Theatralia Judaica I: Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoah [Reprint 2015 ed.] 9783110935196, 9783484660076

The many tensions operative in the chequered history of the European Jews between the Enlightenment and the advent of Na

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Theatralia Judaica I: Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoah [Reprint 2015 ed.]
 9783110935196, 9783484660076

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Umrisse und Probleme des Themas
Außenseiter auf der Bühne - zu den Konditionen des Theaters
Lessings Lustspiel "Die Juden" im 18. Jahrhundert - Rezeption und Reproduktion
Die Formierung des jüdischen Theaterpublikums in Berlin im späten 18. Jahrhundert. Eine quellenkritische Skizze
Rollenspiele. Antijüdische Kontexte des frühen bürgerlichen Lachtheaters
Judengestalten im englischen Theater (1700-1900)
Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts
Materialien zu Figur und Gestalt des Juden im Puppentheater des 19. Jahrhunderts
Ausgrenzungen. Auswirkungen antisemitischer Tendenzen in der Kulturpolitik auf das österreichische Theater von der Jahrhundertwende bis 1938
Theater als Kunst und als Geschäft. Über jüdische Theaterregisseure und Theaterdirektoren in Berlin 1894-1933
Das jüdische Theater in Lodz, Stadt dreier Nationen
"Die jüdisch-negroide Epoche". Antisemitismus im Musik- und Theaterleben der Weimarer Republik
Retheatralisierung des Theaters als Emanzipation: das "Staatliche Jüdische Theater" in Moskau 1920-1928
From Marginality to Centrality. Jew and non-Jew in the Hebrew Inter-War Theatre (1917-1939)
Paul Kornfelds Drama Jud Süß, 1933, und die dramatische Bearbeitung des Feuchtwangerschen Romans in hebräischer Sprache von Avi-Shaul, 1933
Antisemitismus und Judenfiguren in der Dramatik des Dritten Reiches
Das Theater des Jüdischen Kulturbundes, Berlin. Zum gegenwärtigen Forschungsstand
Kampfstück und Bibelrevue. Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus im Drama jüdischer Autoren während der 30er Jahre

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zur Geschichte und Theorie ifwatron Studien der dramatischen Künste

Herausgegeben von Hans-Peter Bayerdörfer, Dieter Borchmeyer und Andreas Höfele Band 7

Theatralia Judaica Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte Von der Lessing-Zeit bis zur Shoah

Herausgegeben von Hans-Peter Bayerdörfer

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Theatralia ludaica] Theatralia Judaica : Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte ; von der Lessing-Zeit bis zur Shoah / hrsg. von Hans-Peter Bayerdörfer. - Tübingen: Niemeyer, 1992 (Theatron; Bd. 7) NE: Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-66007-4

ISSN 0934-6252

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und Einband: Weihert-Druck, Darmstadt

Zum Gedenken an Max Herrmann, dessen Tod im Konzentrationslager Theresienstadt sich am 16. November 1992 zum fünfzigsten Male jährt

Die Abhandlungen dieses Bandes entstanden im Zusammenhang mit einem Symposium gleichen Themas, das vom 21. bis 25. Mai 1991 in Bad Homburg stattfand. Der WERNER REIMERS STIFTUNG, die dieses Symposium ermöglicht hat, dem Vorstand, Herrn Konrad von Krosigk, sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei im Namen aller Teilnehmer herzlich gedankt. Der Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Hans-Peter Bayerdörfer Umrisse und Probleme des Themas

1

Elmar Buck Außenseiter auf der Bühne - zu den Konditionen des Theaters

24

GunnarOch Lessings Lustspiel "Die Juden" im 18. Jahrhundert Rezeption und Reproduktion

42

Arno Paul Die Formierung des jüdischen Theaterpublikums in Berlin im späten 18. Jahrhundert Eine quellenkritische Skizze

64

Hans-Joachim Neubauer / Michael Schmidt Rollenspiele. Antijüdische Kontexte des frühen bürgerlichen Lachtheaters

85

Andreas Höfele Judengestalten im englischen Theater (1700-1900)

115

Elmar Goerden Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts .

129

vm Manfred Wegner Materialien zu Figur und Gestalt des Juden im Puppentheater des 19. Jahrhunderts

164

Hilde Haider-Pregler Ausgrenzungen. Auswirkungen antisemitischer Tendenzen in der Kulturpolitik auf das österreichische Theater von der Jahrhundertwende bis 1938

184

Henning Rischbieter Theater als Kunst und als Geschäft. Über jüdische Theaterregisseure und Theaterdirektoren in Berlin 1894-1933

205

Malgorzata Leyko Das jüdische Theater in Lodz, Stadt dreier Nationen

218

Jens Malte Fischer Die "jüdisch-negroide Epoche". Antisemitismus im Musik- und Theaterleben der Weimarer Republik

228

Erika Fischer-Lichte Retheatralisierung des Theaters als Emanzipation: das "Staatliche Jüdische Theater" in Moskau 1920-1928

244

Freddie Rokem From Marginality to Centrality. Jew and non-Jew in the Hebrew Inter-War Theatre (1917-1939)

264

Margarita Pazi Paul Kornfelds Drama Jud Süß, 1933, und die dramatische Bearbeitung des Feuchtwangerschen Romans in hebräischer Sprache von Avi-Shaul, 1933

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rx

Barbara Panse Antisemitismus und Judenfiguren in der Dramatik des Dritten Reiches

299

Heidelore Riss Das Theater des Jüdischen Kulturbundes, Berlin. Zum gegenwärtigen Forschungsstand

312

Georg-Michael Schulz Kampfstück und Bibelrevue. Die Auseinandersetzimg mit dem Antisemitismus im Drama jüdischer Autoren während der 30er Jahre

339

Hans-Peter Bayerdörfer

Umrisse und Probleme des Themas

1. "Die Juden sind ein überbemerkter Teil der Bürger Europas", schreibt Arnold Zweig in der Einleitung zu seinem Buch Juden auf der deutschen Bühne im Jahre 1928: "Hier wird von ihnen gehandelt, nicht weil sie besser oder schlechter sind als andere, sondern weil sie da sind."1 Er formuliert damit auf diskret-diskutable Weise, was im deutschnationalen Jargon diskreditierend Verjudung heißt, indem er zugleich Wertungen ausschließt und dem Rechnung trägt, was sozialgeschichtlich-statistisch belegbar ist: die gemessen an der Gesamtbevölkerung belegbare Überrepräsentanz des jüdischen Anteils an den akademisch-intellektuellen wie an den künstlerischen Berufen, einschließlich der Theaterschaffenden.2 Indessen interessiert Zweig dies nicht in erster Linie als quantifizierbares Phänomen. Die unübersehbare Bedeutung der deutsch-jüdischen Kulturgemeinschaft im Rahmen der europäisch-jüdischen wirft inhaltliche Fragen auf, etwa die, welche die zünftige Geschichte, als Sozial- und Kulturgeschichte, im letzten Jahr auf einer Münchner Tagung gestellt hat: ob und inwieweit die jüdische Minorität in Europa spätestens seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine besondere Rolle als Vorhut der erneuernden Veränderung gespielt hat.3 Für unsere Tagung ist die Themafrage in doppelter Hinsicht weiter gefaßt worden. Zum einen ist sie nicht auf Juden am Theater eingeschränkt, zum zweiten nicht auf das Stichwort der innovativen Rolle, so wichtig beide Gesichtspunkte natürlich sind. Zur Debatte steht insgesamt derjenige Teil der Kulturgemeinschaft, der das gesamte Theaterwesen umfaßt. 1 2

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Arnold Zweig: Juden auf der deutschen Bühne. Berlin 1928. S. 28. Die sozialgeschichtlichen und politischen Gründe für diese Massierung sind hinreichend klargelegt worden, sie sind in erster Linie in den beruflichen Restriktionen zu sehen, welche die entsprechenden rechtlichen Freigäben seit dem 18. Jahrhundert oft Jahrzehnte in praxi überlebten. Erst in zweiter Linie schlagen kulturgeschichtliche Traditionen des Judentums - die Bedeutung der Schriftkultur, die besondere Bindung an Rechtskultur, die Tradition der Medizin - zu Buche. Referate und Debatten der Tagung Deutsche Juden und die Moderne, die unter der Leitung von Shulamit Volkov 1990 am Historischen Kolleg der Universität München stattfanden, werden in Kürze in Druck vorliegen (München: Oldenbourg, voraussichtlich 1993).

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Der Begriff bedarf der Erläuterung. Kulturgemeinschaft besagt weder die harmonische oder sich zunehmend harmonisierende Gemeinsamkeit, mit gleichgewichtigen wechselseitigen Anteilen, die so lange währte, bis die Berufsantisemiten des Nationalsozialismus die erreichten Konsensformen aufhoben, um eine These von Peter Gay etwas vereinfachend anzusprechen.4 Der Begriff meint aber auch nicht eine unausweichliche, a-dialogisch-einseitig machtbestimmte Relation, die für den jüdischen Partner grundsätzlich nur Illusion und Anpassung ohne Gewinn bedeutete, um nach der anderen Seite Gershom Scholems in verständlicher Verbitterung formulierte Stellungnahme, ebenfalls vergröbernd, aufzugreifen.5 Kulturgemeinschaft ist vielmehr zu verstehen als ein Phänomen in geschichtlichem Wandel, geprägt von geschichtlichen Kräften, von wechselnder Intensität und Spannung, von Konvergenz und Divergenz, mit der Möglichkeit der periodenweise erkennbaren gegenseitigen Steigerung. Teleologische Modelle der Betrachtung von Geschichte hat die Historik um einen Blick auf die methodologische Debatte in einer Nachbardisziplin zu werfen - weitgehend verabschiedet, und es ist für die Theaterwissenschaft nicht sinnvoll, hier nachzubuchstabieren. Dies trifft auch im Verhältnis zur Germanistischen Literaturwissenschaft zu, die, mit Blick auf die jüdisch-deutsche Kulturgemeinschaft, die entsprechenden Einsichten formuliert hat: die nahtlose jüdische Integration, die viele liberale Juden, nicht zuletzt der Historiker der deutsch-jüdischen Literaturbeziehungen, Ludwig Geiger, im Auge hatten, ist nicht das quasi naturgegebene, also geschichtsimmanente Ziel der jüdischen Emanzipation. Ebensowenig ist der nationalsozialistische Holokaust das unabwendbar vorgegebene Ziel des tausend Jahre vorlaufenden europäischen Antijudaismus und speziell des deutschen Antisemitismus der letzten Jahrhunderte - eine Perspektive, wie sie immer wieder in durchaus verdienstvollen literaturgeschichtlichen Darstellungen antijüdischer Haltungen, Elemente etc. auf-

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Peter Gay: Begegnung mit der Moderne - Deutsche Juden in der deutseben Kultur. In: Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914. Hrsg. von Werner F. Mosse unter Mitwirkung von Arnold Paucker. Tübingen 1976 (= Wissenschaftliche Abhandlung des Leo Baeck Instituts, Nr. 33). S. 241-311; hier S. 243. Gershom Sholem: Wido1 den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch. In: Auf gespaltenem Pfad. Zum 90. Geburtstag von Margarete Susman. Hrsg. von Manfred Schlösser. Darmstadt 1964. S. 229-232.

Umrisse und Probleme des Themas

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scheint,6 wenn etwa für Restauration und Hep-Hep-Hetzz oder die Jahre nach 1878 Positionen und Aussagen nachgewiesen werden, die dann in der nazistischen Verfolgung eine wichtige Rolle gespielt haben. Oder, um mit dem theatergeschichtlichen Beispielen zu argumentieren: weder sind die antisemitischen Kampagnen gegen Schnitzlers "Reigen" in Berlin und Wien, gegen Jessner als Intendanten des Preußischen Staatsschauspiels und Schreker als Direktor der Musikhochschule, die zu beider Ausscheiden noch vor Anbruch der nationalsozialistischen Aera führten, das unausweichliche Ergebnis des Eintritts der Juden in den deutschen Theaterbereich, noch ist es die spezifische theatrale Genialität der Juden - "der Jude ist der geborene Schauspieler", befindet Arnold Zweig -, die in geschichtsimmanenter Folgerichtigkeit die Zielphase des deutschen Theaters bestimmt, also die Jahre der Weltgeltung der deutschen und österreichischen Bühnen zwischen Otto Brahm und Max Reinhardt, Gustav Lindemann und Leopold Jessner, Gustav Mahler und Otto Klemperer, Adolf Sonnenthal und Fritz Kortner. Voraussetzung für einen geschichtlich ausgewiesenen Begriff von Kulturgemeinschaft ist das epochenbestimmende Wirkungsfeld historischer Kräfte, das von der Aufklärung bis zur Auslöschung des europäischen Zeitalters der Juden (Friedrich Battenberg) reicht. Namhaft gemacht im Tagungsthema sind daher dezidiert historische Faktoren, welche die europäisch-jüdische Kulturgemeinschaft hervorgerufen haben und deren Genese und Dynamik wir überschauen: die seit dem 18. Jahrhundert wirkende Emanzipation, d.h. die von den europäischen Nationen aufgrund ihres eigenen Selbstverständnisses für alle Bevölkerungsteile verbindlich ausgegebene Möglichkeit der rechtlichen, politischen, sozialen Gleichstellung und Entfaltung, eine Konzeption, deren trotz aller menschheitlichen Ansprüche erkennbaren Mangel wir von allem Anfang an im Fehlen eines spezifischen Minoritätengedankens erkennen können. Als Gegenkraft ist der Antisemitismus genannt, jene über Jahrhunderte hinweg mentalitätsmäßig verfestigte antijüdische Disposition der Menschen des christlichen Abendlandes, die, wiewohl christlichen Ursprungs, im Zeitalter der rapiden Säkularisierung dennoch nicht verschwindet, sondern zu einem Grundmoment in den ideologischen Formationen des 19. Jahrhunderts wird, bis hinein in die organisierte Arbeiterschaft. In wirtschaftlichen und sozialen Krisen, ® Vgl. die einschlägigen kritischen Gesichtspunkte in: Horst Denkler/Hans Otto Horch: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Teü I. Tübingen 1988. Vorwort S. VII f.

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nicht zuletzt in krisenhafter Reaktion auf die Erfolge der jüdischen Emanzipation, läßt sich diese Disposition zum modernen Antisemitismus entfalten und in unterschiedlichen Vehemenzgraden aktualisieren. In dem genannten Zeitraum hat das Judentum in Europa die größten Veränderungen seiner Exilgeschichte erlebt, was sein inneres Gefüge betrifft. 7 Es hat sich dem Angebot und den Versprechungen der europäischen Aufklärung anvertraut und war bereit, seine bisherige historische Galuth-Existenz mit ihrer universalen - rechtlich, sozial, geistlich, kulturell tragenden - Religionsbindung in die Waagschale von Akkulturation und Integration, ja von Assimilation zu werfen. Es ist bekannt und braucht hier nicht en detail erörtert zu werden, in welch unterschiedlichem Maße diese Bereitschaft in Westeuropa und in Mittel-, bzw. Ostmitteleuropa gerechtfertigt war und gelohnt wurde. Jedenfalls führt diese säkulare Öffnung in Europa, und zumal in den deutschsprachigen Gebieten des alten Reiches, später des Deutschen Bundes und seiner Nachfolgestaaten zu einer Blüte jüdischer Kultur, wie sie - um Heinz Mosche Graupe, den Historiographen der Geistesgeschichte des deutschen Judentums zu Wort kommen zu lassen 8 - vergleichbar allenfalls im mittelalterlichen islamischen Spanien existiert hat. Will man hierfür die duale Formel deutschjüdisch verwenden, so wird damit zum einen der Tatsache Rechnung getragen, daß die Mehrheit der jüdischen Kulturschaffenden, der Autoren, Theaterleute, Musiker, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, überwiegend aber bis 1933 und sogar häufig darüber hinaus, ihre Werke als ebenso deutsch oder österreichisch empfindet wie ihre nichtjüdischen Kollegen und nur eine - jeweils kleinere oder größere - Minderheit daran denkt, hier genuin jüdische Traditionen weiterzuführen oder ihnen zur Geltung zu verhelfen; daß man überwiegend im Privatleben, wozu die Religion gerechnet wird, im Intimbereich von Familie und Geselligkeit an jüdischen Traditionen festhält, steht dazu zunächst nicht im Widerspruch, denn damit wird Ebenbürtigkeit im Rahmen des säkular verstandenen Staatsverbandes demonstriert und gelebt, die die Bindung an die staatliche Gemeinschaft keineswegs beeinträchtigt. Die Loyalität der europäischen Juden gegenüber den europäischen Nationalstaaten bei Kriegsausbruch 1914 spricht hier eine deutliche Sprache. Die Dualformel deutsch-jüdisch besagt daher ein zweites: Juden haben nicht nur - sozusagen von außen - Anteil an der 7

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Im folgenden sind in die Darlegung u.a. Gesichtspunkte eingegangen, wie sie Hans Otto Horch erläutert hat. Heinz Mosche Graupe: Die Entstehung des modernen Judentums. Geistesgeschichte der deutschen Juden 1650-1942. 2. rev. u. erw. Aufl. Hamburg 1977. S. 168.

Umrisse und Probleme des Themas

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Kultur in den deutschsprachigen, wie den westeuropäischen Ländern, sondern sind Träger der Entwicklungen. Dennoch kann die duale Formel nicht die Auslöschung von Differenz, nicht die totale Amalgamierung bedeuten. In dem Maße wie sich der Nation-Gedanke des 18. zum Nationalgedanken des 19. Jahrhunderts wandelt, bleibt die Frage der Gemeinsamkeit als Problem im Bewußtsein, zumal die europäischen Nationen immer wieder zu verstehen geben, daß die Akzeptanz der jüdischen Minorität keineswegs selbstverständlich ist, sondern immer erneut von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Auf sich selbst so immer wieder zurückgeworfen, sieht sich das Judentum gezwungen, an Stelle seiner Religion im alten umfassenden Sinne seine Geschichte und seine Kultur zu thematisieren. 9 Kann man diese Versuche anfangs auch rein apologetisch verstehen im Jahrhundert der Geschichte ist Ebenbürtigkeit auch eine Frage der historischen Kulturleistungen - so müssen sie zugleich und zunehmend als Ausdruck des Identitätsproblems gesehen werden, das durch den Funktionsverlust der Religion einerseits, durch die Herausforderung des europäischen Nationalgedankens andererseits hervorgerufen wird. 10 Stellt man dies in Rechnung, so ist verständlich, daß spätestens ab den dreißiger Jahren von jüdischer Seite die Dualformeln wie deutsch-jüdisch im Sinne einer Kultur-Begegnung zu verstehen sind, mit einer Vielfalt von Varianten. Wird auf liberaler Seite die Präponderanz der deutschen bzw. europäischen Kultur nicht in Frage gestellt, so verschiebt sich mit dem Erwachen der nationaljüdischen Erneuerung ab Mitte der 50er Jahre das Gewicht zunehmend. Mit der Entwicklung des kulturellen Zionismus und der Formation des politischen sind Gegenpositionen erreicht, die der Dualformel einen neuen Sinn geben oder sie ganz auflösen. Als Moritz Goldstein 1912 mit seiner These, die deutschen Juden seien, überproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil, Sachwalter deutscher Kultur geworden, wobei ihnen das deutsche Volk die Fähigkeit und Berechtigung dazu abspreche, die 9 Dieser mit der "Wissenschaft vom Judentum" vollzogene Schritt erweist sich insgesamt als irreversibel, auch im Hinblick auf die Religionsbindung des deutschen Judentums, so wenig endgültig Leopold Zunz' Konzept selbst auch war und sein konnte. "Die moderne jüdische Historiographie entstand fast über Nacht im Zuge der äußeren Assimilation und des inneren Zusammenbruchs, welche das plötzliche Auftauchen der Juden aus dem Ghetto kennzeichneten. Sie verdankt ihre Existenz nicht wissenschaftlichem Erkenntnisdrang, sondern der Ideologie. Der krisenreiche Kampf um die Emanzipation der Juden rief eine ganze Palette von Reaktionen hervor; eine davon war die jüdische Geschichtsschreibung." (Yosef H. Yerushalmi: Zachor Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Berlin 1988. S. 91).

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sogenannte Kunstwart-Debatte auslöste, wird damit der Synthese-Formel der Abschied 11 gegeben - in bestürzender Ungleichzeitigkeit zum Verhalten der deutschen Juden 1914 und in ebenso bestürzender Hellsichtigkeit hinsichtlich des weiteren Verlaufs der deutsch-jüdischen Geschichte. Wenn man ein Resümee aus diesen Überlegungen zu ziehen versucht, so bleibt die Einsicht, daß sich das europäisch-jüdische Verhältnis nur als vielfaltig gebrochen, in den Modi der Resonanz, der Kooperation, der Kompensation, der Abgrenzung, der Polemik, beschreiben läßt. Dabei ist wohl mehr als bisher den Ergebnissen der jüdischen Geschichtsforschung Rechnung zu tragen, daß sich die widersprüchlichen Erscheinungen jüdischen Lebens zwischen Emanzipation und Drittem Reich in Europa, vom Zionismus bis zum Centraiverein, von der Orthodoxie bis zu den liberalen Reformisten als gefächerte Antwort auf die Krise des Judentums - nach der Autoritätseinbuße der Religion und in Konfrontation mit den europäischen Nationalismen, zu schweigen vom Antisemitismus - verstehen lassen. 12 2. Sieht man die Themafrage des Symposiums gegen diesen historischen Hintergrund, so ist erneut deutlich, daß quantifizierende Antworten nur Schritte auf dem Wege zu inhaltlichen sein können. Namenslisten etwa als statistischer Ausweis von Anteilen sind nur funktional von Bedeutung hinsichtlich der Grundfrage, wann und wo, unter welchen konkreten Voraussetzungen und mit welchen Folgen jeweils der Vollzug und das Problem der europäisch-jüdischen, oder spezifischer etwa der deutsch-jüdischen Kulturgemeinschaft in der Geschichte des Theaterwesens und seiner Produktionen in Erscheinung getreten ist Hinsichtlich der zeitlich-epochalen Festlegung - von der Emanzipationsepoche bis zur Shoah - ist freilich sofort ersichtlich, daß es damit bei der BUhnengeschichte nicht sein Bewenden haben kann. Wenn man auch nicht bis zu den Judenfiguren des mittelalterlichen Spieles zurückgehen muß, so doch auf jeden Fall zu den vor Aufklärung und Emanzipation konzipierten Judenrollen des elisabethanischen Theaters, deren wirkungs- und rezeptions-

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M. Goldsteins Essay mit dem Titel Deutsch-jüdischer Parnass rief eine Serie von Entgegnungen hervor, die alle noch im selben Jahrgang (25/1912) des von Ferdinand Avenarius herausgegebenen Kunstwart erschienen. Vgl. den Vortrag von Shulamit Volkov "Juden und Judentum im Zeitalter der Emanzipation. Einheit und Vielfalt", gehalten im Februar 1992, München, im Rahmen des Beck-Forums. Publikation voraussichtlich im Herbst 1992 im Beck-Verlag, München.

Umrisse und Probleme des Themas

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geschichtliche Bedeutung bis heute kaum überschätzt werden kann. 1 3 Daß die Themafrage - modifiziert - über den terminus ad quem hinaus weiterzuführen wäre, liegt ebenso auf der Hand; jedoch haben sich die historischen Bedingungen nach der Zerstörung der Basis des europäischen Judentums einerseits und mit der Existenz eines jüdischen Nationalstaates, der eine eigene nationale Theaterkultur aufweist, andererseits, so gewandelt, daß den Zusammenhängen eines neuen europäisch-jüdischen Miteinander mit allenfalls neuer thematischer Akzentuierung nachzugehen wäre. Schon für den hier gesetzten Rahmen waren - aus pragmatischen, nicht sachlichen Gründen - Einschränkungen der Reichweite hinzunehmen, die sowohl Westeuropa als auch den ostmitteleuropäischen Raum betreffen. 14 Dennoch bleibt es das Ziel des Symposiums, eine Bestandsaufnahme von Problemen und Bereichen zu leisten, die insgesamt den historischen Umriß, wie er hier gezeichnet wurde, erkennen lassen und mit Inhalt füllen. Dies ist unabdingbar, da eine theaterwissenschaftliche Gesamtdarstellung ebensowenig zur Verfügung steht wie - im Unterschied etwa zu jüngeren Forschungen der Literaturwissenschaft - eine nennenswerte Anzahl neuerer Einzelstudien. 13

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Für die deutsche Theatergeschichte ist dabei die zeitliche Koinzidenz ausschlaggebend, in der Aufklärungsliteratur und Aufklärungsdramatik sich dem Zusammenleben von Juden und Nichtjuden zuwenden (Vgl. etwa Gellerts Schwedische Gräfin, 1746/8, Lessings Die Juden 1749) und die bühnen- wie geistesgeschichtlichen gleichermaßen fundamentale Shakespeare-Rezeption stattfindet. Shylock wird damit bühnengeschichtlich zum Zeitgenossen der Judengestalten der Aufklärung - eine polare Konstellation von enormem wirkungsgeschichtlichen Potential. Dem theatergeschichtlichen Zusammenhang zwischen England und Deutschland gehen die Beiträge von Andreas Höfele "Judengestalten im englischen Theater (1700-1900)" (S. 115-128 in diesem Band) und Elmar Goerden "Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts" (S. 129-163 in diesem Band) nach. Dem allgemeinen historischen Gefälle, wie es für die europäisch-jüdische Kulturgemeinschaft skizziert wurde, läßt sich das jüdische Theater des Ostens durchaus zuordnen, verdankt es doch seine Entstehung der Aufklärung und bleibt damit - mit zeitlicher Verschiebung um ein knappes Jahrhundert - unter anderem auch in seinen Anfängen an die als Vorbild ausgegebene Situation in Deutschland/Deutsch-Österreich gebunden; die Entwicklung zu den späteren, vor allem natimaljüdischen Positionen verläuft dann allerdings in einer Geschwindigkeit, die die Verhältnisse in Deutschland bis Anfang der zwanziger Jahre überholt. - Insofern ist es für das Symposium insgesamt bedauerlich, daß kein Referat über die Anfänge des jiddischsprachigen Theaters zur Verfügung steht, jedoch besonders erhellend, daß sowohl die Situation in einer dreisprachigen Theaterstadt (siehe hierzu: Malgorzata Leyko: "Das jüdische Theater in Lodz, Stadt dreier Nationen", S. 218-227 in diesem Band) dargestellt, als auch die theatergeschichtlichen Ausstrahlungen des östlichen Teils des Judentums im Zusammenhang mit dem Theateroktober zur Debatte stehen werden.

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Sucht man Orientierung anhand älterer, systematisch ausgewiesener Untersuchungen, so verdient die bereits genannte Studie Arnold Zweigs von 1928, die zwar nicht im heutigen Sinne theaterwissenschaftlich, so doch historisch sorgfältig erarbeitet wurde, Beachtung.15 Sie bietet zumindest fiir den deutschsprachigen Bereich, samt Ausblicken auf den jiddischen Osten, eine Reihe von Anhaltspunkten.16 Zweigs Darstellung theatraler Produktion hat das entschiedene Verdienst, außer Dramatikern und ihren Werken auch alle anderen am Bühnenwerk Beteiligten zu berücksichtigen, vom Dramaturgen bis zum Regisseur, vom Schauspieler bis zum Bühnenbildner. Gemäß seinem zionistischen Ansatz interessiert sich Zweig jedoch nur für das, was von Juden stammt, eine Einschränkung, die dem Thema der Kulturgemeinschaft und ihrer Realisierung im Theaterbereich nur bedingt entsprechen kann. Ausgeblendet bleibt, was im Drama und auf der Bühne von Nichtjuden hinsichtlich jüdischer Figuren, allgemein hinsichtlich des sogenannten Judenproblems gesagt, szenisch agiert wird. Ausgeschlossen bleibt also, was unter dem Leitgesichtspunkt des Kulturcommercium jüdische Geschichte, Rollen, Stoffe, Motive, Probleme, sofern Nichtjuden die Verfasser, Darsteller etc. sind, ausmacht. Vergleicht man diesen Mangel mit der heutigen Forschungssituation, so sind gewiß seither viele Einzelstudien kulturgeschichtlicher und literaturwissenschaftlicher Herkunft, aber auch bühnengeschichtliche Studien etwa zur Rollengeschichte Shylocks oder zur Aufführungsgeschichte Nathans}1 oder zum Rollenspektrum der JudenGestalten im Drama der Restaurationszeit18 hinzugekommen. Daß gerade in diesen Bereichen eine große Zahl von einschlägigen literaturwissenschaftlichen Arbeiten zur Verfügung steht, die die Dramengeschichte, die geistes- und 15

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Nicht in Frage kommt in diesem Zusammenhang Elisabeth Frenzeis Buch Judengestalten auf der deutschen Buhne. Ein notwendiger Querschnitt durch 700 Jahre Rollengeschichte (München 1942), da die reine Datensammlung (die allenfalls hilfreich sein könnte) schon unter dem Verdacht antisemitischer Vorentscheidung zu sehen ist. Immerhin scheint Zweig von Max Herrmann inspiriert zu sein, da er beispielsweise zwischen Theaterstücken und literarischen Dramen unterscheidet (ohne damit die üblichen Weitungen zu verbinden). - Im übrigen ist seine zionistische Parteilichkeit wissenschaftlich weitestgehend ausbalanciert. Die Kritik, die Zweig an gewissen Erscheinungen des Judentums im Theaterwesen übt, ist so radikal, daß das nazistische Handbuch Juden in Deutschland (hrsg. vom Institut zum Studium der Judenfrage, München 1937) infamerweise ganze Passagen von Zweig in die rassistische Propaganda und ihre Scheinbegründung übernimmt Hermann Sinsheimer: Shylock. Die Geschichte einer Figur. München 1960. Horst Denkler Lauter Juden. Zum Rollenspektrum der Juden-Figuren im populären Bühnendrama der Metternichschen Restaurationsperiode (1815-1848). In: Horst Denkler/Hans Otto Horch: Conditio Judaica. (Tl. I.) A.a.O., S. 149-163

Umrisse und Probleme des Themas

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kulturgeschichtliche Situierung der Autoren etc. betreffen, liegt in der Natur der Sache. Die Forschung wird hier - im literaturwissenschaftlichen engeren Bereich - erleichtert durch die Vorgabe eines immerhin als Textganzes verstehbaren Begriffs von literarischem Werk, und dies bezeichnet eine methodisch-systematische Grenzlinie.19 Theatergeschichtlich gesehen bleiben gerade hier naturgemäß wichtige Desiderate, die sich aus dem Problem des Schauspielerischen und seiner Erfassung, aus dem Charakter der Bühnensynthese, aus der Aufführung als Ereignis, das sich einem Werkbegriff nicht fügt, ergeben und die dezidiert theaterwissenschaftlicher Behandlung bedürfen. Auf eine Reihe von Aspekten wird später noch zurückzukommen sein. Ein weiteres Verdienst der Zweigschen Darstellung liegt darin, daß sie prinzipiell die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Determinanten des Theaterwesens erfaßt, wenn vom Mäzenatentum, der geschäftsmäßigen Theaterdirektion und ihrer Geschichte, bis zu den Agenturen, Bühnenvertrieben und Verlagen, nicht zuletzt bis zur theaterbezogenen Publizistik, die Zusammenhänge untersucht werden. Bezogen auf die heutige Forschungslage zum europäisch-jüdischen Verhältnis hat auch hier die jüngere methodengeschichtliche Entwicklung in der Literaturwissenschaft die Fragen der Rezeption und der Distribution in gehörigem Maße akzentuiert, außerdem mit dem erweiterten Literaturbegriff Forschungsbereiche erschlossen, die erneut für die theaterwissenschaftliche Forschung Anregung und Vorgabe bedeuten können. Etwa ist die Erschließung der deutsch-jüdischen literarischen Publizistik, mit der Hans Otto Horch in seiner Darstellung der Geschichte der Allgemeinen Zeitung des Judentums einen Anfang gemacht hat, 20 ein Ansatzpunkt, an den sich in vieler Hinsicht Probleme der theaterspezifischen Publizistik im deutschEs bedarf kaum der Beteuerung, daß das komplexe Phänomen Theater Gegenstand mehrerer Wissenschaften ist und sein muß. Während die Theaterwissenschaft in der szenischen Aktion im Rahmen einer Konstellation mit dem Publikum ihren zentralen Gegenstand aufweist, teilt sie andere Bereiche mit angrenzenden Disziplinen der historischen Kulturwissenschaften, mit literaturwissenschaftlicher Dramenforschung, mit Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft, mit Sozialgeschichte und Kulturanthropologie etc. Wie auf diesem Symposium, so geht es auch wissenschaftssystematisch nicht um disziplinare Abgrenzung sondern komplementäre Gegenstandsfassung, wobei die methodologischen Grundsatzfragen ja ohnehin in den Kulturwissenschaften wieder auf fachübergreifende Ganeinsamkeiten verweisen. Hans Otto Horch: Auf der Suche nach der jüdischen Erzählliteratur. Die Literaturkritik der 'Allgemeinen Zeitung des Judentums' (1837-1922). Frankfurt a.M./Bern/New York 1985. Vgl. außerdem Itta Shedletzky: Literaturdiskussion und Belletristik in den jüdischen Zeitschriften in Deutschland 1837-1918. Diss. Jerusalem 1986.

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jüdischen Zusammenspiel angliedern lassen. Dies gilt gleichermaßen für Forschungen im Bereich der Distributionssphäre, wo etwa mit Volker Dahms Werk über Das jüdische Buch im Dritten Reich21 ein Zugang eröffnet ist, der gemäß der innergermanistischen Differenzierung heute als Buchwissenschaft bezeichnet wird und seinerseits einen Grenzbereich zu anderen Forschungsdisziplinen darstellt. Auch hier ergäbe sich ein Verhältnis der analogen Forschungserweiterung, wenn man an Bedeutung und Geschichte der großen Theaterverlage, Theateragenturen usw. denkt. Indessen hat die Theaterwissenschaft auch hier weitere Fragen anzumelden, wobei sie sich nach wie vor auch mit Grundfragen konfrontiert sieht, die bislang offen geblieben sind, sei es, daß sie methodisch noch nicht hinreichend gelöst wurden, sei es, daß die Materialbereiche noch nicht erschlossen werden konnten. Für die ersten beiden Jahrhunderte, die im Zeichen der Emanzipation zu betrachten wären, das 18. und das 19., läßt sich etwa - um ein Beispiel zu geben - die Frage nicht beantworten, ob die ungesicherte soziale Stellung des Schauspielers für jüdische Individuen sich besonders günstig auswirkt, ob sie besondere Spielräume gewinnen, oder in besonderem Maße der Abhängigkeit verfallen (etwa in Vertragsfragen), mit welchen Aussichten sie daher in Truppen, später in die stehenden Ensembles eintreten können etc. Daß hier nicht nur die geringere quantitative Forschungskapazität der Theaterwissenschaft im Verhältnis zu den Literaturwissenschaften zu Buche schlägt, sondern auch besondere Schwierigkeiten der Quellenlage gegeben sind, erhellt der Umstand, daß Peter Schmitt in seiner jüngst vorgelegten Studie zur Sozialgeschichte des Schauspielers22 entsprechende Kriterien für die Identifizierung von Schauspielerinnen und Schauspielern jüdischer Herkunft in den einschlägigen Quellen nicht verzeichnet findet; dieser Umstand ist sicherlich seinerseits sozialgeschichtlich von erheblicher Aussagekraft - der Schauspieler ist soz. religiös vogelfrei, und gegebenenfalls kann man ihm daher, wie im Falle der Neuberin, ja einfach das religiöse Begräbnis verweigern -, aber für die spezielle theaterwissenschaftliche Frage nach dem Eintritt des Juden in die Schauspielerei ergeben sich fast unüberwindliche Hemmnisse. Daß wir andererseits, um auf den letzten Zeitraum dieses Symposiumthemas zu sprechen zu kommen, mit einer grundlegenden Erfassung all jener Daten rechnen können,23 die uns Einblick 21 22 23

Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. Bde I/II. Frankfurt/M. 1979/81. Peter Schmitt: Schauspieler und Theaterbetrieb. Tübingen 1990 (= Theatron Bd. 5). Siehe hierzu: Henning Rischbieter "Theater als Kunst und als Geschäft. Über jüdische Theaterregisseure und -direktoren in Berlin 1894-1933", (S. 205-217 in diesem Band) und

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geben in die Ausschaltung jüdischer Theaterschaffender aus den deutschen Theatern nach, aber auch teilweise schon vor der Machtüberlassung an die Nationalsozialisten, zeigt, daß das Fach nicht grundsätzlich solchen Fragen hilflos gegenübersteht, sondern daß es großflächige Forschungskonzepte entwickelt, die den besonderen Schwierigkeiten Rechnung tragen können. An diese Problembereiche schließt sich - last but not least - das Problem des Publikums an, das auch Arnold Zweig in seiner Darstellung ausführlich bedenkt, seinem Ansatz gemäß freilich nur mit Blick auf das jüdische Publikum, dem er eine große Bedeutung für die Geschichte des deutschen Theaterwesens zuschreibt. Dabei gelangt er zu der bemerkenswerten Grundthese, daß dieses aufgrund seiner überdurchschnittlichen großbürgerlichen Bildungsvoraussetzungen (ab der Jahrhundertwende), des weiteren dank seiner mehrheitlichen Urbanen Lebensweise, mit Skepsis und Beweglichkeit, schließlich aufgrund einer erst seit relativ kurzer Zeit wirkenden, also nicht verfestigten Aufmerksamkeit auf ästhetische Fragen und Kategorien - daß dieses jüdische Publikum einen Faktor von besonderer Kritikfähigkeit und damit auch von innovativen Erwartungen darstelle.24 Gleichgültig, ob diese These verifizierbar ist oder nicht, ergibt sich für die Theaterwissenschaft mit der Frage nach dem Publikum der wohl schwierigste Forschungskomplex überhaupt,25 wobei im Rahmen unserer Fragestellung hinzuzufügen ist, daß auch hier die jüdischdeutsche Kulturgemeinschaft zur Debatte steht, auch in Fällen, wo sich, in bestimmten historischen Situationen, der jüdische Teil des Publikums etwa gegenüber anderen Teilen profiliert und abhebt Die vorläufige Orientierung an Zweigs hellsichtiger und materialreicher Studie läßt gerade aufgrund ihrer Verdienste erkennen, wo und wie sich heute Fragen ergeben - aufgrund der Theaterentwicklung nicht minder als der Wissenschaftsentwicklung zu denen sie naturgemäß keinen Zugang bieten kann. Über die zu den einzelnen Fragen bereits ergänzten Gesichtspunkte hinaus möchte ich daher im folgenden noch drei grundsätzlichere Perspektiven weiter

24 25

Barbara Panse "Antisemitismus und Judenfiguren in der Dramatik des Dritten Reiches" (S. 299-311 in diesem Band). A. Zweig: Juden auf der deutschen Bühne, S. 96-104. Methodisch neue Zugänge weiden in den Beiträgen von Arno Paul "Die Formierung des jüdischen Theateipubtikums in Berlin im späten 18. Jahrhundert" (S. 64-84 in diesem Band) und von Michael Schmidt und Hans Joachim Neubauer "Rollenspiele. Antijüdische Kontexte des frühen bürgerlichen Lachtheaters" (S. 85-114 in diesem Band) erschlossen.

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ausführen. Dabei geht es zum einen um schauspielgeschichtliche Probleme, aus der Befürchtung heraus, daß literaturwissenschaftlich-dramengeschichtliche Rollenbetrachtungen die besonderen Schwierigkeiten einer Darstellungsgeschichte der Judenrollen nicht nur nicht löst sondern eher verdeckt. 26 Der zweite Ausblick widmet sich dem Problem des Publikums: während eine Literaturgeschichte des Lesers sich auf einmal oder mehrmals zu fester Buchstabenform geronnene Werke beziehen kann, die dann als Konkretisationen vor den historischen Blick treten, kann eine Theatergeschichte des Zuschauers von solchen Festfaktoren nicht ausgehen, weil es das geronnene Werk nicht gibt und weil der Zuschauer selbst konstitutiver Faktor für das Ereignis der Aufführung ist. Drittens schließlich bleibt im Rückblick auf das historische Feld der Kulturgemeinschaft zu fragen, ob sich hier das Verhältnis im Falle der Literatur nicht doch historisch anders einspielt als im Falle Theater - unter anderem weil das Judentum, seit seine historische Existenz beglaubigt ist, zugleich als Volk der Schriftkultur und der Literatur erscheint, während es - abgesehen von den sekundär entwickelten Brauchtumsspielen zum Purim-Fest - bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts keine eigene Theatertradition besitzt. 3. Das Verständnis der Theateraufführung als Ereignis besagt, daß es der Forschung nur indirekt, durch Erinnerung, Zeugnisse, archivierte Überbleibsel etc. gegeben ist Selbst bei stabilen Aufführungskonventionen oder sehr genau festlegender Regie kann man aus der Kenntnis solcher Vorgaben noch nicht auf das einzelne Ereignis schließen. Etwa läßt sich auf Grund der Vorgabe einer jüdischen Rolle, die im dramatischen Text rein Schriftdeutsch verfasst ist, nicht ausschließen, daß bei der konkreten Aufführung - der Premiere, dem 10. Abend, oder in der Zweitbesetzung der Rolle - nicht mit entsprechenden Intonations- und Artikulationsvarianten gejiddelt und so - unter Umständen stimuliert durch ein lachend akklamierendes Publikum - eine Verschiebung in den Jargon oder dessen Parodie erreicht wurde. So kann aus einer positiv gezeichneten Gestalt eine schematisch abgewertete werden. Die dramatisch verfaßte Rolle ist schriftlich und damit textlich und intertextuell konstituiert; die Bühnen-Rolle umfaßt die gesprochene, inkorporierte Sprache als Ereignis, die damit eine Vervielfachung der Bedeutungsbezüge zu der sprech-handelnden Gestalt und ihrer Ausstrahlung gewinnt. 26

Siehe hierzu: Elmar Bude "Außenseiter auf der Bühne - zu den Konditionen des Theaters" (S. 24-41 in diesem Band).

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Einschränkungen hinsichtlich solcher Ungewißheiten sind nur möglich bei genauer Kenntnis der Aufführungs- und Darstellungskonventionen in allen nonverbalen Bereichen, also in Mimik, Gestik, Körperhaltung, Raumbewegung, Maske, Kostüm etc., die insgesamt das äußere Erscheinungs- und Bewegungsbild der Rolle ausmachen. Davon aber - so ist zu vermuten - hängt die Sympathie- oder antipathisteuernde Primärwirkung beim Zuschauer ab, weil damit inhaltliche Assoziationen und gezielte Wertungs-Anreize vermittelt werden können. Dieses grundsätzliche Problem birgt zahlreiche geschichtliche Komplikationen. Die Konvention der Darstellung von Juden und Jüdinnen sind uns in weiten Bereichen der Theatergeschichte keineswegs hinreichend bekannt. Dies gilt, um ein historisches Beispiel anzusprechen, für das ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert, und führt damit etwa zu der wichtigen Frage, weshalb in der dramatischen Literatur der Spätaufklärung überwiegend positiv gezeichnete Judengestalten auftreten,27 hingegen auf den Bühnen scheinbar unvermittelt negativ konnotierte Judengestalten kurz nach der Wende des Jahrhunderts auftauchen. Eine Erklärung dieses Phänomens könnte darin liegen, daß szenische Klischee-Konventionen auf den Theatern die positiven Judengestalten der Aufklärungsdramatik in eine Erscheinung versetzen, die alle inhaltliche Neubewertung auf vorgegebene Schemata hin wieder neutralisiert und zu voraufklärerischen Negativbildern führt. Eine genaue Klärung der Fragen steht aus. Ein Hilfsverfahien könnte etwa die systematische Untersuchung von Schauspielerverträgen sein, da das darin verzeichnete Rollenfach Jude häufig in Verbindung mit charakteristischen anderen Fächern auftaucht, etwa komischer Alter - wie im Mannheimer Anstellungsvertrag Ifflands; für das 19. Jahrhundert bietet sich dann die durchgehende Auswertung der Kostümbogen an, vor allem aber das Studium der Judendarstellung in der populären illustrierten Literatur, vom quasi neutralen Kalender bis zur antijüdischen Karikaturen- Presse eines Johann F.S. von Holzschuher (Itzig Feitel Stern). Dabei können, um eine These zu formulieren, wohl durchgehende Bild-Muster der Judendarstellung dingfest gemacht werden, die von der frühneuzeitlichen

Helmut Jenzscta: Jüdische Figuren in deutschen Bahnentexten des 18. Jahrhunderts. Diss. Hamburg 1971. - Korrektur und Differenzierung von Jenzsch's These findet sich in Gunnar Ochs Beitrag "Lessings Lustspiel "Die Juden' im 18. Jahrhundert - Rezeption und Reproduktion" (S. 42-63 in diesem Band).

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antijüdischen Flugblatt-Literatur bis in die antisemitische Agitation des 20. Jahrhunderts ohne wesentliche Änderung sich durchhalten.28 Die Probleme reichen aber weiter ins Grundsätzliche. Erika Fischer-Lichte hat den bedenkenswerten Vorschlag gemacht, als Zentrum einer Theatergeschichte den Wandel der schauspielerischen Darstellungsstile zu betrachten und zu verfolgen, sowohl im Hinblick auf die Ausdruckskonventionen wie auf die bedeutungserzeugenden Strategien. Unter der Voraussetzung, daß der menschliche Körper organisch natürliche und kulturell-geschichtliche Prägung erkennen läßt und seine Erscheinung als "reciprocal process of the organic and the cultural, an interaction between individual nature and cultural context"29 zu betrachten ist, lassen sich Darstellungsstile des Theaters auf die jeweiligen geschichtlichen Bewegungs- und Ausdrucksmuster einer Gesellschaft beziehen. Für den entscheidenden Wandel vom 17. zum 18. Jahrhundert wird in ihrer historischen Demonstration der Übergang zu einem "Natursystem", im Sinne des neuen Naturbegriffs, nachgewiesen: Der Körper funktioniert als Medium für die Verdeutlichung einer "natural language of the emotions".30 Stellt man unter diesen Voraussetzungen erneut die Frage nach dem konkreten deutsch-jüdischen Kulturverhältnis des Jahrhundertausgangs sowie nach der Darstellung von Judenrollen auf der Bühne, so sieht man sich in einer mehrfachen historischen Verlegenheit. Zunächst ist keineswegs anzunehmen, daß der rund ein Jahrhundert einnehmende Prozeß der darstellungsstilistischen Veränderung - er erreicht seine theoretisch-systematische Ausformulierung erst 1790 mit Johann Jacob Engels Ideen zu einer Mimik - zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Theater und Theaterformen erfaßt hat und alle Rollentypen umgestaltet, so wenig wie die geistes- und ideengeschichtlichen Neuerungen der Aufklärung sich unmittelbar auf breiter Basis als mentalitäts- und verhaltensändemd durchset28

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Besonders deutlich dürften solche Verbindungslinien u.a. im Figurentheater nachweisbar sein. Siehe hierzu: Manfred Wegner "Materialien zu Figur und Gestalt des Juden im Puppentheater des 19. Jahrhunderts" (S. 164-183 in diesem Band). Erika Fischer-Lichte: Theatre and Civilizing Process. In: Postlewait, Thomas and Bruce A. McConachie (Hg.): Interpreting the Theatrical Past. University of Iowa Press 1989. Iowa City S. 21/22. Für die Barockzeit lautet die entsprechende Kompaktformulierung "the body as 'text' composed of artificial signs" (a.a.O. S. 23), für die Moderne "the body as raw material for sign processes" (S. 29). - Hinsichtlich der zweiten Formulierung bietet der Beitrag FischerLichtes zum Symposiumsthema die inhaltliche Illustration. Siehe hierzu: "Retheatralisierung des Theaters als Emanzipation: das 'Staatliche Jüdische Theater' in Moskau 1920-1928" (S. 244-263 in diesem Band).

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zen. Die Möglichkeit, daß ungleichzeitig Gleichzeitiges in den Darstellungsformen der Bühne gegeben ist, muß ins Kalkül gezogen werden. Weiterhin bleibt zu bedenken, ob - bei der generellen Beziehung von Schauspielstilen auf Umgangs- und Stilformen der zeitgenössischen Gesellschaft - die Judendarstellung auf der Bühne mit der rapiden Verhaltensänderung des sich akkulturierenden Stadtjudentums Schritt hält; jedes Zurückbleiben etwa wäre ein wichtiges Indiz, - auch und gerade wenn man auf der Bühne spezielle Kennzeichnungskonventionen für Außenseiter allgemein voraussetzt. Die größte Schwierigkeit erwächst aber aus dem Naturkonzept selbst. Abgesehen davon, daß das Wort bisweilen semantisch auch einfach für Realität eintritt, bleibt weitgehend offen, ob und wie Besonderheiten historischer und nationeller Art vor dem allgemein humanen Anspruch von Natur Bestand haben können und dürfen, ob entsprechende Kennzeichen, gemäß realistischen Erwartungen, als positiv, als spezifische Äußerungen von Natur oder als Zeichen von Zurückgebliebenheit gewertet werden. Im ideologiekritischen Rückblick von heute gibt sich außerdem das Naturpostulat selbst als gesellschaftlich gebunden zu erkennen, und zwar an Leitwerte der führenden gesellschaftlichen Schicht, durch die dann per negationem auch Ausschluß-Bestimmungen getroffen werden können. Angesichts des Rückgriffs auf sprachlich und darstellerisch voraufklärerische Kennzeichen des Judentums, wie sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts sich auf der Bühne häufen, stehen Ausschlußwirkungen zu befürchten. In diesem Falle ergäbe sich, wie auch in der politischen Debatte, die Forderung einer "Verbesserung der Juden" 31 für die Bühne, ehe sie - gemäß den Bildungsmaximen der Zeit - wie im Staate so auf dem Theater volles Bürgerrecht beanspruchen könnten. Es würde sich darin theatergeschichtlich bestätigen, was sich allgemein abzeichnet, daß nämlich vorwärtsweisende Elemente aufgeklärten Denkens im Zusammenhang mit der Judenproblematik konservative Funktion haben. Sie stützen traditionale judenfeindliche Positionen überzeugender ab, als es der bloße Verweis auf das seit jeher gewohnheitsmäßig Gültige könnte.

Hinzu kommt, daß sich das Kernargument der Verbesserung selbst ambivalent einsetzen läßt:

Vgl. die folgenträchtige Programmschrift von Christian Wilhelm Dohm: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. Berlin 1781.

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Hans-Peter Bayerdörfer Das Bildungs- und Leistungsargument konnte, je nach Zusammenhang, sowohl die Funktion haben, vertikale Mobilität zu legitimieren als auch Mobilität nachdrängender Gruppen abzuweisen.

Danach ließe sich auch erläutern, weshalb selbst in liberalen Phasen des 19. Jahrhunderts der theatrale Status der Juden- Rollen ambivalent bleibt, so daß auch vor-aufklärerische Judenbilder fallweise - und dann auch wieder konventionsbildend, etwa auf den Vorstadtbühnen - zum Zuge gebracht werden können.33 4. Eine Theatergeschichte des Zuschauers trägt dem Rechnung, daß sich Aufführungstraditionen nur erhalten oder verändern im Mit- und Gegeneinander mit einem Publikum, das im theatralen Prozeß selbst einen Grundfaktor darstellt. Den Klischees in der Erscheinungs- und Darstellungsweise von Bühnengestalten entsprechen Stereotype der Vorstellung und der Wertung seitens der Rezipienten, wenn der Prozeß theatraler Interaktion stattfinden soll - Stereotype, die nach der soziokulturellen Seite ihrer Genese und Überlieferung ihrerseits besondere Probleme aufwerfen. Läßt die Dynamik der Emanzipation das Augenmerk auf spezielle Verhaltensweisen und Wertungsverfahren jüdischer Zuschauer sich ausrichten, so lenkt der Faktor Antisemitismus die Aufmerksamkeit auf nur langfristig zu verstehende mentalitätsgeschichtliche Prozesse beim Publikum, deren Niederschlag im Zuschauerverhalten ausfindig zu machen wäre. Volkskundliche Stereotypenforschung und kulturgeschichtliche Mentalitätsforschung müßten Eingang in die Theaterwissenschaft finden. Die Mühelosigkeit jedenfalls, mit der in Deutschland, aber auch in Frankreich, trotz mittelfristiger Wirkung von Aufklärung und Liberalismus, in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts alte antijüdische Einstellungen für den politischen Antisemitismus reaktiviert werden können, gibt deutliche Winke auf mentalitätsmäßige Dispositionen. Daß sich dies nicht nur allgemein, sondern auch speziell inhaltlich nachweisen läßt, zeigt dann die Wiederbelebung alter Ritualmord-Beschuldigungen Ende des Jahrhunderts, die zu den betreffenden

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Barbara Gaber Jud Süß. Hin Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung. Hamburg 1990. S. 224 und S. 234. Vgl. Vf.: Harlekinade in judischen Kleidern? - Der szenische Status der Judenrollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Conditio Judaica II. Hrsg. von Hans Otto Horch und Horst Denkler. Tübingen 1989. S. 92-117. - Für den von ihm untersuchten Zeitraum hat H. Denkler generell konstatiert, daß jüdische Rollen "ideologisches Argumentationsmaterial lieferten, welches über ihre innerdramatisch-handlungsbedingte Funktion weit hinausreichte" (Lauter Juden - s. Anm. 18 - S. 156).

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Prozessen geführt haben, von Diszlar, Ungarn, 1882 bis nach Xanten 1891. Die einschlägigen, von der Volkskunde und ihrer Antisemitismusforschung vorgelegten Untersuchungen34 müßten sich wohl in theatergeschichtliche Zusammenhänge verlängern - wenigstens dürfte der in der Gerichtsszene sein Messer wetzende Shylock in dieser Richtung stereotype Vorstellungs- und Wertungsmuster mitaktivieren, über deren Existenz sich Theatermacher wie liberale Intellektuelle der Zeit leicht hinwegtäuschen. Auch unter weiteren methodischen Gesichtspunkten ist die Theatergeschichte bei der Volkskunde gut beraten. Als empirische Kulturwissenschaft, deren Gegenstad das "Alltagsleben der Kleinen Leute" ist, hat sie die Stereotypenforschung methodisch differenziert, und in das Verhältnis zwischen "manifester und vorgestellter Wirklichkeit", zwischen "Wahmehmungs- und Vorstellungsebene" plaziert,35 mithin in ein Spannungsfeld, dessen Pole in charakteristischer Weise auch den theatralen Prozeß umspannen. Stereotype, als mentale Gegebenheit, denen Klischees, Formeln, Topoi etc. im manifesten Bereich entsprechen, "geben Einblick in die kulturprägende und das Alltagsleben bestimmende Kraft verfestigter, tradierter Bild- und Wertvorstellungen, in die Leistungen, aber speziell auch die Gefahren stereotypisierter - und damit oft genug auch manipulierter und manipulierbarer - Wirklichkeitserfahrung". Feindbilder und Selbstbilder, aus kulturellen Versatzstücken aufgebaut, stehen - wie die vorgestellte und die manifeste Realität insgesamt - in einem dialektischen Verhältnis zueinander, "vermitteln sich gegenseitig".36 Gerade im Hin34

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Einen eindrucksvollen Überblick über das Wiederaufleben der Ritualmoid-Beschuldigung geben Stefan Rohrbacher und Michael Schmidt im Rahmen ihrer verdienstvollen exemplarischen Längsschnitte (Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Reinbek 1991, ab S. 333). Helge Gemdt: Zur kulturwissenschaftlichen Stereotypenforschung. In: H.G. (Hg.): Stereotypvorstellung im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis Fremdbilder - Selbstbilder Identität. (= Münchner Beiträge zur Volkskunde Bd. 8) München 1988. S. 9. Gemdt a.a.O. S. 34 sowie S. 12. Von entscheidender Bedeutung bei der Einzelanalyse ist jeweils die funktionale Bestimmung der Bild-Stereotype, deren Leistung dreifach zu sehen ist - wie Hamann Bausinger (S. 13) ausführt. Stereotype haben 1. einen relativen Wahrheitsgehalt, da sie "nicht immer, aber in der Regel aus einer Überverallgemeinerung tatsächlicher Merkmale" entstehen (etwa das Stereotyp vom jüdischen Schachergeist aus dem Tätigkeitsfeld Kleinhandel), da sie 2. Orientierungshilfe bieten und somit für den Einzelnen die Wahmehmungskomplexität herabsetzen und Wirklichkeitsverarbeitung abkürzend erleichtern, schießlich 3. da sie Identifikationsangebote unterbreiten, die ihrerseits realitätsstiftend wirken können. Alle drei Aspekte wären im Hinblick auf Theaterstereotypen noch besonders zu untersuchen und u.U. zu erweitem oder modifizieren. Vgl.: Hermann Bausinga: Name und Stereotyp. In: H. Gemdt a.a.O. S. 13-19.

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blick auf Feind- und Fremdbilder ist für theatergeschichtliche Publikumsforschung weiterhin von großer Relevanz, was die im Stereotypen-Bereich arbeitende Antisemitismusforschung des Berliner Instituts unter anderem erbracht hat. Laut Herbert A. Strauß kann politische Gefahr und direkte Funktionalisierung von Fremdstereotypen in Gesellschaften dann unterbunden werden, wenn "allgemein akzeptierte Menschenrechtstraditionen gültig geblieben sind" und unter Berufung darauf "die politische Kultur das konfliktlose Festhalten an negativ diskriminierenden Stereotypen" brandmarken kann (selbst wenn diese Stereotype von Macht- und Wirtschaftsinteressen gebraucht und eingesetzt werden).37 Dies mißlingt aber, wo "politische Arrangements auf einem im wesentlichen ethnozentrischen Selbstverständnis beruhen und Eliten ihre politischen Positionen (das System) mit der Ausschließung von Minderheiten ideologisierten, wie in konservativen Machtstrukturen des (deutschen) Kaiserreiches". Die Frage ist, ob diese Perspektiven nicht auch das Verhältnis von Bühne und Publikum entscheidend erhellen können. Bei entsprechenden Rollen- und Geschehensmustern, Darstellungs- und Erscheinungsklischees - so steht zu vermuten - werden stereotype Wertungsverfahren eingeleitet, die beim Publikum Ausschließungs- und Abgrenzungsgefühle hervorrufen, Zugehörigkeitsempfindungen direkt oder per negationem auslösen, mentalitätsmäßig disponierte Einstellungen aktivieren, die im Verhältnis von Majorität und jüdischer Minorität zu Buche schlagen, auch und gerade dann, wenn explizite inhaltliche Äußerungen gar nicht fallen oder sogar einen Gegensinn nahelegen würden. Dies ist mit Grund zu vermuten, weil auf der Bühne von der Primärwirkung des Visuellen gegenüber dem Sprachlichen auszugehen ist. Da in Deutschland bis 1933, zu schweigen von der Zeit danach, ein im wesentlichen monokulturelles Selbstverständnis dominiert, d.h. kultureller wie auch ethnischer Pluralismus in der Gesellschaft nicht als wirkliche Alternative denkbar ist, sind entsprechende Ausgrenzungs- und damit Abwertungsvorgänge auch im theatralen Bereich leicht vorstellbar - auch mit der Variante, daß sie das Wirkungspotential einer Rolle wesentlich anders steuern, als von der dezidierten Absicht des Schauspielers oder des Regisseurs her zu erwarten steht. Es kommt nicht von ungefähr, daß 1880 - worauf Horst Denkler aufmerksam

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Herbert A. Strauss: Abwehr von Stereotypen und Diskriminierungen: Dilemmas der jüdischen Selbstverteidigung. In: Helge Genidt (Hg.), Stereotypvorstellung im Alltagsleben...Ebd. S. 33ff. Beispiele finden sich für Strauss in der englischen, amerikanischen und französischen Geschichte.

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gemacht hat 38 - mitten im Berliner Antisemtismusstreit, Harry Breßlau die Meinung äußerte, jeder Jude in Deutschland habe in seinem Leben gegen die Klischeevorstellungen anzugehen, wie sie von den fiktiven Juden-Figuren in der Literatur und auf der Bühne weiter verkörpert würden. 5. Der Eintritt der Juden in die deutsche Literatur - wie auch in die französische - vollzieht sich seit dem 18. Jahrhundert unglaublich rasch. Insofern ist es sinnvoll, von der Aufklärung an von einer deutsch-jüdischen Literatur, in der Folge auch - wie Hans Otto Horch dargelegt hat - von einer deutsch-jüdischen Literaturgeschichte zu sprechen. Die Frage ist, ob analoge Begriffe auch theatergeschichtlich sinnvoll sind. Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte grenzt sich ab gegen den Typus jüdische Literaturgeschichte einerseits, die - in weltliterarischem Maßstab alles von Juden verfaßte Schrifttum jüdischen Inhalts, von der hebräischen Bibel bis zur Gegenwartsliteratur behandelt, und von dem Typus Juden in der deutschen Literatur andererseits, der - etwa in nationaljüdischen Varianten - in den Werken das spezifisch Jüdische herausstellt;39 deutsch-jüdische Literaturgeschichte widmet sich deutschen Werken jüdischer Autoren, in denen implizit oder explizit, in Gestalt jüdischer Motive, Stoffe, Denkformen etc., das Problem jüdischer Tradition und jüdischer Existenz im deutsch-europäischen Kontext des Zusammenlebens thematisiert wird. Wendet man sich dem Theater zu, so sind schon rein faktisch andere Voraussetzungen gegeben. Von wenigen prominenten Einzelgestalten abgesehen, dauert es fast 100 Jahre länger als im Falle der Literatur, bis jüdische Theaterschaffende in erheblicher Zahl und mit überregionaler Ausstrahlung auftreten. Im Grunde ist dies erst der Fall mit der Tätigkeit Ludwig Chronegks bei den Meiningern, dann mit den Berliner Theatergründungen seit den achtziger Jahren, dem Lessing-, dem Berliner, dem Schiller-Theater40 sowie mit der Grün38

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H. Denkler: Lauter Juden (s. Anm. 18), S. 149 u. S. 156 unter Bezug auf Breßlaus Schrift •Zur Judenfrage' (1880), in: Der Berliner Antisemitismusstreit Hrsg. v. Walter Boehlich. Frankfurt/M. 1965 S. 75f. Beispielhaft genannt aus don deutschsprachigen Bereich wurden einerseits die literarhistorischen Werke von Gustav Karpeles (Geschichte der jüdischen Litteratur, Bde MI, Berlin 1886), Meyer Waxman (A History of Jewish Literature. Bde I-IV, 1930-41) und Günter Stemberger (Geschichte der jüdischen Literatur. München 1977), andererseits Gustav Krojankers Sammelband (Juden in der deutschen Literatur) von 1922. Es handelt sich durchweg um Gründungen, die sich von den zahllosen kurzlebigen Theatemntemehmen (seit Einführung der Gewerbefreiheit 1869) durch vorhaltendes

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dung des Vereins Freie Bühne 1889, in dessen Zehnerrat deutsch-jüdische Intellektuelle dominieren.41 Damit ist zugleich das Stichdatum für den Beginn der großen Ära deutscher Juden in der Theaterkritik gegeben, und alle weiteren Bereiche des Schauspieltheaters werden zur Domäne jüdischer Künstler- Prominenz. 42 Daß sich für das Musiktheater andere historische Befunde ergeben, liegt auf der Hand. Auffallend ist einerseits, daß die auf europäischer Ebene Bedeutung erlangenden Künstler, Jacques Fromental Hal6vy, Giacomo Meyerbeer und Jacques Offenbach ihren Rang - obwohl alle bekanntlich deutsch-jüdischer Herkunft - der französischen Kulturentwicklung verdanken; andererseits gälte es, etwa die Wirkungsgeschichte von Wagners Pamphlet Das Judentum in der Musik - das seinerseits nur die Spitze eines Eisbergs ähnlich ausgerichteter musik-ästhetischer Antisemitismen darstellt - genauer zu untersuchen, um die Verhältnisse im Musiktheater zu sichten. Spätestens seit der Tätigkeit Mahlers an der Wiener Oper und dann mit Höhepunkten in den zwanziger Jahren scheint mir im Musiktheater hinsichtlich der deutsch-jüdischen Kulturgemeinschaft dieselbe Spannung zu bestehen, wie im Schauspieltheater, wofür die zukunftsweisende Bedeutung der Kroll-Oper mit ihren zahlreichen jüdischen Künstlern zum einen, das Kesseltreiben gegen Franz Schreker zum anderen als Indizien genannt seien. 43 Beim Tanztheater schließlich scheint es so zu sein, daß erst mit Beginn der zwanziger Jahre jüdische Künstler von Rang - etwa Valesca Gert - auftreten, und im Falle des Figurentheaters muß beim derzeitigen Forschungsstand wohl auch offen bleiben, ob sich Datumslinien der hier erörterten Art überhaupt ausmachen lassen. Welche Richtigkeit es immer mit diesen Beobachtungen im einzelnen haben mag - wichtiger als Daten und ihre Zusammenhänge ist die Rolle, die sie für die deutsch-jüdische Kulturgemeinschaft im Bewußtsein der Beteiligten

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ästhetisches und theatrales Programm unterscheiden. Zu den Gründungssozietären des Deutschen Theaters (1883) gehören außer Adolf L'Arronge, der jüdische Schauspieler Ludwig Bamay, danach folgt Oscar Blumenthals Lessing-Theater von 1888, Ludwig Barnays Berliner Theater von 1892 und Raphael Löwenfelds Schiller-Theater von 1894. Im Zehnerrat wirkten außer Otto Brahm zeitweise mit: Maximilian Harden, Theodor Wolff, Julius Stettenheim, Samuel Fischer, Ludwig Fulda, Fritz Mauthner. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das relativ späte Auftauchen von jüdischen Künstlern im Bereich Bühnenbild, Bühnenausstattung. - Eine ausführlichere Erörterung habe ich in einem Essay Schrittmacher der Moderne versucht, der in dem in Anm. 3 genannten Band erscheinen wird. Siehe hierzu: Jens Malte Fischer "Die jüdisch-negroide Epoche" (S. 228-243 in diesem Band).

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spielen. Eine deutsch-jüdische Literatur steht seit der Mendelssohn-Zeit zur Debatte, spätestens mit der Gründung der Allgemeinen Zeitung des Judentums kommt das Problem einer deutsch-jüdischen Erzählliteratur - in variantenreicher Profilierung und mit sich polarisierenden Positionen - in den Blick und erweist sich als Dauerthema bis zum Ende des Jahrhunderts.44 Der jüdische Literat, mit seiner vermeinten oder realen Eigenart, ist Gegenstand erbitterter Kontroversen seit Börne und Heine. In vergleichbarem Ausmaß steht das Hieater kaum jemals im Brennpunkt des Interesses, wenn es um das deutschjüdische Verhältnis geht - allenfalls im Modus regionaler und zeitlich eher begrenzter Skandale.45 Die Frage nach einem "deutsch-jüdischen Theater" stellt sich im ganzen 19. Jahrhundert nicht, der jüdische Schauspieler - abgesehen von antisemitischen Polemiken - gewinn erst mit der Jahrhundertwende seriöses Interesse. Erst Arnold Zweig unternimmt den Versuch, ihn aus seinem Verständnis von Judentum heraus zu beschreiben und zugleich mit "jüdischem Wesen" zu identifizieren. Unter der generellen Voraussetzung, daß der Schauspieler "seinen Körper zum Projektionsmittel seelischer Zustände macht", postuliert Zweig ein spezielles Verhältnis, das sich für den Juden aus seinem prononciert rhetorischen Sprachverhalten auch zu seiner Körperlichkeit ergibt. Daraus eiklärt sich das Besondere seiner Gestik: "So wird ihm [dem Juden] der Körper zum Sprechorgan, die Hand mit ihren Fingern zu einer Zunge mehr, und in der Gestikulation erst [...] vollendet sich die Wortseite seines Wesens". 46 Mit dieser Bestimmung nimmt nun Zweig zwar besondere Leistungen des Juden als des "geborenen Schauspielers" für das Theater in Anspruch, aber es ist das deutsche Theater, nicht ein deutsch-jüdisches, das er problematisiert. Postuliert wird dagegen ein jüdisches, und so nimmt Zweig natürlich gebührend zur Kenntnis, daß es jetzt ein genuines Theater des Judentums aus dem Osten gibt - natürlich in jiddischer oder hebräischer, d.h. in einer der Sprachen, 44

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Die Bedeutung der Vermittlungsversuche erhellt u.a. auch daraus, daß Ludwig Philippson, der Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums 1855 das Institut zur Forderung der israelitischen Literatur, einen Lesezirkel, der deutschsprachige Wake jüdischen Charakters zu verbreiten suchte, ins Leben rief. Zu nennen wäre beispielsweise der Skandal um Karl Borromäus Sessas Stüde Unser Verkehr und seine Berliner Aufführung 1815. (vgl. dazu die Darstellung von Hans Joachim Neubauer in: Antisemitismus und jüdische Geschichte. Zu Ehren von Herbat A. Strauss. Hrsg. von Rainer Erb und Michael Schmidt. Berlin 1987. S. 313-327, oder die Kontroversen um das Kaiser-Jubiläums-Theater, Wien 1898 (Vgl. Hilde Haider-Pregler "Ausgrenzungen. Auswirkungen antisemitischer Tendenzen in der Kulturpolitik auf das österreichische Theater von der Jahrhundertwende bis 1938", S. 184-204 in diesem Band). A. Zweig, Juden auf der deutschen Bühne. S. 82 u. S. 23.

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die vom Zionismus ausdrücklich als die des Judentums anerkannt worden sind. Zwischen den Polen eines neuen, zeitgenössischen jüdischen Theaters, das seine eigenen Gehalte und Sprachen hat, und dem Wirken jüdischer Theaterkünstler auf der deutschen Bühne scheint es kein Mittleres zu geben, so meint es wenigstens Arnold Zweig. Und vielleicht kann man ihm zustimmen. Denn das jüdische Dialekttheater, das es in Berlin und Wien und anderswo gibt,47 reicht wohl seinem Anspruch nach - wiewohl es natürlich Teil der Kulturgemeinschaft ist - kaum an das heran, was sich mit dem Begriff der deutsch-jüdischen Literatur an Problembewußtsein verbindet. Ein Austrag dieses Problems auf der Bühne dürfte wohl frühestens etwa mit Shylock- und Nathan- Interpretationen durch Adolf Sonnenthal, Rudolf Schildkraut und dann Fritz Kortner in den zwanziger Jahren, mit Aufführungen von Rehfischs Affäre Dreyfus oder Inszenierungen von Jud Süß, etwa durch Leopold Jessner48 wirklich erfolgt sein - last but not least, von deutsch-jüdischen Bühnenkünstlern im Exil 49 und - in schmerzlicher Weise - im Theater des Jüdischen Kulturbundes,50 als Emanzipation und Kulturgemeinschaft deutscherseits widerrufen war und die Weichen zum nationalsozialistischen Vernichtungsprogramm gestellt wurden. So erweist sich letztlich für das Theater - wie im allgemeinen, so auch im thematischen Brennspiegel dieses Symposiums - die europäische Perspektive als die allein tragfähige. Unter diesem Gesichtspunkt werden im folgenden eher Ausschnitte als bereits ein kohärentes Gesamtbild präsentiert, wiewohl die europäischen Dimensionen des jüdischen Theaters des Ostens in Umrissen sichtbar werden: seine Genese aus der Haskala, was zugleich die Einbettung in die europäische Aufklärung besagt, dann die Impulse, die es der französischen wie der russischen, der deutschen wie der polnischen Theaterentwicklung entnimmt und entfaltet, schließlich die Verbindung zu der vom gesamteuropäi47

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Zu nennen wäre etwa in Berlin das sog. Hennfeld-Theater, in der Kommandantenstraße, in dem später die Kulturbund-Bühne ihre Heimstätte finden sollte, oder die Wiener jüdische Bühne des Itzchak Deutsch, von wo Piscator und Mehring immerhin den Darsteller ihres Kaufmanns von Berlin, Paul Baratoff, gewinnen konnten - ein Detail, das zu überprüfen nahelegt, ob die ästhetische Leistung solcher Bühnen nicht doch eine aufwertende Beurteilung verdiente. Siehe hierzu: Margarita Pazi "Paul Kornfelds Drama Jud Süß, 1933, und die dramatische Bearbeitung des Feuchtwangerschen Romans in hebräischer Sprache von Avi-Shaul, 1933" (S. 281-298 in diesem Band.) Siehe hierzu: Georg-Michael Schulz "Kampfstück und Bibelrevue" (S. 339-356 in diesem Band). Siehe hierzu: Heidelore Riss "Das Theater des Jüdischen Kulturbundes, Berlin. Zum gegenwärtigen Forschungsstand" (S. 312-338 in diesem Band).

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sehen Judentum unternommenen nationaljüdischen Bewegung. Daß sich hieraus die produktivste Beziehung zum sowjetischen Theateroktober ergibt, ist alles andere als ein Zufall. Denn dieser ist ja nicht als theatrale Umsetzung eines ideologischen Programms zu verstehen, sondern als Konzentration aller avantgardistischen Theaterbewegungen und - programme der vorausgehenden zwei Jahrzehnte in Ost und West. Die Breite der Leistungen jüdischer Künstler, von Meyerhold bis Granowski,51 von der Wilnaer Truppe bis zur Habima, 52 zeigt erneut die Differenzierung in der Einheit, 53 d.h. die gegensätzlichsten Antworten des jüdischen Theaters auf die problematische Situation des Judentums in Europa, aber auch die europäische Reichweite dieses Theaters. Spätestens seit der Jahrhundertwende sind jüdische Theaterkünstler im Osten wie in Mitteleuropa oder im Westen, was jüdische Literaten schon seit hundert Jahren sind: nicht nur Mitläufer des europäischen Theaters, sondern auch seine Träger. Europäisch-jüdische Gemeinsamkeit in der Theaterkultur hat die Vernichtung des Judentums in Europa überlebt. Das Wie dieses Überlebens und seine Bedeutung bis zum heutigen Tag wäre eines weiterführenden Versuchs gemeinsamer wissenschaftlicher Reflexion wert.

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Siehe hierzu: Erika Fischer-Lichte "RetheaCralisierung des Theaters als Emanzipation: das 'Staatliche Jüdische Theater' in Moskau 1920-1928" (S. 244-263 in diesem Band). Siebe hierzu: Freddie Rokem "From Marginality to Centrality. Jew and non-Jew in the Hebrew Inter-War Theatre: 1917-1939" (S. 264-280 in diesem Band). Vgl. dazu den in Anmerkung 12 genannten Vortrag von Shulamit Volkov.

Elmar Buck

Außenseiter auf der Bühne - zu den Konditionen des Theaters

Gewöhnlich wird im Zusammenhang von Theater und jüdischen Figuren, jüdischer Emanzipation und Antisemitismus die Theatergeschichte aus der Perspektive des Antisemitismus gesehen, und es werden dann Zeichen gefunden, eindeutige Zeichen, die wiederum den Antisemitismus belegen. Hier soll nun ein Perspektivwechsel vorgenommen und die inkriminierten Phänomene aus der Sicht des Theaters untersucht werden. Statt der Tendenz und der Rezeption tritt dabei mehr die Genese und die Intention ins Blickfeld. Gegenüber antisemitischen Motiven tritt dabei zunächst ein Zusammenspiel von Drama, Bühne, Schauspieler und Publikum in den Vordergrund, das dann allerdings zu Phänomenen führt, die antisemitisch mißbraucht wurden. Der Perspektivwechsel dient nicht irgendwelcher Entschuldigung, als eher einer Schuld-Zuweisung, wobei diese allerdings weniger moralisch als medial diskutiert wird im Hinblick auf eine Alternative: also die Frage, ob das Theater je die Chance zur Emanzipation der Außenseiter gehabt hat Die Antwort ist: nein. Auch damit ist keine moralische Schuld verbunden, denn man darf vom Theater nicht erwarten, was nicht des Theaters ist. Zu Beginn ein Allgemeinplatz: Das Theater diente seit dem 18. Jahrhundert der bürgerlichen Emanzipation. Dieser Gemeinplatz gerät aber schon ins Wanken, so man ihn dahingehend verallgemeinern möchte, daß Theater generell der Emanzipation des Menschen diente. Zwar ist solch ein Kurzschluß schnell getan, da die Aufklärung das ja selbst reklamierte, dennoch: das Theater beförderte nicht die Emanzipation der gesamten Menschheit. Die Schaubühne kapitulierte bereits im 18. Jahrhundert vor plebejischen Interessen und sie kapitulierte dann im 19. und 20. Jahrhundert vor proletarischen Interessen. Angesichts dieser Kapitulationen stand allzu lange die ebenfalls vom Theater nicht geleistete Emanzipation von Außenseitern im Schatten seiner Geschichtsschreibung. Das Theater ist nicht der Ort, wo Außenseiter zu ihrem Recht kommen. Dabei scheint schon der Hinweis auf das Theater der griechischen Antike solches

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Apodikt zu widerlegen; von den Elisabethanern - allen voran Shakespeare ganz zu schweigen. Sein reiches Repertoire an Außenseitern ist für uns nach wie vor eine Herausforderung: von Hamlet über Lear bis Prospero. Allein, das sind Außenseiter eigener Art. Hans Mayer unterscheidet intentionelle und existentielle Außenseiter1 - also Außenseiter, die ihre Rolle selbst gewählt haben, und solche, die keine andere Wahl hatten. Für die intentionellen Außenseiter der Antike und für die genannten Shakespeares ist die Bühne der rechte Ort, nicht aber für existentielle Außenseiter. Aber auch die gehören zu Shakespeares Welt: Caliban, Othello, der Kaufmann von Venedig, Shylock. Sie alle sind nicht nur problematische Figuren, vielmehr machen sie dem Theater auch Probleme. Daß sie sich dennoch auf unseren Bühnen so gut behaupten, liegt daran, daß sie - obwohl moderne Figuren - zum einen noch mit Mitteln des traditionellen Theaters entworfen wurden und zum anderen, daß sie - wie Hans Mayer konstatiert kaum nach der Natur entworfen wurden.2 Die Gestaltung von Theaterfiguren nach der Natur wurde dann aber zum Postulat, ja zum Diktat der Aufklärung. Probleme für das Theater sind damit programmiert. Die Aufklärung wurde zur Hoch-Zeit des Theaters im Dienste der bürgerlichen Emanzipation auf Grund von funktionalen und strukturellen Konditionen. Die Schaubühne war der einzige Ort, wo sich das Bürgertum raisonnierend auf breiter Basis zusammenfinden konnte, und sein kritisches Raisonnement entsprach strukturell den vorgegebenen Strukturen des Theaters. So konnte im 18. Jahrhundert das Theater als Moralische Anstalt der bürgerlichen Sache dienen. Aber eben auch nur dieser. In der Kommunikationsstmktur von Theater konnte sich nur der behaupten, der sich adäquat dieser Struktur artikulieren konnte also Bürger unter Bürgern. Diese Kommunikationsstruktur ging auf Kosten aller, die davon ausgeschlossen waren: der Plebejer, der Außenseiter. Es sei denn, sie wurden, so sie nicht unterliegen sollten, unter Aufgabe ihrer genetischen und sozialen Bindung zu Bürgern des Dramas gemacht: Sei es etwa ein exotischer Prinz, der sich als ein Herr von ... herausstellt; seien es überhaupt die Herren von ..., die im Drama durchweg zu Bürgern wurden. Das Theater der Aufklärung bot wenig Platz für existentielle Außenseiter oder Grenzgänger jeglicher Art. Erinnert sei an die Schwierigkeiten, 1 2

Hans Mayer Außenseiter, Frankfurt/M. 1975, S. 14. Mayer, a.a.O., S. 316.

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Shakespeare auf die deutsche Bühne zu bringen; erinnert sei an den Sturm und Drang mit seinen Grenzüberschreitem - ein kurzes Zwischenspiel. Wir haben kein Hamlet-Drama der Zeit. Don Juan sollte nur als Oper gelingen. Selbst die Faust-Dramen des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind kein Gegenbeweis. Lessing wurde noch von seinen aufgeklärten Zeitgenossen bespöttelt, als er nur andeutete, an einem Faust zu arbeiten; mit einem solchen Stoff des niederen Puppenspiels dürfte sich doch wohl kein Aufklärer abgeben. Fausts Einzug in das Personentheater gestaltete sich als ein problematischer Prozeß, der sich über mehrere Jahrzehnte hinzog und erst von Goethe abgeschlossen wurde. Allein, durch seine Fassung des Sujets hat er die Figuren fast wieder dem Theater entrissen. Sie drängen nach philologischer Interpretation mehr als nach theatralischer. Das Theater - Goethes dramatischer Offerte folgend - holte sie aber auf die Bühne zurück, allerdings nur mit einer Umwertung der beiden Protagonisten. Hatte sich das Stück eindeutig für Faust entschieden, so gehörte die Bühne ebenso eindeutig stets dem Mephisto, der im Gegensatz zu Faust weit mehr der Theatertradition entsprach, mit der Bühne und Schauspieler besser zurecht kamen und kommen. Bei der Wahl zwischen einem intentioneilen Außenseiter und einem existentiellen entschied sich die Bühne in diesem Fall zwar für den teuflischen Hinkefuß, aber auch nur, weil ihr die Rollenkonvention über das Außenseitertum geht. Das Publikum der Aufklärung - ganz in der Auseinandersetzung zwischen Feudalsystem und Bürgertum gefangen - wollte im allgemeinen nicht Magier oder Teufel auf der Bühne sehen, sondern Bürger. Es wollte seine Verwandten und Bekannten auf der Bühne wiedererkennen. Und zu diesen Verwandten und Bekannten des deutschen Bürgers gehörten nicht Indianer, Chinesen, Mohren, Türken, die alle noch als Exoten zum Fundus des Barock-Theaters gehörten. Zu den Verwandten und Bekannten gehörten keine Fremden, also auch keine Juden. Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts haben die Juden im Bewußtsein der Bevölkerung kaum eine Rolle gespielt. Sie wurden als außerhalb der Gesellschaft stehend empfunden. 3

Dennoch fanden Juden Eingang in das deutsche Drama des 18. Jahrhunderts und sogar überrepräsentiert gegenüber ihrer Rolle in der Gesellschaft, wie

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Julius H. Schoeps: Die mißlungene Emanzipation. In: FAZ 6.4.1987.

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Helmut Jentzsch zeigen konnte.4 Auch waren diese Figuren durchweg positiv gezeichnet, wie ebenfalls wieder Jentzsch belegt. Allein, diese Figuren fanden sich vornehmlich in der Gebrauchsdramatik der Zeit und vor allem: diese Figuren sind - trotz des einen Nathan - Nebenfiguren. So nicht, wie etwa bei Nathan oder dem Reisenden in den Juden, ging ihr Protagonistentum auf Kosten des Realitätsgehalts der Stücke. Lessing bewegte sich zwar ganz auf der Höhe seiner Zeit, als er mit Theatertraditionen brach und seine Figuren aus ihren sozialen Umständen wie Besitz und Bildung entwickelte, aber gerade damit arbeitete er gegen seine eigene Intention. So ist ihm das weder in der Dramaturgie der sächsischen Typenkomödie (Die Juden), noch in der des Genre Serieux gemäß Diderots Vorstellungen (Nathan der Weise) gelungen. Das Drama verweigerte sich jeweils dem intendierten Komödienschluß bzw. kam erst durch einen eingreifenden Kraftakt des Autors - auf Kosten des Dramatischen - zum Ende. Existentiellen Außenseitern ist im Drama der Aufklärung eher ein Nebenpart gemäß. In dieser Eigenschaft sind sie hoch gefährdet. Da sie weniger Möglichkeit haben, sich durch Handlung und Gespräch zu profilieren, tendieren sie zum Klischee, das zudem fast zwangsläufig ein lächerliches oder böses ist, um sie damit als Nebenfiguren von den ernsten und edlen Protagonisten zu kontrastieren. Wenn der Jude Schewa bei Richard Cumberland beklagt: "Jedermann verspottet uns, jedermann schändet und schmäht uns. Wenn eure Komödienschreiber einen Gegenstand des Gelächters, einen Narren oder einen Schurken haben wollen, so kömmt ein Jud heraus, um durch fünf lange Acte gehetzt, geschoren und geprügelt zu werden, zum herzlichen Spaß aller guten Christen. (1,5)",

so ist dem, was die Stücke anbelangt, zu widersprechen; was allerdings die Bühne anbelangt, gewiß nicht. Die Außenseiter-Figuren der Stücke werden auf der Bühne zur Rolle, wodurch sie zwangsläufig mutieren. Die Leerstellen der Nebenfigur im Drama müssen auf der Bühne gefüllt werden; als Rolle muß aus dem dramatischen Entwurf ein theatrales Ganzes werden. Erinnert sei daran, daß Theater keine Fortsetzung des Dramas mit anderen Mitteln ist. Drama und Theater sind jedes für sich autonom. Das Drama ist im Theater einem Prozeß unterworfen, der eine eigene - zum Teil dem Drama konträre - Intention verfolgt und dem4

Helmut Jentzsch: Jüdische Figuren in deutschen Bühnentexten des 18. Jahrhunderts, Diss. Hamburg 1971, S. 317.

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entsprechend auch zu anderen Ergebnissen kommen kann. (Am Zusammenspiel von Faust und Mephisto auf der Bühne ist das oben angedeutet worden.) Was literarisch im Drama durchaus stringent und plausibel ist, kann auf der Bühne schwierig werden, wenn nicht gar unmöglich. Zum Beispiel: Diderots Forderung, die Figuren statt nach der Theaterkonvention aus ihrer sozialen Realität zu entwerfen und dementsprechend konsequent durchzuführen - was für die dramaturgische Gestaltung von existentiellen Außenseitern Voraussetzung wäre,- dieses simple Postulat überfordert bereits das Theater, denn eines seiner Folgen wäre, daß sich die Figuren in typischen Situationen immer typisch verhalten müßten. Damit wäre ihnen aber die für die Bühne so wichtige Kontrastierung genommen. Lessing verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß zumindest ein widerstreitendes Interesse die Figuren in Bewegung setzen müsse,5 während Lichtenberg gar von der unwiderstehlichen Macht des Kontrastes auf dem Theater spricht.6 Diderot folgend würde von den Figuren eine so umfassende Differenzierung verlangt, die das Drama allein schon auf Grund seiner zeitlichen Begrenzimg nicht erfüllen kann. Es würde eine Nuancierung verlangt, die sich allein mit Worten nicht einlösen läßt. Es wäre somit die Bühne gefordert: ihre Ausstattung an Kulissen, Kostüm und Requisiten sowie die Darstellung der Schauspieler. Ganz abgesehen davon, daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Ausstattungsmöglichkeit und Schauspielkunst noch weit davon entfernt waren, Diderots Erfordernisse zu erfüllen, so läßt die Guckkastenbühne allein auf Grund der Entfernung zwischen Bühne und Saal ein nuanciertes Spiel und eine detaillierte Ausstattung nur bis zu einem bestimmten Grad zu, sollen die Feinheiten vom Zuschauer noch erkannt werden. Wer im Publikum sollte etwa die Verschiedenheit eines Weberschiffchens, eines Hammers oder einer Schere erkennen, wie sie Louis-Sebastien Mercier übrigens ganz im Sinne Diderots - für die Bühne forderte.7 Das Theater arbeitet mit Zeichen - muß mit Zeichen arbeiten -, die so deutlich sind, daß sie über die vorgegebene Distanz zwischen Bühne und Zuschauer erkennbar sind: deutliche Zeichen, Bewegungsduktus, Sprechduktus, Maske und Kostüm - physiognomische und pathognomische Zeichen. Die Fi5

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Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie, 86. Stück. In: GEL, Gesammelte Werice, hrsg. v. Paul Rilla, Berlin (DDR) 1954 ff, Bd. VI, S. 438. Georg Christoph Lichtenberg: Briefe aus England, 3. Brief. In: GEL, Werke und Briefe, hrsg. v. Wolfgang Promies, Bd. 3, München 1972, S. 352. Louis-Sebastien Mercier: Neuer Versuch über die Schauspielkunst, dt. v. Heinrich Leopold Wagner, Leipzig 1776, IX. Kapitel, S. 144.

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guren, deren Hautfarbe eindeutige Zeichen setzt, sind dabei unproblematisch; die Probleme beginnen mit denen, die uns fremd, aber dennoch ähnlich sind. Gegen Lavaters Physiognomik empfahl Goethe, die Menschen statt nach ihrer Erscheinung aus dem Gespräch zu beurteilen.8 Eine überzeugende Empfehlung. Shylock und Nathan können auf der Bühne davon profitieren. Was aber, wenn das Gespräch - im Drama: der Dialog - fehlt, wie etwa bei den Nebenfiguren. Gerade die sind es aber, um die es zumeist geht. Sie haben weniger Text zu sprechen und müssen daher durch überdeutliche Zeichen reden, damit sie in ihrer Eigenheit erkannt werden können, bevor sie die Bühne wieder verlassen haben. Was der Autor seinen Figuren vielleicht noch an Klischees verweigert hat, bringt die Bühne über die Rolle ein. Bereits die Bühnenklischees uns bekannter Nebenfiguren wie Pfarrer, Offiziere, Huren und Diebe sprechen eine deutliche Sprache; sie wird zu einer überdeutlichen bei den uns fremden. Die ungleichen Bedingungen von Haupt- und Nebenpart führen auf der Bühne zu einem ungleichen Erscheinen von Protagonisten und Chargen bei gleicher Fremdheit. Als Shylock auf der Bühne längst als Charakterrolle etabliert war, blieb Tubal der klischeehafte Bühnenjude. Oder: Iffland hat 1789 in Berlin den Juden Schewa in Cumberlands Stück gespielt Anläßlich dieser Aufführung fiel das Wort von der Harlekinade in jüdischen Kleidern? jedoch hätte dieser Vorwurf eher der jüdischen Nebenfigur Jabal gelten sollen als Ifflands Schewa. Die Zeichnungen der Gebrüder Hentschel zeigen Ifflands Schewa als zeitgenössischen jüdischen Kaufmann, während Jabal noch der typische Bühnenjude ist. Dieser Kontrast ist dann in den nach den Zeichnungen gefertigten Kupfern zur allgemeinen Akzeptanz noch deutlich verstärkt. Ein anderes Beispiel, in dem mit Möglichkeiten gespielt wird: über Shylocks Judentum wird der zweite Außenseiter des Stücks, der ihm den Namen gegeben hat, zumeist vergessen: Antonio. Man darf davon ausgehen, daß Antonio homophil ist, wenngleich der eindeutige Textbeleg fehlt Wenn die Bühne zurecht darauf verzichtet, Antonio als Schwuchtel darzustellen, so muß - da der hinweisende Text fehlt - die Homophilie durch Antonios Begleiter zum Ausdruck gebracht werden. Womit die typischen Klischees von homosexuellen Jünglingen, die 8

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Jobann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit, 4. Teil, 19. Buch. Hamburger Ausgabe, Bd. 10, S. 155. Schreiben an den Direktor Iffland über das Schauspiel Der Jude und dessen Vorstellung auf dem hiesigen Theater, Berlin 1789, S. 8.

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ältere Männer umgeben, programmiert sind. Oder: Auf der Bühne erscheinen Huren in einer Nebenrolle fast immer nuttig. Die Bühne folgt dabei allerdings nur demselben Mechanismus wie die Realität, in der sich Prostituierte - so sie sich auf den Straßenstrich begeben - nuttig anziehen, um für potentielle Freier auf den ersten Blick erkennbar zu sein. "Die patbognomischen Zeichen, oft wiederholt, verschwinden nicht allemal völlig wieder, und lassen physiognomische Eindrücke zurück",

muß Lichtenberg zugeben, obwohl er Lavater widerlegen will. 10 In unerlaubter Weise korrespondieren also die Klischees mit realen Erfahrungen; zwar unerlaubt, aber immerhin in Korrespondenz. Die Bühne macht sich diese Korrespondenz zunutze. Nun werden die Rollen, die das Klischee in sich tragen, auf der Bühne von Schauspielern gestaltet. Sie allein entscheiden mit ihrer Darstellung über Aussage und mögliche Wirkung. Die Schauspieler, in der europäischen Tradition des Berufsschauspielertums, wie es durch die Commedia dell'arte begründet wurde, werden in sogenannte Rollenfächer eingeteilt, die wiederum von Stereotypen ausgehen, was die Erscheinung und das Spiel anbelangt. Ziel dieser Stereotypen ist - zumal unter der Voraussetzung des Extempore - der Effekt, dessen Gelingen der Beifall des Publikums signalisiert. Lessings Klage in der Hamburgischen Dramaturgie, daß wir wohl Schauspieler hätten, aber keine Schauspielkunst, trifft die damalige Situation auf den Punkt. Wie sonst hätte Konrad Ekhof von Eduard Devrient als der Vater der deutschen Schauspielkunst betitelt werden können, allein auf Grund der Feststellung, daß er der erste gewesen sei, der sein Bühnenspiel an den inhaltlichen Vorgaben der darzustellenden Figur ausgerichtet habe.11 Frankreich hatte immerhin schon einen Lekain, England einen Garrick. Die Kunde von ihrem Spiel erreichte auch Deutschland, so daß auch hier die Schauspieler in Anlehnung an die theoretischen Setzungen der Zeit ihr Spiel zu gestalten suchten. Lessing, Engel, Iffland haben ihnen dazu die nötigen Handreichungen geliefert. Im Zentrum stehen dabei Begriffe wie Natur, Wahrheit, Anstand und Vollendung, womit sie aber auch ständig in sich selbst kreisen. Der Wert dieser theoretischen Diskurse bemißt sich vor allem darin, daß hier erstmals für die Tätigkeit des Mimen so etwas wie Kunst reklamiert wird und 10 11

Georg Christoph Lichtenberg: Über Physiognomik. A.a.O., S. 281. Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, in zwei Bänden, neu hrsg. v. Rudolf Kabel und Christoph Trilse, Berlin (DDR) 1962, S. 324.

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Bürgerverhalten auch für den Schauspieler gelten soll; ja daß dieser sogar als Modell des wohlverstandenen Bürgers gesehen wird. Allein, das war Theorie. Wenngleich die Schauspieler auch nicht völlig an ihr vorbeigehen konnten, so blieb insgeheim weiterhin das Ziel ihrer Kunst der Effekt. Die Schauspieler-Autobiographien der Zeit legen dafür ein beredtes Zeugnis ab. Selbst einem Iffland, dessen Engagement selbstverständlich den stereotypen Rollenfächern entsprach (Komische Alte und Carrikaturrollen, auch Juden) war der Effekt auf der Bühne nicht fremd. Aber auch er unterlag dem Zeitgeist, sowie seinen eigenen theoretischen Ansprüchen; er unterlag damit dem Zwang zur Rollen-Gestaltung, zur Schaffung einer einheitlichen, individuellen Figur. Die Mittel, die dazu eingesetzt wurden, waren zum Teil simpel - wie zunächst auch bei den Schriftstellern in ihren Stücken. So ließ Lessing den Oronte in einem Aufzug 68 Mal die Redewendung versteht er mich wiederholen. Entsprechendes ist dann wieder in der Minna von Barnhelm zu finden: Justs Wendung läßt mein Herr bitten und in Nathan der Weise, wo der Klosterbruder stereotyp wiederholt: Sagt der Patriarch. Derartiges Verfahren zielt darauf, die Figuren gegeneinander abzuheben, indem ihnen durch eine solche Besonderheit eine gewisse Individualität verliehen werden soll. Iffland arbeitet ganz in diesem Sinne, wenn er sich für seine Rollen irgendeinen besonderen Sprech- oder Bewegungsduktus ausdenkt, den er auf der Bühne dann durchhält: ein Stottern, ein Hinken, einen Buckel - einen Effekt, der aber eine Rolle repräsentiert. Zumeist handelt es sich dabei um irgendwelche Macken, Makel, Schwächen, die zur Individualisierung, Charakterisierung des Menschen eingesetzt werden. Hier nun kommt die psychosoziale Disposition des Schauspielers mit ins Spiel. Wohlgemerkt des Schauspielers im Zeitalter der Möglichkeit seiner Karriere zum Bürger wie zum Künstler. Seit dem 18. Jahrhundert kommen Schauspieler zumeist aus kleinbürgerlichen oder bildungsbürgerlichen Verhältnissen. Für ihre Biographie werden in der Kindheit erlebte Leidenssituationen wichtig sowie die positive Erfahrung, daß ein genaues Erkennen der Schwächen derer, denen man unterlegen ist oder unterlegen zu sein glaubt, und ein Nachahmen eben dieser Schwächen im rechten Moment den Vorteil bringt, den anderen ausspielen zu können. Dazu kommt die Erfahrung der Transzendenz der eigenen Person durch Verkleidung.

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Elmar Buck Der Wilhelm Meister aus Goethes Roman ist zwar keine authentische Figur,

aber er repräsentiert den deutschen Schauspieler im 18. Jahrhundert. Im fünften Buch des Romans teilt Wilhelm Meister seinem Schwager mit, daß er nun Schauspieler werden wollte, und er begründet diesen Schritt aus den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland, die den Bürger blockierten. Es heißt dann weiter: An diesem Unterschiede ist nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, sondern die Verfassung der Gesellschaft selbst schuld; ob sich daran einmal etwas ändern wird und was sich ändern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken, und wie ich mich selbst und das, was mir ein unerläßliches Bedürfnis ist, rette und erreiche. Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung. Ich habe, seit ich Dich verlassen, durch Leibesübung viel gewonnen; ich habe viel von meiner gewöhnlichen Verlegenheit abgelegt und stelle mich so ziemlich dar. Ebenso habe ich meine Sprache und Stimme ausgebildet, und ich darf ohne Eitelkeit sagen, daß ich in Gesellschaften nicht mißfalle. Nun leugne ich Dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein, und in einem weitem Kreise zu gefallen und zu wirken. (...) Du siehst wohl, daß das alles für mich nur auf dem Theater zu finden ist, und daß ich mich in diesem einzigen Element nach Wunsch rühren und ausbilden kann. Auf den Brettern erscheint der gebildete Mensch so gut persönlich in seinem Glanz als in den obem Klassen. ^ Und Wilhelm Meister betritt die Bühne. Im siebenten Buch findet sich dann ein Gespräch zwischen Wilhelm und Jarno, dem der Abschied Meisters vom Theater vorangegangen ist. "Man spricht viel vom Theater, aber wer nicht selbst darauf war, kann sich keine Vorstellung davon machen. Wie völlig diese Menschen mit sich selbst unbekannt sind, wie sie ihr Geschäft ohne Nachdenken treiben, wie ihre Anforderungen ohne Grenzen sind, davon hat man keinen Begriff. Nicht allein will jeder der Erste, sondern auch der einzige sein, jeder möchte gern alle übrigen ausschließen. (...) jeder dünkt sich wunder original zu sein (...) dabei eine immerwährende Unruhe nach etwas Neuem. Mit welcher Heftigkeit wirken sie gegeneinander! und nur die kleinlichste Eigenliebe, der beschränkteste Eigennutz macht, daß sie sich miteinander veibinden. (...)" Wilhelm holte Atem, um seine Litanei noch weiter fortzusetzen, als ein unmäßiges Gelächter Jarnos ihn unterbrach. "Die armen Schauspieler!", rief er aus, warf sich in einen Sessel und lachte, "die armen, guten Schauspieler! Wissen Sie denn, mein Freund", fuhr er fort, nachdem er sich einigermaßen wieder erholt Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 5. Buch, 3. Kapitel, Hamburger Ausgabe, Bd. 7, S. 291f.

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hatte, "daß Sie nicht das Theater, sondern die Welt beschrieben haben. (...) Und es zeugt von ihrer Unbekanntschaft mit der Welt, wenn Sie die Erscheinungen dem Theater so hoch anrechnen. Wahrhaftig, ich verzeihe dem Schauspieler jeden Fehler, der aus dem Selbstbetrug und aus der Begierde zu gefallen entspringt; denn wenn er sich und anderen nicht etwas scheint, so ist er nichts. Zum Schein ist er berufen, er muß den augenblicklichen Beifall hoch schätzen, denn er erhält keinen andern Lohn; er muß zu glänzen suchen, denn deswegen steht er da. (...) Alle Fehler des Menschen verzeih' ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih' ich dem Menschen. Unübertroffene Sätze, und diese Sätze sind zugleich das Motto eines anderen Romans, in dem ein Modell des deutschen Schauspielers, nun eines des 20. Jahrhunderts, vorgestellt wird. Gemeint ist Klaus Manns Mephisto

und sein

Protagonist Hendrik Höfgen. Ein Schlüsselerlebnis aus der Jugend läßt den Schauspieler Höfgen nicht los. Ich muß elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich im Knabenchor unseres Gymnasiums mitsingen durfte. Mir machte das eine ungeheure Freude und ich bildete mir wohl auch ein, hübscher als alle anderen singen zu können. - Nun kommt die teuflische Erinnerung. (...) Unser Knabenchor sollte, anläßlich irgendeiner Hochzeit, bei der kirchlichen Feier mitwirken. Mich aber ritt der Teufel, ich wollte mich ganz besonders hervortun. Als unser Chor mit einem frommen Lied einsetzte, hatte ich den abscheulichen Einfall, eine Oktave höher als alle anderen zu singen. Ich tat mir so viel zu gute auf meinen Sopran, und ich dachte wohl, es würde einen reizenden Effekt machen, wenn mein schriller Ton durch das Gewölbe hallte. Ich stand ganz stolzgebläht und sang gellend - da sah mich der Musiklehrer, der den Chor dirigierte, mit einem Blick an, der eigentlich noch mehr angewidert als strafend war, und sagte: Sei doch still. ^ Das Erlebnis hinterläßt Spuren, ändert aber nichts bei dem Schauspieler Hendrik Höfgen. Hendrik Höfgen (...) sieht nichts, hört nichts, merkt nichts. Er lebt gar nicht in der Stadt (...) er kennt nichts als Bühnen, Filmateliers, Garderoben, ein paar Nachtlokale, ein paar Festsäle und versnobte Salons. Spürt er, daß die Jahreszeiten wechseln? Wird es ihm bewußt, daß die Jahre vergehen? (...) Der Schauspieler Höfgen lebt von einer Premiere zur nächsten, von einem Film zum anderen; er zählt 'Aufnahmetage', 'Probentage' (...) Eingesperrt in einen Ehrgeiz wie in ein Gefängnis, unersättlich und unermüdlich; immer im Zustand höchster hysterischer Spannung genießt und erleidet der Schauspieler Höfgen ein

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Goethe, 7. Buch, 3. Kapitel, a.a.O., S. 434f. Klaus Mann: Mephisto, Roman einer Karriere, o.0.1965, S. 144f.

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Elmar Buck Schicksal, das ihm außerordentlich scheint. (...) Auf welchen Tag aber wartet Hendrik Höfgen? Er wartet immer nur auf die neue Rolle. ^

Zwei Schauspieler - Wilhelm Meister und Hendrik Höfgen - die wie immer die Verhältnisse auch sind, auf ihre Selbstverwirklichung durch Bühnenrollen fixiert bleiben; Schauspieler, die wie immer das Spiel mit den Mitspielern auch eingerichtet ist, im entscheidenden Moment noch eins drauf setzen zu ihrem eigenen Vorteil; im 18. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert Zwei Biographien, aber dennoch ein Modell. Allerdings, es gibt auch andere. Diese Passagen sind so ausführlich zitiert, weil hier der Schlüssel zu dem liegt, wie Außenseiter auf die Bühne kommen, denn mit diesen Dispositionen betreten die Schauspieler die Bühne und spielen ihre Rolle. Seit dem 18. Jahrhundert waren das vielfach Bürgerrollen, also affektmodellierte Menschen, die mehr reden als handeln. Die Schauspieler mußten diese Rollen unter dem Diktat spielen, sie nach der Natur, der Wirklichkeit zu gestalten. Georg Christoph Lichtenberg zollt im dritten seiner Briefe aus England einem Schauspieler höchstes Lob, der aufs Theater tritt, so glaubt man, es hätte sich jemand, ohne bemerkt zu werden, von der Straße darin verlaufen, so natürlich kleidet er sich, und so ungezwungen erscheint er. ^

Auf Grund des Naturdiktats und der Kontrollmöglichkeit ist bei solchen Rollen kein Platz für Eskapaden. Hat er - der Schauspieler - das gewollt, als er sich für das Theater entschied? Welche Lust dagegen, in ein exotisches Kostüm zu steigen, sich Bart und Nase anzukleben, seinem Affen Zucker geben, wie das so schön heißt Welche Lust zur Harlekinade, wann immer sich die Gelegenheit dazu gibt. Die Harlekinade garantiert durch ihre Effekte zum einen den Triumph über den Mitspieler und zum anderen den Beifall des Publikums. Bei den Hauptrollen der Stücke kompensiert die Möglichkeit zur Charakter-Darstellung die eben beschriebene Tendenz. Aber diese Möglichkeit geht ohne Zweifel nicht nur auf Kosten des Komödiantischen, sondern auch auf Kosten des Spezifischen der Herkunft, so es sich um Außenseiterrollen handelt. Helmut Jentzsch konstatiert:

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Mann, a.a.O., S. 216f. Georg Christoph Lichtenberg: Briefe aus England, 3. Brief, a.a.O., S. 350.

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Es scheint das Schicksal der edlen Juden zu sein, nicht mehr als Juden verstanden zu werden. Nur die komischen Figuren wurden als Juden gesehen, während man die edlen immer für Charaktere hielt 1 7

Charakter oder Harlekinade - dem Schauspieler ist das gleich viel. Unter dieser Prämisse betritt auch Shylock die Bühne. Und nur so konnte er zu einer der großen Virtuosenrollen des 19. Jahrhunderts werden: bei jüdischen und nichtjüdischen Schauspielern, bei philosemitischen und antisemitischen Schauspielern; ernst oder komisch, edel oder häßlich. Die Interpretation war keine Frage der Herkunft der Darsteller oder ihrer persönlichen Einstellung, sondern lediglich eine Frage der Rolle, des Absetzens von anderen und der Erfolgserwartung. Ludwig Devrient spielte den Shylock als Charakter, aber trat gleichzeitig in Karl Borromäus Sessas antisemitischer Judenschule auf. Werner Krauß spielte den Shylock sowohl 1921 bei Max Reinhardt als auch 1943 unter Lothar Müthel. Während die Außenseiter-Hauptrollen noch die Alternative von Harlekinade oder Charakter haben, wird diese bei den Nebenrollen zur Alternative von Harlekinade und Charge. Beides sind Zerrbilder - das eine mehr lächerlich und das andere mehr häßlich. Der Zwang zum Kontrast auf der Bühne erklärt aber auch das. So es sich nicht um ernste Charaktere handelt, wird der Bühne alles andere allzu leicht lächerlich. So es sich bei den Protagonisten nicht um Charaktere handelt, geht es um Liebhaber und damit in unserer Kultur um Tugend, die wiederum mit dem Attribut schön belegt ist Im Kontrast dazu sind die Nebenrollen lasterhaft und häßlich. Georg Christoph Lichtenberg erklärt: Daß der Maler und der Dichter ihre Tugendhaften schön, und ihre Lasterhaften häßlich vorstellen, kommt nicht von einer durch Intuition erkannten notwendigen Verbindung dieser Eigenschaften her, sondern weil sie alsdann Liebe und Haß mit doppelter Kraft erwecken, wovon die eine den Menschen am Geist, die andere am Fleisch anfaßt 1 "

Nicht vergessen werden sollte, daß es sich bei den Außenseiter-Stücken vielfach um Komödien handelt, denen sowieso eine Tendenz zur Übertreibung, zur Verzerrung, zur Karrikatur innewohnt - weil eben ihre Welt nicht ganz ernst ist. Theater und Komödie fallen terminologisch im 18. Jahrhundert noch weit-

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Jentzsch, a.a.O., S. 312. Georg Christoph Lichtenberg: Über Physiognomik, a.a.O., S. 291.

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gehend zusammen, was durchaus den Bedürfnissen und Erwartungen von Schauspielern und Zuschauem konform ist. Noch einmal Lichtenberg: Der Schauspieler sowohl als der Zuschauer sind beide immer mehr im Lustspiel zu Haus, als im Trauerspiel.^

Aus dieser Perspektive sei nun ein Blick auf das inkriminierteste der antisemitischen Theaterklischees geworfen: die Nase. Das Gesicht ist in unserer Kultur der einzige stets unverhüllte Teil des Körpers; es fungiert so gewissermaßen als Identitätskarte der Person. Die Nase ist nun wiederum in diesem Gesicht die einzige deutliche Erhebung; eine charakteristische Erhebung, wie gesagt wird. Von daher bekommt die Nase ihre Bedeutung in unserer Kultur. Erinnert sei auch an die Diskussion um die griechische oder römische Nase in bezug auf das Schönheitsideal. Gleichzeitig mit dem Schönen wird die Nase aber auch mit dem Häßlichen in Verbindung gebracht. Als Riechorgan dient sie dem untersten unserer Sinne; wobei das Pejorative sich in Formulierungen wie herumschnüffeln und seine Nase in alles stecken äußert. Von hierher gibt sich dann wiederum eine Verbindung zu dem, was unsere Kultur als das Häßlichste ansieht: das männliche Genital. Rainer Erb zitiert in diesem Zusammenhang zu Recht das Volksvermögen: Wie die Nase eines Mannes, so ist auch sein Johannes.20 So finden wir sie im Gargantua, im Tristram Shandy, im Cyrano de Bergerac. Für Lavater war die Nase das physiognomischste aller Zeichen, und auch für Lichtenberg war sie nicht uninteressant. So gelangte die Nase als willkommenes, vieldeutiges Insignum in die Karikatur und auf die Bühne. Die markante Nase war dem Schauspieler ein Fixpunkt, der sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht und Möglichkeiten zu komischer Wirkung eröffnet. Mit Antisemitismus hatte das noch nichts zu tun. Auch kann Rainer Erb in seiner Studie über die Judennase auf Grund von verläßlichen Quellen - nämlich Polizeiberichten - nachweisen, daß im 18. Jahrhundert in Deutschland noch keine Verbindung von Nase und Judentum gesehen wird. 21

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Georg Christoph Lichtenberg: Briefe aus England, 3. Brief, a.a.O., S. 351. Rainer Erb: Die Wahrnehmung der Physiognomik der Juden: Die Nase. In: Heinrich Pleticka (Hrsg.): Das Bild der Juden in der Volks- und Jugenliteratur, Würzburg 1985, S. 125. Elb, a.a.O., S. 121.

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A l s antisemitisches Insignum setzt die Nase den antisemitischen Blick des Publikums im 19. Jahrhundert voraus. Unter diesen Voraussetzungen beziehen Schauspieler dann auch Position. Ludwig Barnay berichtet in seinen Erinnerungen einen kleinen Vorfall aus dem Jahre 1864: Aucb einen jungen Juden spielte ich in Riga, und das geschah aus folgender Veranlassung. Der gewöhnliche Rendezvousplatz der Theatennitglieder in Riga war der Klosterkeller. Dort entstand eines Abends eine Kontroverse darüber, ob es denn durchaus nötig sei, sich eine krumme Nase anzukleben, wenn man einen Juden darstellt, wogegen ich behauptete, dieser sei auch ohne äußere Merkmale erkennbar zu machen. Man stritt dagegen, und Hugo Müll»', damals Regisseur und erster Schauspiel«' des Rigaer Theaters, vielleicht mit dem stillen Wunsche, mir eine Blamage zu bereiten, kontrahierte eine Champagnerwette gegen mich. So kam es, daß ich am 20. Dezember 1864 die kleine Rolle des Samuel Bandhei in Robert und Bertram spielte, ohne in meinem Gesicht das geringste zu verändern. Ich erhielt in der Tat nach jeder der kleinen Szenen Applaus und hatte somit die Wette gewonnen.^ Der Fall scheint klar zu sein: D a ist der jüdische Schauspieler, bei dem antisemitische Pogrome während der frühen Kindheit traumatische Erinnerungen hinterlassen haben, und der sich nun weigert, ein antisemitisches Klischee zur Schau zu stellen. Allein, der Satz "Ich erhielt in der Tat nach jeder der kleinen Szenen Applaus und hatte somit die Wette gewonnen" läßt aufhorchen. Offenbar geht es auch um schauspielerisches Selbstbewußtsein eines Schauspielers, der über differenziertere Mittel zu verfugen glaubt als das Ankleben von Nasen; um allerdings zu demselben Effekt zu gelangen. Die Passage geht weiter: Ich erwähne diese kleine Episode nur, um daran zu erinnern, daß es nicht gut ist, gewisse Berufsklassen und Nationalitäten auf der Bühne lediglich durch äußere Merkmale charakterisieren zu wollen. (...) Man muß eben das die Figur Charakterisierende aus der Tiefe holen und nicht nur in den Äußerlichkeiten steckenbleiben. Aber Goebbels verlangt, daß Sie Nasen machen. - Mach ich nicht! sagte ich. Ich habe andere Ausdrucksmittel als falsche Nasen.^

Ludwig Bainay: Erinnerungen. Ausgewählt und bearbeitet von Joachim Tenschert, Berlin (DDR) 1954, S. 120f. Werner Krauß: Das Schauspiel meines Lebens, Einem Freunde erzählt Stuttgart 1958, S. 201.

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Ein unvermittelter Sprung aus Ludwig Bamays Erinnerungen in die von Werner Krauß. Das, was bei Ludwig Barnay noch ambivalent war, ist nun bei Werner Krauß eindeutig von der schauspielerischen Technik motiviert. Zusammenfassend darf festgestellt werden: Schauspieler wollen auf der Bühne Rollen spielen; sie tendieren dazu, sich herauszuspielen, indem sie die anderen ausspielen. Der Zeitgeist diktiert, daß sie ihr Spiel nach der Natur einrichten, wobei das bei Außenseiterrollen bestenfalls in Korrespondenz zur Wirklichkeit geschehen kann, was Klischees befördert. Die vorhandenen Defizite an wirklicher Erfahrung werden im Rückgriff auf Theaterkonventionen kompensiert, was etwa für jüdische Figuren bedeutet: Kaftan, Schläfenlocken, Bart und Nase, Jiddeln und Wiegen des Körpers. Solche Ingredienzen befördern dann ihrerseits wieder die Harlekinade, die schließlich den Beifall des Publikums fmdet; für den Schauspieler die höchste Auszeichnung und die Bestätigung, daß er mit seinem Spiel ankommt Für die Akzeptanz des Publikums ist nun wiederum eine Übereinstimmung des Spiels mit dem jeweiligen Zeitgeist die Voraussetzung. Aber der Zeitgeist ist trügerisch, wankelmütig und wandelbar. Hans-Peter Bayerdörfer hat überzeugend ausgeführt, wie Ifflands Juden-Darstellung 1784 in Mannheim dort ohne einen realen jüdischen Hintergrund durchaus opportun war, dann aber bereits fünf Jahre später in Berlin auf der Basis eines emanzipierten Judentums, als Harlekinade kritisiert wurde.24 Nun wurde und wird derartige Kritik oftmals von Leuten geäußert, die dem Uneigentlichen des Theaters fremd gegenüberstehen und so seine Zerrbilder zu ernst nehmen; sie wird aber auch von Leuten vorgetragen, die auf Grund eigenen Leidens unter diesen Zerrbildern nun auch im Theater zu Recht empfindlich darauf reagieren; oder von Leuten, die es einfach besser wissen, als ihnen diese Bilder weismachen wollen. Allerdings ist ein Publikum, das das Theater in seinem Spielcharakter nicht akzeptiert, oder ein Publikum, das es besser als das Theater weiß, keine gute Voraussetzung für Theater - und schon gar nicht für die Komödie. Ein Publikum, das es nicht besser weiß, ist aber bisweilen ein Affe, wie Lichtenberg sagen würde. Theater ist unbestritten ein Spiegel: und "wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehen. 2 5

24

Bayerdörfer, a.a.O., S. 96ff. 25 Georg Christoph Lichtenberg: Über Physiognomik, a.a.O., S. 280.

Außenseiter auf der Bühne

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Werner Krauß spielte 1921 in Berlin den Shylock unter Max Reinhardt. Seine Rollenkonzeption hatte das zentrale Anliegen, sich von dem Shylock Rudolf Schiidtkrauts abzusetzen. In Schwarzweißkontrastierung gegenüber Antonio gab Krauß einen wilden Kobold. Das Publikum wie die damalige Kritik - einschließlich Kerrs - waren des Lobes voll. 1943 spielte Krauß noch einmal den Shylock, dieses Mal an der Wiener Burg unter Lothar Müthel. Aus dem wilden Kobold machte er nun - laut eigener Aussage - einen dummen,^ sonst blieb alles beim alten - und doch war es etwas ganz anderes. 1921 in Berlin traf Krauß mit seinem Shylock auf ein von jüdischem Kulturleben geprägtes Metropolen-Publikum, während dieser Shylock 1943 in Wien im tumben Antisemitismus der NS-Zeit aufging. Der Berliner Shylock 1921 war eine Möglichkeit, der Wiener von 1943 verbot sich. Der Affe, der in den Spiegel schaut, hatte inzwischen seine antisemitische Fratze zu erkennen gegeben, und der Spiegel zog nach. Was sich vor 1945 im Grunde verboten hätte, verbot sich danach; was vor 1945 verboten war, wurde nun zur Pflichtübung. Statt Shylock betrat nun Nathan die Bühne; statt des Juden der Mensch. Ernst Deutsch und seine Interpretation der Rolle wurde dafür richtungsweisend: für Nathan wie später auch für Shylock, Ernst Deutschs Philosemitismus trieb leidvoll den beiden Komödienrollen alles Jüdische aus: eine Tragödie in jüdischen Kleidern. Fritz Kortner hingegen, der in der Weimarer Zeit schon mehrfach den Shylock gespielt hatte, bevor dieser Shylock ins Exil getrieben wurde, machte dieses Spiel nicht mit. Gemäß seiner Überzeugung "Die Teufelsfratze ist kein Menschengesicht und das Engelsgesicht auch keines" arbeitete er 1969 im Fernsehen das heraus, was Shylock zu dem Juden macht, der nur noch Haß und Rache kennt. Eine Gratwanderung, die auch nur Fritz Kortner in Ansehung seiner Biographie erlaubt war. Ansonsten verbot sich nicht nur das Klischee, sondern auch alles, was als Klischee verstanden werden könnte; ja selbst dann, wenn es demonstrativ als Klischee vorgeführt wird wie bei Hans Mahnkes Shylock unter Peter Zadek 1972 in Bochum. Werner Krauß überlegt in seinen Erinnerungen in Ansehung seiner Shylock-Interpretationen vor 1945, wie er nun die Rolle angehen würde: Wenn ich die Rolle heute spielen sollte, dann wüßte ich einen Weg. Nicht den, den sie in der Nachkriegszeit beschritten haben, den gemäßigten, obwohl alle Leute nicht dran rühren wollen. Ich habe ein Bild von Kean gesehen, und von da hergeleitet: Er sah genau so aus 26

Krauß, a.a.O., S. 208.

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Elmar Buck wie die Nobili, gleich angezogen, fast wie ein Engländer, nur an ganz geringen Kleinigkeiten konnte man sehen, daß er ein Jude ist.

Der Shylock Laurence Oliviers war 1970 nicht weit davon entfernt Nimmt dieser Shylock den Zylinder ab, enthüllt er darunter das enganliegende, kleine schwarze Käppchen des orthodoxen Juden. Das assimilierte ÄuBere ist also doch nur Oberfläche. Die anderen Kaufleute akzeptieren diesen Shylock nicht, und unter der assimilierten Oberfläche brodelt ein Ganisch aus Minderwertigkeitskomplex und Wut. Oliviers Shylock ist eiskalt jovial und dann, plötzlich, kippt seine Stimme über, zeigt einen Überschwang an Emotion. Als er erfährt daß sein Opfer Antonio ruiniert ist, bricht er, der würdige Mann in Gehrock und goldenem Kneifer, in einen wilden Freudentanz aus, wie Hitler in jenem berühmten Wochenschaufilm bei der Besetzung von Paris.2®

Eine große schauspielerische Leistung. Allein, Kritik könnte auch fragen, ob diese Interpretation das antisemitische Klischee nicht tradiert, indem es unter der täuschenden Oberfläche brodelt. Wenn es auch nur für Momente durchbricht, ist es jedoch stets präsent. So kommen Shylock und Antonio 1988 wieder unter Zadek - gleich in gleich daher und bleiben es auch, unter Verzicht auf die für das Theater so unwiderstehliche Macht des Kontrastes.

In diesem Zusammenhang seien zwei mündliche Äußerungen eines Betroffenen zitiert. Wann immer die Rede auf Peter Zadek kam, reagierte er unwirsch mit dem Verweis auf den - von ihm nicht gesehenen - Bochumer Kaufmann von Venedig, den er ihm nicht vergessen könne. Andererseits kanzelte er die Wiener Zadek-Inszenierung als die langweiligste ab, die er je von diesem Stück gesehen habe. Nach wie vor tun sich Außenseiter auf der Bühne schwer. Hatte sie die Aufklärung als Störfaktoren des allgemeinen Gleichheitsgebotes gesehen, so wird nun nach dem Scheitern dieser Aufklärung, wie es etwa durch den Shoa markiert wird, versucht, ihnen all das auszutreiben, was sie zu Außenseitern macht: das Geschlecht, die Hautfarbe, die Herkunft, Abweichungen jeglicher Art. Die Bühne erkennt in ihnen nur noch Opfer, selbst da, wo sie als Täter antreten müßten. Zurecht sind wir und mit uns das Theater in diesem Punkt sensibler geworden. Mag das Theater dadurch auch an Menschlichkeit gewonnen haben, als Theater hat es dabei verloren - heute wie vor zweihundert Jahren. Hans-Peter 27

Krauß, a.a.O., S. 209. 23 Martin Esslin: Shylock im Hochkapitalismus, Laurence Olivier spielt im National Theatre. In: Theater heute, Juni 1970, S. 20.

Außenseiter auf der Bühne

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Bayerdörfer weist mit Recht darauf hin, daß vermutlich der geringe Erfolg der Uraufführung von Nathan dem Weisen durch die fehlenden Harlekinaden des Herrn Doebbelin bedingt sei; 29 entsprechendes ließe sich für das deutsche Debüt des Shylock durch Herrn Schröder sagen. Die Harlekinaden mögen aus legitimer Perspektive dem Theater nicht zur Ehre gereichen; sie gehören jedoch zu den Konditionen, unter denen es antritt.

29

Bayerdörfer, a.a.O., S. 94.

Gunnar Och

Lessings Lustspiel "Die Juden" im 18. Jahrhundert Rezeption und Reproduktion

Der erste Jahrgang der jüdischen Zeitschrift "Sulamith" aus dem Jahr 1806 enthält eine Miszelle mit dem Titel "Der mißverstandene Lessing". Darin ist von einer "herumreisendefn] Schauspielergesellschaft" die Rede, die einige Jahre zuvor "in einem Städtchen in Obersachsen" gastierte und von den jüdischen Einwohnern des Orts "auf alle nur mögliche Weise unterstützt" wurde. Weiter heißt es: Der Directeur der Truppe, gerührt von der Güte der größtenteils verkannten Israeliten beschloß, aus Dankbarkeit ein Stück aufführen zu lassen, in welchem Juden auf eine vorteilhafte Art geschildert werden: "Lessings Juden" stand auf dem Anschlagzettel und von allen Seiten erscholl der Ausruf: "die Juden, die Juden"; Christliche und jüdische Einwohner eilten die Treppe des Rathauses herauf, um - die Juden zu sehen. Gespannt war Aller Erwartung. Der Vorhang rollt in die Höhe, alles geht so ziemlich, mancher Zuschauer gähnt indessen laut, ob der Scenen, die er nicht verstand. Mit einem Male setzt der Voigt, welcher in dem Stücke vorkommt, das Zwerchfell vieler Anwesenden in wohlthätige Erschütterung. Er spielt seine Rolle mit Kraft und Wahrheit. Viele der anwesenden christlichen Zuschauer, die nicht wußten, daß der verewigte Lessing die rüden Ausdrücke, in welchen der Voigt gegen die Juden zu Felde zieht, einem gefährlichen Bösewicht in den Mund legt, diese guten Leute lachten recht herzlich und äusserten laut ihren innigsten Beifall.- Und die Juden daselbst? Je nun! - diese beschlossen fest - nie wieder ins Theater zu gehn, so lange diese inhumane Gesellschaft dort spielen würde. 1

Man mag den Wahrheitsgehalt dieser erheiternden Anekdote bezweifeln. Sie ist zu sehr auf die Pointe hin stilisiert, um ganz zu überzeugen. Und es irritiert auch, daß wir nichts darüber erfahren, wie das Ende des Lustspiels, das bekanntlich die jüdische Herkunft des edlen Reisenden enthüllt und damit die judenfeindlichen Ressentiments der übrigen dramatis personae endgültig ad absurdum führt, auf das hier versammelte Publikum, die christlichen und die jüdischen Zuschauer wirkte. Trotzdem meine ich, daß dieses Exempel scheitern1

Sulamith (1806: 252 f.).

Lessings Lustspiel "Die Juden" im 18. Jahrhundert

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der Aufklärung zumindest als Anstoß genutzt werden kann, ein häufig reproduziertes literarhistorisches Klischee kritisch zu hinterfragen. In älteren Studien, aber nicht nur in diesen, ist zu lesen, die Belletristik habe als "Vorkämpferin der Judenemanzipation" im 18. Jahrhundert erfolgreich gewirkt und zur Popularisierung des Toleranzgedankens erheblich beigetragen. Dabei wird auch immer wieder auf die zentrale Bedeutung der dramatischen Literatur und insbesondere auf die von Lessings "Juden" verwiesen. 2 Welche Version erweist sich nun der Sache angemessener, die optimistische Version der Sekundärliteratur oder die ernüchternde unserer Anekdote? Die vorliegende Studie zur Wirkungsgeschichte von Lessings Lustspiel im 18. Jahrhundert will diese Frage einer Lösung näherbringen. Drei Gegenstandsbereiche sollen untersucht werden: 1) zeitgenössische Rezensionen und Stellungnahmen 2) Dokumente, die Aufschlüsse über die Aufführungspraxis zu geben vermögen und schließlich 3) Bühnentexte mit jüdischen Figuren, die vor 1779, also vor dem "Nathan" erschienen sind - eine, wie es scheint, sinnvolle Eingrenzung, da sich in der Folgezeit beide Werke Lessings wirkungsgeschichtlich überlagern.

1 Der früheste Hinweis auf Lessings Komödie stellt eine Notiz in den "Jenaischen Gelehrten Zeitungen" vom 18. Oktober 1749 dar. Sie kündigt an, daß demnächst in Berlin "eine Sammlung lesenswürdiger Lustspiele" aus der Feder des "sinnreichen Herrn Lessing" erscheinen werde, darunter ein Stück "in einem Aufzuge" mit dem Titel "der Jude". 3 Bis zum tatsächlichen Erscheinen des Lustspiels im Jahr 1754 finden sich keine weiteren Mitteilungen mehr. Lessing selbst gibt an, er habe "Die Juden" 1749 verfertigt, 4 doch ist unklar, was mit dem Stück inzwischen geschah, ob es in der Schublade schlummerte, überarbeitet oder gar aufgeführt wurde. Wir besitzen allerdings ein Zeugnis, das darauf hinzudeuten scheint, daß Lessings "Juden" bereits vor ihrer Drucklegung rezipiert wurden. Es handelt sich dabei um eine anonyme Schrift 2

3 4

Vgl. Honigmann (1844); nach Wolff (1915: 33) haben die positiv gezeichneten Judenfiguren im Drama des 18. Jahrhunderts das Publikum "zur gerechteren Anschauung dem Juden gegenüber erzogen"; Jenzsch (1971: 46) nennt die Vermittlung des Toleranzgedankens einen "Bewußtmachungsprozess", an dem die jüdischen Bühnenfiguren maßgeblich beteiligt waren; und Guthke (1976: 125 u. 1977: 239) behauptet, daB "Die Juden" eine "aufrüttelnde Wirkung im literarischen Leben der Zeit" gehabt hatten. ZiL nach Braun (1884-1897:1, 3). Lessing (1886 ff.: 1, 373).

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aus dem Jahr 1753,5 die als erste deutsche Programmschrift zur Judenemanzipation bezeichnet werden kann.6 Kurz nach ihrem Erscheinen wurde diese Schrift von Lessing in der "Berlinischen privilegirten Zeitung" besprochen.7 Aufgrund des affirmativen Charakters der Rezension und anderer Indizien hat nun Jacob Toury eine enge persönliche Beziehung zwischen Rezensent und Autor vermutet und diesen dem Kreis um den jungen Lessing zugeordnet.8 Toury erörtert freilich nicht, ob das Lustspiel "Die Juden" einen direkten Einfluß auf den anonymen Verfasser ausgeübt haben könnte. Dabei gibt es in dessen Schrift zumindest eine Passage, die eine solche Annahme rechtfertigen könnte. An der betreffenden Stelle ist von der Verachtung die Rede, die die Christen den Juden entgegenbringen. Allein ihrer Religion wegen würden alle "für Missethäter" gehalten, "die unaufhörlich gestraffet zu werden verdienen". Die Empörung über dieses "Verfahren" artikuliert sich in anklagenden Worten, die einem fiktiven jüdischen Sprecher in den Mund gelegt und in direkter Rede wiedergegeben werden: Grausame Christen, höret auf uns zu verfolgen; wir sind euch wenig Danck schuldig, daß ihr uns das Leben schencket, da ihr uns die Mittel verwehret die das Leben erträglich machen. Könnet ihr verlangen, dass wir eine Religion lieben sollen, die euch allem Ansehen nach befiehlet uns zu hassen? Durch Wohlthaten bahnet man sich den Weg zu dem menschlichen Hertzen. Verwerfet unsere Irrthümer, aber verabscheuet nicht unsere Personen.'

Dieser Monolog, der auch durch eine eigene Drucktype vom übrigen Text abgehoben ist, erinnert bis hin zur Stilfigur der rhetorischen Frage sehr stark an die Auslassungen des Reisenden im 3. Auftritt von Lessings "Juden". Der Gauner Martin Krumm hat mit seiner Äußerung über 'die Juden' - "Es ist lauter gottloses diebisches Volk" - das Stichwort gegeben. Der Reisende steht nun allein auf der Bühne und reflektiert für sich und natürlich das hier direkt angesprochene Publikum das judenfeindliche Stereotyp. (Ich zitiere den Text aus naheliegenden Gründen nach der Ausgabe von

' 6 7 8 9

Schreiben eines Juden an einen Philosophen nebst der Antwort (Berlin 1753). Diese Ausgabe ist allerdings verschollen, erhalten hat sich nur eine zweite Auflage von 1759, aus deren Text Toury (1969) die Erstfassung zu rekonstruieren versucht hat Toury (1969: 256). Lessing (1886 ff.: 5,186 f.). Toury (1969: 264). ZiL nach Toury (1969: 276-279).

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1754, die an dieser Stelle von der uns vertrauten Fassung aus dem Jahr 1770 erheblich abweicht): Vielleicht ist dieser Kerl [sc. Martin Krumm] ein größrer Betrieger, als nie einer unter den Juden gewesen ist Wenn diese hintergehen so überlegt man nicht, daß sie die Quisten darzu gezwungen haben. Ich zweifle, ob sich einer von ihnen rühmen kann, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu seyn. Dieser thut aufs höchste nichts, als daß er ihnen gleiches mit gleichem zu vergelten sucht. Wenn zwey Nationen redlich miteinander umgehen sollen, so müssen beyde das ihre darzu beytragen. Wie aber, wenn es bey der einen ein Religionspunkt, und beynahe ein verdienstliches Werk wäre, die andere zu verfolgen? ^

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um philologische Quisquilien. Die erörterten Einflußfragen sind auch für die aktuelle Diskussion über Lessings Lustspiel von Interesse. Erst jüngst wurde ja eingewandt, Lessing habe gar nicht die generelle Gleichstellung der Juden gewollt, sondern allenfalls eine Individualemanzipation im Auge gehabt 1 1 Sollten nun "Die Juden", wie hier behauptet, tatsächlich jene Emanzipationsschrift beeinflußt haben, so wäre das ein Beweis fiir ihre politische Brisanz, dafür, daß sie durchaus sozialreformerisch gemeint waren und auch so verstanden wurden. Dieser Folgerung muß freilich gleich eine Einschränkung hinzugefügt werden. Denn soweit ich zu erkennen vermag - wird in der gesamten Debatte über die .Tudenemanzipation im 18. Jahrhundert auf Lessings "Juden" nicht mehr Bezug genommen, sieht man von einer eher beiläufigen Erwähnung in einem Zeitschriftenaufsatz aus dem Jahr 1778 ab, der einräumt, man werde "hier und da Originalien zu der Abschilderung in Herrn Lessings Comödie 'der Jude' [!] finden."^ Als Lessings Lustspiel im vierten Teil seiner Schriften 1754 dann erscheint, werden ihm zwei Rezensionen gewidmet: eine denkbar knappe und belanglose in den "Jenaischen Gelehrten Zeitungen" 13 und eine sehr gewichtige in den "Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen", die den Orientalisten und Theologen Johann David Michaelis zum Verfasser hat. Da diese Rezension hinlänglich bekannt ist, mag es genügen, wenn hier nur die wesentlichen Gesichtspunkte diskutiert werden. Michaelis läßt sich auf die moralisch-didaktische Konzeption des Lustspiels ein, dessen "Endzweck", nämlich die "Thorheit 10 11

13

Lessing (1886 ff.: 1,380). Mayer (1977,338). über die Juden.- In: Gelehrte Beyträge zu den Braunschweigischen Anzeigen, 1778.- Zit. nach Toury (1976: 33). Vgl. Braun (1884-1897:1,41).

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und Unbilligkeit" des Judenhasses zu erweisen, er scheinbar gutheißt 14 Zugleich bezweifelt er freilich auch, daß Lessing seine Absichten durchzusetzen vermöge, da die zentrale Figur seines Stücks, der "unbekannte Reisende", nicht überzeuge. Es sei allzu "unwahrscheinlich", heißt es, "daß unter einem Volcke von den Grund-Sätzen, Lebens-Art, und Erziehung [...] ein solches edles Gemüth sich gleichsam selbst bilden könne."15 Hans Mayer und Jürgen Stenzel haben dieser Kritik viel Verständnis entgegengebracht, da sie in ihr das eigene Unbehagen an der ästhetisch und ideologisch angeblich unbefriedigenden Figur des edlen Juden wiederzuerkennen glaubten.16 Beide übersahen aber m. E., daß die ästhetischen Einwände nur vorgeschoben sind und daß die eigentlichen Vorbehalte sich aus einer anderen, trüberen Quelle speisen. So werden massive Vorurteile spürbar, wenn Michaelis im Anschluß an das Zitierte die angebliche Neigung der Juden zum Betrug hervorhebt.17 Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu jenem düsteren Sittengemälde, das Michaelis später in der Dohm-Debatte entwerfen wird, um seine These von der Unverbesserlichkeit der jüdischen Minorität zu untermauern.18 Michaelis scheint im übrigen gespürt zu haben, daß sich Forderungen nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden aus der Moral von Lessings Lustspiel durchaus ableiten lassen. Wie sonst wäre er auf die absurde Idee verfallen, Lessing eine alternative Fabel zur Ausarbeitung anzudienen, in der die Auswirkungen des Glaubenshasses auch an verfolgten Christen zur Darstellung kommen sollten.19 Eine solche Verallgemeinerung hatte nun aber Lessing gerade nicht im Sinn gehabt. In seiner Erwiderung auf Michaelis betont er ausdrücklich, er habe die Juden nicht bloß als unterdrücktes Volk, sondern eben als Juden betrachtet wissen wollen.20 Zieht man ein Resümee, so gelangt man zu der Feststellung, daß der Göttinger Professor in seiner Rezension sich eben doch als das erweist, was er Hans Mayer zufolge gerade nicht ist, nämlich "ein Mann der Vorurteile und der pöbelhaften Kollektiv-Emotionen".21 Dieser Meinung war auch Moses Mendelssohn, der in einem von Lessing publizierten Brief an seinen jüdischen Freund Aaron Gumpertz seiner 14 15 16 17 18 19 20 21

ZiL nach Braun (1884-1897: 1,35). A.a.O., 36. Mayer (1977: 336 f.) u. Stenzel (1986:122). Braun (1884-1897:1,36). Abgedruckt bei Dohm (1973: 31-71). Braun (1884-1897: 1,36 f.). Ueber das Lustspiel die Juden.- In: Lessing (1886 ff.: 6,166). Mayer (1977: 336).

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Empörung über die Rezension Luft machte. Daß "das gemeine Volk der Christen" Juden von jeher als "Auswurf der Natur" behandelte, sei man ja gewohnt, aber von "gelehrten Leuten" erwarte er sich eine "billigere Beurtheilung".22 Mendelssohn betont im übrigen auch gegenüber Michaelis die Angemessenheit von Lessings dramaturgischen Mitteln. Der "unvermutete Charakter des Juden" könne durchaus eine "rührende Wirkung" auf die im Vorurteil befangenen Zuschauer ausüben.23 Jahrzehnte später wird Mendelssohn sich weit skeptischer über die Möglichkeit äußern, judenfeindliche Ressentiments mit literarischen Mitteln zu bekämpfen. So kommentiert er in der Vorrede zu "Manasseh Ben Israel Rettung der Juden" aus dem Jahr 1782 die Vergeblichkeit entsprechender Bemühungen mit dem bitteren Satz: "Graugewordenes Vorurtheil hat taube Ohren".24 Für Mendelssohn ist aber Lessings edler und gebildeter Jude offenbar nicht nur ein Demonstrationsobjekt zur Widerlegung judenfeindlicher Vorurteile, sondern eben auch eine Identifikationsfigur, in der er das eigene Ideal des weltlich gebildeten Juden verkörpert sieht. Sich selbst mit dem Reisenden zu vergleichen, ist Mendelssohn freilich zu bescheiden. In seinem Brief bezeichnet er stattdessen den Adressaten Gumpertz als denjenigen, der "die Rolle des Juden im Schauspiel übernommen" hätte, falls er auf einer "gelehrten Reise" in dessen "Umstände gesetzt worden" wäre.25 Lessing, der Herausgeber des Briefs, geht einen Schritt weiter. Er sieht in "beide[n] Korrespondenten" lebendige Beweise für die Glaubwürdigkeit einer tugendhaften und gebildeten jüdischen Dramenfigur.26 Daß Lessings Lustspiel innerhalb des deutschen Judentums affirmativ rezipiert wurde, belegt im übrigen auch eine Theaterkritik des MendelssohnSchülers Marcus Herz aus dem Jahr 1771. Herz attackiert darin eine andere jüdische Bühnenfigur der Zeit, die er als bloße Karikatur empfindet, den Juden Pinkus aus den "Abgedankten Offiziers" Stephanies des Jüngeren. Als positives Gegenbild zu dieser Figur fungiert Lessings Reisender, der mit emphatischen Worten beschrieben wird. Dabei ist es sicher kein Zufall, wenn Herz eigens hervorhebt, daß der edle Jude "auf seiner Reise einen Mantelsack mit 22 23 24

25 26

Lessing (1886 ff.: 6,162 f.). A.a.O., 164. Manasseh Ben Israel Rettung der Juden. Aus dem Englischen übersetzt Nebst einer Vorrede von Moses Mendelssohn.- In: Mendelssohn (1972 ff.: 8,10). Lessing (1886 ff.: 6,165). A.a.O., 166.

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Büchern bey sich trägt".27 Denn diese "Reisebibliothek" enthält ja, wie wir aus Lessings Lustspiel wissen, nicht etwa religiöses Schrifttum, sondern ausschließlich moderne Belletristik28 und kann mithin jene säkulare Bildung symbolisieren, die Marcus Herz selbst und viele seiner jüdischen Generationsgenossen zu erwerben trachteten.29 Eine weitere, ablehnende Stimme darf hier nicht fehlen. Als sich 1767 eine Sammlung deutscher Dichtungen in Vorbereitung befand, wurde der Wunsch geäußert, man möge Lessings "Juden" "aus diesem Werk, dessen Grundlage die Ehre unserer Nation sein soll, herauswerfen."30 Dieses merkwürdige Ansinnen verrät tiefverwurzelte Ressentiments und zeigt, daß Michaelis' Vorbehalte Lessings Lustspiel gegenüber auch von anderen Zeitgenossen geteilt wurden.

n Dank der von Ursula Schulz erstellten Chronik sind wir über die Aufführungsfrequenz Lessingscher Dramen in der Zeit zwischen 1748 und 1789 relativ gut instruiert. Für das Lustspiel "Die Juden" verzeichnet Schulz genau 70 Einzelaufführungen an 31 verschiedenen Orten. 31 Die meisten Aufführungen fallen in die 70er Jahre, die früheste datiert 1766. Unter den Spielorten dominieren die norddeutschen und mitteldeutschen Städte, doch sind auch die süddeutschen relativ zahlreich vertreten, neben so exotisch anmutenden wie Den Haag, Warschau und sogar Petersburg. Diese dürren Fakten lassen zunächst nur den Schluß zu, daß Lessings Lustspiel kein unpopuläres Stück gewesen ist und, gemessen an anderen bedeutenden Dramen der Zeit, relativ häufig aufge27 28 29

30 31

Herz (1771: 22); vgl. hierzu auch Och (1988) mit dem vollständigen Text dieser Theaterkritik und ausführlichem Kommentar. Lessing (1886 ff.: 1, 392). In den hier thematisierten Kontext jüdischer Lessing-Rezeption gehört auch ein Brief an Lessing, in dem Johann Gottfried Kirsch anläßlich eines Leipziger Theaterbesuchs im Jahr 1767 folgendes berichtet: "Gleich bey meiner Ankunft im [Theater] [...] finde ich eine ganze Bank voller Juden; Ha! dachte ich, ohnfehlbar wird heut ein Stück vom Herrn Lessing gemacht" [Lessing (1886 ff.: 19, 232)]. Worauf die ganz selbstverständlich angenommene Affinität des jüdischen Theaterpublikums Lessings Werk gegenüber beruht, erfahren wir nicht Doch kann als Grund der Wertschätzung zu dieser Zeit, also zwölf Jahre vor dem Erscheinen des "Nathan", eigentlich nur das Lustspiel "Die Juden" genannt werden. Briefe über die Merkwürdigkeiten der Literatur.- Zit nach Bamer (1983: 205). Schulz (1977:181 f.).

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führt wurde.32 Weitere Informationen versprachen die Fundstellen, die Schulz zu jedem Datum gewissenhaft verzeichnet Doch erwies sich auch die Auswertung dieser Quellen - Theateralmanache und -Zeitschriften, lokale Theatergeschichten, Theaterzettel - als nicht sehr ergiebig. Denn meist wird nur die Schauspieltruppe genannt, Angaben über die Besetzung oder gar Kritiken sind so gut wie gar nicht zu finden. In einzelnen Fällen kann man freilich immerhin die Stücke ermitteln, mit denen "Die Juden", die als Einakter natürlich nicht abendfüllend waren, gemeinsam aufgeführt wurden. Prominente Beispiele sind Goethes "Clavigo"33 und sein Singspiel "Erwin und Elmire",34 doch überwiegen mediokre Texte. So brachte z. B. Döbbelin in Braunschweig Lessings Lustspiel einmal zusammen mit der komischen Operette "Das Milchmädchen" auf die Bühne,35 ein anderes Mal mit der Hamburger Lokalposse "Der Bookesbeutel", wobei der Theaterzettel nicht zu erwähnen vergaß, daß die "Rolle des Grobians" in diesem Stück "zu unserer Belustigung [...] in Niedersächsischer Sprache gespielt" wird. 36 Angesichts solch aparter Kombinationen stellt sich natürlich die Frage, ob "Die Juden" tatsächlich ihres aufklärerischen Anspruchs wegen gespielt wurden, oder ob nicht oft andere, mehr formale Gründe, wie etwa die angenehme Kürze des Stücks, ausschlaggebend waren. Glücklicherweise läßt sich über die erste nachweisbare Aufführung von Lessings "Juden", ihre Präsentation durch den Wiener Impresario Joseph KurzBernardon 1766 in Nürnberg, mehr in Erfahrung bringen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die die einzelnen Stücke nicht nur anzeigenden, sondern meist auch kommentierenden Theaterzettel zum Nürnberger Gastspiel der Kurzschen Truppe vollständig erhalten sind. Gleich zu Beginn der Spielzeit wird das zu erwartende Repertoire in einem Anschlag vorgestellt, wobei neben neuen komischen Opern und "pantomimischen Vorstellungen" auch "regelmässigen Trauer- und Lustspielef]" mit der Begründung versprochen werden, daß "der vornehmste Endzweck der gereinigten Schaubühne [...] die 32

33

34

35 36

Daher irrt Christian Heinrich Schmid, wenn er 177S urteilt, Lessings Lustspiel sei wegen "seines sonderbaren Inhalts [...] sehr selten, und so viel ich weiß, nur von Döbbelin aufgeführt worden." Zit. nach Braun (1884- 1897:1, 5). Abraham Kästner berichtet Friedrich Nicolai Ende Februar 1777 aus Göttingen: "Von hier habe ich nichts zu berichten, als daß zwey Gesellschaften Studirender hie Schauspiele aufgeführt haben. Die eine den Clavigo und die Juden." Zit. nach: Kästner (1912:112). Aufführung am 13. 9. 1775 in Frankfurt durch die "Chur-Pfälzisehen Hofschauspieler des Herrn Marchand"; vgl. Mentzel (1899,176), wo auch der Theaterzettel abgebildet ist. Aufführung vom 26.3.1772; vgl. Döbbelin. Aufführung vom 12.12.1771; vgl. a.a.O.

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Verbesserung der Sitten" sei.37 Diese Ankündigung überrascht, da Kurz als Vertreter eines rein burlesken Theaters und Schöpfer der mehr oder minder extemporierten Bernardoniade bekannt ist 3 8 Doch die Kampagne zur 'Reinigung der Schaubühne', die in diversen Verboten des extemporierten Spiels ihren Niederschlag fand, hatte auch Kurz nicht verschont. Um sich behaupten zu können, nahm er regelmäßige Dramen in sein Repertoire auf. Man darf freilich davon ausgehen, daß dies ohne innere Überzeugung geschah. Denn "dem spätbarocken Universaltheatraliker" mußte, wie Ulf Birbaumer betont, "das aufklärerische, 'regelmäßige' Stück zeitlebens fremd bleiben".39 Aus dieser Perspektive stellt sich nun auch die Kurzsche Aufführung von Lessings "Juden" als Ergebnis eines Kompromisses zwischen regelmäßigem und unregelmäßigem Theater dar. Das Lustspiel wird am 4. September zusammen mit einer komischen Oper präsentiert, deren Titel - "Insul der Wilden, oder: Die wankelmüthige Insulanerin. Mit Arlequin dem durch Zauberey zum Abgott Ram gemachten König der Insul Tschalalai" - schon eine phantastische Handlung ankündigt. Der Theaterzettel tut ein übriges, diesen Eindruck zu verstärken. Er verspricht Pomp und Spektakel, "künstliche Maschinen, Pantomime, [...] Arien und Ballet". Der Kommentar zu Lessings "Juden" fällt dagegen eher nüchtern aus. Er weist fast warnend darauf hin, daß "lauter Charaktere", also keine extemporierten Rollen, und "eine vollkommene regelmäßige Ausarbeitung" zu erwarten seien. Zur Tendenz des Werks findet sich kein Wort. Es wird nur angemerkt, man möge "die Juden [...] nicht mit der von uns bereits etlichemal vorgestellten Juden-Hochzeit [...] vermischen."40 Diese "Judenhochzeit" ist ein komisches Singspiel, das Kurz wohl selbst aus älteren Stoffen und Vorlagen entwickelte und das nachweislich seit Beginn der 40er Jahre ein fester Bestandteil seines Repertoires war. Der Text selbst existiert in zwei Versionen, in einer früheren fragmentarischen Fassung aus der handschriftlichen Sammlung "Teutscher Arien" der Wiener Staatsbibliothek,41 und in einer erheblich davon abweichenden vollständigen Druckfassung von 1771,42 die dem Kommentar der Theaterzettel zufolge 43 dem Text der Nüm37 38 39 40 41 42 43

Ankündigung vom 9. 6.1766; Kurz I. Vgl. Raab (1899) u. Birbaumer (1971). Birbaumer (1971: 4). Theaterzettel (s.Abb.), Kurz II. Vgl. Pirker (1927-1929: 2,217-219). Kurz (1771). Vgl. die Theaterzettel vom 26. 6. u. 1. 7.1766, Kurz II.

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berger Aufführungen weitgehend entsprechen dürfte. Im Mittelpunkt der possenhaften Handlung steht ein von Kurz-Bernardon selbst gespielter "Raby", der so gründlich hinters Licht geführt wird, daß er die eigene Braut Rachel mit deren wahrem Geliebten Daniel verheiratet. Dabei ist das burleske und mimische Element in einer für Kurz typischen Weise stark akzentuiert. Maskerade, Prügelszenen und Tanzeinlagen folgen rasch aufeinander. Das jüdische Milieu wird spärlich charakterisiert. Einige typische Hochzeitsgebräuche werden zitiert, und die Trauung selbst wird in die "Judenschule" verlegt, wo "das Lauberfest" stattfindet.44 Der Nürnberger Theaterzettel hebt zudem die sprachliche Eigenart hervor. "Die meisten Arien", heißt es, "sind jüdisch". Offenbar sollte zu parodistischen Zwecken das sog. Judendeutsch nachgeahmt werden, was freilich zumindest im Text der Druckfassung mehr schlecht als recht gelang. Denn die Anleihen beschränken sich hier auf einige hebräische und jiddische Vokabeln. Der Nürnberger Theaterzettel enthält im übrigen auch eine Aussage zur Tendenz des Stücks. Es wird ausdrücklich betont, daß "darinnen nichts Nachtheiliges wider die Judenschaft enthalten" sei. Tatsächlich darf die Posse nicht als judenfeindlich bezeichnet werden, da antisemitische Klischees und Stereotype gänzlich fehlen. Sie ist allerdings einer älteren, voraufklärerischen Tradition verpflichtet, in der der Jude ausschließlich als komische und verlachenswerte Figur erscheint. Die Schlußfolgerung aus all dem kann nur lauten, daß die Aufführung von Lessings "Juden" an einem Ort, der selbst keine jüdischen Einwohner duldete,45 nicht als eine kühne aufklärerische Tat, sondern eher als Verlegenheitslösung zu verstehen ist.

m Zwischen 1754 und 1778 lassen sich neben Lessings "Juden" 20 weitere deutsche Originalstücke mit jüdischen Bühnenfiguren nachweisen46 - eine doch recht hohe Zahl angesichts des noch immer nicht allzu umfangreichen deutschen Gesamtrepertoires. Daß viele dieser Stücke auch regelmäßig gespielt wurden, zeigt eine Übersicht, die der Gothaer "Theater-Kalender" 1777 veröffentlicht hat. In diesem "Verzeichniß der bey vierzehn deutschen Bühnen im 44 45 46

Kurz (1771:15). Vgl. Müller (1968). Vgl. die unter Punkt 2 des Literaturverzeichnisses genannten Titel.

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Jahre 1776 gegebenen Vorstellungen"47 finden wir von unseren 21 Titeln immerhin 11 wieder, wobei einige auch durch mehrere Gesellschaften aufgeführt wurden. 'Spitzenreiter' ist die schon erwähnte und von Marcus Herz heftig kritisierte Komödie "Die abgedankten Offiziers", die im Repertoire von gleich vier Theatertruppen auftaucht. 48 Nach welchen Kriterien können nun diese Stücke selbst und die in ihnen begegnenden jüdischen Bühnenfiguren klassifiziert werden? Helmut Jenzsch hat versucht, nach ethischen Qualitäten zu sortieren und "edle, gute, ehrliche und unehrliche" Juden zu unterscheiden.49 Dieser Versuch vermag freilich nicht zu überzeugen, da das moralische Verhalten der betreffenden Figuren ja selbst nur ein sekundäres Element ist, das allein über die Tendenz des jeweiligen Stücks wenig aussagt. Es soll daher auch ein anderer Weg eingeschlagen und eine Klassifikation versucht werden, die sich an der dramatischen Gesamtkonzeption und an der Funktion der jüdischen Figur in dieser Konzeption orientiert. Danach lassen sich nun im wesentlichen drei Typen unterscheiden.50 Den ersten Typus repräsentieren Bühnentexte, die sich dem neuen Postulat der Sittenreinheit und Regelmäßigkeit zumindest partiell widersetzen. In ihnen werden gemäß einer alten, aber offenbar sehr vitalen Tradition Juden als rein komische, verlachenswerte Personen dargestellt und durch Imitation des sog. Jargons parodistische Effekte angestrebt. Die komisierende Tendenz kann sich dabei durchaus mit einer judenfeindlichen Stereotypik verknüpfen, doch muß dies nicht so sein. Wirkungsgeschichtliche Spuren von Lessings "Juden" wird man in solchen Texten jedenfalls vergeblich suchen. Beispiele für diesen Typus finden sich zunächst im Genre des Singspiels. Bereits vorgestellt wurde die "Judenhochzeit" des Kurz-Bernardon. Man kann aber auch auf Gotters sehr populäres Singspiel "Der Jahrmarkt" verweisen, in dem der Trödler Nathan, dessen Part, wie es heißt, "nach Belieben in jüdischer Mundart gesprochen 47 48

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Reichard (1776: 258-266); vgl. hierzu auch Guthke (1975). Genannt werden: "Abgedankten Officiers" [= Stephanie d. J. (1774 a)]; "Adeliche Tagelöhner" [= Nesselrode (1774)]; "Eigensinnige" [= Stephanie d. J. (1774 b)]; "Haußplage" [= Pelzel (1770)]; "Heyrath wider die Mode" [= Klemm (1768)]; "Jahrmarkt" [= Gotter (1779)]; "Juden" [= Lessing, Die Juden]; "Redliche Bauer" [= Pauersbach (1774)]; "Reue nach der That" [= Wagner (1775)]; "Sie lebt in der Einbildung" [= Stephanie d. J. (1780)]; "Trentleva" [= Heydevogel (1774)]. Jenzsch (1971:116-126). Wenn einige der in der Bibliographie genannten Stücke einem bestimmten Typus nicht eindeutig zugeordnet werden können, so liegt dies daran, daß den Judenrollen in ihnen nur eine marginale Bedeutung zukommt.

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werden" kann, als Dieb entlarvt und unter Prügeln zu dem typischen "Auweih'-Geschrei veranlaßt wird, das die Feigheit des Juden dokumentieren und das Publikum zum Lachen anreizen soll. 51 Dem Typus gehören weiter zwei der drei in unserem Spektrum vertretenen Sturm-und-Drang-Dramen an, Lenzens "Soldaten" und Müllers Faust-Drama, die beide 'mauschelnde', d. h. stark Jargon sprechende Juden präsentieren. Bei Lenzens Juden Aaron wirkt vor allem die übertriebene Furchtsamkeit komisch, 52 bei Müllers Schacherjuden Mauschel (!), Itzick und Schummel (!) die beredte Klage um das verlorene Geld. 53 Schließlich sind auch die sog. Judenballette, die sich als Texte zwar nicht erhalten haben, aber nach dem Zeugnis der Theaterzettel häufig als komisches Nachspiel gegeben wurden, dem burlesken Typus zuzurechnen.54 Die im Bereich der niederen Burleske beheimatete jüdische Bühnenfigur wurde als eigenes Rollenfach verstanden. In fast jeder Schauspielergesellschaft der Zeit fmdet sich ein Darsteller, der auf tomische Alte, Bediente und Juden' festgelegt war.55 Dabei scheinen die Anforderungen, welche an dieses Fach gestellt wurden, nicht eben hoch gewesen zu sein, wie eine Bemerkung über einen gewissen Jonathan Dittmarsch in Peibas "Gallerie von Teutschen Schau51 52 53

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Gott» (1778: 52 f.). Lenz (1967: 209 f.). Müller (1881: 27). Daß die Stürmer und Dränger trotz ihrer ausgeprägten Sensibilität für soziale Probleme über das klischierte Bild des komischen Juden nicht hinausgelangen, zeigt auch eine Auslassung Wilhelm Heinses über Lessings "Juden". Heinse beklagt zunächst ästhetisch-formale Mängel des Stücks (und nimmt damit bereits die moderne Kritik an der unrealistischen Figur des edlen Juden, wie sie von Mayer und Stenzel formuliert wurde, vorweg): "Eine ziemlich plumpe Vertheidigung derselben [sc. der Juden], Es ist eben ein Jude aufgestellt, der gar nichts jüdisches hat; [...] Die Juden können durch Lage und Umgang nichts anders seyn, als was sie sind. Wenn ich einem Ideal von vortrefflichen Menschen den Namen Jude beylege: so habe ich dadurch die gewöhnlichen Fehler und Laster der Juden so wenig vertheidigt als geschildert." Statt nun aber eine realistisch konzipierte und an den bedrückenden sozialen Gegebenheiten orientierte jüdische Bühnenfigur zu postulieren, stellt Heinse lapidar fest: "Man muß sie auch in Komödien nur brauchen, wozu sie in der Wirklichkeit gut sind." Heinse (1924: 386). Beispiele aus dem Nürnberger Repertoire der Moserschen Schauspieltruppe: 12. u. 15. 8. 1776: "ein neues mit guter Musik und Auszierungen der Schaubühne versehenes Ballet, betitelt Die Portugisische Juden-Hochzeit"; 29. 8. 1776: Ballett "Der neugierige Judenbräutigam"; 23. 1. 1777: Ballett "Die Juden-Hochzeit"; 24. 4. u. 1722. 5. 1777: "Pantomimisches Balett, betitelt: Die Zuckersiederey in Madera, einer der Canarischen Inseln, oder: Der fireygebige Jude" (Vgl. Moser). Für Hamburg vgl. Schütze (1975: 377), der darüber klagt, daß Seyler 1770 glaubte, "Ballette (oder eigentlich Tänze und Sprünge,) von Juden, Bauten und Scherenschleifern geben zu müssen".- Weitere Beispiele für den burlesken Typus liefern: Klemm (1768) u. Heydevogel (1773). Vgl. Diebold (1913:129-131).

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Spielern" zeigt: "Als Jude, trokner Bedienter und Wirth ist er ein leidlicher Schauspieler, weiter aber mus er sich nicht versteigen."56 Eine Diskussion der komplizierten Zusammenhänge zwischen Rollenfach Jude, komischer Judenfigur und Hanswurst kann hier leider nicht erfolgen. Es muß aber zumindest darauf hingewiesen werden, daß die, im übrigen auch schon von Zeitgenossen vertretene These Elisabeth Frenzeis, wonach der komische Jude an die Stelle des von der Bühne verbannten Hanswursts getreten sei, 57 zu differenzieren ist, da sich schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts komische Judenrollen nachweisen lassen und vor allem auf der Wiener Bühne Hanswurst in der Maske des Juden wiederholt begegnet.5" Der zweite Typus von Bühnentexten folgt konzeptionell der moralisch-didaktischen Intention von Lessings "Juden" und stellt die jüdische Figur, die sich von einem Objekt der Komik zu einem seriösen und hochdeutsch sprechenden Charakter gewandelt hat, ganz in den Dienst der Vorurteilskritik. Von einem Typus darf strenggenommen freilich gar nicht gesprochen werden, da nur ein einziges Stück die genannten Bedingungen erfüllt. 59 Es handelt sich hierbei um das zu Unrecht vergessene Lustspiel "Der redliche Bauer und groß müthige Jud" des österreichischen Dramatikers Joseph von Pauersbach aus dem Jahr 1774. 60 Pauersbach hat die Fabel nach einer Erzählung aus dem

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Peiba (1910: 37). Daß Lessings Reisender kein Metier für solche Chargen, sondern ein Part für Charakterdarsteller war, laßt sich ebenfalls mit dieser Quelle belegen. Peiba berichtet über Gottlieb Ludwig Hempel, der "für alle zärtlichen, sanften und duldenden Karakter" prädestiniert sei: "Sein Theophan in Lessings Freigeist, und sein Reisender in Lessings Juden, sind vortrefliche Rollen von ihm. Hier hat sein Gesicht ganz den liebenswürdigen, ofnen Ausdrude, den diese beiden Karaktere erfodem; und sein Ton der nachgebenden Güte, der Toleranz, und der edlen Beschämung, der diese beiden Rollen karakterisierL" A.a.O., 207 f.. Marcus Herz zieht eine Parallele zwischen dem früheren "Possenreißer in der bunten Jacke" und burlesk-komischen Figuren in den neueren Lustspielen, zu denen er ausdrücklich den Juden Pinkus aus Stephanies "Abgedankten Offiziers" rechnet. Herz (1771: 25 f.) bzw. Frenzel (1940: 32). Belege bei Piiker (1927-1929: 53) u. Asper (1980: 53-58), der für die noch unedierten Bde. 3 u. 4 der Wiener Arien-Sammlung ein Verzeichnis der von Hanswurst gespielten Rollen liefert. Bei Pelzel (1770) findet sich zwar ein moralisch-didaktisches Gespräch über die Haltlosigkeit judenfeindlicher Vorurteile, doch fehlt dieser Szene die Bindung an die übrige Handlung. Und bei Stephanie d. J. (1775) erscheint der durchweg positiv gezeichnete, hochdeutsch sprechende Jude Isack schon deshalb als unglaubwürdiges Klischee, weil er ständig selbst seine Ehrlichkeit beteuern muß. Pauersbach (1774). Zu Pauersbach (1737-?) vgl. Kosch 11, 954.

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"London Magazine" gebildet,61 doch stammt die Ausrichtung auf die jüdische Thematik von ihm selbst. Der alte und wohlhabende Jude Moses Mellheim verunglückt auf einer Landstraße. Er wird durch den Bauern Michel gerettet, dessen ganzer Wohlstand sich auf einen Jahre zurückliegenden Geldfund gründet. Als sich herausstellt, daß Mellheim dieses Geld gehört, ist Michel sofort bereit, seinen Besitz abzutreten. In einer Gerichtsverhandlung werden die Ansprüche des Juden anerkannt, doch verzichtet dieser zugunsten von Michels Tochter, welche mit Mellheims (christlichem) Buchhalter die Ehe eingeht. Diese "seltene Großmuth",62 die Ausdruck eines edlen Charakters ist, dient ganz nach dem Vorbild Lessings zur Widerlegung der zuvor geäußerten judenfeindlichen Ressentiments. Die "Sprache der Verachtung"63 wird vom Amtsschreiber Griffel und dem Knecht Nickel im Munde geführt, sowie von Michels Sohn, der freilich selbst nur unschuldiges Opfer ist. Denn der Schulmeister hat dem Knaben eingetrichtert, daß die Juden "nur auf der Welt wären, um die Christen zu betrügen; - Daß sie uns alle verfluchten; - nichts als Brünne vergifteten; - Daß sie oft uns Christenkinder wegstehlten, und hernach entsetzlich z'todt marterten" und es daher erlaubt sei, ihnen "allen Schabernack anzuthun".64 Auch hier läßt sich natürlich eine Parallele zu Lessing ziehen. Denn als Vermittler judenfeindlicher Klischees hat der Schulmeister eben jene Funktion übernommen, die in den "Juden" der Pfarrer ausübt, auf den sich Martin Krumm beruft.65 Was an dem Stück besonders beeindruckt, ist die Genauigkeit, mit der das dörfliche Milieu porträtiert wird. Die Figuren sind sozialtypische Charaktere, deren Sprache, von dem hochdeutsch sprechenden Mellheim und dessen Sekretär abgesehen, "dem Orte gemäß", wie es in der Vorrede heißt, 66 das Gepräge der österreichischen Mundart trägt. Realistisch wirkt zudem das erwähnte Gerichtsverfahren, dessen Verlauf Pauersbach minutiös schildert. Dabei gelingen auch parodistische Effekte, die schon deshalb bemerkenswert sind, da ja in 'Problemkomödien' die Komik unter dem Ernst des Anliegens häufig leidet. Daß die großmütige Tat des Juden mit einem Gerichtsprozeß verknüpft wird, dürfte im übrigen auch als literarische Reminiszenz zu verste61 62 63 64 65 66

The rural probity.- In: London Magazine (1773: 388-391). Pauersbach (1774:109). A.a.O., 93. A.a.O., 13. Lessing (1886 ff.: 1,379). Pauersbach (1774:1).

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hen sein, als Kontrafaktur nämlich zur Gerichtsszene in Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Der dritte Typus ist eine merkwürdige, aber sehr interessante Mischform. Er wird von Dramen repräsentiert, in denen Elemente des seriösen und aufgeklärten Judenbildes mehr oder minder unvermittelt neben solchen der komischen Rollentradition stehen. Motivparallelen zu Lessings "Juden" wird man auch hier nicht selten finden, doch können diese Texte den Anspruch, Judenhaß zu bekämpfen, nicht glaubhaft vertreten. Als Beispiel sei hier das Lustspiel "Der neue Weiberfeind und die schöne Jüdinn" von Stephanie d. Ä. aus dem Jahr 1773 vorgestellt.67 Im Mittelpunkt der Handlung steht ein reicher Graf, der sich in eine schöne und geistreiche Fremde verliebt. Die Fremde erwidert diese Neigung und gibt sich schließlich als Jüdin zu erkennen. Eine Heirat zwischen beiden scheitert, weil Esther - so der Name der Jüdin - sich weigert zu konvertieren. Die Nähe dieser Fabel zu Lessings "Juden" ist evident und erweist sich auch an einer weiteren Figur, an Esthers jüdischem Verlobten, der als Lebensretter des Grafen Züge des Reisenden trägt. Ebenso deutlich sind aber auch die Differenzen. Einer der wesentlichen Unterschiede betrifft das Enthüllungsmotiv. Bei Lessing dient es dazu, bestehende Vorurteile schockartig zu widerlegen. Bei Stephanie kann es diese Funktion nicht erfüllen, da zum einen die Zuschauer die jüdische Herkunft der Protagonistin längst kennen und zum anderen judenfeindliche Ressentiments gar nicht artikuliert werden. Der einzige Effekt, der erzielt wird, ist mithin die erotische Enttäuschung des Grafen. Am deutlichsten zeigt sich freilich die konzeptionelle Differenz beider Stücke im personellen Bereich. Mit Rachel, Esthers Dienerin, führt Stephanie eine Figur ein, die sich durch ihren stark jiddisch gefärbten Sprachgestus von den übrigen, hochdeutsch sprechenden Juden absetzt Helmut Jenzsch hat diese Aufspaltung des jüdischen Personals als Thematisierung des Bildungsgegensatzes gedeutet, der durch Assimilationsbestrebungen innerhalb des Judentums aufgebrochen sei. 68 Diese Interpretation tut freilich Stephanie zu viel Ehre an. Denn mit der Jargon sprechenden Dienerin wollte er ganz offensichtlich nur komische Effekte erzielen. Das wird besonders deutlich in jener Szene, in der Rachel ihrer Herrin beweisen will, daß sie durchaus in der Lage sei "doos klore Teutsch" zu reden, dann aber 67

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Stephanie d. Ä. (1773); zu Stephanie d. Ä. (1733 oder 1734-1798) vgl. ADB 36 (1893: 96f.). Jenzsch (1971:157).

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bei entsprechenden Versuchen jämmerlich entgleist. 69 Um der Komik willen muß schließlich sogar Esther Jargon sprechen. Weil sich das aber mit ihrer Rolle nicht verträgt, läßt Stephanie sie kurzerhand auf einer Redoute eine "Judenbraut" spielen 70 - eine Maske, die offenbar durch Kurz-Bernardons "Judenhochzeit", also ein Stück der burlesken Tradition, angeregt wurde. 71 Eine plausible Erklärung für diese merkwürdige Stilmischung liefert der theatergeschichtliche Kontext Als Schauspieler, Regisseur und Dramatiker war Stephanie zusammen mit seinem jüngeren Bruder maßgeblich an jenem Kampf beteiligt, den Joseph von Sonnenfels gegen das Stegreifspiel auf der Wiener Bühne führte. 72 Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß er das Publikum mit dem neuen regelmäßigen Theater versöhnen wollte und deshalb Elemente der burlesken Tradition integrierte. Sein Bruder, Stephanie der Jüngere, war ihm mit einem ähnlich konzipierten Stück bereits vorausgegangen, dem schon mehrfach erwähnten Lustspiel "Die abgedankten Offiziers", das nach dem Urteil der Zeitgenossen vor allem seiner Judenrolle wegen Erfolg hatte. Als das Stück in Berlin von der Kochschen Truppe aufgeführt wurde, schrieb Karl Lessing an seinen Bruder: "Es ist eine plumpe Nachahmung der Minna, oder, wie Nicolai sagt, ein Ragout von Tausenderley, das zu weiter nichts taugt, und von der Brühe dem Prager Juden nehmlich, schmackhaft gemacht wird". 73 Ähnlich urteilte der Theaterkritiker Christian Heinrich Schmid, der "in Rücksicht auf den Geschmack der deutschen Parterrs" den Juden Pinkus den "Stückhalter" nennt. Der allerdings völlig unreflektierten Rezension läßt sich zudem entnehmen, daß auch diese Judenrolle 'doppelt besetzt' ist und ohne Rücksicht auf Psychologie und Wahrscheinlichkeit zwei Tendenzen zugleich huldigt:

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A.a.O., 95-97. A.a.O., 15 ff. Ein gutes Beispiel für diesen Mischtypus liefert auch Nesselrodes "Der adliche Tagelöhner", wo mit dem "Packjuden Isak" eine Figur auftritt, der laut "Vorbericht" zugleich eine moralisierende und eine koalisierende Funktion zugedacht wird: "Hier möchte man mir vielleicht verweisen, warum ich denn eben einen Juden zum Beyspiele guter Handlung gesetzt habe? Ich habe es darum gethan, um zu zeigen, daß man in jeder Religion ein ehrlicher Mann seyn könne; übrigens aber kann bey Mangel eines ludens dieser Charakter auch als ein armer Bettler vorgestellt werden, ist er alsdann gleich weniger unterhaltend und lächerlich". Nesselrode (1774: 15 f.). Weitere Beispiele liefern Boogers (1774) u. Stephanie d. J. (1774 b). Vgl. Gömer (1884) u. Haider-Pregler (1988). Brief vom 22.6.1771, Lessing (1886 ff.: 20, 53).

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Die Manieren, die Sprache, der Accent, welche im gemeinen Leben für den rohen Haufen ein so reicher Stof des Scherzes sind, die müssen auch auf der Bühne belustigen, zumal wenn sie so vortreflich kopirt sind wie hier. [...] Der Jude ist Jude, das heißt er läßt sich nicht gern seinen Schacher entgehn; er mahnt um das, was man ihm schuldig ist; aber unstreitig schwebte dem Verfasser die Absicht von Leßings Lustspiele die Juden vor Augen, und er wollte nicht, daß die Zuschauer den verachten sollten, über den sie lachen mußten. 7 4

Das Fazit dieser Studie ist rasch gezogen und kann sowohl in einer negativen als auch in einer positiven Version formuliert werden. Die negative Version lautet, daß, mißt man Lessings "Juden" an ihrem Anspruch, die Geschichte ihrer Rezeption im 18. Jahrhundert weit eher die Geschichte eines Mißerfolges als die eines Erfolges ist. Dieser Befund kann freilich auch, positiv gewendet, als Beleg für die Ausnahmestellung und den Rang des Werks herangezogen werden und damit Gabriel Riesser bestätigen, der noch im Jahre 1838 Lessings Lustspiel "eine Satire auf den Judenhaß" nannte, "die an Bitterkeit seitdem nicht übertroffen" wurde.75

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Schmid(1981: 167). Riesser (1868: 23 f.).

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalien Döbbelin: Abschrift der Theaterzettel der Döbbelinscben Gesellschaft vom 12. Dezember 1771 u. 26. März 1772.- O.O..- Stadtarchiv Braunschweig, Theaterzettelsammlung. Kurz I: Theaterzettel der Gesellschaft deutscher Schauspieler unter Joseph von Kurz vom 11. Juni bis 2. Oktober 1766, Opernhaus, nebst der Ankündigung der Gesellschaft (von I. B. Grimberg).- Nürnberg, 45 Bl.- Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Kurz II: Theaterzettel der Josef v. Kurz'schen Gesellschaft deutscher Schauspieler, Juni-Okt. 1776, Fechthaus.- Nürnberg Bl. 2, 3, 5-49.- Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 1305 u. WiU VIII. 570 c. Moser Theaterzettel der Franz Moser'schen Schauspielergesellschaft, 9.4.- 30.12.1776; 2.1.8.9.1777.- Nürnberg, 7 Bl..- Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 1306 u. WiU VIÜ. 570 e.

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N[esselrode] z[u] H[ugenboett, F. G.] F[reiberr] v[on] (1774): Deradliche Tagelöhner. Ein Schauspiel in drey Aufzügen - Frankfurt am Mayn: Eichenbergische Erben. [Pauersbach, Josef von] (1774): Der redliche Bauer, und groß müthige Jud, oder der glückliche Jahrtag. Ein Lustspiel in drey Aufzügen.- In: Neue Schauspiele. Aufgeführt in den kais. königl. Theatern zu Wien Bd. 10.- Preßburg, Leipzig: Anton Löwe. Pelzel, Joseph [Bernhard] (1770): Die Hausplage. Ein Lustspiel in fünf Handlungen.- Wien: Trattner. [Plümicke, Karl Martin] (1775): Der Volontair. Ein Lustspiel in einem Aufzuge. Zum ersten mahl aufgeführt an dem Geburtstagfest sr. Majestät des Königs.- Breslau: Löwe. [Richter, Joseph] (1777): Der Gläubiger. Ein rührendes Lustspiel, in drey Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater.- Wien: Joseph Edler von Kurzböck. Schletter, S[alomo] Ffriedrich] (1777): Der glückliche Geburtstag. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Mitglied der Seilerischen Schauspielergesellschaft.- In: Sammlung neuer OriginalStücke für das Deutsche Theater Bd. 1.- Leipzig, Berlin. [Stephanie, Stephan Christian Gottlob d. Ä.] (1773): Der neue Weiberfeind und die schöne Jüdinn. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.- In: Neue Schauspiele. Aufgeführt in den kais. königl. Theatern zu Wien Bd. 6.- Preßburg, Leipzig: Anton Löwe. Stephanie, [Stephan Gottlieb d. J.] (1774 a): Die abgedankten Offiziers. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.- In: ders.: Sämmtliche Lustspiele Bd. 1.- Wien, 103-208. - (1774 b): Der Eigensinnige, ein Lustspiel in fünf Aufzügen.- In: Neue Schauspiele. Aufgeführt in den kais. königl. Theatern zu Wien Bd. 10.- Preßburg, Leipzig: Anton Löwe. - (1775): Sie lebt in der Einbildung. Ein Lustspiel in drey Aufzügen.- In: Neues Wienertheater vom Jahr 1775 Th. 5.- Wien: Joseph Kurzböck. [Wagner, Heinrich Leopold] (1775): Die Reue nach der That, ein Schauspiel.- Franckfurt am Mayn: Eichenbergische Erben.

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