und Tote. Die Grenze zwischen Tod und Leben blieb undeutlich: Tote schienen zu leben, sich zu bewegen oder gar als „Nachzehrer" zu schmatzen und zu fressen - damit stand der im 19. Jh. verbreitete Glaube an Vampire in Verbindung. Die Furcht vor den Untoten war populär und schon von Luther kritisiert worden (WA.TR 6823); spätere Zeugnisse aus der Literatur sind -»Goethes Die Braut von Korinth und Heinrich Heines (1797-1856) Beschwörung. So sollte den Toten der Weg erleichtert werden, indem man der Seele beim Auszug aus dem Körper half, wenn man z. B. Fenster und Türen öffnete. Die gerade im Moment des Todes anwesenden Dämonen sollten durch Glöckchenläuten, Kerzen, Weihwasser und das Sterbekreuz ferngehalten werden. So bildete sich in der Frühen Neuzeit gerade in katholischen Territorien noch einmal

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ein umfängliches, auch von abergläubischen Vorstellungen geprägtes Totenritual aus, das für die Erforschung der -» Volksfrömmigkeit wichtige Hinweise bietet. Es blieb auch bei dem schon mittelalterlichen Glauben an Vorzeichen des Todes. Staatlicherseits versuchte man, besonders im -•Josephinismus (4.), das ausufernde Totenritual einzuschränken; nun mußten auch Selbstmörder und ungetauft verstorbene Kinder auf den Friedhöfen beigesetzt werden. 5. Neuzeit

ab 1789

5.1. Entchristlichung des Todesverständnisses. Im 18. Jh. machten sich Wandlungen im Todesverständnis bemerkbar. Die Testamente verloren zunehmend ihre religiöse Dimension, die religiösen Formeln in ihnen gingen zurück, ebenso die Totenmessen. Die Friedhöfe wurden zunehmend aus den Städten verbannt (-»Friedhof 4.). Auch der Jansenismus (-» Jansen/Jansenismus) forderte als katholische Reformbewegung letztwillige karitative Verfügungen, nicht die Stiftung von Totenmessen. Die Angst vor dem Scheintod führte zu einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Toten, deren Leichname nun zu unbelebten Gegenständen wurden, die man durch Sektionen erforschte. Der Tod wurde immer mehr unter medizinischen Gesichtspunkten gedeutet. Dieser mentalitätsgeschichtliche Wandel wurde durch die -» Aufklärung unterstützt, die in ihrer radikalen Form den Tod als Ende aller Lebensvollzüge sah - hier konnte im 19. Jh. L. —•Feuerbach anknüpfen (Ruprecht/Ruprecht III, 180f.). In ihrer gemäßigten Form ersetzte die Aufklärung die Beschäftigung mit dem Tod durch die Diskussion über die Unsterblichkeit der Seele, der Glückseligkeit über den Tod hinaus verheißen wurde. Insgesamt verlor der Tod in aufklärerischer Perspektive an Schrecken, zumal die Vorstellung der - • H ö l l e von ihr abgelehnt wurde. Die katholische Aufklärung befaßte sich mit der angeblichen Wiederbelebung ungetauft verstorbener Kinder. Sie ordnete den Tod in das Walten der göttlichen -» Vorsehung ein und sah den Tod als pädagogische Aufforderung zu einem tugendhaften Leben. In der Folge der -•Französischen Revolution wurde an die Stelle der christlichen Unsterblichkeitsvorstellung eine andere gesetzt, nämlich die des Nachruhms. Dieses Anliegen war allerdings auch schon im Barock und in den lutherischen Leichenpredigten stark hervorgetreten. -»Voltaire, J.-J. -»Rousseau und anderen wurde solcher Nachruhm zugemessen. Der revolutionäre Totenkult adaptierte christliche Formen; ein Beispiel hierfür ist auch die Umwidmung der Kirche St. Geneviéve in das Pantheon oder auch der revolutionäre Reliquienkult (Jean-Paul Marats [1743-1793] Badewanne). Die -»Romantik brachte eine neue Blüte der Todesverherrlichung und Todessehnsucht mit sich (-»Novalis, Hymnen an die Nacht). Der auf Empfindsamkeit zielende Geist der Zeit ließ auch den -»Suizid als gangbaren Weg erscheinen (Goethes Werther, Kleist). Erst die Erkenntnis des Todes bringt wahre Lebenserkenntnis. Der Tod ist auch die Rückkehr in das ewige Reich der Freiheit (Friedrich Schlegel: Ruprecht/Ruprecht II, 332), die Überführung des Menschen in das Wesen, das er eigentlich ist (—»Schelling: ebd. II, 373). Gegen alle philosophischen Einsprüche wurde der Tod immer wieder als Tor zur Ewigkeit und als Vollendung des Lebens verherrlicht. In der Literatur wurde der Tod auch in anderer Hinsicht häufig thematisiert; hier spielten auch die Einflüsse unterschiedlicher christlicher Richtungen eine Rolle. J.G. von -»Herder war von der im 18. Jh. populären und von Charles Bonnet (1720-1793) angestoßenen PalingenesieDebatte beeinflußt (—»Wiedergeburt). Er kombinierte die Vorstellung von der -»Seelenwanderung mit der christlichen Todesauffassung (ebd. II, 27) und beschrieb hier den Tod als Verwandlung und Schlaf; für F.G. -»Klopstock war der Tod die Pforte zum Licht und zur Auferstehung (ebd. I, 425). Die -»Klassik sah den Tod als Bruder des Schlafes oder als natürliche Metamorphose im ewigen Werden und Vergehen (Goethe: ebd. II, 119). F. -»Schiller propagierte eine souveräne Haltung gegenüber dem Tod: Sich ihm willentlich zu ergeben heißt, über ihn erhaben zu sein (ebd. II, 170-175). N u n konkurrierten mehrere Entwürfe mit dem traditionellen christlichen Todesverständnis:

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I. -»Kant relativierte den Tod, da der Mensch auch über ihn hinaus auf dem Weg zur Vervollkommnung voranschreiten müsse (-»Kant 2.5.); G.W.F. -»-Hegel sah im Tod den Durchbruch vom Endlichen zum Absoluten und den Ubergang des Natürlichen in den Geist (ebd. II, 211—218); G.W. -»Leibniz galt der Tod als Unterbrechung des eigenen Selbstbewußtseins und als bloße Verwandlung auch des Leibes (ebd. I, 214.223f.); für S. -*Kierkegaard war der Tod die Erlösung der unsterblichen Seele. Kierkegaard löste aber das milde und schöne Bild des Todes, das G.E. -»Lessing und nach ihm Herder gezeichnet hatten, noch einmal zum Gedanken des Todes als Strafe auf (Der Begriff Angst, III. Kapitel, Vorwort). 5.2. Trennung von Tod und Leben. Ein äußerer Anlaß für eine Veränderung des Todesverständnisses waren die Todeserfahrungen in den Freiheitskriegen, die nicht nur zu einer Heroisierung des Todeserlebens, sondern auch zu einer Intensivierung des Totengedächtnisses durch den seit 1816 in Preußen gefeierten Totensonntag führten. Zur Grundsignatur des 19. und 20. Jh. wurde die klare Trennung der Sphären von Tod und Leben. Der Tod wurde mitsamt den Friedhöfen ausgegrenzt und ebenfalls mitsamt den Friedhöfen geschönt (vgl. Goethe, Wahlverwandtschaften 11,1); schon die Aufklärung hatte die alte Metapher des Schlafes besonders betont. Der eigene Tod geriet aus dem Blickfeld, und der Tod des anderen wurde als Verlusterfahrung wichtig. Dennoch blieben Bestrebungen lebendig, den Kontakt von Lebenden und Toten zu ermöglichen; eine extreme Ausprägung ist die Totenbeschwörung im neuzeitlichen —»Spiritismus. Trotz aller neuen Deutungen blieben doch in der allgemeinen Vorstellungswelt die alten lebendig: Der Tod war bis ins 19. Jh. hinein der Gevatter Tod. In der Literatur zeigte sich ein geradezu ästhetisch-morbides Interesse am Tod (Th. -»Mann, Der Tod in Venedig; ders., Der Zauberberg). Die traditionellen, besonders im katholischen Bereich beheimateten Totenbräuche verfielen seit dem 19. Jh., und das nicht zuletzt durch die Auflösung der Totenbruderschaften in der Aufklärung. Schmerz und Trauer, die zuvor im privaten und im öffentlichen Raum durch Rituale geregelt waren, wurden der individuellen Ausprägung und somit der individuellen Angst überlassen. Andererseits differenzierte sich das Totenritual in sozialer Hinsicht zunehmend. Im 19. Jh. wurde die Feuerbestattung zum Symbol freidenkerischer, antikirchlicher Geisteshaltung. Allerdings blieben die alten Sitten und Anschauungen auf dem Lande noch bis ins 20. Jh. hinein lebendig. Die Ausgrenzung des Todes zeigte sich seit dem 19. Jh. besonders darin, daß das Sterben aus den privaten Wohnungen in die -»Krankenhäuser verlagert wurde. Zugleich brachte der medizinische Fortschritt im 20. Jh. auch einen entscheidenden Rückgang der Todesrate mit sich, so daß der Tod, der doch in den Weltkriegen ein Massenphänomen war, im bürgerlichen Leben immer seltener miterlebt wurde. Er wurde nun primär ein medizinisches Problem, und so sah sich die christliche Sterbeseelsorge auch vor neuen Deutungsaufgaben. Literatur Epochenübergreifendes: Philippe Ariès, Essais sur l'histoire de la mort en occident du moyen âge à nos jours, Paris 1975; dt.: Stud. zur Gesch. des Todes im Abendland, München 1976. - Ders., L'homme devant la mort, Paris 1977; dt.: Gesch. des Todes, München 1980. - Bruno Bürki, Im Herrn entschlafen. Eine hist.-pastoraltheol. Stud. zur Liturgie des Sterbens u. des Begräbnisses, Heidelberg 1969 (BPT 6). - Jacques Choron, Death and Western Thought, New York 1963; dt.: Der Tod im abendländischen Denken, Stuttgart 1963 = 1967. - Im Angesicht des Todes. Ein interdisziplinäres Kompendium, hg. v. Hansjakob Becker/Bernhard Einig/Peter-Otto Ullrich, 2 Bde., 1987 (PiLi 3 - 4 ) . - Marianne Mischke, Der Umgang mit dem Tod. Vom Wandel in der abendländischen Gesch., Berlin 1996. - Walter Rehm, Der Todesgedanke in der dt. Dichtung vom MA bis zur Romantik, Halle 1928 (DVfLG 14). - Erich Ruprecht/Annemarie Ruprecht (Hg.), Tod u. Unsterblichkeit. Texte aus Phil., Theol. u. Dichtung vom MA bis zur Gegenwart, 3 Bde., Stuttgart 1992-1993. - Michel Vovelle, La Mort et l'Occident de 1300 à nos jours, Paris 1983. Zu 1.: Joseph A. Fischer, Stud. zum Todesgedanken in der Alten Kirche, München 1954. Charles E. Hill, Regnum caelorum. Patterns of Future Hope in Early Christianity, Oxford 1992

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1. Die dogmatischen Kontexte einer Rede vom Tod Die Frage, wie der T o d zu verstehen sei, rückt in der Entfaltung des christlichen Wirklichkeitsverständnisses nicht als ein eigenständiges T h e m a in den Blick, sondern steht in charakteristischen Kontexten, die die Perspektive der Behandlung des Problems mitbestimmen. Der grundlegende K o n t e x t , in dem sich für den Glauben das Problem des T o d e s stellt, ist die den Glauben und die Glaubensgemeinschaft der Christen gründende O s t e r botschaft: Die Frage, wie der T o d zu verstehen sei, wird bedacht angesichts der Botschaft von der -»-Auferstehung Jesu Christi.

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Der zweite Kontext ist gegeben mit der Reflexion auf die Zukunftshoffnung für die Schöpfung (—»Schöpfer/Schöpfung), d.h. die Geschichte, die Gemeinschaft und den einzelnen Menschen in seiner unverwechselbaren Individualität, die sich aus dem Geschehen der Auferstehung entfaltet und sich zu der Hoffnungsaussage des dritten Artikels des Apostolikums (—•Apostolisches Glaubensbekenntnis) verdichtet: Ich glaube Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Der dritte Kontext ist die Frage nach dem -»• Menschen, der die -»Verheißung hat, in diesen Hoffnungszusammenhang hineingenommen zu werden, und der doch im Kraftfeld der -»Sünde lebt. Die Frage nach dem Tod ist also eingezeichnet in Grundaussagen des christlichen Glaubens: im Kontext der Christologie als die Frage nach dem Verhältnis von Tod und Auferstehung, im Kontext der -»Eschatologie als die Frage nach dem Verhältnis von Tod und Ewigem Leben, im Kontext der Anthropologie als die Frage nach dem Verhältnis von Tod und Sünde. In allen drei genannten Kontexten geht es darum, daß der Tod in einem Geschehenszusammenhang in den Blick genommen wird, in dem ihm seine endgültige Macht bestritten wird. Stets ist die leitende Perspektive das Bedenken der Hoffnung, die über den Tod hinausreicht. Das Fundament christlichen Nachdenkens über den Tod wird in dem jubelnden Dank des Paulus, „Tod, wo ist dein Sieg, Tod wo ist dein Stachel. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus" (I Kor 15,55.57), und in der prophetischen Gewißheit des Sehers Johannes, „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein" (Apk 21,4), zur Sprache gebracht. 1.1. Tod und

Auferstehung

Die Rede vom Tode Jesu ist unauflöslich verknüpft mit dem Glauben an den Auferstandenen. Im Lichte des Osterglaubens wird der scheinbar alle Hoffnungen zerstörende Kreuzestod Jesu als das alles wendende Heilsereignis begriffen, das in unterschiedlichen Bezeichnungskontexten auf unterschiedliche Weise zur Sprache gebracht wird. Der Kern des Osterglaubens ist dabei die Entdeckung, daß Gott den Gekreuzigten nicht der Macht des Todes überlassen hat, sondern daß im Geschick Jesu das Leben Gottes die Macht des Todes überwindet. Dieses Geschehen und ihre Deutung erschließt Wesen und Wirklichkeit Gottes und wendet, sofern es „offenbar" wird, die Wirklichkeit des Menschen. In Kreuzestod und Auferstehung Jesu wird die Wirklichkeit Gottes offenbar, indem sich Gott hier als derjenige erschließt, der Menschen in liebender Zuwendung nahe kommt bis hin zur Passion und zum Todeselend. Dabei erweist sich Gott als ein Gott, der sich bewegen läßt. Mehr noch, in der „höchst paradoxe(n) Identität . . . zwischen dem lebendigen Gott und dem toten Jesus" (Jüngel, Tod [1971 s1993] 137) ist letztlich der Glaube an die Menschwerdung Gottes begründet. Andererseits ist Tod und Auferstehung Jesu ein Geschehen pro nobis. Die paulinische Versöhnungslehre (-»Versöhnung) versucht dies zum Ausdruck zu bringen, wenn sie davon handelt, daß Jesus denjenigen (Fluch-)Tod auf sich nimmt und erleidet, den der sündige Mensch verdient und zu erleiden hätte. Insofern in der Übernahme des Fluchtodes durch Jesus Christus die Macht der Sünde und des Todes gebrochen ist, entsteht dem Glauben mit diesem Geschehen die Hoffnung auf die individuelle Auferstehung derer, die mit Jesus Christus verbunden sind. Deshalb kann Paulus Jesus Christus den „Erstling unter denen, die entschlafen sind" (I Kor 15,20), nennen. Ebenso aber führt die Osterbotschaft zu der Artikulation einer universellen Hoffnung auf den Tod des Todes. 1.2. Tod und Sünde Der zweite Kontext, in dem das Problem des Todes dogmatisch zu verhandeln ist, besteht in der Zuordnung von Sünde und Tod. Wenn Sünde als die Abwendung von

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Tod V

Gott zu bestimmen ist und wenn Gott der Lebendige schlechthin und die Quelle des Lebens ist, dann liegt es in der Dynamik der Sünde selbst, daß ihr eine Tendenz zur Selbstzerstörung innewohnt. Abkehr von Gott bedeutet den Versuch seitens des Menschen, das Gottesverhältnis und damit die eigene Lebensmöglichkeit zu zerstören, was in letzter Konsequenz Tod bedeutet. Pointiert wird diese biblische Auffassung in dem Diktum des Apostels Paulus, daß der Sünde Sold der Tod ist (Rom 6,23), zum Ausdruck gebracht. Seit F.D.E. -»Schleiermacher wird die Identifikation des Todes mit dem „Sold der Sünde" problematisiert. Indem im Lichte des Werdeprozesses zum Reich Gottes eine begriffliche Differenzierung eingeführt wird, wird die Vorstellung, daß der Tod die Folge der Sünde sei, verlassen. Mit dem Konzept eines „natürlichen" Todes - wegen mißverständlicher Konnotationen sollte dem von Härle vorgeschlagenen Begriff des „kreatürlichen" Todes (Härle 488) der Vorzug gegeben werden — wird der lebensweltlichen Auffassung entsprochen, daß der Tod zunächst als Implikat des Naturprozesses, der durch Werden und Vergehen bestimmt ist, aufgefaßt werden kann. Erst unter der Macht und Erfahrung der Sünde wird der Tod zum bedrohenden und ängstigenden Geschehen. Mit dieser Veränderung verändert sich auch der „ O r t " des Todes im menschlichen Leben, mit seiner Veränderung durch die Sünde markiert er nicht mehr nur das Lebensende, sondern er ist im gesamten Leben gegenwärtig als die Drohung endgültigen Scheiterns. Damit ist jene grundlegende Unterscheidung eingeführt, die begrifflich im Gegenüber von „natürlichem Tod" und „Gerichtstod" gefaßt worden ist. Gegenüber dieser in der Dogmatik in unterschiedlichen Ausprägungen vertretenen Deutung der Zuordnung von Sünde und Tod hat vor allem W. Pannenberg auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich ergeben, wenn nicht mehr „das objektive Faktum des Todes, sondern nur noch die subjektive Form seiner Erfahrung" (Pannenberg, Theologie II, 306) als Folge der Sünde aufgefaßt wird. Außerdem insistiert er darauf, daß die christliche Zukunftshoffnung ein Leben ohne Tod erwartet, das gleichwohl geschöpfliches, endliches Dasein bleibt, und argumentiert deshalb gegen die ihm nicht zwingend erscheinende Identifikation von Endlichkeit und Sterblichkeit, die im Konzept eines „natürlichen" (kreatürlichen) Todes vorausgesetzt ist. 1.3. Tod und Ewiges Leben Der dritte Kontext, in dem das Problem des Todes thematisch ist, ist der Bereich der Eschatologie. Hier hat die Dogmatik ein Dilemma zu bearbeiten. Einerseits hat sie den Tod als definitives Ende des irdischen Lebens und als Abbruch aller irdischen menschlichen Möglichkeiten ernstzunehmen und zu bedenken. Andererseits hat sie aber ebenso die christliche Zukunftserwartung zum Ausdruck zu bringen, die auch als individuelle Auferstehungshoffnung bestimmt ist und die von der Bedeutsamkeit der menschlichen Lebensführung, wie sie in der Rede vom Gericht zur Sprache gebracht wird, weiß. Für diese beiden Aspekte ist eine spezifische Bestimmung personaler Identität unumgänglich. Dogmatische Reflexion hat deshalb die Aufgabe, theologisch angemessen das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität, von Identität und Verschiedenheit zu beschreiben. Zwei Modelle der Deutung können hier einander gegenübergestellt werden. Zunächst die vom Piatonismus (-»Plato/Platonismus) beeinflußte Tradition, die den Tod als die Trennung der immateriellen -»Seele vom sterblichen Leib versteht, und die bis in das 19. Jh. hinein das selbstverständliche Paradigma auch für die evangelische Theologie war. Die Stärke dieses Modells liegt in der Möglichkeit, ein Kontinuitätsmoment zu bestimmen, das personale Identität zum Ausdruck bringen kann. Die Schwäche dieses Modells wurde - vor allem in der evangelischen Theologie des 20. Jh. - in drei Punkten gesehen: 1) Das Moment der Diskontinuität, des radikalen Abbruchs wird nicht zum Ausdruck gebracht. Mit der Vorstellung einer immateriellen Seele wird der Tod als etwas zur Sprache gebracht, das das Wesen des Menschen gar nicht betrifft,

Tod V

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damit werden der Ernst und die Radikalität des Todes jedoch gerade verfehlt. 2) Nichts am Menschen überlebt den Tod. 3) Nichts am Menschen ist aus sich heraus unsterblich, wie es die Rede von einer immateriellen Seelensubstanz des Menschen zumindest suggerieren kann. Als Gegenmodell wurde deshalb das Konzept des „Ganztodes" entworfen, das betont, allein die radikale Behauptung des Todes des ganzen Menschen als Leib und Seele sei der biblischen Rede vom Tod des Menschen angemessen. Dieses Modell hat seine Stärke in der kompromißlosen Betonung des Todes als Abbruchs des Lebens und damit verbunden der völligen Diskontinuität zwischen einem Leben „bis zum Tode" und einem Leben „über den Tod hinaus". Die Schwächen werden jedoch deutlich, wenn man die Gegenüberstellung der alternativ verstandenen Konzepte „Auferstehung der Toten" und „Unsterblichkeit der Seele" untersucht. Auch die Lehre von der Auferstehung muß ein Kontinuitätselement voraussetzen, wenn anders die Auferstehung nicht die Neuschöpfung eines Individuums sein soll, das mit der Individualität eines gelebten Lebens nichts gemein hat. So wäre danach zu fragen, ob der Sachgehalt und das Problemlösungspotential der Rede von der Unsterblichkeit der Seele nicht in einer für christliche Theologie annehmbaren Weise reformuliert werden kann, so daß das theologisch wichtige Anliegen, das im Konzept des „Ganztodes" zum Ausdruck kommt, in seinem korrektiven Gehalt einbezogen ist. Dabei wird es eine zentrale Aufgabe christlicher Anthropologie und Eschatologie sein, einen Begriff personaler Identität (und Verschiedenheit) im Horizont der christlichen Zukunftshoffnung zu entwickeln, wie er in den Begriffen Verherrlichung, Verklärung und Vollendung intendiert ist. 2. Theologische

Deutungen des

Todes

Unter Berücksichtigung dieser dreifachen Kontextualität versucht die christliche Rede vom Tod, eine differenzierte Deutung des Todes zu entwickeln. In der evangelischen Dogmatik des 20. Jh. werden bei unterschiedlicher begrifflicher Durchführung drei Ebenen der Deutung des Todes voneinander abgehoben: 1) der Tod als Phänomen der Schöpfung; 2) der Tod des Menschen, der durch die Sünde verändert ist und so zur ängstigenden Drohung wird; 3) der Tod, auf den der Christ im Vertrauen auf Gott getrost zugehen kann. Exemplarisch kann die Grundfigur dieser Deutung bei P. —• Althaus betrachtet werden, der diese drei Ebenen besonders klar herausarbeitet (Althaus, Wahrheit §40). Zunächst benennt er die Urordnung des Schöpfers, in die das Geschehen des Todes integriert ist. Hier kann der Tod Gelegenheit zum Glauben als fiducia werden. Damit ist der Bezug zu der biblischen Rede hergestellt, daß Menschen „alt und lebenssatt" sterben können. Sodann wird der Tod unter dem Gesetz benannt. Hier widerfährt dem Sünder der Tod als das Nein Gottes und als das Gericht über sein Leben. Damit ist das Todesverständnis, das sich in der Rede vom Tod als der Sünde Sold ausspricht, aufgenommen. Schließlich kann der Tod im Kontext des Evangeliums als Erlösung erfahren werden, und zwar als Erlösung in dem präzisen Sinne, daß der Tod dem Leben, das stets an die Sünde gebunden bleibt, ein Ende macht und damit den Weg zur ungetrübten Gottesgemeinschaft frei macht. Biblischer Bezug ist dabei der Wunsch, bei Christus zu sein, wie ihn beispielsweise Paulus (Phil 1,23) äußert. Unter Aufnahme der Bedeutungsaspekte dieser drei Ebenen und der Wahrheitsgehalte der substanzontologisch gedachten Alternative „Tod als Trennung der Seele vom Leib" und „Tod als Vernichtung des ganzen Menschen" (Thielicke 195; vgl. Echternach; Matthias) ist von E. Jüngel eine konsequent relational gedachte Deutung des Todes vorgelegt worden. Während Leben in einem vielfältigen Netz von Kommunikationsrelationen besteht, muß Tod als das „Ereignis der die Lebensverhältnisse total abbrechenden Verhältnislosigkeit" (Jüngel, Tod [1971 5 1993] 145) und damit als das Ende der —>Person gedacht werden. Diese Deutung erweist sich unter mindestens drei Gesichtspunkten als äußerst leistungsfähig: 1) Sie nimmt die unterschiedlichen biblischen Aspekte der To-

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desdeutung auf. 2) Sie ist in der Lage, sowohl den Tod als Ende des Lebens als auch die Gegenwart des Todes mitten im Leben auf den Begriff zu bringen, und sie ist 3) gleichermaßen anschlußfähig in Hinblick auf die Naturwissenschaften und im Hinblick auf die philosophische Anthropologie. Freilich sollte das bei Jüngel vorausgesetzte Konzept von Personalität als eines Geflechts von Relationen noch weiter entfaltet werden. Wenn Personalität als dreifache Relationalität rekonstruiert wird, die in einem Selbstverhältnis, einem Weltverhältnis und einem Verhältnis zu dem Ermöglichungsgrund dieser beiden Relationen, also dem Gottesverhältnis, besteht, so ist der Begriff der totalen Verhältnislosigkeit zu problematisieren. Wohl bricht im Tod, nach allem, was wir wissen, das Selbstverhältnis zusammen, und das Weltverhältnis wird extrem asymmetrisch, bis es schließlich vergeht; jedoch ist es Kern christlicher Hoffnung, daß das Gottesverhältnis von Gott her nicht zerstört wird, wie es Luther in dem Satz zum Ausdruck bringt: Ubi igitur et cum quocunque loquitur Deus, sive in ira, sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter (Wo also und mit wem Gott redet, es sei im Zorn oder in der Gnade, der ist gewiß unsterblich. Die Person Gottes, der da redet, und das Wort zeigen an, daß wir solche Kreaturen sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicherweise reden will, WA 43,481,32-35). In Fortführung des relationalen Ansatzes hat W. Härle deshalb vorgeschlagen, den Tod als den „Eintritt und die zeitlich unbegrenzte Dauer des Zustandes reiner Passivität" (Härle 633) zu fassen. 3. Die neue Frage nach einer „Definition"

des

Todes

Angesichts einer rasanten Entwicklung in den Forschungsfeldern der Intensivmedizin und der Transplantationsmedizin (-+ Organverpflanzung) ist die Frage nach dem Ende des menschlichen Lebens und einer „Definition" des Todes in ganz neuer Weise aktuell und relevant geworden. Die Frage „Wie ist der Tod des Menschen zu verstehen?" wurde transformiert in die Frage nach gültigen Kriterien für die Beantwortung der Frage „Wann ist ein Mensch tot?". In der Diskussion des in diesem Zusammenhang etablierten Konzeptes eines „Hirntod"-Kriteriums hat sich erwiesen, daß die Beantwortung dieser zunächst rein pragmatisch scheinenden Frage eine Fülle von Vorentscheidungen impliziert, die aus den jeweils bewußt oder unbewußt vorausgesetzten, unterschiedlichen anthropologischen Konzepten abgeleitet sind. In dieser gesellschaftlichen Kontroverse um eine „Definition" des Todes muß Dogmatik erweisen, ob sie in der Lage ist, das christliche Wirklichkeitsverständnis so in das Gespräch einzubringen, daß dieses als plausibler Beitrag in der Entscheidungsfindung einer plural verfaßten Gesellschaft wahr- und aufgenommen werden kann. Hier hat die Theologie eine zweifache Aufgabe wahrzunehmen: Sie hat erstens aufzuzeigen, daß und wie ethische Entscheidungen auf der jeweiligen Sicht der Wirklichkeit des Menschen, der Welt und Gottes aufruhen, also metaphysisch gegründet sind. Sie hat zweitens das aus der christlichen Anthropologie und Eschatologie hervorgehende Konzept von Personalität zu entfalten und Argumente für die umfassendere Wahrheit und damit größere Leistungsfähigkeit dieses Konzepts gegenüber unterschiedlichen reduktionistischen Personalitätskonzepten vorzubringen. In der konkreten Debatte über eine gesellschaftliche Definition des Todes und das Konzept des „Hirntod"-Kriteriums hat sich gezeigt, daß insbesondere die Bestimmung des Verhältnisses von „Mensch" und „Person" von besonderer Bedeutung ist. Hier wird sich die relationale Fassung des Begriffs der Personalität und im Anschluß daran die relationale Deutung des Todes als anschluß- und leistungsfähig erweisen. Literatur Ansgar Ahlbrecht, Tod u. Unsterblichkeit in der ev. Theol. der Gegenwart, Paderborn 1964. - Paul Althaus, Der Mensch u. sein Tod: Univ. 3 (1948) 385 - 3 9 4 . - Ders., Die letzten Dinge. Lb.

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619

der Eschatologie, Gütersloh 1922 l o 1 9 7 0 . - Ders., Die Christi. Wahrheit. Lb. der Dogmatik, Gütersloh 1 9 4 7 / 4 8 »1972. - Ders., Art. Tod. IV. Dogm.: R G G 3 6 (1962) 9 1 4 - 9 1 9 . - Karl Barth, KD, III/2 1948. - Ladislaus Boros, Mysterium Mortis, Olten/Freiburg i.Br. 1962 "1968. - Wilhelm Dantine, Der Tod - eine Herausforderung zum Leben. Erwägungen eines Christen, Gütersloh 1980. - Klaus Dirschauer, Der totgeschwiegene Tod. Theol. Aspekte der kirchl. Bestattung, Bremen 1973. - Helmut Echternach, Auferstehung u. Unsterblichkeit: US 18 (1963) 2 2 7 - 2 3 5 . - Gisbert Greshake, Tod - u. dann? Ende - Reinkarnation - Auferstehung. Der Streit der Hoffnungen, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1988. - Wilfried Härle, Dogmatik, 1995 >2000 (GLB). - Christian H e r r m a n n , Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung. Stud. zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie, 1997 ( F S Ö T h 83). - Eberhard Jüngel, Tod, 1971 ( T h T h 8); Gütersloh 5 1 9 9 3 . - Ders., Der Tod als Geheimnis des Lebens: Der Mensch u. sein Tod, hg. v. Johannes Schwartländer, 1976 (KVR 1426) 1 0 8 - 1 2 5 . - Robert Leuenberger, Der Tod. Schicksal u. Aufgabe, Zürich 1971. - Walter Matthias, Uber die anthropologische Verifizierung theol. Begriffe: E v T h N F 16 (1961) 4 5 9 - 4 7 7 . - Wolfhart Pannenberg, Tod u. Auferstehung in der Sicht christl. Dogmatik: ders., Grundfragen syst. Theol., Göttingen, II 1980, 1 4 6 - 1 5 9 . - Ders., Syst. Theol., 3 Bde., Göttingen 1 9 8 8 - 1 9 9 3 . Albrecht Peters, Der Tod in der neueren theol. Anthropologie: ders., Rechenschaft des Glaubens. Aufs., hg. v. Reinhard Slenczka/Rudolf Keller, Göttingen 1984, 2 3 9 - 2 7 7 . - Ders., Der Mensch, 1979 ( H S T 8). - Karl Rahner, Z u r Theol. des Todes, 1958 2 1 9 5 9 ( Q D 2). - Heinrich Scholz, Eros u. Caritas. Die platonische Liebe u. die Liebe im Sinne des Christentums, Halle 1929. - Eberhard Stock, Menschliches Leben u. Organtransplantation: Leben, hg. v. Wilfried Härle/Reiner Preul, 1997 ( M J T h 9) 8 3 - 1 1 0 . - Helmut Thielicke, Tod u. Leben. Stud. zur christl. Anthropologie, Tübingen 1946. - Herbert Vorgrimler, Der Tod im Denken u. Leben der Christen, Düsseldorf 1978.

Eberhard Stock VI. Ethisch 1. Tod als ethisches Problem (Kierkegaard) S. 624)

1. Tod als ethisches Problem

2. Ethisches Verhalten zum Tod

(Literatur

(Kierkegaard)

Mehr und mehr verschwand im 20. Jh. das Subjekt des Todes aus der Öffentlichkeit. Wie W. Benjamin sagte, war „Sterben ... einstmals ein öffentlicher Vorgang im Leben des Einzelnen und ein höchst exemplarischer" (Illuminationen. Ausgewählte Schriften, hg. von Siegfried Unseld, Frankfurt a.M. 1977, 395). Heute aber ist Sterben im Grunde eine private Angelegenheit geworden, der Tod ist kein Problem mehr im Geschäft des Lebens. Paradoxerweise wurde er zugleich ein fast modisches Thema in der Philosophie. Das philosophische Problem des Todes ist so alt wie -»Plato, wenn nicht älter, doch war es weithin vernachlässigt bis ins 19. Jh., als -»Hegel sich ihm erneut zuwandte. Doch eigentlich war es der Philosoph und religiöse Schriftsteller, der als Schüler Hegels sein größter Kritiker wurde, S. -»Kierkegaard, der das Problem des Todes entdeckte. Kierkegaard war es mehr darum zu tun, die Lektionen der Zeit als die einer philosophischen Ewigkeit festzuhalten, und so entdeckte er das Problem des Todes als Thema der Ethik, ein Problem, das der platonische —»Sokrates recht klar definiert hatte. Konfrontiert mit der Unentrinnbarkeit seines Todes hatte Sokrates seine trauernden Freunde darauf aufmerksam gemacht, daß das Problem nicht darin bestand, dem Tod zu entkommen, sondern gut zu sterben, ja, gut zu leben im Angesicht des Todes (Phd. 6 4 - 69). Für Kierkegaard war die Gestalt des Sokrates das Paradigma des Philosophen. Er war sich dessen wohl bewußt, daß sich das sokratische Anliegen bei seinen romantischen Zeitgenossen auch in eine Sentimentalität verwandeln konnte — wie beispielsweise in der Frage der Titelfigur in -»Ibsens Hedda Gabler: „Aber starb er in Schönheit?". Kierkegaards Beitrag zur modernen Philosophie und Theologie liegt offen zutage; doch eine Reihe wichtiger Themen und Anliegen seines Denkens sind weitgehend unerforscht. Zu ihnen gehört das Todesproblem. Deshalb lohnt es sich, Kierkegaards Denken als Ausgangspunkt zu wählen. Seit den Anfängen seiner Schriftstellerei galt Kierkegaards Interesse dem Problem des Todes. Als zugleich metaphysisches und ethisches Problem war es für ihn ein typisches

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Beispiel jener Fragen, denen sich die Philosophie zuwenden sollte, die sie aber in ihrer modernen Praxis auffallenderweise vernachlässigte. Die christliche Ewigkeitshoffnung war Kierkegaards Ausgangspunkt beim Entwurf einer philosophischen Anthropologie. Ganz nach Art romantischer Dichter richtete er seinen Blick auf Gräber und Grabinschriften; was ihm aber zunehmend zu denken gab, war die Frage, was es heißt, von jemandem zu sagen, daß er stirbt. Mit dieser Sicht des Todes widerstand Kierkegaard der Versuchung des epikureischen Standpunktes, der, wie er später sagen sollte, den Tod „aus dem Leben hinausschieben will" (Papirer VII 1 , A 145 = Die Tagebücher, II 1963, 108). Indem er den Tod als ethisches Problem behandelte, wollte Kierkegaard das Wesen der ethischen Wahl erhellen und beschreiben, wobei er sich der Technik der literarischen Fiktion bediente. In Entweder-Oder wird ein junger Mann geschildert, der in einem Leben der Lust Sinn zu finden sucht. Sein Lebensinhalt ist der Genuß der sinnlichen Erregung, doch gerade die Eigenart des Lebens, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, gefährdet dies. Nirgends ist das deutlicher als im Tod, von dem es keine Rückkehr gibt. „Der Moment des höchsten und überschwenglichsten Genusses im Leben ist geleitet vom Tode" (GW, übers, u. hg. v. E. Hirsch u. a„ Abt. 1/1, 1979 [GTBS 600] 20). Das Streben nach Lust führt nur zur Verzweiflung. Durch die von seinem Freund, dem Gerichtsrat Wilhelm, ihm eindringlich vorgestellte Wahl der Verzweiflung kann er entkommen. Die Wahl der Lust setzt den Teufelskreis des Strebens nach Befriedigung in einer Abfolge von Genüssen in Gang, aber diese „Wechselwirtschaft" endet stets mit einem Fehlschlag. Nur die bewußte Wahl der Verzweiflung sprengt den circulus vitiosus. Statt den Wert seines Lebens nach einer äußeren Welt zu bestimmen, würde der junge Mann nun sich selbst in seinem ewigen Wert wählen. Auf diese Weise zeigt Kierkegaard, daß ein Leben, das bewußt eine amoralische Handlungsweise intendiert, jenen Widerspruch verkörpert, den der Tod zum Leben darstellt. Jean Cocteaus Einfall - Menschen, die an ihre tägliche Arbeit gehen und schon gestorben sind - vorwegnehmend, imaginiert Kierkegaard Menschen, die sich auf diese Weise den Tod zu eigen machen. Dies sind die „Symparanekromenoi" („Mitverstorbene"). Aber die Stoßrichtung von EntwederOder zielt darauf, daß aus dem Elend, ein Leben in Sinnlichkeit durch den Tod zerstört zu sehen, nur ein Weg herausführt, das ist der strenge Weg des Ethischen, der auf dem ewigen Wert der Person beruht. Die Geschichte von Entweder-Oder läuft darauf hinaus, daß der junge Mann zu der Erkenntnis geführt wird, daß seine Lebensweise unhaltbar und allein ein sittliches Leben (nach Art der gesellschaftlichen Sitte bei Hegel) die Antwort ist, wobei vorausgesetzt ist, daß der Sinn des Lebens im substantiell Guten der Geschichte als ganzer zu finden ist. Weiter in Furcht und Zittern imaginierte Kierkegaard mittels einer Nacherzählung der Geschichte von Abraham und Isaak eine Situation, in der ein soziales Verhalten dieser Art mit einer absoluten Forderung in Widerspruch gerät. Die Bedeutung von Furcht und Zittern liegt zum Teil in dieser Wechselwirkung zwischen biblischer Theologie und moralphilosophischer Reflexion des 19. Jh. Kierkegaard wollte zeigen, daß eine kantische Ethik, wie sie sich zum herrschenden Hegelianismus fortentwickelt hatte, zuletzt durch den Tod widerlegt wurde. Zum Beeindrukkendsten an dem Buch gehört das Drama Abrahams, der dem unmittelbar bevorstehenden Tod des Sohnes und Erben ins Auge blickt und dies nur schweigend tun kann. Für Kierkegaard ist Tod ein Grenzbegriff, dessen ethische Implikationen es nach seiner Überzeugung anzuerkennen galt; und er gab sich große Mühe, die verschiedenen Implikationen für das jeweilige ethische Verhalten herauszuarbeiten. Die ausführlichste Diskussion des Todes findet sich in seinem Spätwerk, vor allem in Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift, wo er eine wichtige Unterscheidung trifft zwischen unserem Wissen über den Tod und dem Verstehen dessen, was Sterben heißt. Er unterscheidet sechs Situationen, in denen von einem Wissen über den Tod gesprochen werden kann: (a) Vorherwissen tödlicher Ereignisse oder Wirkungen, (b) Tod von historischen Personen, (c) Tod in der Literatur, (d) Beurteilung des Suizid, (e) der Tod in der Tragödie

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oder im banalen Alltag, (f) Tod in dichterischen Stimmungen und liturgischen Texten (GW, Abt. 16/1,1982 [GTBS 612] 156). Ein Ertrag dieser Untersuchung ist unter anderem, daß wir, um den Sinn des Todes zu verstehen, sorgfältig auf die Unterschiede in der Art, wie wir von sterbenden Menschen reden, achten müssen, anstatt uns durch das empirische Problem künftiger Ereignisse in die Irre führen zu lassen. So stellt er als Charakteristikum des Redens vom Tod heraus, daß es mich selbst involviert. Ich kann vom Tod nicht sprechen, als ob er mich nichts anginge. Plato hatte die Hoffnung geäußert, daß ein Richter im Unterschied zum Arzt das, was er behandelte, niemals kennen sollte. Der Tod dagegen bleibt für niemanden von uns ein Fremder. Selbst der „erhabene Denker" entkommt nicht dem Problem zu sagen, was Sterben bedeutet (ebd. 159). Von diesem metaphysischen Ansatz her vertritt Kierkegaard die These, daß wir einen ethischen Ausdruck für die Bedeutung des Todes und einen religiösen Ausdruck für den Sieg über den Tod benötigen. Das führt zu dem eingangs berührten Punkt zurück, wonach der Tod für Kierkegaard eine persönliche Tat darstellt. „Daß das Subjekt seinen Tod denkt, ist eine Handlung" (ebd.). Folglich würde er -»Wittgensteins Meinung, daß „der Tod kein Ereignis des Lebens" (Tractatus Logico-Philosophicus, London 1961, 6.431-6.4311) sei, widersprechen. Von 1847 an liegt das Schwergewicht in Kierkegaards Tagebuchnotizen zum Thema Tod darauf, daß der Tod einen ethischen und einen religiösen Bezug hat. Die Pointe ist, daß „ich sterben und vor das Gericht treten werde" (Papirer X 1 , A 233). So beschreibt die Nachschrift das Problem der Unsterblichkeit als eine „Frage der Innerlichkeit": „Werde ich oder bin ich unsterblich?" Darin sind vier Fragen enthalten: (a) Was bedeutet es für das Verhältnis zur Unsterblichkeit, daß die -•Zeit nicht richtig genutzt wurde? (b) Was bedeutet es für die Existenz im ganzen, daß dieses große Gut, wenn es wirklich wird, tatsächlich ein Geschenk und keine Leistung ist? (c) Wie kann die Sprache gleichzeitig den Standpunkt der Unendlichkeit und der Endlichkeit einnehmen? (d) Wie läßt sich vermeiden, daß die metaphysische Idee der Unsterblichkeit das Ethische gefährdet und auf eine Illusion reduziert? (GW, Abt. 16/1, 1982 [GTBS 612] 165-167) Anders als J.P. -»Sartre, für den die Unentrinnbarkeit des Todes der Zeit ihre Bedeutung raubt (Die Mauer und andere Erzählungen, Hamburg 1970,30), sah Kierkegaard im Tod den extremen Fall der Notwendigkeit, sich selbst als zeitliches Selbst zu wählen. Die Angst lehrt den Menschen, daß der Tod nicht ein zukünftiges Ereignis ist, sondern eine unbestimmte Zukunft, die mich gegenwärtig angeht. Im Achten auf die eigene Angst ist es dem Menschen möglich zu erfahren, was das Nichtsein des Todes bedeutet. Er wird befreit von der zeit verhafteten Natur seines Strebens und lernt die Zeit zu gebrauchen. Das Ziel der persönlichen Existenz ist die Verwirklichung der Existenz als Geist, und dies ist der erfüllteste Ausdruck von Zeit. Mit dieser Einsicht, die er bei -•Shakespeare so bewunderte, konnte er auch sagen, daß ein Mensch oft viele Male stirbt vor seinem Tod. 2. Ethisches

Verhalten zum

Tod

Von Kierkegaard ist vor allem zu lernen, daß das Problem des Todes ebensosehr eine Frage unseres eigenen Verhaltens zu unserem eigenen Tod ist wie eine Frage des Verhaltens zum Tod anderer. Im Blick auf den Tod anderer liegen die Themen Fürsorge und Mitleid am nächsten. Für jeden, der nicht völlig gefühllos ist, beantwortet sich das Problem des —»Mitleides sehr einfach: Wir stimmen der Mahnung des Paulus zu, mit den Weinenden zu weinen (Rom 12,15). Warum wir das tun sollen, mag weniger klar sein, aber es bedarf keiner Begründung, daß die Weinenden unser Mitgefühl gebieterisch fordern und nicht bloß verdienen. -»Mitleid, das in der Fürsorge für diejenigen besteht, die mit dem Tod konfrontiert sind, ist ein viel komplexeres Thema. Aus historischen Gründen, bei denen wir uns nicht aufzuhalten brauchen, wurde der Sinn des Mitleids allzu oft auf die Beseitigung des Todes als eines Übels reduziert. Eine derartige Haltung kann widersprüchlich erscheinen, wenn vorausgesetzt wird, daß dabei die Person be-

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seitigt wird. Von den Problemen um den Tod anderer ist die -»Euthanasie, wenn nicht das dringendste, so doch das unmittelbar ins Auge springende. Sollten wir nicht jedem das Recht zu sterben zugestehen? Ferner: verlangt Fürsorge für diejenigen, die „unwiderruflich menschlicher Fürsorge entzogen sind", wie Paul Ramsey sagt (The Patient as Person, New Häven, Conn. 1970, 161), nicht die Beendigung der moribunden Situation? Gegenüber dem Argument, daß Gerechtigkeit nicht den ungerechten Akt der Beendigung fremden Lebens fordern kann, ließe sich schließlich geltend machen, daß gerade Mitleid dies mit Sicherheit fordert. In einer tierliebenden Gesellschaft dienen die letzten beiden Überlegungen oft als Argument für die Euthanasie: „Ein Tier würde man nicht so leiden lassen". Diese Argumentation wiegt besonders schwer im Fall von praktischen Ärzten, die eine Pflicht zur Fürsorge haben, und stellt sie vor ein schweres Dilemma (-•Medizinische Ethik). Zwar sind alle drei Denkweisen mit ihrer Berufspflicht vereinbar und von ihr her sogar naheliegend, doch handelt es sich um eine Verpflichtung zur Fürsorge, die sie vor dem Gesetz verantwortlich macht. Alle diese Argumente sind letztlich Anwendungen der Ethiken von -»Aristoteles, -»Kant oder des -»Utilitarismus und lassen das neue Denken vermissen, das sowohl im Blick auf die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und Technologie wie auf die steigende Lebenserwartung nötig wäre. Für die christliche Ethik geht es entscheidend nicht um Rechte des einzelnen, um Gerechtigkeit oder gar um Mitleid, sondern um die Anerkennung, daß das -»Leben ein Geschenk Gottes ist und der Sinn des Leidens sich im Sühnetod Christi enthüllt. Vor eine andere Entscheidungssituation stellt der Konflikt zwischen medizinischem Fortschritt und ökonomischen Sachzwängen. Zwischen den Bedürftigen und den Leidenden muß gewählt werden, was äußerst schwierige medizinethische Probleme aufwirft. Bei -»Organtransplantationen, Nierendialyse und Gelenkersatz legt sich zweifellos eine altersbezogene Verteilungspolitik nahe. Doch was den Tod betrifft, so scheint an der Propagierung einer Altersgrenze ebensowenig ein Interesse zu bestehen, wie sie sich als ethische Praxis rechtfertigen läßt. Neben der sozialpolitischen Unvereinbarkeit besteht der gleiche Widerspruch bereits in ethischer Hinsicht aufgrund der Unvergleichbarkeit der Formen altersbedingten Verfalls. Am ehesten stellt sich die Frage einer sozial wünschenswerten Bestimmung des Todeszeitpunktes im Kontext eines nationalen Gesundheitssystems. Wenn nach einem verbreiteten Argument nur ein Kuchen bestimmter Größe zur Verteilung ansteht, dann sollten die knappen Mittel nicht für die Lebensverlängerung ausgegeben werden, wenn sie der Gesundheit von viel mehr Menschen zugute kommen könnten. Wichtig ist, daß hier zwei Unterscheidungen in ihrer Bedeutung weiterentwickelt werden: die Unterscheidung zwischen Leben erhalten und töten und die Unterscheidung zwischen heilender Medizin und einer Medizin der Gesundheitsvorsorge. Was erstere betrifft, so besteht keine Analogie zu dem Konflikt zwischen der Rettung des Lebens der Mutter und der Rettung des ungeborenen Kindes. In der neuen Situation hält sich die Gesellschaft für berechtigt zu entscheiden, daß ein bestimmter statistischer Durchschnitt wichtiger ist als der hilfsbedürftige Patient. Was die zweite Unterscheidung angeht, so ist deutlich, daß gegenüber der medizinischen Wissenschaft und Technologie die Sozialpolitik in ihrer Reaktion auf das Mögliche hinterherhinkt. Eine Sozialpolitik für das neue Jahrtausend wird ein entschiedeneres Engagement für die Bedürfnisse einer älter werdenden Bevölkerung zur Folge haben müssen. Ein letztes Problem in unserem Themenbereich betrifft die Situation von Trauernden. Auf der einen Seite zeigte sich eine Tendenz, die Betreuung der Hinterbliebenen zur Angelegenheit von Fachleuten zu erklären; andererseits gab es auch eine Tendenz, die Trauersituation als eine Krankheit zu betrachten. Für den beruflichen Betreuer liegt das Problem in der Anwendung des Mitleidprinzips innerhalb einer Praxis, die emotionale Neutralität verlangt. Das Dilemma verschärft sich durch die Unkenntnis dessen, was normalen Schmerz gegenüber pathologischem ausmacht. So gibt es in Großbritannien neuerdings Diskussionen über eine angemessene Gestalt der Beziehung zwischen Lebenden und Toten, vor allem im Blick auf protestantische Vorbehalte gegenüber dem Gebet

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für die Toten. Dadurch verengt sich der ethische Handlungsspielraum. Was den pathologischen Aspekt betrifft, so hat die Tatsache einer deutlich erhöhten Sterbe- und Krankheitsrate unter Trauernden praktische Ärzte veranlaßt, Trauer an sich als ein medizinisches Problem zu bewerten, das medizinische Hilfe verlangt. Der Trauerprozeß kann offenbar latente physische und psychische Probleme verstärken. Sowohl auf Seiten des Patienten wie des Arztes kommt jedoch alles auf Ehrlichkeit und Realismus an. Trauer als solche ist ein natürlicher und kein pathologischer Zustand. Wenden wir uns dem Problem des eigenen Verhaltens zum eigenen Tod zu, so sind einige allgemeine Bemerkungen angebracht. Das Leben wird, wie Kierkegaard sagt, nach rückwärts verstanden, aber nach vorwärts gelebt. Das Paradox des Todes besteht gerade darin, daß das für mich entscheidendste Ereignis eines ist, auf das ich nicht zurückschauen und das ich nicht verstehen kann. Für die christliche Ethik löst sich das Paradox durch den Umstand, daß sich in der Eigenart des christlichen Lebens der Tod des Erlösers abschattet. In dieser Perspektive gewinnt die Eucharistie besondere Bedeutung durch ihre Relation zu den beiden Polen der ethischen Reue und des religiösen Bewußtseins, mit Christus begraben und in ihm auferweckt zu sein. Weil der Tod ein Grenzbegriff ist, kann er nicht Teil meiner Erfahrung sein; doch in der Eucharistie findet eine mehr als nur imaginäre Darstellung dieser Erfahrung statt. Nach einer Formulierung -»Gregors des Großen ist das vollkommene Leben eine Imitation des Todes (Gregorii Magni Opera. I. Moralia in Job, 1979 [CChr.SL 140A] 687). Läuft eine Ethik der Annahme des Todes faktisch also auf die Wahl des Todes gegenüber dem Leben hinaus? Dies wäre eine merkwürdige Ethik, was immer ihre religiöse Motivation sein mag. Man kann in einem Augenblick die natürliche Todesfurcht ablegen. Wir bewundern und loben den M u t derer, die mit Krebs im Endstadium kämpfen und ihr Leben voll bis zuletzt leben, weil wir wissen, daß uns allen eine natürliche Furcht vor dem Tod als Teil unseres Seins angeboren ist. Diese Furcht ist nicht zu verwechseln mit der Angst des jungen Dichters John Keats (1795-1821), er könnte sterben, bevor er die Kreativität erreicht hatte, von der sein Geist überfloß. Dies ist Furcht vor dem Sterben. Leben in Nachahmung des Todes heißt nicht, Totsein dem Lebendigsein vorziehen. Als Hamlet sein Schicksal beklagte, verfluchte er den Gram, daß er geboren war, die Zeit, die aus den Fugen war, wieder einzurichten. Die Ethik, von der wir sprechen, ist also die Perspektive des Todes in einem Leben der Tat. Dringlicher, weil konkreter ist die Frage nach der eigenen Einstellung gegenüber dem Tod. Freiwillige Euthanasie wurde vielfach empfohlen als der rechte Weg, meinen Abschied von der Welt zu nehmen, wenn es in meiner Hand liegt. Ungeachtet der einleuchtenden Möglichkeit, daß ich eine Pflicht zu sterben haben kann, treffen die. obigen Bemerkungen zur Euthanasie auch hier zu. Mein Leben ist ein Geschenk von Gott, es liegt in Gottes Hand; es selbst zu beenden, kommt einer Verleugnung Gottes als Schöpfer gleich. Erst recht, so wäre zu ergänzen, wäre es eine Verleugnung von Gottes Erlösungswerk, weil die Erlösung durch den Tod am Kreuz vollbracht wurde. Insofern läßt sich George Herberts geistreiche Formulierung, daß die Passion Christi „einiges Blut" in „das bleiche Angesicht des Todes" (The Temple: T h e English Works of George Herbert, ed. Georg Herbert Palmer, Boston, II 1902, 265) gebracht habe, sowohl ethisch wie metaphysisch deuten. Denn dieses Ereignis bedeutet nicht nur eine Revision meiner bisherigen Auffassung vom Tod als Ende, sondern auch seine Umwertung zu einer Option in meinem Leben. Wenn der Weg der christlichen Nachfolge ein Getauftwerden in die Gemeinschaft der Leiden Christi ist, dann ist Vorsicht geboten, wenn der Tod, mein letztes Leiden, schlicht als eine Frage des christlichen Gehorsams beschrieben wird. D a ß das christliche Leben ein Leben des Gehorsams ist, bedarf keiner Begründung, aber es besteht die Gefahr einer Mißdeutung seiner „Imitation des Todes" im Sinne von Nietzsches „Sklavenmoral". Viel ist zu lernen aus dem Gedicht Do Not Go Gentie into That Good Night von Dylan Thomas, in welchem er den sterbenden Vater auffordert: „rage, rage against the dying of the light". Wir dürfen nicht einfach „sanft in

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diese gute Nacht gehen". Das ist am Ende weniger paradox, als es klingt; denn aufgrund der Taufe und der imitatio Christi sollte hier die These vertreten werden, daß eine christliche Ethik der Annahme des Todes ein Ethos der Rechtsansprüche, wie des Rechtsanspruchs auf Linderung von Leiden und Schmerz, hinter sich läßt. Wohl muß der Christ sterben, und dies allein für sich, doch wenn er das Leben des Glaubens leben will, kann das zeitliche Ende seiner Existenz für ihn nichts anderes sein als die Unterbrechung des Lebens, das er vorhat und plant. Wir sind weit entfernt von der Stimmungslage der Zeit vom 13. bis zum 16. Jh., in der die Volkspredigt der Mönche wie eine Totenglocke durch Europa hallte und jedermann daran erinnerte, daß er sterben mußte. Aber durch Presse, Fernsehen und Radio werden wir ständig an die Gegenwart des Todes im Leben erinnert, und man muß nicht weit in der Literatur gehen, um auf das tragische Thema des Todes von Familie und Freunden zu stoßen. Man könnte sagen, das 20. Jh. habe geendet mit der Erneuerung jener metaphysischen Frage, die von Kant jeder Ethik gestellt ist: Kann es eine Ethik geben, die nicht den Sieg über den Tod fordert? Literatur Roberto Andorno, La bioéthique et la dignité de la personne, Paris 1997. - Philippe Aries, L'homme devant la mort, Paris 1977; dt.: Gesch. des Todes, München 1980 4 1989. - Gary M. Atkinson, Ambiguities in „Killing" and „Letting Die": Journal of Medicine and Philosophy, Dordrecht/Boston, Mass., 8/2 (1983) 1 5 9 - 1 6 8 . - Paul Badham, Christian Beliefs about Life after Death, London 1976 2 1994. - Kurt Bayerts, Sanctity of Life and Human Dignity, Dordrecht/London 1996. - Margaret Pabst Battin, The Least Worst Death, New York 1994. - Ernest Becker, The Denial of Death, New York 1997. - Ladislaus Boros, Mysterium mortis. Der Mensch in der letzten Entscheidung, Ölten 1962 u.ö. - Peter Carnley, The Structure of Resurrection Belief, Oxford 1987. - Death and the Value of Life, hg. v. David A. Cockburn, Lampeter 1992. - Dilemmas of Dying, hg. v. Ian E. Thompson, Edinburgh 1979. - David L. Edwards, After Death? Past Beliefs and Real Possibilities, London 1999. - Fred Feldman, Confrontations with the Reaper. A Phil. Study of the Nature and Value of Death, Oxford 1992. - Richard Fenn, The Persistence of Purgatory, Cambridge 1995. - John H. Hick, Death and Eternal Life, London 1976. - Interpreting Death, hg. v. Peter Jupp/Tony Rogers, London 1997. - David Lamb, Death, Brain Death and Eternal Life, London 1996. - Secular Bioethics in Theol. Perspective, hg. v. Earl E. Shelp, Dordrecht 1996.

John Heywood Thomas

VII. Praktisch-theologisch 1. Zeitgenössische Erfahrung 2. Biblische Tradition Schlüsselthema (Literatur S. 627)

1. Zeitgenössische

3. Tod als praktisch-theologisches

Erfahrung

Die christlich-theologischen Aussagen zu Tod und Auferstehung sind auch in ihrer praktisch-theologischen Gestalt häufig unanschaulich und schwer vermittelbar mit allgemein religiösen Vorstellungen von einem Weiterleben der -»Seele nach dem Tod. Die praktisch-theologische Herausforderung bei der homiletischen und poimenischen Auseinandersetzung mit dem Tod muß sich der Frage der Vergänglichkeit und der befürchteten Vergeblichkeit (Jüngel) des Lebens stellen. Der Tod kommt nie zur rechten Zeit. Die Gesellschaft des 20. Jh. wurde weltweit schockiert vom Tod bekannter Persönlichkeiten wie John F. Kennedy, Martin Luther -»-King oder Lady Di. Noch dramatischer war die öffentliche Trauer, als am 11. September 2001 von Terroristen gesteuerte Flugzeuge unter den Augen der Weltöffentlichkeit das World Trade Center in New York zerstörten und das Pentagon in Washington stark beschädigten. Diese Ereignisse lösten weltweit eine Trauer und Solidarität aus, die vorher unvorstellbar waren. Die Trauer suchte sich Ausdrucksformen, die es so vorher nicht gegeben hatte: Orte des Weinens und Trauerns, Orte der Anteilnahme, Bilder des Verlierens, Gemeinschaft der Zurück-

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bleibenden. Der dramatische und öffentliche Tod von mehreren tausend Menschen widerlegte die längst überholte These von der Verdrängung des Todes in der modernen Gesellschaft. Wenn der Tod kommt, dann trauert die Gesellschaft, die sich durch ein weltumspannendes Informations- und Mediennetz in einer Mediennachbarschaft verbunden fühlt. Der Tod kommt nie zur rechten Zeit. Wenn er eintritt, schockiert er eigentlich immer die Hinterbliebenen. Niemals ist der Tod etwas Selbstverständliches, obgleich jeder Mensch weil?, daß sein Leben begrenzt ist. Im Umgang mit dem Tod bleibt der Mensch notorisch unvernünftig. O b w o h l der Verstand jedem Menschen sagt, daß irgendwann jedes Leben zu Ende geht, hält sich jeder Mensch die meiste Zeit seines Lebens selbst für unsterblich. Niemand kann sich selber wirklich tot denken. Die Todesgrenze ist die radikalste Grenze im Leben des Menschen. Und dennoch hat sie immer auch Ähnlichkeiten mit den anderen Grenzen im Leben: mit dem Lebensbeginn, der Geburt, mit den Lebensübergängen und Wendepunkten. 2. Biblische

Tradition

Das neuzeitliche Christentum hat ein ambivalentes Verhältnis zum Sterben, weil es gleichzeitig durch die Passionsgeschichte Jesu das Sterben idealisiert, es zum Symbol für Rettung und Schuldvergebung macht, es durch den Hinrichtungstod radikalisiert, das Sterben durch die Vollstreckungsart (der Kreuzigung) beobachtbar und durch das Ostergeschehen zugleich transzendiert worden ist. Tod, ewiges Leben, Auferstehungshoffnung sind die Kernstücke des christlichen Glaubens, gleichsam das Allerheiligste. Und zum Allerheiligsten hat man nur schwerlich ein alltagspraktisches Verhältnis. Das Sterben Jesu ist der eigentliche Schlüssel zum Verstehen der Auferstehungshoffnung des christlichen Glaubens. Die christlichen Wissensbestände zu Erfahrungen mit dem Sterben sind allerdings nicht allein in den Stationen der Kreuzigung selber aufgehoben) sondern in den Verdichtungen, die der Kreuzigung vorangehen und ihr folgen (Einzug in Jerusalem, die Nacht im Garten Getsemane, das öffentliche Tribunal, die Krönung mit der Dornenkrone, die Verurteilung, der Schmerzensweg, dann aber auch und wohl am zentralsten die Geschichte der trauernden Frauen am Grabe Jesu). Auch die Auferstehungshoffnung des christlichen Glaubens ist in ihrem Ursprung ganz offensichtlich weiblicher Natur - alle männlichen Reinterpretationen haben diese Erfahrungen der Frauen am leeren G r a b nicht wegdeuten können. Das Christentum ist eine Tod-und-Leben-Religion. Das Sterben Jesu ist gewaltsames, menschlich verursachtes Sterben, wird aber zugleich als göttliches Heilsgeschehen bekannt und geglaubt. Es ist ein dramatisches Sterbegeschehen, herausgehoben (auf einem Berge), in aller Öffentlichkeit,, unter staatlicher Kontrolle, eine religiöse Inszenierung mit Weltgerichtsbedeutung. Eine religiöse Kultur, die alljährlich sieben Wochen des Jahres zu Sterbeerinnerungswochen deklariert, die eines ihrer höchsten religiösen Feste mit einem insgesamt fünftägigen Festtagszyklus zu Tod, Sterben und Auferstehung von den Toten begeht (von Gründonnerstag bis Ostermontag), hat kein selbstverständliches Verhältnis, sondern ein hochsensibilisiertes Grundverhältnis zu Tod und Sterben. Das biblische Wissen um Tod und Sterben ist säkularisierungsresistentes Wissen, das sich in Erfahrungen von gegenwärtiger Trauer- und Sterbebegleitung wiederfinden läßt. Die Hospizbewegung nimmt Teil an einer ursprünglich im Christentum verankerten und vertrauten - » A r s moriendi, einer alltagsfähigen Sterbekultur, deren neuer Kristallisationspunkt sie inzwischen selber geworden ist. Das biblische Sterbewissen findet sich nicht allein im Kontext der Passionsgeschichte, sondern speist sich aus der Gesamtheit jüdisch-christlicher Kultur. Ursprünge finden sich im Alten Testament bereits in der Schöpfungsgeschichte („von Erde genommen"), im Exodus und in den Vätergeschichten (der Blick in das gelobte Land vor dem Tod am Ende eines hochbetagten Lebens), in den Klagepsalmen (etwa Psalm 31), in der prophetischen —>Verkündigung, in vielfältigen Motiven der Synoptiker (die Taufe Jesu am Jordan, das Wüstenmotiv als O r t der Selbst-

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p r ü f u n g und die anschließende Versuchungsgeschichte Jesu, Totenauferweckungen Tochter des Jairus —, aber auch die Sturmstillungsgeschichte und die Geschichte vom sinkenden Petrus bis hin zur Rede vom Weltgericht in M t 25) und der Johannesapokalypse mit dem Motiv vom himmlischen Jerusalem. Z u r Sprache k o m m t in diesem biblischen Wissen die Sorge des Menschen, d a ß mit der Endlichkeit seiner Existenz auch die Vergeblichkeit seines Lebens verbunden sein könnte. So beklagt der Psalmist den Mangel an Lebensdauer, die Menschen sind „wie das sprossende Gras, das am M o r g e n erblüht und sproßt, doch am Abend verwelkt und verdorrt es" (Ps 90,5). Oder in Ps. 39,6: „Siehe, nur eine H a n d b r e i t hast D u meine Tage gemacht und meine Lebenszeit ist nichts vor Dir. Ja, ein H a u c h nur ist alles, was Mensch heißt". Viele dieser Motive aus dem biblischen Sterbewissen tauchen in Erfahrungen auf, die im Alltag eines H o s pizes gemacht werden. 3. Tod als praktisch-theologisches

Schlüsselthema

Die Hospizbewegung ermöglicht der Theologie eine Wiederbeschäftigung mit der spirituellen Kompetenz des christlichen Glaubens angesichts des Todes. Tod ist zum Schlüsselthema der Praktischen Theologie geworden. Zugleich aber ist er angstbesetzt geblieben. In gemeindlich-protestantischer Praxis k o m m t der Tod, das Sterben nur selten, Trauer dagegen mit wöchentlicher Regelmäßigkeit vor. So, wie das Sterben aus dem häuslichen Bereich ausgewandert ist, so ist es auch aus dem Blickwinkel des Gemeindepfarramtes verschwunden, jedenfalls im Urbanen, industriell geprägten Wohnen. D e m gegenüber hat die Krankenhausseelsorge die Auseinandersetzung mit dem Tod als ein wichtiges Aufgabenfeld a n g e n o m m e n , allerdings auch unter den Bedingungen moderner Krankenhäuser mit neuzeitlicher Hochleistungsmedizin. Die praktisch-theologische Auseinandersetzung mit d e m Tod geschieht in der Begleitung Sterbender. Es gibt unterschiedliche Lebensabschnitte und manchmal überraschende Prozesse, die Begleitern unverständlich und f r e m d sind. Wenngleich es durchaus Ähnlichkeiten bei solchen längeren Prozessen der Sterbebegleitung gibt, wäre es verfehlt, von einer festliegenden Phasenstruktur zu sprechen. Jedes Sterben ist anders. Es gibt nicht das richtige und das falsche Sterben. Aber es gibt Verstehenshilfen, die gerade bei denjenigen Menschen zu finden sind, die sich wiederholt auf die Begleitung Sterbender eingelassen haben. Dazu gehört die oft schwer zu verkraftende Erfahrung, d a ß Menschen im Sterben nicht nur Z u w e n d u n g , Begleitung und N ä h e suchen, sondern manchmal gerade auch das Gegenteil: Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Abstand. Es gibt vermutlich in jedem Leben eine Wegstrecke, die allein gegangen werden muß. Das gilt besonders bei den Wendepunkten im Leben. Z u den überraschenden Prozessen gehört manchmal, d a ß ganz friedliebende M e n schen plötzlich aggressiv und verletzend werden können - ganz im Unterschied zu ihren sonstigen Lebensgewohnheiten. Jede Verletzung, jede Kränkung, vor allem das Wissen um den bevorstehenden eigenen Tod r u f t Aggression hervor und die Frage: Wer ist eigentlich d a r a n schuld? Einen dramatischen Verlust, den Tod eines nahen Angehörigen, kann die Seele nicht von einem Augenblick zum anderen wirklich verstehen oder gar akzeptieren. Die Seele braucht die Wiederholung, um das U n a n n e h m b a r e a n n e h m e n und verstehen zu lernen. D a r u m gehört zur Sprache der Seele die Wiederholung, die Bestreitung, der Widerstreit von Empfindungen, die Sinnestäuschung, die Langsamkeit, zu der nun einmal nur die Seele in unserer Zeit sich noch Zeit nehmen kann. Die Sprache der Seele ist manchen Menschen unverständlich. Gerade in helfenden Berufen ist es von großer Bedeutung, die verschlüsselten Signale der Seele richtig verstehen zu lernen. Die Mißverständnisse entstehen, wenn wir die G r a m m a t i k seelischer Artikulationen nicht gelernt haben. In gemeindlichen G r u p p e n , in Trauerseminaren, in der Ausbildung von Sitzwachen u n d Trauerbegleitungen müssen solche Hintergründe erarbeitet und verdeutlicht werden. Z u r Gemeindepraxis gehören Trauerseminare, Hospizarbeit, Sitzwachengruppen in

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kirchlichen K r a n k e n h ä u s e r n , E r r i c h t u n g von Palliativstationen in K r a n k e n h ä u s e r n , in denen auch das Sterben seinen medizinisch akzeptierten Platz gefunden h a t . Z u r S p r a c h e der Seele g e h ö r t etwa auch der Z o r n . Z o r n hat zerstörerische, aber m a n c h m a l auch befreiende und aufrichtende K r ä f t e . In der S p r a c h e der Seele gibt es oft a u c h die Apathie. In der A p a t h i e findet sich auch das M o t i v des W a r t e n s , der Z e i t verzögerung, die für T r a u e r n d e zu einer G r u n d e r f a h r u n g wird. Z u den oft unverstandenen A r t i k u l a t i o n e n der Seele g e h ö r t m a n c h m a l auch eine gewisse O b e r f l ä c h l i c h k e i t . I h r liegt ein W i s s e n zugrunde, d a ß in der T i e f e der eigenen Seele t a t s ä c h l i c h S c h m e r z , Verlustangst, T o d e s a n g s t , L e b e n s a n g s t s c h l u m m e r n . J e d e Seele w e i ß u m diese tiefen und s c h m e r z h a f t e n G e f ü h l e . S t e r b e n und T o d in der gegenwärtigen G e s e l l s c h a f t , das ist s c h o n längst nicht m e h r der v e r d r ä n g t e T o d . Professionelle B e s t a t t e r verstehen ihre Trauerbegleitung anders als die h e r k ö m m l i c h e n H a n d w e r k s b e r u f e . Es h a t ein Wandel v o m H a n d w e r k s - zum B e r a tungs- und Dienstleistungsberuf stattgefunden. Literatur Vgl. den Art. ->Ars moriendi. Agende f. ev.-luth. Kirchen u. Gemeinden, hg. v. der Kirchenleitung der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands. III. Die Amtshandlungen. Teil 5. Die Bestattung, Hannover 1996. - Paul Althaus, Die letzten Dinge, Gütersloh 1922 4 1933 10 1970. - Günter Altner, Tod. Ewigkeit u. Uberleben. Todeserfahrung u. 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Michael Schibilsky VIII. Philosophisch 1. Philosophiegeschichtliche Bemerkungen zum Problem des Todes Denken der Gegenwart 3. Was ist der Tod? (Literatur S. 635)

1. Philosophiegeschichtliche

Bemerkungen

zum Problem

des

2. Der natürliche Tod im

Todes

Im folgenden kann keine Geschichte der philosophischen Auseinandersetzungen mit dem Tod geboten werden. Es sollen vielmehr nur einige Hinweise auf den geschichtlichen Horizont gegeben werden, vor welchem in der heutigen Situation das Problem des Todes philosophisch erörtert werden muß. 1.1. Zunächst muß auf die sich auf -»Plato berufende Tradition kurz eingegangen werden. Für sie ist der Tod die Trennung von -»Leib und Seele. Trotz vielfältiger Kritik ist diese Antwort auf die Frage, als was der Tod gedacht werden muß, im europäischen Kulturkreis immer noch anwesend. Sie sieht den Tod als eine Befreiung der -»Seele an. Sie ist nämlich dem Unvergänglichen und Unveränderlichen zugeordnet. Es gilt Plato als das wahrhaft Seiende. Zu ihm gehören die Ideen als Urbilder der Dinge und als Bereich der logischen, ethischen und ästhetischen Prinzipien. Während ihres Aufenthaltes im Körper durchlebt die Seele Begierde und Trauer. Sie leidet dort unter dem Wechsel von Werden und Vergehen mit seinen vielfältigen Übeln. Von den mit den Sinnen erfaßbaren Dingen gibt es kein wahres Wissen, sondern nur Meinungen. Darum versucht der philosophierende Mensch schon während seines irdischen Lebens, keine Gemeinschaft mit dem Sinnlichen und Körperlichen einzugehen. Er wendet sich vielmehr der geistigen Region zu. Darum kann für ihn die Loslösung vom Körper, welche im Tod geschieht, kein Übel sein. In ihm erfüllt sich der Übergang in einen Zustand, auf den hin das philosophische Leben als Einübung verstanden werden kann. Die Seele geht dann zu dem Unsichtbaren, das ihr ähnlich ist, zu dem „Göttlichen und Unsterblichen und Vernünftigen", um so „glücklich zu sein, frei von Irrtum und Unwissenheit und Ängsten und den wilden Leidenschaften der Liebe und allen anderen menschlichen Übeln" (Phd. 81a). 1.2. Dieser Dualismus von Leib und Seele, welcher in der Frage nach dem Tode seine schärfste Formulierung findet, wird bei —»Descartes in eine neue Gestalt übergeführt. Er unterscheidet zwei voneinander unabhängige Substanzen: die denkend vorstellende und die materielle, im Raum ausgedehnte. Im Menschen gehen sie eine Verbindung ein, ohne aufzuhören, voneinander getrennte Substanzen zu sein. Die Seele ist hier nicht mehr Lebensprinzip eines Organismus, wie es im platonischen Dualismus der Fall war. Der Körper wird nun nach Art einer Maschine gedacht, einer Uhr oder eines anderen sich selbst bewegenden Apparates. Der Tod ist nichts anderes als sein Stillstand. Der Leichnam des Menschen ist wie eine Maschine, „die zerbrochen ist und in der das Prinzip ihrer Bewegung nicht mehr wirkt" (Descartes, Über die Leidenschaften der Seele, Art. 6). Aufgrund dieses Verständnisses des menschlichen Körpers und des Todes wird es verständlich, daß Descartes von der neuzeitlichen Naturwissenschaft erwartete, sie werde durch bessere Kenntnis des Körpers die Lebensdauer des Menschen

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Tod Vili

erheblich verlängern können. Die andere denkende Substanz ist unkörperlich und steht als Selbstbewußtsein in sich selbst. Sie wird daher von der Zerstörung des Körpers im Tode nicht betroffen und ist als einfache, nicht aus Teilen zusammengesetzte Substanz unzerstörbar. Descartes denkt also den Tod als ein natürliches, mechanistisch zu verstehendes Ereignis, in das aber der Geist nicht mit hineingezogen wird. 1.3. Eine physikalisch-mechanistische Erklärung des Todes hatte es auch schon in der Antike gegeben. Wir finden sie auf dem Hintergrund des sog. Atomismus Demokrits (ca. 460-380/370 v. Chr.). Nach seiner Theorie läßt sich alles Geschehen in der Welt im Sinne eines materialistischen Mechanismus erklären. Im leeren Raum bewegen sich die Atome, die unteilbaren Grundbestandteile der Welt. Beim Fall durch den leeren Raum stoßen sie aufeinander und verbinden sich zu den verschiedenen Dingen. Auch die Seele besteht aus solchen Atomen, allerdings von feinerer Art. Beim Tode des Menschen fallen die Atome, die im Körper des Menschen miteinander verbunden sind, wieder auseinander. Dasselbe gilt von den Atomen der Seele. So ist der Tod nichts als eine auf natürlichen Ursachen beruhende Veränderung. Auf dieser Grundlage versuchte Epikur (342/41-271/70 v. Chr.), die Todesfurcht des Menschen zu überwinden. Er geht von der Voraussetzung aus, daß es für uns Gutes wie Übles nur aufgrund der Wahrnehmung gibt. Wer nichts wahrnimmt, wer um nichts weiß, für den kann es nichts Gutes geben, aber er vermag auch nichts zu erleiden. Folgen wir dieser Einsicht, gelangen wir zu der Folgerung, daß der Tod uns nichts angeht. Denn der Tod ist ja gerade der Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen. Solange wir leben, haben wir nichts mit dem Tod zu tun. Hört jede Art von Wahrnehmung auf, so kann uns auch der Tod, wenn er eingetreten ist, nichts anhaben. 1.4. Auf einer anderen Linie bewegt sich das Verständnis des Todes bei —•Aristoteles. Für ihn sind Seele und Leib keine zwei Substanzen, sondern Prinzipien, durch welche das eine Seiende, z. B. ein bestimmter Mensch, konstituiert wird. Dabei ist die Seele Formprinzip. Durch sie ist der Mensch, was er ist. Durch ihre Wirksamkeit entfaltet er sich auch in seiner menschlich bestimmten Leiblichkeit von deren Möglichkeit auf ihre Wirklichkeit hin. Die Seele ordnet die organischen Vorgänge auf ihr Ziel hin, die wesensgerechte Entfaltung des Menschen (Entelechie). Beim Menschen ist sie zugleich Vernunft, Prinzip der geistigen Einsicht und des von ihr her bestimmten Wollens. Unter diesen Voraussetzungen bedeutet der Tod das Vergehen der Einheit und Ganzheit des Menschen. Tod ist hier weder die Trennung von Leib und Seele noch Stillstand eines Organismus, sondern das Ende eines entelechial verstandenen Formungsprozesses, welches das Vergehen des ganzen Menschen bedeutet. (Auf die Unvergänglichkeit des tätigen Intellektes als einer göttlich-allgemeinen Vernunft, welche in den einzelnen Menschen hineinwirkt, die Geschichte der Interpretation dieses bei Aristoteles undeutlich bleibenden, vor allem durch die islamische mittelalterliche Philosophie aufgenommenen Gedankens und die differenzierte Weiterentwicklung des aristotelischen Ansatzes bei -•Thomas von Aquino kann hier nicht eingegangen werden.) 1.5. Ein stark platonisch bestimmtes Verständnis des Todes lebt in der Philosophie der —»Renaissance wieder auf. Man versteht den Tod als Rückkehr des Menschen aus dem Dunkel ins Licht (-»Pico della Mirandola), aber auch als eine Verwandlung, durch welche der Mensch eine neue, höhere Seinsweise erlangt (->Paracelsus). Der Tod wird zur Geburt eines neuen Lebens. Die Kritik einer Seelensubstanz, wie sie sich z. B. bei Descartes findet, gehört zu den Hauptpunkten der Kritik I. ->Kants an der traditionellen -»Metaphysik. Das besagt aber für ihn keineswegs, den Menschen treffe im Tode mit Gewißheit sein Ende schlechthin. Vielmehr wird das Fortleben nach dem Tod zu einem Postulat der praktischen Vernunft. Diese Forderung geht davon aus, der Mensch werde so tiefgehend von seinen Neigungen bestimmt, welche dem Sittengesetz entgegenstehen, das seine Vernunft dem

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Menschen auferlegt, daß die Zeit unseres Lebens zu kurz ist, den Widerspruch zwischen Pflicht und Neigung zu überwinden. Daraus folgt die Notwendigkeit des postmortalen Fortlebens. Sie ergibt sich auch daraus, daß es am Ende zu einem Ausgleich von pflichtgemäßer Gesinnung und Glück kommen muß. Im Leben diesseits der Todesgrenze erlangen nur selten diejenigen Menschen das Glück, die seiner würdig sind. Daher müssen Glückwürdigkeit und Glückseligkeit von Gott jenseits des Todes in die angemessene Proportion gebracht werden. Nur so kann das höchste Gut realisiert werden. Die wohl schärfste Ablehnung der endgültigen Bedeutung des Todes, die je in der Geschichte der Philosophie ausgesprochen worden ist, findet sich bei J.G. —•Fichte. Zwar leugnet er nicht den physischen Tod des Menschen, aber das Leben der Natur, zu welchem auch Sterben und Tod gehören, ist nur ein Scheinleben. Das wahre Leben des Ich, der Vernunft, des Wissens und der Liebe, des Verlangens nach Seligkeit kennt keinen Tod. Als Leben der Subjektivität ist es Bild des absoluten Seins und Lebens Gottes. Im Tod fallen die Grenzen der Endlichkeit, so daß wir auf eine neue Ebene unverhüllter Unendlichkeit gelangen. Auf ihr erweist sich auch die Natur als von einer unendlichen Fülle des Lebens erfüllt. F.W.J. -»Schelling, vom Tod seiner Frau Caroline im Kern seiner Existenz getroffen, war überzeugt, daß uns der Tod von vielen Zufälligkeiten befreit, so daß das Wesen der Persönlichkeit jenseits des Todes rein hervortreten kann. Dabei gilt für Schelling, daß wir im Innersten mit den Toten verbunden bleiben und mit ihnen einem Reich der Geister angehören. Für -»Hegel vermittelt sich Gott in Natur und Geschichte mit sich selbst. In diesem Prozeß kommt die in ihm als der absoluten Idee beschlossene Fülle zum Selbstbewußtsein. So werden Unendlichkeit und Endlichkeit versöhnt. Dieses universelle Geschehen umschließt auch, allerdings nur in der religiösen Vorstellung, den Tod Gottes und seine Auferstehung. Die Frage, was das für den Tod des einzelnen Menschen bedeutet, wird bei Hegel nicht endgültig geklärt. Ist er nur ein Funktionär des Prozesses der Selbstvermittlung Gottes, der für sich selbst keine endgültige Bedeutung besitzt, oder gehört er unverlierbar in die Vollendung der Geschichte hinein? L. —»Feuerbach hat den Glauben an die Unsterblichkeit radikal in Frage gestellt. Er ist für ihn mit dem Glauben an Gott identisch. Denn Gott ist nichts in sich selbst, sondern die ins Jenseits projizierte Vorstellung des Menschen als einer vollkommenen Persönlichkeit. Will der Mensch aus dieser Selbstentfremdung zurückkehren, muß er diese Projektion aufgeben. Er erstrebt dann den naturgemäßen Tod, den Alterstod, und versucht, den vorzeitigen Tod zu vermeiden. K. - » M a r x , der die Religionskritik Feuerbachs an der Einheit der Vorstellung Gottes und der Unsterblichkeit übernahm, vermißte bei ihm die Frage nach dem Grund dieser Projektion, nämlich dem sozialen Elend. Für M a r x ist dessen Unerträgliqhkeit die Ursache der Vertröstung, auf ein besseres Leben im Jenseits. Im Denken des 20. Jh. spielt die Möglichkeit des Menschen, in den Tod vorzulaufen, eine wichtige Rolle. Vor allem M . -»Heidegger hat in Sein und Zeit, zum Teil unter dem Einfluß S. -»Kierkegaards, diesen Gedanken vorgetragen. Der Mensch ist in seinem Dasein immer „sich vor weg". Dabei steht immer noch etwas aus. Dieser „Ausstand" wird durch den Tod, also die Vernichtung des Menschen, aufgehoben. Der Tod ist ihm als der äußerste Bevorstand gewiß, zugleich aber ungewiß, weil er nicht weiß, wann er eintritt. In seinem Dasein geht es dem Menschen immer um sein Sein und die in ihm gelegenen Möglichkeiten. Sie werden alle von der letzten, unüberholbaren, weil auf keine andere Möglichkeit mehr beziehbare Wirklichkeit des Todes überholt. Sie führt ihn vor ein schlechthin Maßloses. Zu ihm verhält sich der Mensch, wenn sich der Mensch zu seinem Tode verhält. Er erscheint keineswegs als bloßes biologisches Verenden, sondern als eine Möglichkeit menschlichen Verhaltens. Von daher erscheint der Mensch nicht mehr als das vernunftbegabte Lebewesen der metaphysischen Tradition, sondern als der Sterbliche. Das Maßlose des Todes wird vom späteren Heidegger als das Nichts interpretiert. Es ist kein bestimmtes Seiendes und in diesem Sinne nichts. Das Sein ist aber ebenfalls kein Seiendes. So ist das Nichts Schleier des Seins, in welchem es sich verbirgt. Daher verhält sich der Mensch, indem

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er sich zur Maßlosigkeit des Todes verhält, zum Sein. Darum wird der sich zum Tode als seiner äußersten Möglichkeit verhaltende Sterbliche der Hirte des Seins. 2. Der natürliche Tod im Denken der

Gegenwart

Heute ist das Verständnis des Todes als „natürlich" für eine immer größere Zahl von Menschen zum Inbegriff eines naturwissenschaftlich orientierten Verhältnisses zum Tod geworden. Für viele gilt er als unhinterfragt hingenommene Selbstverständlichkeit. Dieser natürliche Tod wird zunächst weithin als Alterstod bestimmt. Weil er das Ergebnis des normalen organismischen Alterungsprozesses ist, läßt er sich vom vorzeitigen, durch Unfall, Krankheit, Krieg, Mord und gesellschaftliche Mißstände verursachten Tod als „ n o r m a l " abgrenzen. Zugleich hält sich die Auffassung des Todes als eines natürlichen, biologischen Geschehens für progressiv und rational. Das geschieht in der Philosophie, aber auch sonst, indem der natürliche Tod als Gegenposition zur traditionellen, metaphysischen Unsterblichkeitslehre (-»Unsterblichkeit) oder des biblischen Auferwekkungsglaubens betrachtet wird. Das Thema Unsterblichkeit ist nach der Auffassung von W. Schulz „für die gegenwärtige Philosophie nicht aktuell". Das gilt, weil „philosophische Aussagen über den Tod ... nicht gegen oder unabhängig von den Einsichten der Wissenschaft aufgestellt werden" dürfen. Daher wird auch der Philosoph „von den Vorstellungen ausgehen müssen, durch die unser Verstehen des Todes bestimmt ist: Der Tod ist ein absolutes Ende des Lebens. Es wäre philosophisch nicht legitim, dieser Aussage ausweichen zu wollen, indem man erklärt, daß wir über den Tod nichts wissen können und alles offen sei" (Schulz 99f.). Weil die Epoche der Metaphysik vorbei ist und von einem Zeitalter der Wissenschaft abgelöst wurde, muß für uns „die biologisch orientierte Vorstellung vom Tod grundlegend" sein. Das schließt ein, daß wir die „einfache Tatsache der Vergänglichkeit anzuerkennen" haben. Allerdings will Schulz verhindern, daß der Mensch schlechthin als ein naturhaftes Exemplar seiner Gattung ausgelegt wird. Denn er kann sich zu sich selber verhalten. Deswegen ist er der Todesangst ausgesetzt. Der Mensch weiß um seinen irgendwann eintretenden Tod und steht durch dieses Wissen unter einer Belastung, die „in seiner widersinnigen ..., in seiner paradoxen Struktur" (ebd. 103ff.) gründet. 3. Was ist der Tod? Ein angemessenes Verständnis des Todes setzt voraus, daß der Mensch in seinem vollen Menschsein gesehen wird und nicht nur als Organismus. Diesen versteht man heute zumeist als Interaktionszusammenhang von Teilsystemen. Es kann nicht geleugnet werden, daß der Mensch u.a. auch als solcher betrachtet werden muß. Dabei darf es aber nicht zu einem biologistisch reduzierten Verständnis des Menschseins kommen. Was den Tod angeht, gelangt man dann nur zum „Ableben" des Menschen. Dieses hat M . Heidegger mit Recht als ein Zwischenphänomen zwischen dem Verenden des Tieres und dem Tod des Menschen angesehen (Heidegger § 49). Im folgenden sollen einige Phänomene vergegenwärtigt werden, welche den Tod des Menschen als Menschen hervortreten lassen. 3.1. Ausgangspunkt sei das Phänomen der Leiche. Sie repräsentiert uns den Tod als den Tod eines anderen Menschen. N u r so vermögen wir ihn uns zu vergegenständlichen, weil wir ihn aus eigener Erfahrung als noch Lebende nicht kennen. Die Leiche ist starr, blicklos und sprachlos. Dadurch unterscheidet sie sich vom lebendigen Leibe in aller Deutlichkeit. Denn ihre Bewegungslosigkeit zeigt den Verlust der frei zu vollziehenden Möglichkeiten des Verstorbenen an. Zu seinen Lebzeiten gelangten sie in seinem Leib zur Erscheinung. N u n ist er zur toten Sache geworden. Selber verfügungslos, wird über die Leiche verfügt. M a n begräbt oder verbrennt sie, macht sie zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen, mumifiziert sie oder entnimmt ihr Organe zum Zweck der Transplantation. So ist die Leiche die sinnliche Erscheinung der unmöglich gewordenen Selbst-

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bestimmung. In ihr werden wir der „Nichtung aller Möglichkeiten" (Sartre 676f.) ansichtig. Wenn irgendwo dem Begriff „Verdinglichung" Sinn zukommt, dann in Hinsicht auf die Leiche. Sie ist der Ding gewordene Leib. 3.2. Der Mensch lebt in Verhältnissen. Er verhält sich zu sich selbst, um sich zu finden und zu verwirklichen. Er vermag dies nur, indem er sich zu anderen Menschen, zur Natur, zur Geschichte und zu den in ihnen auftauchenden einzelnen Dingen und Ereignissen verhält. Wir sind, wozu wir uns verhalten und wie wir uns dazu verhalten. Aber der Tote, bzw. seine Leiche, ist aus allen Verhältnissen herausgefallen. Sie vermag auf niemanden mehr zuzugehen, ihn anzublicken oder mit ihm zu sprechen. Sie kann nicht mit und für ihn handeln, an ihm sich ärgern und mit ihm streiten. Diese stumme, blicklose und handlungsunfähige Verhältnislosigkeit kann von erschütternder Wucht für die Hinterbliebenen sein. Für sie tritt in seiner Verhältnislosigkeit der Kern des Verlustes hervor, den sie im Tod des Verstorbenen erlitten haben (s. dazu Jüngel, bes. 89f.). Verdinglichung und Beziehungslosigkeit hängen auf das engste miteinander zusammen. Die Verdinglichung erscheint zunächst als Verlust der Freiheit. Er ist der Grund für die Verhältnislosigkeit. Weil die Leiche nicht mehr in Freiheit auf die anderen und das andere zugehen und sich auch nicht mehr zu sich selbst verhalten kann, stürzt sie in die Verhältnislosigkeit überhaupt ab. Darauf verweist ihre Unfähigkeit, die grundlegenden Akte der Mitmenschlichkeit zu vollziehen: den andern anzublicken und ihn anzusprechen. Die Leiche macht uns aber auch offenbar, daß der Tod nicht nur das Verhältnis eines Menschen zum anderen abgebrochen hat, sondern auch sein Verhältnis zu sich selbst. Der Leichnam weiß nichts mehr von sich und verhält sich nicht mehr zum eigenen Sein. Niemand ist mehr da, der von der Leiche „meine" sagen könnte. Von „meiner" Leiche kann jemand nur als von einer zukünftigen sprechen, solange er lebt. Sobald er tot ist, ist sie nicht mehr seine. Gewiß, im Anfang des Verwesungsprozesses erinnern noch manche Spuren an ihn als individuelles Ich mit einer ihm zugehörigen Lebensgeschichte. Aber am Ende zerfallen auch diese Spuren der Erinnerung an einen konkreten Menschen, falls sie nicht durch künstliche Maßnahmen wie die Mumifizierung aufgehalten werden. An ihre Stelle tritt die Anonymität von mehr und mehr zerfallenden Materiepartikeln. 3.3. Alle Verhältnisse, in die der Mensch bei Lebzeiten eintritt, gründen in seiner Verwiesenheit auf —>Sinn. „Sinn" meint hier dasjenige, um dessentwillen wir unser Leben für wert und würdig halten, gelebt zu werden. Von ihm her können wir unser Dasein bejahen. Unser Leben wird vom Wechselspiel des tastenden Suchens nach Sinnverwirklichung und des Sich-Entziehens des Sinnes vor seinem Widerspruch, dem Absurden, als Grundspannung bestimmt. Sie wird vom Tod ans Ende gebracht. Zwar kann er den Sinnrealisierungen, die wir im Vollzug unseres Lebens verwirklicht haben, ihre Qualität als solche nicht nehmen. Aber er verschlingt sie in seinen Anschein des endgültigen „Aus", d.h. es war einmal und ist nun für immer zu Ende. Der Tod stößt die Sinnrealisierungen aus der Wirklichkeit aus. Sinn sollte aber sein und nicht Nicht-Sein. Daß er dennoch vergeht, macht den eigentlichen Stachel des Todes aus. Von ihm her entsteht die Frage, ob er die Grundspannung zwischen Sinn und Absurdität, die unser Dasein beherrscht, nicht zugunsten der Absurdität auflöst. Denn daß Sinn genichtet wird, ist absurd, wie es ebenso absurd ist, daß Sinnwidriges die Macht gewinnt zu dauern. Der Tod bringt die Absurditäten des Lebens zu Ende, und das ist gut. Aber indem Sinn und Absurdität, Gutes und Böses, Wahrheit und Lüge insgesamt im Leeren des Todes enden, scheint er sie gleich und gleichgültig zu machen und ihren Widerspruch auszumerzen. Das aber ist absurd. Die tiefsten Einsichten, die lautersten Gesinnungen, alles Engagement für andere kommen im Tod genauso an ein definitives Ende wie Grausamkeit, Ausbeutung usw. So jedenfalls ist es, wenn der Tod das endgültige Schicksal des Menschen besiegelt und keine Hoffnung über die Todesgrenze hinaus als sinnvoll erwiesen werden könnte.

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3.4. Weiter kann der Tod als Weltzerfall angesprochen werden. —>Welt darf dann allerdings nicht im Sinne des astronomischen Weltalls verstanden werden. Denn für es hat der Tod eines menschlichen Individuums keine Bedeutung. Welt meint hier den Horizont, in welchem wir den Sinn - oder Widersinn - des Ganzen der Wirklichkeit auslegen. In diesem Horizont lassen wir die Dinge und Ereignisse als das aufgehen, was sie für uns bedeuten. Von daher eröffnen wir uns unsere Sinnperspektiven und nehmen den Standpunkt ein, von dem aus wir die Wirklichkeit insgesamt wertend beurteilen. Dieser aus der ->Phänomenologie her bekannte Weltbegriff (vgl. —>Husserl, Heidegger) besagt eine die gesamte Lebenspraxis eines Menschen — oder einer Sozietät - leitende, jeweils geschichtliche Interpretation des Sinnes von Sein. Im Tod bricht dieser Welthorizont zusammen. Die Trostlosigkeit dieses Todesaspektes bedrückt allerdings nicht mehr so sehr vom Anblick der Leiche her. Sie überfällt uns vielmehr, wenn wir daran denken, welche Straßen und Wege ein Verstorbener zu Lebzeiten gegangen ist, an die Gewohnheiten, in denen er heimisch war, die Menschen, zu denen er Beziehungen unterhielt, oder an die Dinge, die er liebte. Auch ist an die Leere seiner Wohnung zu denken mit der Zusammenhanglosigkeit der nicht mehr von ihm durchlebten Gegenstände. Solche Welten, in denen sinnvolles Dasein sich vollzieht, werden oft nicht von einem vereinzelten Ich, sondern von einem „ W i r " bewohnt. Stirbt einer der Teilhaber an einer solchen gemeinsamen Welt, so wird diese von dem oder den Hinterbliebenen als zerstört erfahren. Ähnlich wie der Verstorbene selbst fallen sie aus dieser Welt heraus. Ihr Verlust wird auch für sie zu einem Todesphänomen. 3.5. Die genannten Todesphänomene der Verdinglichung, der Verhältnislosigkeit, des Entzuges von Sinn und der persönliche Weltuntergang lassen sich im Verlust des Seins zusammenfassen. In diesem Zusammenhang ist eine wichtige Unterscheidung notwendig. Sie besagt, der Tod besitze einen ontischen und einen ontologischen Aspekt. Der ontische meint die Zerstörung des Menschen als dieses einen Seienden, die Auflösung der Einheit und Ganzheit einer —»Person. Als vernunftbestimmte Personen sind wir Menschen nicht nur, sondern wir wissen um Sein als um das Allerbekannteste, in dem wir uns mit unseren Gedanken, Reden und Urteilen überall und zu jeder Zeit bewegen (Thomas von Aquino). M a n kann auch mit Heidegger vom Seinsverständnis sprechen, welches jeder Mensch besitzt, weil es ihm in seinem Sein um eben dieses Sein geht. Dieses Verständnis von Sein ist auch in unserem Selbstbewußtsein fundierend anwesend. Wenn wir sagen „Ich bin d a " , so erweisen wir uns damit als um sich selbst Wissende und bezeugen zugleich unser Seinsverständnis. Wir wissen uns selbst in unserm Dasein, unserer Teilhabe am Sein (G. ->Marcel). Im Vorlaufen in den Tod erweist sich aber auch unser Seinsverständnis als endlich. Wir stoßen dann zwar nicht auf das Nichts schlechthin, müssen aber die Möglichkeit unseres persönlichen Nichtseins als eines zukünftigen ernst nehmen. Das ist der ontologische Aspekt des Todes. Er ist die Basis der Angst vor dem Tode als unserem persönlichen, möglichen Nichtsein. 3.6. Ob dieses das wirkliche Nichtsein sein wird, vermögen wir vom Tod her nicht zu entscheiden. Die biologisch zu erhebenden Fakten unseres Ablebens erfassen nur einen Aspekt des menschlichen Todes und stellen ihn in seiner menschlichen Eigenart keineswegs erschöpfend dar. Ziehen wir die Perspektiven des personal verstandenen Todes bei, dann müssen wir sagen: Daraus, daß unsere zeitliche Lebensgestalt im Tod an ihr definitives Ende kommt, folgt nichts hinsichtlich der Frage, ob es begründete Argumente für die -»Hoffnung auf eine Vollendung des Menschen jenseits der Todesgrenze gibt. „Mit dem unendlichen Interesse an einer sinnvollen Gestaltung unseres Lebens sich dem Tod überliefert zu sehen als der sicheren Zukunft, deren Möglichkeiten sich aber verbergen im Dunkel, im Schweigen und die insofern absolut unsicher erscheinen: Das ist die Situation des menschlichen Daseins ... im äußersten Horizont" (Welte 90).

Tod I X

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Literatur Rudolph Berlinger, Das Nichts u. der T o d , Frankfurt a . M . 1972 Dettelbach 3 1 9 9 6 . - Jacques C h o r o n , Death and Western T h o u g h t , N e w York 1963; dt.: Der Tod im abendländischen Denken, Stuttgart 1967. - Martin Heidegger, Sein u. Zeit, Halle 1927. - Eberhard Jüngel, Tod, 1971 ( T h T h 8). - Der Mensch u. sein Tod, hg. v. Johannes Schwartländer, 1976 ( K V R 1426). - Jean-Paul Sartre, L'être et le néant, Paris 1943; dt.: Das Sein u. das Nichts, H a m b u r g 1961. - Georg Scherer, Das Problem des Todes in der Phil., Darmstadt 1 9 7 9 = ' 1 9 8 8 . - Walter Schulz, Wandlungen der Einstellung zum Tode: Der Mensch u. sein Tod (s.o.) 9 4 - 1 0 8 . - Adolf Sternberger, Der verstandene Tod, Leipzig 1934. - Elisabeth Ströker, Der Tod im Denken M a x Schelers: Paul G o o d (Hg.), M a x Scheler im Gegenwartsgeschehen der Phil., B e r n / M ü n c h e n 1975, 1 9 9 - 2 1 4 . - Der Tod in Dichtung, Phil. u. Kunst, hg. v. H a n s Helmut Jansen, Darmstadt 1978 ' 1 9 8 9 . - Bernhard Welte, Dasein als Hoffnung u. Angst: ders., Z w . Zeit u. Ewigkeit, Freiburg i.Br. 1982, 7 2 - 9 6 . - Fridolin Wiplinger, Der personal verstandene Tod, M ü n c h e n / F r e i b u r g i. Br. 1970.

Georg Scherer

I X . Ikonographisch 1. „ E w i g e r " und „zeitlicher" Tod 2. Totentanz und Sterbekunst 3. Totenkopf, Vanitas und M e m e n t o 4. Holbeins Bilder des Todes 5. Bildgattungen der Neuzeit (Literatur S. 638)

1. „Ewiger"

und „zeitlicher"

Tod

Ausgangspunkt der christlichen Todesdarstellung ist die dogmatische Grundannahme, die das menschliche Leben auf eine jenseitige Perspektive bezieht mit der endzeitlichen Entscheidung zwischen „Ewigem Leben" und „Ewigem Tod". Durch die ganze Kunstgeschichte wirkt sich diese fundamentale Verschränkung zwischen dem „ersten" (zeitlichen, körperlichen) und dem „zweiten" (ewigen, seelischen) Tod produktionswie rezeptionsästhetisch aus. Der „Ewige T o d " erscheint visuell innerhalb des Komplexes der „letzten Dinge" in einem traditionell mythisch geprägten Vorstellungsrepertoire von -» Hölle, -»Teufel und dämonischen Monstren. Als blicklenkendes Paradigma hat A. -»-Dürers berühmter Meisterstich von 1513 Ritter, Tod und Teufel (Abb. 1), in irriger Auslegung oft als martialische Antithese der Protagonisten gelesen, den Zusammenstoß der „zwei Welten" mit der Staffelung der Zeitebenen Gegenwart, persönlicher Tod und Höllenstrafe künstlerisch nachhaltig formuliert. Man kann für die Bildgeschichte generell bis in das hohe Mittelalter (14. Jh.) die absolute Dominanz des kollektiv verstandenen „Zweiten" bzw. „Ewigen" Todes im eschatologisch und bußdidaktisch bestimmten Kontext von Sündenprospekt, Warnpredigt und Strafandrohung beobachten. Das epochentypische Bildmuster des ersten Jahrtausends in Ost und West ist der am -»Kreuz als Sieger über den Tod lebend erscheinende Gottessohn, ein trans-narratives Schema der in Christus exemplarisch personalisierten Unsterblichkeitserwartung mit ekklesiologisch-sakramententheologisch legitimierender Heilsrelevanz. Der am römischen —• Herrscherkult orientierte (Tropaion, Triumph) Motivbereich der crux invicta demonstriert diesen religionsgeschichtlich innovativen Erlösungstopos frühchristlicher Glaubensverkündigung gleichermaßen wie die folgende figurale Passionsikonographie, die den besiegten Tod als Drache oder Schlange vergegenwärtigt bzw. in einem unter dem Kreuz plazierten Skelett respektive Schädel exemplifiziert. Hier ist die um Golgatha (Schädelstätte) entwickelte orientalische Legende von -»Adams Grab auf dem Kalvarienberg dargestellt, gelegentlich auch seine prototypisch signifikante Belebung durch das auf ihn rinnende -»Blut Christi. Motivisch eigenständige Personifikationen des „Todes" in diesem Vorstellungsfeld bleiben vereinzelte Sonderfälle (Handschriften des 11. Jh.), als exegetische Allegorie. Demgegenüber setzt mit der Darstellung des körperlichen Todes als Personifikation im 14. Jh. eine bis heute kaum überschaubare Fülle von variationsreichen Bildgestaltungen ein.

636

Tod IX

2. Totentanz und

Sterbekunst

Der gegen 1400 ausgeprägte Haupttypus, der —>Totentanz, präsentiert die Konfrontation je eines Menschen, in hierarchischer Gesellschaftsordnung, mit dem als Gerippe sprechend agierenden Tod. Die Voraussetzungen für die außerordentlich nachhaltig folgenreiche Gattung, in der engsten Motivverschränkung von Wort und Bild, liegen in mittelalterlichen Traditionen der Bußpredigt und aszetischen contemptus mundi ebenso wie der parallel illustrierten Legende der Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten. Das wirkungsmächtige Tanzmotiv läßt die Situation sinnlicher Lebensfülle in den unentrinnbaren Zwang des Sterbens umschlagen. Die ersten Totentänze begegnen als Wandgemälde in Kirchhöfen (Paris; Chaise Dieu; Basel; Lübeck; Reval; Berlin); die im letzten Viertel des 15. Jh. einsetzenden Buchpublikationen, zum Teil direkt auf die monumentalen Zyklen bezogen (am berühmtesten Guy Marchands [erwähnt 14831508] Danse Macabre), leiten mit der drucktechnischen Isolierung einzelner Paare aus dem „Tanz" eine auch konzeptionell gravierende Wandlung ein (Hans Holbein d.J. [1497—1543]). Die visuelle Konfrontation von Mensch und Tod, mittels der Personifikation eine zeitprojizierende Spiegelung, wird im begleitenden Dialog auf die intendierte Didaxe des Warnbildes zugespitzt. Die Ferndimension persönlicher Reflexion und Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Zeit und Ewigkeit resultiert aus dem Ineinandergreifen der Strukturelemente von Text und Bild. Bei immer wachsender Konzentration der persönlichen Heilserwartung auf die Todesstunde als den für das zukünftige Schicksal ausschlaggebenden Übergang vom Leben in ein Jenseits erweist sich die außerordentlich verbreitete Sterbekunst (—>Ars moriendi) als bezeichnendes Frömmigkeitssymptom besonders des 15. Jh., der „Epoche des Makabren" (Huizinga). Die Agonie erscheint als dramatische Entscheidung des sterbenden Menschen zwischen den Bestimmungszielen Himmel und Hölle als ewigen Aufenthaltsorten. In den zahlreichen illustrierten Ausgaben, der „Bilder-Ars", entfalten antithetisch angelegte Kompositionen das Szenario des Sterbenden zwischen Versuchung, Anfechtung, Verzweiflung (wegen der einflüsternden und verlockenden Teufel) und göttlichem Trost (die begleitenden Engel). Die vorbildhaft gruppierten reuigen Sünder (Maria Magdalena, Petrus, David, Dismas) verheißen beim Exitus des Bußfertigen die Aufnahme in den „Himmel" (vgl. Christi Spruch an den neben ihm gekreuzigten Schächer: Heute wirst du mit mir im Paradies sein, Lk 23,43), mit anderen Worten die Überwindung der mors secunda. Benutzt zur erbaulichen Vorbereitung ebenso wie in extremis durch Laien und Geistliche gleichermaßen, ist die „Sterbekunst" ein charakteristisches Dokument der im Spätmittelalter dominanten individuellen Perspektive vom leiblichen Ende auf die seelische Zukunft. Das „Vorhalten" der Bilder an den sterbenden Menschen beleuchtet deren Status als „Sakramente". Die zugrunde liegende Bußfrömmigkeit erstreckt sich auf gegenreformatorische Adaptionen wie -»Rubens' Münchener Gemälde (Christus und reuige Sünder, 1618). Im 15. und 16. Jh. stellt sich die epochentypische Signifikanz der ars moriendi auch in der bekannten ikonographischen Analogie des Marientodes dar, dessen direkte Vorbildfunktion für den Gläubigen in der Privatfrömmigkeit (druckgraphische Einzelblätter, Buchillustrationen) und dem Gemeindekultus (Altarprogramme, vgl. Veit Stoß' Krakauer Marienaltar) vermittelt wurde. Die symptomatische Relevanz der ars moriendi beleuchtet auch ihre Bedeutung für die theologische Suche des jungen Luther (Gerke) im Hinblick auf die Anfechtung des Sünders respektive die Barmherzigkeit Gottes. 3. Totenkopf,

Vanitas und

Memento

In der Unvertretbarkeit des einzelnen Menschen vor Gott wie vor dem Tod berührt sich damit die in der gleichzeitigen Bildnismalerei häufige Einbeziehung eines Totenschädels, wobei in der niederländischen Überlieferung seit Mitte des 15. Jh. (Rogier van der Weyden [1399/1400-1464], Carandolet-Porträt) die Plazierung dieses Vanitasmotivs

Tafel 12

A b b . 1 Albrecht Dürer, Ritter, T o d und Teufel, Kupferstich. Berlin, Kupferstichkabinett (1513)

Tafel 13

a) Vertreibung aus dem Paradies

b) Die Edelfrau

c) Der Ritter

d) Der Krämer

Abb. 2 Hans Holbein d . J . , Totentanz, Holzschnitt. Berlin, Kupferstichkabinett (a), Grapiische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart ( b - d ) , (1526)

Tafel 14

A b b . 3 H a n s Leinberger, T ö d l e i n , B i r n b a u m h o l z ohne Fassung. W i e n , Kunsthistorisches M u s e u m , S a m m l u n g Schloß A m b r a s (1. Viertel 16. J h . )

A b b . 4 R e m b r a n d t H a r m e n s z o o n van R i j n , A n a t o m i s c h e Vorlesung des D r . Nicolaes Tulp, Ö l / L w . Königliches G e m ä l d e k a b i n e t t Mauritshuis Den H a a g (1632)

Tafel 15

Tod IX

637

auf der Rückseite zugleich mit der Zufügung biblischer Belegstellen zur Warnung bzw. Auferstehungserwartung (z.B. Hi 14,lff.) einsetzt. Neben (ähnlich der antithetischen Disposition der „Frau Welt") solcher Kontrastkoppelung (bei Bartholomäus Bruyn [1493-1555] zahlreiche Beispiele) findet sich auch die szenische Konfrontation des Lebenden im Porträt mit dem Tod (Diptychon Basel), manchmal unter Verwendung des Spiegelmotivs (wie in Laux Furtenagels [1505—um 1546] bekanntem Wiener Bildnis von Hans Burgkmair und Frau Anna, 1529). Besonders verbreitet wurde die attributive Verknüpfung der Individualitätspole von Gegenwart und Hinfälligkeit in dem Bildtyp, wo der Dargestellte demonstrativ die Hand auf einen Totenschädel legt — eine humanistischprogrammatische Konvention, zu deren suggestiven Transformationen auch Rembrandts (—>Rijn, Rembrandt Harmeneszoon van) berühmtes Gemälde Aristoteles in Betrachtung der Büste Homers (New York, Metropolitan Museum of Art) gehört. Der Wechsel von einer (dem gleichzeitigen Flügelaltar korrespondierenden) sukzessiven Objekterfahrung (Vorder- und Rückseite eines Bildnisses) zur simultanen Blickerfassung der Zeitkontraste berührt generelle Verlagerungen der Vor- wie Darstellungsart. Das dichteste Beispiel der Wahrnehmungsreflexion an diesem Motiv ist die beziehungsreiche Integration der Totenkopf-Anamorphose in Hans Holbeins d. J . Freundschaftsporträt der beiden französischen Gesandten von 1533 (London, National Gallery; vgl. Hoffmann, Holbein [1975]). Hier umschreitet der Betrachter nicht das Gemälde, sondern erfährt in seiner Annäherung bzw. Entfernung den Übergang von „Leben" zu „Tod". 4. Holbeins

Bilder des

Todes

Auch in seinem unvergleichlich wirksam gewordenen Zyklus Bilder des Todes (Basel 1526, Erstausgabe Lyon 1538), die fast 300 Jahre lang maßgeblicher Ausgangspunkt der Todesdarstellung waren, vergegenwärtigte Holbein den im Leben verborgenen Tod (vgl. Abb. 2). Seit der Auflösung des tradierten Totentanzes (Basel, 15. Jh.), d.h. der auf einzelnen Buchseiten isolierten szenischen Aktivierung der ständespezifischen Dialogpaare zu dramatisch pointierten „Genre"-Bildern, bekommt das alte Wort „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen" (Evangelisches Gesangbuch Nr. 518) eine überraschende Konkretisierung. Dem betroffenen Menschen erscheint der Tod aktuell variiert in seiner alltäglichen Umgebung und seiner sozialen Situation. Der Tod wird dem Menschen, wenn überhaupt, im Sterben sichtbar. Zur Veranschaulichung des im Leben verborgenen Todes verwendet Holbein einen metaphorischen Realismus, der im Zusammenspiel von Bild und Text eine mehrschichtige Aussage als satirisches Instrumentarium erschließt. Der „Realismus", mit dem Holbein den Tod durchweg als Begleiter oder Ersatzmann eines Lebenden rollenmäßig in die Umgebung der Menschen einbezieht, ist in der innerbildlichen Durchdringung von Leben und Tod ein auf den Betrachter bezogenes Verweissystem. Denn im Gegensatz zu dem dargestellten Menschen kann und soll der Bildbetrachter durchgängig den Tod wahrnehmen, wie er sprengend in den Alltag eingreift (vgl. die entsprechende Funktion von Statuetten wie Leinbergers Tödlein, Abb. 3). 5. Bildgattungen

der

Neuzeit

Eine entsprechend umfassende Integration der Vanitasthematik charakterisiert, vor allem in der niederländischen Malerei und Graphik, die in der neuzeitlichen Kunst entfaltete Skala der Bildgattungen: Historie (mit berühmten Exempla etwa zum Tod des Helden oder Philosophen, vgl. besonders N. ->Poussins Darstellungen von Germanicus bzw. Eudamidas und Jaques-Louis Davids [1748-1825] Tod des Sokrates), Porträt (speziell das in der wissenschaftlich einschlägigen Kompetenz typische Einzel- bzw. Gruppenbildnis von Anatomen und Chirurgen, vgl. Abb. 4), Landschaft (als herausragendes Beispiel Jacob Isaackszoon Ruisdaels [1628/29-1682] Judenfriedhof) und, quantitativ hervorstechend, Stilleben (bis hin zu den Prägungen bei Paul Cezanne [1839-1906] und Vincent Willem van Goghs [1853-1890] Zigarette rauchendes Skelett).

638

Tod IX

Eine in der kunsttheoretischen Reflexion gleichzeitig angestrebte wissenschaftliche („akademische") Grundorientierung an „Antike" und „Natur" erscheint in der leitmotivisch signifikanten Bildinvention vom Tod in Arkadien generell thematisiert. Die in bukolischer Szenerie evozierte nostalgische Vision des irdischen Paradieses konfrontiert antikisierende Hirten mit dem Memento Mori (Poussins erste Version in Chatsworth von 1635 nach Guercinos Gemälde [Galleria Corsini, Rom], auf der literarischen Basis von Iacopo Sannazaros [1497-1530] Gedicht Arcadia respektive der elegischen Meditation am Grab [mit der Et-in-Arcadia-ego-Aufschrift, ohne Totenkopf in Poussins späterer Fassung, ca. 1640, Paris, Louvre]). Die in einer sprechend verklärten Naturkulisse vorgestellte Einbindung menschlicher Sterblichkeit übergreift seit dem 17. Jh. jede stilgeschichtliche Polarisierung von klassizistischen und romantischen Tendenzen. Der philologisch-archäologisch gestützte Rückgriff auf die vorchristliche Konzeption des Todes als Genius (->Lessings Schrift Wie die Alten den Tod gebildet, Berlin 1769) begleitet aufklärerische Schübe in Richtung des „natürlichen Todes" ebenso wie der Empfindsamkeit mit „Freund Hein". Die Begründung einer romantischen Bildsprache natursymbolischer Vergänglichkeitsentwürfe (vornehmlich im Werk Caspar David Friedrichs [1774-1840] mit den Motivkomplexen von natur- und geschichtszyklischen Zeichen wie Winter, Ruine und Friedhofstor) erschließt über das ganze 19. Jh. programmatische Verdichtungen von Stimmungsträgern im Symbolismus (Arnold Böcklin [1827-1901], Toteninsel; Max Klinger [1857-1920], Der Tod als Heiland, vgl. Abb. 5). In die Gegenwart führen neben zahlreichen Variationen tradierter Vorstellungsmuster (Totentanz, Triumph des Todes, vgl. etwa James Ensor [1860-1949]; Alfred Kubin [1877-1959]) die mit den neuen technischen Reproduktionsmedien (Fotographie, Film) verfügbaren Ausdrucksmöglichkeiten (Kürzel, Überblendungen, Montage) der fortgeschrittensten Todeserfahrungen (Krebs, Aids, Verkehr). Literatur Philippe Ariès, L'homme devant la mort, Paris 1977; dt.: Gesch. des Todes, München 1980 4 1989. - Ders., Essai sur l'histoire de la mort en Occident du moyen-âge à nos jours, Paris 1975; dt.: Stud. zur Gesch. des Todes im Abendland, München 1976. - Otto Brendel, Unters, zur Allegorie des Pompejanischen Totenkopf-Mosaiks: MDAI.R 49 (1934) 1 5 7 - 1 7 9 . - Dietrich Briesemeister (Hg.), Bilder des Todes, Unterschneidheim 1970. - Friedrich Gerke, Die satanische Anfechtung in der Ars Moriendi u. bei Martin Luther: ders., Reformatio. Beitr. zur Theol. u. Kunst der Dürerzeit. Berlin/ Rom 1930-1935, Mainz 1965 (Gesellsch. f. bildende Kunst Mainz, KS 27). - Alois M. Haas, Todesbilder im MA. Fakten u. Hinweise in der dt. Lit., Darmstadt 1989. - Reinhold Hammerstein, Tanz u. Musik des Todes. Die ma. Totentänze u. ihr Nachleben, Bern/München 1980. - Konrad Hoffmann, Hans Holbein d.J., „Die Gesandten": Albrecht Leuteritz (Hg.), FS f. Georg Scheja, Sigmaringen 1975, 1 3 3 - 1 5 0 . - Ders., Holbeins Todesbilder: Bazon Brock/Achim Preiß (Hg.), Ikonographia. Anleitung zum Lesen v. Bildern. FS Donat de Chapeaurouge, München 1990, 9 7 - 1 1 0 . Johan Huizinga, Herfsttij der middeleeuwen, Haarlem 1919; dt.: Herbst des MA. Stud. über Lebensu. Geistesformen des 14. u. 15. Jh. in Frankreich u. in den Niederlanden, Berlin 1924 Stuttgart '1961 (bes. Kap. XI. Das Bild des Todes, 190-208). - Hans Helmut Jansen (Hg.), Der Tod in Dichtung, Phil. u. Kunst, Darmstadt 1978. - Horst W. Janson, The Putto with the Death's Head: Art Bulletin 19 (1937) 423 - 4 4 9 . - Gert Kaiser (Hg.), Der tanzende Tod. Ma. Totentänze, Frankfurt a.M. 1982. - Franz Link (Hg.), Tanz u. Tod in Kunst u. Lit., Berlin 1993 (Sehr, zur Literaturwiss. 8). - Mensch u. Tod. Graphiksammlung der Universität Düsseldorf. Bestandskatalog bearb. v. Eva Schuster, Düsseldorf 1989. - Bruno Reudenbach, Tod u. Vergänglichkeit in Bildern des SpätMA u. der Frühen Neuzeit: Richard van Dülmen (Hg.), Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume u. Körperbilder 1500-2000, Wien/Köln/Weimar 1998, 7 3 - 8 8 . - Hellmut Rosenfeld, Der ma. Totentanz. Entstehung - Entwicklung- Bedeutung, Münster 1954 Köln 2 1968 (AKuG Beih. 3). - Rainer Rudolf, Ars Moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens u. Sterbens, Köln/Graz 1957 (FVK 39). - Tanz der Toten Todestanz. Der monumentale Totentanz im deutschsprachigen Raum, Red. v. Wolfgang Neumann, Ausstellungskatalog Museum f. Sepulkralkultur, Kassel 1998. - Thema Totentanz. Kontinuität u. Wandel einer Bildidee vom MA bis heute. Mannheimer Kunstverein, Mannheim 1986. - FriedrichWilhelm Wentzlaff-Eggebert, Der triumphierende u. der besiegte Tod in der Wort- u. Bildkunst des Barock, Berlin/New York 1975. - Jean Wirth, La jeune fille et la mort. Recherches sur les thèmes macabres dans l'art germanique de la Renaissance, Genf 1979.

Konrad Hoffmann

Todesstrafe

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Todesstrafe 1. Geschichte 2. Grundzüge der gegenwärtigen Diskussion 3. Strafe und Tod 4. Strafe als symbolische Sprache 5. Gerechtigkeit und Milde (Quellen und Literatur S. 645)

1.

Geschichte

Die vornicänische Kirche hat die Frage der Todesstrafe nicht von der nach den Aufgaben der staatlichen Macht getrennt. Das Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit ermöglichte es ihr, sowohl Mt 5,39 als auch Rom 13,5 Rechnung zu tragen. Einerseits versicherte sie, Christen seien nicht als Soldaten oder Amtsträger mit der Ausführung der Todesstrafe befaßt, und andererseits behauptete sie, ihr Vollzug sei ein Teil der Vorsehungsordnung Gottes. In der alexandrinischen Theologie konnte diese Bejahung der Todesstrafe auch durch philosophische Argumente unterstrichen werden, durch ihre platonische Rechtfertigung als einer chirurgischen Amputation am Leibe des Gemeinwesens und durch ihr stoisches Verständnis als letztmögliche Wohltat gegenüber einem Rechtsbrecher, der einem Leben in Bosheit versklavt ist (-»Clemens von Alexandrien, ström. 1,171,4; 173,2.3). Doch auch Tertullian, der die Eigenständigkeit der christlichen Gemeinschaft am stärksten betonte, sah angesichts der Bedrohung durch —»Marcion die Achtung vor dem mosaischen -> Gesetz einschließlich der lex talionis und der Todesstrafe gefordert. Sie waren vorläufige Zuchtmittel Gottes, die das Evangelium „erfüllt" hat (Mt 5,17); die Verheißung der Vergeltung durch Gott aber machte jetzt die Vergeltungsgerechtigkeit überfällig (Tertullian, Marc. IV,16). Nach der konstantinischen Wende wurde es üblich, daß Bischöfe sich bei den Behörden für verurteilte Gesetzesbrecher einsetzten. Daraus ergab sich ein besonderes Interesse der nachnicänischen Kirche an der Frage der Todesstrafe. Kennzeichnend für ihre Einstellung ist eine dialektische Gegenüberstellung von geltendem Recht und Mitleid, wie sie —• Ambrosius ausspricht: „Die Amtsgewalt hat ihr Recht, doch das Mitleid hat seine eigene Ordnung. Du bist schuldlos, wenn du es tust, verdienst aber Lob, wenn du es nicht tust und doch hättest tun können" (ep. 50[25],3). -»Augustin hat häufig Amtsträger gedrängt, die Todesstrafe aus seelsorgerlichen Gründen zur Ermöglichung der Buße zu vermeiden (z.B. serm. 13,8). Auch weiterreichende Begründungsansätze begegnen. Bei —»Johannes Chrysostomus klingt die Vorstellung an, es könne nur der dem Tod überantworten, der die Toten erwecken kann (stat. 17). Augustin folgerte aus der Geschichte von der Ehebrecherin (Joh 8,2-13), die Verhängung einer solchen —•Strafe verlange unanfechtbar makellose Richter (z. B. tract. in Joh. 33,5). Damit drohte eine problematische Kluft zwischen einem grundsätzlich geltenden Gesetz aufzureißen, das die Todesstrafe zuläßt, und einer Praxis, die durchweg davon abrät. Augustin konnte sogar zu bedenken geben, daß strenge Gesetze nur Abschreckungswert haben; bei einem örtlichen Fall von Menschenraub durch Sklavenhändler fürchtete er, eine tatsächliche strenge Bestrafung, insbesondere die Geißelung, könne von christlichen Bemühungen um einen Rückkauf der unglücklichen Opfer abhalten (ep. 10*,4). Die Alte Kirche war jedoch nicht bereit, die Todesstrafe als unzulässig zu bezeichnen. Das Gebot: „Du sollst nicht töten!" kennt nach einer weiterwirkenden Aussage Augustins Ausnahmen (civ. 1,21), so im Falle derer, „die entweder im allgemeinen ein gerechtes Gesetz oder Gott, der Quell aller Gerechtigkeit, im besonderen zu töten befiehlt." „Die auf Gottes Veranlassung Kriege führten oder als Träger obrigkeitlicher Gewalt nach seinen Gesetzen . . . Verbrecher mit dem Tode bestraften", haben nicht gegen die Zehn Gebote verstoßen. Für diese zurückhaltende, aber deutliche Billigung gibt es eine Reihe von Gründen. Angesichts der Stellung der Kapitalstrafe im Alten Testament könnte ihre Ablehnung in die Nähe Marcions oder des -»Manichäismus rücken. Ein für Ambrosius ins Gewicht fallender, praktischer Grund war die Vorstellung einer möglichen Entartung der Ausübung des Strafrechts. Er konnte keine Amtsträger billigen, die es vorzogen, Angeklagte „im Elend des Kerkers verkommen zu lassen", um der Kirche nicht durch

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Todesstrafe

Hinrichtungen Anstoß zu geben (ep. 50[25],3). Augustin ist sich sicher, daß auch die beklagenswerte Notwendigkeit der Zeugenvernehmung unter der Folter einen „Weisen" nicht von der Ausübung des Richteramtes abhalten sollte (civ. XIX,6). Von einem Provinzialstatthalter auf die Sitte der bischöflichen Fürsprache angesprochen, bestätigt er den Wert „der Verhängung der Todesstrafe durch den Richter" als Abschreckungsmittel, setzt sie aber in ein seelsorgerlich begründetes dialektisches Verhältnis zur „Güte der Fürsprecher und des Schonung Übenden" (ep. 153,16). Im abendländischen Mittelalter gerieten die Bedenken hinsichtlich der Todesstrafe mehr oder weniger in Vergessenheit. Konzilien, Päpste und das Kanonische —»Recht suchten lediglich daran festzuhalten, daß sich die Geistlichkeit nicht an entsprechenden Strafverfahren beteiligen dürfe (Decretum Gratiani c. 29 C. XXIII q. 8 [ = c. 31 des vierten Konzils von Toledo], CIC[L] I, 963f.). Das Hauptaugenmerk der Zeit galt der Begründung einer überparteilichen politischen Macht und wirksamer Gesetze. Die anonyme irische Schrift De duodecim abusivis saeculi (7. Jh.) zählt den Vollzug der Todesstrafe an „Mördern und Meineidigen" zu den Aufgaben eines christlichen Herrschers. -»Johannes von Salisbury stellt aus Besorgnis über die Willkür weltlicher Herrscher Grundsätze auf: Der Fürst hat jeden hinzurichten, den hinzurichten das Gesetz vorsieht (ferire quem lex iudicat feriendum: Policraticus 4,2). In diesem Zusammenhang begegnet in christlichen Vorstellungen erneut das antike Bild einer Abtrennung brandiger Glieder vom Leib des Gemeinwesens (Policraticus 6,26), das dann in der Scholastik des 13. Jh. (z.B. -»Thomas von Aquino, S.th. II-II 64,2) wieder aufgenommen wird. Das Recht zur Verhängung der Todesstrafe ist untrennbar mit den Aufgaben der höchsten politischen Amtsträger verbunden. Der Fürst „hat daher als alleiniger und ausschließlicher Vollstrecker zu gelten, dem es erlaubt ist, Todesurteile auch durch einen untergeordneten Handlanger zu vollziehen" (Johannes von Salisbury, Policraticus; vgl. Thomas von Aquino, S.th. II-II 64,3). Ergänzt wird diese Beschränkung bei Johannes durch die Lehre vom Tyrannenmord: Wer das höchste Amt innehat, ohne Gerechtigkeit zu wahren, ist des Hochverrats schuldig; ihn zu töten ist „billig und gerecht" (Policraticus 3,15). Im 16. Jh. wird diese Beschränkung noch unterstrichen: F. —»Suarez sieht in dem Recht zur Verhängung der Todesstrafe eine ausschlaggebenden Beweis dafür, daß die politische Regierungsgewalt göttlichen Ursprungs ist, da sie aus keinem dem einzelnen von Natur aus zukommenden Recht ableitbar ist. Selbst Vertreter der Radikalreformation konnten „das Schwert" als „eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi" gelten lassen, das „die Bösen straft und tötet" (Schleitheimer Artikel; M. -»Sattler). Zweifel an der Todesstrafe regten sich zeitweilig in Kreisen, die nach christlicher Vollkommenheit strebten. - » I n n o c e n z III. hielt es 1 2 1 0 für erforderlich, daß in einem den -»Waldensern abverlangten Eid ihre Zulässigkeit beteuert wurde, soweit sie auf einem unvoreingenommenen und besonnenen richterlichen Urteil beruht ( D H 9 7 5 ) . Allgemein befaßte man sich mit der Frage ihres Mißbrauchs. Heftige Kritik richtete sich gegen „ G e m e t z e l " , wie - » G r e g o r VII. Bluturteile aus politischen statt aus rechtlichen Gründen wertete (Ep. 8,21). Allerdings wurden mit dem Aufk o m m e n eines körperschaftlichen Staatsverständnisses auch die „Staatsfeinde" zu den der Todesstrafe Verfallenden gerechnet ( T h o m a s von Aquino, S.th. II-II 100,8 ad 3). Weiterwirkende Bedeutung erhält ein im 16. J h . im R a h m e n der reformatorischen Dialektik von Weltlichem und Geistlichem aufgenommenes Motiv. M . - » L u t h e r betont, daß ein Ankläger keinerlei eigene Beweggründe haben und ein Richter keine „ R a c h g i e r " hegen dürfe ( W A 3 2 , 3 9 1 f.), und dem hat sich auch J. - » C a l v i n angeschlossen (Inst. IV,20,10). —»Duns Scotus suchte zwischen einem unbedingten naturrechtlichen Gebot: „ D u sollst nicht t ö t e n ! " und Ausnahmen zu unterscheiden, die auf historisch bedingten speziellen Geboten beruhen (In üb. IV sent. 15,3). E r schloß so eine Kapitalstrafe mit Ausnahme solcher Fälle aus, in denen sie von der heiligen Schrift ausdrücklich vorgesehen ist. Das rief im 16. Jh. eine Reihe von Auseinandersetzungen über das Verhältnis von N a t u r r e c h t und göttlichem R e c h t und über die Frage w a c h , für welche Gesetzesverstöße die Todesstrafe verhängt werden dürfe. F. - » V i t o r i a vertrat die Meinung, alles, was mit der Auslegung des fünften Gebots zu tun habe, falle in den Bereich des Naturrechts und sei von gleicher Tragweite bis hin zur gerichtlichen Verhängung der Todesstrafe über Ehebrecherinnen. Ein naturrechtlicher Ansatz konnte jedoch auch eine Einschränkung der

Todesstrafe

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Kapitalstrafe stutzen: Der Grundsatz der lex talionis konnte zu dem Schluß führen, daß die Todesstrafe allein für Mord angemessen sei. Dementsprechend wandte sich Th. -»Morus gegen ihre Anwendung auf den Tatbestand des Diebstahls, und Luther behauptete aufgrund von Gen 9,6 ihre alleinige Geltung für den Tatbestand des Mordes (WA 11,248), und auch dann ist ihm Calvin gefolgt (Inst. IV,20,10). Reformierte Theoretiker, die sich eher mit der Frage falschen Gottesdienstes als mit dem Tatbestand des Mordes befaßten, gingen darüber hinweg. Die Notwendigkeit, protestantischen Widerstand gegenüber einer katholischen Staatsgewalt zu rechtfertigen, ließ J. -»Knox die mittelalterliche Lehre vom Tyrannenmord wiederentdecken. Er gab zu erwägen, daß die deuteronomistische Gesetzgebung gegen den Götzendienst einen Herrschermord rechtfertige. Spätere reformierte Theoretiker (z. B. -»Beza oder Thomas Cartwright [1535-1603]) wandten sich gegen die Aurfassung anglikanischer und anderer Theologen, das deuteronomistische Gesetz sei überholt. In naturrechtlichem Gewand wurde die Billigung des Herrschermordes aufgrund religiösen Fehlverhaltens auch von einigen romisch-kathohschen Theoretikern (z. B. Suärez) aufgenommen.

An der Wende zum 17. J h . förderte das Zusammentreffen der reformatorischen Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium mit dem neuen Aristotelismus eine Erneuerung der patristischen Dialektik von Gesetzesstrenge und Milde in Gestalt der ¿nieiiCEia oder Billigkeit. William Perkins ( 1 5 5 8 - 1 6 0 2 ) gesteht grundsätzlich die Verhängung der Todesstrafe für Diebstahl zu, stellt sie aber als äußerste gesetzliche Möglichkeit dar, von der die Forderung billiger Mäßigung so weit wie möglich Abstand nehmen lassen soll. H. ->Grotius k o m m t der patristischen Einstellung sehr nahe. Die Verhängung der Todesstrafe steht den politischen Herrschaftsträgern zu, doch sie kommen ihrer Aufgabe am besten nach, wenn sie sie in andere Strafformen wandeln können. Wo keine Vertreter staatlicher Gewalt zur Stelle sind wie z. B. auf hoher See, mag sie ausnahmsweise auch von Privatpersonen zur Wahrung des Gemeinwohls vollzogen werden. Das ist jedoch gefährlich, und es ist besser, die zuständigen Instanzen stellen Schiffskapitänen eine Ermächtigung zum Vorgehen gegen Seeräuber aus und die Strafverfolgung wird durch einen öffentlichen Ankläger aufgenommen. Kein Christ soll von sich aus nach einem Amt streben, dessen Ausübung Entscheidungen über Leben und Tod mit sich bringen kann. Das Verdienst, als erster Theoretiker die Todesstrafe grundsätzlich abgelehnt zu haben, wird für gewöhnlich dem italienischen Rationalisten Cesare Beccana ( 1 7 3 8 - 1 7 9 4 ) zugeschrieben. Er vertrat im Rahmen der Vorstellung des Gesellschaftsvertrages die Auffassung, das Einvernehmen zwischen Individuum und Gesellschaft könne nicht dahingehend verstanden werden, daß sie eine Zustimmung zum Erleiden des Todes einschließt. Seine Argumentation beruht auf der von T h . - » H o b b e s übernommenen Voraussetzung, das Interesse des einzelnen an der Gesellschaft sei sein Selbsterhalt. I. -»Kant hielt dem entgegen, dieses Interesse sei nicht Selbsterhalt, sondern Gerechtigkeit. Wem an Gerechtigkeit gelegen ist, der hat ein generelles Interesse an der Bestrafung von Rechtsbrechern unter Einschluß seiner selbst. Kant sah in der Todesstrafe als Ahndung von M o r d eine sittliche Notwendigkeit und machte dafür geltend, daß im Grundsatz der Vergeltungsstrafe die lex talionis eingeschlossen sei. Das stand in Einklang mit dem zeitgenössischen christlichen Bestreben, die Verhängung der Todesstrafe für geringere Vergehen abzuschaffen und statt dessen ein geordnetes, auf Besserung gerichtetes Gefängniswesen aufzubauen. Der so erreichte Konsens bestand ohne ernstliche Infragestellung bis in die Mitte des 20. Jh.: zurückhaltende Anwendung der Todesstrafe auf Fälle schweren M o r des, die mit einer besonderen sittlichen, ja sogar religiösen Verpflichtung einherging, die anderen Formen des Strafrechtsvollzugs fehlte. (Abgesehen wird hier von Stimmen wie der von L . N . Tolstoi, der sich auf dem Hintergrund einer weitergesteckten Ablehnung staatlicher Gewalt überhaupt gegen die Todesstrafe stellte.) 2. Grundzüge

der gegenwärtigen

Diskussion

Die Erschütterung dieses Konsenses während der zweiten Hälfte des 20. J h . führte in Europa und europäisch beeinflußten Ländern zu dem Bestreben, die Todesstrafe als Mittel der regulären Strafrechtsübung abzuschaffen. Die USA hatten zwar an der ent-

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Todesstrafe

sprechenden Diskussion teil, folgten aber diesem Bestreben nicht. Üblich ist die Todesstrafe weiterhin auch in Ländern unter dem Einfluß des islamischen Rechtes und überhaupt in Ländern außerhalb des westlichen Einflußbereichs. Verfechter der sich wandelnden Auffassung argumentierten häufig eher pragmatisch aufgrund örtlicher Erfordernisse und Möglichkeiten als grundsätzlich. In der Folgegeneration jedoch erhielt die Bestreitung der Todesstrafe ein grundsätzliches theoretisches Gesicht, und ihre weltweite Beseitigung wurde als völkerrechtliche Zielvorgabe gefordert. In den USA dagegen geben sich einzelne Befürworter sowohl ihrer Abschaffung als auch ihrer Beibehaltung immer noch damit zufrieden, den Grundsatz „Leben um Leben" anzuerkennen. Bei christlichen Theoretikern begegnet ein Kreis von Argumenten, der unter dem Einfluß der anthropologischen und theologischen Überlegungen von R . Girard über den Sündenbock stehen. Gesellschaften haben vergeltende Gewalt auf einen symbolischen Vertreter des Bösen geleitet. Christus hat in ausschlaggebender Weise die Rolle des Sündenbocks auf sich genommen. Er hat damit die Übung öffentlicher Vergeltung aufgefangen und zu einem Ende gebracht. Bei dieser Argumentation geht es nicht allein um die Todesstrafe, sondern um Vergeltung überhaupt. Bei ihrer Verwerfung des Vergeltungsmotivs unter Verweis auf das Opfer Christi kommt offenkundig ein eschatologischer Anspruch zum Tragen. Ein Eingehen darauf muß sich mit dem Charakter dieser Eschatologie befassen. Ein ähnliches Problem argumentativer Überbeanspruchung haftet dem naturrechtlichen Ansatz von G. Grisez an. Für ihn verstößt die Todesstrafe gegen die sittliche Regel, daß man nicht Böses tun könne, um Gutes zu erreichen. Wenn aber die Todesstrafe dieses Formalprinzip verletzt, dann tut es auch jede Strafe überhaupt. Die Befürworter der Todesstrafe berufen sich üblicherweise jedoch nicht auf unterstellte gute Folgen ihrer Anwendung, sondern darauf, daß sie als Strafe gerecht sei. Ein Argument, das diesen Anspruch ernst nimmt, bringt K. - » B a r t h bei (KD III/4, 4 9 9 - 5 1 5 [ § 5 5 , 2 ] ) . E r begegnet ihm mit der Feststellung, daß die Todesstrafe als ein Urteil, das bis an die äußerste Grenze geht, es an Demut fehlen läßt. Gewiß erschien es früheren Generationen möglich, die Todesstrafe mit einem lebendigen Gespür für Demut zu üben. Das zeigt sich an dem historischen Brauch, nach dem der Scharfrichter vor der Vollstreckung des Urteils die Verzeihung seines Opfers erbat. Doch Barths Bedenken reichen tiefer als die Frage nach der subjektiven Demut, die einem Richter oder Scharfrichter möglich sein mag - oder auch nicht. Vielmehr haben sie die objektive Tragweite der bewußten Entscheidung im Blick, einem Menschen das Leben zu nehmen. Genau darin sieht Barth einen Mangel an Demut, weil diese Entscheidung endgültig ist.

3. Strafe und

Tod

Das sittliche Empfinden, das davor zurückschreckt, Leben zu nehmen, steht stets in einem dialektischen Verhältnis zu einem Gerechtigkeitsempfinden, das eine entsprechende Vergeltung für das Nehmen von Leben fordert. Diese Forderung läuft nicht notwendig auf die lex talionis hinaus, aber doch auf eine angemessene Bestrafung. Der Gedanke ihrer Verhältnismäßigkeit findet seinen Grund in dem Wissen, daß das Leben begrenzt ist und verkürzt werden kann. Die Sterblichkeit gibt dem Verbrechen und seiner Bestrafung ihre Tragweite; wie jeder ernsthafte Angriff auf die Unversehrtheit mittelbar oder unmittelbar ein Angriff auf das Leben des Opfers ist, so ist jede Bestrafung, sei es als Leibes-, Vermögens- oder Freiheitsstrafe, von der Vorstellung getragen, die dem Satz von Gen 9,6 zugrunde liegt: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch von Menschen vergossen werden." Man kann hier vielleicht von einer anthropologischen Zuspitzung der sprichwörtlichen drakonischen Gesetzgebung (Athen, 7. Jh. v. Chr.) sprechen, die für jeden Bruch des Gesetzes die Todesstrafe vorgesehen haben soll. Die Todesstrafe ist insoweit endgültig, als sie unmittelbar über die Sterblichkeit des Gesetzesbrechers verfügt. Darin unterscheidet sie sich von allen anderen Strafen. Die Kunst der Entwicklung eines zivilisierten Strafrechts liegt in der Ausbildung eines Repertoires differenzierter Zwischenstufen des Zugriffs auf die Sterblichkeit. Eine äußerste Möglichkeit aber ist die Todesstrafe nur als Grenze dessen, was menschliches Vermögen bewirken kann. Gott kann und wird darüber hinaus urteilen und handeln (Lk 12,4; vgl. Mt 10,28). Die Religiosität, die die Todesstrafe in ihrer modernen Ausformung umgibt, muß als unangemessen gelten. Ihre Rechtfertigung oder Verwerfung kann nur

Todesstrafe

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innerhalb der Grenzen der zweiten Tafel des Gesetzes erfolgen, in der es um die Pflichten gegenüber dem N ä c h s t e n innerhalb der weltlichen politisch-gesellschaftlichen O r d n u n g geht. Wenn eine politische Gesellschaft die Todesstrafe aus dem Kreis ihrer strafrechtlichen Mittel streicht, gibt sie damit noch nicht den T o d als äußerstes Z w a n g s m i t t e l zur W a h rung ihrer O r d n u n g auf und kann das auch nicht tun. Wenn das Verbrechen mit regulären Mitteln nicht mehr kontrollierbar ist, greift die Gesellschaft zu dem Ausweg, - » K r i e g dagegen zu führen, und bewaffnete Polizeikräfte übernehmen die Rolle des Vollstreckers. Sonst unterliegt sie der Selbstjustiz und Blutfehde, die Gen 9 , 6 sehr wahrscheinlich in erster Linie im Auge hat. Es ist die vordringliche Aufgabe einer Regierung, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rechts in einer Weise zu wahren, die ein A u f k o m m e n privater - » R a c h e unterbindet. An dieser Stelle den Geltungsanspruch des Strafrechts grundsätzlich einzuschränken wirft allerdings schwierige praktische wie theoretische Fragen auf. Praktisch kann es zu einer erhöhten Bereitschaft des Staates führen, sich auf das Mittel des Krieges zurückzuziehen. Theoretisch untergräbt es das eigentliche Kriegsrecht, das dabei als internationale Ausweitung der Grundsätze des Strafrechts verstanden wird. Eine Neukonzeption des Begriffs des Krieges im Sinne reiner Selbstverteidigung des Staates schließt beunruhigende staatstheoretische Fragen in sich. 4. Strafe

als symbolische

Sprache

Die Zuordnung von Strafen zu Gesetzesübertretungen beruht zwangsläufig auf Konventionen; es gibt dafür keinen objektiven Maßstab. Es hat eine ganze Reihe von Strafrechtssystemen gegeben, die behaupten konnten, der formalen Erfordernis einer Verhältnismäßigkeit der verschiedenen Strafen für unterschiedliche Arten und Grade von Verstößen zu entsprechen. Einige waren strenger, andere milder; doch die Neigung zu Strenge oder Milde beruhte nicht auf Willkür, sondern stand in Beziehung zum Empfindungs- und Handlungsvermögen der jeweiligen Gesellschaft. -»Montesquieu vermerkt: „Die Erfahrung hat gelehrt, daß in den Ländern mit milden Strafen die Bürger durch sie geradeso beeindruckt werden wie in anderen durch harte Strafen" (Vom Geist der Gesetze, übers, u. hg. v. Ernst Forsthoff, Tübingen, I 1951, 121 [Buch 6,12]). Nach dem Grundsatz, den die Römer als lex talionis bezeichnet haben und der seinen bekanntesten Ausdruck in dem Satz: „Auge um Auge, Zahn um Z a h n " aus dem Pentateuch gefunden hat, soll die Strafe in der Zufügung eines der Rechtsverletzung entsprechenden Übels bestehen. Diese Regel bot scheinbar einen objektiven Maßstab für die Entsprechung von Strafe und Vergehen. (Im Gesetz des Pentateuch wird sie nicht als allgemeine Leitlinie zur Bemessung von Strafen entfaltet, sondern nur in einer begrenzten Zahl von Sachzusammenhängen angeführt: Ex 21,23 ff.; Lev 24,20; Dtn 19,21.) Tatsächlich ist die einzige jemals verfochtene Anwendung der lex talionis die Forderung der Todesstrafe für Mord, auch wenn es Stimmen gibt, die meinen, daß augenscheinlich dem „Prügeln von Schlägern, Vergewaltigen von Vergewaltigern und Foltern von Folterern" Gerechtigkeit eignet (Pojman/Reiman). Die Entsprechung von Strafe und Verbrechen muß ein symbolisches Konstrukt sein; man hat es mit unterschiedlichen „Sprachen" des Strafens zu tun, die einer je unterschiedlichen Weise der Empfänglichkeit für die Bedeutung bestimmter Strafmaßnahmen entsprechen. Diese generelle Beschreibung erfaßt auch Sitten wie die von der Scharia geforderte Amputation der Hand als Strafe für Diebstahl, deren Bezug rein symbolisch ist. Diese Beobachtung betrifft nicht nur die Frage von Milde und Strenge. Unterschiedliche Gesellschaften verarbeiten Erfahrungen auf unterschiedliche Weise. Einige sind empfänglicher für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und den Tod, andere wieder für gesellschaftliche Erniedrigung. Diese unterschiedlichen Weisen der Empfänglichkeit sind wiederum nicht willkürlich. Sie werden durch die als Strafmittel verfügbaren praktischen Möglichkeiten und die in der alltäglichen gemeinsamen Erfahrung gründenden Erwartungen an das Leben bestimmt. Die Bedingungen, die das normative moderne westliche Strafrechtssystem geprägt haben, sind Wohlstand und eine bevölkerungsstarke Gesellschaft, die verhältnismäßig wenig durch die Erfahrung gewaltsamen Sterbens erschüttert wird, die Vorzüge eines medizinischen Fortschritts genießt, der den Anblick von Menschen mit starken körperlichen Schmerzen aus dem alltäglichen Gesichtskreis gerückt hat, und die über wirksame, technisch ausgefeilte Kommunikationsmittel verfügt, durch die die Ausbildung eines Systems von Haft- und Geldstrafen erleichtert wird. Diese Bedingungen waren nicht immer gegeben, sind heute nicht allenthalben gegeben und werden ungeachtet eines ideologisch begründeten Fortschrittsglaubens möglicherweise nicht beständig gegeben sein. Weiterhin sind Systeme strafrechtlicher Sanktionen von den sittlichen Einstellungen abhängig, die sie tragen. Eine

644

Todesstrafe

Praxis milder Strafen setzt auch ein gewisses Maß an emotionaler Beherrschtheit voraus. Eine zu maßlosen Zorn- und Rachegefühlen neigende Mentalität dagegen erzeugt in einer davon bestimmten Gesellschaft Druck zugunsten schrofferer Formen der Bestrafung. Das Gegenstück zu der Beobachtung Montesquieus ist die Feststellung -»Gregors d. Gr., daß „Gottes Zorn uns Herrscher zuteilt, die unseren Verdiensten entsprechen" (Mor. 25,16,34). 5. Gerechtigkeit

und

Milde

Systeme vergeltender Strafrechtsfolgen sind relativ. Es gibt jedoch M o m e n t e , die in jedem Fall Kritik fordern: mangelnde Differenzierung nach G r a d e n der Schuld, fehlende Vorkehrungen, ein beiläufiges Betroffensein Unschuldiger gering zu halten, Erniedrigung Verurteilter und Begünstigung ihnen entgegengebrachter Verachtung sowie jeder Versuch einer Strafform, die schwerer wiegt als der T o d . Versuche, die Todesstrafe d u r c h Folter und andere Mittel zu steigern, sind stets Zeichen von Grausamkeit. Sie stellen sich gegen die unausweichlichen Grenzen der Sterblichkeit, die den R a h m e n für eine Vergeltung als strafrechtlicher P r a x i s setzen. Schließlich kann es in Strafrechtssystemen Verzerrungen geben, die in jedem Fall Kritik erfordern: eine gleichgewichtige Behandlung von Eigentumsdelikten und Übergriffen gegen das Leben, eine Gleichgewichtung rechtswidriger Handlungen gegen die Regierung mit einer M i ß a c h t u n g religiöser W e r t e oder eine geringere Gewichtung von Übergriffen gegen Frauen im Vergleich zu Übergriffen gegen M ä n n e r usw. Innerhalb dieser generell gesetzten zwingenden Grenzen hat ein Strafrechtssystem die Aufgabe, ein breites Band gestufter M a ß n a h m e n an die H a n d zu geben, die dem Verbrechen nach dem M a ß s t a b der Verhältnismäßigkeit begegnen können, ohne sich zu schnell auf das äußerste Mittel verweisen zu lassen. Dabei ist es möglich, das aus dem Evangelium begründete Bestehen auf Milde so zu betonen, daß es zum Eintreten gegen die N o t w e n digkeit der Todesstrafe wird. Umreißen die genannten Voraussetzungen die formalen Bedingungen einer gerechten Strafzumessung, so beruht die Neigung zur Milde auf einer bewußten Ausrichtung am Evangelium und bringt sachliche Erwägungen zum Tragen, die Folgen für die Näherbestimmung der Verhältnismäßigkeit von Strafmaßnahmen haben. Dazu gehört die Einsicht, daß der menschliche Richter selbst Sünder ist und der Vergebung bedarf (vgl. M t 1 8 , 2 3 - 2 5 ) , wie auch das Bewußtsein, daß der Gesetzesbrecher stets und nach seiner menschlichen Verurteilung nicht weniger als vorher ein zur Umkehr und zum Glauben geladener Ansprechpartner der G n a d e Gottes ist. Die Forderung nach Milde unterliegt allerdings bestimmten Bedingungen: 1. Sie setzt den Hintergrund einer geordneten Rechtsübung voraus. Das Mittelalter hat die patristische Einstellung nicht weiterführen können, weil sein Bemühen vorrangig dem Aufbau eines geordneten Rechtswesens galt. Nicht anders kann es sein, wo die Regeln eines geordneten Rechts nicht greifen, wie etwa dort, wo Verdächtige gemeinhin bei der Festnahme erschossen werden. 2. Sie muß das Strafrechtssystem als ganzes im Auge haben. 3. Sie kann sich nicht allein an Regierungsorgane richten, sondern muß Teil der Forderung eines allgemeinen Sozialverhaltens sein, das eine milde Strafrechtsübung tragen kann. Ohne Vergebungsbereitschaft und eine geduldige Hoffnung auf Umkehr kann es in der Gesellschaft kein Bemühen um Übeltäter geben, sondern nur unterschiedliche Weisen ihrer Ächtung. Sind aber die nötigen Vorbedingungen gegeben, ist es möglich, mit Augustin überzeugend geltend zu machen, daß ein Absehen von der Todesstrafe die Möglichkeit der Umkehr und Erneuerung erweitert. Das darf allerdings nicht so verstanden werden, daß ein weiterer z.eitlicher Rahmen eine größere Wahrscheinlichkeit der Umkehr in sich schließt; entscheidend ist vielmehr, eine Geduld erkennen zu lassen, die Zeugnis von der Geduld Gottes ablegt. Johannes Paul II. fordert eine Strafjustiz, „die immer mehr der Würde des Menschen . . . entsprechen soll", und kommt zu dem Schluß, daß die Strafe „außer in schwerwiegendsten Fällen . . . nicht bis zum Äußersten, nämlich der Verhängung der Todesstrafe, gehen" dürfe (im lateinischen Wortlaut: . . . absoluta instante necessitate: AAS 86 [1994] 5). Er stellt damit nicht die Todesstrafe schlechthin in Frage, sondern gründet seine Forderung auf die heute gegebenen strafrechtlichen Möglichkeiten und stellt sie in den weiteren Zusammenhang der dem Strafrecht gestellten Aufgabe und des zur Wahrung der Ansprüche des Lebens erforderlichen moralischen Einsatzes. Allerdings wirft diese Stellungnahme die Frage auf, was absoluta necessitas bedeutet. Ein Notstand, der außergewöhnliche Maßnahmen erfordert, ist ein politischer Notstand. Darf die Todes-

Todesstrafe

645

strafe eingesetzt werden, um schwerwiegender politischer Instabilität zu begegnen? Das wäre ein beunruhigender Gedanke. Er würde den Bereich der Strafrechtsübung verlassen und sie als Mittel der Kriegführung behandeln. Die Entscheidung des Obersten Gerichts der USA, die 1976 die Todesstrafe nach einem zwischenzeitlichen Moratorium wieder in Geltung setzte, hat der Notwendigkeit eines geordneten Verfahrens für ihre gerechte Handhabung betont. Eine besonnene Urteilsfindung bedarf einer sorgsamen Verfahrensführung, damit das Urteil nicht willkürlich ist und Launen oder Stimmungen unterliegt. Auch als ultima ratio muß ein Todesurteil sich den Anforderungen einer vernünftigen, in sich stimmigen Rechtsprechung genügen. Innerhalb dieser Vorgaben aber nimmt es eine einzigartige Stellung ein. Es schließt ein Zugeständnis ein, daß die Gesellschaft auf einen Sachverhalt gestoßen ist, der an die Grenze des für sie Faßbaren führt. (Den Begriff der „Grenze" mag dabei ein Hinweis auf massive Kriegsverbrechen oder auf Völkermord veranschaulichen können.) Redet man angesichts der absoluta necessitas von einer Notwendigkeit der Todesstrafe, ist damit wohl ein Punkt angesprochen, der innerhalb der Strafrechtsübung selbst und nicht nur innerhalb des sie tragenden politischen Systems begegnet. Die menschliche Bosheit und die Notwendigkeit, ihr entgegenzutreten, sind nicht immer vorweg vorstellbar, sondern können neue und erschreckende Formen annehmen. Quellen und

Literatur

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Toleranz I

Unters. 22). - Francisco Suärez, De legibus ac Deo legislatore [1612]: Selections from Three Werks of Francisco Suärez, 2 Bde., Oxford 1944 (Classics of International Law 20). - C. L. Ten, Crine, Guilt and Punishment, Oxford 1987. - U.S. Supreme Court, Gregg v. Georgia, 96, S.Ct. 2?09 [1976], - Ernest Van den Haag/John Philips Conrad, The Death Penalty. A Debate, New York 1983. Oliver Michael T i m o t h y O ' D o n o v a n

Toleranz I. Kirchengeschichtlich II. Ethisch

S. 664 S. ¿68

III. Religionsgeschichtlich

I. Kirchengeschichtlich zeit

1. Vorbemerkung 5. Gegenwart

2. Definition und Typologie (Quellen/Literatur S. 659)

3. Alte Kirche und Mittelalter

4. Frühe Neu-

1. Vorbemerkung Der Begriff Toleranz kommt in ganz unterschiedlichen Kontexten vor: In der Medizin für die Widerstandsfähigkeit gegenüber schädlichen Einwirkungen, in der Anästhesie zur Bezeichnung der chirurgischen Narkose, des dritten Stadiums zwischen Exitation und Paralyse, in der Technik für die Differenz von Istmaß und Sollmaß, in der Numismatik für die Abweichung vom gesetzlichen Münzfuß; man spricht von Toleranzdosis im Strahlenschutz, von der Toleranz der Syntax in der Wissenschaftstheorie bei Carnap und Stegmüller, von Toleranzdistanz im Weidwerk, schließlich von Toleranzedikten und Toleranzpatenten in der Politik bzw. in der Geschichtswissenschaft. Da es eine einschlägige, interdisziplinäre Toleranzforschung nicht gibt, an die sich ein methodischer Anschluß empfehlen würde, werden den folgenden theologiegeschichtlichen Erörterungen eine Definition und eine Typologie vorangestellt, die sich aus der Arbeit am historischen Material ergeben haben. Der Artikel beschränkt sich auf die christliche Tradition und innerhalb des Christentums wiederum auf die abendländische Entwicklung. Eine solche Beschränkung rechtfertigt sich dadurch, daß im Abendland im Zeitalter der Konfessionalisierung, in der frühen Neuzeit also, sich eine Situation ergeben hat, die für die Toleranz eine besondere Herausforderung bedeutete. Es mußten nämlich Formen des Zusammenlebens zwischen Personen gefunden werden, die entsprechend dem mittelalterlichen Ketzerrecht eigentlich hätten hingerichtet werden müssen. Man wollte oder mußte also dulden, was eigentlich nicht zu dulden war. In diesem Konfliktfeld hat die Forderung nach Toleranz sich mit anderen Wertvorstellungen wie der Respektierung der Gewissensbindung verquickt, woraus dann die von den Menschenrechten als untrennbar angesehene Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit der modernen westlichen Verfassungen erwachsen ist. Daraus ergibt sich des weiteren, daß der Artikel nicht einfach begriffsgeschichtlich den Verwendungsweisen des Begriffs Toleranz nachgehen kann (für die begriffsgeschichtliche Rekonstruktion vgl. den Art. von Klaus Schreiner/Gerhard Besier: G G B 6 [1990] 445 - 605), sondern vielmehr problemorientiert die wichtigsten Lösungsmodelle zusammenstellen wird, die im Laufe der Kirchengeschichte gefunden wurden, um das explosive Potential zu entschärfen, das sich aus einander ausschließenden Wahrheits- und Heilsansprüchen ergab.

2. Definition und Typologie Toleranz ist ein Konfliktbegriff. Dies wird sofort deutlich, wenn das W o r t nicht nominal oder adjektivisch, sondern verbal verwendet wird: Ich toleriere etwas, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Diesen Punkt nennt m a n gemeinhin Toleranzschwelle, also jenen kritischen Punkt, der markiert, w a s nicht mehr akzeptiert wird, was eigentlich nicht sein sollte oder zumindest unerwünscht ist. Konstitutiv für Toleranz ist also ein Konflikt zwischen Werten bzw. Wahrheitsansprüchen, die sich nicht zur Deckung bringen oder zumindest in ein abgestuftes Verhältnis zueinander setzen lassen. Die Möglichkeiten, mit einem solchen Wertekonflikt umzugehen, reichen von intransigenter, gewaltsamer Durchsetzung der eigenen Überzeugung bis hin zu skeptischer Indifferenz jeglicher Wertesetzung gegenüber. Z w i s c h e n diesen E x t r e m e n erstreckt sich ein breites Spektrum

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Toleranz I

Unters. 22). - Francisco Suärez, De legibus ac Deo legislatore [1612]: Selections from Three Werks of Francisco Suärez, 2 Bde., Oxford 1944 (Classics of International Law 20). - C. L. Ten, Crine, Guilt and Punishment, Oxford 1987. - U.S. Supreme Court, Gregg v. Georgia, 96, S.Ct. 2?09 [1976], - Ernest Van den Haag/John Philips Conrad, The Death Penalty. A Debate, New York 1983. Oliver Michael T i m o t h y O ' D o n o v a n

Toleranz I. Kirchengeschichtlich II. Ethisch

S. 664 S. ¿68

III. Religionsgeschichtlich

I. Kirchengeschichtlich zeit

1. Vorbemerkung 5. Gegenwart

2. Definition und Typologie (Quellen/Literatur S. 659)

3. Alte Kirche und Mittelalter

4. Frühe Neu-

1. Vorbemerkung Der Begriff Toleranz kommt in ganz unterschiedlichen Kontexten vor: In der Medizin für die Widerstandsfähigkeit gegenüber schädlichen Einwirkungen, in der Anästhesie zur Bezeichnung der chirurgischen Narkose, des dritten Stadiums zwischen Exitation und Paralyse, in der Technik für die Differenz von Istmaß und Sollmaß, in der Numismatik für die Abweichung vom gesetzlichen Münzfuß; man spricht von Toleranzdosis im Strahlenschutz, von der Toleranz der Syntax in der Wissenschaftstheorie bei Carnap und Stegmüller, von Toleranzdistanz im Weidwerk, schließlich von Toleranzedikten und Toleranzpatenten in der Politik bzw. in der Geschichtswissenschaft. Da es eine einschlägige, interdisziplinäre Toleranzforschung nicht gibt, an die sich ein methodischer Anschluß empfehlen würde, werden den folgenden theologiegeschichtlichen Erörterungen eine Definition und eine Typologie vorangestellt, die sich aus der Arbeit am historischen Material ergeben haben. Der Artikel beschränkt sich auf die christliche Tradition und innerhalb des Christentums wiederum auf die abendländische Entwicklung. Eine solche Beschränkung rechtfertigt sich dadurch, daß im Abendland im Zeitalter der Konfessionalisierung, in der frühen Neuzeit also, sich eine Situation ergeben hat, die für die Toleranz eine besondere Herausforderung bedeutete. Es mußten nämlich Formen des Zusammenlebens zwischen Personen gefunden werden, die entsprechend dem mittelalterlichen Ketzerrecht eigentlich hätten hingerichtet werden müssen. Man wollte oder mußte also dulden, was eigentlich nicht zu dulden war. In diesem Konfliktfeld hat die Forderung nach Toleranz sich mit anderen Wertvorstellungen wie der Respektierung der Gewissensbindung verquickt, woraus dann die von den Menschenrechten als untrennbar angesehene Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit der modernen westlichen Verfassungen erwachsen ist. Daraus ergibt sich des weiteren, daß der Artikel nicht einfach begriffsgeschichtlich den Verwendungsweisen des Begriffs Toleranz nachgehen kann (für die begriffsgeschichtliche Rekonstruktion vgl. den Art. von Klaus Schreiner/Gerhard Besier: G G B 6 [1990] 445 - 605), sondern vielmehr problemorientiert die wichtigsten Lösungsmodelle zusammenstellen wird, die im Laufe der Kirchengeschichte gefunden wurden, um das explosive Potential zu entschärfen, das sich aus einander ausschließenden Wahrheits- und Heilsansprüchen ergab.

2. Definition und Typologie Toleranz ist ein Konfliktbegriff. Dies wird sofort deutlich, wenn das W o r t nicht nominal oder adjektivisch, sondern verbal verwendet wird: Ich toleriere etwas, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Diesen Punkt nennt m a n gemeinhin Toleranzschwelle, also jenen kritischen Punkt, der markiert, w a s nicht mehr akzeptiert wird, was eigentlich nicht sein sollte oder zumindest unerwünscht ist. Konstitutiv für Toleranz ist also ein Konflikt zwischen Werten bzw. Wahrheitsansprüchen, die sich nicht zur Deckung bringen oder zumindest in ein abgestuftes Verhältnis zueinander setzen lassen. Die Möglichkeiten, mit einem solchen Wertekonflikt umzugehen, reichen von intransigenter, gewaltsamer Durchsetzung der eigenen Überzeugung bis hin zu skeptischer Indifferenz jeglicher Wertesetzung gegenüber. Z w i s c h e n diesen E x t r e m e n erstreckt sich ein breites Spektrum

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möglicher Arrangements, die den Konflikt erträglich machen oder ihn unter Umständen sogar ins Produktive zu wenden vermögen. Intransigenz und Indifferenz sind die beiden Grenzmarken, zwischen denen das Feld der Toleranz sich erstreckt. Es wird vorgeschlagen, drei Typen der Toleranz zu unterscheiden: 1) Die pragmatische Toleranz. Sie verzichtet darauf, den eigenen Werte- und Wahrheitsanspruch durchzusetzen, um eines anderen, momentan höher eingestuften Gutes willen (z. B. Frieden, gesellschaftliche Wohlfahrt). Sie ist die erfolgreichste und am meisten verbreitete Form von Toleranz. Ihrer Realitätsnähe wegen ist die pragmatische Toleranz nicht selten des Opportunismus bezichtigt worden. 2) Die Konsensus-Toleranz. Sie sucht bei aller Divergenz in der äußeren Ausprägung nach Übereinstimmung im Kernbereich, um die nicht vergleichbaren Punkte als sekundär, äußerlich, adiaphorisch zu entschärfen. Der klassische Ort dieser Form der Toleranz sind die -* Religionsgespräche der frühen Neuzeit sowie die philosophische Diskussion um die „-»Natürliche Religion" im Zeitalter der -»Aufklärung. 3) Die dialogische Toleranz. Sie setzt ein vom Historismus geprägtes Bewußtsein voraus, das die Formulierung von Werten und Überzeugungen als zeitbedingt, also historisch und kulturell variabel erkennt. Soweit ein solches Bewußtsein noch religiös verankert ist, weiß es zu unterscheiden zwischen einem unmittelbaren religiösen Ergriffensein und der historisch bedingten Form, in der ein solches Urerlebnis sich artikuliert und mitteilbar wird. Die Auseinandersetzung mit dem Häretiker oder mit dem Andersgläubigen ist nicht mehr apologetisch, missionarisch oder polemisch motiviert, sondern sucht in der ideellen Konkurrenz mit dem Andersgläubigen Austausch, Erweiterung und Bereicherung des eigenen Denkens und Fühlens. Toleranz bleibt angesichts der Aggressivität und Intransigenz, mit der Wahrheitsüberzeugungen und Werteansprüche vertreten werden, prekär. Außerdem leidet Toleranz an einem inneren Widerspruch, der offensichtlich nicht aus der Welt zu schaffen ist und Toleranz zu einem ambivalenten Prinzip macht. Konsequent und ohne Einschränkung angewendet, droht Toleranz, sich selbst abzuschaffen. Aus diesem Grunde bedarf eine tolerante Gesellschaft „intoleranter" Absicherungen, um dadurch imstande zu sein, totalitäre Exklusivitätsansprüche ausgrenzen zu können. Noch größere Gefahr droht der Toleranz von innen her, von der ihr inhärierenden Tendenz zur Indifferenz. Mit der Indifferenz ist der Konflikt konkurrierender Wahrheitsansprüche zwar ein für allemal beseitigt, was bei der Religion allerdings auf Kosten der Motivationskraft geht, die mit ihrem Wahrheitsanspruch verbunden ist. Außerdem sind indifferent gewordene Gesellschaften in ihrer diffusen Motivationslage labil und der Gefahr fundamentaiischer Regressionen, gleich welcher Couleur, mit allen ihren Formen der Intoleranz stets ausgesetzt. Toleranz ist mehr als Indifferenz, aber auch mehr als die klassische Tugend der -»Geduld und des Ertragens; dies ist die spätantike Bedeutung von tolerantia, synonym mit den Begriffen patientia, sufferentia, sustinentia, eine Übersetzung des griechischen bnoixovt}. Toleranz im neuzeitlichen Sinne ist mehr als die Resignation, den anderen nicht vom eigenen Wahrheitsanspruch überzeugt zu haben. Toleranz ist die Kunst, zwischen der Skylla des Fundamentalismus, der ein Glaube ohne Skepsis ist, und der Charybdis der Indifferenz, die eine Skepsis ohne Glauben ist, einen Weg zu finden, um dem Wertekonflikt, ohne den gesellschaftliches Leben unserer historischen Erfahrung nach nicht möglich ist, die zerstörerische Kraft zu nehmen und - so das Ideal - ihn sogar produktiv umzusetzen. 3. Alte Kirche und

Mittelalter

3.1. Kömisches Reich. In der Religionspolitik im römischen Reich (-»Antike und Christentum) gibt es zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits sind entsprechend der kulturellen und ethnischen Vielfalt, die es politisch zu integrieren gilt, Kult und Gottesverehrung weitgehend freigestellt; andererseits glaubt man auf die die Herrschaft stabili-

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Toleranz I

sierende und das Wohlergehen des Reiches garantierende Funktion von Religion, insbesondere in Krisenzeiten, doch nicht ganz verzichten zu können. So legt Cassius Dio in seiner Römischen Geschichte Maecenas, dem Vertrauten des Kaisers Augustus, folgenden Rat in den Mund: „Willst du wahrhaft unsterblich werden, so ... verehre hinfort selbst die Gottheit allenthalben, ganz nach der Väter Sitte, und nötige (aväyKaC,e) auch die anderen, sie zu ehren. Die aber hiervon abweichen, die verabscheue und bestrafe, und zwar nicht allein der Götter wegen (denn wer sie verachtet, wird nichts anderes mehr achten), sondern auch, weil Leute, die an ihre Stelle irgendwelche neuen göttlichen Wesen (Kaivä xIva öaifiövia) setzen, viele dazu verleiten, sich eigene Gesetze zu machen, woraus dann Konspirationen, Spaltungen und Intrigen entstehen, was der Monarchie ganz und gar unzuträglich ist. Dulde deshalb keinen Gottlosen und keinen Zauberer" (Römische Geschichte LH,36,1-2).

Dieser Gedanke, die Religion als Herrschaft stabilisierendes Mittel zu begreifen, hat auch hinter den großen systematischen, auch die Christen betreffenden Verfolgungen (-•Christenverfolgungen) von nicht opferwilligen Bürgern unter Decius, Valerius und Diokletian gestanden. Die Klammer zwischen dem die Herrschaft stabilisierenden Interesse an Religion und der großzügigen Freistellung partikularer Formen der Gottesverehrung bildete die verbreitete philosophische Überzeugung, hinter der Vielfalt religiöser Vorstellungen verberge sich eine höchste göttliche Macht (quicquid divinitatis in sede caelesti, Mailänder Edikt nach Lactantius, mort. 48,2), aus deren Verehrung - welche zeremonielle Form diese Verehrung auch immer annehmen mag — für die Gesellschaft Segen fließt (-»Natürliche Religion). Vor diesem Hintergrund wird auch der Wechsel von der Verfolgungspolitik zur Duldungspolitik unter Galerius (311) verständlich, die dann von -»Konstantin I. dem Großen und Licinius im sog. Mailänder Edikt fortgeschrieben wurde. Die Verbindung von Pflege der alten -»Römischen Religion mit Toleranz gegenüber anderen religiösen Uberzeugungen prägte auch den freilich gescheiterten Restaurationsversuch unter Kaiser Julian. Eine klassische Formulierung dieser spätantiken, religionspluralistischen Vorstellung verdanken wir Quintus Aurelius Symmachus: „Es ist recht, daß wir das, was alle verehren, als ein Wesen betrachten (quidquid omnes colunt, unutn putari). Zu denselben Sternen blicken wir empor, der Himmel ist uns allen gemeinsam, dasselbe Weltall umfängt uns. Was liegt daran, in welcher Lehre jeder die Wahrheit sucht? Auf einem einzigen Weg kann man nicht zu einem so hohen Geheimnis vordringen" (Relatio 111,10).

Dieser philosophisch begründete Religionspluralismus hat sich jedoch auf die Dauer nicht halten können. Bereits die prochristliche Politik Konstantins d. Gr. setzt erneut auf religiöse Uniformität. Mit dem Sieg des Christentums gewinnt dann der Gedanke, daß Gott durch Götzendienst beleidigt wird und mit seiner Strafe zu rechnen ist, die Oberhand, woraus sich die Unvereinbarkeit verschiedener Formen der Gottesverehrung ergibt. Wer sich zum Anwalt der Ehre Gottes macht und diese an eine bestimmte Form der Verehrung bindet, kann nicht zugleich eine tolerante Religionspolitik praktizieren. 3.2. Grundwiderspruch der christlichen Haltung. Grundlegend für das Profil von Toleranz im Christentum sind zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits wird Glaubenszwang gegenüber Nichtchristen (-»Heidentum 1.3.) abgelehnt, andererseits aber werden Häretiker (-»Häresie) in den eigenen Reihen unerbittlich verfolgt. Diese Ambivalenz prägt auch die Haltung -»Augustins: „Es kann jemand [gezwungen werden,] in eine Kirche einzutreten, ohne daß er es will, zum Altar zu treten, ohne daß er es will, das Sakrament zu empfangen, ohne daß er es will; glauben kann er jedoch nur, wenn er es will. Wenn mit dem Körper geglaubt würde, könnte dies gegen den Willen passieren; doch es wird nicht mit dem Körper geglaubt, [sondern mit dem Herzen]" (tract. J o . 26,2).

Toleranz I

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Gegenüber Abweichlern in den eigenen Reihen ist bei Augustin beides zu finden: Duldung (tolerantia) und Zwangsmaßnahmen. Einschlägig für erstere ist eine Passage, die später von einzelnen mittelalterlichen Theologen wie -»Petrus Lombardus und Anselm von Havelberg (gest. 1158) zitiert werden wird: „ D e n n vieles, was zum katholischen G l a u b e n gehört, wird sorgsamer betrachtet, klarer verstanden und eindringlicher geäußert, gepredigt, wenn es durch die schlaue Unruhe der Ketzer in Frage gestellt wird und gegen sie zu verteidigen ist, so d a ß die von ihnen aufgeworfene Frage zum A n l a ß des Lernens w i r d " (civ. X V I , 2 ) .

Folgenreicher in der Rezeptionsgeschichte ist jedoch Augustins Ruf nach staatlichen Zwangsmaßnahmen, die als Mittel zum guten Zweck gerechtfertigt werden: „ W e n n die Kirche, kraft der G e w a l t , die ihr G o t t ... übertragen hat, mit Hilfe der religiösen und gläubigen Könige jene in ihren S c h o ß einzutreten zwingt, die sie auf den Wegen und an den H e c k e n findet [Lk 14,23], d.h. unter den Schismen und den Häresien, so sollen sich jene nicht beklagen, daß man sie gezwungen hat, sondern sollen schauen, wohin man sie treibt. D a s G a s t m a h l des H e r r n , das ist die Einigkeit des Leibes Christi, nicht nur im S a k r a m e n t des Altars, sondern a u ß e r d e m an der Stätte des F r i e d e n s " (ep. 185,24; vgl. auch 1 7 3 , 4 4 . 1 0 ; G a u d 1,25.28).

Diese Ambivalenz prägte bereits die Religionspolitik Konstantins d. Gr. Einerseits gilt das Toleranz-Edikt allen Religionen, andererseits werden gegen kirchlich nicht integrierbare christliche Gruppierungen Zwangsmaßnahmen verhängt. In einem Lehrbrief an die Provinzialen heißt es: „Gleichen Frieden und gleiche R u h e wie die Gläubigen [sc. Christen] sollen a b e r auch die Irrenden erhalten und freudig genießen ... wie sein H e r z will, soll jeder es haben, jeder es halten ... D o c h d a r f keiner mit dem, was er selbst aus Uberzeugung a n g e n o m m e n h a t , einem anderen schaden . . . " (nach Eusebius, v.C. 11,56.60).

Hingegen finden wir die klassische, der Hygiene entliehene Ketzermetaphorik bereits in einem Edikt ausgebildet, das wohl kurz nach 325 erlassen wurde: „ W a s sollen wir also länger solche Frevel [ihr N o v a t i a n e r , Valentianer, M a r k i o n i s t e n , Paulianer, Kataphryger] dulden? Unsere lange N a c h s i c h t bewirkt ja nur, d a ß auch die Gesunden wie von einer pestartigen Krankheit befallen werden. W a r u m also nicht durch öffentlich bewiesene Strenge so rasch wie möglich dieses große Übel sozusagen mit den Wurzeln a u s r o t t e n ? " (Häretikergesetz Konstantins nach Eusebius, v.C. 111,64)

Allerdings lenkte Konstantin gegen die Donatisten (-»Afrika 1.3.4.) ein, was Augustin als ignominiosisstma indulgentia (Augustin, Don. 31,54) verurteilte. Dieses Nebeneinander von Duldung der Ungläubigen und radikaler Verfolgung abweichend denkender Christen wurde um so weniger belastend empfunden, als der legitimierende biblische Bezug diesen Doppelcharakter deckt: Gotteslästerer (Lev 24,15f.), falsche Propheten und diejenigen, die fremde Götter verehren (Dtn 13), sollen mit dem Tode bestraft werden (-•Religionsvergehen); Koexistenz verschiedener Kulte wird mit Mt 6,24 ausgeschlossen; Zwang für einen guten Zweck wird mit Lk 14,23 (compelle intrare) gerechtfertigt; zu einem aggressiven Bekennermut wird in Mt 10,34 ermuntert; zum -»Bann gegen unbußfertige Abweichler in Mt 18,17f. aufgefordert; hingegen verbieten das Unkrautgleichnis Mt 1 3 , 2 4 - 3 0 . 3 6 - 4 3 — es wird seit den Kirchenvätern in Toleranzplädoyers immer wieder zitiert - oder die Empfehlung des Pharisäers Gamaliel an den Hohen Rat (Act 5 , 3 4 - 3 9 ) jegliche Gewalt gegen Häretiker; die -»Goldene Regel (Mt 7,12) oder ganz generell das Gebot der Nächstenliebe (Mt 5 , 4 3 - 4 8 ) sind mit Zwangsmaßnahmen schwer in Verbindung zu bringen (-»Bergpredigt). Über die Exegese Augustins wurde der Doppelcharakter von Duldung und Verfolgung in der theologischen Literatur fortgeschrieben. Auf ihn können sich beide, diejenigen, die für Duldung werben, und diejenigen, die nach staatlichen Zwangsmaßnahmen verlangen, berufen. Noch bei Luther (-»Luther II.8.2.) treffen wir auf beides, auf Ablehnung von Glaubenszwang und Befürwortung von Zwangsmaßnahmen. Erst die methodische

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Hermeneutik (-»Schriftauslegung III.4.-5.) des 16. und 17. Jh. (S. -»Castellio; B. -»Spinoza; P. -»Bayle; s.u. 4.4.) vermögen das Schillernde im biblischen Bezug bezüglich der Toleranz zu beheben. Gewalt gegen Häretiker bei gleichzeitiger Ablehnung von Glaubenszwang gegen Ungläubige war seit den Tagen Konstantins eine natürliche Reaktion darauf, daß die geoffenbarte Wahrheit in ihrer orthodoxen Auslegung offenbar doch keine ausreichende Selbstdurchsetzungskraft besitzt. Da dies aber nicht als Defekt der Wahrheit zugerechnet werden kann, kann dieses Versagen nur mit der Verstocktheit und moralischen Niedertracht des Häretikers erklärt werden (vgl. die Gift- und Krankheitsmetaphorik bei der Schilderung der Häresie; -»Inquisition). Doch auch Ungläubige können sich der christlichen Verkündigung gegenüber verschließen. So ist es dazu gekommen, daß immer wieder Gewalt auch gegen Ungläubige und Juden empfohlen und praktiziert worden ist. Als bekannte Beispiele seien genannt: in der Alten Kirche -»Marius Victorinus und -»Ambrosius, im Mittelalter die Sachsenund Wendenmission (-»Baltikum II.l.; —»Preußen I; -»Sachsen I), vor allem aber das gewaltsame Vorgehen gegen die Juden im hohen und späten Mittelalter (-»Antisemitismus V). 3.3. Häresie als krimineller Akt. Zur Aushöhlung antiker Toleranz hat auch die Juridifizierung religiöser Abweichung beigetragen. Blasphemie, Wiedertaufe und Zauberei hatten als Straftatbestände bereits Eingang in den Codex lustinianus gefunden (-•Religionsvergehen). Bei der Modernisierung des Rechts auf der Grundlage des römischen Rechts im 16. Jh. hat dieser Tatbestand ein trauriges und blutiges Nachspiel erfahren (Hexenverfolgung [-»Hexen]). Eine weitere Intensivierung hat die Juridifizierung geistlicher Vergehen im Mittelalter erlebt. Entsprechend dem Anspruch des hochmittelalterlichen -»Papsttums auf Weltherrschaft (-»Kirche und Staat 11.4.) wurde das Verhältnis von geistlichem und weltlichem Bereich als Stufenordnung gedacht (besonders —»Gregor VII.; —»Innocenz III.; -»Bonifatius VIII.). Die Plausibilität des Steigerungsverhältnisses von weltlich-geistlich (-»Analogie 2.5.) wurde dann auch dazu herangezogen, um ein scharfes Vorgehen gegen den religiösen Abweichler zu legitimieren: Blasphemie ist ein gesteigertes crimen laesae majestatis, Häresie ist gesteigerte Falschmünzerei (-»Thomas von Aquino, S.th. II-II q . l l a.3: peccatum infidelitatis est maius omnibus peccatis quae contingunt in perversitate morum - die Sünde des Unglaubens ist größer als alle Sünden, die bei einem lasterhaften Leben anzutreffen sind), Abfall vom rechten Glauben ist eine gesteigerte Desertion (Luther, W A . T R 6,222, Nr. 6836). 3.4. Religionsgespräche. Im Gegenzug haben vor allem wirtschaftliche Motive und die sich aus ihnen ergebenden interkulturellen und interreligiösen Kontakte toleranzfördernd gewirkt. Die Ansiedlung von Juden im karolingischen Reich (-»Judentum 5.2.) geht auf solche wirtschaftliche Motive zurück. Besonders intensiv war der kulturelle Austausch am Rande der abendländischen Welt, in —»Spanien, in Sizilien, in den Kreuzfahrerstaaten, in Byzanz (-»Religionsgespräche II). Trotz erstaunlicher Phänomene von situativer Toleranz (Roger II. [1101-1154]; -»Friedrich II.; Alfonso X . , elSabbio [12521284]) kam es freilich nicht zu längerfristigen Stabilisierungen. Die intellektuelle Offenheit und die Hochschätzung der -»Vernunft in der frühen -»Scholastik hat aus dieser Begegnung viele Anregungen empfangen. Diese Diskussion blieb jedoch auf wenige Intellektuelle beschränkt (—»Abaelard; Petrus Lombardus; Anselm von Havelberg) und wurde, wie im Fall von Abaelard, nicht selten mit dem Verdacht der Häresie belegt. In der Theologie der Bettelorden gab es eine rege Auseinandersetzung mit Muslimen und Juden (-»Franciscus von Assisi; R. -»Lullus), die jedoch nur zur Vergrößerung der Bekehrungschancen (-»Mission V.6.), nicht aber im Interesse einer Konsensus-Toleranz betrieben wurde. Nur in fiktiven, nicht in den realen Religionsgesprächen (—»Religions-

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gesprache III) finden sich Beispiele von Konsensus-Toleranz. Hier sind vor allem Anselm von Havelberg für das Gespräch mit der Ostkirche {De umtäte fidei et multtformitate vtvendt ab Abel usque ad novissimum electum [1149/50]: PL 188,1139-1248) und Abaelard für das jüdisch-christliche Verhältnis zu nennen. In seinem Dialogus tnter Philosophum, Judaeum et Cbnstianum (ca. 1140) stoßen wir bereits, wie später in der Aufklärung ganz allgemein, auf den Topos einer universellen Ebene der natürlichen Vernunft, die divergierenden historischen Formen der Religiosität zugrunde liegt. Judentum und Christentum gemeinsam enthielten in sich das natürliche Gesetz, das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe, wohingegen die Zeremonien wie -» Beschneidung und -•Taufe sich aus situativem Anpassungsdruck ergeben hätten. Als interreligiöse Toleranz hat sich die Konsensus-Toleranz allerdings erst im Denken der Aufklärung allgemein durchsetzen können. 3.5. Religionspluralismus der -»Renaissance. Wie bei den frühscholastischen Rationalisten bereits erkennbar, setzt die Bereitschaft zur Toleranz die Hochschatzung der Vernunft und das Zugeständnis skeptischer Selbstrelativierung voraus (-»Skepsis/Skeptizismus). Eine entsprechende Einstellung hat Mitte des 15. Jh. -»Nikolaus von Kues dazu befähigt, unter dem Eindruck der muslimischen Erfolge seine Traktate De pace fidet und Cribratio Alcorant zu konzipieren. Grundlegend ist die Idee der KonsensusToleranz: Christentum, Judentum und Islam haben einen Kernbestand gemeinsamer Uberzeugungen, auch wenn die jeweilige Frömmigkeitspraxis ganz unterschiedlich ausfällt. Damit ist der Gedanke einer religio una in rttuum varietate formuliert. Allerdings ist der gemeinsame Kernbestand ganz aus der Sicht des christlichen Dogmas formuliert: -»Trinität, Inkarnation, -»Rechtfertigung sind für den Cusaner unaufgebbare Glaubenswahrheiten. Während Nikolaus von Kues noch an der Idee einer Konsensus-Toleranz festhält, gehen die Florentiner Platomker (M. -»Ficino; G. -»Pico della Mirandola) noch einen Schritt weiter (-»Humanismus/Humanismusforschung 2.7.): Unter dem Primat der Philosophie legen die historischen Religionen allen exklusiven Wahrheitsanspruch ab. Die Flexibilität in der Kombinierbarkeit einzelner, sonst widersprüchlicher Vorstellungen wird durch Allegonsierung erreicht. Die Einheit stiftet das Ziel mystischer Versenkung und das Streben nach Einswerdung mit Gott. Die Toleranz eines solchen Religionspluralismus wird in der -»Utopie des englischen Humanisten Th. -»Morus gut greifbar. Den Aktivitäten miteinander konkurrierender Religionen sind keine Schranken gesetzt außer der Diffamierung des Konkurrenten. Diffamierung bildet in Utopia die religiöse Toleranzschwelle, die nicht überschritten werden darf. Im konfessionellen Zeitalter (-»Katholische Reform und Gegenreformation) konzentrierte sich dann allerdings die Toleranzdiskussion ganz auf innerchristliche Beziehungen, auf Lösungsfiguren für eine Koexistenz von einander ausschließenden Wahrheitsansprüchen (-»Wahrheit/Wahrhaftigkeit). Erst nachdem im -»Pietismus und in der Aufklärung der konfessionelle Dualismus verblaßt war, bekam in der Frühromantik auch der Religionspluralismus (-»Pluralismus) wiederum bei einem stark philosophisch geprägten Theologen seine Chance (F.D.E. -»Schieiermacher 2.1.1. [Reden, 4. Rede]). 4. Frühe

Neuzeit

4.1. Die neue Situation. Die frühe Neuzeit ist das klassische Zeitalter der Toleranzdiskussion. Einerseits versagen die traditionellen Mechanismen der Einheitsstiftung, andererseits ist Religion immer noch ein öffentliches Gut und noch nicht als -»Religionsfreiheit, wie in den modernen Verfassungen, privatisiert. Zum Scheitern des traditionellen Ketzerrechts gegen Häretiker haben eine Reihe ganz unterschiedlicher Faktoren beigetragen wie das neue Medium Buchdruck (-»Buch/Buchwesen III.3.), insbesondere der rasante Umsatz von Flugblättern (-»Flugschriften der Reformationszeit 4.), der humanistische Bildungsschub (-»Schule/Schulwesen 4.3.), die verbreitete Reformstimmung

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mit einem starken romkritischen Unterton bei Intellektuellen wie bei Politikern (—»Reformation 3.2.5.)- Entscheidend war aber wohl, daß Fürsten, Adel und die Ratsherrn der Städte, wesentliche Teile der Führungsschicht (-»Obrigkeit) also, für die von Rom als häretisch eingestufte reformatorische Verkündigung gewonnen werden konnten, die für ihre religiöse Option alle politischen Möglichkeiten zu nutzen vermochten. Die reformatorische Theologie, ob in Wittenberg oder in Zürich, hat dem dadurch Rechnung getragen, daß sie ihren Glaubenssubjektivismus mit politischem Konservatismus zu verbinden wußte. An dieser unwahrscheinlichen Verbindung ist die gegenreformatorische Propaganda, die religiösen Dissens als Vorstufe politischen Ungehorsams den Politikern plausibel machen wollte, gescheitert. Die als häretisch angeprangerten reformatorischen Gemeinwesen waren mindestens ebenso stabil wie die altgläubigen. Die Verbindung von Glaubenssubjektivismus mit politischem Konservatismus brachte es mit sich, daß der sog. „linke Flügel": Spiritualisten, -»Täufer, Neo-Arianer (-»Antitrinitarier) etc. aus den neu sich bildenden protestantischen Kirchenwesen ausgeschieden und die anfangs Verfolgten dann selber zu Verfolgern wurden (vgl. unten 4.4.). Das Ringen um die wahre Kirche endete entgegen den Erwartungen beider Seiten im konfessionellen Patt. Weder kirchlich noch politisch (—»Karl V.) ist es gelungen, die kirchliche Einheit wiederherzustellen. Damit war ein ideales Terrain geboten, die verschiedensten Formen von Toleranz und Intoleranz durchzuspielen. Die territoriale Zersplitterung im Reich und die vielfach unklaren feudalen Relationen und ständischen Beziehungen erhöhten noch beträchtlich die Kombinationsmöglichkeiten (-»Deutschland II.2.). Angesichts der Unversöhnlichkeit, mit der vielfach der jeweils konfessionelle Anspruch vertreten wurde, war eine dauerhafte Lösung des Konfliktes nur durch den Primat der Politik und des Rechts über die Religion möglich. So wurde das Zeitalter der umfassenden Konfessionalisierung zugleich auch das einer beginnenden -»Säkularisierung von bisher religiös regulierten Lebensbereichen. 4.2. Pragmatische Toleranz. Am erfolgreichsten und am weitesten verbreitet war die Praktizierung der Toleranz aus pragmatischen Gründen, unbeschadet der religiösen Prinzipienfrage. Lecler nennt sie Ziviltoleranz. (Wie geläufig die Vorstellung von der pragmatischen Toleranz gewesen ist, zeigt sich auch darin, daß Luther sie auf Gott übertragen konnte. Er benutzt die Vorstellung von einer tolerantia Dei, um das dem sola fide gegenläufige Verhalten Gottes bei der Belohnung guter Werke, die ja den wahren Glauben eher verfälscht, plausibel zu machen. Disputatio de iustificatione: WA 39/1,82-86.) Einschlägig für die Gewährung von Toleranz sind solche Gründe wie Friede, Rechtssicherheit, dynastische Vorteile, wirtschaftliche Vorteile, gesellschaftliche Wohlfahrt. Ein kuriales Gutachten zum -»Augsburger Religionsfrieden sei wegen der griffigen Formulierung als Beispiel ausgewählt. Nachdem die wichtigsten Punkte des Religionsfriedens aufgelistet wurden und ihre Unvereinbarkeit mit der eigenen Rechtsauffassung deutlich gemacht wurde, heißt es abschließend: Et haec quidem contra iuris regulas procedunt. Nisi summus pontifex pro bono pacis et sub spe maioris lucri vellet tolerare in aliquibus (Und dies alles verstößt gegen das kanonische Recht [was eine Verurteilung durch den Papst zur Folge haben müßte]. Es sei denn, der Papst wolle einige Punkte um des Friedens willen oder in der Hoffnung auf einen [anderweitigen] größeren Gewinn tolerieren; Archivio Segreto Vaticano, Armadio LXIV.4,139f., zitiert nach: Repgen 1/2, 2f.). Die Formel: pro bono pacis et sub spe maioris lucri könnte sich auf Thomas berufen (S.th. II-II q.10 a . l l ) , der die Aussetzung der Häresieverfolgung situativer Vorteile wegen empfiehlt. In diesem Sinne, als Mittel der Bestandssicherung, wurde dann ja auch von der kurialen Politik der Augsburger Religionsfrieden benutzt, obwohl er im Prinzip natürlich abgelehnt wurde, eine Ablehnung, die in der Verurteilung des -»Westfälischen Friedens durch die Bulle Zelo domus Dei vom 20. November 1648 explizit wurde. Das entscheidend Neue des Augsburger Religionsfriedens von 1555 gegenüber vorausgegangenen Regelungen ähnlicher Art, wie den verschiedenen „Anständen", wurde

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im eben angeführten päpstlichen Gutachten übersehen: Das bonum pacis soll auch dann höchstes Gut bleiben, wenn die noch immer erwartete kirchliche Einheit nicht erreichbar sein sollte. Vor dem Hintergrund einer europäischen Gleichgewichtspolitik, die das konfessionelle Gleichgewicht wesentlich mit einschließt, wurden diese Augsburger Bestimmungen im lnstrumentum pacis Westfalicae bestätigt, präzisiert und in vielen Punkten erweitert (Ausdehnung auf Reformierte, Respektierung des Gewissens und der Religionsfreiheit in der devotio privata des Hausvaters, s.u. 4.5.). In Frankreich (-»Frankreich III) ist die Lösung des konfessionellen Konfliktes durch eine pragmatische Toleranz, obwohl der politische Wille gegeben war (Michel de L'Hopital [1504-1573]) und entsprechende Edikte auch erlassen worden sind, erst nach einem jahrzehntelangen blutigen Bürgerkrieg (-»Hugenotten) gelungen. In den -»Niederlanden war die pragmatische Lösung, die hier auch ganz offen mit wirtschaftlichen Gründen vertreten wurde, nur in den von Spanien abgefallenen nördlichen Provinzen durchsetzbar. Die pragmatische Toleranz der politisch Verantwortlichen mußte hier jedoch immer wieder gegen die durch die -»Dordrechter Synode gestärkten reformierten Prediger durchgesetzt werden (-»Arminius). In England (-»England IV) setzte sich im Verlauf der Verfassungskämpfe der 40er Jahre des 17. Jh. die independistische Auffassung durch, daß religiöse Dinge und Gottesverehrung keiner menschlichen Verfügungsgewalt, auch nicht der Obrigkeit unterliegen können. Mit der Bill of Rights, die Wilhelm von Oranien 1681 erließ, hat sich diese Auffassung durchgesetzt. Allerdings blieben Katholiken und Antitrinitarier auch weiterhin von dem Genuß dieser Religionsfreiheit ausgeschlossen. 4.3. Konsensus-Toleranz. „Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden ..." (CA VII: BSLK 61,8-16). Ziel der -» Religionsgespräche, sofern sie nicht als Vorwand für andere Absichten wie Konfessionswechsel, künftige Zwangsmaßnahmen gegen Abweichler u.ä. veranstaltet wurden, war es, sich mit dem religiösen Kontrahenten auf einen Kernbestand essentieller Überzeugungen zu einigen und die unverglichenen Punkte als adiaphorisch anstehen zu lassen. Humanistische Gelehrte, die sich der via media verpflichtet fühlten, versuchten, diesen Kernbestand neben der Heiligen Schrift in den Lehren der Kirchenväter, im consensus quinquesaecularis, festzumachen. Daß die Religionsgespräche, die solche Konsensus-Toleranz zum Ziele hatten, so wenig erfolgreich waren, lag nicht allein an mangelnder Verständigungsbereitschaft der Theologen, die z. B. in den Augsburger Ausgleichsverhandlungen 1530 (-»Augsburger Bekenntnis) und in Regensburg 1541 (-»Regensburger Buch) große Leistungen erbracht haben. O f t genug waren es ganz andere als theologische Interessen, die sich hinter religiösen Uberzeugungen verbargen. Andererseits ist das Bedürfnis, gerade Äußerlichkeiten wie z. B. Laienkelch, Priesterehe, Fastengebote als identitätsstiftende Unterscheidungsmerkmale zu gebrauchen, nicht zu übersehen. Bezeichnend ist die Reaktion der -»Gnesiolutheraner gegen den kompromißbereiten -»Melanchthon im Kontext des Leipziger Interims (-»Interim 3.): Nihil est adiaphoron in casu confessionis et scandali, womit jeder Konsensus-Toleranz der Garaus gemacht ist (M. -»Flacius Illyricus). Von erheblichem Erfolg war hingegen die Konsensus-Toleranz in -»Polen. Im Consensus von -»Sandomir (1570) gelang nach vorbereitenden Anstrengungen von J. -»Laski, als Gegengewicht gegen die von S. -»Hosius eifrig betriebene Gegenreformation, die gegenseitige Anerkennung von Lutheranern, Reformierten und -»Böhmischen Brüdern. Die große Zeit der Ausbreitung protestantischer Ideen in Polen fällt in die Zeit der liberalen Religionspolitik von Sigismund II. August (1548-1572), der dem Adel in seinen Bezirken die religiöse Option freistellte. Sodann hatten sich seit ihrer Vertreibung

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durch -»Ferdinand I. die Böhmischen Brüder in zahlreichen Orten Großpolens niedergelassen. Polen war wie das unter türkischer Oberhoheit stehende -»Siebenbürgen zu einer klassischen Zufluchtstätte religiös Verfolgter geworden. Die mit dem Consensus von 1570 angestrebte Union der reformatorischen Kirchen kam allerdings nicht zustande. Die letzte gemeinsame Generalsynode, die den Consensus von 1570 nochmals bestätigte, fand 1595 in Thorn statt. Vorherrschend bleibt als prägender Zug auch in Polen die pragmatische Toleranz. Die Warschauer Konföderation von 1573, die zwar auf den Consensus von Sandomir verweist, ist ein vornehmlich politisches Instrument, dessen Bestimmungen in die Wahlkapitulationen aufgenommen wurden. Sie sichert den Adeligen völlige Bekenntnisfreiheit zu, die mit dem Verbot von Strafmaßnahmen und Vermögenskonfiskationen aus religiösen Gründen abgesichert wurde. Unter solchen Voraussetzungen konnten selbst die von Katholiken und Protestanten in gleicher Weise verurteilten und in fast ganz Europa hart verfolgten -»Antitrinitarier als ecclesia minor in Raköw bei Sandomir einen geistigen Mittelpunkt für ihren christlichen Rationalismus aufbauen, der unter F. -»Sozzini seinen Höhepunkt erlebte, bevor die gegenreformatorischen Zwangsmaßnahmen des 17. Jh. dann doch ihre Vertreibung durchsetzen konnten. Auch wenn der historische Erfolg ausgeblieben ist, bleibt die Idee einer KonsensusToleranz das Ideal humanistisch inspirierter Theologen auch über das 16. Jh. hinaus (David Pareus [1548-1622] in -»Heidelberg; J.V. -»Andreae in Württemberg; G. -»Calixt in -»Helmstedt; Johannes Crocius [1590-1659] in -»Marburg, u.a.). Erfolgreicher als die Religionsgespräche war eine andere Form der Konsens-Toleranz, die die Essenz des Christentums in der praxis pietatis sieht. Aus der Akzentuierung der praktizierten Frömmigkeit ergibt sich eine Adiaphorisierung des Dogmas und der Lehre, wie sie für die Reformatoren nicht vorstellbar gewesen ist (vgl. z. B. Martin Luther in seiner Deuteronomium-Vorlesung von 1525, WA 14,669: Charitas omnia suffert, omnia tolerat, fides nihil suffert et verbum nihil tolerat, sed perfecte purum esse debet verbutn - Die Liebe erduldet alles, sie toleriert alles; der Glaube erduldet nichts, und das Wort Gottes toleriert nichts, sondern das Wort muß vollkommen rein sein). Angefangen bei -»Erasmus bis hin zu G.E. -»Lessing hat diese Frömmigkeits-Toleranz viele Anhänger gefunden, unter den humanistischen Rationalisten allemal (vgl. u. 4.4.), aber auch unter Vertretern der Reformorthodoxie, der lutherischen Frömmigkeitsbewegung — J. -»Arndts Vier bzw. Sechs Bücher vom wahren Christentum wurden bis weit ins 18. Jh. immer wieder neu aufgelegt — und schließlich im Pietismus. Griffig kommt der Wunsch nach toleranter Frömmigkeit in dem im 17. Jh. immer wieder zitierten M o t t o in necessariis unitatem, in non-necessariis libertatem, in utrisque charitatem zum Ausdruck (Rupertus Meldenius [1582-1651], Gregor Frankius, Conrad und Johann Bergius [-»Frankfurt a.d. Oder 3.], später auch J. -»Durie und R. -»Baxter). In der Aufklärung wird der Kernbestand an gemeinsamen religiösen Überzeugungen, der die Einheit bei unterschiedlicher religiöser Praxis stiftet, immer mehr durch einen Kernbestand allgemeiner philosophischer bzw. moralischer Überzeugungen ersetzt. Gegenüber der natürlichen Religion werden die historischen Offenbarungsreligionen (-»Religionskritik) insgesamt schließlich adiaphorisch, und ihre Konkurrenz wird zu einen friedlichen und produktiven Wettstreit in der Frömmigkeit, „vor Gott und Menschen angenehm zu machen", umgebogen (Lessing, Nathan der Weise, Ringparabel). 4.4. Toleranz versus Glaubenszwang. Die Ausnahmeregelungen für das Verhältnis der großen Konfessionen zueinander, die die pragmatische Toleranz unter dem Primat des politischen Friedens ihnen einzuräumen wußte, hat nicht zu einer Veränderung in der Einstellung der Konfessionen zum häretischen Abweichler geführt (-»Bann V). Entgegen toleranter Ansätze des frühen Luther (insbesondere Obrigkeitsschrift, Teil II) werden auch von den protestantischen Kirchen harte Strafen insbesondere gegen die Täufer gefordert (vgl. Wittenberger Gutachten für -»Philipp von Hessen von 1536:

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WA 50, 8 - 1 5 ) . Dank breit gefächerter obrigkeitlicher Zuständigkeiten hat es allerdings immer wieder in erstaunlicher Vielfalt, insbesondere in Städten, Schlupflöcher für Abweichler gegeben. Die Hinrichtung des spanischen Gelehrten M . -»Servet, die -»Calvin in -»Genf betrieben hat, macht deutlich, wie stark die Vorstellung von der Häresie als pravitas, als heimtückisches Gift, vor dem man unschuldige Seelen schützen muß, auch in der protestantischen Mentalität verbreitet war. Der Scheiterhaufen in Genf war der Anlaß für die Abfassung einer Schrift, die man als Klassiker evangelisch-humanistischer Toleranzgesinnung bezeichnen kann: De haereticis, an sint persequendi. Castellio hat diese Sammlung von Texten aus der Feder reputierter Theologen von Augustin bis Luther 1554 anonym in Basel herausgebracht. Der Gegenschrift von Th. —»Beza De haereticis a civili magistratu puniendis folgt dann noch Castellios Traktat De haereticis ... non puniendis, der allerdings nur als Manuskript Verbreitung fand und erst 1971 im Druck erschienen ist. Castellios Toleranzschriften, in denen als biblischer locus classicus das UnkrautGleichnis in M t 13 eine zentrale Rolle spielt, wurden in der Schweiz, in Süddeutschland, in England und in Polen viel diskutiert. Zu einer regelrechten Castellio-Renaissance kam es während des Remonstrantenstreites in den Niederlanden. Hervorzuheben ist dabei der Späthumanist Dirck Volckertszoon Coornhert (1522-1590). Bis ins 18. Jh. hinein, solange die Toleranzdiskussion unter christlichem Vorzeichen geführt wurde, bezog man sich gern auf Castellio (R -»Bayle; G. -»Arnold; J.L. -»Mosheim; J.J. -»Wettstein). Erst als das Christentum als identitätsstiftend zugunsten der Philosophie zurücktritt, gerät Castellio in Vergessenheit. Bayle tritt mit seinem Commentaire philosophique als Anwalt der Toleranz an seine Stelle. 4.5. Die Respektierung des Gewissens. In der Toleranzdiskussion der frühen Neuzeit nimmt die Respektierung des Gewissens (-»Gewissen III) einen immer breiteren Raum ein. Der Rekurs auf das Gewissen ist so lange unproblematisch, wie an einer Kontinuität von objektiver und subjektiver Wahrheit festgehalten wird, solange also die Bindung an das Gewissen argumentativ erschließbar bleibt. Luther, bei dem die Gewissensbindung eine besondere Rolle spielt (K. -»Holl), verlangt nicht die Anerkennung seiner subjektiven Gewissensentscheidung als solcher, sondern die Anerkennung seiner exegetisch und vernünftig begründeten Entscheidung, an die er sich im Gewissen gebunden fühlt, solange er nicht eines Besseren belehrt wird. Die Respektierung des Gewissens wird erst da zum Problem, wo die Gewissensbindung auch dann noch anerkannt bleibt, wenn sie gegenüber der allgemeinen Überzeugung, gegenüber dem, was als. Wahrheit gilt, zu abweichenden Ergebnissen führt, d.h. wo der Verpflichtungscharakter auch des irrenden Gewissens anerkannt bleibt. Lange vor Luther, in der Frühscholastik, wurde dieses Problem bereits formuliert. Abaelard mußte dafür die von -»Bernhard von Clairvaux betriebene Verurteilung des Konzils von Sens 1140 hinnehmen (DH 729). Thomas versuchte, dem Problem seine Schärfe zu nehmen (S.th. I-II. q. 19, a. 6). In der frühen Neuzeit sind es dann nicht die Theologen, sondern die Pragmatiker des Alltags, die Juristen und Politiker, die hier innovativ werden. Unterschiedliche Ergebnisse bei Befolgung des Gewissens werden im Abschied von Speyer 1526 eingeräumt, in Augsburg 1555 festgeschrieben (-»Reichstage der Reformationszeit): Ein Stand soll den anderen in Sachen der Religion nicht „wider sein conscienz, gewissen und willen ... tringen oder ... beschwären oder verachten" (§ 15). Allerdings kamen zunächst nur die Fürsten in den Genuß der Gewissensfreiheit und auch nur, wenn sie für eine der beiden anerkannten Konfessionen optierten. Nur ansatzweise findet im ius emigrandi auch das Gewissen des Untertans Anerkennung. Bei besonnenen Politikern wie bei Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg (reg. 1539-1592) kann man bereits im 16. Jh. den Gewissensrespekt allgemein formuliert finden. Brandenburg sichert 1610 den Ständen in Jülich-Kleve-Berg in den die Religionspolitik betreffenden Reversalien die Verschonung von Gewissensbeschwerung zu, wodurch - bei

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wohlwollender Auslegung - auch den bisher von allen Duldungserlassen ausgeschlossenen Täufern Toleranz eingeräumt wird. Schließlich wird im Westfälischen Frieden neben dem freien Zugang zum exercitium publicum der reichsrechtlich zugelassenen Konfessionen dem Hausvater das Recht eingeräumt, seinem Gewissen folgend eine entsprechende devotio privata zu pflegen. Im 18. Jh. rücken die Begriffe Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit und Toleranz immer näher zusammen, so daß sie schließlich wechselweise füreinander stehen können (politische Testamente der Hohenzollern [-»Brandenburg II.3.]; Toleranzpatent Josephs II. [-»Josephinismus]; Allgemeines Preußisches Landrecht, 1791/94). Bereits 1670 veröffentlicht in den Niederlanden, die in Sachen Toleranz im 17. Jh. eine Vorreiterrolle einnehmen, der jüdische Gelehrte -»Spinoza seinen religionspolitischen Traktat. Dieses Buch ist für die biblische Hermeneutik ebenso wegweisend wie für die politische Theorie: Es ist das Ziel Spinozas zu beweisen, daß nur tolerante Gemeinwesen stabil sein können. Damit ist das alte Vorurteil, mit dem seit der Antike immer wieder bei den Mächtigen für Intoleranz geworben wurde, nämlich religiöse Abweichung sei die Vorstufe zum politischen Ungehorsam, widerlegt. Was Spinoza in umfassender Weise zum Programm erhob und mit zahlreichen, vor allem biblischen Belegen ausstattete, war nüchternen Politikern längst plausibel. Schon 1530 wurde in Deutschland darauf aufmerksam gemacht, daß in Böhmen seit längerer Zeit unterschiedliche christliche Gruppierungen friedlich nebeneinander existierten. Über zwei Jahrhunderte hinweg kommt es zu einem ständigen Auf und Ab in der Toleranzdiskussion. So werden im späten 18. Jh. in den geistlichen Territorien des Reichs wirtschaftliche Argumente für Toleranz modern, die in den Niederlanden bereits in den 60er und 70er Jahren des 16. Jh. propagiert worden waren. Mit der Idee der allgemeinen Menschenrechte ist dann eine neue Stufe erreicht. Was im Westfälischen Frieden noch dem Hausvater vorbehalten war, wird in den Menschenrechten des späten 18. Jh. (Bill of Rights, Declaration des droits de Phomme) jedem Menschen qua Mensch zugestanden (-»Menschenrechte/Menschenwürde). In der zeitgenössischen Theologie, etwa in der Neologie bei J.S. -»Semler, ist diese Haltung durchaus anerkannt und mit Hilfe der Differenzierung von privater und öffentlicher Religion auch umgesetzt. 5.

Gegenwart

5.1. Religionsfreiheit als Verfassungsrecht. Mit der Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Kultfreiheit in den modernen Verfassungen seit der -»Französischen Revolution (-»Menschenrechte/Menschenwürde; -»Religionsfreiheit) ist der Typus der pragmatischen Toleranz obsolet geworden. Toleranz ist prinzipiell gesehen kein Problem mehr. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß Toleranz in der gesellschaftlichen Praxis auch durchgesetzt wäre. Die Juden im Gebiet des deutschen Bundes müssen noch Jahrzehnte auf ihre verfassungsmäßige Gleichstellung warten, und daß sie dann auf kommunaler Ebene auch tatsächlich voll durchgesetzt wurde, war damit immer noch nicht garantiert. Die römische Kirche setzt ihre ganze Autorität gegen eine verfassungsmäßige Garantie der Religions- und Gewissensfreiheit ein. Gregor XVI. nennt es in seiner Enzyklika Mirari vos vom 15. August 1832 ein deliramentum, libertas conscientiae zu fordern (QGPRK [ 4 1924] 439). In den orthodoxen Kirchen Osteuropas, insbesondere auf dem Balkan, kommt es im 19. Jh. zu autokephalen Nationalkirchen, deren exklusive nationale Aggressivität teilweise bis heute andauert (-»Orthodoxe Kirchen 3.1.). Die totalitären Regime des 20. Jh. zeigen, daß man mit intoleranten Regressionen, auch im religiösen Bereich, jederzeit rechnen muß. In solchen Situationen kommt dann auch die pragmatische Toleranz wieder zu Ehren, etwa bei der Frage, inwieweit eine Kooperation mit totalitären Regimen oder Gruppen pro bono pacis legitim ist. Die gleiche Frage stellt sich auch im Umgang mit Gesellschaften, die die westeuropäische Entwicklung hin zur Religions- und Gewissensfreiheit gar nicht durchgemacht haben, mit denen wir es aber im Zuge der Globalisierung immer häufiger zu tun haben werden.

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Die Mondialisierung, die nach 1945 einsetzt und die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Ende der achtziger Jahre sich rasant entwickelt, konfrontiert uns ständig mit fundamentalistischen Tendenzen, die wiederum tolerante Gesellschaften dazu herausfordern, über die Grenzen der Toleranz nachzudenken (s.u. 5.5.). 5.2. Christentum und Religionsfreiheit. Kirchen und Theologien haben ganz unterschiedlich auf die konstitutionell garantierte Religions- und Gewissensfreiheit reagiert. Im Zuge der romantischen Reaktion und des -»Ultramontanismus hat sich der römische Katholizismus ganz auf eine antimodernistische Linie eingeschworen. Das führte dazu, daß auch außerreligiöse, inzwischen säkular gewordene Themen als Häresien behandelt wurden (vgl. Syllabus errorum [-»Syllabus], Antimodernisteneid). So mußte die mit der konstitutionellen Freistellung von Religion und Gewissen verbundene Säkularisierung von -»Ehe, -»Familie und -»Schule kirchlichen Ansprüchen gegenüber regelrecht abgetrotzt werden, ein Prozeß, der sich über den —»Kulturkampf hinaus bis weit ins 20. Jh. erstreckt und - wie die Diskussion um den -»Schwangerschaftsabbruch zeigt - immer noch nicht abgeschlossen ist. Zum Thema Religions- und Gewissensfreiheit im engeren Sinne hat die römische Kirche im -»Vatikanum II jedoch ein positives Verhältnis gefunden (vgl. Dignitatis humanae personis). Auch hat der traditionelle, diffamierende Häresiebegriff einer positiven Verhältnisbestimmung zu den anderen Konfessionen wie zur -»Ökumene insgesamt Platz gemacht (vgl. Lumen Gentium). Allerdings gab es bereits im 19. Jh. einzelne Theologen wie z.B. J.J.I. -»Döllinger, die das Thema Häresie ganz dem diffamierenden Kontext kirchlicher Verurteilung entzogen, um den Irrtum positiv als Chance für eine präzisere Explikation der Wahrheit zu deuten. Das Schicksal Döllingers zeigt, daß es sich dabei eher um intellektuelle Außenseiter als um typische Vertreter der Kirche handelte. Im -»Protestantismus ist die Art und Weise, wie mit der konstitutionell garantierten Religions- und Gewissensfreiheit umgegangen wurde, naturgemäß vielfältiger. Einen Durchbruch zu einem toleranten Grundverständnis im Sinne der Konsens-Toleranz hat es nicht gegeben. Die noch den Geist der Aufklärungstheologie atmenden -»Unionen im frühen 19. Jh. wurden von den Kirchen nicht zugunsten der Ausarbeitung eines Konsenses in den zentralen Lehrpunkten genutzt. In der -»Liberalen Theologie hat sich der mit der Toleranz verbundene Wertekonflikt gänzlich zugunsten einer philosophisch-ethischen Wesensbestimmung des Christentums historisiert und damit relativiert. Entsprechend kann A. von -»Harnack den Begriff Toleranz als ein „hochmütiges und intolerantes Wort" bezeichnen, das der „Gemeinschaft der Seelen und der Geister" in der Gegenwart nicht mehr angemessen sei (Reden und Aufsätze. Neue Folge, Gießen, I 1911, 233f.). In konservativen Kreisen hingegen kann eine solche Position nur als religiöser Indifferentismus eingestuft und bekämpft werden. Dem schlechten Toleranzverständnis der Gegenwart hält man den biblischen Begriff des Erduldens und Ertragens dessen, was man nicht ändern kann, entgegen. Die -»Dialektische Theologie hat dann wieder den Mut, die religiöse Verwendung des Toleranzbegriffs insgesamt zu kritisieren und die Wucht des richtenden Wortes Gottes der als Häresie kritisierten anthropologischen Auflösung der Offenbarung in der liberalen Theologie entgegen zu halten. 5.3. Ökumene. Im Zuge der ökumenischen Bewegung ist die Konsens-Toleranz erneut zu großen Ehren gekommen. Life and Work schließt eng an das an, was oben Toleranz der praktischen Frömmigkeit genannt wurde. Schwieriger ist es, auch auf der Ebene der doctrina den Konsens voranzutreiben, was sich Faith and Order zum Ziel gesetzt hat. Wie zäh und wie problematisch Konsens-Diskussionen auf der Ebene der Lehre sind, haben auch die römisch-lutherischen Verhandlungen über die Rechtfertigungslehre gezeigt, deren Ergebnisse am 31. Oktober 1999 in Augsburg vorgestellt wurden. Aber auch wenn man sich darauf beschränkt, einem Konsens in der praxis pietatis, in Life

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and Work, herbeizuführen und auszubauen, kann es zu konfliktreichen Spannungen zwischen den Kirchen kommen. Dies zeigen die Diskussionen auf den ökumenischen Vollversammlungen insbesondere der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jh. Die Bemühungen im Rahmen der sog. großen Ökumene, einer Ökumene der Weltreligionen, sind gleichfalls dem Typus der ethisch orientierten Konsens-Toleranz zuzurechnen. 5.4. Dialogische Toleranz. Globalisierung und Migrationswellen größeren Stils sind dabei, unsere Gesellschaft in ein multikulturelles und multireligiöses Gemeinwesen zu verwandeln. Dies hat dazu geführt, über die aus der konfessionellen Parität erwachsene, verfassungsmäßig garantierte Religions- und Gewissensfreiheit hinaus das Ideal einer interkulturellen und interreligiösen Begegnung zu entwickeln. Im Gegensatz zu den auf die arabische Welt gerichteten Interessen der Bettelmönche des 13. Jh. oder die auf Amerika und Asien gerichteten multikulturellen Interessen der —» Jesuiten im 17. Jh. soll diese Begegnung frei von allen missionarischen Hintergedanken sein und im Interesse einer Erweiterung des eigenen Horizontes religiöser Empfindungen betrieben werden. Ziel der Hinwendung zur anderen Religion ist nicht, zu einem Kern identischer Wesensaussagen zu kommen wie im Falle der Konsens-Toleranz; der eigene Glaube soll durch Versenkung in den fremden Glauben bereichert und zugleich die eigene Identität gefestigt werden (—»Gespräch). G. Mensching nennt diese Begegnungsbereitschaft „inhaltliche Toleranz", die er einer bloß „formalen" gegenüberstellt. Da es im Gegensatz zum Religionspluralismus etwa bei Pico della Mirandola oder bei Schleiermacher weniger um die philosophische Idee und Anschauung der vielfachen Gestalt eines universalen, transzendenten Prinzips geht, sondern um die konkrete existentielle Erfahrung in der Begegnung, bevorzuge ich den Terminus dialogische Toleranz. Diese Toleranz der existentiellen Begegnung will auch über den religionspluralistischen Ansatz der Religionstheologie eines John Hick hinausgehen (—»Pluralismus II). Bisher sind die entsprechenden Absichten nicht über einen programmatischen Ansatz hinaus gediehen. Es fehlt die methodische Klärung dessen, was bei solchen Begegnungen abläuft. Insbesondere mangelt es an einer Reflexion auf die Grenzen einer solchen Toleranz, auf die Kriterien zur Ausgrenzung inhumaner, religiös verbrämter Praktiken. Somit muß es vorerst offenbleiben, ob es sich bei der dialogischen Toleranz nur um eine diffuse, mystisch inspirierte Verlegenheitslösung in einer multikulturellen Situation handelt oder ob tatsächlich ein neuer Typ von Toleranz konstituiert worden ist. 5.5. Toleranzschwelle. In den meisten Verwendungskontexten des Begriffes Toleranz (s.o. 1.1.) ist ein weiterer Begriff, der der Toleranzschwelle, mitgesetzt. In der emotional besetzten Verwendung des Begriffs im interkulturellen und interreligiösen Kontext wird die Reflexion auf die Grenzen der Toleranz, daß Toleranz widersprüchlicherweise nur in einem durch Intoleranz gesicherten Rahmen praktiziert und gepflegt werden kann, verdrängt. Wie dringlich gerade in sozialen Kontexten die Fixierung einer Toleranzschwelle ist, zeigt ein Blick auf die gefährlichen Entartungserscheinungen, die in toleranten Gesellschaften quasi naturwüchsig gedeihen (Pädophilie, Pornographie, Rechtsextremismus, —»Rassismus, Antisemitismus etc.). In der politischen Theorie hat sich die Devise Dolf Sternbergers, „Keine Duldung den Feinden der Duldung", allgemein durchgesetzt, der damit die Konsequenz aus den selbstmörderischen Implikationen eines verfassungsrechtlichen Purismus gezogen hat, wie ihn am Ende der Weimarer Republik Hans Kelsen vertreten hatte (—»Nationalsozialismus 2.). Am Ende des 1946 in Bad Boll gehaltenen Vortrages Toleranz als Leidenschaft für die Wahrheit heißt es bei Dolf Sternberger (166): „Auf Rousseaus Dogmentafel der bürgerlichen Religion' gibt es neben den positiven Wahrheiten und Geboten ein einziges Verbot: das der intolérance. Keine Duldung den Feinden der Duldung! Hier ist es an der politischen Gesellschaft, tolerante Sitten durch bestimmte Methoden der Kontrolle und der Intervention selber zu sichern. Auch darin wird sich ihre Leidenschaft zu zeigen haben. Ihre Leidenschaft für die Wahrheit."

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Bei der Religions- und Gewissensfreiheit formulieren die m o d e r n e n Verfassungen die G r e n z e dieser Freiheit, nämlich die G e l t u n g der bürgerlichen Gesetze, meist gleich mit ( 1 8 4 9 §147; 1 8 5 0 A r t . 12). D i e G e l t u n g der bürgerlichen G e s e t z e sind, von der Religion her gesehen, von a u ß e n oktroyierte S c h r a n k e n . Eine t h e o l o g i s c h e R e f l e x i o n a u f eine n o t w e n d i g e Begrenzung der T o l e r a n z vermißt m a n e b e n s o wie eine R e f l e x i o n auf die Bedeutung der T o l e r a n z als einer essentiellen Voraussetzung für den G e l t u n g s a n s p r u c h einer Religion. A n s ä t z e dazu bietet die christliche Überlieferung reichlich. A m suggestivsten formuliert der Apostel Paulus im „ L o b p r e i s der L i e b e " (I K o r 13) das K r i t e r i u m , das über jedweden religiösen und moralischen G e l t u n g s a n s p r u c h zu entscheiden vermag. Quellen Bibliographie: Bayreuther Bibliogr. kulturwiss. Toleranzforschung 1 9 4 5 - 1 9 9 5 , hg. v. Rainer Haarbusch in Zusammenarbeit mit dem Int. Arbeitskreis f. Toleranzforschung: Alois Wierlacher (Hg.), Kulturthema Toleranz. Zur Grundlegung einer interdisziplinären u. interkulturellen Toleranzforschung, München 1996, 635 - 672. - Bibliogr. des dt. Toleranz-Schrifttums 1695-1790: Lessings Toleranzbegriff. Eine theol. Stud., hg. v. Harald Schultze, 1969 (FSÖTh 20) 1 2 8 - 1 7 2 . - Ingo Broer/Richard Schlüter (Hg.), Christentum u. Toleranz, Darmstadt 1996 (Lit.). - Hans R. Guggisberg, Sebastian Castellio [1997] (s.u. Lit. zu 4.). - Zur Gesch. der Toleranz u. Religionsfreiheit, hg. v. Heinrich Lutz, 1977 (WdF 246). Eine ausführliche Bibliogr., die jährlich ergänzt wird, ist unter der folgenden Internet-Adresse einsehbar: http://www.ub.uni-duisburg.de/volltexte/archiv/duett20010005.htm. Zu 3.: Petrus Abaelardus, Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum (1142), Textkrit. Ed. v. 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Toleranz II

II. Ethisch 1. Die Natur der Toleranz

1. Die Natur der

2. Die Grenzen der Toleranz

3. Die Toleranz Gottes

(Literatur S. 668)

Toleranz

Das Verständnis von Toleranz hat sich im Lauf der (Begriffs-)Geschichte erheblich verändert. Wenn für eine ethische Orientierung von der ursprünglichen Wortbedeutung ausgegangen wird (lat. tolerare ,,[er]dulden, [erjtragen"), dann ist zwar nicht der Begriff (so Mitscherlich), sind wohl aber der Anwendungsbereich, die Begründung und die Reichweite der Toleranz uneindeutig. Mit Toleranz ist zunächst (in der Tradition der -»Stoa, aber auch in der neutestamentlichen -»Paränese) die individuelle -»Tugend des freiwilligen Ertragens von Widrigkeiten jeglicher Art als Ausdruck überlegener Stärke und -»-Geduld gemeint (Ebeling). Doch nicht erst unter neuzeitlich-modernen Bedingungen überschneiden sich hier in der Folge komplexe Problemkonstellationen zwischen Individual- und -» Sozialethik im Blick auf ganze sozio-kulturelle und private Gruppen in ihrem teils symmetrischen, teils unsymmetrischen Verhältnis untereinander wie auch zu einzelnen Außenseitern und Marginalisierten. Toleranz meint in diesen Zusammenhängen dann generell „die Duldung von Personen, Handlungen oder Meinungen, die aus moralischen oder anderen Gründen abgelehnt werden" (Schlüter/Grötker 1251). Dabei ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche(n) (-»Kirche und Staat) bzw. Religionsgemeinschaften sowie zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen, Ethnien, Religionen und Weltanschauungen untereinander mit ihren jeweiligen Geltungs- und Wahrheitsansprüchen ein auch gegenwärtig besonders exponiertes Beispiel. Für eine ausdifferenziert pluralistische, multi-kulturelle Gesellschaft mit ihrem Neben- und Durcheinander von vormodernen, modernen und postmodernen Lebensstilen ist Toleranz unbestritten eine ebenso notwendige wie schwer einzulösende Bedingung ihres friedlichen Bestehens wie für jede Form von -»Demokratie zum Schutz von Minderheiten (-»Menschenrechte; vgl. Fetscher), ohne freilich ausschließlich an diese organisierten und institutionalisierten Lebensformen gebunden zu sein (Walzer). Denn jede institutionell „geregelte" Toleranz lebt substantiell von der grundlegenderen „spontanen" Toleranz einer persönlichen Einstellung und Haltung (Ebeling). Insofern ist es mit Blick auf die komplexen Beziehungen zwischen Recht und Moral schwierig bzw. vergeblich, Toleranz als moralischen -»Wert programmatisch zu verordnen oder zu fordern (Mitscherlich; Schlüter), wenn sie nicht schon in der jeweiligen persönlichen Überzeugung (potentiell, implizit) einzelner oder maßgeblicher Gruppen enthalten ist und herausgehoben werden kann. Darum wird Toleranz kaum zu einem Moralprinzip erklärt werden können (Walzer), sondern vielmehr selbst unter übergeordneten Prinzipien stehen. Tolerantes Verhalten verdankt sich daher vornehmlich einer Gesinnungs- oder Gewissensbildung und ist ebensowenig wie -»Glaube erzwingbar, auch wenn diese nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern immer auch kulturell und gesellschaftlich vermittelt sind. Deshalb ist das ethische Problem der Toleranz auch nicht grundsätzlich, allgemein und abstrakt, sondern nur situativ, geschichtlich und konkret zu verstehen (Wolf; K. -»Rahner). Die bleibende Voraussetzung für ein solches Verständnis ist eine vorurteilsfreie, aber auch kritische Aufgeschlossenheit und Sensibilität für Neues, Alternatives, Fremdes und Befremdliches. Hier könnte insbesondere eine „ästhetische" -»Erziehung des Menschen (F. -»Schiller) zur Förderung einer toleranten, nicht nur kognitiv, sondern tief in affektiven Bereichen einer Persönlichkeit verankerten Verhaltensdisposition im Rahmen einer institutionalisierten (interkulturellen wie interreligiösen) Friedenserziehung von Bedeutung sein (Schlüter), die auch Irritierendes und Provozierendes in Zurückhaltung definitiver Urteile „wahrnehmen" (aiaOrjaulehrt und gelten läßt. Dadurch wird sowohl das antike erkenntnistheoretische Paradigma idem per idem als auch die neuzeitliche Dominanz des Herrschaftswissens zugunsten einer auch selbstkritischen „weisheitlichen" Haltung relativiert (Schlüter).

Toleranz II 2. Die Grenzen der

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Toleranz

Strittig ist in diesen Zusammenhängen jedoch vor allem die für den Erhalt individueller und gesellschaftlicher Lebensformen gleichermaßen entscheidende Grenze der Toleranz, die zur Vermeidung ihrer Selbstaufhebung gefunden werden muß (Schmitt): Wie weit kann und soll intolerantes Verhalten toleriert werden? Muß nicht auch umgekehrt der Toleranz im gegebenen Fall mit Intoleranz begegnet werden? Gibt es eine legitime Intoleranz, derzufolge z. B. andere zu ihrem Glück gezwungen werden können? Ist Toleranz immer und fraglos ein absoluter Wert, oder ist sie durch die Kontrollfrage cui bono? zu relativieren? Insbesondere die Diskussion der These einer „repressiven" Toleranz (Marcuse: Wolff/Moore/Marcuse), die eine grundlegende Verbesserung gesellschaftlicher Lebensbedingungen blockiert, indem sie auch Unwahrheit und Unrecht (z. B. in Politik, Wirtschaft und Massenmedien) duldend oder gar fördernd um eines vermeintlich höheren Gutes willen schützt, hat gezeigt: eine Antwort auf diese Fragen hängt in erster Linie von der Begründung von Toleranz ab, die nicht ohne die anthropologische Voraussetzung auskommen kann, den Menschen als „Freiheitssubjekt" zu verstehen (Rahner). Toleranz ist darum weder selbstverständlich noch ein fraglos anerkanntes Gut, sondern durchaus abhängig von einer leitenden, ihrerseits geschichtlich veränderlichen -»Weltanschauung. Dies gilt auch für den modernen, seinem Selbstverständnis nach weltanschaulich „neutralen" -»Staat mit seiner Toleranzpflicht, die dort endet, wo Rechte anderer mißachtet werden (Höffe) und das Gemeinwohl gefährdet ist (Rahner). Nicht nur für den christlichen Glauben und seine —»Theologie liegt daher eine mögliche Begründung wie auch Begrenzung von Toleranz gleichsam im Schnittpunkt von —»Dogmatik und -»Ethik, so daß eine Explikation des leitenden Wirklichkeitsverständnisses im ganzen erforderlich ist. Die einfache Antwort, die Grenze der Toleranz sei die Intoleranz, bzw. wer Toleranz verneine, könne sie nicht für sich selbst beanspruchen (Ebeling), wird allerdings nicht dem komplexen Sachverhalt gerecht, weil so das eigene tolerante oder nicht-tolerante Verhalten nur einseitig vom Verhalten und den Überzeugungen anderer abhängig gemacht wird, anstatt verläßlich und verbindlich in der eigenen Uberzeugung begründet zu sein. Insofern bestimmt der jeweilige Glaube bzw. die jeweilige Uberzeugung oder Weltanschauung selbst die mögliche Grenze von Toleranz (Sauter). Darum sollte Toleranz auch nicht erst als nachträgliche Reaktion auf Forderungen derjenigen geübt werden, die sich nicht toleriert sehen, sondern „spontan". Ein weitgehender Konsens besteht jedoch darüber, daß Toleranz weder in der Haltung interesseloser Gleichgültigkeit anderen gegenüber ( = formale, passive oder funktionale Toleranz) aufgehen noch mit einem liberalen laissez-faire mit dem Ziel bloßer Koexistenz verwechselt werden soll. Denn eine solche im Grunde ignorante Weitherzigkeit kann nicht nur selbst jederzeit unkontrolliert in arrogante Intoleranz umschlagen, wenn es um subjektiv weniger gleichgültige Dinge geht, sondern gerade aufgrund von adiaphoristischer Gleichgültigkeit und eigener Überzeugungsschwäche auch aggressive Intoleranz anderer provozieren (Mitscherlich) und ungewollt unterstützen. Daher sind „geschlossene Systeme" weltanschaulicher Art, auch wenn sie koexistieren können, nicht wirklich zur Toleranz fähig. Sie kann es nur dort geben, wo Vermittlungen möglich sind (Ringeling). Vor allem aber übersieht eine interesselose oder liberale Haltung in ihrer Tendenz zum Solipsismus - einzelner oder ganzer Gruppen - die für die eigene -»Identität konstitutive Bezogenheit auf andere. Grundsätzlich anthropologisch bedacht ist Toleranz eine Folge des Sich-selbst-im-anderen-Wahrnehmens, wobei das andere auch und gerade das Fremde und insofern Infragestellende sein kann (Hilpert/Antes). Von einem solchen anthropologischen Ansatz her, der in Relationen statt substanzmetaphysisch denkt (Blattner), ist das, was als anders, fremd und möglicherweise als bedrohlich erfahren wird, nicht einfach das, was „außerhalb" der eigenen Identität und Subjektivität liegt und insofern (intolerant) ausgeschlossen, ferngehalten und isoliert werden müßte,

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Toleranz II

sondern vielmehr das, was „innerhalb" der eigenen Subjektivität als Differenzerfahrung des Fremden erlebt wird und als Identität eigener Nichtidentität akzeptiert, integriert und produktiv verarbeitet werden muß (Schlüter). So gesehen ist Toleranz nicht einfachhin zu verstehen als das Ertragen oder Erdulden von anderen - im substantiellen Unterschied zum eigenen Selbst - , sondern präziser zu fassen als ein „Aushalten der Spannung, die durch das Anderssein anderer Menschen in Denken, Wollen, Empfinden und Handeln entsteht" (Mayer 2132; Hervorh. H.R.). Es geht der Toleranz somit nicht bloß um ein Ertragen oder Erdulden anderer, um sie besser zu verstehen (so Mitscherlich), sondern vor allem um ein Ertragen oder Erdulden anderer, um sich besser angesichts der anderen zu verstehen. Die zur Subjektwerdung unumgängliche Intersubjektivität impliziert daher auch Auseinandersetzung und Dialog, Reibung und Profilierung, Streit und Abgrenzung, Durchsetzungsvermögen und Standfestigkeit, nicht nur Kompromiß- und Konsensfähigkeit, Rücksichtnahme und Selbstrelativierung. Insofern ist Toleranz durchaus ein Konfliktbegriff, der nicht durch ein von spezifischen Differenzen abstrahierendes Aufsuchen eines kleinsten gemeinsamen Nenners oder großer harmonisierender Synthesen entschärft werden sollte. Es geht nicht um das Toleranz letztlich überflüssig machende Nivellieren von Unterschieden, die dann als zu tolerierende Widrig- und Befremdlichkeiten gar nicht mehr in den Blick geraten, sondern vielmehr um den Versuch, den unvermeidbaren gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Konflikten das Destruktive zu nehmen und möglichst ins Konstruktive umzusetzen (Ringeling). Die Stärke einer (inhaltlichen, aktiven oder konstruktiven) Toleranz besteht allerdings in solchen Auseinandersetzungen im unbedingten Verzicht auf jede Form von Gewalt (—•Gewalt/Gewaltlosigkeit) und Repression (non vi, sed verbo) zugunsten einer grundsätzlichen Chancengerechtigkeit für den Entfaltungsspielraum differenter Lebensentwürfe. Für diese wichtige Einschränkung reicht eine bloß pragmatische Abwägung des möglichen kleineren oder größeren Übels unter der Voraussetzung, daß Gewalt und ihre Folgen immer größere Schäden anrichten als das Ertragen einer wenn auch als schädlich erachteten abweichenden Überzeugung (Kolakowski), nicht aus. Vielmehr resultiert der Gewaltverzicht aus einer grundsätzlich freien Anerkennung des oder der anderen im jeweils unterstellten aufrichtigen Suchen nach dem Richtigen und Wahren bei allem Konstatieren möglicher Unterschiede, das auch noch das „irrige Gewissen" respektiert (Rahner). Als ethische Leit- und Richtlinie kann dann formuliert werden: Tolerabel ist all das, was der wechselseitigen Vertrauenswürdigkeit nicht (grundsätzlich) widerspricht. Demnach wären z. B. Lüge, Betrug, physische und psychische Gewalt sowohl persönlicher als auch struktureller Art nicht tolerabel, weil dadurch die für Toleranz unabdingbare wechselseitige Vertrauenswürdigkeit insgesamt in Frage gestellt sein würde (was schon G.E. -»Lessing mit seiner „Ringparabel" aus dem dramatischen Gedicht Nathan der Weise [1779] nahegelegt und auch John Locke in seinem Letter concerning Toleration [1686] dazu bewogen hat, „Atheisten" gegenüber keine Toleranz zu üben, weil er deren moralische Zuverlässigkeit - mit so nicht übernehmbaren Gründen - bezweifelte). Besonders vor dem Hintergrund reformatorischer Theologie ist dabei jedoch nicht nur zwischen „dogmatischer Intoleranz" des Glaubens und „bürgerlicher Toleranz" (von Campe) der (Nächsten-)->Liebe (I Kor 13,4-7), sondern auch zwischen -•Person und -»-Werk zu unterscheiden, so daß die Person nicht auf ihr Tun oder Verhalten festgelegt und zugleich mit diesem pauschal be- oder gar verurteilt wird (Weder): nicht tolerabel ist z.B. die Lüge, aber toleriert werden kann der Mensch, auch wenn er gelogen hat. Allerdings lassen sich beide Unterscheidungen im konkreten Fall nicht immer präzise durchführen, nämlich dann nicht, wenn ein bestimmtes Verhalten untrennbar mit einer „dogmatischen" Überzeugung verbunden und insofern das Tun authentischer Ausdruck der Persönlichkeit ist. Dennoch haben diese ebenso alt- wie neutestamentlich angelegten Unterscheidungen durchaus eine heuristische und orientierende Funktion.

Toleranz II 3. Die Toleranz

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Gottes

Diese für den zwischenmenschlichen Umgang und die Möglichkeiten z. B. von Vergeben und Verzeihen (-»Vergebung der Sünden) hilfreichen Unterscheidungen gründen letztlich in der Erfahrung der tolerantia Dei, wie M . -»Luther sie beschrieben hat (WA 39/1,82f.): -»Gott (er)trägt die —»Sünde des Menschen, die er haßt, um des Menschen willen, den er liebt. Und weil nach Luther auch die im Glauben Gerechtfertigten nach wie vor Sünder sind (simul iustus et peccator), ist die entsprechende christlich-ethische Haltung der Toleranz nicht einfach ein souveränes eindimensionales Verhalten von vermeintlich „Stärkeren" gegenüber „Schwächeren", sondern ein wechselseitiges Ertragen im Bewußtsein des Angenommenseins trotz eigener Unannehmbarkeit (P. -»Tillich) kraft der —»Gnade und Liebe Gottes. So steht die christlich begründete Toleranz auch nicht in der Gefahr, ein sonst entstehendes Machtgefälle zwischen dem generös-herablassenden Tolerierenden und dem an sich unterlegenen Tolerierten und somit Herrschaftsund Abhängigkeitsverhältnisse lediglich zu befestigen (Walzer). Sieht man von der grundlegenden tolerantia Dei ab, ist die klassisch von J.W. von -»Goethe formulierte und von A. von -»Harnack übernommene Kritik an der dann gleichsam beleidigenden Haltung der Toleranz als „Duldung" berechtigt, die vielmehr zu wechselseitiger Anerkennung Gleicher führen und sich insofern selbst aufheben müsse (Härle). Somit läßt sich ressentimentfreie Toleranz gerade aus genuinen Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens herleiten, die mit Blick auf seine Konstitutionsbedingungen (vgl. CA V) durchaus nicht notwendigerweise zu Intoleranz tendieren, obwohl zugestanden werden kann, daß möglicherweise erst der Druck gesellschaftlicher Verhältnisse eine solche grundsätzliche Besinnung veranlaßt und fördert (Adam). Aus der Perspektive des christlichen Wirklichkeitsverständnisses ist Toleranz begründet in der Rechtfertigungserfahrung angesichts der Solidarität allgemeiner Erlösungsbedürftigkeit der Menschen und der Gewißheit der universalen Heilszusage Gottes in -»Jesus Christus (Sauter; Schlette), wie beides in Luthers paradoxer Doppelbestimmung der christlichen -»Freiheit innerhalb der Leitdifferenz von -»Gesetz und Evangelium zum Ausdruck kommt (De libertate christiana, 1520). Diese Solidarität und Universalität bezieht sich nicht nur auf Menschen (Rom 8,19-22), sondern bezieht die ganze Schöpfung mit ein, der insofern - mit Blick auf gegenwärtige Problemkonstellationen von —»Ökologie und Ethik - ebenfalls tolerant zu begegnen ist. Als eine auch hinsichtlich dieser Erweiterung leistungsfähige ethische Rahmentheorie für das Verständnis von Toleranz im Sinne der iustitia civilis als bürgerliche Tugend zum Schutz und Nutzen des -»Nächsten sowie zur Bewahrung der Schöpfung bietet sich die sog. —»Zweireichelehre (Zweiregimentenlehre) an (Ebeling; Wolf). Hier zeigt sich, daß die Fähigkeit, andere gelten zu lassen, dort zum Zuge kommt, wo im Bewußtsein der heilsamen und rettenden Abhängigkeit von Gott angstfrei die Unabhängigkeit von Menschen realisiert wird (Thielicke/Schrey) und insofern Wahrheits- und Heilsgewißheit coram Deo einerseits und Selbstrelativierung coratn mundo andererseits widerspruchsfrei vermittelt werden können (Härle). Dieser letztlich soteriologischen bzw. eschatologischen Begründung von Toleranz (vgl. das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen in M t 13,24 - 28) stehen alternative oder ergänzende Begründungen zur Seite, die auf die geschöpfliche Würde und Unverfügbarkeit des Menschen als Ebenbild Gottes (imago Dei) rekurrieren und insofern enge Verbindungen mit philosophischen Überlegungen zum allgemeinen -»Natur- und -»Menschenrecht z. B. auf Freiheit der eigenen Meinung, weltanschaulichen bzw. religiösen Uberzeugung und der entsprechenden Lebensführung (Rahner) sowie zur Relativität menschlicher Erkenntnismöglichkeiten und Wahrheitsansprüche eingehen können (Broer/Schlüter). Gerade vor dem Hintergrund genereller -»Skepsis sowohl im Sinne prinzipieller Selbstrelativierung als auch grundsätzlicher Infragestellung anderer kann Toleranz als Grundhaltung einer „skeptischen Ethik" (Weischedel) begründet werden, die keineswegs zur gleichgültigen Hinnahme von allem und jedem führen muß. Umge-

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Toleranz III

kehrt läßt sich zeigen, d a ß eine i n t o l e r a n t e H a l t u n g anderen gegenüber auch als F o l g e einer Verdrängung eigener Z w e i f e l verstanden werden k a n n (Mitscherlich). Insofern besteht nicht nur eine innere B e d r o h u n g der T o l e r a n z durch indifferente Gleichgültigkeit (Skepsis o h n e G l a u b e b z w . eigene Überzeugung), sondern a u c h eine äußere B e d r o h u n g der T o l e r a n z durch bornierten - » F u n d a m e n t a l i s m u s ( G l a u b e bzw. Überzeugung o h n e Skepsis). G e f o r d e r t ist vielmehr eine „ G e s i n n u n g kritischer R e l i g i o s i t ä t , die das r a d i k a l e E l e m e n t des G l a u b e n s m i t der historischen Kritik aufgeklärten Geistes g l a u b w ü r d i g v e r b i n d e t " (Ringeling 8 2 ) . Literatur Gottfried Adam, Toleranz als Problem des Religionsunterrichts in religionspädagogischer Sicht: Glaube u. Toleranz (s.u.) 1 4 5 - 1 5 6 . - Jürgen Blattner, Toleranz als Strukturprinzip, Freiburg i.Br. 1985. - Ingo Broer/Richard Schlüter (Hg.), Christentum u. Toleranz, Darmstadt 1996. - Rudolf v. Campe, Dogm. Intoleranz - bürgerliche Toleranz, Halle 1911. - Gerhard Ebeling, Die Toleranz Gottes u. die Toleranz der Vernunft: Glaube u. Toleranz (s.u.) 5 4 - 7 3 . - Iring Fetscher, Toleranz, Stuttgart 1990. - Glaube u. Toleranz, hg. v. Trutz Rendtorff, Gütersloh 1982. - Wilfried Härle, Der Toleranzgedanke im Verhältnis der Religionen: Wolfgang Erich Müller/Hartmut Schulz (Hg.), Theol. u. Aufklärung. FS Gottfried Hornig, Würzburg 1992, 323 - 338. - Konrad Hilpert/Peter Antes (Hg.), Mit den Anderen leben. Wege zur Toleranz, Düsseldorf 1995. - Otfried Höffe, Art. Toleranz: ders. (Hg.), Lexikon der Ethik, München 1977, 242f. - Leszek Kolakowski, Toleranz u. Absolutheitsansprüche: CGG 26 (1980) 5 - 3 8 . - Rainer Mayer, Art. Toleranz: Folkert Rickers/ Norbert Mette (Hg.), Lexikon der Religionspädagogik, Neukirchen-Vluyn, II 2000, 2 1 3 2 - 2136. - Alexander Mitscherlich, Toleranz - Überprüfung eines Begriffs, Frankfurt a.M. 1974. - Karl Rahner, Dialog u. Toleranz als Grundlage einer humanen Gesellschaft: ders., Sehr, zur Theol., Zürich u.a., XVI 1984, 2 6 - 4 1 . - Hermann Ringeling, Aggression u. Toleranz als Problem rel. Gesinnung: ders., Ethik vor der Sinnfrage, Gütersloh 1980, 6 5 - 8 2 . - Gerhard Sauter, Wahrheit u. Toleranz: Glaube u. Toleranz (s.o.) 1 2 8 - 1 3 7 . - Heinz Robert Schlette, Toleranz: Heinrich Lutz (Hg.), Zur Gesch. der Toleranz u. Religionsfreiheit, 1977 (WdF 246) 193 - 202. - Richard Schlüter, Toleranz - Perspektiven f. die christl. Praxis: ThGl 86 (1996) 3 5 7 - 3 6 8 . - Ders./Ralf Grötker, Art. Toleranz: HWP 10 (1998) 1 2 5 1 - 1 2 6 2 (Lit.). - Annette Schmitt, Toleranz - Tugend ohne Grenzen?, Saarbrücken u.a. 1993. - Helmut Thielicke/Heinz-Horst Schrey (Hg.), Christi. Daseinsgestaltung, Bremen 1961, 1 5 1 - 1 6 3 . - Michael Walzer, On Toleration, New Häven, Conn./London 1997; dt.: Uber Toleranz, Hamburg 1998. - Hans Weder, Eleutheria u. Toleranz: Glaube u. Toleranz (s.o.) 243 - 2 5 4 . - Wilhelm Weischedel, Skeptische Ethik, Frankfurt a.M. 1976. - Andreas Wiese, Was ist Toleranz?, Duisburg 1995. - Ernst Wolf, Toleranz nach ev. Verständnis: Heinrich Lutz (Hg.), Zur Gesch. der Toleranz u. Religionsfreiheit, 1977 (WdF 246) 1 3 5 - 1 5 4 . - Robert Paul Wolff/ Barrington Moore Jr./Herbert Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston, Mass. 1965; dt.: Kritik der reinen Toleranz, Frankfurt a.M. 1966. Hartmut Rosenau

III. Religionsgeschichtlich 1. Menschings religionsgeschichtlicher Toleranzbegriff 2. Notwendige Differenzierungen 3. Toleranz und die Frage nach der Wahrheit (Quellen/Literatur S. 674) 1. Menschings

religionsgeschichtlicher

Toleranzbegriff

G u s t a v M e n s c h i n g ( 1 9 0 1 - 1 9 7 8 ) unterscheidet in der R e l i g i o n s g e s c h i c h t e z w i s c h e n f o r m a l e r und inhaltlicher T o l e r a n z (bzw. I n t o l e r a n z ) . Als „ f o r m a l " ist nach ihm d i e T o l e r a n z anzusehen, bei der es sich u m „ d a s b l o ß e Unangetastetlassen der G l a u b e n s ü b e r z e u g u n g e n " handelt ( G l a u b e n s f r e i h e i t ) ; von „ i n h a l t l i c h e r T o l e r a n z " spricht e r , wenn es „ d a r ü b e r h i n a u s " u m „die positive A n e r k e n n u n g fremder Religion als e c h t e r und berechtigter religiöser M ö g l i c h k e i t der Begegnung mit d e m H e i l i g e n " geht ( M e n sching, T o l e r a n z 4 3 ) . Letztere bezeichnet M e n s c h i n g als „eigentliche positive T o l e r a n z " , die als „ A n t e i l n a h m e " im G e g e n s a t z z u m „Indifferentismus, der tolerant ist aus G l e i c h g ü l t i g k e i t " , zu verstehen sei (ebd.). G r u n d s ä t z l i c h seien in der Religionsgeschichte drei M ö g l i c h k e i t e n d e n k b a r : F o r m a l e und inhaltliche Intoleranz k ö n n e n g e m e i n s a m a u f t r e t e n

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(so bei der Vertreibung der Moriscos aus Spanien [1610]), oder die formale Toleranz trifft auf inhaltliche Intoleranz (vgl. das Verhalten des Islam gegenüber den ahl al-kitäb, den „Schriftbesitzern"), oder die formale Intoleranz wird mit inhaltlicher Toleranz verbunden (ebd. 44; römischer Kaiserkult; vgl. die evocatio der karthagischen Götter: Macrobius Theodosius, Saturnalia 111,9). Doch scheint dieses grobe Raster nicht auszureichen; es bedarf vielmehr weiterer Kriterien, die das Problem der religiösen Toleranz bzw. Intoleranz verifizieren. Ich mache nachstehend auf zehn Varianten aufmerksam, die sich durch Beispiele belegen und beliebig ergänzen lassen. Gleichzeitig weise ich darauf hin, daß typologische Entwürfe die Gefahr der Abgeschlossenheit und Endgültigkeit evozieren. Wenn hingegen Typologie im Sinne von heuristischen Grundstrukturen verstanden wird, auf Grund derer die Sachebene zur Problemebene wird, erhält sie ihre Berechtigung. Nur in diesem Sinne versteht sich das nachfolgende Schema. 2. Notwendige

Differenzierungen

2.1. Die eklektizistische Toleranz. Hier sind die Versuche des Moghul-Herrschers Akbar (1543-1605) zu nennen, der in seinem „Haus der Gespräche" (ibädat khäna) interreligiöse Disputationen durchführte mit dem Ziel, alle Religionen zu vereinen, „so daß sie sowohl eine Religion als auch alle Religionen seien, mit dem großen Vorteil, das nicht zu verlieren, was gut ist in allen Religionen, und das zu gewinnen, was in anderen besser ist" (R. Krishnamurti, Akbar. The Religious Aspect, Baroda 1961, 102; vgl. von Stietencron 65). Akbar schwebte dabei eine „göttliche Religion", dtn-i-llaht, vor, die einen Auswahlkatalog der religiösen und ethischen Elemente aus den jeweiligen zum Gespräch geladenen Religionen darstellte (Gerlitz, Vision 2 5 - 2 9 ) . Einer ähnlichen Utopie bedient sich die 1863 gegründete Bahäl-Religion (—>Baha'ismus), die in ihrer Geschichtstheologie die Lehre von den Zyklen entwickelte (vergleichbar den indischen Yuga-Zyklen). Gemeint sind diejenigen Epochen der Religionsgeschichte, die durch einen Religionsstifter bestimmt sind und - nach Maßgabe einer Entelechie - die entscheidenden Prinzipien der Religion an künftige Epochen weitergeben. Auf diese Weise gibt der Jesus-Christus-Zyklus die entscheidenden Prinzipien an den M u h a m mad-Zyklus weiter und dieser an den Zyklus des Bahä'u'lläh bzw. an das mit ihm, dem Stifter der BahiT-Religion, angebrochene Neue Zeitalter. So geht nichts an religiösen Impulsen und Werten verloren. Toleranz besteht hier in der jeweiligen Adaption ausgewählter Kriterien und der Bewahrung derselben in den jeweils folgenden Zyklen. Stichwort ist die „fortschreitende Offenbarung" (Towfigh 31): „D.h. Gott sendet der Menschheit entsprechend ihrem Fassungsvermögen und Entwicklungsstand eine Religion, die ihren Bedürfnissein entspricht und eine Entwicklung im Menschen bewirkt . . . " (vgl. Äbdu'l-Bahä 159; Towfigh 44; Gerlitz, Kompass 35 - 4 0 ) .

2.2. Von der eklektizistischen Toleranz ist es nur ein Schritt zur synkretistischen Toleranz, insofern jene im Grunde bereits eine Variante des -»Synkretismus darstellt und dessen typische Merkmale beibehält: In der synkretistischen Toleranz werden die Absolutheitsansprüche relativiert, die Dogmen nivelliert und die Unterschiede harmonisiert. Toleranz geschieht hier durch Translation. 2.3. Dialogische Toleranz (bzw. Intoleranz) begegnet uns dort, wo Gläubige unterschiedlicher Glaubensformen ihre Probleme im Gespräch zu klären versuchen. Das beste Beispiel ist G.E. -»Lessings Nathan der Weise bzw. die „Ringparabel" (3. Aufzug, 7. Auftritt), nach der zwar „der echte Ring vermutlich verloren" ging und - anstatt „die Tyrannei des einen Rings" zu dulden - jeder Vertreter der drei abrahamischen Religionen von Nathan aufgefordert wird, je „seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe" nachzueifern, damit an die Stelle des bisher exklusiven ein „inklusiver Absolutheitsanspruch" treten kann (vgl. Troeltsch 79). E. —»Troeltsch stellt der „naiven natürlichen Absolutheit" die „schlechthin intolerante Absolutheit des Wahrheitsbegriffs" gegenüber (ebd. 75) und warnt vor einer „Verwandlung der naiven Absolutheit in eine künstliche,

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wissenschaftlich-apologetische" (ebd. 112), weil diese „unter der Hand der wirklichen Historie" zerbricht (ebd. 117). Auch P. —•Tillich geht dialogisch vor und fordert z. B. für das christlich-buddhistische Gespräch vier Voraussetzungen: 1. Die Gesprächspartner dürfen „der Religion des anderen nicht ihren Wert absprechen, sondern [müssen] sie als Religion gelten lassen". 2. Die Gesprächspartner sollen „ihren religiösen Standpunkt mit Uberzeugung vertreten können, so daß das Gespräch eine ernsthafte Gegenüberstellung der verschiedenen Standpunkte ist". 3. Es muß eine „gemeinsame Basis" geben, „die sowohl Einigkeit wie Widerspruch ermöglicht". 4. Schließlich ist es nötig, „ d a ß beide Partner [gemeint sind hier Buddhisten und Christen] der Kritik zugänglich sind, die gegen ihre eigene religiöse Stellung gerichtet ist" (Tillich 39f.). Erst wenn diese Toleranzgrundlage gegeben ist, kann der Dialog über die dogmatisch-systematischen Topoi erfolgen.

Ein Beispiel von dialogischer Intoleranz bieten hingegen die Colloquios, welche Fray Bernardino de Sahagun (gest. 1590) 1524 mit den Azteken führte mit der Intention, den Glauben der Azteken als unvereinbar mit dem christlichen Glauben darzustellen (Wißmann 125). N a c h Meinung von Sahagun und der Franziskaner beleidige die Anbetung der „ G ö t z e n " die „Absolutheit G o t t e s " . Sie berücksichtigten nicht, daß die Götter für die Azteken das sind, „ w o d u r c h man lebt" (ebd. 134). Heilsziel w a r - wie in der christlichen Missionstheologie üblich - die Bekehrung zum christlichen Glauben.

2.4. Rationale Toleranz begegnet uns überall dort, wo man aus Vernunftgründen um gegenseitige Anerkennung ringt. Wieder könnte man die Position Lessings anführen, im weiteren Verlauf aber auch auf die heute zahlreichen Weltbünde aufmerksam machen, die sich um religiöse Toleranz bemühen. Sie berufen sich z. B. auf Rabindranath Tagore (1861-1941) und Mahatma Gandhi (1869-1948). Ziele sind der Weltfriede, die Bewahrung der Schöpfung, eine Weltökologie, ein Weltethos usw. Die Gefahr, daß es sich dabei um rationale Konstrukte, also eine künstlich aufgesetzte Toleranz, handeln könnte, ist dabei immer gegeben. Zu den Weltbünden zählen: der World Congress of Faiths (WCF, von Francis Younghusband 1936 ins Leben gerufen), der Religiöse Menschheitsbund (begründet von R. -»Otto, 1921), die World Fellowship of Religions (gegründet 1957), die International Association for Religious Freedom (IARF, gegründet 1900), die World Conference on Religion and Peace (WCRP, gegründet 1970) und - als jüngste Gründung - die United Religions Initiative (URI, gegründet 1996 bzw. 2000), deren Strukturen sich an der UNO und am World's Parliament of Religions in Chicago 1893 (—• Weltparlament der Religionen) orientieren. Bei den Weltorganisationen handelt es sich um zweckorientierte Pragmatismen, die sich der gegenwärtigen interreligiösen Weltlage verdanken und an einer dogmatischsystematischen Diskussion in der Regel nicht interessiert sind. 2.5. Unter „partieller Toleranz" haben wir Phänomene zu verstehen, die sich an den jeweiligen Kontexten orientieren und deshalb strukturellen Veränderungen unterliegen können. Bestes Beispiel ist die unterschiedliche Beurteilung der Toleranzfrage im Islam. Im Qur'än finden wir erstaunliche Zeugnisse für eine religiöse Toleranz. Muhammad (-•Islam) spricht sogar von der ursprünglichen Einheit der (Buch-)Religionen (Sure 2,213: Gott „sandte mit ihnen [den Propheten] [jeweils] die Schrift mit der Wahrheit herab . . . " ; Sure 10,19: „Die Menschen waren [ursprünglich] nur eine einzige umma" [Gemeinschaft; vgl. Sure 42,14]). Dabei kommt den ahl al-kitäb (Juden und Christen) besondere Bedeutung zu: „Und streitet mit den Leuten der Schrift nie anders als auf eine möglichst gute Art [?] . . . Und sagt: Unser und euer Gott ist einer. Ihm sind wir ergeben [tnuslim]" (Sure 29,46). Ausdrücklich bekennt sich der Prophet Sure 2,256 zur religiösen Toleranz gegenüber den „Andersgläubigen", die sich auf Offenbarungen berufen können: „In der Religion gibt es keinen Zwang" (lä ikräha ft d-dtni\ vgl. 10,99). Toleranz übt Muhammad gegenüber den Christen in Mekka, den Juden in Medina und

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den Säbiern (Sure 2,62) auf Grund ihrer Offenbarungen, die sie zu „Leuten der Schrift" machen. Spater (zwischen 833 und 842 n. Chr.) werden auch die Zoroastrier und die Manichaer geduldet (Arnold 366). Geradezu aufklärerisch mutet Sure 109 an, die mit den Worten schließt: „Ihr habt eure Religion und ich die meine". Man muß aber wissen, daß sich diese kurze Sure aus Medina ausdrücklich gegen die „Ungläubigen" richtet (zum Unterschied zwischen „Andersgläubigen" und „Ungläubigen" im Qur'än vgl. Bauschke 30f.). Toleranz im eigentlichen Sinne kommt nur den „Leuten des Buches" zu. Ihnen gilt Sure 2,256. Diese Einschränkung hat zugleich eine krasse Absage an die Ungläubigen (al-käfirun) bzw. die Polytheisten (zu denen im Grunde auch die Bekenner der Trinität gehören) zur Folge (Sure 6,106-108; vgl. Sure 112). Sie und die Apostaten toleriert der Prophet nicht, sondern begegnet ihnen mit H ä r t e , die er deterministisch begründet- „ U n d sag' zu denen, die die Schrift erhalten h a b e n , und zu den Heiden: Wollt ihr den Islam annehmen? Wenn sie ihn dann a n n e h m e n , sind sie recht geleitet. Wenn sie sich aber a b w e n d e n , so hast du nur die B o t s c h a f t auszurichten [und bist nicht verantwortlich für ihren U n g l a u b e n ] " (Sure 3,20). O d e r Sure 6 , 1 2 5 : „ W e n n G o t t einen rechtleiten will, weitet er ihm die Brust für den Islam. Wenn er a b e r einen irreführen will, m a c h t er ihm die Brust eng und bedruckt . . . So legt G o t t die Unreinheit auf diejenigen, die nicht g l a u b e n " (vgl. Sure 16,93). D e r von den Gegnern immer wieder als Belegstelle für die Intoleranz des Q u r ' ä n angeführte Vers 5 der 9. Sure lautet: „ U n d wenn nun die heiligen M o n a t e abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, w o [immer] ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall a u f ! Wenn sie sich aber bekehren, das G e b e t [salät] verrichten und die Almosensteuer [zakät] entrichten, dann laßt sie ihres Weges z i e h e n ! " Er ist aber nicht o h n e den nachfolgenden Vers verständlich, der den brutalen Aufruf zum T ö t e n um des G l a u b e n s willen relativiert: „ U n d wenn einer von den Heiden dich um Schutz angeht, dann gewähre ihm Schutz, damit er das W o r t G o t t e s hören k a n n ! H i e r a u f laß ihn [unbehelligt] dahin gelangen, w o er in Sicherheit i s t ! " .

Wer zu den dimmi (denen, mit denen man einen Vertrag abgeschlossen hat) gehörte, blieb innerhalb der islamischen Grenzen unbehelligt. So erfreuten sich die Christen im 1. Jh. der Hidschra in Arabien zum Teil größerer Freiheiten als unter byzantinischer Herrschaft (Arnold 367). Die Kopten durften sogar in der neuen muslimischen Hauptstadt Kairo Kirchen bauen, und der nestorianische Patriarch Tso'iabh III. (gest. 660) schrieb an den Primas von Persien: „Die Araber . . . greifen nicht etwa den christlichen Glauben an, im Gegenteil, sie begünstigen unsere Religion, ehren unsere Priester und die Heiligen des Herrn und verteilen Wohltaten an Kirchen und Klöster" (BOCV III/l [1725 = 1975] 131). Ähnlich erging es der hinduistischen Minderheit in Balujistan: Nachdem sie ihre Kopfsteuer entrichtet hatten, waren die Andersgläubigen vor Verfolgungen sicher und konnten unbehelligt ihren Glauben ausüben. Die Zeiten islamischer Intoleranz gegenüber Juden und Christen begannen erst später, im Grunde erst unter Härün al-Rasid ( 7 8 6 809), der die Christen drangsalierte (Arnold 367). Aber noch Süleiman II. der „Prächtige", der „Gesetzgeber" (1520-1566), verfügte, daß jüdische und christliche Handwerker, die - zum Teil zwangsrekrutiert - auf den Baustellen der Moscheen arbeiteten, am Sabbat bzw. Sonntag von der Arbeit befreit waren, damit sie ihre Gottesdienste besuchen konnten. Offenbar war die Ausstrahlung eines Verses wie Sure 7,156 („Mit meiner Strafe treffe ich, wen ich will. Aber meine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen") so umfassend, und die Verflechtungen mit den abrahamitischen Religionen waren so evident, daß Intoleranz gegenüber Juden und Christen in den ersten anderthalb Jahrhunderten der Hidschra nicht erwähnenswert war. Ausgenommen war der Antijudaismus in Medina, der die Folge einer tiefen Enttäuschung des Propheten über die Unbekehrbarkeit der Juden gewesen sein mochte. Erst als Antwort auf die christlichen Eroberungszüge im Mittelalter (->Kreuzzüge) eskalierte das im Qur'än verborgene Potential an religiösem Fundamentalismus (vgl. den gthäd). 2.6. Toleranz im Zusammenhang mit Konverston. Hier mögen als Beispiele der buddhistische Kaiser Asoka (3. Jh. v. Chr.) und seine „Toleranzedikte" stehen. Im 13. Fei-

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senedikt von Kalsi bekennt sich der Herrscher schuldig an den Eroberungskriegen und den dabei geschehenen Greueltaten. Er kehrt um und beginnt ein neues Leben: „Jetzt, nachdem das Reich der Kaiingas erobert worden ist, [beginnt] bei dem Göttergeliebten die Beschäftigung mit der Religion [dhammaväya], die Liebe zur Religion und das Lehren der Religion. Und Reue empfindet der Göttergeliebte über die Eroberung des Kaiingareiches. Denn daß bei der Eroberung . . . Mord, Tod und Fortschleppen der Leute stattfindet, das erachtet der Göttergeliebte für tief schmerzlich und bedauernswert" (Asoka 151). Das 12. Felsenedikt von Girnar beschreibt, wie sich der Sinneswandel des Kaisers auf die Religionen in seinem Reich auswirkt: „Der göttergeliebte König Piyadasi ehrt alle Sekten [sc. Religionsgemeinschaften und Schulen] . . . Darum ist Eintracht allein gut: nämlich man höre einer des anderen Religionslehre [dhammä] und befolge sie" (ebd. 150). Toleranz ist hier eine Frucht der Umkehr; sie bewirkt Mitleiden (karunä) und Allgüte (mettä) gegen jedermann. 2.7. Zweckorientierte, temporäre Toleranz. Dieser vor allem religionspolitisch relevante Typus begegnet uns dort, wo sich Religionen unterschiedlicher Prägung begegnen und zusammenschließen, wo sie kooperieren, um einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen. Ist der Kampf siegreich verlaufen, trennen sich die Partner wieder, und die Allianz löst sich auf. Als Beispiel aus der Gegenwart bietet sich die von Shuten Oishi geleitete Union of New Religions an, die sich gegen den Mißbrauch des Yasukuni-Schreins in Tokyo („Schrein des Friedlichen Landes") und somit gegen ein Wiederaufleben des Staatsshintö wendet. Denn im Yasu-kuni-jinjä werden die Geister der Soldaten verehrt, die seit 1853 im Dienste des japanischen Kaisers gefallen sind. Anläßlich der Gedenkfeiern für die Atombombenopfer erweist ihnen der japanische Premierminister alljährlich seine Referenz. Am 6. Mai 1969 erklärten Vertreter von 67 Glaubensgemeinschaften, darunter Vertreter des Buddhismus, des Sekten-Shintö, der Neuen Japanischen Religionen (shin-shukyö) und der Christen verschiedener Denominationen, das von der Liberaldemokratischen Partei (LDP) initiierte Yasukuni-Schrein-Projekt für eine Verletzung der Religionsfreiheit: „We represent many different points of view with regard to the Yasukuni-Shrine problem, but we are united in our Opposition to i t " , erklärte der Vorsitzende der japanischen Friedenskonferenz der Religionen, Kyotoku Nakano (Japan Christian Activity News, Nr. 327 [10.5.1969] 2; vgl. Peter Gertitz, Die Religionen und die neue Moral. Wirkungen einer weltweiten Säkularisation, München 1971, 7 0 - 93, besonders 87).

Zweckorientierte, temporäre Toleranz bedeutet demnach das Vernachlässigen bzw. Zurückstellen der religiösen Unterschiede bzw. der eigenen Position zugunsten eines gemeinsamen Kampfes gegen einen gemeinsamen Gegner. Den „harten Kern" des Widerstands bilden in Japan gegenwärtig 13 Neureligionen, darunter so bekannte wie die Risshö-Köseikai, der Perfect Liberty Kyödan, der Shöryoku-shintö-yamatoyama, die Shishin-kai und die Hoko-kai (aus: Sankei, Tokyo, 25.8.1999). Es ist vorgesehen, die Allianz wieder aufzulösen, wenn das Ziel erreicht und die Gefahr eines Wiederauflebens des „Tennoismus" gebannt ist. 2.8. Tribale Toleranz. Hier haben wir es mit einem Kontext zu tun, der die Stammesreligionen betrifft: Die tribale Toleranz läßt sich z. B. bei afrikanischen Stämmen beobachten, die zwar geographisch einander nahe sind und auch die gleichen Riten praktizieren (z.B. Initiations- und Bestattungsriten), die aber inhaltlich durch die unterschiedliche Potenz ihrer Götter voneinander getrennt sind. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen bemächtigen sich die Sieger der Götter der Besiegten und erweitern auf diese Weise ihr eigenes Pantheon (Mensching, Toleranz 48). Die tribale Toleranz läßt sich zwar auf eine formale Duldung der neben und unter ihnen existierenden Kulte ein, verwirft aber eine inhaltliche Duldung. Beispiele für tribale Intoleranz bieten die indischen Kasten, in denen zwar die gleichen Götter und Göttinnen (Siva und Sakti) verehrt werden, aber von der Genese her un-

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terschiedliehe soziale Strukturen bestehen, die eine Kommunikation zwischen bestimmten Kasten unmöglich machen bzw. einander bis zur Unberührbarkeit ausschließen. 2.9. Ethische Toleranz. Der von H. Küng geprägte Begriff „Weltethos" besagt, daß sich die Religionen der Gegenwart ungeachtet ihrer Unterschiede den drängenden globalen Problemen verpflichtet wissen müssen. Sie können sich dabei auf ein „ökumenisches Grundkriterium" berufen, das „auf dem H u m a n u m beruht" (Küng 119). Dazu gehört das Weltethos „Frieden" ebenso wie die Menschenrechte und die „Bewahrung der Schöpfung": „Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen" (ebd. 135; vgl. 139). 2.10. Quasi-Toleranz. Hierbei handelt es sich um den Versuch, einen interreligiösen Dialog nur unter dem Gesichtspunkt zu führen, die eigene Religion als die allein gültige und absolute zu beweisen. Petrus -*Abaelard läßt z. B. in seinem fingierten Religionsgespräch zwischen einem Philosophen, einem Juden und einem Christen keinen Zweifel daran, daß der christliche Glaube den anderen Religionen überlegen ist, und das, obwohl ausdrücklich der Begriff tolerantia als Tugend erwähnt wird (Abailard 188f.): Der Christ bezichtigt den Philosophen sogar des Unglaubens (tuae infidelitatis obstinatio datnnat-, ebd. 102f.). Die christliche Ethik ist den nichtchristlichen Ethiken überlegen, und die Toleranz, die über diesem Gespräch waltet, offenbart sich als Schein-Toleranz. Noch deutlicher kommt dieses Phänomen bei -> Nikolaus von Kues zum Ausdruck. Er lehrt zwar die coincidentia oppositorum und bemerkt in allen Religionen Anzeichen von Wahrheit, läßt aber schließlich in allen Diskussionen mit Andersgläubigen die christliche Lehre obsiegen (vgl. Dialogus de pace fidei). Dabei geht er diplomatisch vor, indem er seinen Partnern ein „Teilhaben der einen Gottheit" in den Göttern zugesteht, doch müsse „die eine absolute Weisheit... [auch] der eine Gott sein" (una absoluta sapientia, quae est unus deus; Nikolaus von Kues 724f.). Auch werden die „Götterbilder [von ihm] nicht verurteilt", es sei denn, sie führen von der Verehrung des einzigen Gottes weg, „so als sei in den Steinen selbst ein Teil der Gottheit; dann allerdings sollen sie zu Recht zerstört werden" (tune ...a veritate avertunt-, ebd. 728 f.). Aus dem gleichen Grunde werden auch die Orakel abgelehnt. Schließlich erkennt der indische Gesprächspartner ihre Götzenhafigkeit (idolatras) und willigt in ihre Zerstörung ein (ebd.), während der „bekehrte" Jude sogar „die über alles gepriesene Dreifaltigkeit, welche niemand leugnen k a n n " , „aufs beste erklärt" (optime explanata est) sieht und daher akzeptiert (ebd. 738f.). Der Dialog ist also fingiert. Offen tritt diese intolerante Haltung auch in der „Prüfung, des Korans" (Cribratio Alchorani; ebd. 799-817) zutage: Toleranz hingegen wird hier zum Vorwand für Selbstdarstellung und Selbstgerechtigkeit. In einer Analyse dieser „Typologie" müßte dringend (wegen der kontextuellen Unterschiede jeweils erneut) die Frage nach der Herkunft religiöser Toleranz gestellt werden, etwa: Ist Toleranz in den Religionen bereits angelegt (1) oder aber als (eine) Antwort auf intolerantes Verhalten der Gläubigen zu verstehen (2)? Ist Toleranz in den Religionen überhaupt als Kriterium vorgesehen? Das heißt, muß nicht derjenige, der für sich eine letztgültige religiöse Erfahrung macht, die ihm Identität vermittelt, notwendigerweise „intolerant" sein, zumal wenn er diese Erfahrung weitergeben will (-»Mission)? Dann nämlich müssen sich Religionen zwangsläufig voneinander abgrenzen, Wahrheitsansprüche definieren und Anhänger gewinnen wollen (3). In diesem Sinne wäre selbst dem Buddhismus intolerantes Verhalten nachzuweisen. Woraus wäre es abzuleiten? Aus der Glaubenserfahrung, den heiligen Texten, dem kodifizierten Gesetz? Oder ist es als eine Art von „Überlebensstrategie" für religiöse Systeme unerläßlich? Die Religionsgeschichte hält offenbar eine Vielzahl von Begründungen für möglich. Von der Profangeschichte unterscheiden sich diese zuweilen nicht einmal durch das nu-

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Toleranz III

minose Objekt, um dessentwillen Ethnien oder soziale Gemeinschaften tolerant bzw. intolerant agieren, wenn es sich z. B. um die Einheit von T h r o n und Altar handelt. 3. Toleranz und die Frage nach der

Wahrheit

Die von E. Troeltsch vorgenommene Unterscheidung von „innerlich begründeter Absolutheit" und „rationaler Absolutheit" (Troeltsch 102 bzw. 110) wird auch von G. Mensching geteilt (Toleranz 181). Allerdings bevorzugt dieser die Unterscheidung von „extensiv" und „intensiv": Extensive A b s o l u t h e i t , , . . . bedeutet den Anspruch einer Religion, nicht nur f ü r den Kreis der ursprünglichen Bekenner absolut gültig zu sein, sondern d a r ü b e r hinaus . . . die einzige und allein w a h r e . . . Religion zu sein" (ebd. 180). So heißt es in der vedischen Religion im Hinblick auf Indra, Rig Veda 2,12,9: „ O h n e den die Völker nicht siegen, . . . der sich jedermann gewachsen zeigt, . . . der ist I n d r a " (Geldner I, 291). Und Rig Veda 4,30,1: „Keiner ist höher noch größer als du, Indra . . . ; keiner ebenso wie d u " (Geldner I, 457). Das gleiche wird von R u d r a bezeugt (2,33,3): „ D u bist an Herrlichkeit der Herrlichste [alles] Geborenen, der Stärkste der Starken . . . . Führ' uns heil an das Ende der N o t . . . " (Geldner I, 317). Schließlich bekennt sich der Rig Veda l,127,8f. zur exklusiven Absolutheit des Gottes Agni: „Dich, den Herren aller Stämme, rufen wir an . . . D u , Agni, wirst als der an M a c h t Mächtigste f ü r den Gottesdienst geboren . . . D a r u m dienen wir dir, du Alterloser, wie Hörige, du Alterloser" (Geldner I, 177; vgl. auch Rudolf O t t o , Vishnu N ä r a y ä n a , 1917 [RSV 3] 42). Von „intensiver" bzw. „inklusiver" Absolutheit („Inklusivismus" = Toleranz) aber m u ß da gesprochen werden, w o zwar „die eigene G o t t h e i t . . . einzig . . . ist", aber „ f r e m d e Götter in die eigene Gottheit einbezogen w e r d e n " (Mensching, Toleranz 181). D a f ü r k ö n n t e der M a h a y ä n a - B u d d h i s m u s als Beispiel gelten: Er relativiert nicht nur die Absolutheit des historischen Buddha Sakyamuni, der nach Vinayapitaka Mahävagga 1,6,79 (Majjhima Nikäya 26 [ = R G L 11,11]) von sich sagt: „Keinen Lehrer habe ich, meinesgleichen gibt es nicht, in der Götter- und in der Menschenwelt gibt es keinen, der mir gleich wäre. Ich bin der Heilige in der Welt, ich bin der unvergleichliche Lehrer" - vielmehr erklärt das M a h a y ä n a den Buddha zu einer Gottheit und n i m m t bereits wieder die Götter der Volksreligionen auf, „ b u d d h a i s i e r t " sie gleichsam, so d a ß der historische Buddha einer von vielen wird: Der buddhistische Absolutheitsanspruch verliert sich im Synkretismus und macht den Weg für die in den (nachvedischen) indischen Religionen so typische Toleranz frei. Das heißt jedoch nicht, d a ß der indische Synkretismus keine eigene Identität besäße und die „synkretistischen" Systeme der Spätantike ihren Gläubigen keine verbindlichen Glaubensvorschriften machten, vielmehr erweisen sich diese gegenüber der A u f n a h m e von neuen Elementen, z. B. neuen Gottheiten, als „ t o l e r a n t " , und zwar so, d a ß die neu a u f g e n o m m e n e n Elemente „Absolutheit" in dem Sinne beanspruchen, d a ß sie jetzt verbindlich in das vorliegende System eingeordnet werden können. Quellen Peter Abailard, Gespräch eines Philosophen, eines Juden u. eines Christen, lat.-dt., hg. u. übertr. v. Hans-Wolfgang Krautz, Frankfurt a.M./Leipzig 1995. - 'Abu'l-Fazl-i-'Allämi, ÄTn-i-AkbarT, 3 Bde., 11873, engl. Übers, v. Heinrich Blochmann; II-III 1891-1894, engl. Übers, v. Henry Sullivan Jarrett; 2 1948-1949 neu durchg. v. Jadu-nath Sakar. - 'Abdu'l-Qädir BadäonT, Muntakhab-utTawärikh, 3 Bde., I 1868 = 1983, engl. Übers, v. S. A. Ranking; II 1865 = 1983 21924, engl. Übers, v. H.W. Lowe; III 1869 = 1983, engl. Übers, v. W. Haig ( B i n d 5 1 , 1 - 3 ) . - 'Abdu'l-Bahä, Beantwortete Fragen, Stuttgart 1929 Frankfurt a.M. 31977. - Asoka, Die Felsenedikte des Kaisers Asoka: Der ältere Buddhismus, hg. v. Moriz Winternitz, z 1929 (RGL 11) 149-153. - Bahä'u'lläh, Das Buch der Gewißheit (Kitäb-i-'Iqän), Frankfurt a.M. 1958. - Ders., Kitäb-i-Aqdas. Das heiligste Buch, Hofheim-Langenhain 2000. - Ders., Gleanings from the Writings of Baha'u'lläh, New York 1935; dt.: Ährenlese. Eine Ausw. aus den Sehr. Baha'u'llähs, Frankfurt a.M. 1956 Hofheim-Langenhain 3 1991. - Geldner (s. Rig-Veda). - Der Koran, in der Übers, v. Rudi Paret, Stuttgart u.a. 1962 5 1989. - Der Koran, arab.-dt., Ubers, u. wiss. Komm. v. Adel Theodor Khoury, Gütersloh 1990ff. - Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise, Stuttgart 2000 (3. Aufzug, 7. Auftritt [Ringpa-

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675

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Tolstoj

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T o l s t o j , Lew

Nikolajewitsch

1. Leben 1.

(1828-1910)

2. Werk und Wirken

(Quellen/Literatur S. 679)

Leben

L e w N i k o l a j e w i t s c h T o l s t o j , g e b o r e n a m 2 8 . A u g u s t (9. S e p t e m b e r ) 1 8 2 8 in J a s n a j a P o l j a n a / G o u v e r n e m e n t T u l a , s t a m m t e aus einer a l t e n r u s s i s c h e n A d e l s f a m i l i e . E r stud i e r t e z w i s c h e n 1 8 4 4 u n d 1 8 4 7 O r i e n t a l i s t i k u n d J u r a an d e r U n i v e r s i t ä t K a z a n und legte 1 8 4 9 an d e r U n i v e r s i t ä t P e t e r s b u r g sein J u r a e x a m e n a b . 1 8 5 1 t r a t er als F r e i w i l l i g e r in die K a u k a s u s a r m e e e i n , u n d 1 8 5 4 - 1 8 5 5 n a h m er als O f f i z i e r a m K r i m k r i e g teil, w o e r i m b e l a g e r t e n S e w a s t o p o l s t a t i o n i e r t w a r . N a c h d e m A b s c h i e d aus der A r m e e verb r a c h t e er die J a h r e z w i s c h e n 1 8 5 6 und 1 8 6 1 e n t w e d e r a u f s e i n e m G u t J a s n a j a P o l j a n a o d e r in M o s k a u und St. P e t e r s b u r g s o w i e a u f R e i s e n n a c h W e s t e u r o p a . 1 8 6 2 h e i r a t e t e e r S o f i j a A n d r e j e w n a B e r s , m i t der er 13 K i n d e r h a t t e , u n d l e b t e s e i t d e m r e g e l m ä ß i g in J a s n a j a P o l j a n a . A m 2 8 . O k t o b e r (10. N o v e m b e r ) 1 9 1 0 verließ er seine F a m i l i e , u m sein L e b e n g e m ä ß seinen a s k e t i s c h e n P r i n z i p i e n allein w e i t e r z u f ü h r e n . E r s t a r b a m 7 . (20.) N o v e m b e r 1 9 1 0 u n t e r w e g s an einer L u n g e n e n t z ü n d u n g a u f d e r B a h n s t a t i o n v o n A s t a powa/Gouvernement 2 . Werk

und

Tambow.

Wirken

S c h o n die e r s t e V e r ö f f e n t l i c h u n g - die a u t o b i o g r a p h i s c h e n N o v e l l e n Kindheit, benalter,

]ünglingsjahre

Kna-

( 1 8 5 2 - 1 8 5 7 ) - ist als K u n s t w e r k v o l l e n d e t und z e i c h n e t sich

d u r c h eine D a r s t e l l u n g s w e i s e a u s , die T o l s t o j s G e s a m t w e r k p r ä g t : d a s a u t o b i o g r a p h i s c h e M o m e n t , d e m die F u n k t i o n eines F o r m p r i n z i p s z u k o m m t . H i e r s o w i e in a n d e r e n J u g e n d w e r k e n - Die Kosaken zählungen

( e n t s t a n d e n 1 8 5 2 - 1 8 6 2 , e r s c h i e n e n 1 8 6 3 ) , Sewastopoler

Er-

( 1 8 5 4 - 1 8 5 5 ) - ist die S u c h e n a c h W a h r h e i t und W a h r h a f t i g k e i t d a s G r u n d -

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Tolstoj

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T o l s t o j , Lew

Nikolajewitsch

1. Leben 1.

(1828-1910)

2. Werk und Wirken

(Quellen/Literatur S. 679)

Leben

L e w N i k o l a j e w i t s c h T o l s t o j , g e b o r e n a m 2 8 . A u g u s t (9. S e p t e m b e r ) 1 8 2 8 in J a s n a j a P o l j a n a / G o u v e r n e m e n t T u l a , s t a m m t e aus einer a l t e n r u s s i s c h e n A d e l s f a m i l i e . E r stud i e r t e z w i s c h e n 1 8 4 4 u n d 1 8 4 7 O r i e n t a l i s t i k u n d J u r a an d e r U n i v e r s i t ä t K a z a n und legte 1 8 4 9 an d e r U n i v e r s i t ä t P e t e r s b u r g sein J u r a e x a m e n a b . 1 8 5 1 t r a t er als F r e i w i l l i g e r in die K a u k a s u s a r m e e e i n , u n d 1 8 5 4 - 1 8 5 5 n a h m er als O f f i z i e r a m K r i m k r i e g teil, w o e r i m b e l a g e r t e n S e w a s t o p o l s t a t i o n i e r t w a r . N a c h d e m A b s c h i e d aus der A r m e e verb r a c h t e er die J a h r e z w i s c h e n 1 8 5 6 und 1 8 6 1 e n t w e d e r a u f s e i n e m G u t J a s n a j a P o l j a n a o d e r in M o s k a u und St. P e t e r s b u r g s o w i e a u f R e i s e n n a c h W e s t e u r o p a . 1 8 6 2 h e i r a t e t e e r S o f i j a A n d r e j e w n a B e r s , m i t der er 13 K i n d e r h a t t e , u n d l e b t e s e i t d e m r e g e l m ä ß i g in J a s n a j a P o l j a n a . A m 2 8 . O k t o b e r (10. N o v e m b e r ) 1 9 1 0 verließ er seine F a m i l i e , u m sein L e b e n g e m ä ß seinen a s k e t i s c h e n P r i n z i p i e n allein w e i t e r z u f ü h r e n . E r s t a r b a m 7 . (20.) N o v e m b e r 1 9 1 0 u n t e r w e g s an einer L u n g e n e n t z ü n d u n g a u f d e r B a h n s t a t i o n v o n A s t a powa/Gouvernement 2 . Werk

und

Tambow.

Wirken

S c h o n die e r s t e V e r ö f f e n t l i c h u n g - die a u t o b i o g r a p h i s c h e n N o v e l l e n Kindheit, benalter,

]ünglingsjahre

Kna-

( 1 8 5 2 - 1 8 5 7 ) - ist als K u n s t w e r k v o l l e n d e t und z e i c h n e t sich

d u r c h eine D a r s t e l l u n g s w e i s e a u s , die T o l s t o j s G e s a m t w e r k p r ä g t : d a s a u t o b i o g r a p h i s c h e M o m e n t , d e m die F u n k t i o n eines F o r m p r i n z i p s z u k o m m t . H i e r s o w i e in a n d e r e n J u g e n d w e r k e n - Die Kosaken zählungen

( e n t s t a n d e n 1 8 5 2 - 1 8 6 2 , e r s c h i e n e n 1 8 6 3 ) , Sewastopoler

Er-

( 1 8 5 4 - 1 8 5 5 ) - ist die S u c h e n a c h W a h r h e i t und W a h r h a f t i g k e i t d a s G r u n d -

Tolstoj

677

element des Erkenntnis- und Gestaltungsstrebens des Schriftstellers, die sein ganzes Lebensprogramm im Keime enthält: daß und wie aus dem Schriftsteller Tolstoj der Moralist wurde, der Begründer einer religiösen Lehre (Tolstojismus, Tolstojanismus). Werk und Leben Tolstojs werden häufig in eine künstlerische und eine moralischphilosophische Periode unterteilt. Als Begründung dient seine religiöse Krise, von der seine um 1879 entstandene und 1882 veröffentlichte Beichte zeugt. Doch Tolstojs „Bekehrung" war kein plötzliches Ereignis, sondern das Ergebnis einer langen, an seinen literarischen Werken ablesbaren Entwicklung. Selbst in der Auseinandersetzung mit religiösen, philosophischen und sozialen Fragen ist Tolstoj in erster Linie Dichter geblieben. Er hatte in der Philosophie und Religion dasselbe Ideal wie in der Kunst: „Der Held meiner Erzählung, den ich mit der ganzen Kraft meiner Seele liebe, den ich in seiner ganzen Schönheit zu schildern bemüht war und der immer schön gewesen ist und immer schön sein wird, ist die Wahrheit", schreibt er in der zweiten Sewastopoler Erzählung (1855/56) (SW, 3. Ser., Leipzig, V 3 1901, 104). Das Wahrheitsethos, das Streben nach moralischer Vervollkommnung, das Tolstoj hier beschreibt, gilt für die Gesamtheit seines dichterischen und moralphilosophisch-religiösen Werks. Der historische Roman Krieg und Frieden (1868/69) schließt die Jugendperiode Tolstojs ab und bildet gleichzeitig den Höhepunkt seiner realistischen Erzählkunst. Die geistige Sphäre des Schriftstellers ist hier um ein neues Interesse bereichert, das Interesse an der Geschichte. Auf dem Hintergrund der napoleonischen Kriege (1805-1812) wird die Geschichte zweier Familien (der Wolkonskijs und Rostows) und des mit der Persönlichkeit Tolstojs geistesverwandten Pierre Bezuchov geschildert und am Problem des Krieges das Problem des Geschichtlichen überhaupt erschlossen. Tolstojs Auffassung des Krieges von 1812, die paradigmatisch für das Wesen der Geschichte und letztlich des Lebens überhaupt steht, gründet im „unbewußten allgemeinen Massenleben der Menschheit" (Tolstoj, Krieg und Frieden, Bern, II '1942, 13). Das private, geschichtlich belanglose Leben und Erleben des einzelnen Menschen ist dem historisch Bedeutungsvollen - d.h. dem, was Gegenstand der Geschichtswissenschaft geworden ist - gleichgestellt. Der Sinn des Geschichtlichen, so weist Tolstoj anhand der Familienschicksale und unzähliger mit ihnen verbundener Einzelpersonen nach, besteht darin, daß die Geschichte dem Gesamtzusammenhang des „natürlichen Lebens" ein- und untergeordnet ist. Das Individuum (die „historische Persönlichkeit") hat kaum Bedeutung angesichts der Masse. Napoleon ist „das nichtigste Werkzeug der Geschichte". Begriffe, Ideen, Programme können das geschichtliche Leben, das wirklich stattgefunden hat, nicht erklären. In seinem zweiten epischen Meisterwerk, Anna Karenina (1878), reflektiert Tolstoj am Beispiel der Geschichte einer sündhaften Liebe das für ihn zentrale ethische Problem der Ehe und Familie als Inbegriff sittlichen Lebens. Der Aspekt des „natürlichen Lebens" ist hier ebenso bewahrt wie in Krieg und Frieden, doch der philosophische Grundton ist weitaus weniger optimistisch und dafür puritanischer. Der pychologische Realismus, die Erzähltechnik („innerer Monolog"), die Dezentralisierung des Stoffs (drei Familiengruppen) und vor allem die sprachlich machtvolle Gestaltung reihen Anna Karenina mit Krieg und Frieden in die Weltliteratur ein. Parallel zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit hat sich Tolstoj didaktischen und pädagogischen Aufgaben gewidmet und in Jasnaja Poljana eine Volksschule gegründet (1859) und eine pädagogische Zeitschrift, Jasnaja Poljana, herausgegeben (1862). Seine pädagogische Tätigkeit und Theorie war aufs engste mit den Lebensbedingungen des russischen Bauern verbunden: „die Unterordnung des Lehrstoffs unter den natürlichen Zusammenhang des Lebens" (Hamburger 53) der Dorfkinder und der Respekt vor dem durch Kultur unverdorbenen urtümlichen Schöpfertum des Volkes. In seiner stark von J.-J. -»Rousseau beeinflußten Erziehungslehre vertrat Tolstoj die volle Freiheit der Persönlichkeit: Der Besuch der Schule muß freiwillig sein - eine Idee, die er auch in dem Aufsatz Über die Volksbildung (1874) wieder aufnahm.

678

Tolstoj

Der letzte Teil von Anna Karenina deutete Tolstojs moralische und religiöse Krise bereits an. Sie kam in der stilistisch einzigartigen Bekenntnisschrift Die Beichte zum Ausdruck, in der Tolstoj das Problem des Todes — „Wozu leben?" — mit besonderer emotionaler Härte stellte. Von der geistig-moralischen Krise zeugt auch eine Reihe in den 1880er Jahren verfaßter theoretischer, traktatähnlicher Schriften über die christliche Lehre (Woran ich glaube; Was sollen wir tun?-, Worin besteht das Glückf; Über das Leben; Gottes Reich in uns u.a.), in denen Tolstojs Hauptstreben sich nicht auf die systematische Beschäftigung mit religiös-philosophischen Problemen richtete, sondern auf die praktische religiöse Lebensführung. „Gereinigt von Glaubenssätzen und Wundern", jenseits der „vernunftswidrigen Dogmen" der Kirche sucht er im Evangelium die unmittelbare Anleitung zum sinnerfüllten Leben des neuen Menschen. Auch den orientalischen Religionen, vor allem dem -»Buddhismus, verdankt er Anregungen für seine Menschheitsreligion. Die neue „praktische Religion" ist auf Moral reduziert, ihre Ethik der Liebe basiert auf der Maxime, dem Bösen nicht mit Gewalt zu widerstehen. Die moralische Vervollkommnung der Menschen kann nach Tolstojs Lehre nur dem eigenen Gewissen folgen. Alle Institutionen wie Staat, Armee, Kirche verhindern die geistige Befreiung des Menschen. Für den Christen gibt es Tolstoj zufolge keinen Staat, kein Eigentum und keine Ungleichheit. Obwohl Tolstojs sozialethische Schriften in Rußland streng verboten waren (und nur im Ausland erschienen), ging von ihnen eine tiefe moralische Wirkung auf die russische Gesellschaft aus. Sie beeinflußten die revolutionäre Bewegung, vor allem aber die auf reine Ethik bezogenen Sekten der Duchoborzen, Molokanen und Stundisten, die die Teilhabe an jeder Gewalt ablehnten und den Staat in Frage stellten. Tolstoj selbst wurde auf Grund seiner religiösen Lehren 1901 von der russisch-orthodoxen Kirche exkommuniziert. Zwischen 1881 und 1886 schrieb Tolstoj eine Reihe formvollendeter Volkserzählungen, in denen er das psychologische und analytische Detail aufgab und einen einfacheren, erbaulicheren Erzählstil bevorzugte. Sie sollten seine neue Lehre - die Selbstvervollkommnung des Menschen und den Verzicht auf gewaltsamen Widerstand gegen das Böse - den breiteren Schichten des russischen Volkes verständlich machen. Großes Aufsehen und ebenso großen Anstoß erregte die Schrift des fast siebzigjährigen Tolstoj Was ist Kunst? (1897), in der er neben einem Großteil der abendländischen Literatur auch fast alle seine eigenen Werke verdammte, weil sie nicht den Bedürfnissen des Volkes entsprachen. Die wahre Kunst der Zukunft soll „allen Seiten des natürlichen, den Menschen eigenen Lebens" (SW, 1. Ser., Jena, X 1911, 283) entsprechen. Den Begriff der Schönheit reduzierte Tolstoj auf den subjektiven Genuß der Kunst, den er als Dekadenz der modernen Zivilisation verwarf. Das Gute, um das es ihm allein geht, hat mit dem Schönen nichts gemein. Ähnlich wie seine Kunsttheorie ordnete Tolstoj auch sein Verständnis der Wissenschaft allein dem ethischen Prinzip, der „Tyrannei der Moral" und dem „Panmoralismus" (Wasilij Wasiljevitsch Zenkovskij, Istorija russkoj filosofii, Paris, I 1948, 396f.), unter. Alles, was von der Wahrheit und Wirklichkeit des Lebens abweicht, ist für Tolstoj schlecht. Sein Ideal der Vernünftigkeit ist ihm der höchste Richter allen Wissens und Erkennens. Seine neue Lehre brachte jedoch keineswegs den Künstler in Tolstoj zum Schweigen: die Novelle Der Tod des Iwan lljitsch (1886), das Drama Die Macht der Finsternis (1886), die Erzählung Die Kreutzersonate (1891), der Roman Auferstehung (1899), vor allem aber die Erzählung Chadshi Murat (1904 beendet, 1912 postum erschienen) sind Höhepunkte seiner unvergleichlichen dichterischen Gestaltungskraft. Die immense moralische Autorität, die Tolstoj bereits zu seinen Lebzeiten innerhalb und außerhalb Rußlands ausübte, bewirkte, daß die weltweite Empörung über seine Exkommunikation (1901) seine weitere Verfolgung seitens der staatlichen Autoritäten, wie zu befürchten war, verhindern konnte. Tolstojs religiöses und moralisches Werk, seine Forderung der sittlichen Vervollkommnung des einzelnen, seine Vorstellung eines

Tolstoj

679

natürlichen Lebens und sein diesem entsprechender Wahrheitsbegriff, seine Auffassung von Christentum und Nächstenliebe als „Nichtresistenz" und sein Prinzip der religiösen Lebensführung, seine Einstellung gegen Krieg und —»Todesstrafe, seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen sowie die Ethisierung der sozialen Frage überhaupt hatten schon früh zur Verbreitung seiner Soziallehre und Religion auch außerhalb Rußlands beigetragen (russ. tolstovsto, „Tolstojanertum", „Tolstojanismus", „Tolstojismus", franz. tolstoïsmé). Tolstoj selbst hat die Auswanderung der von den staatlichen und kirchlichen Behörden verfolgten Sekte der Duchoborzen (wörtlich „Kämpfer für den Geist") nach Kanada finanziell unterstützt. Sein Gebot vom „Nichtwiderstehen dem Bösen mittels Gewalt" ging in Mahatma Gandhis (1869-1948) Strategie des passiven, waffenlosen Kampfes gegen die Kolonialmacht ein. Für den zeitgenössischen russischen Philosophen Jurij Dawydow ist Tolstojs Liebesethik der Idealtypus der Gesinnungsethik M. -»Webers (Jurij N. Dawydow/Piama P. Gaidenko [Hg.], Rußland und der Westen, Frankfurt a.M. 1995, 5 1 - 7 1 ) . Außerhalb Rußlands erfuhr Tolstojs schriftstellerisches Werk eine besonders hohe Wertschätzung bei Gustave Flaubert (1821-1880), Guy de Maupassant (1850-1893), Romain Rolland (1866-1944), Stefan Zweig (1881-1942), Th. -»Mann u.a. Im heutigen Rußland wird Tolstoj zwar nach wie vor viel gelesen, doch wenig kommentiert und analysiert. In den letzten Jahren hat der Philosoph Leonid Wladimirowic Karasaew (vor allem in Aufsätzen, die in der Zeitschrift Woprosy filosofii [Fragen der Philosophie] zwischen 1996 und 2001 veröffentlicht wurden) Textanalysen des Werkes von Tolstoj vorgenommen, die er als „ontologische Poetik" bezeichnet. Quellen Polnoe sobranie socinenij (Vollst. GW), 90 Bde., Moskau 1 9 2 8 - 1 9 5 8 . - Sobranie socinenij (GW), 22 Bde., Moskau 1 9 7 8 - 1 9 8 5 . - GW, hg. v. Eberhard Dieckmann/Gerhard Dudek, 20 Bde., Berlin 1966-1971.

Literatur Pavel Ivanovic Birjukov (Hg.), Tolstoj-Dokumente. I. Tolstoj u. der Orient, Zürich/Leipzig 1925. - Maximilian Braun, Tolstoj, eine literarische Biographie, Göttingen 1978. - Martin Doerne, Tolstoj u. Dostojewskij. Zwei christl. Utopien, 1969 (KVR 304). - Boris Ejchenbaum, Lev Tolstoj, 3 Bde., Leningrad/Moskau 1 9 2 8 - 1 9 6 0 . - Paul Gastrow, Tolstoj u. sein Evangelium, Gießen 1905. - Marian Machinek, Das Gesetz des Lebens? Die Auslegung der Bergpredigt bei L. N. Tolstoj im Kontext seines ethisch-rel. Systems, 1998 (MoThSt.S 25). - Käte Hamburger, Leo Tolstoi. Gestalt u. Problem, München 1950. - Thomas Mann, Goethe u. Tolstoj, Aachen 1923; NA Goethe u. Tolstoi. Zum Problem der Humanität, Berlin 1932. - Tomas Garrigue Masaryk, Tolstoj: ders., Polemiken u. Essays zur russ. u. europ. Lit. u. Geistesgesch., hg. v. Peter Demetz, Wien/Köln/ Weimar 1995, 2 9 3 - 3 3 1 . - Dmitrij Sergeevitsch MerescHkovskij, L. Tolstoj i Dostoevskij, St. Petersburg 1901; dt: Tolstoi u. Dostojewski als Menschen u. Künstler, Leipzig 1903; u.d.T.: Tolstoi u. Dostojewski. Leben, Schaffen, Religion, übers, v. Carl v. Gütschow, Berlin 3 1924. - Karl Nötzel, Das heutige Rußland. Eine Einf. in das heutige Rußland an der Hand v. Tolstois Leben u. Werken, 2 Bde., München/Leipzig, 1 1915 II 1918. - Erwin Oberländer, Tolstoj u. die revolutionäre Bewegung, München/Salzburg 1965. - Lew Schestow, Tolstoi u. Nietzsche, Köln 1923. - Victor B. Schklowski, Lev Tolstoj, Moskau 1963; dt.: Leo Tolstoj, Wien 1984. - George Steiner, Tolstoj oder Dostojewskij, Wien 1964. - Fedor Stepun, Dostojewskij u. Tolstoj. Christentum u. soziale Revolution, München 1961. - Nicolas Weisbein, L'évolution religieuse de Tolstoi, Paris 1960.

Jutta Scherrer

Tora/Torafrömmigkeit -»-Gesetz, -»Pentateuch

Tolstoj

679

natürlichen Lebens und sein diesem entsprechender Wahrheitsbegriff, seine Auffassung von Christentum und Nächstenliebe als „Nichtresistenz" und sein Prinzip der religiösen Lebensführung, seine Einstellung gegen Krieg und —»Todesstrafe, seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen sowie die Ethisierung der sozialen Frage überhaupt hatten schon früh zur Verbreitung seiner Soziallehre und Religion auch außerhalb Rußlands beigetragen (russ. tolstovsto, „Tolstojanertum", „Tolstojanismus", „Tolstojismus", franz. tolstoïsmé). Tolstoj selbst hat die Auswanderung der von den staatlichen und kirchlichen Behörden verfolgten Sekte der Duchoborzen (wörtlich „Kämpfer für den Geist") nach Kanada finanziell unterstützt. Sein Gebot vom „Nichtwiderstehen dem Bösen mittels Gewalt" ging in Mahatma Gandhis (1869-1948) Strategie des passiven, waffenlosen Kampfes gegen die Kolonialmacht ein. Für den zeitgenössischen russischen Philosophen Jurij Dawydow ist Tolstojs Liebesethik der Idealtypus der Gesinnungsethik M. -»Webers (Jurij N. Dawydow/Piama P. Gaidenko [Hg.], Rußland und der Westen, Frankfurt a.M. 1995, 5 1 - 7 1 ) . Außerhalb Rußlands erfuhr Tolstojs schriftstellerisches Werk eine besonders hohe Wertschätzung bei Gustave Flaubert (1821-1880), Guy de Maupassant (1850-1893), Romain Rolland (1866-1944), Stefan Zweig (1881-1942), Th. -»Mann u.a. Im heutigen Rußland wird Tolstoj zwar nach wie vor viel gelesen, doch wenig kommentiert und analysiert. In den letzten Jahren hat der Philosoph Leonid Wladimirowic Karasaew (vor allem in Aufsätzen, die in der Zeitschrift Woprosy filosofii [Fragen der Philosophie] zwischen 1996 und 2001 veröffentlicht wurden) Textanalysen des Werkes von Tolstoj vorgenommen, die er als „ontologische Poetik" bezeichnet. Quellen Polnoe sobranie socinenij (Vollst. GW), 90 Bde., Moskau 1 9 2 8 - 1 9 5 8 . - Sobranie socinenij (GW), 22 Bde., Moskau 1 9 7 8 - 1 9 8 5 . - GW, hg. v. Eberhard Dieckmann/Gerhard Dudek, 20 Bde., Berlin 1966-1971.

Literatur Pavel Ivanovic Birjukov (Hg.), Tolstoj-Dokumente. I. Tolstoj u. der Orient, Zürich/Leipzig 1925. - Maximilian Braun, Tolstoj, eine literarische Biographie, Göttingen 1978. - Martin Doerne, Tolstoj u. Dostojewskij. Zwei christl. Utopien, 1969 (KVR 304). - Boris Ejchenbaum, Lev Tolstoj, 3 Bde., Leningrad/Moskau 1 9 2 8 - 1 9 6 0 . - Paul Gastrow, Tolstoj u. sein Evangelium, Gießen 1905. - Marian Machinek, Das Gesetz des Lebens? Die Auslegung der Bergpredigt bei L. N. Tolstoj im Kontext seines ethisch-rel. Systems, 1998 (MoThSt.S 25). - Käte Hamburger, Leo Tolstoi. Gestalt u. Problem, München 1950. - Thomas Mann, Goethe u. Tolstoj, Aachen 1923; NA Goethe u. Tolstoi. Zum Problem der Humanität, Berlin 1932. - Tomas Garrigue Masaryk, Tolstoj: ders., Polemiken u. Essays zur russ. u. europ. Lit. u. Geistesgesch., hg. v. Peter Demetz, Wien/Köln/ Weimar 1995, 2 9 3 - 3 3 1 . - Dmitrij Sergeevitsch MerescHkovskij, L. Tolstoj i Dostoevskij, St. Petersburg 1901; dt: Tolstoi u. Dostojewski als Menschen u. Künstler, Leipzig 1903; u.d.T.: Tolstoi u. Dostojewski. Leben, Schaffen, Religion, übers, v. Carl v. Gütschow, Berlin 3 1924. - Karl Nötzel, Das heutige Rußland. Eine Einf. in das heutige Rußland an der Hand v. Tolstois Leben u. Werken, 2 Bde., München/Leipzig, 1 1915 II 1918. - Erwin Oberländer, Tolstoj u. die revolutionäre Bewegung, München/Salzburg 1965. - Lew Schestow, Tolstoi u. Nietzsche, Köln 1923. - Victor B. Schklowski, Lev Tolstoj, Moskau 1963; dt.: Leo Tolstoj, Wien 1984. - George Steiner, Tolstoj oder Dostojewskij, Wien 1964. - Fedor Stepun, Dostojewskij u. Tolstoj. Christentum u. soziale Revolution, München 1961. - Nicolas Weisbein, L'évolution religieuse de Tolstoi, Paris 1960.

Jutta Scherrer

Tora/Torafrömmigkeit -»-Gesetz, -»Pentateuch

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Tosefta

Tosefta 1. Begriff, A u f b a u , Inhalt, S p r a c h e zu den T a l m u d e n 4 . Überlieferung

1. Begriff, Aufbau,

Inhalt,

2 . Wesen und Entstehung ( Q u e l l e n / L i t e r a t u r S. 682)

3 . Verhältnis zur M i s c h n a und

Sprache

Der aramäische Begriff tössepta entspricht dem hebräischen hattdsiepazt, „Ergänzung, Hinzufügung" (von yäsap hi. „vermehren, hinzutun" [vgl. bSan 88b]). In der rabbinischen Literatur bedeutet Tosefta eine zusätzliche Lehre, welche die geltende -»Halacha ergänzt; der Gebrauch des Wortes zur Bezeichnung einer bestimmten Sammlung tannaitischer (-»Tannaiten) Lehren und Traditionen ist sekundär. Das Wort begegnet erst in amoräischen Texten (yShab IIa,52; yPes 37c,44; bMeg 28b; bQid 49b; bSan 86a; bShevu 41b u.ö.). Allein in bYom 70a (vgl. tYom 4,19) findet sich eine explizite Bezugnahme. Sollten sich diese Stellen auf die Tosefta als ein fixiertes Textcorpus beziehen, wären sie Belege dafür, daß sie den Amoraim als im Lehrbetrieb zu beachtende halachische Sammlung galt. Die Gestalt der Tosefta ist geprägt durch Aufbau und Anordnung der -»Mischna. Traditionskomplexe in Form aneinandergereihter gedanklicher Einheiten sind zusammengestellt zu thematisch bestimmten Traktaten, eingeteilt in sechs Ordnungen. Hinsichtlich Reihenfolge, Zuordnung, Zahl und Umfang der Traktate besteht bei den Textzeugen keine Einheitlichkeit (vgl. die Übersicht bei Strack 2 6 - 2 8 ) . Allein die Mischnatraktate Tamid, Middot, Qintiim und Avot haben keine Entsprechung in der Tosefta. Die Sprache gleicht in Wortschatz und Syntax dem Hebräisch der Mischna, ist jedoch weniger formalisiert und vereinheitlicht. Zahlreicher als in der Mischna sind die Bezugnahmen auf die Tora. Gegenüber der Mischna finden sich auffallend mehr griechische und lateinische Lehnwörter, was daher rührt, daß der Text der Tosefta in weitaus geringerem Maß im Schulbetrieb Verwendung fand und deshalb weniger rezensiert, d.h. unter Bezugnahme auf die im Talmud Bavli (-»Talmud) entwickelte Halacha geglättet und vereinheitlicht wurde. Auch die Tatsache, daß die Zitate aus der hebräischen Bibel öfter nicht die masoretische Textform bieten, sondern Ähnlichkeiten mit hebräischen Vorlagen der Septuaginta (—»Bibelübersetzungen 1.2.1.) aufweisen, ist hierauf zurückzuführen. 2. Wesen und

Entstehung

Die jüdische Tradition bezeichnet die Tosefta als mit der Mischna inhaltlich parallele und bald nach deren Redaktion fertiggestellte, jedoch von dieser unabhängige Sammlung, die dem Zweck diente, in die Mischna nicht aufgenommene Traditionen aus dem rabbinischen Schulbetrieb in Erinnerung zu behalten. Scherira Gaon (ca. 906—1006; ISG L 34) geht von der Abfassung der Tosefta durch R. Chijja bar Abba (Anfang 3. Jh. n. Chr.) aus (vgl. bTaan 21a). -»Abraham ibn Daud (Sefer ha-Kabbala § 105 [ed. Gerson David Cohen, Philadelphia, Pa. 1967]) nennt, vermutlich auf der Basis von bBB 154b, Bar Kappara (Anfang 3. Jh. n. Chr.) als Redaktor der Tosefta (vgl. jedoch yHor 4 8 c , 3 2 35). Da die Tosefta die Mischna zitiert und andererseits im Talmud Yerushalmi und im Bavli zitiert wird, kann die Redaktion der Mischna nach 200 n. Chr. als terminus a quo, die Fertigstellung des Talmud Yerushalmi im 4. Jh. als terminus ante quem gelten. Auch Übereinstimmungen mit den tannaitischen —»Midraschim deuten auf die Existenz der Tosefta vor deren Abschluß hin. Der Talmud Yerushalmi weist mehr Gemeinsamkeiten mit der Tosefta auf als der Bavli, was ebenso wie die Sprache den palästinischen Ursprung nahelegt. 3. Verhältnis

zur Mischna

und zu den

Talmuden

In der Tosefta begegnen zumeist die gleichen Rabbinen als Tradenten wie in der Mischna, jedoch umfaßt die Tosefta auch Lehren der 5. und letzten tannaitischen Ge-

Toseita

681

neration, die nicht in der Mischna enthalten sind. Die halachischen Traktate (z. B. Sanhedrin-, Makkot; Avoda Zara) sind zumeist länger als in der Mischna, die narrativen Traktate (z. B. Voma; Sukka) hingegen sind kürzer. Insgesamt ist der Umfang der Tosefta fast viermal so groß wie der der Mischna. Auswahl und Anordnung des Traditionsmaterials weichen, besonders in der sechsten Ordnung, stark von der Mischna ab. In der modernen Forschung werden neben der traditionellen Auffassung (Goldberg) unterschiedliche Lösungsvorschläge hinsichtlich Entstehung und Zielsetzung der Tosefta unterbreitet, die sie entweder als letzte Redaktionsstufe der palästinischen Mischna im Gegensatz zur (uns erhaltenen) babylonischen Mischna (Zuckermandel), als Basis der Auswahl und Modifikation der in ihr erhaltenen Überlieferungen durch die Redaktoren der Mischna (Friedman), als programmatisch angeordnete Sammlung tannaitischer Traditionen, die als „Kommentar" zur Mischna deren Verwendung in beiden Talmuden bestimme (Neusner), oder als nachtalmudische Kompilation von Baraitot (Elman) verstehen. Die Annahme eines generellen und eindeutigen Verhältnisses zur Mischna erweist sich angesichts des disparaten Textbefundes als unhaltbar. Als Richtlinie kann gelten, daß der geringere Teil der Tosefta vor Abschluß der Mischna formuliert wurde, der größere Teil die Mischna entweder zitiert bzw. kommentiert oder nur in ihrem Licht zu verstehen ist. Ein synoptischer Vergleich als Grundlage einer differenzierten Beschreibung des vielgestaltigen Verhältnisses zwischen einzelnen Texteinheiten in Mischna und Tosefta ist in mehrfacher Hinsicht möglich: 1) Auswahl und Anordnung des Materials (Tosefta übergeht Passagen in der Mischna, schaltet Stoffe ein, ordnet parallelen Stoff verschieden an); 2) inhaltliches Verhältnis (Tosefta zitiert die Mischna wörtlich, ergänzt sie mit vergleichbaren Traditionen und Glossen, Tradentennamen und Diskussionen, erweitert sie um sachlich relevante, jedoch eigenständige Uberlieferungen). 3) Hinsichtlich der Ergänzungen und Erweiterungen ist weiterhin zu prüfen, ob die Überlieferung der Tosefta der Mischna in Halacha oder Tradentennamen entspricht oder widerspricht und welche der beiden Traditionen zum Verständnis der anderen logisch notwendig ist. Viele in der Tosefta überlieferte Traditionen stimmen mit Baraitot im Talmud Yerushalmi und (in geringerem Maß) im Bavli sachlich und/oder hinsichtlich des Tradentennamens überein, differieren jedoch oft im Wortlaut. Andere sachlich relevante Lehrsätze finden in amoräischen Diskussionen keine Berücksichtigung. Etwa die Hälfte des Materials begegnet an keiner anderen Stelle in der rabbinischen Literatur. Lösungsversuche des hierdurch entstehenden Problems des Verhältnisses der Textcorpora (Annahme eines nachtalmudischen Ursprungs der Tosefta bzw. verschiedener Rezensionen als Grundlage beider Talmude) haben das Fehlen einer „Endredaktion" zu berücksichtigen. In der Entstehung und Überlieferung der Tosefta als selbständiger Sammlung tannaitischer Traditionen und Lehrsätze spiegelt sich vielmehr der dynamische Prozeß der halachischen Entwicklung im antiken Judentum. 4.

Überlieferung

Der Großteil der erhaltenen Handschriften der Tosefta ist europäischen Ursprungs. Nahezu vollständig erhalten ist der Text der Wiener Handschrift (Nationalbibliothek Wien, cod. hebr. 20) aus dem frühen 14. Jh. Die ersten vier Ordnungen sowie Zev 1 - 3 umfaßt die um 1260 entstandene Erfurter Handschrift (Orientabt. der Staatsbibliothek [Preußischer Kulturbesitz] Berlin, 2°1220), die wesentliche Übereinstimmungen mit einem in Norcia aufgefundenen, auf ca. 1000 datierbaren Bruchstück des Traktats Nedarim aufweist (Stemberger, Frammenti). Die zweite Ordnung und den Traktat Hm//w beinhaltet die Londoner Handschrift (British Museum, Add. 27.296) aus dem 15. Jh. Die Züricher Handschrift aus dem 17. Jh. (Zentralbibliothek Zürich, Z Heid 38) enthält die ersten vier Ordnungen; sie scheint dem Erstdruck zu entsprechen. Weitere Fragmente unterschiedlichen Textwertes finden sich in den Beständen der Altkairoer Geniza in Oxford (Bodleian Library), Cambridge (University Library) und New York (Jewish Theological Seminary) sowie in den Staatsarchiven von Faenza und Bologna.

682

Tosefta

Der Erstdruck der Tosefta ist der 2. Auflage des Sefer ha-Halachot des Isaak ben J a k o b Alfasi (Venedig 1521) beigebunden. Sein T e x t weist z w a r m e h r Übereinstimmungen mit M s . W i e n (W) und der M e h r z a h l der G e n i z a - F r a g m e n t e als mit M s . Erfurt (E) auf, beruht aber auf einer eigenständigen, verlorengegangenen Handschrift. Die Erfurter Handschrift verdient in den ersten vier O r d n u n g e n nicht nur aufgrund ihres Alters und des Fehlens einer aschkenasischen Revision, die über stilistische Veränderungen hinausgeht, den Vorzug, sondern auch, weil sie in den Parallelen zur M i s c h n a stärker von dieser abweicht als die Wiener Handschrift. Dies scheint d a r a u f hinzuweisen, daß sie in geringerem M a ß an die bestimmende Tradition angeglichen wurde. Allerdings steht sie insgesamt den B a r a i t o t des T a l m u d Bavli näher als denen des Yerushalmi. Quellen 1. Ausgaben und Übersetzungen: Saul Lieberman, The Tosefta According to Codex Vienna, with Variants from Codex Erfurt, Genizah Mss. and Editio Princeps (Venice 1521), 5 Bde., New York 1 9 5 5 - 1 9 8 8 [umfaßt Berakhot bis Baba Batra; Text v. W], - Jacob Neusner u.a. (Hg.), The Tosefta Transí, from the Hebrew, 6 Bde., Atlanta, Ga. 1 9 7 9 - 1 9 9 0 [Text nach Lieberman (s.o.; 1 . - 4 . Seder), Zuckermandel (s.u.; 5. Seder) und Rengstorf (s.u.; 6. Seder); Übers, unter Bezugnahme auf Simson ben Abraham aus Sens, Tosafot Sens u. -»Mose ben Maimón, Mishne Torah, Wilna 1899f¥. (Nachdr. Jerusalem 1961) sowie Saul Lieberman, Tosefta ki-Fshutah (s.u. bei Hilfsmittel)]. - Karl Heinrich Rengstorf/Günter Mayer (Hg.), Rabbinische Texte. 1. R. Die Tosefta, Stuttgart 1960ff. [Text v. E ( 1 . - 4 . Seder) u. W (5. u. 6. Seder); dt. Übers, unter Bezugnahme auf parallele Traditionen in Mischna, Yerushalmi, Bavli u. den tannaitischen Midraschim; bisher liegen vor: Seder Zeraim (Text, Übers, u. Komm.); Sheqalim, Yoma, Sukka, Yom T o v > Rosh HaShana, Yevamot, Sanhedrin, Makkot; Seder Toharot (Text, Übers, u. Komm.)]. - Olga Ruiz Morell/Aurora Salvatierra Ossorio, Tosefta. III. Nashim. Tratado rabínico sobre las mujeres. Edición bilingüe, Estella 2001 (Biblioteca Midrásica 23). - Moses S. Zuckermandel, Tosephta. Based on the Erfurt and Vienna Codices with Parallels and Variants, Pasewalk 1880; Suppl. Trier 1882 (Nachdr. Jerusalem 1970) [Text v. E (1.-4. Seder) u. W (5. u. 6. Seder), beeinflußt durch den Textus receptus]. 2. Einzeltraktate: Hans Bietenhard, Der Tosefta-Traktat Sota, 1986 (JudChr 9). - Hans Blaufuss, Aboda zara. Mischna u. Tosefta, Nürnberg 1916. - Boaz Cohen, Mishnah and Tosefta. A Comparative Study. Pt. 1. Shabbat, New York 1935. - Riccardo Di Segni, Indagini sul trattato di Meghillá della Tosefta: AStE 1975/76 (1977) 1 7 - 4 3 . - Paul Fiebig, Der Tosephtatraktat Ros-Hassana, 1914 (KIT 130). - Ders., Der Toseftatraktat Pea: Angelos 2 (1926) 1 2 9 - 1 5 4 . - Lazar Gulkowitsch, Der Toseftatraktat Berakhoth: Angelos 3 (1928-1930) 1 2 9 - 1 6 3 . - Oscar Holtzmann, Der Tosephtatraktat Berakot, 1912 (BZAW 23). - Michael Kern, Der Tosefta-Traktat Yom Tob, Diss. Würzburg 1934. - Heinrich Laible, Der Tosefta-Traktat Berachöth, Rothenburg o.Tbr. 1902. - Reinhard Neudecker, Frührabbinisches Ehescheidungsrecht. Der Tosefta-Traktat Gittin, 1982 (BibOr 39). Eugen L. Rapp, Der Tosephtatraktat Mo'ed Katan: J S O R 12 (1928) 1 0 0 - 1 0 6 . - Olga I. Ruiz Morell, Las aguas amargas de la mujer, Estella 1999 (Biblioteca Midrásica 20). - Philipp Schlesinger, Die Tosefta des Traktats Qiddusin, Diss. Würzburg 1926. 3. Wichtigste Hilfsmittel: Elia Gaon v. Wilna, Talmud Bavli, ed. Wwe. u. Gebr. Romm, Wilna 1881 (Toharot). - Chaim J . Kasowski/Moshe Kasowski, Thesaurus Thosephthae, 6 Bde., Jerusalem 1 9 3 2 - 1 9 6 1 . - Saul Lieberman, Tosefeth Rishonim, 4 Bde., Jerusalem 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . - Ders., Tosefta ki-Fshutah. A Comprehensive Comm. on the Tosefta, 11 Bde., New York 1 9 5 5 - 1 9 8 8 . - David Pardo, Sefer Hasde David, 3 Bde., Livorno/Jerusalem 1 7 7 6 - 1 7 9 0 Nachdr. Jerusalem 1994. - S.a. die Lit. zu -»Mischna. Literatur Alan J. Avery-Peck, The Mishnah, Tosefta, and the Talmuds: H O 16/1 (1995) 1 7 3 - 2 1 6 . - John Bowman, Fragments of the Tosefta from the Cairo Geniza and their Importance for the Text of the Tosefta: Glasgow Univ. Oriental Society Transactions 11 (1942-1944), Hertford 1946, 3 8 - 4 7 . - Natan Braverman, Euphony and Rhythm in the Mishna and in the Tosephta: PWCJS 10, Div. D, Vol. 1 (1990) 6 9 - 7 6 (hebräisch). - Ders., An Examination of the Nature of the Vienna and Erfurt Manuscripts of the Tosefta: Mechqarim ba-Laschon 5 - 6 (1992/93) 1 5 3 - 1 7 0 (hebräisch). - Ders., Synonyms in the Mishnah and in the Tosefta: PWCJS 11, Div. D, Vol. 1 (1994) 1 7 - 2 4 (hebräisch). - Yaakov Elman, Babylonian Baraitot in the Tosefta and the „Dialectology" of Middle Hebrew: Association for Jewish Studies Review 16 (1991) 1 - 2 9 . - Ders., Authority and Tradition. Toseftan Baraitot in Talmudic Babylonia, New York/Hoboken, N.J. 1994. - Shamma J . Friedman,

683

Totem/Totemismus

T h e P r i m a c y o f T o s e f t a in M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s - S h a b b a t 1 6 , 1 : T a r b . 6 2 ( 1 9 9 4 ) 3 1 3 - 3 3 8 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e P r i m a c y o f T o s e f t a in M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s : P W C J S 11, D i v . C , Vol. 1 ( 1 9 9 4 ) 1 5 - 2 2 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s : B a r - I l a n A n n u a l , R a m a t - G a n , 2 6 - 2 7 (1995) 2 7 7 - 2 8 8 (hebräisch). - Harry Fox/Tirzah M e a c h a m (Hg.), Introducing Tosefta, N e w Y o r k 1999. - A b r a h a m G o l d b e r g , Tosefta to the T r a c t a t e T a m i d : Ezra Z . M e l a m e d (Hg.), B e n j a m i n de V r i e s M e m o r i a l V o l . , J e r u s a l e m 1 9 6 8 , 1 8 - 4 2 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e O r d e r o f t h e H a l a c h o t in t h e M i s h n a a n d t h e T o s e f t a : P W C J S 6 , Vol. 3 ( 1 9 7 7 ) 8 3 - 9 4 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e T o s e f t a - C o m p a n i o n t o t h e M i s h n a : C R I II/3 ( 1 9 8 7 ) 2 8 3 - 3 0 2 . - A l b e r d i n a H o u t m a n , M i s h n a h and T o s e f t a . A Synoptic C o m p a r i s o n o f the Tractates B e r a k h o t and Shebiit, 2 Bde., 1996 ( T S A J 59). - Dies., T h e J o b , the Craft and the T o o l s . Using a Synopsis for Research on the Relationship(s) between the M i s h n a h and the Tosefta: J J S 4 8 (1997) 9 1 - 1 0 4 . - M e n a c h e m Z . Kaddari, G r a m m a t i c a l N o t e s o n S a u l L i e b e r m a n ' s T o s e f t a K i f s h u t a h ( Z e r a ' i m ) : E d u a r d Y. K u t s c h e r ( H g . ) , A r c h i v e o f t h e N e w D i c t i o n a r y o f R a b b i n i c a l L i t e r a t u r e , R a m a t - G a n , 1 1 9 7 2 , X L . 163 - 1 7 3 ( h e b r ä i s c h ) . - H a y a N a t h a n , T h e Linguistic Tradition o f C o d e x Erfurt o f the Tosefta, Jerusalem 1986 (hebräisch). J a c o b N e u s n e r , T h e Bavli T h a t m i g h t h a v e b e e n , 1 9 9 1 ( S F S H J 1 8 ) . - D e r s . , W h a t is the T o s e f t a ? : ders., T h e 20th Century Construction o f „ J u d a i s m " , 1991 ( S F S H J 32) 1 9 9 - 2 3 8 . - Ders., T h e T o s e f t a . A n I n t r . , 1 9 9 2 ( S F S H J 4 7 ) . - D e r s . , F r o m T e x t t o H i s t . C o n t e x t in R a b b i n i c J u d a i s m , I 1 9 9 3 ( S F S H J 9 3 ) 1 5 1 - 2 4 9 . - D e r s . , T h e P l a c e o f t h e T o s e f t a in t h e H a l a k h a h o f F o r m a t i v e J u d a i s m , 1 9 9 8 ( S F S H J 1 5 6 ) . - M a u r o P e r a n i , I n v e n t a r i o dei f r a m m e n t i di m a n o s c r i t t i m e d i e v a l i della M i s n a h , della T o s e f t a e del T a l m u d rinvenuti negli archivi i t a l i a n i : G i u l i o Busi ( H g . ) , W e - z o ' t l e - A n g e l o . F S A n g e l o V i v i a n , B o l o g n a 1 9 9 3 ( T S A I S G 11) 3 6 9 - 3 9 4 . - D e r s . , 11 piii a n t i c o f r a m m e n t o della „ G e n i z a h i t a l i a n a " . L a T o s e f t a di N o r c i a (ca. 1 0 0 0 e.V.). Rilievi c o d i c o l o g i c i e p a l e o g r a f i c i : ders. ( H g . ) , L a „ G e n i z a h i t a l i a n a " , B o l o g n a 1 9 9 9 , 2 6 1 - 2 6 5 . - D e r s . / G ü n t e r S t e m b e r g e r , N u o v a luce sulla t r a d i z i o n e m a n o s c r i t t a della T o s e f t a . I f r a m m e n t i rinvenuti a B o l o g n a : H e n o c h 16 ( 1 9 9 4 ) 2 2 7 - 2 5 2 . - S a m u e l R o s e n b l a t t , T h e I n t e r p r e t a t i o n o f t h e B i b l e in t h e T o s e f t a , 1 9 7 4 ( J Q R . M S 4 ) . - O l g a I. R u i z M o r e l l , R e c r e a c i o n e s b í b l i c a s en T o s e f t a S o t a h : M E A H 4 7 ( 1 9 9 8 ) 5 - 1 8 . - D i e s . , T o s e f t a S o t a h . Síntesis d e un e s t u d i o : J . T a r g a r o n a B o r r á s / A . S á e n z - B a d i l l o s ( H g . ) , J e w i s h S t u d i e s at t h e T u r n o f t h e T w e n t i e t h C e n t u r y , L e i d e n , I 1 9 9 9 , 3 4 2 - 3 4 8 . - D i e s . , T o s e f t a Y e b a m o t . Síntesis de un e s t u d i o : ' I l u . R e v i s t a de C i e n c i a s de las R e l i g i o n e s 3 ( 2 0 0 0 ) 3 8 - 7 7 . - G ü n t e r S t e m b e r g e r , E i n l . in T a l m u d u. M i d r a s c h , M ü n c h e n ' 1 9 9 2 , 1 5 3 - 1 6 6 (ältere L i t . ) . - D e r s . , I F r a m m e n t i della T o s e f t a di N o r c i a e il l o r o c o n t r i b u t o a l i o s t u d i o della t r a d i z i o n e t e s t u a l e : M a u r o P e r a n i ( H g . ) , La „ G e n i z a h i t a l i a n a " , B o l o g n a 1 9 9 9 , 2 6 7 - 2 7 3 . - H e r m a n n L e b e r e c h t S t r a c k , E i n l . in T a l m u d u. M i d r a s c h , M ü n c h e n 5 1 9 2 1 . - Pinkas R . Weis, T h e Controversies o f R a b and Samuel and the Tosefta: J S S t 3 (1958) 2 8 8 - 2 9 7 . - Solomon Zeitlin, T h e Tosefta: J Q R 47 (1957) 3 8 1 - 3 9 9 . Michael

Tilly

Totem/Totemismus 1. B e g r i f f s b e s t i m m u n g

1.

2 . D i e E r f o r s c h u n g des T o t e m i s m u s

( L i t e r a t u r S. 6 8 6 )

Begriffsbestimmung

U n t e r e i n e m T o t e m v e r s t e h t m a n ein T i e r , selten eine Pflanze o d e r ein M i n e r a l , d a s m i t e i n e m M e n s c h e n o d e r m i t e i n e r G r u p p e v o n M e n s c h e n in m y s t i s c h - m a g i s c h e r wandtschaftlicher Verbindung steht. M a n

unterscheidet gewöhnlich

zwischen

ver-

Indivi-

d u a l - , G r u p p e n - u n d G e s c h l e c h t s t o t e m s b z w . - t o t e m i s m u s , je n a c h d e m , o b eine E i n zelperson, eine Gruppe wie Sippe, Klan, Hälfte oder nur M ä n n e r bzw. F r a u e n

diese

v e r w a n d t s c h a f t l i c h e n B e z i e h u n g e n u n t e r h a l t e n . In d e r r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e n

Dis-

k u s s i o n ist a b e r n u r d e r G r u p p e n t o t e m i s m u s v o n I n t e r e s s e . D e n n b i s v o r k n a p p h u n d e r t J a h r e n versuchten namhafte Wissenschaftler darzulegen, daß nicht nur das

-»Opfer

u n d O p f e r m a h l , s o n d e r n s o g a r die —»Religion i n s g e s a m t ihren A u s g a n g v o m T o t e m i s m u s genommen

habe.

S p r a c h l i c h leitet sich d a s W o r t „ T o t e m " a u s d e n A l g o n k i n - S p r a c h e n d e s s ü d l i c h e n K a n a d a h e r , w o es s o viel w i e V e r w a n d t s c h a f t , F a m i l i e n a b z e i c h e n o d e r a u c h p e r s ö n l i c h e r S c h u t z g e i s t b e d e u t e t . E s h a t a l s o k a u m n o c h e t w a s m i t d e m B e g r i f f z u t u n , d e r in d e r - • R e l i g i o n s e t h n o l o g i e diskutiert w u r d e u n d z u m Teil n o c h

wird.

Die verwandtschaftliche Beziehung z u m T o t e m wird sehr unterschiedlich

interpre-

t i e r t . E s g i b t G r u p p e n , w i e z . B . in - » A u s t r a l i e n , d i e i h r e n U r s p r u n g d i r e k t v o m

Totem

h e r l e i t e n , a n d e r e , w i e z . B . in Z e n t r a l a f r i k a , d i e n u r e i n e v a g e , w e n n ü b e r h a u p t

ver-

683

Totem/Totemismus

T h e P r i m a c y o f T o s e f t a in M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s - S h a b b a t 1 6 , 1 : T a r b . 6 2 ( 1 9 9 4 ) 3 1 3 - 3 3 8 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e P r i m a c y o f T o s e f t a in M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s : P W C J S 11, D i v . C , Vol. 1 ( 1 9 9 4 ) 1 5 - 2 2 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , M i s h n a h - T o s e f t a P a r a l l e l s : B a r - I l a n A n n u a l , R a m a t - G a n , 2 6 - 2 7 (1995) 2 7 7 - 2 8 8 (hebräisch). - Harry Fox/Tirzah M e a c h a m (Hg.), Introducing Tosefta, N e w Y o r k 1999. - A b r a h a m G o l d b e r g , Tosefta to the T r a c t a t e T a m i d : Ezra Z . M e l a m e d (Hg.), B e n j a m i n de V r i e s M e m o r i a l V o l . , J e r u s a l e m 1 9 6 8 , 1 8 - 4 2 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e O r d e r o f t h e H a l a c h o t in t h e M i s h n a a n d t h e T o s e f t a : P W C J S 6 , Vol. 3 ( 1 9 7 7 ) 8 3 - 9 4 ( h e b r ä i s c h ) . - D e r s . , T h e T o s e f t a - C o m p a n i o n t o t h e M i s h n a : C R I II/3 ( 1 9 8 7 ) 2 8 3 - 3 0 2 . - A l b e r d i n a H o u t m a n , M i s h n a h and T o s e f t a . A Synoptic C o m p a r i s o n o f the Tractates B e r a k h o t and Shebiit, 2 Bde., 1996 ( T S A J 59). - Dies., T h e J o b , the Craft and the T o o l s . Using a Synopsis for Research on the Relationship(s) between the M i s h n a h and the Tosefta: J J S 4 8 (1997) 9 1 - 1 0 4 . - M e n a c h e m Z . Kaddari, G r a m m a t i c a l N o t e s o n S a u l L i e b e r m a n ' s T o s e f t a K i f s h u t a h ( Z e r a ' i m ) : E d u a r d Y. K u t s c h e r ( H g . ) , A r c h i v e o f t h e N e w D i c t i o n a r y o f R a b b i n i c a l L i t e r a t u r e , R a m a t - G a n , 1 1 9 7 2 , X L . 163 - 1 7 3 ( h e b r ä i s c h ) . - H a y a N a t h a n , T h e Linguistic Tradition o f C o d e x Erfurt o f the Tosefta, Jerusalem 1986 (hebräisch). J a c o b N e u s n e r , T h e Bavli T h a t m i g h t h a v e b e e n , 1 9 9 1 ( S F S H J 1 8 ) . - D e r s . , W h a t is the T o s e f t a ? : ders., T h e 20th Century Construction o f „ J u d a i s m " , 1991 ( S F S H J 32) 1 9 9 - 2 3 8 . - Ders., T h e T o s e f t a . A n I n t r . , 1 9 9 2 ( S F S H J 4 7 ) . - D e r s . , F r o m T e x t t o H i s t . C o n t e x t in R a b b i n i c J u d a i s m , I 1 9 9 3 ( S F S H J 9 3 ) 1 5 1 - 2 4 9 . - D e r s . , T h e P l a c e o f t h e T o s e f t a in t h e H a l a k h a h o f F o r m a t i v e J u d a i s m , 1 9 9 8 ( S F S H J 1 5 6 ) . - M a u r o P e r a n i , I n v e n t a r i o dei f r a m m e n t i di m a n o s c r i t t i m e d i e v a l i della M i s n a h , della T o s e f t a e del T a l m u d rinvenuti negli archivi i t a l i a n i : G i u l i o Busi ( H g . ) , W e - z o ' t l e - A n g e l o . F S A n g e l o V i v i a n , B o l o g n a 1 9 9 3 ( T S A I S G 11) 3 6 9 - 3 9 4 . - D e r s . , 11 piii a n t i c o f r a m m e n t o della „ G e n i z a h i t a l i a n a " . L a T o s e f t a di N o r c i a (ca. 1 0 0 0 e.V.). Rilievi c o d i c o l o g i c i e p a l e o g r a f i c i : ders. ( H g . ) , L a „ G e n i z a h i t a l i a n a " , B o l o g n a 1 9 9 9 , 2 6 1 - 2 6 5 . - D e r s . / G ü n t e r S t e m b e r g e r , N u o v a luce sulla t r a d i z i o n e m a n o s c r i t t a della T o s e f t a . I f r a m m e n t i rinvenuti a B o l o g n a : H e n o c h 16 ( 1 9 9 4 ) 2 2 7 - 2 5 2 . - S a m u e l R o s e n b l a t t , T h e I n t e r p r e t a t i o n o f t h e B i b l e in t h e T o s e f t a , 1 9 7 4 ( J Q R . M S 4 ) . - O l g a I. R u i z M o r e l l , R e c r e a c i o n e s b í b l i c a s en T o s e f t a S o t a h : M E A H 4 7 ( 1 9 9 8 ) 5 - 1 8 . - D i e s . , T o s e f t a S o t a h . Síntesis d e un e s t u d i o : J . T a r g a r o n a B o r r á s / A . S á e n z - B a d i l l o s ( H g . ) , J e w i s h S t u d i e s at t h e T u r n o f t h e T w e n t i e t h C e n t u r y , L e i d e n , I 1 9 9 9 , 3 4 2 - 3 4 8 . - D i e s . , T o s e f t a Y e b a m o t . Síntesis de un e s t u d i o : ' I l u . R e v i s t a de C i e n c i a s de las R e l i g i o n e s 3 ( 2 0 0 0 ) 3 8 - 7 7 . - G ü n t e r S t e m b e r g e r , E i n l . in T a l m u d u. M i d r a s c h , M ü n c h e n ' 1 9 9 2 , 1 5 3 - 1 6 6 (ältere L i t . ) . - D e r s . , I F r a m m e n t i della T o s e f t a di N o r c i a e il l o r o c o n t r i b u t o a l i o s t u d i o della t r a d i z i o n e t e s t u a l e : M a u r o P e r a n i ( H g . ) , La „ G e n i z a h i t a l i a n a " , B o l o g n a 1 9 9 9 , 2 6 7 - 2 7 3 . - H e r m a n n L e b e r e c h t S t r a c k , E i n l . in T a l m u d u. M i d r a s c h , M ü n c h e n 5 1 9 2 1 . - Pinkas R . Weis, T h e Controversies o f R a b and Samuel and the Tosefta: J S S t 3 (1958) 2 8 8 - 2 9 7 . - Solomon Zeitlin, T h e Tosefta: J Q R 47 (1957) 3 8 1 - 3 9 9 . Michael

Tilly

Totem/Totemismus 1. B e g r i f f s b e s t i m m u n g

1.

2 . D i e E r f o r s c h u n g des T o t e m i s m u s

( L i t e r a t u r S. 6 8 6 )

Begriffsbestimmung

U n t e r e i n e m T o t e m v e r s t e h t m a n ein T i e r , selten eine Pflanze o d e r ein M i n e r a l , d a s m i t e i n e m M e n s c h e n o d e r m i t e i n e r G r u p p e v o n M e n s c h e n in m y s t i s c h - m a g i s c h e r wandtschaftlicher Verbindung steht. M a n

unterscheidet gewöhnlich

zwischen

ver-

Indivi-

d u a l - , G r u p p e n - u n d G e s c h l e c h t s t o t e m s b z w . - t o t e m i s m u s , je n a c h d e m , o b eine E i n zelperson, eine Gruppe wie Sippe, Klan, Hälfte oder nur M ä n n e r bzw. F r a u e n

diese

v e r w a n d t s c h a f t l i c h e n B e z i e h u n g e n u n t e r h a l t e n . In d e r r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e n

Dis-

k u s s i o n ist a b e r n u r d e r G r u p p e n t o t e m i s m u s v o n I n t e r e s s e . D e n n b i s v o r k n a p p h u n d e r t J a h r e n versuchten namhafte Wissenschaftler darzulegen, daß nicht nur das

-»Opfer

u n d O p f e r m a h l , s o n d e r n s o g a r die —»Religion i n s g e s a m t ihren A u s g a n g v o m T o t e m i s m u s genommen

habe.

S p r a c h l i c h leitet sich d a s W o r t „ T o t e m " a u s d e n A l g o n k i n - S p r a c h e n d e s s ü d l i c h e n K a n a d a h e r , w o es s o viel w i e V e r w a n d t s c h a f t , F a m i l i e n a b z e i c h e n o d e r a u c h p e r s ö n l i c h e r S c h u t z g e i s t b e d e u t e t . E s h a t a l s o k a u m n o c h e t w a s m i t d e m B e g r i f f z u t u n , d e r in d e r - • R e l i g i o n s e t h n o l o g i e diskutiert w u r d e u n d z u m Teil n o c h

wird.

Die verwandtschaftliche Beziehung z u m T o t e m wird sehr unterschiedlich

interpre-

t i e r t . E s g i b t G r u p p e n , w i e z . B . in - » A u s t r a l i e n , d i e i h r e n U r s p r u n g d i r e k t v o m

Totem

h e r l e i t e n , a n d e r e , w i e z . B . in Z e n t r a l a f r i k a , d i e n u r e i n e v a g e , w e n n ü b e r h a u p t

ver-

684

Totem/Totemismus

wandtschaftliche Beziehung zwischen dem Urahn des Klans und dem Totemtier des Klans annehmen; vielleicht seien beide einmal Geschwister gewesen, heißt es dann, vielleicht war es aber auch das Lieblingstier des Urahns, das ihn auf der Jagd beschützte oder ihm Glück brachte, er es deshalb weder tötete noch aß. Ausschlaggebend in der Beziehung Gruppe - Totem ist aber immer das Tabu (-»Mana und Tabu), das Tier zu töten und es zu verspeisen. Das Totem wird also für alle Nachkommen des Urahns bzw. der Urahnin mit einem strengen Tabu belegt. Dieser Punkt hat in der religionsgeschichtlichen Diskussion die meiste Aufmerksamkeit erhalten, denn Gelehrte hielten gerade das Brechen des Tabus für die Geburtsstunde des Opfers und der Religion. Der Totemismus ist ein weltweit verbreitetes Phänomen, dennoch gibt es zahlreiche archaische Völker, Jäger und Sammler, die keinen Totemismus kennen, so etwa sibirische und nordamerikanische Jäger, Feuerlandindianer, einige alte australische Ethnien u.a. Für großes Aufsehen sorgte seinerzeit das Werk Lectures on the Religion ofthe Semites (1889) von W.R. -»Smith, in dem er den Totemismus im alten Israel nachzuweisen suchte. Er ordnete jedem Stamm ein Totemtier zu - Juda z. B. den Löwen. Die Thesen von Smith konnten sich aber wissenschaftlich in keiner Weise behaupten und gehören heute der Wissenschaftsgeschichte an (s.u. 2.). Über den Ursprung des Totemismus gibt es keine allgemein akzeptierte Meinung. Es scheint sich aber immer mehr die Ansicht durchzusetzen, daß er aus der engen Beziehung des frühzeitlichen Jägers zum Jagdtier hervorgegangen sein könnte. Nicht selten findet man bei Jägern die Sitte, ein bestimmtes Tier nicht zu töten: es hat vielleicht den Jäger einmal vor einer Gefahr gewarnt oder gar daraus errettet. In frühen Kulturen, aber auch in ethnologisch rezenten, werden bisweilen Tiere, und zumal Jagdtiere, der menschlichen Kategorie zugerechnet. Man begegnet oft einem ganzen theriomorphen Weltbild (-»Tiersymbolik): Da gibt es die Verwandlungen der Menschen in Tiere und umgekehrt, tierische Alter-Ego-Vorstellungen, Herren bzw. Herrinnen der Tiere, mächtige und gefährliche Tierseelen, mit denen man sich gut zu stellen hat, und dergleichen. Ein Pawnee-Indianerhäuptling erklärte: „Am Anfang aller Dinge waren Weisheit und Wissen bei den Tieren, denn Tirawa, der Obere, sprach den Menschen nicht unmittelbar an. Er schickte bestimmte Tiere, um den Menschen bekanntzugeben, daß er sich durch die Tiere offenbare..." (Natalie Curtis, The Indians' Book, New York 1907, 96f.). 2. Die Erforschung

des

Totemismus

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. und besonders zu Beginn des 20. Jh. sahen Wissenschaftler wie Wilhelm Wundt (1832-1920), Emile Dürkheim (1858-1917), S. -»Freud u.a. im Totemismus eine Urform bzw. den Ursprung der Religion. Schon vor ihnen hatte W.R. Smith, ein Schüler von John F. McLennan (1827-1881), der zum ersten Male den Totemismus mit Religion in Zusammenhang brachte, den Ursprung des blutigen Tieropfers aus der Schlachtung des Totemtieres abgeleitet. Smith war Orientalist und Alttestamentler und hatte in seinem Werk Lectures on the Religion of the Semites die Religion der Hebräer und ihre Opfer auf die Schlachtung und den Verzehr der Totemtiere der Stämme zurückgeführt. Freud griff Smith's Thesen in seinem Bändchen Totem und Tabu (1913) auf und deutete sie auf dem Hintergrund seiner psychoanalytischen Erkenntnisse aus. Dabei setzte er zwei gängige Hypothesen seiner Zeit als gesicherte Wahrheiten voraus: 1) die evolutionistische Entwicklung der Religion aus dem Primitivstadium der Menschheit, wobei der Anführer der Urhorde zu Gott mutiert, und 2) die Entstehung des blutigen Opfers und der religiösen Gemeinschaft aus der Schlachtung und dem Verzehr des Totemtieres. Diese beiden Hypothesen verbindet Freud mit dem Ödipuskomplex und kommt auf diese Weise zu seiner Deutung von Gott, Religion und sakraler Gemeinschaft. In der primären Horde habe der gewalttätige Urvater die Weibchen kapitalisiert und seine erwachsenen Söhne aus der Horde ausgestoßen. Diese aber rotteten sich zusammen, erschlugen ihren Vater, aßen ihn auf und übernahmen die Weibchen, ihre Mütter und Schwestern. Durch den

Totem/Totemismus

685

Verzehr des beneideten und gefürchteten Vaters eignete man sich seine Stärke an und identifizierte sich mit ihm. Dies geschah in der „Feier der T o t e m m a h l z e i t " . D u r c h „nachträglichen G e h o r s a m " verboten sie sich die Früchte ihrer T a t , „indem sie die T ö t u n g des Vaterersatzes, des T o t e m , für unerlaubt e r k l ä r t e n " und auf die Weibchen verzichteten - der Ursprung des Inzestverbots. H i e r hat auch das „Schuldbewußtsein des S o h n e s " seinen Ursprung (Freud IV, 5 ) .

Aus religionsethnologischer Sicht kann sehr viel gegen Freuds Thesen ins Feld geführt werden, da er ethnologische Fakten in seiner Ausdeutung der Frühzeit so gut wie gar nicht berücksichtigt. So besitzen viele Altvölker, also Jäger und Sammler, keinen Totemismus und haben dennoch Religion und Opfer. Der als selbstverständlich vorausgesetzte Kannibalismus in der Urhorde ist gerade bei Altvölkern so gut wie nicht nachweisbar, sondern erst in späteren seßhaften Pflanzerkulturen. Daß Totemismus eine Etappe der allgemeinen Religionsentwicklung wäre, ist bis heute niemals bewiesen worden, sondern reine Annahme. Zahlreiche alte Jäger- und Sammlerethnien, wie z. B. einige Australier, kennen zwar Totemismus, aber kein Opfer. Doch die Hauptthese, wonach Religion und Opfer aus dem Töten und dem gemeinsamen Verzehr des Totemtieres entstehen, bleibt unbewiesen, da bei den lebenden Völkern nirgendwo solche „Totemmahlzeiten" beschrieben worden sind. In der gesamten frühen ethnologischen Literatur tauchen zwei bis vier zweifelhafte Fälle auf, die aber nicht mehr verifiziert werden können. In den letzten Jahrzehnten ist nirgendwo ein gesicherter Fall berichtet worden. Auch Dürkheim bemühte den Totemismus, um die Religion auf eine rationale Basis zu stellen und sie so von der Transzendenz zu befreien. Er wählt in seinem berühmten Werk Les formes élémentaires de la vie religieuse (1912) die Aranda (Arunta) in Zentralaustralien aus, um an Hand ihres Totemismus seine Thesen paradigmatisch zu beweisen. Es genügt nach Dürkheim, einmal nachzuweisen, daß Religion nur eine Projektion des Sozialen ist, um der Religion an sich die Transzendenz absprechen zu können. Nach Dürkheim kann sich Religion nicht auf überirdische, von unserer Wissenschaft nicht kontrollierbare Mächte beziehen, sondern sie muß auf rational faßbare Realitäten gegründet sein. Religion muß sich also auf natürliche und nicht auf transzendente Phänomene gründen. Wenn die A r a n d a in kleinen Gruppen auf N a h r u n g s s u c h e ihr Land durchstreifen, ist dies profane Z e i t . Z u bestimmten Anlässen k o m m t der K l a n oder S t a m m z u s a m m e n , um Feste zu feiern. Bei diesen Feierlichkeiten k o m m e n die G e m ü t e r in Bewegung, und es gerät der eine oder andere außer sich, er wird exaltiert, schreit, gestikuliert. Auch die G r u p p e als ganze wird erfaßt und animiert. D o c h ein kollektives Gefühl kann nur dann zum Ausdruck gebracht werden, wenn bestimmte Regeln beachtet, d.h. wenn die Äußerungen in einen bestimmten R h y t h m u s und in eine F o r m g e b r a c h t werden. M i t anderen Worten: es k o m m t zu G e b e t , T a n z , Liedern etc. „ D e r Einzelne fühlt sich von einer.äußeren Kraft davongetragen, so d a ß er den. Eindruck, gewinnt, .er sei ein. anderer g e w o r d e n . Und da zu gleicher Zeit alle seine Begleiter sich ebenfalls auf gleiche Weise verwandelt fühlen und e b e n s o durch Schreie, Gesten und H a l t u n g ihre G e f ü h l e zum Ausdruck bringen, entsteht für ihn der E i n d r u c k , daß er wirklich in eine besondere Welt entrückt sei, die ganz verschieden ist von der, in welcher er gewöhnlich l e b t . . . Es scheint also, d a ß die sprudelnde Idee des Religiösen in der M i t t e einer solchen sozialen Umgebung und aus einer solchen Lebhaftigkeit heraus geboren wird. D a ß dies wirklich der Ursprung ist, wird durch die T a t s a c h e bewiesen, daß in Australien die wirklich religiöse Aktivität auf jene Zeiten begrenzt wird, da die Versammlungen abgehalten w e r d e n " (vgl. D ü r k h e i m [1960] 3 1 2 f . ) .

Dürkheims Thesen haben zur Voraussetzung, daß Totemismus ein allgemeines Phänomen der Früh- oder Urzeit sei und daß dieser Totemismus mit Religion zu tun habe. Der Totemismus ist aber weder ein universelles Phänomen, noch hat er unbedingt mit Religion zu tun; er ist ein soziales Phänomen. Dürkheim verabsolutiert die Gemeinschaft und vernachlässigt das Individuum in der archaischen Gesellschaft. Warum soll der einzelne nicht auch ohne die Gemeinschaft zu religiösen Erfahrungen kommen? Ein Blick in solche Gesellschaften zeigt, daß auch in ihnen Mystiker und Charismatiker gedeihen. Einer der Hauptfehler in der Totemismus-Diskussion trifft auch auf Dürkheim zu: Die entscheidenden Protagonisten haben die archaischen Gesellschaften, über die sie geschrieben haben, niemals persönlich kennengelernt!

686

Totentanz

Literatur H e r m a n n B a u m a n n , Das Tier als Alter-Ego: Paid. 5 (1952) 1 6 7 - 1 8 8 . - Émile Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie, Paris 1912 4 1 9 6 0 (BPhC); dt.: Die elementaren F o r m e n des rei. Lebens, Frankfurt a . M . 1981. - J a m e s G. Frazer, Totemism and E x o g a m y , 4 Bde., L o n d o n 1910. - Sigmund Freud, T o t e m u. Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden u. der Neurotiker, Wien 1913 Leipzig 3 1 9 2 2 . - Arnold Van Gennep, L ' é t a t actuel du problème totémique, Paris 1920. - Alexander A. Goldenweiser, Totemism. An Analytical Study: J A F 2 3 (1910) 1 7 9 - 2 9 3 . - Ders., Early Civilization. An Intr. to Anthropology, L o n d o n / N e w York 1921. - Alfred L. Kroeber, T o t e m u. Tabu. An Ethnologie Psychoanalysis: A m A N F 2 2 (1920) 4 8 - 5 5 . - Claude Lévi-Strauss, Le totémisme aujourd'hui, 1962 (MR. 42); dt.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt a . M . 1965. - Roger Franz, Totemismus oder die Dekadenz eines Begriffs, Hohenschäftlarn 1980. - William Robertson Smith, Lectures on the Religion of the Semites, Edinburgh 1889 3 1 9 2 7 ; dt.: Die Religion der Semiten, Freiburg i. Br. u . a . 1899 Darmstadt 1967. - Josef F. Thiel, Religionsethnologie. Grundbegriffe der Religionen schriftloser Völker, Berlin 1984.

Josef F. Thiel Totensonntag -»Feste und Feiertage Totentanz 1. Die Gattung „ T o t e n t a n z " 2. Entstehung 3. Haupttypen, Entwicklungslinien und wichtigste Einzelwerke im 15. Jahrhundert 4. Fortwirken (Quellen/Literatur S. 6 8 8 )

1. Die Gattung

„Totentanz"

Im späten Mittelalter entstanden - oft in mendikantischem Milieu - monumentale Wandbilder, aber auch Handschriften und Drucke, die einem gemeinsamen bildlichen und literarischen Typ folgen: Klar als Vertreter bestimmter Stände oder Lebensphasen gekennzeichnete Menschen werden in ihrer Todesstunde von dem —»Tod selbst oder einem Toten in einen Tanz-Reigen (—»Tanz) gezogen. Diese letztere Figur führt einen Dialog mit dem oder der Sterbenden. Darin wird immer wieder der Schrecken des jähen Todes betont, der den Menschen unbereitet, d.h. unbußfertig antrifft. Gerahmt wird die im Idealfall zwischen geistlichen und weltlichen Gestalten alternierende, hierarchisch absteigende Ständereihe durch Prolog und Epilog, die predigtartig die Ausrichtung des Lebens auf den Tod fordern und so den ganzen Totentanz zu einer Art illustrierter Bußpredigt ausformen. Auch wenn immer wieder einzelne Totentänze unter dem Eindruck von Pestepidemien ausgeführt wurden, sind sie insgesamt doch mehr als ein bloßer Reflex der Pesterfahrung. Mentalitätsgeschichtlich geht es in ihnen auch um eine Auseinandersetzung mit der am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance zunehmend als problematisch wahrgenommenen Individualität des Todes (—»Johannes von Tepl). Wie die artes moriendi (-»Ars moriendi) versuchen sie, diese Individualität des je einzelnen Todes in ein übergreifendes Sinnganzes einzuordnen. Zu diesem Zweck betonen sie die Universalität des Todes. Dem dient der Versuch, durch Ausweitung der Ständereihe die ganze Welt zu erfassen. In dieser Universalität begegnet der Tod als der große Gleichmacher, der einem gemeinsamen Schicksal unterwirft, was sonst auf Erden sehr unterschiedlich ist. Diesen Unterschieden aber trägt der Gedanke Rechnung, daß der Tod auch als —»Strafe für irdisches, jeweils (nicht nur im Klerus oder bei den Mächtigen der Welt) standesspezifisches Fehlverhalten über den Menschen kommt; das gibt der 1336 approbierten Lehre von einem in die Todesstunde vorgerückten, dem Jüngsten Tag vorauslaufenden iudicium particulare (—»Gericht Gottes IV.2.2.) konkreten Ausdruck. 2.

Entstehung

Unter den verschiedentlich als möglicher Hintergrund angeführten Zeugnissen - z. B. hypothetisch erschlossene Vorstellungen von tanzenden Totengeistern, die Legende von

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Totentanz

Literatur H e r m a n n B a u m a n n , Das Tier als Alter-Ego: Paid. 5 (1952) 1 6 7 - 1 8 8 . - Émile Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie, Paris 1912 4 1 9 6 0 (BPhC); dt.: Die elementaren F o r m e n des rei. Lebens, Frankfurt a . M . 1981. - J a m e s G. Frazer, Totemism and E x o g a m y , 4 Bde., L o n d o n 1910. - Sigmund Freud, T o t e m u. Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden u. der Neurotiker, Wien 1913 Leipzig 3 1 9 2 2 . - Arnold Van Gennep, L ' é t a t actuel du problème totémique, Paris 1920. - Alexander A. Goldenweiser, Totemism. An Analytical Study: J A F 2 3 (1910) 1 7 9 - 2 9 3 . - Ders., Early Civilization. An Intr. to Anthropology, L o n d o n / N e w York 1921. - Alfred L. Kroeber, T o t e m u. Tabu. An Ethnologie Psychoanalysis: A m A N F 2 2 (1920) 4 8 - 5 5 . - Claude Lévi-Strauss, Le totémisme aujourd'hui, 1962 (MR. 42); dt.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt a . M . 1965. - Roger Franz, Totemismus oder die Dekadenz eines Begriffs, Hohenschäftlarn 1980. - William Robertson Smith, Lectures on the Religion of the Semites, Edinburgh 1889 3 1 9 2 7 ; dt.: Die Religion der Semiten, Freiburg i. Br. u . a . 1899 Darmstadt 1967. - Josef F. Thiel, Religionsethnologie. Grundbegriffe der Religionen schriftloser Völker, Berlin 1984.

Josef F. Thiel Totensonntag -»Feste und Feiertage Totentanz 1. Die Gattung „ T o t e n t a n z " 2. Entstehung 3. Haupttypen, Entwicklungslinien und wichtigste Einzelwerke im 15. Jahrhundert 4. Fortwirken (Quellen/Literatur S. 6 8 8 )

1. Die Gattung

„Totentanz"

Im späten Mittelalter entstanden - oft in mendikantischem Milieu - monumentale Wandbilder, aber auch Handschriften und Drucke, die einem gemeinsamen bildlichen und literarischen Typ folgen: Klar als Vertreter bestimmter Stände oder Lebensphasen gekennzeichnete Menschen werden in ihrer Todesstunde von dem —»Tod selbst oder einem Toten in einen Tanz-Reigen (—»Tanz) gezogen. Diese letztere Figur führt einen Dialog mit dem oder der Sterbenden. Darin wird immer wieder der Schrecken des jähen Todes betont, der den Menschen unbereitet, d.h. unbußfertig antrifft. Gerahmt wird die im Idealfall zwischen geistlichen und weltlichen Gestalten alternierende, hierarchisch absteigende Ständereihe durch Prolog und Epilog, die predigtartig die Ausrichtung des Lebens auf den Tod fordern und so den ganzen Totentanz zu einer Art illustrierter Bußpredigt ausformen. Auch wenn immer wieder einzelne Totentänze unter dem Eindruck von Pestepidemien ausgeführt wurden, sind sie insgesamt doch mehr als ein bloßer Reflex der Pesterfahrung. Mentalitätsgeschichtlich geht es in ihnen auch um eine Auseinandersetzung mit der am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance zunehmend als problematisch wahrgenommenen Individualität des Todes (—»Johannes von Tepl). Wie die artes moriendi (-»Ars moriendi) versuchen sie, diese Individualität des je einzelnen Todes in ein übergreifendes Sinnganzes einzuordnen. Zu diesem Zweck betonen sie die Universalität des Todes. Dem dient der Versuch, durch Ausweitung der Ständereihe die ganze Welt zu erfassen. In dieser Universalität begegnet der Tod als der große Gleichmacher, der einem gemeinsamen Schicksal unterwirft, was sonst auf Erden sehr unterschiedlich ist. Diesen Unterschieden aber trägt der Gedanke Rechnung, daß der Tod auch als —»Strafe für irdisches, jeweils (nicht nur im Klerus oder bei den Mächtigen der Welt) standesspezifisches Fehlverhalten über den Menschen kommt; das gibt der 1336 approbierten Lehre von einem in die Todesstunde vorgerückten, dem Jüngsten Tag vorauslaufenden iudicium particulare (—»Gericht Gottes IV.2.2.) konkreten Ausdruck. 2.

Entstehung

Unter den verschiedentlich als möglicher Hintergrund angeführten Zeugnissen - z. B. hypothetisch erschlossene Vorstellungen von tanzenden Totengeistern, die Legende von

686

Totentanz

Literatur H e r m a n n B a u m a n n , Das Tier als Alter-Ego: Paid. 5 (1952) 1 6 7 - 1 8 8 . - Émile Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie, Paris 1912 4 1 9 6 0 (BPhC); dt.: Die elementaren F o r m e n des rei. Lebens, Frankfurt a . M . 1981. - J a m e s G. Frazer, Totemism and E x o g a m y , 4 Bde., L o n d o n 1910. - Sigmund Freud, T o t e m u. Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden u. der Neurotiker, Wien 1913 Leipzig 3 1 9 2 2 . - Arnold Van Gennep, L ' é t a t actuel du problème totémique, Paris 1920. - Alexander A. Goldenweiser, Totemism. An Analytical Study: J A F 2 3 (1910) 1 7 9 - 2 9 3 . - Ders., Early Civilization. An Intr. to Anthropology, L o n d o n / N e w York 1921. - Alfred L. Kroeber, T o t e m u. Tabu. An Ethnologie Psychoanalysis: A m A N F 2 2 (1920) 4 8 - 5 5 . - Claude Lévi-Strauss, Le totémisme aujourd'hui, 1962 (MR. 42); dt.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt a . M . 1965. - Roger Franz, Totemismus oder die Dekadenz eines Begriffs, Hohenschäftlarn 1980. - William Robertson Smith, Lectures on the Religion of the Semites, Edinburgh 1889 3 1 9 2 7 ; dt.: Die Religion der Semiten, Freiburg i. Br. u . a . 1899 Darmstadt 1967. - Josef F. Thiel, Religionsethnologie. Grundbegriffe der Religionen schriftloser Völker, Berlin 1984.

Josef F. Thiel Totensonntag -»Feste und Feiertage Totentanz 1. Die Gattung „ T o t e n t a n z " 2. Entstehung 3. Haupttypen, Entwicklungslinien und wichtigste Einzelwerke im 15. Jahrhundert 4. Fortwirken (Quellen/Literatur S. 6 8 8 )

1. Die Gattung

„Totentanz"

Im späten Mittelalter entstanden - oft in mendikantischem Milieu - monumentale Wandbilder, aber auch Handschriften und Drucke, die einem gemeinsamen bildlichen und literarischen Typ folgen: Klar als Vertreter bestimmter Stände oder Lebensphasen gekennzeichnete Menschen werden in ihrer Todesstunde von dem —»Tod selbst oder einem Toten in einen Tanz-Reigen (—»Tanz) gezogen. Diese letztere Figur führt einen Dialog mit dem oder der Sterbenden. Darin wird immer wieder der Schrecken des jähen Todes betont, der den Menschen unbereitet, d.h. unbußfertig antrifft. Gerahmt wird die im Idealfall zwischen geistlichen und weltlichen Gestalten alternierende, hierarchisch absteigende Ständereihe durch Prolog und Epilog, die predigtartig die Ausrichtung des Lebens auf den Tod fordern und so den ganzen Totentanz zu einer Art illustrierter Bußpredigt ausformen. Auch wenn immer wieder einzelne Totentänze unter dem Eindruck von Pestepidemien ausgeführt wurden, sind sie insgesamt doch mehr als ein bloßer Reflex der Pesterfahrung. Mentalitätsgeschichtlich geht es in ihnen auch um eine Auseinandersetzung mit der am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance zunehmend als problematisch wahrgenommenen Individualität des Todes (—»Johannes von Tepl). Wie die artes moriendi (-»Ars moriendi) versuchen sie, diese Individualität des je einzelnen Todes in ein übergreifendes Sinnganzes einzuordnen. Zu diesem Zweck betonen sie die Universalität des Todes. Dem dient der Versuch, durch Ausweitung der Ständereihe die ganze Welt zu erfassen. In dieser Universalität begegnet der Tod als der große Gleichmacher, der einem gemeinsamen Schicksal unterwirft, was sonst auf Erden sehr unterschiedlich ist. Diesen Unterschieden aber trägt der Gedanke Rechnung, daß der Tod auch als —»Strafe für irdisches, jeweils (nicht nur im Klerus oder bei den Mächtigen der Welt) standesspezifisches Fehlverhalten über den Menschen kommt; das gibt der 1336 approbierten Lehre von einem in die Todesstunde vorgerückten, dem Jüngsten Tag vorauslaufenden iudicium particulare (—»Gericht Gottes IV.2.2.) konkreten Ausdruck. 2.

Entstehung

Unter den verschiedentlich als möglicher Hintergrund angeführten Zeugnissen - z. B. hypothetisch erschlossene Vorstellungen von tanzenden Totengeistern, die Legende von

Totentanz

687

der Begegnung der drei Lebenden mit den drei Toten oder auch motivisch v e r w a n d t e g e i s t l i c h e Spiele - b i e t e n n a c h d e n K r i t e r i e n d e r S i c h e r h e i t in d e r B e z e u g u n g , d e r m o t i v i s c h e n N ä h e z u m T o t e n t a n z u n d d e r z e i t l i c h e n P r i o r i t ä t allein d i e Vado-mori-Gedichte v e r l ä ß l i c h e n G r u n d . W i e im T o t e n t a n z f i n d e t sich a u c h in d i e s e n s c h o n im 13. J h . beg e g n e n d e n G e d i c h t e n eine S t ä n d e r e i h e v o n M e n s c h e n , d i e i h r e n W e g z u m T o d t h e m a t i s i e r e n . Diese R e i h e s c h e i n t im C o r p u s d e r T o t e n t ä n z e f o r t g e b i l d e t zu sein. I n d e m d a s S c h r e i t e n z u m T a n z a u s g e f o r m t u n d d e r R a h m e n h i n z u g e f ü g t w u r d e , e n t s t a n d die G a t tung des Totentanzes. Der letzte Schritt scheint erstmals im ausgehenden 14. Jh. im lateinischen Totentanz der Heidelberger Handschrift Cpg 314 vollzogen. Der allein überlieferte Text war in der Vorlage mit Bildern verbunden; er ist in der Ständereihe noch wie die Vado-mori-Gedichte monologisch verfaßt. Für seine Ursprünglichkeit spricht vor allem, daß in diesem Text die Gleichmacher- und die Strafvorstellung des Todes noch getrennt in der Ständereihe einerseits, dem Rahmen andererseits aufgeführt werden, während beide Motive in den späteren Texten durchweg vermischt auftreten (Leppin). Die Kritik an H. Rosenfelds Verbindung dieser These von der Ursprünglichkeit des auf deutschem Boden entstandenen lateinischen Textes mit fragwürdigen nationalpsychologischen Ausführungen zu einem vermeintlich „deutschen" Charakter des Totentanzes hat in den vergangenen Jahrzehnten den Blick für die europäische Dimension des Phänomens geweitet. 3. Haupttypen,

Entwicklungslinien

und wichtigste

Einzelwerke

im 15.

Jahrhundert

U m 1400 e n t s t e h e n in D e u t s c h l a n d , F r a n k r e i c h u n d S p a n i e n f a s t gleichzeitig T o t e n t a n z d a r s t e l l u n g e n u n d - t e x t e ( b e s c h r e i b e n d e V e r z e i c h n i s s e bei H a m m e r s t e i n 1 4 7 - 2 2 6 und Utzinger/Utzinger 119-224). Der früheste, Text und Bild umfassende Monumentaltotentanz ist die Danse macabre von 1424/ 25 auf dem Friedhof von Saints-Innocents in Paris; im 16. Jh. zerstört, ist sie durch eine Inkunabel von 1485 bezeugt. Wie bei der möglicherweise sogar etwas älteren, ohne Bilder überlieferten spanischen Danza gerteral de la muerte ist eine von dem lateinischen Totentanzrexr unabhängige Entstehung nicht auszuschließen, zumal sich auf demselben Friedhof bereits eine etwas ältere Darstellung einer Todesprozession befand. Doch legt das Interesse an der hervorgehobenen Stellung des Kaisers eine Beeinflussung durch einen Text aus dem deutschen Reich nahe. Die Danse macabre strahlte dann ihrerseits nach England, aber auch wieder nach Deutschland aus. Sowohl die maßgeblichen niederdeutschen Fassungen (Lübeck, ca. 1463; Reval, vom selben Künstler, aber einige Jahrzehnte später; Berlin, vor 1490) als auch der in drei Drucken und einer Handschrift überlieferte achtzeilige mittelrheinische Totentanz stehen unter ihrem mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß. Eigenständig entwickelte sich hingegen aus der lateinischen Fassung der vierzeilige oberdeutsche Totentanz. Er wurde im Ulmer Totentanz von 1440 sowie in dem bedeutendsten spätmittelalterlichen Totentanz-Denkmal, dem Groß-Baseler Totentanz, realisiert. In Basel verfertigte wohl erst um 1445, also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der 1439 während des Baseler Konzils (—»Basel-Ferrara-Florenz, Konzil von) ausgebrochenen Pest, Konrad Witz (1395-1447) am Dominikanerkloster ein Totentanz-Wandgemälde, das durch Merians Stiche von 1621 auch nach seinem Abbruch im 19. Jh. noch bezeugt ist. Wie populär der Totentanz hier war, zeigt die Tatsache, daß nur wenig später im Dominikanerinnenkloster Klingenthal eine Replik entstand, der Kleinbaseler Totentanz. Die 24 Figurenpaare des ursprünglichen oberdeutschen Totentanzes sind in beiden Werken auf 39 erweitert, vor allem um städtisches Personal. 4.

Fortwirken

Z u Beginn des 16. J h . e r r e i c h t e d i e G a t t u n g d e s T o t e n t a n z e s n o c h e i n m a l e i n e n k ü n s t lerischen H ö h e p u n k t , e h e i h r e B e d e u t u n g a l l m ä h l i c h v e r l o s c h . In Bern malte zwischen 1510 und 1520 Niklas Manuel (ca. 1484-1530) einen monumentalen Totentanz, dessen opulente Gestaltung ihn geradezu als „Totenfest" erscheinen läßt (Der tanzende Tod 331). Vor 1526 entwarf Hans Holbein d.J. (1497-1543) eine textlose Holzschnittfolge, die dem 19. Jh. als der Totentanz schlechthin galt (vgl. Bildtafel 13, Abb.2, im Art. -»Tod IX.). Doch ist die Gattung hier nur noch gebrochen präsent: Einerseits knüpfte Holbein im einzelnen unverkennbar an traditionelle Totentanzmotivik an; andererseits individualisierte er, dem von der Renaissance geprägten Zeitgeist folgend, den Tod in einer über die Gattung hinausweisenden Zuspitzung, indem er den Reigen in eine Vielzahl selbständiger Einzelszenen auflöste; in ihnen spielte kaum mehr der vereinheitlichende Tanz eine Rolle, sondern im Vordergrund stand die Einschärfung, daß der Tod jeden mitten in seiner Lebenswirklichkeit ergreife.

688

Totentanz

Die Reformation lehnte den Totentanz durchaus nicht ab: In Basel hat man anstößige Bilder und Texte in reformatorischem Sinne abgeändert, den Tanz als Ganzes aber unangetastet gelassen. Auch Ottheinrich von der Pfalz ( 1 5 0 2 - 1 5 5 9 ) nahm, mit entsprechenden Korrekturen, einen Totentanzdruck von 1465, das sog. Heidelberger Blockbuch, in einen Sammelband mit erbaulichen Schriften auf. Gleichwohl verlor der Totentanz insbesondere im protestantischen Umfeld an Plausibilität. In den Vordergrund trat nun als Form der Todesverarbeitung die -> Leichenpredigt, die dem Bedürfnis nach stärker auf das Individuum bezogener Deutung des Todes Rechnung trug. Auch deswegen konnte der im 18. Jh. im Erfurter Waisenhaus ausgeführte Totentanz eine eigentümliche, neue Note erhalten: Theologisch wurde aus der Gerichtsdrohung die frohe Heilszusage: „Ein Frommer muß zum Tod, als wie zum Tanze gehen". Entsprechend trat das kritische Element fast völlig zurück, der Erfurter Totentanz diente geradezu der bürgerlichen Repräsentation. Die mahnende Darstellung des Todes als des großen Gleichmachers freilich blieb erhalten. Gerade ihretwegen hat wohl auch das Totentanzmotiv, wie die für den Ewigkeitssonntag bestimmte Motette Totentanz von Hugo Distler (1908-1942) oder HAP Grieshabers (1909-1981) Totentanz von Basel zeigen, im von Völkermord und Weltkriegen gezeichneten 20. Jh. wieder ein erhebliches künstlerisches Anregungspotential entfalten können. Quellen Der tanzende Tod. Ma. Totentänze, hg. v. Gert Kaiser, Frankfurt a.M. 1982. - Dances of Death, hg. v. Wim van Dongen, Leiden [1990] (Microfiche-Ed.). - „Ihr müßt alle nach meiner Pfeife tanzen". Totentänze vom 15. bis 20. Jh. aus den Beständen der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel u. der Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt/Wiesbaden 2000. Literatur Ellen Breede, Stud. zu den lat. u. deutschsprachlichen Totentanztexten des 13. bis 17. Jh., Halle 1931. - Stephan Cosacchi, Makabertanz. Der Totentanz in Kunst, Poesie u. Brauchtum des MA, Meisenheim am Glan 1965. - Wilhelm Fehse, Der Ursprung der Totentänze, Halle 1907. - Ders., Der oberdt. vierzeilige Totentanz: ZDP 40 (1908) 6 7 - 9 2 . - Alexander Goette, Holbeins Totentanz u. seine Vorbilder, Straßburg 1897. - Reinhold Hammerstein, Tanz u. Musik des Todes, Bern/ München 1980. - Erwin Koller, Totentanz. Versuch einer Textembeschreibung, Innsbruck 1980 (IBKW. Germanistische R. Bd. 10). - L'art macabre. Jb. der Europ. Totentanz-Vereinigung 1 (2000) ff. - Volker Leppin, Der lat. Totentanz aus Cpg 314 als Ursprungstext der europ. Totentanztradition: AKuG 77 (1995) 323 - 343. - Ernst Moritz Manasse, The Dance Motive of the Latin Dance of Death: MeH 4 (1946) 83-103. - Nigel F. Palmer, Ars moriendi u. Totentanz. Zur Verbildlichung des Todes im Spät-MA: Tod im MA, Konstanz 1993 (Konstanzer Bibliothek 20) 313-334. - Hellmut Rosenfeld, Der ma. Totentanz, 1954 3 1974 (BAKG 3). - Joël Saugnieux, Les Danses macabres de France et d'Espagne et leur prolongements littéraires, Paris 1972 (Bibliothèque de la faculté des lettres de Lyon 30). - Brigitte Schulte, Die deutschsprachigen spätma. Totentänze, Köln/Wien 1990 (Niederdt. Stud. 36). - Erika Sophie Schwarz, Erfurter Totentanz, Weimar u.a. 1995. - Wolfgang Stammler, Der Totentanz, München 1948. - Rainer Stöckli, Zeitlos tanzt der Tod. Das Fortleben, Fortschreiten, Fortzeichnen der Totentanztradition im 20. Jh., Konstanz 1996 (Kulturgesch. Skizzen 3). - Tanz u. Tod in Kunst u. Lit., hg. v. Franz Link, Berlin 1993 (Sehr, zur Literaturwiss. 8). Der Totentanz der Marienkirche in Lübeck u. der Nikolaikirche in Reval (Tallinn). Ed., Komm., Interpretation, Rezeption, hg. v. Hartmut Freytag, Köln u.a. 1993 (Niederdt. Stud. 39). - Hélène Utzinger/Bertrand Utzinger, Itinéraires des Danses macabres, Chartres 1996. - Eike Wolgast, Die Klerusdarst. in den oberdt. Totentänzen u. in Holbeins „Bildern des Todes": Bild u. Gesch. FS Hansmartin Schwarzmaier, Sigmaringen 1997, 197-219. Volker Leppin

Tradition I

689

Tradition I. II. III. IV. V. VI. VII.

Altes T e s t a m e n t Neues T e s t a m e n t und U r c h r i s t e n t u m Judentum Alte Kirche M i t t e l a l t e r bis Neuzeit Dogmatisch Praktisch-theologisch

S. S. S. S. S. S.

693 701 705 708 718 724

I. Altes T e s t a m e n t 1. Begriff 1•

2. Das Milieu

3. Traditionen im Alten Testament

(Literatur S. 692)

Begriff

Tradition als E l e m e n t jeglicher m e n s c h l i c h e n Kultur bezeichnet das Ineinander von Sitten und Überlieferungen, die in einer G e s e l l s c h a f t o d e r einer ihrer Untergruppen ldentitätsgebend, n o r m b i l d e n d und handlungsleitend sind. D a b e i ist eingeschlossen, d a ß sich die |e aktuelle N o r m b i l d u n g s o w o h l als Pflege des Überlieferten als auch als absichtlich oder u n b e w u ß t a b l a u f e n d e r traditionskritischer P r o z e ß der A b s e t z u n g von ererbten Vorstellungen vollziehen k a n n . H i n z u k o m m t , d a ß T r a d i t i o n e n reaktiviert oder neu formuliert werden k ö n n e n , um Bezüge zur Vergangenheit zu aktualisieren o d e r neu zu konstruieren (vgl. dazu H o b s b a w m und zur D i s k u s s i o n u m die Definition von T r a d i t i o n A. A s s m a n n ) . Von diesem D e f i n i t i o n s a n s a t z w e i c h t die oft g e b r a u c h t e r ö m i s c h - k a t h o lische Begrifflichkeit a b , die unter T r a d i t i o n den P r o z e ß k o n t i n u i e r l i c h e r Weitergabe eines definierbaren Traditionsgutes (traditum) versteht, wie sie auch für die Ausbildung des exegetischen Arbeitsschrittes der T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e seit H . - » G u n k e l f u n d a m e n t a l geworden ist ( - » T r a d i t i o n s k r i t i k / T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e ) . Dieser m e t h o d i s c h e Arbeitsschritt hat z u m einen die T r a d i t i o n s g e b u n d e n h e i t biblischer T e x t e erwiesen und d a m i t die E n t s t e h u n g biblischer Uberlieferungen in ihren altorientalischen K o n t e x t e i n g e b u n d e n . Z u m anderen wurden besonders n a c h A . - » A l t k o n k r e t e Einzeltraditionen k e n n t l i c h g e m a c h t , die bis a u f ihre m u t m a ß l i c h e n historischen H a f t p u n k t e zurückverfolgt w u r d e n . Beide Fragehinsichten werden bis heute angewendet, es h a b e n sich a b e r c h a r a k t e r i s t i s c h e Veränderungen ergeben: So findet S'ih besonders in 4er protestantischen Bibelwisspnsphaft die Aufweitung dgs Begriffs.. Traditionen werden oft nicht mehr auf konkret ausweisbare Texte oder Tradenten zurückgeführt, sondern als Ideenkomplexe begriffen, die sich gleichsam organisch weiterentwickeln können. So wird der für historisches Begreifen notwendige Zusammenhang von Traditions- und Rezeptionsvorgängen unterbrochen, vgl. etwa die häufig unpräzise Rede von Schöpfungs- oder Zionstradition. Als zweites Diskussionsfeld ist die Frage nach der historischen Auswertbarkeit traditioneller Aussagen zu nennen. Wahrend manche mit hoher Zuverlässigkeit von historischen Traditionen rechnen und so einzelne Ereignisse und Entwicklungen aus vorstaatlicher Zeit rekonstruieren (vgl. etwa Johannes C. de Moor, The Rise of Yahwism. The Roots of Israelite Monotheism, 1990 2 1997 [BEThL 91]), nimmt als extreme Gegenposition etwa die sog. Kopenhagener Schule an, daß „Tradition" nur im Sinn literarischer Gestaltungselemente verwendet werden könne (Nils P. Lemche, Die Vorgeschichte Israels, Stuttgart/Berlin/Köln 1996 [Biblische Enzyklopädie 1] 21); sie ist hier Erfindung zur nachträglichen Sinnstiftung (vgl. Whitelam). Z w i s c h e n den beiden k e n n t l i c h g e m a c h t e n Polen b e w e g t sich die gegenwärtige D i s kussion, w o b e i die einzelnen F o r s c h e r den eigenen G e b r a u c h des Begriffes k a u m je reflektieren. Dies ist auch ein R e s u l t a t der u n k l a r e n A b g r e n z u n g der M e t h o d e n s c h r i t t e (vgl. - > T r a d i t i o n s k r i t i k / T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e ) . I m folgenden wird d a h e r g e s a m m e l t , w a s mit einer gewissen historischen W a h r s c h e i n l i c h k e i t über U m f e l d , A n l a ß und E n t w i c k l u n g alttestamentlicher T r a d i t i o n s b i l d u n g ausgesagt werden k a n n .

690 2. Das

Tradition I Milieu

Schon die Frage nach den Voraussetzungen alttestamentlicher Traditionsbildung wird zur Zeit so kontrovers diskutiert, daß ein Konsens nicht möglich ist. Das liegt daran, daß die Existenz bestimmter traditionsbildender Instanzen wie etwa des vorstaatlichen Stämmebundes oder traditionsmotivierender Ereignisse wie etwa Exodus und Landnahme unsicher ist. Hinzu k o m m t die umstrittene Frage nach dem Ausmaß mündlicher Überlieferung, die für die Frühzeit Israels angenommen werden kann (vgl. Cross; Culley); fraglich sind auch Zeit und Umfang des Aufkommens des Mediums Schrift in Israel (—•Schrift und Schreiber). So rechnen manche aufgrund der archäologischen Evidenz nicht vor dem späten 8. Jh. v. Chr. mit ersten literarischen Texten, größere Werke werden dann im 6. Jh. angesetzt. Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, daß das übliche Schreibmaterial Papyrus im Klima Israels nicht lagerfähig war. Zudem belegt die Amarna-Korrespondenz aus dem 14. Jh., daß die palästinischen Könige der Keilschrift mächtige Schreiber hatten, so daß auch früher mit schriftlichen Uberlieferungen gerechnet werden kann. Wichtiger ist aber, daß nicht mit einer scharfen Unterscheidung zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung im Sinne eines Ablöseprozesses zu rechnen ist. Eine etwa in einem Hymnus (-»Hymnen) oder einem -»Mythos schriftlich fixierte Tradition kann bereits zum Zeitpunkt der Niederschrift andernorts eine andere mündliche Gestalt erhalten haben. Dies liegt an der für die Fixierung verwendeten Literaturgattung, zum anderen auch am Anlaß der Niederschrift (vgl. nur die Schöpfungsaussagen in Gen 1, Prov 8 und Hi 3 8 - 4 1 ; -»Schöpfer/Schöpfung). So ist damit zu rechnen, daß mündliche und schriftliche Überlieferung in einem Wechselspiel stehen, das heute nicht mehr erhellt werden kann (dazu Niditch; Blenkinsopp 77). Eine staatliche Größe „Israel" hat sich im Laufe einer längeren Zeit in der Phase des Übergangs von der Spätbronze- zur Eisenzeit entwickelt (-»Geschichte Israels). Dabei sind je eigene Traditionen der unterschiedlichen Trägergruppen vorauszusetzen, was sowohl für religiöse Vorstellungen als auch für Stammessagen und Rechtstraditionen gilt. In Übereinstimmung mit aktuellen Erklärungsmodellen zur Frühzeit Israels ist dabei sowohl mit ursprünglich nomadischen (—»Nomadentum im Alten Testament) als auch mit bereits seßhaften, „kanaanäischen" Bevölkerungsanteilen zu rechnen (-»Kanaan). Von den großen Umweltkulturen (-»Babylonien; -»Ägypten; Ugarit [-»Phönizien und Israel]) wie aus den spärlichen Nachrichten von den unmittelbaren Nachbarn her ist zu erwarten, daß die Pflege der Traditionen besonders an den Königshöfen und an Heiligtümern geschehen ist. Das gilt auch für staatliche Strukturen wie Heer und Beamtenschaft, selbst wenn die Nachrichten darüber, daß diese schon unter -»Salomo aufgebaut worden seien (I Reg 4; 9,10-28), ihrerseits späteres Traditionsgut sind. Als Orte besonderen Interesses rücken folglich neben —»Jerusalem, —»Sichern (Jos 24; I Reg 12) und -»Samaria (I Reg 16) auch -»Bethel (Gen 28; Am 7,10-17), -»Silo (I Sam 1 - 4 ) , -»Dan (I Reg 12,28f.) und -»Gilgal (vgl. II Sam 19,41ff.; Hos 4,15) ins Blickfeld. In der Frühphase Israels ist damit die Veranlassung zur umfassenden Identitätsfindung zu erkennen. Hinzu kommt, daß in der gesamten Zeit der Formierung Israels mit starken ägyptischen Einflüssen zu rechnen ist, die sich auch im ikonographischen Repertoire niedergeschlagen haben. Für die Beschreibung des Umfelds späterer Traditionsbildung wird als einschneidender Faktor die assyrische Expansion zu nennen sein, die nach dem Untergang des Nordreiches einen expliziten oder impliziten Anpassungsdruck in religiös-kultureller Hinsicht mit sich brachte. Prägender noch waren die zweifache Eroberung Jerusalems (597 und 587/86) und die Wegführung der Oberschicht, die das soziale Gefüge erschütterte. Der Verlust von identitätsstiftenden Instanzen wie -»Tempel und -»Königtum bedeutete zudem einen Traditionsbruch, der einen wesentlichen Anlaß zur Verschriftung gab.

Tradition I

691

In der Zeit danach vollzieht sich die Traditionsbildung in drei geographisch wie kulturell völlig differenten Räumen (Israel, Babylon und Ägypten), bis dann das Aufkommen des -»Hellenismus neue Kulturkontakte und als weiteres Problem das der sprachlichen Übersetzbarkeit der bisher fixierten Überlieferungen brachte. Die so entstehende Septuaginta wurde dann besonders im alexandrinischen Judentum, aber auch im frühen Christentum ihrerseits traditionsbildend (-»Bibelübersetzungen). Die besondere Schwierigkeit bei der Beschreibung alttestamentlicher Traditionsbildung besteht also darin, daß kein einheitliches historisches oder kulturelles Milieu angenommen werden kann. 3. Traditionen

im Alten

Testament

Wegen der methodischen Problematik der Beschreibung mündlicher Traditionsvorgänge sollen im folgenden einige Texte angeführt werden, in denen der Vorgang der Traditionsbildung oder -entwicklung greifbar wird. Dabei ist zu beachten, daß bereits der Vorgang der Verschriftung einen Akt der Entwicklung bedeuten kann, etwa hin zu einer höheren Normativität (vgl. J. Assmann, Stufen 20). Hinzu kommt, daß die Lösung von der direkten Kommunikation literarische Formen der Plausibilisierung bzw. Erklärung des Geschehens erfordert. Zu beachten ist, daß es im Hebräischen kein Lexem gibt, das mit „Tradition" oder „Uberlieferung" angemessen wiedergegeben werden könnte. Es läßt sich allerdings überlegen, Bildungen vom Stamm zkr, besonders das Verbum im Hiphil, und die Nomina zekxr „Gedenken" oder zikkäron „Gedenkzeichen" als Hinweise auf die Vergegenwärtigung traditioneller Vorstellungen zu sehen (vgl. etwa Jes 12,4f.; Eising). Auch das Nomen 'ot „Zeichen", das oft parallel zu zikkäron steht (vgl. Ex 13,9f.), kann als Zeichen für Prozesse der Traditionsbildung gesehen werden (vgl. Gen 9,13). Andere Hinweise auf Traditionsprozesse sind nicht so sehr geprägten Lexemen, sondern eher dem jeweiligen Kontext zu entnehmen.

Auf frühere Tabu-Vorstellungen geht gewiß das Verbot des Blutgenusses zurück, das in Gen 9 , 3 - 6 durch Anschluß an das mythische Sintflutgeschehen in der Heilsgeschichte verankert und zugleich ethisch erweitert wird. Ähnliches gilt für die Nachricht in Gen 32,33, daß die Israeliten einen bestimmten Muskelstrang nicht essen, und die I Sam 5,5 von den Philistern geschilderte Sitte, die Schwelle des Dagon-Tempels in Aschdod nicht zu betreten. Die Verbindung von ätiologischer Naturerklärung und religiöser Traditionsbildung zeigt sich im Regenbogen als Bundeszeichen Gen 9,13f.; die pointierte Angabe der Aufgaben der Gestirne in Gen 1 , 1 4 - 1 8 kann überdies als Auseinandersetzung mit astrologischen Traditionen gedeutet werden. Traditionen, die an kultisch genutzten Gegenständen haften, sind etwa greifbar im Brustschild des Hohenpriesters, auf das die Namen der Stämme Israels geschrieben sind (Ex 28,12; 39,7), in den Quasten des Gewandsaumes, die nach Num 15,39 auf die Torabefolgung hinweisen sollen, ebenso die Tefillin laut Dtn 6,8; 11,18. Die zwölf Steine, die nach Jos 4 , 3 - 9 Israel symbolisieren, erinnern an den Jordandurchzug; der Altar der ostjordanischen Stämme (Jos 22,23 - 27) verweist ebenfalls auf den Zusammenhalt der Stämme. Es ist einsichtig, daß diese ursprünglich eigenständigen Traditionen im heutigen Kontext als Elemente der übergreifenden Zwölf-Stämme-Tradition und damit der Identitätsformulierung Israels dienen. Historisch nicht mehr sicher greifbar sind die Traditionen um die Lade, die offenbar in Silo ihren ersten Haftpunkt hatten (I Sam 4 - 6 ) , dort mit der Zebaoth-Prädikation verbunden waren und nach der Überführung nach Jerusalem weiter gepflegt wurden (II Sam 6), möglicherweise gerade wegen dieser Gottesprädikation. Über die priesterliche Erweiterung, daß die Lade am Sinai gefertigt worden sei (Ex 25,10; 37,1), wurde sie noch nach ihrem Verlust tiefer im JHWH-Glauben verankert. Haftpunkte von Traditionen sind auch die Gräber wesentlicher Personen der Volksgeschichte, so etwa die Höhle Machpela in Gen 23,20; 49,30, die Angaben zu Josua, Josef und Eleasar in Jos 2 4 , 2 9 - 3 3 oder das Rahelgrab in Jer 31,35; das Fehlen einer

692

Tradition I

Tradition um das Mosegrab muß Dtn 34,6 eigens erwähnt werden. Orte der Traditionsbildung sind auch heilige Stätten, so etwa Bethel, das nach Gen 12,8 auf Abraham, nach 28,18f. auf J a k o b zurückgeführt wird. Nach der Reichsteilung wurde so gewiß sein Anspruch begründet, legitimer Kultort Israels zu sein. Neben den erwähnten kultischen Gegenständen als Möglichkeiten zur Vergegenwärtigung sind besonders die -»Feste zu nennen. Hier läßt sich eine nachträgliche Historisierung und Theologisierung feststellen, wenn etwa Pesach- und Mazzot-Überlieferung zu einem Fest zur Erinnerung des Exodus verbunden werden (—»Pesach). Dazu wurden Riten der ursprünglichen Feste (ungesäuertes Brot, Blutstreichen) in die Ägyptenerzählung hineinprojiziert, gleichzeitig aber Satzungen zur Feier des neuen Festes formuliert, bis hin zu einem traditionsprägenden Frage- und Antwortspiel zwischen Vater und Sohn (vgl. E x 12f., bes. 13,14ff.). Nach Lev 23,43 wird auch das herbstliche Laubhüttenfest mit dem Exodusgeschehen verbunden. Von besonderem Interesse sind die Hinweise auf schriftliche Tradierungsprozesse. Die Ereignisse der Amalekiterschlacht sollen nach E x 17,14 in ein Buch geschrieben werden, das man sich als Sammlung von Preisliedern wie etwa das „Buch des Aufrecht e n " (Jos 10,13) vorstellen kann. In der Funktion einer Traditionsbegründung findet sich in II Reg 22,8 ff. das Buch der Tora, das die folgende Reform - » J o s i a s motiviert, wobei Existenz, Alter und Umfang dieses Buches umstritten sind. Als locus classicus für die Verschriftlichung prophetischer Botschaften gilt gemeinhin Jes 8,16. Der Vers bereitet zwar den Auslegern Probleme, doch wird man daran festhalten können, daß zur Zeit -»Jesajas sowohl der Untergang des Nordreichs als auch die wenig später erfolgte Bewahrung Jerusalems vor Sanherib motivierende Elemente für die Verschriftung prophetischer Sprüche gewesen sind, deren Berechtigung so bestätigt worden war. Eine außerbiblische Parallele zur Tradierung von Visionen in prophetischen Zirkeln des 9./8. J h . findet sich im ostjordanischen Deir Alla (vgl. Rudolf Wenning/Erich Zenger, Heiligtum ohne Stadt - Stadt ohne Heiligtum? Anmerkungen zum archäologischen Befund des Teil Dir 'Allä: Z A H 4 [1991] 1 7 1 - 1 9 3 ) . Wenig später im 7. J h . sind dann auch das frühe -»Deuteronomium und das Jerusalemer Geschichtswerk (vgl. Erich Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, 3 1998 [KStTh 1/1] 168) als traditionsinterpretierende und -motivierende Programmtexte verständlich zu machen, wie die -»Priesterschrift und erst recht der -»Pentateuch nach dem Exil unter Rückgriff auf die - erlebte oder erfundene - Geschichte Israels eine traditionsbildende Basis für die Zukunft legen wollten. Die in Neh 8 geschilderte feierliche Verlesung des Gesetzes belegt diese Funktion. Am Ende dieser grob umrissenen Entwicklung steht dann die Fixierung verschiedener gruppenspezifischer Kanones ( - » K a non), die zwar den „Übergang von der gelebten in die gelernte Tradition" (J. Assmann, Stufen 20) deutlich greifbar machen, andererseits im Sinne der oben angeführten Begriffsbestimmung in neuer Weise identitätsgebend, normbildend und handlungsleitend waren. Literatur Vgl. auch die Literatur zu -»Traditionskritik/Traditionsgeschichte. Peter R. Ackroyd, Studies in the Religious Tradition of the OT, London 1987. - Aleida Assmann, Zeit u. Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer, Köln/Weimar/Wien 1999 (Beitr. zur Geschichtskultur 15). - Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung u. politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. - Ders., Fünf Stufen auf dem Weg zum Kanon. Tradition u. Schriftkultur im frühen Judentum u. seiner Umwelt, Münster 1999 (Münstersche Theol. Vorträge 1). - Harris Birkeland, Zum hebräischen Traditionswesen, 1938 (ANVAO.HF 1938,1). - Joseph Blenkinsopp, Memory, Tradition, and the Construction of the Past in Ancient Israel: B T B 27 (1997) 7 6 - 8 2 . - Frank M. Cross, From Epic to Canon. History and Literature in Ancient Israel, Baltimore, Md./London 1998. - Robert C. Culley, Oral Tradition and Historicity: Studies on the Ancient Palestinian World, hg. v. John William Wevers/Donald B. Redford, 1972 (TSTS 2) 1 0 2 - 1 1 6 . - Philip R. Davies, Scribes and Schools. The Canonization of Hebrew Scriptures, Louisville, Ky.

693

Tradition II

1998 (Library of Ancient Israel). - Hermann Eising, Art. zkr. T h W A T 2 (1977) 5 7 1 - 5 9 3 . - Eric Hobsbawm, Intr. Inventing Traditions: ders./Terence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983 = 1996, 1 - 1 4 (Lit.). - Douglas A. Knight, Rediscovering the Traditions of Israel. The Development of the Traditio-hist. Research of the OT, with Special Consideration of Scandinavian Contributions, 1973 2 1975 (SBL.DS 9). - Susan Niditch, Oral World and Written Word. Ancient Israelite Literature, Louisville, Ky. 1996 (Library of Ancient Israel). - Eduard Nielsen, Oral Tradition. A Modern Problem in O T Intr., London 1954. - Helmer Ringgren, Oral and Written Transmission in the O T : StTh 3 (1950) 3 4 - 5 9 . - Leonhard Rost, Art. Tradition. III. Im A T : R G G 1 6 (1962) 968 f. - Keith W. Whitelam, T h e Invention of Ancient Israel. T h e Silencing of Palestinian History, London 1996. - Siegfried Wiedenhofer, Zum gegenwärtigen Stand v. Traditionstheorie u. Traditionstheol.: T h R 93 (1997) 4 4 3 - 4 6 8 .

Martin Rösel II. Neues Testament und Urchristentum 1. Allgemein 2. Judentum und Altes Testament als Milieu der Traditionsentstehung im Urchristentum 3. Der Jude Jesus von Nazareth als Anlaß neutestamentlicher Traditionsbildung 4. Vorösterliche Jesusüberlieferung und die Wende von Ostern 5. Nachösterliche Entwicklungsstufen der Traditionsbildung (Literatur S. 698)

1.

Allgemein

Den sozialen Faktoren -»Israel und -»Judentum, hellenistische Umwelt, Jesusbewegung vor Ostern, nachösterliche Jesusbewegung, -»Urchristentum und spätapostolische Frühkirche kommt eine entscheidende Bedeutung für die Tradition im Neuen Testament zu. Die Schrift Israels, das spätere „Alte Testament" der Kirche, sowie der Jude Jesus von Nazareth (-»Jesus Christus) und dessen Auslegung der Schrift Israels stehen am Anfang der neutestamentlichen Tradition, die sich so weitgehend als Versprachlichung des Jesusphänomens in die narrativen und homologischen Überlieferungen des theologischen, christologischen und ekklesiologischen Bekenntnisses im Neuen Testament darstellt. Daher sind in der Literatur des Neuen Testaments zahlreiche Schichten und Entwicklungsstufen der Traditionsbildung festzustellen. 2. Judentum tum

und Altes Testament

als Milieu der Traditionsentstehung

im

Urchristen-

Werden Judentum und Altes Testament als historischer Hintergrund und soziales Umfeld der Traditionsentstehung und -entwicklung im Urchristentum und im Neuen Testament ernst genommen, dann kann die starke Rückbindung der neutestamentlichen Tradition an das Judentum sowie, die Entstehung der urchristlichen Tradition aus dem palästinischen und hellenistischen Judentum nicht übersehen werden. Jesus von Nazareth und mit ihm die früheste vorösterliche Jesusbewegung sowie das älteste nachösterliche palästinische und hellenistische Urchristentum kannten nur eine Heilige -»Schrift, nämlich die Heilige Schrift Israels, und zwar in der hebräisch-aramäischen Fassung und parallel dazu in der griechischen Fassung der Septuaginta. Dabei ist es höchst beachtlich, daß das Urchristentum nach Ostern am konkreten Textbestand der jüdischen Bibel keine Veränderungen, Hinzufügungen, Eliminierungen oder Korrekturen vorgenommen hat, während schon Jesus von Nazareth und erst recht das Urchristentum an der Orthopraxie der jüdischen Alltagsfrömmigkeit erhebliche Kritik übten und Veränderungen forderten und einführten. 3. Der Jude Jesus von Nazareth

als Anlaß neutestamentlicher

Traditionsbildung

Es besteht kein Zweifel daran, daß der Jude Jesus von Nazareth personaler Anlaß zur Entstehung und Bildung eines breiten Anteils der Tradition im Neuen Testament gewesen ist. Die unbestreitbare Tatsache, daß schon die vorösterliche Jesusbewegung und erst recht das nachösterliche Urchristentum sich auf Jesus von Nazareth als den endgültigen Lehrer und die endgültige Autorität der Vermittlung zu Gott festlegten,

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unter Ausgrenzung aller übrigen Lehrautoritäten, führte dazu, daß die neutestamentliche Tradition weitgehend eine Interpretation der Gestalt des Jesus von Nazareth wurde, vor allem in der nachösterlichen Christologieentwicklung und Homologese (-»Formeln, Liturgische; —»Glaubensbekenntnisse]). Die Beschränkung auf Jesus als endgültigen Lehrer prägt zutiefst die Tradition des Neuen Testaments und hebt sie deutlich von parallelen jüdischen Traditionsströmen ab. Wenn auch Jesus von Nazareth keine schriftliche Literatur hinterlassen hat, so ist für das soziale Umfeld Jesu und die frühe Urgemeinde doch keineswegs nur eine Kommunikationsgemeinschaft der reinen Mündlichkeit anzunehmen, wie noch die Begründer der frühen -»Formgeschichte vermuteten. Nicht erst mit dem ausgebildeten Rabbi -»•Paulus von Tarsus wurden Vertreter schriftlicher Schulbildung führende Christen, bereits für Jesus von Nazareth ist eine elementare Schulbildung im Rahmen palästinischer Kultur und Tradition anzunehmen. Die Anwendung, Auslegung und Neuinterpretation der Heiligen Schrift (-»Schriftauslegung) in Israel durch Jesus von Nazareth setzt den systematischen schulischen Erwerb mündlicher und schriftlicher Traditionstechniken voraus, die in jüdischen Elementarschulen vermittelt wurden. Das flächendeckende Angebot solcher jüdischer elementarer Toraschulen im 1. J h . n. Chr. wird vom —»Talmud vorausgesetzt. Daher ist anzunehmen, daß Jesus von Nazareth eine mit der —»Synagoge verbundene Schulbildung durchlaufen hat, bei deren Beschreibung man der 6 km von Nazareth entfernt liegenden neuen Residenzstadt des Herodes, Sepphoris, Rechnung tragen muß. Für Galiläa ist zudem eine vorherrschende Bilingualität von -»Aramäisch und -»Griechisch für die Zeit Jesu anzusetzen, so daß auch bei Jesus mit der Beherrschung des Griechischen gerechnet werden muß, eventuell sogar der lateinischen Besatzungssprache der R ö m e r , wenn auch das Aramäische die Sprache seiner Verkündigung blieb. Die sprachliche Botschaft des apokalyptischen, charismatischen Wanderpredigers, Weisheitslehrers und Propheten Jesus von Nazareth war von ihrem personal-historischen Ursprung sowie von ihrer späteren nachösterlichen Entfaltung durch die Urgemeinde her indirekt beeinflußt von der hellenistischen Literatur und Sprachtradition, die somit in die Tradition des Neuen Testaments eingehen konnte.

4. Vorösterliche

Jesusüberlieferung

und die Wende von

Ostern

Die Frage, in welchem Umfang und mit welcher Zuverlässigkeit Worte und Reden Jesu von Nazareth noch über seinen Tod hinaus in der nachösterlichen Jesusüberlieferung aufgehoben worden sind und schließlich in den verschiedenen Literaturgattungen des Neuen Testaments (-»Formgeschichte/Formenkritik) noch als Tradition erhalten und nachweisbar sind, hat die historisch-kritische Exegese seit ihrem Entstehen beschäftigt (—»Leben-Jesu-Theologie/Leben-Jesu-Forschung; zur Frage nach der hermeneutischen Relevanz des Osterwiderfahrnisses für die Umdeutung bzw. Neuproduktion christologisch eingefärbter Jesustraditionen vgl. —»Auferstehung). Immerhin läßt sich von rund 170 jesuanischen Weisheitslogien sprechen, die über die Synoptiker verstreut sind. Im Vergleich zur Logienquelle Q mit ihren rund 2 0 0 - 230 Versen handelt es sich also um eine ansehnliche Materialfülle, die allerdings weder direkt auf den irdischen Jesus zurückzuführen noch vollständig in einem der synoptischen Evangelien anzutreffen ist. Die konkrete Frage, wieviele jesuanische Logien dem vorösterlichen Jesus zuzuweisen sind, wird in der Forschungsgeschichte recht unterschiedlich beantwortet. Nach gängigen Kommentaren der Gegenwart lassen sich über die Hälfte der synoptischen Gnomen, und zwar mindestens 81, als authentisch jesuanisch-vorösterlich bestimmen.

5. Nachösterliche

Entwicklungsstufen

der

Traditionsbildung

Werden in den Passionsgeschichten der synoptischen und johanneischen Tradition im Neuen Testament (—»Leidensgeschichte Jesu), in den -»Gleichnissen, den Wunderberichten (-»Wunder) und in der Spruchüberlieferung noch erhebliche Bestände vor-

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österlicher Ereignisse und Zeugnisse angenommen, so wird andererseits doch auch die starke kerygmatische und christologisch-soteriologische Einfärbung auch und gerade dieser Traditionsstoffe gesehen. Aus dem Traditionskomplex des Prozesses und der Kreuzigung Jesu (—»Kreuz) sind jedenfalls maßgebliche authentische Jesusüberlieferungen ins Neue Testament hineingelangt, die ihrerseits aber viele Fragen nach dem exakten Ablauf des Prozesses, nach dem juristischen Hintergrund, nach dem zeitlichen Verlauf, nach der gerichtlichen Kompetenz der Juden und Römer, nach dem Hinrichtungsgrund und der rechtlichen Schuldigsprechung, nach dem Vollzug der Hinrichtung und dem Ablauf der konkreten Begleitumstände offenlassen. Die vier Passionsgeschichten der Evangelien zählen zu den wichtigsten mündlichen Erzählstoffen, die im Rahmen der Evangeliumsbildung im Verlauf eines längeren Prozesses ihre allmähliche Verschriftlichung erfahren haben, wobei die gattungsgeschichtliche Nähe zu frühjüdischen wie hellenistischen Märtyrerakten zu berücksichtigen ist und die Historizität der Stoffe entsprechend angesetzt werden muß. Auch die Überlieferung von Jesu letztem Mahl, die sich dann zur Abendmahls- und Eucharistieüberlieferung des Neuen Testaments entwickelt (—•Abendmahl), wirft die Frage nach der Kontinuität zwischen vorösterlicher Zeichenhandlung Jesu und nachösterlicher Liturgiebildung der frühen Gemeinde auf. Es sollen im folgenden zehn wichtige Stufen des Traditionsprozesses im Neuen Testament und Urchristentum angesprochen werden: 5.1. Die Logienquelle Q. In gewisser Parallele zur hellenistischen und rabbinischen Memoriertechnik läßt sich annehmen, daß auch der Jude Jesus von Nazareth seine Einsichten und Thesen bewußt rhetorisch gestaltet, fixiert und so wiederholbar und einprägsam gemacht hat. Der exegetische Disput befaßt sich mit der hypothetischen Begründung der Annahme, ob ein Herrenlogion als vorösterlich-jesuanisch oder als nachösterlich-pneumatische Bildung im Geist und in der Intention des irdischen Jesus einzustufen ist. Die Diskussion um die Würdigung einzelner Originalitätskriterien hält in der exegetischen Forschung unvermindert an. Bekenntnisse, Hymnen. Unmittelbar nach Ostern ent5.2. Formeln, Akklamationen, standen in der sich zum Bekenntnis zu Jesus versammelnden und bald ihren eigenen -•Gottesdienst feiernden Jesusbewegung erste kurze Glaubensformeln, Bekenntnissätze, Hymnen und Lieder, die sich auf die Heilsbedeutung und Rettungsfunktion Jesu Christi konzentrierten und neben der titularen Christologie der etwa 52 Christusprädikationen im Neuen Testament einen wichtigen und archaischen Zweig der Traditionsbildung darstellen..Sprachtechnisch und literarisch gesehen sind diese Kurzformeln des.Glaubens an Jesus memorierfähige und daher leicht kommunizierbare Sätze, durch Parallelismus ihrer Glieder, Relativ- und Partizipialstil gekennzeichnet. Im Zentrum der Bekenntnisse stehen Hoheitstitel wie „Sohn Gottes, Christus, Kyrios, Retter, Sohn Davids". Bei den Glaubensformeln geht es um den Tod Jesu, seine Auferstehung, Erhöhung, Verherrlichung, Sendung und Parusie. Die ältesten Pistisformeln zeigen drei Ausprägungen: (a) nur die Nennung der Auferweckung Jesu, (b) nur die Nennung des Todes Jesu, (c) die Nennung von Tod und Auferstehung bzw. Auferweckung Jesu, wobei die beiden ersten älter sind als die dritte, die die beiden ersten kombiniert. Die Ausprägung, die nur die Auferstehung Jesu nennt, ist wohl die älteste. Zwischen der partizipialen Gottesprädikation „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt" und der zweiten Bitte des jüdischen Achtzehnbitten-Gebets besteht eine auffallende Nähe, denn der Glaube an die Auferweckung der Toten durch den einen Gott ist genuine frühjüdisch-apokalyptische Hoffnung. Andererseits entspricht die literarische Gestalt der Pistisformel aber auch hellenistischer Frömmigkeit, wie zahlreiche Belege zeigen (vgl. Phil 2,11; I Kor 12,3; zum Ganzen s. Deichgräber 107-117). Spezifisch frühjüdische Theologie repräsentiert hingegen das Thema „Sterben f ü r " vom rettenden Sühnetod Jesu (Rom 5,8; -»Sühne), das an die Vorstellung vom stellvertre-

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tenden Sühnetod der Märtyrer im hellenistischen Judentum anknüpft, besonders an II Makk 6 , 1 8 - 3 1 ; 7,37f.; IV Makk 6 , 2 7 - 2 9 ; 17,21 f. Sie ist aber auch im palästinischen Judentum in der Tradition vom leidenden Gerechten der Psalmen und vom leidenden Gottesknecht von Jes 53 vorhanden. Die Nähe der hellenistisch-jüdischen Märtyrertheologie zur griechischen biographischen Tradition vom gewaltsamen Tod von Philosophen ist nicht zu übersehen, wenn auch beim hellenistischen Thema des Philosophentods das Moment der stellvertretenden Sühne und Sündenvergebung völlig fehlt. Die Kombination der eingliedrigen Formel von der Auferweckung und dem Sühnetod Jesu bildet daher das frühe christliche Bekenntnis, wie es I Kor 1 5 , 3 - 5 ; II Kor 5,15; Rom 4,24f. vorliegt. Die komplexe Entwicklungsgeschichte der einzelnen christologischen Hoheitstitel wie Christus, Sohn Gottes, Sohn Davids, Retter, Anführer, Kyrios muß hier ausgeblendet bleiben (-»Jesus Christus). 5.3. Gleichnisse Jesu, Wunderberichte, Elemente der Passionserzählung. Daß in den Gleichnissen Jesu, in einzelnen Wunderberichten sowie in den verschiedenen Passionserzählungen Elemente eines „Urgesteins der Jesusüberlieferung" vorliegt, ist allgemein anerkannt (vgl. Jeremias 7). Welche konkreten Traditionsstoffe allerdings zum vorösterlichen Überlieferungsbereich unmittelbar zu rechnen sind und wie der „Anhalt" anderer Traditionsstoffe am irdischen Jesus zu denken ist, ist weiterhin Gegenstand der Kontroverse (vgl. Theißen/Merz 2 5 6 - 2 8 4 [Wunder]; 2 8 5 - 3 1 0 [Gleichnisse]; 3 8 7 - 4 1 4 [Passion]). 5.4. Vormarkinische Traditionen und die Transformation der Jesusüberlieferung in die literarische Form „Evangelium" durch Markus. Wieweit vormarkinische Überlieferungen auszumachen und zu bestimmen sind, ist immer noch nicht eindeutig entschieden. Daß Markus aber der Initiator jenes weitreichenden Transformationsprozesses ist, durch den die Jesusüberlieferung in die neue literarische Gattung und stilistische Form „Evangelium" überführt worden ist, ist unbestritten. Welche Konsequenzen dieser Umformungsprozeß der Sammlung, Formung und Bearbeitung der Jesusüberlieferung mit sich brachte und woher das literarische Modell „Evangelium" von Markus übernommen wurde, ist weiterhin in der Diskussion (vgl. Güttgemanns 2 2 3 - 2 3 1 ; Berger 580-642). 5.5. Der matthäische Traditionswille. Welche Folgen es hatte, daß nach Markus auch die matthäische Gemeinde die Jesusüberlieferung in ein eigenes Evangelium umschrieb und welche Akzentuierungen und Umprägungen die Jesusüberlieferung durch diesen Vorgang erhielt, wird bei der Darstellung dieser Traditionsstufe zu berücksichtigen sein. 5.6. Das lukanische Traditionsprogramm Lk 1,1-4; Act 20,17-35. Reflektiert-programmatisch wird der Traditionsgedanke im lukanischen Prolog Lk 1 , 1 - 4 entwickelt, um die grundsätzliche Ubereinstimmung zwischen den dem Theophilos übermittelten Lehrinhalten mit der urapostolischen Paradosis über Leben und Predigt des irdischen Jesus nachzuweisen. In Act 1,8.21 f. stellt Lukas ganz gezielt eine normative Traditionskontinuität zwischen dem irdischen Jesus über die apostolischen Augen- und Ohrenzeugen bis hin zu den Presbytern und Missionaren der spätapostolischen Generation dar, unter die auch Paulus gerechnet wird, um so die echte apostolische Tradition von den Häresien der Irrlehrer trennen zu können (Act 20,17-35). 5.7. Paulus und die Tradition. Trotz seines ausgeprägten apostolischen Selbstbewußtseins und seines Einsatzes für Innovationen, etwa im Bereich der Heidenmission und der Torakritik (-»Gesetz), vertritt Paulus dennoch ein programmatisches Festhalten an der Tradition, wenn es um sein eigenes Judesein, um das Fortbestehen der Privilegien Israels oder um die —»Wahrheit des Evangeliums in seinem eigenen Verständnis geht (I Kor 1 5 , 1 - 5 ; Gal lf.). Häufig greift er in seinen Briefen auf die Tradition des schon vor ihm bewahrten Kerygmas und der ethischen und disziplinären Gemeindeüberlieferung zurück (I Thess 2,13; 4,1; II Thess 2,15; 3,6; Gal 1,9; I Kor 11,2.23; 15,1 ff.; Rom 6,17; Phil 4,9; vgl. Kol 2,6). Die Tradition des Evangeliums ist für Paulus heilsrelevant

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(Rom 10,9; I Kor 15,2) und übt eine kritische Funktion gegenüber jeder Form von Kirchlichkeit aus (I Kor 15,12ff.), da sie letztlich vom Kyrios selbst herstammt (I Kor 11,23). 5.8. Tradition in den Deuteropaulinen und in der spätapostolischen Zeit. Nach dem Aussterben der apostolischen Augen- und Ohrenzeugen und dem parallelen Auftreten von Schismatikern und Häretikern in der frühen Urkirche zeichnet sich im entstehenden Frühkatholizismus eine immer stärkere Rückbindung und Fixierung der apostolischen Tradition ab. Hier entstehen nun die ausgesprochenen Vorstellungen von einer Successio apostolica, vermittelt durch -> Handauflegung und Ordo, und die Vorstellung einer klar abgrenzbaren Lehre der napadrjKt] im Depositum fidei (I Tim 6,20; II Tim 1,12.14) und in der „gesunden Lehre" (I Tim 1,10; II Tim 4,3; Tit 1,9; 2,1). Es gilt jetzt, die angenommene Lehre der Apostel zu bewahren, damit so die kirchliche Tradition aller Zeiten „apostolisch" bleibe (II Tim 1,13; 2,2). In noch verschärfender Weise gilt es für II Petr 3,1 f., in den Lesern „durch Erinnerung wachzuhalten", was durch die Apostel vom Herrn und Heiland überliefert wurde, und keinerlei eigenmächtige Deutung der Schrift zu dulden, sondern die apostolische Tradition als kritische Auslegungsnorm zu verstehen. Ähnlich spricht Jud 3 von dem „den Heiligen ein für allemal überlieferten Glauben", für den es zu „kämpfen" gilt. 5.9. Die Umsetzung der Tradition in die johanneische Sehweise. Auch die -•Johannesbriefe setzen gegen den häretischen „Fortschrittling" (II Joh 9) gezielt die „von Anfang an" geltende und auf die apostolischen Augen- und Ohre'nzeugen zurückgehende Lehre ein (I Joh 1,1; 2,7.24; 3,11; II Joh 5f.). Die Tradition bewahrt hier den maßgeblichen „Archetyp" des Glaubens und verbürgt somit die unverfälschte Kontinuität des Kerygmas. Eine ähnliche Traditionsvorstellung liegt den johanneischen Paraklet-Sprüchen zugrunde, wobei die pneumatische Dynamik der Traditionswahrung hervorgehoben wird (vgl. auch II Tim 1,14). Der Geist erweist die pseudepigraphischen Schriften des Neuen Testaments als Zeugnisse dieser Kontinuität zwischen apostolischer und nachapostolisch-frühkirchlicher Tradition. Mit 5.10. Die Überlieferung der Tradition im Horizont der Johannesapokalypse. Rückgriff auf den reichen Mutterboden der jüdischen apokalyptischen Literatur und ihrer Motivwelt (-»Apokalyptik), aber auch mit Rückgriff auf hellenistische Motive wird in der -»Apokalypse des Johannes eine weitreichende Umformung der urchristlichen und frühkirchlichen Tradition vorgenommen, die mit besonderem Blick auf die Leidenssituation der anvisierten Christengemeinden zum Durchhalten und zum Festhalten an der wahren Überlieferung aufruft. Der Verfasser der Apokalypse sieht sich ganz bewüßt im Wir-Kreis der kirchlichen Lehrautomat und als prophetischer Deuter der apostolischen Tradition mit amtlichem Verkündigungsauftrag (Apk 22,9.16; vgl. Ulrich B. Müller, Die Offenbarung des Johannes, 1984 [ÖTBK 19] 49). Er erkennt die Führungsfunktion des Pneumas im Bemühen um Identitätswahrung des Kerygmas und um die Kontinuität der Tradition, und er steht im Kampf gegen die Falschprophetie und die Irrlehre. Es geht ihm letztlich darum, das „Zeugnis Jesu" (Apk 12,17) festzuhalten. Jesus selbst ist der „treue Zeuge" (1,5; 3,14), der zuverlässige Interpret der Tradition Gottes in die Welt hinein. Dieses Zeugnis Jesu ist in das Zeugnis der apostolischen Tradition eingegangen (3,3). Die wahren Glaubenden sind jene, die „festhielten" an dem Wort Gottes und an dem Zeugnis, das sie besaßen (6,9; 20,4). 5.11. Weitere Stufen im Traditionsprozeß des Neuen Testaments und seiner Verwendung in der frühen Kirche sind dann die Sammlung der Paulusbriefe, die Sammlung und Anordnung der vier Evangelien sowie die Zusammenstellung der übrigen Schriften des Neuen Testaments, die schließlich zur Abgrenzung des -»Kanons des Neuen Testaments sowie zur Aussonderung der Pseudepigraphen und -»Apokryphen des Neuen Testaments führten. Diese Vorgänge liegen jedoch jenseits des literarischen Rahmens des Neuen Testaments und der zeitlichen Epoche des Urchristentums.

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Tradition III

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Paul-Gerhard Müller III. Judentum 1. Begriff und Gegenstand 2. Die schriftliche Tora als Basis und Mittelpunkt der Tradition 3. Das rabbinische Konzept der mündlichen Tora (Literatur S. 704)

1. Begriff und

Gegenstand

Für den Begriff Tradition wird im rabbinischen Judentum als genereller Terminus in der Regel masoret benutzt. Der Begriff wird zum einen von der Wurzel 'sr „binden, fesseln, halten" abgeleitet (so schon Ez 20,37), zum anderen aber auch von der Wurzel msr „übergeben, weitergeben". Mit diesen beiden Ableitungen sind Intention und Bedeutungsgehalt des Traditionsbegriffes im rabbinischen Judentum umrissen: Tradition manifestiert sich sowohl durch die kontinuierliche, generationsübergreifende Weitergabe als auch durch ihren in der Praxis bindenden und verpflichtenden Charakter. Damit steht sie vollkommen gleichberechtigt neben den Geboten der Tora, auf der basierend sie darüber hinaus verstanden wird. Im Judentum umfaßt der Begriff masoret alle Formen von Überlieferungen, d.h. neben den Traditionselementen, die die biblischen Gebote (mitzwot) und ihre Ausführung betreffen, auch alle Bereiche und Ausdrucksformen jüdischen Lebens und Glaubens. Zur Tradition des Judentums werden sowohl religionsgesetzliche Grundlagen, ethische Prinzipien und Bekenntnisaussagen gezählt als auch all die Verhaltensweisen bzw. Bräuche (minhagtm), die praktiziert und gepflegt werden, um die Zugehörigkeit zum Judentum auszudrücken, und die jüdisches Leben und jüdische Identität prägen, so z. B. Kleidung, Speisen und Sprache (-»Ritus). Die gesamte Tradition des Judentums gründet auf dem Gedanken der Offenbarung der Tora am Sinai; sie stellt Basis und zugleich Mittelpunkt der jüdischen Tradition dar. Zwar wird auch eine vorsinaitische Tradition, die auf die Patriarchen zurückgeht, bezeugt, doch erlangt diese erst durch eine Wiederholung am Sinai endgültige Bestätigung auch für ganz Israel. Der am Sinai geschlossene Bund zwischen Gott und Israel, der sowohl die Erwählung Israels als auch seine Verpflichtung auf die Tora beinhaltet, und die dort erfolgte Offenbarung und der Erhalt der Tora umfaßt nach rabbinischem Verständnis sowohl die schriftliche als auch die mündliche Lehre - also den Pentateuch als schriftliche Tora und die gesamte Tradition als mündliche Tora - , so daß damit auch für alle folgenden Generationen Gültigkeit und Aktualität der Tora gewahrt bleiben. Die Bestätigung des Sinaigeschehens als historisches Ereignis und die kollektive Verpflichtung auf die Tora erfolgt nach jüdischem Verständnis durch die Augen- und Ohrenzeugenschaft eines jeden einzelnen aus dem Volk Israel, der am Sinai anwesend war; nach rabbinischer Auffassung waren sogar alle von Gott geschaffenen jüdischen Seelen, also auch die noch nicht geborener Juden, als Zeugen anwesend (ShemR 28,6). Die Weitergabe der Tradition wiederum wird durch eine kontinuierliche Tradentenkette von Moses bis zu den sog. Paaren, die das Bindeglied zu den tannaitischen Rabbinen

702

Tradition III

darstellen, gewährleistet (mAv 1); darüber hinaus ist auch jeder Familienvater verpflichtet, seine Söhne in der Tradition - sowohl in der schriftlichen als auch der mündlichen Tora - zu unterweisen. Dementsprechend umfaßt der hebräische Begriff masoret in der talmudischen Literatur zum einen die überlieferte Schreibung der Tora (masora) als Basis und Mittelpunkt jeglicher Traditionsbildung und zum anderen alles das, was zusammen mit der schriftlichen Tora durch mündliche - und später schriftlich fixierte - Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben worden ist, d.h. die religionsgesetzliche Ausdeutung der schriftlichen Tora bzw. ihre Auslegung in der mündlichen Tora (-»Halacha), darüber hinaus Bräuche (minhagim), Erzählungen und Legenden (-»Haggada). Dieser Traditionsbegriff des pharisäischen bzw. rabbinischen Judentums war jedoch nicht unumstritten und setzte sich erst allmählich durch die immer stärker werdende Autorität und Legitimität der Rabbinen nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. als allgemein anerkannte Norm durch. Anders als die Pharisäer vertrat z. B. das sadduzäische Judentum diese Position einer durch die Vorväter mündlich überlieferten und gleichzeitig bindenden Lehre, die zudem aus der schriftlichen Tora abgeleitet werden kann, nicht, sondern forderte - so Josephus, Ant. XIII,297 - , „das allein sei maßgebend, was geschrieben stehe, während die mündliche Überlieferung der Vorfahren keine Gültigkeit habe". Eine solche Kritik an der mündlichen Tora und ihrer Verbindlichkeit steht nicht singulär in der Geschichte des Judentums, sondern kommt auch in späteren Jahrhunderten wieder auf und wird mit unterschiedlichen Konsequenzen ausgefochten; so führt die karäische Kritik an der Autorität der mittlerweile in -»Mischna und -»Talmud schriftlich fixierten mündlichen Tora im 9. Jh. n. Chr. zur Abspaltung der -»Karäer vom Judentum. Ob die kritische Auseinandersetzung mit der mündlichen Lehre der im 19. Jh. entstehenden jüdischen Reformbewegung auch als allgemeine Kritik an der Autorität der mündlichen Tora gewertet werden kann, ist fraglich und wohl nur für einzelne Aussagen von Vertretern dieser Bewegung tatsächlich nachweisbar; im Prinzip ging es hier eher um eine moderne Weiterentwicklung oder Aktualisierung der überlieferten Tradition, die den Gegebenheiten der Zeit sowohl unter halachischen, ethischen als auch ästhetischen Aspekten angepaßt werden sollte. 2. Die schriftliche

Tora als Basis und Mittelpunkt

der

Tradition

Der Kanon der jüdischen Bibel war noch in frührabbinischer Zeit nicht vollständig festgelegt (-» Schrift, Heilige; -» Tanach). Zwar waren schon lange vorher die fünf Bücher Mose (Tora) und die Mehrzahl der prophetischen Schriften kanonisiert, doch gab es in der rabbinischen Diskussion Uneinigkeit in bezug auf die Heiligkeit - was gleichzeitig einzige Legitimation für die Aufnahme in den Kanon war - einiger anderer Bücher, die heute Bestandteil des Kanons der jüdischen Bibel sind: hierzu gehörte neben dem - » H o henlied, Kohelet (-»Koheletbuch), -»Proverbia, -»Esther und -»Daniel auch der Prophet -»Ezechiel, der in der Kanonisierungsdebatte als umstritten galt, da seine als halachisch verstandenen Aussagen zum Tempel und Opferkult (Ez 4 0 - 4 8 ) im Widerspruch zu den Geboten der Tora stehen; mit Hilfe der Auslegung dieser Textstellen durch Rabbi Chananja ben Hiskia (2. Hälfte 1. Jh.) wurden diese Widersprüche jedoch aufgehoben und so die Kanonizität des Prophetenbuches gewahrt (bMen 43ab; bShab 13b; bHag 13a). Zusammen mit der Festlegung des Kanons im 2. Jh. n. Chr. wurde auch eine autoritative Textfassung der biblischen Bücher bestimmt, die eine allgemeingültige Grundlage für den rabbinischen Umgang mit den Texten und ihrer Auslegung schaffen sollte. Diese Notwendigkeit spiegelt der exegetische Grundsatz, den Rabbi -»Akiba ben Josef formuliert: Für eine adäquate Auslegung der Bibel sind auch die kleinsten Bestandteile und Besonderheiten des biblischen Textes von Bedeutung (bShab 64b; bBM 113b). Die Niederschrift eines autoritativen Konsonantentextes im 2. Jh. n. Chr. basiert natürlich auf älteren Texttraditionen und stellt keine gänzliche Neuschaffung eines unveränderlichen Standardtextes dar. Darüber hinaus entwickelten die sog. Masoreten ab deim

Tradition III

703

5. Jh. n. Chr. ein Punktationssystem, das sowohl die Aussprache als auch die Leseakzente des Konsonantentextes festlegte (masora). Da man bei dieser Arbeit jedoch auf keine schriftliche Tradition zurückgreifen konnte, war eine Neuentwicklung nötig, was zur Folge hatte, daß sich Punktation und Akzentuation im Laufe von jahrhundertelangen Studien entwickelten und erst im 9./10. Jh. n. Chr. eine abschließende Form erhielten. Solche Festsetzungen des biblischen Textes bzw. vor allem der Tora waren nötig, da die schriftliche Tora als Basis und zugleich Zentrum der gesamten jüdischen Tradition in einer Form vorliegen mußte, die eine möglichst hohe Garantie für die Einheitlichkeit der Tradition liefert und keinen willkürlichen Interpretationen unterzogen werden kann. Um eine nicht an die Tradition gebundene Textauslegung zu vermeiden, wurden außerdem hermeneutische Regeln festgelegt, die die Ableitung der mündlich überlieferten -•Halacha aus der Schrift ermöglichen sollten. Die wichtigsten Regelwerke (-»-Midrasch) sind die sieben Middot des Rabbi —»Hillel, die 13 Middot des Rabbi Ishmael (1. Hälfte 2. Jh.) und die 32 Middot des Rabbi Eliezer ben Jose ha-Gelili (2. Hälfte 2. Jh.). 3. Das rabbinische

Konzept

der mündlichen

Tora

Im rabbinischen Judentum wird als masoret die gesamte mündliche Lehre bezeichnet; sie steht vollkommen gleichberechtigt neben der schriftlichen Tora, da sie schon Teil der Sinaioffenbarung gewesen ist und an die Gebote und Gesetze der schriftlichen Tora rückgebunden ist. Die mündliche Lehre ist der Uberlieferungsteil, der nicht in der schriftlichen Tora (fünf Bücher Mose) enthalten ist; sie und die schriftliche Überlieferung bilden eine untrennbare Einheit und sind beide verpflichtend. So wird in bBer 5a die Torastelle Ex 24,12 folgendermaßen ausgelegt: „Ferner sagte Rabbi Levi ben Hama im Namen des Rabbi Schimon ben Laqisch: ,Was bedeutet der Schriftvers: Ich gebe dir die Steintafeln (luchot ha-even), die Weisung (tora) und das Gebot (mitzwa), das ich geschrieben habe, um sie zu unterweisen (Ex 24,12)?' - ,Tafeln', das sind die 10 Gebote; ,Weisung', das ist die Bibel; ,Gebot', das ist die Mischna; ,das ich geschrieben habe', das sind die Prophetenbücher und die Hagiographen; ,um sie zu unterweisen', das ist der Talmud. Dieses lehrt, daß alles dem Mose am Sinai gegeben worden ist." Damit wird paradigmatisch ausgedrückt, was unter Tradition zu verstehen ist: Alles, auch wenn es sich um erkennbar später entstandene Regelungen handelt, ist im Sinaiereignis zu verorten und erhält als Tradition auch nur durch diese Verortung Legitimation und Autorität. Die Klassifizierung als mündliche Tora geht auf die ursprüngliche Art ihrer Uberlieferung zurück, da sie durch mündlichen Lehrbetrieb von den Schülern ständig wiederholend tradiert wurde. Auch nach Beginn der schriftlichen Fixierung und Redaktion, die erfolgte, um das ständig wachsende Traditionsmaterial zu bewahren und den. Anspruch auf seinen autoritativen Charakter zu sichern, behielt die mündliche Tora zur eindeutigen Unterscheidung von der schriftlichen Tora ihre ursprüngliche Bezeichnung. Die Sammlung des Traditionsmaterials erfolgte in -» Mischna, ->Tosefta, dem Babylonischen und Jerusalemer -»Talmud und in zahlreichen sowohl halachischen als auch haggadischen Midraschim. Ein typisches Charakteristikum dieser Literatur, das gleichzeitig auch Umgang mit der Tradition spiegelt, ist, daß nicht nur die jeweils aktuelle Praxis festgehalten wird, sondern darüber hinaus sowohl eine Wiedergabe der unterschiedlichen Positionen innerhalb der Lehrhausdebatten als auch Rückverweise auf frühere Rabbanim und deren Meinungen erfolgen. Erst einige Jahrhunderte später erfolgte eine systematische, kompendienartige Sammlung und Zusammenstellung des halachischen Materials, durch die umfangreiche Kodizes entstanden, von denen namentlich vier ein so hohes Ansehen gewonnen haben, daß die Regel aufkam, keine rechtlichen Entscheidungen gegen den Konsens dieser vier Werke zu treffen; hierbei handelt es sich um das Kompendium Hilchot Alfas bzw. Sefer haHalachot des Isaak ben Jakob Alfasi (1013-1103), um den Kodex Mischtie Tora - später auch hajad haChasaqa genannt von ->Mose ben Maimon (Maimonides), die Arba Turim des Jakob ben Ascher (gest. 1340) und den ->Schulchan Aruk des Josef ben Efraim Karo (gest. 1575).

704

T r a d i t i o n III

Intention und Ziel der S a m m l u n g und vor allem Ü b e r a r b e i t u n g und W e i t e r e n t w i c k lung des T r a d i t i o n s m a t e r i a l s ist es, in allen J a h r h u n d e r t e n jüdischer G e i s t e s g e s c h i c h t e die A k t u a l i t ä t der schriftlichen T o r a zu wahren und P r a k t i k a b i l i t ä t gesetzestreuen und t o r a g e b u n d e n e n jüdischen L e b e n s zu e r m ö g l i c h e n . D i e G e b o t e der schriftlichen T o r a müssen nach zwei R i c h t u n g e n hin d u r c h die mündliche Uberlieferung interpretiert werden: Z u m einen sind sie s c h o n durch ihre F o r m u l i e r u n g e n erläuterungsbedürftig, da der T o r a t e x t an sich häufig keine g e n a u e r e n A n g a b e n zur Art und Weise der A u s f ü h r u n g einzelner G e b o t e gibt; z u m anderen stellt sich für jede G e n e r a t i o n erneut die F r a g e , inwieweit die G e b o t e der T o r a d u r c h jeweils neue Z e i t u m s t ä n d e , historische G e g e b e n heiten oder L e b e n s s i t u a t i o n e n jüdischer G e m e i n d e n n o c h d e m Sinn des T o r a g e b o t e s a d ä q u a t gelebt und praktiziert werden k ö n n e n . D i e Arbeit der T r a d e n t e n steht a l s o vor der doppelten A u f g a b e , die schriftliche T o r a zu w a h r e n und möglichst sinnentsprechend zu interpretieren, gleichzeitig a b e r den aktuellen Z e i t u m s t ä n d e n R e c h n u n g zu tragen. D u r c h das r a b b i n i s c h e K o n z e p t der mündlichen T o r a als schon a m Sinai g e o f f e n b a r t e s Traditionsgut und die enge R ü c k b i n d u n g der T r a d i t i o n an eine k o n t i n u i e r l i c h e T r a d e n t e n k e t t e wird einem willkürlichen U m g a n g mit den G e b o t e n im R a h m e n der Aktualisierungsprozesse vorgebeugt. M a ß s t a b für jede T r a d i t i o n bleibt so letztendlich i m m e r die Vereinbarkeit m i t der schriftlichen T o r a , die durch sachgerechte E x e g e s e legitimiert werden m u ß , und die K o n t i n u i t ä t zu den früheren R a b b i n e n g e n e r a t i o n e n , d u r c h die sie ihre A u t o r i s a t i o n erhält. E i n e n besonderen Stellenwert i n n e r h a l b der jüdischen T r a d i t i o n n e h m e n die durch k o n k r e t e historische oder existentielle U m s t ä n d e motivierten Verordnungen und Verfügungen von einzelnen G e l e h r t e n und G e m e i n d e n ( t a q q a n o t ) und die (ursprünglich) von einzelnen G e m e i n d e n eingeführten B r ä u c h e (minhagim) ein; durch ihre zeitliche o d e r regionale B i n d u n g lassen sich diese beiden T r a d i t i o n s e l e m e n t e in der R e g e l nicht direkt auf die schriftliche T o r a z u r ü c k f ü h r e n , k ö n n e n a b e r d e n n o c h durch ihre verbreitete P r a x i s bindenden und verpflichtenden C h a r a k t e r e r h a l t e n , so d a ß sie Teil der T r a d i t i o n werden. D o c h a u c h in diesen Fällen wird der h e b r ä i s c h e Begriff masoret g e b r a u c h t , ist a b e r deutlich von der schriftlichen T o r a und der durch exegetische A r b e i t legitimierten mündlichen T o r a unterschieden (so z . B . b R H S h 3 1 a ) . So e r m ö g l i c h t das jüdische T r a d i t i o n s v e r s t ä n d n i s eine h o h e Flexibilität für das t o r a treue und traditionsgebundene L e b e n , d o c h bleibt i m m e r die F o r d e r u n g s o w o h l einer s a c h g e m ä ß e n E x e g e s e der T o r a als über allen historischen Bindungen stehende O f f e n b a r u n g als a u c h einer geschichtlichen R ü c k b i n d u n g an frühere G e l e h r t e n g e n e r a t i o n e n bestehen. Literatur Alan Jeffery Avery-Peck, Art. 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Tradition IV

705

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Theodore Kwasman IV. Alte Kirche 1. Tradition als Uberlieferung von G e s c h i c h t e 2. Tradition in der kirchlichen Praxis und Liturgie 3 . Tradition in der Lehre (Quellen/Literatur S. 7 0 8 )

Das griechische Lexem TtapäSoatg und andere Ableitungen von napadiöcopi und lateinisch traditio als Ableitung von trado haben eine unterschiedliche Bedeutung. Im Griechischen bezeichnet napäöoau; sowohl den Akt der Übermittlung von Geschichtserzählungen und Lehren als auch das Übermittelte selbst. -»Plato verbindet „Lehre und Tradition" (öiöaoKakia Kai napäöooiq, leg. 803a). Im Lateinischen ist die Wendung traditum est, „es h e i ß t . . . " , geläufig; doch traditio in der Bedeutung „das, was überliefert ist", kommt erst im christlichen Sprachgebrauch auf. In der frühen Kirche bedeutet wahre -»Lehre und Praxis gemeinhin das, was -»Jesus Christus die —»Apostel gelehrt hat und diese den Gemeinden übermittelt haben (erstmals: I Clem 42). Es fällt zusammen mit dem Inhalt der Heiligen -»Schrift und schließt das Neue Testament als Sammlung der authentischen apostolischen Schriften wie auch das recht gedeutete Alte Testament in sich. Drei Hauptbedeutungen von Tradition werden im folgenden erörtert: Überlieferung von Geschichte, Tradition als Praxis und Lehrüberlieferung, 1. Tradition

als Überlieferung

von

Geschichte

Mündliche wie schriftliche Berichte von geschichtlichen Ereignissen aus früherer Zeit konnten „Tradition" genannt werden. Auch nachdem die frühesten Traditionen in den kanonischen Schriften des Neuen Testaments Schriftform angenommen hatten, fanden zahlreiche nicht darin eingegangene Berichte weithin Glauben (s. Hanson, Tradition 35-50). -»Papias mißt der mündlichen Überlieferung der „Ältesten" (npeaßüTEpoi) höheren Rang bei als schriftlichen Aufzeichnungen und führte so überlieferte Jesusworte an, die -»Irenäus für glaubwürdig hielt. -»Clemens von Alexandrien teilt zahlreiche Berichte übet Apostel mit (vgl. Harisori, Tradition 47f.), von denen eipige ebenso, wie die meisten der von ihm angeführten außerkanonischen Jesusworte bereits Eingang in -»Apokryphen gefunden hatten. -»Origenes behauptet, es sei allgemein bekannt, daß Jesus in einer Höhle geboren worden sei (c. Cels. 1,51); es handelte sich wahrscheinlich um eine der von Pilgern aufgesuchten -»Heiligen Stätten (vgl. Protev 18f.). Diese nachneutestamentlichen mündlichen Überlieferungen haben kaum historischen Wert, lassen aber die Interessen und die Frömmigkeit der Gemeinden erkennen, in denen sie erwuchsen. 2. Tradition

in der kirchlichen

Praxis und

Liturgie

Die im Bereich des Gottesdienstes und der kirchlichen Ordnung gängige kirchliche Praxis wird für gewöhnlich auf eine allgemeine oder apostolische Tradition zurückgeführt. Die -»Hippolytus zugeschriebene -»Kirchenordnung beginnt mit der Einsetzung eines Bischofs, dessen Aufgabe es ist, die rechte Gestaltung des kirchlichen Lebens zu wahren und weiterzugeben. Anschließend beschreibt das Buch die Weihe des Bischofs und die liturgischen Abläufe und praktischen Regeln, für die er verantwortlich ist ( T R E 18,667f.). Dieserart Überlieferung gilt als universal: „Wie die Lehre für alle nur die eine war, so auch die Überlieferung" (Clemens von Alexandrien, str. VII,17 [S. 76,24]). Die

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Tradition IV

Prophetie des Montanus „stand im Gegensatz zu dem, was der Tradition und Sukzession entsprechend von jeher Brauch der Kirche w a r " (Anonymus bei Eusebius, h.e. V,167)Origenes führt kirchlichen Brauch auf die Apostel und Christus selbst zurück: die Kindertaufe (-»Taufe) (comm. in Rom. 5,8f. usw.), die Wendung nach Osten zum —»Gebet, das Knien, die Form der -»Abendmahlsfeier und die Tauffragen (hom. in N u m . 5,1). Zur Deutung von Prov 1,18 erklärt er: „Wir hören einerseits auf die Worte des Vaters, der Schrift, und andererseits, im Blick auf das Fasten am Freitag und sonst dergleichen, auf die ungeschriebenen Überlieferungen der Mutter, der Kirche" (fr. in Pr. 3,8: PG 17,157A). Bei der sachlichen Erörterung greift Origenes lieber auf die Schrift als auf ungeschriebene Überlieferung zurück (Hanson, Tradition 138ff.). In Rom entsprach die Praxis, Häretiker ohne Neutaufe in die Gemeinde aufzunehmen, nach -»Stephan I. der Überlieferung (nihil innovetur praeter quam traditum est [es soll nichts Neues eingeführt werden, als was überliefert ist], Cyprian, ep. 74,1), -»Cyprian weist das als schriftwidrig zurück: „Eine Gepflogenheit ohne Wahrheit ist nur ein alteingewurzelter Irrtum" (consuetudo sine veritate vetustas erroris est, ep. 74,9,1). Das erinnert an -»Tertullians Bemerkung zur Verschleierung kleiner Mädchen: „Unser Herr Christus hat sich selbst und nicht überkommenen Brauch als Wahrheit bezeichnet" (dominus noster Christus veritatem se non consuetudinem cognominavit, virg. 1,1). Auch arglos eingehaltene mißverstandene Überlieferungen erwachsen für ihn aus Unkenntnis oder Einfalt (ebd.). In ähnlicher Weise tritt Irenäus für Nachsicht gegenüber quartodezimanischen Überlieferungen ein, die lange „in Schlichtheit und Einfalt" befolgt worden sind (Eusebius, h.e. V,24,12f.). -»Basilius von Caesarea achtet von „den Vätern" überkommene Regeln sittlichen Verhaltens (ep. 217,77.81) oder äußert eine eigene Ansicht nur, weil die Väter schweigen (ep. 199,30; 219,80). In einem Fall hält er die Väter für zu nachsichtig und tritt mit biblischer Begründung für ein strengeres Urteil ein (ep. 199,18). Traditionen galten daher nicht immer als unfehlbar, zumal wenn sich aus der Schrift Gründe für eine abweichende Auffassung beibringen ließen. Die Behauptung, daß kirchliche Gepflogenheiten nach dem ersten Jahrhundert apostolischen Brauch bewahrten, läßt sich auf keinen Fall aufrechterhalten. 3. Tradition in der Lehre Die Lehrüberlieferung hat in erster Linie die biblische Lehre zum Inhalt, schließt aber auch den gedanklichen Gehalt der geläufigen gottesdienstlichen Praxis sowie Lehraussagen von Bekenntnissen, Synodalentscheidungen und der Schriften angesehener Lehrer ein. Irenäus beschreibt bei seiner Wendung gegen die -»Häresie die Wahrheit als eine unveränderte Tradition, die von den Aposteln herrührt und durch die Sukzession der Bischöfe (presbyteri) (-»Bischof) in den Gemeinden weitergereicht wird (haer. 111,2,2,). Sie ist überall dieselbe und in führenden Gemeinden wie - » R o m zugänglich (haer. 111,3,1-3). Sie schließt die apostolischen Schriften des neutestamentlichen Kanons mit den vier Evangelien in sich, aber auch die alttestamentlichen Propheten und ihre rechte Deutung (-»Schriftauslegung) und grundlegende Lehraussagen wie die Lehre von -»Gott, der Schöpfung (—»Schöpfer/Schöpfung) und der Menschwerdung in Jesus Christus. In diesen Grundlehren sieht Irenäus eine Norm für das Verständnis der Schrift. Er nennt sie „Richtschnur der Wahrheit", „Tradition" (/cavcov zrjq akr^Qeiaq, napäSooiq, haer. 1,1,20), „Verkündigung", „Glaube" (Kijpoyfia, niaTiq, haer. 1,3), und sie können nicht nur von Irenäus, sondern auch von anderen Kirchenschriftstellern in einer bekenntnisartigen Aussage oder „Glaubensregel" zusammengefaßt werden (s. TRE 13,402—405). Den von den Valentinianern (-»Valentin/Valentinianer) und anderen erhobenen Anspruch, ihre Lehre bringe eine von den Aposteln überkommene geheime mündliche Tradition zum Ausdruck, weist Irenäus zurück. Gäbe es solche verborgenen Lehren, dann wären sie von den Aposteln denen übermittelt worden, denen sie auch die Gemeinden anvertraut haben, den Bischöfen (haer. 111,3,1). Seine Auffassung erhielt verbindliche Geltung. -»Tertullian nimmt sie auf, wenn er ausführt, Jesus habe die Wahrheit seinen

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z w ö l f J ü n g e r n übergeben, und sie sei dann als G a n z e s den ersten B i s c h ö f e n übermittelt w o r d e n , so d a ß jede N e u e r u n g ein h ä r e t i s c h e r I r r t u m sei (praescr. 2 0 - 2 2 ) . Unter der H e r r s c h a f t der christlichen Kaiser fügt - » Augustin hinzu, d a ß in der ganzen Welt derselbe G l a u b e bestehe ( s e c u r u s iudicat orbis terrarum [sicher urteilt der Weltkreis], P a r m . 111,4,24), und bei - » V i n z e n z von Lerins wird Universalität zu e i n e m K e n n w o r t für die w a h r e T r a d i t i o n ( q u o d u b i q u e , quod Semper, quodab omnibus creditum est [was überall, w a s i m m e r , w a s von allen geglaubt w o r d e n ist], c o m m . 11,3). Dieses Verständnis von T r a d i t i o n beruht auf einem ü b e r k o m m e n e n Bild von den Ursprüngen des B i s c h o f s a m t e s , das historisch gesehen ein K o n s t r u k t ist. In der Z e i t des 4 . - 6 . J h . begegnet die B e r u f u n g a u f gottesdienstlichen B r a u c h als Ausweis apostolischer Lehre. Augustin begründet seine E r b s ü n d e n l e h r e (-»-Sünde) mit der P r a x i s , Kinder unter Spendung des T a u f e x o r z i s m u s (—»Exorzismus) zur - » V e r g e b u n g der Sünden zu taufen (nupt. 1,22 u . ö . ) . -•Basilius von Caesarea macht in De spiritu sancto geltend, daß manche Bräuche bewußt nicht schriftlich aufgezeichnet seien (-»Arkandisziplin): „Von den in der Kirche eingehaltenen Glaubenssätzen und Lehren haben wir einige aus den schriftlich festgehaltenen Unterweisungen; andere, insgeheim übermittelte haben wir aus den Überlieferungen der Apostel erhalten" (spir. 27,66). Er führt einige der „zahllosen" Beispiele gottesdienstlichen Brauchs aus der „schweigsamen und sakramentalen Überlieferung" {auünm/jAvtjt; Kai fiixrTiicrjt; napaööaeax;) an und zieht daraus Schlüsse für die kirchliche Lehre: Der in der Taufe verwendete dreifache Name, bei dessen Nennung dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist die gleiche Stellung zugewiesen wird, verpflichtet zum Glauben an die -»Trinität (spir. 1 0 , 2 4 - 26). Dieser -»Glaube gründet auf „der apostolischen Überlieferung" (rtjv anoaxoXiKrjv napdSomv). Sie geht auf die napäSoaa; der Taufformel durch den Herrn selbst (Mt 28,19) zurück. Basilius hält insgeheim bewahrte liturgische Uberlieferungen für besonders vertrauenswürdig: Kein Wort der von -»Gregor dem Wundertäter gelehrten Überlieferungen ist jemals verändert worden (spir. 29,74). Häufig berief man sich auch auf die allgemeine L e h r e der V ä t e r , die sich zuweilen in den Entscheidungen von - » S y n o d e n niederschlug. S y n o d e n der Vergangenheit h a b e n stets A n e r k e n n u n g gefordert ( C y p r i a n , ep. 7 3 , 3 ; Dionysius von A l e x a n d r i e n bei Eusebius, h.e. V I I , 5 , 5 ) . D a s 3 2 5 in - » N i c ä a verabschiedete - » G l a u b e n s b e k e n n t n i s ist im O s t e n z w a r bald durch andere B e k e n n t n i s f o r m u l i e r u n g e n ersetzt worden (—»Arianismus), d o c h letztendlich setzte sich die Auffassung d u r c h , d a ß allein das B e k e n n t n i s von N i c ä a als ursprüngliches und universales B e k e n n t n i s gültig sei. U n t e r der H e r a u s f o r d e r u n g neu sich stellender Fragen traten allerdings neue D e u t u n g e n und Weiterführungen hinzu, i n s b e s o n d e r e auf den ö k u m e n i s c h e n S y n o d e n von - » K o n s t a n t i n o p e l 3 8 1 und - » C h a l k e d o n 4 5 1 ( - » N i c ä n o - k o n s t a n t i n o p o l i t a n i s c h e s G l a u b e n s b e k e n n t n i s ) . In C h a l k e d o n w u r d e die Aufstellung einer neuen G l a u b e n s f o r m e l d u r c h B e r u f u n g a u f das B e k e n n t n i s von K o n s t a n t i n o p e l und Lehrbriefe von - » L e o I. und - » C y r i l l u s von A l e x a n d r i e n gerechtfertigt; das eine B e k e n n t n i s wurde erläutert, nicht verändert oder ersetzt. D a m i t wird auch bei tatsächlichen Veränderungen die Vorstellung einer unveränderlichen T r a dition aufrechterhalten. In diesem E n t w i c k l u n g s s t a d i u m wird die L e h r e zu einer Angelegenheit des - » K i r c h e n r e c h t s und die wachsende T r a d i t i o n zu einer F r a g e rechtlich verbindlicher Präzedenzien. D i e schöpferische theologische A r b e i t verlor an K r a f t zugunsten der S a m m l u n g v o n Autoritäten der Vergangenheit in - » F l o r i l e g i e n und —»Katenen. Auseinandersetzungen g a b es selbstverständlich a u c h weiterhin. Auch die Z u s p i t z u n g e n der Prädestinationslehre ( - » P r ä d e s t i n a t i o n ) Augustins wurden von seinen B e w u n d e r e r n angesichts semipelagianischer E i n w ä n d e fallen gelassen ( - » P e l a g i u s / P e l a g i a n i s c h e r Streit). D i e Schriften von - » P r o s p e r von A q u i t a n i e n und V i n z e n z von Lerins verkörpern den R ü c k g r i f f a u f die A u t o r i t ä t und die sich ausbildende mittelalterliche Synthese. Die historische Kritik kann die Schwäche des patristischen Rückbezugs auf die Tradition leicht deutlich machen. An einer bezeichnenden Stelle entfaltet Basilius zur Frage der Göttlichkeit des heiligen -»Geistes (spir. 9,22 f.) „allgemeine Vorstellungen über den Geist, die einesteils für uns aus der Schrift zusammengetragen sind und die wir anderenteils aus der ungeschriebenen Uber-

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Tradition V

lieferung der Väter empfangen haben." Daraufhin führt er Schriftstellen an und entfaltet Begriffe und Vorstellungen, die aus dem geläufigen -»Neuplatonismus, insbesondere aus -»Plotin (s. die Anmerkungen von Pruche z.St.) geflossen sind; ältere christliche Vorstellungen sind nicht auszumachen. Basilius stellt also Gedankengut, das ihm aus seinem philosophischen Bildungshintergrund zugekommen ist, als ungeschriebene apostolische Tradition dar. Versuche, die patristische T r a d i t i o n s i d e e in neuerer Z e i t wieder aufleben zu lassen, blieben o h n e E r f o l g (s. H a n s o n , T r a d i t i o n 2 3 7 - 2 4 5 ) . D e r G l a u b e e r f o r d e r t j e d o c h eine K o n t i n u i t ä t zur christlichen Vergangenheit, und die A r b e i t der g e g e n w ä r t i g e n - > P a t r i s t i k richtet sich a u f eine vollere E n t f a l t u n g der christlichen L e h r e a u f der G r u n d l a g e einer kritischen B e g e g n u n g m i t d e m Z e u g n i s der V ä t e r (vgl. Pelikan 6 - 1 0 ) . Quellen Ausgew. Texte/Einl./Übers./Lit.: Willy Rordorf/André Schneider, L'évolution du concept de tradition dans l'Eglise ancienne, 1982 (TC 5); dt.: Die Entwicklung des Traditionsbegriffs in der alten Kirche, 1983 (TC 5). Augustin: Contra epistulam Parmeniani: CSEL 51 (1908). - Basilius v. Caesarea: Traité du SaintEsprit, ed. Benoit Pruche, 1968 (SC 17 bis ). - Lettres II: CUFr (1961). - Cyprian: Ep.: CSEL 3/2 (1871). - Irenaus: Contre les hérésies III: SC 2 1 0 - 211 (1974). - Tertullian: CChr.SL 1 - 2 ( 1 9 5 3 1954). - Traité de la prescription contre les hérétiques, ed. François Refoulé, trad. P. de Labriolle, 1957 (SC 46). - Vinzenz v. Lérins: Commonitorium: CChr.SL 64 (1985). Literatur William Abraham, Canon and Criterion in Christian Theology, New York 1998. - Johann Baptist Bauer, Das Verständnis der Tradition in der Patristik: Kairos 20 (1978) 1 9 3 - 2 0 8 . - Georg Günter Blum, Tradition u. Sukzession. Stud, zum Normbegriff des Apostolischen v. Paulus bis Irenäus, 1963 ( A G T L 9 ) . - D e r s . , Offenbarung u. Überlieferung. Diedogm. Konstitution Dei Verbum des II. Vaticanums im Lichte altkirchl. u. moderner Theol., 1971 (FSÖTh 28). - Stuart George Hall, Past Creeds and Present Formula at the Council of Chalcedon: The Church Retrospective, ed. by Robert N. Swanson, 1997 (SCH[L] 33) 1 9 - 2 9 . - Richard Patrick Crosland Hanson, Origen's Doctrine of Tradition, London 1954. - Ders., Tradition in the Early Church, 1962 (LHD). - John Norman Davidson Kelly, Early Christian Doctrines, London 1960 u.ö.; dt.: Altchristi. Glaubensbekenntnisse. Gesch u. Theol., Göttingen 1972. - Heinz Ohme, Kanon Ekklesiastikos. Die Bedeutung des altkirchl. Kanonbegriffs, 1998 (AKG 67). - Art. napâôoaiç: PGL 1 0 1 4 - 1 0 1 6 . - Jaroslav Pelikan, The Christian Tradition. A History of the Development of Doctrine, Chicago/London, I 1971. - Ralph E. Person, The Mode of Theol. Decision Making at the Early Ecumenical Councils, 1978 (ThDiss 14). - Perspectives on Scripture and Tradition, ed. by Joseph F. Kelly, Notre Dame, Ind. 1976. - Hermann Josef Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche, Paderborn u.a. 1979. - Basil Studer, Träger der Vermittlung: MySal 1 (1965) 5 4 5 - 6 0 5 . - Rebecca Harden Weaver, Divine Grace and Human Agency. A Study of the Semi-Pelagian Controversy, 1996 (PatMS 15). - Maurice Frank Wiles, The Patristic Appeal to Tradition: EIT 4 (1979) 4 1 - 5 2 . Stuart G e o r g e H a l l V. Mittelalter bis Neuzeit 1. Begriff 2. Normative Funktion der Tradition für die Lehre der Kirche im Mittelalter 3. Evangelisches Schriftprinzip und Traditionsverständnis 4. Katholisches Traditionsprinzip seit dem Tridentinum (Literatur S. 717) 1.

Begriff

D e r stets u n k l a r e , vieldeutige Begriff „ T r a d i t i o n " m e i n t e die ü b e r k o m m e n e G e w o h n heit, S a t z u n g , Sitte, E i n r i c h t u n g , Z e r e m o n i e o d e r ähnliches. I m allgemeinen Sinne als W e i t e r g a b e eines reichen Kulturerbes, als Überlieferung religiöser Verhaltensweisen, t h e o l o g i s c h e r L e h r e n und als Ü b e r e i g n u n g materieller G ü t e r g e h ö r t e T r a d i t i o n zu den konstitutiven E l e m e n t e n des C h r i s t e n t u m s als einer geschichtlichen R e l i g i o n . D a s prägte in unterschiedlicher Weise einen T r a d i t i o n a l i s m u s s o w o h l bei den k o n t i n u i t ä t s b e w u ß t e n O s t k i r c h e n als a u c h bei der lateinischen W e s t k i r c h e der R o m a n e n und G e r m a n e n , deren sozial- und k u l t u r g e s c h i c h t l i c h e G r u n d v o r a u s s e t z u n g die R e z e p t i o n und F o r t e n t w i c k lung des a n t i k - r ö m i s c h e n T r a d i t i o n s g u t e s w a r . Es b e k u n d e t e sich z . B . in - » K i r c h e n -

Tradition V

709

Verfassung, Kirchenbau, Gottesdienst (-»Liturgie), -»Mönchtum, wobei die Intensität der Traditionsbindung in den verschiedenen Konfessionen differierte (von ostkirchlicher Orthodoxie und römischem Katholizismus über Anglikanismus und Luthertum bis hin zu evangelischen Freikirchen abnehmend). Die Theologie in ihren exegetischen, dogmatischen, spekulativen oder mystischen Formen war geprägt durch permanente Vermittlung, Aneignung und Modifikation von Schultraditionen und Lehrtopoi: bis zum Spätmittelalter grundlegend vor allem durch -»Augustin und -»Dionysius Areopagita, daneben dann z. B. durch Thomismus ( - » T h o m a s von Aquino/Thomismus/Neuthomismus), Scotismus (-»Duns Scotus/Scotismus), —»Ockham/Ockhamismus, später im Protestantismus u.a. durch die Konzeptionen —»Luthers, -»Melanchthons und -»Calvins. In einem speziellen Sinne meinte Tradition die geschichtliche Bezeugung des identitätsstiftenden Ursprungs in -»Jesus Christus bzw. der göttlichen -»Offenbarung als apostolischer Überlieferung in der —»Bibel und der -»Kirche; dieses komplexe Thema der Theologiegeschichte wird im folgenden behandelt. (Jener generelle Aspekt ist fast deckungsgleich mit der gesamten Christentumsgeschichte.) 2. Normative

Funktion

der Tradition

für die Lehre der Kirche im

Mittelalter

Die altkirchliche Theologie machte seit -»Irenäus von Lyon und -»Tertullian die apostolische Tradition zum fundamentalen Normbegriff. Ihre Grundgedanken rezipierte man im frühen Mittelalter: daß —»Glaube und -»Lehre sich auf Gottes Offenbarung als Quelle aller -»Wahrheit beziehen, daß diese im apostolischen Zeugnis als geschichtlicher Erstgestalt überliefert und in der Bibel fixiert worden ist und nur in der Kirche als legitimiertem Traditionssubjekt recht interpretiert werden kann; daß die Bibel alle Heilswahrheiten enthält, und wenn diese dort nicht ausdrücklich formuliert sind (wie z. B. das trinitarische Filioque, die Bilderverehrung [-»Bilder] oder die Einsetzung einiger -•Sakramente), man sich auf indirekte Schriftzcugnisse berufen könne, wie sie vor allem in der Bibelauslegung der Väter begegnen. Der kulturgeschichtliche Traditionalismus, der sich in der durchgängigen Orientierung an den Werken der altkirchlichen Theologen bekundete, verband sich so mit normativer Wertung der „Väter/patres" als der Garanten rechter Lehre und Schriftauslegung (—»Patristik 2.1.). Schon der Begriff zeigte die dogmatische Funktion der Traditionsorientierung an. Unter diesen „Heiligen/sanci/" erfuhren seit dem 8. Jh. besondere Hervorhebung als doctores (ecclesiae) Augustin, -»Ambrosius von Mailand, -»Hieronymus und —»Gregor 1. der Große (in der Ostkirche seit dem 9. Jh.: -»Basilius von Caesarea, -»Gregor von Nazianz, -»Johannes Chrysostomus). Die Berufung auf Bibel und Kirchenväter verstand beide als einheitliches Normengefüge, weil ihre sachliche Übereinstimmung auf. der Inspiration durch den Heiligen —»Geist basierte. Sie galten für den Vollzug der Theologie als auctoritates, d.h. als Grundtexte, in denen die auctoritas der göttlichen Wahrheit überliefert war (-»Autorität 1.2.; 2.2.). Demgemäß konnten Vätertexte (in -»Florilegien zitierte Auszüge) seit dem 12. Jh. als sententiae bezeichnet werden, d.h. als über den Wortlaut hinausreichende, tiefsinnige Wahrheiten. - » H u g o von St. Viktor, der dieses Verständnis der Sentenzen begründete, entfaltete um 1125 erstmals eine hermeneutische Theorie der - Bibel, altkirchliche Konzile und Väter zusammenfassenden - Tradition als dogmatischer N o r m (Didascalicon IV,1-16: FC 27 [1997]; vgl. auch De scripturis et scriptoribus sacris: PL 175,8-28). Ohne daß hierfür der Begriff traditio begegnete, handelte es sich in der Sache um eine charakteristische Explikation des mittelalterlichen Traditionsverständnisses, wonach die Theologie sich an der in jenen Texten fixierten Lehre der Kirche zu orientieren hat. Als scripturae authenticae galten die Vätertexte wegen ihrer geistgewirkten Übereinstimmung mit der Bibel in deren Auslegung; sie konnten im einzelnen daher auch als scriptura sacra bzw. als divina pagina, d.h. als inspirierte Schriftinterpretation zitiert werden. Die normative Bedeutung dieser Tradition bekundete sich paradigmatisch bei der Ausarbeitung der über die biblischen Belege hinausgehenden Sakramentenlehre. Das zeigte Hugos Werk De sacramentis christianae fidei (PL 176,173-618), welches mit seiner eigen-

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ständigen Verarbeitung der Aussagen von Bibel und Kirchenvätern zugleich in formaler Hinsicht eine neue Epoche der Theologie markierte: die Abkehr von der bloßen Reproduktion der Vätertradition. Der Wandel bahnte sich seit dem 11. Jh. im Konflikt zwischen Dialektikern und Antidialektikern an, symptomatisch dargestellt vor allem im Streit um die Eucharistielehre zwischen -»Berengar von Tours und -»Lanfrank von Bec. Die bis dahin selbstverständliche Annahme einer sachlichen Einheit der Lehrtradition wich der Einsicht, daß zwischen den auctoritates Spannungen bestehen konnten. Die vor allem von -»Abaelard begründete Methode des argumentativen Ausgleichs widersprüchlicher Autoritäten bzw. Lehrtraditionen wurde grundlegend für die -»-Scholastik. Trotz der Annahme einer grundsätzlichen Einheit von Bibel und Vätertradition setzte man den kategorialen Unterschied beider im Blick auf das Offenbarungsverständnis voraus. Das bekundete z.B. um 1125 -»-Rupert von Deutz mit einer methodisch-prinzipiellen Differenzierung. Doch erst die Hochscholastik stellte den Unterschied klar heraus. So hob - » T h o m a s von Aquino, der das Traditionsproblem nicht eigens behandelte, die auctoritas der Bibel ab gegenüber der auctoritas der Väterschriften; hinsichtlich der heilsnotwendigen Glaubenslehren sollte man nicht mehr als die Heilige Schrift sagen, weil die Offenbarung den -»Aposteln und -»Propheten zuteil geworden wäre, nicht aber den doctores ecclesiae (S.th. 1,1,8 ad 2; 1,29,3 u.ö.). Eine Unterordnung nahm Thomas auch dort vor, wo er mündliche Überlieferungen der Apostel - die er grundsätzlich als normativ gelten ließ (z. B. bei der Einsetzung von -»Firmung und Letzter Ölung [-»Krankensalbung]) - neben die Heilige Schrift und die schriftliche apostolische Überlieferung stellte (S.th. 111,25,3 ad 4; 111,64,2 ad 1 u.ö.). Die thomistische Position setzte die bisher von den meisten Theologen vertretene Linie fort, die Lehrtradition als materiell mit der Bibel übereinstimmend bzw. als Schriftauslegung zu verstehen (mit späterer Terminologie: als traditio inhaesiva bzw. declarativa). Das Problem der Tradition als eigener dogmatischer N o r m (im Sinne einer Ergänzung der Bibel als traditio constitutiva) wurde erst virulent seit der Verschärfung des Kampfes gegen Häretiker und der innerkirchlichen Konflikte. Nun trat ein bislang wenig betontes Element hervor: der Rekurs auf die mündliche Überlieferung der Apostel neben der Heiligen Schrift, die - meist unter Berufung auf Joh 20,30 - ebenfalls als göttliche Autorität galt und damit Offenbarungsqualität besaß. Das verband sich mit der Hervorhebung der institutionellen Vermittlung von Gottes Wirken in der Kirche. Vorarbeiten zu diesem Wandel hatte die Kanonistik geliefert, die seit Burchard von Worms (um 965-1025) und -»Ivo von Chartres bis hin zu -»Gratian hinsichtlich der Höherwertigkeit von Normen zwischen der in der Bibel fixierten und der mündlichen, in der Kirche bewahrten apostolischen Tradition unterschied, jedoch grundsätzlich deren gleiche Verbindlichkeit lehrte. Als fundamentaltheologisches Problem thematisierte das erstmals der Pariser Lehrer Heinrich von Gent um 1280/90, indem er die Schriftaussagen der Lehre der Kirche gegenüberstellte und dabei möglicherweise auftretende Autoritätskonflikte erwog (trotz Betonung der concordantia beider und der materialen Superiorität der Schrift hinsichtlich der Glaubenslehre; Summa 1,10,1). Daß fortan die eigenständige Autorität des Lehramts der Kirche, welches die Glaubensüberlieferung expliziert, additiv oder konkurrierend neben die Beanspruchung der Bibel treten konnte, zeigte -»Duns Scotus: Die inspirierte, sachlich suffiziente Bibel enthält alle heilsnotwendigen Wahrheiten als Zeugnis der Offenbarung Gottes an Propheten und Apostel und insofern als prima traditio-, doch sie ist von der Kirche kanonisiert worden, und diese interpretiert die Schrift im selben Heiligen Geist, der die Glaubenslehren tradiert hat, so daß die ursprüngliche Überlieferung durch die Glaubensbekenntnisse und die Lehren der authentischen Väter lebendig fortgeführt wird, wobei auch kirchliche Überlieferungen als Wahrheiten hinzukommen können, die nicht in der Bibel stehen (Ord. Prol. p.2, q. un. n. 95; 110; 120; Op. O x . IV d.7 q.l n.3; d.8 q.2 n.6). In Fortführung dieser Differenzierung zwischen göttlicher Überlieferung in der Bibel und in der kirchlichen Tradition skizzierte Wilhelm von -»Ockham seit 1324 ein ein-

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flußreiches Modell der veritates catholicae. Veranlaßt durch den franziskanischen Armutsstreit und den gegen ihn selbst eröffneten Ketzerprozeß präzisierte er sein Bestreben, die Wahrheit der auf den Glauben gegründeten theologischen Aussagen zu bestimmen und so - gegen das Lehramt von Papst und Konzilien - die Legitimität kirchlicher Lehren zu begründen: Wahrheit kann nur durch göttliche Offenbarung erkannt werden, und deren Vermittlungsinstanzen - Bibel und Kirche, die beide die apostolischen Ursprünge durch Tradition repräsentieren - besitzen Autorität wegen ihres Bezugs auf Gottes Offenbarung; dabei ist die Bibel erstrangige (aber nicht alleinige) Offenbarungsquelle und oberste Autorität der Wahrheitserkenntnis; neben ihr steht sekundär die mündliche apostolische Tradition, welche z. B. in den alten Konzilsentscheidungen formuliert worden ist; auf den weiteren Rängen folgen glaubwürdige Faktenmitteilungen in historischen Werken, Konklusionen aus Schrift und Tradition sowie inspirierte Werke wie z. B. die Ordensregeln (Dialogus 1,2,5). Die hier anklingende Lehre von den zwei eigenständigen Offenbarungsquellen Schrift und Tradition wurde von Ockhamisten und Nominalisten im 14./15. Jh. rezipiert: u. a. -»Gregor von Rimini, Heinrich Totting von Oyta (um 13301397), -»Heinrich von Langenstein, -»Petrus von Ailly, J. -»Gerson, Nikolaus von Dinkelsbühl (um 1360-1433) und G. -»Biel. Die fundamentale ekklesiologische Kontroverse zwischen Konziliaristen und Kurialisten/Papalisten im 15. Jh. wirkte sich nicht produktiv oder profilierend auf die Zuordnung von Schrift und Tradition als Glaubensnormen aus. Dagegen brachte die Auseinandersetzung um die kirchenkritischen Lehren J. —» Wyclifs und J. - » H u s ' eine gewisse Neuakzentuierung der beiden Grundpositionen (Tradition als bloße Interpretation oder als eigenständige Ergänzung der Bibel). Von seinem Lehrer - » T h o m a s von Bradwardine übernahm Wyclif die Betonung der exklusiven Schriftautorität als höchster Instanz; er wandte sich damit gegen eine Überbetonung der kirchlichen Autorität (vor allem des päpstlichen Lehramtes) und kritisierte grundsätzlich die traditiones humanae in Lehre und Ordnung. Sein gesetzlicher Biblizismus, der die Nachfolge Christi zur Fundamentalnorm machte und die Bibelworte als göttliche Wahrheiten verstand, tendierte zu einem die Tradition als N o r m ausschließenden Schriftprinzip (z. B. De veritate sacrae scripturae, 1378: The Latin Works, London, I—II 1905-1906). Doch er konnte auch die kirchliche Lehrtradition und die Schriften der Kirchenväter positiv würdigen, sofern sie als rechte Schriftauslegung verifizierbar waren. Hus übernahm diese Position, dessen Schüler verbreiteten sie in -»Böhmen und —»Deutschland. Gegen das wyclifitische Schriftprinzip betonten die Kritiker das Traditionsprinzip und gaben der Autorität des kirchlichen Lehramts normativen Vorrang. Das begründete z. B. der Engländer Thomas Netter Waldensis {1372'-1430) in Abkehr von dem alten Axiom, daß alle Glaubenswahrheiten auf der Bibel basieren müßten, mit dem Hinweis auf die materiale Insuffizienz der Bibel und auf deren Kanonisierung durch die infallible Kirche, deren Autorität sich auf die Schrift und die mündlichen Traditionen, die Lehren der Konzilien und Väter gründet (Doctrinale antiquitatum fidei catholicae, 1415-1429). 3. Evangelisches

Schriftprinzip

und

Traditionsverständnis

Die Reformation brachte eine grundsätzliche Abkehr vom dogmatischen Traditionsprinzip, wie es der spätmittelalterliche Papalismus zugespitzt hatte, der die Autorität der Kirche und der apostolischen Tradition faktisch der Schriftautorität übergeordnet hatte. Positiv war jene begründet im evangelischen Schriftprinzip, in welchem alle Reformatoren übereinstimmten, und dieses verwies zurück auf die gemeinsame neue Rechtfertigungslehre als Zentrum. Es ging um die Begründung und Klarheit von Glaubensgewißheit und Wahrheitserkenntnis, und zwar in kategorischer Ablehnung der Kirche als Entscheidungsinstanz. Der dogmatische Bruch war, weil er ekklesiologische und kirchenpraktische Folgen hatte, verbunden mit einem vielgestaltigen Traditionsabbruch, d.h. mit Neubildungen in Kirchenverfassung und -»Gottesdienst, -»Frömmigkeit und Lebensgestaltung, die - allerdings unterschiedlich in Anglikanismus, Luthertum, Re-

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formiertentum, Nonkonformistentum - auch die jeweilige Gesellschaftsgeschichte prägten (sog. „Konfessionalisierung"). Das gesamte Geflecht zeigte sich paradigmatisch in den Anfängen von Luthers Wirken. Seine neue christozentrische Theologie basierte auf einem traditionskritischen Schriftprinzip. Das verdeutlichten sein Kampf gegen die scholastische Theologie 1516/17 (WA 1,224-228.353—374), seine Absage an die Kirche als sakramentale Heilsmittlerin gegenüber -»Cajetan 1518 (WA 2 , 6 - 2 6 ) , seine Bestreitung der kirchlichen Lehrautorität gegenüber S.M. ->Prierias 1518 (WA 1,647-686) und J. ->Eck 1519 (WA 2 , 2 5 4 - 4 3 5 ) sowie seine kontroverstheologischen Schriften 1 5 1 9 - 1 5 2 2 (z.B. WA 2 , 6 9 - 7 3 ; 6 , 1 7 4 185; 7 , 3 0 8 - 4 5 7 . 7 0 5 - 7 7 8 ; 8 , 4 3 - 1 2 8 ) . Sein Prinzip sola scriptum war rechtfertigungstheologisch begründet durch den Bezug von Glauben und Wort Gottes; es hing unlöslich zusammen mit den Prinzipien solus Christus und sola fides. Daraus folgten einerseits die für die Abkehr vom Traditionsprinzip wesentlichen Grundsätze der Klarheit, Selbstauslegung und Suffizienz der Bibel, andererseits die strikte Unterordnung der Autorität der Kirche und der Tradition unter das Schriftprinzip (vgl. auch Von den Konziliis und Kirchen, 1539: WA 5 0 , 5 0 9 - 6 5 3 ) : Die apostolische Tradition ist vollkommen verschriftet in der Bibel, und die von ihr unterschiedenen kirchlichen Überlieferungen (Dogmen, Bekenntnisse, Rechtssätze, Gottesdienstordnungen etc.) haben nur einen relativen Geltungsanspruch und müssen sich als rechte Schriftauslegung legitimieren. Insofern kam Luther sowohl hinsichtlich der Lehre als auch der Praxis zu einem positiven Verständnis kirchlicher Tradition, das sich der früh- und hochscholastischen Sicht annäherte, jedoch deren normative Betrachtung nicht teilte (mit Ausnahme der altkirchlichen Dogmen): Die Kirchenväter, voran Augustin, werden als Zeugen der Wahrheit geschätzt, weil sie rechte Schriftauslegung getrieben haben, und tradierte Zeremonien können gelten, wenn sie nicht dem Evangelium widersprechen. Generell aber bekommt der Begriff Tradition - meist im Sinne von Menschenlehren/Menschensatzungen/iraii/i/ones humanae gebraucht - einen negativen Bedeutungsgehalt als illegitime Norm entgegen dem Wort Gottes. Das gilt freilich nur in dogmatischer Hinsicht, sofern kirchliche Lehren und Ordnungen als heilsnotwendig bzw. meritorisch gegen das Wort Gottes und die Rechtfertigung durch Gott gestellt werden. Diese Sicht übernahm Melanchthon, doch er akzentuierte den Traditionalismus im positiven Sinne stärker, weil er mit dem humanistischen Geschichtsverständnis den Anfängen des Christentums besondere Bedeutung - als größere Nähe zu dessen Ursprung - beimaß (vgl. grundlegend De ecclesia et autoritate verbi Dei, 1539: StA 1,324-386): Die Kirchenväterschriften stehen der apostolischen Lehre inhaltlich nahe und können - zumal dann, wenn ein biblischer Sachverhalt erklärungsbedürftig ist - die theologische Erkenntnis fördern, wobei sie - vor allem die Werke Augustins - oft als kritische Instanz einerseits gegen Scholastik und mittelalterliche Lehrtradition, andererseits gegen -•Schwärmer beansprucht werden (so z. B. zur Abendmahlslehre in den Sententiae, 1530: CR 2 3 , 7 3 2 - 7 5 1 ; zur Kindertaufe 1528: StA 1,281-293; zur Christologie und Trinitätslehre 1553: StA 6 , 2 6 0 - 2 7 7 ; CR 2 1 , 2 5 1 - 2 6 4 ) . Die Tradition hat hier keine normative, sondern eine orientierende Funktion. Sofern sie grundlegende Lehren klarer als die Bibel formuliert bzw. die biblischen Lehren zusammenfaßt (besonders in den altkirchlichen Bekenntnissen), wird sie zur wichtigen methodischen Ergänzung, so daß Melanchthon gelegentlich von Gottes Offenbarung in scriptis propheticis et apostolicis et symbolis spricht (CR 9,733; 28,455). Daneben ist die Berufung auf Kirchenväter und Konzilien wichtig bei strittigen Fragen der Praxisregelung, und hier behandelt Melanchthon die Traditionsproblematik positiv in konkret-kirchengeschichtlicher Perspektive: Die evangelische Neuordnung des kirchlichen Lebens wird gegen die römische Papstkirche in der Kontinuität mit der Alten Kirche und als Ausdruck wahrer Katholizität gesehen. Das stellt das -> Augsburger Bekenntnis programmatisch dar. Fundamentales Kriterium für die Beibehaltung von Traditionen ist, daß die kirchlichen Ordnungen keine Heilsbedeutung beanspruchen und der Bibel nicht widersprechen, daß sie vielmehr in dieser

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und im altkirchlichen Brauch gegründet sind (CA 15, erläutert in ApolCA 15; Spezifikationen in CA 21-28). So können die traditiones humanae - neben dem in der Bibel bezeugten ius divinum - eine hilfreiche Funktion im kirchlichen Leben haben. Der konservative Grundzug der Wittenberger Reformation mit vielfältigen Traditionsbindungen erklärt sich aus diesem Ansatz. Demgemäß unterscheidet - • Bugenhagen bei der Ausgestaltung der Praxis zwischen einer göttlichen Ordnung, die - als von Gottes Wort unmittelbar gesetzte - unumstößlich gilt, und einer christlichen Ordnung, welche von den Aposteln und von der Alten Kirche aus Gottes Wort abgeleitet ist und geschichtlichen Wandlungen unterliegt. Noch stärker als bei Melanchthon wirkte sich der humanistische Ansatz in -»Bucers Einschätzung der Tradition aus. Dieser betonte, daß Gottes Offenbarung der Heilslehre allein in der vom Heiligen Geist diktierten Bibel vorliegt, deren materiale Suffizienz gilt; demgegenüber sind die Kirchenväter nicht als eigene Autorität, sondern nur insofern, als sie schriftgemäße Lehren formuliert haben (z.B. Dt. Sehr. XI/1, 170-178), relevant: Sie bilden zusammen mit den altkirchlichen Konzilsentscheidungen im Blick auf die kirchliche Praxis als Tradition eine kritische Instanz für die Abstellung von Mißständen und bekommen im Blick auf die Überwindung der Kirchenspaltung als Zeugen des idealen Urzustandes und des Lehrkonsenses der frühen Kirche eine konstruktiv-regulative Bedeutung (z.B. Dt. Sehr. V, 270-362). Daß diese in der Verständigung mit römisch-katholischen Erasmianern womöglich zu einer normativen Bedeutung werden konnte, verdeutlichte die Ambivalenz und Unschärfe dieser Konzeption: Bucer einigte sich mit G. -»Witzel 1539 in den sog. Leipziger Artikeln auf Bibel, Kirchenväter und Konzilien als ein dreifaches Normengefüge für praktische Reformen ohne nähere Differenzierung, und im sog. Wormser Buch 1540 verständigte er sich u. a. mit J. —»Gropper über strittige Lehren und Zeremonien durch Berufung auf die Kirchenväter, wobei ohne Reflexion des Traditionsproblems, doch unter Hinweis auf die altkirchlichen Dogmen — in mißverständlichen Ausführungen der vom Heiligen Geist geleiteten Kirche die authoritas zur wahren Schriftauslegung gegenüber der Irrlehre zugebilligt wurde (Dt. Sehr. IX/1, 23.415-427). Hier war eine Grenze hin zum humanistischen Reformkatholizismus überschritten, wie der scharfe Widerspruch Luthers, Melanchthons u. a. bekundete. Das hatte sich schon früher in deren Gegensatz zu -»Erasmus' Verständnis von Tradition und Kircheneinheit gezeigt. G a b es eine Nähe zu dessen Hervorhebung von Bibel (als Ursprung) und Kirchenvätern (als Schriftauslegern) gegenüber der Scholastik, so bestand ein unüberbrückbarer Graben zu dessen Legitimierung der Notwendigkeit kirchlicher Lehrautorität durch den Hinweis auf unklare Bibelaussagen bzw. Widersprüche von Häretikern (De libero arbitrio . . . [1524]: Opera omnia, ed. Joannes Clericus, Leiden, IX 1706, Nachdr. Hildesheim 1962,1215-1248; De sarcienda ecclesiae concordia [1533]: ebd., V 1704, Nachdr. Hildesheim 1962,469-506). Gleichwohl wirkte die erasmianische Konzeption bei katholischen wie evangelischen Vertretern einer ->Irenik im 16./17. Jh. fort. Das Traditionsverständnis des wenig einflußreichen Georg Witzel, der sich auf -»Vinzenz von Lerins berief, bekundete Nähe wie Distanz zur evangelischen Position: In allen Heilsfragen ist die Bibel maßgebliche, suffiziente N o r m , doch zu ihrem richtigen Verständnis verhelfen die ebenfalls normativen Väterlehren, weil sie dem Ursprung des Christentums näherstehen (Prinzip der antiquitas)-, und in Ordnungsfragen kann die Kirche kraft ihrer Autorität Normen setzen. Die klare Priorität des Schriftprinzips unterschied die evangelische Position von allen Vermittlungsformen. Das zeigten z. B. für das Luthertum M . -»Flacius Ulyricus und M . -»Chemnitz, für das Reformiertentum Calvin und H. -»Bullinger. Letzterer nahm den von -»Zwingli betonten Gegensatz zwischen Gottes Wort (d.h. der Bibel) und Menschenwort auf und bestritt gegen den katholischen Traditionalismus eine dogmatische oder disziplinäre Autorität der Kirchenväter und Konzilien. Demgemäß stellte er das christozentrische Schriftprinzip als Kriterium der wahren Kirche an den Anfang seiner -»Confessio Helvetica Posterior (c. 1); er betonte Suffizienz und Selbstauslegung der

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Schrift gegen die Meinung, man benötige für rechte Bibelauslegung oder Entscheidung strittiger Glaubensfragen die Väter (c. 2; deren Aussagen er in seinen Werken häufig zitierte als Bestätigung schriftgemäßer Lehre). Diese Abgrenzung gegen Rom kulminierte in der Verwerfung einer Berufung auf die - in der bischöflichen Sukzession lebendige, aus göttlichem Ursprung stammende - mündliche apostolische Tradition als Menschensatzung gemäß Mt 15,lff.; Mk 7,1 ff. (c. 2, BSRK 172,35ff.; wohl mit Bezug auf das -»Tridentinum). Calvins Sicht entsprach dem grundsätzlich, doch er wertete die Tradition insofern positiver, als er den Lehren der Kirchenväter und den Dogmen der Alten Kirche Autorität zusprach, allerdings eine vom Wort abgeleitete (als rechte Schriftauslegung). Bezeichnend für sein Verständnis von Katholizität der evangelischen Kirche waren z. B. seine Behauptung gegen J. -»Sadoleto, die dem Wort Gottes folgende Kirche stehe besser im Konsens mit Lehre und Praxis der Alten Kirche als die römische Kirche (Calvin, StA 1/2,368 ff.), seine durchgängige Berufung auf Kirchenväter - vorab Augustin - als Beanspruchung einer allein in der evangelischen Kirche vorhandenen legitimen doktrinalen Sukzession und seine fundamentale Orientierung am -»Apostolischen Glaubensbekenntnis bei der Ausarbeitung der Institutio. Insofern verstand Calvin - wie Melanchthon, Bucer u. a. - Schrift und Tradition nicht als Widerspruch. Er kritisierte jedoch ausführlich die römische Annahme einer neben der Bibel gültigen mündlichen apostolischen Tradition, welche die Fixierung neuer Lehren legitimieren sollte; das trinitarische und das christologische Dogma hielt er deswegen für verbindlich, weil sie dem ursprünglichen Sinn der Bibel entsprechen (Inst. IV,8,8-16 u.ö.). Seiner Kritik an der Tyrannei kirchlicher, unter Berufung auf angebliche apostolische Überlieferung legitimierter Rechtsordnungen und Zeremonien, der traditiones humanae (Inst. IV,10,18), entsprach Flacius mit seinem traditionskritischen Prinzip, daß kein Element kirchlicher Praxis in casu confessionis ein Adiaphoron sei. Flacius verteidigte gegen das Tridentinum die Suffizienz und Klarheit der Schrift (Clavis Scripturae Sacrae, Basel 1567); er berief sich aber insofern positiv auf die Tradition, als er bestimmte altkirchliche und mittelalterliche Theologen als wegweisende Zeugen der allein in der Bibel offenbarten Wahrheit des Evangeliums und damit als Väter der lutherischen Kirche beanspruchte (Catalogus Testium Veritatis, Basel 1556/62; im Prinzip Melanchthon entsprechend, nachwirkend in der -»Konkordienformel, BSLK 1101-1135). Die am stärksten systematisierte Darstellung des evangelischen Traditionsverständnisses bot - Melanchthons Konzeption weiterführend — Chemnitz in Auseinandersetzung mit Trient (Examen Concilii Tridentini, Frankfurt a.M. 1565-1573; Nachdr. Berlin 1861, 6 9 - 9 9 ) . Er unterschied sieben Arten von Tradition: 1) Die Bibel ist - zunächst mündliche - Überlieferung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, deren Verschriftung durch die Apostel die göttliche Tradition sichert. 2) Die unverfälschte Weitergabe der apostolischen Schriften und deren Autorität verbürgt den Kanon. 3) Als Zusammenfassung rechter Schriftauslegung gibt es die Glaubensregel und die Symbola, die auf mündlichen Apostolorum traditiones basieren. 4) Diese werden abgesichert durch die Überlieferung richtiger, antihäretischer Schriftauslegung in der wahren Kirche. 5) Die der Schrift gemäße kirchliche Lehrtradition bekundet sich im trinitarischen und christologischen Dogma. 6) Der Konsens der Väter als authentischer Bibelausleger gehört zur katholischen Tradition der wahren Kirche, desgleichen 7) schriftgemäße praktische Regelungen und Zeremonien. All das wird abgegrenzt von der falschen, schriftwidrigen Tradition der Papstkirche. Der hier spezifizierte Ansatz, wonach der Alten Kirche im Gegensatz zum Mittelalter besondere Dignität zukommt, wirkte produktiv fort bei Irenikern wie z. B. G. -»Calixt mit seiner — an Vinzenz von Lerins orientierten, von Humanisten wie z. B. Georg Cassander (1513—1566) beeinflußten - Konzeption eines dogmatischen Traditionalismus als Grundlage einer Wiederherstellung der Kircheneinheit: Der consensus antiquitatis dokumentiert sich in den Konzilsentscheidungen und Kirchenväterschriften bis zum 5. Jh. als rechtmäßige Tradition, zumal im Apostolikum als dem formulierten Glaubensfundament aller Kirchen (Discurs von der wahren Christlichen Religion und Kirchen,

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Braunschweig 1652). Die Wortführer der lutherischen —»Orthodoxie polemisierten scharf gegen die darin implizierte Aufweichung des Schriftprinzips. Charakteristisch für die orthodoxe Dogmatik war ja die - jede Ergänzung durch eine kirchliche Lehrtradition ausschließende, die römische Konzeption explizit kritisierende - Lehre von der Irrtumslosigkeit und Verbalinspiration, Vollkommenheit und Suffizienz der Bibel hinsichtlich aller Heilswahrheiten und Moralvorschriften (z.B. J . -»Gerhard). Der Väterkonsens und somit die altkirchliche Tradition konnte als menschlicher Glaube kein fundamentales oder sekundäres Prinzip der Theologie sein, sondern nur eine Wertschätzung als adäquate Schriftanwendung beanspruchen (so z.B. Johann Andreas Quenstedt [ 1 6 1 7 1688]). Faktisch trat an deren Stelle als dogmatische Autorität der Hinweis auf die Reformatoren und die -»Bekenntnisschriften. Die konfessionelle Theologie vom 17. bis zum 20. Jh. fixierte damit eine spezifische Traditionalität. Dem entzog sich die durch die -»Aufklärung geprägte Theologie mit ihrer historischen Kritik an Bibel und Dogma (z.B. J . S . -»Semler; vgl. auch T R E 9,117). Mit der Hervorhebung der mündlichen Überlieferungergab sich eine neue Wahrnehmung des Traditionsprinzips (z. B. bei G.E. -»Lessing hinsichtlich der Glaubensregel). 4. Katholisches

Traditionsprinzip

seit dem

Tridentinum

Die seit dem Spätmittelalter zunehmende Tendenz, das Thema auf eine Verstärkung der Autorität der Kirche zuzuspitzen, entwickelte sich in der Neuzeit weiter. Im Vergleich zum relativ einheitlich vertretenen evangelischen Schriftprinzip erschien die katholische Position insofern differenzierter, als hier das Mit- und Nebeneinander von Schrift und Tradition unterschiedlich bestimmt wurde. Nur scheinbar bot das entsprechende Dekret des Trienter Konzils (-»Tridentinum) von 1546 zu diesem Thema größere Klarheit als die Theologen der vorreformatorischen Zeit; tatsächlich war sein Kern eine gegen die reformatorische Bestreitung des Traditionsprinzips gerichtete, ansonsten interpretationsbedürftige Formel: Quelle aller Wahrheit in dogmatischer, ethischer und disziplinärer Hinsicht ist das von Jesus Christus offenbarte und von den Aposteln verkündigte Evangelium, welches in zweifacher Form - in libris scriptis et sine scripto traditionibus überliefert ist; die Traditionen, die von Christus her mündlich und durch Diktat des Heiligen Geistes aufgezeichnet und in der katholischen Kirche durch kontinuierliche Amtssukzession seit den Aposteln bewahrt worden sind, sind gleichermaßen gültig (mit alter Formel: pari pietatis affectu ac reverentia-, DH 1501). Ein ergänzendes Dekret stellte fest, daß die authentische Schriftauslegung gemäß dem sensus ecclesiae und dem consensus patrum erfolge (DH 1507). Hier waren - entsprechend dem damaligen Diskussionsstand - weder der konkrete Vollzug des kirchlichen Lehramts definiert noch das Verhältnis von Schrift und Tradition (oder auch nur der unklare Begriff traditiones, den man zum Teil nur auf die liturgischen und disziplinären Bräuche bezog) präzise bestimmt. So blieb die Relation der Autorität von Papst und Konzil/Bischöfen ebenso offen wie die vor und in Trient strittige Frage, ob es zwei Offenbarungsquellen gebe (so mit dem einflußreichen Werk des Johannes Driedo [um 1480-1535] von einigen Konzilsvätern vertreten und vermutlich im Entwurf mit partim-partim ausgedrückt, was in der oben zitierten Endfassung durch ein et ersetzt wurde). Die nachtridentische Interpretation tendierte - kontroverstheologisch orientiert gegen das evangelische Schriftprinzip — zumeist dahin, die Tradition als zweite Offenbarungsquelle im Sinne des partim-partim zu verstehen. Die Schule von -»Salamanca, vor allem das einflußreiche Lehrbuch des Melchior Cano (1563), bestimmte fortan die theologische Methodologie mit dieser Auffassung, die materiale Eigenständigkeit der Tradition in Verbindung mit der kirchlichen Autorität neben die Schrift zu stellen. (Schon der niederländische Kontroverstheologe A. -»Pighius hatte 1538 die päpstliche Lehrgewalt als drittes Glaubensprinzip betont.) Das führte R. -»Bellarmini ab 1586 in seiner großen Darstellung, die sich intensiv mit Chemnitz auseinandersetzte und demgemäß den Traditionsbegriff sorgfältig differenzierte, fort; seine Ablehnung des Schriftprinzips

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begründete er u.a. damit, daß die Bibel nur einen Teil, die Tradition aber die ganze Offenbarung Gottes enthalte. Die verbreitete Identifikation dieser Tradition mit schriftlichen Dokumenten vertraten die Jansenisten (-»Jansen/Jansenisten) gegen die Ausweitung des Lehramts; dagegen verwies z. B. F. -»Fenelon auf die in der Kirche „lebendige Tradition" als Stimme Gottes. Hier kündigte sich ein Neuansatz an, der im 19. Jh. eine bedeutsame Entfaltung in der -»Tübinger Schule erhielt. Vom organologischen Geschichtsverständnis her (das in der -»Romantik zum umfassenden Verständnis der Tradition als Inbegriff von Geschichtlichkeit und Kultur führte, z.B. bei Friedrich Schlegel [1772—1829], —»Novalis, F. von -•Baader) begriff man die in der Kirche lebendige Tradition als einen Prozeß kontinuierlicher Weitergabe der katholischen Wahrheiten, die als „subjektive" neben die „objektive Tradition" in den Väterschriften und Lehrentscheidungen gestellt wurde: so J. M . -»Sailer, Johann Sebastian von Drey (1777-1853), J. A. -»Möhler (in ausführlicher Abgrenzung gegen das evangelische Schriftprinzip und den Rationalismus) und Johann Evangelist von Kuhn (1806-1887). Eine ähnliche Konzeption entwickelte vom -»Anglokatholizismus her J . H . - » N e w m a n , in dessen weit gefaßtem Traditionsbegriff das produktive Element des kirchlichen Glaubensbewußtseins (sensus fideliutn) eine wichtige Rolle spielte. Die Konzeption einer fortlaufenden Dogmenentwicklung erwies sich als folgenreich für das 20. Jh. (vgl. T R E 9,120f.), zumal sie sich verband mit der starken Neuprofilierung des Kirchenbewußtseins, die den Katholizismus der säkularistischen Welt entgegenstellte. Kirchenamtlich wirksamer wurde im 19. Jh. - in Fortsetzung Melchior Canos (um 1509-1560), Bellarminis u.a. - der neuscholastische Ansatz. Die sog. Römische Schule (Giovanni Perrone [1794-1876], Carlo Passaglia [1812-1887], Johann Baptist Franzelin [1816-1886] und Clemens Schräder [1820-1875]) unterschied zwischen der objektiven Tradition - dem Depositum der seit den Vätern überkommenen, schriftlich belegten Lehren und Gebräuche - und der aktiven Tradition, der Lehrverkündigung bzw. dem lebendigen, unter der Hilfe des Heiligen Geistes in der Kirche erfolgenden Überlieferungsvorgang. Der einflußreiche Dogmatiker Matthias Joseph Scheeben (1835-1888) systematisierte diese Konzeption. Wichtig war dabei, daß trotz relativer Suffizienz der Bibel die Tradition als eigene Offenbarungsquelle diese ergänzt oder gar über diese hinausführt. Das erwies sich als entscheidend bei der Fixierung des mariologischen Dogmas 1854 (ebenso beim Assumptio-Dogma 1950): Die Berufung auf das Glaubensbewußtsein der Kirche, das sich in lebendigen Traditionen darstelle und vom Lehramt definiert werde, reichte als Begründung aus. Der starke Einfluß solcher Neuscholastik bekundete sich bei der Vorbereitung und Arbeit des -»Vatikanum I 1869/70. Doch Franzelins Konzilsvorlage über die Quellen der göttlichen Offenbarung in Heiliger Schrift und Tradition (Mansi 50,61 A - C ) , die eine authentische Interpretation des Tridentinum bringen und insofern über dessen Unklarheiten hinausführen sollte, fand keine allgemeine Zustimmung. Uber das Traditionsproblem diskutierte das Konzil kaum, es begnügte sich mit einer etwas verkürzenden Wiederholung der tridentinischen Aussagen (De fide catholica c. 2: De revelatione, D H 3006). Demgemäß bilden Bibel, Tradition und Kirche (Auslegungs- und Lehrautorität) einen organischen Zusammenhang, wobei die Tradition als das in der Kirche lebendige Evangelium verstanden wird. Das Infallibilitätsdogma brachte keine neuen Elemente zum Traditionsverständnis hinzu, doch die damit verbundene ekklesiologische Konzentration auf das Autoritätsprinzip zeigte in der Folgezeit, d a ß die Berufung auf die materiale Vielgestaltigkeit von Schrift und Tradition ihre Grenze an dem finden mußte, was das „irrtumslose Lehramt der Kirche definiert" hat (Antimodernisteneid 1910, D H 3537.3541). Die herrschende Meinung, daß zwei Quellen der Offenbarung von der Kirche dogmatisiert worden seien, wurde im 20. Jh. durch die historisch-kritische Neubesinnung erschüttert. Generell sah man Schrift und Tradition als Elemente der Offenbarungsgeschichte enger zusammen, speziell zeigten genauere Untersuchungen des Trienter Konzils,

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daß es gar nicht zwei Quellen gelehrt habe. Die d a m i t verbundenen Kontroversen spitzten sich zu bei der Diskussion des —>Vatikanum II 1 9 6 2 über das von der Glaubenskongregation (Kardinal Alfredo Ottaviani [ 1 8 9 0 - 1 9 7 9 ] ; Sebastian T r o m p [ 1 8 8 9 - 1 9 7 5 ] ) vorbereitete Schema zur Offenbarungskonstitution Dei Verbum, welches von Schrift und Tradition als Quellen//onies sprach. D a s Ergebnis des erbitterten Streites w a r 1 9 6 5 ein mehrdeutiger K o m p r o m i ß t e x t , der die entscheidende Streitfrage nicht löste und den unklaren Traditionsbegriff nicht präzisierte, gleichsam eine modernisierte Fassung des Tridentinums: Das von Christus und den Aposteln verkündigte Evangelium ist die Quelle//ons; es wird in der Kirche lebendig bewahrt in der sacra traditio und der sacra utriusque testamenti scriptura; diese beiden sind eng miteinander verknüpft durch den Bezug auf Gottes W o r t und beanspruchen gleiche Dignität; die authentische Auslegung beider obliegt dem „lebendigen L e h r a m t der K i r c h e " ( D H 4 2 0 7 . 4 2 1 2 - 4 2 1 4 ) . Die Begründung durch die Inspiration des Heiligen Geistes verbindet Schrift und Tradition mit Kirche und L e h r a m t , sie gibt letzterem faktisch den Vorrang und bekräftigt somit, daß - wie schon in der G r u n d k o n t r o v e r s e des 16. J h . - der ekklesiologische Aspekt für das katholische Traditionsverständnis ausschlaggebend ist. Literatur Allgemeines: Johannes Beumer, Die mündliche Überlieferung als Glaubensquelle, 1962 (HDG 1/4). - Yves Congar, Die Tradition u. die Traditionen, Mainz, 11965. - Henri Holstein, La Tradition dans l'Église, Paris 1960. - A. Michel, Art. Tradition: D T h C 15/1 (1946) 1 2 5 2 - 1 3 5 0 . - Josef Pieper, Über den Begriff der Tradition, Köln/Opladen 1958. - Michael Schmaus (Hg.), Die mündliche Überlieferung, München 1957. - Sehr. u. Tradition, hg. v. der Arbeitsgemeinschaft f. Mariologie, Essen 1962. - Michael Seybold/Hans Waldenfels, Die Offenbarung. Von der Sehr, bis zum Ausgang der Scholastik, 1971 (HDG 1/la). - Hans Waldenfels/Leo Scheffczyk, Die Offenbarung. Von der Reformation bis zur Gegenwart, 1977 (HDG 1/lb). - Siegfried Wiedenhofer, Art. Tradition, Traditionalismus: G G B 6 (1990) 6 0 7 - 6 4 9 . - Ders., Zum gegenwärtigen Stand v. Traditionstheorie u. 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Tradition VI

718

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VI. Dogmatisch 1. Glaube und Überlieferung 2. Theologisch relevante Aspekte des Traditionsphänomens 3. Das Problem der Normativität von kirchlicher Tradition 4. Ökumenische Annäherungen im Verständnis der Tradition (Literatur S. 724)

1. Glaube und

Überlieferung

Die Einbettung in spezifische Traditionszusammenhänge gehört zu den selbstverständlichen Gegebenheiten des christlichen -»Glaubens. Sie ist vor allem auf die geschichtliche Konstellation seiner Ursprünge in einer bestimmten Zeit und auf den ständig wachsenden zeitlichen Abstand der nachfolgenden Generationen zu den glaubensgründenden Anfängen zurückzuführen. Die von den biblischen Texten bezeugten vielfachen Selbstzuwendungen Gottes zum M e n s c h e n , die schließlich (vgl. Hebr 1,1 f.) in Gottes

Tradition VI

719

Selbsterschließung in -»Jesus Christus gipfeln ( - » O f f e n b a r u n g ) , sind als die kardinalen Ursprungssituationen des Glaubens zu betrachten. N u r in der beharrlichen H i n w e n d u n g zu diesen Ursprungssituationen, ihrer erinnernden Vergegenwärtigung, Präsentation und Auslegung kann der Glaube an den dreieinigen G o t t in den Menschen jeweils neu entstehen und lebendig bleiben. Die Inhalte des Glaubens vermitteln sich über eine vielgestaltige Überlieferungsgeschichte an die jeweilige Gegenwart. Dabei ist grundsätzlich zwischen der ursprungssituierten Überlieferungsgeschichte, die durch die -»Bibel bezeugt wird, und den in dieser Überlieferungsgeschichte verwurzelten Auslegungstraditionen (-»Schriftauslegung) und Traditionsbildungen der christlichen -»Kirche(n) zu unterscheiden. Grad und Stringenz dieser Unterscheidung werden von den einzelnen Konfessionen unterschiedlich beurteilt (s.u. 3. und 4.). Es ist zu beachten, daß bereits die biblische Überlieferung durch einen beziehungsreichen, in sich bewegten Prozeß von -» Traditionsgeschichte und -kritik geprägt ist und d a m i t ihrerseits eine schematische Entgegensetzung von Schrift (-»Schrift, Heilige) und Tradition unterläuft (s.o. II. und III.). Ebenso ist zu berücksichtigen, d a ß das biblische Wort immer in der Weitergabe und Vermittlung durch bestimmte Menschen und Gemeinschaften und die sie prägenden Auslegungstraditionen auf seine heutigen Adressaten trifft. Diese Traditionen können das Verstehen fördern, aber auch hindern. Die dem Glauben vorgegebenen Überlieferungen christlicher Spiritualität, liturgischen Lebens, geistlicher Schriftauslegung und theologischer Erkenntnis gelten zu Recht als ein Reichtum, dessen Bedeutung f ü r das Christsein in der Welt von heute nicht zu unterschätzen ist. Die Genese des Glaubens läßt sich allerdings nicht einlinig auf die überlieferungsgeschichtliche Komponente reduzieren. D a ß Menschen im Hier und H e u t e Vertrauen zur lebensgründenden Wirklichkeit Gottes fassen und sich das Evangelium in ihre Situation gesagt sein lassen, basiert nicht einfach auf dem Erinnerungsvermögen und der Kompetenz zur Traditionsbewahrung und -Vermittlung. Die Überlieferung des Glaubens wird erst dann existentiell sprechend, wenn sie durch das Zeugnis des Heiligen -»Geistes erschlossen wird. Die Selbstvergegenwärtigung Gottes — des Schöpfers durch Christus im Heiligen Geist - transzendiert den historischen Zeitabstand. So wie der österliche Christus mitten unter den Seinen ist (vgl. M t 18,20; 28,20), ereignet sich dann noch inmitten höchster Ungleichzeitigkeit dichteste Gegenwart. 2. Theologisch

relevante

Aspekte

des

Traditionsphänomens

Die Ausdrücke „ T r a d i t i o n " und „Überlieferung" können fast als Synonyme betrachtet werden.. „Überlieferung" akzentuiert allerdings deutlicher den actus tradendi (traditio activa), während bei „Tradition" die Betonung stärker auf das traditum als den Überlieferungsbestand (traditio passiva) rückt. In kulturanalytischer Blickrichtung ist der Begriff des „kulturellen Gedächtnisses" (Assmann) aufschlußreich; er basiert auf der Unterscheidung zwischen den in lebendiger Erinnerung kommunizierten Traditionen einer roch präsenten Vergangenheit (kommunikatives Gedächtnis) und den häufig ins kulturelle Unterbewußtsein abdriftenden Traditionen des kulturellen Gedächtnisses, die durch spezialisierte Erinnerungsträger wachgehalten, vor dem Vergessen bewahrt oder auch dem Vergessen entrissen werden. In d e m M a ß e , wie die die Überlieferungen fixierenden Texte ihre (Selbst-)Verständlichkeit verlieren und auslegungsbedürftig werden, tritt an „die Stelle kommunikativer Erinnerung fortan organisierte Erinnerungsarbeit" (Assmmn 65). Die hermeneutisch verfaßten -»Geisteswissenschaften im allgemeinen (vgl. Gadamer 250ff.) und die -»Theologie im besonderen entwickeln professionelle Erinnerungskompetenzen; letztere kann als „die unter ständig wechselnden Bedingungen immer wieder neu zu redigierende Übersetzung des ,Urtexts* der tradita in die Begrifflichkeit des geschichtlichen Augenblicks" verstanden werden (Pieper 75). Die Verwurzelung des christlichen Glaubens in der Überlieferung stellt also keine singulare Erscheinung dar; alle bedeutsamen Phänomene der menschlichen -»Kultur

720

Tradition VI

gründen in spezifischen Uberlieferungsprozessen. Demnach ist alle Überlieferung ein kulturzeugender und kulturprägender Traditionsfluß eines über Epochen hinweg reichenden und sie verknüpfenden kulturellen Empfangens, Lernens, Aufnehmens und Weitergebens, in dessen Dynamiken sich ein universaler menschheitlicher Erfahrungsschatz ansammelt. Einzelne Überlieferungsstränge können abgestoßen werden und sterben, aber auch wieder erstehen und eine Renaissance erfahren. Die Bewertung des Traditionsprozesses verläuft zumeist in zwei entgegengesetzten Richtungen: Entweder wird optimistisch das produktive Wachstum und der Fortschritt in den Vordergrund gestellt oder aber pessimistisch die Überlieferung als dekadenter Abfall vom Ursprung attackiert. Auch die Funktion von Tradition wird zwiespältig erfahren: Einerseits stiftet sie Geborgenheit, -»Heimat und Entlastung, andererseits kann sie als autoritäre Einengung und abzustreifende Fessel wahrgenommen werden. Im Umgang mit der Tradition wechseln Phasen hoher Wertschätzung und Phasen deutlicher Abwehr und Skepsis. Das gilt in besonderem M a ß e für das moderne, von den Einsichten der -»Aufklärung des 18. Jh. geprägte Bewußtsein. Unverkennbar dominiert die traditionskritische Grundhaltung. Aber diese schließt die erneute Zuwendung zu spezifischen Überlieferungskomplexen, ja ihre Wiederbelebung unter gewandelten Verstehensbedingungen keineswegs aus. Auch wer nicht mehr unreflektiert mit ihr umgeht, kann einer Tradition mit Aufgeschlossenheit und Rezeptionsbereitschaft gegenübertreten. Dennoch darf der breitenwirksame Verlust geschichtlicher Orientierungsfähigkeiten, den wir in der Gegenwart antreffen, nicht unterschätzt werden. Er hat zu dem häufig als „Traditionsabbruch" bezeichneten Phänomen geführt, in dessen Verlauf die Kommunikation mit lebenstragenden Überlieferungen zu erlöschen droht. Im Kontext einer enttraditionalisierten Gesellschaft „wird Tradition ein knappes G u t " (Gabriel, Tradition 83). Die Verknappung von Tradition und die Kontaktrisse zur Überlieferung müssen ernst genommen, sollten aber nicht dramatisiert werden. Sie stellen die -»Verkündigung der christlichen Kirchen vor die Aufgabe, sich auf das wirklich Tragende zu besinnen, die Grundaussagen des christlichen Glaubens zu elementarisieren und in die Lebenswelten der von den Traditionsverlusten betroffenen und geschädigten Menschen zu übersetzen. Da die Erinnerungen der christlichen Überlieferung kollektiv verfaßt sind und ihre Vitalität gemeinschaftlicher Partizipation verdanken, kommt der Frage nach der Kompetenz der Akteure und der Qualität der Milieus der Erinnerung ein hohes ekklesiologisches, kirchentheoretisches und pastorales Gewicht zu. Die Wiederbeheimatung von Menschen in der christlichen Überlieferung ist zwar primär eine missionarische Aufgabe. Zugleich aber handelt es sich um einen Dienst an der -»Gesellschaft und ihrer Kultur. Denn individuelle Selbstgewißheit sowie personale und soziale Kompetenzen der Menschen sind in einem hohen M a ß e von der Verwurzelung in einer Generationen und Epochen übergreifenden Überlieferung abhängig. 3. Das Problem der Normativität

von kirchlicher

Tradition

Die Frage nach dem normativen Status der kirchlichen Uberlieferung im Unterschied zur glaubensgründenden, innerbiblischen Überlieferungsgeschichte wurde als Problem erst in der -»Reformation vollauf bewußt. -»Luther und die anderen Reformatoren unterschieden kategorial zwischen der -»Autorität der Schrift und der in der Lehr- und Väterüberlieferung verkörperten — sekundären - Autorität der kirchlichen Tradition. Sie bestritten, daß kirchlichen Traditionsbildungen - mochten sie auch noch so konziliar (-»Konziliarismus; -»Synode) autorisiert s e i n - e i n e dem Zeugnis der Schrift ebenbürtige und ihre Aussagen möglicherweise ergänzende und fortschreibende Rolle zuerkannt werden kann. Diese die Erneuerung der Kirche intendierende Abschwächung der kirchlichen Überlieferungsgeschichte zur traditio humana (vgl. CA VII,3; XV,3; XXVI,1.5.21; XXVIII,74) wurde wesentlich durch das reformatorische Schriftprinzip ausgelöst: Das sola scriptura - seinerseits im solus Christus des Evangeliums der -»Rechtfertigung zentriert - beharrt

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721

auf der vollkommenen Suffizienz der Heiligen Schrift für den Glauben: Sie bedarf keiner Instanz, die die Interpretationen der Schrift normiert, um von den Glaubenden hinreichend verstanden und in ihren Heilszusagen begriffen zu werden (sacra scriptura sui ipsius interpres [vgl. -»Schrift, Heilige IV.3.2.]). Und die vom solus Christus her gelesene Schrift wird in den Rang des alle kirchlichen Lehr- und Lebensäußerungen normierenden Grundkriteriums (norma normans) erhoben. Der Autorität der Schrift sind selbst die verbindlichsten Lehräußerungen wie z.B. die altkirchlichen Symbole (->Glaubensbekenntnis[se]) oder dann die protestantischen Lehrbekenntnisse des 16. Jh. (-•Bekenntnisschriften) nur als Kriterien zweiter Ordnung (normae normatae) untergeordnet. Die einzige Regel und Richtschnur (unica regula et norma), „nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilet werden sollen, seind allein die prophetischen und apostolischen Schriften Altes und Neues Testamentes" (Epit. 1: BSLK 767,15-19). Die reformatorische Theologie verneinte das Traditionsprinzip, nicht die Tradition. Die positiv gewürdigten Lehraussagen der Tradition gelten faktisch als tradierte Schrifthermeneutik - als „Zeugnis und Erklärung des Glaubens", in denen sich zeigt, „wie ¡derzeit die Heilige Schrift in streitigen Artikuln in der Kirchen Gottes von den damals Lebenden vorstanden und ausgeleget" worden ist (Epit. 3: BSLK 769,30-34). Darin bleiben sie wichtig und können der Orientierung und Entscheidungsfindung der Lebenden dienen. Die particula exclusiva im sola scriptura „gilt nur in bestimmter Hinsicht, untersagt also ... nicht etwa den Umgang mit anderen Büchern und Überlieferungen, im Gegenteil, fordert ihn geradezu, da nur in Begegnung mit der Fülle des für das Menschsein irgendwie Belangvollen das in der Heiligen Schrift Bezeugte sich in seiner Einzigkeit Geltung verschaffen und diese Geltung bewähren k a n n " (Ebeling 112). Demgegenüber begreift die herkömmliche katholische Auffassung Schrift und Tradition als einen organischen, kontinuierlichen Zusammenhang zwischen Quelle und Strom. Sie unterscheidet zwischen der Tradition der Kirche, die durch das fortlaufende Wirken des Heiligen Geistes angestoßen und erleuchtet wird, und den von hier aus auch kritisierbaren Traditionen im Sinne zeitspezifischer Ausdrucksformen der Überlieferung. Das Traditionsprinzip wird durchaus differenziert gehandhabt. Aber die strenge kriteriologische Uberordnung der Schriftüberlieferung über das Traditionsgut der Kirche wird problematisiert, erstens wegen der (unbestreitbaren) zeitlichen Priorität der Kirche vor der Herausbildung des neutestamentlichen -»Kanons, zweitens wegen der bei der Kanonsentscheidung erkennbaren Überordnung der Kirche über die Schrift, drittens wegen der materialen Ergänzungsbedürftigkeit der Schriftaussagen, vornehmlich bei der konkreten Gestaltung der Wirklichkeit der Kirche und des Lebens der Christen. . In der Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Schriftprinzip war die katholische Kirche genötigt, ihr Verständnis von einer die Normativität der Heiligen Schrift vervollständigenden normativen Funktion heiliger Tradition grundlegend zu klären. Das -•Tridentinum versuchte zu verdeutlichen, daß die in der Kirche in Geltung stehende heilsame Wahrheit und Sittenlehre in geschriebenen und ungeschriebenen Überlieferungen enthalten seien (contineri in libris scriptis et sine scripto traditionibus), die von den -•Aposteln aus dem Munde Christi empfangen oder von den Aposteln auf Diktat des Heiligen Geistes gleichsam von Hand zu Hand bis zu uns weitergegeben worden seien (quae ab ipsius Christi ore ab Apostolis acceptae, aut ab ipsis Apostolis Spiritu Sancto dicante quasi per manus traditae ad nos usque pervenerunt, D H 1501). Die sich damit ausformende Vorstellung einer mündlich weitergereichten, schriftlich nicht näher fixierten apostolischen Tradition und die Erhebung der Überlieferung in den Rang einer zweiten, die Schrift ergänzenden Erkenntnisquelle hat in der Folgezeit eine erhebliche Rolle gespielt. Das -»Vatikanum I, das unter Berufung auf das Tridentinum die exklusive Definitionsmacht der Kirche über die Auslegung der Schrift klarstellte (vgl. D H 3 0 0 6 3007), verankerte die kirchlichen Lehrentscheidungen ausdrücklich im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes {fide divina et catholica ea omnia credenda sunt, quae in verbo Dei scripto vel tradito continentur, D H 3011).

Ill

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Während die protestantische Sicht in der Sorge um die Integrität des Schriftprinzips nicht selten zu einer unverhältnismäßigen Relativierung und Abwertung kirchlicher Tradition tendierte und sich dabei auf die in der prophetischen und apostolischen Überlieferung reichlich vorhandenen traditionskritischen Impulse beziehen konnte, neigt die katholische Auffassung deutlich zu einer markanten theologischen Übersteigerung des Traditionsphänomens. Tradition ist hier eindeutig mehr als das irdische Medium der fortlaufenden Selbstvergegenwärtigung des Wortes Gottes in der vielgestaltigen Geschichte seiner Bezeugung und Auslegung durch die Menschen. Sie ist dadurch ausgezeichnet, daß sich in ihr die Offenbarung Gottes gewissermaßen reproduziert und „fortschreibt". Die Interpretation der Glaubenswahrheit durch die Kirche - genauer: durch das hierarchisch gegliederte und durch apostolische Sukzession legitimierte Amt - gilt als Ausdruck des offenbarenden Wirkens des Heiligen Geistes in der Zeit der Kirche; somit kann Überlieferung als „pneumatologische Komponente des Christusgeschehens" (Ratzinger 55) charakterisiert werden, die sogar dogmatische Innovationen zuläßt, für die sich keine Anhaltspunkte im überlieferten Zeugnis der Heiligen Schrift benennen lassen. Trotz der unverkennbar gestiegenen Wertschätzung der exzeptionellen Stellung der Schrift für das Leben der Kirche hält auch die Dogmatische Konstitution des —>Vatikanums II Dei Verbum betont an der Gleichursprünglichkeit und symmetrischen

Interdependenz von Sacra Traditio und Sacra Scriptura fest: inter se connectuntur atque communicant. Kam ambae, ex eadem divina scaturigine promanantes, in unum quodammodo coalescunt et in eundem ftnem tendunt (Die heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind ... eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil. Demselben göttlichen Quell entspringend, fließen beide nämlich gewissermaßen in eins zusammen und streben demselben Ziel zu, D H 4212).

4. Ökumenische

Annäherungen

im Verständnis

der

Tradition

Die katholische Lösung des Traditionsproblems imponiert wegen ihrer Integrationsfähigkeit und Geschlossenheit und scheint noch im Hinblick auf die durch die historischkritische Exegese geschaffene Lage die Kargheit des evangelischen Schriftprinzips zu übertreffen. Bedenken muß aber die Auffassung wecken, daß sich die Offenbarung in einem so nur dem Offenbarungszeugnis der Schrift vorbehaltenen Sinn in die Wirklichkeit der Kirche prolongiert. Nicht eigentlich das Wort der Schrift ist das Kriterium des kirchlichen Amtes, sondern das Amt in seiner Lehrvollmacht erscheint als Kriterium für die zutreffende Auslegung des Wortes: „Vielleicht liegt in dieser Umkehrung der Beziehungen von Wort und Amt sogar der eigentliche Gegensatz im Kirchenbegriff von Katholiken und Reformatoren, der dann zugleich mit dem Gegensatz im Überlieferungsbegriff zusammenfiele" (Ratzinger 28, im Blick auf die Confessio Augustana). Die evangelische Sicht muß auf der Priorität des genuinen Schriftzeugnisses für die Konstitution des Glaubens vor seiner späteren kirchlichen Auslegung insistieren, wohingegen die katholische Lösung die Unterscheidung von Text und Auslegung bewußt unscharf werden läßt und Gefahr läuft, „eine Auslegung zum maßgebenden Text zu erheben" (Ebeling 132). Auch in der evangelischen Kritik kommen die ekklesiologischen Komponenten des Traditionsverständnisses zum Vorschein. Das sola scriptura dient nämlich dazu, „daß Christus von der Kirche als deren Haupt unterschieden bleibt und die Kirche dem Geschehen ausgesetzt und auf es angewiesen bleibt, das Kirche zur Kirche m a c h t " (ebd.). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte zeichneten sich indessen bemerkenswerte Verständigungsfortschritte ab. Die Konstitution Dei Verbum läßt immerhin einen Neuansatz in der Bewertung der Schriftautorität gegenüber der Tradition erkennen, indem sie die Heilige Schrift als die höchste Richtschnur des Glaubens der Kirche (suprema fidei suae regula) charakterisiert, an der sich jede kirchliche Verkündigung auszurichten hat (DH 4228), und dem Lehramt ausdrücklich eine unter dem Wort Gottes stehende und ihm dienende Funktion zuweist (vgl. D H 4214). Z w a r ist die Frage nach der materialen Suffizienz der Heiligen Schrift und ihrer Ergänzungsbedürftigkeit durch die Tradition

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nach wie vor nicht zufriedenstellend geklärt. Aber von offizieller katholischer Seite kann anerkannt werden, „daß die Hl. Schrift zu ihrer Heilsgenügsamkeit einer inhaltlichen Ergänzung durch kirchliche Zusatztraditionen nicht bedarf" (Verbindliches Zeugnis I, 385). Die These von der materialen Suffizienz der Schrift hat sich zumindest in der katholischen Theologie der Gegenwart weithin durchgesetzt, so daß katholische und evangelische Theologen gemeinsam feststellen können: „Die Hl. Schrift enthält alle heilsnotwendige Wahrheit des Glaubens und läßt sie als solche verstehen. Weil sie im materialen Sinne suffizient ist, kann sie als Kriterium für die Evangeliumsgemäßheit aller kirchlichen Verkündigung und allen kirchlichen Lebens fungieren" (ebd. 386). Somit deuten sich auch Konvergenzen bei der kontroversen Bewertung der Normativität der Tradition an. In dem Maße, wie die Vorrangstellung der Schrift als Zeugnis der ursprünglichen Überlieferungen des Glaubens zur Geltung gebracht und der dem Ursprung gegenüber abgeleitete, sekundäre Charakter der Tradition positiv gewürdigt wird, kann sich nämlich die kriteriologische Funktion des Ursprungszeugnisses produktiv behaupten: „Insofern gibt es dann so etwas wie eine Eigenständigkeit der Schrift als eines selbständigen und in vieler Hinsicht durchaus eindeutigen Maßstabes gegenüber dem kirchlichen Lehramt. Das ist zweifellos die richtige Einsicht Luthers, dem in der katholischen Kirche unter dem Anspruch des Lehramts, dessen innere Grenze nicht immer deutlich genug gesehen wurde, noch nicht genug Raum zugekommen ist" (Ratzinger 47). Die unverkrampfte, lernwillige Hinwendung zur kirchlichen Uberlieferung verliert nichts an ihrer Berechtigung, wenn sie sich immer wieder neu im Spiegel des Schriftzeugnisses prüft. Nur so nämlich kann sie den spirituellen, liturgischen und theologischen Reichtum der Uberlieferung für die Kirche fruchtbar werden lassen, ohne Gefahr laufen zu müssen, sich vom Ursprungsgeschehen der Christusoffenbarung zu entfernen oder das Evangelium unter traditionalisierten Auslegungsgewohnheiten zu verdecken. Das ist voller Verheißung: „Der Ursprung, das Christusgeschehen, das Apostolische, hat eine befreiende und kritische Kraft gegenüber den Formen und Artikulationen der Uberlieferung" (Fries 441). Die christozentrische Interpretation des Wortes Gottes, das in der Heiligen Schrift bezeugt und sich im Hören auf das Zeugnis der Schrift von der Kirche Jesu Christi auf dem Weg durch Zeit und Geschichte verkündigen und deshalb in der kirchlichen Überlieferung wiederfinden läßt, bietet einen aussichtsreichen Denkansatz für eine differenzierte Klärung der Frage nach den Autoritätsrelationen der Überlieferung in der Schrift und der die Überlieferung in der Schrift tradierenden Uberlieferung der Kirche. Jesus Christus, das in der Schrift bezeugte „eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben" (1. These: Die Barmer Theologische Erklärung, hg. v. Alfred Burgsmüller/Rudolf Weth, Neukirchen-Vluyn '1998, 34), ist eindeutig als die norma normans für beide Überlieferungen zu betrachten: die primäre Überlieferung des Ursprungszeugnisses und die darauf fußende Überlieferung des Christuszeugnisses der Kirche. Das Wort Gottes, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist, gilt als die höchste Norm des Glaubens und der theologischen Erkenntnis (norma suprema, norma non normata-, vgl. Pottmeyer 144). Die Heilige Schrift ist demgemäß als vorrangige Norm (norma normata primaria) für die nachfolgende Glaubensüberlieferung zu betrachten (ebd.). Das trägt dem Wirken des Heiligen Geistes bei der Entstehung der Schrift ebenso Rechnung wie dem Sachverhalt, daß die biblische Überlieferung auch das Werk von Menschen ist. Die kirchliche Überlieferung schließlich, „in der die Kirche die Leitung des Heiligen Geistes wirksam glaubt, ist deshalb nachgeordnete Norm (norma normata secundaria) unseres Glaubens, besonders in ihrer hermeneutischen Funktion bei der Auslegung der Heiligen Schrift" (ebd.). Weiterführende Klärungen, die gleichermaßen an einem unverkürzten sola scriptura und an einem produktiven Umgang mit der kirchlichen Überlieferung interessiert sind, müssen sicher in der Richtung dieses Differenzierungsvorschlags gesucht werden.

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2. Tradition in den praktisch-theologischen Teildisziplinen

(Literatur S. 730)

Allgemeines

Tradition ist ein interaktiver Prozeß, der sich nicht in der Wiedergabe und Weitergabe schriftlich fixierten Wissens erschöpft, sondern d e m der C h a r a k t e r eines je neu und aktuell auszutragenden Streits u m die Wahrheit eignet, in dem die E x i s t e n z des T r a denten ebenso auf dem Spiel steht wie die des Adressaten. Grundsätzlich ist Tradition ein Vorgang innerhalb einer Gemeinschaft und signalisiert eine Beziehung zwischen Partnern, die erst d a n n als bedeutsam und gelungen erfahren wird, wenn ihre Botschaft im Z u s a m m e n h a n g von Interaktionen mit Fragen und Bedürfnissen des P a r t n e r s / d e r Partnerin auf authentische Weise z u s a m m e n s t i m m t , ihn oder sie „ e t w a s a n g e h t " . I m m e r wieder und je neu geht es um eine Dialektik von Tradition und - » R e z e p t i o n , Tradition

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und Geist im Kontext einer spezifischen —>Lebenswelt. Dabei sind die in dieser Lebenswelt und einer bestimmten Zeit lebenden Menschen nicht so etwas wie ein leeres Flußbett, sondern „Menschen als Frage" nach ihrem Leben und ihrer Zukunft mit einem spezifischen Woher und Jetzt. Diese Menschen betrifft die „Sache" des Evangeliums, das durch Jesus Christus einmal und ein für allemal Getane und Verheißene, wenn sie Tradition auslegen und für sich verstehen, das Herrenmahl feiern, einen Text bedenken, Ostern „begehen". Ohne diese fragenden Menschen wäre die Tradition nur ein Dokument von höchstens historischem Interesse. Tradition qua Evangelium hat „nicht das Ziel, uns lediglich in den Vergangenheitshorizont der Überlieferung einzurücken, sie hat sich viel mehr der theologischen Frage zu stellen, wie die Zukünftigkeit Gottes sich mit der Gegenwart unserer Welt vermittelt" (Biehl 19). Deshalb kann es Wesen und Ziel der Tradition in den Handlungsfeldern von Kirche und Gesellschaft nur sein, dem fragenden Menschen dazu zu verhelfen, Inhalte reflexiv anzueignen oder auch kritisch abzuweisen und so zum wirklichen Subjekt seiner Lebensgeschichte zu werden. Angesichts eines solchen Traditionsverständnisses ist die verbreitete Trennung von Tradent und Adressat, Spontaneität und Rezeptivität obsolet und damit zugleich auch die Rede von einer in der Schrift immer schon objektiv vorgegebenen Wahrheit. Wahrheit liegt nicht einfach vor, sondern ereignet sich je neu auf Grund der Tradition zusammen mit ihrer Interpretation, indem das, was Apostel und Evangelisten bezeugten, spürbar wird im Jetzt. Nur wenn gegenwärtige Wirklichkeit im Licht des Evangeliums, das jetzt durch Wort und Tat ausgerichtet, entschlüsselt und neu verstanden wird, geschieht Tradition, werden Menschen in Anspruch genommen, wird Verbindlichkeit präsent, entsteht Glaube. Verbindlichkeit und Autorität der Tradition sind Elemente eines Kommunikationsgeschehens, in dem Verstehen als Einverständnis und darin Neuverstehen einer gegenwärtigen -»Situation geschieht. Tradition und Adressat im Kontext ihrer Lebenswelt interpretieren sich gegenseitig, indem sie sich in einem Prozeß der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit miteinander verschränken. Deshalb stellt sich für alle Disziplinen der Praktischen Theologie neben der Aufgabe einer kritisch-konstruktiven Kenntnisnahme von den zahlreichen nebeneinanderher gehenden Weisen der - * Schriftauslegung die weitere einer sorgfältigen Analyse der aktuellen Lebenswelt der Adressaten, ihrer Sprache und Symbolwelt und nicht zuletzt ihres Entwicklungsstatus. Das bedeutet für jeden Tradenten als Prediger, Lehrer oder Seelsorger die Notwendigkeit einer gründlichen Beschäftigung mit den einschlägigen Bemühungen der Human- und -•Sozialwissenschaften mit dem Ziel, diese kritisch, aber auch lernbereit an die theologischen Kompetenzen des Praktikers in den mannigfachen Handlungsfeldern von Kirche und Gesellschaft anzuschließen. Das hier skizzierte Grundverständnis von Tradition verdankt sich zuerst Beobachtungen der verschiedenen Modi des „Traditionsgebrauchs" im Neuen Testament (Wegenast; Wengst; van der Minde; s.o. I. und II.), dem Bemühen um ein angemessenes Verständnis des Sola Scriptum der Reformation im Gegenüber zum katholischen Prinzip von Schrift und Tradition (Ebeling 9 1 - 1 4 3 ; s.o. VI.3.) und fundamentaltheologischen Reflexionen zum Verständnis von Tradition im Horizont sprach- und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse (Schori).

2. Tradition

in den praktisch-theologischen

Teildisziplinen

Für die Praktische Theologie ist Tradition in sehr verschiedene Handlungsfelder integriert: Liturgie, Predigt, Kasualien, Konfirmandenunterricht, Religionsunterricht, Erwachsenenbildung, Jugendarbeit, seelsorgerische Beratung, diakonisches Handeln, Kirchenrecht, Verwaltung, um nur die wichtigsten zu nennen. Uberall nimmt sie eine konkrete Sozialgestalt an, besitzt aber auch vergleichbare Basiselemente, die sich „auf den Grundaspekt der Vermittlung der Symbole und Themen christlichen Glaubens mit den Interaktionsformen seiner Subjekte beziehen" (Funke 498; vgl. auch 3 8 0 - 4 3 4 ) . Erschwerend für eine solche Vermittlung ist die verbreitete religiöse Desymbolisierung durch bestimmte Vergesellschaftungsprozesse, welche die ursprüngliche Einheit von religiösem

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-•Symbol und Lebenspraxis zerstören. Nur die Herstellung einer sprachlich bewußten Beziehung zu den verdrängten und isolierten Symbolen kann deshalb Tradition im beschriebenen Sinn möglich machen, d.h. christliche Symbole ins Leben hinein vermitteln. Der von vielen Autoren empfohlene Weg dahin ist die Ausbildung einer neuen Symbolisierungsfähigkeit durch Symbolvorgaben, die interpretationsoffen ihre kritische Kraft freisetzen und so zu einer Dynamik des Wechselverhältnisses von Tradition und Interaktion führen können. Funke (433) spricht in diesem Zusammenhang von einem „dreifachen Korrelationsverhältnis von Symbolkomplex, Subjektivität und Intersubjektivität", mit anderen Worten von Symbol und individueller Lebensgeschichte, die zur Ausbildung individueller Symbole führt, von Symbol und intersubjektiver Erfahrung in der Gruppe, die kollektive Symbole aus sich heraussetzen kann, und von sozialen Situationen und beiden Symbolformen, die eine intersubjektive Vergewisserung ebenso ermöglichen können wie eine subjektive Kontrolle (vgl. Biehl 8 2 - 9 5 ) .

2.1. Homiletik. In der homiletischen Diskussion der letzten 15 Jahre wurde das durch ein Wechselspiel von T h e m a (Symbol) und Interaktion charakterisierte Traditions-Modell Funkes, das sich Anleihen aus der Themenzentrierten Interaktion ( T Z I ) verdankt, durch sprach- und literaturwissenschaftliche (rezeptionsästhetische und semiotische) Verstehensmodelle ergänzt (Martin; Engemann, Text; u.a.), die nahelegen, daß nichts, auch kein biblischer Text, für sich selbst spricht, sondern verstehensrelevante Bedeutung nur im Akt einer ergänzenden Interpretation zu erlangen vermag. Verstehen sei deshalb die Fähigkeit, bestimmte Signifikanten (Bedeutungsträger) wie Worte, Sätze, Gesten, Kunstwerke etc. auf Signifikate (Bedeutungen) zu beziehen. Kommt der Prediger auf Grund seines individuellen Verstehens des Textes zu seiner Predigt, so geschieht beim Hörer ein ähnlicher Verstehensprozeß hinsichtlich der gehörten Predigt, auf die er sich seinen Vers macht. Jedes Verstehen, das des Predigers und das jedes einzelnen Hörers, haben dabei ganz bestimmte Voraussetzungen in einem soziokulturellen bzw. sozioreligiösen Kontext und diesen entsprechenden Codes, bestimmt auch in dem jeweiligen Entwicklungsstatus des einzelnen. Wie leicht einzusehen ist, geschieht hier eine radikale „Entmythologisierung" der Auffassung, Predigt gelinge nur so gut, wie sie exegetisch „die Schnur des T e x t e s " (Barth 59ff.) erwische. Hierher gehört auch das Modell der Predigt als „offenes Kunstwerk" (Martin), d.h. als eine grundsätzlich „mehrdeutige" Botschaft, die sehr verschiedene Rezeptionen ermöglicht, ja sogar „eine virtuell unendliche Reihe möglicher Lesarten". „Predigt als offenes Kunstwerk [räumt] den Hörern selbst die Gelegenheit ein, ihre Situation in das Predigtgeschehen einzubringen" (Martin 49). Das hier naheliegende Verständnis von Predigt-Hören als ein uferloses Hinein-Projizieren wehrt Martin mit dem Argument ab, das schon 1977 U. Eco in die Diskussion um sein Buch Das offene Kunstwerk eingebracht hat, daß Mehrdeutigkeit nie Beliebigkeit sein könne. Was die christliche Predigt anbetreffe, sorge dafür schon das zwar vielschichtige, aber doch begrenzte Bild Jesu, wie es das Neue Testament und seine Wirkungsgeschichte zeichnen. W. Engemann (Text) thematisiert eine Kooperation zwischen dem Text und dem Prediger als Leser und zeigt in der Folge Konsequenzen für mögliche Interaktionen zwischen der Predigt und ihren Hörern auf. Die Kooperation zwischen Text und Prediger hat für Engemann das Ziel, daß sich der Prediger zu einem eigenständigen „Text" seiner Predigt entschließt, in den er sich wie der Autor des seiner Predigt zugrunde liegenden Textes wirklich inkorporiert und deshalb nicht als Erklärer dieses Textes fungiert (Engemann, Text 476). Ein solches Verständnis von Predigt schließe eine intensive und methodisch geklärte Begegnung mit dem Text nicht aus, sondern setze sie voraus, weil es ja die Tradition sei, welche die Predigt evoziert hat, und die Predigt deshalb das authentische Resultat der Begegnung zwischen dem Prediger als Leser und der Tradition ist. Engemann plädiert also durchaus nicht für eine Verdrängung hermeneutischer Arbeit am Text in der Form einer in ihrer Fragestellung geklärten Interpretation, aber gegen die verbreitete Ansicht, eine Interpretation eines biblischen Textes habe die Aufgabe, historische Sachverhalte zu verifizieren und z. B. eine historischkritische Renaissance des damaligen Textautors in der Predigt vorzubereiten.

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Der gegenwärtige Text der Predigt „ist nicht mehr eine Auseinandersetzung mit dem historisch gewordenen Text" (ebd. 477), sondern gegenwärtiger Text mit einer eigenen Meinung und darin testimonium des Predigers, der seine Interpretation an den Hörer weitergibt und ihm so die Chance zuspielt, in der Auseinandersetzung mit der gehörten Predigt zu einem „Text" zu gelangen, an dem er selbst als „Autor" beteiligt ist. Für Engemann wiederholt Predigt, in der Tradition verwurzelt und von ihr „gehalten", im Rahmen eines reflektierten Verstehens der Tradition den Akt der Textproduktion und macht darin den Hörer zur Instanz, die letztlich zwischen Text und Situation zu vermitteln hat. Es ist deutlich: die bis heute verbreitete Rede, ein Text sei in eine Situation hinein zu sagen, kann nur als eine gedankenlose Simplifikation bezeichnet werden, weil sie keine Rechenschaft gibt, was alles mit Text gemeint sein könnte, wodurch die verschiedenen Textverständnisse konstituiert werden und welche Interpretationsverfahren es sein sollen, die der gestellten Aufgabe, zwischen Tradition und Situation zu vermitteln, gerecht zu werden ermöglichen. An dieser Stelle kommt die „wirkliche Gegenwart" in Sicht, angesichts der „die Wirklichkeit Gottes strittig wird", die den Glauben bedrängt und dem Prediger die Aufgabe stellt, „Verheißung und Wirklichkeit miteinander zu versprechen" (Lange 27). Für E. -»Lange sind also Text und Situation gleichursprünglich wichtige Bezugsgrößen für Prediger und Predigt. In der Folge dieser ersten Schritte auf dem Weg zu einer „empirischen Wendung" der Homiletik wurde die Beziehung zwischen Tradition und Wirklichkeit in der kirchlichen Verkündigung mit Hilfe sprach- und sozialwissenschaftlicher Instrumentarien weiter geklärt und bedacht (Daiber, Wirklichkeitsbezug 488 ff.; Theißen; Josuttis, Theologie 47ff.). H. Luther (Predigt 223ff.) und H.-G. Heimbrock (47ff.) nehmen dazu Fragestellungen der -»Phänomenologie in Dienst, die ihnen ein ,,neue[s] Sehen von Wirklichkeit als Ubergang von der sinnlichen Wahrnehmung zur Wahr-Nehmung der dabei zum Vorschein kommenden Wirklichkeit Gottes" möglich erscheinen lassen (Heimbrock 190).

2.2. Liturgiewissenschaft. Tradition ist ein Geflecht von Anschauungen und Normen, Erzählungen, Sitten und Gebräuchen, auch von Kultus und Festen im Zyklus des Jahres und des Lebens, welche die gedeutete Welt mit ihren Leidens- und Erfüllungserlebnissen gestalten und Alltag und Feiertag regeln. Hierher gehören „Sakramente und Segenshandlungen, Liturgien und Feiern, die Menschen in ihrem Grundvertrauen bestärken, die Sühne und Vergebung vermitteln, ermutigen und trösten" (Cornehl, Tradition 455). Neben Inhalten ist von Gesten und Symbolen, von Musik und Bildern etc. zu handeln. Alles das leistet Orientierung und Vergewisserung, erinnert an ein Woher, ohne das es keine Zukunft gibt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen können Kult und Fest auch zwanghaft werden, unverständlich und unglaubwürdig,, ja zum Gefängnis, aus dem es sich zu befreien gilt. Auch hier besteht also die schon bekannte Dialektik von Tradition und Emanzipation als Innovation, und das nicht erst seit heute, da es religiöser Tradition nicht mehr zu gelingen scheint, die gesellschaftlich spezialisierten Lebensbereiche zu integrieren, ohne daß der einzelne dazu gezwungen wäre, die Einheit des Lebens durch eigene Reflexion zu gewährleisten und sich etwa auf dem Markt der Weltanschauungen, Ideologien und Religionen für ihn Passendes auszuwählen. Viele, die sich von der Religion befreit haben, begnügen sich dann damit, sich in einem alltäglichen Konformismus wohl zu fühlen, und beginnen erst dann mit Suchbewegungen nach etwas, das größer ist als sie selbst, wenn sie dem -+Tod, der Sterblichkeit und individuellen Kontingenzen begegnen, mit denen wir „prinzipiell trostlos" (Jürgen Habermas [geb. 1929]) leben müssen. Was bedeutet das für die Liturgien unserer Gottesdienste, Feste und Kasualien? Können sie auf die genannten Suchbewegungen reagieren? Cornehl (ebd. 460) hält eine solche Reaktion für wünschenswert und notwendig, meint aber, daß sie nur für eine Kirche möglich sei, die sich selbst „ins Offene stellt". Die liturgiewissenschaftliche Diskussion wird angesichts des genannten Problems seit den 60er Jahren durch eine Spannung zwischen Tradition und Innovation, Kontinuität mit dem Herkommen und experimentierender Vielfalt geprägt. Das am 1. Advent 1999 in Kraft getretene Evangelische

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Gottesdienstbuch (Berlin 1999) redet so von einem gleichen Stellenwert ,,bewährte[r] Texte aus der Tradition und neue[r] Texte aus dem Gemeindeleben der Gegenwart" (15) und apostrophiert Tradition und Innovation als sich gegenseitig ergänzende Prinzipien des Gottesdienstes. Zur „pneumatischen Angemessenheit" der liturgischen Gestalt, zu der es gehöre, „was Gottes Geist in der Geschichte der Kirche geformt h a t " (Brunner 277.282), tritt die innovative Kreativität als liturgisches Gestaltungsprinzip. Dabei wird gewöhnlich auf die „ältere liturgische Bewegung" der Straßburger Julius Smend ( 1 8 5 7 - 1 9 3 0 ) und Friedrich Spitta ( 1 8 5 2 - 1 9 2 4 ) hingewiesen (vgl. T R E 14,64,43 ff.). Einheit und Vielfalt war aber auch schon Thema von -»Luthers Deutscher Messe von 1526 (WA 19,72ff.ll3) mit der Warnung, aus der gottesdienstlichen Ordnung „ja keyn nöttig gesetz draus [zu] machen" (WA 72,4f.). Für Luther entspricht solche Vielfalt der Freiheit, die ihrerseits in der Liebe ihre Grenze findet.

Auch die heutige Liturgiewissenschaft spielt Tradition und Innovation nicht gegeneinander aus, weil sie darum weiß, daß blinder Aktionismus ebenso schädlich sein kann für einen Gottesdienst wie die Dominanz eines nach rückwärts orientierten Traditionalismus. Vielleicht kann der Titel des von Y. Spiegel besorgten Bandes Erinnern - Wiederholen - Durcharbeiten ein Wegzeiger hin zu Neuem sein, in dessen Einflußbereich das Durcharbeiten von Altem und ganz Modernem im Horizont der angedeuteten Suchbewegungen einen Ort hat und danach gestrebt wird, „den Glauben neu zu formulieren, das aufzuspüren, worin Wahrheit und Gewißheit begründet sind" (Cornehl, Tradition 464). Was die Kirchenmusik anbetrifft, hat Cornehl (ebd. 462f.) eine kritische Weise des Sich-Einlassens auf Tradition entdeckt, Versuche, sich auf das, was „Texte" sagen, zu konzentrieren, um es neu zu Gehör zu bringen. Vielleicht ist das ein Beispiel für aktuelle Versuche der Liturgiewissenschaft, sich jenseits kultischer Selbstverständlichkeit, aber auch jenseits radikaler Abbruche nach einem bleibenden Sinn der Tradition zu fragen und ihn in neuer Gestalt im Gottesdienst erlebbar und verstehbar zu machen. Ist es denn nicht wahr, daß nur das, was sich verändert, gleich bleibt?

2.3. Religionspädagogik. Früher als andere praktisch-theologische Disziplinen ist die -•Religionspädagogik mit den Folgen des Traditionsverlustes konfrontiert worden. Individualisierung und Pluralismus geben seit etlichen Jahren dem einzelnen seine Biographie als selbst zu verantwortendes Projekt auf (Beck; Feige). Wer jetzt Religion in -•Erziehung und —»Bildung einbringen möchte, muß deshalb den Bedingungen der Individualisierung und dem entsprechenden Autonomiebewußtsein Rechnung tragen und mehr als bis anhin auch in Sachen der Religion Selbstbestimmung gewähren, ja sogar fördern. K.E. Nipkow (Bildung [1990] 283 ff.) spricht deshalb von der Notwendigkeit einer Hermeneutik erst zu gewinnenden Einverständnisses, Didaktiker von vielseitigen und variablen, biographie-begleitenden Aneignungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Horizont von offenen Suchbewegungen und kritischen Auseinandersetzungen. Die erste Phase religionspädagogischer Theoriebildung angesichts des akuten Traditionsverlustes war von Versuchen geprägt, das Vermittlungsproblem mit Mitteln der historischen Kritik, der existentialen Interpretation (R. —• Bultmann) und P. -> Tillichs Methode der Korrelation zu lösen (Stallmann; Stock; Otto; Wegenast, Unterricht; Stachel; Halbfas, Fundamentalkatechetik; Baudler u.a.). Stallmann formuliert schon sehr modern: „Es ist gerade nicht das Zeitlose Gültige, sondern umgekehrt das Einmalige und Unbedingte, was der Überlieferung Bedeutung verleiht" (Stallmann 31). Immer mehr werden jetzt auch anthropogene und soziokulturelle Voraussetzungen des Verstehens von Tradition erhoben und reflektiert. Bis zum Ende der sechziger Jahre war man sich noch einig, daß die Bibel und überhaupt christliche Tradition unabdingbare Inhalte religiöser Lernprozesse sind. Zweifel daran entstanden aber im Zusammenhang mit sich ausbreitenden Protesten Jugendlicher gegen die Bibel im Unterricht zwischen 1966 und 1970. Jetzt wuchs die Einsicht, daß das didaktische Problem der Religionspädagogik nicht mit einem einzigen Konzept zu bewältigen ist. Neben das hermeneutische mit

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seinen verschiedenen Spielarten tritt jetzt das sog. problem- bzw. themenorientierte, das bei der Analyse lebensgeschichtlich und gesellschaftlich relevanter Probleme einsetzt und diese gleichsam in einem zweiten Durchgang mit Hilfe vermeintlich für eine Lösung brauchbarer Bibeltexte und auch sozialethischer Prinzipien zu bearbeiten bestrebt ist (Nipkow, Glaubensunterricht; Kaufmann; kritisch Wegenast, Tradition). Zwischen 1980 und 1990 entsteht dann das sog. symboldidaktische Konzept (Halbfas, Auge; Biehl, Symbole; ders., Festsymbole; Bucher, Symbol; u.a.). Symbole religiöser Tradition werden als Identifikationsangebote auf den Vorgang von Bildung im Prozeß der Subjektwerdung bezogen. Biehl (Festsymbole) entwickelt dieses Konzept in der Form einer „kommunikativen Didaktik", die ein Symbol im Zusammenhang mit Fragen und Erfahrungen der Adressaten wahrnehmen, bedenken und anschauen lassen möchte. Alle drei Konzepte „leben" von ihrem Alltags- und Lebensbezug und ihrer Erfahrungsoffenheit ebenso wie von der Tradition als dem Zeugnis von Jesus als dem eschatologischen Ereignis in der Geschichte. Allen drei Konzepten ist es auch eigentümlich, d a ß sie den didaktischen Vermittlungsprozeß durch eine Verschränkung der Erfahrungen, die biblischen T e x t e n zugrunde liegen, mit Erfahrungen von heute Lernenden in G a n g bringen wollen. Die didaktischen Strukturen k ö n n e n dabei diskursiv angelegt sein, wie in bestimmten E n t w ü r f e n des hermeneutischen und des problemorientierten Religionsunterrichts, aber auch durch verschiedenste kreative Verfahren b e s t i m m t sein, wie häufig in symboldidaktischen Lernprozessen und in noch anderen F o r m e n traditionserschließenden Unterrichts (Erzählung, Gruppengespräch, interaktionales Lesen, B i b l i o d r a m a etc., vgl. Neue F o r m e n der Bibelauslegung. T h e m e n h e f t : EvErz 35 [1983], hg. v. Klaus Wegenast, 1 9 7 - 2 9 9 ; Berg, G r u n d r i ß ) .

Ihre optimale Form erreicht jede didaktische Struktur, wenn sie erfahrungsoffen und handlungsorientiert ist. Für den Akt wechselseitiger Erschließung von Tradition und Leben ist auch -»Phantasie von elementarer Bedeutung. Nicht verschwiegen werden soll, daß die angesprochenen Weisen der Vermittlung und die ihnen entsprechenden Lehr-/Lernprozesse, wie alle Bildungsprozesse, „offen" sind und deshalb sowohl zu einer selbständigen Aneignung von Tradition führen können, aber auch zu kritischer Distanz von Lernenden, ja zu brüsker Abweisung. Theologische Orientierungen und christliche Sinnvorgaben stehen also je neu und immer wieder auf dem Spiel. An dieser Stelle kommt für den Didaktiker die Frage nach einer schöpferischen Weiterentwicklung der Tradition in den Blick. Könnten hier pneumatologische Entwürfe (Welker u.a.) weiterhelfen? Für alle Konzepte und Formen didaktischer Traditionsvermittlung ist die Erkenntnis konstitutiv, daß „Verstehen" von Tradition immer auch eine abhängige Variable psychischer Entwicklung und sozialer Kontexte ist. Kinder verstehen eben anders als Jugendliche, Menschen mit einem restringierten Sprachvermögen anders als sprachlich Geförderte. Deshalb ist es abwegig, z. B. Verstehensweisen von Kindern im Vergleich zu solchen von Erwachsenen abzuwerten und als theologischen Unsinn zu deklarieren oder schlicht als falsch. Dagegen bedarf es einer Begleitung der Lernenden auf ihrem Entwicklungsweg, einer altersgerechten Auswahl von Inhalten und Methoden der Vermittlung und nicht zuletzt einer sich wiederholenden Überprüfung des eigenen Verstehens (zum Problem vgl. z. B. Bucher, Symbol; Schweitzer, Religion; Bee-Schroedter; Schori; und vor allem Englert). 2.4. Poimertik und Pastoralpsychologie. Der -»Dialektischen Theologie war es noch gelungen, unter dem Stichwort -»Verkündigung einen einheitlichen Bezugspunkt für die christliche Tradition und die konkreten Vollzüge der Seelsorgepraxis zu nennen (-»Thurneysen). Der eklatante Relevanzverlust kirchlicher -»Seelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg, der sich z. B. in der Abwanderung vieler zu säkularen Formen von Beratung und Therapie zeigte, führte dann entweder dazu, daß sich Pfarrer und Pfarrerinnen dezidiert bemühten, innerhalb eines theologisch-hermeneutischen Zirkels zu bleiben, ohne die Relevanz der Botschaft für heutiges Menschsein zureichend verantworten

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zu können, oder zu einer mit nur noch humanwissenschaftlichen Theorien und Methoden arbeitenden Psychotherapie (-»Psychoanalyse/Psychotherapie) im R a u m der Kirche. Es ist kein Geheimnis, daß es dieser zweiten Gruppe lange Zeit nicht gelang, die von ihr in Anspruch genommenen humanwissenschaftlichen Theorien und Methoden in einen theologischen Kontext zu integrieren, und auch nicht, die biblische Tradition so in ein Seelsorgegespräch einzubringen, daß sie ihre Relevanz für heutige Menschen zu erweisen vermochte. J . Scharfenberg forderte angesichts dieser Entwicklung eine Theorie christlicher Seelsorge, die darauf aufbaut, „was der Sinn und die Absicht der biblischen Quellen, auf die der Seelsorger sich bezieht, eigentlich ist" (Scharfenberg 131), und die von da aus die anvertrauten Menschen und ihre psychologische Selbstinterpretation mit demselben hermeneutischen Schlüssel „liest". Eine solche Theorie ist für ihn die „Seelsorge als symbolische Interaktion" im Horizont des menschlichen Grundkonflikts der Entfremdungserfahrung und entsprechender Symbole und des biblischen Grundsymbols eines personalen Gegenübers von Gott und Mensch, das trotz weiterbestehendem Grundkonflikt die Hoffnung auf die Lösung aller Konflikte aufrechterhalten läßt. Hier zeichnet sich eine Möglichkeit zu einer kritisch-konstruktiven Partnerschaft zwischen Theologie und Humanwissenschaften, psychologischer Selbstinterpretation und Tradition ab, die etwas anderes ist als die in jeder Hinsicht ahnungslose Identifikation von therapeutischer Annahme und christlicher Liebe, welche sowohl die Psychologie als auch die biblische Tradition trivialisiert (Gerkin 17).

Bei einer Kooperation von Theologie und psychotherapeutischen Schulen ist aber darauf zu achten, daß da zwei durchaus verschiedene „Sprachen" mit verschiedenen Beziehungen zur Wirklichkeit des Menschen im Spiel sind, die nicht ohne weiteres in den je anderen Diskursbereich übersetzt werden können. Hier ergibt sich die Frage: „Was kann die Bibel mit ihren Worten, Bildern und Geschichten leisten zur Wiedergewinnung einer genuin christlichen religiösen Sprache für die und in der Seelsorge?" (Nicol 5), ohne die Partnerschaft mit moderner Psychotherapie aufzukündigen, wie das z. B. J . E . Adams getan hat, indem er jede legitime christliche Seelsorge nach Inhalt und Form direkt aus der Bibel ableiten möchte. Nicol (7f.) listet in seinem Bericht „zum Schriftgebrauch der nordamerikanischen Seelsorge" dort herausgestellte Funktionen der Tradition für die Seelsorge auf: Mittel zur Anwendung im Seelsorgegeschehen/Legitimation für psychotherapeutische Einsichten/Erschließung von Wirklichkeit auf der Erfahrungsebene. Capps (Care) und Gerkin (Document) sehen die Bibel darüber hinaus auch als Quelle von Einsichten, die auf den seelsorgerischen Prozeß übertragen den oft verengten therapeutischen Horizont in Richtung auf Sinnerfahrung und spirituelles Wachstum erweitere. Dabei ist interessant, daß Capps nicht nur biblische Inhalte als solche „Quelle" begreift, sondern auch bestimmte Strukturen biblischer Sprache und Redeweisen. Für die deutsche Poimenik ist in diesem Zusammenhang auf Arbeiten von Tacke (Glaubenshilfe; ders., Müden), Grözinger und Bukowski und weitere hier nicht Genannte hinzuweisen, und da vor allem auf immer wieder vorgeschlagene und auch dokumentierte Versuche eines „erzählenden Einsprechens der evangelischen Geschichte in den seelsorgerlichen Dialog" (Tacke, Glaubenshilfe 106), in dem die Tradition über eine Krisenberatung hinaus zur Quelle für Neues und für eine offene Zukunft werden kann.

2.5. Ausblick. Wir haben bisher die Bereiche des Kirchenrechts, der Kirchenverwaltung, aber auch des Diakonischen Handelns ausgespart, obwohl alle drei Bereiche herkömmlich eine bedeutende Rolle als Hüter der Tradition gespielt haben und zweifellos auch noch spielen. Zu denken ist z . B . an die kirchenrechtliche Fundierung der ->Kirchenverfassungen, an die kirchlichen Lebensordnungen und nicht zuletzt an die Ordnungen vieler diakonischer Einrichtungen, für die eine Wahrung der Bedeutung der Tradition überall Grundsatz ist. Literatur 1. Allgemeines: Peter Biehl, Vermittlung als theol. u. didaktisches Problem: Ulrich Becker/Christoph Scheilke (Hg.), Aneignung u. Vermittlung. Beitr. zu Theorie u. Praxis einer religionspädagogischen Hermeneutik. FS Klaus Goßmann, Gütersloh 1995, 17 - 34. - Gerhard Ebeling, Wort

Tradition VII

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Traditionskritik/Traditionsgeschichte I

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Klaus Wegenast

Traditionskritik/Traditionsgeschichte I. Altes Testament II. Neues Testament

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I. Altes Testament 1. Begrifflichkeit ratur S. 741)

1.

2. Forschungsgeschichte

3. Methodik und Forschungsergebnisse

(Lite-

Begrifßichkeit

Der Begriff der —•Tradition wird in der —•Bibelwissenschaft verwendet, um kenntlich zu machen, daß die biblischen Texte in der Regel nicht freie Schöpfungen individueller Verfasser, sondern in einem unter Umständen generationenübergreifenden Überliefe-

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als katechetisches Problem: ders./Walter Kasper (Hg.), Tradierungskrise des Glaubens, München 1987, 5 3 - 1 0 0 . - Andreas Feige, Der gesellschaftliche Kontext jugendlicher Religiosität: T h o m a s Böhme-Lischewski/Hans-Martin Lübking (Hg.), Engagement u. Ratlosigkeit. Konfirmandenunterricht heute, Bielefeld 1995,137-148. - Hubertus Halbfas, Fundamentalkatechetik, Düsseldorf 1968. - Ders., Das dritte Auge, Düsseldorf 1982 3 1987. - Hans-Bernhard Kaufmann (Hg.), Streit um den problemorientierten Unterricht in Schule u. Kirche, Frankfurt a.M./Berlin/München 1973. Karl Ernst Nipkow, Christi. Glaubensunterricht in der Säkularität: EvErz 20 (1968) 169-189. Ders., Elementarisierung bibl. Inhalte: Ingo Baldermann u.a. (Hg.), Bibel u. Elementarisierung, Frankfurt a.M. 1979 (RPäH 1) 3 5 - 7 3 . - Ders., Grundfragen der Religionspädagogik, III 1982 (GTBS 756). - Ders., Bildung als Lebensbegleitung u. Erneuerung, Gütersloh 1990 2 1992. - Ders., Bildung in einer pluralen Welt. Religionspädagogik im Pluralismus, 2 Bde., Gütersloh 1998. - Gerd Otto, Ev. Religionsunterricht als hermeneutische Aufgabe: Z T h K 61 (1964) 326-349. - Reiner Preul, Scriptura Sacra im Unterricht: Carl Heinz Ratschow (Hg.), Sola Scriptura, M a r b u r g 1977, 2 2 - 3 7 . - Ingrid Schoberth, Glauben-lernen, 1998 ( C T h M . P T 28). - Kurt Schori, Rel. Lernen u. kindliches Erleben, 1998 (PTHe 21). - Friedrich Schweitzer, Die Religion des Kindes, Gütersloh 1992. - Ders., Die Suche nach eigenem Glauben, Gütersloh 1996 2 1998. - Günter Stachel, Der Bibelunterricht, Einsiedeln u.a. 1967. - Martin Stallmann, Christentum u. Schule, Stuttgart 1958. - Hans Stock, Stud. zur Auslegung der synopt. Evangelien im Unterricht, Gütersloh 1959 = 3 1970. - Klaus Wegenast, Der bibl. Unterricht zw. Theol. u. Didaktik, Gütersloh 1965 = 3 1969. - Ders., Die empirische Wendung in der Religionspädagogik: EvErz 20 (1968) 111-125. - Ders., Tradition: Dietrich Zilleßen (Hg.), Religionspädagogisches Werkbuch, Frankfurt a.M. 1972,149-154. - Ders., Das Problem der Probleme: EvErz 24 (1972) 102-126. - Michael Welker, Gottes Geist. Theol. des Hl. Geistes, Neukirchen-Vluyn 1992 = 2 1993. 2 « 2.4.: Jay Edward Adams, Competent to counsel, Grand Rapids, Mich. 1970; dt.: Befreiende Seelsorge, Gießen 1972 '1988. - Isidor Baumgartner, Pastoralpsychologie, Düsseldorf 1990. - Peter Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen, Neukirchen-Vluyn 1994 = 3 1996. - Donald Capps, Pastoral Care and Hermeneutics, Philadelphia, Pa. 1984. - Ders., Agents of Hope, Minneapolis, Minn. 1995. - Charles V. Gerkin, The Living H u m a n Document. Re-visioning Pastoral Counseling in a Hermeneutical Mode, Nashville, Tenn. 1984 = 7 1996. - Albrecht Grözinger, Seelsorge als Rekonstruktion v. Lebensgesch.: W z M 38 (1986) 178-188. - Helga Lemke, Verkündigung in der annehmenden Seelsorge. Rel. Erfahrung durch Begegnung, 1981 (UB 654). - Martin Nicol, Leben deuten mit der Bibel: W z M 50 (1998) 2 - 1 7 . - Traugott Schall, Z u r Bedeutung der bibl. Tradition in Beratung u. Seelsorge: W z M 37 (1985) 130-136. - Joachim Scharfenberg, Die bibl. Tradition im seelsorgerlichen Gespräch: EvTh 38 (1978) 125-136. - Ders., Einf. in die Pastoralpsychologie, Göttingen 1985 2 1994 (UTB 1382). - Heinz Streib, Heilsames Erzählen: W z M 48 (1996) 339-359. - Helmut Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe, Neukirchen-Vluyn 1975 3 1993. - Ders., Mit den Müden zur rechten Zeit zu reden. Beitr. zu einer bibelzentrierten Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 1989. - Eduard Thurneysen, Die Lehre v. der Seelsorge, München 1948 Zürich 7 1994. Zu 2.5.: Peter Krämer, Kirchenrecht. I. Wort - Sakrament - Charisma, 1992 (KStTh 24). Das Recht der Kirche, hg. v. Gerhard Rau/Hans-Richard Reuter/Klaus Schiaich, I. Z u r Theorie des Kirchenrechts, Gütersloh 1997 (FBESG 49). - Albert Stein, Kirchenverfassung: HPTh(G) 4 (1987) 615-618.

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Traditionskritik/Traditionsgeschichte I. Altes Testament II. Neues Testament

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I. Altes Testament 1. Begrifflichkeit ratur S. 741)

1.

2. Forschungsgeschichte

3. Methodik und Forschungsergebnisse

(Lite-

Begrifßichkeit

Der Begriff der —•Tradition wird in der —•Bibelwissenschaft verwendet, um kenntlich zu machen, daß die biblischen Texte in der Regel nicht freie Schöpfungen individueller Verfasser, sondern in einem unter Umständen generationenübergreifenden Überliefe-

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rungsprozeß entstanden sind. Ein dem Begriff entsprechendes hebräisches L e x e m gibt es nicht. Als exegetischer Methodenschritt wird Traditionsgeschichte in zwei verschiedenen Fragehinsichten verwendet: Z u m einen geht es (a) um die F r a g e nach den mündlich und schriftlich überlieferten Vorstufen von konkreten Einzeltexten oder größeren Texteinheiten (so etwa Gunneweg, F o r s c h u n g ; L e o n h a r d R o s t , Art. Tradition. III. Altes Testament: R G G 3 6 [1962] 9 6 8 f . ) . Diese Problematik wird oft mit dem Begriff Oberlieferungsgeschichte bezeichnet. D a v o n zu unterscheiden ist (b) Traditionsgeschichte als die Frage nach den Traditionen, in denen die Verfasser der T e x t e stehen, nach der „geistigen Welt vorgegebener und geprägter S a c h g e h a l t e " (Barth/Steck 124), die die Abfassung oder Verschriftung der Stoffe entscheidend mitgeprägt hat (-»Weltbild). Die Verwendung von „Traditions-/Uberlieferungskritik" statt „Traditions-/Überlieferungsgeschichte" will begrifflich zwischen den Überlieferungsprozessen und der sie nachzeichnenden Methodik trennen (Fohrer u.a., E x e g e s e 121 f.; Richter 158), hat sich aber k a u m durchgesetzt. Der Häufigkeit der Verwendung der Begriffe Tradition, Traditionsgeschichte und Überlieferung entspricht allerdings ein bemerkenswerter Mangel an Präzision bei der Differenzierung der beiden Fragehinsichten. Dies wird noch von der Tatsache unterstützt, daß in der englischsprachigen Forschung kaum je zwischen den in der deutschsprachigen Exegese gebräuchlichen Begriffen differenziert wird, statt dessen steht einheitlich tradition(-history) im Sinne einer umfassenden Uberlieferungsgeschichte (vgl. Knight, Art. Tradition History 636). Nur selten findet sich die präzisere Terminologie von transmission-history und tradition-history (vgl. Nasuti 2), zusätzlich wird oft der Zusatz „oral" verwendet (s. Culley 113f.; auch van der Ploeg). Fundamental für das Verständnis der Aufgaben von Überlieferungs- und Traditionsgeschichte ist die Differenzierung zwischen traditum und traditio. Der erste Terminus bezeichnet das Traditionsgut, e t w a die Zionstradition (dazu vgl. J a n o w s k i , Keruben). Der Begriff traditio benennt den Traditionsprozeß und die ihn tragenden Instanzen, beim gewählten Beispiel Zionstradition Tempelkreise, aber auch Propheten wie Jesaja (vgl. dazu Knight, Rediscovering 5 - 2 0 ) . Von dieser Unterscheidung her werden auch die terminologischen Unklarheiten verständlicher: Die verwendeten Begriffe bezeichnen je für sich Einzelaspekte des umfassenderen Problems, zu dem noch die Frage hinzugezählt werden muß, wie die spezifischen Regeln zu erfassen sind, nach denen die Überlieferungsprozesse geschehen können. Ohne Überlieferungsprozesse ist menschliche Kultur nicht denkbar. Mit Hilfe von Ritualen, Sitten und Mythen, die von früheren Generationen übernommen wurden, ordnen Menschen ihr Leben in der Gesellschaft, gleich, welchen Entwicklungsstand sie besitzt. Dem entspricht die Prägung, des Begriffes. Tradition im christlichen Abendland, die wesentlich von der katholischen Auffassung herrührt, daß „Tradition" das gesamte Leben der Kirche mit ihren Riten, Dogmen und Strukturen bezeichnet, die allerdings nicht statisch, sondern als organisch sich fortentwickelnder Prozeß zu verstehen sind (vgl. DH 4210f. = NR 146f.; Joseph Ratzinger, Art. Tradition: LThK 2 10 [1965] 2 9 0 - 299). Dieses „kulturelle Gedächtnis" (Assmann) nötigt zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zur -»Rezeption wie zur Interpretation des übernommenen Gutes. Das Phänomen von mündlicher und schriftlicher Uberlieferung ist folglich nicht auf Israel und seine Umwelt zu beschränken; für ein angemessenes historisches Verständnis biblischer Texte ist es unabdingbar, die entsprechenden Stoffe und Prozesse in den Nachbarkulturen zu kennen. Paradigir.atisch sei etwa auf den Babel-Bibel-Streit (vgl. T R E 5,67,38 ff.; Lehmann) oder die Frage nach Echnaton und den Ursprüngen des Monotheismus in Israel (vgl. Assmann, Moses) hingewiesen, wo es um die sachgerechte Erklärung vergleichbarer Traditionen innerhalb und außerhalb der biblischen Literatur geht (vgl. auch Edwin Henfling, Art. Traditionsbewußtsein: LÄ 6 [1986] 737-741). Uber das Interesse an den Inhalten und Prozessen der Überlieferung hinaus ist die Frage nach der Tridition auch von hermeneutischer Brisanz. Wenn zum angemessenen Verstehen auch von historisch abständigen Texten der Akt der Horizontverschmelzung gehört (Gadamer), bedarf es des genauen Wissens um die geistige Welt der Texte, welche Denkvoraussetzungen, Vorstellungen und >Xerte die Verfasser geprägt haben und mit denen sie sich explizit oder implizit auseinandersetztea Die Exegese bedarf folglich methodischer Arbeitsschritte, die auf die so skizzierten Fragehinsichten Antwort geben.

734 2.

Traditionskritik/Traditionsgeschichte I Forschungsgeschichte

Der Begriff der Tradition hat in der protestantischen Exegese lange keine Rolle gespielt, was auf die wertende Gegenüberstellung von -»Schrift und Tradition zurückzuführen sein dürfte. In der Forschung bis zum Ende des 19. Jh. gab es nur gelegentlich Überlegungen zum Phänomen der mündlichen Überlieferung und Traditionsgebundenheit biblischer Texte, etwa bei J.G. -»Eichhorn, doch waren diese kaum je methodisch reflektiert (vgl. dazu Kraus, Überlieferungsbegriff). Der wesentliche Einschnitt muß bei H. -»Gunkel markiert werden (vgl. Kraus, Erforschung 341-362; Wahl 12-18). Er hatte in seinem Werk Schöpfung und Chaos nachgewiesen, daß die „Stoffe", die Schöpfungsaussagen der Genesis, zum großen Teil traditionelle Materialien anderer Religionen und Kulturen spiegeln. Daher ist sein Satz verständlich (Gunkel 149): „So folgt, daß diese Ursagen sämmtlich die Spuren einer langen Tradition an sich tragen, sie müssen schon geraume Zeit vor ihrer Niederschrift in Israel erzählt worden sein". In Abgrenzung von der literarkritisch arbeitenden Schule J. -»Wellhausens und ihrer Vorstellung eines Originalitätsanspruches der biblischen Schriftsteller nahm Gunkel an, daß mit konstanter, treuer Überlieferung der Stoffe von ersten Sammlungen („Sagenkränzen") an zu rechnen sei. Auch ohne präzise Terminologie ist hier der erste Ansatz überlieferungsgeschichtlicher Arbeit zu beobachten, wie sich besonders an seinem Genesis-Kommentar (1901) zeigt, in dem jedoch das Hauptaugenmerk wieder auf die innerisraelitischen Überlieferungswege gelegt wird. Als Grundimpulse für die überlieferungs- und traditionsgeschichtliche Forschung sind also die -»Religionsgeschichtliche Schule und ihre Reserve gegenüber der -»Literarkritik anzusehen, da hier die Bedeutung der nichtschriftlichen Überlieferung und der damit zusammenhängenden Traditions- und Rezeptionsprozesse erkannt wurde. Gleichzeitig wurde durch die formgeschichtliche Fragestellung (-»Formgeschichte/Formenkritik) erkannt, daß sich religiöse „Stoffe" entlang der Geschichte konkreter Gattungen entwikkeln, selbst wenn sie den Sitz im Leben oder die Gattungen wechseln können. Damit war deutlich geworden, d a ß traditio nicht einfach einlinige Entfaltung eines traditum ist, sondern daß es zusätzlich des Wissens um die tradentes bedarf. Deutlich greifbar sind die ersten Ergebnisse der Fragestellung auch in den Arbeiten H . -»Greßmanns und der Kommentarreihe Schriften des Alten Testaments in Auswahl (SAT), auf neutestamentlicher Seite auch bei M . —»Dibelius und in R. —»Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition (s.u. II.) Ein besonderes Verdienst kommt dann S. -»Mowinckel und seiner „kultgeschichtlichen Methode" zu. Diese war ausdrücklich als Weiterführung Gunkels verstanden (vgl. Mowinckel, Psalmenstudien I; ebd. V) und hatte ebenfalls einen polemischen Ansatz gegen die Literarkritik und ihre romantisch anmutende Annahme von Literatenpersönlichkeiten als den eigentlichen Quellen biblischer Schriften. Anhand der sog. Thronbesteigungspsalmen (Ps 47; 93; 9 6 - 9 9 ) und außerbiblischer Parallelen (man beachte erneut die Zusammenbindung form- und religionsgeschichtlicher Fragestellungen) versuchte er, vor allem die Traditionen des kultischen Lebens Israels zu erhellen. Der Kultus erscheint dabei als zentrale Instanz der tradentes, in der verschiedene Überlieferungen (im Sinne des traditum) inner- wie außerisraelitischer Herkunft zusammenfließen, gepflegt werden (traditio) und schließlich zu einer neuen, umfassenderen Tradition ausgebildet werden können, von der aus dann die biblische Literatur erklärt werden k a n n (Mowinckel, Psalmenstudien II). In Deutschland geschah eine neue Wertschätzung des Programms Gunkels und damit eine (nun auch so genannte) überlieferungsgeschichtliche Forschung zunächst durch A. -•Alt. Er rechnete sowohl für die Gottesvorstellung als auch für die Formulierung von Rechtssätzen mit autoritativen Traditionen, die in eigenen Instanzen (Heiligtum, Rechtsgemeinde) tradiert wurden. Dabei zeichnet sich ein Charakteristikum bei der Anwendung der Methodik ab, das sich bis heute durchhält: Die Frage nach der hinter den Texten

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stehenden mündlichen Überlieferung wird verwendet, um bestimmte Sachverhalte, etwa die Gottesvorstellung der vorstaatlichen Zeit, historisch zu verifizieren. „Überlieferung" meint hier also nicht so sehr den Prozeß des Tradierens als dessen Inhalt, der in abgeschlossenen sprachlichen Einheiten ausweisbar ist. Von ähnlichen Tradentengruppen ging auch H.S. Nyberg aus, bei dem die methodische Hochschätzung der mündlichen Überlieferung in der schwedischen Forschung erstmals deutlich zu greifen ist (s. dazu Schrey; Helmer Ringgren, Art. Scandinavian School: AncB Dictionary 5 [1992] 1001-1004). Erneut ist der Unterton ein polemischer: gegen vorschnelle text- und literarkritische Operationen dient die Frage nach der mündlichen Überlieferung zum Nachweis der Exaktheit des masoretischen Textes am Beispiel des Hoseabuches. Weitergeführt wurde diese Sichtweise 1938 durch H. Birkeland, für den das hebräische Traditionswesen vor allem eine mündliche Grundlage hat, die auch die schriftliche Weitergabe der Stoffe trägt und formt. Wenig später (1945) hat dann I. Engneil ausdrücklich gegen die deutsche Forschung die Forderung erhoben, daß die literarkritische Arbeit in einem radikalen Bruch durch die überlieferungsgeschichtliche (englisch: traditio-historical method) abgelöst werden muß (vgl. ders., Aspects 21). Hinzu kam als weiterer Aspekt, daß es dort, wo mündliche Wiedergabe vorherrscht, kein wirklich greifbares traditum gebe, es sei denn ein allen Religionen gemeinsames myth-andritual-pattern. Einen zusammenfassenden Höhepunkt hat dieser nordeuropäische Ansatz dann 1954 in dem Werk Oral Tradition von E. Nielsen erreicht, der wegen der Zuverlässigkeit der mündlichen Überlieferung die Verschriftung fast aller biblischen Texte in nachexilischer Zeit ansetzt. Mittlerweile war unstrittig, daß es eine mündliche Überlieferung vor der Verschriftung der Texte gab; nun ging es um die Frage, wie und wann diese sich überlagernden Prozesse stattgefunden haben (vgl. Nielsen 12). Auch dabei waren Differenzierungen nötig, denn es ist zu unterscheiden zwischen einer Phase der freien mündlichen Überlieferung, in der es keinen fixierten Text gab, und einer zweiten, in der ein festgelegter Text ohne weitere Veränderungen mündlich überliefert wurde (vgl. Mowinckel, Prophecy 26ff.; auch Culley). Der Erkenntnisfortschritt durch diese „Traditionshistorische Schule" liegt vor allem in der Wahrnehmung der spezifischen Gesetzmäßigkeiten von mündlicher und schriftlicher Überlieferung (dazu s. Jeppesen/Otzen; Knight, Rediscovering § 14). Zu kritisieren ist sie jedoch von den Ergebnissen der Folkloreforschung wie von Studien zur HomerÜberlieferung her (dazu auch T R E l l , 2 7 7 f . ) , denn es zeigte sich, daß auch in mündlicher Überlieferung der Stoff zwar konstant, der konkrete Text dagegen variabel war. Zum anderen muß dem Vorgang der Verschriftung eine höhere Bedeutung zugemessen werden, als dies aufgrund der oft angeführten rabbinischen oder arabisch-islamischen Parallelen zu behaupten war (so schon Widengren). Detailliert hat dann später A.H.J. Gunneweg (Tradition) den skandinavischen Ansatz in bezug auf das Verhältnis zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung der prophetischen Stoffe untersucht und dabei die Heiligtümer als frühe Haftpunkte auch der schriftlichen Tradierung herausgestellt. Eine parallele Entwicklung zu diesem Ansatz hat es in der Schule W.F. —»Albrights gegeben, wo man mit einem spezifischen israelitischen Nationalepos rechnete (vgl. Frank M. Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, Cambridge, Mass. 1973). Deutlich anderen Fragestellungen widmete sich die überlieferungsgeschichtliche Methodik in Deutschland in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg. Dabei fällt auf, daß der Begriff Traditionsgeschichte anfangs nicht verwendet wird. Dies mag mit der kritischen Einstellung zur schwedischen Forschung (dazu Rendtorff, Literarkritik 138f.), aber auch zum katholischen Traditionsprinzip zusammenhängen. Die nächsten Einschnitte sind bei G. von ->Rad und M. ->Noth zu sehen, die an die Arbeiten A. Alts anknüpften. Von Rad führte zunächst die formgeschichtliche Fragestellung weiter, indem er nach dem „formgeschichtlichen Problem des Hexateuch" (1938) fragte und die Entstehung der Bücher Genesis bis Josua als Explikation alter Glaubenssätze erklärte. Damit kommt

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die überlieferungsgeschichtliche Frage insofern in den Blick, als nun das Wachstum von Überlieferungen von ihren Anfängen im Kult bis hin zur Endgestalt interessant wird. Die einzelnen Überlieferungsinhalte hätten sich von ihren kultischen Haftpunkten gelöst, und damit sei der Anlaß zur Verschriftung und Aktualisierung in den Pentateuchquellen gegeben worden. Während von Rad an der Erhellung und theologischen Auswertung des Wachstums einzelner Texte in konkret erkennbaren Tradierungsphasen arbeitete, ist das Programm von M. Noth anders gelagert; die Titel seiner Überlieferungsgeschichtlichen Studiert (1943) und der Überlieferungsgeschichte des Pentateuch (1948) deuten die Differenzierung an. Noth versucht, die je eigene Geschichte von „Überlieferungen" ( = Inhalten) konkreter sprachlicher Einheiten wie der Tora, des Deuteronomistischen oder Chronistischen Geschichtswerks von den ältesten Spuren mündlicher Tradierung bis zur Endfassung zu beschreiben. Als „Traditionen" werden dagegen größere Ideenkomplexe gesehen, die nicht mehr direkt sprachlich ausweisbar, sondern nur durch Abstraktion zu erreichen sind (vgl. ders., Geschichte Israels, Göttingen 1950, Kap. III: „Die Traditionen des sakralen Zwölfstämmebundes"; hier werden Exodus, Erzväter und Sinaibund aufgezählt). Das Wachstum der Tora wird aus der Existenz von für den Glauben Israels grundlegenden „Themen" erklärt (Noth, Überlieferungsgeschichte 4 8 - 6 7 ) , die Noth aus den konkret vorliegenden Texten extrahiert (dazu auch Nasuti 5 - 7 ) . Diese haben eine lange vorliterarische Geschichte, bis sie mit der aufkommenden Geschichtsschreibung nach der Staatenbildung verschriftlicht und zur Grundlage des -»Pentateuch wurden. Dabei sind in der heutigen Fassung sowohl alte Bekenntnisformeln wie auch mehrere Rezeptions- und Interpretationsstufen („Auffüllungen", vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte 67) erkennbar. Die von Noth herausgearbeiteten Themen - gelegentlich werden sie auch Traditionen genannt (ebd. 49) - sind Herausführung aus Ägypten, Hineinführung in das Kulturland, Verheißung an die Erzväter, Führung in der Wüste und Offenbarung am Sinai. Als zugewanderte, auffüllende Stoffe werden etwa die Plagenerzählungen oder Bileam genannt. Innerhalb dieser Überlieferungen sind als weitere Faktoren noch „Erzählmotive" zu nennen, die zusätzliche Impulse vermitteln können und der Ausgestaltung der Erzählungen dienen (ebd. 67). Die einzelnen Themen hafteten an verschiedenen Orten, sind dann aber über die Amphiktyonie zusammengewachsen. Ähnlich wird das Deuteronomistische Geschichtswerk erklärt als Sammlung der neben den PentateuchQuellen existierenden alten Überlieferungen wie etwa der Lade- oder der Thronfolgegeschichte. Es zeigt sich, daß die überlieferungsgeschichtliche Fragestellung hier vor allem zur Klärung redaktioneller Sachverhalte dient. In dieser Abzweckung wird dem Ansatz Noths bis in die heutige Pentateuchforschung gefolgt, wenn etwa E. Blum (Vätergeschichte 466) im Gefolge R. Rendtorffs eine „konsequent überlieferungsgeschichtliche Aufgabenstellung" fordert und dies in seinem modifizierten Erzählkranzmodell von ursprünglich an verschiedenen (Kult-)Orten haftenden Uberlieferungskreisen verwirklicht sieht. Darüber hinaus wird Überlieferungsgeschichte im Sinne Noths, aber auch in Aufnahme des oben angegebenen Vorgehens von A. Alt zur unabdingbaren Voraussetzung für die Rekonstruktion der kultischen und politischen Geschichte Israels. So scheint es nicht nur folgerichtig, daß Noth eine Geschichte Israels als Zusammenfassung seines Werks verfaßt hat, sondern daß in ihr auch thematisch mit den alten Traditionen des Zwölfstämmebundes Israel eingesetzt wird (§§ 9 - 1 1 ) . Mit diesen Arbeiten hat Noth erstmals im strengeren Sinne traditions-feni/scfc gearbeitet, indem er genauer zu bestimmen suchte, was eigentlich der genaue Inhalt der Traditionen/Themen sei, aus welchen einzelnen Elementen sie sich zusammensetzen und wo und wie man sich den Vorgang der Tradierung vorzustellen habe (vgl. die Würdigung bei von Rad [Forschung 177] und besonders bei McKenzie/Graham).

Es bietet sich an, die Entwicklung an diesem Punkt kurz zusammenzufassen, da die wesentlichen Elemente mit dem Werk von Noth zur Sprache gekommen waren: Aus der religions- und formgeschichtlichen Forschung seit Gunkel war deutlich geworden,

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daß (a) die im Alten Testament schriftlich fixierten Stoffe teilweise mit Texten aus der U m w e l t hinsichtlich Form und Inhalt vergleichbar sind und daß (b) mit unter Umständen langer mündlicher Überlieferung gerechnet werden muß. H i n z u k a m e n (c) die Ergebnisse der skandinavischen Schule, die den H o r i z o n t für die A n n a h m e umfassender Vorstellungs- und Traditionskomplexe und deren (mündliche) Tradierung weitete. Dies führte dann zur Erhellung der Überlieferungsgeschichte konkreter Textkorpora, die man nunmehr nicht nur in einzelne Traditionen, sondern auch in kleinere Überlieferungseinheiten (Auffüllungen, Motive) differenzierte. Gleichzeitig war durch die Formgeschichte deutlich g e w o r d e n , daß die Formulierung der Stoffe nicht beliebig, sondern in geprägten Gattungen geschah. Deutlich greifbar ist dieser Forschungsstand in der in klassischer Weise durchgeführten Nachzeichnung der „geschichtlichen und prophetischen Überlieferungen Israels" in der Theologie des Alten Testaments durch v o n Rad (I. Die T h e o l o g i e der geschichtlichen Überlieferungen Israels, 1957; II. Die T h e o l o g i e der prophetischen Überlieferungen Israels, 1960; vgl. Zimmerli), ebenso in der Klärung des form- und gattungsgeschichtlichen Instrumentariums durch K. Koch (Formgeschichte). D a m i t war es nur noch ein kleiner Schritt, auch die Frage nach der Prägung der Inhalte zu stellen. Als wegweisende Arbeiten sind hier die Studien von H.W. Wolff zur „geistigen Heimat" von Hosea und Arnos (1956 bzw. 1964) zu nennen. In ihnen nimmt er für Hosea wegen dessen Interesse am Kultus die Verwurzelung in nordisraelitisch-levitischen Tradentenkreisen an, deren Redeformen und Traditionen der Prophet übernahm und gegen Königtum und offiziellen Kult richtete. Arnos sieht er vom Denken der Sippenweisheit, nicht dem der Kultzentren geprägt. Die so ausgeübte traditionsgeschichtliche Forschung erlaubt es demnach, nicht nur älteres Überlieferungsgut festzustellen, sondern auch Uberlieferungswege und -gruppen in den Blick zu bekommen. So läßt sich der individuelle Anteil der Botschaft eines Propheten vor dem Hintergrund des traditionellen Denkens herausstellen. In der deutschsprachigen Forschung tritt jedoch ab ca. 1970 die überlieferungs- und traditionsgeschichtliche Fragestellung zugunsten der - * Redaktionsgeschichte mit ihrem Interesse an originellen Aussagen von Autoren und Redaktoren in den Hintergrund. Die in dieser Zeit verfaßten Methodenlehrbücher bemühten sich um die Verbindung dieses neuen Trends mit den bisherigen Perspektiven. Dabei besteht der Fortschritt der 1971 von H . Barth und O . H . Steck und 1973 von G. Fohrer und Mitarbeitern veröffentlichten Einführungen in einer präziseren terminologischen Distinktion zwischen den uneinheitlich mit den Begriffen Traditions- und Überlieferungsgeschichte verbundenen Fragehinsichten. D o c h dadurch ist ein sehr umfangreiches und kompliziertes Instrumentarium entstanden, das so wenig praktikabel ist, daß es außerhalb der akademischen Proseminare.kaum je. vollständige A n w e n d u n g fand. Zur Unklarheit trägt auch hier bei, daß die Begriffe unterschiedlich gefüllt werden: Für (Barth/) Steck beschäftigt sich Uberlieferungsgeschichte nur mit der vorliterarischen Entstehung des Textes. Im Unterschied zu anderen exegetischen Arbeitsschritten hat sie sowohl analysierenden als auch synthetisierenden Charakter, insofern sie die literarkritisch erfaßte älteste schriftliche Stufe nicht nur auf mögliche mündliche Vorformen hin befragt, sondern auch Uberlieferungsprozesse und -absichten zu erklären sucht. Traditionsgeschichte klärt dagegen, wie der Verfasser durch geprägte Denkstrukturen etc. beeinflußt wurde, ohne daß literarische Abhängigkeiten festzustellen sind. Von der Formgeschichte und der Frage nach dem historischen Ort ist sie so zu unterscheiden, daß erstere die Prägungen durch den Sprachraum des Verfassers klärt, letztere die durch zeitgeschichtliche und soziale Gegebenheiten. G. Fohrer faßt die Aufgabe der überlieferungskritischen Arbeit weiter, da hier die Wandlungen einer literarkritisch gesonderten Texteinheit von den ersten mündlichen Uberlieferungsstufen bis zur endgültigen schriftlichen Niederlegung (Fohrer u.a., Exegese 27; vgl. ebd. 121) erklärt werden sollen, wobei unter Umständen auch schriftliche Uberlieferungsprozesse in den Blick kommen. Die Redaktionsgeschichte fragt dann nach dem „weiteren literarischen Schicksal der Einheit nach ihrer endgültigen schriftlichen Niederlegung" (ebd.), wobei nicht befriedigend geklärt wird, was eigentlich das Prädikat „endgültig" angesichts der oft sehr verwickelten Wachstumsprozesse bedeutet. Der von Friedrich Huber verantwortete Abschnitt über Traditionskritik erklärt ähnlich wie Steck den Gegenstand des Arbeitsschrittes als die Erhellung der in den Texten enthaltenen

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„geprägten Bedeutungssyndrome" (ebd. 102) und ihrer Geschichte. Zu beachten ist, daß nach Fohrer/Huber die Überlieferungsgeschichte nach der Traditionskritik durchzuführen ist. Dies erscheint als problematisch, da unter Umständen erst durch die Erhellung der Uberlieferungsprozesse die prägenden Themen erkannt und historisch zugeordnet werden können. Die Darstellung der Forschungsgeschichte soll nur bis zu diesem Punkt geführt werden; im nächsten Abschnitt folgt eine kritische Darstellung des methodischen Instrumentariums. A m E n d e dieses Paragraphen sei jedoch noch auf aktuelle Entwicklungen hingewiesen: In der letzten Zeit ist in den USA eine Neubelebung des Anliegens der früheren deutschsprachigen Uberlieferungsgeschichte in programmatischen Ansätzen wie „Art of Biblical Narrative", „New Literary Criticism" oder „Intertextuality" festzustellen (vgl. Alter und die Beiträge in Semeia 69/70 [1995]). Wie die früheren Zugänge Gunkels richtet man sich gegen die speziell in der deutschsprachigen Exegese betriebene Forschung, die zwar in mutmaßliche Tiefenschichten der Texte vordringe, den Blick auf den Gesamttext aber nicht mehr leiste. Doch liegt nun das Interesse weniger bei den ältesten Uberlieferungen als bei der Wirkungsgeschichte; auch die aktuellen Ansätze zu rezeptionsgeschichtlicher Arbeit sind so zu verstehen (vgl. Koch, Rezeptionsgeschichte [als Weiterentwicklung seines formgeschichtlichen Ansatzes]; oder Rösel, Propheten 5 1 9 - 5 2 4 ) . Eine radikale Ablehnung des überlieferungsgeschichtlichen Ansatzes, daß es eine historische Beziehung zwischen Erzählungen und ihrem Inhalt geben müsse, findet sich dagegen in der aktuellen Kopenhagener Forschung (Lemche, Vorgeschichte 21; Thompson). In der deutschsprachigen Exegese ist trotz der von Barth/Steck und Fohrer/Huber formulierten Trennung von Überlieferungs- und Traditionsgeschichte festzustellen, daß der Begriff „Traditionsgeschichte" oft an die Stelle des bei von Rad oder Noth verwendeten Terminus „Uberlieferungsgeschichte" getreten ist. So versteht etwa H.-J. Stipp (503-505) die Traditionsgeschichte einer Erzählung offenbar als die mündliche und schriftliche Uberlieferung eines Stoffes von der ältesten Erinnerungsspur bis hin zur Fixierung in der heutigen Form. Ähnliches gilt für die jüngst vorgelegte Arbeit zur „Heerführertradition" von S. Bietenhard, die ebenfalls nicht klärt, was eigentlich eine Tradition und wie diese verläßlich zu beschreiben und historisch auszuwerten ist. Anders, aber ebenfalls ohne Begriffsklärung, die Arbeit von Th. Pola zur Priesterschrift, der „traditionsgeschichtliche Vergleiche" für literarkritische und redaktionsgeschichtliche Folgerungen nutzt (vgl. etwa Pola 151 ff.). Auch der Begriff „Uberlieferungsgeschichte" wird entsprechend weit verwendet. Für K. Koenen zieht sie sich etwa bis in die hexaplarische Textüberlieferung hinein; hier wäre der Begriff „Rezeptionsgeschichte" wohl angemessener. Mit dem Hinweis auf einige aktuelle Forschungsbeiträge soll nicht der Wert dieser Arbeiten geschmälert, sondern nur auf die anhaltende begriffliche Unsicherheit hingewiesen werden. Daß diese vermeidbar ist, zeigt etwa die Arbeit von S. Grätz zur Traditionsgeschichte des Adad-Fluches. 3. Methodik 3.1.

und

Forschungsergebnisse

Überlieferungsgeschichte

Aufgabe der Überlieferungsgeschichte ist die Klärung, welche Veränderungen eine Texteinheit im Laufe des Tradierungsprozesses erfahren hat. So werden Rückschlüsse auf frühere Sinngehalte des Textes und auf die Interessen der Tradenten möglich, unter Umständen lassen sich auch historische Haftpunkte erhellen. Dabei erscheint die Beschränkung auf die mündliche Überlieferungsphase als wenig sinnvoll, da m a n hier n a turgemäß über Rekonstruktionen und d a m i t die Gefahr von Projektionen nicht hina u s k o m m t . Hinzu k o m m t , daß auch der U m f a n g der zu untersuchenden Texteinheit Auswirkungen auf die M e t h o d i k hat. Eine „Überlieferungsgeschichte des P e n t a t e u c h " oder auch nur der Vätergeschichte muß, wie die Forschungsgeschichte gezeigt hat, n o t wendig auch literar- und redaktionsgeschichtliche Arbeitsschritte einbeziehen. 3.1.1. Der grundlegende Arbeitsschritt ist der des Vergleichs von (biblisch wie außerbiblisch erhaltenen) T e x t e n untereinander. Als klassische Beispiele sind e t w a die verschiedenen mesopotamischen Versionen einer Sintfluterzählung ( T U A T 1 , 4 4 8 - 4 5 8 . 6 1 2 667) und deren Widerspiegelung in Gen 6 - 9 zu nennen, weiter der Vergleich zwischen Ps 104 und dem sog. Sonnengesang des E c h n a t o n ( T U A T II, 848—853) o d e r zwischen der Weisheitslehre des A m e n e m o p e ( T U A T III, 2 2 2 - 2 5 0 ) mit Prov 2 2 - 2 4 . An solchen

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Vergleichen ist das Faktum der Überlieferung festzustellen; die Überlieferungswege sind dagegen zu rekonstruieren, wobei in den genannten Beispielen nicht definitiv auf mündliche oder schriftliche Tradierung geschlossen werden kann. Das gilt auch für rein mnerbiblisch bezeugte Mehrfachüberheferungen wie etwa bei der Geschichte von der Gefährdung der Ahnfrau Gen 12; 20; 26. Beim Vergleich kleinerer Einheiten sei auf den aaronitischen Segen Num 6 , 2 4 - 2 6 verwiesen, zu dem nun Vorstufen wie die Amulette aus dem Ketef Hinnom ( T U A T II, 929) oder die Segensformeln aus Kuntillet Agrud ( T U A T II, 5 6 1 - 5 6 4 ) und Chirbet el-Qom ( T U A T II, 5 5 6 - 5 5 8 ) bekannt sind. 3.1.2. Über Vergleiche hinaus besteht zweitens die Möglichkeit, daß in den Texten selbst auf Überlieferungsvorgänge hingewiesen wird: So gibt es Bezüge auf andere Schriften, wie die „Chronik der Könige J u d a s " in I Reg 14,19, oder Verweise wie etwa Jes 8,16, die auf Verschriftungsvorgänge und folglich auf ursprünglich mündliche Tradierung von Prophetenlogien schließen lassen. E x 13,3.8 weist auf das Tradieren bestimmter Stoffe zu kultischen Zwecken, hier auf die Feier des -+Pesach. In anderen Texten läßt sich an der Struktur der größeren Einheit sehen, daß Überlieferungsgut aufgenommen wurde. Dies wird z. B. für ätiologische Erzählungen vermutet (s. Fohrer u.a., Exegese 1 3 1 - 1 3 4 ; aber vgl. die Kritik von Richter 155) und gilt ebenso für das Lamechlied Gen 4,23f. oder das Brunnenlied Num 21,17f., wie auch sonst oft bei poetischen Stücken in Erzahlzusammenhängen. Bekannt sind auch die expliziten Verweise auf umlaufende Sprichwörter in Ez 18,2; Jer 31,29 oder die Einfügung des Kyros-Edikts in Esr 6 , 2 - 5 . Dabei sind manchmal sogar Wachstumsstufen erkennbar, wie etwa in E x 15, wo das ursprüngliche Mirjam-Lied V. 21 zu einem Hymnus erweitert wurde. Im poetisch-weisheitlichen Schrifttum werden oft die für die Tradierung verantwortlichen Gruppen genannt. Beispielhaft kann auf die „Worte Agurs" in Prov 3 0 , 1 - 1 4 oder die Asafpsalmen (Nasuti) verwiesen werden, deren Träger wohl mit den in I Chr 25 genannten „Söhnen Asafs" zu identifizieren sind. Diese Psalmengruppe enthält offensichtlich spezifisch nordisraelitische Traditionen aus -»Bethel und stellt möglicherweise eine alte Kompositionsstufe des Psalters dar (Millard). Die Sonderstellung Bethels wird auch durch den demotisch-aramäischen Papyrus Amherst 63 ( T U A T II, 9 3 0 - 9 3 4 ; vgl. Rösel, Psalmen) erkennbar, der Beleg für die Tradierung israelitischer Psalmen außerhalb der biblischen Literatur ist. Bei der fundamentalen Fragestellung nach der Herkunft der JHWH-Verehrung ist man auf überlieferungsgeschichtlichem Wege zu der weithin akzeptierten These der midianitischen Herkunft der Gottesvorstellung gekommen (s. Koch, Übersiedlung), vgl. auch die Rekonstruktion der Entwicklung des monotheistischen Gottesbildes (Köckert). Es ist deutlich, daß hier überlieferungs- und religionsgeschichtliche Fragestellung meinanderfallen (so auch Knight, Rediscovering 3 9 3 - 3 9 5 ) . 3.1.3. Die dritte Möglichkeit zur Erhellung überlieferungsgeschichtlicher Sachverhalte besteht in der Auswertung von Befunden innerhalb des einen fraglichen Textes. Dies können Spannungen sein, die nicht redaktionell zu erklären sind, inkonsistenter Sprachgebrauch oder einzelne Züge, die auf unterschiedliche Erzählabsichten hinweisen (vgl. z . B . Hermisson zu Gen 32). Es ist deutlich, daß hier die Gefahr von Zirkelschlüssen und Projektionen besonders groß ist. Auch kann die Grenze zur Literarkntik oft nicht sauber gezogen werden, zumal es kein wirklich gesichertes Instrumentarium für die Frage gibt, welche Elemente einer Einheit aus mündlicher oder schriftlicher Tradierung herrühren. In der gegenwartigen Forschung ist zu beobachten, daß der uberlieferungsgeschichtlichen Methodik als Rückfrage auf mündliche Vorstufen und deren mögliche historische Anhaltspunkte wenig Zutrauen entgegengebracht wird. Das hängt wohl an den methodischen Unwägbarkeiten, zudem auch an dem Vorherrschen literar- und redaktionskritischer Fragestellungen und der allgemeinen Verunsicherung hinsichtlich der historischen Auswertbarkeit biblischer Texte. Dennoch sollte auf diese Fragestellung nicht verzichtet werden. Denn gerade wenn immer deutlicher wird, daß es in der Umwelt Israels schon früh ausgeprägte Textuberlieferungen gegeben hat, in Israel/Juda selbst

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aber offenbar erst seit dem 8. Jh. v. Chr. eine umfangreichere Schriftproduktion zu sichern ist (vgl. Niemann, allerdings unter dem Vorbehalt der archäologischen Zufälligkeit seiner Ergebnisse), wird man um die Annahme umfangreicher mündlicher Tradierung nicht herumkommen.

3.2.

Traditionsgeschichte

Aufgabe der traditionsgeschichtlichen Fragestellung ist die Erhellung der geistigen Welt, von der Verfasser oder Tradenten biblischer T e x t e geprägt sind. D a m i t konzentriert sie sich auf das traditum, die überlieferten „Vorstellungskomplexe" (so Barth/Steck 127 A n m . 130) oder „geprägten Bedeutungssyndrome" (so Huber bei F o h r e r u.a., Eiegese 102). U m diese zu erkennen, ist erneut der Vergleich verschiedener T e x t e der grundlegende Arbeitsschritt. E r dient dazu, durch Abstraktion von Aussagegehalten generelle Übereinstimmungen kenntlich zu machen, die nicht auf literarische oder überlieferungsgeschichtliche Abhängigkeiten zurückzuführen sind, sondern auf eine allgemeiner; Prägung im Sinne einer übergreifenden Vorstellung schließen lassen. Die zur Kennzeichnung traditioneller Elemente verwendeten Termini wie „Stoff", „ T h e m a " oder „ M o t i v ' ' sind aus der Folkloreforschung und der Literaturwissenschaft übernommen (dazu Nasuti 3 f . ) , w o r a u s erneut eine Unschärfe bei ihrer Nutzung in der Exegese resultiert. Wieder gibt es zwischen den beiden maßgeblichen Lehrbüchern charakteristische Differenzen. O.H. Steck faßt unter dem Oberbegriff „geprägter Sachgehalt" folgende Erscheinungen zusanmen (Barth/Steck 125): geprägte Denkstrukturen (etwa der Tun-Ergehen-Zusammenhang), Bilder(Menschenleben als Gras), Themen (Jerusalem als unüberwindliche Stadt), Themenensembles undWortensembles (etwa Kultpoesie). Davon ausgehend ergeben sich dann verschiedene Fragehinsichten (ebd. 137f.): (a) die nach der Geschichte einzelner Vorstellungen, (b) die Untersuchung eints Einzeltextes zur Erhellung der in ihm enthaltenen geprägten Sachgehalte, und als synthetischer Arbeitsschritt (c) die Frage nach „theologischen Stömungen und geistigen Welten der biblischen Zeit". Der letzte Schritt führt konsequenterweise zur Darstellung einer alttestamentlichen Theologiegeschichte, wobei die von Steck dazu erstellte Ubersicht (Strömungen 53) mit ihrer Zuspitzuig auf Theokratie und Eschatologie als grundlegenden Strömungen der nachexilischen Zeit als ülerholt gelten muß. In den jüngeren Arbeiten Stecks ist zudem eine Konzentration auf redaktionsgeschichtliche Fragen zu erkennen; eine ausführliche Anwendung der im Lehrbuch dargestellten tradtionsgeschichtlichen Methodik steht noch aus. F. Huber führt in seiner Darstellung eine Differenzierung der „geprägten Bedeutungssyndrome" in „Motive" und „Traditionen" durch (Fohrer u.a., Exegese 104-113). Als Motive sind geprägte Bilder (etwa J H W H als Fels), Themen (z. B. Tag JHWHs) und Züge anzusehen (etwa das Gespräch zwischen Erzvater und König in den Ahnfrau-Erzählungen Gen 12; 20; 26). Gemeinsam ist Bildern, Themen und Zügen, daß an ihnen kein eigenes Uberlieferungsinteresse definierbarer Tracentenkreise erkennbar wird. Dies kennzeichnet im Gegenzug die Traditionen. Sie sind als selbständige sprachliche Gebilde erhalten, dabei fast immer mit geprägten Themen und Zügen verbunden (Beispiel: die Exodustradition enthält u.a. das Thema Rettung am Schilfmeer). Auf der Ebeie von Einzeltexten sind Traditionen in der Regel nicht erkennbar, sondern erst beim Erfassen größerer Zusammenhänge. Konsequenterweise sollten daher nach diesem Ansatz Motiv- und Traditfansigeschichte in getrennten Schritten ausgeführt werden. Als grundsätzliches Problem der M e t h o d i k ist die Frage der Erkennbarkeit geprägter Vorstellungen oder Bedeutungssyndrome zu sehen, w o r a u f besonders W. Richter hingewiesen hat ( 1 5 2 - 1 6 3 ) . D a Bilder, M o t i v e , T h e m e n etc. vor allem durch die Abstrektiion von Inhalten ausgewiesen werden, besteht die Gefahr der Projektion von ande:no>rts abstrahierten M o t i v e n in Texte, die die fraglichen Vorstellungen nicht aufweisen. Daher ist die von der Formgeschichte herrührende Forderung zu rechtfertigen, d a ß sich d i e Prägung von Traditionen etc. an festen sprachlichen Wendungen oder d u r c h dit Verbindung mit konkreten F o r m e n und Gattungen zeigen lassen muß. D a m i t sind die G r e n zen für die Erkennbarkeit solcher geprägter Vorstellungen durch das je aktuelle Wissen um die seinerzeit gebrauchten F o r m e n und Gattungen wie um die Sprache und d e r e n Konnotationen gegeben (vgl. auch Koch, Formgeschichte 7 0 f . 3 1 5 - 3 2 5 ) . Traditionsgeschichte m u ß folglich stärker von der Überlieferungsgeschichte konkreter T e x t e htr vierstanden werden.

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Eine wesentliche Bereicherung des methodischen Instrumentariums ist in den letzten J a h r e n durch die Erschließung der I k o n o g r a p h i e erreicht worden. Ausgehend von den Pionierarbeiten O . Keels ist nun in vielen Teilbereichen genauer und facettenreicher erf a ß b a r , was als D e n k h o r i z o n t bestimmter Traditionen gesehen werden k a n n . Dazu gehören, u m paradigmatisch Bereiche zu nennen, die C h a o s - D r a c h e n k a m p f - M o t i v e innerhalb der Schopfungstradition oder die Investitur durch die G o t t h e i t innerhalb der Königsideologie. Speziell in der von Keel und C h . Uehlinger angeführten Schule wird intensiv an der Auswertung des reichhaltigen M a t e r i a l s gearbeitet (vgl. die Arbeiten von Winter; Schroer; Staubli). D o c h stellen sich auch hier die bereits im Diskurs mit der Archäologie aufgetretenen Fragen nach der wechselseitigen B e z u g n a h m e und Interpretation von biblischem und außerbiblischem, literarischem und nichtliterarischem Befund. In der letzten Zeit ist zudem die Erweiterung der exegetischen Methoden um den Arbeitsschritt der „Tendenzkritik" zu beobachten. Hier werden Ergebnisse der Traditionsgeschichte, etwa die Isolierung bestimmter Züge oder Motive, zur Erhellung von Aussagetendenzen verwendet. Damit soll die Zuordnung von Textelementen zu einzelnen Redaktionsstufen wie deren Datierung möglich werden (s. Kaiser, Literarkritik). Eine präzise Definition dessen, was eine „Tendenz" ist, wie sie sich zu „Traditionen" und „Vorstellungen" verhält und wie sie an den Texten ausgewiesen werden kann, steht jedoch meines Wissens noch aus, so daß die vorgestellten Resultate oft eher spekulativ anmuten. E i n e k o m p r i m i e r t e Darstellung der Ergebnisse traditionsgeschichtlicher A r b e i t scheint an dieser Stelle wenig sinnvoll, da die n o t w e n d i g e Differenzierung und B e w e r t u n g in der g e b o t e n e n Kürze nicht m ö g l i c h ist. Statt dessen sei a u f z u s a m m e n f a s s e n d e Artikel verwiesen, s. etwa - » W e l t b i l d , S c h ö p f e r / S c h ö p f u n g , —»Propheten/Prophetie, - » G e schichte, - » G e s e t z , - » E x o d u s m o t i v , - » E t h i k u.a. Z u r O r i e n t i e r u n g hilfreich sind auch Z u s a m m e n s t e l l u n g e n wie die Übersicht über die in den Volksklageliedern verwendeten „ L e i t w o r t e und T h e m e n " bei E m m e n d ö r f f e r ( 2 9 6 - 3 0 1 ) oder die von R . R e n d t o r f f für den B a n d II seiner Theologie des Alten Testaments angekündigte Liste von T h e m e n ( R e n d t o r f f , T h e o l o g i e des A T , N e u k i r c h e n - V l u y n , I 1 9 9 9 , X ) , die sich deutlich an G . von R a d s T h e o l o g i e orientiert. Von solchen U b e r s i c h t e n nicht e r f a ß t sind die in der letzten Z e i t häufiger angestellten Überlegungen zu den T r ä g e r g r u p p e n einzelner T e x t oder T r a d i t i o n s k o m p l e x e . D a z u sei beispielsweise verwiesen a u f die Religionsgeschichte Israels von R . Albertz; allerdings wird in diesem W e r k auch die P r o b l e m a t i k der unzureichenden R ü c k b i n d u n g von traditionsgeschichtlichen Ergebnissen an k o n k r e t e T e x t aussagen deutlich. Z u s a m m e n f a s s e n d ist festzuhalten, d a ß bis heute die begriffliche Unsicherheit, die sich d u r c h die g e s a m t e F o r s c h u n g s g e s c h i c h t e hindurch feststellen läßt, für die A n w e n dung überlieferungs- und traditionsgeschichtlicher A r b e i t s s c h r i t t e charakteristisch ist (vgl. J e r e m i a s 35). O f f e n b a r reichen die entwickelten I n s t r u m e n t e n o c h nicht aus, u m das wechselseitige Verhältnis von R e l i g i o n , S p r a c h e und L e b e n angemessen zu beschreiben und d a m i t sichere Kategorien für die E r k e n n t n i s und D a r s t e l l u n g a n t i k e r D e n k m u ster zu g e w i n n e n . D i e o b e n k e n n t l i c h g e m a c h t e n rezeptionsgeschichtlichen Versuche wie die Arbeiten zur I k o n o g r a p h i e stellen j e d o c h wichtige A n s ä t z e zur P r o b l e m l ö s u n g d a r , die eine isoliert an den Inhalten arbeitende T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e offensichtlich nicht leisten k a n n . Literatur Vgl. auch die Lit. zum Art. -»Formgeschichte/Formenkritik I. Rainer Albertz, Religionsgesch. Israels in atl. Zeit, 2 Bde., 1992 (GAT 8 / 1 - 2 ) . - Albrecht Alt, Der Gott der Väter, 1929 (BWANT 12). - Ders., Die Ursprünge des Israelit. Rechts, 1934 (BVSGW.PH 86/1). - Robert Alter, The Art of Biblical Narrative, New York 1981. - Ders., The Art of Biblical Poetry, New York 1985. - Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Sehr., Erinnerung u. politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. - Ders., Moses the Egyptian. The Memory of Egypt in Western Monotheism, Cambridge, Mass./London 1997; dt.: Moses der Ägypter, München 1998. - Hermann Barth/Odil Hannes Steck, Exegese des AT, Neukirchen-Vluyn

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Traditionskritik/Traditionsgeschichte II

II. Neues Testament 1. Begriff

2. Forschungsgeschichte

3. Gegenwärtiger Stand

(Literatur S. 748)

1. Begriff „Traditionsgeschichte" und die ihr zugehörende Übersetzung „Uberlieferungsgeschichte" sind als Kennzeichnung eines methodenkritisch relevanten Schrittes in Terminologie und Anwendung im Bereich der Schriftauslegung neutestamentlicher Schriften unpräzise mit der Konsequenz, daß in beiden Bezeichnungen selbständige, zu differenzierende Sachanliegen in die exegetische Arbeit eingebracht werden. Dieser Mißstand hält bis in die Gegenwart an. 2.

Forschungsgeschichte

Die angeführte Begrifflichkeit ist in der deutschen Sprache strittig. Beide Bezeichnungen sind seit Mitte des 18. Jh. begrifflich vielfältig umschrieben und methodisch bedacht worden und konnten sich z. B. schon damals in interdisziplinärer Weite in der Juristensprache auf ihr inhärente Rechtsausübung beziehen (Art. Tradieren: D W b 11,1,1 [1935] 1022-1025). Für die theologische Fragestellung der Begrifflichkeit ist die allgemeine geisteswissenschaftliche Methodologie von Belang, die zunächst Johann Heinrich Zedier (1703—1763) in seinem Großen vollständigen Universal-Lexicon mit Verweis auf Baco Verulamius (1561-1626) als Traditiones methodicae zusammenfaßt (GVUL 44 [1745] 1823; 3 [1733] 6 9 - 7 1 ) . Die Auswertung bietet Johann Martin Chladenius in seinen auch für die Bibelauslegung maßgebenden Darlegungen in Allgemeine Geschichtswissenschaft, worinnen der Grund zu einer neuen Einsicht in allen Arten der Gelahrtheit gelegt wird (Leipzig 1752). Hier wird nicht nur in nuce die spätere formgeschichtliche Arbeit skizziert (besonders in den Kapiteln VI „Verwandlung der Geschichte im erzehlen" [ebd. 115ff.] und VII „Ausbreitung und Fortpflanzung einer Geschichte" [ebd. 155ff.]), sondern auch erkannt, daß einzelne Stücke/Uberlieferungen - bei ihm zumeist „Urkunde" genannt - Wandlungen unterworfen sind: Denn auch „Urkunden können mündlich fortgepflanzt werden" (ebd. 176). Sie unterliegen Gesetzen der Weitergabe (ebd. 176ff.), „verändern die Geschichte" durch Situation und Aufnahme „bey dem Hörer und Leser" (ebd. 179). Diese methodologischen Überlegungen im frühen Aufbruch kritischer Schriftauslegung wirkten sich noch nicht längerfristig aus, so daß J.G. -»Herders Einsichten in die vorschriftliche Evangeliumsverkündigung eine Neuentdeckung waren (Herder, Erlöser 197.199.207.382 u.ö.; ders., Gottes Sohn) und im Zusammenhang der Herausarbeitung der „Traditionshypothese" zur Erklärung der Entstehung der synoptischen Evangelien weiterwirkend von Belang wurden (-»Evangelien, Synoptische 3.4.). Aber es fehlte bei ihm - wie auch bei seinen Nachfolgern im weiteren 19. Jh. — die sachprägende Begrifflichkeit. So faßt Johann Carl Ludwig Gieseler 1818 das Sachanliegen der Traditionsgeschichte Jahrzehnte nach Chladenius unter der Sicht seiner Zeit zusammen (Gieseler 7 7 - 8 3 ) , greift den Begriff „Fortpflanzung" ebenfalls auf (ebd. 104), um dann fast resignierend das Schicksal aller Tradition im „Fortschreiben und Divergieren" festzuhalten: „Wäre es möglich, diese Aeste und Zweige der Evangelientradition zu bestimmen" (ebd. 111). Sein Zeitgenosse J.G. -»Eichhorn erkennt zwar die Notwendigkeit, Tradition im neutestamentlichen Zeugnis exegetisch herauszuarbeiten, sieht aber die Fragestellung noch ohne Konsequenzen in textkritischen Entscheidungen begründet (Einleitung IV, 71.223f. u.ö.). Die neutestamentliche Wissenschaft im weiteren 19. Jh. war bis zu seinem Ende hin nicht mit traditionsgeschichtlichen Fragestellungen, sondern mit der Aufarbeitung der -»Literarkritik beschäftigt, die ihr vornehmlich durch die -»Einleitungswissenschaft zunächst in der Auseinandersetzung mit D.F. —»Strauß (Leben Jesu) aufgegeben war, implizit aber auch der Widerlegung der zwar nicht von diesem inaugurierten, aber doch „traditionsgeschichtliche" Momente aufweisenden Mythenerforschung diente (Nach-

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weise u.a. bei Merk, Problem 24ff.). Im Rückblick auf dieses Jahrhundert stellte H.J. -•Holtzmann (wie es schon 1822 Friedrich Lücke [1791-1855] gefordert hatte [Lücke 162f.]) fest, daß „historisch-kritische Untersuchung der Ueberlieferung nach den allgemeinen Maßstäben der Historie" methodisch geboten sei (Holtzmann 1314), und Eduard Zeller (1814-1908) erörterte 1893 die „Beweglichkeit der Überlieferung" (Zeller 197) vor ihrer Verschriftlichung und bedachte die Umbildung mündlich weitergegebener Traditionen (ebd. 198.205 u.ö.). Doch ein Umbruch in der Abwendung von strikter Literarkritik hin zur Traditionsgeschichte erfolgte erst in der „-»Religionsgeschichtlichen Schule" (vgl. T R E 6,386ff.; 21,225f.; Kümmel 316ff.418ff. u.ö.; Klatt 54ff.63 Anm. 53; Paulsen 426ff.). Maßgebend ist H. -»-Gunkels Werk Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit (1895), in dem erstmals der Begriff „traditionsgeschichtlich" begegnet (XIII.202ff.206, besonders 208f.; der terminologische Hinweis auf J. -»Wellhausen bei Paulsen 453 Anm. 120 ist wohl doch differenzierter zu sehen; im übrigen vgl. Bultmann, Religion 118) und die „traditionsgeschichtliche Methode" (Gunkel, Schöpfung 208 f.) expliziert wird in der Weise, daß ihre von Gunkel betonte Vorrangstellung mit herkömmlicher „Literarkritik" und hintangesetzter „zeitgeschichtlicher" Erklärung (der Apokalypse des Johannes) im Methodenverbund bleibt (ebd. 209 mit Anm. 3; vgl. auch ders., Forschungen 601 ff.). Denn auch diese Methode „ist in dem literarkritischen Zuge der modernen biblischen Exegese begründet" (ders., Schöpfung 209). Der bei Gunkel von Anfang an zu konstatierenden Unschärfe in der Begrifflichkeit folgte differenzierende Kritik und Präzisierung auf dem Fuße. W. -> Bousset brachte umgehend den Dissens innerhalb der „Religionsgeschichtlichen Schule" auf den Punkt: „So wird man von Gunkels Arbeit an von einer neuen Auslegungsmethode der Apokalypse sprechen dürfen. Der zeitgeschichtlichen und litterarkritischen Methode zur Seite tritt die traditionsgeschichtliche, beide beschränkend, allerdings nicht aufhebend, wie es bei der G'.sehen Arbeit dann und wann erscheinen möchte" (Bcusset, Antichrist 5). Aber: „nur keine Übertreibungen. Eine neue Methode empfiehlt sich nicht dadurch, dass sie den Anspruch auf Alleinherrschaft erhebt. Wenn Gunkel in seiner Arbeit etwa den Grundsatz befolgt, dass die traditionsgeschichtliche Methode überall da anzuwenden sei, wo die zeitgeschichtliche Deutung nicht ganz klar sei und auf der Hand liege, so ist damit viel zu viel behauptet" (ebd. 7). Gunkels Methode verbindet sich nach Bousset mit religionsgeschichtlich hinterfragbaren „Postulaten", die auf „Evidenz verzichten und die Grenzen wissenschaftlichen Beweises verkennen" (ebd. 7 [Zitat], 8ff.; vgl. 169ff.; Wrede, Besprechung 623 ff.627ff.). Damit war inhaltlich und methodisch die kritische Weiterführung des Gunkelschen Ansatzes durch Bousset markiert (Antichrist 8; zu Vorstufen in Boussets diesbezüglichen Forschungen Paulsen 440f.), die er in seinem Antichrist vorlegte und die W. -»Wrede grundsätzlich forderte (Besprechung 623ff.; ders., Aufgabe 102 u.ö.), während Wellhausen in seiner teilweise ungenauen Besprechung von Schöpfung und Chaos die Begriffe „traditionsgeschichtliche Methode" und „zeitgeschichtliche Methode" kritisierte: „Man verzeihe die grässlichen Ausdrücke; ich habe sie nicht verbrochen. Methode kann weder das eine noch das andere genannt werden; denn sie ist kein Hauptschlüssel, der alle Türen öffnet" (Wellhausen, Literatur 234 u. Anm. 2). Gunkels notwendige Replik auf Wellhausens Besprechung verdeutlicht das oben genannte eigene Anliegen, das in der „Einzelexegese" erarbeitet werden müsse: „Diese meine Position aber ist bisher im allgemeinen der Standpunkt der Erklärer der Ap. Joh. leider nicht gewesen, wobei ich Spitta als meinen Vorgänger und Bousset als meinen Nachfolger nenne, die mir freilich im einzelnen noch keineswegs genügen" (Gunkel, Forschungen 603). Dies ist insofern eine erstaunliche Feststellung, als Friedrich Spitta (1852-1924) nur eine Tradition „von Schrift zu Schrift" und damit die Eruierung von Traditionsstücken (und die motivischen Anlässe dazu) innerhalb literarischer Zeugnisse annimmt (vgl. Spitta 301.232f.; Gunkel, Schöpfung 209 Anm. 1) und Bousset Traditionsgeschichte in einem methodisch ausgewogeneren Sinne einbringt (Antichrist), dem sich Gunkel in weiteren Beiträgen deutlich

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annähert (Nachweise mit Literatur bei Bousset, Offenbarung 118f.). Vor allem war es Gunkel wie Bousset stellvertretend für die „Religionsgeschichtliche Schule" bei allen Unterschieden im einzelnen (dazu weitere Differenzierungen bei Paulsen 429ff.446ff. u.ö.; Merk, Bousset 163ff.) gelungen, Traditionsgeschichte im Gesamtkonnex methodischer Schriftauslegung zu verankern und somit in die geisteswissenschaftlich begründete Methodik einzugliedern (vgl. auch Bernheim 3 2 4 - 5 6 1 ) . Möglicherweise ist es gerade diesem übergeordneten Sachverhalt zuzuschreiben, daß in der nachfolgenden neutestamentlichen Wissenschaft der Begriff „Traditionsgeschichte" wieder deutlich (und differenziert) zurücktritt, während nach Henning Paulsen letztlich methodisch nicht bewältigte „Aporien" für „das augenfällige Verschwinden der traditionsgeschichtlichen Analysen schon während der Blüte der religionsgeschichtlichen Schule selbst" auslösendes Moment waren (Paulsen 459 ff. [Zitat 459]). Doch verschwunden ist der Begriff nicht, seine „Anwendung" geriet vielmehr in eine schwer faßbare Beliebigkeit. Einerseits wurde Gunkels Hinweis von Belang, der Traditionsgeschichte im gesamten Neuen Testament nachzuspüren (Schöpfung 209), andererseits wird die Traditionsgeschichte einzelner Motive - entgegen Gunkel - kaum noch erwogen, so gewiß für „die literarischen Aeußerungen des Urchristentums" in ihrer formgeschichtlichen Aufarbeitung im Rahmen „biblischer Literaturgeschichte" „Ueberlieferungsgesetze" (Bultmann, Art. Literaturgeschichte 1680) gelten, die im methodischen Verbund „traditionsgeschichtliche" Überlegungen nur begrenzt einbrachten (vgl. ebd. 1675ff.l680ff.). Im einzelnen konnte R. ->Bultmann nachweisen, daß für Wellhausen „der Prozeß der Traditionsgeschichte nur im Zusammenhang mit der Geschichte der urchristlichen Gemeinde zu verstehen ist" (Bultmann, Religion 118; vgl. auch Wellhausen, Einleitung 2 32ff.), und Bousset deckte in Textüberlieferung und Charakter der Apophthegmata Patrum (1923; verfaßt vor 1920) methodisch eine traditionsgeschichtliche Parallele zur Bearbeitung der synoptischen Überlieferung auf ( 7 6 - 9 3 ) , die in wichtigen Akzentuierungen die einschlägige Debatte Gunkel-Bousset widerspiegelt (vgl. auch Bultmann, Religion 111.121). In der klassischen Formgeschichtlichen Forschung tritt der Terminus „Traditionsgeschichte" bei K.L. -»Schmidt (Rahmen) und in den einschlägigen Veröffentlichungen von M . —>Dibelius (Überlieferung; ders., Formgeschichte 1 ) nicht hervor, während Bultmanns Werk als Geschichte der synoptischen Tradition ( l 1921) die Sachfrage nicht umgehen konnte (20ff. u.ö.; vgl. ders., Besprechung Bestmann 372; gegen unkritische Verwendung des Begriffs „traditionsgeschichtlich" vgl. Heidegger 81 [Vorlesung Sommersemester 1923]), die überinterpretiert Erich Fascher so aufgreift: „Literarkritische Analyse und traditionsgeschichtlicher Vergleich dienen also dazu, ,die ursprüngliche Form eines Stückes zu erkennen', und das ist nach Bultmanns Auffassung ,Formgeschichte'" (Fascher 84; vgl. 96.100 mit Verweis auf Bultmanns Feststellung: „die lockere Gesetzmäßigkeit der Fortpflanzung der Überlieferung" [Geschichte 1 25 Anm. 1; vgl. 24.51.195]). Bultmann vertritt auch in der zweiten Auflage der Geschichte der synoptischen Tradition (1931) die Traditionsgeschichte in der Durchführung (vgl. Theißen 417 Anm. 4; allgemein Roloff 51), und Julius Schniewind faßt bündelnd zusammen: Weil es in der „SynoptikerExegese" um „ein Kerygma" geht, bedarf es dessen „Vorformen", bedarf es notwendigerweise der Traditionsgeschichte (Schniewind 183). Die zunächst vorsichtige Annäherung römisch-katholischer Bibelwissenschaftler an formgeschichtliche Fragestellungen brachte mehrfach den Traditionsgedanken als traditionsgeschichtlichen Methodenschritt zur Geltung. Doch in bald erfolgter Differenzierung (aber auch teilweise distanzierter Betrachtungsweise) findet sich schon in frühen Arbeiten eine reiche Aufarbeitung der Traditionsgeschichte im Neuen Testament (Vögtle; Schelkle), besonders bei den Synoptikern (Florit, Storia 212ff.; ders., Metodo; Schick; Hillmann), ausgeprägt bei Heinz Schürmann: „Den traditionsgeschichtlichen Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien . . . ist das Fragen nach der Geschichte der synoptischen Überlieferung gemeinsam" (Schürmann 9; vgl. 83ff.251ff.); „Die

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Traditionsfrage ruft . . . die formgeschichtliche Methode auf den Plan" (39; vgl. 63.105.153.205.216f.). Die anders verlaufene Entwicklung in der alttestamentlichen Forschung (s.o. I.) mit ihrer Gewichtung der „Überlieferungsgeschichte" hatte insofern Konsequenzen in der neutestamentlichen Wissenschaft, als hier nicht nur die Begrifflichkeit „Traditionsgeschichte/traditionsgeschichtlich" zurückgedrängt und zugunsten der „Überlieferungsgeschichte" in ihrer methodischen Anwendung stark beschnitten wurde (vgl. u.a. Koch 67 Anm. 49; 71), sondern auch eine Neuorientierung im Methodenbewußtsein stattfand, wodurch in der 2. Hälfte des 20. Jh. traditionsgeschichtliche Aspekte anders oder überhaupt nicht mehr verortet wurden. Teilweise weitgefaßte Beurteilung der —> Redaktionsgeschichte, besonders aber das starke Aufkommen linguistischer Fragestellungen und literaturwissenschaftlicher Arbeitsweisen sowie grundsätzliche Anfragen an die formgeschichtliche Arbeit überholten die traditionsgeschichtliche Forschung, ihr Anliegen und ihre Methodik weithin (vgl. z.B. Güttgemanns, besonders 198ff.208ff. mit zahlreichen Einzelnachweisen und Literatur; Koch 279ff.; Berger, Einführung 162ff. und passim). In seinem die Weiterführung wie Neuansätze in der formgeschichtlichen Arbeit nachzeichnenden Nachwort in der 10. Auflage von Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition (1995) stellt G. Theißen heraus: „Eine grundsätzliche Verschiebung gegenüber der klassischen Formgeschichte ergab sich erst durch einen veränderten Stellenwert, den die Formanalyse in neuen ästhetischen und rhetorischen Ansätzen erhielt" (Theißen 415), eingebunden in eine Neubewertung von Synchronie und Diachronie (vgl. dazu Merk, Aufzeichnungen 130ff.). Gleichzeitig hält er fest: ,,R. Bultmann sprach bei der Rekonstruktion der mündlichen Vorgeschichte entsprechend dem Titel seines Buches von ,Traditionsgeschichte'. Seit H. Barth/O. H. Steck, Exegese des Alten Testaments (1971), wird häufig zwischen Überlieferungsgeschichte, die nach der (mündlichen) Vorgeschichte eines individuellen Textes fragt, und Traditionsgeschichte als Geschichte von Denkstrukturen, Stoffen, Motiven und Vorstellungen in verschiedenen individuellen Texten unterschieden. Aufgrund des Gewichts der ,Geschichte der synoptischen Tradition' von R. Bultmann wurde diese Unterscheidung jedoch in der neutestamentlichen Exegese nie zur festen Terminologie" (Theißen 417 Anm. 4; vgl. jetzt auch Steck, Exegese 13 62ff.l24ff.). 3. Gegenwärtiger

Stand

Dieser Charakterisierung entspricht die in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung sich darbietende Anwendung, Einschätzung und auch begriffliche Unschärfe von „Traditionsgeschichte" und „Überlieferungsgeschichte": Während z. B. J , Rploff im wesentlichen der Terminologie von Klaus Koch folgt (Roloff 9f.42f.45ff.48.50f.), Thomas Söding weit gefaßt die Problematik sieht (Söding 252ff.; vgl. 180ff.l90ff.), Martin Meiser die Diskussion nur zurückhaltend berücksichtigt (Meiser 88.95), spiegelt Wolfgang Fenske die Unausgeglichenheit und Unsicherheit im Blick auf die anstehende Begrifflichkeit (Fenske 43; vgl. 41ff.113f.166f., selbst der „Überlieferungsgeschichte" den Vorrang gebend). Eine Skepsis gegenüber der „Traditionsgeschichte" ist erkennbar. Begriffliche Unsicherheit und wichtige Anfragen zur methodischen Präzision formgeschichtlicher Arbeit greifen ineinander (vgl. Kongreßbericht 65). Für den hier notwendigen Klärungsbedarf ist die von Udo Schnelle vorgeschlagene begriffliche Orientierung hilfreich und aus der Perspektive der Forschungsgeschichte relevant: „Die Traditionsgeschichte fragt nach dem Werdegang und der Gestalt eines Textes sowohl in seiner mündlichen Phase als auch in schriftlichen Vorformen auf vorredaktioneller Ebene. Sie hat die Aufgabe, die Vorgeschichte des Textes zu erhellen, indem sie dessen Entstehungsgeschichte rekonstruiert. Ziel der Traditionsgeschichte ist es, ein Modell der Genese des vorliegenden Textes zu erarbeiten" (Schnelle 125). Demgegenüber ist die Bezeichnung „Überlieferungsgeschichte" preiszugeben zugunsten der „Begriffsgeschichte" der einzelnen Begriffe, ihrer Herkunft und ihrer möglicherweise inhärenten

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Motive (vgl. Friedrich, Untersuchungen; ders., Begriffslexikon). Es geht um eine Begriffsgeschichte, die schon Wrede im Blick hatte (Aufgabe 95f.), einschließlich der Bemühung, berechtigte Anfragen an die „Begriffsgeschichte" zu integrieren und kritisch aufzuarbeiten (vgl. dazu Friedrich, Untersuchungen 546f.; ders., Semantik 507ff.; Söding 190f. u.ö.; kritisch, aber zu undifferenziert Barr 238ff.). Nur die sorgfältige begriffliche Eruierung vermag zum Verstehen des Wortes im Kontext des Satzes beizutragen (Adam/ Kaiser/Kümmel/Merk 71 ff. u.ö.). „Versteht man unter ,Tradition' den Werdegang eines Textes auf vorredaktioneller Ebene, so gehört dies in den Bereich des Methodenschrittes .Traditionsgeschichte'... Meint .Tradition' neben einem geprägten Bedeutungsinhalt vor allem einen bestimmten Tradentenkreis mit einem erkennbaren Überlieferungsinteresse, so ist dieser methodische Schritt vielleicht in der alttestamentlichen, nicht aber in der neutestamentlichen Exegese durchführbar . . . Es empfiehlt sich daher für die ntl. Exegese, auf den Terminus ,Überlieferungsgeschichte' ganz zu verzichten und ,Tradition' im Sinn von .Traditionsgeschichte' als Erhellung der Vorgeschichte eines Textes zu verstehen" (Schnelle 129). Nur allgemein verwiesen werden kann auf den Sachverhalt, daß in der neutestamentlichen Wissenschaft im 20. Jh. die Eruierung von Traditionsstücken von erheblichem Belang ist und daß hier explizit wie implizit bedeutende traditionsgeschichtliche Aufarbeitungen in nahezu allen neutestamentlichen Schriften erfolgten (methodisch noch immer wichtig: Bultmann, Besprechung Knox 279). Beispiele müssen hier für das Ganze stehen: Phil 2 , 5 - 1 1 (Lohmeyer); Rom 3,(24)25.26a (Bultmann, Theologie 1 [1. Lieferung 1948] 47; Theologie' 49); I Petr (Bultmann, Bekenntnis- und Liedfragmente). Im Corpus Paulinum lassen sich zentrale Theologumena aus Traditionsstücken erheben, deren traditionsgeschichtliche Aufarbeitung paulinischer Theologie Profil verleihen. Traditionsgeschichtliche Aufarbeitung im Markusevangelium hat auch theologisch die Kenntnis der Vorgeschichte dieses Evangeliums bereichert (Kuhn; auf die theologische Gewichtung der Traditionsgeschichte im Matthäusevangelium und ihre methodische Erfassung verweist z.B. Frankemölle 328 Anm. 101 u.ö.). Nicht zuletzt wird „Traditionsgeschichte" in den Erwägungen einer „Biblischen Theologie" (-»Biblische Theologie II) gesamtbiblisch diskutiert. Insgesamt zeigt sich: Die „Traditionsgeschichte" steht ebenso wie andere Arbeitsschritte der Auslegung im Konnex historisch-kritischer und geisteswissenschaftlicher Methodik, und auch von ihr gilt: „Geist ohne Methode schädigt die Wissenschaft nicht minder als Methode ohne Geist" (Bernheim 183). Literatur Vgl. auch die Lit. zu Traditionsgeschichte/Traditionskritik I; -» Formgeschichte/Formenkritik II; ->Literarkritik II; -»Redaktionsgeschichte/Redaktionskritik II. Gottfried Adam/Otto Kaiser/Werner Georg Kümmel/Otto Merk, Einf. in die exegetischen Methoden (1963), Gütersloh 7 2000. - James Barr, The Semantics of Biblical Language, Oxford 1961; dt.: Bibelexegese u. moderne Semantik. Theol. u. linguistische Methode in der Bibelwiss., München 1965. - Georg Lorenz Bauer, Hebräische Mythologie des alten u. neuen Testaments, mit Parallelen aus der Mythologie anderer Völker vornemlich der Griechen u. Römer, 2 Bde., Leipzig 1802. William A. Beardslee, Recent Literary Criticism: The N T and Its Modern Interpreters, hg. v. Eldon Jay Epp/George W. MacRae, 1989 (BIMI 3) 1 7 5 - 1 9 8 (Lit.). - Klaus Berger, Einf. in die Formgesch., Heidelberg 1987 (UTB 1444). - Ders., Exegese des NT. Neue Wege vom Text zur Auslegung, Heidelberg 1977 (UTB 658). - Ernst Bernheim, Lb. der hist. Methode. Mit Nachweis der wichtigsten Quellen u. Hilfsmittel zum Studium der Gesch., Leipzig 1889; u.d.T.: Lb. der hist. Methode u. der Geschichtsphil., Leipzig 3 / 4 1903 5 "1908 = New York 1960. - Wilhelm Bousset, Der Antichrist in der Überlieferung des Judentums, des N T u. der alten Kirche. Ein Beitr. zur Auslegung der Apocalypse, Göttingen 1895. - Ders., Apophthegmata. Stud. zur Gesch. des ältesten Mönchtums. Aus dem Nachlaß hg. v. Theodor Hermann/Gustav Krüger, Tübingen 1923. - Ders., Die Offenbarung Johannes, s 1896 '1906 = 1960 (KEK 16). - Cilliers Breytenbach, Das Problem des Übergangs v. mündlicher zu schriftlicher Überlieferung: Neotest. 20 (1986) 4 7 - 5 8 . - Friedrich Büchsei, Die Hauptfragen der Synoptikerkritik. Eine Auseinandersetzung mit R. Bultmann, M . Dibelius u. ihren Vorgängern, 1939 (BFChTh 40/6). - Rudolf Bultmann, Bekenntnis- u. Liedfrag-

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Traditionskritik/Traditionsgeschichte II

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Otto Merk

Tragik/Tragödie I

751

Tragik/Tragödie I. Philosophisch II. Systematisch-theologisch

S. 755

I. Philosophisch 1. D e r Begriff des Tragischen gödie (Literatur S. 754)

1. Der Begriff des

2. Ästhetische Kategorien der T r a g ö d i e

3. Geschichte der T r a -

Tragischen

„Tragisch" (zpayiKÖQ) ist als Attribut abgeleitet von „Tragödie": rpaya>öia (aus xp&yoQ „Bock" und tpSij „Lied") war ursprünglich der Gesang, der die Tieropfer beim Fest des Dionysos begleitete. Die „Bocksgesänge" handelten vom Schicksal des Gottes, der sterben muß, damit die Natur mit ihm und durch ihn wieder aufleben kann. Tragisch ist hier das Schicksal des Gottes, der selbst zum Opfer gebracht wird. Später wurden die Dionysien als kultische Stadtfeste eingerichtet. In ihrem Mittelpunkt stand die aus den Chorgesängen der Dionysos-Dithyramben erwachsene Tragödie, nun als zur Schau gestellte Handlung (6ßog (Furcht, Schauder, Entsetzen) und EIEOQ (Mitleid, Jammer) will er zeigen, daß gegen ein Diktum von Aristoteles auch das Schicksal eines großen Bösewichts (z. B. Richard III.) Gegenstand einer Tragödie sein kann. Den formalen Aspekt der Freiheit erhebt -»Schiller zu einem inhaltlichen, thematischen Schwerpunkt seiner Tragödie. In Anlehnung an -»Kants Ästhetik nennt er in seinen theoretischen Schriften „das Erhabene" als Kriterium der großen Tragödie und die ästhetische Erziehung als Weg zur moralischen Bildung des Menschen. Diese Sicht geht mit der Entwicklung des Trauerspiels wieder verloren. Eine zentrale Kategorie der Tragödie ist die tragische -^Schuld. Nimmt man Schuld formal als „Grundsein für ein Unheil", trifft dies für die antike wie für die neuzeitliche Tragödie zu. Allerdings wird Schuld unterschiedlich verstanden. In der Antike verschuldet der Mensch ein Unheil, weil er die ewigen Gesetze, die den Kosmos steuern und darin das menschliche Leben, nie vollkommen erkennt. Das große Beispiel ist König ödipus bei Sophokles: In Unkenntnis seiner eigenen Identität erschlägt er unwissentlich seinen Vater und schändet seine Mutter. Nach der Entdeckung dieser Greuel straft er sich, indem er sich die Augen aussticht: Als Sehender war er blind für sein Schicksal, als wissend Gewordener blendet er sich selbst. So erfährt der Mensch seine Endlichkeit im Leben wie im Wissen als sein Unglück. Die Neuzeit macht sich auch ihre Tragödie neu. Sie spricht nicht mehr von einem unabänderlichen Schicksal, das ohne Ansehen der Person über den Menschen verhängt wäre. In ihrer Sicht ist der Mensch frei, Herr seines Schicksals. So kann er die Verantwortung nicht mehr auf andere Mächte abschieben; er steht in der Verantwortung für das, was geschieht, und dafür, wer er ist; er ist verantwortlich auch für seinen Charakter. Beispiel dafür ist Schillers Wallenstein, der hochfliegende Pläne hat, aber zögert, sie selbstverantwortlich durchzuführen, und der damit seinen eigenen Untergang herbeiführt. 3. Geschichte

der

Tragödie

Die Geschichte der Tragödie führt nach kurzem Auftakt gleich auf einen ersten Höhepunkt. Thespis soll 534 v. Chr. von seinem Karren, einem Festwagen im Bacchus-Zug, erstmals als Einzeldarsteller dem Chor gegenübergetreten sein, um eine Geschichte vorzuführen. Schon im folgenden Jahrhundert haben Aischylos (525-456 v. Chr.), Sophokles (496-406 v. Chr.) und Euripides (480-407 v. Chr.) mit ihren Werken Maßstäbe für mehr als 2000 Jahre gesetzt. Aischylos führt einen zweiten Schauspieler ein und ermöglicht damit einen Dialog vor dem Chor. Sophokles verstärkt die dramatische Handlungsführung durch den Einsatz eines dritten Darstellers. Die Schauspieler treten in verschiedenen Masken auf, wodurch mehrere Rollen möglich werden, obwohl nie mehr als drei Darsteller zugleich auf der Szene sind. Der Kothurn, auf dem sie auftreten, erhebt sie über normales Menschenmaß, und die Maske (griech. npöaconov, lat. persona) tilgt alles Private. Die Stoffe entnehmen die Schöpfer der Tragödie vorzugsweise der griechischen Mythologie (Prometheus, Agamemnon, Orest, Elektra, Ödipus, Antigone, Medea u.a.). Dramatische Aktionen kommen nicht auf die Szene; sie werden als Vorgeschichte, als Absicht oder als vollzogenes Geschehen durch Boten oder Augenzeugen berichtet. Die Spannung wird aus dem Dialog gewonnen, wobei der Chor neben seiner Rolle als Kommentator zunehmend auch zum Gesprächspartner der Personen wird. Die Entwicklung geht von einer stark mythologisch geprägten Sicht zu einer mehr psycho-

Tragik/Tragödie I

753

logischen Deutung: von einer frommen Scheu vor der göttlichen Weltordnung, durch deren Verletzung (bßpiQ) der Held seinen eigenen Untergang herbeiführt, zum schuldhaften Tun der Personen im Streit gegeneinander, wobei sich die Klage der Unterliegenden oft zur Anklage gegen die Götter steigert. Die Folgezeit bei Griechen und Römern steht ganz in der Nachfolge dieser Klassiker. Von Bedeutung ist nur Seneca (4 v. C h r . - 6 5 n. Chr.). Er greift die alten Stoffe auf, denkt aber nicht mehr in der gewachsenen Einheit der nöhq, sondern aus der unbestimmten Weite des Imperium Komanum-, die Bindung an die Götterwelt ist dem Einfluß der stoischen Ethik gewichen, und seine Rhetorik steigert die Schilderung schrecklicher Qualen zu pathetischer Theatralik. Im Mittelalter verschwindet die Tragödie zugunsten der —» Mysterienspiele und der szenischen Darstellung biblischer Stoffe. Christliche Heilsgewißheit und die Verkündigung der vergebenden Gnade Gottes lassen tragische Weltsicht nicht mehr zu. Selbst die Passionsspiele sind nur Überleitung zum Ostergeschehen. Nachklänge dieser Weltsicht finden sich, vor allem in der katholischen Dichtung, von -»Calderon de la Barca bis P. -»Claudel. Die Neuzeit wird durch eine tiefgreifende Wendung des abendländischen Denkens herbeigeführt: Gegen die -»Transzendenz der -»Scholastik und -»Mystik setzt sich ein erdgebundenes Weltbild durch, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und den Anspruch seiner Subjektivität in einen spannungsreichen Gegensatz zu den tradierten Glaubensinhalten bringt. Damit sind neben den Fundamenten einer neuen Philosophie und einer neuen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine neue Tragödie gegeben. Auch hier setzt die Entwicklung mit einem frühen Höhepunkt ein: Shakespeare stellt die Helden seiner Tragödie (Richard III.; Hamlet; Macbeth u.a.) als Menschen vor, die an dem Gegensatz ihres Charakters und der Welt, in der sie zu handeln haben, zugrunde gehen. Keine Götterwelt, sondern die diesseitige Menschenwelt mit ihrer rational-ethischen Ordnung setzt ihnen die Grenzen, an denen sie scheitern. Die Tradition der -»Renaissance, die über das Mittelalter hinweg klassische Ideale zu erneuern sucht, beeinflußt vor allem die französische Tragödie: Pierre Corneille und Jean Racine (1639-1699) knüpfen an Seneca und die stoische Ethik an. Das hohe Pathos wird durch sprachliche Form gebändigt. Die Absicht ist, das Publikum durch Vorbilder moralisch zu erziehen, und so bildet das Scheitern von Held oder Heldin nur den Hintergrund für die dargestellte Würde, mit der sich der Mensch seinem Schicksal stellt. In Deutschland eröffnet Lessing eigene Wege zum tragischen -»Theater. Gegen die Formalität des französischen Klassizismus setzt er Shakespeare mit seiner kraftvollen Bildhaftigkeit auf der deutschen Bühne durch. In eigenen Werken (Miss Sarah Sampsott; Emilia Galotti) begründet er die Tradition des bürgerlichen Trauerspiels und vollendet damit den Ubergang in den Geist der neuen Zeit: Nicht mehr der Stand, sondern das Ethos von Held oder Heldin ist entscheidend. In dieser Tradition steht auch —»Goethe mit seinen Trauerspielen: Clavigo geht am inneren Zwist zwischen Pflicht und Neigung zugrunde, Egmont an dem Widerspruch zwischen Sein und Schein in seiner Einschätzung der eigenen Bedeutung. Das Faust-Drama dagegen, als Tragödie bezeichnet, verdient diesen Namen nicht eigentlich: Schon das „Vorspiel auf dem Theater" und der „Prolog im Himmel" schaffen doppelte Distanz, die durch die Symbolik im Zweiten Teil verstärkt wird, und die am Ende des Ersten Teils angedeutete Tragik wird durch den abschließenden Erlösungsgedanken wieder aufgehoben. Einen neuen Akzent setzt Schiller. Er verbindet das hohe Pathos klassisch gestalteter Sprache mit der Kraft und Farbigkeit, in der die mit- und gegeneinander handelnden Personen gezeichnet sind, zur Darstellung eines Geschehens, in dem sich die Katastrophe erst andeutet und dann unausweichlich wird. Die Heldinnen und Helden seiner Tragödie (wie Fiesco; Wallenstein; Maria Stuart) scheitern an der Unvereinbarkeit der eigenen Pläne, in denen sich Idealismus und eigener Vorteil seltsam verbinden, mit den Widerständen ihrer Umwelt, die sie durch ihr eigenes Tun heraufbeschworen haben, oder sie werden (wie in Kabale und Liebe-, Don Carlos-, Die Jungfrau von Orleans) zu Opfern von Machtstrukturen, in die sie sich haben verstricken lassen. In der Braut von Messina

754

Tragik/Tragödie I

schließlich verbindet Schiller antike F o r m , christliche Ethik und neuzeitliches Selbstbewußtsein zu einem Ganzen von einsamer G r ö ß e . Im Gegensatz zu den gedanklich klaren Konturen bei Schiller lebt die Tragödie bei Heinrich von Kleist ( 1 7 7 7 - 1 8 1 1 ) von der Gefährdung des Gefühls: In ihm sind sich seine Personen ihrer selbst sicher, aber diese Sicherheit m u ß sich an den Widersprüchen der Weltwirklichkeit bewähren. Dies kann gelingen (Beispiel Alkmene in Amphitryon) oder mißlingen (Penthesilea): Bei keinem Bühnendichter liegen Komödie und Tragödie so dicht beisammen. Im 19. Jh. haben Dichter wie F r a n z Grillparzer ( 1 7 9 1 - 1 8 7 2 ) und Friedrich Hebbel ( 1 8 1 3 - 1 8 6 3 ) die Tradition der T r a g ö d i e noch fortzusetzen gesucht, aber mit d e m Aufk o m m e n des bürgerlichen - » R e a l i s m u s , des - » N a t u r a l i s m u s und des -»Expressionismus, deren P r o g r a m m e stark von einer neuen Psychologie wie von den sozialen Fragen der modernen Welt bestimmt wurden, w a r der Tragödie der Boden entzogen. A u c h die W i e d e r a u f n a h m e antiker Stoffe im 2 0 . Jh. (durch J e a n Anouilh [ 1 9 1 0 - 1 9 8 7 ] , Jean G i r a u d o u x [ 1 8 8 2 - 1 9 4 4 ] , Eugene O ' N e i l l [ 1 8 8 8 - 1 9 5 3 ] ) geschieht auf dieser Linie und führt nicht mehr zu Tragödien im klassischen Sinne. Literatur Walter Benjamin, Ursprung des dt. Trauerspiels, Frankfurt a.M. 1978. - Wolfgang Clemen, Die Tragödie vor Shakespeare, Heidelberg 1955. - Georg Finsler, Piaton u. die Aristotelische Poetik, Leipzig 1900. - Margot Fleischer, Die Befindlichkeit des Daseins u. die Wahrheit der Kunst. Über Furcht u. Mitleid als „Wirkungen" der Tragödie: Sein u. Geschichtlichkeit. FS Karl-Heinz Volkmann-Schluck, Frankfurt a.M. 1974, 6 7 - 8 1 . - Gerhard Fricke, Gefühl u. Schicksal bei Heinrich v. Kleist, Berlin 1929. - Ders., Die Problematik des Tragischen im Drama Schillers: Jb. des Freien Dt. Hochstifts (1930) 3 - 6 9 . - Kurt v. Fritz, Tragische Schuld u. poetische Gerechtigkeit in der griech. Tragödie: StGen 8 (1955) 1 9 4 - 2 3 7 . - Ders., Antike u. moderne Tragödie, Berlin 1962. Heinz Geiger, Aspekte des Dramas, Opladen 1978. - Hans-Dieter Gelfert, Die Tragödie. Theorie u. Gesch., Göttingen 1995. - Walter Hirsch, Das Drama des Bewußtseins. Literarische Texte in phil. Sicht, Würzburg 1995. - Friedrich August Hohenstein, Schiller. Die Metaphysik seiner Tragödie, Weimar 1927. - Karl Jaspers, Uber das Tragische, München 1952. - Karl Klein, Aspekte des Tragischen im Drama Shakespeares u. seiner Zeit, Darmstadt 1979. - Max Kommerell, Lessing u. Aristoteles. Unters, über die Theorie der Tragödie, Frankfurt a.M. 1940 = s 1984. - Erwin Laaths, Gesch. der Weltlit., München 1953. - Hans-Thies Lehmann, Theater u. Mythos, Stuttgart 1991. - Albin Lesky, Die griech. Tragödie, Stuttgart 1938 5 1984. - Dietrich Mack, Ansichten zum Tragischen u. zur Tragödie, München 1970. - Otto Mann, Poetik der Tragödie, Bern 1958. - Ludwig Marcuse, Die Welt der Tragödie, Zürich 1992. - Edgar Neis, Struktur u. Thematik des klass. u. modernen Dramas, Paderborn 1984. - M a x Pohlenz, Die griech. Tragödie, 2 Bde., Göttingen 1930 = 2 1954. - Wolfgang Schadewaldt, Furcht u. Mitleid? Zur Deutung des Aristotelischen Tragödiensatzes: Hermes 83 (1955) 1 2 9 - 1 7 1 . - Ders., Antike u. Gegenwart. Über die Tragödie, München 1966. - Ders., Die griech. Tragödie. Tübinger Vorl. IV, Frankfurt a.M. 1991. - Friedrich Sengle, Vom Absoluten in der Tragödie: DVfLG 20 (1942) 2 6 5 - 2 7 2 . - Andreas Siegmann, Drameninterpretation, Stuttgart 1997. - Jürgen Störig, Tragödie. Notwendigkeit u. Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse, Stuttgart 1982. - Peter Szondi, Versuch über das Tragische, Frankfurt a.M. 1961 = 2 1964. - Helmut Thielicke, Schuld u. Schicksal. Gedanken eines Christen über das Tragische, Gütersloh 1936. - Tragik u. Tragödie, hg. v. Volkmar Sandner, Darmstadt 1971. - Miguel de Unamuno, Das tragische Lebensgefühl, München 1925. - Karl Vietor, Die Tragödie des heldischen Pessimismus: DVfLG 12 (1934) 173 - 209. - Johannes Volkelt, Ästhetik des Tragischen, München 1897 = 4 1927. - Karl-Heinz Volkmann-Schluck, Die Lehre v. der Katharsis in der Poetik des Aristoteles: Varia Variorum. FS Karl Reinhardt, Münster/Köln 1952, 1 0 4 - 1 1 7 . - Hans Wagner, Ästhetik der Tragödie v. Aristoteles bis Schiller, Würzburg 1987. - Heinrich Weinstock, Die Tragödie des Humanismus, Heidelberg 1953. - Benno v. Wiese, Die dt. Tragödie v. Lessing bis Hebbel, Hamburg 1948 = 7 1967. - Klaus Ziegler, Das dt. Drama der Neuzeit: Dt. Philologie im Aufriß, hg. v. Wolfgang Stammler, Berlin/Bielefeld/München, II 1953, 9 4 9 - 1 2 9 8 . - Leopold Ziegler, Zur Metaphysik des Tragischen, Leipzig 1902. - Andreas Zierl, Affekte in der Tragödie, Berlin 1994. Walter Hirsch

Tragik/Tragödie II

755

II. Systematisch-theologisch 1. Der theologische Ort des Themas 2. Religions- und kulturhistorische Kontexte Tragische als Herausforderung der Theologie (Quellen/Literatur S. 761)

1. Der theologische

Ort des

3. Das

Themas

Weder der alteuropäische Begriff „ T r a g ö d i e " n o c h der m o d e r n e Begriff „das T r a g i s c h e " h a b e n einen unstrittigen Platz in der R e f l e x i o n christlichen G l a u b e n s und L e b e n s . „ T r a g i k " findet sich in den L e x i k a bislang k a u m ( S c h u h m a c h e r ) ; D o g m a t i k e n und E t h i ken stellen allenfalls fest, d a ß der christliche G l a u b e an die Vergebung menschlicher - • S c h u l d durch den gnädigen G o t t das tragische Daseinsverständnis hinter sich gelassen h a b e : das Evangelium „ist das E n d e des T r a g i s c h e n " ( T h i e l i c k e , Schuld 3 6 ; ders., E t h i k I; §§ 7 4 6 f f . 1413). Auch die „einzelnen tragischen H a n d l u n g e n , zu denen das L e b e n mit seinem Widerstreite und seiner U n o r d n u n g uns z w i n g t " , sind keine „ S c h u l d vor G o t t " ; denn deren O r t ist „das u n m i t t e l b a r e persönliche Verhältnis zu G o t t " , die „ G e d a n k e n des H e r z e n s " (Althaus, W a h r h e i t 3 5 8 f . ) . S t r e n g g e n o m m e n ist der „ T r a g i k der menschlichen E x i s t e n z " jegliches Interesse zu verweigern: S o l c h „ g ö t t l i c h e s L e i d e n " ist uns durch - » J e s u s Christus „ n i c h t n u r a b g e n o m m e n , sondern als A n m a ß u n g , als eine im G r u n d e übermütige T r a g i k v e r b o t e n " ; unser eigenes Leiden an - » S ü n d e und Schuld k a n n „ n u r n o c h eine Erinnerung an sein Leiden s e i n " (Barth 4 2 1 f.). D a s „letztlich E r n s t z u n e h m e n d e . . . ist nicht die U n e n t r i n n b a r k e i t der Schuld, sondern das einfältige Leben aus der V e r s ö h n u n g " (Bonhoeffer 2 4 6 ) . D e r fast allgemeinen M e i n u n g widersprechend, r e k l a m i e r t P . - » T i l l i c h für „ T r a g i k " , nicht anders als der apollinische logos ein „universal gültiger B e g r i f f " zu sein (Tillich, T h e o l o g i e III, 114): D i e m e n s c h l i c h e Existenz „ w u r z e l t in der Freiheit und im tragischen S c h i c k s a l " (ebd. II, 4 5 ) ; auch der Christus n i m m t teil an den tragischen Z w e i d e u t i g k e i t e n des L e b e n s , in seiner Begegnung m i t den F ü h r e r n seines Volkes, die diese unausweichlich schuldig werden läßt, oder gegenüber J u d a s (ebd. II, 1 4 3 f f . ) ; n o c h das R e i c h G o t t e s k e n n t spannungsvolle D y n a m i k , ja T r a g i k (ders., L i e b e 130). Ähnlich votieren T h e o l o g e n in Schellingscher (—»Schelling) T r a d i t i o n (von B a l t h a s a r ) und im R a h m e n religionspsychologischer Analyse des Z u s a m m e n h a n g s von —»Freiheit, —»Angst und Sünde im Anschluß an S. —»Kierkegaard ( S c h u m a n n ; M a n n ; D r e w e r m a n n ) . Die Einschätzung des Tragischen als Überwundenes bestreitet nicht, daß mit diesem Begriff die Erfahrung von Schuld angesprochen ist: einer solchen, die nicht völlig oder eindeutig subjektivem Wollen und Handeln zugerechnet werden kann, sondern zusammenhängt mit dem Wirken anderer Handelnder und mit objektiven sozialen Verhältnissen, oder auch kosmischen Ordnungen. Nicht strittig ist, daß auch diese Schuld zu Recht so genannt wird und als solche Scheitern zur Folge hat. Strittig ist jedoch, von welchem Belang es ist, daß sie aus einem Verhalten in Umständen und Situationen entsteht, für die der Handelnde nicht persönlich verantwortlich ist, die sein Verhalten also „verhängnisvoll" mitbedingen: Ist seine Schuld auch -»Schicksal? Einsprüche gegen eine theologische Rede vom Tragischen gelten daher zugleich dem Begriff des Schicksals: Als tragisch-schicksalhafte wäre Schuld entschuldigt, ja gerechtfertigt. Doch auch der Widerspruch gegen den „Krampf des Tragischen" (Thielicke, Ethik I, § 2153) im Glauben daran, daß auch solche Schuld aufgrund des versöhnenden und rechtfertigenden Handelns Gottes in Jesus Christus vergeben wird, erfordert, die angesprochene Erfahrung zu situieren im Kontext des christlichen Verständnisses (und Bekenntnisses) des Menschen als eines Sünders, der in einer Welt der Sünde leben muß. In der Tat benennen die dogmatischen Begriffe „ E r b s ü n d e " (-»Sünde) und „ u n f r e i e r -*Wille" seit jeher auch die transmoralische Dimension menschlichen Schuldigseins. In jüngerer Zeit benennen ethische Begriffe wie „Vorläufigkeit", „Grenzsituation" oder „Konfliktsituation" entsprechend die transmoralische Dimension menschlichen Handelnmüssens im „Zwiespalt" (Thielicke, Ethik II/l, §§ 147ff.688ff.; Lange 383ff.). Aber auch die Vergebung von Schuld in der - » R e c h t f e r t i g u n g allein aus Glauben meint einen Vorgang, der zweifellos mehr und anderes besagt als moralische Plausibilität; insofern entspricht die tragische -»Katharsis der -»Reue des bußfertigen Sünders, auch wenn diese wiederum mehr und anderes besagt als sittliche Läuterung. So hat das Tragische - und sei es als ein „erhabener Irrtum" (Thielicke, Ethik II/l, § 144) - einen Ort in der Theologie als Erkenntnis Gottes und unserer selbst, allerdings offensichtlich einen problematischen.

Tragik/Tragödie II

756

Die Einschätzung dieser Problematik hängt an der konkret soteriologischen Qualifikation der Erfahrung von schicksalhaft erscheinender Schuld; die etwaige Distanzierung des Tragischen könnte sonst zwischen der Hegeischen These, das Christentum bedeute die „Aufhebung" des Tragischen, und der Nietzscheschen These, das Christentum sei unfähig zur Tragik (s.u. 2.), unkenntlich werden. Die Stellungnahme muß aber auch die Beziehung der Theologie zu den ästhetischen und ethischen Formen des Umgangs mit dieser Erfahrung berücksichtigen. Denn diese Formen stehen in historischen Kontexten von theologischem Belang; nicht zufällig trat in der Zeit der kulturellen Dominanz des Christentums tragische Dichtung nicht hervor. 2. Religions-

und kulturhistorische

Kontexte

Das Tragische wurde vom Christentum in Gestalt der Kunstform Tragödie vorgefunden. Als Medium paganer Moral und Religion war sie, wie das dem polytheistischen Kult verbundene -»Theater überhaupt, von vornherein Gegenstand der Kritik, bis zur Antithese von „Jerusalem" gegen „Athen" (—»Tertullian). Sie wurde wegen ihrer moralisch-propädeutischen Wirkung aber auch günstiger gewertet, im Anschluß weniger an -»Aristoteles' Poetik, der zufolge die Katharsis eine eigenartige Lust ist, als an ihr platonisches, religiöses Verständnis als Läuterung (-»Clemens von Alexandrien) oder an das stoische als Unerschütterlichkeit im Unglück (-»Boethius). ->Augustin bestritt dagegen die Moralität der Tragödie, nicht nur wegen der erregten „Augenlust", sondern gerade wegen ihrer Wirkabsicht: „Furcht" ist vielmehr eine zu überwindende Untugend, und „Mitleid" erfordert nicht Zuschauen, sondern Helfen (conf. 111,2; X,35; civ. 11,8-14; Todisco). Angesichts der Wiederentdeckung der antiken Tragödie in der —• Renaissance und deren Interesse am Helden, der seine Würde im Scheitern bewahrt, gestand ihr das reformatorisch-humanistische Bildungsprogramm wiederum die moralische Nützlichkeit exemplarischer „Historien" zu (—>Melanchthon). So war die Aufführung von „Tragedien", Stücken mit traurigem Schluß, wie die von H. -•Sachs, bald auch die der englischen Theatertruppen (Fischer-Lichte 438f.), durchaus erwünscht. Die christliche Entschärfung der Tragödie schien auch in Geltung zu bleiben, als englische und französische Autoren (s.o. I.) an den „Alten" Maß nahmen, um sie zugleich „modern" zu überbieten und den kosmisch-religiösen Horizont der Schuld in der antiken Tragödie ins Soziale und Subjektive zu transformieren. Die moralische Abzweckung wurde zwar vor allem im Sinne stoischer Beständigkeit realisiert und blieb ohne Bezug auf menschliche Erlösungsbedürftigkeit; aber die Katharsis angesichts des Untergangs des mit sich und der Welt kämpfenden Helden diente doch der Besserung der Sitten. Noch die Wirkungsästhetik des „bürgerlichen Trauerspiels" schien theologisch akzeptabel, wollte es doch „unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern", im Großmut gegen andere und in der Furcht im Blick auf sich selbst (Lessing 163; Fischer-Lichte 439f.). Dem dezidierten Nichtchristen J.W. von -»Goethe gelang es gar, die „Tragödie", die in Fausts „Daimon", seinem großen, aber in sich gegenstrebigen Charakter, angelegt war, in die Erlösung des Menschen ausgehen zu lassen, der „immer strebend sich bemüht". Obwohl der Gefährdungen der Tragik menschlichen Schuldigwerdens bewußt (Harfnerlied), versteht Goethe die edle Menschlichkeit etwa Iphigenies, anders als bei Euripides' Iphigenie, als das Ende des Tragischen. Sie bleibt von der Tragödie (und der Katharsis einer durch „Menschenopfer" bereiteten Versöhnung, Flashar 785) verschont, dem

„ungeheuren Spruch" zufolge: nemo contra Deum nisi Deus ipse (Weber 371ff.; Weinstock 237ff.; Schulz; Blumenberg 433ff.).

In dieser Situation war es die Philosophie, welche die Poesie und Ästhetik der Tragödie überführte in die Reflexion des Tragischen, dies nun verstanden als die Antinomie von -•Freiheit und Naturnotwendigkeit. Das „Erhabene" der tragischen Kunst vergewissert sich durch „Rührung" der sittlichen Freiheit als übersinnliche Idee: auf dem Theater mit sinnlichem Vergnügen verbunden, im Leben dagegen mit dem Leiden, wie es die Weltgeschichte vor Augen führt - eben so wird diese „erhaben" erlebt: als „Weltgericht" (-•Schiller; Loock 1138ff.). Der nachkantische Idealismus zeichnet die (als solche religionskritische) tragische Dialektik der Sittlichkeit wieder in einen Horizont ein, in dem der Konflikt zwischen Neigung und Pflicht, Liebe und Gesetz, subjektiver Freiheit und

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objektiver Welt wieder aufscheint als „das Ungeheure, wie der Gott und Mensch sich p a a r t " und grenzenloses Einswerden durch grenzenloses Scheiden, im „ Z o r n " des tragischen Untergangs, „sich reinigt" (Hölderlin, Oedipus 315; Düsing); ja, ein Konflikt, in dem der Gott selbst ein Schicksal hat, auch das eines „menschlich leidenden G o t t e s " (Schelling, Briefe 106f.; ders., Freiheit 403; Hermanni). Diese Philosophie des Tragischen trat jedoch wegen der spekulativen Zweideutigkeit ihres Gottesbegriffs bald in Gegensätze auseinander (und „tragisch" wird zum vagen Ausdruck für Schlimmes, dessen Ursachen man nicht kennt oder nicht nennen will). Einerseits erschien die Aufhebung des Tragischen als das Ergebnis der (Religions-)Geschichte: Es hat angesichts der „offenbaren Religion" keine kathartische Bedeutung mehr, sondern ist nurmehr als Erinnerung an den „Geist des tragischen Schicksals" gegenwärtig (Hegel, Phänomenologie 548). Andererseits erscheint, wenn die absolute Vernunft dem absoluten Lebenswillen weicht, das menschliche Leben in seiner Welt unversöhnbar tragisch, weil in sich widersprüchlich und dem Individuum daher so unvermeidlich wie sinnlos Leiden zufügend; hier kommt sogar die „Erbsünde", freilich resignativ abgetrennt von jeglicher Erlösung (-»Heil und Erlösung), als die „Schuld des Daseins selbst" zu einem fragwürdigen Recht (-»Schopenhauer I, 354). Nach dem „Tod Gottes" und damit dem Ende platonisch-christlicher Metaphysik und Sklavenmoral konnte das Tragische als „Urphänomen" des Lebens erscheinen (-»Nietzsche, Geburt 139). Die Umwertung aller Werte läßt die Dialektik des Apollinischen und des Dionysischen, damit auch die Tragik der Individuation hinter sich: Das Leben, das sich selbst und sein Schicksal ewiger Wiederkehr aus Stärke bejaht, ist, allenfalls an seiner eigenen Überfülle leidend, jeglicher Rechtfertigung und Versöhnung unbedürftig, „Dionysos gegen den Gekreuzigten" (Nietzsche, Ecce homo 372; Giorgio). Im Kontext der europäischen Nietzsche-Debatte wurde „das Tragische" zum Inbegriff pessimistischer oder nihilistischer, doch heroischer -»Weltanschauung. Der „Pantragismus", der vom universalen kosmotragischen Gesetz sprach und zum Teil pantheistisch gefärbt war (Lütkehaus), zielte dabei auf Entindividualisierung (Ziegler; de Unamuno). Die Deutung des tragischen Lebensgefühls in der -»Psychoanalyse S. -»Freuds war religionskritisch gemeint, mutete dem Individuum jedoch ein erhöhtes Schuldgefühl und bewußten Glücksverzicht zu: Die erneut kenntlichen Figuren der antiken Tragödie (ödipus, Narziß, Eros, Thanatos, Ananke) bedeuten angesichts widerstreitender und zerstörerischer Triebmächte die Notwendigkeit kultureller Sublimation - das, was man realistischerweise, ohne göttliche Sinnverbürgung, aus Leiden zu lernen vermag (Ricceur, Psychoanalyse 76ff.).

Erst jetzt reagierte die Theologie auf die neuzeitlichen Veränderungen, zunächst selbst weltanschaulich, in der Apologie des angeblich christlichen „Optimismus" oder im Gefolge des „idealistischen" sittlichen Monotheismus des Christentums. Dagegen kehrt sich die offenbarungstheologische Neuorientierung nach dem Ersten Weltkrieg, zumal im Begriff der „Krisis", von den heroischen Ambitionen der tragischen Weltanschauung ab. Nun kamen L. —»Tolstojs und F . M . —»Dostojewskijs Figurationen tragischer Schuld zur Geltung; insbesondere wurde Kierkegaards Existenzbegriff und die. darin liegende ästhetische Beschränkung des Tragischen rezipiert; allerdings wurde die Analyse der Angst als der Wurzel der Unfreiheit im Schuldigwerden nicht auf den Zusammenhang von (verinnerlichter) Tragik und dem Geheimnis der „Erbsünde" bezogen. Vielmehr wurde in der Übernahme existenzanalytischer Begriffe wie „Grenzsituation" (Jaspers, Psychologie 202ff.), „Geworfenheit" oder „Vorlaufen zum T o d " (M. -»Heidegger; Rubio) für die Beschreibung der Situation der stets zu treffenden „Entscheidung" (und weniger der Antinomie der Schuld und des Leidens in ihr) das Problem des Tragischen wiederum expressiv überspielt. Dazu trug auch die soziologische Rede von der „Tragödie der Kultur" (Simmel; Cassirer) und von der selbstwidersprüchlichen Realisierung kultureller Werte (Scheler) bei, die zwar nicht „pantragisch", gleichwohl universalistisch argumentierten. Lebensphilosophisch getönt, konnte das Tragische sogar zur negativen Bedingung des christlichen Glaubens werden: Das sich selbst widersprechende Schicksal zerbricht das menschliche Leben und seine moralische Selbstbehauptung - die Katastrophe geschieht aufgrund eines tötenden „Gesetzes", nach einer „Vergeltungsordnung", die mit einem „verborgenen G o t t " konfrontiert (Eiert 89ff.). Angesichts des „heroisch-tragischen Menschentums" im Schicksalsglauben des „nordischen M y t h u s " und der „deutschen G o t t s c h a u " wurde die theologische Abweisung

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der Rede vom Tragischen eindeutig. Wo nicht bloß das Scheitern in Schuld der Erlösung von Schuld vorgezogen, sondern Sinngebung für Schuld (Hauer 133ff.) betrieben wird, da wird in illusionärer Weise der Blick auf die heilige Ordnung der Welt und auf die menschliche Tat als solche gelenkt, um den Blick eines Richters in die abgründigen „Gedanken des Herzens" zu verhindern: Die eigentliche, unbedingte Schuld wird „entschuldet" und „ent-mächtigt", sie erhält den „Sinn" eines notwendigen Übels (Thielicke, Schuld 18ff.). Die nur scheinbar versöhnende Katharsis wird jedoch enttarnt durch den durchdringenden, die Gedanken des Herzens richtenden Blick des „göttlichen D u " ; damit wird auch die Voraussetzung einer fraglos heiligen Seins- und Sollensordnung hinfällig zugunsten der Einsicht in die zwielichtige, „dämonische Seite" jeder Ordnung (ebd. 28ff.). Die Stelle des angeblichen „Gesetzes" des Tragischen, das sich in Wahrheit zugleich sinnsicherndes „Evangelium" sein muß, übernimmt ungeschuldet und wider Erwarten, also „un-tragisch", das wahre Evangelium von der versöhnenden Barmherzigkeit Gottes, seine „Haltung der Gnade" (ebd. 34ff.; Althaus, Schuld). 3. Das Tragische als Herausforderung

der

Theologie

Die moralischen Katastrophen des 20. Jh. haben das regressive „Pathos des Tragischen" (Bonhoeffer 246) in tiefstes Unrecht gesetzt. Die philosophischen Diskurse seit dem Zweiten Weltkrieg verstehen den existentiellen Tatbestand, ins Dasein geworfen zu sein oder ins Absurde sich entwerfen zu müssen, als Anlaß weniger zum Heldentum als vielmehr zur Bescheidenheit und zur Verantwortung angesichts zugefügten Leidens (öffentlich blieb es freilich nicht selten bei der entschuldigenden Rede von „metaphysischer Schuld", „tragischen Verbrechen" oder „Größe und Tragik"). Die Absage an den funktionalistischen Nihilismus der -»Moderne versucht, die Nähe zwischen tragischem Schuldbewußtsein und christlichem Sündenbekenntnis, unbeschadet ihrer Unterschiede in der propädeutischen Verknüpfung von „Ehrfurcht" und „Gottesfurcht", herauszustellen (Weinstock 330ff.). Der Rückblick auf den religiösen Charakter der Katharsis in der antiken Tragödie führt sogar zur typologischen Verknüpfung des tragischen -»Opfers mit dem Sühnopfer Christi: „Oidipus typus Christi" (Nebel 204). Auch diesseits dieser Zuordnungen wird konstatiert, daß nicht eine einzige Ordnung uns eindeutig und ohne Rest verpflichtet, sondern eine Mehrzahl transzendenter, dämonischer Mächte „in uns unter sich ringen" - eine schicksalhafte Verstrickung, der gegenüber die Größe des tragischen Helden nur seine „Selbstpreisgabe" sein kann (Weber 508f.). Tragische Situationen stellen sich in der Moderne, die stahlharte Eigengesetzlichkeiten fixiert, erneut ein: „ M ä c h t e " , die je für sich wahr sind, kollidieren; Freiheit kann nicht erst „gewählt" werden. Das „tragische Wissen" ist daher offen und bleibt nichtwissend (Jaspers, Uber das Tragische; Fromm; zu Albert Camus, Emmanuel Lévinas und Jean-François Lyotard vgl. Loock 1142f.). Dem widerspricht es nicht, die -•Hermeneutik als die zur Zeit vielleicht einzige Form tragischen Denkens anzusehen (Pareyson; Givone; Ciancio) und an derjenigen Literatur den „Tod der Tragödie" zu diagnostizieren, die der Auflösung der Auseinandersetzung des einzelnen mit dem Heiligen durch die technokratische M o derne keinen Widerstand mehr entgegensetzt (Steiner, Tod). Vielleicht mehren sich deshalb, auf jeden Fall aber, weil die „Unterweisung des Ethischen durch das Tragische" (Ricoeur, Selbst 293) wieder nötig scheint, in jüngster Zeit Rückgriffe auf die antike Tragödie (Fischer-Lichte 4 4 4 f . ; Mathewes; Morenilla/Zimmermann): Sie inszeniert exemplarisch die subjektive Nötigung, Selbstsein und Menschlichkeit nicht gesellschaftlichen Totalitätsansprüchen aufzuopfern; auch solchen nicht, die Vermittlung und Integration reduzieren auf handelnde Subjekte und soziale Zweckrationalität (Strauss). Einer solchen Wahrnehmung des Tragischen darf man attestieren: Im Gegensatz zur analgetisch erzeugten Apathie des Funktionierens übernimmt sie die menschliche Pflicht zum Widerstand gegen das scheinbar Unvermeidliche: „nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich d a " (Sophokles, Antigone 523; Steiner, Antigones) und leugnet nicht die menschliche M ü h e der Versöhnung mit dem wirklich Unvermeidlichen: „durch Leiden lernen" (Aischylos, Agamemnon 177).

Das verschärfte Bewußtsein der Endlichkeit und Zerbrechlichkeit des Menschlichen, das sich in diesem tragischen Humanismus äußert, muß auch den theologischen Widerspruch gegen die „tragische" Rechtfertigung von Politik als „Schicksal" prägen. Dieser kann sich allerdings nicht abfinden mit dem Nebeneinander (Weber 43 ff.) von „pro-

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phetisch-religiöser", spekulativer, „meditativ-philosophischer" und „ t r a g i s c h e r " D a seinssicht. Denn er beruft sich als solcher auf den endgültigen Gegensatz des Evangeliums zu jedem „Gesetz", das zur Rechtfertigung von Schuld als unvermeidlichem Schicksal werden könnte und damit gerade die Endgültigkeit von Schuld festmacht - das göttliche Gesetz intendiert keineswegs die „ m i t Leiden bezahlte Selbsthilfe des M e n s c h e n " , wie der M y t h o s die „Tragödie der K u l t u r " deutet ( G a d a m e r 65). Das Evangelium von Jesus Christus setzt der tragischen Konstellation, die es unter Sündern vorfindet, kraft seiner wirksamen G e g e n w a r t im Glauben an die Vergebung persönlicher und schicksalhafter Schuld ein Ende. Es führt aus der Rechtfertigung von Schuld in die Rechtfertigung des in Schuldzusammenhänge verstrickten Menschen. Diese Feststellung hat nicht zuletzt (religions-)historischen Anhalt, wie schon seinerzeit, allerdings weithin übersehen, W. Benjamin herausstellte: Während die antike Tragödie sich an der dämonisch zweideutigen Weltordnung abarbeitet, daher auf der Idee des Opfers beruht und den tragischen Helden kämpfen und sprachlos untergehen läßt, inszeniert das moderne Trauerspiel menschliche Geschichte(n) im Zeichen des Sündenfalls - der Held wird zur melancholischen Figur, die „allegorisch" den Dingen subjektive Bedeutung verleihen muß. Die Interpretation der Geschichte „nach Christus" stellte auch Reinhold -»Niebuhr unter den Titel Jenseits der Tragödie. Wie schon A. Weber auf die Neuartigkeit des stellvertretenden Leidens im Alten Testament und bei Jesus von Nazareth hingewiesen hatte (211 ff.), so hat jetzt, unter der Frage nach dem Zusammenhang des Heiligen und der mimetischen Gewalt, R. Girard die antike Tragödie, zumal die Figur des Ödipus, als Opfern eines Sündenbocks beschrieben und dessen kulturell folgenreiche Entzauberung durch „ H i o b " (-»Hiob/Hiobbuch) und den „leidenden Gottesknecht", d.h. durch das Evangelium von der Gewaltlosigkeit Christi, behauptet. Das mögliche Ende der tragischen Konstellation im Christusglauben m a c h t jedoch das Problem des Tragischen nicht gegenstandslos. Denn jenes E n d e verdankt sich nicht der nun richtigeren Weltanschauung, sondern dem Ereignis des Z u s p r u c h s völliger Versöhnung; ein Z u s p r u c h , der sich glaubhaft m a c h t , der aber angesichts andernorts fortdauernder Unversöhntheit den Glauben einstweilen mit Hoffnung tröstet und mit Geduld stärkt. Die R e d e v o m Ende des Tragischen wird abstrakt, wenn sie diesen eschatologischen Index überspielt. D a f ü r , daß die Gewißheit des Christusglaubens sich nicht als Sicherheit mißversteht, sorgt die Erfahrung der Anfechtung, die zu bestehen ihm in dieser Zeit i m m e r wieder auferlegt wird (so immerhin Schumann 2 5 9 f . ; Thielicke, Ethik I I / l , § 905). Die Anfechtung durch tragische Konstellationen dieser Weltzeit, denen der Glaubende nicht unbeteiligt und unbehelligt zusehen kann, in die er vielmehr selber verstrickt wird, m a c h t der T h e o l o g i e ihre W a h r n e h m u n g zur Pflicht. Diese Einsicht hat sich nicht zufällig gerade im Widerstand gegen den heroisch-tragisch gerechtfertigten Totälitärismüs unter Schmerzen aufgedrängt: in der Einsicht D. —•Bonhoeffers in die Unausweichlichkeit der aktiven Übernahme von Schuld in der moralischen Grenzsituation des Widerstands gegen ein verbrecherisches Regime (255f.); in der bejahenden Stellung Jochen Kleppers (1903-1942) zum Kriegsdienst in der Solidarität der Schuld; in der beharrlichen Weigerung Reinhold Schneiders (1903-1958), die tragische Entscheidung zwischen Wehrdienst und Verweigerung in eine eindeutige, spannungsfreie Moralität hinein aufzulösen (Drewermann 46.69f.) - eine Moralität, die es auch in rechtsstaatlichen Verhältnissen nur gäbe um den Preis einer Verdrängung, die das christliche -»Gewissen beschädigt. So illusionär oder zynisch dem getrösteten Gewissen eine heroisch-tragische Weltanschauung erscheinen muß, so nahe weiß sich das angefochtene Gewissen den „tragisch-mythischen Diagnosen" angesichts der Unmöglichkeit, sich in positivistische oder moralistische Reduktionen zu flüchten (Thielicke, Ethik II/l, §§438.508) - auch wenn man nicht folgert, daß die „griechische Tragödie . . . ein geeignetes Heilmittel für Menschen unserer Zeit" (Dethlefsen 14) ist. N i m m t m a n die Erfahrung des Tragischen als Anfechtung des christlichen Glaubens ernst, so ergeben sich für die theologische R e d e v o m Tragischen folgende Gesichtspunkte: 3.1. Der O r t für die Bearbeitung tragischer Erfahrung ist der Begriff der Erbsünde - wenn dieser nicht abstrakt, d.h. flacianisch (M. -•Flacius Illyricus) oder pelagianisch (-»Pelagius/Pelagianischer Streit) verkürzt, verstanden wird. „ E r b s ü n d e " meint den in

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der Dialektik von Notwendigkeit und Zufälligkeit stehenden Erfahrungszusammenhang von Schuld und geschichtlichem Erbe. Allerdings wird er dargestellt als Geschichte und Folge eines „Falls", nicht als der stets gleiche Zusammenhang von Handeln und Leiden; insofern ist „Adam" in der Tat nicht „Prometheus" (Freund 143ff.). Gleichwohl besagt auch „Erbsünde", daß in der gefallenen Welt moralische Freiheit und tragisches Schicksal für Menschen unentwirrbar verflochten sind (Tillich, Theologie II, 35ff.), so daß die einzelne Schuld nicht immer und einfach durch den Ge- bzw. Mißbrauch subjektiver Freiheit verursacht, sondern auch erlitten wird. Dies wird nicht nur in einzelnen Ereignissen des unvermeidlichen Schuldigwerdens zur Erfahrung, sondern auch in der Unhintergehbarkeit des eigenen Charakters vor allem im Kampf, ja in der Spaltung der Persönlichkeit zwischen den Anstrengungen des schwachen Ich und der starken Macht des Unbewußten einerseits, den Gesetzen des Über-Ich andererseits (Drewermann 22ff.). Wegen ihres tragischen Elementes ist „Schuld" mehr und anderes als „Sünde" und als „-»•Böses" (Schwarzwäller 37ff.). Zwar entnimmt das Evangelium den Menschen immer wieder der tragischen Konstellation. Sofern der Gerechtfertigte jedoch bis zu seinem Tode simul peccator in Angst um sich und Mißtrauen gegen Gott bleibt, wird er lebenslang der Tragik menschlicher Existenz in sich selbst konfrontiert: auch „der Sünde abgestorben" kann er wieder schuldig werden. Die in Christus geschehene und im Glauben angenommene Erlösung ist kein Prinzip „Erlöstheit", aus dem die Abwesenheit des Tragischen im christlichen Leben zu folgern wäre. 3.2. Wie der Möglichkeitsgrund von Schuld die endliche Freiheit menschlicher Existenz ist, so gibt es das Tragische, weil im geschaffenen Sein auch ein „Erbteil des Nichtseins" liegt (Tillich, Theologie I, 292f.). Die Endlichkeit des Menschen ist gleichwohl nicht als solche tragisch, weil es dazu einer Mehrzahl endlicher Handlungssubjekte bedarf, einer Gemeinschaft von Menschen. Tragische Konstellationen werden erst mit dem „Fall" möglich, und zwar deshalb, weil das Individuum sein Verhältnis zu anderen Individuen ungleich, des „Gesetzes" bedürftig, vollzieht (beides resultiert allerdings aus derselben Angst der Endlichkeit). Deshalb können das Tragische an der Schuld wie auch die „Erbsünde" nicht restlos auf persönliche Verantwortung zurückgenommen und kann die pervertierte Welt nicht restlos als Objektivation des sündigen Ich erklärt werden (gegen Thielicke, Ethik I, §§2144ff.; II/l, §§ 171.769ff.1165ff.). Erst in einer Gemeinschaft, d. h. angesichts von „Gesetz" im Gegenüber zum Individuum, gibt es Schuld; deren Folge ist ja der Ausschluß (Schwarzwäller 35ff.). Die Befreiung von Schuld ist entsprechend stets ein sozialer Akt, der durch die Annahme der Schuld in der Reue und durch die Annahme ihrer —»Sühne möglich wird. Ganz anders als im tragischen Opfer beruht die Vergebung der Schuld im christlichen Glauben jedoch auf der ~*Stellvertretung des Schuldigen; in Jesus Christus überwindet Gott die tragische Universalität der existentiellen -»Entfremdung (Tillich, Theologie II, 87ff.). 3.3. Der tragische Aspekt menschlicher Schuld hebt die Verantwortung des jeweils eigenen Handelns und die Möglichkeit persönlicher Schuldhaftung in gar keiner Weise auf, wie auch „Erbsünde" zwar servum arbitrium im Sinne der Unhintergehbarkeit des (sündigen) Willens durch sich selbst, aber nicht das Wollenkönnen der voluntas im Sinne der Wahl ihrer Gegenstände verneint (Martin -»Luther). Das Tragische menschlicher Schuld resultiert daraus, daß sie stets in einem Schuldzusammenhang auftritt, der den einzelnen als Macht beherrscht. Dies kann vom „tragischen" Helden in Hybris, die blind ist dafür, daß sie menschliche Größe und Würde auf sich selbst bezieht, überspielt werden (Tillich, Theologie III, 114ff.). Das Tragische der Unfreiheit wird schmerzhaft dort, wo nicht so sehr der Konflikt zwischen individuellem Handeln aus Freiheit und objektiven Gesetzen, sondern der Konflikt dieser Verpflichtungen im (verantwortlich) Handelnden zum Austrag kommt; dies verstrickt ihn tragisch in Schuld (Lange 343ff.382). Auch wenn die ethischen Konfliktsituationen nicht mehr aus einem „Zwiespalt der Götter in Gestalt ihrer Gesetze" (Bonhoeffer 246) entstehen, so sind doch im

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alten Ä o n noch „ M ä c h t e und G e w a l t e n " wirksam, in die auch Glaubende tragisch verstrickt werden. In der Gewißheit der Entmächtigung dieser M ä c h t e und der Vergebung auch der durch sie mitbedingten Schuld ist ein Christ, anders als der tragische Held, zu aktiver Übernahme v o n Schuld ermächtigt: Seine Teilhabe an der „Vollmacht Jesu Christi zum Leben" nimmt diesem pecca fortiter den Charakter des Tragischen (Lange 417ff.). 3.4. Zur -» Versuchung wird die den Glauben anfechtende Erfahrung des Tragischen dort, w o auch Gottes H a n d e l n in diesen Z u s a m m e n h a n g verflochten erscheint, dunkel, zwiespältig und widersprüchlich. In der Tat gibt die Überwindung des Tragischen, gibt die an der Torheit des Kreuzes erschienene Bundestreue und schöpferische Gerechtigkeit G o t t e s keine „Einheit G o t t e s " (Bonhoeffer 246) an die H a n d , aus der als aus einem personalistischen Prinzip das Tragische ex ante enträtselt werden könnte; die Absicherung vor Tragik im gnostischen - » D u a l i s m u s wäre da konsequenter. Die exemplarisch schon v o n Abraham erfahrene Selbstwidersprüchlichkeit Gottes (Thielicke, Ethik I I / l , §§ 1148 ff.) verleitet zu fragen, o b n i c h t - n o c h - v o n einer „Tragik G o t t e s " (Drewermann 71 ff.; Beyer) zu sprechen wäre. Als einem theoretischen Unternehmen wäre dem, ähnlich w i e den Versuchen der - > T h e o d i z e e , praktisch und bibliodramatisch zu widersprechen, in der N a c h f o l g e der Klage H i o b s gegen Gott vor Gott, ja, des Schreies der Zerrissenheit ( M k 15,34; R o m 7,24; Freund 136ff.) ins unkenntlich g e w o r d e n e Antlitz Gottes. 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Phil. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus. 10. Brief (1795): ders., Hist.-krit. Ausg., Stuttgart, 1/3 1982, 4 7 - 1 1 2 . - Ders., Phil. Unters, über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809): ders., SW, Darmstadt, 1/7 1974, 3 3 1 - 4 1 6 . - Friedrich Schiller, Uber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792); Über tragische Kunst (1792); Vom Erhabenen (1793): ders., Werke u. Briefe. VIII. Theoretische Sehr., hg. v. Otto Dann, Frankfurt a.M. 1992, 2 3 4 - 2 7 5 . 3 9 5 - 4 2 2 . Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille u. Vorstellung I (1819/44) u. II (1844): ders., SW, hg. v. Wolfgang v. Löhneysen, Stuttgart, I 1960, 3 4 0 - 3 5 6 ; II 1960, 5 4 4 - 5 6 2 . - Georg Simmel, Der Begriff u. die Tragödie der Kultur (1911 f.): ders., GA. XIV. Hauptprobleme der Phil. Philosophische Kultur, Frankfurt a.M. 1996, 3 8 5 - 4 1 7 . - George Steiner, Death of Tragedy, New York 1961; dt.: Der Tod der Tragödie, München 1961. - Ders., Antigones, Oxford 1984. - Botho Strauss, Anschwellender Bocksgesang: Der Pfahl, München, 7 (1993) 9 - 25. - Peter Szondi, Versuch über das Tragische, Frankfurt a.M. 1961. - Tertullian, De spectaculis: ed. Marie Turcan, 1986 (SC 332). - Helmut Thielicke, Schuld u. Schicksal. Gedanken eines Christen über das Tragische, Berlin 1936. - Ders., Theol. Ethik, 3 Bde., Tübingen 1951 - 1 9 6 3 . - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1955-1966. - Ders., Liebe, Macht, Gerechtigkeit, Tübingen 1955. - Miguel de Unamuno, Del sentimiento träjico de la vida, Madrid 1913; dt.: Das tragische Lebensgefühl, München 1925. - Alfred Weber, Das Tragische u. die Gesch., Hamburg 1943 München 1959. - Heinrich Weinstock, Die Tragödie des Humanismus. Wahrheit u. Trug im abendländischen Menschenbild, Heidelberg 1953. - Leopold Ziegler, Zur Metaphysik des Tragischen, Leipzig 1902. Literatur Walter Benjamin, Ursprung des dt. Trauerspiels, Berlin 1928. - Uwe Beyer, „Die Tragik Gottes". Ein phil. Komm, zur Theol. Eugen Drewermanns, Würzburg 1995. - Günter Bornkamm, Mensch u. Gott in der griech. Tragödie u. in der urchristl. Botschaft: ders., Das Ende des Gesetzes. GAufs., I 5 1966 (BEvTh 16) 1 7 3 - 1 9 5 . - Jörg Dittmer, Die Katharsis des Oidipus: Richard Riess (Hg.), Abschied v. der Schuld?, Stuttgart 1996 (Theol. Akzente 1) 2 6 - 5 0 . - Klaus Düsing, Die Theorie der Tragödie bei Hölderlin u. Hegel: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hg.), Jenseits des Idealismus, Bonn 1988, 5 5 - 8 2 . - Erika Fischer-Lichte, Art. Tragödie: Literaturlexikon, hg. v. Walther Killy, München, 14 (1993) 4 3 8 - 4 4 5 . - Hellmut Flashar, Art. Katharsis: HWP 4 (1976) 7 8 4 - 7 8 6 (Lit.). - Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorl. über die Neue Mythologie, Frankfurt a.M. 1982. Gerhard Freund, Sünde im Erbe, Stuttgart 1979. - Hans-Georg Gadamer, Prometheus u. die Tragödie der Kultur: ders., KS, Tübingen, II 1967, 6 4 - 7 4 . - Giovanni Giorgio, Nietzsche. Una soteriologia tragica: Ricerche teologiche, Rom, 8 (1997) 4 1 - 6 9 . - Friedrich Hermanni, Gott oder Freiheit?: NZSTh 42 (2000) 1 9 5 - 2 0 8 . - Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum u. Zeit, Stuttgart/ Weimar 2001. - Walter Kaufmann, Tragödie u. Phil., Tübingen 1980. - Dietz Lange, Ethik in ev. Perspektive, Göttingen 1992. - Reinhard Loock, Art. Tragische, das: HWP 10 (1998) 1334-1345 (Lit.). - Wilhelm Lütgert, Die Religion des dt. Idealismus u. ihr Ende. IV. Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1930, 2 2 4 - 2 9 8 . - Ludger Lütkehaus, Art. Pantragismus: HWP 7 (1989) 64f. - Charles T. Mathewes, The Rebirth of Tragedy (Review Article): AthR 97 (1997) 2 5 3 - 2 6 1 . - C a r m e n Morenilla/Bernd Zimmermann (Hg.), Das Tragische, Stuttgart 2000. - Gerhard Nebel, Weltangst u. Götterzorn. Eine Deutung der griech. Tragödie, Stuttgart 1951. - Hugo Rahner, Das christl. Mysterium u. die heidnischen Mysterien: E r j b 11 (1945) 3 4 7 - 4 4 9 . - Heriberto Rubio, Tod u. Tragik bei Heidegger u. Aristoteles, Münster 1989. - Klaus Schuhmacher, Art. Tragik: WdC (1988) 1272f. - Friedrich K. Schumann, Tragik u. christl. Glaube: ders., Wort u. Wirklichkeit, Berlin/Hamburg 1971, 2 5 0 - 261. - Werner Schultz, Die Bedeutung des Tragischen f. das Verstehen der Gesch. bei Hegel u. Goethe: AKuG 38 (1956) 9 2 - 1 1 5 . - Klaus Schwarzwäller, Sünde - Schuld - Fehler: KuD 45 (1999) 2 1 - 4 7 . - Jürgen Söring, Tragische Notwendigkeit u. Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse, Stuttgart 1982. - Orlando Todisco, Tragedia e cristianesimo. Agostino e il platonismo spezzato: Sap. 49 (1996) 3 7 3 - 3 9 6 . Walter Sparn

Traktate -»Erbauungsliteratur Translatio imperii - » K a i s e r t u m und P a p s t t u m , - » R e i c h / R e i c h s i d e e Transplantation

-»Organverpflanzung

Transsubstantiation

-»Abendmahl

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Phil. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus. 10. Brief (1795): ders., Hist.-krit. Ausg., Stuttgart, 1/3 1982, 4 7 - 1 1 2 . - Ders., Phil. Unters, über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809): ders., SW, Darmstadt, 1/7 1974, 3 3 1 - 4 1 6 . - Friedrich Schiller, Uber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792); Über tragische Kunst (1792); Vom Erhabenen (1793): ders., Werke u. Briefe. VIII. Theoretische Sehr., hg. v. Otto Dann, Frankfurt a.M. 1992, 2 3 4 - 2 7 5 . 3 9 5 - 4 2 2 . Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille u. Vorstellung I (1819/44) u. II (1844): ders., SW, hg. v. Wolfgang v. Löhneysen, Stuttgart, I 1960, 3 4 0 - 3 5 6 ; II 1960, 5 4 4 - 5 6 2 . - Georg Simmel, Der Begriff u. die Tragödie der Kultur (1911 f.): ders., GA. XIV. Hauptprobleme der Phil. Philosophische Kultur, Frankfurt a.M. 1996, 3 8 5 - 4 1 7 . - George Steiner, Death of Tragedy, New York 1961; dt.: Der Tod der Tragödie, München 1961. - Ders., Antigones, Oxford 1984. - Botho Strauss, Anschwellender Bocksgesang: Der Pfahl, München, 7 (1993) 9 - 25. - Peter Szondi, Versuch über das Tragische, Frankfurt a.M. 1961. - Tertullian, De spectaculis: ed. Marie Turcan, 1986 (SC 332). - Helmut Thielicke, Schuld u. Schicksal. Gedanken eines Christen über das Tragische, Berlin 1936. - Ders., Theol. Ethik, 3 Bde., Tübingen 1951 - 1 9 6 3 . - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1955-1966. - Ders., Liebe, Macht, Gerechtigkeit, Tübingen 1955. - Miguel de Unamuno, Del sentimiento träjico de la vida, Madrid 1913; dt.: Das tragische Lebensgefühl, München 1925. - Alfred Weber, Das Tragische u. die Gesch., Hamburg 1943 München 1959. - Heinrich Weinstock, Die Tragödie des Humanismus. Wahrheit u. Trug im abendländischen Menschenbild, Heidelberg 1953. - Leopold Ziegler, Zur Metaphysik des Tragischen, Leipzig 1902. Literatur Walter Benjamin, Ursprung des dt. Trauerspiels, Berlin 1928. - Uwe Beyer, „Die Tragik Gottes". Ein phil. Komm, zur Theol. Eugen Drewermanns, Würzburg 1995. - Günter Bornkamm, Mensch u. Gott in der griech. Tragödie u. in der urchristl. Botschaft: ders., Das Ende des Gesetzes. GAufs., I 5 1966 (BEvTh 16) 1 7 3 - 1 9 5 . - Jörg Dittmer, Die Katharsis des Oidipus: Richard Riess (Hg.), Abschied v. der Schuld?, Stuttgart 1996 (Theol. Akzente 1) 2 6 - 5 0 . - Klaus Düsing, Die Theorie der Tragödie bei Hölderlin u. Hegel: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hg.), Jenseits des Idealismus, Bonn 1988, 5 5 - 8 2 . - Erika Fischer-Lichte, Art. Tragödie: Literaturlexikon, hg. v. Walther Killy, München, 14 (1993) 4 3 8 - 4 4 5 . - Hellmut Flashar, Art. Katharsis: HWP 4 (1976) 7 8 4 - 7 8 6 (Lit.). - Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorl. über die Neue Mythologie, Frankfurt a.M. 1982. Gerhard Freund, Sünde im Erbe, Stuttgart 1979. - Hans-Georg Gadamer, Prometheus u. die Tragödie der Kultur: ders., KS, Tübingen, II 1967, 6 4 - 7 4 . - Giovanni Giorgio, Nietzsche. Una soteriologia tragica: Ricerche teologiche, Rom, 8 (1997) 4 1 - 6 9 . - Friedrich Hermanni, Gott oder Freiheit?: NZSTh 42 (2000) 1 9 5 - 2 0 8 . - Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum u. Zeit, Stuttgart/ Weimar 2001. - Walter Kaufmann, Tragödie u. Phil., Tübingen 1980. - Dietz Lange, Ethik in ev. Perspektive, Göttingen 1992. - Reinhard Loock, Art. Tragische, das: HWP 10 (1998) 1334-1345 (Lit.). - Wilhelm Lütgert, Die Religion des dt. Idealismus u. ihr Ende. IV. Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1930, 2 2 4 - 2 9 8 . - Ludger Lütkehaus, Art. Pantragismus: HWP 7 (1989) 64f. - Charles T. Mathewes, The Rebirth of Tragedy (Review Article): AthR 97 (1997) 2 5 3 - 2 6 1 . - C a r m e n Morenilla/Bernd Zimmermann (Hg.), Das Tragische, Stuttgart 2000. - Gerhard Nebel, Weltangst u. Götterzorn. Eine Deutung der griech. Tragödie, Stuttgart 1951. - Hugo Rahner, Das christl. Mysterium u. die heidnischen Mysterien: E r j b 11 (1945) 3 4 7 - 4 4 9 . - Heriberto Rubio, Tod u. Tragik bei Heidegger u. Aristoteles, Münster 1989. - Klaus Schuhmacher, Art. Tragik: WdC (1988) 1272f. - Friedrich K. Schumann, Tragik u. christl. Glaube: ders., Wort u. Wirklichkeit, Berlin/Hamburg 1971, 2 5 0 - 261. - Werner Schultz, Die Bedeutung des Tragischen f. das Verstehen der Gesch. bei Hegel u. Goethe: AKuG 38 (1956) 9 2 - 1 1 5 . - Klaus Schwarzwäller, Sünde - Schuld - Fehler: KuD 45 (1999) 2 1 - 4 7 . - Jürgen Söring, Tragische Notwendigkeit u. Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse, Stuttgart 1982. - Orlando Todisco, Tragedia e cristianesimo. Agostino e il platonismo spezzato: Sap. 49 (1996) 3 7 3 - 3 9 6 . Walter Sparn

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Phil. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus. 10. Brief (1795): ders., Hist.-krit. Ausg., Stuttgart, 1/3 1982, 4 7 - 1 1 2 . - Ders., Phil. Unters, über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809): ders., SW, Darmstadt, 1/7 1974, 3 3 1 - 4 1 6 . - Friedrich Schiller, Uber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792); Über tragische Kunst (1792); Vom Erhabenen (1793): ders., Werke u. Briefe. VIII. Theoretische Sehr., hg. v. Otto Dann, Frankfurt a.M. 1992, 2 3 4 - 2 7 5 . 3 9 5 - 4 2 2 . Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille u. Vorstellung I (1819/44) u. II (1844): ders., SW, hg. v. Wolfgang v. Löhneysen, Stuttgart, I 1960, 3 4 0 - 3 5 6 ; II 1960, 5 4 4 - 5 6 2 . - Georg Simmel, Der Begriff u. die Tragödie der Kultur (1911 f.): ders., GA. XIV. Hauptprobleme der Phil. Philosophische Kultur, Frankfurt a.M. 1996, 3 8 5 - 4 1 7 . - George Steiner, Death of Tragedy, New York 1961; dt.: Der Tod der Tragödie, München 1961. - Ders., Antigones, Oxford 1984. - Botho Strauss, Anschwellender Bocksgesang: Der Pfahl, München, 7 (1993) 9 - 25. - Peter Szondi, Versuch über das Tragische, Frankfurt a.M. 1961. - Tertullian, De spectaculis: ed. Marie Turcan, 1986 (SC 332). - Helmut Thielicke, Schuld u. Schicksal. Gedanken eines Christen über das Tragische, Berlin 1936. - Ders., Theol. Ethik, 3 Bde., Tübingen 1951 - 1 9 6 3 . - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1955-1966. - Ders., Liebe, Macht, Gerechtigkeit, Tübingen 1955. - Miguel de Unamuno, Del sentimiento träjico de la vida, Madrid 1913; dt.: Das tragische Lebensgefühl, München 1925. - Alfred Weber, Das Tragische u. die Gesch., Hamburg 1943 München 1959. - Heinrich Weinstock, Die Tragödie des Humanismus. Wahrheit u. Trug im abendländischen Menschenbild, Heidelberg 1953. - Leopold Ziegler, Zur Metaphysik des Tragischen, Leipzig 1902. Literatur Walter Benjamin, Ursprung des dt. Trauerspiels, Berlin 1928. - Uwe Beyer, „Die Tragik Gottes". Ein phil. Komm, zur Theol. Eugen Drewermanns, Würzburg 1995. - Günter Bornkamm, Mensch u. Gott in der griech. Tragödie u. in der urchristl. Botschaft: ders., Das Ende des Gesetzes. GAufs., I 5 1966 (BEvTh 16) 1 7 3 - 1 9 5 . - Jörg Dittmer, Die Katharsis des Oidipus: Richard Riess (Hg.), Abschied v. der Schuld?, Stuttgart 1996 (Theol. Akzente 1) 2 6 - 5 0 . - Klaus Düsing, Die Theorie der Tragödie bei Hölderlin u. Hegel: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hg.), Jenseits des Idealismus, Bonn 1988, 5 5 - 8 2 . - Erika Fischer-Lichte, Art. Tragödie: Literaturlexikon, hg. v. Walther Killy, München, 14 (1993) 4 3 8 - 4 4 5 . - Hellmut Flashar, Art. Katharsis: HWP 4 (1976) 7 8 4 - 7 8 6 (Lit.). - Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorl. über die Neue Mythologie, Frankfurt a.M. 1982. Gerhard Freund, Sünde im Erbe, Stuttgart 1979. - Hans-Georg Gadamer, Prometheus u. die Tragödie der Kultur: ders., KS, Tübingen, II 1967, 6 4 - 7 4 . - Giovanni Giorgio, Nietzsche. Una soteriologia tragica: Ricerche teologiche, Rom, 8 (1997) 4 1 - 6 9 . - Friedrich Hermanni, Gott oder Freiheit?: NZSTh 42 (2000) 1 9 5 - 2 0 8 . - Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum u. Zeit, Stuttgart/ Weimar 2001. - Walter Kaufmann, Tragödie u. Phil., Tübingen 1980. - Dietz Lange, Ethik in ev. Perspektive, Göttingen 1992. - Reinhard Loock, Art. Tragische, das: HWP 10 (1998) 1334-1345 (Lit.). - Wilhelm Lütgert, Die Religion des dt. Idealismus u. ihr Ende. IV. Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1930, 2 2 4 - 2 9 8 . - Ludger Lütkehaus, Art. Pantragismus: HWP 7 (1989) 64f. - Charles T. Mathewes, The Rebirth of Tragedy (Review Article): AthR 97 (1997) 2 5 3 - 2 6 1 . - C a r m e n Morenilla/Bernd Zimmermann (Hg.), Das Tragische, Stuttgart 2000. - Gerhard Nebel, Weltangst u. Götterzorn. Eine Deutung der griech. Tragödie, Stuttgart 1951. - Hugo Rahner, Das christl. Mysterium u. die heidnischen Mysterien: E r j b 11 (1945) 3 4 7 - 4 4 9 . - Heriberto Rubio, Tod u. Tragik bei Heidegger u. Aristoteles, Münster 1989. - Klaus Schuhmacher, Art. Tragik: WdC (1988) 1272f. - Friedrich K. Schumann, Tragik u. christl. Glaube: ders., Wort u. Wirklichkeit, Berlin/Hamburg 1971, 2 5 0 - 261. - Werner Schultz, Die Bedeutung des Tragischen f. das Verstehen der Gesch. bei Hegel u. Goethe: AKuG 38 (1956) 9 2 - 1 1 5 . - Klaus Schwarzwäller, Sünde - Schuld - Fehler: KuD 45 (1999) 2 1 - 4 7 . - Jürgen Söring, Tragische Notwendigkeit u. Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse, Stuttgart 1982. - Orlando Todisco, Tragedia e cristianesimo. Agostino e il platonismo spezzato: Sap. 49 (1996) 3 7 3 - 3 9 6 . Walter Sparn

Traktate -»Erbauungsliteratur Translatio imperii - » K a i s e r t u m und P a p s t t u m , - » R e i c h / R e i c h s i d e e Transplantation

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Phil. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus. 10. Brief (1795): ders., Hist.-krit. Ausg., Stuttgart, 1/3 1982, 4 7 - 1 1 2 . - Ders., Phil. Unters, über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809): ders., SW, Darmstadt, 1/7 1974, 3 3 1 - 4 1 6 . - Friedrich Schiller, Uber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792); Über tragische Kunst (1792); Vom Erhabenen (1793): ders., Werke u. Briefe. VIII. Theoretische Sehr., hg. v. Otto Dann, Frankfurt a.M. 1992, 2 3 4 - 2 7 5 . 3 9 5 - 4 2 2 . Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille u. Vorstellung I (1819/44) u. II (1844): ders., SW, hg. v. Wolfgang v. Löhneysen, Stuttgart, I 1960, 3 4 0 - 3 5 6 ; II 1960, 5 4 4 - 5 6 2 . - Georg Simmel, Der Begriff u. die Tragödie der Kultur (1911 f.): ders., GA. XIV. Hauptprobleme der Phil. Philosophische Kultur, Frankfurt a.M. 1996, 3 8 5 - 4 1 7 . - George Steiner, Death of Tragedy, New York 1961; dt.: Der Tod der Tragödie, München 1961. - Ders., Antigones, Oxford 1984. - Botho Strauss, Anschwellender Bocksgesang: Der Pfahl, München, 7 (1993) 9 - 25. - Peter Szondi, Versuch über das Tragische, Frankfurt a.M. 1961. - Tertullian, De spectaculis: ed. Marie Turcan, 1986 (SC 332). - Helmut Thielicke, Schuld u. Schicksal. Gedanken eines Christen über das Tragische, Berlin 1936. - Ders., Theol. Ethik, 3 Bde., Tübingen 1951 - 1 9 6 3 . - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1955-1966. - Ders., Liebe, Macht, Gerechtigkeit, Tübingen 1955. - Miguel de Unamuno, Del sentimiento träjico de la vida, Madrid 1913; dt.: Das tragische Lebensgefühl, München 1925. - Alfred Weber, Das Tragische u. die Gesch., Hamburg 1943 München 1959. - Heinrich Weinstock, Die Tragödie des Humanismus. Wahrheit u. Trug im abendländischen Menschenbild, Heidelberg 1953. - Leopold Ziegler, Zur Metaphysik des Tragischen, Leipzig 1902. Literatur Walter Benjamin, Ursprung des dt. Trauerspiels, Berlin 1928. - Uwe Beyer, „Die Tragik Gottes". Ein phil. Komm, zur Theol. Eugen Drewermanns, Würzburg 1995. - Günter Bornkamm, Mensch u. Gott in der griech. Tragödie u. in der urchristl. Botschaft: ders., Das Ende des Gesetzes. GAufs., I 5 1966 (BEvTh 16) 1 7 3 - 1 9 5 . - Jörg Dittmer, Die Katharsis des Oidipus: Richard Riess (Hg.), Abschied v. der Schuld?, Stuttgart 1996 (Theol. Akzente 1) 2 6 - 5 0 . - Klaus Düsing, Die Theorie der Tragödie bei Hölderlin u. Hegel: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hg.), Jenseits des Idealismus, Bonn 1988, 5 5 - 8 2 . - Erika Fischer-Lichte, Art. Tragödie: Literaturlexikon, hg. v. Walther Killy, München, 14 (1993) 4 3 8 - 4 4 5 . - Hellmut Flashar, Art. Katharsis: HWP 4 (1976) 7 8 4 - 7 8 6 (Lit.). - Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorl. über die Neue Mythologie, Frankfurt a.M. 1982. Gerhard Freund, Sünde im Erbe, Stuttgart 1979. - Hans-Georg Gadamer, Prometheus u. die Tragödie der Kultur: ders., KS, Tübingen, II 1967, 6 4 - 7 4 . - Giovanni Giorgio, Nietzsche. Una soteriologia tragica: Ricerche teologiche, Rom, 8 (1997) 4 1 - 6 9 . - Friedrich Hermanni, Gott oder Freiheit?: NZSTh 42 (2000) 1 9 5 - 2 0 8 . - Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum u. Zeit, Stuttgart/ Weimar 2001. - Walter Kaufmann, Tragödie u. Phil., Tübingen 1980. - Dietz Lange, Ethik in ev. Perspektive, Göttingen 1992. - Reinhard Loock, Art. Tragische, das: HWP 10 (1998) 1334-1345 (Lit.). - Wilhelm Lütgert, Die Religion des dt. Idealismus u. ihr Ende. IV. Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1930, 2 2 4 - 2 9 8 . - Ludger Lütkehaus, Art. Pantragismus: HWP 7 (1989) 64f. - Charles T. Mathewes, The Rebirth of Tragedy (Review Article): AthR 97 (1997) 2 5 3 - 2 6 1 . - C a r m e n Morenilla/Bernd Zimmermann (Hg.), Das Tragische, Stuttgart 2000. - Gerhard Nebel, Weltangst u. Götterzorn. Eine Deutung der griech. Tragödie, Stuttgart 1951. - Hugo Rahner, Das christl. Mysterium u. die heidnischen Mysterien: E r j b 11 (1945) 3 4 7 - 4 4 9 . - Heriberto Rubio, Tod u. Tragik bei Heidegger u. Aristoteles, Münster 1989. - Klaus Schuhmacher, Art. Tragik: WdC (1988) 1272f. - Friedrich K. Schumann, Tragik u. christl. Glaube: ders., Wort u. Wirklichkeit, Berlin/Hamburg 1971, 2 5 0 - 261. - Werner Schultz, Die Bedeutung des Tragischen f. das Verstehen der Gesch. bei Hegel u. Goethe: AKuG 38 (1956) 9 2 - 1 1 5 . - Klaus Schwarzwäller, Sünde - Schuld - Fehler: KuD 45 (1999) 2 1 - 4 7 . - Jürgen Söring, Tragische Notwendigkeit u. Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse, Stuttgart 1982. - Orlando Todisco, Tragedia e cristianesimo. Agostino e il platonismo spezzato: Sap. 49 (1996) 3 7 3 - 3 9 6 . Walter Sparn

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T r a g i k / T r a g ö d i e II

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Traktate -»Erbauungsliteratur Translatio imperii - » K a i s e r t u m und P a p s t t u m , - » R e i c h / R e i c h s i d e e Transplantation

-»Organverpflanzung

Transsubstantiation

-»Abendmahl

Transzendentalphilosophie

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Transzendentalphilosophie 1. Geschichtliche Neuentwürfe 2. Ein sachproblematischer Überblick künftige Aufgaben und Entwicklungen (Literatur S. 7 6 7 )

3. Ausblick auf zu-

Die relevante Begriffs- und Problemgeschichte wird hier in Gestalt der betreffenden Artikel (-•Fichte; -»Hegel/Hegelianismus; -»Husserl; -»Idealismus; - » K a n t / N e u k a n t i a n i s m u s ; -•Phänomenologie; —•Schölling) vorausgesetzt. Sie ist zu ergänzen durch (1.) geschichtliche Hinweise auf sog. Nebenentwicklungen und jüngere Neuentwürfe, (2.) durch einen Sacheinblick im Sinne jüngster Neuentwürfe sowie (3.) einen Ausblick auf zukünftige Aufgaben und Entwicklungen.

1. Geschichtliche

Neuentwürfe

Es war J . Maréchal (—»Scholastik II.2.3.1.), der erstmals versuchte, den Kantischen Begriff der Bedingung der Möglichkeit im Sinne einer heuristischen Methode auf Theoreme -»Thomas von Aquinos anzuwenden, um so zu einer kritisch begründeten (scholastisch orientierten) -»Ontologie zu gelangen. Durch Einbeziehung ausgewählter Aspekte von -»Heideggers Fundamentalontologie wurde dieser Ansatz von K. -»Rahner, J.B. Lötz, M. Müller und H. Krings jeweils charakteristisch erweitert. Die französische (A. Marc) und spanische (J.G. Caffarena) Wirkungsgeschichte Maréchals blieb dagegen eher historistisch begrenzt. Wirkmächtiger waren vom Spätkantianismus Richard Hönigswalds (1875-1947) u.a. ausgehende (H. Wagner) sowie von der Phänomenologie mitbeeinflußte (W. Cramer) Versuche einer Überwindung der (neu-)kantianischen Engführung des kritischen Anliegens. Während Wagner einen Neuzugang zu einer Philosophie des wahrheits- und werttheoretischen An-Sich auf geltungsthematischer Grundlage zu gewinnen sucht, bemühte Cramer sich um eine Neubegründung der Ontologie auf der Basis einer erkenntnis-explikativen Prinzipienreflexion. Beide Male wird ein apriori fundierter Ermöglichungsbegriff systemkonstitutiv. Größere Aktualität erlangte die Fragestellung von Seiten der vor allem von angelsächsischer Seite geführten Diskussion um sog. transzendentale Argumente innerhalb der jüngeren Realismusdebatte (-»Realismus). Der Frageansatz P.F. Strawsons benutzt dabei „terminologisch" die Kantische Verfahrensweise, jedoch von einem auf empirische Gegenstandskonstitution eingegrenzten Blickwinkel aus. Die Kritik z. B. von S. Körner, B. Stroud, P.M. Hacker u.a. tendiert folgerichtig auf den Nachweis der Überflüssigkeit von Strawsons Ansatz; oder aber sie zielt auf den Nachweis von Defiziten im Problembewußtsein, sei es hinsichtlich des „historischen" Kant (so z.B. J. Hintikka), sei es im Blick auf die richtig zu verstehende Methode (H.L. Ruf). Es liegt dabei an der empiristischen (-»Empirismus) Grundeinstellung Strawsons, daß der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, es handle sich bei seiner Argumentationsweise gar nicht um eine Reflexion auf streng transzendentale, sondern um den Grenzfall einer solchen Reflexion auf „physische" Möglichkeitsbedingungen bzw. um einen Fall von, vielleicht abduktiver, Verifikation. Die Problematik wurde im Sinne einer Kategorialanalyse, zum Teil auch von deutscher Seite (R. Aschenberg u.a.), weitergeführt; Fragen einer nicht zu umgehenden Selbstbezüglichkeit (Autoreferenz) betreffs der Methode blieben dabei insgesamt strittig, ebenso wie die notwendige und hinreichende Widerlegungsstrategie eines einschlägigen Skeptizismus (R. Rorty). K.O. Apels Transzendentalpragmatik kontraargumentiert auf dem Boden einer dialogischen Logik durch Aufweis „stillschweigend" im voraus anzuerkennender Argumentations-Konsense, ohne welche, auch für den Skeptiker, jedweder Diskurs sinnlos würde. Kritisch gesehen dürfte es sich hierbei eher um eine Ausweitung der Funktionsweise der -»Goldenen Regel auf theoretische Kontexte, also um die Variante eines konsenstheoretischen -»Pragmatismus, handeln. Jüngste Entwürfe, die u.a. auch auf die Überwindung der beschriebenen Problemverengung abzielen, wurden von W. Flach, H. Holz, P. Rohs, H.D. Klein, W. Marx und K.W. Zeidler vorgelegt. Flach vertieft das postneukantianische Anliegen einer zureichenden Prinzipienlehre unter dem Generaltitel von Bestimmtheit durch ein funktionales

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Bedingungsgefüge, das Anregungen u.a. von Kant, dem Deutschen Idealismus und des (objekttheoretisch orientierten: Bruno Bauch [ 1 8 7 7 - 1 9 4 2 ] u.a.) Neukantianismus integriert. Holz verallgemeinert und vertieft die Ermöglichungsfrage, indem er - in Anknüpfung besonders an Fichtes und Schellings Problematisierung des transzendentalen Problemfeldes sowie mit einer systematischen Orientierung an grundlegenden Fragestellungen von —»Leibniz - als umfassenden und letztfundierenden Horizont unseres gesamten Fragen- und Wissenkönnens subsistente Relationalität, auf der Basis von „Auto-Perform a n z " , aufweist. Rohs versucht in Anknüpfung auch an den Kantischen Systementwurf sowie im Blick auf -»Spinozas Basis-Problematik, den naturwissenschaftlichen Erkenntnisbereich und die Sphäre praktisch-transzendentaler Vernunft als Komplementarien von transzendental-diskursiver und zugleich intuitiver Zeitlichkeit zu synthetisieren. Klein zielt auf eine kritisch hinterfragende Neufundierung von Ontologie ab, wobei der methodologisch kritische Boden durch transzendentale Reflexion eines umfassenden und elementaren zeichenpragmatischen Horizonts gewonnen wird. Ein wichtiges Anliegen von Ch.S. ->Peirce erscheint so im Ansatz in die transzendentale Thematik integriert. M a r x entwickelt im Rückgriff u.a. auf neukantianische Denkansätze (Hermann Cohen [ 1 8 4 2 - 1 9 1 8 ] ) Reflexivität als Ermöglichungsboden von sowohl subjektiven Interessensgefügen wie auch von transsubjektiver Systematik. Zeidler endlich analysiert die interne Selbstwidersprüchlichkeit zeitgenössischer Wissenschaftstheorien auf ihre verborgenen Voraussetzungen im Sinne einer formal-transzendentalen Logik hin. 2. Ein sachproblematischer

Überblick

Als Grundfrage aller Transzendentalphilosophie kann formuliert werden: wie etwas (ein Sachverhalt) aufgrund seines (eigenen) „Wesens-Was" zum Übertritt in einen anderen Zustand - meistens von Möglichkeit zu Wirklichkeit - ermöglicht wird. Die weitere Ausformung einer zureichenden Antwort hängt sodann zum einen von der gehaltlichen (noematischen) Bestimmung dieses „ e t w a s " (des „Sachverhalts") ab; zum anderen ist der Begriff besagter „Ermöglichung" zu thematisieren. Besagte Noematik umfaßt verschiedene Anwendungsmuster wie Variable: (a) z. B. rein sinnenhafte Anschaulichkeit (oder individúale Körperlichkeit: so die empiristische Einstellung), (b) Erfahrungs-Gegenständlichkeit für Natur- (so z. B. im Marburger Neukantianismus) oder (c) für Kulturwissenschaften (so im badischen Neukantianismus), (d) beides zusammen nebst einer moralischen Grundhaltung (so bei Kant selbst), (e) eben letzteres Prinzipiengesamt, mit Ausnahme der Moral, als erkenntnismäßig fremd-/ selbstbezüglich (Deutsche Idealisten): Alle genannten (nicht erschöpfend aufgezählten) Wasgehalte lassen somit die oben formulierte Grundfrage als einen ihr Eigensein bzw. ihr Eigenwesen, ihre Eigenstruktur nichtfremdbezüglich betreffenden Begründungsrahmen zu. (Man sieht übrigens, wie Kant mit seinem Ansatz einen speziellen Unterfall eines allgemeineren Schemas darstellt. M i t Blick auf die philosophische Tradition ließe sich weiter zeigen, daß es zumindest eine, methodologisch noch nicht im neuzeitlichmodernen Begriff voll durchreflektierte, Vorform, etwa in Gestalt des Begriffs einer sog. „ F o r m a l - " bzw. „Exemplar-Ursächlichkeit" u.ä., gegeben hat. Damit ginge der Gedanke letztlich auf platonische Wurzeln zurück.) Damit bestimmt sich die Art und Weise solcher Begründung auf der Sachverhaltsseite als primordial nicht wirk- oder zielursächlich bzw. a fortiori nicht als unter deskriptionsorientierte Erklärungen und dergleichen subsumierbar. Folgerichtig erscheint auch die logische Form einer derartigen Erkenntnisweise weder (in Kantischer Sprache) als synthetisch aposteriori noch als analytisch, sondern als synthetisch strukturiert, jedoch so, daß das Synthese-Prinzip selber von nichttautologischer Selbstbezüglichkeit, also (in gleicher Ausdrucksweise) apriori, ist. Der Ermöglichungsbegriff, sei es als Bedingung oder als Grund (der Möglichkeit von etwas), darf deshalb nicht ohne weiteres mit dem modallogischen Modus („möglich") gleichgesetzt werden, da es durchaus sein kann, daß etwas auch in seiner eigentümlichen Modalität, sei es primär logisch, sei es sachtheoretisch - d.h. möglich (im engeren Sinne) bzw. auch „kontingent", notwendig, tat-

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sächlich (in herkömmlicher Sprache: wirklich) - als ermöglicht erkannt, gedacht werden kann (-•Kontingenz). Die Irrelevanz eines transzendentalen Begründungsverhältnisses betreffs eines metaphysisch (oder gar ontologisch) durch sich selbst Notwendigen für unsere Problematik einmal angenommen, so ergibt sich als weitere sinnvolle Frage die nach der Abschließbarkeit eines Begründungsverhältnisses, wie skizziert. Der so erdenkliche rein logische regressus in infinitum erscheint argumentationstheoretisch als das Problem, ob ein Begründungsverhältnis stets und grundsätzlich auf ein anderes seinesgleichen zu verweisen habe oder ob sich etwa ein widerspruchsfreies Selbstverhältnis in der Begründungsdynamik denken lasse. (Die dritte Variante des sog. Münchhausen-Trilemmas, der bewußte Abbruch, ist hier ohne Belang.) In der Tat läßt sich genanntes Trilemma als für unsere Thematik unzureichend aufweisen. Das hier relevant werdende besondere Denkverfahren arbeitet allerdings mit Hilfe eines besonderen Schluß- bzw., damit engstens verknüpft, Evidenzverfahrens (operativer Art), das beweistheoretisch weder als deduktiv noch (erst recht) als induktiv noch auch als (traditionell) abduktiv gekennzeichnet werden kann. Es wird vielmehr versuchsweise einmal der problematischste gegenteilige Fall angenommen, daß nämlich (a) bloßes Möglichsein - womit ja immer und grundsätzlich auch sein „Anderes" (das „nicht möglich") mitgesetzt ist - als geltungsmäßige Letztinstanz schlechthin gesetzt wird. Damit ist dann unmittelbar identisch der Sach- (oder besser: Denk-)Verhalt gesetzt, daß ein derartiges So-oder-anders-sein-(sich-verhalten-)Können eben als ein solches, und zwar z. B. als nicht austausch-, auswechselbar mit Notwendigem bzw. Unmöglichem (als solchem), gesetzt ist. Eben damit aber hat es den Charakter eines in sich Selbstbezüglichen, und zwar dies notwendigerweise. Noch anders formuliert: Mögliches, insofern möglich(-es), ist bzw. gilt - eben darin - notwendig(-erweise). Das Gleiche ergibt sich, wofern man (b) für „möglich" das Prädikat „beliebig" einsetzt: Beliebiges, bzw. stärker: alles beliebigerweise, insofern eben dies, ist oder vermeint gerade nicht nur und ausschließlich Beliebiges bzw. ein universal-intentionales „beliebigerweise", sondern erzeigt bzw. „entbirgt" als sachunmittelbar in eben diesem Verhältnis geltungsimmanent vorausgesetzt ein ,,notwendig"(-erweise). Eins jedenfalls ist mit dem Dargelegten unbedingterweise klar: Besagte immanent-explikative Notwendigkeit ist nichts, was irgendwie „von außen" dazukäme. Sie ist aber auch für sich selbst nichts, was nach dem Begriffsmuster von Gegenständlichkeit oder gar Dinghaftigkeit zu denken wäre, etwa als ob damit nur eine Variante des Möglichen oder Beliebigen (sozusagen: nur anders) vorgestellt würde. Die hier durchgeführte Modalmethode ist demnach kein übliches logisches Schlußverfahren derart, daß betreffs der intentionalen Terme ein von ihnen grundsätzlich unterschiedenes - naiverweise (?) gültiges - Operationsschema vollzogen (auf sie angewandt) würde. Vielmehr wird der allgemeinstmögliche und meistnegative Möglichkeitsfall, in welcher Formulierung auch immer, in seinem (Mindest-)Anspruch als solcher genommen: Eben damit ist Nicht-Beliebigkeit bzw. reine Nicht-Negativität unausweichlicherweise, damit notwendigerweise eingetreten. Nicht also um das bloße Faktum, daß dies oder jenes für irgendein Bewußtsein vorliegt oder dergleichen, geht es, sondern um den Selbsterweis einer jeglicher Negativität implizierten Intentionalität als solcher: von ungegenständlicher bzw. streng formaler Art. Strukturell läßt sich die so befolgte Methode, (a) in ihrer negierenden Form, als kontraskeptischer Inversions- oder Umkehrschluß charakterisieren: „Obgleich alles . . . nicht, so doch nicht, daß . . . eben dies . . . n i c h t . . . " ; (b) in affirmierender Form liegt der vorerörterte Fall intentionaler Koinzidenz der Unmöglichkeit von komprehensiver Negativität mit der Notwendigkeit rein formaler Mindestpositivität vor. Es wäre daher ganz falsch und irreführend, wollte man hier mit Mitteln einer von anderswoher (schon) etablierten Logik, etwa mit Hilfe des Grundsatzes vom ausgeschlossenen Dritten u.ä., arbeiten; denn dabei würde gerade vorausgesetzt, was erst zu begründen wäre. Methodologisch läge hier der Grenzfall einer Schlußlogik überhaupt vor, insofern die operativevidente geltungsmodale, d.h. auf Unmöglichkeit bzw. Notwendigkeit abstellende, Stringenz aus der Selbstvollzüglichkeit der Schließens-Einsicht selbst resultiert. Von der so bestimmten Position läßt sich sodann in stringenten Folgeschritten jegliche übrige Logikstrukturation, zunächst freilich stets und grundsätzlich unter Geltungsrücksichten, ausweisen bzw. ableiten. Dies geschieht systempragmatisch durch schrittweise Selbstanwendung des je neu Erreichten auf das Gesamt der bisherigen Ergebnisse. Skizzenhaft ergäbe dies z. B. bei Einsetzung weiter bestimmbarer Terme (A, B bzw. p, q usw.) für jene Erst- oder Allprädikation sowie entsprechender formallogischer Ausdrücke (Funktoren u.ä.) für die Stringenz-Zusammenhänge jener wahrheitsstrategischen Basiskonstellation und entsprechenden Vergleichsreflexionen die Ermöglichung der Grundaxiome der Aussagen-, der Prädikaten-, der Relationenlogik (letzteres im engeren Sinne) usw. Die Aussage- bzw. Prädikationsmodi der Operatoren „insofern", „nicht", „oder", „und" usw. sind auf solche Weise, vorrangig freilich fundamental-intensionalistisch, entwerfbar. Ebenso erscheint Mehrwertigkeit, auf gleich intensionaler Ebene, in dieser Konstitutionsperspektive eingeschlossen: So würde z. B. der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ergänzbar durch Sätze eines ausgeschlossenen Vierten, Fünften usw.

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Hinsichtlich des zuvor in der Basisreflexion erörterten Notwendigkeitsbegriffs wäre es im übrigen ein Mißverständnis, sie im Sinne e t w a eines hegelianisierenden M o d u s - z. B. als Attribut „der Selbstbewegung der I d e e " o . ä . - zu verstehen. Z w a r liegt gewiß in G e s t a l t besagter BasisR e f l e x i o n auch eine F o r m intellektiver Bewegung vor: und zwar Selbstbewegung des D e n k e n s als seine eigene Protogenesis; d o c h ist diese gerade wegen ihrer protologischen F o r m a l i t ä t zugleich im Blick auf mögliche inhaltliche Konstitutionsstrategien völlig „ f r e i " . D a m i t ergäbe sich betreffs der Anwendung auf ein bestimmteres „ I c h " bzw. Ich-Bewußtsein mitsamt der diesem eigentümlichen Gegenwärtigkeit eine systematisch nachgeordnete Stelle, wenngleich ihm eine innerhalb des H o r i z o n t s von Inhaltlichkeit privilegierte Position zukäme. (Problemgeschichtlich hat sich freilich unsere T h e m a t i k bekanntlich an dieser Stelle erstmals festgemacht: Schon bei -»Augustin und —»Descartes heißt es sinngemäß: „ A u c h wenn alles zweifelhaft ist: daß ich zweifle, ist - eben darin - unmöglich z w e i f e l h a f t . " ) I m Z u g e des transzendentalen D e n k a n s a t z e s ließe sich ein Z u g a n g zu bestimmterer Gegenständlichkeit sodann z. B. durch T r a n s f o r m a t i o n des ursprünglich von - » A n s e l m von Canterbury formulierten Arguments gewinnen: W i e läßt sich ein O b j e k t erreichen, das „geltungsmäßig sicherer nicht gewußt w e r d e n " k a n n ? M ü h e l o s lassen sich die konstitutionsrelevanten G e d a n k e n g ä n g e von Kant (sowie z. B . von H . L . R u f u.a.) als Schritte zur kriteriologisch abgesicherten Ermöglichung unserer Gegenstandswelt, bis hin zu jeweiliger Anschaulichkeit, in den zuvor gezeichneten systematischen R a h m e n einordnen. Allerdings wird der primordial durch geltungslogisch reine Selbstbezüglichkeit g e w o n n e n e G e w i ß h e i t s - , Wahrheits- (und Wert- oder Sinnsetzungs-)Boden nunmehr schrittweise durch zunehmende Integrierung von fremdbezüglichen Konstitutionsleistungen ausgeweitet.

In anderer Richtung freilich versagt die Anselmianische Beweisführung: Vermittels des Begriffs von „etwas, das größer nicht gedacht werden k a n n " , läßt sich keinerlei inhaltlich in sich selbst bestimmtere Gegenständlichkeit von strikter Transzendenz, z. B. unter dem Namen „ G o t t " , eruieren, denn der Quasi-Operator „größer als" ist rein formaler Art. 3. Ausblick

auf zukünftige

Aufgaben

und

Entwicklungen

Bei Kant diente die transzendentale Sichtung der —»Philosophie einer kritischen Erneuerung der -»Metaphysik. Bei seinen Nachfolgern Fichte und Schelling rückte Transzendentalphilosophie in die Stelle einer - nunmehr frei gewordenen - Ersten Philosophie ein. Deren weitere Geschichte verlief sodann hauptsächlich im deutschsprachigen Raum, zunächst als kritisch gewordene Wissenschaftsphilosophie im Neukantianismus, als transempirisch orientierte Bewußtseinsphilosophie in der Phänomenologie sowie, versuchsweise, als Erneuerung kategorialer Ontologie (Nicolai Hartmann [ 1 8 8 2 - 1 9 5 0 ] ) , Metaphysik (Peter Wust [ 1 8 8 4 - 1 9 4 0 ] ) oder auch unter dem Titel einer allgemeinen, freilich in der Durchführung stets mysteriöser werdenden Seinsphilosophie (Heidegger). (Die jüngste Phase wurde oben unter 1. behandelt.) Fragt man nach einer für die Zukunft maßgeblichen Aufgabe des transzendentalphilosophischen Gesichtspunktes, so dürfte zuvorderst die Wahrung eines entsprechenden, problemgeschichtlich ausgewiesenen wie auch sachlich, nämlich im Dialog mit den je bedeutsamsten Sachfragen der Gegenwart sich bewährenden, Problembewußtseins stehen, z. B. einer methodologischen und sachthematischen Systematik der - deskriptionistisch verbotenen - „ W a r u m - " und „Wozu-Fragen". Dies schließt die programmatische Offenheit für jegliche nicht formal-kontradiktorisch unsinnigen Fragedimensionen ein. Methodologisch vermeint dies (a) die Ablehnung und kritische Destruierung jedweder ideologiebedingten Frageverbote, (b) positiv inhaltlich die Ausweitung der zugrunde liegenden Fragestellungen, im Sinne einer ermöglichungsreflexiven Metatheorie des Verstehens, auf global-weltanschauliche Kontexte, und (c) die prinzipienstrukturale Einbeziehung solch universaler Formalwissenschaften wie formaler Logik bzw. Mathematik, jedenfalls was die Grundlagenreflexionen betrifft. Insgesamt erscheint eine derart neu entworfene Transzendentalphilosophie unverzichtbar als interner Ermöglichungsboden auch eines erst noch im Entstehen begriffenen Global- oder Welthumanismus, sowohl was die kritische wie auch was die schöpferische Perspektive angeht.

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Transzendenz I

- Hans Wagner, Phil. u. Reflexion, München 1959. - Ders., Krit. Phil. Syst. u. hist. Abh., hg. v. Karl Bärtlein/Werner Flach, Würzburg 1980. - Ders., Die Würde des Menschen. Wesen u. Normfunktion, Würzburg 1992. - Marcus Willaschek, Feld - Zeit - Kritik. Die feldtheoretische Transzendentalphil. v. Peter Rohs in der Kritik, Münster 1997. - Kurt Walter Zeidler, Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven/Dartford 1992 '1997. - Ders., Krit. Dialektik u. Transzendentalontologie, hg. v. Karen Gloy u.a., Bonn 1995 (Stud. zum System der Phil. Beih. 1). - Ders. Prolegomena zur Wissenschaftstheorie, Würzburg 2000.

Harald Holz Transzendenz I. Philosophisch II. Systematisch-theologisch

S. 771

I. Philosophisch 1. Allgemeine Begriffserläuterung

1. Allgemeine

2. Vielfache Bedeutung von Transzendenz

(Literatur S. 770)

Begriffserläuterung

Der Begriff Transzendenz, der sich vom lateinischen transcendere (hinübersteigen, überschreiten) ableitet und soviel wie „Uberstieg" bedeutet, will - ebenso wie die davon abgeleiteten Begriffe - zum Ausdruck bringen, daß ein bestimmter Bereich und damit eine bestimmte Grenze „überschritten" wird. Damit ist immer schon eine gewisse Diskontinuität und ein gewisser Hiatus verbunden, der sich zwischen diesen beiden Bereichen auftut, und es entsteht so das Problem der Vermittlung. Je nachdem, was überschritten oder überstiegen wird, ergeben sich verschiedene Bedeutungen von Transzendenz. Der komplementäre bzw. korrelative Begriff ist „Immanenz" (von lateinisch immanere „dabeibleiben, darinbleiben"; zum ersten Auftreten im Mittelalter vgl. Bos 1044f.). Geht das Thema der Transzendenz auf -»-Plato zurück, erinnert sei an sein berühmtes Wort, daß die Idee des Guten noch jenseits des Seinsbestandes (¿nEKEiva xfjq oöaiag) angesiedelt ist (Plato, resp. 5 0 9 b 6 - 1 0 ; weitere Stellen und äquivalente griechische Termini bei Bos 1045f.), so finden sich die Worte transcendere und transcendens in diesem spezifischen Sinn erstmals bei Augustin (vgl. conf. IX,24; weitere Stellen bei Fischer 115), der sich hier vermutlich an die lateinische Übersetzung der Traktate —>Plotins durch Marius Victorinus anschließt. Ist der Begriff der Transzendenz, wenn nicht immer dem Wort, so doch der Sache nach, für die antiken und mittelalterlichen Autoren ein Thema der Metaphysik als Philosophischer Gotteslehre und der Ontologie, so wird dieser Begriff heute philosophisch-theologisch in einer vielfältigen Weise verwendet. 2. Vielfache

Bedeutung

von

Transzendenz

2.1. Erkenntnistheoretisch. Der Begriff der Transzendenz im erkenntnistheoretischen Sinne kann dreierlei bedeuten: (a) Einmal kann man darunter die Unabhängigkeit der Erkenntnisgegenstände vom Bewußtsein verstehen. Der Gegenstand übersteigt den Erkenntnisakt, steht ihm als etwas Selbständiges, nicht erst vom Akt Gesetztes gegenüber. Um aber den Begriff der Transzendenz nicht zur Gleichgültigkeit zu nivellieren, sollte diese Form besser als das Transsubjektive bezeichnen werden, (b) Als transzendent („überschwenglich") im erkenntnistheoretischen Sinne werden zweitens im Anschluß an -»Kant trügliche Begriffe bezeichnet, welche die (Sinnes-)Erfahrung, bzw. Gebote, welche die Grenzen der praktischen Vernunft überschreiten, (c) Schließlich gibt es Dinge, die menschliches Erkennen insgesamt übersteigen. Im Anschluß an Nicolai Hartmann (1882-1950) sollte man diese aber besser als „transintelligibel" bezeichnen. 2.2. Ontologisch. Schon -»Aristoteles macht darauf aufmerksam, daß das Eine und das Seiende unmöglich Gattungen der seienden Dinge sind (metaph. III 3; 998b22). Er will damit sagen, daß Seiendes oder Sein zwar die allgemeinste und allem zukommende

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Transzendenz I

- Hans Wagner, Phil. u. Reflexion, München 1959. - Ders., Krit. Phil. Syst. u. hist. Abh., hg. v. Karl Bärtlein/Werner Flach, Würzburg 1980. - Ders., Die Würde des Menschen. Wesen u. Normfunktion, Würzburg 1992. - Marcus Willaschek, Feld - Zeit - Kritik. Die feldtheoretische Transzendentalphil. v. Peter Rohs in der Kritik, Münster 1997. - Kurt Walter Zeidler, Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven/Dartford 1992 '1997. - Ders., Krit. Dialektik u. Transzendentalontologie, hg. v. Karen Gloy u.a., Bonn 1995 (Stud. zum System der Phil. Beih. 1). - Ders. Prolegomena zur Wissenschaftstheorie, Würzburg 2000.

Harald Holz Transzendenz I. Philosophisch II. Systematisch-theologisch

S. 771

I. Philosophisch 1. Allgemeine Begriffserläuterung

1. Allgemeine

2. Vielfache Bedeutung von Transzendenz

(Literatur S. 770)

Begriffserläuterung

Der Begriff Transzendenz, der sich vom lateinischen transcendere (hinübersteigen, überschreiten) ableitet und soviel wie „Uberstieg" bedeutet, will - ebenso wie die davon abgeleiteten Begriffe - zum Ausdruck bringen, daß ein bestimmter Bereich und damit eine bestimmte Grenze „überschritten" wird. Damit ist immer schon eine gewisse Diskontinuität und ein gewisser Hiatus verbunden, der sich zwischen diesen beiden Bereichen auftut, und es entsteht so das Problem der Vermittlung. Je nachdem, was überschritten oder überstiegen wird, ergeben sich verschiedene Bedeutungen von Transzendenz. Der komplementäre bzw. korrelative Begriff ist „Immanenz" (von lateinisch immanere „dabeibleiben, darinbleiben"; zum ersten Auftreten im Mittelalter vgl. Bos 1044f.). Geht das Thema der Transzendenz auf -»-Plato zurück, erinnert sei an sein berühmtes Wort, daß die Idee des Guten noch jenseits des Seinsbestandes (¿nEKEiva xfjq oöaiag) angesiedelt ist (Plato, resp. 5 0 9 b 6 - 1 0 ; weitere Stellen und äquivalente griechische Termini bei Bos 1045f.), so finden sich die Worte transcendere und transcendens in diesem spezifischen Sinn erstmals bei Augustin (vgl. conf. IX,24; weitere Stellen bei Fischer 115), der sich hier vermutlich an die lateinische Übersetzung der Traktate —>Plotins durch Marius Victorinus anschließt. Ist der Begriff der Transzendenz, wenn nicht immer dem Wort, so doch der Sache nach, für die antiken und mittelalterlichen Autoren ein Thema der Metaphysik als Philosophischer Gotteslehre und der Ontologie, so wird dieser Begriff heute philosophisch-theologisch in einer vielfältigen Weise verwendet. 2. Vielfache

Bedeutung

von

Transzendenz

2.1. Erkenntnistheoretisch. Der Begriff der Transzendenz im erkenntnistheoretischen Sinne kann dreierlei bedeuten: (a) Einmal kann man darunter die Unabhängigkeit der Erkenntnisgegenstände vom Bewußtsein verstehen. Der Gegenstand übersteigt den Erkenntnisakt, steht ihm als etwas Selbständiges, nicht erst vom Akt Gesetztes gegenüber. Um aber den Begriff der Transzendenz nicht zur Gleichgültigkeit zu nivellieren, sollte diese Form besser als das Transsubjektive bezeichnen werden, (b) Als transzendent („überschwenglich") im erkenntnistheoretischen Sinne werden zweitens im Anschluß an -»Kant trügliche Begriffe bezeichnet, welche die (Sinnes-)Erfahrung, bzw. Gebote, welche die Grenzen der praktischen Vernunft überschreiten, (c) Schließlich gibt es Dinge, die menschliches Erkennen insgesamt übersteigen. Im Anschluß an Nicolai Hartmann (1882-1950) sollte man diese aber besser als „transintelligibel" bezeichnen. 2.2. Ontologisch. Schon -»Aristoteles macht darauf aufmerksam, daß das Eine und das Seiende unmöglich Gattungen der seienden Dinge sind (metaph. III 3; 998b22). Er will damit sagen, daß Seiendes oder Sein zwar die allgemeinste und allem zukommende

Transzendenz I

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Bestimmung ist, diese aber doch nicht als die oberste, alle anderen Gattungen zusammenfassende Gattung betrachtet werden kann. Denn der Gattungsbegriff geht nie in seine artspezifischen Unterschiede ein; das aber ist beim Seinsbegriff der Fall, denn alles, was ist, ist Sein oder Seiendes. Der Begriff der Transzendentalität oder Überkategorialität bringt diesen eigenartigen Sachverhalt zum Ausdruck. Mit dem Seinsbegriff sind weitere Bestimmungen gegeben, die diese Eigenart teilen, die sog. Transzendentien oder Transzendentalien, auch transzendentale Begriffe genannt. Sie machen immer nur explizit, was bereits einschlußweise im Seinsbegriff enthalten ist. -» Thomas von Aquino nennt zumeist die folgenden fünf: res (Ding), unum (Eines), aliquid (Etwas), verum (Wahrsein), bonum (Gutsein), außerdem pulchrum (Schönsein) (De veritate 1,1). Eine moderne Form von transcendentale kann man in -»Tillichs Begriff der Mächtigkeit sehen, wenn für ihn Sein immer schon Seinsmächtigkeit bedeutet (Tillich, G W XI, 143ff.). Hier wird deutlich, daß in der mittelalterlichen Philosophie die Begriffe transzendent und transzendental in der Regel noch synonym verwendet werden. Mit Kant bekommt letzterer einen neuen Sinn. Als transzendental wird nun diejenige Erkenntnis bezeichnet, „die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt" (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 25). 2.3. Metaphysisch. Der Gedanke der Transzendenz im metaphysischen Sinne ist bei Plato grundgelegt in seiner Unterscheidung von zwei Arten des Seienden (Plato, Phd. 79a): in ein Seiendes, das allein dem Verstand zugänglich ist, und ein Seiendes, das durch die Sinne wahrgenommen werden kann. Das erstere ist - im Unterschied zu letzterem - frei von Materialität und Prozessualität und darum als transzendent zu bezeichnen. Die Vermittlung zum Bereich des Stofflichen und Veränderlichen geschieht mit Hilfe des Gedankens der Teilhabe (Partizipation), der zweierlei impliziert, nämlich einmal, daß das Transzendente der sichtbaren Welt immanent, d.h. in ihr anwesend ist, zum anderen, daß es über diese erkennbar ist (kosmologische -» Gottesbeweise). Bei aller Kritik, die Aristoteles an Plato übt, hält sich dieses Denken der Transzendenz grundsätzlich auch bei ihm durch; so ist auch der aristotelische „Unbewegte Beweger" wesentlich ausgezeichnet durch Unstofflichkeit und Unveränderlichkeit. Eine entscheidende weitere Station im Denken der Transzendenz nimmt der -»Neuplatonismus, hier besonders -»Plotin, ein. Das Eine, der plotinische Gott, Ursprung allen Seins, steht aber selbst noch über dem Sein. Damit sind auch schon die Grundlinien vorgezeichnet, die das Denken der Transzendenz in Patristik und -»Scholastik prägen. O b das Göttliche als Sein selbst (Augustin; T h o m a s von Aquino) oder Denken (Meister —* Eckhart) bestimmt wird, ist dann nur noch eine zweitrangige Frage. In der Neuzeit tritt das Interesse am Thema der metaphysischen Transzendenz deutlich zurück, nicht zuletzt aufgrund des Vorranges erkenntnistheoretischer Überlegungen. Erst in der Philosophie der Gegenwart nimmt seine Bedeutung erneut zu, so wenn -»-Heidegger das Sein als das „transcendens schlechthin" (Heidegger, Sein 38) oder -»Jaspers Gott als die „Transzendenz der Transzendenzen" (Jaspers, Wahrheit 109) bezeichnet. Der Gedanke der Teilhabe ist es auch, der die Analogie des Seins (analogia entis) und damit Aussagen über das Transzendente ermöglicht, sei dies im Sinne der negativen Theologie eines Plotin, der Analogielehre eines Thomas oder des Symboldenkens eines P. Tillich. Mit dem Gedanken der Transzendenz Gottes sind philosophisch radikale Positionen wie der -»Pantheismus und der -»Panentheismus abgewehrt. Wird bei ersterem die Transzendenz geleugnet und Gott zum rein innerweltlichen Prinzip gemacht, so wird bei letzterem Gott selbst ins Werdesein hineingezogen (u.a. der späte -»Scheler). 2.4. Theologisch. Die Transzendenz Gottes ist kein zentrales biblisches Thema; Ex 3,14 darf nicht in diesem Sinne gelesen werden. Die Theologie hat diesen Begriff vielmehr

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von der Philosophie übernommen, fügt ihm aber auch einen eigenen Aspekt hinzu. In einem weiteren Sinne meint der Begriff der Transzendenz theologisch die Unbegreiflichkeit und Verborgenheit Gottes. In einem engeren Sinne bezeichnet er die ungeschuldete, in einer potentia oboedientialis gründende, gnadenhafte Hinordnung des Menschen auf die freie und beseligende Selbstmitteilung Gottes als sein von ihm selbst aus unerreichbares letztes Ziel (Lehmann [1969] 995). Im Begriff des Mysteriums (R. -»Otto; K. —»Rahner), aber auch in der Bezeichnung Gottes als des „ganz Anderen" (R. Otto; K. -»Barth) sucht man diesen Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen. Mit dem Begriff „Gott über Gott" sucht P. Tillich zwar selbst noch den theologischen -»Theismus zu transzendieren (GW XI, 137ff.), aber er trägt auch der Immanenz Gottes dadurch Rechnung, daß er ihn gleichzeitig als „Tiefe des Seins" versteht. 2.5. Religionsphilosopbisch. In der -»Religion wird zwar der ursprüngliche -»Mythos durch das Transzendenzbewußtsein gebrochen (Ernst Cassirer [1874-1945]), aber das Göttliche ist immer nur anschaubar in Symbolen, die raum-zeitlichen Charakter haben. Aus diesem Grunde lehnen sowohl Jaspers als auch Tillich R . -»Bultmanns Programm der Entmythologisierung ab. Die Sprache der Religion ist das -»Symbol, in dem die beiden Aspekte von Gottes Transzendenz und Immanenz deutlich zum Ausdruck kommen. Nach Tillich drückt sich das Konzept von Gottes Transzendenz ( = Unbedingtheit) und Immanenz ( = Konkretheit) innerhalb der Religion in den beiden Wesenselementen des Sakramentalen und des Prophetischen aus. Führt die Überbetonung des ersteren zur Profanisierung, so führt die Überbetonung des letzteren zur Dämonisierung der Religion. Als Telos der Religionsgeschichte ist darum das ausgewogene Verhältnis dieser beiden Momente anzusehen (Schüßler, Jenseits 117ff.). Wird Transzendieren schon bei Plato, Plotin und Augustin als 2.6. Methodologisch. Aufstieg zur (metaphysischen) Transzendenz aufgefaßt, so wird es von Heidegger (Einleitung SS 28f.) und Jaspers (Philosophie I, 36ff.) als die eigentliche Methode der Philosophie begriffen. Ist Wissenschaft nach Jaspers immer an Gegenständlichkeit gebunden, so richtet sich Philosophie nicht auf Gegenstände, sondern auf einen Bereich „eigentlichen" Seins, der jenseits aller Gegenständlichkeit angesiedelt ist. Dem ungegenständlichen Charakter eigentlichen Seins entsprechen die Methoden der Philosophie: Sie sind Methoden des Transzendierens über alle Gegenständlichkeit. Eigentliches Thema der Philosophie ist darum nach Jaspers — neben der Transzendenz - die Existenz. 2.7. Anthropologisch. Tillich spricht von der Religion als der „Selbsttranszendierung des Lebens in der Dimension des Geistes" (Tillich, Theologie III, 117f.). Damit will er zum Ausdruck bringen, daß Religion nicht eine selbständige Funktion neben anderen ist, sondern die Tiefendimension des menschlichen Geistes. Eine solche Konzeption eröffnet den Horizont für eine „Theologie der Kultur". Wenn V.E. Frankl von der Selbst-Transzendenz des Menschen spricht, so meint er damit das „Übersichselbsthinausweisen auf etwas oder auf jemanden hin - auf einen zu erfüllenden Sinn oder einen begegnenden Mitmenschen hin" (Frankl 171). 2.8. Geschichtsphilosophisch. Man kann mit Tillich ein transzendentes und ein immanentes Prinzip der Geschichtsdeutung unterscheiden. Wo das transzendente Prinzip maßgebend ist, liegen Ursprung und Ziel der Geschichte jenseits des menschlichen Handelns; wo das immanente Prinzip überwiegt, stehen das menschliche Handeln und die Erwartung einer irdischen, politisch-sozialen Erfüllung im Vordergrund (Tillich, G W VI, lOOff.). Literatur J a n A. Aertsen, T h e Medieval Doctrine of the Transcendentals. T h e Current State of Research: BPhM 33 (1991) 1 3 0 - 1 4 7 . - Christina Bachmann, Religion u. Sexualität. Die Sehnsucht nach Trara-

T r a n s z e n d e n z II

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II. S y s t e m a t i s c h - t h e o l o g i s c h 1. Der Ansatz theologischer Reflexion über Transzendenz 2. Begriffsgeschichte (Antike und Mittelalter) 3. Kant und der deutsche Idealismus 4. Tendenzen der Theologie des 20. Jahrhunderts (Literatur S. 775) 1. Der Ansatz

theologischer

Reflexion

über

Transzendenz

Für die t h e o l o g i s c h e R e f l e x i o n ergibt sich das Erfordernis, T r a n s z e n d e n z zu t h e m a tisieren aus der Leitdifferenz v o n - » G o t t und —•Welt, w o b e i der Begriff Transzendenz d a s erkenntnistheoretische Verfahren des Ubergangs v o m V o r h a n d e n e n zu e i n e m w i e a u c h i m m e r zugänglichen U n z u g ä n g l i c h e n meint. Ä h n l i c h der p h i l o s o p h i s c h e n R e f l e x i o n (s.o. I.) wird der Sachverhalt auch o h n e explizite V e r w e n d u n g d e s L e x e m s Transzendenz thematisiert. Anders als p h i l o s o p h i s c h e Z u g ä n g e setzen t h e o l o g i s c h e Überlegungen zur Transzendenz als M ö g l i c h k e i t s b e d i n g u n g die Selbstmitteilung des dreieinigen G o t t e s ( - • O f f e n b a r u n g ; -»Trinität) voraus, s o d a ß ein D e n k e n in R i c h t u n g auf G o t t als der Intention d e s —»Schöpfers g e m ä ß zu verstehen ist. D i e Selbstmitteilung unterbricht d a s S c h w e i g e n , die A b w e s e n h e i t u n d Verborgenheit G o t t e s . Insofern stellt die R e d e über Transzendentes eine E r k e n n t n i s b e m ü h u n g endlicher Vernunft dar, die ihre eigenen Grenzen mitreflektiert.

III

Transzendenz II

Die Geschichte des Transzendenz-Begriffs und seiner Synonyme ist seit der Spätantike bis hin zu -»Nikolaus von Kues maßgeblich durch die Rezeption -»Piatos und des -•Neuplatonismus bestimmt und als Theorie von Einheit durchgeführt. Die AristotelesRezeption des Mittelalters (-»Aristoteles/Aristotelismus) versammelt dagegen in der Lehre von den transcendentia (Transzendentalien) eine Fünffachheit von Begriffen (ens, utium, aliquid, verum, bonum), welche die Kategorien (substantia, qualitas, quantitas etc.) an Allgemeinheit „übersteigen". Durch Kants Unterscheidung von transzendent und transzendental wird die Diskussionslage aufgrund der Wandlungen in der Erkenntnistheorie seit -»Descartes verschoben, so daß die Differenz Immanenz/Transzendenz seit dem 19. Jh. als Dichotomie den Wirklichkeitsbezug von religiösem Wissen (auch polemisch) bezeichnet. Das grundsätzliche methodische Problem, wie von etwas zu sprechen ist, was als jenseits der Erfahrung bezeichnet wird, wird seither in der Sprachskepsis, der das Reden von Gott theoretisch unterliegt, wachgehalten; Kants Philosophie markiert dementsprechend eine Wende in der Rede von Transzendenz. Die Entwürfe zur Transzendentaltheologie, wie H. Rosenaus eschatologisches Konzept der „Allversöhnung" und die Überlegungen im Rahmen der Dogmatik (Pannenberg; Verweyen) des 20. Jh., greifen deshalb die erweiterte Methodik der Transzendentalphilosophie auf. 2. Begriffsgeschichte

(Antike und

Mittelalter)

-•Origenes rekurriert auf die Transzendenz Gottes in apologetischer Absicht und unter Aufnahme des Bilderverbots. Daneben entwickelt er einen Begriff von der Transzendenz eines Textes (Cels. 1,29; VII,60; princ. IV,3,14; vgl. Ricken 79ff.): Neben den schlichten Ausdruck der Verkündigung Jesu, der einführenden Charakter hat (eiaaycoyt]), tritt das Unaussprechliche; es ist zugänglich durch die fortgesetzte religiöse Praxis (cTXokri/äcrKtjaii;), die zur Wahrnehmung des Unzugänglichen anleitet. Ungeachtet der Aufnahme platonischer Vorstellungen ist für Origenes der biblische Text vorrangig, während den philosophischen Transzendenzkonzepten ergänzende Funktionen zukommen. Die platonische Formel (s.o. I.) wird modifiziert: Gott gibt Seiendem Anteil am Sein (ovaia), ist aber selbst jenseits der oooia (Cels. VI,64). Transzendenz wird nicht erkenntnistheoretisch gefaßt, sondern ontologisch als Transzendenz des Guten-Selbst. Christologisch interpretiert heißt dies: Unter den Bedingungen der Endlichkeit werden Menschen mit ihren jeweiligen vielen Bedürfnissen durch Christus auf die Einheit des Guten in Gott verwiesen (Jo. 1,62; Ricken 90f.). Das transzendente Gute ist für Geschöpfe nur durch Partizipation zugänglich, der -•Logos ist mit ihm identisch, so daß von Gott nur eine Identitätsaussage gemacht werden kann. Er ist der Gott. Demzufolge verhält sich die Transzendenz des Vaters gegenüber der des Sohnes wie Einheit zur Vielheit, nicht zuletzt wegen der vielen Identitätsaussagen, die über Christus möglich sind („Ich bin"-Worte des Johannesevangeliums; vgl. Origenes, Jo. II, 18-20,89f.). Die Unerreichbarkeit des Gottes setzt Augustin voraus, somit ist die Möglichkeit der „Berührung" (conf. IX,24f.) beschränkt auf Streben nach der ewigen -*Weisheit Gottes und die Form des -»Gebets. Die Bewegung des Transzendierens wird differenziert als foris, intus und intimus (Fischer 119) und als philosophischer Weg aufgezeigt, dessen Vollendung durch den Glauben an die Menschwerdung Christi erreicht wird; sie ist demnach eine wiederholbare Übung des Gläubigen. Die Metapher des Aufstiegs (trin. XIV,5) wird verwendet zur Bezeichnung anthropologischer (außen/innen), kosmologischer (unten/oben) und christologischer Kategorien (oben/unten; Nachfolge als Imitationsfrömmigkeit). Die Orte des foris, intus und intimus haben ihr je eigenes Recht. Die Wendung nach außen besitzt ihren Sinn als mögliche Realisierung gelingenden Menschseins innerhalb sozialer Zusammenhänge, die Wendung nach innen drückt die Skepsis angesichts der Lebensführung und eine Störung alltäglicher Erwartungen aus. Die Erfahrung des Suchens bringt die Suchbewegung gleichwohl nicht an ihr Ziel; dieses

Transzendenz II

773

steht in der Gefahr, den erreichten Status überheblich zu affirmieren oder in seiner Vorläufigkeit anzuerkennen. Während die Bewegung in ihren ersten Schritten endlichen Menschen möglich ist, erfordert der Übergang zum letzten Ort in te supra me (conf. X,37) die vorgängige Selbstmitteilung Gottes, die das Menschsein weder aufhebt noch überwindet, sondern daran anschließt, um den suchenden Menschen zu seinem Ziel zu bringen. In der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Kategorienlehre wird im Mittelalter mit etlichen Varianten die Lehre von den Transzendentalien (transcendentia) entwickelt, zu denen üblicherweise Seiendes, Eines, Wahres und Gutes gezählt werden. Im Scotismus (-»Duns Scotus/Scotismus) wird diese Liste durch die Verwendung disjunktiver Begriffe erweitert (notwendig/möglich; endlich/unendlich). Während -»Thomas von Aquino in der Lehre von den göttlichen Eigenschaften das Partizipationsmodell anwendet, um das Verhältnis von Seiendem und Sein im Blick auf die Grundbegriffe zu beschreiben (-»Analogie), beschränkt Meister -»Eckhart die Transzendentalien auf die Rede von Gott. Thomas bevorzugt den Begriff „Sein" als vollkommensten zur Benennung Gottes (S.th. I 4. 2 ad 3); Meister Eckhart dagegen verwendet „Denken" mit dem Hinweis auf das Schöpfungswerk Gottes (in Gen. II n 214; in Gen. I n 6; Schüßler 174f.). Thomas von Aquino und Johannes Duns Scotus stimmen darin überein, daß „Sein" dem ersten transzendenten Seienden zuzurechnen ist. Ersterer verwendet die Differenz Akt/Potenz, um die Vorgängigkeit Gottes als reinen Akt zu bezeichnen, während letzterer mit der Differenz Intensität/Modus arbeitet, um die Gottheit Gottes gegenüber der Schöpfung zu akzentuieren. Der actus purus steht als erster außerhalb einer Reihe; die „intensive Unendlichkeit" gibt der Welt ihre „abschließende Bestimmung" (Honnefelder, Metaphysik 159f.). 3. Kant und der deutsche

Idealismus

Die maßgebliche begriffsgeschichtliche Zäsur wird durch Kants Kritik der reinen Vernunft mit der Unterscheidung von transzendent und transzendental gesetzt, die von Kant, wie bereits das Grimmsche Deutsche Wörterbuch notiert, indes nicht konsequent durchgeführt wird (I. Kant, Kritik der reinen Vernunft: ders., GS, Berlin, III 1904, B 608). Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlich-endlicher Erkenntnis führt Kant zur Zurückweisung des Transzendenzbegriffs als „überfliegend" (ebd. B 671), obgleich damit nicht die Unmöglichkeit von Theologie behauptet wird. Wenn die Existenz des „höchsten Wesens" weder bewiesen noch widerlegt werden kann, fällt der „transzendentalen Theologie" die „Zensur unserer Vernunft" zu (ebd. B 668). Die Rede von „transzendentalen Ideen", -»Seele, Welt und Gott, wird als Regulativ des Verstandesgebrauchs gerechtfertigt. In der Reaktion auf Kants Unterscheidung wird der Transzendenzbegriff entweder vermieden oder in die Gegenüberstellung von Immanenz und Transzendenz eingezeichner. Daneben bildet sich in den verschiedenen Versionen der Wissenschaftslehre -»Fichtes und im Systemdenken —»Schellings die Transzendentalphilosophie auf dem Grundsatz der Subjekt-Objekt-Identität bzw. -Indifferenz (Ich = Ich) heraus. Von der frühromantischen Bewegung inspiriert, entwickelt -»Schleiermacher eine Religionstheorie, die in der Abgrenzung von Metaphysik und Moral die Anschauung des Universums (Schleiermscher, Religion 211) zum Eigentümlichen des Transzendenzbezugs erklärt, und dies bereits in deutlicher Abgrenzung zu den Modellen der „Transcendentalphilosophie" (ebd. 208). Eine Synthese zwischen romantischem Gefühlsbegriff und Subjektivitätsthforie intendiert Schleiermacher in der Glaubenslehre, indem er das „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit" als „unmittelbares Selbstbewußtsein" prädiziert. der Religion auf den -»Hegel verzichtet in den Vorlesungen über die Philosophie Tnnszendenzbegriff und entwickelt statt dessen das Verhältnis von Gott und Welt anhand des Begriffs eines absoluten Geistes, der im Anderssein bei sich selbst bleibt.

Transzendenz II

774 4. Tendenzen

der Theologie

des 20.

Jahrhunderts

Neben einer deutlichen Zurückhaltung gegenüber der Rede von der Transzendenz sind eine Reihe von Versuchen zu erkennen, Synthesen zu bilden (zu P. —• Tillich s.o. I.): W. Pannenbergs Reflexionen zur Metaphysik zeichnen sich wie die allermeisten theologischen Konzepte des 20. Jh. durch eine große Zurückhaltung gegenüber dem Transzendenzbegriff aus. Statt dessen werden die klassischen Themen der Metaphysik in eine Theorie des Absoluten unter Voraussetzung der subjekttheoretischen Wende übertragen. Die Subjekttheorie trägt für das Verständnis des Menschseins aus, das Unterscheidungsvermögen in der Endlichkeit zu präzisieren: als Selbsterfassung, Bewußtsein von etwas, Weltbezug, Zeitlichkeit. Mit der Erfahrung von Unterscheidungsformen ist nach Pannenbergs Auffassung die Erfahrung des Unendlichen zugleich mitgesetzt, so daß die Referenz auf etwas transzendierend genannt werden kann (Theologie II, 331), und zwar unabhängig davon, ob Menschen diesem Transzendenzbezug lebenspraktisch Bedeutung beimessen. Weiterhin wird der Transzendenzbegriff verwendet, um die Differenz des göttlichen Geistes zu Gemeinschaftsformen und persönlicher Glaubensgewißheit herauszustellen (ebd. III, 153f.). F. Wagner führt auf eigenständige Weise das Anliegen fort, über Transzendenz zu sprechen, indem er ausgehend von Hegels Logik eine Theorie des Absoluten rekonstruiert, die auch von W. Cramers Unterscheidungstheorie (Wagner, Theo-logie; Cramer) angeregt ist. Im Ergebnis wird so ein Gottesbegriff konzipiert, der in der Offenheit zu Macht und Ohnmacht klassische Allmachtsvorstellungen überwindet. Ebenso kritisiert Wagner an der Kausalität orientierte Modelle von Schöpfung, so daß er die Aufgabe des Christentums auf die Übergangsprobleme von Selbstbild und sozialer Plazierung festlegt. Die Figuren von Subjektivität und InterSubjektivität, die er der Phänomenologie des Geistes entlehnt, entsprechen der Dialektik von Macht und Ohnmacht, wie sie in der Gotteslehre angelegt sind, und fassen damit die Bestimmung und Aufgabe des Menschen zusammen. Eine epistemische Wendung gibt K. Rahner dem Transzendenzbegriff. Indem er „transzendentale Erfahrung" als Implikat jeder Erfahrung, mithin als Möglichkeitsbedingung darstellt, nähert er sich der Subjektivitätsfigur. Das Kreuzen der Kategorien hingegen und die Benennung dieses Kreuzens als „Transzendenz" (Rahner 31 f.) verweisen auf die mittelalterliche Tradition. Das Vorgängige dieser Erfahrung schließt ein „anonymes und unthematisches Wissen von G o t t " (ebd. 32) ein. Der Geheimnischarakter der Erkenntnis Gottes wird so mit den Erkenntnisgrenzen identifiziert, die die transzendentale Erfahrung aufweist. Als Grenze besagt diese Erfahrung nichts Eigentümliches, daher sind Welterfahrung und Gotteserfahrung Gegenstand derselben Rede. Als Struktur entfaltet sie die Grenze dessen, was gewußt und durch Handeln erstrebt werden kann. Insofern legt sie die „soteriologische O h n m a c h t " (Rosenau) des Menschen dar. Die Struktur wird gleichwohl durch Ursprung und Richtung konstituiert, die Rahner mit dem Gottesbegriff erläutert und mit der gnadenhaften Selbstmitteilung füllt. Sie trifft auf den schuldbewußten Menschen und realisiert Nähe. Insofern ist die Transzendenz im Sinne Rahners „übernatürliches Existential" (Rahner 132ff.). Ausgehend von der Phänomenologie E. —»Husserls und der jüdischen Überlieferung hat E. Lévinas eine Theorie des Anderen entwickelt, die auf der Grundlage einer nichtintentionalen Erfahrung die Begegnung zwischen Personen als Begegnung mit dem Absolut Anderen inszeniert. Die Transzendenz des Guten wird schroff unterschieden von der Selbstreflexion des Ichs. Mit der grundsätzlichen Kritik an der neuzeitlichen Figur der Subjektivität geht die Verschränkung von Ethik und Transzendenz einher, die in der Tradition des Bilderverbots Abwesenheit und Nichtobjektivierbarkeit als Kategorien setzt. Besonders in der römisch-katholischen Theologie hat das religionsphilosophische Konzept von Lévinas, das sich auch als Reden von Gott nach Auschwitz versteht (Lévinas 7), Aufmerksamkeit geweckt (vgl. Wohlmuth). So rezipiert Th. Freyer für die Sakramententheologie die Motive des Übergangs und der Gegenwart Gottes.

Transzendenz II

775

Literatur Jan A. Aertsen, Art. Transzendental II: HWP 10 (1998) 1360-1365. - "Wolfgang Cramer, Das Absolute u. das Kontingente, 1959 2 1976 (PhA 17). - Markus Enders, Art. Transzendenz II: HWP 10 (1998) 1 4 4 7 - 1 4 5 2 . - Norbert Fischer, Transzendieren u. Transzendenz in Augustins „Confessiones": Transzendenz (s.u.) 1 1 5 - 1 3 6 . - Thomas Freyer, Sakrament - Transitus - Zeit - Transzendenz. Überlegungen im Vorfeld einer liturg.-ästhetischen Erschließung u. Grundlegung der Sakramente, 1995 (BDS 20). - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorl. über die Phil, der Religion, hg. v. Walter Jaeschke, 3 Bde., Hamburg 1 9 9 3 - 1 9 9 5 (PhB 4 5 9 - 4 6 1 ) . - Ludger Honnefelder, Metaphysik u. Transzendenz. Überlegungen zu Johannes Duns Scotus im Blick auf Thomas v. Aquin u. Anselm v. Canterbury: Transzendenz (s.u.) 1 3 7 - 1 6 1 . - Ders., Art. Transzendental III: HWP 10 (1998) 1 3 6 5 - 1 3 7 1 . - Emmanuel Lévinas, Autrement qu'être ou au-delà de l'essence, La Haye 1974; dt.: Jenseits des Seins oder anders als sein geschieht, Freiburg i.Br. 1992 2 1998. - Nikolaus v. Kues, De docta ignorantia/Die belehrte Unwissenheit, 3 Bde., Hamburg 3 1979. - Origenes, Vier Bücher v. den Prinzipien, hg. v. Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp, 3 1992 (TzF 24). - Wolfhart Pannenberg, Metaphysik u. Gottesgedanke, Göttingen 1988. - Ders., Syst. Theol., 3 Bde., Göttingen 1 9 8 9 - 1 9 9 3 . - Karl Rahner, Grundkurs des Glaubens, Freiburg i.Br. 1976 (Sonderausg. 1984). Hartmut Rosenau, Allversöhnung. Ein transzendentaltheol. Grundlegungsversuch, 1993 ( T B T 57). - Friedo Ricken, Origenes über Sprache u. Transzendenz: Transzendenz (s.u.) 7 6 - 92. - Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christl. Glaube. Krit. Ausg. der 2. Aufl. v. 1830/31, hg. v. Martin Redeker, 2 Bde., Berlin 1960. - Ders., Über die Religion (1799): ders., Krit. GA, Berlin, 1/2 1984, 1 8 5 - 3 2 6 . - Werner Schüßler, Gott - Sein oder Denken? Zur Problematik der Bestimmung göttlicher Wirklichkeit in den Quaestiones parisienses Meister Eckharts v. 1302/03: Transzendenz (s.u.) 1 6 3 181. - Josef Stallmach, Immanenz u. Transzendenz im Denken des Cusanus: Transzendenz (s.u.) 1 8 3 - 1 9 2 . - Transzendenz. Zu einem Grundwert der klass. Metaphysik. FS Klaus Kremer, hg. v. Ludger Honnefelder/Werner Schüßler, Paderborn 1992. - Hansjürgen Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheol., Düsseldorf 1991. - Falk Wagner, Was ist Theol.?, Gütersloh 1989. - Ders., Theo-logie. Die Theorie des Absoluten u. der christl. Gottesgedanke: Hans Radermacher (Hg.), Rationale Metaphysik. Die Phil. v. Wolfgang Cramer, Stuttgart 1990, 2 1 7 - 2 5 5 . Ders., Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, Gütersloh 1995. - Ders., Metamorphosen des modernen Protestantismus, Tübingen 1999. - Josef Wohlmuth (Hg.), Emmanuel Lévinas. Eine Herausforderung f. die christl. Theol., Paderborn 1998. Bernd Harbeck-Pingel

Anhang 1. Register 1.1. Bibelstellen 1.2. Namen/Orte/Sachen 2. Mitarbeiter 2.1. Autoren 2.2. Übersetzer 2.3. Registerbearbeiter 3. Artikel- und Verweisstichwörter 4. Karte 5. Bildquellen 6. Corrigenda

1. Register 1.1.

Bibelstellen

(bearbeitet von Hannelore Hollstein) Es werden nur die Bibelstellen aufgeführt, zu denen sich im Text nähere Ausführungen finden. Z u r Vororientierung wird zunächst der Artikel genannt, in dem die registrierte Bibelstelle vorkommt. Nach der Seitenangabe wird (durch Komma getrennt) in der Regel die Zeile genannt, in welcher eine Bibelstelle vorkommt bzw. ein Bibelzitat beginnt, in Einzelfällen die Zeile, in welcher Darlegungen über eine Bibelstelle einsetzen.

1,2 1,14-18 1,15 1,21 1,22.28 1,26 f. 1,26.28 1,29 f. 1,31 2,7

Thomasius, Ch. Tradition Tier Tiersymbolik Tier Theosis Tier Tier Tod Tod

2,8 2,12

Tod Theorie und Praxis Tier Tier Tertullian Teufel Tiersymbolik Teufel

2,18ff. 2,19f. 3 3 3 3,1-6

3,1-15 3,15.19 3,23-33 3,24 4,4 4,23 f. 5,22-24 6-9

484,52 691,33 528,30 534,48 528,26 389,20 528,27 528,29 602,48 588,53; 594,51 589,1 377,46 .

528,32 530,27 103,49 125,6 535,2 120,27; 142,8; 143,44; 144,24.38: 146,52 118,17; Teufel 119,24; 120,18 Tod 588,51 Teufel 116,5 Teufel 142,15 Tier 529,8 Traditionskritik/ 739,17 Traditionsgeschichte Tod 591,23 Traditionskritik/ 738,52 Traditionsgeschichte

6 6,1-4 6,6 f. 6,9 6,19f. 7,22 8,6 f. 9,2 9,3 9,3-6 9,4 9,5 9,6 9,12.15f. 9,13 f. 9,13 9,20 12 12,8 18,lf.l6 20 22 22,2 23 23,20 25,8 26 28,18 f. 32,23 ff. 32,33

Teufel Teufel

126,34 117,1; 120,19 Tier 528,41 Tod 591,26 Tier 528,41 Tod 601,12 Tiersymbolik 547,16 Tier 528,53 Tier 528,51 Tradition 691,27 Tier 529,2.17 Tod 601,3 Todesstrafe 642,43; 643,9 Tier 528,43 Tradition 691,32 Tradition 691,24 Tempel 65,53 Traditionskritik/ 739,5; Traditions740,34 geschichte Tradition 692,2 Teufel 141,34 Traditionskritik/ 739,5; 740,34 Traditionsgeschichte Tempel 68,33 Tempel 65,51 584,1 Tod Tradition 691,51 Tod 582,38 Traditionskritik/ 739,5; Traditions740,34 geschichte Tradition 692,3 Theodizee 215,28.30 Tradition 691,28

111

Bibelstellen

Ex

37,34 49 50,1-3 50,2.26 50,10f. 3,4 3,6 3,14

4,24-26 4,24-26 12 f. 12,23 12,23 13,3.8 13,9f. 15,17f. 15,21 17,14 19,4 19,16-25 21,23 ff. 24,12 25-30 25,10 25,20 25,33 28,12 30,11-16 16

Tod Tiersymbolik Tod Tod Tod Theologie Tod Thomas von Aquino/ Thomismus/ Neuthomismus Teufel Theodizee Tradition Teufel Tod Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tradition Tempel Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tradition Tiersymbolik Tod Todesstrafe Tradition Tempel Tradition Tiersymbolik Tempel Tradition Tempel Tempel

583,45 536,14 583,41 584,16 583,39 307,41 593,40 447,34

116,6 215,28 692,12 119,19 583,25 739,13 691,23 60,7; 62,1 739,22

692,15 534,40 582,51 643,34 703,22.25 48,8; 66,9 691.48 534,24 57,21 691,37 55,37 55,18; Lev 63,9 16 Teufel 117,7 16 Tiersymbolik 535,4 16f. Tempel 57,19 16,8.10.26 Teufel 141,49 141,48 16,20-26 Teufel 17,14 Tod 603,22 586,8 19,31 Tod 21,1-4 Tod 586,3 Tradition 692,12 23,43 24,15-16 Toleranz 649,36 Traditionskritik/ 739,6 Num 6,24-26 Traditionsgeschichte 15,39 Tradition 691,37 Teufel 142,40 21,6 Teufel 21,6-9 142,15 21,8 f. Teufel 142,39 21,17f. Traditionskritik/ 739,18 Traditionsgeschichte 22 Teufel 124,28 Tod 33,38 603,9 Tod 594,46; Dtn 6,4 604,52 6,5 Tod 601,10 6,8 Tradition 691,38 13 Toleranz 649,37 20,7 582,41 Tod

21,23 26,14 28,26 28,37 30,15 ff. 32,17 32,39 33 34,6 Jos 4,3-9 7,19f. 7,26 10,13 22,23-27 24,29 - 3 3 Jdc 18,28-31 18,31 I Sam 1,9 2,6 4-6 5,5 8,2 16,14f. 21,2 24,15 25,38 28 31,5 31,8-13 Il Sam 1,17-27 3,8 5,2 7,1 ff. 12,16 12,23 18,17 19,1 21,13f. 22,6 24 24,1 I R e g 2,10 5,18 6-8 6,2 6,5-10 6,5.17 6,36 7,1-12 7,12.40.45. 51 7,15-22 7,23-47 7,23-50 7,25.29 7,29.36 8,1-11 8,12f. 11,7 12,29 13,24-26 14,19 16,28

Tod Tod Tod Tobit Tod Teufel Tod Tiersymbolik Tradition Tradition Tod Tod Tradition Tradition Tradition Tempel Tempel Tempel Tod Tradition Tradition Tempel Theodizee Tempel Tiersymbolik Tod Tod Tod Tod Tod Tiersymbolik Tiersymbolik Tempel Tod Tod Tod Tod Tod Tod Tempel Teufel Tod Teufel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tiersymbolik Tiersymbolik Tempel Tempel Tempel Tempel Teufel Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tod

601,23 586,6 584,13 576,42 583,29 142,34 582,50 536,14 692,1 691,39 603,12 584,6 692,17 691,49 691,52 47,30 47,52 47,29.45 590,19 691,44.46 691,29 47,32 215,28 47,31 535,46 582,48 586,12 583,2 584,10 583,38 535,45 536,24 66,14 583,49 583,47 584,6 582,42 584,12 585,41 48,50 116,26 584,1 122,34 48,16.40; 50,31 51,7 50,38 47,48 50,50 50,51 47,51 50,40 52,30 51,4 534,22 534,22 50,42 52,14 48,5 47,30 141,43 739,11 584,2

778

Bibelstellen 17,17-24 21,1 22,20ff. 2,1-18 16,10-16 18,4 18,14-16 18,16 20,9-11 21,5 21,6 22,8 ff. 25,8 ff. 1,21-23 5,14 6,1.4 6,2.6 7,18 8,16 8,16 8,19 10,3 11,6 11,6 11,6-8 11,66 f. 12,4f. 13,14 13,21 f. 13,21 f. 14 14,4-23 14,10f. 14,12 14,12-15 14,13-15 14,13 14,13 f. 14,15-19 15,9 19,19 25,6 25,8 26,19 27,1 28,16 29,4 34,14 35,6 38,18-20 40,6 f. 41,14 43,13 45,7 45,7 51,1-8

Tod

582,43; 592,12 Tempel 47,44 Theodizee 215,28.33 Tod 591,32 Tempel 49,5; 52,32 Tiersymbolik 534,24.26 Tempel 49,3 Tempel 47,46 582,45 Tod Tempel 48,43; 50,52 Tod 586,10 Tradition 692,18 Tempel 49,8 Tod 583,11 Tod 585,40 Tempel 58,23 Tiersymbolik 534,28 Tiersymbolik 535,23; 536,20 Tradition 692,20 Traditionskritik/ 739,11 Traditionsgeschichte 586,10 Tod Tod 589,31 Teufel 141,45 548,50 Tiersymbolik 536,34 Tiersymbolik Tier 528,46 Tradition 691,22 536,29 Tiersymbolik Teufel 142,7.10 Tiersymbolik 535,6 125,24.26; Teufel 126,10.22; 132,25 Tod 589,30 Tod 585,44 Teufel 128,19 Teufel 124,19 Teufel 125,31 Teufel 125,40 Teufel 123,34; 125,29 Teufel 128,20 Tiersymbolik 535,20 Tempel 53,32 Tod 594,28 Tod 594,19 Tod 592,30; 593,31 Teufel 125,23 Tempel 62,49 Tod 585,45 Teufel 142,3 535,41 Tiersymbolik Tod 585,49 Tod 582,33 Tiersymbolik 535,42 Theodizee 216,13 Teufel 116,1 Theodizee 216,13 Theodizee 217,12

52,1353,12 52,13-15 53 53,1-10 53,6 53,7 53,llf.

Tod

592,34

Tod Tradition Tod Tiersymbolik Tiersymbolik Tod

592,46 696,4 592,35 536,25 536,28 592,47; 593,35 60,38 217,2 410,49

56,7 63 f. 66,12 f.

Tempel Theodizee Thérèse de Lisieux 3,16 Tempel 5,1-6 Theodizee 5,6 Tiersymbolik 7 Tempel 8,6 Tiersymbolik 8,17 Tiersymbolik 9,16.19 Tod 11,19 Tiersymbolik 12,8 Tiersymbolik 12,9 Tiersymbolik 22,18 Tod 31,35 Tradition 51,14 Tiersymbolik 51,27 Tiersymbolik 2,6 Tiersymbolik 10 Tiersymbolik 13,4 Tiersymbolik 18,2 Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 20,37 Tradition 21,8-10 Theodizee 22,25 Tiersymbolik 32,16 Tod 3 3 , 1 0 - 2 0 Theodizee 37 Tod 38,2-39,22 Teufel 3 9 , 1 7 - 2 0 Teufel Tempel 40-48

40-48 42,15 ff. 42,16-20 43,5-7 2,14 5,12 6,6 7,11 9,7 f. 13,7 13,14 13,14 2,1 3,6 3,8 4,1 4,4 5,16 9,2 2,3-7 2,3 f.6

Tradition Tempel Tempel Tempel Tempel Tiersymbolik Tempel Tiersymbolik Teufel Tiersymbolik Teufel Tod Tod Theodizee Tiersymbolik Tiersymbolik Tempel Tod Tod Tod Tiersymbolik

54,53 216,35 535,21 67,18 536,3 535,22 583,37 535,29 535,25 535,22 583,34 691,52 535,23 536,40 535,23 540,38 535,49 739,20 701,21 218,30 535,48 583,35 218,30 593,27 121,13 142,6 48,16; 55,27; 62,27; 67,8 702,40 66,38 55,24 61,19 60,40 534,43 60,48 536,2 121,52 534,35 128,22 583,23 584,7 215,43 534,33 535,50 47,30 583,37 590,24 585,42 541,24

779

Bibelstellen Mi Nah Hab Zeph Hag Sach

Mal Ps

2,12 6,8 2,1 1,2-4 3,3 1,1.12 3,1-7

Tiersymbolik Theorie und Praxis Teufel Theodizee Tiersymbolik Tempel Teufel

6,6 9,9 f.

Teufel Tiersymbolik

3,23 f. 6,5-9 7,3 18,34 22

Tod Tod Tiersymbolik Tiersymbolik Tod

22,7 22,13f.l7. 22 22,13.22 22,14.22 22,17.21 22,17.21 22,22

Tiersymbolik Tiersymbolik

22,28-32 22,30 23 23,6 29,6 31,14-16 36,8 39,6 42,2 44,2-9 44,12 47 49,16 51 58,5 73,23.26 74,12 74,13 74,19 80,2 82 82,1.6.7 82,6 84,4 88 88,6 88,7 89,10 ff. 90,5 90,7-11 90,10 90,12 91,13

Tiersymbolik Teufel Teufel Tiersymbolik Teufel

535,42 377,50 122,7 218,30 535,47.48 49,11 116,14.18; 124,27 142,32 536,36; 541,2 591,40 583,9 535,10 535,36 593,9; 596,49; 597,3 535,31 535,10

535,12 141,41.45 141,47 535,12 142,5; 144,19; 146,29 Tod 596,55 Tod 585,43 Tiersymbolik 535,35; 596,3 Tod 597,6 Tiersymbolik 536,40 Tod 590,27 534,41 Tiersymbolik Tod 626,9.10 Tiersymbolik 535,33 216,24 Theodizee 536,27 Tiersymbolik Traditionskritik/ 734,39 Traditionsgeschichte Tod 592,1 217,23 Theodizee Tiersymbolik 535,11 Tod 590,30 216,28 Theodizee Teufel 142,11 535,30 Tiersymbolik Tiersymbolik 536,27 Teufel 125,22 Theosis 391,7 Theosis 389,20 535,34 Tiersymbolik Tod 580,3 Tod 603,32 Tod 585,42 535,1 Tiersymbolik Tod 626,8 Tod 588,48 Tod 582,35 Tod 589,32 Teufel 141,41; 142,10.17;

104,26 106,37 109,6 109,23 110 110,1 110,1.4 118,12 119,176 124,7 138,7 139,7 f. lf.

Tiersymbolik Tod Theodizee Tiersymbolik Tiersymbolik Tiersymbolik Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tiersymbolik Teufel Teufel Tiersymbolik Tod Teufel Tempel Tiersymbolik Tiersymbolik Tiersymbolik Tod Tod Teufel

1-2 1,6 1,6-12

Teufel Teufel Teufel

1,9-11 1,21 3,13-19 7,12 9,25 f. 11,7 ff. 14,1.14

Teufel Tod Tod Tiersymbolik Tiersymbolik Theodizee Tod

19,25 21,7-17 40,15-24 42,7 ff. 1,7

30,26 1,2 1,9 1,15

Tod Tod Tiersymbolik Theodizee Theorie und Praxis Tier Tiersymbolik Thérèse d e Lisieux Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tiersymbolik Tod Tiersymbolik Tiersymbolik

2,7 2,9.17 2,14

Tiersymbolik Tiersymbolik Tiersymbolik

2,5 7,15 f. 8,16f. 9,4-7 9,10

Tiersymbolik Theodizee Theodizee Tod Tod

92,11 94,17 102 102,7 102,8 103,3-5 104

Hi

Prov

3,18-21 7,22 f. 9,4 22-24 30,1-14

Cant

Koh

144,19 535,40 585,44 217,7 535,30 535,30 535,38 738,53 534,48 142,34 116,20 535,31 591,10 126,2 63,3 535,12 535,29 535,38 584,42 590,24 116,14.17. 29 124,27.46 119,7 119,24; 141,36 120,21 596,42 589,28 535,31 536,31 210,26 589,47; 637,2 593,29 589,34 535,1 217,20 377,27; 379,51 529,15 536,1 410,49 738,54 739,24 545,32 604,25 536,8 534,44; 536,11 534,44 536,7 536,10; 545,24 536,9 218,46 210,26 589,39 585,43

780

Bibelstellen 11,5 2,1-8 3,10 3,38 4,3 5,20 6,17.23 7

Theodizee Theodizee Tiersymbolik Theodizee Tiersymbolik Theodizee Teufel Tiersymbolik

210,26 216,20 534,35 217,20 536,2 216,19 Dan 141,42 537,29; 541,13 9,27 56,37 Tempel 12,1-4 Tod 593,33; 603,51 Esr 6,1-4 Tempel 49,9 6,2-5 Traditionskritik/ 739,20 Traditionsgeschichte 6,3 Tempel 51,7 6,6-18 Tempel 49,10 Neh 8 Tradition 692,34 I Chr 21,1 Teufel 116,14.26; 124,27; 126,42 25 Traditionskritik/ 739,25 Traditionsgeschichte II Chr 3,1 Tempel 65,49 IV Esr 4,24 Tiersymbolik 537,41 Tiersymbolik 5,18 537,40 5,26 Tiersymbolik 537,40.41 5,41 f. Tod 594,4 11,1-12,35 Tiersymbolik 537,51 537,32 12,1.31 f. Tiersymbolik äthHen 1-36 Theodizee 218,50 6-11 Teufel 117,6 9,6 Teufel 117,8 10,13 Teufel 128,30 22 Tod 587,7 40,7 123,40 Teufel 128,34 53,3 Teufel 60,7-9 Tiersymbolik 537,35 85-90 Tiersymbolik 537,29.42 67,30 90,27 - 29 Tempel 90,37 Tiersymbolik 537,49 117,4 Jub 4,15 Teufel 5 Theodizee 219,1 10,1-13 Teufel 122,25.29 10,10 Teufel 122,30 11,11 122,24 Teufel 17,15-18 Teufel 117,5 17,16Teufel 122,28 18,14 122,25.27 19,28 Teufel 23,29 Teufel 122,33 31,14 Tempel 66,11 40,9 Teufel 122,33 48,2Teufel 122,27 9.15-18 49,2 Teufel 122,30 IMakk3,4 Tiersymbolik 538,2 7,33-50 Tempel 67,21 9,54 f. Tempel 66,51 IIMakkl,l-18 Tempel 67,24 2,17f. 55,32 Tempel 6,18-31 Tradition 696,2 7 Tod 586,52 Thr

IV M a k k 4,11 PsSal 18,6 Sir 24,14.10f.23 24,7-12 24,8-12 25,15 f. 25,24 50,11-21 Tob lf. 1,3 1,6 ff. l,10f. l,16f. 1,17-20 2,1-4 2,6 2,9 3,1-6.1115 3,2.11 3,8 3,10 3,17 4 f. 4,3 f. 4,6.21 4,711.16f. 4,13 6 7-8 7,13 9-10 11 12 12,7-11 13 13,12-18 14 14,4 14,5 14,5-7 14,10 Weish l,13f. 1,14 1,16 2,24

Mt

Tempel Tod Tempel

55,4 594,3 61,46

Tempel Tempel Teufel Teufel Tempel Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit

61,19 61,45 125,12 125,12 61,32 575,7 575,46; 576,33 576,1 576,2.39 576,5 576,5.40 576,7.40 573,50 577,19 576,28.43

Tobit Teufel Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit

576,29 116,49 576,13 576,13 575,11 576,12 576,16 576,10

Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit Tobit

576,13 575,19 575,21 577,20 575,23 575,26 575,26 575,33 575,29; 576,37 576,44 575,30 573,50 61,47 576,47 576,22 589,7 583,26 583,27 116,46; 125,7.13; 142,8 61,51 592,4 65,35; 66,15 541,27 118,4.6 275,19 639,19 588,34 58,4; 60,47 587,26 639,7

Tobit Tobit Tobit Tempel Tobit Tobit Tod Tod Tod Teufel

3,14 4,10-5,5 9,8

Tempel Tod Tempel

3,7 par. 4,1 5,8 5,17 5,22.29f. 5,23 f.34f.

Tiersymbolik Teufel Theologie Todesstrafe Tod Tempel

5,29f. par. Tod 5,39 Tod

Bibelstellen 5,43-48 6,10.13 par. 6,13 par. 6,24 7,6 7,12 7,13 7,15 7,21

Toleranz Teufel

Teufel Toleranz Tiersymbolik Toleranz Tod Teufel Theorie und Praxis 8,11 f. par. Tod 8,20 par. Tiersymbolik 9,13 Tempel 9,36 Tiersymbolik Thomas, 10,3 Apostel 10,16 par. Tiersymbolik 10,34 Toleranz 12,24 Teufel 12,27 par. Teufel 12,28 par. Teufel 12,40 12,40 12,43-45 par. 13 13,19

Tempel Tiersymbolik Teufel Toleranz Teufel

13,24-30. Toleranz 36-43 13,24-28 Toleranz Teufel 13,25.39 13,39 13,47f. 15,1 ff. 15,26 f. 16,4 par. 16,18 16,23 par.

Teufel Tiersymbolik Tradition Tiersymbolik Tempel Tempel Teufel

16,27

Theorie und Praxis 17,24-27 Tempel 18,17-18 Toleranz 18,20 Tradition 18,23-25 Todesstrafe 21,1-7 Tiersymbolik 21,1-11 Tempel 21,2ff. Tiersymbolik 2 1 , 1 2 - 1 7 Tempel 21,14 Tempel 23,16 Tempel 23,29 par. Tod 23,34-38 Tempel 23,35 Tempel 24,1 ff. Tempel 24,15 Tempel 25,31-46 Teufel 25,32 f. 25,41

Tiersymbolik Teufel

781

649,45 120,37 119,25 649,38 541,42 649,44 588,33 141,46 377,14 587,21 540,48 60,49 541,30 430,2 541,26 649,40 127,15; 130,30 120,37 120,2.34. 46 60,3 541,23 120,29 655,15 118,8.15; 120,31 649,42 667,42 143,46; 146,51 120,31 541,33 714,6 541,29 60,17 62,47 119,49; 126,46 377,9 58,51 649,41 719,31 644,30 545,27 60,44 541,1 60,42 56,7 57,54 584,29 60,45 56,27 60,46 56,25 143,47; 144,12 541,32 118,32; 120,44;

2 6 , 3 6 - 4 6 Teufel par. 26,38 par. Teufel 26,61 Tempel 28,19 28,19 28,19f. 28,20 1,2-11 par. 1,2 par. 1,9 1,11 par. l,12f. par.

Teufel Tradition Theologie Tradition Teufel

121,15; 128,32 120,4 144,20 59,48; 62,10 118,46 707,24 326,38 719,31 120,7

1,13 1,15 1,23-28 par. 3,23.26 par. 4,14 par. 4,15

Teufel Tempel Teufel

591,44 57,35 540,50 117,51; 120,8.25 118,4 59,45 143,48

Teufel

120,32

Tiersymbolik Teufel

5 5,9.15 par. 5,21-43 par. 6,15 par. 8,27-10,52 8,33 8,35 par.

Tiersymbolik Teufel

541,21 118,5.8; 119,36; 120,31 541,25 118,34

Tod

592,24

Tod Tod Teufel Tod Tod Tod Teufel Teufel Tempel

591,45 595,32 126,46 588,37; 595,25 594,2 591,43 119,10 113,41 57,48

Tod

595,30

Tempel

Tod

59,21; 60,37 60,11 57,51; 58,2 593,38

Tempel

58,1

Tempel

50,17; 59,23; 60,36 60,21 56,37; 59,27 60,36 120,42 57,35 120,12

9,1 9 , 2 - 8 par. 9,17 par. 9,35 10,32ff. par. 10,38 f. par. 11,15-19 par. 11,16.17 ll,17f. 12,18-27 par. 12,41.43 par. 13,1 f.

Tod Tempel Tiersymbolik Teufel

Tempel Tempel

13,2 Tempel 13,14 par. Tempel 13,14ff. 14,21 par. 14,28 14,32-42 par.

Tempel Teufel Tempel Teufel

Bibelstellen 19,41-44 21,20-24 21,24 21,37 f. 22,3

Tempel Tempel Tempel Tempel Teufel

22,37 22,53 23,43

Tod Teufel Tod

Tragik/Tragödie 761,19 Tempel 57,55; 60,29 Tod 585,7 Tod 590,38 Theater 179,40 Tod 584,27

23,48

Theorie und Praxis Theologie

Teufel

1,1.3

14,38 par. Teufel 14,53 ff. Tempel par. 14,58 par. Tempel 14,64 par. 15,2-5 par. 15,24.29. 34 15,29 f.38 par. 15,34 15,38 par. 15,47 16 16,Iff. 16,1-8 par. 16,5 par.

Tempel Teufel

59,27.51; 60,4; 62,f 59,38 143,50

Tod

593,9

Tempel

59,25.27

1,1-4 Tradition 1,5-23 Tempel l,5ff. Tempel 1,10 Tempel 1,20-23 Tempel 2,22Tempel 39.4151 2,25-38 Tempel 2,36-38 Tempel 2,41 Tempel 2,41-51 Tempel 3,11-16 Teufel 4,2 Teufel 4,21 Tod 7,11-17 Tod 7,12 Tod 8,12 Teufel 10,18

Teufel

10,18

Theorie und Praxis 10,19 Teufel 11,11-13 Tiersymbolik par. 11,47-51 Tod par. 11,51 Tempel 12,4 Todesstrafe 12,6f. par. Tiersymbolik 12,16-21 Tod 12,49 f. Tod 13,16 Teufel 13,32 13.32 13,35 par. 14,27 par. 16,19-31 17.33 par.

144,21 59,24.52

Tiersymbolik Tod Tod Tod Tod Tod

118,41; 141,39 696,34 57,41 60,56 58,30 61,7 61,6 57,39 61,4 55,39 57,44 130,28 118,4.6 587,39 592,24 584,25 118,5.7; 119,38; 120,31 121,1; 124,31; 125,28; 126,13 377,6 144,17 540,43 593,10 56,28 642,52 541,40 587,38 593,6 119,11; 120,29 541,35 593,5 591,47 595,26 587,29 595,24

24,2527.4449 24,50 24,53

1,1-4 1,1-18 1,5 1,14 1,14 1,29 1,29.36 2,13-22 2,13.23 2,16f. 2,19 2,20 3,5 3,14 4,19-26 5,24 5,24-29 5,46 6,70 8,2-13 8,12

Tod Tempel Theophilus von Antiochien Theologie Tempel Teufel Tempel Tertullian Tempel Tiersymbolik Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tertullian Tiersymbolik Tempel Tod Tod Theologie Teufel

8,44

Todesstrafe Thomas von Kempen Teufel

8,58 8,59 9,1-3 10,1-18 10,23

Tempel Tempel Theodizee Tod Tempel

11,16

Thomas, Apostel 11,21-27 Tod 11,39 Tod 11,44 Tod 11,55 Tempel 12,23-26 Tod 12,31 Teufel 12,35 f. 13,27

Tod Teufel

60,16.21 60,24 61,11 57,53 119,44.46; 120,41; 130,30; 143,49 593,2 118,39 587,37; 636,32 376,52 271,2 591,48 58,10.27; 60,56 369,37 325,50 61,17 142,35 61,18 100,21 61,23 541,6 59,30 57,50 61,25 59,52 54,24 97,34 541,2 61,25 595,39 594,14 269,52 119,49; 126,46 639,32 481,7 119,40.41. 48; 125,3 59,8 59,6 225,10 597,8 55,6; 57,55 430,6 594,9 584,22 584,23 58,46 595,37 118,20.35; 120,44.47; 121,1 595,40 118,3.10; 130,29

783

Bibelstellen 14, 2f.

Tod

14,17

Theorie und Praxis Thomas, Apostel Tertullian Teufel

14,22 14,28 14,30 15,1816,33 16,12 16,33 17,12 19,41 20,3 ff. 20,14ff. 20,24 - 28 1,6-8 1,8.21 f. 1,8 1,13 1,14 1,15 ff. 2 2,1 2,2 2,11

Tod Tertullian Tod Teufel Tod Theater Theater Thomas, Apostel Tod Tradition Tempel Tempel Tempel Theologie Tempel Tempel Tempel

2,42 2,46 f. 3,2.10 3,11 3,20 f. 3,20 f. 4,1-31 5,1-11 5,3 5,17-42 5,34-39 6,1-8,3 6,7 6,9 6,11 6,13 6,14

Theorie und Praxis Tod Theorie und Praxis Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tod Tempel Teufel Teufel Tempçl Toleranz Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel

7,7 M f. 7,44 7,47 8,9-24 8,9-13 8,18-24 8,27 10,2-4 10,26 10,42 12,12 12,15 12,23

Tempel Tempel Tempel Teufel Teufel Teufel Tempel Tempel Theosis Tod Tempel Teufel Teufel

2,23 f. 2,37

588,9; 594,15 377,4 430,6; 431,17 99,46 118,20.35; 120,48 595,38 103,49 595,41 119,23; 120,42 585,2 179,41 179,42 430,10.11. 39; 431,17 587,40 696,38 58,20 58,15 58,27 271,31 58,18 58,33 56,33; 58,20 377,10 593,22 378,12 58,27 58,26 55,51 58,12 61,12 591,46 59,4 119,43 119,39 59,4 649,44 59,9 58,13 58,10 59,17 59,19 59,11.28. 50 61,2 56,50 56,29 143,53 130,42 130,44 58,36 61,36 389,26 588,18 58,9 141,38 119,8

13,14ff. 14,22 16,1-3 17,1-9 17,1 17,2 17,6.8 17,14f. 17,22 18,1-17 18,2 18,5 18,18 18,22 19,9 f. 19,27 20,16 20,17-35 21,23 f. 21,24 21,27 ff. 21,29 21,30 26,18 26,23 1,3 f. 1,4 1,20

2,14f.

2,25-3,8 3,4 f. 3,5 3,(24)25. 26a 3,25 3,25 f. 3,26 4,17 4,24 4,24 f. 4,25 5,6.8 5,6-11 5,8 5,12-21

Theologiestudium Tod Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Theorie und Praxis Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Tempel Tempel Theologiestudium Tempel Tempel Tradition Tempel Tempel Tempel Tempel Tempel Teufel Tod Tertullian Tod Thomas von Aquino/ Thomismus/ Neuthomismus Thomas von Aquino/ Thomismus/ Neuthomismus Theologie Theodizee Theodizee Traditionskritik/ Traditionsgeschichte Tempel Tod Theologie Tod Tod Tradition Tod Tod Theologie Tradition Tod

439,29 595,36 414,2 413,37.47 413,16 415,2 413,5 414,3 377,3 414,29 414,24 414,3.4.18 58,41 58,41 349,30 56,16 58,34 696,34.42 58,39.47 58,45 59,13 59,14 55,51 129,12 591,3 100,21 591,6.9 447,34

448,48

271,12 222,9 231,51 748,21 63,13 593,14 271,17 590,48 590,36 696,9 593,15 593,12 271,14 695,52 589,10

784

Bibelstellen 5,14.17

Tod

583,26; 591,11 6,1-14 Teufel 144,15 6,1-14 596,5 Tod 6,3 ff. Tod 581,38; 595,46 6,3-18 Teufel 120,10 6,4.9 Tod 590,37; 591,12 6,11 Teufel 120,52 6,12-23 Tod 596,14 6,23 616,6 Tod 7,5f.7-13 Tod 589,17 7,10-8,2 Tod 583,30 7,14 Theologie 326,30 7,24 Tragik/Tragödie 761,19 7,24.25 Tod 589,24 8 Tier 532,33.45 8,14Theosis 389,17 19.29 f. 8,17Tod 596,28 25.2830 8,18-22 Tod 589,12 8,19-22 Toleranz 667,30 8,19-23 Tier 528,49 8,20-23 Tier 529,20 26,9 8,26 f. Te Deum 8,29 Tier 529,15 8,31-39 Tod 596,32 8,32 Tod 593,12 9,4 Tempel 61,40 9,20 f. Theodizee 222,26 10,4 Theologie 269,51 10,9 Theologie 270,48.50 10,9 Tradition 696,51 12,15 Tod 621,46 639,7 13,5 Todesstrafe 13,12 Teufel 120,14; 144,33 14,7-9 Tod 596,36 58,49 15,25Tempel 27.31 16,20 Teufel 120,51 271,11 Theologie 1,2 1,18 Theologie 326,28 2,12f. Theologie 328,30 3,5-23 Tempel 61,49 3,6-9 Tempel 62,3 3.10 Tempel 62,52 3.11 Tempel 62,48 3,12.19f. Tempel 63,22 3.16 Theologie 271,9 3,16f. Tempel 62,12.14; 63,19 3.17 Tempel 63,21 4,11 f. Tod 596,21 5,5 Teufel 119,9.19; 128,35 5,7 f. Tempel 58,34 7,5 Teufel 119,39 7,25 ff. Tertullian 103,39 7,29-31 Tertullian 103,11 9,13 Tempel 56,18.36 10,10 Teufel 118,18; 119,20

11,13 11,23 11,23-26 par. 11,24 f.

Tertullian Tradition Tod

103,30 697,2 596,24

Tod

12,1-3 12,3 13,4-7 13,13

15

Teufel Tradition Toleranz Theorie und Praxis Thomas von Aquino/ Thomismus/ Neuthomismus Theorie und Praxis Tod

586,28; 593,7 119,31 695,50 666,44 377,48

15,1-5 15,3-5 15,3-5 15,3-5

Tradition Tempel Theologie Tod

15,3-5 15,4 15,12ff. 15,17f. 15,20 15,22 15,24-26

Tradition Tempel Tradition Tod Tod Tod Teufel

13,13

14,1-33

15,24-28 Teufel 15,25 Teufel 15,26-28 Teilhard de Chardin 15,26.54f. Tod 15,26 Teufel 15,29 Tod 15,32 Tod 15,53 15,55.57 2,9-11 3,4 4,6 4,10-12 4,16 5,1 5,1-5 5,1-10 5,1-10 5,14 5,15 5,18 6,14-7,1 6,14-16 6,14ff. 6,15 6,15 6,16 8,2 11,3

Theophilus von Antiochien Tod Teufel Theologie Theologie Tod Tod Tempel Tod Tempel Tod Tod Tradition Theologie Tempel Teufel Teufel Technik Teufel Tempel Thessalonicherbriefe Tiersymbolik

455,26

377,53 594,29; 596,29 696,48 57,37 271,6 590,37; 593,16 696,9 60,1 697,2 590,41 615,46 594,42 120,50; 144,18 121,5 126,2 29,22 583,26 119,15 580,25 583,20; 589,39 370,31 615,20 119,36 328,39 271,1 596,19 596,23 60,6; 62,8 595,1 62,17 588,1 596,10 696,9 339,7 63,27 118,38 129,13 20,16 118,21 62,15 413,42 541,20

Bibelstellen 11,14

Teufel

12,7 f.

Teufel

3,10ff. 3,13 3,28 4,6 5,1 5,6

Theologie Tod Theologie Theologie Tiersymbolilc Theorie und Praxis Tiersymbolik Teufel Teufel Tempel Tempel

5,15 2,1 f. 2,2 2,16 2,20 6,10-17 6,11 f. 6,12 1,21-23 1,23 2,5-11 2,5-11 2,9-11 2,11 3,2 3,4-11 3,11.20f. 4,15 4,16 1,15 ff. 1,16 1,24 ff. 2,12 f. 1,1 1,5 f. 1,4-2,12 1,6 1,7-9 1,9 1,9 f. 1,9 f. 2,1-12 2,1-8

119,29; 141,38; 142,3.36; 143,21 118,20; 119,7.11; 120,5 271,9 596,8 304,33 273,50 541,38 377,16

541,37 113,42 118,21.35 62,54 62,46.48. 50 Teufel 120,15; 144,33 Teufel 144,32 Teufel 127,29 Tod 587,51 Tod 617,43 Thomasius, G. 489,6; 490,24 Traditionskritik/ 748,21 Traditionsgeschichte Tod 591,8 Tradition 695,50 Tiersymbolik 541,28 Theologie 271,1 Tod 587,53 Thessalonicher- 414,20 briefe Thessalonicher- 415,17 briefe 29,48 Teilhard de Chardin 24,37 Te Deum Theologie 271,33 596,26 Tod Thessalonicher- 414,6; briefe 417,39; 420,27 Thessalonicher- 416,52 briefe Thessalonicher- 416,22 briefe Thessalonicher- 413,36; briefe 415,30; 417,43 Thessalonicher- 415,24.40 briefe Thessalonicher- 413,26.37 briefe Theologie 270,38 Thessalonicher- 413,31; briefe 415,11 Thessalonicher- 415,45 briefe Thessalonicher- 417,45 briefe

785 2,2 2,7 2,9 2,12 2,13 2,14 2,14-16 2,17 f. 2,18 3,1 3,Iff. 3,4 3,5 3,6 3,6-10 3,10 4,11 f. 4,13 4,13 f. 4,13-18 4,13-18 4,13-5,11 4,14 4,15-17 4,16 f. 4,16-18 5,1-11 5,2 f. 5,12 f. 5,14 5,19 5,26 f.

IIThess 1,1 1,5-10

Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Tradition Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Teufel Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Tod Thessalonicherbriefe Tod Thessalonicherbriefe Tod Thessalonicherbriefe Tod Tod Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe

414,5; 415,32; 417,40 415,16 416,14 696,50 413,26.36; 415,30.33 412,38 414,9; 415,4.19 119,13 414,5; 415,21 414,9.18 415,15 415,7 416,2 414,15 415,6; 416,4 413,40; 415,28 416,38 583,21; 594,37 415,24; 416,5 593,50 417,24 590,37 416,38; 419,33 592,7 594,5 412,38; 415,13; 417,12 419,17 415,5.26; 416,6; 417,28 418,25; 419,50 417,33 413,24 414,6; 417,39; 420,16 418,23; 419,25

786

Bibelstellen 2,1 2,2 2,3 2,3-12 2,6 f. 3,6-12 3,9 3,11 3,17

I Tim 1,10 1,20

Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Teufel Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Thessalonicherbriefe Tradition Teufel

3,Iff. 3,6 3,7 3,15f. 6,20 II Tim 1,10 1,13 f.

Hebr

Jak

Theologie Teufel Teufel Tempel Tradition Tod Theologiestudium 1,13 Tradition 1,14 Tradition 2,14-26 Tempel 2,19 Tempel 1,1 f. Tradition 2,14 Teufel 3,6 Tempel 4,14 Tempel 5,9f. Tempel 6,2 Tod 6,4-6 Terministischer Streit 6,19f. Tempel 7,18-8,13 Tempel 7,25 Tempel Tempel 8,1 8,1 f. Tempel 8,5 Tempel Tempel 9,1 9,2.6-8 Tempel Tempel 9,3

9,4 f. 9,7 9,8-12 9,11 f.24

Tempel Tempel Tempel Tempel

9,23 9,24

Tempel Tempel

9,25 9,26 9,27 10,19-25 10,20 13,10.14 1,22

Tempel Tempel Tod Tempel Tempel Tempel Theorie und Praxis

418,18; 419,40 418,20; 419,35 119,23 419,15 419,23 418,24; 419,46 420,13 420,3 420,20 697,10 119,13; 128,35 271,34 119,42 119,28 63,28 697,9 593,24 349,31 697,12 697,25 63,26 62,55 718,57 119,16 63,2 57,7.30 62,18 588,19 78,44 60,32 63,10 63,6 63,4 57,2.29.32 57,10.11 57,12 57,17.22 57,18; 60,32 57,15 55,18 57,25 57,7.8.9. 10 57,27 57,23.30; 63,6 57,20 57,11 588,20 62,21 57,32 57,13 377,14

3,3-5 4,7 f. 4,17 I Petr 2,5.9 2,22-25 3,19 3,19f. 5,8

Tiersymbolik Teufel Theorie und Praxis Tempel Tod Teufel Tod Teufel

5,8 II Petr 1,4

Tiersymbolik Theosis

2,4 par. 3,1 f. I Joh 4,16 2,26 2,28-3,3 3,8 3,8-12 3,10 II Joh 9 Jud 3 6

Teufel Tradition Theologie Teufel Tod Teufel Teufel Teufel Tradition Tradition Teufel

Apk

9 1,5 1,18 2,9 2,10.13 2,11 2,20 3,3 3,12

Teufel Tradition Teufel Teufel Teufel Tod Teufel Tradition Tempel

4,7 5,5

Tiersymbolik Tiersymbolik

5,6 5,6 f. 5,6.9.12 6,8 6,8 6,9-11 6,9 6,9 7,1-17 7,15 9 9,3-11

Tiersymbolik Teufel Tempel Teufel Tod Tod Tempel Tradition Tod Tempel Teufel Teufel

9,8.17 9,11

Tiersymbolik Teufel

9,16-19

Teufel

11,1 11,3-14 11,7 11,19

Tempel Teufel Tiersymbolik Tempel

12

Teufel

12f.

Teufel

541,43 120,6 381,20 61,38 593,3 143,51 591,15 141,44; 144,16.38 541.20 389,16; 391,3.5 121.15 697,12 325,49 119,27.32 594.18 119,37.40 125,5 119.42 697.19 697.16 121,15; 127,29 118,30.31 697,41 128.46 119,41 119.38 588,29 119,33 697.43 56,44; 62,32 540.39 541,4; 547,15 541,7 142,2 62,41 128,25 583,27 588,11 56.45 697.44 588,15 56,44 128.47 142,21; 144,1 541,44 118,18; 119.21 142,21.29; 144.1 56.46 144.2 541.11 56,43.48; 60,32 124,33; 144.3 121,11; 144,8.38; 145.12

787

Namen/Orte/Sachen

1.2.

12f. 12,1-6 12,3-18 12,3 f. 12,4

Tiersymbolik Teufel Teufel Teufel Teufel

12,6 12,7ff. 12,7-9

Teufel Teufel Teufel

12,7-12

Teufel

12,9

Teufel

12,9.17f. 12,12 12,17 12,15 f. 12,18 13,1

Teufel Teufel Tradition Teufel Teufel Teufel

13,1-4 13,1-10 13,1-18 13,2 13,11 13,11-18 13,11-18 15,5 16,13 f. 16,13-16

Tiersymbolik Teufel Teufel Teufel Teufel Teufel Tiersymbolik Tempel Teufel Teufel

17 17,3 17,4-6 17,14 19,7 19,8

Tiersymbolik Teufel Teufel Tiersymbolik Tempel Tempel

541,17 144,4 142,23 142,22.41 113,42; 127,39 121,2 113,42 144,9; 146,17 118,31.36; 120,19; 121,1.5; 144,5 113,40; 118,16; 120,17; 142,13.24. 41; 144,3 118,45 121,2 697,40 144,6 142,25 142,24.25. 42 541,12 118,43 144,7 142,26 142,1.23 118,45 541,13 56,49 121,12 121,6.8; 144,9 541,15 142,42 142,43 541,8 62,40 62,30.33

19,8 19,11-21 19,20 19,20 f. 20,1-3

Teufel Teufel Tiersymbolik Teufel Teufel

20,1-6 20,2

Teufel Teufel

20,4-6 20,5

Tod Tod

20,7 f. 20,7-10 20,8 20,10 20,10

Teufel Teufel Teufel Teufel Tod

20,10.14 20,11-14 20,11-15 20,13 20,13 f.

Teufel Tod Teufel Tod Teufel

20,14

Tod

20,14f. Tod 21,1.25 Tod 21,1-22,5 Tempel 21,4 Tod 21,12f. Tempel 21,14.19f. Tempel 21,22 Tempel 22,1 f. 22,3 22,9.16 22,15 22,15

Tempel Tempel Tradition Teufel Tiersymbolik

142,45 121,6.8 541,14 121,14 118,31; 144,11; 146,51 121,9 121,9; 128,32; 142,45 588,15 588,31; 595,8 121,13 121,8 119,34 119,16 588,35; 595,6 144,13 588,12 144,12 595,7 119,17; 128,25 583,28; 595,5.11 579,46 595,10 62,24 595,9; 615,22 62,38 62,45 56,44.52; 62,42 62,4 62,44 697,36 144,17 541,36

Namen/Orte/Sachen

(bearbeitet von Klaus Breuer und David Trobisch) Das TRE-Register enthält alle Sachbegriffe, Personen- und Ortsnamen, zu denen sich an den angegebenen Stellen registrierwürdige Informationen finden. - Fettdruck von Registerwörtern und Seitenzahlen weisen auf einen eigenen Artikel hin. - Die Verweisung nennt zur Vororientierung durchgängig zuerst den Artikel, in dem das registrierte Wort vorkommt, danach Seite und Zeile. Mit f f . ist ein für das Registerwort relevanter längerer Zusammenhang gekennzeichnet. Auf systematische Zu- und Unterordnungen ist verzichtet; man findet daher systematische Unterbegriffe an ihrem alphabetischen Ort. - Sammelregistrierungen sind vorgenommen für Kirchenordnungen-, Klöster und Stifte; Missionsgesellschaften; Päpste; Päpstliche Bullen, Enzykliken und Breven; Synoden; Universitäten. Die gesuchten Kirchenordnungen, Klöster usw. findet man bei diesen Registerwörtern nach alphabetischer Ordnung.

788

Namen/Orte/Sachen

Aaron Berechia ben Mose v. Modena: Tod 604,40 Abaelard, Petrus: Teufel 127,5; Theologie 276,51; Toleranz 651,4; 655,37; 673,13 Abendmahl: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 457,14 Abildgaard, Nicolai Abraham: Thorwaldsen 492,42 Abraham ibn Daud: Tosefta 680,37 Absolute, das: Teleologie 38,28 Abulafia, Abraham: Theosophie 399,24 Achelis, Ernst Christian: Theorie und Praxis 379,6 Ackermann aus Böhmen: Tod 609,45 Adam v. Wodeham: Thomas v. Bradwardine 475,46 Adamov, Artur: Theater 187,54 Adorno, Theodor W.: Theorie und Praxis 383,34; Tillich 555,36 Ägypten: Theosophie 4 0 1 , 3 2 - 45; Tod 579,42ff. Afanas'ev, Nikolaj: Theologie 294,27 Afrahat: Thomas, Apostel 432,24 Afrika: Theologie 311,24; 315,14 Afrikanische Religionen: Toleranz 672,44 Agnostizismus: Theismus 197,32 Agobard v. Lyon: Tertullian 94,19 Agrippinus v. Karthago: Tertullian 104,1 Ahas: Tempel 49,5 Ahorn, Lukas: Thorwaldsen 493,9 Aischylos: Theater 176,15; Tragik/Tragödie 752,38 Akbar, Großmogul: Toleranz 669,15 Akiba ben Josef: Tradition 702,47 Alanus ab Insulis: Theologie 277,35; Tiersymbolik 544,13 Albert d. Gr.: Tiersymbolik 544,23; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 434,21 Alberti, Valentin: Thomasius, Ch. 484,4 Albertz, Rainer: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 741,32 Albinus: Theologie 273,23 Albrektson, Bertil: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 151,41 Albright, William Foxwell.: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 150,25ff.; Traditionskritik/Traditionsgeschichte 735,42 Aicher v. Clairvaux: Thomas v. Cantimpre 478.3 Aldegrever, Heinrich: Tiersymbolik 545,13 Aldrovandi, Ulisse: Tiersymbolik 547,40 Alembert, Jean le Rond de: Theater 190,38 Alexander II., Zar: Tischendorf 568,38; 569,4 Alexandrien: Theologie 275,12; Theophilus v. Alexandrien 364,20ff.; Timotheus Aelurus 565,40 Alexandrinischer Text: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 164,34 Alkuin: Theologiestudium 351,25 Aisted, Johann Heinrich: Theorie und Praxis 381.4 Alt, Albrecht: Tradition 689,27; Traditionskritik/Traditionsgeschichte 735,50; 736,43 Altes Testament: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 148,19; Theodor v. Mopsuestia 241,20; Theologie 264,28;

Althaus, Paul: Theorie und Praxis 380,16; Tod 617,31 Ambrosius v. Mailand: Te Deum 23,45; Theodosius I. 257,3; Theologie 274,20; Tiersymbolik 543,6; Tod 607,12; Todesstrafe 639,25 Anastasius v. Antiochien: Theodor v. Raithu 247,45 Anaxagoras: Theorie und Praxis 376,2ff. Anders, Günther: Technik 16,23f¥. Androutsos, Chrestos: Theologie 292,11 Angela v. Marsciano: Tertiarier/Tertiarierinnen 91,37 Anselm v. Canterbury: Teufel 130,20; Theologie 276,48; Transzendentalphilosophie 766,14 Anselm v. Havelberg: Toleranz 651,1 Anselm v. Laon: Teufel 127,4 Anthropologie: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 454,36 Antichrist: Teufel 125,32 Antichristspiel: Theater 180,8 Antiochien: Theodor v. Mopsuestia 240,8; T h e o d o r « v. Kyrrhos 250,43; Theodosius I. 256,47 Antisemitismus: Thüringen 5 1 2 , 4 4 - 5 1 3 , 2 Apel, Karl Otto: Transzendentalphilosophie 763,43 Apokalyptik: Theologie 267,24 Apollinaris v. Laodicea: Theodor v. Mopsuestia 240,20; 243,32; Theologie 274,42 Apologetik: Tertullian 95,3ff.; Theodor Abü Qurrah 238,19; Theodoret v. Kyrrhos 252,23; Theophilus v. Antiochien 369,1 Aquila: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 149,37 Arad: Tempel 52,38 ff. Arbeiter/Arbeiterbewegung/Angestellte: Thüringen 501,11 Aretino, Pietro: Tizian 571,44 Arianismus: Theodor v. Mopsuestia 243,32 Aristophanes: Theater 177,8 Aristoteles/Aristotelismus: Teleologie 36,25; Theater 176,38; Theologie 278,17; Theologiestudium 351,51; Theorie und Praxis 375,48ff.; Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 434,6ff.; 439,17ff.; Tiersymbolik 544,22; Tod 622,15; 630,24; Tragik/Tragödie 751,38; 756,16; Transzendenz 768,46 Armandus de Bellovisu: Tiersymbolik 545,4 Arndt, Johann: Tertullian 105,15; Theologia deutsch 261,15 Arnold, Gottfried: Tersteegen 82,50 Arnold, Thomas: Temple, W. 72,35 Arrupe, Pedro: Theologie 311,46 Ars moriendi: Totentanz 686,38 Artaud, Antonin: Theater 187,50 Artes liberales: Theologiestudium 352,34 Aschkenas: Theosophie 399,43 Asien: Theologie 311,24; 314,32 Askese: Theologie 275,8 Asoka, Kaiser: Toleranz 671,54 Athanasius v. Alexandrien: Teufel 1 4 2 , 4 9 143,21; Theosis 389,33 Atheismus: Theismus 1 9 6 , 2 4 - 5 1 ; Theodizee 222,50

Namen/Orte/Sachen Athen: Thessalonicherbriefe 413,52 Athenagoras, Apologet: Teufel 125,33; Theater 178,26 Auferstehung: Tertullian 101,4; Theophilus v. Antiochien 370,25 Aufklärung: Theater 184,13; Theologie 282,3; Thomasius, Ch. 4 8 5 , 1 2 - 4 8 6 , 6 ; Thüringen 508,8 Augsburger Bekenntnis, Confutatio und Apologie: Tertullian 105,11; Tradition 712,51 Augsburger Religionsfriede: Toleranz 652,36-653,7 Augustin/Augustinismus: Te Deum 23,46; Tertullian 104,17; Teufel 127,25; 130,4.51; Theater 1 7 8 , 3 6 - 5 2 ; Theodizee 224,8ff.; Theologie 274,16ff.; 318,37; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 439,10; Tiersymbolik 543,7; 545,27; Tod 606,46; 607,2.46; Todesstrafe 639,27; Toleranz 648,46ff.; Tradition 707,3.11; Tragik/ Tragödie 756,18; Transzendenz 768,28 Augustiner-Eremiten: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,9.20; 90,35; 92,25 Australien: Totem/Totemismus 683,54 Averroes: Theologie 287,25 Babai d.Gr.: Theodor v. Mopsuestia 244,21 Bachofen, Johann Jakob: Theologie 302,24 Backoffen, Hans: Teufel 146,40 Bacon, Francis: Theismus 201,51 Baha'ismus: Toleranz 669,23 Baier, Johann Wilhelm: Theorie und Praxis 380,32 Balzac, Honoré de: Tiersymbolik 549,37 Bamberg: Teufel 145,36 Banez, Domingo: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 459,1; 460,16 Bar Kappara: Tosefta 680,39 Barlach, Ernst: Theater 192,13 Barock: Tizian 572,26 Barth, Heinrich: Theologie 284,13 Barth, Hermann: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 737,31 Barth, Karl: Technik 12,8ff.; Theodizee 223,36; Theologie 2 8 4 , 1 1 - 4 4 ; 319,22; Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 3 4 6 , 5 - 2 8 ; Theosis 391,14; Thurneysen 524,19; 526,13; Tier 528,2; Todesstrafe 642,24 Barthélémy, Dominique: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 150,34ff. Bartholomäus Angelicus: Tiersymbolik 544,27.37f. Baruffaldi, Girolamo: Teufel 131,39 Baryes, Antoine Louis: Tiersymbolik 550,35 Basilides: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 156,36; Theologie 273,41 Basilius v. Caesarea: Theodor v. Mopsuestia 240,42; Theophilus v. Antiochien 370,44; Tradition 706,22; 707,14.52 Bauch, Bruno: Transzendentalphilosophie 764,2 Baudelaire, Charles: Teufel 132,6 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Theodizee 234,32 Bayle, Pierre: Toleranz 655,20 Beauvoir, Simone de: Theologie 301,17

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Beccaria, Cesare: Todesstrafe 641,31 Beckers, Hubert: Theismus, Spekulativer 206,45 Beckett, Samuel: Theater 187,53 Beethoven, Ludwig van: Theater 185,28 Beginen/Begarden: Thüringen 504,38 Bekehrung: Terministischer Streit 78,41 Bekennende Kirche: Thadden-Trieglaff 1 6 9 , 3 2 170,22 Belial: Teufel 122,4 Bellini, Giovanni: Tizian 570,51 Benedetti, Gaetano: Thurneysen 526,4 Benedikt v. Nursia: Te Deum 26,39; Tod 606,36 Bengel, Johann Albrecht: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 160,42; Tischendorf 569,31 Benjamin, Walter: Theorie und Praxis 383,51 Benn, Gottfried: Tiersymbolik 550,7 Bentham, Jeremy: Tier 531,21 Bentley, Richard: Theismus 197,2 Bergius, Conrad: Toleranz 654,37 Bergius, Johann: Toleranz 654,37 Berlioz, Hector: Teufel 132,33 Bernanos, Georges: Teufel 132,39 Bernhard v. Clairvaux: Theologie 276,51 Bernieres-Louvigny, Jean de: Tersteegen 82,37 Besant, Annie: Theosophie 394,41 ff.; 4 0 6 , 3 3 407,38 Bettelorden: Tertiarier/Tertiarierinnen 87,23; Theologiestudium 352,20; Thüringen 504,6 Beuys, Joseph: Tiersymbolik 549,10 Beyer, Hartmann: Thamer 172,49; 173,24.42 Beza, Theodor: Theologie 281,26 Bibel: Tertullian 97,7; Teufel 141,22; Tradition 709,21 ff. Bibliodrama: Theater 188,49 Bienaime, Luigi: Thorwaldsen 494,9 Bietenhard, Sophia Katharina: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 738,27 Bild Gottes: Theologie 274,7 Bilder: Theodor Studites 249,31 Billick, Eberhard: Thamer 172,45; 174,2 Billuart, Charles-Rene: Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 460,19 Birma: Theosophie 394,38 Bischof: Tertullian 97,16 Blatty, William Peter: Teufel 132,45 Blavatsky, Helena Petrovna: Theosophie 394,30ff.; 4 0 0 , 1 2 - 4 0 2 , 2 1 Blumhardt, Christoph d.J.: Thurneysen 524,8; 525,1 Bluttaufe: Tertullian 97,41 Böhme, Jacob: Theosophie 394,2ff.; 398,35 Boll, Heinrich: Tiersymbolik 550,29 Böse, das: Teilhard de Chardin 30,33; Teufel 135,10 Böse, Johann Georg: Terministischer Streit 79,5 ff. Boethius: Theodizee 223,10 Boff, Leonardo: Theologie 308,28f.; 309,8 Bohren, Rudolf: Theorie und Praxis 385,45 Boito, Arrigo: Teufel 132,33 Bolotov, Vasiiij: Theologie 293,50 Bomhard, Christian v.: Thomasius, G. 488,9 Bonaventura: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,2; Teufel 127,6

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Namen/Orte/Sachen

Bonhoeffer, Dietrich: Technik 14,29ff.; Tragik/ Tragödie 759,37 Bonifatius: Thüringen 502,18 Bonnet, Charles: Tod 612,44 Borchert, Wolfgang: Theater 192,30 Bornemann, Wilhelm: Theologiestudium 357,3 Bosch, Hieronymus: Teufel 146,37 Bousset, Wilhelm: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 745,21 ff. Braecklein, Ingo: Thüringen 513,41.48 Braniß, Christlieb Julius: Theismus, Spekulativer 206,51 Brecht, Bertolt: Theater 187,34 Breslau: Tischendorf 567,44 Brill, Hermann: Thüringen 501,40 Brockes, Barthold Heinrich: Thomasius, Ch. 485,7 Bruderschaften/Schwesternschaften/ Kommunitäten: Theater 180,31; Thüringen 504,33 Brüderunität/Brüdergemeine: Thüringen 508,1; Tod 611,40 Bucer, Martin: Tertullian 105,1; Thamer 172,27; Tradition 713,10 Buddhismus: Teufel 114,46; Theodizee 212,29 ff. Büchner, Georg: Theater 186,16; Tiersymbolik 549,31 Bugenhagen, Johannes: Tradition 713,5 Bulgakov, Makarij: Theologie 293,23 Bulgakov, Sergij N.: Theologie 294,7 Bulgarien: Theophylakt v. Achrida 372,24 Bullinger, Heinrich: Tradition 713,48 Bultmann, Rudolf: Technik 13,9ff.; Theologie 268,44; 270,28; 330,45; Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,32; 746,21 ff.; Transzendenz 770,15 Bund: Theodizee 216,43 Burchard v. Worms: Tradition 710,33 Bußbruderschaften: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,16 Buße: Terministischer Streit 78,43; Tertiarier/ Tertiarierinnen 86,16ff.; Tertullian 1 0 1 , 1 8 48 Butler, Joseph: Theismus 201,18 Butler, Judith P.: Theologie 301,18 Byzantinischer Text: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 164,17 Cäsarea-Text: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 165,11 Caesarius v. Arles: Te Deum 26,38 Caird, Edward: Temple, W. 72,42 Calderon de la Barca, Pedro: Theater 183,45 Calixt, Georg: Theologie 335,4; Tradition 714,47 Calov, Abraham: Theologiestudium 355,40; Theorie und Praxis 380,44 Calvin, Johannes: Theologia deutsch 261,21; Theologie 280,38; Theorie und Praxis 379,48; Todesstrafe 640,45; Tradition 714,7 Calzabigi, Raniero da: Theater 185,10 Cambridge, Platoniker v.: Theismus 196,22 Camerarius, Joachim: Tiersymbolik 548,1 Campanella, Tommaso: Thomasius, Ch. 485,6

Cano, Melchior: Theologie 287,44; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 460,12; Tradition 715,46 Canova, Antonio: Thorwaldsen 494,32 Carlton: Theismus 196,34 Caro v. Arezzo: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,20 Carpzov, Johann Benedikt: Thomasius, Ch. 484,5 Carstens, Asmus Jacob: Thorwaldsen 492,47 Carterius: Theodor v. Mopsuestia 240,13 Cassander, Georg: Tertullian 105,2; Tradition 714,48 Cassianus, Johannes: Theologie 275,18 Cassius Dio: Toleranz 648,2 Castellio, Sebastian: Toleranz 655,9 Celtis, Conrad (Conrad Pickel): Theater 179,35 Ceylon: Theosophie 394,38 Chadenius, Johann Martin: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 744,19 Chagall, Marc: Tiersymbolik 548,47 Chalybäus, Heinrich Moritz: Theismus, Spekulativer 206,46 Chappuis, Maria Salesia: Thérèse de Lisieux 410,48 Charles, P.: Theologie 311,45 Charles, Robert H.: Testamentenliteratur 109,14 Cheke, John: Theismus 196,32 Chemnitz, Martin: Theorie und Praxis 380,23; Tradition 714,33 Chijja bar Abba: Tosefta 680,36 Chomjakow, Alexei Stepanowitsch: Theologie 293,53 Chrapovickij, Antonij: Theologie 294,16 Chrétien de Troyes: Tiersymbolik 543,46 Christina v. Sint Truiden: Thomas v. Cantimpré 477,25 Christologie: Teilhard de Chardin 29,47; Thomasius, G. 490,8 Chytraeus, David: Theologiestudium 355,29 Clarke, Samuel: Theismus 197,2; 201,10 Claudel, Paul: Theater 187,40 Claudius, röm. Kaiser: Thessalonicherbriefe 413,3 Clemens v. Alexandrien: Teufel 129,23; Theologie 321,25; Theosis 389,9; Tradition 705,33 Clemens v. R o m : Teufel 125,14 Cluny: Tod 608,9; 609,13 Cobb, John: Theologie 320,51 Cocteau, Jean: Tod 620,26 Cohen, Hermann: Thurneysen 524,15 Comenius, Johan Arnos: Theorie und Praxis 381,13 Commedia dell'arte: Theater 182,49 Confessio Helvetica Posterior: Tradition 713,53 Constant, Alphonse-Louis: Teufel 132,5; Theosophie 401,31 Coornhert, Dirck Volckertszoon: Toleranz 655,18 Corneille, Pierre: Theater 184,7; Tragik/Tragödie 753,27 Cramer, Wolfgang: Transzendenz 774,19ff. Crocius, Johannes: Toleranz 654,21 Cross, Frank Moore: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 150,25 ff.

Namen/Orte/Sachen C r u s i u s , Martin: Theologie 291,15 C u d w o r t h , Ralph: Theismus 196,28 Cynegius: T h e o d o s i u s I. 255,48 C y p r i a n v. Karthago: Teufel 125,19.31; 129,14; T o d 606,22; Tradition 706,13 Cyprian v. Toulon: Te Deum 26,36 Cyrillus v. Alexandrien: T h e o d o r v. M o p s u e s t i a 240,45; Theodoret v. Kyrrhos 251,12ff.; T h e o s i s 389,39; Tradition 707,38 Cyrus: Theodoret v. Kyrrhos 251,6 D ä m o n e n : Teufel 126,35; 141,32 D ä u b l e r , T h e o d o r : Tiersymbolik 550,12 Daiber, Karl-Fritz: Theorie und Praxis 385,20 D a m a s u s v. R o m : Theodosius I. 256,15 Dannecker, J o h a n n Heinrich: T h o r w a l d s e n 495,17 Dannhauer, J o h a n n Konrad: Terministischer Streit 79,2; Theologiestudium 355,39 D a r i u s I.: Tempel 43,27 D a r w i n , Charles: Tiersymbolik 548,11 D a v i d , König: Tod 584,11 Deismus: T h e i s m u s 197,34; T h e o l o g i e 282,4 D e m a n t , Vigo Auguste: Temple, W. 74,24 Demetrios C h o m a t e n o s v. Achrida: Theophylakt v. Achrida 372,46 Demokrit: T o d 630,7 Dernbach, Balthasar v.: Thüringen 507,25 Descartes, René: Tier 531,17; T o d 629,38; Transzendenz 772,9 Dessauer, Friedrich: Technik 1,10 Deutsche Christen: Thüringen 511,46 Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung: Thadden-Trieglaff 169,17 Deutscher Orden: Thüringen 504,2.21 Deutschmann, J o h a n n : Terministischer Streit 79,39 Devotio moderna: T h o m a s v. Kempen 480,32ff. Dialektische Theologie: Theologie 284,14f.; Theorie und Praxis 385,4; Thurneysen 524,50; Toleranz 657,39; 657,40; Tradition 729,45 Diasporawerke: Thüringen 509,26 Dibeliuç, Marfin:. Trpditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,32 Dickens, Charles: Tiersymbolik 549,33 Diderot, Denis: Theater 190,40; T h e i s m u s 197,35 Diez, Heinrich Friedrich v.: T h o l u c k 425,24 Dilfeld, G e o r g Konrad: Theologiestudium 356,11 Dilthey, Wilhelm: Theorie und Praxis 386,46 Diodor v. Tarsus: T h e o d o r v. M o p s u e s t i a 240,13; Theophilus v. Antiochien 370,49 Dionysius Areopagita: Theodizee 233,14; Theosis 389,7; Tod 609,50ff. Dioskur I. v. Alexandrien: T h e o d o r e t v. Kyrrhos 251,23 Disputation: Theologiestudium 352,3 Distler, H u g o : Totentanz 688,15 Doctrina A d d a i : T h o m a s , Apostel 432,39 Doderer, Heimito v.: Tiersymbolik 550,37 Döllinger, J o h a n n Joseph Ignaz: Toleranz 657,21 D o g m a : Theologie 282,20; Tradition 714,20 D o g m a t i k : Theologie 335,18; Thielicke 4 2 3 , 4 1 -

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424,11; T h o m a s i u s , G . 4 8 9 , 4 7 - 4 9 0 , 4 4 ; Tillich 558,49; Tod 616,34 Dogmengeschichtsschreibung: T h o m a s i u s , G . 4 8 9 , 1 9 - 4 6 ; 490,46 - 4 9 1 , 2 7 Dolce, Ludovico: Tizian 571,46 Dominikaner: Tertiarier/Tertiarierinnen 8 8 , 3 0 89,4; 90,31; 9 2 , 1 5 - 2 3 ; T h o m a s v. Aquino/ T h o m i s m u s / N e u t h o m i s m u s 434,10ff.; T h o m a s v. Cantimpre 477,9 Dore, Gustave: Teufel 147,2 Dositheos v. Jerusalem: Theologie 291,37 Dostojewskij, Fjodor Michajlowitsch: Teufel 132,37; T r a g i k / T r a g ö d i e 757,37 D o u a i , Carl Daniel Adolph: Thüringen 509,1 Drach, Johannes: T h a m e r 172,41 D r a m a : Teufel 143,22, Theater 177,30; 181,40 Drehsen, Volker: Theorie und Praxis 380,17 Drei-Kapitel-Streit: T h e o d o r v. M o p s u e s t i a 242,31 Drews, Paul G.: Theorie und Praxis 385,7 Drey, J o h a n n Sebastian v.: Tradition 716,13 Driedo, J o h a n n e s : Tradition 715,40 Droste-Hülshoff, Annette v.: Tiersymbolik 549,46 Duchoborzen: Tolstoj 678,22; 679,8 Dürer, Albrecht: Teufel 146,25; Tiersymbolik 548,28; T o d 635,27 Düring, Balthasar: Thüringen 505,30 Dürrenmatt, Friedrich: Theater 187,44 D u h m , Bernhard: Theologie 265,21 D u n s Scotus/Scotismus: Theorie und Praxis 379,2; Todesstrafe 640,47; Tradition 710,43; Transzendenz 773,18 D u r a n d u s v. H u e s c a : Tertiarier/Tertiarierinnen 86,6 Dürkheim, Emile: T o t e m / T o t e m i s m u s 684,34; 685,20ff. Ebedjesu: T h e o d o r v. M o p s u e s t i a 241,7 Ebeling, Gerhard: T h e o l o g i e 284,51 Eberhard, Konrad: T h o r w a l d s e n 495,50 Eckhart, Meister: T h e o l o g i a deutsch 258,40; T h e o l o g i e 279,11; Transzendenz 773,14 Edessa: T h o m a s , Apostel 430,49; 432,5.42 Edison, T h o m a s Alva: T h e o s o p h i e 395,28 Egeria: T h o m a s , Apostel 432,9 Ehe: Tertullian 1 0 3 , 4 - 1 0 4 , 6 Ehrman, Bart D.: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 159,10 Eichhorn, J o h a n n Gottfried: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 150,1; Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,6; 744,36; 744,41 Eid: Tertiarier/Tertiarierinnen 87,3 Eirene (Irene), byz. Kaiserin: T h e o d o r Studites 248,45 Elephantine: Tempel 53,19ff. Elias: T o d 591,31 ff. Eliezer ben J o s e ha-Gelili: Tradition 703,14 Eliot, T h o m a s Stearns: Temple, W. 74,24; Theater 187,44 Elisa: T o d 591,33ff. Elisabeth I. v. England: Theater 183,6 Elisabeth v. Thüringen: Tod 608,25 Ellacuria, Ignacio: Theologie 310,14 Emmendörffer, Michael: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 741,26

792

Namen/Orte/Sachen

Empirismus: Theismus 199,50 - 2 0 0 , 2 4 En-Gedi: Tempel 47,1 Engel: Teufel 124,18ff. Engneil, Ivan: Traditionskritik/Traditionsgeschichte 735,13 Ennemoser, Joseph: Theosophie 401,29 Ennius: Theater 177,34 Enzyklopädien, Theologische: Theologie 323,47; Theologiestudium 355,31 Ephraem Syrus: Thomas, Apostel 432,6 Epikur: Theodizee 232,10; Tod 606,9; 630,16 Epiphanius v. Salamis: Theophilus v. Alexandrien 365,35 Erasmus v. Rotterdam: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 160,24; Tradition 713,31 Erfurt (Bistum): Thüringen 502,30 Erfurt: Thüringen 503,33 Erkenntnis: Theologie 2 8 8 , 1 2 - 3 8 ; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 453,3 16 Erkenntnistheorie: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 4 4 6 , 4 - 4 4 7 , 5 Ernst, Hzg. v. Sachsen-Gotha u. Altenburg: Thüringen 507,42 Erweckung/Erweckungsbewegung: Tholuck 425,14ff.; Thüringen 508,38 Eschatologie: Teufel 120,43; Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 457,23; Tod 587,42; 616,33 Esra: Tempel 66,26 Ethik: Tertullian 101,2ff.; Theologie 275,3; 336,4ff.; Thielicke 4 2 3 , 2 - 4 0 ; T h o m a s v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 4 4 7 , 4 9 - 4 4 8 , 4 1 ; 4 5 2 , 2 3 - 39; 4 5 4 , 1 4 - 4 5 6 , 5 ; Toleranz 6 6 4 , 1 - 6 6 8 , 8 ; Tolstoj 678,14 Eucherius v. Lyon: Tiersymbolik 543,13 Eucken, Rudolf: Theismus, Spekulativer 207,19 Eugenios Bulgaris: Theologie 291,49 Eunomius: Theodor v. Mopsuestia 240,20 Euripides: Theater 176,21; Tragik/Tragödie 752,39 Eusebius v. Caesarea: Tertullian 93,24; T h e o d o r « v. Kyrrhos 252,24; 253,4 Eusebius v. Cremona: Teufel 126,51 Eusebius v. Emesa: Theophilus v. Antiochien 370.49 Eutyches/Eutychianischer Streit: Theodoret v. Kyrrhos 251,22 Evagrius Ponticus: Theologie 275,17; Theophilus v. Alexandrien 365,25 Evangelische Kirche der Union: ThaddenTrieglaff 169,25 Evangelische Kirche in Deutschland: ThaddenTrieglaff 170,37 Evangelischer Bund: Thüringen 509,29 Exegese: Theodor v. Mopsuestia 241,9ff.; Theologie 276,31 Exorzismus: Teufel 1 2 9 , 1 9 - 1 3 0 , 3 ; 139,30 Facundus v. Hermiane: Theodor v. Mopsuestia 243.50 Fakultäten, Theologische: Theologiestudium 352,9ff.; 354,47ff. Fakultätentag, Evangelisch-Theologischer: Theologiestudium 359,33

Fallmerayer, J a k o b Philipp: Tischendorf 568,41 Farbe: Teufel 142,30, Tod 611,41 Fascher, Erich: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 746,35 Fastnachtsspiel: Theater 180,38 Fecht, Johann: Terministischer Streit 79,40 Feit, George Henry: Theosophie 403,17 Fernow, Carl Ludwig: Thorwaldsen 492,47 Feuerbach, Ludwig: Theosis 391,11; Tod 612,18; 631,28 Fichte, Immanuel Hermann: Theismus 197,27; Theismus, Spekulativer 206,21 Fichte, Johann Gottlieb: Tod 631,9ff.; Transzendenz 773,39 Filaret, Metropolit v. Moskau: Theologie 293,35 Fischer, Johann: Terministischer Streit 80,5 Fischer, Karl Philipp: Theismus, Spekulativer 207,2 Flach, Werner: Transzendentalphilosophie 763,50 Flaubert, Gustave: Tiersymbolik 550,2; Tolstoj 679,16 Flavian I. v. Antiochien: Theodor v. Mopsuestia 240,17; Theophilus v. Alexandrien 365,24 Florovskij, Georgij: Theologie 292,12; 294,25; 296,16-32 Flügge, Christian Wilhelm: Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 344,36 Flugschriften der Reformationszeit: Teufel 146,42 Fohrer, Georg: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 737,31.47 Forte, Dieter: Theater 192,20 Fourier, Charles: Theosophie 402,27 Francisco de Osuna: Teresa v. Avila 76,22 Franciscus v. Assisi: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,18; 87,26.49; Tier 528,4 Francke, August Hermann: Theologiestudium 356,16 Frank, Gustav: Theologiegeschichte/ Theologiegeschichtsschreibung 345,39 Frankenreich: Theologiestudium 350,51 Frankius, Gregor: Toleranz 654,37 Frankl, Victor Emil: Transzendenz 770,39 Frankreich: Theater 183,52 Franzelin, Johann Baptist: Tradition 716,24 Franziskaner: Tertiarier/Tertiarierinnen 8 7 , 4 8 88,29; 90,23; 9 1 , 1 4 - 9 2 , 1 2 Franziskaner-Schule: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 459,31 Frauenstädt, Julius: Theismus, Spekulativer 207,5 Frei, Hans W.: Theologie 285,23 Freiheit: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 444,56 - 446,2; Toleranz 667,46 Freimaurer: Theosophie 400,25 Freire, Paolo: Theologie 307,28 Freud, Sigmund: Teufel 139,13; Totem/ Totemismus 684,34; 684,42ff.; Tragik/Tragödie 757,27 Frey, Christofer: Theorie und Praxis 382,27 Friedell, Egon: Theologia deutsch 261,43 Friedrich II., Kaiser: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,14

Namen/Orte/Sachen Frisch, Max: Theater 187,45 Fritsch, Ahasverus: Thüringen 508,4 Fronleichnamsspiel: Theater 180,1 Fuchs, Ernst: Theologie 284,51 Fuchs, Georg: Theater 186,31 Gadamer, Hans Georg: Theorie und Praxis 383,47 Gallio, Statthalter: Thessalonicherbriefe 412,50 Gandhi, Mahatma: Tolstoj 679,10 Gebet: Teresa v. Avila 76,20; Tertullian 102,20; Theologie 275,22 Gehlen, Arnold: Technik 4,17; 15,35ff. Geiler v. Kaysersberg, Johannes: Tiersymbolik 545,6 Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben: Tertullian 97,8; Theologie 301,43; Theophilus v. Antiochien 370,4; Thessalonicherbriefe 417,34 Gelb, Adhemar: Tillich 555,33 Gemischte Kommission für die Reform des Theologiestudiums: Theologiestudium 359,31 Genet, Jean: Theater 187,53. Genf: Theater 190,34-53 Gennadij v. Novgorod: Theologie 292,24 Geoffrey of Monmouth: Tiersymbolik 546,42 Georg II. v. Sachsen-Meiningen: Theater 185,47 Gerhard, Johann: Tertullian 105,6; Theorie und Praxis 380,25; 381,2 Gericht Gottes: Totentanz 686,47 Gerlach, Otto v.: Thadden-Trieglaff 168,40 Gerson, Johannes: Theologie 279,14 Geschichte/Geschichtsschreibung/ Geschichtsphilosophie: Teleologie 37,46; Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 344,10ff.; T h o m a s v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 451,4; Tolstoj 677,20; Tradition 705,27 Gewissen: Toleranz 655,25 - 656,8 Gieseler, Johann Carl Ludwig: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 744,36 Gilbert Porretas: Theologie 277,29 Gilgamesch: Tod 585,20 Girard, René: Tragik/Tragödie 759,20 Giraudoux, Jean: Theater 192,15 Glaube: Theologie 273,45; 287,12; Tradition 707,22ff.; 718,53-719,32 Glaubensbekenntnis: Tradition 707,30 Gluck, Christoph Willibald: Theater 185,9 Gnade: Theologie 275,34; T h o m a s v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 454,34-456,5 Gnosis/Gnostizismus: Tertullian 98,14 Göschel, Carl Friedrich: Theismus, Spekulativer 207,5 Goethe, Johann Wolfgang v.: Teufel 132,32; Theorie und Praxis 382,48; Theosophie 395,3; Tod 611,46; Tragik/Tragödie 753,37; 756,37 Goeze, Johann Melchior: Theater 191,5 Goldstein, Kurt: Tillich 555,32 Gollwitzer, Helmut: Thüringen 512,23 Golubinskij, Evgenij E.: Theologie 293,46 Gore, Charles: Tempie, W. 72,33 Gorskij, Aleksandr Vasil'evic: Theologie 293,38 Goshen-Gottstein, Moshe H.: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 150,6

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Gott: Tertullian 98,19; Theismus 197,4ff.; Theodor v. Mopsuestia 243,11; Theologie 272,36ff.; 287,3ff.; Theophilus v. Antiochien 369,40; T h o m a s v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 447,18 - 47; 452,42ff.; Toleranz 667,5 Gottesbeweise: Theismus 199,24; T h o m a s v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 4 4 7 , 6 47 Gottesdienst: Tradition 705,43 Gottsched, Johann Christoph: Theater 184,24 Gounod, Charles: Teufel 132,34 Grätz, Sebastian: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 738,36 Graf, Urs: Teufel 146,24 Grapius, Zacharias: Terministischer Streit 79,53 Gratian, röm. Kaiser: Theodosius I. 255,9 Grau, Johann: Thüringen 505,29 Greeley, Andrew: Teufel 133,1 Greenberg, Moshe: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 150,17 ff. Greeven, Heinrich: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 163,6 Gregor I. der Große: Theorie und Praxis 378,17; Tiersymbolik 543,6; 545,25 Gregor VII., Papst: Todesstrafe 640,39 Gregor v. Nazianz: Theodor v. Mopsuestia 240,44; Theodosius I. 256,44; Theorie und Praxis 378,16; Theosis 389,8; 389,39; Tod 607,11 Gregor v. Nyssa: Theodizee 233,31; Theologie 275,38; Tod 607,12 Gregor v. Rimini: T h o m a s v. Bradwardine 475,46 Gregor der Wundertäter: Theologie 273,27; Tradition 707,25 Gregory, Caspar René: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 158,14; Tischendorf 569,36 Greil, Max: Thüringen 511,27 Greiner, Daniel: Teufel 147,7 Grek, Maksim: Theologie 292,25 Gresser, Daniel: Thamer 173,1 Greßmann, Hugo: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,30; 746,31 Griechenland: Theater 176,11-177,23; Theologie 291,11-292,15 Griesbach, Johann Jakob: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 160,25.43 ff. Grieshaber, HAP: Totentanz 688,15 Griffin, David R.: Theodizee 227,5 Grillparzer, Franz: Tragik/Tragödie 754,9 Gritsch, Johannes: Tiersymbolik 545,4 Großbritannien: Theologiestudium 362,42 Grotius, Hugo: Todesstrafe 641,20 Grünewald, Matthias: Teufel 146,34 Grundmann, Walter: Thüringen 512,43 Günther, Anton: Theismus, Spekulativer 206,43 Guillaume de Machaut: Tiersymbolik 544,3 Guillaume le Clerk: Tiersymbolik 543,38 Gunkel, Hermann: Tradition 689,23; Traditionskritik/Traditionsgeschichte 734,8; 745,10ff. Gunneweg, Antonius H.J.: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 735,38

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Namen/Orte/Sachen

Gurdjieff, George Iwanowitsch: Theosophie 395,22 Gutiérrez, Gustavo: Theologie 307,51 ff. Guyon de la Mothe, Jeanne Marie de: Tersteegen 82,38 Habermas, Jürgen: Theorie und Praxis 383,38; 384,1; 385,26 Habermehl, Peter: Teufel 113,48 Haeckel, Ernst: Theosophie 404,36 Häresie: Tertullian 96,48; Theodor v. Raithu 247,22; Theodosius 1.256,21; Thomasius, Ch. 484,35; Toleranz 648,45 ff. Hätzer, Ludwig: Theologia deutsch 261,31 Hafenreffer, Matthias: Theologiestudium 355,36 Hagen, Gunther v.: Tod 579,31 Haggai: Tempel 66,26 H a h n , Traugott: Thadden-Trieglaff 168,45 Halacha: Tempel 65,30; Tosefta 680,7 Hamburg: Theater 190,55-191,27 Hanneken, Philipp Ludwig: Terministischer Streit 79,53 Hardy, Thomas: Tiersymbolik 549,26 Harnack, Adolf v.: Theologie 282,39; Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung 346,1; Theosis 391,8 H a r t m a n n v. Aue: Tiersymbolik 543,47 H a r t m a n n , Eduard: Theismus, Spekulativer 207.16 Hase, Karl August v.: Thüringen 508,32 H a u p t m a n n , Gerhard: Theater 186,8 Hebbel, Friedrich: Theater 192,15; Tragik/Tragödie 754,9 Hebron: Testamentenliteratur 108,30 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich/ Hegelianismus: Teleologie 39,50; Theismus, Spekulativer 206,17ff.; Theodizee 235,29; Theologie 308,15; 325,31; Theorie und Praxis 382,29ff.; Tod 613,2; 619,34; 631,20 Heidegger, Martin: Technik 1,38; 10,19ff.; Tod 631,38; 632,37; Transzendenz 769,40; 770,26 Heidentum: Theodosius I. 255,42 Heilige/Heiligenverehrung: Theophylakt v. Achrida 373,11; Thüringen 504,51 Heilsgeschichte: T h o m a s v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 451,15 Heine, Heinrich: Tod 611,47 Heinrich v. Friemar d.Ä.: Thüringen 504,46 Heinrich v. Gent: Tradition 710,38 Heinrich v. Neustadt: Tiersymbolik 544,7 Heinrich Totting v. Oyta: Tradition 711,15 Heitmüller, Wilhelm: Thurneysen 524,14 Henana Adiabenus: Theodor v. Mopsuestia 244.17 Henneberg: Thüringen 499,41 Herbert v. Cherbury, Edward: Theologie 282,7 Herbert, George: Tod 623,41 Herder, Johann Gottfried: Thüringen 508,28; Tod 612,43; Traditionskritik/Traditionsgeschichte 744,30 Hermas: Teufel 129,22 Hermeneutik: Teilhard de Chardin 29,32 Herms, Eilert: Technik 18,52 Herodes I.: Tempel 49,27ff.; 54,20; Tod 585,9 Herrmann, M a x : Theater 193,28

Hexen: Teufel 131,8; Thomasius, Ch. 484,42 Heym, Stefan: Tiersymbolik 550,26 Hick, John: Theologie 320,41 ff. Hieronymus: Tertullian 93,36; 104,30; Teufel 126,48; Tiersymbolik 545,28; Tobit 574,34 Hieronymus a Matre Dei: Teresa v. Avila 76,49 Higgins, Godfrey: Theosophie 401,27 Hilarius v. Poitiers: Te Deum 24,51; Tertullian 104,16 Hildegard v. Bingen: Tod 608,26 Hilgenfeld, Adolf: Tischendorf 569,1 Hillel/Hillelschule (Schammaj/Schammajschule): Tradition 703,13 Hinduismus: Theodizee 211,26 ff. Hippolyt v. Rom: Tradition 705,45 Hirsch, Emanuel: Theologiegeschichte/ Theologiegeschichtsschreibung 346,29 - 4 3 Hobbes, Thomas: Todesstrafe 641,35 Hochhuth, Rolf: Theater 187,46; 192,24 Hochschulen, Kirchliche: Theologiestudium 357,18 Hölle: Teufel 127,41 ff.; Tod 587,23 Höllenfahrt Christi: Teufel 143,50 Hönigswald, Richard: Transzendentalphilosophie 763,17 Hoffmann, Roland: Thüringen 513,42 Hoffmann, Wilhelm: Tersteegen 81,22 Hofmannsthal, Hugo v.: Theater 186,22; 192,5; Tiersymbolik 549,46; 550,19 f. Holbein, Hans d.J.: Tod 637,17ff.; Totentanz 687,49 Holcot, Robert: T h o m a s v. Bradwardine 475,45 Hollaz, David: Theorie und Praxis 380,21 Holstein, Günther: Thadden-Trieglaff 169,22 Holtnicker, Konrad: Tiersymbolik 545,4 Holtzmann, Heinrich Julius: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 745,1 Holz, Harald: Transzendentalphilosophie 764,3 Homer: Tod 585,27 Homiletik: Tradition 726,14-727,26 Horkheimer, M a x : Theorie und Praxis 383,27ff.; Tillich 555,35 Hort, Fenton John Anthony: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 161,3 ff. H r a b a n u s Maurus: Theologie 276,34; Tiersymbolik 545,32; 546,26 Hrotsvit v. Gandersheim: Theater 179,32 H u g o v. St. Viktor: Tiersymbolik 543,33; Tradition 709,40 Hugo v. Trimberg: Tiersymbolik 544,47 Hugo, Victor: Tiersymbolik 549,32 Hugolin v. Ostia: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,25 Humanismus: Theater 181,21 H u m e , David: Theismus 199,51; Theologie 325,18 Hunts, William Holman: Tiersymbolik 548,45 Husserl, Edmund: Transzendenz 774,42ff. Hutcheson, Francis: Theismus 201,14 Huxley, Aldous: Theosophie 395,29 Hymnus: Te Deum 25,36 Hyperius, Andreas Gerhard: T h a m e r 172,33; 173,16; Theorie und Praxis 380,17 Ibsen, Henrik: Theater 186,9; Tod 619,46 Idel, Moshe: Theosophie 399,26; 399,48

Namen/Orte/Sachen Ikonen: Theodor Abü Qurrah 238,1 Indien: Theosophie 394,38 Institoris (Kramer), Heinrich: Teufel 131,13 Interim: Thüringen 506,20 Ionesco, Eugène: Theater 187,54 Iosif v. Volokolamsk: Theologie 292,22 Irenaus v. Lyon: Teufel 125,35; Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 156,29; 157,28; Theologie 273,45; 321,25; Theophilus v. Antiochien 370,39; Tradition 706,42 Irigaray, Luce: Theologie 301,19 Isaak ben Jakob Alfasi: Tosefta 682,1; Tradition 703,49 Isaak v. Ninive: Theodor v. Mopsuestia 242,19 Isherwood, Christopher: Theosophie 395,30 Ishmael, Rabbi: Tradition 703,13 Isidor v. Sevilla: Tertullian 104,20; Tiersymbolik 543,13ff. Islam: Teufel 114,21; Theodor Abü Qurrah 238,42; Toleranz 6 7 0 , 4 1 - 6 7 1 , 5 2 Isseries, Moses: Tod 601,16 Ittig, T h o m a s : Terministischer Streit 79,26 Iwand, Hans Joachim: Theorie und Praxis 385,9 J a c o b van Maerlant: Thomas v. Cantimpré 478,32 J a h n , Heinrich: Thüringen 511,7 Jahwe ( J H W H ) : Theodizee 215,21; Tiersymbolik 534,32; Tod 515,15 J a k o b ben Ascher: Tradition 703,51 Japan: Toleranz 672,21 Jason: Tempel 67,1 Jaspers, Karl: Transzendenz 769,41; 770,15.27.33 Javorskij, Stefan: Theologie 292,49 Jehu: Tod 584,11 Jeremias II., Patriarch von Konstantinopel: Theologie 291,16 Jerusalem: Tempel 47,24ff.; Tobit 576,1 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm: Theologie 282,25 Jesuiten: Theater 1 8 2 , 3 - 2 7 Jesus Christus: Tertullian 1 0 0 , 8 - 3 2 ; Theodor v. Raithu 247,21; Theologie 274,30; 282,50; 328,25; Theophilus v: Antiochien 369,32-, T h o m a s v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 456,6; Tod 590,40ff.; 593,38ff.; Tradition 693,23ff. Jevtic, Atanasije: Theologie 294,35 Jinarajadasa, Curuppumulaggé: Theosophie 407,35 Joannes a San Geminiano: Tiersymbolik 544,40 J o b , Patriarch v. Antiochien: Theodor Abü Qurrah 237,54 Jochanan ben Zakkaj: Tiersymbolik 539,48 Johann v. Erfurt: Thüringen 504,45 Johannes X I . , Patriarch v. Konstantinopel: Theodor v. Raithu 247,44; Theophylakt v. Achrida 372,48 Johannes v. Cantimpré: Thomas v. Cantimpré 477,21 Johannes Capreolus: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 459,44 Johannes Chrysostomus: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 159,12; Theodor v. Mopsuestia 240,7; Theophilus v. Alexandrien

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366,27; Theorie und Praxis 378,16; Todesstrafe 639,30 Johannes v. Damaskus: Theodor Abü Qurrah 238,38 Johannes v. Jerusalem: Theophilus v. Alexandrien 365,35 Johannes vom Kreuz: Teresa v. Avila 76,41 Johannes v. Mirecourt: Thomas v. Bradwardine 475,46 Johannes v. Salisbury: Todesstrafe 640,15 Johannes a St. Thoma: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 460,17 Johannes v. Torquemada: Theologie 279,21 Jonas, Hans: Technik 16,45ff. Jonatan: Tod 584,10 Josef ben Efraim Karo: Tradition 703,52 Josephus Flavius: Tempel 53,29; Teufel 125,10 Jubiläenbuch: Testamentenliteratur 109,33 Juden: Tertullian 96,22 Judentum: Theodosius I. 256,5; Toleranz 650,38 Judge, William Quan: Theosophie 400,13 Jülicher, Adolf: Thurneysen 524,14 Jüngel, Eberhard: Tod 618,5 Jünger, Ernst: Technik 15,3 ff. Jugendbewegung: Theater 186,50 Jugendstil: Theater 186,28 Julian, röm. Kaiser: Tempel 68,46 Julian v. Aeclanum: Theodor v. Mopsuestia 240,51 Julian v. Halikarnaß: Theodor v. Raithu 247,24 Julian v. Speyer: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,3 Jung, Carl Gustav: Theologie 302,26 Justin der Märtyrer: Teufel 124,41; 125,21; 126,17; 130,45; Textgeschichte/Textkritik der Bibel 157,24; Theologie 321,24 Justinian, Kaiser: Theater 178,6; Theodor v. Raithu 247,2 Kabbala: Teufel 123,41; Theodizee 220,24; Theosophie 398,34ff.; Tod 604,13ff. Kahler, Christoph: Thüringen 513,42 Kairos: Tillich 556,43 ff. Kanada: Totem/Totemismus 683,50 Kandinsky, Vassily: Tiersymbolik 548,53 Kant, Immanuel/Neukantianismus: 1 Teleologie 36,26; 39,36; Theismus 1 9 7 , 3 8 - 1 9 8 , 3 ; Theodizee 225,18ff.; 234,50ff.; Theologie 325,32; Theorie und Praxis 381,34ff.; Tier 532,19; Tod 613,1; 622,15; 630,47ff.; Todesstrafe 641,36; Tragik/Tragödie 752,13; Transzendenz 768,42; 772,8; 773,25 ff. Kapp, Ernst: Technik 1,9 Kapterev, Nikolaj: Theologie 293,44 Kapuziner: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,18 Karl d.Gr.: Theologiestudium 351,16 Karl II. v. England: Theater 183,32 Karmeliter: Teresa v. Avila 76,17ff.; Tertiarier/ Tertiarierinnen 89,12.22; 90,17; Thérèse de Lisieux 409,49 Karolingische Renaissance: Theologiestudium 351,15 Karthago: Tertullian 93,16 Kastensystem: Toleranz 672,52 Katechetik: Theodor v. Mopsuestia 242,20 Katharina v. Siena: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,1

796

Namen/Orte/Sachen

Katharinenkloster: Tischendorf 568,8 Katholische Aktion: Tertiarier/Tertiarierinnen 90,7 Katholische Reform und Gegenreformation: Thüringen 507,20 Kazantzakis, Nikos: Teufel 132,43 Keats, John: Tod 623,27 Keckermann, Bartholomäus: Theorie und Praxis 380,46 Keel, Othmar: Traditionskritik/Traditionsgeschichte 741,3 Kelsen, Hans: Toleranz 658,45 Keltische Kirchen: Theologiestudium 351,1 Kennedy, John F.: Tod 624,44 Kenosis: Thomasius, G. 490,23 Keuschheit: Tertullian 103,37 Kierkegaard, Seren Aabye: Theorie und Praxis 383,6; Tod 613,6; 619,36ff.; 631,39; Tragik/Tragödie 755,30 King, Martin Luther: Theologie 315,35; Tod 624,44 Kirche: Tertullian 9 6 , 4 2 - 97,24; Theater 190,27ff.; Theologie 289,19ff.; Tradition 710,32ff. Kirche und Staat: Theodosius I. 257,30 Kirchengeschichtsschreibung: Theodoret v. Kyrrhos 253,3 Kirchenmusik: Thüringen 507,31 Kirchenordnungen: Tradition 705,45 Coburg-Gotha (Casimirianische; 1626): Thüringen 507,16 Henneberg (1582): Thüringen 507,18 Lüneburg (1575): Tertullian 105,13 Sachsen, albertinisches (1580): Thüringen 507.14 Sachsen-Weimar (1664): Thüringen 507,15 Sachsen-Weimar-Eisenach (1851): Thüringen 509,12 Schwarzburg-Rudolstadt (1854): Thüringen 509.15 Schwarzburg-Sondershausen ( 1649) : Thüringen 507,18 Thüringen (1924): Thüringen 511,9 Thüringen (1944): Thüringen 512,40 Thüringen (1951): Thüringen 513,32 Kirchenrecht: Theologiestudium 351,45; 353,13; Tradition 707,42 Kirchentage: Thadden-Trieglaff 168,28; 170,48 Kirchenväter: Teufel 126,33; Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 158,41-159,20; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 450,6; Tiersymbolik 543,5; Tradition 709,34 Kirsch, Sarah: Tiersymbolik 549,22 Klein, Hans Dieter: Transzendentalphilosophie 764.12 Kleist, Heinrich v.: Theater 186,15; Tragik/Tragödie 754,4 Klepper, Jochen: Tragik/Tragödie 759,39 Klettenberg, Josef: Thüringen 510,27 Kliment v. Ochrid: Theophylakt v. Achrida 373.13 Klinger, Friedrich Maximilian: Theater 184,27 Klöster u. Stifte: Agnetenberg: T h o m a s v. Kempen 480,28 Augsburg, St. Ursula: Tertiarier/ Tertiarierinnen 92,17

Cambrai, Cantimpre: T h o m a s v. Cantimpre 477,8 Fulda: Thüringen 503,4ff.37 Hersfeld: Thüringen 503,4ff.37 Hirsau: Thüringen 503,50 Konstantinopel, Johannes-Prodomos: Theodor Studites 248,51 Nikertai: Theodoret v. Kyrrhos 251,5 Nordhausen, St. Crucis: Thüringen 503,42 Paris, St. Jacques: T h o m a s v. Cantimpre 477,11 Paris, St. Viktor: Theologiestudium 352,11 Raithu: Theodor v. Raithu 246,12 Sabas: Theodor Abu Q u r r a h 237,50 Sakkudion: Theodor Studites 248,28 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Tod 612,47 Kloster/Klosteranlage: Teresa v. Avila 76,40 Knapp, Georg Christian: Thomasius, G. 488,13 Knox, John: Todesstrafe 641,7 Koch, Joseph Anton: Thorwaldsen 492,48 Koch, Karl: Traditionskritik/Traditionsgeschichte 737,15 Koenen, Klaus: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 738,32 Kolmar, Gertrud: Tiersymbolik 549,20 Konrad v. Megenberg: Tiersymbolik 546,8 Konsistorium: Thüringen 507,3 Konstantin I. d.Gr.: Tod 585,8; Toleranz 648,24ff. Konstantin VI., Kaiser: Theodor Studites 248,32 Konstantinopel: Theodor Studites 248,50 Konstantinos Oikonomos: Theologie 292,8 Kooij, Arie van der: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 151,46 Koran: Theodizee 211,12 Korinth: Thessalonicherbriefe 414,1 Kottwitz, Hans Ernst v.: Tholuck 425,25 Krakewitz, Albrecht Joachim v.: Terministischer Streit 79,41 Krause, Karl Christian Friedrich: Theismus, Spekulativer 206,44 Krishnamurti, Jiddu: Theosophie 407,11 Kritopoulos, Metrophanes: Theologie 291,21 Kroner, Richard: Tillich 555,21 Küng, Hans: Toleranz 673,3 Kuhn, Johann Evangelist v.: Tradition 716,15 Kunst: Tolstoj 678,34 Kunst und Religion: Teufel 141,9; Tod 635,22 Kyrillos Loukaris: Theologie 291,26 Kyrus-Edikt: Tempel 49,9 Labadie, Jean de: Tersteegen 82,36 Lachmann, Karl: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 160,26; Tischendorf 569,31 Lactantius, L. Caelius Firmianus: Tertullian 104,13; Theophilus v. Antiochien 370,41 Laie: Theologie 278,48 Laienspiel: Theater 187,3 Lambertus Danaeus: Tertullian 104,45 Landseer, Edwin: Tiersymbolik 548,30 Lange, Helene: Theologie 301,15 Lange, Samuel Gottlieb: Theologie 282,24 Lanz, Adolf Josef: Theosophie 406,30 Lateinamerika: Theologie 311,24; 314,28 Leadbeater, Charles Webster: Theosophie 406,34-407,38

Namen/Orte/Sachen Leeb, Johann: Thorwaldsen 495,31 Leffler, Siegfried: Thüringen 511,43; 512,43 Legendenspiel: Theater 180,2 Lehmann, Paul: Thüringen 512,28 Lehmus, Theodor: Thomasius, G. 488,8 Lehre: Tradition 7 0 6 , 3 1 - 7 0 8 , 5 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Teleologie 40,19; Theodizee 213,46; 222,9; 231,45; 232,7; 234,18ff.; 235,38ff.; Tod 613,4 Leich, Werner: Thüringen 513,41 Leipzig: Tischendorf 567,37; 567,47 ff. Leipziger Artikel: Tradition 713,22 Lempp, Albert: Thurneysen 524,21 Lengenfeld: Tischendorf 567,34 Leon I., byz. Kaiser: Timotheus Aelurus 566,3 Leon V., byz. Kaiser: Theodor Studites 249,26 Leontopolis: Tempel 54,34 Lessing, Gotthold Ephraim: Theater 184,17; 191,22; Theorie und Praxis 381,51; Tod 613,7; Toleranz 669,44; Tragik/Tragödie 752,6; 753,32 Leutheuser, Julius: Thüringen 511,43 Levin, Ira: Teufel 132,46 Levsin, Piaton: Theologie 293,13 Lewis, Clive Staples: Teufel 132,40 L'Hopital, Michel de: Toleranz 653,9 Libanius: Theodor v. Mopsuestia 240,10 Liberale Theologie: Toleranz 657,31 Licinius, röm. Kaiser: Toleranz 648,25 Liebner, Karl Theodor Albert: Theismus, Spekulativer 207,9 Lindbeck, George: Theologie 285,23 Lipsius, Richard Adeibert: Thüringen 509,30 List, Guido (von): Theosophie 406,29 Literatur und Religion: Tertullian 94,50ff.; Teufel 1 3 2 , 2 8 - 1 3 3 , 2 Liturgiewissenschaft/Liturgik: Tradition 7 2 7 , 2 7 - 728,28 Livius Andronicus: Theater 177,30 Locke, John: Theismus 197,1; Theologie 325,18; Thomasius, Ch. 485,16 Löffler, Josias Friedrich Christian: Thüringen 508,17 Löscher, Caspar: Terministischer Streit 79,52 Lpgos: Theologie 273,33 ff. Lötz, Gerhard: Thüringen 514,6 Lotze, Rudolph Hermann: Theismus 197,27 Lucifer v. Cagliari/Luciferianer: Theodosius I. 256,31 Luhmann, Niklas: Technik 18,1 ff. Lully, Jean Baptiste: Theater 185,1 Lutgart v. Tongeren: T h o m a s v. Cantimpre 479,16 Luther, Martin: Te Deum 27,7; Teufel 127,14; 129,39; Thamer 1 7 4 , 8 - 2 5 ; Theater 181,12; Theodizee 226,1 ff.; Theologia deutsch 258,42ff.; 260,28 - 261,10; Theologie 280,16; Theologiestudium 355,14; Theorie und Praxis 379,29; Theosis 390,35; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 440,20; Tiersymbolik 547,38; Tod 610,16ff.; Todesstrafe 640,44; Tradition 7 1 2 , 3 - 3 0 Maclntyre, Alasdair: Theologie 285,26 Macquarrie, John: Temple, W. 74,45 Magie: Teufel 130,40; Theosophie 4 0 3 , 1 2 - 4 8

797

Mahayäna-Buddhismus: Toleranz 674,23 Mainz (Erzstift): Thüringen 502,33ff.; 505,4 Maleachi: Tempel 66,26 Malebranche, Nicolas: Theismus 197,24 Malevanskij, Sil'vestr: Theologie 293,25 Malinovskij, Nikolaj P.: Theologie 293,26 Manichäismus: Theodizee 223,33; Theodosius I. 256,28; Thomas, Apostel 432,27; Todesstrafe 639,48 Mann, Thomas: Teufel 132,36 Mannermaa, Tuomo: Theosis 391,28 ff. Mannheim, Karl: Tillich 555,35 Manuel, Niklas: Totentanz 687,47 Marc, Franz: Tiersymbolik 548,53 Marcell v. Ancyra: Theologie 274,39 Marcion: Tertullian 9 8 , 4 6 - 9 9 , 1 5 ; Theodizee 223,33; Todesstrafe 639,16.48 Marcuse, Herbert: Theorie und Praxis 383,38 Maréchal, Joseph: Transzendentalphilosophie 763,10 ff. Margarete v. Ypern: Thomas v. Cantimpré 479,13 Maria/Marienfrömmigkeit: Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 456,33 Maria v. Oignies: T h o m a s v. Cantimpré 477,22 Marius Victorinus: Transzendenz 768,30 Marlowe, Christopher: Teufel 132,31 Marsilius v. Padua: Theorie und Praxis 380,25 Martensen, Hans Lassen: Theismus, Spekulativer 207,9 Martyrium: Tertullian 97,44 Marx/Marxismus: Technik 1,11; Theodizee 235,29; Theologie 306,44; Theorie und Praxis 383,13; Tod 631,33; Masius, Hector Gottfried: Thomasius, Ch. 484,15 Materia et Forma: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 4 4 3 , 1 5 - 4 4 4 , 9 Maupassant, Guy de: Tolstoj 679,16 Maximus Confessor: Theodor v. Raithu 246,28; Theosis 389,41 McLennan, John F.: Totem/Totemismus 684,36 Medicus, Fritz: Tillich 553,52 Medien: Tobit 575,10 Meisner, Balthasar: Theologiestudium 355.45 Meißen (Burggrafschaft): Thüringen 50^,4 Melanchthon, Philipp: Theater 181,17; Theologie 280,33; Theologiestudium 355,25; Tradition 712,31 Melanesien: Theologie 314,49 Meldenius, Rupertus: Toleranz 654,37 Meletius v. Antiochien: Theodor v. Mopsuestia 243,5 Melito v. Sardes: Teufel 129,2 Menander: Theater 177,12 Mensch: Theophilus v. Antiochien 370,14; Theosophie 404,39ff.; Thielicke 423,44; Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 4 4 4 , 1 1 - 5 2 Menschenrechte/Menschenwürde: Toleranz 656,24 Mensching, Gustav: Toleranz 668,43 Merian, Matthäus d.Ä.: Teufel 146,49 Merz, Georg: Thurneysen 524,20 Mesmer, Franz Anton: Theosophie 402,25 Mesters, Carlos: Theologie 309,9

798

Namen/Orte/Sachen

Metaphysik: Teleologie 37,3 Meth, Ezechiel: Thüringen 507,33 Metz, Johann Baptist: Theologie 311,22 Meyendorff, John: Theologie 294,25 Meyerbeer, Giacomo: Theater 191,57 Meyfart, Matthäus: Theologiestudium 355,46 Michael, Erzengel: Teufel 118,31 Michael Scotus: T h o m a s v. Cantimpré 478,17 Michaelis, Johann David: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 150,1 Milton, John: Teufel 132,30; Tiersymbolik 547,46 Mimus: Theater 177,1 Mink, Gerd: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 165,40ff. Mischna: Tosefta 680,15 Mischwesen: Teufel 142,14 Missionsgesellschaften: Leipziger Missionsgesellschaft: Thüringen 509,28 Mitzenheim, Moritz: Thüringen 512,16; 513,21.29 Möller, Eberhard W.: Theater 187,18 Mönchtum: Theodoret v. Kyrrhos 251,4; 252,47; Theologiestudium 350,16 ff. Molière (Jean-Baptiste Poquelin): Theater 184,8 Molitor, Franz Joseph: Theosophie 398,40 Molokanen: Tolstoj 678,22 Monophysiten: Theologie 274,46 Monotheismus: Theismus 198,4 Montaigne, Michel Eyquem de: Tiersymbolik 547,41; Tod 611,10 Montanismus: Tertullian 93,16 ff. Mopsuestia (Bistum): Theodor v. Mopsuestia 240,24 Moral: Theismus 201,26 Moral Sense: Theismus 201,15 Moritz Wilhelm v. Sachsen-Zeitz: Thomasius, Ch. 484,17 Morus, Thomas: Todesstrafe 641,2 ' Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften: Testamentenliteratur 112,25 Mose ben Maimon: Tempel 68,37; Tod 603,50; Tradition 703,51 Mose ben Nachman: Tod 604,34 Mosheim, Johann Lorenz v.: Theologiestudium 356,29 Mowinckel, Sigmund: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,34 Mozart, Wolfgang Amadeus: Theater 185,13-26; Theosophie 397,8 Mühlhausen: Thüringen 506,16 Münter, Friedrich Christian: Thorwaldsen 492,44 Mulack, Christa: Theologie 301,26 M u n i o de Zamora: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,33 Musa, Anton: Thüringen 505,30 Musäus, Johannes: Theorie und Praxis 380,30 Musset, Alfred de: Tiersymbolik 549,16 Myconius, Friedrich: Thüringen 505,29 Mysterienspiele: Theater 179,14 Mystik: Theologia deutsch 258,39 Nabokov, Vladimir: Tiersymbolik 550,33 Nachfolge Jesu: T h o m a s v. Kempen 480,45 ff.

Naevius: Theater 177,34 Nag Hammadi: Thomas, Apostel 430,24; 432,14 Nationalsozialismus: Theater 187,10-32; Thüringen 511,41 ff. Natürliche Theologie: Theismus 200,27 Natur: Teleologie 36,46; Thomas v. Cantimpré 477,27 ff. Naturgesetz: T h o m a s v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 448,43 -449,39 Naturphilosophie: T h o m a s v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 443,6-444,9; T h o m a s v. Bradwardine 474,48 ff. Naudé, Gabriel: Thomasius, Ch. 485,33 Nehemia: Tempel 66,26 Nektarius v. Konstantinopel: Theodosius I. 256,45; Theophilus v. Alexandrien 365,32 Neophytos Bambas: Theologie 292,8 Nero, röm. Kaiser: Theater 178,4 Nestle, Eberhard: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 162,39 Nestle, Erwin: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 162,39 Nestorianische Kirche: Theodor v. Mopsuestia 243,45 Nestorius/Nestorianischer Streit: Theodoret v. Kyrrhos 251,10; 253,26.37 Neuchalkedonismus: Theodor v. Raithu 247,32 Neue Religionen: Theosophie 400,17 Neues Testament: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 155,44; Theodor v. Mopsuestia 241,35; Theologie 268,24; Thessalonicherbriefe 412,29; Tiersymbolik 540,35; Tischendorf 569,30 Neumann, Johann Georg: Terministischer Streit 79,39 Neuplatonismus: Theodizee 233,40 Newton, Isaak: Theismus 202,6 Nicephorus I., byz. Kaiser: Theodor Studites 249,7 Nicetas (Niceta) v. Remesiana: Te Deum 24,13 Nicole de Margival: Tiersymbolik 544,2 Niebergall, Friedrich: Theorie und Praxis 385,7 Niebuhr, Helmut Richard: Theologie 284,37 Niebuhr, Reinhold: Tragik/Tragödie 759,17 Nielsen, Eduard: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 735,21 Nietzsche, Friedrich: Technik 10,3 ff.; Tiersymbolik 549,49; Tod 623,51 Nikodemus Hagiorites: Theologie 291,52 Nikolaj Velimirovic v. Zica: Theologie 294,33 Nikolaus v. Dinkelsbühl: Tradition 711,16 Nikolaus v. Kues (Nicolaus de Cusa, Nicolaus Cusanus): Toleranz 651,16; 673,20- 34; Transzendenz 772,2 Ninive: Tobit 575,23 Nippold, Friedrich: Thüringen 509,30 Nissiotis, Nikos A.: Theologie 294,45 Nitzsch, Carl Immanuel: Theorie und Praxis 384,50 Nordhausen: Thüringen 506,52 N o t h , Martin: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 735,50; 736,8 ff. Novalis: Theorie und Praxis 383,4 Novatian/Novatianer: Theodosius I. 256,31; Theophilus v. Antiochien 370,42 Nürnberg: Thomasius, G. 488,30

Namen/Orte/Sachen Nyberg, Henrik S.: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 735,5 Oberammergau: Theater 192,7 O'Casey, Sean: Tiersymbolik 550,33 Ockham, Wilhelm von/Ockhamismus: Theologie 278,35; Tradition 710,53 Ökumene: Toleranz 657,44 Offenbach, Jacques: Theater 185,7 Offenbarung: Theologie 274,29; 288,40 Okkultismus: Theosophie 400,23 Olcott, Henry Steel: Theosophie 394,33; 400,12 Oper: Theater 182,32; 184,35-185,44 Opitz, Martin: Tiersymbolik 547,46 Orden: Teresa v. Avila 76,47 Orden, Dritte: Tertiarier/Tertiarierinnen 85,29ff. Origenes/Origenismus: Teufel 124,40; 125,42126,14.20; Textgeschichte/Textkritik der Bibel 159,16; Theologie 273,27 ff.; Theophilus v. Alexandrien 366,19; Theorie und Praxis 378,35; Tradition 705,36ff.; Transzendenz 772,20 Orpheus: Testamentenliteratur 111,50 Orthodoxe Kirchen: Theologie 290,39-297,5 Orthodoxie, Altlutherische: Terministischer Streit 78,45ff.; Tertullian 105,6 Orthodoxie, Altprotestantische: Theologie 281,16 Osborne, John: Theater 192,19 Osiris: Tod 586,35 Ostern/Osterfest/Osterpredigt: Theophilus v. Alexandrien 367,2 Osterspiel: Theater 179,37 Ottaviano, Alfredo: Tradition 717,3 Ottheinrich, Kurfürst v. der Pfalz: Totentanz 688,3 Otto, Ernst: Thüringen 512,14 Otto, Gert: Theorie und Praxis 385,23 Otto, Rudolf: Theodizee 225,46 Overbeck, Friedrich Johann: Tiersymbolik 548,44 Owen, John: Theologie 281,34 Pädagogik: Tolstoj 677,44 Päpste: Alexander IV.: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,10; Teufel 131,6 Benedikt XV.: Tertiarier/Tertiarierinnen 91,30 Bonifatius IX.: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,9 Gregor I. der Große: Teufel 128,6 Gregor IX.: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,25;

88 6

Gregor XVI.: Toleranz 656,41 Honorius III.: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,22 Innocenz III.: Tertiarier/Tertiarierinnen 86,1; 87,28; Todesstrafe 640,36 Innocenz IV.: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,8 Innocenz VII.: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,2 Innocenz VIII.: Teufel 131,13 Johannes Paul II.: Theologie 312,1; Tier 528,5 Johannes XXIII.: Theologie 307,44 Leo I. der Große: Tertullian 104,28; Teufel

799

130,8; Theodoret v. Kyrrhos 251,27; Tradition 707,38 Leo III.: Theodor Studites 249,21 Leo X.: Tertiarier/Tertiarierinnen 91,18 Leo XII.: Thorwaldsen 493,23; 494,52 Leo XIII.: Theater 191,37; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 460,32 Martin V.: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,13 Nikolaus IV.: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,16 Paul II.: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,10 Paul III.: Tizian 571,36 Paul V.: Theologia deutsch 261,26 Paul VI.: Teufel 132,21 Pius II.: Tertiarier/Tertiarierinnen 91,41 Pius XI.: Thérèse de Lisieux 410,33 Sixtus IV.: Tertiarier/Tertiarierinnen 89,14 Stephan I.: Tradition 706,12 Päpstliche Bullen, Enzykliken und Breven: Aetemi patris 1879: Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 460,31 Exeunte iam anno 1888: Theater 191,37 Mirari vos 1832: Toleranz 656,42 Pastoralis officii 1930: Thüringen 510,24 Q u o aptius consulatur 1994: Thüringen 510,37 Sedis apostolicae 1405: Tertiarier/ Tertiarierinnen 89,2 Summis desiderantes affectibus 1484: Teufel 131,12 Supra montem 1289: Tertiarier/ Tertiarierinnen 88,17 Zelo domus Dei 1648: Toleranz 652,49 Panentheismus: Theismus 198,10 Pannenberg, Wolfhart: Theologie 285,9; 322,34; Tod 616,24; Transzendenz 774,4 Pantheismus: Theismus 198,8 Pantomime: Theater 178,4-18 Papias v. Hierapolis: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 156,36; Tradition 705,31 Papini, Giovanni: Teufel 132,48 Paradies: Tempel 65,32 Pareus, David: Toleranz 654,20 Pascal: Tod 611,11 Paschasius Radbertus: Tertullian 104,37 Passaglia, Carlo: Tradition 716,24 Passionsfrömmigkeit: Tersteegen 81,33 Passionsspiel: Theater 179,50 Patristik: Tradition 709,29 Paul, Rudolf: Thüringen 501,44 Paulinus v. Nola: Te Deum 24,23 Paulsen, Henning: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 746,9 Paulus, Apostel: Thessalonicherbriefe412,33ff.; Tod 587,46ff.; 594,29ff.; 595,42ff.; 621,45 Peirce, Charles Sanders: Transzendentalphilosophie 764,15 Pelagius/Pelagianischer Streit: Theodor v. Mopsuestia 240,50 Penelhum, Terence: Theismus 197,25 Pepusch, Johann Christoph: Theater 184,49 Perkins, William: Todesstrafe 641,17 Perrone, Giovanni: Tradition 716,24 Pestalozzi, Rudolf: Thurneysen 524,17 Petersz, Gerlach: Tersteegen 82,41

800

Namen/Orte/Sachen

Petrus II. v. Alexandrien: Theodosius I. 256,15 Petrus v. Ailly: Theologie 278,42 Petrus Berchorius: Tiersymbolik 544,44 Petrus Cantor: Tiersymbolik 544,12 Petrus v. Capua: Tiersymbolik 544,17 Petrus Damiani: Theologie 287,22 Petrus Lombardus: Teufel 127,5.34 - 5 2 ; Theologie 277,25 ff.; Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 434,45 Petrus Mogila: Theologie 291,36; 292,38 Petrus v. Poitiers: Teufel 130,13 Petrus v. Verona: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,48 Pettrich, Franz: Thorwaldsen 495,50 Pfeiffer, August: Thomasius, Ch. 484,5 Pharan (Bistum): Theodor v. Raithu 246,18 Philipp v. Hessen: Thamer 172,27 Philippe de Thaon: Tiersymbolik 543,37 Philo v. Alexandrien: Tiersymbolik 538,5 ff. Philosophie: Temple, W. 73,3; Theologie 273,10ff.; Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 439,35; 440,49 Philostorgios: Theodosius I. 257,37 Photius: Theodoret v. Kyrrhos 253,51 Physiologus: Tiersymbolik 543,4ff.; 545,35 ff.; 546,23.49 Picht, Georg: Theorie und Praxis 376,10ff. Pierre de Beauvais: Tiersymbolik 543,40 Pietismus: Terministischer Streit 78,46ff.; Tersteegen 81,21; Theologie 281,40; Theologiestudium 3 5 5 , 5 0 - 3 5 6 , 2 4 ; Thomasius, Ch. 484,27 ff. Plastik/Skulptur: Thorwaldsen 493,36ff. Plato/Platonismus: Teleologie 37,5; 38,7; Theater 176,28; Theodizee 232,45 ff.; Theologie 273,22; Theorie und Praxis 375,48ff.; Tod 616,44ff.; 619,33; 629,18; Transzendenz 768,24; 772,2 Plauen: Tischendorf 567,36 Plautus: Theater 177,42 Plotin: Transzendenz 768,29; 769,33 Poiret, Pierre: Tersteegen 81,23 Pola, Thomas: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 738,29 Polen: Toleranz 6 5 3 , 4 6 - 6 5 4 , 1 7 Polynesien: Theologie 311,25 Popovic, Justin: Theologie 294,34 Positive Union: Tholuck 427,24 Praktische Theologie: Theater 193,19; Theologie 337,43 - 3 4 0 , 2 7 ; Thurneysen 525,12; Tradition 725,44 - 730,49 Predigt: Thielicke 424,19; Thurneysen 524,46 Prokopovic, Feofan: Theologie 293,2 Prosper v. Aquitanien: Tradition 707,49 Protasov, Nikolaj Graf: Theologie 293,20 Proterius v. Alexandrien: Timotheus Aelurus 565,39 Prozeßtheologie: Teilhard de Chardin 31,21 Psellos, Michael: Theophylakt v. Achrida 371,48 Psychoanalyse/Psychotherapie: Thurneysen 525,45 Ptolemäus, Gnostiker: Theologie 273,41 Pufendorf, Samuel: Thomasius, Ch. 483,36; 484,2

Purcell, Henry: Theater 183,35 Puritanismus: Theater 183,27; Theologie 281,32 Quietismus: Tersteegen 81,24 Quintus Aurelius Symmachus: Toleranz 648,29 Qumran: Testamentenliteratur 109,18; 112,43 ff.; Teufel 122,4; Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 148,31; Tiersymbolik 538,24ff.; Tobit 574,4 Racine, Jean: Theater 184,8; Tragik/Tragödie 753,27 Rad, Gerhard v.: Theologie 264,42; Traditionskritik/Traditionsgeschichte 735,50; 736,6 Rahner, Karl: Transzendenz 774,27ff. Raimund v. Capua: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,51 Rameau, Philipp: Theater 185,5 Ramsey, Paul: Tod 622,4 Ramus, Petrus: Theorie und Praxis 381,8 Ratichius, Wolfgang: Thüringen 500,31 Rationalismus: Tholuck 427,7 Ratschow, Carl Heinz: Theologie 263,6 Rauch, Christian Daniel: Thorwaldsen 495,49 Rechenberg, Johann Adam: Terministischer Streit 79,25 Reformation: Theater 180,52ff.; Theologie 2 8 0 , 1 0 - 5 0 ; Theologiestudium 355,7ff.; Thüringen 505,24 - 507,19; Toleranz 6 5 1 , 4 4 - 6 5 4 , 1 7 ; Totentanz 688,1; Tradition 711,42-714,31; 720,42-721,23 Reichardt, Wilhelm: Thüringen 511,19 Reinhardt, M a x : Theater 186,45 Reinhold, Karl Leonhard: Theismus, Spekulativer 206,6 Reiser, Anton: Theater 191,1 Reitz, Johann Heinrich: Tersteegen 82,51 Religiöser Sozialismus: Tillich 554,45 Religion: Theater 1 8 9 , 4 2 - 1 9 0 , 2 5 Religionsfreiheit: Toleranz 656,32ff. Religionsgespräche: Toleranz 650,41; 653,27 Religionspädagogik: Tradition 728,29 - 729,44 Religionswissenschaft: Theosophie 401,48 Renaissance: Theater 182,31 Rendtorff, Rolf: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 741,26 Reuleaux, Franz: Technik 1,20 Reuß: Thüringen 507,11.49 Reuter, Titus: Thüringen 512,8 Rice, Anne: Teufel 132,49 Richard II., Kg. v. England: Tiersymbolik 546,43 Richard v. Bury: Thomas v. Brad wardine 474,29 Richard de Fournival: Tiersymbolik 543,51 Richter, Wolfgang: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 740,43 Rijn, Rembrandt van: Tobit 577,27 Rilke, Rainer Maria: Tiersymbolik 550,6 Ritsehl, Albrecht: Theosis 391,8 Ritual: Theater 1 8 9 , 5 - 2 0 Rituale Romanum: Teufel 131,29 Röhr, Johann Friedrich: Thüringen 508,18 Römer, Hans: Thüringen 505,44 Römisch-katholische Kirche: Thüringen 5 0 9 , 5 2 - 5 1 0 , 3 9 ; Tradition 721,24

Namen/Orte/Sachen Rönck, Hugo: Thüringen 512,1; 513,17 Rohs, Peter: Transzendentalphilosophie 764,8 Rolland, Romain: Tolstoj 679,17 Rom (Imperium Romanum): Toleranz 647,49-648,41 Rom: Tertullian 95,18; Theater 177,24-178,18; Thorwaldsen 492,44ff. Romantik: Theater 185,29 Rosenberg, Adolf: Thorwaldsen 492,9; 495,38 Rosenkreutzer: Theosophie 400,24 Rosenmüller, Ernst Friedrich Carl: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 150,1 Rosmini, Antonio: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 462,6 Rousseau, Jean-Jacques: Tod 612,30 Rubens, Peter Paul: Tod 636,38 Rubenstein, Richard L.: Theodizee 221,14 Rufin v. Aquileia: Teufel 125,46; 126,24; Theophilus v. Alexandrien 364,37; 365,36 Rußland: Theologie 292,18-294,28; Tischendorf 568,23ff. Ryder, Albert Pinkham: Tiersymbolik 548,38 Saadja ben Josef: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 149,15 Sacharja: Tempel 66,26 Sachs, Hans: Theater 180,43; Tragik/Tragödie 756,26 Sachsen-Meiningen: Theater 185,47 Säuberlich, Gerhard: Thüringen 512,15 Sahagün, Bernardino de: Toleranz 670,14 Sahdona: Theodor v. Mopsuestia 244,18 Sakramente: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 456,38-457,22 Salomo/Salomoschriften: Tempel 48,40ff. Salvian v. Marseille: Theater 178,28 Sanctus: Te Deum 25,25 Sandomir, Consensus v.: Toleranz 653,46 Sartorius, Ernst: Theismus, Spekulativer 207,10 Sartre, Jean Paul: Teufel 132,36; Theater 187,39; Tod 621,29 Sasse, Martin: Thüringen 511,54; 512,51 Sauckel, Fritz: Thüringen 501,35 Saul: Tod 584,10 Schadow, Rudolph: Thorwaldsen 495,50 Schäfer, Rudolf: Teufel 147,6 Schaller, Julius: Theismus, Spekulativer 207,4 Schaller, Klaus: Theorie und Praxis 381,19 Scheeben, Matthias Joseph: Tradition 716,29 Scheffler, Johann (Angelus Silesius): Tod 611,4 Schel(g)wi(n)g, Samuel: Terministischer Streit 80,1 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Teleologie 39,50; Tillich 554,1; Tod 631,16; Transzendenz 773,40 Schelsky, Helmut: Technik 16,3ff.; Theorie und Praxis 385,19 Scherira Gaon: Tosefta 680,35 Scherzer, Johann Adam: Theorie und Praxis 380,32 Schickele, René: Tiersymbolik 550,27 Schiller, Friedrich: Tod 612,50; Tragik/Tragödie 752,12; 753,45 ff. Schinkel, Karl Friedrich: Thorwaldsen 494,51 Schlegel, Friedrich: Tradition 716,9 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Teufel

801

132,1; Theologie 264,8; 283,24-52; 325,30; Theologiestudium 356,36; Theorie und Praxis 384,22; Tod 616,8; Transzendenz 773,42 Schlosser, Johann Ludwig: Theater 191,4 Schmalkalden: Thüringen 506,53; 514,16 Schmemann, Alexander: Theologie 294,45 Schmidt, Karl Ludwig: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 746,30 Schmithals, Walter: Thessalonicherbriefe 412,45 Schneider, Reinhold: Tragik/Tragödie 759,40 Schnelle, Udo: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 747,44 Schneller, Ludwig Jr.: Tischendorf 569,44 Schniewind, Julius: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 746,42 Schnorr v. Carolsfeld, Julius: Teufel 147,1 Schöpfer/Schöpfung: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 453,45 - 454,13 Scholastik: Theologiestudium 353,7; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 449,42; Tradition 710,9 Scholem, Gershom: Theosophie 398,40ff. Schopenhauer, Arthur: Theologia deutsch 261,41; Tiersymbolik 548,16; Tragik/ Tragödie 751,22 Schräder, Clemens: Tradition 716,25 Schrift, Heilige: Theologie 280,18; 288,51; 296,6; Tradition 720,43 Schriftauslegung: Theophylakt v. Achrida 372,6ff. Schriftprinzip: Tradition 711,45; 720,51 ff. Schuchardt, Erika: Theodizee 230,11 ff. Schuderoff, Jonathan: Thüringen 508,18 Schürmann, Heinz: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 746,51 Schüssler-Fiorenza, Elisabeth: Theologie 301,25 Schulchan Aruk: Tod 604,37 Schulz, Walter: Tod 632,15 Schwarz, Carl: Theologiegeschichte/ Theologiegeschichtsschreibung 345,41 Schwarz, Eduard: Thüringen 509,3 Schwarzburg-Arnstadt: Thüringen 507,3 Schweitzer, Albert: Tier 528,10; 531,20 Schwenckfeld, Kaspar v./Schwenckfelder: Theosis 391,2 Seele: Tertullian 95,46; 100,36 Seelsorge: Telefonseelsorge 33,42; Teufel 140,1; Tradition 729,48 - 7 3 0 , 4 2 Seelsorgelehre: Thurneysen 525,30 Se'ert, Chronik v.: Theodor v. Mopsuestia 240,6; 241,7 Sein: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 442,4-443,4 Semler, Johann Salomo: Theologiestudium 356,29 Seneca, Lucius Annaeus d.J.: Theater 177,36 Sengler, Jakob: Theismus, Spekulativer 207,1 Sentenzen: Theologiestudium 352,49 Septuaginta: Tosefta 680,29 Serapion v. Thmuis: Tod 607,17 Serubbabel: Tempel 54,53 Serviten: Tertiarier/Tertiarierinnen 90,40 Sexualität: Tertullian 103,4-104,6 Shaftesbury, Anthony, 3rd Earl of: 196,49

802

Namen/Orte/Sachen

Shakespeare, William: Theater 183,6; Tiersymbolik 547,47; Tragik/Tragödie 752,7; 753,21 Sharma, Arvind: Teufel 113,44 Siegmund-Schultze, Friedrich: ThaddenTrieglaff 168,48 Siger v. Brabant: Theologie 278,21 Simon ben Kosiba: Tempel 54,35 Simon Magus: Teufel 130,41 Simonides, Constantin: Tischendorf 568,42 Sinai: Tischendorf 568,8 Sinnett, Alfred Percy: Theosophie 404,18 Sirach, Jesus: Theodizee 218,47 Skrjabin, Alexander: Theosophie 395,27 Slawen: Theophylakt v. Achrida 372,22ff. Smith, William Robertson: Totem/Totemismus 684,14.36ff. Soden, Hermann von: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 162,27 Solle, Dorothee: Theater 188,43; Theodizee 226,33 Sokrates: Tod 619,40 Sokrates Scholastikos: Theodosius I. 257,35 Solovjev, Vladimir Sergejevic: Theologie 294,6 Sophokles: Theater 176,20; Tragik/Tragödie 752,38 Soteriologie: Teilhard de Chardin 30,20 Sozialismus: Tillich 554,15ff. Sozomenos: Theodosius I. 257,36; Theophilus v. Alexandrien 364,40 Spener, Philipp Jakob: Terministischer Streit 78,47; 80,6; Theologia deutsch 261,18; Theologiestudium 355,50; Theosis 391,4 Spinoza, Baruch de/Spinozismus: Toleranz 656,10 Spiritismus: Theosophie 402,24; Tod 613,20 Spiritualismus: Theologia deutsch 261,30-40 Spiritualität: Teresa v. Avila 77,23; Tersteegen 81,44 ff. Spitta, Friedrich: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 745,49 Sprenger, Jakob: Teufel 131,14 Staniloae, Dumitru: Theologie 294,39 Staudenmaier, Franz Anton: Theismus, Spekulativer 207,7 Steck, Odil Hannes: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 737,31; 740,18 Steiner, Rudolf: Theosophie 395,lff.; 406,28 Stephan, Martin: Thüringen 508,41 Sternberger, Dolf: Toleranz 658,42 Stiefel, Esaias: Thüringen 507,32 Stift: Thüringen 504,16 Stipp, Hermann-Josef: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 738,24 Stock, Konrad: Theologie 264,6 Stoppard, Tom: Theater 192,32 Storm, Theodor: Tiersymbolik 549,46 Stragorodskij, Sergij: Theologie 294,17 Strauß, David Friedrich: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 744,47 Strauß, Richard: Theater 186,21 Strindberg, Johann August: Theater 192,18 Stryk, Samuel: Thomasius, Ch. 483,37 Stubbs, George: Tiersymbolik 548,30 Studienreform: Theologiestudium 359,31-361,2

Stundisten: Tolstoj 678,22 Sturm und Drang: Theater 184,29 Suärez, Francisco: Todesstrafe 640,29 Sünde: Teilhard de Chardin 30,32; Tholuck 425,40 Svetlov, Pavel J.: Theologie 294,16 Swedenborg, Emanuel/Swedenborgianer: Theosophie 394,17ff.; 402,26 Sylten, Werner: Thüringen 512,4 Symbol: Teufel 135,1 Synoden: Tradition 707,28 Capua 391: Theophilus v. Alexandrien 365,23 Chalkedon 451: Theodor v. Raithu 247,31; Theodoret v. Kyrrhos 251,28; Theodosius I. 257,34; Timotheus Aelurus 565,38; Tradition 707,35 Ephesus 431: Theodoret v. Kyrrhos 251,13 Ephesus 449: Theodoret v. Kyrrhos 251,25 Konstantinopel 381: Theodosius I. 256,35; Tradition 707,35 Konstantinopel 382: Theodosius I. 256,39 Konstantinopel 383: Theodosius I. 256,39 Konstantinopel 536: Theodor v. Raithu 247,2 Konstantinopel 553: Theodor v. Mopsuestia 243,46; Theodoret v. Kyrrhos 253,44 Lateran IV 1215: Teufel 132,12; Tiersymbolik 546,30 Nicäa 325: Tertullian 104,28; Tod 607,8; Tradition 707,30 Sens 1140: Toleranz 655,39 Tridentinum 1545-1563: Theologie 281,2; 289,4; Theologiestudium 354,45; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 440,35; Tradition 715,23 Vatikanum I 1869-1870: Tradition 716,35; 721,49 Vatikanum II 1962-1965: Tertiarier/ Tertiarierinnen 90,13; Theologie 289,9; Theologiestudium 354,49; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 462,39; Toleranz 657,17; Tradition 717,2; 722,18 Vienne 1311/1313: Tertiarier/Tertiarierinnen 91,6 Syrakus: Theater 177,26 System: Tillich 558,5 Systematische Theologie: Tillich 558,9ff. Täufer/Täuferische Gemeinschaften: Thüringen 505,43 Talmon, Shemaryahu: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 151,37 Tanz: Totentanz 686,26 ff. Tarasios, Patriarch: Theodor Studites 248,34 Tareev, Michail M.: Theologie 294,18 Tatian: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 159,46; Thomas, Apostel 432,48ff. Tatianus: Theodosius I. 255,45 Taufe: Tertullian 97,25 - 40; Teufel 129,6-130,3; Theater 178,20; Theodor v. Mopsuestia 243,2; Theologie 275,3; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 457,13; Tradition 706,4 Tauler, Johannes: Theologia deutsch 258,40 Tawney, Richard Henry: Temple, W. 72,48 Technik: 1 - 2 2

Namen/Orte/Sachen Te Deum: 2 3 - 2 8 Teilhard de Chardin, Pierre: 2 8 - 3 3 ; Theorie und Praxis 378,44; Tier 528,10 Telefon: Telefonseelsorge 33,21 Telefonseelsorge: 3 3 - 3 5 Teleologie: 3 6 - 4 1 Tempel: 42 - 72; Theologie 266,26; Tradition 690,50 Temple, William: 7 2 - 7 5 Tenerani, Pietro: Thorwaldsen 494,8 Teodosij v. Türnovo: Theophylakt v. Achrida 372,27 Terenz: Theater 177,45 Teresa von Avila: 7 6 - 7 8 Teiministischer Streit: 7 8 - 8 1 Tersteegen, Gerhard: 8 1 - 8 5 Teitiarier/Tertiarierinnen: 8 5 - 9 3 Tettullian: 9 3 - 1 0 7 ; Teufel 125,27; 129,14; Theater 178,22; Theologie 273,13; Theophilus v. Antiochien 371,1; Theosis 390,4; Tod 606,44; 607,16; Todesstrafe 639,15; Tradition 706,16.52 Teschemacher, Jakob Engelbert: Tersteegen 84,8 Testamente der XII Patriarchen: 1 0 7 - 1 1 0 Testamentenliteratur: 111-113 Teufel: 113-147; Testamentenliteratur 108,1; Tiersymbolik 541,18; Tod 635,26 Textgeschichte/Textkritik der Bibel: 148-168 Thidden, Elisabeth v.: Thadden-Trieglaff 169,13 Thidden-Trieglaff, Adolph Ferdinand v.: Thadden-Trieglaff 168,37 Thidden-Trieglaff, Reinold von: 168-172 Thimer, Theobald: 172-175 Theater: 175-195; Tertullian 102,27; Tragik/Tragödie 756,13 Theatralität: Theater 189,21-39 Tteismus: 196-205 Theismus, Spekulativer: 2 0 6 - 2 0 9 Thiißen, Gerd: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 747,18 ff. Tkmistios: Thcodosius I. 255,44 Theodizee: 210-237; Tertullian 98,16; Theismus 199,43 Theodor Abu Qurrah: 2 3 7 - 2 3 9 Theodor von Mopsuestia: 2 4 0 - 2 4 6 Theodor v. Pharan: s. Theodor v. Raithu T k o d o r von Raithu: 2 4 6 - 2 4 8 Theodor Studites: 2 4 8 - 2 5 0 Tltodoret von Kyrrhos: 250-254; Theodor v. Mopsuestia 240,4 Theodosius I. der Große: 255 - 2 5 8 Theodotion: Textgeschichte/Textkritik der Jibel 149,44 Theokletos Pharmakides: Theologie 292,7 Theologia deutsch: 258 - 2 6 2 Theologie, Christliche 2 6 3 - 3 4 3 ; Thomas v. Xquino/Thomismus/Neuthomismus •52,41-453,16 Tteologiegeschichte/Theologiegeschichtsichreibung: 3 4 4 - 3 4 9 Tteologiestudium: 3 4 9 - 3 6 4 Thsonomie: Tillich 556,43 ff. Tteophilus von Alexandrien: 3 6 4 - 3 6 8

803

Theophilus von Antiochien: 368-371; Teufel 125,15 Theophylakt von Achrida: 371-375 Theorie und Praxis: 3 7 5 - 3 8 8 Theosis: 3 8 9 - 3 9 3 Theosophie 3 9 3 - 4 0 9 Theosophische Gesellschaft: Theosophie 400,14- 408,8 Thérèse de Lisieux: 4 0 9 - 4 1 2 Thessalonich: Thessalonicherbriefe 413,2 Thessalonicherbriefe: 4 1 2 - 4 2 1 Thielicke, Helmut: 4 2 1 - 4 2 5 Thingspielbewegung: Theater 187,12 Tholuck, Friedrich August Gottreu: 425 - 4 2 9 Thomas, Apostel: 4 3 0 - 4 3 3 Thomas von Aquino/Thomismus/ Neuthomismus: 433 - 4 7 4 ; Teufel 127,7; 128,1-16; Theodizee 233,25; Theologie 278,3; 287,33; Thomas v. Cantimpré 478,34; Tier 528,8; Tradition 710,14; Transzendentalphilosophie 763,12; Transzendenz 7 7 3 , l l f f . Thomas von Bradwardine: 4 7 4 - 4 7 6 Thomas v. Buckingham: Thomas v. Bradwardine 475,45 Thomas von Cantimpré: 477 - 4 8 0 ; Tiersymbolik 544,26 Thomas v. Celano: Tertiarier/Tertiarierinnen 88,1

Thomas v. Kempen: 480-483; Tersteegen 82,40 Thomas Netter Waldensis: Tradition 711,35 Thomas, Dylan: Tod 623,52 Thomas, Johann: Thomasius, Ch. 483,28 Thomas, Klaus: Teiefonseelsorge 34,1 Thomasakten: Thomas, Apostel 430,42ff. Thomasevangelium: Thomas, Apostel 430,28ff. Thomasius, Christian: 483 - 4 8 7 ; Terministischer Streit 79,19; Theodizee 234,32 Thomasius, Gottfried: 4 8 8 - 4 9 2 Thomasius, Jakob: Thomasius, Ch. 483,25 Thorwaldsen (Thorvaldsen), Bertel: 4 9 2 - 4 9 7 Thüngen zu Heilsberg, Elisabeth Freiin v.: Thadden-Trieglaff 169,6 Thüringen: 497-523 Thurnçysçn, Eduard: 5 2 4 - 5 2 7 Tieck, Christian Friedrich: Thorwaldsen 495,49 Tier: 5 2 7 - 5 3 4 Tiersymbolik: 534-553; Teufel 141,40-142,13 Tigris: Tobit 575,12 Tillich, Paul: 553-565; Theologie 319,22; 322,34; Toleranz 670,3; Tragik/Tragödie 755,21; Transzendenz 769,46; 770,19; 770,34 Timotheus Aelurus: 5 6 5 - 5 6 7 Tindal, Matthew: Theologie 282,10 Tischendorf, Constantin von: 567 - 5 7 0 ; Textgeschichte/Textkritik der Bibel 161,3 ff. Tizian: 5 7 0 - 5 7 3 Tobit: 5 7 3 - 5 7 9 Tod: 579-638; Teufel 128,22; Totentanz 686,25 ff. Todesstrafe: 6 3 9 - 6 4 6 Toleranz: 646-676; Thomasius, Ch. 485,41 Tolstoj, Lew Nikolajewitsch: 676-679; Tragik/Tragödie 757,37 Torres, Francisco: Thamer 173,4; 174,2 Tosefta: 680-683

804

Namen/Orte/Sachen

Totem/Totemismus: 683 - 6 8 6 Totentanz: 6 8 6 - 688; Theater 180,2; Tod 636,2 Tov, Emanuel: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 150,47ff.; 153,2 Tradition: 6 8 9 - 7 3 2 ; Theologie 288,47; 296,6ff. Traditionskritik/Traditionsgeschichte: 732 - 750 Tragik/Tragödie: 7 5 1 - 7 6 2 Trajan, röm. Kaiser: Theater 178,5 Trakl, Georg: Tiersymbolik 550,7 Transzendentalphilosophie: 763 - 7 6 8 Transzendenz: 7 6 8 - 7 7 5 Trembelas, Panagiotes: Theologie 292,11 Trendelenburg, Friedrich Adolf: Theismus, Spekulativer 206,45 Trinität: Tertullian 9 9 , 2 0 - 1 0 0 , 7 ; Theismus 1 9 8 , 1 4 - 3 7 ; Theodor v. Mopsuestia 242,51; Theologie 273,48 Troeltsch, Ernst: Toleranz 669,49; 674,4 Tromp, Sebastian: Tradition 717,3 Ulrich, Eugene C.: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 151,22ff. Ulrici, Hermann: Theismus, Spekulativer 206,38 Union of New Religions: Toleranz 672,20 Universitäten: Theologiestudium 352,10ff.; Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 450,22 Basel: Thurneysen 524,32 Berlin: Thomasius, G. 488,14 Cambridge: Theologiestudium 352,33; 362,34 Erfurt: Thüringen 504,44 Erlangen: Thomasius, G. 488,37 Frankfurt a.M.: Tillich 555,29 Freiburg i.Br.: Thamer 173,8 Göttingen: Theater 191,14 Halle: Theologiestudium 356,19; Tholuck 425,33; Thomasius, Ch. 484,20ff. Hamburg: Thielicke 422,26 Jena: Thüringen 506,35 Köln: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 434,22 Leipzig: Terministischer Streit 79,21; Theologiestudium 356,15; Thomasius, Ch. 483,24 Marburg: Thamer 172,32 Neapel: Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 435,52 Oxford: Theologiestudium 352,33; T h o m a s v. Bradwardine 474,21 Paris: Theologie 277,43; Theologiestudium 352,8 ff.; Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 434,17.43ff. Rostock: Terministischer Streit 79,20 Wittenberg: Terministischer Streit 79,20 Unterwelt: Teufel 128,27 Upadhyay, Brahmabandhab: Theologie 322,19 Urodivij, Parfenij: Theologie 292,30 Uspenky, Petr Demianowitsch: Theosophie 395,17 Uspenskij, Porfirij: Tischendorf 568,48 Vacha: Thüringen 506,53 Vado-mori-Gedichte: Totentanz 687,3 Valadier, Giuseppe: Thorwaldsen 494,50 Valenti, Ernst Joseph Gustav: Thüringen 508,40

Valentin/Valentinianer: Tertullian 98,38; Teufel 129,30; Theologie 273,41; Tradition 706,47 Valentinian II., röm. Kaiser: Theodosius I. 255,21 Varah, Chad: Telefonseelsorge 33,46 Varah, West: Telefonseelsorge 33,46 Varriere, Moritz: Theismus, Spekulativer 207,3 Vasari, Giorgio: Tizian 571,47 Vedische Religion: Toleranz 674,10 Venedig: Tizian 570,50 ff. Verdi, Giuseppe: Theater 185,41 Vergil: Tod 585,28 Vernunft: Theismus 197,12; Thomas v. Aquino/Thomismus/Neuthomismus 441,8 Vinzenz v. Beauvais: Tertullian 104,38; Tiersymbolik 544,24 Vinzenz v. Lerins: Tertullian 104,23; Tradition 707,5.49 Visitation: Thüringen 5 0 5 , 4 9 - 5 0 6 , 2 4 Vita Antonii: Teufel 1 4 2 , 4 9 - 1 4 3 , 2 1 Vitoria, Francisco: Thomas v. Aquino/ Thomismus/Neuthomismus 459,48 Voetius, Gisbert: Theologia deutsch 261,22 Volkmar, Gustav: Tischendorf 569,1 Voltaire: Theater 190,34; Tod 612,30 Wagner, Falk: Transzendenz 774,17 Wagner, Richard: Theater 185,35; 192,1 Walahfrid Strabo: Teufel 127,3 Walser, Martin: Tiersymbolik 550,38 Warren, Harry: Telefonseelsorge 33,42 Warschauer Konföderation: Toleranz 654,8 Weber, Alfred: Tragik/Tragödie 759,18 Weber, Carl Maria v.: Theater 185,30 Weber, Hans Emil: Theorie und Praxis 380,16; 380 38 Weber, M a x : Theodizee 236,14ff. Weigel, Valentin: Theologia deutsch 261,32 Weihnachtsspiel: Theater 179,53 Weisheit/Weisheitsliteratur: Theologie 266,43 Weiss, Peter: Theater 187,46 Weiße, Christian Hermann: Theismus 197,27; Theismus, Spekulativer 206,28 Weizsäcker, Carl Friedrich v.: Technik 17,21 ff. Wellhausen, Julius: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 734,14; 745,12ff. Weltgerichtsspiel: Theater 180,2 Wernle, Paul: Thurneysen 524,13 Wertheimer, M a x : Tillich 555,33 Wesley, Charles: Theologie 281,43 Wesley, John: Theologie 281,43 Westcott, Brooke F.: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 161,3ff. Westlicher Text: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 164,44 Wettstein, Johann Jakob: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 160,42; Tischendorf 569,31 Whitehead, Alfred North: Theodizee 227,10 Wiederbringung aller: Teufel 125,48 Wieland, Christoph Martin: Theater 184,25 Wilcox, Ella Wheeler: Theosophie 395,28 Wilhelm III., Landgraf v. Thüringen: Thüringen 505,17 Wilhelm v. Auxerre: Theologie 277,50 Wilhelm v. Oranien: Toleranz 653,20

Mitarbeiter Wimpfeling, Jakob: Thamer 172,25 Winer, Johann Georg Benedict Tischendorf 567.38 Wirth, Johann Ulrich: Theismus, Spekulativer 206.39 Wissenschaft. Thomas v. Aquino/Thomismus/ Neuthomismus 450,56 Witzel, Georg: Tradition 713,40 Wolff, Christian Theodizee 234,32, Thomasius, Ch. 484,47 Wolff, Emil: Thorwaldsen 495,51 Wolff, Hans Walter- Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 737,17 World Trade Center: Tod 624,46 Worms. Teufel 145,20.44 Wormser Buch: Tradition 713,24 Wort Gottes: Theologie 273,10ff. Woude, Adam Simon van der: Textgeschichte/ Textkritik der Bibel 152,4 Wrede, William: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 745,37 ff. Wundt, Wilhelm: Totem/Totemismus 684,34 Wurm, Theophil: Thielicke 422,12 Wurstemberger, Ludwig v. : Tischendorf 569,4 Wyclif, John: Theologie 278,40; Tradition 711,21 Xenophanes: Theorie und Praxis 376,1 ff. Ximénes de Cisneros, Francisco: Textgeschichte/Textkritik der Bibel 160,24

805

Yannaras, Chrestos: Theologie 292,15; 294,45 Zabella, Giacomo: Theorie und Praxis 380,14 Zankov, Stefan: Theologie 294,38 Zedier, Johann Heinrich: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 744,16 Zeidler, Kurt Walter: Transzendentalphilosophie 764,18 Zeit: Thomas v. Bradwardine 475,30 Zeitschriften, Kirchliche und theologische: Thüringen 5 0 9 , 3 6 - 5 0 Zeitz/Naumburg (Bistum): Thüringen 503,11 Zell, Matthäus: Thamer 173,50 Zeller, Eduard: Traditionskritik/ Traditionsgeschichte 745,4 Zentralafrika: Totem/Totemismus 683,55 Zetkin, Clara: Theologie 301,13 Zinovij v. Oten: Theologie 292,29 Ziziouias, Ioannis: Theologie 292,15, 294,46 Zoega, Georg: Thorwaldsen 492,45 Zoroastrismus: Teufel 115,6 Zosimos: Theodosius 1. 257,38 Zuccato, Sebastiano: Tizian 570,50 Zweckmäßigkeit: Teleologie 36,28 ff. Zweig, Stefan: Tolstoj 679,17 Zwerger, Johann Nepomuk: Thorwaldsen 495,31 Zwicky, Fritz: Technik 3,52 Zwingli, Ulrich: Theologie 280,16

2. Mitarbeiter 2.1.

Autoren

Prof. Lic. Dr. Barbara Aland D.D., Münster (Textgeschichte/Textkritik der Bibel II) Prof. Dr. Michael Bachmann, Siegen (Tempel III) Prof. Dr. Horst Balz, Bochum (Theologie, Christliche II/1.2.) Prof. Ferdinand Barth, Darmstadt (Theater) Prof. Dr. Michael Beintker, Horstmar (Tradition VI) Dr. habil. Thomas Benner, Kassel (Theologiestudium III) Prof, Dr. Alhrefht Beutel, Münster (Thomasius, Gottfried) Prof. Dr. Klauspeter Blaser, Lausanne/Schweiz (Theologie, Christliche II/5.3.) Prof. Dr. Dr. Otto Böcher, Mainz (Teufel III; VIII) Prof. Dr. Christfried Böttnch, Leipzig (Tischendorf, Constantin von) Prof. Dr. Gerhard Bott, Bad Kleinkirchheim/Österreich (Thorwaldsen, Bertel) Prof. Dr. Hermann Brandt, Erlangen (Theologie, Christliche II/5.2.) Prof. Dr. Martin Brecht, Münster (Theologiestudium II) Prof. Dr. Peter Bruns, Bamberg (Theodor von Mopsuestia) Dr. Christel Butterweck, Halle a.d.S. (Tertullian) Prof. Dr. John Clayton, Boston, Mass./USA (Tillich, Paul) Prof. Dr. Sigurd Martin Daecke, Aachen (Teilhard de Chardin, Pierre) Prof. Dr. Ingolf U. Dalferth, Zürich/Schweiz (Theismus) Norbert Dietel, Mannheim (Telefonseelsorge) Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Dietrich, Bern/Schweiz (Tod II) Dr. Ulrich Dobhan, Rom/Italien (Teresa von Avila) Prof. Edith W. Dolnikowski, Jamaica Piain, Mass./USA (Thomas von Bradwardine) Prof. Dr. Hendrik J.W. Drijvers, Groningen/Niederlande (Thomas, Apostel) Prof. Dr. Beate Ego, Osnabrück (Tobit [Buch])

806

Mitarbeiter

Dr. Peter Fabisch, Frankfurt a.M. (Thamer, Theobald) Prof. Dr. Klaus Fitschen, Kiel (Tod IV) Prof. Dr. Karl Suso Frank, Freiburg i.Br. (Tertiarier/Tertiarierinnen) Prof. Dr. Volkmar Fritz, Gießen (Tempel II) Prof. Dr. Petra von Gemünden, Genf/Schweiz (Tiersymbolik I-III) Prof. Dr. Dr. Peter Gerlitz, Bremen (Theodizee I; Toleranz III) Prof. Dr. Carl-Friedrich Geyer, Bochum (Theodizee VI) Dr. Sheridan W. Gilley, Durham/Großbritannien (Thérèse de Lisieux) Dr. Karl-Heinz Golzio, Bonn (Tempel I) Jean-Noël Guinot, Lyon/Frankreich (Theodoret von Kyrrhos) The Rev. Prof. Stuart George Hall, St. Andrews/Großbritannien (Theologie, Christliche II/2.; Theologiestudium I; Tradition IV) Prof. Dr. Christian Hannick, Würzburg (Theophylakt von Achrida) Dr. Bernd Harbeck-Pingel, Remscheid (Transzendenz II) Dr. Nigel Harris, Birmingham/Großbritannien (Tiersymbolik IV) Prof. Dr. Hans-Peter Hasenfratz, Bochum (Tod I) Dr. Werner Hassiepen, Kassel (Theologiestudium III) Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, Münster (Tradition V) Prof. Dr. Susanne Heine, Wien/Österreich (Theologie, Christliche II/5.1.) Prof. Dr. Walter Hirsch, Altenholz (Tragik/Tragödie I) Prof. Dr. Konrad Hoffmann, Tübingen (Tod IX) Dr. Helmut Hollenstein, Bad Berleburg (Theodizee V) Prof. Dr. Traugott Holtz, Halle a.d.S. (Thessalonicherbriefe) Prof. Dr. Harald Holz, Bochum (Transzendentalphilosophie) Prof. Dr. Christian Hünemörder, Hamburg (Thomas von Cantimpré) Dr. Boaz Huss, Be'er Sheva/Israel (Theosophie II) Prof. Dr. Herbert Jaumann, Greifswald (Thomasius, Christian) Prof. Dr. Marinus de Jonge, Leiden/Niederlande (Testamente der XII Patriarchen; Testamentenliteratur) Prof. Henry Ansgar Kelly, Los Angeles, Calif./USA (Teufel V) PDoz. Dr. Dr. Wassilios Klein, Bonn (Teufel I; Theodor von Raithu) Prof. Dr. Ernst Koch, Jena (Thüringen) Dr. Melanie Köhlmoos, Hamburg (Theodizee II) Prof. Dr. Ulrich Köpf, Tübingen (Thomas von Kempen) Prof. Dr. Ulrich H.J. Körtner, Wien/Österreich (Tier) Dr. Beate Köster, Münster (Terministischer Streit) Prof. Dr. Arie van der Kooij, Leiden/Niederlande (Textgeschichte/Textkritik der Bibel I) Prof. Dr. Theodore Kwasman, Köln (Tradition III) Prof. Dr. Hans Lenk, Karlsruhe (Technik I) PDoz. Dr. Hartmut Leppin, Frankfurt a.M. (Theodosius I.) Prof. Dr. Volker Leppin, Jena (Totentanz) Prof. Dr. Ulrich Linse, München (Theosophie III) Dr. Julius J. Lipner, Cambridge/Großbritannien (Theologie, Christliche II/5.4.) Prof. Dr. Winrich A. Lohr, Hamburg (Theophilus von Alexandrien) Prof. Dr. Dr. h.c. Charles Lohr, Freiburg i.Br. (Theologie, Christliche II/3.) Prof. Dr. Dr. Johann Maier, Weilheim/Obb. (Tempel IV; Theodizee III) Dr. Matthias Maring, Karlsruhe (Technik I) The Rev. Prof. Alister McGrath, Oxford/Großbritannien (Theologie, Christliche II/4.1.) Prof. Dr. Otto Merk, Erlangen (Traditionskritik/Traditionsgeschichte II) Dr. Lutz Mohaupt, Hamburg (Thielicke, Helmut) Prof. Dr. Paul-Gerhard Müller, Trier (Tradition II) PDoz. Dr. Michael Murrmann-Kahl, Tutzing (Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung)

Mitarbeiter

807

Prof. Dr. Peter Neuner, München (Theologie, Christliche U/4.2.) Prof. Dr. Kirsten Nielsen, Aarhus/Dänemark (Teufel II) The Rev. Canon Prof. Oliver Michael Timothy O'Donovan, Oxford/Großbritannien (Todesstrafe) Prof. Dr. Dr. h.c. Otto Hermann Pesch, Hamburg (Thomas von Aquino/Thomismus/ Neuthomismus I; II) PDoz. Dr. Christian Peters, Münster (Theologia deutsch) Prof. Dr. Jürgen-Eckardt Pleines, Karlsruhe (Teleologie) Prof. Dr. Klaus Raschzok, Jena (Thurneysen, Eduard) Dr. Gottfried Reeg, Berlin (Teufel IV) PDoz. Dr. Martin Rösel, Rostock (Tradition I; Traditionskritik/Traditionsgeschichte I) Prof. Dr. Hartmut Rosenau, Kiel (Theodizee IV; Toleranz II) Prof. Dr. Risto Saarinen, Helsinki/Finnland (Theosis) Prof. Dr. Georg Scherer, Essen (Tod VIII) Prof. Dr. Jutta Scherrer, Paris/Frankreich (Tolstoj, Lew Nikolajewitsch) Prof. Dr. Michael Schibilsky, München (Tod VII) Prof. Dr. Henning Schröer, Bonn (Theorie und Praxis) PDoz. Dr. Harald Schroeter-Wittke, Paderborn (Thadden-Trieglaff, Reinold von) Prof. Dr. Dr. Werner Schüßler, Trier (Transzendenz I) Prof. Douglas William David Shaw D.D., St. Andrews/Großbritannien (Theosophie I) Prof. Dr. Walter Sparn, Erlangen (Tragik/Tragödie II) Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann, Göttingen (Theologie, Christliche II/l.l.) Prof. Dr. Carl P.E. Springer, Edwardsville, Ill./USA (Te Deum) Prof. Dr. Günter Stemberger, Wien/Österreich (Tod III) Dr. Eberhard Stock, Kasse! (Tod V) Prof. Dr. Konrad Stock, Bonn/Köln (Theologie, Christliche I; III) Prof. Dr. Eckehart Stove, Duisburg (Toleranz I) Prof. Heinz Streib, Ph.D./Emory Univ., Bielefeld (Teufel VII) PDoz. Dr. Harald Suermann, Eschweiler (Theodor Abu Qurrah) Dr. Alan M. Suggate, Durham/Großbritannien (Temple, William) Prof. Dr. Josef Franz Thiel, Frankfurt a.M. (Totem/Totemismus) Prof. John Heywood Thomas, Nottingham/Großbritannien (Tod VI) PDoz. Dr. Michael Tilly, Wiesbaden (Tosefta) Prof. Dr. Franz Tinnefeid, München (Theodor Studites) Dr. Sabine Tischer, Langenau. (Tizian) Prof. Dr. Ian R. Torrance, Aberdeen/Großbritannien (Timotheus Aelurus) Prof. Dr. Joachim Track, Neuendettelsau (Teufel VI) Dr. Tobias Trappe, Bochum (Theismus, Spekulativer) Prof. Dr. Michael Trowitzsch, Jena (Technik II) Prof. Dr. Samuel Vollenweider, Bern/Schweiz (Tod II) Jennifer Wasmuth, Erlangen (Theologie, Christliche H/4.3.) Prof. Dr. Klaus Wegenast, Bern/Schweiz (Tradition VII) Prof. Dr. Gunther Wenz, München (Tholuck, Friedrich August Gottreu) Nicole Zeegers, Huldenberg/Belgien (Theophilus von Antiochien) Prof. Dr. Hellmut Zschoch, Wuppertal (Tersteegen, Gerhard) 2.2.

Übersetzer

Aus dem

Englischen:

Dr. Friedrich Avemarie, Tübingen (Testamente der XII Patriarchen; Testamentenliteratur; Theosophie II) Margarethe E. Debrunner-Hall, Glasgow/Großbritannien (Te Deum)

808

Artikel- und Verweisstichwörter

Dr. Karin Grau, Vaihingen (Enz) in Zusammenarbeit mit Doris Lax, Bruchmühlbach (Tillich, Paul) PDoz. Dr. Bernhard Maier, Bonn (Theosophie I) Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Teufel V; Theologie, Christliche II/2.; Theologiestudium I; Thérèse de Lisieux; Thomas von Bradwardine; Timotheus Aelurus; Todesstrafe; Tradition IV) Dr. Walter Schöpsdau, Bensheim (Theologie, Christliche II/4.1.; II/5.4.; Tod VI) Dr. Thomas Thornton, New York, N.Y./USA (Temple, William) Aus dem

Französischen:

Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Theophilus von Antiochien; Theodoret von Kyrrhos) 2.3.

Registerbearbeiter

Dr. Klaus Breuer, Heidelberg (Namen, Orte, Sachen) Pfarrerin Hannelore Hollstein, Unna (Bibelstellen) Prof. Dr. David Trobisch, Bangor, Me./USA (Namen, Orte, Sachen)

3. Artikel- und Verweisstichwörter Technik (H. Lenk/M. Maring/M. Trowitzsch) Te Deum (C.P.E. Springer) Tefilla -»Gebet, -»Glaubensbekenntnisse, -»Vaterunser Tefillin -»Ritus Teilhard de Chardin (S.M. Daecke) Telefonseelsorge (N. Dietel) Teleologie (J.-E. Pleines) Tempel (K.-H. Golzio/V. Fritz/M. Bachmann/J. Maier) Temple, William (A.M. Suggate) Templer -»Ritterorden, Geistliche Teresa von Avila (U. Dobhan) Terministischer Streit (B. Köster) Territorialismus -»Kirchenregiment, Landesherrliches; -»Kirchenverfassungen Tersteegen, Gerhard (H. Zschoch) Tertiarier/Tertiarierinnen (K.S. Frank) Tertullian (Ch. Butterweck) Testamente der XII Patriarchen (M. de Jonge) Testamentenliteratur (M. de Jonge) Teufel (W. Klein/K. Nielsen/O. Böcher/G. Reeg/H. A. Kelly/J. Track/H. Streib/ O. Böcher) Textgeschichte/Textkritik der Bibel (A. van der Kooij/B. Aland) Thadden-Trieglaff, Reinold von (H. Schroeter-Wittke) Thamer, Theobald (P. Fabisch) Theater (F. Barth) Theatiner -»Paul IV. Theismus (I.U. Dalferth) Theismus, Spekulativer (T. Trappe) Theodizee (P. Gerlitz/M. Köhlmoos/J. Maier/H. Rosenau/H. Hollenstein/ C.-F. Geyer) Theodor Abu Qurrah (H. Suermann) Theodor von Mopsuestia (P. Bruns) Theodor von Pharan -» Theodor von Raithu

1 23

28 33 36 42 72 76 78 81 85 93 107 110 113 148 168 172 175 196 206 210 237 240

Artikel- und Verweisstichwörter Theodor von Raithu (W. Klein) Theodor Studites (F. Tinnefeid) Theodoret von Kyrrhos (J. N. Guinot) _ Theodosius I. (H. Leppin) Theodotion -» Bibelübersetzungen Theokratie -» Königtum, -» Staatskirche/Staatsreligion Theologia deutsch (Ch. Peters) Theologie, Christliche (K. Stock/H. Spieckermann/H. Balz/St. G. Hall/Ch. Lohr/ A. McGrath/P. Neuner/J. Wasmuth/S. Heine/H. Brandt/K. Blaser/J.J. Lipner/ K. Stock) Theologie des Alten und Neuen Testaments —»Biblische Theologie Theologie und Philosophie -»Glaube und Denken, —»Philosophie, -»Theologie, Christliche Theologiegeschichte/Theologiegeschichtsschreibung (M. Murrmann-Kahl) . . . Theologiestudium (St.G. Hall/M. Brecht/Th. Benner/W. Hassiepen) Theopaschiten/Theopaschitischer Streit -»Byzanz, -»Jesus Christus, -» Neuchalkedonismus Theophanie -»Offenbarung Theophilus von Alexandrien (W. A. Lohr) Theophilus von Antiochien (N. Zeegers) Theophylakt von Achrida (Ch. Hannick) Theorie und Praxis (H. Schröer) Theosis (R. Saarinen) Theosophie (D.W.D. Shaw/B. Huss/U. Linse) Therapeuten -»Essener und Therapeuten Therapie -»Heilkunde/Medizin, -»Heilpädagogik, -»Psychoanalyse/Psychotherapie, -»Seelsorge Theresa von Avila -»Teresa von Avila Thérèse de Lisieux (S.W. Gilley) Thessalonicherbriefe (T. Holtz) Thielicke, Helmut (L. Mohaupt) Tholuck, Friedrich August Gottreu (G. Wenz) Thomas, Apostel (H.J.W. Drijvers) Thomas von Aquino/Thomismus/Neuthomismus ( O . H . Pesch) Thomas von Bradwardine (E.W. Dolnikowski) Thomas von Cantimpré (Ch. Hünemörder) Thomas von Kempen (U. Köpf) Thomaschristen -»Indien Thomasius, Christian (H. Jaumann) Thomasius, Gottfried (A. Beutel) Thorwaldsen, Bertel (G. Bott) Thüringen (E. Koch) Thurneysen, Eduard (K. Raschzok) Tiefenpsychologie -»Psychoanalyse/Psychotherapie Tier (U.H.J. Körtner) Tiersymbolik (P. von Gemünden/N. Harris) Tillich, Paul (J. Clayton) Timotheus Aelurus (I. R. Torrance) Timotheusbriefe ->Pastoralbriefe Tischendorf, Constantin von (Ch. Böttrich) Titusbrief -»Pastoralbriefe Tizian (S. Tischer) Tobit (Buch) (B. Ego)

809 246 248 250 255

258

263

344 349

364 368 371 375 389 393

409 412 421 425 430 433 474 477 480 483 488 492 497 524 527 534 553 565 567 570 573

810

Karte/Bildquellen/Corrigenda

Tod (H.-P. Hasenfratz/W. Dietrich/S. Vollenweider/G. Stemberger/K. Fitschen/ E. Stock/J. H. Thomas/M. Schibilsky/G. Scherer/K. Hoffmann) Todesstrafe (O.M.T. O'Donovan) Toleranz (E. Stöve/H. Rosenau/P. Gerlitz) Tolstoj, Lew Nikolajewitsch (J. Scherrer) Tora/Torafrömmigkeit -»Gesetz, -»Pentateuch Tosefta (M. Tilly) Totem/Totemismus (J.F. Thiel) Totensonntag -»Feste und Feiertage Totentanz (V. Leppin) Tradition (M. Rösel/P.-G. Müller/Th. Kwasman/St.G. Hall/W.-D. Hauschild/ M. Beintker/K. Wegenast) Traditionskritik/Traditionsgeschichte (M. Rösel/O. Merk) Tragik/Tragödie (W. Hirsch/W. Sparn) Traktate -»Erbauungsliteratur Translatio imperii —»Kaisertum und Papsttum, -»Reich/Reichsidee Transplantation -»Organverpflanzung Transsubstantiation -»Abendmahl Transzendentalphilosophie (H. Holz) Transzendenz (W. Schüßler/B. Harbeck-Pingel)

579 639 646 676 680 683 686 689 732 751

763 768

4. Karte Thüringen im Jahre 1918 (Aus: Geschichte Thüringens, hg. v. Hans Patze/Walter Schlesinger, V/2 1978 [MDF 48/5,2] Rückentasche) . . . nach S. 512

5. Bildquellen Art. Teufel VIII: Abb. 1, 4, 7, 9: © Otto Böcher, München 2000 - Abb. 2, 5: © Hirmer Verlag München, München 2000 - Abb. 3: © konnte nicht ermittelt werden - Abb. 6: © Jutta Brüdern Photographie, Braunschweig 2000 - Abb. 8: © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Berlin 2000; Art. Thorwaldsen: Abb. 1, 2: © Thorwaldsen Museum, Kopenhagen 2001; Art. Tizian: Abb. 1, 2: © Bildarchiv Foto Marburg, Marburg 2001 - Abb. 3, 4: © Archiv für Kunst und Geschichte Berlin, Berlin 2001; Art. Tod IX: Abb. 1, 2a, 5: © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 2001 Abb. 2b-d: © Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 2001 - Abb. 3: © Kunsthistorisches Museum Wien, Wien 2001 - Abb. 4: © Königliches Gemäldekabinett Mauritshuis Den Haag, Den Haag 2001 In einem Fall konnte der Bildrechteinhaber leider nicht ermittelt werden. Sollten noch etwaige Ansprüche unerfüllt sein, bittet der Verlag um entsprechende Mitteilung.

6. Corrigenda S. 190,55: lies 1681 statt 1718 S. 191,2: lies 90 statt 50 S. 294,45: lies Chrestos Yannaras statt Christos Yannaras S. 308,28f.: lies Leonardo Boff (geb. 1938) statt Leonardo Boff (1919-1989) Bd. 8, S. 1,32: lies (525/26-566) statt (561/65 - nach 578) Bd. 20, S. 449,16: lies Johannes Äpinus statt Johannes Alpinus Bd. 30, S. 291,39: lies Das Seufzen der Kreatur statt Das Seufzen der Natur

Ernst Troeltsch • Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Friedrich Wilhelm Graf und Volker Drehsen, Gangolf Hübinger, Trutz Rendtorff Band 8 Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt (1906-1913) Herausgegeben von Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Stefan Pautler 2001. 24 X 16 cm. XIV, 474 Seiten. Leinen. • ISBN 3-11-017156-2 Der berühmte Vortrag Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt (1906/1911) sowie weitere Texte zur Kulturbedeutung von Luthertum und Calvinismus aus der gleichen Zeit werden hier in einer textkritischen Edition vorgelegt. In die Auseinandersetzung um die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der Moderne hat Troeltsch zusammen mit Max Weber im ersten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts nachdrücklich eingegriffen. Die in diesem Band vereinigten Beiträge haben eine intensive Diskussion ausgelöst, von der die konfessions- und kulturgeschichtliche Forschung bis heute bestimmt ist. Aus dem Inhalt: Luther und die moderne Welt (1908) • Calvinismus und Luthertum (1909) • Die Genfer Kalvinfeier (1909) • Calvin and Calvinism (1909) • Die Kulturbedeutung des Calvinismus (1910) • Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt (1906/1911) • Renaissance und Reformation (1913)

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