Nation, Identität und Antisemitismus: Der deutschsprachige Raum der Donaumonarchie 1866 bis 1914 9783737002912, 9783847102915

144 43 12MB

German Pages [236] Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Nation, Identität und Antisemitismus: Der deutschsprachige Raum der Donaumonarchie 1866 bis 1914
 9783737002912, 9783847102915

Citation preview

Lisa Kienzl

Nation, Identität und Antisemitismus Der deutschsprachige Raum der Donaumonarchie 1866 bis 1914

Mit 17 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0291-5 Gedruckt mit Unterstützung der Karl-Franzens-Universität Graz, des Landes Steiermark sowie der Stadt Graz. Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Allegorie Austria, Kikeriki, 7. 6. 1896, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1. Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«? . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

. . . . .

. . . . .

35 35 45 53 62

3. Das Ende des Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis . . . . . . . . . . . 3.2 Vertiefung des Nationalitätenkonflikts in der böhmischen Frage 3.3 Der Börsenkrach und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Balkanfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus .

. . . . . .

67 69 77 81 89 94

4. »Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880« . . . . . . . 4.1 Franz Holubek und der Fall von Tisza Eszl‚r . . . . 4.2 Wagners Tod 1883 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung 4.4 Nationalismus und Antisemitismus . . . . . . . . .

2. Trauma 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Österreich ohne Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins . 2.3 Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration 2.4 Verstärkung des Nationalitätenkonflikts . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

103 104 109 115 126

5. Die Radikalisierung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 5.1 Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien 5.2 Die Waidhofener Beschlüsse und ihre Folgen . . . . . 5.3 Die Badenische Sprachenverordnung . . . . . . . . . 5.4 Los-von-Rom! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

135 136 154 160 163

6

Inhalt

. . . . . .

169 170 178 184 188 192

. . . .

199 199

. . . . . .

203 205 213

8. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

9. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

6. »Der Untergang des Abendlandes« . . . . . . 6.1 »Die Hochschulkämpfe« . . . . . . . . . 6.2 Wissenschaft und Gesellschaft . . . . . . 6.3 Ausschnitte aus politischen Programmen 6.4 Österreichisches Gefühl? . . . . . . . . . 6.5 Antisemitismus und Nationalismus 1914

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

7. Der Anfang vom Ende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zwischen Dynastie und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Österreich: Identitätskonstruktion, Nationalitätenkonflikt und Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion? . 7.4 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

Vorwort

Die Herausbildung eines österreichischen nationalen Bewusstseins ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, im Speziellen die Suche nach einer österreichischen Identität nach 1866, stand am Anfang meiner Überlegungen. Den Ausgangspunkt für die Hypothese einer österreichischen nationalen Identität im 19. Jahrhundert und deren Beziehung zum wachsenden Antisemitismus lieferte mein Auslandsaufenthalt am Institut for Historie am Universitetscenter Roskilde. Unter Leitung von Cecilie Stokholm Banke wurde in einer Projektarbeit der Grundstein für meine weiteren Untersuchungen gelegt. Im Mittelpunkt stand damals wie nun auch in dieser Arbeit die Identitätskonstruktion der deutschsprachigen Bevölkerung der Habsburgermonarchie, die nach der Niederlage im Österreichisch-Preußischen Krieg erschüttert war. Insbesondere die Schlacht von Königgrätz warf zentrale Fragen auf: Was ist Österreich ohne Deutschland? Im Besonderen noch vertieft: Was ist Deutschösterreich ohne Deutschland? Der Rolle antisemitischer Diskurse innerhalb dieser nationalen Identitätskonstruktionen wurde anhand einer umfangreichen Analyse unterschiedlicher privater und öffentlicher Quellen nachgegangen. Im Mittelpunkt standen dabei Tageszeitungen des deutschsprachigen Raumes der Donaumonarchie, die diskursanalytisch aufgearbeitet und in Beziehung gesetzt wurden. Für die Anregung und Ermutigung dieser komplexen Fragestellung weiter nachzugehen, möchte ich meinem Doktorvater Helmut Eberhart danken. Ebenso danke ich meiner Familie und meinen Freunden dafür, dass sie mich während dieser oft intensiven Arbeits- und Lebensphase ertragen und unterstützt haben; Im Besonderen Matthias Udwardi und Jutta Wimmler für viel Geduld und wissenschaftlichen Ansporn sowie Michael Trobits für die technische Unterstützung. Mit freundlicher Genehmigung der österreischen Nationalbibliothek konnte diese Arbeit mit Graphiken und Textfragmenten aus den online Archiven ALEX und ANNO bereichert werden. Dies war eine ungemeine Erleichterung meines Forschungsalltages und stellt generell eine Bereichung für die wissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Fragestellungen dar.

1.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«1?

»Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen österreichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit.«2

So wie die Worte von Stefan Zweig das Lebensgefühl während der österreichischungarischen Monarchie beschrieben, so greift Paul Barney das Ende dieses »goldene[n] Zeitalter[s] der Sicherheit«3 auf. Am 28. Juni 1914 befand sich Barney mit seiner Frau und Freunden auf Urlaub in Zell am See. Es war ein friedlicher und festlicher Sonntag, an dem ein Seefest stattfinden sollte. Lampions und Girlanden schmückten Boote, die am Ufer vertäut waren. Die Sommerfrischler aus Wien saßen auf einer Bank am Ufer des Sees, als ein Einheimischer hastig an ihnen vorbeilief. »Ein Dirndl hielt ihn an, und er flüsterte ihr zu: ›Ja – in Sarajevo!‹ – Und damit rannte er weiter. Das Mädel sah ihm unschlüssig nach, dann kam sie unserer Bank näher. Felix sprach sie lächelnd an: ›Na, was gibt’s denn in Sarajevo?‹ Die Zellerin sagte: ›Den Franz Ferdinand sollns erschossen haben.‹ – Na, so was!«4

Die Aufregung hielt sich in Grenzen. Weder Paul Barney und seine Frau, die Schauspieler waren, noch ihre Freunde, beide Ärzte, hatten sich viel mit den politischen Ereignissen der letzten Jahre beschäftigt. Der Thronfolger war in der Bevölkerung Barneys Angaben zufolge nicht sonderlich beliebt, daher hielt sich wohl zu diesem Zeitpunkt auch ihre Reaktion in Grenzen. Als sich jedoch ein Trommler in der Nähe ihrer Bank aufstellte und verkündete, dass das Seefest aufgrund der Ermordung des Thronfolgers nicht abgehalten werden würde, begann sich Unruhe breit zu machen. Menschen verließen überstürzt und ohne weitere Vorkehrungen zu treffen Zell am See und auch Paul Barney und seine Gesellschaft sprangen, angesteckt von dieser Panik, von ihrer Bank auf. »Wir waren mit einem Schlag in der Hölle. Damals wussten wir zwar noch nicht, was die Schüsse in Sarajevo bedeuteten. Wir ahnten sie nur durch die Wirkung, die sie auf

1 2 3 4

Zweig 2002, 14. Ebd., 14. Ebd., 14. Lichtblau 1999, 527 – 528.

10

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

unsere nächste Umgebung ausübten. […] Nur fort, nach Hause! Und in das Schreien, Schnaufen und Stöhnen mischte sich ein Wort, ein Gedanke wie Gift: ›Krieg, Krieg!‹«5

1914 endete das von Stefan Zweig so deutlich umschriebene »goldene Zeitalter der Sicherheit« – so wie es begonnen hatte – mit einem Schock. 1866, nach der Schlacht bei Königgrätz und dem auf die Niederlage folgenden Ausschluss aus dem Deutschen Bund begann eine neue Ära im Bewusstsein der deutschsprachigen Österreicher. Auch wenn der Kaiser später noch die glücklichen Umstände pries, unter denen Österreich nun politisch selbstständig wurde, so zeigte sich die Stimmung innerhalb der Gesellschaft jedoch anders: Der Glaube an die Notwendigkeit einer Wiedervereinigung mit Deutschland bestand weiter.6 Das allgemeine Bewusstsein des Zeitraumes zwischen 1866 und 1914 war im Großteil der Bevölkerung gekennzeichnet durch einen unverwüstlichen Glauben an die Macht der Monarchie und des Kaisers. Dennoch begann diese imaginierte Festung, durch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ereignisse beeinflusst, zunehmend an Sicherheit einzubüßen. Angefangen mit der Niederlage bei Königgrätz, dem Ausgleich mit Ungarn, dem Börsenkrach im Jahre 1873 bis hin zu dem ständig zunehmenden Nationalitätenkonflikt. Damit verbunden war auch ein zunehmender Verlust gesellschaftlicher Identifikationsmöglichkeiten. Die Stabilität des Kaiserhauses konnte auf Dauer nicht aufrechterhalten werden und begann sowohl durch die Ermordung der Kaiserin Elisabeth 1898 als auch durch den Selbstmord Kronprinz Rudolfs 1889 sowie durch das fortschreitende Alter des Kaisers Franz-Joseph zusehens zu bröckeln. All diesen Entwicklungen zum Trotz war das 19. Jahrhundert in Österreich geprägt von einem fast schon naiven Begriff der Sicherheit, der sich durch alle Instabilitäten hindurch kaum beeinflussen ließ und in zahlreichen Quellen dieser Zeit zu finden ist. Die komplexen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die sich im Laufe des langen 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum der Habsburgermonarchie zeigen, zeichnen sich insbesondere durch die Konstruktion nationaler Identitäten und die Entstehung des Antisemitismus aus. In der zeitgenössischen Tagespresse7, aber auch in Parlamentsprotokollen, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen zeigt sich dieses Spannungsfeld zwischen Nation und Dynastie sowie die Verknüpfungen zwischen den Diskursen Antisemitismus und Nationalidentität. Die Herausbildung eines nationalen Eigenverständnisses war von deutschösterreichischer Sicht aus überaus schwierig. Das deutschsprachige Österreich wurde als Teil des deutschen Kulturraumes gesehen – durch das Ausscheiden aus dem Deutschen Bund schien es, als wäre es nicht mehr Teil dieser Einheit. Die 5 Lichtblau 1999, 527 – 528. 6 Kirchhoff 2001, 46. 7 Venus 1995, 192 – 211.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

11

Problemfelder, die sich hierbei auftaten, finden sich auch noch im 20. Jahrhundert, wo die Frage nach einer österreichischen Identität immer stärker auftrat. Hier wird deutlich, dass Österreich und seine Identitätskonstruktionen unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten sind. Insbesondere die Herausbildung einer nationalen Identität wurde aufgrund der Verhaftung Österreichs an Dynastie und Kaiser vielerorts problematisch gesehen. Eine nationale Gesinnung ohne dynastischen Hintergrund erschien als Hochverrat an der Monarchie, die Vaterland verstanden wurde, ohne diesen Ausdruck im Sinne der Nationalstaatlichkeit zu verwenden. Besonders in der Armee zeigte sich diese Ambivalenz. Sie war nicht national oder vaterländisch, sondern ausschließlich dynastisch ausgerichtet, wobei im Zentrum dieser Konstruktion die in »mythische Höhe emporgehobene Herrschergestalt Franz Josephs«8 stand. Die Dynastie, und nicht die konstruiert-imaginierte Vorstellung eines Staates, stand im Mittelpunkt.9 Wie bereits der Präsident des Reichsgerichts Joseph Unger 1885 festhielt, war die Konstruktion des österreichischen Staates zu dieser Zeit besonders vielschichtig und komplex. »Was soll sich denn das Volk, der ungebildete Mann unter dem österreichischen Staatsgedanken vorstellen? Sie können ihm nicht die Geschichte Österreichs haarklein auseinandersetzen, die Bildung und Verschmelzung der Länder und Nationalitäten bis in alle Einzelheiten darlegen. Aber das eine weiß auch der gemeine Mann: der österreichische Staatsgedanke, Österreich, das ist der Kaiser von Österreich. Damit gibt er sich zufrieden und er hat vollkommen recht.«10

Hier wird deutlich, dass die Konstruktion einer Nationalstaatlichkeit schon aufgrund des Festhaltens an der Dynastie nicht in dem Ausmaß möglich war wie in anderen Staaten. Die Herausbildung eines Nationalbewusstseins vollzog sich meiner Meinung nach jedoch trotzdem. Aufgrund einer pragmatischen Eingrenzung des Themengebietes beschränkt sich diese wissenschaftliche Auseinandersetzung auf das deutschsprachige Gebiet innerhalb der Grenzen des heutigen Österreichs und der dortigen Herausbildung einer deutschösterreichischen Nationalidentität. Dieser Entstehungsprozess ist auch aus wissenschaftlicher Sicht besonders interessant. Die Entstehung der nationalen österreichischen Identitäten – hier wird ganz bewusst der Plural verwendet, da sich diese Identitäten in unterschiedlichen Milieus in verschiedener Art und Weise herausgebildet haben – steht partiell in einem Zusammenhang mit dem wachsenden Antisemitismus innerhalb des Untersuchungszeitraumes. Die Verwendung von Antisemitismus als politisches Agitationsmittel im ausgehenden 19. Jahrhundert ist weitgehend bekannt. Dies 8 Schmidt-Brentano 1982, 247. 9 Vgl. Ebd., 253. 10 Kolmer 1903, 21.

12

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

setzt jedoch, wie Dreier feststellt, einen gewissen Bekanntheitsgrad der verwendeten Stereotypen und Narrativstrukturen innerhalb der Bevölkerung voraus, an die angeknüpft werden konnte.11 Diese oft auf Bildern eines religiösen Antijudaismus aufbauenden Strukturen finden sich im gesamten europäischen Raum. Sie wurden jedoch weiterentwickelt und konzentrierten sich in Österreich besonders in einigen Milieus. Erstens im konservativ-katholischen Milieu – hierbei ist zumeist eher von der Gesinnung eines Teilmilieus auszugehen, da nicht alle dem Milieu zugeordneten Personen diese Gesinnung auch mittrugen. Dabei muss bemerkt werden, dass bei keinem der untersuchten Milieus davon ausgegangen werden kann, dass es zu hundert Prozent homogen war. Dementsprechend differenziert sind die einzelnen Gruppierungen auch zu betrachten. Zweitens im deutschnationalen Milieu, das verstärkt im städtischen Raum, bzw. im Grenzraum des deutschsprachigen Gebietes zu anderen Nationalitäten entstand. Hier wird vor allem auf die vorhin bereits hingewiesene Problematik der Herausbildung eines österreichischen Nationalbewusstseins verwiesen, das sich ohne den Rückbezug auf den deutschen Kulturraum und die deutsche Nation schwer festigen konnte. Durch die Nationalbestrebungen der angrenzenden Kronländer innerhalb der Monarchie, die durch das Entdecken der eigenen Sprache, Kultur und Landschaft ständig wuchsen, wurde der deutschsprachigen Bevölkerung der Habsburgermonarchie deutlich vor Augen gehalten, in welchen normativen Konstruktionen sich Nationalentwicklung zumeist entwickelte. Eine Berufung auf die Sprache, ebenso wie auf die Kultur, endete unweigerlich in einem Rückbezug auf die deutsche Kultur. Eine Abgrenzung davon war nur aufgrund der dynastischen Form Österreichs gegeben, die im Großteil der Bevölkerung in einer aufopfernden Treue zur Monarchie und insbesondere zum Kaiser Ausdruck fand. »Alles stand in diesem weiten Reiche fest und unverrückbar an seiner Stelle und an der Höchsten der greise Kaiser; aber sollte er sterben, so wußte man (oder meinte man), würde ein anderer kommen und nichts sich ändern in der wohlberechneten Ordnung. Niemand glaubte an Kriege, an Revolution und Umstürze.«12

Wurde diese dynastische Identität verweigert und stattdessen verstärkt eine nationale Identität gesucht, erwies sich dies innerhalb der Gesellschaft durchaus als problematisch. Eine Hinwendung zur deutschen Kultur war in der breiten Bevölkerung nachvollziehbar und erwünscht – eine weitere Anlehnung an das Deutsche Reich im Sinne einer Auflösung der Monarchie, oder noch drastischer, einer Übernahme des protestantischen Glaubens, so wie es infolge der Los-vonRom Bewegung gefordert wurde, löste vielfach Unverständnis aus. Während des 11 Vgl. Dreier 1988, 132 – 249. 12 Zweig 2002, 14.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

13

fünften steirischen Landtages hielt der Abgeordnete Moriz Edler von Kaiserfeld am 10. Dezember 1866 eine Rede, die stark national geprägt war. Darin hielt er fest, dass er für die Durchsetzung seiner nationalen Ideen auch den Untergang der Monarchie in Kauf nehmen würde. Dem setzte sich das Grazer Volksblatt, und später auch noch Das Vaterland, beides Sprachrohre des konservativ-katholischen und föderalistischen Lagers, in dem es die Rede wieder abdruckt, auf das Vehementeste entgegen: »Wir kehrten trotzdem Österreich nicht den Rücken, […]. Mit Abscheu vielmehr würden wir eine solche Untreue gegen unseren Herrn und Kaiser, eine solche verrätherische Gesinnung gegen unser Land zurückweisen. Nicht nur in guten Tagen, was keine Kunst ist, sondern auch in bösen Tagen, in Tagen schwerer Prüfung, wir stehen fest und treu zu Österreich. Und nicht blos wir. Wie wir, ganz so fühlt und denkt auch das Volk des deutschen Österreich.«13

Dem entgegenzuhalten ist, dass ganz offensichtlich nicht »das Volk«, durch diese Begrifflichkeit angeblich zu einer Einheit verschmolzen, hinter dieser Aussage steht. Wäre dem so, dann wäre keine Auseinandersetzung bezüglich der Thematik notwendig gewesen. Vor allem die Unterstreichung des Katholischen, die zu Beginn des Artikels vermehrt zum Tragen kommt, zeichnet zwei unterschiedliche Milieus im Jahre 1866. Einerseits das konservativ-katholische Milieu, das verstärkt dynastisch agiert, andererseits das nationale Milieu, das zu diesem Zeitpunkt auch liberal beeinflusst war. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Milieus verstärkten sich in den nächsten Jahren zunehmend, insbesondere nach dem Zusammenbruch des Liberalismus gegen Ende der 1870er Jahre und durch das Erstarken des radikal deutschnationalen Milieus zu Beginn der 1880er Jahre. Eine Verknüpfung nationaler Identitätskonstruktionen mit Antisemitismus war in mehreren Bereichen und in unterschiedlicher Ausprägung gegeben. Dabei wurde im konservativ-katholischen Milieu verstärkt auf christliche Antijudaismen zurückgegriffen, während ein rassistischer Antisemitismus, wie im radikalen deutschnationalen Milieu vertreten, kaum bzw. verstärkt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderst auftritt. Dennoch wurde durch die Verwendung des Begriffes Antisemitismus an dem gesellschaftlichen Diskurs teilgenommen und dieser durch ständige Thematisierung und Diskussion in der konservativ-katholischen Tagespresse mitgestaltet. Während der 1860er und zu Beginn der 1870er Jahre zeigt sich diese Entwicklung noch zurückhaltend und wird erst nach dem Ende des Liberalismus verstärkt politisch eingesetzt. Das deutschliberale Milieu zeichnete sich durch seine verstärkte Präsenz im städtischen, jüdisch geprägten Bereich der Gesellschaft aus und entwickelte vehemente Ab13 Artikel aus Grazer Volksblatt abgedruckt in Das Vaterland, 31. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

14

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

grenzungsstrategien gegenüber den übrigen Nationalitäten der Habsburgermonarchie. So zum Beispiel wurden die Ausgleichsbestrebungen Tschechiens und Böhmens von deutschliberaler Seite eindeutig abgelehnt, während sie von konservativ-katholischer Seite unterstützt wurden. Im liberalen Lager ist daher auch verstärkt von der »feindlichen Allianz der Feudalen, Clericalen und Czechen«14 die Rede. »Und zweitens darf es wohl bemerkt werden, daß sich hier der Haß der Czechen mit offenen, ungeschminkten Worten als gegen den ›deutschen Geist‹ und dessen Hegemonie gerichtet kennzeichnet, daß also der ›Rechtskampf‹ mit voller Un-befangenheit als ein Kulturkampf proclamiert wird.«15

Auch hier wird deutlich, dass diese Abwehrhaltung auf nationalen Argumenten aufbaut und damit die Schlussfolgerung naheliegt, dass der Schutz der eigenen Identität von zentraler Bedeutung innerhalb der gesamten Gesellschaft war. Anhand dieses Beispiels werden zudem die gegensätzlichen Positionen des liberalen und klerikalen Milieus deutlich. Da man im Gegenzug dazu im konservativ-katholischen, föderalistischen Lager davon ausging, dass von liberaler Seite durch die Verhinderung des Ausgleiches mit Böhmen und Tschechien »der Untergang Österreichs geplant«16 wurde, zeigten sich in der Tagespresse zahlreiche politisch motivierte Artikel gegen dieses oppositionelle Lager. »Aber lassen wir die gesetzliche Berechtigung des neuesten deutsch=liberalen Manövers bei Seite […]. Niemand in Österreich, der deutsche Stamm am wenigsten, will sich eine neue ›Bürgerminister‹herrschaft gefallen lassen. Der Ausgleich muß zu Stande kommen, wenn Österreich bestehen soll.«17

Antisemitische Tendenzen finden sich nun einerseits aufgrund politischer Agitationen gegen oppositionelle Gruppierungen und andererseits zunehmend auch in der Verknüpfung mit nationalen Ideen. Die Allgemeine Zeitung des deutschen Judentums greift die Bedeutung des Diskurses kurz nach seiner Entstehung sehr deutlich auf: »Unsere Leser wissen, daß wir gegen die Bezeichnung »Antisemitismus« als sie in Deutschland aufkam, protestierten […] Sollte mit diesem klingenderen Wort doch nur der ganz gemeine Judenhaß verdeckt und der öffentlichen Meinung insinuiert werden, daß es nur einen Kampf gegen die Rasse gelte, daß man mit ihm auf nationalem Boden stehe.«18 14 15 16 17 18

Neue Freie Presse, 29. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 28. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 17. 09. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Allgemeine Zeitung des deutschen Judentums. 25. 07. 1882, 489. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

15

Antisemitismus wurde nun zunehmend mit den Begriffen des Nationalismus in Verbindung gebracht, und auch die Verbindung mit der sozialen Frage wurde immer zentraler.19 Man sah dies als Reaktion auf die wachsende Judenfrage im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Wie Nipperdey und Rürup festhalten, ist Antisemitismus soziologisch, politisch und ideologisch »eine Protestbewegung gegen die Ideen von 1789, gegen die liberale Staats- und Gesellschaftsordnung und die mit ihr verbundene kapitalistische Ordnung.«20 Zudem wird auch deutlich, dass die Konstruktion von Antisemitismus verstärkt nationalistische Züge aufweist. Treischke, Marr und Stoecker griffen in Deutschland wiederholt das nationale Element auf und in Bezug auf die Herausbildungen eines nationalen Bewusstseins herrschte Unsicherheit, die sich teilweise auch in einer Zuwendung zum Antisemitismus zeigte. Vor allem in zwei Teilbereichen wurde das Judentum als Problemfeld hervorgehoben. Erstens wurde in der verstärkten Zuwanderung aus dem Osten die Fremdartigkeit des Judentums betont, während zweitens die tatsächlichen und imaginierten internationalen Beziehungen zunehmend thematisiert wurden.21 Das Judentum wurde zum Anderen, zum Gegenbild des Österreichischen, hochstilisiert und konstruiert, was sich auch verstärkt in Karikaturen der Zeit bemerkbar machte. Visuelle Darstellungen zeigen die deutlichen wirtschaftlichen Motivationen des Antisemitismus dieser Zeit auf, der das Jüdische als verantwortlich für sozioökonomische Entwicklungen inszenierte und als ›ehrlos‹ definierte. Der Begriff der Ehre wurde verstärkt mit einem christlichen sowie deutschen Arbeitsethos in Verbindung gebracht und als Gegenstück zur angeblich jüdisch gleichgültigen Haltung präsentiert. Vor allem im radikalen deutschnationalen Milieu, das sich gegen Ende der 1870er und insbesondere zu Beginn der 1880er Jahre zu formieren begann, wird die Abgrenzung von der jüdischen Bevölkerung durch rassistische und nationalistische Agitationen deutlich. Das Bild des Juden in unterschiedlichen Karikaturen des Kikeriki zum Beispiel wies ständig auf seine Mängel und Unzulänglichkeiten hin. So wurde die jüdische Nase bereits im 17. Jahrhundert als Charakteristikum festgelegt.22 Die Verwendung dieser anitjudaistischen Stereotype wandelte sich jedoch im 19. Jahrhundert. Die Argumentation aufgrund religiöser Motive war nun verpönt und galt als rückständig, die Ausgrenzung aufgrund neuer angeblich wissenschaftlicher rassistischer Ideologien jedoch war modern. Dieser Diskurs wird nicht nur im deutschnationalen Lager, sondern in weiterer Folge auch in breiteren Gesellschaftsschichten deutlich. 19 20 21 22

Vgl. Sottopietra 1997. Vgl. Nipperdey/ Rürup 1972, 143. Vgl. Nipperdey/ Rürup 1972, 145 – 150. Erb 1985, 111.

16

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

Abb. 1: Beispiel einer antisemitischen Karikatur. Kikeriki, 26. 03. 1896, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

»Für uns Deutsche ist die Judenfrage keine religiöse, sondern eine in dem Rassenstandpunkte wurzelnde nationale!«23

Wenn nun davon ausgegangen wird, dass sich die österreichische Identität aus unterschiedlichen Diskursen des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat, dann sind auch die Merkmale nationaler und kultureller Differenzierung von Bedeutung, wie Wodak konstatiert. Die Abgrenzung von anderen Gruppierungen aufgrund rassistischer Motive trat in diesem Zusammenhang häufig auf. Guillaumin differenziert den Begriff Rasse als Konzept: Dieses ist »ein Bündel von Konnotationen, ein Cluster unbeständiger Bedeutungen, dessen Bedeutungskern allerdings konstant bleibt.«24 Merkmale dieser Differenzierung können körperlicher, geistig-kultureller, sozialer, sozio-ökonomischer, gesellschaftskultureller oder politischer Art sein sowie übergreifende Konzepte wie Religion oder Nationalität (Volksgruppen oder Staatsnationen) enthalten.25 Es ist davon auszugehen, dass gesellschaftliche Ereignisse innerhalb eines Diskurses passieren und in einem mehr oder weniger starken Zusammenhang zueinander stehen.26 Sie können anhand einer Unterteilung in Diskursstränge, aus denen sich der gesellschaftliche Gesamtdiskurs zusammensetzt, aufgeglie23 Unverfälschte Deutsche Worte, 16. Lenzmonds 2010 [16. 03. 1897], 7. Österreichische Nationalbibliothek. 24 Guillaumin 1992, 164. 25 Vgl. Guillaumin 1992, 166 – 174. 26 Vgl. Foucault 2007.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

17

dert, allerdings nicht vollständig voneinander abgegrenzt betrachtet werden. Sie treffen während eines Zeitraumes aufeinander, verknoten sich und driften auch wieder auseinander.27 Diese Diskursentwicklungen sind einerseits abhängig vom untersuchten Milieu, andererseits von sozioökonomischen und politischen bzw. allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen der hervorgehobenen Zeitspanne. Grundsätzlich ist in diesem Untersuchungszeitraum von einer deutlichen Abgrenzung der beiden Phänomene Antisemitismus und Nationalidentität auszugehen. Sie bilden jeder einen Diskursstrang für sich, treffen dennoch aufeinander, verknüpfen sich teilweise und bedingen sich zu manchen Zeitpunkten auch gegenseitig. Es ist festzuhalten, dass sie während des Untersuchungszeitraumes in Beziehung zueinander stehen. Für die Anwendung eines diskursanalytischen Zugangs im historischen Wissenschaftsbereich stellen sowohl Sarasin als auch Landwehr fest, dass eine »Diskursanalyse nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der herkömmlichen Quellenkritik zu begreifen«28 ist, wobei hier nicht nur die symbolischen Strukturen von Bedeutung sind, sondern auch die realen Grenzen einer Theorie.29 Im Rahmen der qualitativen Quellenanalyse in dieser Arbeit wurde der Inhalt zeitgenössischer Quellen des 19. und 20. Jahrhunderts unter Heranziehung von Versatzstücken der Diskursanalyse hermeneutisch interpretiert und reflektiert analysiert.30 Insbesondere die Darstellung der Diskursstränge Nationalidentität und Antisemitismus und deren Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext stehen hier im Vordergrund. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, einen Anspruch auf Klärung aller Ereignisse zu stellen, sondern die diskursiven Entwicklungen der beiden Diskursstränge Antisemitismus und Nationalidentität innerhalb der österreichischen Gesellschaft aufzuzeigen. Es besteht kein Anspruch auf die Vermittlung einer einzigen Wahrheit, bzw. zu einer Lösung historischer Konflikte beizutragen. Einzig und allein das Interesse an den gesellschaftlichen Entwicklungen zwischen 1866 und 1914 steht im Vordergrund. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und dem deutschsprachigen Raum ist auffallend, dass es in zahlreichen Arbeiten eine Abgrenzung zum 19. Jahrhundert gibt. Teilweise wird noch das Jahr 1900 als Ausgangspunkt gewählt, bzw. die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert als zentrales Untersuchungsfeld definiert. Eine Beschäftigung mit früheren Jahrzehnten fällt jedoch zumeist aus diesen Fragestellungen heraus. Nicht nur, dass die Bedeutung der Gesellschaftsentwicklungen des 19. Jahrhunderts ausgeblendet werden, ihnen wird auch nicht die Wichtigkeit zugeschrieben, die sie 27 28 29 30

Foucault 1992, 156. Haslinger 2006, 28. Vgl. Ebd., 28. bzw. Vgl. Sarasin 2003, 58 – 60. Vgl. Eder 2006.

18

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

eigentlich besitzen. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine durchgehende Kontinuität zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert besteht, die Gesamtheit der kulturellen und sozio-politischen Ereignisse wirkt jedoch nach und beeinflusst weiter. Neben den politischen, ökonomischen oder sozialen Einzelentwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist die Aufmerksamkeit auf gesamtgesellschaftliche Tendenzen zu richten. Nicht dem einzelnen Individuum, sondern dem vielschichtigen Begriff der Gesellschaft an sich ist Bedeutung zuzumessen. Das Zusammenspiel von Identitätskonstruktionen, Nationalbildungsprozessen, wirtschaftlichen Spannungen und einer Politisierung des Alltags lässt der Gesellschaftsentwicklung dieser Zeit besondere Bedeutung zukommen. Die Thematisierung zentraler Ereignisse in der Tagespresse und deren Verknüpfung mit der Sichtweise einzelner Personen soll die Reichweite der Diskurse aufzeigen, ohne das individuelle Element aus den Augen zu verlieren. Es gilt, Weltbilder, Anschauungen und Emotionen der Zeit zu analysieren und in Beziehung zu weiteren Entwicklungen zu setzen. Öffentliche und private Texte Insbesondere die Medienlandschaft in Österreich entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Österreich rasant. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschienen täglich bis zu 20 Tageszeitungen, die einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die Gedanken und Anschauungen der Bevölkerung hatten beziehungsweise diese widerspiegelten. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu nationalen Identitätskonstruktion sowie in Bezug auf den wachsenden Antisemitismus zeigen sich in dieser komplexen Medienlandschaft. Im Rahmen des Quellenmaterials ist zwischen mehreren Textkategorien, die als Quellen herangezogen wurden, zu unterscheiden: Erstens öffentliche und zweitens private Texte. Als öffentliche Texte gelten einerseits Artikel oder Graphiken aus zeitgenössischen Printmedien sowie Parlamentsprotokollen und andererseits veröffentlichte literarische Texte. Als private Quellen sind Tagebuchaufzeichnungen und Briefe zu interpretieren. Die Ebene der Printmedien wurde vor allem deshalb für die Diskursanalyse herangezogen, da öffentliche Texte immer eine zentrale Rolle in der Herausbildung gesellschaftlicher Diskurse spielen und in weiterer Folge auch den privaten Bereich beeinflussen.31 Für die diskursanalytische Betrachtungsweise historisch-archivalischer Quellen musste aufgrund des langen Untersuchungszeitraumes der Korpus des Forschungsgegenstandes genau festgelegt werden. Wie Landwehr schreibt, sollen sich die Texte, »als möglichst repräsentativ für den Diskurs erweisen, in 31 Vgl. Habscheid 2009, 74.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

19

ausreichender Zahl vorhanden sein und sich seriell über einen gewissen Zeitraum erstrecken.«32 Bei der Auswahl der Quellen erschienen Printmedien sowie Parlamentsprotokolle von Anfang an als wertvoll für eine weitreichende Untersuchung. Da es im untersuchten Zeitraum eine Vielzahl von Tageszeitungen und Informationsblättern mit mehr oder wenig langer Lebensdauer gab, habe ich mich auf einige bestimmte konzentriert, die insbesondere die Diskursstränge Nation, Identität und Antisemitismus aufgreifen und behandeln. Die Kriterien der Auswahl waren hierbei erstens das durchgehende Erscheinen während des gesamten Untersuchungszeitraumes, da nur so die Entwicklung nachvollziehbar aufgezeigt werden konnte, und zweitens die politischen Hintergründe und gesellschaftlichen Positionierungen dieser Zeitungen. Ausgewählt wurden repräsentative Bespiele für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskurspositionen. Das heißt, jeweils eine Zeitung aus dem deutschliberalen, deutschnationalen Milieu sowie zwei unterschiedliche aus dem konservativ-katholischen, föderalistischen Lager. Letztere entstammten einmal dem städtischen und einmal dem ländlichen Milieu. Weiters wurde die gesellschaftliche Entwicklung der Politisierung während der 1890er Jahre durch eine christlich-soziale Tageszeitung aufgegriffen. Zudem wurde ein satirisches Blatt, das ebenfalls durchgehend im Untersuchungszeitraum erschien, herangezogen, um gesellschaftspolitische Spannungsfelder außerhalb der regulären Berichterstattung der Textebene anhand von Karikaturen aufgreifen zu können. Wichtig bei der Auswahl der Zeitungen war die politische Verortung und dadurch die Leserschaft, aber auch die unterschiedliche Auflagenstärke. Im Bereich der öffentlichen Quellen wurden, wie bereits teilweise erwähnt, Zeitungen, Parlamentsprotokolle, Parteiprogramme und Karikaturen herangezogen. Die Tageszeitung Neue Freie Presse, erschien seit 1864 und war eines der führenden Blätter der deutschsprachigen Habsburgermonarchie, das in seinem Inhalt die Meinung des liberalen Bürgertums Wiens widerspiegelte. Vor allem durch die Unterstützung der Familie Rothschild konnte die Tageszeitung zur führenden liberalen Tageszeitung der Monarchie aufsteigen. In den 1880er und 1890er Jahren war sie eine Plattform für die Verfassungspartei und andere ähnlich-gesinnte politische Gruppierungen33 und hatte gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit 45.000 – 55.0000 Stück die dritthöchste Auflagenzahl im deutschsprachigen Österreich.34 Bereits in zeitgenössischen Quellen wurde der große Einfluss der liberalen Presse hervorgehoben. Paupi¦ hält fest, dass es zum guten Ton gehörte die Neue Freie Presse zu abonnieren, sogar dann,

32 Landwehr 2001, 107. 33 Vgl. Walter 1994, S. 47 – 50. 34 Vgl. Paupi¦ 1960, 144.

20

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

wenn man nicht unbedingt dieselben Ansichten teilte.35 Diese entsprachen einem großbürgerlichen Liberalismus und zentralistischer Anschauungen, die Nationalisierungstendenzen einzelner Länder ablehnten, aber dennoch eindeutig mit Deutschland sympathisierten.36 Für das konservativ-katholische Milieu wurde die Zeitung Das Vaterland, die von 1860 bis 1911 erschien37, herangezogen. Der Titelzusatz »Zeitung für die österreichische Monarchie« zeigt bereits die föderalistische Komponente auf. Sie gehörte zur konservativ-föderalistischen Fraktion der Klerikalen, deren Zielpublikum sich aus Adel, Klerus und Bauern zusammensetzte. Zentrale Inhaltspunkte waren der Erhalt der Monarchie, die Zurückstellung nationaler Bestrebungen, die Hervorhebung des Kaisers und die Betonung der Bedeutung der katholischen Kirche.38 Die Auflage überstieg in der gesamten Zeit der Veröffentlichung nie 8000 Stück, trotzdem war Das Vaterland die führende katholische Zeitung der Monarchie. Durch die starke Präsenz des böhmischen Adels im Gründerkomitee des Blattes ergab sich eine stetige Zustimmung zur föderalistischen Staatsform und eine Ablehnung gegen den wachsenden Nationalismus. Dies umfasste sowohl die nationalen Bestrebungen der deutschsprachigen Region als auch aller anderen Länder der Monarchie.39 Andere Zeitungen, die zur Unterstreichung einzelner Aspekte herangezogen wurden, waren zum einen das christlich-soziale Blatt, die Reichspost, die sich bereits im Titelzusatz eindeutig als »Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreichs«40 positionierte. Diese Tageszeitung für eine katholische Leserschaft der Mittelschicht, des Klerus und politisch interessierter Personen erschien das erste Mal 1894 und war christlich-sozial und antisemitisch orientiert. Zudem war die Zeitung bemüht föderalistisch und eindeutig gegen nationale Bestrebungen eingestellt.41 Die Reichspost sowie auch Das Vaterland waren im »Verein christlicher Presse« zu finden, dennoch entwickelte sich zunehmend ein Kampf zwischen diesen beiden Zeitungen. Das Vaterland wollte den gegenwärtigen Zustand in der Monarchie bewahren, während die Reichspost christlich-soziale Neuerungen unterstützte.42 Nach dem Niedergang des Das Vaterland übernahm die Reichspost die Führungsposition im konservativ-katholischen Lager und hatte bereits 1914 eine Auflagenzahl von 36.000 Stück.43 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Vgl. Paupi¦ 1960, 145. Vgl. Ebd., 148. Vgl. http://anno.onb.ac.at/info/vtl_info.htm. Vgl. Paupi¦, 1960, 9. Vgl. Ebd., 95 – 96. Vgl. http://anno.onb.ac.at/info/rpt_info.htm. Vgl. Paupi¦ 1960, S. 97 – 99. Vgl. Weitensfelder 2008, 22. Vgl. Paupi¦ 1960, 97.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

21

Inhaltlich grenzte sie sich stark vom Das Vaterland, ebenso wie von Zeitungen des liberalen und deutschnationalen Lagers ab, und verurteilte die ungarische Politik sowie die Badenische Sprachenverordnung. 1914 befürwortete die Reichspost derart vehement die Vergeltung der Ermordung des Thronfolgerpaares, dass es der Kriegshetze beschuldigt wurde.44 Am Rande erwähnt sei auch Die Debatte, die nur bis 1869 bestand und stark föderalistisch, antislawisch und pro-magyarisch eingestellt war.45 Das Vorarlberger Volks-Blatt, erstmals erschienen 1866, spiegelte ein christlich-konservatives, antizentralistisches Milieu wider, das zunehmend massiv antisemitisch agierte.46 Dies war durchaus mit Anti-Wien-Tendenzen verbunden, die eine Ablehnung der mit dem Judentum und dem Liberalismus gleichgesetzten Hauptstadt ausdrückten. Diese Zeitung, die in Bregenz gedruckt wurde, ist als Beispiel für die Entwicklungen im katholisch-konservativen ländlichen Milieu zu sehen. Das Blatt Unverfälschte Deutsche Worte, herausgegeben von Georg Ritter von Schönerer, erschien von 1883 bis 1919 und war alldeutsch, national und antisemitisch gefärbt. Es agierte gegen liberale und katholische Zeitungen, aber auch andere Zeitungen des deutschnationalen Lagers wie das Deutsche Volksblatt und die Ost-Deutsche Rundschau wurden immer wieder angegriffen. 1885 erreichte die Auflage nicht einmal 1700 Stück47 und 1911 gerade einmal ca. 3500 Stück.48 Die Zeitung Deutsches Volksblatt, herausgegeben von Ernst Vergani (zwischen 1888 und 1922), war eine der führenden Zeitschriften des deutschnationalen Lagers und deutlich antiliberal und antisemitisch eingestellt.49 1904 erreichte es eine Auflage von 45.000 bis 55.000 Stück pro Ausgabe, sank aber in seiner Bedeutung kurz vor dem Ersten Weltkrieg wieder etwas ab.50 Um nicht vollständig auf textbasierte Quellen konzentriert zu sein, wurde zudem die stark bebilderte Zeitschrift Kikeriki (1861 – 1933) ausgewählt, die den Titelzusatz »Humoristisches Volksblatt« aufwies Diese Zeitung erschien in Wien und zeigte vornehmlich Karikaturen zum aktuellen gesellschaftlichen und politischen Geschehen. Die Einstellung des Kikerikis zum Antisemitismus und zur deutsch-österreichischen Bevölkerung ist wie folgt festzuhalten. »Der Antisemitismus ist eine Macht geworden. Siegreich schreitet er vorwärts von Erfolg zu Erfolg. Einen großen Theil dieser Erfolge hat er einzig und allein der antisemitischen Presse zu danken. Neben dem »Deuschen Volksblatt« war es zuerst der 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Paupi¦ 1960, 99. Vgl. Ebd., 129. Vgl. Weitensfelder 2008, 57 – 58. Vgl. Pulzer 1966, 129. Bzw. Pichl 1938, 59 – 67. Vgl. Paupi¦ 1960, 106. Vgl. Wladika 2005, 220. Vgl. Paupi¦ 1960, 106 f.

22

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

›Kikeriki‹, der als unabhängiges und unbestechliches Witzblatt den die Welt beherrschenden Judenliberalismus frisch und furchtlos bekämpfte.«51

Heuberger und Peterseil halten fest, dass die Aussagekraft, die auf das geschriebene Wort zutrifft, ebenso im Bereich des Bildes anzuwenden ist. Karikaturen können als historische Quellen herangezogen werden, wenn sie sorgfältig interpretiert, analysiert und reflektiert werden. »Karikaturen fangen daher wie kaum ein anderes Medium die Atmosphäre, das Kämpferische einer Epoche auf und werden dadurch zur unverzichtbaren Ergänzung politischer Kommentare.«52 Wichtig zu beachten ist, dass sie von der Realität abweichen und überzeichnete und radikale Bilder darstellen, die zumeist von der Subjektivität des Künstlers geprägt sind. Diese stellen zudem auch Mythen einer Gruppierung dar, die den Zusammenhalt dieser stärken.53 Die Motivation hinter einer Karikatur ist einerseits, die BetrachterInnen zu unterhalten, andererseits auch ihre Zustimmung in Bezug auf eine bestimmte Thematik zu erlangen oder zu verstärken. Sie bieten zudem wichtige Quellen zum Verständnis des zeitgenössischen Tagesgeschehens, das in der regulären Presse bzw. in anderen Medien nicht thematisiert werden konnte.54 Ein Aufgreifen der politischen Entwicklung ist vor allem in der Untersuchung politischer Parteiprogramme dieser Zeit möglich. Diese zeigen sozio-ökonomische und alltägliche Problemfelder der Gesellschaft auf und führen sie in schriftlicher Form, im Diskurs um diese Themen, der Gesellschaft wieder zu. Viele dieser politischen Programme wurden zudem meist in gesinnungsnahen Blättern abgedruckt. Dies zeigt auch deutlich die wachsende Einflussnahme politischer Parteien auf die Medienlandschaft der Monarchie. Abschließend sind noch die stenographischen Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates zu nennen, die eine Anlaufstelle für das Aufgreifen unterschiedlichster gesellschaftlicher Diskurse bieten. Vor allem durch die minutiöse Aufnahme aller Kleinigkeiten innerhalb der Diskussionen werden Emotionen außerhalb der textlichen Ebene aufgegriffen und können nachverfolgt werden. Literarische Quellen, die auch für die Aufarbeitung herangezogen wurden, stehen meiner Meinung nach zwischen der Kategorie der öffentlichen und der privaten Quellen. Einerseits sind sie eindeutig als öffentliche Quellen zu sehen, da sie veröffentlicht wurden, andererseits bieten sie oft einen sehr direkten intimen Einblick in die Gedanken und Anschauungen der Autoren, wodurch sie bis zu einem gewissen Grad Elemente der zweiten Kategorie aufweisen. Dies bringt mich zum zweiten Teil des Quellenmaterials, den privaten Quellen. 51 52 53 54

Kikeriki, 16. 04. 1899, 1. Heuberger/ Peterseil 1997, 45. Vgl. Barthes 1964, 200 – 205. Vgl. Heuberger/Peterseil 1997, 45.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

23

Hierunter verstehe ich private Texte, wie Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, die ursprünglich nicht für die Veröffentlichung vorgesehen waren. Hierbei spielen vor allem die Tagebuchaufzeichnungen Schnitzlers und der Briefwechsel Bahrs eine Rolle. Dieser Textbereich ist stark von gegenwärtigen Veröffentlichungen geprägt, das heißt vom Interesse der Gegenwart an bestimmten historischen Persönlichkeiten. Daher ist dieser Untersuchungsbereich in seinem Bestehen stark subjektiv beeinflusst und spiegelt nur einen bestimmten Ausschnitt der zeitgenössischen Gesellschaft wider. Die Interpretation beschränkt sich nunmehr nicht mehr nur auf die öffentlichen Medien selbst, sondern auf die dadurch vermittelten Diskursstränge im Alltag der Menschen innerhalb der Gesellschaft. Medien haben die Funktion, Information zu vermitteln, Kommunikation zu ermöglichen, Meinungen zusammenzuführen, Identität zu bilden, ein Weltbild aufzubauen, und die Aufgabe, im öffentlichen Interesse zu agieren.55 Anderson untersucht die Mechanismen und Strukturen, die der Formation von vorgestellten Gemeinschaften zugrundeliegen. Ein zentrales Element bei der Entwicklung des modernen Staats und der Vorstellung einer nationalen Identität besteht für ihn in den Prinzipien der Gleichzeitigkeit und der Vernetzung, die durch Printmedien wie z. B. Tageszeitungen geschaffen werden. Konkret ist hierbei auf die Wechselwirkung und die Beziehungsebene der beiden Diskursstränge zu achten. Strukturelle und gesellschaftliche Faktoren beeinflussten die Herausbildung unterschiedlicher Diskursstränge und insbesondere die Darstellung dieser Diskursstränge innerhalb der Tagesmedien wirft die Frage auf, inwieweit sich offene oder verdeckte Formen von nationaler Identitätsbildung sowie von Antisemitismus auf der sprachlichen Ebene zeitgenössischer Quellen zeigten. Dabei ist der Frage nach der tatsächlichen Herausbildung einer österreichischen nationalen Identität im deutschsprachigen Raum der Donaumonarchie zwischen 1866 und 1914 nachzugehen. Das heißt, gab es in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese österreichische nationale Identität im deutschsprachigen Raum der Habsburgermonarchie? Und wenn ja, in welcher Weise wurde sie von unterschiedlichen Diskursen beeinflusst und wie entwickelte sie sich über den Untersuchunsgzeitraum hinweg? Zudem soll hervorgehoben werden, welche Faktoren die Entwicklung der österreichischen nationalen Identität beflügelten bzw. hemmten. Zentral ist die Frage, in welchem Zusammenhang der Diskursstrang der deutschösterreichischen Nationalidentität zum wachsenden Antisemitismus stand, welche Rolle der aufkommende Antisemitismus in den nationalen Identitätskonstruktionen unterschiedlicher Milieus im deutschsprachigen Raum spielte, und ob dabei Spezifika einzelner Gruppierungen zu erkennen sind. 55 Vgl. Wilke 1996,17 – 33.

24

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

Die Beantwortung dieser Fragen wurde an ausgewählte historische Eckdaten geknüpft, die den Rahmen für diese Analyse bilden. Während der 1860er Jahre wurden politische Entscheidungen, wie z. B. die Dezemberverfassung, und ihre Reichweite untersucht. Zudem zeigten sich die Entwicklungen des Kulturkampfes56 zwischen dem deutschliberalen sowie dem konservativ-föderalistischen und katholischen Milieu zunehmend in politischen Bereichen. 1873 hatte der Liberalismus mit der Weltausstellung in Wien seinen Höhepunkt erreicht und stürzte im Mai desselben Jahres durch den Börsenkrach in bisher unbekannte Tiefen. Dies erschütterte nicht nur die Investoren, sondern die gesamte Gesellschaft. Von den gesellschaftlichen Veränderungen profitierten das konservativ-katholische, aber auch das deutschnationale Lager. Gegen Ende der 1870er und zu Beginn der 1880er Jahre begann eine zunehmende Bewegung des Kleinbürgertums, die sich gegen die Wirtschaftskrise, und vor allem ihre Verursacher, richtete. Da Liberalismus über weite Strecken mit dem Judentum gleichgesetzt wurde, entwickelten sich damit zusammenhängend verstärkt antisemitische Strömungen. Diese antisemitische Widerstandsbewegung, die vornehmlich gegen den Liberalismus wirkte, griff in den 1880er Jahren nationale Forderungen auf, wie sie vor allem im deutschnationalen und konservativ-katholischen Lager sichtbar wurden. Es sind regionale Unterschiede zwischen den politischen Entwicklungen der Zeit festzustellen. In Wien und im direkten Umland Niederösterreichs konnten die Liberalen bis in die 1890er Jahre ihre Macht teilweise erhalten.57 Außerhalb der Landeshauptstadt und vor allem in Grenzregionen etablierte sich während der 1880er Jahre zunehmend das deutschnationale Lager. Besonders im Milieu der Studenten, aber auch bei Bauern im Großraum Tirol und Vorarlberg, fanden deren Ideen Anklang. So entstand Anfang der 1890er Jahre zum Beispiel ein Deutschnationaler Verein für Tirol und Vorarlberg.58 Dennoch ist insbesondere in dieser Region eine Abgrenzung des konservativen-katholischen Lagers vom Liberalismus und von Wien zu erkennen, die sich in einer zunehmenden Hinwendung zum christlich-sozialen Lager zeigte. Eine Politik für den Klein- und Mittelstand stand während der 1890er Jahre im Zentrum der christlich-sozialen Bewegung, und die politische Agitation mit antisemitischen Stereotypen wurde in weiten Schichten gesellschaftstauglich. Dies zeigt sich einerseits in der Aufnahme antisemitischer Abgrenzungsmetaphern in alltäglichen Diskursen, die in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten wurden, aber auch in der Verhaftung in politischen Parteiprogrammen Anfang des 20. Jahrhunderts. 56 Der Begriff des Kulturkampfes wurde 1873 von Rudolf Virchow geprägt und bezeichnet die Konflikte zwischen Staat und Kirche. Vgl. Weitensfelder 2008, 17. 57 Vgl. Höbelt 1993, 97. 58 Vgl. Weitensfelder 2008, 25 – 26.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

25

Die politische Verwendung und der Einsatz von Antisemitismus gingen vor Beginn des Ersten Weltkrieges kaum zurück und die Akzeptanz und Verbreitung innerhalb der Gesellschaft – auch in öffentlichen Printmedien – war absolut gegeben. Durch die Unterdrückung der nationalstaatlichen Bemühungen innerhalb der Habsburgermonarchie wurden diese Tendenzen in ein widerständisches Milieu abgedrängt. Antisemitismus wurde oft als Abgrenzungsmechanismus gegen unterschiedliche Gruppierungen verwendet, zum Beispiel vom konservativ-katholischen Milieu Vorarlbergs zur Abgrenzung von der Landeshauptstadt, bzw. gegen den Liberalismus, oder vom deutschnationalen Lager ebenfalls gegen das liberale Lager und die Monarchie als Staatsform im Allgemeinen. Zu erkennen sind diese Diskursproduktionen der unterschiedlichen Milieus vor allem in den von ihnen unterstützten Printmedien. Kirchhoff stellt fest, dass »die Deutschen im Habsburgerstaat es versäumt haben, sich gegen die Deutschen im nachmaligen Deutschen Reich einerseits, gegen die übrigen Völker der Monarchie andererseits klar abzugrenzen und also zu einer originären deutsch-österreichischen Identität zu finden.«59 Dieser Annahme widerspreche ich in dieser Arbeit. Die Analyse des Quellenmaterials im Untersuchungszeitraum lässt darauf schließen, dass sich eine klar erkennbare österreichische Nationalidentität bereits vor dem Ende der Habsburgermonarchie konstruiert hatte. Auch wenn sich Tendenzen der Annäherung an das Deutsche Reich durchgehend in einzelnen Milieus erkennbar zeigten, so ist dennoch eine Abgrenzung von diesem im Großteil der Bevölkerung ersichtlich. Auch gegen die anderen Länder der Donaumonarchie erfolgte ein intensiver und weitreichender Abgrenzungsprozess, der sich sowohl im Diskursstrang des Antisemitismus als auch der Nationalidentität wiederfindet. Nicht nur die Veränderung vom Dynastiebewusstsein hin zum nationalen Staatsverständnis, sondern auch die konstruktive bzw. strukturelle Beziehung der Nationalidentität zum wachsenden Phänomen des Antisemitismus dieser Zeit spielte dabei eine Rolle. Nation, Identität und Antisemitismus Zentral für diese Untersuchung ist die Beziehung des Antisemitismusdiskursstranges zur nationalen Ebene. Die Erforschung des Begriffes Antisemitismus nahm in den letzten Jahren verstärkt kulturwissenschaftliche und ethnologische Methoden, wie die Dichte Beschreibung, oder sprachwissenschaftliche Ansätze der Diskurs- und Semantikanalysen an, um die Traditionen und Ideengeschichte qualitativ festhalten zu können.60 Dieser Entwicklung schließe ich mich mit 59 Wagner 2009, 75 bzw. Vgl. Kirchhoff 2001. 60 Vgl. Gräfe 2010, 129.

26

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

dieser Arbeit an, die anhand einer historisch-qualitativen Analyse gesellschaftliche Diskurse und Prozesse in der deutsch-österreichischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts aufzeigen wird. Spezifische Elemente der Nationsbildung können in der Habsburgermonarchie, laut Bruckmüller, bereits während des 19. Jahrhunderts erkannt werden. Als Faktoren dafür sieht er einerseits das Bedürfnis einer verstärkten Alphabetisierung in der gesamten Monarchie, die eine intensive Beschäftigung mit der jeweils eigenen Sprache bzw. demnach auch der Sprachpflege zur Folge hatte. Dies wird in der wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung von Dichtung, Volkskultur und Sprache im Allgemeinen infolge der Romantik sichtbar. Andererseits spielt die wachsende Ablehnung des Zentralismus der Habsburgermonarchie in den Kronländern eine wichtige Rolle in diesem Prozess.61 Kirchhoff wiederum sieht in diesem Zeitraum weniger die Herausbildung einer österreichischen Nationalidentität, sondern hält sogar fest, dass sich diese erst nach dem ersten Weltkrieg entwickelt hat.62 Der Begriff der österreichischen Nation wird oft besonders in Bezug auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als schwer nachvollziehbar oder noch nicht existent konstruiert. Dennoch ist Görling der Meinung, dass es unrealistisch ist, davon auszugehen, dass alle Länder der Monarchie Nationswerdungsprozesse entwickeln, nur die deutschsprachige Gruppierung nicht.63 Er stellt fest, dass einer Gruppe, und sei sie auch noch so klein, in diesem Zeitalter die Nationswerdung nicht abzuerkennen sei. In diesem Zusammenhang hält Hecht fest, dass sich im 19. Jahrhundert zwar Interessensgruppen kulturell und politisch mit dem Nationsbegriff auseinandersetzten, dieser Begriff jedoch erst im 20. Jahrhundert genauer definiert wurde.64 Bis dahin war der Vaterlandsbegriff von zentraler Bedeutung in der Gesellschaft. Dies ist jedoch weiter zu differenzieren, da der Vaterlandsbegriff zum Beispiel innerhalb der k.u.k. Armee ablehnt wurde, da er ihren föderalistischen Idealen nicht entsprach.65 Nationalidentität ist also eindeutig in den Prozess der Nationskonstruktion des 19. Jahrhunderts einzuordnen, der sich in der k.u.k. Monarchie insbesondere in den sprachlichen Unterschieden manifestiert. Einerseits führte dies zur Konstruktion eines deutsch-österreichischen Bewußtseins, das sich von anderen Nationalideen abzugrenzen versuchte, andererseits zu einer emotionalen, sprachlichen und kulturellen Bindung zum Deutschen Reich.66 In Bezug auf die österreichische Nationalidentität trifft dies sicherlich auf die Zeit nach dem 61 62 63 64 65 66

Vgl. Bruckmüller 2001. Vgl. Kirchhoff 2010. Görlich 1967, 69. Vgl. Hecht 1967, 83 – 96. Vgl. Schmidt-Brentano 1982, 247. Vgl. Bruckmüller 1996, 286 – 288. oder Bruckmüller 1998, 369 – 396.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

27

Ausscheiden aus dem Deutschen Bund 1866 bzw. für einige Milieus auch darüber hinaus zu. Dennoch sind bereits hier Tendenzen zur Abgrenzung von Deutschland und in weiterer Folge vom Deutschen Reich zu erkennen. Das Landes-, Sprach- und Kulturbewusstsein war mit Sicherheit bis ins Jahr 1914 stark vom Deutschen Reich beeinflusst67, dennoch waren auch hier bereits Exklusionsbestrebungen zu erkennen. Dies verdeutlicht sich allein in der Verwendung von Begriffen in der Alltagssprache. Der Grad der Hinwendung zur deutschen Nation unterschied sich je nach Milieu. Während in der Armee, dem Beamten- und Bauerntum – und somit in einem breiten Teil der Bevölkerung – eine klare kulturelle Orientierung gegeben war, zeigte sich im radikalen Milieu der Deutschnationalen und Alldeutschen eine absolute Hinwendung zum Deutschen Reich, mit allen Konsequenzen, wie der Ablehnung der österreichischen Monarchie. Auch wenn diesen Gruppierungen nur Minderheitenpositionen innerhalb der Gesellschaft zugewiesen wurden, zeigt sich, dass diese Ansichten besonders im studentischen Milieu großen Anklang fanden und sich so längerfristig in der Gesellschaft ausbreiten konnten.68 Aufgrund der Tatsache, dass die jüdische Bevölkerung Österreichs im Laufe des 19. Jahrhunderts von unterschiedlichen Milieus in der Gesellschaft immer stärker als Nation, nationale Volksgruppe oder ähnliches, und nicht mehr als Religionsgemeinschaft, definiert wurde, zeigt sich die Verbindung des Antisemitismus mit dem wachsenden Nationalismus. Ähnlich wie die nationalen Gruppierungen der Tschechen oder Slawen von der deutschsprachigen Gruppierung positioniert wurden, so geschah dies auch mit der jüdischen Gemeinschaft. Die Ablehnung der religiösen Definition der Gruppe von außen ergab eine zunehmende Definition nach Standards der Nationsabgrenzung. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung wurde damit über folgende Bereiche definiert: die Namensgebung, die genealogischen Verhältnisse der Herkunft sowie die soziale Position in der Gesellschaft. Besitztum, Ideologie und Religion wurden ebenso für die Konstruktion herangezogen, wie rassistisch konstruiertes einheitliches Aussehen, zugewiesene physische und geistige Fähigkeiten und angenommene moralische Eigenschaften.69 Durch die Verbindung traditioneller antijüdischer Stereotypen mit nationalen Bestrebungen und rassistischen Abgrenzungen konnte eine diskursive Bewegung geschaffen werden, die zunehmend auch als Weltbild fungierte. Diese Funktion konnte erst durch eine Ausbreitung und Akzeptanz in der Gesellschaft etabliert werden, die sich auf die bereits vorhandenen Stereotypkonstruktionen stützte. Insbesondere Pulzers Auseinandersetzung »Die Entstehung des politischen Antisemitismus in 67 Kann 1964a, 57. 68 Vgl. Bruckmüller 1998, 369 – 396. 69 Vgl. Metzeltin 2000, 35.

28

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

Deutschland und Österreich 1867 – 1914«70 differenziert in diesem Untersuchungszeitraum zentrale Milieus und Entwicklungen. Die christlich-theologische Komponente, eine sozio-politische und kulturelle Verhaftung aber auch die rassistisch-biologische Konstruktion von Antisemitismus zeigte sich in unterschiedlichen national definierten Diskursen des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum der Donaumonarchie.71 Dass diese Verknüpfung keineswegs eine neue Erscheinung darstellt, wird bereits bei Herder deutlich, wodurch auch die Beeinflussung durch den größeren deutschsprachigen Raum sichtbar wird. »Das Volk Gottes, dem einst der Himmel selbst sein Vaterland schenkte, ist Jahrtausende her, ja fast seit seiner Entstehung eine parasitische Pflanze auf den Stämmen andrer Nationen: ein Geschlecht schlauer Unterhändler beinah auf der ganzen Erde, das trotz aller Unterdrückung nirgend sich nach eigner Ehre und Wohnung, nirgend nach einem Vaterlande sehnet.«72

Zentral an der Entwicklung war, dass sich der Antisemitismus von einer Protestbewegung zu einer Weltanschauung wandelte, die Erklärungsmodelle bot.73 Es wird deutlich, dass sich infolge der Phänomene der Aufklärung und des Rationalismus radikale Systeme und Denkweisen entwickeln konnten, denen man an und für sich entgegenwirken wollte.74 Neben politischen Aspekten des wachsenden Antisemitismus wird deutlich, dass wirtschaftliche Ereignisse und Entwicklungen gesellschaftspolitischen Einfluss hatten. Dies zeigt, dass unterschiedliche Diskursstränge einer gesellschaftlichen Entwicklung an vielen Punkten miteinander verknüpft sein können und sich teilweise gegenseitig auch erst bedingen. Pulzer hält fest, dass sich unterschiedliche Entwicklungen des Antisemitismusdiskurses besonders auf den politischen Ebenen in Deutschland aber auch in Österreich zeigten.75 Neben dieser Komponente sind jedoch auch andere Einflussnahmen, wie lokale Traditionen, die Diskrepanz zwischen Stadt und Land sowie die Sozialisation innerhalb der Gesellschaft von Bedeutung, wie Blaschke aufzeigt.76 Auch das Verhalten in Bezug auf Autorität, bzw. fremden Gruppierungen innerhalb der eigenen Gesellschaft gegenüber, spielt in diesem Prozess eine Rolle. Zudem hält Blaschke fest, dass der zunehmende Ultramontanismus im Rahmen des konservativen Katholizismus des 19. Jahrhunderts ebenso von Bedeutung für das Anwachsen des Antisemitismus war, wie die unterschiedlichen Motivationen, die zur Verwendung antisemitischer Agita70 71 72 73 74 75 76

Pulzer 2004. Vgl. Religion in Geschichte und Gegenwart. 1998, Sp. 569. Herder 1841, 60. Vgl. Religion in Geschichte und Gegenwart. 1998, Sp. 569 – 570. Vgl. Horkheimer/Adorno 1973. Vgl. Pulzer 1966. Vgl. Blaschke 2000, 77 – 110.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

29

tionen führten.77 Für die konfessionelle Dimension des Antisemitismus in Österreich spielten vor allem die beiden Diskursteilnehmer August Rohling und Josef Deckert eine Rolle.78 Im Gegensatz dazu zeigt Pauley vor allem die Problemfelder der jüdischen Bevölkerung Österreichs zwischen der wachsenden Politisierung der Gesellschaft und des Nationalitätenkonflikts in der Monarchie auf.79 Den Zusammenhang zwischen der Entstehung des Antisemitismus und seiner gesellschaftlichen Kategorisierung sieht Volkov in seiner Definition als kulturellen Code, der als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft fungiert.80 Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch, dass er regionale und nationale Differenzierungen kaum wahrnimmt und auch politische Feinheiten ignoriert. Nicht jede national ausgerichtete Gruppierung war auch automatisch antisemitisch eingestellt, wie am Beispiel der national-liberalen Haltung deutlich wird, die auch im jüdischen Milieu mitgetragen wurde. Ein weiteres Problemfeld ergibt sich auch in der Darstellung von Antisemitismus als soziale Norm, wie sie von Clemens Felden vertreten wird.81 Felden hält fest, dass sich antisemitische Stereotype mit ihrer Verbreitung im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Breite der bürgerlichen Gesellschaft zu einer sozialen Norm verfestigen konnten. Diese Definition als Norm erscheint meiner Meinung nach jedoch zu stark, da weder antisemitische Stereotype noch politische Ideologien als anerkannte Normalzustände in der breiten Gesellschaft gesehen werden können. Antisemitische Stereotype und Feindbilder entwickelten sich daher eher auf dem Niveau eines kulturellen Codes als einer sozialen Norm. Wesentlich beeinflusst wurde die deutschösterreichische Auseinandersetzung durch den deutschsprachigen Diskurs, der von außen insbesondere im deutschnationalen Milieu einwirkte.

Diskurse im Deutschen Reich und der Zeit davor 1843 verfasste Bruno Bauer »Die Judenfrage«82, die zuerst keine nennenswerte Resonanz fand, dann jedoch ein Jahr später von Karl Marx, zusammen mit Bauers zweitem Werk, einem Artikel über »Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen frei zu werden.«83, aufgegriffen wurde. Bauer behauptet, dass das gesamte deutsche Volk unfrei wäre und die jüdische Bevölkerung durch ihre 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. Blaschke 2000, 77 – 110. Vgl. Hellwig 1972. Vgl. Pauley 1993. Vgl. Volkov 2000, 69. Vgl. Felden 1966. Vgl. Bauer 1843a. Vgl. Bauer 1843b, 56 – 71.

30

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

Emanzipationsbestrebungen egoistisch handeln würde. Zudem sieht er zentrale Unterschiede zwischen den Religionen. Marx antwortet auf diese Behauptungen in seinem Werk »Zur Judenfrage«84 mit der Feststellung, dass nur die vollständige Gleichheit aller Bürger und die Definition der Religion als Privatsache die Konflikte zwischen Staat, Religion und Bürgern beilegen könnten. »Die gesellschaftliche Emancipation des Juden ist die Emancipation der Gesellschaft vom Judenthum.«85 Unter dem Pseudonym Freigedank86 veröffentlichte Richard Wagner 1850 »Das Judentum in der Musik«, das zuerst überhaupt keine Beachtung fand. Als der Text jedoch 1869 noch einmal unter seinem richtigen Namen in Leipzig veröffentlicht wurde, war die Resonanz erheblich und führte zu einer Verherrlichung Wagners im deutschnationalen und studentischen Milieu in Österreich. »Der Jude, der bekanntlich einen Gott ganz für sich hat, fällt uns im gemeinen Leben zunächst durch seine äußere Erscheinung auf, die, gleichviel welcher europäischen Nationalität wir angehören, etwas dieser Nationalität unangenehm Fremdartiges hat: wir wünschen unwillkürlich mit einem so aussehenden Menschen Nichts gemein zu haben.«87

Die Abgrenzung von der Nation ist hier zentrales Element. »Der Jude spricht die Sprache der Nation, unter welcher er von Geschlecht zu Geschlecht lebt, aber er spricht sie immer als Ausländer.«88 Hier wird deutlich, dass der Diskurs um die Position der Juden innerhalb von Nationskonstruktionen als immer problematischer gesehen wurde. Weiters greift Wagner in seinen Anfeindungen nicht auf religiöse Motive zurück, sondern bereits auf äußerliche ästhetische Merkmale, und setzt damit deutliche Beziehungen zu rassistischem Ideengut. Er verwendet die Begriffe »fremdartig und unangenehm«89 in Bezug auf die jüdische Sprechweise und stellt fest, dass Juden aufgrund ihres Äußeren nicht für künstlerische Abbildungen geeignet seien, und wenn, dann nur »mit weislicher Veredelung oder gänzlicher Hinweglassung alles dessen, was uns im gemeinen Leben die jüdische Erscheinung eben charakterisiert«90. Seine Verwendung von Antisemitismus ist Ausdruck einer Stimmung in der Gesellschaft und greift bereits vorherrschende Stereotype, besonders das Aussehen der jüdischen Bevölkerung, betreffend auf.91 Erst mit den 1870er und 1880er Jahren fanden antisemitische und nationa84 85 86 87 88 89 90 91

Vgl. Marx 1844, 182 – 244. Marx 1844, 244. Vgl. Hein 2006, 101. Wagner 1869, 13. Wagner 1869, 14. Ebd., 15 Ebd., 13. Vgl. Hein 2006, 111.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

31

listische Veröffentlichungen vermehrt Gehör in der Gesellschaft. Otto Glagau verfasste in den Jahren 1874 und 1875 eine Artikelserie92 zum Thema »Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin« in der Zeitschrift Die Gartenlaube. Ein Illustriertes Familienblatt, deren Quintessenz die Schuld der Juden am Zusammenbruch der Börse war. Thema der Artikel waren hauptsächlich wirtschaftliche Gesichtspunkte, wodurch er eine Verbindung zwischen der sozialen Frage und der Judenfrage schuf. Diese Vorstellungen publizierte er zudem 1876 in einer eigenen Schrift93. Er beeinflusste damit die Entwicklungen des Antisemitismusdiskurses im deutschsprachigen Raum und förderte seine Politisierung. Wilhelm Marr94 beschreibt die Judenfrage als eine »social-politische«95. Er distanziert sich deutlich von religiösen Motivationen, die er nicht aufgreifen wollte, sowie von nationalen, die er jedoch dennoch umsetzt. »[…] mich beseelt nicht der entfernteste ›Judenhass‹ und eben so wenig ein confessioneller Hass gegen die Juden. Nicht einmal ein ›Nationalhass‹ oder ›Racenhass‹. […] Dass ich, wie unzählige andere Schriftsteller und andere Menschen, unter der Verjudung meines Berufes zu leiden habe, liegt in der Natur der Sache. Es ist wie im Kriege. Wie kann ich den Soldaten persönlich hassen, dessen Kugel mich trifft?«96

Damit wird deutlich, dass sich antisemitische Diskursteilnehmer verstärkt positiv im Diskursverlauf positionieren wollen, um nicht als negative Meinungsmacher definiert zu werden. Die Differenzierung der eigenen Position als nicht im »entferntesten« von negativen Abgrenzungsparolen geprägt ermöglicht eine breitere Zustimmung innerhalb der Gesellschaft. Marrs primäre Angst liegt in der Herrschaft des Judentums über das deutsche Volk, welche er besonders in wirtschaftlichen Gesellschaftsbereichen sieht. Obwohl er sich hier noch von einer nationalen und rassistischen Einschätzung der Judenfrage distanziert, finden sich vor allem in den nächsten Jahren solche Argumentationen immer häufiger, wie z. B. in einem Artikel des Österreichischen Volksfreund 1881. »Ich kann Niemandem in‹s Innere sehen und habe in der Geschichte gelernt, wie stark das Rassenbewusstsein der Juden ist! Ein Bisschen stärker als das Nationalbewusstsein der Deutschen!«97

Der Diskurs aus dem Deutschen Reich wurde durch wiederholtes Abdrucken von Reden bzw. Artikel, vor allem im Österreichischen Volksfreund, aufgegriffen. So zum Beispiel in dem am 10. Dezember 1880 in Leipzig gehaltenen Vortrag von 92 93 94 95 96 97

Angefangen von 1874/49 insgesamt zwölf Artikel, bis 1875/ 50. Vgl. Glagau 1877. Vgl. Marr 1879. Marr 1879, 21. Marr 1879, 38 – 39. Österreichischer Volksfreund, 19. 09. 1881, 5. Österreichische Nationalbibliothek.

32

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

einem Studenten der Rechtswissenschaften mit dem Titel »Die Judenfrage als Rassenfrage«98. Hier werden sowohl wieder die »ausgeprägte Nationalität«99 der jüdischen Bevölkerung angesprochen als auch die Definition des Antisemitismus auf »wirthschaftlichem, socialem und gesellschaftlichem Boden«100. »Das deutsche Volk muss sich der Schmach dieses Zustandes bewusst werden; das ist der erste Schritt zur Besserung. Es muss das Gefühl seiner Nationalität wiederfinden, und in diesem Gefühl Stellung nehmen gegen die ihm drohende Verjudung, es muss das Lügengespinnst, mit dem die jüdische Presse die Begriffe Nationalität und Rasse zu umgehen sucht, zerreissen, und um sich selbst und die Herrschaft einer edler gearteten Menschheit auf der Erde zu erhalten, soll es auf die Fahne, um welches es sich zur Gegenwehr gegen die Verjudung zu schaaren hat, die Worte des Juden Disraeli schreiben: Die Rasse ist Alles. (Beifall)«101

Die Verknüpfung der unterschiedlichen Diskurssstränge Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus lässt sich hier erkennen, wobei der Presse eine spezielle Rolle in diesem Prozess zugesprochen wird. Zentral für weitere Berührungspunkte und Verschränkungen dieser Ideenkonstrukte war Dührings Werk »Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Kulturfrage«102, das wieder die Frage nach der Komponente zwischen der sozialen Frage und der Judenfrage stellte, diese aber verstärkt rassistisch unterlegte. Die starke Verortung des Antisemitismusdiskurses im akademischen Milieu zeigte sich deutlich in den 1870er und 1880er Jahren. Dühring und Treitschke, aber auch Rohling in der k.u.k. Monarchie, waren mit Universitäten verbunden und prägten und verkörperten damit potentiell wirkungsmächtige Sprecherrollen innerhalb von Diskursen. Treitschke zeigte deutlich die verstärkte Verbindung von nationalem und antisemitischem Ideengut innerhalb dieser Zeit. Er hielt fest, wie weit sich die antisemitische Bewegung erstreckte und prägte einen zentralen Auspruch des weiteren Antisemitismusdiskurses. »Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuthes mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!«103

Wesentliche Verwendung im Antisemitismusdiskurs fand auch die Alliance Isra¦lite Universelle, eine 1860 gegründete Organisation zur kulturellen Förderung des Judentums in unterschiedlichen Nationen. Hermann Ottomar Friedrich Goedsche, Redakteur der konservativen preußischen Kreuzzeitung und 98 99 100 101 102 103

Österreichischer Volksfreund, 16. 07. 1881, 2 – 4. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2 – 4. Ebd., 2 – 4. Ebd., 2 – 4. Vgl. Dühring 1881. Treitschke 1879, 575.

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

33

Verfasser einer Vielzahl von Trivialromanen, veröffentlichte unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe den Roman »Biarritz«. In der Rezeption des Romans rückt die Handlung in den Hintergrund und der Abschnitt, in dem ein deutscher Wissenschaftler und ein getaufter Jude eine nächtliche Szene der jüdischen Weltverschwörung beobachten, wird zentral. »Die Verbindung von Verschwörungsdenken und erklärungsbedürftigen aktuellen Problemen der Zeit ist so wirkungsvoll, dass die fiktive Szene Eigenleben gewinnt, als Realität wahrgenommen und in Sonderausgaben kolportiert wird.«104

So wird eine Szene aus einem Abenteuerroman Mittelpunkt einer Verschwörungstheorie, die, obwohl von Anfang an als Konstruktion enttarnt, weitreichende Wirkung bis ins 20. Jahrhundert hatte. Grundsätzlich wird deutlich, dass es ein gesellschaftliches Bild festzuhalten gilt und die Ausbreitung der Diskursstränge Antisemitismus und Nationalidentität in verschiedenen Milieus nachvollziehbar aufzuzeigen ist. Durch die zunehmende Alltäglichkeit antisemitischer Aussagen im deutschsprachigen Raum der Habsburgermonarchie ist zu erkennen, dass die Sensibilität der Gesamtbevölkerung in Bezug auf diese herabgesetzt wurde.105 Zudem wurde infolge dieser Desensibilisierung im öffentlichen Raum auch eine Normalisierung der Thematik im Privaten ermöglicht. Das bereits bekannte Konzept der Erziehung zur Nation wird nun teilweise mit einer Erziehung zum Antisemitismus verbunden, was sich in einigen zeitgenössischen Quellen wiederfinden lässt. Diese immer deutlicher werdenden Konflikte im öffentlichen Leben weisen auf eine vorangegangene private Entwicklung hin. In Schulen und an Universitäten wird dies gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer deutlicher und wird auch in individuellen Erinnerungen rekonstruiert. »It was in the first years of Gymnasium that I heard on my way to school the cry ‹Hoch Lueger› and ‹Nieder mit den Juden›. It upset me terribly, I couldn’t understand any reason for that hate.«106

Der Kontext dieses Zitates ist in der zunehmenden Politisierung der Gesellschaft während der 1890er Jahre zu suchen und zeigt den engen »Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Nationalismus«107, der sich als »Ausdruck moderner Gläubigkeit auf dem Hintergrund von Säkularisierung – und Demokratisierungsprozessen«108 entwickelt hat, auf. Die Suche

104 105 106 107 108

Benz, 2007, 32. Vgl. Lichtblau 1999, 99. Erinnerungen Alfred Marills. In: Lichtblau 1999, 99. Ley 2007, 17. Ebd., 17.

34

Das »Goldene Zeitalter der Sicherheit«?

»for a new identity and (discoursive) construction of scapegoats are not just Austrian issues, but also European ones. […] Austria is unique in many ways. But, on the other hand, it is a case study for European problems.«109

109 Wodak 2000, 6.

2.

Trauma 1866 »Als Deutscher ward ich geboren – bin ich noch einer? Nur was ich Deutsches geschrieben, nimmt mir keiner.«110

Franz Grillparzer schrieb oben stehenden Satz nach 1866 in das Album einer Fürstin111 und weist mit seinerAussage bereits auf das zentrale Problem hin, das sich für die deutschsprachigen Österreicher nach 1866 ergab: Eine nationale Identitätskonstruktion ohne Deutschland. Das Ausscheiden aus dem Deutschen Bund, aber auch der Ausgleich mit Ungarn 1867, brachten große gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Anhand einzelner Beispiele werden diese Entwicklungen in der deutschsprachigen Region der Habsburgermonarchie aufgezeigt.

2.1

Österreich ohne Deutschland?

Es ist zu beobachten, dass das traumatische Erlebnis des Ausschlusses aus dem Deutschen Bund in verschiedenen Milieus unterschiedlich aufgenommen und verarbeitet wurde. In der Tagespresse zeichnete sich eine Hinwendung zu Themen um die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn und die wachsenden Nationalitätenkonflikte ab. Fritz Mauthner, als Sohn jüdischer Eltern in Böhmen geboren und in Prag aufgewachsen, beschäftigte sich intensiv mit dem Nationalitätenkampf in seiner Heimat. Auch das Jahr 1866 sah er als zentralen Bruch in der österreichischen Gesellschaft. »So wurden wir durch die Ereignisse von 1866 aus unserem nationalitätslosen Österreichertum und aus unserem kosmopolitschen Liberalismus aufgerüttelt.«112

In den 1870er Jahren wandte sich Mautner vermehrt dem Deutschnationalismus zu, nachdem er von den Ansichten preußischer Soldaten, die in der Schlacht von

110 Das Magazin für Litteratur, 17. 01. 1891, 46. 111 Ebd., 46. 112 Mauthner 1969, 80. Die Originalausgabe ist 1918 in München unter dem Titel »Erinnerungen I. Prager Jugendjahre« erschienen.

36

Trauma 1866

Königgrätz gekämpft hatten, überzeugt wurde,113 und zog in weiterer Folge auch nach Deutschland. Auch Generalmajor Karl Moering war 1866 in die Kriegshandlungen verwickelt. Seine Gesinnung unterschied sich jedoch von der seiner Kollegen, da er im Gegensatz zum dynastisch-föderalistischen Denken der Mehrheit der Armeeführung stärker von einem deutschen Liberalismus und Antiklerikalismus geprägt war.114 Vor allem nach Ende des Krieges zeigte sich die Verzweiflung der Deutschösterreicher über die aussichtslose Lage. »Die Wiener Zeitung vom 4. August bringt den Präliminarfriedens-Vertrag vom 26. Juli, zu Nikolsburg zwischen Preußen und Österreich abgeschlossen. Das ist der eigentliche Anfang vom Ende. Mit Österreich, als deutsche Macht, ist es von nun an aus. Ein Österreich als nicht-deutsche Macht ist aber mit der Dynastie Habsburg auf die Dauer der Zeit nicht möglich.«115

Die Positionierung der Deutschösterreicher war zentral in seinem Denken. Demnach reagierte er auch entsprechend scharf auf nationale Spannungen unter seinem Kommando. Dies spiegelt auch seine Rückbindung an das liberale Lager wider. So wurden Hauptmann Rukavina de Vidovgrad und Leutnant Tarbuk aufgrund ihrer Forderungen für Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Armee im August 1866 zum Rapport zu ihm berufen. »Man kann sich denken, wie ich den beiden Herren die Köpfe wusch. Mit Recht sagt die ›Presse‹ in einem Artikel: ›Wie steht das Deutschtum in Österreich?‹: ›Die Armee ist der Träger des österreichischen Namens nur, weil sie deutsches Kommando hat. Würde sie es bleiben, wenn das deutsche Kommando einem anderen weichen sollte? Czechen und Magyaren mögen uns, die Hand aufs Herz gelegt, die Frage beantworten. Unsere leitenden Staatsmänner aber sollten Eines bedenken: In dem Augenblicke, als die Deutschen keine Nation mehr in Österreich sind, wird dessen Name aufhören, in Deutschland eine mächtige Tradition zu sein.‹ Das fehlt uns noch!! Geruhte denn Seine Majestät, als der Sprachenzwang-Ukas116 unterschrieben wurde, nicht an die Folgen zu denken, die notwendigerweise auch in der Armee, als Wirkung derselben Ursache, nicht ausbleiben konnten?«117

An diesem Tagebucheintrag wird deutlich, dass er seine Gedanken, dem Medium entsprechend, sehr frei festhielt. Das Aufgreifen eines Zeitungsartikels unterstreicht die Bedeutung der Printmedien im Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung und der Verweis auf die Sprachenverordnung zeigt den Auslöser für 113 Vgl. Johnston 2006, 206. 114 Vgl. Wandruszka 1966, 207 – 216. 115 Tagebuch Eintrag 06. 08. 1866, Generalmajor Karl Moering. Zitiert in: Wandruszka 1966, 290. 116 Bezeichnung eines Erlasses mit Gesetzeskraft. 117 Tagebucheintrag vom 04. 02. 1866 von Generalmajor Karl Moering. Zitiert in: Wandruszka 1966, 219 – 220.

Österreich ohne Deutschland?

37

die Forderungen der beiden angesprochenen Herren. Der Begriff Österreich wird mit der Monarchie in Verbindung gesetzt und als übergreifendes Konstrukt gesehen, unter dem sich die unterschiedlichen Nationalitäten zusammenfinden, als deren Anführer Moering eindeutig die deutschsprachige Bevölkerung sieht. Dies begründet er, um seine eigene Meinung zu unterstreichen, in Rückbezug auf einen öffentlichen Artikel, der ebenfalls die Machtverschiebungen in Europa durch den wachsenden Nationalitätenkonflikt anspricht. Die Verteidigung der Machtposition der deutschsprachigen Gruppierung in der Habsburgermonarchie wird im Laufe des 19. Jahrhunderts immer deutlicher. Im Jahre 1866 ist das deutsch-österreichische Bewusstsein jedoch hauptsächlich vom Schock der Niederlage in Königgrätz und dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bund geprägt. Die Befürchtung ohne offizielle politische Anknüpfung die Kulturverbindung nicht mehr aufrechterhalten zu können, wird in zahlreichen Veröffentlichungen und Artikeln besprochen. Der Frage nach der Zukunft Deutschösterreichs in der Folge der drohenden Niederlage im Krieg und dem damit verbundenen Ausscheiden aus dem Deutschen Bund ging die deutschliberale Neue Freie Presse nach. »Allein wie man vom besonderen österreichischen Standpunkte einem Frieden das Wort reden kann, der Deutschland dem siegreichen Preußen ganz und gar zur Verfügung stellt, Deutsch-Österreich aber vom Mutterlande ausschließt und einem permanenten Kampfe mit der magyarischen und der slavischen Politik überliefert, das ist für uns ein unlösbares Räthsel. Sehen diese Leute nicht, daß solch eine Neugestaltung in der That nur der Prolog zur Auflösung Österreichs wäre? […] So wenig DeutschÖsterreich sich von Deutschland lossagen kann, so wenig kann Deutschland auf Österreich verzichten, […] aber unbegreiflich wäre uns eine deutsche Politik, welche Deutsch-Österreich dem Slavismus zur Beute ließe.«118

Am Anfang des Artikels kommt vor allem die Ungläubigkeit in Bezug auf die realpolitischen Ereignisse der letzten Wochen zum Ausdruck. Es wird versucht festzuhalten, dass »Deutschland« sich nicht ohne Folgen von Deutschösterreich lösen könne, wobei hier nicht die Monarchie, sondern nur der deutschsprachige Teil im Vordergrund steht. Durch die Wahl der Begriffskonstruktionen »unlösbares Räthsel« und »unbegreiflich« wird die gesellschaftliche, emotionale Situation auf die sprachliche Ebene des Artikels transformiert. Emotionen dominieren auch in weiterer Folge die Argumentation. Dies scheint jedoch mehr ein Versuch der Leugnung des erfahrenen Traumas zu sein, da keine tatsächlichen Auswirkungen aufgezeigt werden. Im Vordergrund stehen die Angst vor dem »permanenten Kampfe mit der magyarischen und der slavischen Politik« und das anscheinende Desinteresse Deutschlands an Deutschösterreich. Dem wird versucht, durch eine gesteigerte Machtzuschreibung entgegenzuwirken. 118 Neue Freie Presse, 22. 07. 1866, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

38

Trauma 1866

»Fern sei von uns in diesem Augenblick die Neigung, irgend einer Nation Österreichs ein Leides sagen zu wollen; aber alle werden sie sicherlich der deutschen Nation das Zugeständnis einer unbestreitbaren geistigen Superiorität machen. Die Deutschen in Österreich würden jedoch an dem Tage, wo das Band, das den Kaiserstaat bisher mit Deutschland verknüpft, völlig zerrissen wird, in die politische Inferiorität versetzt, und wenige Wochen später würde das Wort, das einst mit Entrüstung vernommen ward, wie eine traurige Wahrheit die Lüfte erfüllen: in Österreich würden Deutschlands Schmerzenskinder wohnen. Die Deutsch-Österreicher würden gar bald aufhören, in Österreich ihr Mutterland zu suchen, unwiderstehlich zöge es sie zu Deutschland hin […].«119

Die hier gezeichneten Zukunftsperspektiven zeigen eine Auflösung der deutschösterreichischen Gruppierung und eine vollständige Hinwendung zu Deutschland, gesetzt dem Falle, dass ein Ausschluss aus dem Deutschen Bund umgesetzt werden würde. Somit wird deutlich, dass die Machtposition der deutschösterreichischen Gruppierung für diese mit ihrer Existenz gleichgesetzt wird, da die »politische Inferiorität« nicht tragbar wäre. Wobei betont wird, dass der »Unglückstage von Königsgrätz« bei weitem als nicht so tragisch empfunden wird, als die Bestrebungen innerhalb der Monarchie, die diesen Entwicklungen zustimmen würden. Zentral hierbei ist die Unterscheidung zwischen »Deutschland«, das als kulturelles und emotionales Vaterland gesehen wird, und »Preußen«, dessen politische Vormachtstellung im deutschsprachigen Raum aus österreichischer Sicht zu verhindern ist. Dabei wird der Kampf um die Machtposition im deutschsprachigen Raum deutlich. »Wir nun für unsern Theil vermöchten viel eher noch selbst den Verlust eines Streifen Landes zu verschmerzen, als daß Österreich definitiv aus Deutschland ausschiede und es Preußen überließe, unter seiner ausschließlichen Hegemonie Deutschland neu zu constituiren.«120

Um zwischen den beiden Gebieten, Österreich und Preußen, breitenwirksam zu differenzieren, wurden deren Allegorien, Austria und Borussia, in einer Karikatur im Kikeriki als Sinnbilder gegenübergestellt und aus österreichischer Sicht mit ihren entsprechenden Eigenschaften dargestellt. Austria wird als arbeitende Mutter mit zahlreichen Kindern dargestellt, was auch der unter der Graphik stehende Satz unterstreicht: »Ich arbeite fleißig und verdiene kaum das Nothwendigste für meine braven Kinder.«121 Im Gegenzug dazu wird Borussia als reiche Prostituierte abgebildet, die sich erst im Schatten der Nacht auf der Straße zeigt. »Ich bin zwar prostituiert – aber ich verdien’ eine Menge Geld.«122 wird 119 120 121 122

Neue Freie Presse, 22. 07. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2. Kikeriki, 06. 09. 1866, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2.

Österreich ohne Deutschland?

39

unter ihrer Darstellung vermerkt. Abgesehen von der Bekleidung und ihrer charakterlichen Zuordnung in der Textebene wird ihre gesellschaftliche Stellung in Hinblick auf Raum und Zeit in der Darstellung aufgegriffen. Austria arbeitet in einem Raum, durch dessen Fenster Sonnenlicht einstrahlt, während Borussia auf der Straße im Mondlicht und im Schein einer Laterne stolziert. Auch die weiteren Protagonisten der Bilder unterstreichen die Verteilung der positiven und negativen Zuweisungen. Links scharren sich einfach gekleidete ›brave Kinder‹ um die Frauenfigur in der Mitte, während der Figur rechts Soldaten nachgaffen.

Abb. 2: Karikatur der Allegorien Austria und Borussia. Kikeriki, 06. 09. 1866, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Im Vergleich dazu wird im Vorarlberger Volksblatt zur Darstellung der Gegenwart ein Konstrukt der Vergangenheit gebildet, das idealtypisch die Kontinuität der Nationserzählung zeigt. »Es war einmal ein deutsches Reich. Es war ein großes, ein mächtiges Reich. Die herrliche Germania thronte im Herzen Europa’s sie tauchte ihren Fuß ins adriatische Meer, die Nord- und Ostsee krönten ihre Stirne, ihre Arme reichten zu den Quellengebieten der Oder und der Maas und der deutsche Rhein durchströmte ihren Riesenleib. Es war einmal eine deutsche Nation, ein herrliches Geschlecht, ihr Symbol die königliche Eiche. Groß und stark waren die Söhne Germaniens aus ihren Wäldern hervorgegangen und gossen frisches Blut in die entartete Römerwelt. Die Fürsten und Völker Europa’s huldigten dem deutschen Namen, die Deutschen hemmten die Fluth der von Osten über Europa eindringenden Barbaren zu wiederholten Malen und retteten dem Abendlande das Christenthum und mit ihm die Civilisation.«123

Das deutsche Vaterland wird als »großes« und »mächtiges Reich« imaginiert, das sich geeint als »deutsche Nation« gegen die Römer zur Wehr setzte. Die Hoch123 Vorarlberger Volksblatt, 31. 07. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

40

Trauma 1866

stilisierung des Germanentums und die Bemühungen um eine Kontinuitätskonstruktion als charakteristische Merkmale der Nationsbildung im 19. Jahrhundert zeigen sich deutlich. Interessant ist hier der relativ nahtlose Übergang des Bildes des edlen Germanens, mit dem Symbol der »königliche[n] Eiche«, zu den Deutschen als Bollwerk des »Christenthums« und der »Civilisation« des Abendlandes. Abgesehen von dieser Symbolsprache finden sich weitere klassische Redewendungen und Metaphern einer Nationsbildung. Die Betonung der Besitzkonstruktion über die Landschaft, die sich in der Verwendung der kollektiven Symbolik des »Herzen Europa’s« und der detaillierten Beschreibung der Figur »Germania« als Synonym und mythische Personifikation der deutschen Nation findet, macht dies sichtbar. Auch die Abgrenzung der eigenen Gemeinschaft gegenüber anderen wird deutlich, wenn beschrieben wird, dass das deutsche Volk »die Fluth der von Osten über Europa eindringenden Barbaren« abwehrten. Bisher weist der Artikel eine nationalistisch überhöhte Darstellung der Deutschen auf, die sich jedoch in der zweiten Hälfte ändert. Dem Verlust der Zugehörigkeit zu dieser Konstruktion wird versucht durch eine Abwertung entgegenzuhalten. »Und nun! wo ist des Deutschen Vaterland? Dort, wo Brüder sich verrathen und zerfleischen, dort wo ein großes Volk von 40 Millionen der ewigen Zwietracht preisggegeben, dort wo Fremde herrschen, anstatt daß sie sich fürchten sollten, dort ist des Deutschen Vaterland.«124

Das Deutsche Reich wird nun nicht mehr, wie zuvor, als idealtypische Nation beschrieben, sondern mit negativen Attributen, wie »verrathen«, »zerfleischen« oder einer Vorstellung von »ewige[r] Zwietracht«, ausgestattet. Damit wird in diesem Artikel vor allem der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart betont. Dies lässt den Schluss zu, dass durch die positive Konnotation des »deutschen Volkes« in der Vergangenheit eine politische und kulturelle Zugehörigkeit zu diesem wünschenswert gewesen war. Aufgrund der gegenwärtigen Ereignisse finddet jedoch eine Abwertung statt, um eine Machtposition in der Beziehung zu behalten und eine eigene, nun notwendig gewordene, Identitätskonstruktion zu bestärken. Abgesehen von der Abgrenzung vom »Deutschen« und seinem »Vaterland«, die sich aufgrund der Außenperspektive der Frage ergibt, wird innerhalb der Gesellschaft der sich immer stärker abzeichnende Nationalitätenkonflikt deutlich, wie sich in einer Bemerkung im humoristischen Volksblatt Kikeriki zeigt.

124 Vorarlberger Volksblatt, 31. 07. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Österreich ohne Deutschland?

41

»Das deutsche Vaterland und sein Echo. Lied: Was ist des Deutschen Vaterland? Echo: To j‚ nezn‚m!«125

Dies greift die offensichtliche Angst vor der ›Slawisierung‹ der Gesellschaft auf. Die Bedeutung der Sprache wird für die Hervorhebung des Nationalen immer wichtiger, was sich in dieser Frage nach dem »Vaterland« der deutschen Nation und der slawischen Antwort darauf widerspiegelt. Hier zeigt sich die doppelte Betonung der Antwort, einerseits in der inhaltlichen, und andererseits in der sprachlichen Ebene. Die Anspielung auf den zunehmenden Einfluss slawischer Gruppierungen innerhalb der Monarchie hängt direkt mit dem empfundenen Bedeutungsverlust mit der Ausscheidung Österreichs aus dem Deutschen Bund zusammen. Das Vaterland führte im August 1866 mögliche zukünftige Entwicklungen ins Bild, wobei ein Artikel aus der Zeitung Die Debatte aufgegriffen wird. In diesem wurde betont, dass das Deutsche Reich als Bezugspunkt immer noch im Mittelpunkt der deutschsprachigen Österreicher stehe. Zudem wird deutlich, dass zwischen den Kronländern unterschieden wurde, bzw. kategorische Einteilungen dieser Regionen erfolgten. Ungarn und Polen wurden auf einer Position mit Deutschösterreich genannt, wohingegen die slawischen Nationen in einem übergreifenden, negativen Bild konstruiert werden. »Dies (die Ausscheidung Österreichs aus Deutschland) [Anm. Das Vaterland] wird jedoch die Deutschen in Österreich nicht abhalten, sich als Deutsche zu fühlen und zu bekennen, Ungarn wie Polen aber werden diesem berechtigten Gefühle immer volle Achtung zollen, volle Rechnung tragen. Keine Regierung war stark genug, Österreich zu germanisieren, noch weniger wird eine stark genug sein, die Monarchie zu slavisiren. So lange sich aber Deutsch=Österreicher, Ungarn und Polen gegen die panslavistischen Tendenzen wehren, werden sie auch die Fühlung mit dem großen deutschen Volke halten und den Zusammenhang mit demselben auf allen legalen Wegen mit allen legalen Mitteln suchen.«126

Für den notwendigen Zusammenhalt Polens, Ungarns und Deutschösterreichs wird aus Sicht der pro-magyarisch ausgerichteten Die Debatte nun das Argument der »Fühlung mit dem großen deutschen Volk« genannt und damit das Zukunftsszenario der Zusammenführung gezeichnet. Dies spiegelt den Versuch wider, mit diesen Regionen eine gemeinsame Position zu konstruieren, von der aus gemeinsame Interessen verfolgt werden. Interessant ist hierbei, dass der »legale Weg« und die »legalen Mittel« betont werden, man damit jedoch trotz der 125 »To j‚ nezn‚m« nach eigener Übersetzung: »Das weiß ich nicht«. Kikeriki, 02. 08. 1866, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 126 Auszug eines Artikel aus der Tageszeitung Debatte vom 25. 08. 1866, 1 In: Das Vaterland, 26. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

42

Trauma 1866

Ablehnung der politischen Entwicklung diese als gegeben anerkennt, und eine Veränderung dieser nur im Rahmen der realen Möglichkeiten ansiedelt. Diese Möglichkeiten werden jedoch im konservativ-föderalistischen, katholischen Milieu als absolut existent angesehen. Der Zusammenhalt der österreichischen Monarchie ist für Das Vaterland zentraler Bestandteil der weiteren Zukunft. Die Antwort auf den Artikelauszug wird demnach wie folgt gestaltet. »Nie aber und nimmer wird der Freund eines mächtigen und ungetheilten Österreichs eine politische Fühlung mit Deutschland auf dem Wege der Reichsverfassung von 1849 zugeben.«127 Die weitere Konstruktion eines österreichischen Bewusstseins wird dennoch durchaus als problematisch betrachtet, und seine weitere Konstruktion vor allem als eine politische Aufgabe gesehen. »Sagen wir es offen heraus, daß die österreichischen Regierungen wenig, viel zu wenig für die Kräftigung dieses gemeinsamen Gefühles, des österreichischen Bewußtseins gethan haben. Man schämte sich förmlich, eine specifisch österreichische Politik zu treiben, das ureigenste Interesse Österreichs, das ja schließlich nichts anders ist, als die Summe von den Factoren der Interessen österreichischer Völker, als den Brennpunkt der gesammten staatlichen Thätigkeit hinzustellen. Das stolze Bewußtsein, mit dem sich der Provencale wie der Bewohner der Normandie zum gemeinsamen Frankreich meldet, muß auch in allen Völkern Österreichs in dem Gefühle der Zusammengehörigkeit und Einheit leben. Dann wird auch das individuelle Nationalbewußtsein beitragen zur Kräftigung und Freiheit des Gesammtvaterlandes. Freilich läßt sich dieses Gefühl nicht einfach dementieren128, es muß eben erzogen und verdient werden.«129

Die Positionierung der nationalen Bewusstseinskonstruktion auf politischer Ebene ist aus heutiger Sicht interessant, da diese rückblickend stärker in Verbindung mit einem kulturellen, intellektuellen Milieu gesehen wird. Das Vaterland zeigt die Kritikpunkte an der Regierung auf, die sich ihrer Meinung nach zu wenig für diese Identitätskonstruktion eingesetzt hat. Der Argumentationsgang hierbei ist jedoch bemerkenswert. Deutlich wird, dass der Begriff Österreich für die gesamte Monarchie und alle darin lebenden nationalen Gruppierungen verwendet wird. Nun wird ein Vergleich mit einem Land angestellt, deren Nationsentwicklung man als stärker fortgeschritten als die eigene ansieht: Frankreich. Die Metapher der einzelnen Regionen und deren unbedingte Hinwendung zum Gesamtstaat, trotz eines regionalen Bewusstseins, werden hervorgehoben. Damit wird ein Idealbild eines Nationalstaates konstruiert, dem die österreichische Monarchie entsprechen soll. Die These wird aufgestellt, dass wenn die Regierung dieses Gefühl der »Zusammengehörigkeit« in »allen Völ127 Das Vaterland, 26. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 128 Berichtigung vom 26. 08. 1866, 1: »Im Schlusssatze unseres gestrigen Leitartikels »Das österreichische Bewußtsein« soll es statt: Freilich läßt sich dieses Gefühl nicht einfach dementiren ›decretiren‹ heißen.« 129 Das Vaterland, 25. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Österreich ohne Deutschland?

43

kern Österreichs« hervorrufen kann, dann ist auch nichts gegen individuelle, »regionale« Nationalidentitäten einzuwenden. Was bei der Konstruktion dieses Bildes jedoch absolut ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass die österreichische Monarchie sich nicht über Regionen, sondern Länder erstreckt. Dies wird zwar zu Beginn der Argumentation aufgegriffen, wenn von »allen Völkern Österreichs« die Rede ist, vergessen wird jedoch in der weiteren Konstruktion, dass ›Völker‹ mit sprachlichen und kulturellen Unterschieden sich zentral von Regionen wie der Provence oder der Normandie in ihrer Konstruktion differenzieren. Wobei in weiterer Folge auch die nationalen Konflikte in Frankreich, zum Beispiel im Verhältnis des Gesamtstaates zur Provence, ausgeblendet werden. Hier wird ein von außen konstruiertes Idealbild einer Nation gezeichnet, die nichts mit realen Bedingungen zu tun hat. Die Orientierung an solchen Idealbildern hat jedoch schwerwiegende Folgen für die Zukunft. In diesem Positionierungsprozess der Deutschösterreicher zu Deutschland und Preußen zum einen und innerhalb der Monarchie zum anderen, erfolgt eine stärkere Abgrenzung gegenüber unterschiedlichen Gruppierungen. Im konservativ-katholischen Das Vaterland zeigt sich verstärkt ein positives Bild von Böhmen und den dortigen nationalen Bestrebungen, da ein wesentlicher Teil des böhmischen Adels im Hintergrund des Blattes agiert, während das Vorarlberger Volksblatt die zunehmenden Ausgleichsbemühungen Ungarns, genauso wie die liberalen Tendenzen in Wien, als eindeutig negativ bezeichnet. Zudem wird eine verstärkte Abgrenzung von Deutschland als notwendig empfunden, die sich besonders im Vorarlberger Volksblatt findet. Die deutschliberale Neue Freie Presse sieht im Verlust der Vormachtstellung der Deutschösterreicher und dem Machtzuwachs slawischer Gruppierungen wesentliche Bedrohungsszenarien für die Monarchie. In diesem Stadium der österreichischen Identitätskonstruktion stand die Frage nach den Auswirkungen einer politischen und kulturellen Existenz ohne Deutschland so zentral im Mittelpunkt, dass in allen untersuchten Milieus andere Konflikte kaum zur Sprache kamen. Auch die zunehmende Angst vor der Slawisierung der Gesellschaft im liberalen Milieu wurde nur in Zusammenhang mit den Folgen des Nikolsburger Präliminarvertrages thematisiert. Interessant in Verbindung mit diesem Ereignis ist auch die im Kikeriki veröffentlichte Karikatur, die das gesellschaftliche Bild von den Verhandlungen in Nikolsburg zeigen soll. Im Gebäude im Hintergrund der Karikatur sind zwei Männer militärischen Ranges zu erkennen, die in den Hintergrund gedrängt wurden, während die im Vordergrund abgebildeten Personen in ihrer Darstellung antisemitischen Stereotypen entsprechen. Wesentliche Merkmale dieses Stereotyps sind die Darstellung von Hakennase, O- oder X-Beinen, dunklerer Hautfarbe und Plattfüßen.

44

Trauma 1866

Abb. 3: Karikatur der Ereignisse von Nikolsburg. Karikatur Kikeriki, 02. 08. 1866, 3. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

Weiters wird in anderen Darstellungen eine ausgeprägte Sexualität, die entweder auf der sprachlichen oder symbolischen Ebene dargestellt wird, angeführt.130 Vor allem die Darstellung der jüdischen Hakennase ist als physisches Abgrenzungsmerkmal gegenüber anderen Gruppierungen131 und als symbolische Darstellung imaginierter Verschwörungen und Drahtziehereien zu sehen. Als typisch jüdisch wurde zum Beispiel, wie in dieser Abbildung, der Ostjude gesehen, der durch die wachsende Emanzipation und Migration während des 19. Jahrhunderts sichtbar wurde. Auch in dieser Darstellung ist das Stereotyp des Ostjuden, der meist in Profilansicht mit gekrümmtem Rücken unter einer schweren Last dargestellt wird, zu erkennen. Schäfer sieht dies als Synonym eines »teuflisch anthropomorphen Wesen[s]«132. In der hier gezeigten Darstellung weisen alle Personen, die im Vordergrund gezeigt werden, eindeutig stereotype antisemitische Merkmale auf. Die Szenerie zeigt lebhaftes Handeln und 130 Vgl. Schäfer 2005, 218. 131 Gilman 1995, 168 – 179. 132 Schäfer 2005, 222.

Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins

45

Feilschen um Kleidungsstücke, wobei zu vermuten ist, dass dies als Synonym für die Gebietsverhandlungen gesehen werden kann. Dies impliziert auch der darunter stehende Satz »wie sich unsere Leut‹ die Verhandlungen in Nikolsburg denken«. Im Hintergrund dieser Darstellung stehen unterschiedliche gesellschaftliche Bilder. Einerseits die Annahme einer europaweiten jüdischen Vereinigung, die politische Ereignisse und Entwicklungen bestimmen würde, sowie andererseits aber auch eine Abwertung der Verhandlungen von Nikolsburg, gleichzusetzen mit dem Feilschen um Kleidungstücke auf der Straße. Zentral ist jedoch, dass in jedem Fall das betont Jüdische an diesem Ereignis ins Augenmerk des Betrachters fällt.

2.2

Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins

Die Niederlage im Konflikt gegen Preußen verstärkte den Druck zwischen den einzelnen nationalen Gruppierungen innerhalb der Habsburgermonarchie. In diesem Prozess konnte sich vor allem Ungarn unter Leitung von Ferenc De‚k gegenüber anderen Gruppierungen durchsetzen und erreichte in Verhandlungen mit Friedrich Ferdinand von Beust den Ausgleich mit Ungarn, der die Teilung des Reiches in Trans- und Cisleithanien zur Folge hatte.133 Anhand der Reaktionen aus dem deutschliberalen Lager, mit dessen Unterstützung der Ausgleich im Endeffekt zustande kam, wird deutlich, dass versucht wurde – allen Problemen zum Trotz – die Situation von einem positiven Gesichtspunkt aus zu betrachten. Bereits im Vorfeld wurden die Ausgleichsbemühungen aus dem deutschnationalen Milieu heraus durch einen Artikel im Kikeriki karikiert. »Bekanntlich berufen sich die Magyaren, was ihre Verfassung anbelangt, auf hundertjährige Rechte. Sie rufen stolz aus: Was durch hunderte von Jahren stand, muss wieder bestehen. Damit fangen wir sie aber in ihrer eigenen Schlinge. Man braucht nämlich nichts Anderes zu thun, als sie 1000 Jahre auf eine neue Verfassung warten zu lassen, was der Regierung nicht schwer fallen dürfte. Dann können auch wir uns in die Brust werfen und offiziöse ausrufen: Was tausend Jahre nicht bestanden, darf gar nicht mehr bestehen. Dann wollen wir sehen, wer mehr wirken wird mit seinen Jahreszahlen! Dann werden sich die Ungarn unserer historischen Hartnäckigkeit beugen müssen, sie werden sagen: ›Ebatta, wahr is, hat Regierung noch mehr historische Erinnerung!‹«134

Das Kikeriki greift in dieser Erzählung traditionelle Symbole der Nationserzählung auf und konstruiert ein Narrativ über die Machtverhältnisse innerhalb der Monarchie. Während die ungarische Bevölkerung als Minorität dargestellt wird, wird die intellektuelle Überlegenheit der deutschsprachigen Gemeinschaft 133 Vgl. Wandruszka 1968, 354 – 360. 134 Kikeriki, 18. 10. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

46

Trauma 1866

hervorgehoben. Durch einen einfachen Trick wäre es möglich den Ausgleich mit Ungarn zu verhindern, suggeriert die Erzählung, allein die Veränderung der historischen Tatsachen wäre notwendig. Wenn der Ausgleich auf einem Kontinuitätsanspruch der Ungarn beruht, so muss dieser ausgehebelt werden, indem die Deutschösterreicher einfach genügend Zeit verstreichen lassen, um selbst diesen Anspruch stellen zu können. Der Abschluss des Artikels vermittelt den Eindruck der intellektuellen Unterlegenheit der ungarischen Bevölkerung, die sich aufgrund der veränderten historischen Ausgangssituation leicht umstimmen lassen würde. Dies wird durch die Antwort, die einen ungarischen Akzent simuliert, weiter unterstrichen. Im liberalen Lager ist die Zustimmung allein schon aufgrund der Mitwirkung an der Entstehung des Ausgleichs wesentlich höher. Die Schwierigkeiten der Entstehung werden ebenso erwähnt wie der Wunsch formuliert wurde, dass diese Verfassung sich als »dauerhafter erweisen« sollte als die vorherigen. »Die Verfassung haben wir also, und an welchen Mängeln sie auch leide, wir wollen treu an ihr festhalten. Was wir auch daran zu bessern wünschen, nimmer darf es anders als auf verfassungsmäßigem Wege geschehen. Dies ist das oberste Gesetz aller politischen Bestrebungen. Tantae molis erat – nach solch ungeheuren Schwierigkeiten ist endlich eine Verfassung auf constitutionelle Weise zu Stande gekommen. Möge sie sich dauerhafter erweisen, als ihre Vorgängerinnen!«135

Schon bald jedoch wurde sowohl in der ungarischen als auch in der westlichen Reichshälfte Unmut in Bezug auf den Ausgleich und die Dezemberverfassung spürbar. Während in Transleithanien beklagt wurde, dass der Schritt zur absoluten Unabhängigkeit nicht durchgesetzt werden konnte, war in Cisleithanien nicht nur die geringe Zahlungsbeteiligung Ungarns Kritikpunkt, sondern auch die zunehmende Macht der anderen Reichshälfte, die sich im Nationalitätenkonflikt besser behaupten konnte.136 Vor allem im katholisch-konservativen Milieu wurde die Schuld an dieser Entwicklung dem liberalen Lager und seiner Hinwendung zum Deutschtum zugewiesen. »Die ›Presse‹ hat seinerzeit den Ausspruch gethan: ›Deutsche Geschichte, nicht österreichische sei es, was den Studirenden gelehrt werden müsse‹, und ihr Ausspruch hat in vielen jungen Herzen Wurzeln geschlagen; sie wollen von österreichischer Geschichte nichts wissen und von deutscher nur, insoweit sie ihnen in dem lügenhaften, kirchenfeindlichen und antiösterreichischen Geiste geboten wird, welchen die protestantische Geschichtsschreibung zur Geltung gebracht hat. So steht auch die kirchenfeindliche Richtung der neuen dualistischen Aera mit der unmittelbarsten Ge-

135 Neue Freie Presse, 23. 12. 1867, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 136 Vgl. Wandruszka 1968, 355 – 56.

Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins

47

fährdung Österreichs in innigen Zusammenhange. […] Die liberale Deutschthümelei ist die eigentlich treibende Kraft in den dualistischen Bestrebungen.«137

Das Vaterland hält in diesem Diskursfragment, das die Gründe für den als negativ empfundenen Ausgleich mit Ungarn aufzeigt, die Meinung des konservativ-katholischen Milieus fest. Diese Gründe lägen in den Bestrebungen des liberalen Lagers, das die Hinwendung zum Deutschtum in der Jugend unterstützt. Interessant ist die anscheinend aus einem Artikel der Presse zitierte Aussage, dass »deutsche Geschichte« und »nicht österreichische« wichtig für die Gesellschaft sei. Dies unterstreicht den Argumentationsweg, der sich stark gegen Deutschland, und insbesondere gegen den Protestantismus richtet, indem diesen beiden Begriffen möglichst viele negative Attribute zugeordnet werden. So werden sie zum Beispiel als »lügenhaft« oder »kirchenfeindlich«, bezeichnet. Aufgrund dieser Ausführungen kommt man zu dem Schluss, dass diese Entwicklungen zu einer »unmittelbaren Gefährdung Österreichs« führen müssen und »die liberale Deutschthümelei« der wahre Grund für die »dualistischen Bestrebungen« gewesen sei. Mit einer Hinwendung zum Deutschen, die in enger Beziehung zum Liberalismus gesehen wurde, sieht das konservative katholische Lager erstens eine Ablehnung der dynastischen Staatsform, und zweitens eine Ablehnung des katholischen Glaubens. Die Kernaussage hier ist mit Sicherheit die Abgrenzung vom Liberalismus und von allen diesem Lager zugeschriebenen Aktivitäten. Mehrere unterschiedliche Tendenzen waren durch das Ende des Deutschen Bundes und die darauffolgende Kleindeutsche Lösung innerhalb der Gesellschaft absehbar. Die Definition einer österreichischen Nationalidentität zeigte sich aber in allen untersuchten Gebieten als schwierig. Kirchhoff hält fest, dass sich insbesondere die Sudetendeutschen durch den wachsenden Nationalismus in Tschechien zur Entwicklung einer nationalen Identität gezwungen sahen. Im Großteil Österreichs jedoch war eine föderalistisch-dynastische Haltung erkennbar.138 Nach der Reichsgründung Deutschlands 1871, und der endgültigen Zerschlagung jeglicher Hoffnungen auf eine erneute Verbindung mit Deutschland, zeigten sich dennoch in einige Milieus Bestrebungen, das Deutsche hervorzuheben und zu betonen. Vor allem in studentischen Kreisen war Deutschland und jede damit zusammenhängende Kultur von unschätzbarem Wert für eine längerfristige nationale Identitätskonstruktion. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der österreichischen Identität stellt sich immer wieder die Frage, ob eine österreichische Identität im 19. Jahrhundert bereits bestanden hat oder nicht. Während Heer eine österreichische Identität bis 1945 zwar als ständig von Krisen gebeutelt und Nahe am 137 Das Vaterland, 22. 12. 1867, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 138 Vgl. Kirchhoff 2010, 51 – 52.

48

Trauma 1866

Untergang139 beschreibt, gesteht er ihr dennoch eine Existenz zu, während Lessing oder Johnston in Österreich vor 1914 keine eigenständige Identität sehen. Während Lessing feststellt, dass Österreich bis ins 20. Jahrhundert keine eigene Identität aufbaute140, geht Johnston sogar noch weiter und erklärt, dass weder aus der Sicht Deutschlands noch Österreichs die Notwendigkeit bestanden hätte, Abgrenzungsmechanismen zwischen Deutschen und Deutschösterreicher zu entwickeln. Sowohl in Wissenschaft als auch in der Kultur sieht er vor dem Ersten Weltkrieg keine Differenzierungsentwicklungen zwischen diesen beiden Gruppierungen.141 Dieser Annahme muss ich vehement widersprechen, denn wenn Robert Musil, Hermann Bahr, Arthur Schnitzler oder Karl Kraus auch nur ein unbestimmtes Identitätsgefühl beschreiben – die Thematisierung und Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identitätskonstruktion stellt jedenfalls während der Wiener Moderne einen wesentlichen Diskurs der österreichischen Nationalidentität dar. Und bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden in der Tagespresse die Unterschiede – und Gemeinsamkeiten – zwischen Deutschen und Deutschösterreichern konsequent thematisiert. Anhaltspunkt für Johnstons These ist seiner Meinung nach die Tatsache, dass österreichische Literaten vor 1914 »keine Untersuchung zu dieser Problematik veröffentlicht, sondern nur Satiren über die unbeholfenen Deutschösterreicher, die nicht zu erklären wussten, welche kulturellen Eigenschaften ihre Existenz untermauerten«142 publiziert hätten. Er widerspricht sich jedoch selbst, wenn er kurz davor behauptet, die österreichischen Essayisten wollten »den deutschösterreichischen Menschen als einzige Stütze der Donaumonarchie hervorheben und dadurch von den »Reichsdeutschen« differenzieren.«143 In diesem Punkt ist ihm wiederum zuzustimmen, da ohne jeden Zweifel von einer Differenzierung zwischen diesen beiden nationalen Identitäten ausgegangen werden kann, allein schon aufgrund der unterschiedlichen historischen, kulturellen und politischen Hintergründe. Nur weil eine Hinwendung zu Deutschland in gewissen Milieus innerhalb der Gruppierung der Deutschösterreicher zu erkennen ist, heißt dies noch nicht, dass die Konstruktion einer eigenständigen Nationalidentät damit ausgeblendet wurde. Die Begrifflichkeiten und Zuteilungen in der Symbolsprache waren teilweise durchaus von Unsicherheiten geprägt und die Bezeichnung österreichisch kann nicht eindeutig auf eine Identitätskonstruktion angewandt werden144, dies zeigt indes die Bandbreite unterschiedlicher nationaler Identitätskonstruktionen auf. 139 140 141 142 143 144

Vgl. Heer 1996, 17. Vgl. Lessing 2005, 8. Vgl. Johnston 2010, 25 Ebd., 26. Ebd., 22. Vgl. Wagner 2009, 62.

Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins

49

Die Dimensionen von Raum und Zeit werden auch hier zur nationalen Identitätsbildung und Heimatkonzeption herangezogen145 und zeigen sich in der Ausgestaltung einer nationalen oder kulturellen Zugehörigkeit zu einer Region. Sie sind keine starren Konstrukte, sondern setzen sich aus mehreren Teilbereichen und Kombinationen dieser Teilbereiche zusammen. So war es auch möglich, dass sich in der Monarchie eine Hinwendung zu Deutschland als kulturelle und geistige Heimat zeigte sowie sich gleichzeitig eine Orientierung an Österreich als föderalistische Region entwickelte, die die Führung der deutschen Gruppierung benötigte. Die Definition und die Art und Weise der Ausgestaltung zeigen sich je nach Lager unterschiedlich.146 Zudem ist zwischen Stadt und Land als regionale Unterschiedlichkeit in der Identitätskonstruktion zu differenzieren. Die Hauptstadt war stark liberal geprägt, während im konservativen Vorarlberg Unverständnis und Ablehnung dieser Haltung gegenüber zu erkennen war. Im deutschnationalen Lager wird gegen Ende der 1870er Jahre eine noch stärkere Orientierung an Deutschland vorgenommen, die in weiterer Folge zu einer Abwendung des katholischen Glaubens, und in manchen Teilbereichen sogar in einer Ablehnung der österreichischen Monarchie mündete. Damit unterscheidet sich dieses Lager von den beiden anderen untersuchten Gesellschaftsbereichen. Das konservativ-katholische Milieu lehnte den Liberalismus ab und entwickelte Feindsehligkeiten gegenüber der Hauptstadt, dennoch wurde ein föderalistischer Standpunkt niemals verlassen. Die Liberalen, ebensowenig eine homogene Gruppierung wie die anderen Milieus, unterstrichen vor allem im fortschreitenden Nationalitätenkonflikt das deutsche Element stärker, jedoch nur um die Machtposition der deutschösterreichischen Bevölkerung innerhalb der k.u.k. Monarchie zu festigen. Dies zeigt, dass sich tendenziell eine Hinwendung zum Deutschen in einem größeren Teil der Bevölkerung erkennen lässt, diese jedoch nur in radikalen Ausbildungen in einer realen Anbindung an Deutschland endete. Die österreichische Monarchie in ihrer föderalistischen Ausgestaltung war über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg zentrales Identifikationselement der Gesellschaft. Wie Emmerich festhält, der Begriff der »Identität mag für viele ein Fremdwort sein, nicht jedoch der Inhalt.«147 In der Herausbildung eines österreichischen Nationalbewusstseins im Speziellen sind nach Bruckmüller verschiedene Ebenen zu beachten. Wichtig ist, was auch in den bereits behandelten Quellen deutlich wurde, der Begriff Österreich, der in der Gesellschaft über die Zeit vielfältig einsetzbar war.148 Der 145 146 147 148

Vgl. Gebhard/Geisler/ Schröter 2007, 10. Vgl. Pollak 1997, 62. Emmerich 2006, 88. Vgl. Bruckmüller 2009, 286 – 287.

50

Trauma 1866

Begriff Österreich konnte auf das gesamte Gebiet der Monarchie angewandt werden, was besonders im konservativ-katholischen Milieu zu erkennen ist, oder aber auch nur auf Cisleithanien bezogen werden, was in einer zunehmenden Abgrenzung von Ungarn im liberalen Lager sichtbar wurde. Auch die Deutschnationalen grenzten sich von diesen ab, wobei hier jedoch eine intensivere Betonung des notwendigen Zusammenschlusses aller Deutschen in Österreich erfolgte. Hierbei war auch zu erkennen, dass in diesem Milieu verstärkt auf das »deutsche Volksthum in Österreich«149 eingegangen wurde. Österreich wurde damit wiederum als Gesamtmonarchie definiert, jedoch die deutschsprachige Bevölkerung aus diesem Begriff herausgenommen und als explizit deutsch beschrieben. Bruckmüller bemerkt, dass die Festmachung oder Klassifikation des Österreichbewusstseins an sozialen, politischen oder nationalen Gruppierungen problematisch ist. Die Vielfältigkeit dieses breiten Phänomens ist zu hoch um eine zufriedenstellende Antwort erhalten zu können. Dennoch stellt er die Vermutung an, dass die Deutschösterreicher über ein in gewissen Maßen ausgeprägtes Österreichbewusstsein verfügt haben mussten. Diese Identifikation mit dem Österreichbegriff erfolgte, da sich, wie bereits erwähnt, Heimats- und Vaterlandskonstruktionen vielfältig ausgestalten können. Für die deutschösterreichische Identitätskonstruktion wurde die Verschärfung des Nationalitätenkonfliktes durch die Sprachenverordnung der 1890er Jahre problematisch, da die Eigendefinition als ›Deutschösterreicher in Österreich‹ Brüche aufzuweisen begann. Zusammenfassend für den gesamten Untersuchungszeitraum ist festzustellen, dass dieser »von der Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten geprägt war«150. Zentral war die Bedeutung der Sprache für die Herausbildung nationaler Identitäten.151 Da sich im Fall der k.u.k. Monarchie Sprache nicht dafür eignete das gesamte Territorium zu vereinen, wurde versucht die Dynastie in den Mittelpunkt der Orientierung zu stellen. Nation als Konstruktion wird von regionaler und zeitlicher Kontinuität und sprachlicher Definition bestimmt. Wesentlich für das Aufgreifen nationaler Konstruktionen ist die Abgrenzung152, Inklusion durch Exklusion153, die sich zu großen Teilen auch in der österreichischen Nationserzählung findet. Raimund Friedrich Kaindl konstruierte in seinem Werk »Geschichte der Deutschen in Ungarn. Ein deutsches Volksbuch«154 die Siedlungsgeschichte der deutschsprachigen Gruppierung in dieser Region vor der Besiedelung durch die Ungarn. 149 150 151 152 153 154

Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 05. 1885, 1. Österreichische Nationalbibliothek. Bruckmüller 2009, 286 – 287. Vgl. Wagner 2009, 67. Vgl. Görlich 1967, 78. Vgl. Kaschuba 2001. Vgl. Kaindl 1912.

Konstruktion eines österreichischen Nationalbewusstseins

51

»Die ersten deutschen Ansiedelungen auf ungarischen Boden fanden in einer Zeit statt, da die Magyaren daselbst ihr gegenwärtig mehr als tausendjähriges Reich noch nicht gegründet hatten. Die Geschichte des Deutschtums in Ungarn lässt sich ununterbrochen durch etwa 1100 Jahre verfolgen; sie reicht bis zur Zeit Karl des Großen zurück, des ersten deutschen Kaisers. In blutigen Kämpfen besiegte dieser die damals im heutigen Ungarn wohnenden Awaren und gründet zum Schutze seines Reiches gegen die Raubzüge die Ostmark, aus der Österreich hervorgegangen ist (um 800).«155

Die Motivation dieser Erzählung liegt auf der Hand: Es wird versucht, die gegenwärtige Situation durch eine Konstruktion der Vergangenheit zu rechtfertigen, bzw. angebliche Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Kaindl konstruiert zu Beginn die lange – wobei die Betonung auf länger (als das Narrativ der anderen Gruppierung) liegt – Geschichte der deutschsprachigen Siedlungsentwicklung in einer bestimmten Region und die damit verbundenen Rechte, die nun bedroht sind. »Diese Magyarisierung der Personennamen überbietet bei weitem noch die infolge des Gesetzes von 1898 planmäßig betriebene Verdrängung der alten deutschen Ortsnamen und ihr Ersatz durch magyarische. […] aus dem Mitgeteilten läßt sich ersehen, wie sehr die Rechte der Deutschen in Ungarn zugunsten der Nationalpolitik, die aus allen Nichtmagyaren Magyaren machen will, geschädigt werden.«156

Im Aufzeigen der Rechte, bzw. ihrer Beschneidung, wird der Anspruch unterstrichen und die Bevölkerung bestärkt, Handlungen zur Verteidigung dieser Rechte zu setzen. Das nationale Bewusstsein der deutschsprachigen Bevölkerung wird auch im Raum Transleithaniens unterstützt. Kaindl unterstreicht in seinen Werken insbesondere das Deutschtum und dessen Bedeutung als Kulturbringer in Grenzregionen der Monarchie.157 Emotion ist eine wirkungsvolle Komponente in der Nationsbildung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker zum Einsatz kam. Die emotional aufgeladenen Begriffe Heimat, Vaterland und Volk vermitteln subjektive Sichtweisen und wirken identitätsstiftend. Interessant ist, dass das Wort Vaterland in der Identitätskonstruktion in manchen Milieus unterdrückt wurde, da es mit der föderalistischen Idee der Monarchie nicht übereinstimmte.158 Daher waren für die nationale Identitätskonstruktion insbesondere regionale Landschaften von zentraler Bedeutung.159 Flüsse, Ebenen, Seen, Berge und Almen rückten im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt der Betrachtung und wurden zunehmend politisiert. Auch der Unterschied zwischen Land und Stadt, verbunden mit 155 156 157 158 159

Kaindl 1912, 1. Kaindl 1912, 96 – 97. Vgl. Oberkrome 1993, 52 – 53. Vgl. Schmidt-Brentano 1982, 247. Vgl. Binder/Konrad/Staudinger 2011, 7.

52

Trauma 1866

einer Romantisierung ruraler Landschaft, wurde hervorgehoben und das Dorf wurde vor allem als literarische heile Welt imaginiert.160 In diesem Zusammenhang steht auch die Festschreibung regionaler Besonderheiten im Hausbau oder der Kleidung durch volkskundliche Untersuchungen. Tracht wurde als Alltagskleidung definiert, obwohl im Rahmen der Industrialisierung auch Kleidung immer stärker industriell gefertigt wurde und sich damit auch im ländlichen Raum ausbreitete. Dennoch wurden und werden Trachten zur Festschreibung eines imaginierten nationalen Zustandes verwendet. Auch über die Darstellungen und Beschreibungen der Fahne einer Gemeinschaft sind nationale Positionierungen erkennbar. Wenn Das Vaterland 1866 schreibt: »Österreichs Fahne! […] Wir werden der schwarz-gelben Fahne folgen bis in den Tod«161 definiert es sich als dem Kaisertum Österreichs zugehörig und lehnt demzufolge auch den ein Jahr später zustandekommenden Ausgleich mit Ungarn ab. Die Bedeutungsebene der schwarz-gelben Fahne und ihrer weiterentwickelten Metaphern finden sich bis zum Ende der Monarchie laufend, vor allem im militärischen Milieu, indem die Kaisertreue über jegliche nationalen Empfindungen gestellt wurde.

Erziehung zur Nation Identität ist als Prozess zu sehen, der sich in unterschiedlichen Ebenen manifestieren kann. Eine davon wird in der intellektuellen Konstruktion sichtbar, die Auswirkung auf die Erziehung innerhalb der Gesellschaft hat. Die Studentenschaft war während des gesamten 19. Jahrhunderts nationalistisch eingestellt und zeichnete sich durch die Verknüpfung nationalistischer und antisemitischer Diskurselemente aus.162 Auch wenn Rohling oder Dühring zu ihrer Zeit radikale Einzelerscheinungen waren, so ist die Bedeutung der Erziehung zur Nation, aber auch zum Antisemitismus, nicht zu unterschätzen. Durch die enge Verknüpfung dieser beiden Diskursstränge, vor allem im studentischen Milieu, wurden prägende Positionen gesetzt, die über Jahrzehnte hinweg eine Breitenwirksamkeit erreichten. Die Erziehung zur Nation zeigt sich bereits 1870, obwohl an der dynastischen Komponente stets festgehalten wurde. »Es entspricht allerdings der in unserer Verfassung begründeten Länderautonomie, daß die österreichische Vaterlandskunde auf Grund der Heimatkunde aufgebaut werde. Doch wird man darauf achten müssen, daß die Reichsidee nicht zu sehr in den Hintergrund trete.«163 160 161 162 163

Vgl. Binder 2011, 157 – 176. Das Vaterland, 26. 06. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Pulzer 2004, 262. Carinthia 1870, 106.

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

53

Die bereits in Kapitel drei theoretisch aufgearbeiteten Teilbereiche, die zu einer Nationsbildung führen, finden sich auch in der Textualität der zeitgenössischen Printmedien. Durch die Aufnahme dieser Kategorien in den alltäglichen Diskurs werden die Positionen gefestigt, neuaufgenommen und weiter tradiert. »Wir erkennen und schätzen den Werth der Nationalität, die in der Gleichheit des Stammes und der Abkunft, in gemeinsamer Sprache und Religion wurzelt – aber wir wissen auch, daß Gleichheit der politischen Vergangenheit, der Besitz einer gemeinsamen Geschichte und hierdurch Gemeinsamkeit der Erinnerungen, gemeinsamer Stolz und Demüthigung, Freud und Leid, erlebt in denselben Verhältnissen in der Vergangenheit gleichfalls ein Moment der Nationalität bildet, ein Moment das nicht weniger wiegt und achtenswerth ist, als irgend eines, das die Einzelnen zu Angehörigen einer Völkerfamilie stempelt.«164

Ethnische, religiöse, sprachliche und politische Gemeinsamkeiten werden hier ebenso unterstrichen, wie eine gemeinsame kollektive Geschichtskonstruktion. Diese Beschreibung zeigt außerdem deutlich die von Renan aufgegriffene zeitliche Kontinuität einer Nationskonstruktion auf.

2.3

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

Das Konkordat von 1855 konnte nur bis Ende der 1860er Jahre aufrechterhalten werden. Der Versuch sich mit Rom in den Fragen der Ehe und der Kindererziehung zu einigen scheiterte165, und mit der Wiedereinführung eines weltlichen Eherechts durch die konfessionellen Gesetze des Jahres 1868 wurde versucht, die Glaubensfreiheit im Staat zu gewährleisten.166 Die Ehe konnte nun zwischen einer Person katholischen Bekenntnisses und einer anderen, einem gesetzlich anerkannten Religionsbekenntnis angehörenden Person, unmittelbar eingegangen werden.167 1870 wurde das Konkordat für ungültig erklärt, da sich durch das Dogma der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes die Ausgangslage für den Abschluss verändert hatte. Dennoch wurde nur vier Jahr später anstelle des Konkordats eine Gesetzgebung verabschiedet, die der katholischen Kirche eine privilegierte Stellung einräumte.168 Diese Entwicklungen wurden sehr unterschiedlich in der Gesellschaft aufgenommen. Bemerkenswert ist zum Beispiel, dass diese Entwicklungen im Vorarlberger Volksblatt nur am Rande thematisiert

164 165 166 167 168

Das Vaterland, 25. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Herwig/Leeb 2003, 382. Vgl. Weinzirl 1972, 51 – 68. oder Vgl. Rees 2007, 78. Vgl. Floßmann 2005, 77. Vgl. Johnston 2006, 71

54

Trauma 1866

wurden und allein die Veröffentlichung der konfessionellen Gesetze festgestellt wurde. »Wien, 26. Mai. (Die konfessionellen Gesetze publiciert.) Die ›Wiener Zeitung‹ veröffentlicht heute das Gesetz über Eherecht, Gerichtsbarkeit in Ehesachen und bedingte Zulässigkeit der Eheschließung vor weltlichen Behörden, das Gesetz über das Verhältniß der Schule zur Kirche und das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger. Alle drei Gesetze datiren vom 25. Mai, dem Tage der Unterschrift des Kaisers.«169

Aufgrund des Umfangs des Untersuchungszeitraumes konnte nur eine begrenzte Anzahl von Artikeln zu jedem einzelnen Ereignis untersucht werden. Dennoch wird deutlich, dass diese konkrete politische Entscheidung im konservativländlichen Milieu Vorarlbergs nicht wesentlich öffentlich diskutiert wurde. Die Thematik an sich wird jedoch ausführlich besprochen, wie zum Beispiel im Abdruck des Vortrages »Wie wäre der Volksschule auszuhelfen?« von der zweiten Generalversammlung der Lehrer Vorarlbergs. »Es kommt mir vor, als wiederhole sich wieder einmal und diesmal auf dem Gebiete der Schule der babylonische Thurmbau. Man will auf pädagogischem Boden ohne Gott, und Gott zum Trotz einen hohen, hohlen Thurm bauen. […] Die Jugend soll fürderhin nicht mehr erzogen werden auf die Aussicht eines ewigen Heils, sondern nur für diese Welt. Nur Erdenbürger, keine Himmelsbürger haben wir zu erziehen. Aus dem Gesagten geht wol hervor, daß die gegenwärtige Zeitrichtung eine entschieden glaubensfeindliche ist.«170

Neben dem Ehegesetz war vor allem die Frage nach der Rolle der katholischen Kirche in Bildung und Erziehung zentraler Streitpunkt dieser Zeit. Die bildreiche Sprache des Vortrages zeigt die kulturelle Prägung des Publikums, das damit angesprochen werden sollte. Der Vergleich mit dem Turmbau zu Babel enthält eine negative Konnotation und impliziert die Zukunftsvorstellung des Zusammenbruchs dieses »hohen, hohlen Thurm[s]«. Auch das konservativ-katholische städtische Milieu war entrüstet über den Werteverfall, der ihrer Meinung nach in dieser Gesetzesänderung Ausdruck fand. »Die neuen »Gesetze« werden, sobald sie in Ausführung kommen, in vielen Fällen mit dem katholischen Gewissen collidiren. […] Wir sind keine Freunde ungerechtfertigter Verschmelzung von politischen und religiösen Interessen: wo aber die Sachen liegen wie jetzt in Österreich, da ist die Verschmelzung durch den gemeinsamen principiellen Gegner selbst geboten. […] Die einzigen Garantien liegen in dem lebendigen kirchlichen Bewußtsein der Angehörigen unserer Kirche, und da dieses augenblicklich mangelt, so mangelt der Respect, die Macht, der Schutz. Freilich ist es unwahr, was so 169 Vorarlberger Volksblatt, 29. 05. 1868, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 170 Vorarlberger Volksblatt, 08. 05. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

55

oft behauptet wird, den meisten österreichischen Katholiken sei ihr Glaube abhanden gekommen; […] Summa summarum, es ist in Österreich seit gestern einen neue Periode der Kirchengeschichte angebrochen, und wen sie nicht vorbereitet finden sollte, den wird sie vorbereitet machen, wo nicht, ihn zu den Todten werfen.«171

In der Ablehnung der gesellschaftlichen Entwicklung, sichtbar dadurch, dass der Begriff »Gesetz« unter Anführungszeichen gesetzt wurde, liegt die Begründung für weitere Handlungen. Obwohl betont wird, dass eine Verschmelzung von »politischen und religiösen Interessen« grundsätzlich abzulehnen ist, scheint dies eine der letzten Möglichkeiten zu sein, um sich gegen die gegenwärtigen Tendenzen zu wehren. Insbesondere der Mangel an »Respect«, »Macht« und »Schutz«, zeigt die negative Deutung der nun angebrochenen »Periode der Kirchengeschichte«, die im schlimmsten dargestellten Falle sogar mit einem metaphorischen Tod in Verbindung gebracht wird. Im Gegensatz dazu sind die Stimmen aus dem liberalen Milieu positiv zustimmend. Das »Ende des Concordates«172 wird eindeutig gefeiert. »Das Ende des Concordates! So klingt es aus den Spalten der Wiener Zeitung, welche die drei confessionellen Gesetze publicirt. Endlich! Endlich! […] War die Schule der geistlichen Macht- und Machtsphäre überliefert: der Schleier der Dunkelheit ist zerrissen, und wie die Sonnenblume mögen sich Unterricht und Wissen sonnenlichtzugewendet entfalten! Wie die politische Freiheit, die Freiheit der Person, die Freiheit der Presse, die Freiheit des Forschens durch das Concordat an dem Felsen des Ultramontanismus zerschellt wurden: das Zertrümmerte erhebt sich zu neuer Gestaltung, Person, Presse, Wissen, Forschen und Lehre sind fortan frei!«173

Die Emotionalität dieses Artikels übersteigt bei weitem den der negativen Betrachtungen der politischen Entwicklungen. »Endlich! Endlich!« klingt als freudiger Ruf, ebenso wie die Bildsprache des nächsten Satzes, wenn »der Schleier der Dunkelheit« zerreißt und »Unterricht und Wissen« mit der »Sonnenblume« gleichgesetzt werden, die sich der Sonne zuwendet. Die Assoziation der katholischen Machtposition in der Gesellschaft mit Dunkelheit und die Gleichsetzung der Befreiung aus dieser mit Licht zeigt die Bildsprache der Aufklärung. Diese verwendet das Symbol von Licht vornehmlich als Synonym für Vernunft und Ratio.174 Das Konkordat wird als Fessel der Freiheit konstruiert, die der zentrale Begriff des Textes ist. Die »politische Freiheit, die Freiheit der Person, die Freiheit der Presse« sowie »die Freiheit des Forschens« werden als unentbehrliche Elemente einer modernen Gesellschaft dargestellt, deren Be171 Das Vaterland 27. 05. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 172 Neue Freie Presse, 27. 05. 1868, 1. Bezugnahme auf die Veröffentlichung des Gesetzestextes in der Wiener Zeitung am 26. 05. 1868. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 173 Ebd., 1. 174 Vgl. Kneißl 2010. oder Vgl. Pastor 2000, 163 – 182.

56

Trauma 1866

stehen durch die politischen Entwicklungen nun gesichert ist. Im Gegensatz zu den Texten des konservativ-katholischen Milieus werden hier positive Zukunftsperspektiven entwickelt.

Abb. 4: Karikierte Darstellung der Reaktion auf die konfessionellen Gesetze. Kikeriki, 28. 08. 1868, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die Darstellung politischer Ereignisse und gesellschaftlicher Reaktionen in Karikaturen unterstreicht deren Bedeutung für die Forschung. Schäfer sieht diese »Rolle der nonverbalen, in diesem Falle visuellen Medien, wie etwa der Zeitschriftenkarikatur, für die Massenkommunikation im öffentlichen Raum, und insbesondere für die pseudo-rationale Stereotypbildung«175 als besonders zentral. Die hier abgebildete Karikatur greift das in der liberalen Presse vielfach aufgegriffene Wort der »Freiheit« auf und verbindet es ebenfalls mit dem Symbol der Sonne. Unter diesem Synonym für Aufklärung stehen zwei Mitglieder der 175 Schäfer 2005, 50.

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

57

Michaelsbruderschaft, die zum Schutz vor der Sonne ihre breiten Hüte verwenden. Zentral in der Aussage ist der letzte Satz »Uns genirt das nicht, denn durch unsere Hüte geht ihr Licht doch nicht durch!«. In dieser Darstellung wird deutlich, dass der Inhalt sich eindeutig gegen das klerikale Milieu richtet, das liberale Milieu jedoch auch nicht bestärkt. Die Einordnung des Kikeriki in den parteipolitischen Kontext der Zeit ist schwierig, da sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen sowie auch die Zeichner und Autoren zumeist anonym blieben. Anhand der veröffentlichten Inhalte ist jedoch die Nähe zu deutschnationalen und antisemitischen Inhalten sichtbar176, wodurch sich seine ablehnende Haltung gegenüber dem klerikalen, wie auch dem liberalen Lager erklärt. Die Deklaration der Böhmischen Abgeordneten Die k.u.k. Monarchie war bemüht, nach dem Ausgleich mit Ungarn, der nicht mehr zu verhindern war, die Zügel im Reich straff und alle weiteren nationalen Bestrebungen niedrig zu halten. Die Deklaration der Böhmischen Abgeordneten im August 1868 zeigte erstmals öffentlich die nationalpolitischen Forderungen, die eine dualistische Ordnung ablehnten und zur Hervorhebung des tschechischen Raums drängten. Die vollständige Ablehnung der österreichischen Verfassung durch die Deklaration zeigte sich zum Beispiel auch in der Weigerung den Reichsrat zu beschicken, da dieser als nicht rechtmäßig gesehen wurde.177 Wesentlich bei dieser Positionierung war die Verwendung des Begriffes »böhmisch«, und nicht »czechisch«. Ersterer wurde präferiert, da er mit einem territorialen historischen Anspruch verbunden war und zudem die deutschsprachige Bevölkerung aus dem Königreich Böhmen miteinbezog.178 Betont wurde vor allem die »böhmisch-slavische Nation in allen Ländern der böhmischen Krone«179. Das Vaterland druckt am 24. August die Deklaration der Böhmischen Abgeordneten kommentarlos ab. Erst am darauffolgenden Tag wird in einem Kommentar über »Die Landtage« festgestellt, dass über die Deklaration der böhmischen Abgeordneten »mit dem ihr gebührenden Ernste«180 berichtet wird. In diesem Verhalten wird deutlich, dass Das Vaterland stark rückgebunden an den böhmischen Adel agierte.

176 177 178 179 180

Vgl. Schäfer 2005, 45. Vgl. Scharf 1996, 45 – 47. Vgl. Korˇalka 1994, 269. Das Vaterland, 24. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 25. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

58

Trauma 1866

»Nachdem alle die verschiedenen, anfangs absolutistischen, späterhin scheinconstitutionellen Bestrebungen eben vorangegangener leitender Staatsmänner in Österreich die hetereogenen Staaten Österreichs in einen centralistischen Staat, in welchem unter dem Vorwande, ›die Kultur nach Osten zu tragen‹, alle österreichischen Nationalitäten der Hegemonie des deutschen Elements und des deutschen Geistes unterworfen und so allmälig vollends germanisiert werden sollten, umzugestalten, durch den wackeren Widerstand derselben, insbesondere aber durch den Widerstand der ungarischen Länder vollends vereitelt worden war, und nachdem diese in Folge eines unabwendbaren Dranges der Verhältnisse aus der Umklammerung deutscher Centralisation entlassen worden waren und so ihre historische Autonomie wieder erlangten, da fanden sich deutsche Politiker, die dafür eintraten, wenigstens die übrigen deutsch-slavischen Länder mit Macht in jener Umfassung zu erhalten, damit die Herrschaft des deutschen Elementes, nachdem sie sich nun einmal nicht in der ganzen Monarchie durchsetzen ließ, wenigstens in den nichtungarischen Ländern bewahrt und durch neue staatliche Institutionen für immer befestigt werde, […].«181

Die Böhmische Deklaration beschreibt die empfundene Situation der nichtdeutschen Bevölkerungsteile gegenüber den Deutschösterreichern innerhalb von Österreich, das als Monarchie definiert wird. Wichtig sind die Attribute, die diesem Österreich zugeschrieben werden, wobei die »absolutistischen«, »scheinconstitutionellen« und »centralistischen« Bestrebungen des Staates in den Vordergrund gestellt werden. Durch diese wurden unter einem kulturellen »Vorwand« alle anderen Nationalitäten der Monarchie dem »deutschen Element« und »deutschen Geist« unterworfen, mit dem Ziel, am Ende »vollends germanisiert« zu sein. In dieser Einleitung erfolgt zuerst die Konstruktion der Positionierung der eigenen Gruppierung innerhalb des Staatengefüges der Monarchie, von der man sich dezitiert abgrenzen will. Insbesondere die Rolle der deutschsprachigen Gemeinschaft wird in dieser Exklusion als negativ konstruiert, da Österreich, die Monarchie, das »deutsche Element« fördert. Hier ist die Differenzierung zwischen den Begriffen »Österreich« und »deutsch« zu bemerken. Das historisch-politische Ereignis des Ausgleiches mit Ungarn wird als erfolgreicher Widerstand gegen die Machtbestrebungen der deutschen Bevölkerung in der österreichischen Monarchie gesehen. Dies wird in der ausschließlichen Verwendung des Begriffes »deutsch« sowohl für die staatliche Struktur als auch die agierenden Personen ausgedrückt. Diese Verwendung bricht auf, indem es mit dem Begriff des Slawischen in Verbindung gesetzt wird. Es ist von den »übrigen deutsch-slavischen Länder[n]« die Rede, die später auch als »nichtungarische« Gruppierungen bezeichnet werden. Die Ausweitung des an und für sich negativ verwendeten Begriffes »deutsch« durch die Kombination mit dem positiv besetzten »slavisch« zeigt in der Eigendefinition der Gruppe die Bemühungen, nicht nur die tschechische Bevölkerung in 181 Das Vaterland, 24. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

59

diese Forderungen einzubinden, sondern auch die deutschsprachige, in dem als Böhmen definierten Territorium. Wie bereits Korˇalka erläuterte, war dies wesentlich für die politische Positionierung innerhalb der Region.182 Diese Ausführungen zeigen in der Wiederherstellung der »historische[n] Autonomie« das angestrebte Ziel dieser Gruppierung. Die Zurückhaltung des konservativ-katholischen Lagers, die auch in der fehlenden Auseinandersetzung mit dieser Thematik im Vorarlberger Volksblatt sichtbar wird, ist interessant zu beobachten und zeigt die Unterschiede zu anderen Gruppierungen in der Gesellschaft auf. Das deutschliberale Lager zum Beispiel reagierte wesentlich emotionaler auf die Veröffentlichung. »Nach langer Irrfahrt im Nebelreiche eines undefinirbaren Staatsrechtes finden unsere czechischen Landesgenossen in einem ›Declaration‹ genannten, den Hochverrath gegen die Verfassung des Reiches involvirenden Actenstücke glücklich bei der Personal=Union zwischen Österreich und Böhmen angelangt. Das war fürwahr ein gar weiter, mühsamer Weg. […] Die Schamlosigkeit dieser gebornen Staatszertrümmerer tritt in dieser ›Declaration‹ so offen auf, daß wir die politische Welt ruhig ihr Verdict fällen lassen können, ob mit diesen Leuten ein Ausgleich möglich, ob diesen Leuten gegenüber die Versicherung der Versöhnlichkeit nicht Selbstschädigung wäre. Oder wir, sollten wir Deutschen in Österreich wirklich dazu verurtheilt sein, unser Schicksal in den Händen der ›glorreichen‹ czechischen Nation liegen zu sehen?«183

Die Böhmische Deklaration wird in den Ausführungen der Neue Freie Presse metaphorisch mit Begriffen aus dem Gerichtssaal angereichert, wenn die Begriffe »Hochverrath« als Tatbestand, das »Actenstücke« als Beweis und die Aufforderung, dass die »politische Welt ruhig ihr Verdict« fällen soll, eingesetzt werden. Wesentlich ist die Verteidigung der vorherrschenden Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft, wobei die »Deutschen in Österreich«, wieder in der Unterscheidung der beiden Begriffe, die Frage nach der Zukunft und dem Urteil in Form eines Plädoyers stellen. Auch einige Tage später ist die Auseinandersetzung mit der Böhmischen Deklaration noch nicht abgeschlossen, sondern im Gegenteil eher noch emotionaler geworden. »Denn in der böhmisch=czechischen Declaration ist mit nackten Worten gesagt, daß der ›Vorwand‹, die Kultur nach Osten zu tragen, ›die Unterwerfung der Nationalitäten unter der Hegemonie des deutschen Elementes und deutschen Geistes‹, für die Czechen die Veranlassung bot, sich dieser Hegemonie zu erwehren. Hier sind zwei Dinge bemerkenswerth. […] Und zweitens darf es wol bemerkt werden, daß sich hier der Haß der Czechen mit offenen, ungeschminkten Worten als gegen den ›deutschen Geist‹ und dessen Hegemonie gerichtet kennzeichnet, daß also der ›Rechtskampf‹ mit voller Unbefangenheit als ein Kulturkampf proclamiert wird.«184 182 Vgl. Korˇalka 1994, 269. 183 Neue Freie Presse, 25. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 184 Neue Freie Presse, 28. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

60

Trauma 1866

In diesem Artikel wird der genaue Wortlaut der Deklaration näher untersucht, wobei besonders dem Vorwurf der »Germanisation«185 nachgegangen wird. Als Argument gegen die Konstruktion der Widerstandserzählung wird vorgebracht, dass es die Tschechen gewesen seien, die »Ungarn mit dem wohlklingenden ›czechischen Deutsch‹ bekannt machten«186. Dadurch wurde in der Ablehnung des Deutschen ein »Kulturkampf« gesehen, der die Machtposition der Deutschösterreicher in der Monarchie angreift. Auch im Kikeriki wird die Deklaration ausführlich behandelt und in Textfragmenten und Karikaturen thematisiert.

Abb. 5: Karikatur eines beginnenden Nationalitätenkonfliktes. Kikeriki, 25. 09. 1868, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

Die Differenzierung in der Betitelung als Böhmische Deklaration wird in der Rezeption dieser hinfällig, da sie in der deutschsprachigen Presse, wie bereits bei den Artikel der Neuen Freie Presse aufgefallen ist, eindeutig als »czechische Declaration«187 definiert wird. Dennoch wird die Beteiligung der deutschsprachigen Bevölkerung des Königreichs Böhmens wie in der oben ersichtlichen Karikatur impliziert. Der nebenstehende Text karikiert und betitelt die Beteiligten dieser politischen Aktion.

185 Neue Freie Presse, 28. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 186 Ebd., 1. 187 Kikerki, 03. 09. 1868, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die konfessionellen Gesetze und die Böhmische Deklaration

61

»Eine Hymne. // O du feudale, / Erzkerlikale / Ausgleichskultur, / Böhmisch belobte, / Stündlich erprobte / ›Taubennatur‹. // Du göttliche, hehre, / Reactionäre / Unfriedenssaat, / Alles zersetzender, / Freiheit zersetzender / Czechischer Staat. // O du solider, / Czechischer Brüder / Praktischer Chic, / Schlaue und zarte, / Hohenbewahrte / Kunstpolitik!«188

Hinter der Böhmischen Deklaration wurden die föderalistischen Bestrebungen der Klerikalen vermutet, die besonders durch die politische Unterstützung Karl Sigmund Graf von Hohenwart bzw. in seinen föderalistischen Lösungsansätzen für das Königreich Böhmen, wie im Fundamentalartikel 1871, ihren Höhepunkt fanden.189 Zusammenfassend wird deutlich, dass die Niederlage im Preußisch-österreichischen Krieg 1866 die weitere Entwicklung der 1860er Jahre bestimmte. Der Ausgleich mit Ungarn war erst aufgrund der Schwächung infolge des politischen Konfliktes möglich und die nationalen Forderungen der anderen Kronländer steigerten sich durch diese Ereignisse. In der Sprache der untersuchten Pressemeldungen sind Argumentationen für oder gegen eine föderalistische Gestaltung der Monarchie vor allem in Bezug auf die Deklaration der Böhmischen Abgeordneten zu erkennen, wobei die Differenzierung zwischen deutsch und österreichisch in allen Milieus in den Vordergrund tritt. Die Bezeichnung Österreich wird zur Definition der Gesamtmonarchie herangezogen, während die Deutschen – im Kontext der Monarchie – die deutschsprachige Bevölkerung Cisleithaniens bzw. der territorialen Regionen des heutigen Österreichs darstellt. Die Bezeichnung deutsch wird in diesem Kontext synonym mit dem der Deutschösterreicher gesetzt, wobei festzuhalten ist, dass trotzdem eine Abgrenzung von Deutschland erfolgt. Die Begrifflichkeit österreichisch wird als Synonym für die Monarchie als auch als Gegenkonstrukt zum Begriff Nation verwendet. »Wenn Czechen oder Slovenen, Slovaken oder Serben sich als solche fühlen und dafür ausgeben; wenn sie zwar politisch Österreicher, national dagegen nicht Österreicher – was keine Nation ist – noch weniger Deutsche oder Magyaren – was einmal mit ›Österreicher‹ identisch sein sollte – sein wollen […].«190

In diesem Beispiel zeigt sich der Widerspruch der Verwendung dieser Begrifflichkeiten. Österreich wird als Gesamtmonarchie definiert und kann daher keine Nation sein. Von einem nationalen Standpunkt aus, war es nicht möglich sich als Österreicher zu definieren. Dies zeigt die Ambivalenz der noch nicht ausgereiften Differenzierung dieses Begriffes. Deutschland wurde als geistige und kulturelle Heimat gesehen, die jedoch mit 188 Kikerki, 03. 09. 1868, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 189 Vgl. Scharf 1996. 190 Das Vaterland, 04. 03. 1869, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

62

Trauma 1866

der Auflösung des Deutschen Bundes diese Führungsrolle verspielt hatte und nun teils sehnsüchtig, teils abwertend, aus der Ferne gemustert wird. Zentral in dieser Beziehung ist jedoch die Position außerhalb der Definition von Deutschland oder in weiterer Folge eines Deutschen Reiches, und damit auch außerhalb dieser Gruppierung.191 Der Versuch der deutschsprachigen Gruppierung ihre Machtposition in der Monarchie aufrechtzuerhalten, gestaltet sich vor allem aufgrund des zunehmenden Nationalitätenkonfliktes zunehmend schwierig.

2.4

Verstärkung des Nationalitätenkonflikts

Besonders durch den Ausgleich mit Ungarn 1867 kam es in den folgenden Jahren zu einer Verstärkung des Nationalitätenkonfliktes. Mit dem wachsenden Nationalismus der nicht-deutschsprachigen Gruppierungen in der Donaumonarchie wurde der Einfluss der Deutschösterreicher gemindert. Vor allem die Verbindung von kulturell und sprachlich motivierten Nationalismen, die sich zunehmend politisierten, zeigt das steigende Nationalitätenproblem auf.192 Das erwachende politische Bewusstsein der Kronländer konzentriert sich nicht mehr auf den Erhalt des sie umfassenden Staates, sondern liegt im Widerstand gegen diesen.193 Infolge des Ausgleichs mit Ungarn wurde der Magyarisierungsdruck innerhalb Transleithaniens erhöht, der sich negativ auf andere nationalen Entwicklungen in diesem Raum auswirkte.194 Auch wenn die nationale Gleichberechtigung strenggenommen in den Staatsgrundgesetzen von 1867 verankert wurde, so war die reale Gleichberechtigung eine andere Frage.195 Die Anerkennung der nationalen Idee war auch in der deutschsprachigen Gemeinschaft vorhanden, da diese in der Abgrenzung von Deutschland von wachsender Bedeutung war. Es wurde festgehalten, dass »die Nationalitätsidee [.] an sich eine richtige«196 sei und als natürliches, also biologisch gegebenes Bedürfnis gesehen wurde, das auf »historischen Verhältnissen«197 aufbauen würde.

191 Vgl. zum Verhältnis von individueller und kollektiver Identität Frey/Konieczka 2010, 316 – 319. 192 Vgl. Kann 1964b. bzw. Kann 1982. 193 Vgl. Schieder 1985, 123. 194 Vgl. Stubkjaer 2000, 87. 195 Vgl. Rumpler/Urbanitsch 2006, 101 – 103. 196 Das Vaterland, 04. 03. 1869,1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 197 Ebd., 1.

Verstärkung des Nationalitätenkonflikts

63

Die Rolle des Antisemitismus in diesem Prozess Die sich infolge der Gleichberechtigung aller Staatsbürger durch die Dezemberverfassung 1867 ergebende Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung wurde im liberalen und föderalistischen Milieu positiv aufgenommen. Die Staatsbürger wurden nicht nur als »gute Söhne, sondern auch gute Bürger«198 definiert, die Österreich in jeder Hinsicht treu waren, da sie an diesem Land »ja ohnehin mit allen Fasern ihres Seins hängen«199. Im Gegensatz dazu zeigte sich im konservativ-katholischen Milieu in Zusammenhang mit der Auflösung des Konkordats 1868 bereits eine Hinwendung zur »Judenfrage«200, die in einem gleichlautenden Artikel ausführlich besprochen wurde. In der weiteren Ausformulierung des Artikels wurde zudem auf die Lage an den Universitäten hingewiesen. Hier wurden seit dem Beschluss der konfessionellen Gesetze vom Mai 1868 erstmals andere Konfessionen deutlich sichtbar. »Bei dieser Gelegenheit wollen wir, als ein Beispiel der Indolenz unserer Bevölkerung in dieser Hinsicht eine Thatsache zur Kenntniß bringen, welche ein hiesiger Student uns schon vor einiger Zeit klagend referirte. Ausgehend davon, daß an der hiesigen Universität es von jüdischen Studirenden wimmele, so an der medicinischen wie an der juristischen Facultät, behauptete er, diese jüdischen Commilitonen gingen jetzt sogar schon so weit, auch auf die alten christlichen Stiftungen zu reflectiren, gestützt auf die bekannten Mai-Gesetze und ermuntert durch den Vorgang, welcher stiftungswidrig einen Protestanten zum Rector der Universität erheben will.«201

Dass sich das konservativ-katholische Milieu durch diese gesellschaftlichen Veränderungen bedroht fühlte, zeigte sich auch in der Zukunftsperspektive des Artikels in der festgehalten wird, dass es den Autor in der heutigen Zeit nicht weiter wundert, »daß sich die christliche Bevölkerung unter dem Vorwande liberaler Ideen ihre allereigensten Rechte beständig nehmen läßt«202. Nur zwei Tage später wird wieder ein Artikel »Zur Judenfrage«203 veröffentlicht. Als Einleitung werden die negativen Zustände in Österreich beschrieben, wobei besonders der »Hader der Nationalitäten« und der »Hass« gegen die katholische Kirche festgehalten werden. Auch der negative Einfluss »des flüssigen Kapitals« und der »schlechten Presse« werden genannt. Da in allen diesen negativen Zuständen der Gesellschaft »das Übergewicht des verderbten jüdischen Elements«

198 199 200 201 202 203

Das Vaterland, 04. 03. 1869,1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Die Debatte, 21. 12. 1867, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 25. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 25. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Das Vaterland, 27. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

64

Trauma 1866

deutlich sichtbar wäre, muss nach Meinung des Verfassers des Artikels nun der Judenfrage nachgegangen werden.204 »Einfach von der Verantwortlichkeit entbunden kann das übrige Judenthum deshalb nicht werden, weil es sowohl eine für sich bestehende Nationalität bildet, als auch eine religiöse und in vielfacher Beziehung anderweit zusammenhängende Körperschaft. […] Der andere Theil der Frage aber, der unverhältnißmäßige Einfluß des Judenthums und speciell des verderbten Theils desselben auf alle unsere öffentlichen Angelegenheiten, ist eben die große Judenfrage, an welcher unter Anderem Österreich krankt.«205

In diesem Artikel werden traditionelle antisemitische Stereotype wie der wirtschaftliche Erfolg und der Einfluss auf die Meinung der Öffentlichkeit mit nationalistischen Aspekten verbunden. Das Judentum wird als »eine für sich bestehende Nationalität« definiert und später im Artikel auch in der Gegenüberstellung zu »Czechen, Slovenen u.s.w.« als »jüdische Nationalität« konkretisiert.206 Doch bereits davor, während der Verhandlungen von Nikolsburg 1866, waren offenbar antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft spürbar, wie sie in der Karikatur des Kikeriki207 dargestellt wurden. Die Vorstellung, dass ein jüdischer Einfluss in der Gesellschaft vorherrschte bzw. die Darstellung des jüdischen Verhandelns und Feilschens als etwas Negatives, unterstrich die Positionierung des Judentums in der Gesellschaft. Im zunehmenden Nationalitätenkonflikt der 1860er Jahre scheint das Judentum nur vereinzelt auf und ist nur bedingt sichtbar. Dennoch werden durch die Behandlung der Judenfrage im konservativkatholischen Milieu und ihre Verknüpfung mit der nationalen Idee bereits erste Akzente gesetzt, die in der weiteren Entwicklung der Gesellschaft prägend werden sollten. Es ist festzuhalten, dass sich die Vorstellungen der Machtinhaber des österreichischen Vielvölkerstaates bereits in den 1860er Jahren von den Bestrebungen der einzelnen Kronländer erheblich zu unterscheiden begannen, während in der Thronrede Kaiser Franz Josephs I. im Mai 1869 noch die dynastische Dimension unterstrichen wurde. »Österreich soll die große Heimat sein, die alle seine verschiedenen Völker, in welcher Zunge sie auch sprechen, mit gleicher Gerechtigkeit, mit gleichem Wohlwollen, mit gleicher Pflege ihrer Interessen und ihrer Eigenthümlichkeiten zu umfangen berufen ist. (Hoch! Hoch!)«208

204 205 206 207 208

Das Vaterland, 27. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Das Vaterland, 27. 08. 1868, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Abb. 4. »Vom Friedensschauplatz.« Karikatur In: Kikeriki, 02. 08. 1866, 3. Thronrede Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät des Kaisers Franz Joseph I., Gehalten bei dem feierlichen Schlusse des Reichsrathes am 15. Mai 1869. Stenographisches Protokoll des

Verstärkung des Nationalitätenkonflikts

65

In dieser Rede wird besonders die Gleichheit aller Bürger und ihrer Interessen in der Donaumonarchie unterstrichen. Alle individuellen nationalen Bestrebungen schwächen die Struktur und sind aus Sicht der Regierung definitiv zu verhindern. Auch im liberalen Lager werden die wachsenden Problemfelder der Zeit thematisiert, vor allem der Nationalitätenkonflikt steht hierbei im Vordergrund. »Österreich hat da eine wichtige und schwere Aufgabe, es hat da das Problem zu lösen, wie ein buntes Conglomerat verschiedener Nationalitäten, die so durcheinandergewürfelt wohnen, daß eine territoriale Ausscheidung ihrer Gebiete und eine abstracte, ideale Befriedigung aller Nationalitätsansprüche absolut unmöglich ist, einer friedlichen und gedeihlichen Zukunft entgegengeführt wird.«209

In diesen Ausführungen wird deutlich, dass ein Vielvölkerstaat mit nationalen Ansprüchen nicht vereinbar war und eine konzentrierte Verfolgung dieser Ideen, schwerwiegende Auswirkungen auf das Bestehen des Staatenkonstruktes haben würde. Neben dem wachsenden Nationalitätenkonflikt zeigt sich der Antisemitismus der 1860er Jahre größtenteils konservativ in Kritikpunkten an der Dezemberverfassung, den konfessionellen Gesetzen oder der jüdisch beeinflussten Printmedien.210 Die Verknüpfung der jüdischen Gruppierung mit der Konstruktion einer Nationalität zeigt sich bereits zu dieser Zeit im konservativkatholischen Milieu und ist von traditionellen antijüdischen Vorstellungen zu differenzieren. Mit der Schaffung der Nationsdefinition von außen, obwohl die jüdische Gemeinschaft gesetzlich nicht als solche definiert war, wird damit begonnen die Gleichwertigkeit der jüdischen Gemeinschaft mit anderen Nationalitäten innerhalb der Gesellschaft der Monarchie zu konstruieren.

Hauses der Abgeordneten, Schluss der 4. Session des Reichsrathes, 6313. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 209 Neue Freie Presse, 23. 08. 1866, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 210 Vgl. Pulzer 1990, 126.

3.

Das Ende des Liberalismus

»Am Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre tritt eine der großen Wendungen im deutschen Leben ein, die viel wichtiger sind als alle Kriegs- und sonstigen Ereignisse, weil sie das Schicksal der Nation auf die Dauer bestimmen: es ist, kann man einfach sagen, der Bruch des deutschen Volkes mit dem Liberalismus.«211

Adolf Bartels beschreibt damit um die Jahrhundertwende die Lage in Deutschland – jedoch ist diese Haltung auch richtungsweisend für die österreichische Entwicklung. Während der 1860er Jahre konnte sich der Liberalismus im deutschsprachigen Raum Österreichs etablieren, dominierte politisch, wie auch kulturell die Gesellschaft und besonders den städtischen Raum Wiens.212 Im Laufe der 1870er Jahre jedoch verringerte sich sein Einfluss aufgrund unterschiedlicher Ereignisse. Zudem traten die in den 1860er Jahren entstandenen gesellschaftspolitischen Problemfelder der Monarchie noch stärker hervor. Einerseits wurde der seit 1867 wachsende Nationalitätenkonflikt durch den Ausgleich mit Ungarn angeheizt, in dessen Folge sich slawische Bevölkerungsgruppen stärker ihren nationalen Forderungen hingaben. Andererseits wurde, motiviert durch die Wirtschaftskrise 1873 und die nationalen Bestrebungen des studentischen Milieus, der wachsende Antisemitismus in der Gesellschaft deutlich. Eine zusätzliche Schwierigkeit innerhalb des wachsenden Nationalitätenkonfliktes ergab sich durch die Okkupation von Bosnien und Herzegowina 1878 und der folgenden Annexion 1908. Das wesentliche Problem hierbei war die Eingliederung von Gebieten, die dadurch auch rechtlich Staatsgebiet der Monarchie waren, aber auf keiner anderen Ebene, weder mit der cis-, noch der transleithanischen Region etwas gemein hatten und damit eigentlich zu keinem der beiden Staaten gehörten.213 Für die Identitätskonstruktion waren die bereits behandelte Gründung des Deutschen Reiches und der diesem vorangegangene preußisch-französische Krieg von Bedeutung. Das deutschliberale Lager betonte die positiven Folgen der Reichsgründung für Österreich, während das konservativ-katholische Lager die Nachteile aufzählte.214 Der Wahlkampf anlässlich der Landtagswahlen 1870 zeigte vor allem das Erstarken des deutschnationalen Milieus. Das Programm 211 212 213 214

Bartels 1942, 543. Vgl. Schorske 1994, 23. Vgl. Zöllner 1996, 29. Vgl. Lutz 1979.

68

Das Ende des Liberalismus

der Deutschnationalen in Graz, und auch die Erklärung des Deutschen Volksvereins215, der für eine Wahlenthaltung plädierte, greift den aufkommenden Nationalismus und vor allem den voranschreitenden Nationalitätenkonflikt auf. »Wir erblicken den Schwerpunkt der gegenwärtigen politischen Lage Deutsch-Österreichs in der Frage, wie der Kampf der fremden Nationalitäten gegen das Deutschtum enden soll? Wir erachten die für das deutsche Volk Österreichs glückliche Lösung dieses Problems nicht als eine Frage des Rechts, sondern der Macht. Wir ersehen die Ursache des allerorts beginnenden Unterliegens des Deutschtums gegenüber den siegreichen andringenden fremden Volksstämmen in dem bisherigen Verzicht der Deutschen auf Anwendung gleichartiger und ebenbürtiger, aus den erhabenen Ideen der Nation und des gemeinsamen Vaterlandes entnommenen Waffen. […] Wir befürworten daher : […] rücksichtslose und mannhafte Abwehr aller, das deutsche Interesse in Deutsch-Österreich gefährdenden Strebungen anderer Nationalitäten;«216

Gegenwart und Zukunft erscheinen als zentrale Ebenen dieses Textes. In der Gegenwart wird der Nationalitätenkampf als Problem für die Entfaltung des »Deutschtums« im deutschsprachigen Raum Österreichs erfahren. Eine Entfaltung des »Deutschtums« liegt am »bisherigen Verzicht der Deutschen«, in der Nationalitätenfrage radikal zu agieren. Daher sieht der Deutsche Volksverein die Rückeroberung der vorherrschenden Position innerhalb der Monarchie weniger als eine gesetzliche Frage, da alle Bürger der Monarchie gleichberechtig sind, sondern vielmehr als eine Frage nach der Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft. Der Lösungsvorschlag zur Abänderung dieses Zustandes liegt in der zweiten Ebene der Zukunft. Um die Machtposition wiederzuerlangen ist der Einsatz von ideologischen Waffen, »aus den erhabenen Ideen der Nation« und der Konstruktion eines »gemeinsamen Vaterlandes« notwendig und in Zukunft muss die »rücksichtslose und mannhafte Abwehr« im Mittelpunkt des Interesses der deutschsprachigen Bevölkerung stehen, um die gefährlichen Vorhaben »anderer Nationalitäten« abwehren zu können. Die in diesem Text verwendete Symbolik transportiert ein gewalttätiges Gesellschaftsbild, das sich aufgrund der Zurückdrängungen infolge des Nationalitätenkonfliktes für gewisse Gruppierungen als notwendig erweist, um ihre eigene Identitätskonstruktion aufrechterhalten zu können. Damit fallen diese Gruppierung, so wie zum Beispiel die tschechisch-böhmische, in eine Widerstandserzählung, um die Interessen ihrer nationalen Gemeinschaft verteidigen zu können.

215 Vgl. Pichl 1938, 12 – 15. 216 Ebd., 12 – 15.

Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis

3.1

69

Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis

In der Herausbildung einer österreichischen, deutschsprachigen Nationalidentität sind vor allem zwei Entwicklungen zu erkennen. Erstens die Bemühung einer emotionalen Bindung an die Habsburgermonarchie und zweitens eine kulturelle Orientierung an Deutschland. Dies führte vor allem zum Konflikt zwischen deutschnationalen und deutsch-österreichischen Ansätzen dieser Strömungen. Wesentlich war insbesondere in der kulturellen Orientierung am Deutschtum die Sprache als zentrales Identifikationsmerkmal.217 Kirchhoff sieht in den gesellschaftlichen Entwicklungen nach der Niederlage in Königgrätz die nationalstaatliche gegenüber der dynastischen Bewegung an Stärke gewinnend. Dennoch stellt auch er fest, dass es eine Aufspaltung innerhalb der Gesellschaft gab, nach der ein Teil der deutschsprachigen Österreicher sich noch intensiver mit der Monarchie identifizierten und verstärkt versuchten eine Machtposition innerhalb dieser einzunehmen, während der andere Teil zunehmend deutschnationaler wurde.218 Ein Beispiel für den Teil der Gesellschaft, der sich der Monarchie zuwandte, war die Armee. Hier waren, wie bereits erwähnt, die Begriffe »national« oder »vaterländisch« nicht erwünscht, sondern einzig und allein eine dynastische Ausrichtung. Zentral war hier auch die in »mythische Höhe emporgehobene Herrschergestalt Franz Josephs«219 und die Verehrung der schwarz-gelben Fahne als Zeichen des Kaisertums. Die dynastische Hingabe aufrechtzuerhalten zeigte sich jedoch zunehmend schwierig, da sich in unterschiedlichen Regionen der Monarchie nationale Bestrebungen entwickelten. Neben dem wachsenden Panslawismus, dem italienischen Irredentismus und dem Deutschnationalismus waren es besonders die nationalen Absichten der ungarischen Bevölkerung, die in der Armee als negativ empfunden wurden.220 Insbesondere durch die Ausgleichsbemühungen Ungarns, die 1867 in der Umwandlung des österreichischen Kaisertums zu einer Doppelmonarchie jedenfalls teilweise ihr Ziel fanden, wurden die Magyaren in vielen Bereichen der deutschsprachigen Bevölkerung mit Argwohn betrachtet.221 Ebenso wie in der Armee war im katholisch-konservativen Milieu der Kaiser als Herrscher der Monarchie auch viel leichter fassbar als die abstrakte Konstruktion der Nationsidee.222 Dennoch war das Spannungsfeld zwischen Nation und Staat in der gesamten Gesellschaft deutlich spürbar. Die emotionale und kulturelle Zugehörigkeit zu Deutschland war bis zu 217 218 219 220 221 222

Vgl. Bruckmüller 1998, 369 – 396. Vg. Kirchhoff 2001, 41. Schmidt-Brentano 1982, 247. Vgl. Ebd., 247. Vgl. Zöllner 1996, 28. Vgl. Schmidt-Brentano 1982, 253.

70

Das Ende des Liberalismus

einem gewissen Grad vereinbar mit dem österreichisch-dynastischen Patriotismus. Das Verhältnis zu Deutschland wurde vor allem in radikaleren Teilen der deutschösterreichischen Gruppierung noch immer als unbefriedigend empfunden223 und diese wachsende deutschnationale Orientierung entwickelte sich zwangsläufig zu einer Protesthaltung gegen das konservativ-katholische Milieu und die Habsburgermonarchie.224 Dennoch wird sogar in den 1880er Jahren noch im studentischen Milieu die ungebrochene Bedeutung der Monarchie sichtbar, auch wenn sich hier stärker noch als in allen anderen Teilen der Gesellschaft nationale Ideen ausbreiteten konnten. »Im Oktober 1881 war ich, der Wiener Universitätsstudent, in den Ausschuß des Lesevereins gewählt worden. Man hatte mich bloß gefragt: Du bist doch schwarz-gelb? Ich bejahte, mir kam die Frage dumm vor : ich war ein Österreicher, was kann ein Österreicher anders sein als natürlich schwarzgelb? Und ich konnte noch kaum glauben, daß es unter österreichischen Studenten wirklich Verräter Österreichs geben sollte.«225

Die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 bedeutete das Ende der großdeutschen Illusionen in Österreich. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit als Folge des preußisch-französischen Krieg reichten von einer Zustimmung zur Deutschen Reichsgründung im liberalen Milieu bis hin zu der Betonung der negativen Folgen für die Habsburgermonarchie im konservativ-katholischen Lager. Die Regierung war bemüht, nationale Tendenzen niederzuhalten, um das Vielvölkerkonstrukt nicht zu gefährden. Dies wurde auch durch die Rede des Reichsratsabgeordneten Johann Fux aus Mähren festgehalten, der das »Österreicherthum«226 als »mythisch und abstract«227 definiert. Er kritisiert die Regierung, dass sie »ein künstliches Österreichertum schaffen will, daß es jede demonstrative Regung des Nationalitätengefühls unterdrückt«228. Er beschwert sich in seiner Rede vom 1. April 1871 im Reichsrat über das Verbot einer Siegesfeier zu Ehren der Deutschen Reichsgründung, stellt jedoch fest, dass dieses nicht in direktem Bezug mit einer Abneigung gegen das Deutsche zu sehen ist, sondern mit der Weigerung der Regierung, jegliche nationale Bestrebungen zu unterstützen. »Denn wenn ich recht verstehe, so ist das Verbot der deutschen Siegesfeier nicht sowohl dictirt worden von der Feindseligkeit gegen das Deutschtum, sondern ich möchte 223 224 225 226

Vgl. Kirchhoff 2001, 44. Vgl. Wagner 2009, 77. Bahr 1923, 125. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 464. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 227 Ebd., 464. 228 Ebd., 467.

Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis

71

sagen, von jenem neutralen Wohlwollen, jener eisigkalten Parteilosigkeit, die das abstracte Österreicherthum allen Nationalitäten entgegensetzen möchte.«229

Zentral in seiner Rede ist die enge Beziehung zwischen Deutschland und den Deutschösterreichern innerhalb der Monarchie, wobei er aber deutlich unterstreicht, dass ein Zusammenschluss in einem Reich nicht Ziel der Entwicklungen sein kann, auch wenn sich die Deutschösterreicher als Teil der Deutschen sehen. Die Monarchie wurde aufgrund des nationalen Interesses der Deutschösterreicher von ihnen geschaffen, was ihre Machtposition im Vielvölkerstaat unterstreichen sollte. Da eine Integration in das Deutsche Reich den Verlust dieser Machtposition mit sich bringen würde, sieht Fux die Aufgabe der Deutschösterreicher in der »Culturmission in Österreich«230 : »eben darum sind wir gute und treue und ehrliche Österreicher.«231 Diese positive Definition des Österreichers unterscheidet sich wiederum vom vorher kritisierten und negativ dargestellten »abstracten Österreicherthum«. »Das deutschösterreichische Bewußtsein wurde gegründet, als der erste Keim zu dieser Ostmark gelegt wurde, es wurde gefeit und gefestigt auf hunderten Schlachtfeldern vom Böhmerwalde bis zum Balkan hinunter, wo deutsche Schwerter für Österreich geschwungen wurden und deutsche Leiber für Österreich geblutet haben. Und wenn Sie das wahre Österreicherthum suchen, Sie können es leicht finden; es leuchtet ja hier vor Ihren eigenen Augen in glänzender Reinheit und in hingebungsvollster Treue.«232

Vordergründig erscheint dies eine Unterstützung der Deutschen zu sein, die in ihrer Definition von Österreich abgegrenzt werden, vor allem wenn die Bezeichnungen der »deutschen Schwerter« und »Leiber«, die sich »für Österreich« geopfert haben, auftauchen. Dennoch wird bereits im ersten Satz in der Frage nach einem »deutschösterreichischen Bewußtsein« deutlich auf die Rolle der deutschsprachigen Bevölkerung innerhalb der Habsburgermonarchie hingewiesen. Zudem sind Zeit und Raum als Konstanten in der Nationsbildung zu erkennen, wobei interessant ist, dass hierbei kein eindeutig deutschsprachiges Gebiet definiert wird, sondern die Monarchie in ihrer territorialen Ausdehnung. Der letzte Satz zeigt endgültig die Abgrenzung vom Deutschen Reich, indem nur mehr das »Österreicherthum« angesprochen wird. Wesentlich ist zudem der Begriff der Treue, die gegenüber der Monarchie gehalten werden muss, um das Bestehen dieses Konstruktes zu gewährleisten. Im Allgemeinen sind sowohl die Befürwortung als auch die Ablehnung der 229 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 467. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 230 Ebd., 469. 231 Ebd., 469. 232 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 469. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek.

72

Das Ende des Liberalismus

Beziehung zu Deutschland vom jeweiligen Milieu abhängig. Zentral ist zudem die Verwendung der Begrifflichkeiten. Während in der Nationalitätenkonstruktion innerhalb der Monarchie die Deutschösterreicher oft nur als Deutsche betitelt werden, und Österreich als Bezeichnung für die Gesamtmonarchie zu sehen ist, ist die Zusammensetzung beider Begrifflichkeiten bzw. die alleinige Verwendung des Begriffes Österreich, hauptsächlich in der Abgrenzung von Deutschland zu erkennen. Emotionale Verbundenheit und Abgrenzung 1866 ist als einer der zentralen Wendepunkte in der deutschösterreichischen Geschichte des 19. Jahrhunderts zu sehen. Die emotionale Beziehung zu Deutschland wird nach der Schlacht von Königgrätz zu einem gesellschaftlichen Problem, das öffentlich diskutiert wird. In der Neue Freie Presse veröffentlichte der aus Teschen stammende Schriftsteller Friedrich Uhl im August 1866 im Feuilleton eine »Wiener Chronik«233. »Vergiß, dass du ein Deutscher bist! Reiß aus dem Busen, was man dich lieben gelehrt, aus dem Kopfe all die Gedanken, mit denen du aufgewachsen; die Ideale vernichte, die du gehegt; […] brenne aus dem Gehirne den Herd deutscher Gedanken und reiße die Zunge aus, damit du in deutscher Sprache nicht mehr das Wort Vater aussprichst, damit es dich nicht an das Vaterland erinnere!«234

Wesentlich in der Darstellung der Beziehung zwischen Österreich und Deutschland ist die Verschmelzung zum Deutschösterreichischen, das nun durch die politische Trennung der beiden Länder ihr Ende sieht. Worin liegt nun die Bedeutung der Beziehung? Zum einen in der intellektuellen Ebene, den Gedanken, Idealen, wobei hier die Sprache eine zentrale Rolle in der Identitätskonstruktion spielt. Weiters behandelt Uhl die Frage der Erziehung, die sich nun für die Deutschösterreicher stellen wird. In der engen kulturellen Beziehung wird es nicht zu verhindern sein, »dass die Kinder nicht mehr deutsche Geschichte lernen«235, da die Autoren dieser Schulbücher Deutsche sind, womit auch in der nächsten Generation eine emotionale Beziehung zu Deutschland aufgebaut werden wird. Dennoch wird erst durch diese Trennung die Sehnsucht nach der »Wiedervereinigung«236 immer stärker werden, »als ob es gälte, die geschiedenen Eltern wieder zusammenzuführen«237.

233 234 235 236 237

Neue Freie Presse, 26. 08. 1866, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1 – 2. Neue Freie Presse, 26. 08. 1866, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1 – 2. Ebd., 1 – 2.

Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis

73

»Nein, ihr könnt uns zurückstoßen, aber aus unseren Geistern, unseren Herzen könnt ihr das Deutschland, wie es war, wie es sein sollte und wie es wieder werden muß, nicht verbannen. Schiller und Goethe, Mozart und Beethoven haben nicht für euch allein gelebt, bei Leipzig habt ihr nicht allein geblutet. Im geistigen Leben vereint, auf der Wahlstatt zusammen gebettet, solche Bande können zeitweise gelockert, getrennt werden, aber für immer nimmermehr. […] damit wir in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit ernstlich rufen können: ›O welch ein Glück, Deutsch-Österreicher zu sein!‹«238

Wie bereits zu Beginn des Artikels sichtbar wird die emotionale Bindung an Deutschland auch hier weiter unterstrichen. Die Ablehnung wird als Demütigung erfahren und zieht eine Rechtfertigungsargumentation nach sich, die auf die Verbindungselemente hinweist, die eine Trennung unmöglich machen. Die Definition als Teil der deutschen Gruppierung wird als zentrale Identitätskonstruktion der Deutschösterreicher verwendet, durch die hiermit erfolgte Exklusion aus der Gemeinschaft wird das bisherige Nationskonzept hinfällig. Dies wird auch in der Aufzählung der Argumente sichtbar. Erstens wird die kulturelle Verbindung zu Deutschland mit der Aussage »Schiller und Goethe, Mozart und Beethoven« betont und zweitens die gemeinsame Verteidigung der bzw. das gemeinsame Opfer für die Gemeinschaft durch die Aussage »bei Leipzig habt ihr nicht allein geblutet« hervorgehoben. Primär ist die Feststellung am Ende des Artikels, die festhalten will, dass »solche Bande«, die eine nationale Verbindung definieren, nicht für immer getrennt werden können, sondern früher oder später wieder zusammenführt werden müssen. Dies ist auch die Zukunftsperspektive des Autors, der hofft, in »nicht allzu ferner Zeit« diese Verbindung zwischen Deutschland und den Deutschösterreichern wieder hergestellt zu sehen. Dies zeigt die Auswirkung eines politischen Ereignisses auf die kulturellemotionale Dimension einer Gesellschaft. Erst die Niederlage in Königgrätz und die ›gewaltsame‹ Exklusion aus einer Gemeinschaft, die bisher als Identifikationspool betrachtet wurde, brachten eine breitenwirksame Auseinandersetzung mit einer nationalen österreichischen Identitätskonstruktion mit sich, die eine Entwicklung über die nächsten Jahrzehnte hinweg zur Folge hatte. Es werden unterschiedliche Strategien zur Bildung dieser eigenständigen Identität herangezogen, deutlich ist jedoch, dass sich ein wesentlicher Strang mit der Betonung der deutschen Wurzeln beschäftigte. In diese Strömung fällt das deutschnationale Lager, das die Ausschließung Österreichs aus dem Deutschen Bund betrauert und den deutschen Charakter in Österreich fördern will. Diese Forderungen werden zwar politisch kaum erhört, wirken jedoch in der Gesellschaft weiter. So zum Beispiel das Programm der Gruppierung um Julius Krickl, das am 15. Februar 1868 veröffentlicht wurde und konkrete Forderungen zur Annäherung an Deutschland stellte. 238 Neue Freie Presse, 26. 08. 1866, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

74

Das Ende des Liberalismus

»Erweckung und Kräftigung des nationalen Geistes in der deutschen Bevölkerung Österreichs durch: alle Mittel der Erziehung und Bildung; sorgsame Erhaltung und Festigung der geistigen und sittlichen Bande, welche das ganze deutsche Volk umschließen […] engsten Anschluß an die durch deutsche Wissenschaft, Sitte und lebendiges Volksbewußtsein geschaffenen, bewährten Grundsätze auf den Gebieten der Gesetzgebung, der Volkswirtschaft, des Erziehungs- und Unterrichtswesens.«239

Interessant hierbei ist, dass konkret von einer »Erweckung und Kräftigung« gesprochen wird. Diese Begriffe deuten auf einen Rückgang oder eine Nachlässigkeit in Bezug auf die Hinwendung zu Deutschland innerhalb der deutschösterreichischen Gesellschaft hin. »Erziehung und Bildung« werden auch hier als zentrale Elemente der Nationsdefinition gesehen, die auch in Bezug auf die »deutsche Wissenschaft« von Bedeutung sind. Weiters werden »Sitte und lebendiges Volksbewußtsein«, die eine kulturelle und soziale Komponente aufgreifen, und »Gesetzgebung« und »Volkswirtschaft« als normative Grundlagen für eine deutsche Gesellschaftskonstruktion definiert. Die Bandbreite, in der die nationale Gesinnung hier gefördert werden soll, zeigt damit bereits gegen Ende der 1860er Jahre die politischen Bemühungen eines Teiles der Gesellschaft. Die Betonung des Deutschen wird zunehmend auch in kulturellen Vereinigungen wie Sängerbünden, Lese- oder Turnervereinen sichtbar. Im Vorarlberger Volksblatt erfolgte im Mai 1868 eine Einladung des Vorarlberger Sängerbundes, der am 29. Juni dieses Jahres sein einjähriges Bestehen in Dornbirn feierte. »Kommt also liebe Sangesbrüder und helft uns ein Fest der Freude begehen, helft uns das deutsche Lied mit voller Manneskraft und Begeisterung singen, – das deutsche Lied, das Band, das, wenn auch Gränzmarken trennen, unsere Herzen umschlingt, das Zeichen der Einheit in Wort und That, so weit die deutsche Zunge klingt, das Zeichen des Friedens, der uns Allen so noth thut, – helft uns das deutsche Lied verherrlichen! […] Mit herzlichem Sängergruß und deutschem Handschlag.«240

In diesem Text ist die Bezeichnung »Österreich« mit keinem Wort erwähnt, allein das in der Einladung dreimal betonte »deutsche Lied«, das mit »deutsche [r] Zunge« gesungen wird und der »deutsche Handschlag« zur Verabschiedung spielen eine Rolle. Das Lied wird zudem als unentbehrliches, kulturelles Band zwischen den Ländern konstruiert, das »unsere Herzen umschlingt«, womit wiederum die emotionale Bindung betont wird. Wesentlich an dieser gesellschaftlichen Diskussion um die Beziehung zu Deutschland sind nationale Argumente, die sich in zahlreichen Texten unterschiedlicher Milieus finden. In diesem Punkt war der Unterschied zwischen einzelnen Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft nur geringfügig sichtbar, 239 Pichl 1938, 9 – 10. 240 Vorarlberger Volksblatt, 02. 06. 1868, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Dynastiebewusstsein vs. Nationsverständnis

75

da die Beziehung zu Deutschland von so zentraler Bedeutung für die Deutschösterreicher war, dass eine sozio-kulturelle Konstruktion ohne diese nur schwer vorstellbar schien. Auch noch nach der deutschen Reichsgründung 1871 stellt der aus Mähren stammende Eduard Sturm im Reichstag fest, »daß wir trotz unserer Ausschließung aus Deutschland immer noch deutschnationale Gefühle hegen und das Demüthigende dieser Ausschließung nicht empfinden«241. Weiter erklärt er, dass sich ein deutsches »Nationalgefühl«242 und ein österreichischer »Patriotismus«243 nicht gegenseitig auschließen, da »wir für dieses Reich, für unser Heimatreich, für unsere Verfassung nach wie vor einstehen werden mit allen Kräften.«244 Dennoch fand die großflächige gesellschaftliche Diskussion mit der deutschen Reichsgründung 1871, mit der man sich aus Sicht des Deutschen Reiches endgültig von Österreich und den Deutschösterreichern abwandte, jedenfalls zwischenzeitlich ein Ende.245 Die dadurch erfolgte Abgrenzung vom Deutschen Reich hatte auch zur Folge, dass man nun versuchte den alten Reichsgedanken, der noch in einem erheblichen Teil der österreichischen Bevölkerung festzuhalten war, zu verstärken. Zudem wurden Deutschland und das Deutsche Reich zunehmend von einer Außenperspektive betrachtet, um die Abgrenzung nicht mehr passiv erfolgen zu lassen, sondern aktiv zu gestalten. Festzuhalten ist, dass die Exklusion aus der deutschen Kulturgemeinschaft als negative Identitätskonstruktion erfahren wurde, wie auch in der hier zu sehenden Karikatur aus einer Jännerausgabe des Kikeriki zu erkennen ist. Die Zugehörigkeit zur kulturellen Gemeinschaft der Deutschen wird durch die Grenzziehung mit einer Kette beschnitten; Deutschland wird »in Ketten gelegt« und in seiner Erzählung regional begrenzt, wodurch deutschsprachige Gebiete Österreichs ausgegrenzt werden. Franz Smolka aus Galizien hielt am 23. Juni 1871 eine Rede im Haus der Abgeordneten, in der er die Bedeutung dieser Abgrenzung von Deutschland betont. »Österreich ist aus Deutschland verdrängt! Jawohl, und das zu seinem Glück: denn wenn Österreich im Jahre 1848 sich zu dem Gedanken oder eigentlich der That nicht hat aufschwingen können, die Einigung Deutschlands selbst in seine Hand zu nehmen,

241 Stenographische Protokolle des Haus der Abgeordneten, 48. Sitzung der 6. Session am 7. Juni 1871, 920. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 242 Ebd., 920. 243 Ebd., 920. 244 Ebd., 920. 245 Vgl. Brechenmacher 2009, 51.

76

Das Ende des Liberalismus

Abb. 6: Karikatur der zukünftigen Grenzen Deutschlands. Kikeriki, 01. 02. 1871, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

dann war es zu spät; […] In Deutschland haben keine zwei Großmächte neben einander Platz. (Jawohl! Sehr gut! Links.)«246

Mit der Einnahme einer aktiven Position im Ausgrenzungsverfahren bzw. eines im Nachhinein gesehenen klugen Standpunktes wird eine negativ empfundene Entwicklung als positiv umgedeutet und als Glücksfall konstruiert, wie in der Formulierung »und das zu seinem Glück« deutlich wird. Erst mit der Einrichtung des Zweibundes 1879 veränderte sich dieser Blickwinkel wieder, da Deutschland nun als Verbündeter im Kampf gegen den Panslawismus betrachtet wurde, was auch die Diskussion um die Beziehung zwischen Deutschland und den Deutschösterreichern erneut ankurbelte. Dennoch war deutlich, dass es bis Mitte der 1880er Jahre eine teilweise entschlossene Ablehnung gegenüber dem Deutschen Reich gab247, die sich jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt einer wachsenden Gruppierung deutschnationaler Gesinnung gegenüber sah.

246 Stenographische Protokolle des Haus der Abgeordneten, 59. Sitzung der 6. Session am 23. Juni 1871, 1246. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 247 Vgl. Glettler 2009, 71.

Vertiefung des Nationalitätenkonflikts in der böhmischen Frage

77

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Diskussion um die Beziehung zwischen Österreich und Deutschland immer wieder aufgegriffen und auch Thema wissenschaftlicher Publikationen. Zwiedineck-Südenhorst248 zeigt in seinem Werk »Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen deutschen Kaiserreiches (1806 – 1871)« seine Hinwendung zum Deutschen Reich, und auch Friedjung behandelte mit »Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 – 1866«249 die traumatischen Entwicklungen dieser Zeit. Diese weitreichende Beschäftigung mit den Ereignissen von 1866 und 1871 zeigt deren Bedeutung für die Auseinandersetzung mit der Konstruktion einer österreichischen Nationalidentität.

3.2

Vertiefung des Nationalitätenkonflikts in der böhmischen Frage

Nach der Gründung des Deutschen Reichs im Jänner 1871 spitzte sich der Nationalitätenkonflikt in der Monarchie weiter zu. Den deutschnational orientierten Deutschösterreichern wurde eine Siegesfeier zu Ehren der Reichsgründung versagt, da, wie es Hohenwart ausdrückte, die Regierung »es als eine ihrer vorzüglichsten Aufgaben erklärt, das österreichische Bewußtsein in der Bevölkerung zu kräftigen und zu beleben«250 – und nicht das deutsche. Dies zeigt die zunehmende Nationalisierung der Deutschösterreicher, wobei, wie der liberale Abgeordnete Eduard Sturm erklärte, die »Culturmission«251 der Deutschen in Österreich von unschätzbarem Wert für die Monarchie sei. Die Machtposition der Deutschen in Österreich ist allein deshalb schon gegeben, da diese der Monarchie freiwillig angehören würden, während alle andere Nationen gar nicht anders könnten als Teil des Vielvölkerstaates zu sein.252 Diese Konstruktion hat jedoch die bereits in Kapitel 2.3 formulierte Bildung der österreichischen Nationalidentität als Hintergrund, die sich nach der Ausgrenzung aus dem deutschen Bund eine neue Existenzberechtigung suchen musste. Diese fand sie, zumindest im liberalen Lager, in der übergeordneten Position der Deutschen innerhalb der Habsburgermonarchie, die sich in der nationalen Argumentation allein schon in der sprachlich und kulturell höheren Entwicklung zeigte. Die Veröffentlichung des Fundamentalartikels radikalisierte die nationalen Vgl. Zwiedineck-Südenhorst 1897. Vgl. Friedjung 1897/98. Rede Hohenwarts vom 14. 08. 1871. In: Kolmer 1903, 120. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 469. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 252 Ebd., 464 – 469. 248 249 250 251

78

Das Ende des Liberalismus

Konflikte in der politischen Landschaft der Monarchie weiter.253 Die Neue Freie Presse sieht in den Ausgleichsbemühungen der Tschechen eine Degradierung der »Deutschen in Böhmen zu Staatsbürgern zweiter Klasse«254 und eine »Vergewaltigung der Deutschen in Böhmen«255. Der Fundamentalartikel, der im Oktober 1871 vom Prager Landtag beschlossen wurde256, stellt, wie auch schon die Deklaration der böhmischen Abgeordneten, für das deutschliberale Milieu Hochverrat an der Sache der Monarchie dar. »Die Fundamentalartikel verleugnen nicht nur die Verfassung, sondern sind die nackte Anrufung des böhmischen Staatsrechts, seine Nutzanwendung und Verallgemeinerung für ganz Österreich. Wer solch ein politisches Programm für discutierbar hält, hat bereits den Boden der Verfassung verlassen, ist selber schon im Lager des böhmischen Staatsrechts.«257

Die Verfassung, auf der die Freiheit der Gesellschaft und aller ihrer Bürger beruht, wird als Mittelpunkt der Konstruktion der österreichischen Monarchie gesehen. Ein Angriff auf die Verfassung kommt einem direkten Angriff auf die Monarchie, und damit auch auf die in ihrer eigenen Identitätskonstruktion in der ersten Machtposition des Reiches stehenden Deutschösterreicher gleich. Die Möglichkeit, dass diesem Programm aus der Sicht des konservativ-katholischen Milieus zuzustimmen sei, führt zum Szenario des Endes der Monarchie. »Den Anprall der vereinten Feinde Österreichs, der Freiheit, des Deutschthums und der Ungarn haben wir zuerst auszuhalten. Auf daß wir den Kampf bestehen, seien wir eingedenk des Dichterwortes: ›Es gibt nur Eins, was uns noch retten kann: Vereinigt, können sie uns nichts schaden; Wir stehen Alle für Einen Mann.‹«258

Vereinigt deshalb, weil die deutschsprachige Bevölkerung allein keine ausreichende Machtposition halten kann, die nicht durch ungarische Interessen verändert werden könnte. Ungarn selbst jedoch hatte höchste Motivation, den Ausgleich zu verhindern, da es infolgedessen seine erst vor kurzem errungene Position im Reich wieder aufgeben müsste. Das Vaterland, das sich noch während der Böhmischen Deklaration zurückhalten gezeigt hatte, war in seiner Berichterstattung nun auch emotional involviert; jedoch in die entgegengesetzte Richtung des liberalen Lagers, da es für den Ausgleich mit Böhmen plädierte. Nur dieser könne die Monarchie am Leben erhalten, da der »status quo« als nicht haltbar definiert wurde. 253 254 255 256 257 258

Vgl. Scharf 1996, 129. Neue Freie Presse, 17. 09. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Vgl. Scharf, Christian: Ausgleichspolitik, 93. Neue Freie Presse, 11. 10. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 12. 10. 1871, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Vertiefung des Nationalitätenkonflikts in der böhmischen Frage

79

»Wir können darauf keine andere Antwort finden als die: daß der Untergang Österreichs geplant wird! Man gesteht, die Ausgleichaction hindern zu wollen, d. h. der status quo soll erhalten bleiben. Dieser status quo aber ist erwiesenermaßen unhaltbar. […] Der Ausgleich muß zu Stande kommen, wenn Österreich bestehen soll.«259

Weiters wird auch die Haltung des Liberalismus und des Judentums in diesem Zusammenhang kritisiert, da sich diese nach Meinung des Blattes Das Vaterland offensichtlich gegen das konservativ-katholische Lager verschworen hätten. Zudem werden zwei politische Gegner, »Beust und Bismarck«, persönlich genannt und polemisch als »Helden« bezeichnet, während alle weiteren »liberalen Spießbürger« mit dieser Definition angesprochen werden sollen. »‹Staatsgefährlich‹ ist ein beliebtes Schlagwort geworden im Munde liberaler Helden in ihrem Kampfe gegen die Kirche. […] der Liberalismus prahlt mit der öffentlichen Meinung, mit seiner Aufklärung und Gewissensfreiheit, das Judenthum mit seinem Einfluß als Geldmacht – und doch, alle diese Helden, von Beust und Bismarck angefangen bis zum letzten liberalen Spießbürger herab – sie zittern, sie beben und der Schrecken preßt ihnen das Wort heraus: Staatsgefährlich!«260

Deutlich wird hier, dass Liberalismus und Judentum synonym füreinander verwendet bzw. auch differenziert aufgelistet werden können. Wesentlich ist, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Judentum und Liberalismus konstruiert wird, der in Verbindung mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Macht steht. Neben der »Analyse des Verfassungsentwurfes«261 wird auch festgehalten, dass eine »solche Verfassung« den rechtlichen Grundlagen des Reiches entspricht und für die »Reichseinheit«262 von zentraler Bedeutung ist. Unentbehrlich ist nach Meinung des konservativ-katholischen Lagers die Anerkennung »des historischen Rechtes«263 aller Länder der Monarchie. Diese Forderung scheint nur legitim, weil ein Teil des Vorstandes der Reaktion dem böhmischen Adel angehörte, der diese Forderungen unterstützte. Dies macht deutlich, wie stark gesellschaftliche Diskurse von politischen Interessensgruppierungen geschaffen und konstruiert werden, um Machtverhältnisse zu festigen oder zu verändern. Auch das Vorarlberger Volksblatt zeigt sich positiv hinsichtlich der Ausgleichsbemühungen Böhmens und beschreibt den Fundamentalartikel als ein Schriftstück, das als »würdig«, »correct« und »practisch« zu bezeichnen sei. »Schwerlich hat die jetzige Generation ein solches Schriftstück noch gelesen, so würdig ist es im Tone, so correct im Prinzipe, so practisch in seinen Modalitäten. Angesichts dessen bleibt den Trägern der neuen Ära, den Deutschliberalen und den liberalen 259 260 261 262 263

Das Vaterland, 17. 09. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 13. 09. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 11. 10. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 11. 10. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1.

80

Das Ende des Liberalismus

Magyaren, sowie den altgesessenen k.k. Wiener Centralspinnen nichts übrig als sich gründlich zu schämen.«264

In diesem Textfragment werden die bereits hinlänglich diskutierten Gegner der Gruppierung, die vor allem deutscher und liberaler Gesinnung sind bzw. die Ablehnung der Reichshauptstadt aufgegriffen. In dem eher dem deutschnationalen Lager zugewandten Kikeriki werden zahlreiche Texte und Karikaturen zur nationalen Bewegung in Böhmen veröffentlicht, wobei die untenstehende Karikatur die Außenperspektive des Verfassers widerspiegelt, der die drei Hauptprotagonisten des gesellschaftlichen Diskurses in einer aussichtslosen Lage darstellt.

Abb. 7: Karikatur politischer Protagonisten. Kikeriki, 23. 10. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Links oben wird Hohenwart als politischer Repräsentant für Böhmen aus Prag kommend gezeigt, während rechts davon Andr‚ssy aus Pest kommend Richtung 264 Das Vorarlberger Volksblatt, 13. 10. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Der Börsenkrach und seine Folgen

81

Wien fährt. Beide steuern direkt auf den aus Österreich kommenden Zug, der von Beust gelenkt wird, zu. Darunter ist vermerkt: »Das kann ein bissel ein Unglück wer’n!!«. Diese Karikatur zeigt die politischen Ereignisse nach der Veröffentlichung des Fundamentalartikels, in dem sich Beust und Andrassy im gemeinsamen Interesse gegen Hohenwart wandten und auf die Forderungen mit aktiver Gegenpolitik antworteten.265 Allen Bestrebungen zum Trotz konnten die nationalen Bemühungen Böhmens nicht durchgesetzt werden. Durch das politische Scheitern des Fundamentalartikels konnten die nationalen Entwicklungen nicht verhindert, jedoch, wenigstens für eine gewisse Zeit, unterdrückt werden. Dies hatte weiters aber zur Folge, dass sich diese Region emotional immer weiter von der Monarchie entfernte.266

3.3

Der Börsenkrach und seine Folgen

Während der Phase des Liberalismus entwickelte sich eine gesellschaftlich weitereichende Atmosphäre von Toleranz und religiöser Akzeptanz, die sich langsam durch den zunehmenden Nationalitätenkonflikt veränderte. Infolge der Wirtschaftskrise von 1873 wurden aus Sicht gewisser Milieus alle negativen Eigenschaften der jüdischen Bevölkerung bestätigt. So wurde angenommen, dass zum Beispiel das Haus Rothschild nur durch eine List das wirtschaftliche Chaos überstehen konnte. Durch die wachsende wirtschaftliche Unzufriedenheit, die sich auch infolge der steigenden Industrialisierung zeigte, konnten sich Ideen festsetzten, die über die 1880er bis hin zu den 1890er Jahren zu einer Politisierung, und in weiterer Folge zu einer Radikalisierung der Gesellschaft führten. Die wirtschaftliche Sicherheit und Beständigkeit, die vor 1873 geherrscht hatte, war, wie auch Stefan Zweig sagte, ein »Goldenes Zeitalter der Sicherheit«267 gewesen. Verluste durch Spekulationen an der Börse hielten sich in Grenzen, da die allgemeine Haltung in der Gesellschaft auf diese Sicherheit aufbaute. »In ihrem Österreich gab es in jener windstillen Epoche keine Staatsumwälzungen, keine jähen Wertzerstörungen; wenn einmal an der Börse die Papiere vier oder fünf Prozent verloren, nannte man es schon einen ›Krach und sprach mit gefalteter Stirn über die ›Katastrophe‹.«268

Auch Rabbiner Moritz Güdemann beschreibt die gutbürgerliche Gesellschaft vor dem Börsenkrach und zeigt auch eine Sorglosigkeit im Umgang mit Geld und 265 266 267 268

Vgl. Scharf 1996, 129. Vgl. Scharf 1996,174. Zweig 2002,14. Ebd.,43.

82

Das Ende des Liberalismus

Finanzen. Vor allem die Formulierung, dass »das Geld gleichsam auf der Straße« liegen würde, unterstreicht dies. »Man macht sich keinen Begriff davon, wie kurz vor dem sogenannten ›Krach‹ das Geld gleichsam auf der Straße zu liegen schien und nur die Börsianer damit wirtschafteten. Ein Bekannter von mir ließ sich im Frühling dieses Jahres von seinem Dienstboten einen Rock aus dem Schrank geben, worin er über den Winter gehangen hatte. Als er ihn angezogen hatte, griff er in die Seitentasche und zog einen Tausendguldenschein hervor, von dessen Besitz er keine Ahnung gehabt hatte.«269

Natürlich muss hier bemerkt werden, dass diese Beschreibungen nur einen gewissen, kleinen Teil der Gesellschaft betreffen, dennoch scheint es, als wäre dem Grundgedanken der Sicherheit ein fester Platz im Bewusstsein der Menschen gegeben gewesen. Dieser wurde im Mai 1873 erheblich erschüttert, als die Finanzkrise Österreich-Ungarn erreichte. Allein am 8. Mai wurden in Wien 100 Insolvenzen angemeldet und durch die Auswirkungen der nächsten Wochen mussten Verluste in der Höhe von 700 Millionen Gulden hingenommen werden. Bis zum Ende des Jahres 1873 mussten vor allem Banken, Versicherungsgesellschaften, Verkehrsbetriebe, Baugesellschaften oder Industrieunternehmen Konkurs anmelden oder Anlagevermögen verkaufen, um die Verluste ausgleichen zu können.270 Die Neue Freie Presse beschreibt diese Situation. »Eine Katastrophe ist über die Börse hereingebrochen, wie sie eine unheilbrütende Phantasie nicht drastischer ersinnen könnte. Die Werthe, welche die Börse seit Wochen zu hohen Kursen handelte sind zweifelhaft geworden, das Misstrauen in seiner furchtbarsten [.] hat sich des Marktes bemächtigt; diejenigen, welche mit Anspannung des Credites Papiere kauften, sind nicht in der Lage, sie zu übernehmen, eine Insolvenz hat die andere zur Folge, und aus der Verkettung der tausend Wechselbeziehungen zwischen der Börse und dem socialen Leben hat sich eine Tragödie entwickelt, deren Abschluß noch nicht zu ermessen ist. Uns widersteht es, ein schwarzes Sensationsbild zu malen, wo die Wirklichkeit düster genug erscheint. […] Unter solchen Verhältnissen gilt es nicht blos, nachzuforschen, wen die Schuld der Katastrophe treffe; es gilt nicht blos, sich an der Befriedigung über eingetroffene Voraussagen genügen zu lassen: es gilt, mit Thatkraft, Kaltblütigkeit dem Übel entgegenzutreten.«271

Das deutschliberale und zu dieser Zeit politisch einflussreiche Lager ist von den Ereignissen stark betroffen. Die »Katastrophe« übersteigt jede »unheilbrütende Phantasie« und legt vor Augen, dass die Spekulationen an der Börse nicht nur abstrakte Weisungen waren, sondern tragische Auswirkungen auf das »sociale[n] Leben« hatten. In der Beschreibung des Textes dominiert eine negativ269 Güdemann »Mein Leben. Wien 1899 – 1918«. Unveröffentlichte Memoiren. In: Lichtblau 1999, 478. 270 Vgl. Eder 1955, 221. 271 Neue Freie Presse, 10. 05. 1873, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Der Börsenkrach und seine Folgen

83

apokalyptische Allegorie, die sich auch durch die Frage nach der Zukunft nur teilweise positiver gestalten lässt. Hier kommt nämlich die Frage nach der Schuld, der die Neue Freie Presse offensichtlich ausweichen möchte, zutage. Die erwarteten Anschuldigungen aus dem konservativen Lager werden bereits in der Formulierung, sich der »Befriedigung über eingetroffene Voraussagen« hinzugeben, aufgegriffen und mit dem Verweis abgewehrt, dass nun Wichtigeres zu tun sei, als die Schuldfrage zu klären. Aufgrund der Verwicklungen einiger liberaler Politiker in die Spekulationsgeschäfte an der Börse wurde der Börsenkrach auch als Versagen der Politik gedeutet, sodass das liberale Lager bei den Wahlen dieses Jahres Verluste hinlänglich der Wählerschaft hinnehmen musste, wobei eine Abwanderung der Wähler zugunsten von klerikalen und föderalistischen Gruppierungen zu erkennen war.272 Die Schuld an den Entwicklungen wurde in diesen Milieus, wie erwartet, in der regierenden Partei und den ihr angehörigen liberalen Vertretern gesucht, wie die Ausführungen in dem Artikel »Des Schindels Glück und Ende« in Das Vaterland zeigen. »Ein Schlachten war’s und keine Schlacht zu nennen, was auf der heutigen Börse vorging. Keine Deroute mehr, sondern volle Auflösung, kein bloßes Ausbleiben Einzelner, sondern totale Geschäftslosigkeit, nicht bloße Baisse mehr, sondern vollständiger Abgang von verläßlichen Notirungen. […] Die Spielwuth hat bereits so riesige Dimensionen angenommen, die ehrliche, mit ehrlichem bürgerlichen Gewinn zufriedengestellte Arbeit kam bereits in solche Mißachtung, daß der Eintritt einer noch so empfindlichen Katastrophe als moralisch reinigend nur willkommen geheißen werden muß.«273

Die vollständige Auflösung der Börse infolge der Wirtschaftsentwicklungen zeigt die extremen Ausmaße dieses Börsenkrachs. Eine Betätigung an der Börse, die mit »Spielwuth« gleichgesetzt wird, ist aus katholischer Sicht als unehrliche Arbeit zu definieren, die damit auch moralisch abzulehnen ist. Durch die Anspielung, dass diese Tätigkeit keine Arbeit, sondern nur Spiel sei, wird diese in der Argumentation weiter degradiert. Auch in diesem Textfragment wird in der verwendeten Symbolik eine apokalyptische Bildlichkeit im Hintergrund sichtbar, die die »Katastrophe als moralisch reinigend« und daher »nur willkommen« beschreibt. Der Bezug zur Bedeutung für die österreichische Gesellschaft und Identität wird in einer Königgrätz-Metapher konstruiert, die nicht nur Niedergang, sondern auch Auferstehung symbolisiert. »Dieses neue Königgrätz ohne ruhmvolle Vertheidigung hätte uns die neueste Ära beschert!«274, die die Gesellschaft von allen als negativ empfundenen Eigenschaften reinigen würde. Das Vorarlberger Volksblatt betont im Gegensatz dazu seine Volksnähe und unter272 Vgl. Kirchhoff 2001, 57. 273 Das Vaterland, 10. 05. 1873, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 274 Das Vaterland, 13. 05. 1873, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

84

Das Ende des Liberalismus

strich die sozialen Folgen für das Volk, indem es einen Artikel aus dem katholischen Linzer Volksblatt zitiert, der die finanziellen Auswirkungen auf die unteren Bevölkerungsschichten beschreibt. »Am meisten wird noch das große Publikum durch die Suspendirung in’s Mitleid gezogen, indem viele der wichtigsten Consumptions-Artikel bedeutend vertheuert werden, ja die kürzeste Strecke, die man auf einer Eisenbahn fährt, ist dadurch vertheuert, weil Alles nach Silber rechnet, nur nicht das Volk. Das arme Volk ist es immer, das die Zeche zahlen muß.«275

Im Aufgreifen dieses Textfragmentes aus einem bereits veröffentlichten Artikel wird dessen Bedeutung hervorgehoben, und, wie in diesem Fall, zur Unterstreichung der eigenen Position verwendet. Damit wird einerseits die Hinwendung zur stärker werdenden sozialen Frage aufgezeigt, andererseits eine Abgrenzung von der liberalen, städtischen Bevölkerung vollzogen, die für diese Entwicklung als verantwortlich gezeichnet wird. In diesen Abgrenzungsentwicklungen zwischen den einzelnen Milieus werden unterschiedliche Strategien zur Positionierung innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft geschaffen. Diese nationalen Identitätskonstruktionen sind auf drei Ebenen zu erkennen: Erstens in der Abgrenzung vom Deutschen Reich in der Konstruktion als Deutschösterreicher, zweitens in einer Behauptung der Machtposition gegenüber den anderen Ländern innerhalb der Monarchie und drittens in einer Ausgestaltung einzelner Milieus innerhalb der deutschsprachigen Gruppierung selbst. Diese sind wiederum nicht als durchgängig homogen zu betrachten, dominante Positionen werden jedoch als richtungsweisend für Gesellschaftsentwicklungen angesehen. Vertiefung des Antisemitismusdiskurses In der Frage nach den Verantwortlichen für die Entwicklungen an der Börse wurde von konservativ-katholischer Seite die enge Verbindung von Judentum und Liberalismus kritisiert, wobei von diesen Gruppierungen eine Abgrenzung gewünscht wurde. Insbesondere infolge des Aufeinanderprallens der Konfliktfelder »Kirche, Konstitutionalismus und Nationalismus«276 wurde dies deutlich. Vor allem im konservativ-katholischen und föderalistischen Lager wurden durch die Machtposition des Liberalismus negative Zukunftsvisionen entwickelt, die bereits vor dem Börsenkrach deutlich wurden und die oben besprochenen Problemfelder aufgriffen.

275 Vorarlberger Volksblatt, 20. 05. 1873, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 276 Pulzer 1966, 110.

Der Börsenkrach und seine Folgen

85

»Doch keines Beweises bedarf es, daß der liberale Centralismus es ist, welcher in seinen Schulen und Zeitungen die Confessionslosigkeit und den Atheismus bis in die fernsten Winkel Österreichs predigen läßt. Keines Beweises bedarf es, daß die meisten Führer desselben durchaus keine Vorliebe für die katholische Kirche und ihre Freiheit und Rechte an den Tag legen, so wenig als der gesammte Troß der liberalen und jüdischen Centralisten. […] Vier Katastrophen rücken immer näher heran: die finanzielle durch das furchtbare Schwindel- und Subventions-System; die social-ökonomische durch die Güterzersplitterung durch die Herrschaft des Capitals; die politische durch den künstlich heraufbeschworenen Racenkampf, und die kirchliche durch die liberale Confessionslosigkeit und die offene Verfolgung der Kirche.«277

Das deutschliberale Lager wird in der Außenbetrachtung vor allem mit »Confessionslosigkeit« und »Atheismus« in Verbindung gebracht, die als zentrale Gegenpositionen zum Katholischen gezeichnet werden, wobei auch die Nähe zum Judentum mit diesen Attributen verbunden wird. Dabei werden sowohl Liberalismus als auch Judentum mit dem Zentralismus in Verbindung gebracht, der im Gegensatz zum föderalistischen Milieu eine deutschzentralistische Staatsform befürwortete und damit eine Elitenbildung der deutschösterreichischen Bevölkerung unterstützte.278 Gegen diese wurde nun in der Aufzählung von vier nahenden »Katastrophen« propagiert, die mithilfe von negativen Eigenschaften der gegnerischen Gruppierung konstruiert wurden. Der wirtschaftliche Einfluss wird in der »Herrschaft des Capitals« gesehen, der mit dem wachsenden Einfluss des Judentums in der Industrie in Verbindung gebracht wird, während die deutschzentralistische Haltung als Auslöser für den »Racenkampf« bezeichnet wird. Dies macht die differenzierenden Diskurspositionen innerhalb der deutschsprachigen Gruppierung in Österreich deutlich. Vor allem infolge der Wirtschaftskrise und der Etablierung der sozialen Frage kommen das liberale Milieu, und damit auch das Judentum, stärker in den Fokus der Abgrenzungsmechanismen des konservativen und deutschnationalen Lagers. Auch im konservativ-katholischen Milieu Vorarlbergs ist diese Argumentation gegen die Deutschliberalen in einem Artikel zum Wahlkampf 1870 zu erkennen. Dieser behandelte »Zehn Fragen an das Volk«, die entsprechend der politischen Haltung des Vorarlberger Volksblattes beantwortet wurden. »Wollt Ihr, daß Österreich durch ewigen Zank und Hader seiner Völker zerfalle, und wir zuletzt noch von unseren Deutschthümlern an Preußen ausgeliefert werden? Volk: Nein! – Gut; so wählet keinen Liberalen! […] Wollt ihr die Einziehung der Kirchgüter, wie in Italien, zur Bereicherung von getauften und ungetauften Juden, zur Verarmung des Staates und zu noch mehr Belastung des Volkes? Volk: Nein! – Gut; so wählet keinen Liberalen!«279 277 Das Vaterland, 02. 02. 1873, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 278 Vgl. Stekl 2004. 279 Vorarlberger Volksblatt, 28. 06. 1870, 7 – 8. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

86

Das Ende des Liberalismus

Ebenso wie im städtischen Milieu zeigt sich im ländlichen Raum Vorarlbergs die Konstruktion der Verbindung zwischen Liberalismus, Zentralismus und Judentum. Diese Entwicklung zeigt sich auch an der wachsenden Anzahl der antisemitischen Karikaturen. So druckt der Kikeriki ein polemisches »Morgengebet eines Börsianers«280 ab, das stark antisemitisch geprägt ist. »Jehovah, der Du bist im Himmel, wo man nichts weiß von vierzehntägiger Liquidation, gepriesen sei Dein Name tausend Mal mehr als jener des Herrn Rothschild!«281 Mit der Verwendung der Begriffe »Jehovah« und »Rothschild« wird dem Leser der Bezug zwischen Börse und Judentum offengelegt. Das ›Gebet‹ karikiert zudem den Religionsbegriff in Bezug auf das Judentum, da impliziert wird, dass normalerweise der Name Rothschild von ausreichender Bedeutung ist und daher zu Religion im traditionellem Sinn, bzw. Gott, nur in Ausnahmesituationen Bezug genommen wird. Zudem finden sich auch über die negativen Auswirkungen des Börsenkrachs Darstellungen. Unter der auf der abgebildeten Karikatur sind zwei Textzeilen zu sehen, die als Dialog den beiden Personen im Bild zugeordnet werden: »Handleh! Handleh!« – »Jesses, mein Baron!«. Es kann hier interpretiert werden, dass der »Baron« vermutlich durch den Verlust seines Vermögens während des Börsenkrachs nun auf der Straße Handel treiben muss. Dies wird im Text mit einem jiddischen Akzent verstärkt. In seiner Darstellung entspricht er außerdem einer traditionellen antisemitischen Physiologie, mit krausem Haar, einer großen Hakennase, einem untersetzten Körperbau und kurzen Beinen.282 Neben der Verbreitung antisemitischer Stereotypen in Form von Karikaturen im deutschnationalen Lager ist im konservativkatholischen Milieu eine Hinwendung zur sozialen Frage zu erkennen. Bereits Anfang der 1870er Jahre, als noch verstärkt die Gegensätze zwischen Kirche und Judentum hervorgehoben wurden, wird die Konstruktion einer jüdischen Nation sichtbar. Zu Beginn des Artikels »Die Kirche und das Judenthum« wird in einer deutlich aggressiveren Sprache als bisher die jüdische definierte Presse angegriffen. Dabei werden die »Wiener Judenblätter« als verantwortlich für eine steigende Gleichgültigkeit gegenüber der Religion, einen damit einhergehenden Sittenverfall, und schlussendlich für die allgemein negative Haltung gegenüber der Katholischen Kirche in der Gesellschaft gezeichnet. »Derselbe infernalische Haß glotzt aus diesen Zeitungen hervor und dieselben Lästerungen gegen die katholische Kirche als Trägerin des Christenthums. […] so rauben

280 Kikeriki, 15. 05. 1873, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 281 Kikeriki, 15. 05. 1873, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 282 Vgl. Waibl-Stocker 2009, 236.

Der Börsenkrach und seine Folgen

87

Abb. 8: Antisemitische Karikatur nach dem Börsenkrach. Kikeriki, 18. 05. 1873, 8. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

doch die Wiener Judenblätter Tausenden und Hunderttausenden das Höchste, was der Mensch auf Erden besitzt, den Glauben und mit ihm die Gnade und die Sittlichkeit.«283

Im Angriff gegen diese Entwicklungen sieht sich das konservative Lager nun jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass das Judentum, das in Verbindung mit dem Liberalismus dargestellt wird, als solches den traditionellen religiösen Ansprüchen nicht mehr entspricht. Daher wird in der weiteren Argumentation eine Distanzierung des Judentums von der Religion vorgenommen, um einen entsprechenden Angriffspunkt zu konstruieren. »Die grundfalsche Ansicht ist es, wenn man die Juden als eine Religionssecte betrachtet. Die Mehrzahl der Juden hat gar keine Religion, am allerwenigsten die Zeitungsjuden. Sie bilden vielmehr ein Volk, die jüdische Nation. Schon Fichte sagt in seinem Urtheile über die französische Revolution:284‹Fast durch alle Länder Europa verbreitet sich ein mächtiger, feindseliger Staat, der mit allen übrigen im beständigen 283 Das Vaterland, 20. 12. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 284 Das Vaterland, 20. 12. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

88

Das Ende des Liberalismus

Kriege steht, und der in manchen fürchterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judenthum.‹«285

Im Verweis auf den gesellschaftlich bekannten Philosophen Fichte wird eine historische Bestätigung und Kontinuität aufgebaut, die in dieser Form die Argumentation weiter unterstreicht. Da die liberal und emanzipiert auftretenden Juden der 1870er Jahre nicht eindeutig als religiös definiert werden können, werden sie mit einem anderen Element der Identitätskonstruktion, der Nationsidee, in Verbindung gesetzt. Die Art und Weise der verwendeten Begrifflichkeiten weist darauf hin, dass sich der Autor dieser Vermutung nicht vollständig sicher war, da er nach der Feststellung einer »grundfalsche[n] Ansicht« zu differenzieren beginnt. Eine »Mehrzahl«, von der ein Teil »am allerwenigsten« den imaginierten Anforderungen entspricht, stellt »vielmehr« etwas anderes als erwartet dar. Der Verweis auf Fichtes Ausführungen aus dem 18. Jahrhundert und das verwendete Zitat zeigen im Rahmen der Nationskonstruktion eine Kontinuitätsverbindung, auf die eine weitere Argumentation aufbauen kann. Diese Vorstellungen werden zunehmend auf eine breite öffentliche Ebene gehoben, die auch durch eine kontinuierliche Thematisierung im Das Vaterland unterstützt wird. Auch die antisemitischen Entwicklungen im Deutschen Reich werden bemerkt und in den gesellschaftlichen Diskurs in Österreich integriert. So wurde in einem Artikel im Oktober 1875 die Rolle des Judentums innerhalb des Deutschen Reiches im Unterschied zur Monarchie erläutert. »Es mag sein, daß in Preußen auf diesem Wege noch zu helfen ist; bei uns nicht mehr. Bei uns ist das Übel von innen heraus entstanden und hat heute den ganzen Gesellschaftskörper ergriffen. Bei uns herrscht nicht sowohl deshalb das Judenwesen, weil das Land mit Juden überschwemmt ist, sondern es ist mit Juden überschwemmt – und zwar hauptsächlich doch erst neuerdings – weil der liberale Umschwung, mit dem man uns beglückt, duch und durch vom jüdischen Geiste durchzogen ist.«286

Dies zeigt die wiederholte Abwertung des Judentums als Synonym für die Abgrenzung von politischen Kontrahenten. Liberalismus und Judentum werden als untrennbar miteinander verbundene Komponenten einer Bewegung konstruiert, wobei das Judentum erneut als über die Religion hinausgehend definiert wird. »Wir legen keinen Werth darauf, ob von Getauften oder von Beschnittenen jüdisch gehandelt wird.«287

285 Das Vaterland, 20. 12. 1871, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. bzw. Vgl. dazu auch Fichte 1844,135. 286 Das Vaterland, 10. 10. 1875, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 287 Ebd., 1.

Die Balkanfrage

89

Der Begriff Jüdisch wird in dieser Feststellung als etwas nicht Ablegbares, biologisch Konstantes imaginiert. Zudem wird der Einfluss des Deutschen Reiches auf die Entwicklungen innerhalb der Donaumonarchie Mitte der 1870er Jahre immer wichtiger, wie in folgender Ausführung deutlich wird, in der die Artikelserie Glagaus als Mittel der Beweisführung der verwendeten Argumentation eingesetzt wurde. »Wir befürchten nicht, daß uns der Staatsanwalt diese Behauptung als eine Aufreizung gegen die zu Vollbürgern emancipirten Juden anrechnen wird, nachdem so oft in den letzten Jahren vor Gericht und im Parlament der Judenwucher als ein Krebsschaden constatirt und verurtheilt worden ist und Otto Glagau in seinem ›Börsen- und Gründungsschwindel‹ nachgewiesen hat, daß 90 Percent aller deutschen Gründer Juden sind, da doch die Juden nur anderthalb Percent der Bevölkerung ausmachen.«288

Wie bereits im Deutschen Reich wird dadurch die Entwicklung des Antisemitismusdiskurses im gesamten deutschsprachigen Raum beeinflusst und seine Politisierung gefördert. Der Rückbezug auf die fast schon in den Rang einer wissenschaftlichen Studie erhobene Artikelserie wird als Verteidigung der Argumentation eingesetzt. In der Verwendung der Metapher »Judenwucher als ein Krebsschaden« wird keine rechtliche Diffamierung mehr gesehen, da bereits in anderen öffentlichen Medien diesbezüglich Feststellungen und Ergebnisse »nachgewiesen« wurden. Die hierdurch vermittelte Pseudowissenschaftlichkeit wirkt auf die Leser ein und zeichnet ein profundes sowie differenziertes Weltbild, das sich auf angebliche wissenschaftliche Fakten stützt. Die spätere Verwendung des Antisemitismus als Welterklärungsmodell wird hier bereits sichtbar.

3.4

Die Balkanfrage

Im Laufe der Verhandlungen des Berliner Kongresses wurde zwischen Russland, dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die weitere Vorgehensweise zur Friedenssicherung am Balkan geregelt. Es wurde durch eine diplomatische Annäherung versucht, Frieden zu gewährleisten; die Beseitigung nationaler Unstimmigkeiten war nicht Gegenstand der Diskussion. Österreich-Ungarn wurde im Laufe der Verhandlungen die Okkupation und zu einem späteren Zeitpunkt Annexion Bosniens und der Herzegowina zugestanden.289 Insbesondere die Interessen der jüdischen Bevölkerung am Balkan, vertreten durch Adolphe Cr¦mieux im Namen der Alliance Isra¦lite Universelle und Gesandten aus Rumänien, konnten sich bei den westeuropäischen politischen Vertretern 288 Das Vaterland, 10. 10. 1875, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 289 Vlg. Hildebrand 2008, 73.

90

Das Ende des Liberalismus

Gehör verschaffen290 und rückten somit auch in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Und auch das britisch-türkische Zusatzabkommen in Bezug auf die Besetzung Zyperns291 wurde in diesem Zusammenhang thematisiert. »Österreich-Ungarn müßte jetzt zur Besetzung Bosniens und der Herzegowina schreiten, auch wenn diese Occupation nicht mehr der Gegenstand und Inhalt aller Wünsche und Bestrebungen unserer leitenden Kreise wäre. Diese Occupation kann von jetzt ab als eine so gut wie vollzogene Thatsache betrachtet werden, und nachdem England die Insel Zypern occupirt hat, kennt man auch das Motiv, welches Lord Beaconsfield bestimmte, im Congresse den Antrag auf Ertheilung eines europäischen Mandats zur Besetzung von Bosnien und der Herzegowina an Österreich-Ungarn einzubringen. […] Die Occupation von Bosnien und der Herzegowina hat weder diesseits noch jenseits der Leitha jemals in der öffentlichen Meinung Sympathie und Unterstützung gefunden. Dieser eventuelle Landerwerb wurde niemals als ein Gewinn und stets als eine politische Gefahr betrachtet.«292

In diesen Ausführungen werden auch die Motivationen der Briten angesprochen, die ihre bisherige Unterstützung des türkischen Reiches zurücknahmen und Rumänien, Serbien und Montenegro als unabhängige Staaten anerkannten. Die intensive Beschäftigung mit der orientalischen Frage hatte zur Folge, dass eine Sicherung der britischen Politik im Mittelmeer durch die Besetzung Zyperns gewährleistet war.293 Während die deutschliberale Neue Freie Presse über die Tatsache der Okkupation Bosniens und der Herzegowina bedingt erfreut schien, konzentrierte sich das föderalistisch-konservative Das Vaterland stärker auf die jüdische Teilnahme am Berliner Kongress, als auf seine Ergebnisse. »Mit Hohn weist man auf Cremieux‹ Gratulation an Sta. Ballier und Waddington hin für die von Frankreich befürwortete Judenemancipation in Rumänien, den einzigen ›Erfolg‹, welche die französische Diplomatie vom Berliner Congresse heimbringt, ein Erfolg, der nothwendig die traditionellen Sympathien der Rumänen für Frankreich mit einem Schlage beseitigen und in heftige Feindschaft verwandeln muß, denn nicht umsonst sehen rumänische Grundbesitzer, wie das Judenthum im benachbarten Ungarn Hektar um Hektar adelige und Bauerngüter an sich reißt und den so stolzen Stamm Arpad’s in kaum 30 Jahren schon zum nicht kleinen Theile proletarisiert hat. Und dies Schicksal steht den Bojaren und Bauern der Walachei – Dank der französischen Politik – nun auch bevor.«294

Die sichtbare Präsenz des Judentums im Rahmen der Verhandlungen des Berliner Kongresses wird auch in der Gesellschaft bemerkt und in der Tagespresse 290 291 292 293 294

Vgl. Müller 2005, 61 – 62. Vgl. Ahmann 2009, 9 – 32. Neue Freie Presse, 16. 07. 1878, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Schöllgen 2000. oder Vgl. Ahmann 2009, 9 – 32. Das Vaterland, 16. 07. 1878, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die Balkanfrage

91

diskutiert. Dies zeigt die von Fein angenommenen Zusammenhänge zwischen der Sichtbarkeit der jüdischen Bevölkerung und dem wachsenden Antisemitismus.295 In der Anwesenheit an Orten mit politischer Tragweite wird auch das Motiv der weltweiten jüdischen Verschwörung aufgegriffen und weiter tradiert. In diesem Artikel wird der Zusammenhang der »Judenemancipation in Rumänien« mit dem Ende der »rumänischen Grundbesitzer« konstruiert. Wie für die österreichische Monarchie bereits in Ungarn angeblich deutlich sichtbar, wird das Judentum für die Entstehung des Proletariats verantwortlich gezeichnet. Zudem wir eine enge Beziehung der jüdischen Bevölkerung zu Deutschland vermutet. Diese begründet sich einerseits in der Tatsache, dass angeblich alle Juden »nach Osten hin, bis Constantinopel, deutsch sprechen« und andererseits darin, dass sie generell als politische »Anhänger Bismarcks« zu definieren sind. »Da man ferner weiß, daß die Juden nach Osten hin, bis Constantinopel, deutsch sprechen und politisch Anhänger Bismarcks sind, da man gleichmäßig zu wissen meint, daß sie überall thun, was ihrem großen Protector an der Spree angenehm ist, in Wien sowohl als in Bukarest, so verliert der Triumpf der Politik Frankreichs auf dem Congresse zu Berlin noch mehr in den Augen der französischen Kritiker […]«296

Diesen Schluss lässt auch die Berichterstattung der deutschnational-radikalen Zeitung Österreichischer Volksfreund zu, der eine »Großmacht« des Judentums in Europa aufgrund der Teilnahme am Berliner Kongress sieht. »Bei Gelegenheit des Berliner Congresses ergab sich die positive Thatsache, daß die ›Alliance israelite universelle‹ bereits eine Großmacht ist; […] Aus all diesem geht hervor, daß die herrschende Kaste, die in geraumer Zeit, vielleicht schon in einigen Decennien, ausschließlicher Herr unseres Geldmarktes sein wird, bereits die erste Stufe zum Throne erklommen hat, […]; und wenn wir auch in der Folge trachten werden, unsere von den Krallen der Wucherer verschont gebliebenen Kreuzer in die jüdischen Kaufläden zu tragen, bei all unseren Geschäften uns jüdischer Zwischenhändler zu bedienen, dann wird unsere gänzliche Unterjochung durch die Juden früher eintreten als wir glauben.«297

Der hier beschriebene Antisemitismus verwendet wirtschaftliche Argumentationen und Allegorien, um der Zukunftsperspektive der »gänzlichen Unterjochung durch die Juden« den notwendigen Alltagsbezug zu geben. Die Botschaft ist klar : Infolge der Unterstützung der jüdischen Händler und Kaufleute wird deren (angebliche) Weltherrschaft weiter gefördert. Mit der Herausbildung des radikalen deutschnationalen Milieus wird die Veränderung der Verwendung antisemitischer Agitationen deutlich. Eine Karikatur des Kikeriki, im Kontext des Berliner Kongresses erstellt, 295 Vgl. Fein, 1987, 16 – 18. 296 Das Vaterland, 16. 07. 1878, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 297 Österreichische Volksfreund, 19. 02. 1881, 2.

92

Das Ende des Liberalismus

verbindet die Balkanfrage mit der Judenfrage. Unter dem Titel »Die zwei Zeitfragen« findet sich über dem oberen linken Bild die erste Frage »Soll man die Juden fortjagen?«. Darunter sind Soldaten am Festland und ein Boot mit Ruderern zu erkennen. Am rechten oberen Rand ist die zweite Frage vermerkt: »Soll man 25 Millionen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den insurgirten298 Ländern verwenden?«. Darunter endet das erste zweigeteilte Bild und führt zur zweiten Graphik, die beide vorher getrennten Teile vereint. Hier ist die Überschrift »Wär’s nicht viel praktischer, diese Bosniaken, Boechesen und Krivoscianer aus Europa fortzujagen« zu lesen. Darunter wird der Text der Überschrift fortgesetzt »und den Juden die 25 Millionen zu geben, damit sie sich, industriös wie sie sind, da unten etabliren und endlich den Handel mit Asien in Szene setzten?«. In dieser Abbildung sind eine Vielzahl von Gebäuden und Personen zu erkennen. Neben den Schildern zu einer Wechselstube, einem Kürschner und einer Hutfabrik sind ein Optiker sowie ein Hotel am Hügel dahinter zu erkennen. Die abgebildeten Personen sind in ihrer Darstellung von vorrangig orientalischen und jüdischen Stereotypen und Symbolsystemen beeinflusst. Neben der Kopfbedeckung des Fez fallen einige Figuren durch ihre ausgeprägten Nasen sowie ihren untersetzten Körperbau auf, wobei die beiden dargestellten Personen im rechten unteren Eck durch ihre türkisch inspirierte Kleidung auffallen. In dieser Darstellung werden zwei gesellschaftspolitische Fragen aufgegriffen: der Balkan und die jüdische Bevölkerung. Die Okkupation Bosniens und der Herzegowina im Jahre 1878 gestaltete sich für die Habsburgermonarchie widerstandsreicher als gedacht, vor allem fehlte auch die Zustimmung aus den eigenen Reihen.299 Im ersten Teil der Karikatur werden Zukunftsszenarien für die Lösung zweier die Gesellschaft zentral berührenden Fragen entwickelt. Dies lässt darauf schließen, dass die Judenfrage, neben dem Nationalitätenkonflikt als gesellschaftlicher Diskurs an Bedeutung gewonnen hatte. Insbesondere durch die gesellschaftliche Dominanz der Nationalitätenfrage werden nun verstärkt Strategien entwickelt, diesen entgegenzuwirken. Innerhalb des sozialistischen Arbeitermilieus zeigt sich bereits im Aufruf zur Gründung eines Allgemeinen Österreichischen Arbeitervereins am 1. Oktober 1874, dass versucht wurde, die zunehmenden Nationalitätenkonflikte aufzulösen. »Indem wir dazu beitragen werden, den Staat, in dem wir wirken und leben, zu einem wahrhaften Kulturstaat emporzuheben, fördern wir am besten die Versöhnung der Nationen und Völker.300

298 Anm.: rebellisch oder aufständisch. 299 Vgl. Dzˇaja 1994. 300 Brügel, 1922, 209, Zitiert in: Berchtold 1967, 118.

Die Balkanfrage

93

Abb. 9: Karikatur zweier politischer Fragen. Kikeriki, 20. 04. 1882, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Diese Linie wurde auch im zwei Jahre später veröffentlichten Programm des Wiener Neustädter Arbeitertages weiterverfolgt, in dem verlautbart wurde, dass »das Wort Nationalität«301 nur »künstliche Gegensätze«302 und »politische Feindschaft«303 konstruiert, wo es in Wirklichkeit doch nur »leerer Schall«304 sei. Das zentrale Ziel war die Vereinigung der Arbeiterschaft über nationale Grenzen hinaus. Dennoch ist in der Betrachtung der 1870er Jahre, trotz des wachsenden Antisemitismus infolge der Wirtschaftskrise und des Nationalitätenkonfliktes, der Liberalismus noch immer dominanter als diese Phänomene.

301 302 303 304

Brügel, 1922, 292 – 295, Zitiert in: Berchtold 1967, 120. Ebd., 120. Ebd., 120. Ebd., 120.

94

Das Ende des Liberalismus

»Damals […] existierte der Antisemitismus zwar, wie seit jeher, als Gefühlsregung in zahlreichen, dazu disponierten Seelen und als höchst entwicklungsfähige Idee; aber weder als politischer noch als sozialer Faktor spielte er eine bedeutende Rolle.«305

Wesentlich ist, dass die Politisierung bisher erst in Ansätzen, wie in jenem politischen Programm, zu erkennen war und noch keine Breitenwirksamkeit erreicht hatte. Nationalismus und Antisemitismus konnten sich jedoch insbesondere im universitären Bereich immer stärker durchsetzen.

3.5

Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus

Johann Gottfried Herder, Friedrich Ludwig Jahn und Wilhelm Heinrich Riehl waren Wegbereiter des Begriffes Volk im Allgemeinen sowie im Speziellen der Volksseele und des Volkstums. Jahn, wichtig insbesondere für die deutschen Turnervereine, stellte fest, dass das Element des Volkes zentralen Einfluss auf die Seele eines Staates habe. »Nichts ist ein Staat ohne Volk, ein seelenloses Kunstwerk; nichts ist ein Volk ohne Staat, ein leibloser luftiger Schemen, wie die weltflüchtigen Zigeuner und Juden. Staat und Volk in Eins, geben erst ein Reich, und dessen Erhaltungsgewalt bleibt das Volksthum.«306

Dieser Argumentation nach ist ein »Staat ohne Volk« sowie auch ein »Volk ohne Staat« nichts wert, was sich in Hinblick auf die Betrachtung staatenloser Gruppierungen negativ auswirkt. Zu diesen nationalen Gruppierungen wird auch die jüdische Bevölkerung, als Nation konstruiert, gezählt. Zahlreiche volkskundliche Forschungen werden von Riehl mit der Nationalidee verknüpft. Nation stellt sich für ihn auch durch »Volkspersönlichkeit«307 dar. Die wissenschaftliche Konstruktion und Festigung des deutschen Volkes als Gemeinschaft stand im Mittelpunkt.308 »Der Begriff des Volkes ist eine Abstraction […]. Der ethnographische Begriff des Volkes, als eines durch Gemeinsamkeit von Stamm, Sprache, Sitte und Siedelung verbundenen natürlichen Gliedes im großen Organismus der Menschheit wird daraus nur auf entwickelteren Bildungsstufen gewonnen.«309

305 306 307 308 309

Schnitzler 1981a, 77. Jahn 1810, 18. Riehl 1862, 213. Vgl. Oberkrome 1993, 43. Riehl 1862, 213 – 214.

Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus

95

Die Konstruktion von »Volk« und »Seele« wird mit einem ethnozentristischen Blick des Forschers verbunden, der sich und seine Kultur als über allen anderen stehend beschreibt. Im Untersuchungsraum liegt auch der Beginn der Volkskunde in Österreich. Mit der Gründung der anthropologischen Gesellschaft in Wien310 wollte man Wissenschaft interdisziplinär vorantreiben. Man versuchte, sich erstmals von der romantischen Haltung der bisherigen Untersuchungen zu distanzieren und wandte sich verstärkt objektiveren Methoden zu. Rudolf Mehringer, Michael Haberlandt und Rudolf Much fanden innerhalb dieser Wiener Gesellschaft zueinander und auch die Gründung der Zeitschrift für Volkskunde (1895) sowie die Gründung des Vereins für österreichische Volkskunde (1894) durch Michael Haberlandt fällt in diesen Zeitraum. Ziel war es, die Forschungsfelder der Volkskunde zu bündeln, wodurch erst eine Institutionalisierung ermöglicht wurde. Haberlandts Forderung nach einer Überwindung der nationalen Frage, nicht nur innerhalb der Forschung, war zentraler Mittelpunkt dieser Überlegungen.311 Bis dahin waren der Begriff Volk und die Frage nach einer Volksseele zentrale Forschungsfelder der Volkskunde und zeigten deren Verhaftung in einem romantischen und nationalen Weltverständnis. Dennoch dominierten die bis dahin bezeichnenden statischen Aufnahmen kultureller und gesellschaftlicher Phänomene volkskundliche Untersuchungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der aufstrebende Nationalismus verstärkte diese Ambitionen weitgehend. »Das ganze kirchliche, religiöse, künstlerische, wissenschaftliche, politische Leben der Nation erschauen wir aus dem Mittelpunkt der Volkskunde in einem neuen Lichte, dessen Reflex auf das Volksthum selber wieder zurückfällt.«312

Auch im Bereich der Historiographie finden sich in der Habsburgermonarchie gegen Ende des 19. Jahrhundert stark vom Nationalismus beeinflusste Forschungen. Im deutschsprachigen Raum ist die Verwendung teilweise radikal nationaler und völkischer Begrifflichkeiten und Formulierungen auch in wissenschaftlichen Werken sichtbar. Insbesondere die Abgrenzung gegenüber der slawischen bzw. magyarischen Bevölkerung zeigte sich immer deutlicher. Oberkrome hält fest, dass sich dabei ein intellektuelles Milieu entwickelte, »in dem aggressive Deutschtümelei und dumpfe Xenophobie in einer rasch popularisierten Defensivposition zusammenliefen, die von konstruktiven Vorschlägen zur Beilegung der nationalen Antagonismen im Vielvölkerstaat nicht mehr korrigiert werden konnte.«313 Nach 1866 war im deutschsprachigen Raum auch in der Wissenschaft eine 310 311 312 313

Vgl. Heinrich 1995/96, 11 – 42. Vgl. Verhovsek 2007. Riehl 1862, 227. Oberkrome 1993, 41.

96

Das Ende des Liberalismus

stark ethnozentrische Haltung zu erkennen, die den auf allen gesellschaftlichen Ebenen diskutierten Nationalismus aufgriff. Das Deutschösterreichische war nunmehr im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses und eine Nationskonstruktion über Sprache, Territorium und gemeinsame Geschichte wurde besonders in Abgrenzung gegenüber anderen Nationen der Monarchie eingesetzt.314 Auch der aus Czernowitz stammende Historiker Raimund Friedrich Kaindl, der in seinem Werk »Geschichte der Deutschen in Ungarn. Ein deutsches Volksbuch.« die Siedlungsgeschichte einer deutschsprachigen Gemeinschaft in Ungarn vor den Magyaren skizziert, greift dies auf. Insbesonders Grenzgebiete und die nationalen Auseinandersetzungen darin waren für seine Untersuchungen von besonderer Bedeutung.315 Auch in seinen Werken setzte er sich vornehmlich mit Grenzregionen auseinander, so wie in »Das Ansiedlungswesen in der Bukowina seit der Besitzergreifung durch Österreich mit besonderer Berücksichtigung der Ansiedlung der Deutschen«316, oder durch die »Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern«317. Deutlich wird, dass die deutschsprachige Bevölkerung eine zentrale Rolle in seinen größtenteils volkskundlichen Untersuchungen spielte.318 Waren bisher noch Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Völkern unterstrichen worden, so galt es nun, das Trennende zu betonen, das die Unterschiede zwischen ihnen markierte.319 Die deutsche Gemeinschaft wurde als Kulturbringer gesehen, wie bereits der Abgeordnete Fux erklärte. So war es die Aufgabe der Deutschösterreicher, alle Völker Österreichs im Rahmen einer »Culturmission«320 zu führen. Der wachsende Nationalismus veränderte die Sichtweise der Wissenschaft vollständig. Bereits in den 1870er Jahren zeigten sich radikal nationalistische und antisemitische Strömungen in der deutschen Studentenschaft an den österreichischen Universitäten. So erklärte sich der deutsche Chirurg Theodor Billroth 1875 empört über die Scharen von armen und seiner Meinung nach schlecht vorbereiteten jüdischen Studenten aus Ungarn und Galizien, welche die medizinische Fakultät der Wiener Universität negativ beeinflussten.321 Billroths rassistisch-antisemitische Äußerungen in seinem Werk »Über das Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften«322 führten zu einer Aufnahme bzw. Verstärkung dieses Gedankengutes innerhalb der Studentenschaft. Auch wenn 314 315 316 317 318 319 320

Vgl. Oberkrome 1993, 36. Vgl. Grimm 1977, 33. Vgl. Kaindl 1902. Vgl. Kaindl 1911. Vgl. Oberkrome 1993, 52 – 53. Vgl. Verhovsek 2007, 56. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 469. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 321 Vgl. Pauley 1993, 65 – 66. 322 Vgl. Billroth 1876.

Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus

97

Billroth in weiterer Folge sogar Mitglied im Verein zur Abwehr des Antisemitismus wurde, legte er mit seinen Äußerungen dennoch den Grundstein für weitere Entwicklungen im universitären Milieu.323 Während in der katholischen Kirche noch immer antijüdische Argumentationen aufgrund religiöser Motive betrieben wurden, wird deutlich, dass sich diese zunehmend in Verbindung mit modernen nationalistischen Argumentationsformen zeigten. So brachte dies zum Beispiel August Rohling, Professor für Altes Testament an der Universität Prag324, besonders deutlich in die mediale Öffentlichkeit der Zeit mit seinem 1871 veröffentlichten Werk »Der Talmud Jude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände.«325. Dieses stützte sich in der Ablehnung des Jüdischen auf religiöse Argumente und fand erheblichen Anklang in der Gesellschaft. Trotz der Konzentration auf das Religiöse zeigt sich auch die nationale Ebene der Abgrenzung, die in beinahe allen Diskursebenen zu finden ist. »Genöthigt unterwarfen sich die Juden äußerlich der Autorität des nichtjüdischen Staates, ohne integrirender Bestandtheil desselben zu werden. Sie können aus ihrem Geist die Idee des jüdischen Staates nicht verbannen. Deshalb wird der Jude nie Pole, nie Franzose, nie Engländer, er bleibt ewig Jude, wie seine Vorfahren des biblischen Zeitalters.«326

Die Vertiefung des Antisemitismusdiskurses und die Ausweitung auf eine breitere öffentliche Ebene zeigt sich auch im wissenschaftlichen und intellektuellen Bereich, da bereits im Laufe der 1870er Jahre – angeheizt durch den wachsenden Nationalitätenkonflikt – nationalistische Studentengruppierungen entstanden, die zunehmend gegen Ende der 1870er Jahre auch antisemitisches Ideengut übernahmen. Das Judentum wurde verstärkter als Nation konstruiert, obwohl die jüdische Bevölkerung offiziell nicht als eigene Nation, sondern als Religionsgemeinschaft anerkannt wurde. Interessant an dieser Konstruktion ist, dass erst durch die Ablehnung religiöser Antijudaismen, die als rückständig galten, rassistisch-antisemitische Motivationen in den Vordergrund rückten und das Judentum als Volk definierten, dass jedoch keiner Nation angehörte.327 Bereits 1867 wurde in der Wiener Burschenschaft Olympia angedacht, Juden aus den eigenen Reihen zu entfernen, da ihr Deutschtum angezweifelt wurde. Doch erst 1878 wurden erstmals jüdische Studenten sowie auch getaufte Juden aus der Wiener Burschenschaft Libertas ausgeschlossen.328 Der Ausschluss, nicht nur 323 Wobei Wladika festhält, dass eine Veröffentlichung bereits 1875 erfolgt haben muss da zu diesem Zeitpunkt die Reaktionen in der Presse einsetzen. Vgl. dazu auch Pauley 1993, 65. 324 Vgl. Schubert 2008, 91. 325 Vgl. Rohling 1871. 326 Rohling 1871, 50. 327 Vgl. Lichtblau 1999, 41. 328 Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 371 – 372. oder vgl. Wistrich 1999, 179.

98

Das Ende des Liberalismus

der jüdischen, sondern auch der neukonvertierten Studenten, und damit der zum Christentum übergetretenen Juden machte deutlich, dass hier keine konfessionellen oder religiösen Motive im Hintergrund standen, sondern das Judentum als Nation bzw. aus rassistischer Motivation heraus als Volk definiert wurde. Nach 1866, und im Besonderen nach 1871, wurde das Deutschtum für einige Gruppierungen innerhalb der Deutschösterreicher immer wichtiger. Die Widerstandshaltung innerhalb des Nationalitätenkonfliktes wurde für alle Nationalitäten zentrale Selbstdefinition329. Besonders in der deutschsprachigen Studentenschaft zeigte sich eine eindeutige Positionierung innerhalb des Nationalitätenkonfliktes. Ein radikales deutsches Bewusstsein wurde von antiliberalen und pangermanischen Bestrebungen unterstützt, die sich in den unterschiedlichen Vereinen der 1870er Jahre zeigten.330 Studentenverbindungen und Burschenschaften waren vielfach das Zentrum studentischen Lebens, in dem ab den 1870er Jahren Pflichtmensuren zum Alltag gehörten. Vor allem im Rahmen deutschnationaler Bewegungen wurde das Duell, das oft politisch motiviert war, populär.331 Waren die deutschnationalen Strömungen zu Beginn vorwiegend kulturell-romantisch gefärbt, so änderte sich dies in den 1870er Jahren, als sich eine Politisierung deutschnationaler Ideen anbahnte. Georg von Schönerer erklärte am 18. Dezember 1878 im Reichsrat: »Immer und immer hört man in den deutschen Kronländern den Ruf: Wenn wir nur schon zum Deutschen Reiche gehören würden.«332

Mit dieser Aussage erlangte er vor allem im deutschnationalen studentischen Milieu zahlreiche Anhänger, die diese Ansichten teilten.333 Im Abgeordnetenhaus und in der Presse jedoch stieß er damit auf Widerstand, da ein Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in breiten Gesellschaftsschichten nicht denkbar war. Die Betonung eines deutschen Nationalismus wurde in deutschnationalen Gruppierungen immer stärker auch mit einem wachsenden Antisemitismus verbunden. 1879 veröffentlichte Schönerer ein Programm, in welchem er einerseits deutschnationale Interessen verfolgte und andererseits vor allem gegen die Okkupation Bosniens und der Herzegowina eintrat, indem er deren Ende forderte. Auch eine Zustimmung zu den konfessionellen Gesetzen der

329 Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 368. 330 Vgl. Rüegg 2004, 261 oder Vgl. McGarth 1967, 183 – 201. oder Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 370. 331 Vgl. Johnston 2006, 86. 332 Neue Freie Presse, 18. 12. 1878, 3. Vgl. Das Vaterland, 19. 12. 1878, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 333 Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 370.

Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus

99

1860er Jahre wird deutlich, worin sich eine antikatholische Haltung erkennen lässt. »Österreich muß, seines Ursprungs und seiner Geschichte eingedenk, den Deutschen die Gewähr bieten, daß deren Nationalität nicht gefährdet werde und soll an der Solidarität der Deutschen in Österreich entschieden festgehalten werden. […] Überhaupt sind den bisher bevorzugt gewesenen Interessen des bewegten Kapitals, – und der bisherigen semitischen Herrschaft des Geldes und der Phrase, – die Interessen des Grundbesitzes und der produktiven Arbeit, sowie die Kräfte und Rechte der ehrlichen Arbeit in Hinkunft mit Entschiedenheit entgegenzustellen und zu fördern.«334

Österreich wird hier als Gesamtmonarchie definiert, die jedoch auf nationalen Definitionskategorien wie »Ursprung« und »Geschichte« aufgebaut ist. Innerhalb dieser soll die »Nationalität« der »Deutschen in Österreich« aufrechterhalten werden. Dem »Interesse des bewegten Kapitals«, wurde das »Interesse des Grundbesitzes und der produktiven Arbeit« gegenübergestellt, wobei ersteres als semitisch und zweiteres demzufolge als nicht-semitisch bzw. christlich definiert wurde. Diesem Argumentationsstrang folgend wird die »ehrliche Arbeit« christlich besetzt. Demzufolge wird die nicht-christliche Arbeit als unehrliche bezeichnet. In dieser Textstruktur sowie im weiteren gesellschaftlichen Diskurs ist zu erkennen, dass die Begrifflichkeiten der beiden Kategorien christlich und jüdisch synonym mit den Zuschreibungen ehrlich und verlogen verwendet und gegenübergestellt werden.335 Gegen Ende der 1870er Jahre unterhielt Georg von Schönerer enge Beziehungen zu deutschnational eingestellten Studentenverbindungen in Wien und war auch immer öfter auf deren Versammlungen anzutreffen.336 Schönerer, der Anfang der 1870er Jahre als einer der ersten direkt gewählten Vertreter ins Abgeordnetenhaus einzog, beschäftigte sich am Beginn seiner politischen Karriere noch stärker mit landwirtschaftlichen und regionalen Problemen, bevor er immer mehr zu provozieren begann. Er stellte den Ausgleich mit Ungarn in Frage, kritisierte die Wirtschaftspolitik nach 1873, und positionierte sich immer stärker gegen Dynastie und Monarchie. Damit nahm er, obwohl er ein liberaler Abgeordneter war, eindeutig radikales deutschnationales Gedankengut in seine Reden auf, und verließ aus diesem Grund den Fortschrittsklub im Jahr 1876.337 Schönerer und seine Entwicklung vom Liberalismus hin zum Antisemitismus zeigt einen deutlichen Schritt in der allgemeinen Veränderung der Gesellschaft in Österreich während der 1870er Jahre. Infolge des Niedergangs

334 335 336 337

Pichl 1938, 84 – 86. Vgl. Schwarz 2003, 21 – 31. Vgl. Boyer 2010, 41. Vgl. Wladika 2005, 74 – 76.

100

Das Ende des Liberalismus

des Liberalismus traten verstärkt deutschnationale Interessen auf und jüdischer Kapitalismus und Presse wurden nach der Wirtschaftskrise stärker angegriffen. Schönerer wandte sich nach seinem Austritt aus dem Fortschrittsklub vor allem dem deutschnationalen studentischen Milieu zu, in dem er politische Zustimmung fand. Es ist nicht nur von einer Einwirkung des Gedankengutes Schönerers auf die Studentenschaft auszugehen, da hier bereits Ende der 1860er Jahre eine grundlegende Entwicklung zum Nationalismus hin zu erkennen ist, sondern es ist auch davon auszugehen, dass sie sich gegenseitig bedingten und so ihre Kategorien weiter konstruieren konnten. Ich unterstreiche wiederholt die Bedeutung der Studentenschaft deshalb, weil die politische Einstellung der Schüler in der Mittelschule und später der Studenten im Studium eine wesentlich prägende Phase erlebte, die sich in ihrem weiteren Leben oft nicht mehr erheblich veränderte. Die erlebte Sozialisation und die Kontakte, die sie an der Universität knüpften, waren prägend für ihre weitere Entwicklung, die sie als Akademiker in Verwaltungspositionen sowie als Ärzte, Anwälte oder Juristen in ihre Heimatregionen zurückführten, wo sie ihre Überzeugungen weiter pflegten.338 Damit wird klar, dass die Entwicklung der studentischen Jugend die Zukunft zeigt. Die Erziehung zur Nation wird hier unterstrichen. Indem eine Verknüpfung der Nationserziehung mit deutschnationalen, und in weiterer Folge antisemitischen, Gedanken immer stärker erfolgte, ist in weiteren Sinne nicht nur von einer Hinwendung oder einer Erziehung zur Nation sondern auch zum Antisemitismus zu sprechen. Die Blütezeit des Liberalismus war gegen Ende der 1870er Jahre endgültig vorbei. In den Reichsratswahlen von 1879 verloren die Liberalen gegen konservative und slawische Parteien die Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Durch diesen Rückgang des politischen Einflusses des liberalen Lagers gingen auch die Zuwendungen der Regierung an die deutschsprachige Bevölkerung in Österreich zurück. Dies hatte eine stärkere emotionale Hinwendung zum Deutschen Reich zur Folge.339 Die Unterzeichnung des Zweibundes hatte zudem einen psychologischen Wandel in der Beziehung zwischen Deutschland und den Deutschösterreichern zur Folge. Aus Sicht des Deutschen Reiches war es notwendig, die Monarchie zu festigen und damit auch die Deutschösterreicher in der Monarchie zu belassen, um das europäische Gleichgewicht im Lot zu halten. Einerseits wurde zwar die Position der Deutschösterreicher durch den Zweibund gestärkt, andererseits öffnete dieser wiederum den Forderungen anderer Nationen in der Monarchie Tür und Tor. Zusammenfassend ist festzustellen, dass diese politischen Veränderungen die Machtposition der Deutschösterreicher

338 Vgl. Weitensfelder 2008, 102. 339 Vgl. Kirchhoff 2001, 59 – 60.

Wissenschaft & Universität: Nationalismus & Antisemitismus

101

schwächten.340 Auch Kirchhoff geht davon aus, dass der Zweibund vor allem als Verzicht auf die Vormachtstellung der Deutschösterreicher gesehen werden muss und eine generelle Akzeptanz des Deutschen Reiches zur Folge hatte, was sich dementsprechend auf das Bewusstsein der Deutschösterreicher auswirkte. »Mit dem Zweibund war für Österreich der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland definitiv verloren und vorbei, für die meisten Deutschösterreicher aber begann nun, wie sie glaubten, der Kampf um die Vorherrschaft in Österreich.«341

340 Vgl. Pantenburg 1996, 53 – 55. 341 Kirchhoff 2001, 61.

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«342

4.

Wien, Zentrum des europäischen Wert-Vakuums – sicherlich eine etwas absurde Würde und Einzigkeit, dennoch nicht so arg absurd, wenn man das für Europa ganz einzigartige sozialpolitische Gefüge dieser Stadt, das Sozialgefüge des eigentlichen Österreichertums betrachtet.343

Hermann Brochs Kapitel mit der Überschrift »Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«, die ich hier übernommen habe, setzt sich mit Sein und Schein in der österreichischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts auseinander.344 Er beschreibt das »Wert-Vakuum« Österreichs aus sozialhistorischer und psychologischer Perspektive. Die Gegenüberstellung Deutschlands, Frankreichs und Österreichs zeigt unterschiedliche gesellschaftspolitische Entwicklungen auf, wobei vor allem in Wien ein melancholisch-barockes künstlerisches und wissenschaftliches Schaffen herrschte, das Broch im Gegensatz zur deutschen Gründerzeit als »Backhendlzeit« beschreibt.345 »Dem Wiener Volk ist der Deutsche, besonders der Norddeutsche seit jeher unbehaglich gewesen, und sich von ihm zu unterscheiden, selbst um den Preis der Musealität, wäre wohl immer mit Zustimmung aufgenommen worden.«346

Insbesondere die Unterscheidung zwischen Deutschland und Österreich tritt hier wieder in den Vordergrund, auch wenn das Österreichische nicht eindeutig definiert werden kann. Der gesellschaftliche Diskurs um die Definition einer österreichischen Nationalidentität wird in den 1880er Jahren immer präsenter und zeigt sich auch in den politischen Entwicklungen. Ebenso wie der Identitätsdiskurs, angeheizt durch die Intensivierung nationaler Bestrebungen, wird der Antisemitismusdiskurs durch das radikale deutschnationale Lager vorangetrieben. Insbesondere der Einfluss des wissenschaftlichen Milieus wurde bereits während der 1870er Jahre auf die breite Gesellschaft durch die Veröffentlichung des Werks »Der Talmudjude«347 durch August Rohling sichtbar. Und der öffentliche mediale Diskurs über den Fall von Tisza Eszl‚r in den Jahren 1882/83 zeigt diesen Einfluss besonders deutlich. 342 343 344 345 346 347

Broch 1981, 97. Ebd., 97. Zaptoczky 1990, 16 Vgl. Broch 1964. Broch 1981, 91. Vgl. Rohling 1871.

104

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

Dies zeigt die Veränderung des konservativ-katholischen Antijudaismus hin zu einem angeblich wissenschaftlich begründeten Antisemitismus, der, obwohl er noch immer verstärkt religiöse Elemente aufweist, infolge seiner Politisierung innerhalb der Öffentlichkeit bereits deutlich in die Kategorie des Antisemitismus eingeordnet werden kann. Auch wenn davon auszugehen ist, dass Rohling mit seiner radikalen Meinung eine Randstellung innerhalb der Gesellschaft eingenommen hat, so ist die Bedeutung seiner Veröffentlichung für die weitere sozio-politische Entwicklung nicht zu unterschätzen.

4.1

Franz Holubek und der Fall von Tisza Eszlár

In Tisza Eszl‚r verschwand 1882 die 14-jährige Esther Solymosi, wobei der Verdacht schnell auf die jüdische Bevölkerung des Ortes gerichtet war und ein Ritualmord in der Synagoge vermutet wurde. Dies veranlasste den Journalisten Franz Holubek im April des Jahres 1882 antisemitische Hetzreden in Wien zu halten, deren Rechtfertigung er in dem Werk »Der Talmudjude« suchte. Bereits im März des Jahres 1882 wurden Versammlungen von Holubek inszeniert. Der Höhepunkt dieser gesellschaftlichen Thematisierung des und Auseinandersetzung mit dem Antisemitismusdiskurses fand jedoch in einer Versammlung am 4. April in Wien statt, die zum Thema »Die Lage des Kleingewerbes und das Verhältniß desselben zur Presse«348 abgehalten wurde. An diesem Tag hielt Schönerer den Vorsitz und Holubek präsentierte in einer Rede zehn Punkte gegen die Juden in Österreich.349 Die Neue Freie Presse hielt fest, »so kurz und dabei so scandalös sind wol in Wien noch wenige Versammlungen verlaufen«350. In der Beschreibung des Publikums wird die deutschliberale Haltung der Zeitung sichtbar, die sich aufgrund des wachsenden Nationalitätenkonflikts deutlich von anderen Nationalitäten der Monarchie abgrenzt, insbesondere jedoch von der ungarischen und tschechischen Bevölkerung, die in diesem Text mit der als negativ konstruierten politischen Opposition in Verbindung gebracht wird. »Daneben war auch, wie man der lebhaften Conversation entnehmen konnte, das czechische und magyarische Element stark vertreten, und überdies trieb sich in dem Saale eine Menge junger Leute herum, die wol kaum zur Classe der selbstständigen Gewerbetreibenden gehörten.«351 348 Neue Freie Presse, 05. 04. 1882, 6. Vgl. Das Vaterland, 05. 04. 1882, 4. Vgl. Wiener Allgemeine Zeitung, 5. 04. 1882, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 349 Vgl. Neue Freie Presse 05. 04. 1882, 6. Vgl. Das Vaterland, 05. 04. 1882, 4. oder Wiener Allgemeine Zeitung, 5. 04. 1882, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. bzw. Wladika 2005, 132 – 133. 350 Neue Freie Presse, 05. 04. 1882, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 351 Ebd., 6.

Franz Holubek und der Fall von Tisza Eszlár

105

Damit wird deutlich, dass sich nicht nur das deutschnationale oder konservativkatholische Lager in der Abgrenzung von anderen politischen Lagern in der Argumentation des Nationalitätenkonflikts bediente, sondern auch das deutschliberale Milieu diese Linie vertrat. Die Darstellung der politischen Gegner in Verbindung mit der tschechischen und ungarischen Bevölkerung zeigt der Leserschaft, dass diese Gruppierungen in direktem Zusammenhang stehen und kritisch zu betrachten sind. Holubek griff in seiner Rede Rohlings Begrifflichkeiten auf und konstruierte damit einen stark christlich gefärbten Antisemitismus, der sich vom bisherigen Antijudaismus in der Sprache und vor allem durch die Argumentationslinie unterscheidet. Das Judentum wird nun als Herrscher über das Christentum konstruiert, das es zu bekämpfen gilt. »Der Jude ist heute nicht mehr unser Mitbürger ; er hat sich zu unserem Herrn, zu unserem Unterdrücker, und Peiniger aufgeworfen! Der Christ soll niedergedrückt, entehrt, geschändet werden. In der Hauptstadt dieses Reiches, unter dem Czepter eines katholischen Monarchen muß ein Christ zittern, sich als solcher zu bekennen! (Zurufe aus der Versammlung: ›Unerhört! Schändlich! So ist’s‹ u.s.w.) Jetzt ist der Augenblick für Österreich gekommen, seine Ehre wieder herzustellen und sich zu einer That aufzuraffen. […] Und wißt ihr, was diesem Volke das Recht gibt, seinen Fuß auf unseren Nacken zu setzen? Ist es seine angebliche höhere Intelligenz? Nein, es ist sein Religionsund Sittengesetz, es ist der Talmud (lärmende Zustimmung), das Buch der Wahrheit für die Juden. Und wißt ihr, theure christliche Mitbürger, wie ihr in diesem Buche genannt werdet? Hunde, Esel, Schweine.«352

In der hier vorherrschenden Verwendung des Antisemitismus ist eine Abwertung der jüdischen Gruppierung zu erkennen, die im Endeffekt zu deren Deklassierung führen soll. Die Darstellung als »Unterdrücker« sowie »Peiniger«, der damit die Ehre Österreichs beleidigt, ist insofern interessant, als die Herrschaft des Judentums über das Christentum aufgegriffen sowie in direktem Zusammenhang mit den religiösen Inhalten des Judentums gestellt wird. Obwohl generell eine religiös-motivierte antijüdische Argumentation zu dieser Zeit eher abgelehnt wurde, wurden diese jahrhundertelang konstruierten antijüdischen Stereotype durch die ›wissenschaftliche‹ Bestätigung auf eine neue Ebene in der Gesellschaft gehoben. Es wird damit suggeriert, dass nun nicht mehr rückständige Klischees in diesem Diskurs transportiert werden, sondern neue ›wissenschaftliche‹ Erkenntnisse, deren Wahrheitsgehalt in der Gesellschaft damit deutlich ansteigt. Holubek wurde angeklagt und vor Gericht von Robert Pattai, einem national

352 Neue Freie Presse, 05. 04. 1882, 6. Vgl. dazu zudem Das Vaterland, 05. 04. 1882, 4. Vgl. Wiener Allgemeine Zeitung, 05. 04. 1882, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

106

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

gesinnten Anwalt aus Graz353, vertreten, der einen Freispruch erwirken konnte. Dieser begründete sich auf der angeblich wissenschaftlichen Grundlage der antisemitischen Behauptungen und konnte durchgesetzt werden. Nach diesem Urteil wird die bereits vorhandene breite Akzeptanz einer antisemitischen Ideologie innerhalb der Gesellschaft sichtbar.354 Die Anerkennung von Rohlings Werk macht deutlich, dass die Akzeptanz des Antisemitismus zu Beginn der 1880er Jahren in der deutschsprachigen Gruppierung der Monarchie bereits weit fortgeschritten war und dieser sich besonders durch eine ›wissenschaftliche‹ Auseinandersetzung damit rechtfertigen ließ. Die Antisemitismusbewegung wurde in diesem Zusammenhang in der gesamten Presselandschaft heftig diskutiert. »Die Gegner des Bürgerthums, die extremen Politiker, welche das nationale Programm der Deutschen nicht beschränken wollen auf die Erhaltung und Kräftigung unseres Volksthums, suchen sich einer rohe Masse zu bemächtigen, die Hefe zu gewinnen, welche von starken Parteiströmungen stets aus den Tiefen aufgewühlt wird, um die neue Organisation später ihren Zielen dienstbar zu machen. Der Jude ist nur das Mittel der Agitation, das Aushängeschild, um Säfte anzulocken, die Mengen zu discipliniren, der Sauerteig, um neue Gebilde zu ermöglichen. Der moderne Staat ist bedroht, von allen Seiten zieht sich das Gewitter zusammen, noch fehlt der Coalition das Schlagwort, aber jetzt ist es gefunden, und es lautet: Der Jude! […] Von Deutschland ist diese Bewegung ausgegangen; auch dort war der Semitismus das rothe Tuch, um alle Feinde des Liberalismus zur höchsten Wuth zu reizen; auch dort war der Jude nur das Mittel, um die Masse gegen den Liberalismus zu stacheln.«355

Aus Sicht des liberalen Lagers wird die deutschnationale Bewegung als »Gegner des Bürgerthums« definiert, wobei festzuhalten ist, dass hiermit nur das liberale Bürgertum gemeint sein kann, da im kleinbürgerlichen Milieu Deutschnationalismus und Antisemitismus wirkungsvoll propagiert wurden. Obwohl auch das liberale Milieu an der Erhaltung der deutschsprachigen Gemeinschaft interessiert war, konzentrierten sich seine Tätigkeiten auf die »Erhaltung und Kräftigung unseres Volksthums«. Im Gegensatz dazu zeigt das deutschnationale Lager, das durch »extreme Politiker« repräsentiert wird, vor allem Interesse daran die Massen zu bewegen. Der verwendete Antisemitismus wird hier als Agitationsmittel der deutschnationalen Gruppierung gegen den Liberalismus dargestellt. Die Abgrenzung der Gruppierungen voneinander zeigt sich daher in Mechanismen wie dem Antisemitismus, der insbesondere von deutschnationalen und konservativ-katholischen Gruppierungen eingesetzt wurde. Der mediale Diskurs um den Fall von Tisza Eszl‚r zeigt die Auswirkungen der 353 Boyer 2010, 41. 354 Wladika 2005, 132 – 133. 355 Neue Freie Presse, 06. 04. 1882, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Franz Holubek und der Fall von Tisza Eszlár

107

pseudo-wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Antisemitismusdiskurs auf einem breiten gesellschaftlichen Niveau. Rohlings Argumentation gegen das Judentum ist vornehmlich christlichantijudaistisch motiviert und enthält vor allem die Forderung nach gesetzlichen Regelungen in der Judenfrage sowie vermittelt die Überzeugung, dass das Christentum dem Judentum überlegen sei.356 Diese Darstellung des Judentums sollte die Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung aufheben und gesetzliche Maßnahmen nach sich ziehen. Als Reaktion auf die Anschuldigungen veröffentlichte der Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann in allen Wiener Tageszeitungen einen Hinweis, dass der Talmud dem Christentum gegenüber nicht feindlich eingestellt sei. Rabbiner Joseph Samuel Bloch bezeichnet August Rohling infolge eines medialen Schlagabtausches als Fälscher und Lügner, was 1883 zu der Einreichung einer Ehrenbeleidigungsklage durch Rohling führt.357 Es ist davon auszugehen, dass Bloch bewusst durch die Metaphorik seiner Artikelserie im Juli 1883 eine Anklage erzielen wollte, um den Diskurs aufgrund einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf eine höhere gesellschaftliche Ebene verlegen zu können.358 Im Abgeordnetenhaus wurde nach dieser Anklage dem Antrag des Immunitätsausschusses über »gerichtliche Verfolgung des Reichsrathsabgeordneten Herrn Josef Samuel Bloch wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre«359 die Zustimmung erteilt. Bloch meldet sich daraufhin in dieser »wenig erquicklichen persönlichen Angelegenheit«360 zu Wort. Zentrale Motivation seines provokativen Handelns sei die »Tragweite« dieser öffentlichen Diskussion »für meine zahlreichen Religionsgenossen, deren Ehre und Ruf und vielleicht mehr als das mit derselben verflochten ist«361. Die direkte Reaktion des deutschnationalen Lagers wurde durch Schönerer selbst übernommen, der sich im Anschluss an die Rede Blochs zu Wort meldete. Zentral in seiner Rede ist die Verknüpfung antijudaistischer Vorurteile mit rassistischen Argumentationen. So wird das Judentum bereits zu Beginn als »Race« bezeichnet, die »verjudete Presse« thematisiert. Zudem wird festgehalten, dass eindeutig die »Juden Schuld sind an diesem Morde«. Zentral in der Begründung seiner Argumentationslinie ist jedoch die Wissenschaft, und hier beruft er sich nicht auf Rohling, der in der religiösen Thematisierung des Antisemitismus zwar die Thematik gesellschaftlich ausgeweitet hat, sondern auf Österreichischer Volksfreund, 14. 01. 1883, 1 – 2. Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Hellwig 1972, 79 – 81. Vgl. Ebd., 161. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 331. Sitzung der 9. Session am 12. Februar 1884, 11472. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 360 Ebd., 11465. 361 Ebd., 11465.

356 357 358 359

108

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

Dühring. Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Antisemitismus im wissenschaftlichen Milieu, wie im Fall Rohlings oder Dührings, fördert das gesellschaftliche Aufgreifen dieser Themen und damit über kurz oder lang auch die Akzeptanz. Bereits vorhandene religiöse Stereotype werden unterstrichen, weiter ausgebaut und durch eine wissenschaftliche Untermauerung ideologisch unterstrichen. »Wenn sich der frühere Herr Abgeordnete auf Gelehrte berufen hat, so sind wir in der Lage, uns auch auf Gelehrte, zum mindestens auf einen hervorragenden Gelehrten berufen zu können, das ist Professor Dühring in Berlin, dem wir rückhaltlos zustimmen, wenn er sagt, die Judenfrage ist in erster Linie eine nationale, das heißt, eine Racen-, Sitten- und Culturfrage. Und meine Herren, auf einer so tiefen Stufe steht zum mindestens das deutsche Volk in Österreich nicht mehr, daß man es mit dem Ammenmärchen, die Judenfrage sein nur eine confessionelle Frage, über diese Angelegenheit beruhigen könnte.«362

Der Antrag wurde in weiterer Folge angenommen und der Prozess begann am 4. und 5. März 1884. Robert Pattai trat als Rohlings Anwalt auf und ein Gutachten zweier deutscher Professoren, Theodor Nöldeke aus Straßburg und August Wünsche aus Dresden, wurde vom Landesgericht in Auftrag gegeben.363 Ende Juni 1885 lagen die Gutachten vor und der Prozessbeginn wurde auf den 18. November festgesetzt. Am 20. Oktober jedoch zog Rohling wegen Aussichtslosigkeit seine Klage zurück, wie in der Neuen Freien Presse veröffentlicht wurde.364 »Aus dem Gerichtssaale. Wien, 21. October. (Einstellung des Processes Rohling-Bloch.) Wir haben gestern gemeldet, daß die Verhandlung über die Ehrenbeleidigungs-Klage des antisemitischen Professors Rohling gegen den Reichsraths-Abgeordneten Dr. Bloch für den nächsten Monat anberaumt worden. Nunmehr ist jedoch dem Landesgerichte die Erklärung des Professors Rohling zugekommen, daß derselbe von der erhobenen Anklage absehe. […] Auf die Erklärung des Privatklägers Dr. August Rohling, daß er von der am 18. März 1881 eingereichten Anklage absehe, wird das Strafverfahren gegen Dr. J.S. Bloch eingestellt und gemäß § 390 dem Privatkläger der Ersatz der in dieser Strafsache aufgelaufenen Kosten auferlegt.«365

Als Folge dieser Affäre musste Rohling seine Lehrtätigkeit einstellen und wurde suspendiert. Aus einem Schreiben des Ministeriums für Kultur und Unterricht an den Stadthalter von Böhmen im Jahre 1898 geht das Ansuchen um die Versetzung in den Ruhestand für Dr. August Rohling hervor. Hellwig geht daher 362 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 331. Sitzung der 9. Session am 12. Februar 1884, 11469 – 70. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 363 Vgl. Hellwig 1972, 167 – 170. 364 Vgl. Ebd., 179. 365 Neue Freie Presse, 22. 10. 1885, 7. Vgl. dazu Das Vaterland, 22. 10. 1885, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wagners Tod 1883

109

davon aus, dass Rohling zwar Mitte der 1880er Jahre suspendiert wurde, aber erst mit 1899 tatsächlich in den Ruhestand versetzt wurde.366 Die Auswirkungen dieses gesellschaftlichen Antisemitismusdiskurses zeigten sich deutlich in der breiten Bevölkerung sowie auch in einzelnen Milieus. Während der 1880er Jahre traten im studentischen Milieu antisemitische Haltungen immer mehr hervor und der Ausschluss jüdischer Kommilitonen aus nationalen Verbindungen wurde vorangetrieben. Die Selbstverständlichkeit eines alltäglichen Antisemitismus zeigt sich zum Beispiel in einer Veranstaltungseinladung einiger Burschenschaften und des deutschnationalen Vereins in Wien vom 15. Mai 1886. »Eintrittskarten sind täglich von 11 – 12 in der Portierloge der Universität zu beziehen; der Preis der Karte beträgt 50 kr. […] Für Juden hat die Karte keine Giltigkeit.«367

Das wachsende deutschnationale Lager fand in der Wiener Studentenschaft immer stärkeren Zuspruch und zentrale Persönlichkeiten wie Schönerer oder Wagner wurden regelrecht verehrt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Reaktionen auf Wagners Tod 1883 wider.

4.2

Wagners Tod 1883

Richard Wagner starb am 13. Februar 1883 in Venedig368. Die Tatsache selbst stieß in der österreichischen Tagespresse nur bedingt auf Interesse und wurde unabhängig von der Tageszeitung eher am Rande behandelt. Die Neue Freie Presse und das Vaterland behandelten die Todesnachricht mit kurzen Nachrufen, während das Vorarlberger Volksblatt allein in einer Notiz vermerkte. »Venedig. 13. Febr. 11 Uhr 30 Min. Der Componist Richard Wagner ist heute Abend gestorben.«369

Die Reaktion, die sein Tod auf einer studentischen Versammlung auslöste, schlug jedoch höhere Wellen und spiegelte die Unterschiede zwischen der dynastischen Identitätskonstruktion der gesellschaftlichen Mehrheit und der nationalen Identitätsentwicklung wider. Ein Artikel der katholischen und antiliberalen Zeitung Das Bayerische Vaterland wurde in der Neue Freie Presse ab-

366 Vgl. Hellwig 1972, 182. 367 Unverfälschte Deutsche Worte, Berichte und Mittheilungen, 4/9 (1886), 7. Österreichische Nationalbibliothek. 368 Vgl. Neue Freie Presse, 14. 02. 1883, 6. bzw. Vgl. Das Vaterland, 15. 02. 1883, 9. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. 369 Vorarlberger Volksblatt, 16. 02. 1883, 10. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

110

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

gedruckt, um die bayerischen Reaktionen auf den Tod Wagners einzufangen und die katholisch-konservative Haltung des Blattes zu kritisieren. »Richard Wagner hatte auch eine lobenswerthe Seite: er liebte die Musik und haßte die Juden und die – Preußen; Letzteres that er vielleicht aus Berechnung, Ersters ganz ganz gewiß aus vollem Herzen und aus innerster Überzeugung. Das hat uns an ihm stets gefreut.«370

Der Abdruck dieses Textauszugs entsprach, wie auch den Kommentaren, die dem Text hinzugefügt wurden, zu entnehmen ist, nicht den Auffassungen der liberalen Neue Freie Presse. Dennoch wurde er abgedruckt, um die Ablehnung gegenüber dem »erzclericalen«371 Blatt zu unterstreichen. Als wesentlich festzuhalten in der Betrachtung der Entwicklungen um Wagners Tod ist, dass der Kult um ihn und seine Verbindung zum Deutschnationalismus in den nächsten zehn Jahren weiter anwuchs und diese damit auch »als Stützen des Antisemitismus fungierten«372. Diese Annahme scheint sich in der Aussage Hermann Bahrs zu bestätigen, der schreibt, dass »jeder junge Mensch [.] damals Wagnerianer«373 war. Robert Pattai hielt bei einer Demonstration zu Ehren Wagners eine Rede, die einerseits die Elemente einer nationalen Definition aufgriff und andererseits die jüdische Bevölkerung als außerhalb der regulären Gesellschaft stehend beschrieb und in die Rede einflocht. »In der That! Eine Nation hat keine grösseren Leistungen aufzuweisen, als jene, die auf dem Gebiete der Kunst und des literarischen Schaffens hervorgebracht werden. Als höchst bedauerliche und folgenschwere Erscheinung muss es daher empfunden werden, wenn das schon erwähnte fremdartige Elemente sich eindrängt auch in jene höchsten Regionen geistigen Schaffens und die höchsten Nationalgüter verfälscht. (Beifall.) Verfälscht, sage ich, in einer zweifachen Richtung, denn einmal ist es eine Fälschung und nicht gleichgiltig für unser Nationalbewusstsein, für unseren nationalen Ruf nach Innen und Aussen, wenn aus der Dichtung und Kunst statt frischer heimischer Waldesluft der giftige Hauch orientalischer Lüsternheit uns entgegenweht (Beifall.)«374

Pattai griff in dieser Rede auf nationale Symboliken zurück, um durch allegorische Formulierungen Stereotypen zu transportieren. Zu Beginn seiner Rede bezeichnet er das künstlerische Schaffen einer Gruppierung als entscheidendes Element einer Nation. Dieses werde jedoch im Falle der von ihm beschriebenen 370 Artikel aus der Zeitung Das Bayerische Vaterland, München. In: Neue Freie Presse, 23. 02. 1883, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 371 Neue Freie Presse, 23. 02. 1883, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 372 Pollak 1997, 118. 373 Bahr 1923, 139. 374 Österreichischer Volksfreund, 25. 02. 1883, 3 – 4. Österreichische Nationalbibliothek.

Wagners Tod 1883

111

Gemeinschaft der deutschsprachigen Bevölkerung durch »fremdartige Elemente«, die sich hineindrängen wollen, »verfälscht«. In der weiteren Konstruktion des Textes werden Metaphern für die sich gegenüberstehenden Positionen verwendet, einerseits für die jüdische Bevölkerung der »giftige Hauch orientalischer Lüsternheit« und andererseits für die deutschsprachige Gruppierung die Vorstellung von »frischer heimischer Waldesluft«. In diesen Allegorien findet sich stereotype Gleichsetzung mit gewissen Eigenschaften oder Zuständen. Das Deutsche wird mit dem Germanentum in Verbindung gebracht, das in Zusammenhang mit dem Symbol der Eiche gesehen und in weiterer Folge mit dem nationalen Element des mitteleuropäischen Waldes gleichgesetzt wird. Sexualität, oder wie hier negativ ausgedrückt, »Lüsternheit«, wird mit dem Orient bzw. weiterführend mit der jüdischen Bevölkerung, die als aus dieser Region kommend beschrieben wird, dargestellt. Der »giftige Hauch« ist als Abwertung dieser Gruppierung zu sehen, die damit »unser Nationalbewußtsein« zerstört. Die gemeinsame Zugehörigkeit zu der positiv dargestellten Gruppierung zeigt sich in der Verbindung, die damit zwischen Redner und Zuhörer bzw. Leser aufgebaut wird. »Unser Nationalbewußtsein« ist das wesentliche Schlüsselwort dieses Textfragmentes, das aufzeigt, dass im Zentrum der Wunsch nach der Aufrechterhaltung des Nationalbewusstseins steht und dieses nur in der Abgrenzung der als Gegenstück konstruierten Gruppierung erreicht werden kann. Zu Ehren Wagners wurde im studentischen Milieu ein Trauerkommers abgehalten, der zahlreiche Teilnehmer aus Burschenschaften und deutschnationalen Verbindungen anzog. Um ihre politische Positionierung anzuzeigen, trugen die meisten Studenten eine Kornblume im Knopfloch, wie die Presse zu berichten wusste.375 Der Lokalbericht der Neuen Freien Presse hielt unter der Bemerkung »Stürmischer Commers«376 fest, dass neben der Auseinandersetzung mit Wagners künstlerischer Tätigkeit vor allem auch die Beschäftigung mit seiner »nationalen Gesinnung«377 von Bedeutung für die Redner war. Die Inhalte der zwei vorgetragenen Reden zeigten den »deutschnationalen Standpunkte Ausdruck; dazwischen gab es auch grobkörnige antisemitische Auslassungen.«378 Hermann Bahr, der sich erst einen Tag zuvor bereit erklärt hatte, als studentischer Redner zu sprechen, verbrachte den gesamten Tag mit Vorbereitungen in der Bibliothek, hatte jedoch auch bis zum Abend keine fertig vorbereitete Rede vorzuweisen.

375 376 377 378

Vgl. Die Presse, 06. 03. 1883, 9. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 06. 03. 1883, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 6. Ebd., 6.

112

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

»Was ich damals eigentlich gesagt habe, hat sich nie genau feststellen lassen. Zunächst war’s ein Widerhall aus Wagners revolutionären Schriften; die Kraftstellen, die mir beim eiligen Lesen hängen geblieben waren, wurden empathisch vorgebracht, und immer mit unausgesprochenen, doch von den Hörern gierig ergriffenen Nutzanwendungen auf Österreich, gegen Österreich, immer mit Winken über die schwarzgelben Grenzen hinaus; die Trauerfeier wurde zur deutschnationalen Demonstration und die Begeisterung überschwoll, als ich mich schließlich in meiner billigen Symbolik bis zu dem beschwärenden Wehruf an Deutschland verstieg, es möge sich doch endlich erbarmen und der schwer büßenden Kundry379 nicht länger vergessen, die jenseits der Grenzen noch immer sehnsüchtig des Erlösers harrt! Da war der ganze Saal ein einziger Aufschrei der Begeisterung […] Schon aber stand auch der kleine Herr neben mir, der arme Polizeikommissär, im Namen des Gesetzes die Versammlung für aufgelöst erklärend. Ich war der einzige, der ihn in dem ungeheuren Tosen vernehmen konnte.«380

Die Versammlung wurde um kurz nach Mitternacht in Ruhe aufgelöst. Dennoch hatte sie insbesondere für Bahr schwerwiegende persönliche Folgen. Er war, wie viele andere Studenten auch, von der kulturellen Hinwendung zum Deutschen Reich geprägt worden, die sich vor allem seit den 1860er Jahren immer wieder zeigte. Der deutschnationale Irredentismus war vor allem in der Studentenschaft der 1880er Jahre stark ausgeprägt, wurde jedoch außer von Schönerer und dem deutschnationalen Lager in den breiten Gesellschaftsschichten kaum positiv aufgenommen. Eine zu starke Verehrung und Anlehnung an das Deutsche Reich wurde als Verrat an der Monarchie gesehen, dessen sich auch Bahr in seiner Rede schuldig machte. Der Trauerkommers wurde sowohl in der liberalen als auch in der katholisch-konservativen Presse negativ behandelt, während deutschnationale Zeitungen eine gegengesetzte Haltung einnahmen. Während sich Das Vaterland stärker über die Verletzung des Vaterlandsgefühls bestürzt zeigte, veröffentlichte Die Presse einen Leitartikel über den Antisemitismus im studentischen Milieu. »Wir haben der anti-semitischen Strömung in unserer Studentenschaft wiederholt gedacht, aber so lange sich dieselbe nur in verschiedenen Jugendstreichen äußerte, hielten wir es nicht nothwendig, dieser Thorheit eigens entgegenzutreten. Jetzt aber artet sie in einen förmlichen Fanatismus aus und zu dem Geiste der Unduldsamkeit gesellt sich eine solche Verwilderung des Herzens, daß wir nicht schweigen zu dürfen glauben, da nicht nur die Ehre unserer studirenden Jugend, sondern die Ehre Österreichs selbst auf dem Spiele steht. […] Bisher hatten wir eigentlich zwei anti-semitisch Bewegungen zu unterscheiden: eine nationale und eine internationale. Der Führer der ersteren war der traurige Ritter von Rosenau, der die Juden des nationalen Indifferentismus beschuldigte und in denselben eine stete Gefahr für das Deutschthum erblickte. Der zweite folgte der Führung des Dr. Pattai und in den Versammlungen des 379 Anm. Kundry : Figur aus Wagners Oper Parsifal. 380 Bahr 1923, 142 – 143. Vgl. dazu auch Neue Freie Presse, 06. 03. 1883, 6. bzw. Das Vaterland, 07. 04. 1883, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wagners Tod 1883

113

von ihm gegründeten Reformvereins war wieder viel von den Juden zu hören, welche eigentlich den ganzen nationalen Wirrwarr in Österreich am Gewissen haben sollen, welche angeblich aus egoistischen Gründen dem Werke der Volksversöhnung widerstreben. […] Man müßte an unserer Jugend verzweifeln, wollte man annehmen, daß dieser ihr Anti-Semitismus mehr sei als ein burschikoser Scherz, mehr als eine momentane Geschmacksverirrung, die einer besseren Einsicht und Überzeugung weichen wird.«381

In der deutschliberalen Presse wurde über die »anti-semitische Strömung« innerhalb der Studentenschaft diskutiert, die sich bisher für den Autor nur als »Jugendstreich« und »Thorheit« erklären ließ und daher auch keiner weiteren Beachtung bedurfte. Durch den zunehmenden »Fanatismus« dieser Bewegung wird jedoch der Frage nachgegangen, warum eine Hinwendung zu antisemitischen Argumentationen entstehen konnte. Dies wird in der Erklärung der bisher bekannten politischen, antisemitischen Ausformungen dargestellt, wobei zwischen dem Reformverein und Schönerers Ideengut unterschieden wird. Hier wird auch die angebliche Bedrohung des Deutschtums durch die jüdische Bevölkerung und eine angebliche Verantwortung der Juden am »nationalen Wirrwarr in Österreich« aufgegriffen.382 Zentral im Textfragment bleibt jedoch die Frage nach den politischen Anschauungen »unserer Jugend«, die nicht direkt beantwortet werden kann. Es wird darauf verwiesen, dass die antisemitische Bewegung nicht ernst genommen werden kann und als »momentane Geschmacksverirrung« zu betrachten sei. Im Gegensatz zur liberalen Presse, deren Aufmerksamkeit stärker auf der nationalen und antisemitischen Argumentation der gehaltenen Reden der Veranstaltung lag, wandte sich Das Vaterland den Folgen dieser zu. In einer Disziplinaruntersuchung des akademischen Senates der Universität Wien wurden Franz Dafer und Hermann Bahr für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen. Bahr wurde aufgrund der Äußerungen, die er in seiner Rede verwendet hatte und »welche das österreichische Vaterlandsgefühl verletzten«383, ebenso wie Dafer, der Universität verwiesen. Im deutschnationalen Milieu wurde diese Entwicklung mit Unmut aufgenommen und vor allem der Rektor der Universität, Dr. Maaßen, angegriffen. »Er, der Deutsche von Geburt, der ehemalige Burschenschafter, hatte die Stirn, deutschen Studenten eine Äußerung des Nationalgefühles zu verweisen«384. In dieser Aussage wurde die Bedeutung Deutschlands im kulturellen und nationalen Geist der Deutschnationalen sichtbar. Eine Weltanschauung ohne Wagner oder Dühring war zu dieser Zeit für 381 382 383 384

Die Presse, 07. 03. 1883, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Wladika 2005, 127. Das Vaterland, 07. 04. 1883, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 07. 1883, 6. Österreichische Nationalbibliothek.

114

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

deutschnationale Studenten nicht mehr vorstellbar.385 Nach der Affäre des Wagner-Kommerses entstanden vermehrt radikal-deutschnationale Burschenschaften, die sich in Verbindung mit Schönerer deutlich antisemitisch, deutschradikal und antidynastisch gaben.386 In einem Brief Hermann Bahrs wird diese studentische deutschnationale Haltung deutlich sichtbar. Er berichtet seinem Vater entschuldigend über die Vorkommnisse, nur um abschließend pathetisch seine Überzeugung zu erklären. »Aber Hand aufs Herz – wenn ich heute nochmals sprechen sollte, ich würde ebenso, ja ich würde noch ärger sprechen. Ein Schuft, der seine Überzeugung verleugnet. Warum hast du mich zu einem ehrenhaften Menschen herangezogen? – Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.«387

In der Antwort seines Vaters wird er heftig auf den unangebrachten Vergleich mit Luther hingewiesen, und auch sonst war er nicht allzu erfreut über die Ambitionen seines Sohnes. Jahre später schrieb Bahr, der sich auch aufgrund seiner literarischen Karriere und dem damit verbundenen Umgang von den Ansichten seinen Jugendjahren abgrenzte, über seine Studentenzeit, dass sein »burschenschaftlicher Antisemitismus«388 seine Tante zur Weißglut brachte, seinen Onkel jedoch nicht erschüttern konnte. »Als später mein burschenschaftlicher Antisemitismus Blüten trieb, schmiß mich die Tante wütend zur Türe hinaus, mein guter Onkel aber debattierte ganz ruhig auch darüber noch mit mir, ihm war auch ein Antisemit interessant, ihm war alles interessant. […] So hörte der Onkel auch meinen Antisemitismus gelassen an, ließ sich die Marken zeigen, mit denen wir damals alle stillen Orte der inneren Stadt beklebten, las den sinnigen Spruch: ›Was der Jude glaubt, ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei!‹ und sagte dazu nur: ›Jetzt ist aber die höchste Zeit ins Philharmonische!‹, in das er mich eilends in gewohnter Freundlichkeit mitnahm; er hat mir den Antisemitismus sehr erschwert.«389

Nachdem Hermann Bahr dem katholischen Milieu entstammte, ist davon auszugehen, dass auch seine Tante und sein Onkel katholisch waren. So zeichnten ihre Reaktionen unterschiedliche Verhaltensmuster gegenüber seiner studentischen Haltung an. Während seine Tante diese aktiv ablehnt und verurteilt, widmet sein Onkel seinen Überzeugungen Zeit und Interesse, jedoch nur, um sie im Endeffekt vollkommen zu ignorieren und seinen gewohnten Handlungen nachzugehen. Diese individuellen Reaktionen spiegeln auch kollektive Diskurse 385 386 387 388 389

Vgl. Pulzer 1990, 128. Vgl. Wladika 2005, 163. Brief von Hermann Bahr an seinen Vater, 11. 03. 1883. In: Schmidt 1971, 14. Bahr 1923, 119. Ebd., 119.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

115

wider, die in der Gesellschaft zu finden sind. Im katholischen Milieu war in konservativen Teilen eine Zustimmung zu diesen Entwicklungen zu erkennen, jedoch wurden antisemitische Agitationen auch rigoros abgelehnt. Abgesehen von einer gesellschaftlichen Zustimmung zu den Ideen der antisemitischen Bewegung, wurden diesen sowohl durch einen Abwehrverein sowie mit einer Zeitschrift entgegengewirkt, die hauptsächlich als Reaktion aus dem jüdischen Milieu heraus entstanden sind. Zum anderen wurde das Phänomen des wachsenden Antisemitismus in der Bevölkerung registriert, was jedoch oft weder Zustimmung noch Ablehnung hervorrief, sondern schlichtweg ignoriert wurde. Diese unterschiedlichen Reaktionen zeigen die Differenzierungen, die innerhalb einer Gesellschaft berücksichtigt werden müssen.

4.3

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

Der deutschnationale Diskurs war in seinem weiteren Verlauf ein wichtiges Element in der Bildung der Kategorien Nation und Identität. Die starke Hinwendung zu antisemitischem Gedankengut wirkte sich dabei direkt auf diesen Verlauf aus. Eine deutsche und nationale Haltung war bis Ende der 1870er Jahre noch nicht zwangsweise mit antisemitischem Gedankengut verknüpft. Das liberale Lager gab sich eindeutig national und deutsch; demnach folgte auch ein Großteil des assimilierten Judentums diesen Anschauungen.390 Das Friedjung-Programm von 1880 zeigt, wie in Teilbereichen der deutschsprachigen Bevölkerung eine deutschnationale Geisteshaltung sichtbar sowie eine starke politische Anlehnung zum Deutschen Reich gewünscht wurde. »Die deutsche Volkspartei strebt demnach ein Nationalitätengesetz an, in welchem die deutsche Sprache zur Staatssprache erklärt und zugleich die Bestimmung ausgesprochen werde, daß zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes nur derjenige berechtigt sei, welcher der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig ist. […] Da in den Deutschen Österreichs niemals die Erinnerung ausgelöscht werden kann, daß sie durch tausend Jahre, bis 1866, mit den übrigen deutschen Stämmen eine politische Einheit gebildet haben, so betrachten sie es als ihre nationale Pflicht, die Bundesgenossenschaft zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche zu erhalten und zu befestigen.«391

Im Mittelpunkt der Selbstbezeichnung ist der Begriff »deutsch« zu sehen, auch um sich offensichtlich von den anderen Nationalitäten der Habsburgermonarchie abzugrenzen und die Machtposition der deutschsprachigen Gemeinschaft zu stärken. Dies wird auch im geforderten »Nationalitätengesetz« verlangt. Wesentlich sind zudem die bereits angesprochene Geisteshaltung der deutsch390 Vgl. Schubert 2008, 93. 391 Pichl 1938, 104 – 105.

116

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

sprachigen Bevölkerung und die Betonung der kulturellen Gemeinsamkeiten mit dem Deutschen Reich. Im Unterschied zu einer ausschließlich kulturellen Ausrichtung wird hier der Gedanke an eine »politische Einheit« hervorgehoben. Es wird außerdem deutlich, wie zentral 1866 als Datum in der Konstruktion einer nationalen österreichischen Identität war. Die Kernaussage ist die Hervorhebung der Bedeutung des Deutschen Reichs für die Deutschösterreicher und damit die Unterstreichung der eigenen Anschauungen dieser Gruppierung. Schönerer, der eine zentrale Rolle in der Bildung des deutschnationalen politischen Lagers übernahm, zeigte in seiner Entwicklung von einer liberalen zu einer radikal deutschnational-antisemitischen Haltung als Individuum eine gesellschaftliche, kollektive Entwicklung auf. Nach 1873 zeigte sich die politische Macht der Liberalen geschwächt und sie verloren bis Ende der 1870er Jahre ihre Vormachtstellung in der politischen Landschaft. Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise und die zunehmende Industrialisierung, die auch infolge der liberalen Politik anwachsen konnte, bildeten sich widerständische Haltungen, die sich gegen Ende der 1870er Jahre politisch zu manifestieren begannen. So trat auch Schönerer 1876 aus dem liberalen Fortschrittsklub aus, nachdem sich die letzten Jahre seiner Mitgliedschaft aufgrund seiner radikalen Forderungen schwierig gestaltet hatten. Bereits in dieser Zeit wurde seine Ablehnung der Habsburgerdynastie deutlich. Schönerers Ansichten wurden im studentischen Milieu interessiert aufgenommen, und so wurde er 1876 zum auswärtigen Mitglied des »Lesevereins der deutschen Studenten Wiens« erklärt.392 Während der nächsten Jahre begann er sich stärker in das studentische Milieu zu integrieren und besuchte regelmäßig Veranstaltungen des Lesevereins und verschiedener Burschenschaften. Die studentischen, deutschnationalen und antisemitischen Ansätze, die sich in dieser Zeit bereits deutlich im universitären Milieu gezeigt hatten (siehe Kapitel 4.5) vermischten sich mit Schönerers Antiliberalismus, den dieser seit den 1873er Jahren immer intensiver betrieben hatte, und seiner antidynastischen Haltung. Schönerer diente damit den deutschradikalen Studenten als politisches Sprachrohr. 1878 begann er verstärkt, die jüdische Presse, und das Judentum generell, als politischen Gegner zu definieren, wie sich auch in einer Rede im März 1878 im Reichsrat bemerkbar machte.393 »Und wenn nun seitens der Regierung, wie es bereits in der Bankdebatte geschehen ist, politisch sehr ehrenhafte und consequente Charaktere, wie z. B. der Herr Abgeordnete Freiherr v. Kellersperg nach meiner Ansicht ein solcher ist, in einer Weise besprochen werden und wenn ihnen in einer Weise geantwortet wird, wie es wohl eher in nicht christlichen Kaffeehaus-Localitäten üblich sein mag, so muß ich bemerken, daß nach meiner Auffassung die politische Consequenz und Charakterfestigkeit und Ehren392 Vgl. Wladika 2005, 76 – 78. 393 Vgl. Wladika 2005, 82. Vgl. auch Pulzer 1964, 124.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

117

haftigkeit vielmehr in der Person des Herrn Abgeordneten Feiherr v. Kellersperg, als in den Persönlichkeiten auf der Regierungsbank vertreten ist (Unruhe).«394

»Ehrenhaft« und »consequent« werden in dieser Rede als positive Charaktereigenschaften dargestellt und dem Abgeordneten Kellersperg zugeordnet. Die Gegenposition wird den »Persönlichkeiten auf der Regierungsbank« zugeschrieben, die eine Argumentation verfolgen, wie »es wohl eher in nicht christlichen Kaffeehaus-Localitäten« der Fall sei. Damit wird eine Rückbindung der Regierung an jüdische Redewendungen und einen jüdischen Lebensalltag konstruiert, die als negativ definiert wurden. Die Verwendung antisemitischer Gedankengänge als politisches Mittel der Agitation wird hier besonders deutlich. Später in seiner Rede sieht er die rechtmäßige Vorreiterrolle der deutschsprachigen Bevölkerung durch die Regierung verhindert, da diese sich in den Händen der »72 Abgeordneten aus Galizien und der Bukowina«395 befindet. Damit zeigen sich bereits hier erste Ansätze der später konkret ausformulierten und als politisch oppositionell entwickelten Punkte des Antisemitismus und Deutschnationalismus. Die steigende kollektive, antiliberale Haltung zeigte sich auch in der Angst der Kleingewerbetreibenden vor einer liberalen Wirtschaftsmacht. Die Unruhe aufgrund der wachsenden Industrialisierung zeigte sich zum Beispiel in der Gründung zahlreicher Vereine zur Verteidigung der Interessen der Handwerker und Kaufleute. In der Betonung der deutschnationalen Haltung sollte vor allem eine Abgrenzung zum liberalen Lager erzielt werden, das als jüdisch identifiziert wurde. Der Reformverein, eine Handwerker- und Kaufleutevereinigung, war der erste deutlich antisemitische Verein in Österreich, der über viele Jahre hinweg Hauptorganisator verschiedener Spielarten der politischen Verwendung von Antisemitismus war.396 Robert Pattai hielt zur Gründung des Reformvereins eine Rede über das Programm des Vereins. »Und wenn ich nun doch – fährt der Redner weiter fort – um auf ein speciell dieser Versammlung näher liegendes Thema einzugehen, der Judenfrage gedenke, so findet sich die Anknüpfung von selbst. Denn das heutige allseitige und geradezu verblüffende Emporkommen der Juden erscheint mir nur als Illustration der Theorien der von mir auf das äusserste bekämpften Manchesterschule. Man rühmt die Juden, die hier stets als eine besondere Nation in Frage kommen (denn die Nationalität liegt nicht blos in der Sprache allein, sondern umfassst den ganzen Menschen) mit einem besonders geschäftlich spekulativen Sinn.«397

394 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 352. Sitzung der 8. Session am 7. März 1878, 11452 – 11454. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 395 Ebd., 11452 – 11454. 396 Vgl. Pulzer 1964, 122. 397 Österreichischer Volksfreund, 19. 02. 1881, 1 – 2. Österreichische Nationalbibliothek.

118

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

In dieser Rede griff Pattai anschaulich die nationale Definition der jüdischen Gemeinschaft auf, die eng mit den wirtschaftlichen Entwicklungen der 1870er und 1880er Jahre verbunden wurde. Auch wenn in dieser konstituierenden Sitzung das Programm noch nicht ganz ausgereift war, so wird 1883 in einer Rede Pattais in den Victoria Sälen in Berlin im Dezember 1883 die Definition der »Judenfrage« als nationale Frage offenkundig. Antisemitismus wird als politisches Mittel eingesetzt, um eine »Verbesserung der Zustände« zu erreichen. In der Behandlung der »Judenfrage«, die als zentrales Übel negativer Zustände innerhalb der Gesellschaft dargestellt wurde, wird in erster Linie der nationale Hintergrund dieser betont. »Die treibende Kraft bleibt vor Allem der Antisemitismus, (Bravo!) denn bei diesem wirkt nicht nur die Bestrebung nach Verbesserung der Zustände der Gesellschaft überhaupt, sondern zunächst und besonders aktuell der Grundcharakter der Judenfrage als einer eminent nationalen. (Bravo.) […] Wenn wir aber dementgegen die Juden noch mitreden lassen in allen unseren nationalen Fragen, in denen sie gar nicht mit uns empfinden und auch unsere Empfindungen gerade nur so weit verstehen, um mit denselben zu ihrem Vortheile zu rechnen – dann glauben Sie mir meine Herren – lachen uns die Juden nur selbst aus.«398

Es gab Anfang der 1880er Jahre mehrere Vereine, die den liberalen, und damit in ihrer Definition den jüdischen, Einfluss auf die Wirtschaft einschränken wollten. Diese waren die im Jahr 1880 gegründete »erste antisemitische Gesellschaft zur Verteidigung der Handwerker in Wien«, ein Jahr später der »Verein zum Schutze des Gewerbestandes«, 1882 der »Reformverein zur Betreibung der gewerblichen Interessen« bzw. im selben Jahr die »Österreichische Reform Union«.399 Gemeinsam war allen diesen Zusammenschlüssen, dass sie wirtschaftliche Interessen verfolgten und zur Festigung ihrer Machtposition innerhalb der Gesellschaft antisemitische Agitationen verwendeten. Im Jahre 1882 wurde das deutschnationale Linzer Programm von Heinrich Friedjung400, Viktor Adler und Georg Ritter von Schönerer ausgearbeitet und verabschiedet. Wie bereits in früheren Forderungen Friedjungs und Schönerers waren Deutsch als Staatssprache und die möglichst enge politische Rückbindung an das Deutsche Reich zentrale Punkte dieses Programms.401 Die Aufnahme der sozialen Frage in den politischen Alltag der Zeit und deren Verknüpfung mit den stark vorhandenen nationalen Wünschen der deutschsprachigen Gruppierung bot ausreichend Freiraum für antisemitische Agitationen. 398 Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1884, 13. Österreichische Nationalbibliothek. 399 Vgl. Schorske 1993, 77. 400 Friedjung zwischen 1883 – 1886 Herausgeber der von ihm gegründeten Deutschen Wochenschrift, das Organ für die gemeinsamen Interessen Österreichs und Deutschlands war. Er wurde 1887 aufgrund seiner jüdischen Herkunft entlassen. Vgl. Schubert 2008, 81. 401 Vgl. Schubert 2008, 82.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

119

Die gesellschaftlichen Entwicklungen verlangten nach einer politischen Antwort, wie das deutschnationale Lager frühzeitig erkannte. In der Darstellung des deutschnationalen Milieus muss beachtet werden, dass seine politische Bedeutung über die eines kleinen Teilbereichs nie hinausging. Seine gesellschaftliche Bedeutung jedoch ist entgegengesetzt hoch anzusehe, da die Kategorien von Antisemitismus und einer deutsch bestimmten, nationalen Identität auf einem breiten Niveau in der Gesellschaft verteilt und damit in ihrer Gesellschaftsfähigkeit vorantrieben wurden.402 In der Zeitung Österreichische Volksfreund, die radikal antisemitisches Gedankengut vermittelte, wird dies anhand der veröffentlichten Artikel deutlich. Erstens war in zahlreichen Ausgaben »Kauft nur bei Christen!« zwischen den einzelnen Artikeln vermerkt, wie etwa in der hier abgebildeten Ausgabe vom 8. Oktober 1881. Zweitens beschäftigten sich zahlreiche Artikel mit dem »Antheil der Juden am Nihilismus und die Berührungspunkte der rothen und goldenen Internationale«, dem Talmud, oder behandelten »Die Judenfrage im Mittelalter«.403 Drittens wurden häufig thematisch passende Reden, die auf unterschiedlichen Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum gehalten wurden, abgedruckt. Wie zum Beispiel die Rede des Studenten Galle in Leipzig, mit dem Titel »Die Judenfrage als Rassenfrage«. Mit Hilfe des Abdruckes dieser Artikel konnten relativ einfach inhaltliche Standpunkte vertreten und zudem der Antisemitismusdiskurs über Staatsgrenzen hinweg betrieben werden, wie bereits in Kapitel 2.5 erläutert wurde. Zentraler Inhalt seiner Rede über die »Begriffe Nationalität und Rasse«404, war die rassistische Definition des Judentums als Nation. Die Überlegenheit der jüdischen Gruppierung wurde durch deren »Blutreinheit« konstruiert, der das »deutsche Volk« nur in der Vertiefung und Festigung des »Gefühls der Nationalität« entgegenwirken kann. Die »edler geartete Menschheit« wird als Gegenstück zur jüdischen Bevölkerung dargestellt. »Nationalität und Rasse« sind die zentralen Elemente der Rede, deren bewusstes Aufgreifen in den gesellschaftlichen Diskurs im Wesentlichen die »drohende Verjudung« aufhalten soll.405 Weiters hält er fest, dass sich der Antisemitismus »auf wirthschaftlichem, socialem und gesellschaftlichem Boden«406 bewegt. Diese zunehmende Radikalisierung des deutschnationalen Lagers macht deutlich, dass nun nicht mehr die »schamlose Verjudung und Verlotterung unserer Preßzustände«407 im Vordergrund stand, sondern nunmehr auch ras402 403 404 405 406 407

Vgl. Kirchhoff 2001, 68. Vgl. Österreichischer Volksfreund, 02. 08. 1881. Österreichische Nationalbibliothek. Österreichischer Volksfreund, 16. 07. 1881, 2 – 4. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2 – 4. Ebd., 2 – 4. Vgl. »Der Deutsch-nationale Verein im Jahre 1885. Jahresbericht des Ausschusses, erstattet

120

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

sistische Motivationen durch die Betrachtung der nationalen Einstellung zur »Judenfrage« thematisiert wurden. Die Wahlaufrufe während des Wahlkampfes 1885 zeigten eine Fülle von Reformen, die angestrebt wurden. Die geforderten Reformen sahen eine Befreiung des »deutschen Volksthums in Österreich«408 vor, das durch die Slawen und Ungarn bedroht war. Auch in einer »wirtschaftlichen Reformpolitik«409 wurde entsprechendes Potential gesehen. Zentral jedoch war die wirtschaftliche und politische Angliederung an Deutschland, die bereits Anfang der 1880er Jahre unverkennbares Ziel war. »Unser natürlicher Bundesgenosse kann nur das stammverwandte Deutschland sein; ein dauerndes Bündnis mit demselben zu knüpfen, ist für uns überdies ein Gebot nationaler Selbsterhaltung. […] Diese sei die Grundlage der Einigung aller Deutschen in Österreich. Stammesgenossen! Wir sind Glieder eines großen Volkes. Seid dessen auch bei den bevorstehenden Reichsrathswahlen eingedenk. Wählet echte, rechte und ganze deutsche Männer!«410

Auch wenn die Anlehnung an das Deutsche Reich demonstrativ illustriert wird, so wird deutlich, dass das »stammverwandte Deutschland« als Vorbild gesehen wird, es aber dennoch um die »Einigung aller Deutschen in Österreich« geht und nicht um deren vollständige Eingliederung in das Deutsche Reich. Auch in der Betonung der Verwandtschaft, die in der Ausführung »Wir sind Glieder eines großen Volkes« wieder auftaucht, zeigt sich offenkundig eine Differenzierung zwischen Reichsdeutschen und Deutschösterreichern. Diese wird trotz der enormen Hinwendung und politischen sowie kulturellen Anlehnung an das Deutsche Reich noch immer als wesentlich empfunden. Damit charakterisiert sich auch in der deutschradikalen Haltung des deutschnationalen Lagers die Konstruktion einer österreichischen Nationalidentität. In diesen Wahlaufrufen der deutschnationalen Partei zu den Reichsratswahlen im Jahre 1885 wurde erstmals die politische Forderung nach dem Ausschluss der jüdischen Bevölkerung im Rahmen des Wahlkampfes laut, um die geforderten Reformen durchsetzen zu können. »Stammesgenossen! Zur Durchführung solcher Reformen ist die Beseitigung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, Schutz gegen die Fälschung der öffentlichen Meinung durch die Presse, vor Allem aber die Schaffung einer wirklichen, auf gerechter und volksthümlicher Grundlage beruhenden Volksvertretung unerläßlich.«411

408 409 410 411

durch Herrn Krautmann in der Vollversammlung vom 28. Jänner 1886.« In: Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1886, 1 – 5. Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 05. 1885, 1 – 2. Auch veröffentlicht am 16. 05. 1885, 6. Sowie am 01. 06. 1885, 7. u.s.w. Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 05. 1885, 1 – 2. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1 – 2. Ebd., 1 – 2.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

121

Die Argumentation Schönerers sieht in der Presse sowie in der Regierung elementare Gegenpositionen zu seinen politischen Ambitionen. Wirtschaft und Industrialisierung werden mit dem liberalen Lager und der jüdischen Bevölkerung gleichgesetzt; dies gilt auch für die Presselandschaft der deutschsprachigen Region der Habsburgermonarchie. In der Abgrenzung von der Regierung wurde eine oppositionelle Position eingenommen, die für die Wählerschaft eine gewinnbringende Alternative zur Regierungspartei darstellen sollte. Die Selbstdarstellung der deutschnationalen Partei wurde durch die Begriffe »gerecht« und »volksthümlich« vorangetrieben, die als »Volksvertretung« der Regierung gegenübergestellt wurde. Während im Wahlkampf des Jahres 1885 die »Beseitigung des jüdischen Einflusses« unter anderem ein wirksames Agitationsmittel war, so wird deutlich dass zwischen Wahlkampf und tatsächlichem politischen Programm noch ein Unterschied bestand. In der Beilage »Berichte und Mittheilungen. Unser Programm«, die Anfang des Jahres 1886 veröffentlicht wurde, findet sich kein Hinweis auf die Aufnahme dieses Punktes in das Programm, obwohl dieser im Wahlkampf bereits eindeutig verwendet wurde. Hier endet das Programm mit dem bereits aus dem Jahre 1882 bekannten elften Artikel.412 Auch in der Jahresübersicht der Tätigkeiten »Der Deutschnationale Verein im Jahre 1885« wird ein zwölfter Artikel nicht erwähnt.413 Dies macht deutlich, dass dieser Punkt zwar von Schönerer im »Wahlaufrufe der deutschnationalen Partei zu den Reichsratswahlen« im Mai 1885 aufgestellt, dem Linzer Programm jedoch erst nach und nicht im Jahr 1885, wie in der Literatur grundsätzlich behauptet, als zwölfter Punkt angeschlossen wurde.414 So wie Pichl strenggenommen auch in seiner Biographie über Schönerer festhält, in der er schreibt, dass dieser Punkt im Rahmen der Reichratswahlen »am 1. Mai 1885 aufgestellt und dem Linzer Programm als letzter Punkt angeschlossen«415 wurde, nicht jedoch, dass dies im Jahre 1885 geschehen war. Im April 1887 macht Schönerer in einer Rede deutlich, dass das Jahr 1886 entscheidend für die Aufnahme dieses Punktes war, da er hier die Bedeutung der »Beseitigung des jüdischen Einflusses« im Reichsrat unterstreicht. »Die Grundlagen aber zu solchen socialpolitischen Reformmaßregeln liegen nach unserer Meinung speciell erstens, in einem zu schaffenden Schutze gegen die Fälschung der öffentlichen Meinung durch die Presse; und zweitens, in der Beseitigung des jü-

412 Vgl. Unser Programm. In: Unverfälschte Deutsche Worte, Berichte und Mittheilungen, 3/1 (1885), 1 – 2. Österreichische Nationalbibliothek. 413 Vgl. Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1886, 1 – 5. Österreichische Nationalbibliothek. 414 Vgl. Pichl 1938, 115. 415 Ebd., 115.

122

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

dischen Einflusses auf allen Gebieten der Verwaltung, Gesetzgebung und des öffentlichen Lebens überhaupt.«416

Dies lässt darauf schließen, dass, obwohl die Verwendung dieser Formulierung innerhalb der politischen Agitation eines Wahlkampfes durchaus legitim war, die Umsetzung und Integration in das reguläre politische Programm jedoch etwas anderes war. Die Begründung für den Einsatz von Antisemitismus als politischen Programmpunkt liefert Schönerer 1887 in einer Rede im Abgeordnetenhaus. »Im Gegensatz nun zu den Herren im deutschen und deutsch-österreichischen Club betrachten wir Deutschnationale denn auch bekanntlich den Antisemitismus nicht als ein bedauerliches Symptom oder als eine Schmach, sondern vielmehr als einen Grundpfeiler des nationalen Gedankens, als Hauptförderungsmittel echt volksthümlicher Gesinnung, somit als größte nationale Errungenschaft dieses Jahrhunderts. (Beifall auf der äußersten Linken. – Gelächter.)«417

Wesentlich in dieser Aussage sind hier bereits die inneren Spannungen der Deutschnationalen und die Abgrenzung Schönerers von Gruppierungen wie dem Deutschen Klub, bzw. dessen Positionierung zu Schönerers Partei zu erkennen.418 Die Begründung der antisemitischen Position als »Grundpfeiler des nationalen Gedankens« zeigt die enge Beziehung zwischen Nationalismus und Antisemitismus, und damit auch die Möglichkeiten der Beeinflussung einer Nationalidentität. Indem Antisemitismus als Abgrenzungsfunktion im nationalstaatlichen Kontext konstruiert und als »größte nationale Errungenschaft« dargestellt wird, zeigt die Reduktion dieses Phänomens die nationale Abgrenzung von der jüdischen Bevölkerung und die Einbettung in den Nationalismusdiskurs der Gesellschaft. In der Verbindung mit rassistischen Völkerdefinitionen hatte der Österreichische Volksfreund bereits 1881 die Erkenntnis transportiert, »dass die Judenfrage eine Rassenfrage und nur eine Rassenfrage ist«419. Die Frage nach »Religion oder Rasse?« wird im Titel eines Artikels rein rhetorisch gestellt. »Die Juden spielen gegen die antisemitische Bewegung immer einen nachgerade abgenützten und noch dazu falschen Trumpf aus indem sie hartnäckig von mittelalterlicher religiöser Unduldsamkeit sprechen und schreiben, die Entgegnung jedoch, dass es sich um eine Rassen- und keine Religionsfrage handelte, vornehm ignoriren. […] Es 416 Stenographische Protokolle der Abgeordneten. 136. Sitzung der 10. Session am 28. April 1887. 4962 – 4963. Oder Vgl. Reden des Reichsabgeordneten Georg Ritter von Schönerer.1896, 44. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 417 Stenographische Protokolle der Abgeordneten. 136. Sitzung der 10. Session am 28. April 1887. 4963. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 418 Pulzer 1964, 130. 419 Österreichischer Volksfreund, 17. 12. 1881, 3. Österreichische Nationalbibliothek.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

123

wäre überflüssig die Beispiele für die Unzerstörbarkeit jüdischer Eigenart zu häufen, denn dieses Faktum wird ohnehin nicht angezweifelt. Schliesslich sei noch bemerkt, dass der Ausdruck ›Rassenjude‹, welcher seit neuerer Zeit vielseitig gebraucht wird, aus den oben entwickelten Gründen als sehr zutreffend bezeichnet werden muss.«420

Religiöser Antijudaismus wird zunehmend mit Antiklerikalismus konstruiert und als negativ und rückständig definiert. Wesentlich an der modernen antisemitischen Bewegung ist ihre pseudo-wissenschaftliche Begründung einer rassistischen Unterscheidung zwischen Menschen. Da im Syllogismus dieser Zeit der Begriff Volk mit den Begriffen von Nation und Rasse in direkte Beziehung gesetzt wurden, ergibt sich die zeitgenössische Schlussfolgerung, dass das Judentum (wiederholt als Volk und Nation definiert) mit rassistischen Bezügen in Zusammenhang gebracht wurde. Zudem wird neben den regulären Abgrenzungsmotiven, die in der nationalen Kollektivsymbolik konstruiert wurden, auch ein »wirthschaftlich und social gefährlicher Factor«421 des Judentums in der Erzeugung eines emotionalen Diskurses herangezogen. Die Gruppierung der jüdischen Bevölkerung wird hier, wie auch bereits in früheren Textfragmenten deutlich wurde, in nationaler, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und rassistischer Ebene von der restlichen deutschsprachigen Bevölkerung abgegrenzt. Damit erfolgte mit der Zeit eine vollständige Exklusion dieser Gemeinschaft aus der Gruppierung der Deutschösterreicher – zumindest aus Sicht der deutschradikalen Gruppierung. Dementsprechend wurden Anträge im Parlament gestellt, die die problematische Situation der Gesellschaft in Bezug auf die »Judenfrage« aufzeigen sollten. So zum Beispiel im Mai 1887, als Schönerer, Vergani und andere den Antrag für ein Antisemitengesetz stellten, das »zum Schutze der Interessen und Rechte der ehrlich arbeitenden Bevölkerungsclassen« errichtet werden sollte. »In Anbetracht dessen, dass auf dem Wege zu diesem gerechten Ziele das in unserem Vaterlande bereits übermächtig werdende Judenthum als wesentliches Hindernis zu betrachten ist, – in Anbetracht dessen, dass die Lebensanschauungen und Gebräuche des uns fremden Volkes der Juden der christlichen Cultur und der arischen Abstammung, sowohl der deutschen Nation, als auch der anderen Nationalitäten in Österreich feindlich gegenüberstehen.«422

Österreich wird als »Vaterlande« bezeichnet, das der »deutschen Nation« aber auch »anderen Nationalitäten« Raum bietet. Die deutschsprachige Gemeinschaft 420 Österreichischer Volksfreund, 17. 12. 1881, 3. Österreichische Nationalbibliothek. 421 Rede des Reichsrathsabgeordneten G. Ritter von Schönerer gehalten in der Sitzung des Abgeordnetenhauses zu Wien am 28. April 1887 in der Generaldebatte über den Staatsvoranschlag. In: Reden des Reichsabgeordneten Georg Ritter von Schönerer 1896, 47. 422 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhaus, 171. (Abend-)Sitzung der 10. Session am 27. Mai 1887, 6279 – 6280. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek.

124

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

wird in einer religiösen und rassistischen Sichtweise als von der »christlichen Cultur und der arischen Abstammung« geprägt betrachtet. Diese wird in der Erzählstruktur von innen heraus durch die Kultur eines »uns fremden Volkes« bedroht, und damit eine emotionale Ebene konstruiert, die eine wir gegen sie Mentalität transportiert. Zentral an diesem Textfragment ist jedoch, dass es aufzeigt, dass rassistische Begrifflichkeiten nun vollständig in die Definition von Kultur und Gesellschaft eingeflossen waren. Der Antrag erreichte die erforderliche Unterschriftenanzahl nicht und wurde in einer direkten Wahl von nur 19 Abgeordneten unterstützt und daher auch nicht angenommen. Auch ein Jahr später versucht Schönerer eine AntisemitenPetition durchzusetzen, die er im Namen 374 Waldviertler Gemeinden einreichte, um die weitere Einwanderung von Juden aus dem Osten zu verhindern. Hier sieht man, wie auch beim Antrag davor, die internationalen Bezüge, die bei politischen Entscheidungen eine immer größere Rolle zu spielen begannen. Die Vorlage hierfür war das amerikanische Einwanderungsgesetz von 1882, das die Zahl der Immigranten aus China begrenzte.423 Inwieweit hatten diese doch eindeutig radikalen politischen Aktionen nun Einfluss auf die breite Gesellschaft? Schönerer und auch die übrigen Führer der sich immer weiter aufsplittenden deutschnationalen Bewegung erreichten niemals den Einfluss einer Massenbewegung. Wie bereits aufgezeigt wurde, erreichte die Auflage der Zeitung Unverfälschte Deutsche Worte nie eine tatsächliche Massentauglichkeit und auch die Anzahl der Mitglieder des Deutschnationalen Vereins betrug gegen Ende der 1880er Jahre nur knapp über tausend.424 Das Vermächtnis der deutschnationalen Bewegung war nicht der politische Erfolg, sondern das Aufgreifen eines bisher nicht politisierten Phänomens und damit die Verbreitung nationalistischer und antisemitischer Ideen.425 Für diese offen zeigten sich vor allem bäuerliche Schichten, aber auch Akademiker und Bürokraten in Kleinstädten sowie das studentische Milieu Wiens. Die noch zu Anfang der 1880er Jahre feststellbare Attraktivität für den Mittelstand und das Gewerbe nahm infolge der neu entstehenden Partei der Christlichsozialen ab.426 »Die Mittelstandsideologie war ohne Antisemitismus nicht zu denken, aber nicht alle Mittelständler wurden durch sie angezogen, und nicht alle, die von ihr angezogen wurden, gaben der antisemitischen Komponente den Vorrang.«427 Wesentlich war die Gestaltung des öffentlichen Diskurses durch deutschradikale

423 Stenographische Protokolle Abgeordnetenhaus, 197. Sitzung der 10. Session am 2. März 1888, 7158. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 424 Vgl. Pichl 1938, 59 – 67. 425 Vgl. Pulzer 1964, 129. 426 Vgl. Bunzl/Marin 1982, 18. 427 Pulzer, 2004, 16.

Der deutschnationale Diskurs und seine Bedeutung

125

und antisemitische Handlungen, die sich in der Konstruktion einer österreichischen Nationalidentität wiederfanden. Die wichtigste politische Handlung dieses Milieus war jedoch die Politisierung des Antisemitismus und damit die Wegbereitung für Lueger und die christlichsoziale Partei. Bereits in einem Bericht aus dem Jahre 1882 über eine Vertrauenskundgebung für Lueger in der Zeitung Das Vaterland zeigen sich dessen weitere politische Entwicklung und insbesondere seine Argumentationslinien in Bezug auf den Antisemitismusdiskurs in der Gesellschaft. »Localbericht. […] nur wenn ihm seine Wähler weiter des Vertrauen schenken würden, werde er den Kampf gegen jene Mächte, welche das öffentliche Leben vergiften, fortführen. Redner verließ hierauf unter nicht endendem Applaus die Tribune.«428

Im Gegensatz zu den Sprechern des deutschnationalen Lagers war Lueger rhetorisch gewandter und seine Reden zeigen differenziertere Zusammenhänge und Begrifflichkeiten auf. Dennoch argumentierte auch er mit antisemitischen Versatzstücken. Sein demokratisch ausgerichtetes Parteiprogramm von 1885, das die Gleichheit des Volkes betonte, war meiner Meinung nach stärker aus politischer Motivation heraus entstanden, untere Wählerschichten, wie die FünfGulden-Männer, anzusprechen, auch wenn Wladika darin »seine Abneigung, den Antisemitismus als politische Größe zu akzeptieren«429 sieht. Da sich Luegers innerste Geisteshaltung nicht mehr rekonstruieren lässt, ist eine Diskussion darüber an und für sich hinfällig, festzuhalten ist jedoch, dass unabhängig von seiner persönlichen Meinung seine politischen Aktionen und Reden die zentralen Elemente der Diskursgestaltung darstellen und eine eindeutige Sprache sprechen. Und primär ist seine öffentliche Haltung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Diskurses zentral, und nicht seine private. Die Bedeutung des deutschnationalen Diskurses liegt in den Einflüssen, die dieser auf unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen hatte. Es ist jedoch festzuhalten, dass nicht das deutschnationale Lager allein Antisemitismus und Nationalismus in der Gesellschaft entwickelte, sondern diese Themengebiete nur aufgriff. Diese Kategorien bestanden bereits vor der Etablierung dieses politischen Milieus und zeigten sich zum Beispiel in einem Brief, der von Ernst Schneider im April 1882 an Schönerer gesandt wurde. »Ich lasse mich nicht beeinflussen. […] Wenn sie unter deutschnational Anschluß der deutschösterreichischen Provinzen an Deutschland meinen, dann liebster Herr sind wir nicht Gesinnungsgenossen, denn ich kann Ihnen aufrichtig und rücksichtslos sagen, daß ich Österreicher mit Leib und Seele bin und nie und nimmer mich dazu entschließen könnte einer preußischen Regierung untertänig zu sein. Da ginge ich nach 428 Das Vaterland, 07. 03. 1882, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 429 Wladika 2005, 175.

126

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

Amerika lieber. Meinen Sie aber unter deutschnational die Hegemonie der Deutschösterreicher in einem Staate Österreich, dann sind wir Gesinnungsgenossen. Was den antisemitischen Standpunkt anbelangt; da kann ich nicht einen Moment zaudern und ich erkläre Ihnen kurz und bündig, daß ich es als meine Aufgabe betrachte die Juden zu bekämpfen.«430

Antisemitisches Gedankengut ist zudem nicht ausschließlich in Verbindung mit einer nationalen Gesinnung zu finden, sondern wird auch von einem dynastischen bzw. föderalistischen Standpunkt aus deutlich sichtbar. In diesem Textfragment aus einem persönlichen Brief wird deutlich, dass die Differenzierung innerhalb der Ausgestaltungen des Deutschnationalen nicht zu vergessen ist. Eine kulturelle Hinwendung zum, und politische Anlehnung an, das Deutsche Reich ist noch nicht mit einem Wunsch nach der Auflösung der Monarchie verbunden.431 Die Abneigung gegenüber Preußen zeigte sich vor allem in einer dynastisch-föderalistischen Identitätskonstruktion, die die Preußen nach 1866 und nach dem Ausschluss aus dem Deutschen Bund als elementare Feinde darstellte; so wie Schneider festhält, dass er »Österreicher mit Leib und Seele« sei und sich niemals »einer preußischen Regierung untertänig« zeigen könnte. Interessant an diesem Textfragment sind vor allem die letzten Zeilen, in denen Schneider beschreibt, dass er in der Bekämpfung der Juden seine Aufgabe sieht und in diesem Punkt mit Schönerer übereinstimmt. Die Unterstreichung des Deutschtums und die Verbindung mit der Nationalitätenfrage sowie mit dem Antisemitismusdiskurs zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten der nationalen Identitätsgestaltung auf. Schneider zeigt einen antisemitischen Standpunkt, ohne sich jedoch national von Österreich zu distanzieren, auch wenn Österreich hier vermutlich als zukünftiger Staat und nicht als Monarchie konstruiert wurde.

4.4

Nationalismus und Antisemitismus

Die modernen Argumentationen von Nationalismus und Antisemitismus wurden in zahlreichen Beispielen auf ›wissenschaftliche‹ Quellen zurückgeführt. Eine davon war Ludwig Gumplowiczs als »Rasse und Staat« bezeichnete Abhandlung, die 1875 in Wien erschien432, und sein mit dem Titel »Rassenkampf« bezeichnetes Werk von 1883, in dem er seine Theorie vom Kampf zwischen einzelnen Rassen als Kampf zwischen sozialen Gruppierungen weiter ausweitete. 430 Brief von Ernst Schneider an Georg von Schönerer vom 4. April 1882. ÖStA. AVA. Nachlaß Eduard Pichl, Karton 37 (Robert Pattai), Mappe 2. Zitiert In: Wladika 2005, 145. bzw. Pulzer 1964, 122. 431 Vgl. Daim 1967, 18 – 19. 432 Vgl. Brix 1986, 23.

Nationalismus und Antisemitismus

127

Er griff in seinem Werk die Theorien Gobineaus auf und beeinflusste mit seinem Werk sowohl Chamberlain wie auch Lanz von Liebenfels. Seiner Beeinflussung des wissenschaftlichen Diskurses maß er jedoch keine Bedeutung bei, da seiner Auffassung nach gesellschaftliche Entwicklungen zwar beeinflusst, nicht aber verhindert werden könnten. Damit schuf er eine der zentralen Voraussetzungen für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik, wie in Kapitel 7.2 ausgeführt wird, und den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs.433 In einem Artikel aus dem Österreichischen Volksfreund wird 1882 Adolf Wahrmunds Werk »Babylonierthum, Judentum und Christentum«434 vorgestellt, in dem das Judentum polemisch gezeichnet wurde. Der in Wien tätige Orientalist435 schreibt, dass »Das Völkchen der Juden«436 durch die historischen Entwicklungen der Zeit einen »aberwitzigen Hochmuth, wissenschaftliche Verblödung und unmenschliche Herzenshärte gegen alles, was nicht jüdisch«437 ist entwickelt hätte. 1887 veröffentlichte er »Das Gesetz des Nomadenthums und die heutige Judenherrschaft« und verwies hier auf die rassistisch konstruierten Eigenarten der jüdischen Bevölkerung, die seiner Meinung nach auf ihre Abstammung von Nomaden aus der Wüste Sinai zurückzuführen sei. Zudem führte er Unterschiede zwischen den Rassen aus.438 Wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Einfluss in diesem Sinne wurde durch zahlreiche Werke dieser Zeit aufgezeigt, wie bereits in der Auseinandersetzung um Rohling deutlich wurde. In der Angleichung an einen pseudo-wissenschaftlichen und rassistisch begründeten Argumentationsweg wurde der Antisemitismus dadurch einem »internationalen Muster«439 angepasst. Wissenschaftliche Veröffentlichungen hatten einerseits Auswirkungen auf die breite Gesellschaft, vor allem aber andererseits auf die Entwicklungen im studentischen Milieu. Im Laufe der 1880er Jahre wurden deutschnationale Anschauungen immer stärker von völkischen Gedanken abgelöst und in einen extremen Nationalismus umgewandelt.440 Die Studenten und damit zukünftigen Akademiker des Landes waren zwar zu diesem Zeitpunkt noch in keinen politischen Machtpositionen angelangt, erreichten aber später erheblichen gesellschaftlichen Einfluss, auch wenn sie eine Minderheitengruppe darstellten.441 433 434 435 436 437 438 439 440 441

Vgl. Brix 1986, 25. bzw. Jonston 2006, 327. Vgl. Wahrmund 1882. Vgl. Günzel, 2001, 56. Österreichischer Volksfreund, 28. 04. 1882, 4. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 4. Vgl. Wahrmund 1887. Pulzer 1990, 129. Vgl. Krabbe 2010, 74. Vgl. Pulzer 1990, 129.

128

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

Der Niedergang des Liberalismus hatte zur Folge, dass sich in den unteren und mittleren Schichten die finanzielle Situation verschlechtert, was sich insbesondere in den Studierendenzahlen dieser Gruppierungen niederschlug. Sturmayer sieht in der Diskrepanz zwischen den Erwartungen der jungen Generation dieser Milieus und den tatsächlichen Zukunftsaussichten eine Begründung für den wachsenden Antisemitismus, da die Anzahl jüdischer Studierender an den Hochschulen erheblich war und immer wieder kritisiert wurde.442 Dieser Ansatz klingt schlüssig, berücksichtigt jedoch noch nicht den teilweise extrem rassistischen Antisemitismus und radikalen Deutschnationalismus der tatsächlich studierenden Personen. Wenn nun die Enttäuschung über die nicht erfüllten Ziele der einzige Motivationsgrund für antisemitische Agitationen war, so erklärt dies in keiner Weise die Entwicklungen im studentischen Milieu. Hier sind in den 1880er Jahren die Auswirkungen von Wagners Tod, der die deutschnationalen Bestrebungen innerhalb der Studentenschaft weiter verstärkte und die Verbindung zwischen Wagner und einem wachsenden Nationalismus und Antisemitismus als wesentlich aufzuzeigen. Auch das Aufgreifen der Zeitströmung durch Schönerer und seine Integration in das studentische Milieu zeigt die Aktualität des Diskurses um Nation und Antisemitismus. In diesen Entwicklungen treten die Verehrung Bismarcks sowie das Lied »Wacht am Rhein« als zentrale Elemente auf.443 »Die Wacht am Rhein. / Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, / Die Fahnen flattern in den Wind. / Am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein, / Wir alle wollen Hüter sein! / Lieb‹ Vaterland, magst ruhig sein, / Fest steht und treu die Wacht am Rhein.«444

Die Verbundenheit Schönerers mit dem deutschnationalen studentischen Milieu bzw. dessen Ausweitung auf einen breiten Bevölkerungskreis zeigt die Umdichtung dieses Liedes mit einem auf Schönerer angepassten Text unter dem Titel »Wacht auf Rosenau«. Dies verdeutlicht die Überhöhung der Person Schönerers im deutschnationalen Milieu. »Wo friedlich still die Thaya fließt, / wo sich der Kamp in’s Tal ergießt / Dort halten wir bei Tag und Nacht / als treue Mannen uns’re Wacht. / Hoch Schönerer! Schallt’s im Verein / [: Waldviertel du kannst ruhig sein :] Ob auch der Jude uns bedroht / Wir harren aus in Kampf und Noth, / Es schützt der Held mit fester Hand / Waldviertlers schönes Heimatland! / Und von der Donau bis

442 Vgl. Sturmayr 1996, 180. 443 Vgl. Wistrich 1999, 179. 444 Scheckenburger 1870, 20.

Nationalismus und Antisemitismus

129

zum Rhein / Stimmt Deutsche in den Ruf mit ein / [: Wir wollen deutsch und treu dir sein :]«445

Die Vermischung unterschiedlicher Ansätze zur Identitätskonstruktion zeigt den komplexen Prozess dieser Entwicklungen. Während die Anlehnung an das Deutsche Reich durch Lieder wie »Wacht am Rhein« verstärkt wurde, bestand anderweitig dennoch das Bedürfnis, diese Hinwendung zu differenzieren und in Bezug auf Schönerer und seine Haltung zu definieren. Obwohl Schönerer nie studierte, so erkannte er bereits früh die Bedeutung des studentischen Milieus für seine Ideen. Die Tragweite dieser Beziehung zeigte sich in einem Artikel der Unverfälschten Deutschen Worte, wobei Schönerer insbesondere das »Bewußtsein der Zusammengehörigkeit des deutschen Volkes im Deutschen Reich und in Österreich«446 unterstrich. Da spätestens ab Ende der 1880er alle führenden Burschenschaften und Studentenverbindungen Wiens jüdischen sowie vormals jüdischen und nun getauften Studenten die Mitgliedschaft verwehrten447, ist die Entstehung einer nationaljüdischen Studentenverbindung aus Sicht des jüdischstudentischen Milieus eine nachvollziehbare Entwicklung. Die Kadima wurde 1882 gegründet und bot national ausgerichteten, jüdischen Studenten ein Betätigungsfeld.448 Und da der wachsende Antisemitismus im Alltag immer stärker spürbar wurde, war dies eine willkommene Alternative zur nationalen Definition. Dies zeigt sich zum Beispiel in den Erinnerungen von Robert Lichtblau, die das Einbrechen des Antisemitismus in den öffentlichen Raum der Schule deutlich macht. »Eines Tages kam ich als kleiner Junge und meldete dem Vater, daß mich ein Junge meiner Klasse ›stinkerta Jud‹ geschimpft hatte. Da stürzte Rudolf, mich an der Hand, in die Schule zum Direktor »Leitich« und brüllte ihn an: ›Machen Sie Ordnung in Ihrer Schule, und sagen Sie den Kindern, Christus stinkt nicht, daher auch der Jude nicht.‹ Der Direktor winselte ›Bitte, Herr Lichtblau, nicht vor den Kindern‹ und versprach aufzupassen.«449

Diese Episode zeigt, dass es nicht nur im studentischen Milieu, sondern bereits in der Schule zu antisemitischen Äußerungen zwischen den Kindern kam. Dies lässt den Schluss nahe, dass sich antisemitische Motive, Stereotype und Metaphern bereits weit in gesellschaftliche Schichten ausgebreitet hatten, und im privaten Zuhause innerhalb der Familien konstruiert und weitertradiert wurden. So wurden sie zum kulturellen Code und konnten als Zeichen der Zuge445 Text von Josef Theodor Redl nach einer Melodie des Liedes »Wacht am Rhein«. Siehe: Schubert 2008, 98. 446 Unverfälschte Deutsche Worte, 1883, 8. Österreichische Nationalbibliothek. 447 Vgl. Boyer 2010, 41. 448 Vgl. Alt 2008, 222. Oder Lowenstein 1997, 146. 449 Erinnerungen Robert Lichtblaus, Melbourne 1945. In: Lichtblau, 1999, 484.

130

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

hörigkeit zu einer kollektiven Gemeinschaft fungieren.450 Diese antisemitischen und nationalen Entwicklungen sind sowohl im städtischen Gebiet als auch im ländlichen Raum zu erkennen. In Vorarlberg stand vor allem der Ort Hohenems im Mittelpunkt eines gesellschaftlichen Konfliktes in Bezug auf Antisemitismus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war noch eine Stimmung der Toleranz und Integration zu spüren, da der jüdischen Bevölkerung erlaubt wurde, öffentliche Feiern – wie das Purim Fest – auszurichten, obwohl auch dies nicht ohne Widerstand passierte.451 Dieser Zustand änderte sich jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit war Vorarlberg die am intensivsten von der Industrialisierung ergriffene Region der Monarchie. Die wachsende Anzahl der ArbeiterInnen sowie deren soziale Lage zeigten sich auch in politischen und kulturellen Bereichen der Gesellschaft. Obwohl der Liberalismus mit den 1860er Jahren in Vorarlberg politischen Einzug fand, so spiegelte sich dies nicht in der politischen Haltung der Mehrheit der Bevölkerung wider.452 Insbesondere das Vorarlberger Volksblatt verfasste zahlreiche Artikel zur Abwehr der Aktivitäten der jüdischen Gemeinde. Die Angriffe galten in den 1880er Jahren vor allem der jüdischen Privatschule. Diese rückte aufgrund der Tatsache, dass sie christliche Kinder aufnahm, wie auch aufgrund ihrer liberalen Haltung bzw. ihrer von außen konstruierten »Confessionslosigkeit«453 ins Zentrum der Aufmerksamkeit des konservativ-katholischen Vorarlberger Volksblattes. »Hohenems, 21. März. Während fast in der ganzen Welt die Bevölkerung sich von den Fesseln jüdischer Knechtschaft zu befreien sucht, erleben wir hier das widerliche Schauspiel, dass katholische Eltern ihre Kinder in die israelitische Schule schicken. Wir wollen heute nicht untersuchen, ob hiebei ein gewisser Einfluss oder gar Druck auf solche Eltern ausgeübt werde oder nicht, Thatsache ist, dass circa 10 katholische Kinder die Judenschule besuchen. Das führt zu großen Missständen. […] Unser hochw. Herr Pfarrer hat in Erkenntnis und getreuer Erfüllung seiner Pflicht nicht ermangelt, diesen Missstand zur Kenntnis der Schulbehörde zu bringen und wie wir nun zu unserer vollsten Befriedigung und Genugthuung vernehmen, hat der k.k. Landesschulrath ungesäumt vollständige Abhilfe geschafft, indem er die Aufnahme katholischer Kinder in die israelitische Schule verboten hat.«454

Antisemitische Agitationen wurde in Hohenems und Vorarlberg generell politisch instrumentalisiert und aus dem katholisch-konservativen Lager heraus insbesondere gegen den Liberalismus, aber auch gegen die Reichshauptstadt Wien, inszeniert. War der Antisemitismus bis in die 1880er Jahre noch stark vom 450 451 452 453 454

Vgl. Volkov 2000 , 69. Vgl. Walser 1988, 103 – 104. Vgl. Dreier 1988, 132 – 135. Vorarlberger Volksblatt, 21. 07. 1887, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 24. 03. 1896, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Nationalismus und Antisemitismus

131

Kampf gegen den Liberalismus geprägt, wandte er sich aufgrund des Erstarkens der sozialen Frage immer mehr einer politischen Verwendung zu, die im Laufe der 1890er Jahre radikale Auswüchse annahm und zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch rassistische Elemente aufgenommen hatte.455 Neben dem deutschnationalen Milieu wird der Antisemitismusdiskurs während der 1880er Jahre auch im entstehenden sozialistischen Arbeitermilieu aufgegriffen. Das Manifest, das Ende des Jahres 1883 in Deutschland und Ungarn von Karl Krausky veröffentlicht werden sollte, fiel der Polizei in die Hände und wurde nie publik gemacht. Interessant hierbei ist die Thematisierung der Politisierung der Antisemitenbewegung und des Nationalitätenkonflikts. »In Deutschland, namentlich aber in Österreich, zieht die Antisemitenbewegung immer weitere Kreise. Hand in Hand geht damit die steigende Nationalitätenverhetzung, und bereits sind Not und Elend hoch genug gestiegen, um das verzweifelte Volk in blutigen Aufstand hineinzutreiben. […] Es sind heute nicht nur die Arbeiter allein, welche die herrschenden Klassen bedrohen, sondern ebenso das Kleinbauern- und Kleinbürgertum. Diese beiden Stände werden immer gewalttätiger auftreten, je mehr der Zersetzungsprozeß fortschreitet, dem sie gegenwärtig erliegen. […] Nicht die Geburtswehen einer neuen, sondern die Todeszuckungen einer alten Gesellschaft sind es, die sich in der Judenhetze Ungarns offenbaren. Diese Judenhetzen aber werden und müssen sich in verstärktem Maße wiederholen, und sie werden schließlich nicht den Juden allein, sondern allen Besitzenden gelten.«456

Die Aufdeckung der Verbindung der Antisemitismusbewegung und der »steigenden Nationalitätenverhetzung« zeigt wesentliche Ansatzpunkte der sozialdemokratischen Bewegung. Fraglich sind in diesem Textfragment jedoch der letzte Satz, der die »Judenhetzen« aufgreift und deren Wiederholung fordert, bis sie »allen Besitzenden gelten«, und seine Bedeutung. Es ist anzunehmen, dass weniger der jüdischen Bevölkerung als der besitzenden Schicht entgegengewirkt werden sollte, dennoch ist die Formulierung sowie der dadurch vermittelte Inhalt in Bezug auf den gesellschaftlichen Diskurs zu hinterfragen. Das am Hainfelder Parteitag vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 beschlossene Programm der Sozialdemokratie, welches von Victor Adler ausgearbeitet wurde, zeigt die Bestrebungen des sozialistischen Lagers, die Trennung von Kirche und Staat durchzusetzen und die »Erklärung der Religion als Privatsache«457 voranzutreiben, wodurch sich eine Verwendung antisemitischer Versatzstücke eigentlich ausschließt. Dennoch wird später sichtbar, dass auch die Arbeiterpartei nicht gegen die gesellschaftliche Entwicklung und Ausbreitung des Antisemitismus gefeit war. Im Unterschied zum deutschnationalen und 455 Vgl. Weitensfelder 2008, 89 – 92. 456 Brügel 1922, 318 – 320. 457 Ebd., 400 – 420.

132

»Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880«

ebenfalls gerade entstehenden christlichsozialen Lager wurde er jedoch nicht zentraler Mittelpunkt der Partei.458 Die Sozialdemokratie war jedoch auch »weit davon entfernt, die Arbeiter gegen antisemitische Vorurteile zu immunisieren«459, da sie in ihrer Rhetorik antisemitische Stereotypen weitertrug und damit deren Entwicklung im gesellschaftlichen Diskurs unterstützte. Zusammenfassend wird deutlich, dass die Hervorhebung eines deutschnationalen Standpunktes nicht ausschließlich dem politischen deutschnationalen Lager vorbehalten war. Deutsch und national wurden in den 1880er Jahren zunehmend zentrale Begriffe des Alltags und der Entwicklung einer österreichischen Nationalidentität. Abgesehen von einem radikal-deutschnationalen Standpunkt, der tatsächlich eine Auflösung der Monarchie vorsah und sich eine staatliche Angliederung an das Deutsche Reich wünschte, zeigt sich in den breiten Bevölkerungsschichten noch immer die Dynastie im Mittelpunkt. Eine österreichische Identität ohne das Kaiserhaus und ohne die Donaumonarchie schien keine Option zu sein. Auch verhindert der zunehmende Nationalitätenkonflikt eine konzentriertere Auseinandersetzung mit einer »übernationale[n] Gesamtstaatsideologie«460, wie Kirchhoff festhält. Nationale Argumentationen innerhalb der Politik, nationale Kollektivsymbolik sowie eine emotionale Bindung an die Konstruktion eines deutschen Volks in Österreich kennzeichnen die Entwicklungen der 1880er Jahre. Rumpler und Urbanitsch sehen darin eine zunehmende Ausformung hin zu einer Vorstellung vom »österreichischen Deutschen«461. Die Betonung der spezifischen Unterschiede zwischen Milieu und Region scheint mir hier zentral, da dies nur auf gewisse Gruppierungen der Gesellschaft zutrifft. Wesentlich ist im Endeffekt immer noch die Differenzierung von den Reichsdeutschen, da die Position der Deutschösterreicher innerhalb der Monarchie trotz des zunehmend Machtverlustes und des anwachsenden Nationalitätenkampfes immer noch als befriedigender empfunden wird, als die Situation nach einer Eingliederung in das Deutsche Reich jemals sein könnte. Wie der Abgeordnete Fux in einer Rede festhielt, war die Rolle der Deutschösterreicher als Teil des Deutschen Reiches nicht erstrebenswert. »Eben weil wir den Bestimmungsgrund und die Triebfeder unseres Österreichthums so genau kennen, eben deshalb sind wir auch gute und treue Österreicher ; eben weil wir wissen, daß ein großes Culturvolk, wie die Deutschen, nicht an der Leitha und am Jablunkapaß stehen bleiben darf, daß wir eine große Culturmission in Österreich zu erfüllen haben und als Bürger dritter Classe in Deutschland nicht erfüllen könnten, daß 458 459 460 461

Vgl. Wistrich 1990, 170. Ebd., 195. Kirchhoff 2010, 69. Rumpler/Urbanitsch 2006, 101.

Nationalismus und Antisemitismus

133

die größte Garantie dieser Culturmission eben die Selbstständigkeit des Donaureiches und seine gedeihliche Entwicklung ist;«462

462 Stenographiesche Protokolle des Abgeordnetenhaus, 6. Session, 30. Sitzung, 01. 04. 1871, 469. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek.

5.

Die Radikalisierung der Gesellschaft

»Ja, aber was ist denn »österreichisch«? Wir fühlen es alle und keiner kann es doch sagen. […] Was war es, das es geschaffen hat? Wie hat es sich am Anfang geäußert? Wo hat man es zuerst aufgespürt? Dann würden wir erst wissen, was wir jetzt bloß fühlen dürfen: dann würden wir wissen, was das Österreichische ist, könnten es schildern, betrachten, definieren und wären fähig, es zum Maß unserer Dinge zu nehmen.«463

Hermann Bahr verweist in seiner Geisteshaltung und seinen Werken immer wieder auf gesellschaftliche Diskurse und tritt damit als zentraler Diskursteilnehmer sowie auch –gestalter seiner Zeit auf.464 Seine antiliberale Haltung der 1880er Jahre war ebenso Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung465 und der jugendlichen Ablehnung der Ideale seiner Elterngeneration wie seine Auseinandersetzung mit den Begriffen um die Entstehung des Österreichbewusstseins und des wachsenden Antisemitismus während der 1890er Jahre. Damit griff er in seiner individuellen Situation zentrale kollektive Entwicklungen dieses Jahrzehnts auf. Die zunehmende Politisierung der Kategorie Antisemitismus und die damit verbundene gesellschaftliche Ausweitung ließen eine Diskursentwicklung außerhalb radikaler Teilbereiche der Gesellschaft zu. War Antisemitismus während der 1860er und 70er Jahre im konservativ-katholischen Lager stärker in der Abgrenzung vom Liberalismus definiert, und während der 1880er Jahre im deutschnationalen Lager als Ausdruck von Antiklerikalismus, Antiliberalismus, Antislawismus, Antimagyarismus und antidynastischem Verhalten, so wird durch die Vorarbeit dieser Milieus die Breitenwirksamkeit des Diskurses in den 1890er Jahren gewährleistet. Ende der 1880er Jahre wurde die christlichsoziale Bewegung ins Leben gerufen. Karl von Vogelsang, Redakteur von Das Vaterland, begründete diese christliche Sozialreform. Innerhalb dieser Bewegung wurde so deutlich wie noch nie zuvor die Verbindung zwischen der sozialen Frage und der Judenfrage sichtbar.466 Der christlich inspirierte Sozialismus, wie Vogelsang ihn vertrat, fand Resonanz in der Gesellschaft und bereitete den Weg für die christlichsoziale Partei. Karl Lueger, während der 1870er Jahre noch liberal orientiert, entwickelte in den 1880er Jahren einen ausgeprägten Antiliberalismus, der auch mit antisemitischen Äußerungen einherging. Eine Verbindung mit Schönerer kam nicht 463 464 465 466

Bahr 1976, 317. Vgl. Wunberg 2001, 348. Vgl. Farkas 1998, 83 – 100. Vgl. Schubert 2008, 95.

136

Die Radikalisierung der Gesellschaft

zustande und so erschienen die christlich-sozialen Ideen Vogelsangs zur richtigen Zeit.467 Bereits Anfang der 1890er veranstaltete die sozialistische Partei am 1. Mai Versammlungen im Wiener Prater, denen Lueger eine Prozession zu Fronleichnam entgegensetzte.468 Lueger wurde in Wien tief verehrt, so beschreibt Felix Salten diese außerordentliche Beliebtheit Luegers während der Fronleichnamsprozession. »Jetzt geht er in der Fronleichnahmsprozession vor dem Baldachin her. Die Glocken läuten, die Kirchenfahnen wehen, und das brausende Rufen der Menge empfängt den geliebten Mann, der nach allen Seiten dankt, grüßt, lächelt.«469

5.1

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

Nach den Wahlen im Frühjahr 1895 erzwangen die Liberalen aufgrund ihrer schwindenden politischen Macht und der Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen Neuwahlen. Erich Graf von Kielmansegg löste am 30. Mai 1895 als Vorsitzender der Übergangsregierung470 den Wiener Gemeinderat auf und gab Anweisung, die Wahlen im September 1895 abzuhalten, um die politische Lage in der Stadt über den Sommer zu entschärfen; genau das Gegenteil war der Fall. Während die meisten liberalen Politiker die Stadt für den Sommer verließen, befahl Lueger den Christlichsozialen zu bleiben und Wahlkampf zu betreiben. Dies führte dazu, dass der Wahlkampf des Sommers 1895 bisher noch nie dagewesene Ausmaße annahm und die zunehmende Macht der politischen Massenbewegungen zeigte.471 Bereits vor der Eskalation der politischen Krise wurde Wien im Mai 1895 zu einem heißen Pflaster. Bei einer Wahlveranstaltung der Wiener Christlichsozialen im Musikvereinssaal wurde die »Rückeroberung Wiens durch die Christen«472 gefeiert, wie die Reichspost am nächsten Tag euphorisch von der Veranstaltung berichtete. »Das ist das wiedereroberte Wien, aber das von den Christen wiedereroberte Wien!«473 Auf dieser Wahlveranstaltung wurde auch die Resolution der christlichsozialen Partei veröffentlicht und am nächsten Tag in der Reichspost abgedruckt. In ihr wird die Nähe zur Dynastie und zum Kaiser deutlich. 467 468 469 470 471 472 473

Vgl. Johnston 2006, 73 – 75. Vgl. Ebd., 72. Salten 1910, 135. Vgl. Goldinger 1977, 580. Vgl. Boyer 2010, 162 – 164. Reichspost, 18. 05. 1895, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

137

»Als österreichische Reformpartei hält sie in angestammter Treue zu Kaiser und Reich und bewahrt der allerhöchsten Habsburger Dynastie, mit welcher Österreich Bestand und Wohlfahrt aufs Innigste verknüpft ist, für immer jene volle Ergebenheit, welche ein bleibendes Erbe aller wahren Österreicher ausmacht.«474

In der Verwendung des Begriffes »Österreich« wird deutlich, dass dieser mit der Gesamtmonarchie gleichgesetzt wurde, wie in christlich-konservativer Tradition üblich. Damit grenzte sich die christlichsoziale Partei vom deutschnationalen Lager ab, das der dynastischen Frage negativ gegenüber stand. Weiter erklärt sie zudem, dass ihr Hauptziel in der Unterstützung der Gesellschaft läge, die durch die »unheilvolle Herrschaft des Liberalismus zerüttet«475 worden war. Wesentlich darin sind die christliche Religion und die darin vermittelten Normen und Werte. Auf dieser Versammlung hielten Schlesinger, Pattai und auch Lueger Reden, die den politischen Wahlkampf dieses Sommers definierten. Die Reden von Schlesinger und Pattai thematisierten im Großen und Ganzen mehr oder weniger dasselbe: Der Liberalismus wurde kritisiert und als Schlussfolgerung daraus auch die jüdische Bevölkerung, die mit dem Liberalismus gleichgesetzt wurde. Pattai zeigte den angeblich übermächtigen »Einfluss des Judenthums im Liberalismus«476 auf und Schlesinger sprach die »israelitische Allianz«477 an, welche »die Juden der ganzen Erde«478 miteinander verband. Wesentlich am Ende war vor allem das »Erwachen«479 des christlichen Volkes. Lueger, der Hauptredner der Veranstaltung, zeigte in seinen Ausführungen den Nationalitätenkonflikt sowie den angeblichen Einfluss der jüdischen Bevölkerung darauf und stellte die jüdisch beeinflusste Presse als verantwortlichen Agitator hin. Da in der wissenschaftlichen Literatur über die 1890er Jahre ein zentraler Punkt Lueger als Person ist, werde ich mit dem Aufgreifen dieser einen Rede im Besonderen seine Rolle in der Diskursgestaltung um die österreichische Nationalidentität und die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz des Antisemitismus aufzeigen. Natürlich kann seine politische Karriere und Entwicklung nicht in einer einzigen Rede festgehalten werden, seine Diskursposition tritt jedoch in dieser besonders hervor und unterstreicht die wesentlichen Entwicklungsmomente der 1890er Jahre. »Es ist übrigens merkwürdig in unserem lieben Vaterlande. Der Deutsche darf den Czechen hassen, der Czeche darf den Deutschen hassen, wir dürfen die Polen hassen, wir dürfen die Ruthenen hassen, wir dürfen, ich weiß nicht wen hassen. Alle die dürfen 474 475 476 477 478 479

Reichspost, 18. 05. 1895, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2. Ebd., 1. Ebd., 2. Ebd., 2. Vgl. Ebd., 2.

138

Die Radikalisierung der Gesellschaft

wir hassen, da verletzen wir die Staatsgrundgesetze nicht, aber wenn wir die Juden nicht anbeten, da verletzen wird die Staatsgrundgesetze. (Demonstrativer Beifall und stürmische Hochrufe.) Die Judenpresse hat alle Stände durcheinander gehetzt und alle Nationen durcheinander gesetzt (Sehr richtig!), sie hat den Bauer gegen den Gewerbsmann, den Gewerbsmann gegen den Bauer, alle Anderen gegen den Adel und gegen den Clerus gehetzt – das verletzt die Staatsgrundgesetze nicht.«480

In diesem Textfragment wird sichtbar, dass Lueger, ebenso wie im politischen Programm der Partei festgehalten, in der Definition Österreichs die Gesamtmonarchie sieht, die jedoch im Sinne nationaler Begrifflichkeiten als »Vaterland« bezeichnet wird. Dies geschah wahrscheinlich auch um die Abgrenzung von anderen politischen Gruppierungen, die den Vaterlands-Begriff mit Deutschland in Verbindung brachten zu erreichen. Wesentlich in seiner Beschreibung der gegenwärtigen politischen Lage in Österreich wird der Nationalitätenkonflikt, wobei das Judentum darin angeblich eine zentrale Rolle spielt. In der Art und Weise der Verwendung von Syllogismen wird deutlich, dass Lueger nicht nur rhetorisch begabt war, sondern eine fundierte universitäre Ausbildung genossen hatte. In der Vereinfachung der Schlussfolgerung zeigen sich zwei inhaltliche Elemente. Zum einen der Verweis auf die gegenwärtige Situation, indem Deutsche, Tschechen und Ruthenen als nationale Gruppierungen aufgezählt werden und ihre feindselige Haltung als etwas Normales konstruiert wird. Zum anderen wird der Schluss gezogen, dass es widernatürlich sei, dass die Juden in diesen Prozess nicht miteinbezogen werden dürften. »Alle die dürfen wir hassen« bezieht sich auf alle Nationen, während das Judentum davon jedoch ausgenommen werden muss, da hiermit »die Staaatsgrundgesetze« verletzt werden würden. Da mittlerweile die Imagination des Judentums als Nation vorherrschte und eine Abgrenzung vom Judentum aus religiösen Motiven nur bedingt modern und fortschrittlich war, erfolgte auch hier wieder eine Konstruktion als nationale Gruppierung. In diesem Sinne verläuft auch der zweite Teil des Textes, der nach den Verantwortlichen für die Konflikte innerhalb der Gesellschaft zwischen den einzelnen sozialen Milieus sowie für den Nationalitätenkonflikt fragt. Diese Frage wird gleich im Anschluss beantwortet: die »Judenpresse hat alle Stände durcheinander gehetzt und alle Nationen durcheinander gesetzt«. Durch diese angebliche Übermacht einer Gruppierung in der Gesellschaft wird nach einer Lösung für die Herstellung eines angenommenen Ausgleichs nachgedacht. Die »Gleichberechtigung der Christen«481 steht im Mittelpunkt, ebenso wie »unser christliches Volk wirthschaftlich unabhängig«482 zu machen. Auch Lue480 Reichspost, 18. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 481 Ebd., 4. 482 Ebd., 4.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

139

ger war nach der Niederlage bei Königgrätz in seiner Identität erschüttert und zeigte dies in der expliziten Ablehnung des Ausgleichs mit Ungarn,483 der sich in der antimagyarischen Parteihaltung wie auch in seinen Reden widerspiegelt. Zentral verbunden mit der antimagyarischen Haltung ist eine antisemitische, die deutlich Abgrenzungsbemühungen von beiden Gruppierungen offenlegt. »Wir in Österreich werden dies zu verhindern wissen, bei uns in Österreich gibt es keine Kossuth’s484, Wekerle’s485 und Banffy’s486. (Tosender Beifall.) Wir in Österreich dürfen das nicht dulden, was dort unten in Ungarn gegen die Dynastie geschieht – und da fragen wir uns auch nicht, ob es genehm ist oder nicht, wir sind Soldaten und erfüllen unsere Pflicht. (Lebhafter Beifall.) Wir fürchten uns vor Freimaurern und Juden nicht (Demonstrativer Beifall), wir werden kämpfen für die Freiheit unserer christlichen Völker, kämpfen für die Freiheit unserer Kirche, kämpfen für deutsche Art und Sitten, so lange noch ein Blutstropfen in unseren Adern rollt und ein Ton in unserer Kehle steckt. (Nicht endenwollender Beifall.)«487

Die Rede steigert sich in ihrer Emotionalität und nähert sich beständig ihrem Höhepunkt. In diesem Textfragment wird das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppierung elementar in der Verwendung der Begriffe »wir« und »unser« gesteigert. Die Phrasen »Wir in Österreich« oder »bei uns in Österreich« unterstreichen neben dem Gemeinschaftsgefühl außerdem die regionale Definition des Heimatlandes. Damit wird deutlich, dass die Redewendungen und symbolischen Metaphern, obwohl Österreich als Monarchie definiert und die Position der ungarischen Bevölkerung »gegen die Dynastie« angesprochen wird, der Bildsprache einer Nationserzählung entsprechen.488 Die Zuschreibung »wir« wird insgesamt sechs Mal verwendet, während die Bezeichnung »uns«, in verschiedenen Ausformungen sogar neun Mal eingesetzt wird. Im Verhältnis zu den hier in diesem Textfragment verwendeten Wörtern wird damit deutlich, dass sich über 7 % des Textes ausschließlich auf die Definition der Gruppe beziehen. Zudem wird diese in den gebrauchten Redewendungen in ihrer Symbolik noch weiter verstärkt. So wird die Gemeinschaft als eine kriegerische definiert. Dies wird in der Aussage »wir sind Soldaten« angesprochen und die geforderte Aufgabe als »unsere Pflicht« beschrieben. Diese Aufgabe ist nun, gegen »Freimaurer« und »Juden« in den Kampf zu ziehen. Verteidigt werden dabei »die 483 Vgl. Johnston 2006, 78. 484 Ungarischer Ministerpräsident 1848/49. Kossuth von Udvard und Kossut Lajos trat für die Unabhängigkeit Ungarns ein und wird als Nationalheld verehrt. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1969, 152 – 153. 485 Ungarischer Ministerpräsident zwischen 1892 bis 1895. Vgl. Von Geyr 1993, 18. 486 Ungarischer Ministerpräsident 1895 – 1899. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1957, 48. 487 Reichspost, 18. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 488 Vgl. Hobsbawm 1990, Anderson 1993, oder Heer 1996.

140

Die Radikalisierung der Gesellschaft

Freiheit unserer christlichen Völker«, »unserer Kirche« und auch die »deutsche Art und Sitten«. Das Ende dieses Kampfes wird nicht definiert, jedoch die Höhe des Einsatzes, der von den Mitstreitern erwartet wird, »so lange noch ein Blutstropfen in unseren Adern rollt und ein Ton in unserer Kehle steckt.« Diese Kriegsmetaphorik zeigt die Aggressivität und Emotionalität des Textes, die in der Kernaussage eine extreme Ausgrenzung anderer Gruppierungen fordert.489 An dieser Stelle der genauen Definition der gegnerischen Gruppierung und der Reaktion auf deren Haltung folgt eine Überleitung auf die Motivation der Rede, die Gemeinderatswahlen in Wien. In der Konstruktion einer historischen Kontinuität, wird die Bedeutung der Thematik weiter unterstrichen. »Unsere Vorväter […] entzündeten dann Feuer auf den Bergen und forderten das gesammte Volk auf, zu den Waffen zu greifen, denn der Feind rückte heran. Ein solches weithin leuchtendes Feuerzeichen sind die Gemeinderathswahlen der Stadt Wien, sie fordern, es möge sich das christliche Volk erheben und verkünden den deutschen und slavischen Brüdern: Der Tag der Befreiung naht! (Tosender nicht endenwollender Beifall) Und sie alle werden sich erheben, dess‹ bin ich gewiß! […] Sie werden die Schmarotzer wegfegen, die den Honig der Arbeit rauben, die Schlingpflanzen zerreißen, welche den Baum zu ersticken drohen, sie werden die geistige Binde uns wegreißen, welche die Juden um unserer Augen gelegt haben, und sie werden erkennen, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde sind. Der Tag der Befreiung naht her, christliche Völker, und mit diesem Tag endet die lange Nacht judenliberaler Herrschaft. (Allseitiger, brausender Beifall und Hochrufe).«490

Die Gemeinderatswahlen Wiens werden als leuchtendes Beispiel und Möglichkeit für das christliche Volk dargestellt, um sich des wachsenden jüdischen Einflusses zu entledigen. Mit der Wahl der christlichsozialen Partei werden Veränderung und Neuanfang versprochen. Auf der Ebene der Textkohärenz zeigt sich, dass die Gemeinderatswahlen als zentraler Entscheidungstag gezeichnet sind, an dem sich das »christliche Volk« erheben wird. Interessant ist, dass neben der deutschen Gruppierung auch die »slavischen Brüder« in diesem Kampf als Verbündete genannt werden. Während die magyarische Bevölkerung mit dem Ausgleich von 1867 als direkter Konkurrent um die Machtposition in der Monarchie gesehen, und in der Diskussion um politische und wirtschaftliche Alltagsauseinandersetzungen negativ besetzt wird, scheint die slawische Gruppierung im christlichsozialen Milieu als Verbündete im Kampf gegen das Judentum auf. Im Gegensatz zum liberalen Lager, in welchem die nationalen Bestrebungen grundsätzlich als gefährlich angesehen wurden. Zusammenfassend wird deutlich, dass mehrere politische und gesellschaftliche Gruppierungen in der Rede als negativ empfunden wurden und eine 489 Vgl. Boyer 2010, 167. 490 Reichspost, 18. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

141

sprachliche Abgrenzung von diesen stattfand. Erstens war dies die ungarische Bevölkerung, zweitens die politischen Lager der deutschnationalen sowie der liberalen Opposition und drittens die jüdische Gemeinschaft. In der Darstellung innerhalb Luegers Rede wird einerseits sehr stark auf nationale Symbolsysteme zurückgegriffen, während andererseits das Judentum als Gegenstück zum Christentum stilisiert wird. Dem widerspricht wiederum der eingangs konstruierte Nationalitätenkampf und die als ungerechtfertigt empfundene Ausklammerung des Judentums aus diesem. In diesem Text wird die Ambivalenz gesellschaftlicher Prozesse deutlich, die differenziert zu interpretieren sind. Lueger entwickelt sich, obwohl zu Anfang seiner politischen Karriere liberal orientiert, zu einer Galionsfigur des christlichsozialen politischen Lagers. Österreich als Sinnbild für eine christliche Monarchie stand im Mittelpunkt seiner politischen Entwicklung. Dies spiegelte wahrscheinlich auch Luegers persönliche Anschauungen wider, da er angeblich während seiner Studentenzeit behauptet hatte: »Wenn man mich auseinanderschneiden würde, würde man finden, daß ich in meinem Inneren schwarz-gelb gestreift bin«491. Dies erklärt auch seine starke Ablehnung des Ausgleichs mit Ungarn. Mit großer Wahrscheinlichkeit distanzierte er sich mit dieser Aussage auch von den nationalen Bestrebungen der Studentenschaft seiner Zeit. Bereits in den 1880er Jahren wurde er aus deutschnationaler Sicht jedoch in seiner politischen Haltung als antisemitisch beschrieben. Der Österreichische Volksfreund berichtete 1882 von einer Wählerversammlung im Bezirk Landstraße, bei der Lueger in einer Rede seine politischen Haupttätigkeiten aufgriff, die der Österreichische Volksfreund wie folgt beschrieb: »[…] den Kampf gegen das überall die Korruption anstrebende internationale Kapital, den Kampf gegen jene Geldmächte, welche, ohne Vaterland und ohne Moral, das Volk aussaugen und dem Ruine zuführen! Der endlose Jubel, der diesen Worten des Herrn Dr. Lueger folgte, gibt ein neues Zeugniss, dass die antisemitische Bewegung tief im Herzen des Volkes wurzelt […].«492

Der »Kampf« gegen das »internationale Kapital« und die »Geldmächte«, die »ohne Vaterland« gegen das Volk vorgehen, zeigt klassische antisemitische Stereotype dieser Zeit. Auch der Abschluss des Artikels, der auf die tiefe Verwurzelung dieser »antisemitische[n] Bewegung« verweist, unterstreicht die Zustimmung, die Lueger zu diesem Zeitpunkt, bis zu einem gewissen Grad zumindest, aus dem deutschnationalen Lager erfahren hatte. Aus jüdisch-liberaler Sicht wird die Position Luegers im Antisemitismusdiskurs ambivalent gesehen. So wird sein Einsatz des Antisemitismus zum einen 491 Kuppe 1947, 19. 492 Österreichischer Volksfreund, 19. 03. 1882, 9. Österreichische Nationalbibliothek.

142

Die Radikalisierung der Gesellschaft

als reine politische Agitation verharmlost bzw. die politischen Ereignisse dieser Zeit aus der Sicht später verfasster autobiographischer Erzählungen aufgrund der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts493 ausgeblendet. Zum anderen finden sich teilweise Hinweise auf die alltäglichen Ereignisse der 1890er Jahre und die Person Luegers. So ist Alfred Marills Erinnerung an seine Schulzeit mit den Rufen »Hoch Lueger«494 sowie »Nieder mit den Juden«495 verbunden. Die rasante Politisierung infolge des steigenden Einflusses der Massenparteien und die damit verbundenen Dynamiken in Bezug auf den Diskurs des Antisemitismus sowie der Nationalidentität zeigen sich darin besonders deutlich.496 Arthur Schnitzler zum Beispiel schreibt zu seinem Tod im Jahre 1910 allein über die Privatperson Luegers, wobei seine politische Karriere in diesem Tagebucheintrag fast vollständig ausgeklammert wird. »Heut früh starb Bürgermeister Lueger. Vor etwa 30 Jahren war ich bei meinem Onkel Mandl oder bei Dr. Ferdinand Mandl (Louis Vater) mit ihm zusammen – er spielte Tarok. Vor etwa 5 Jahren am Semmering im Schnee fuhr er an mir vorüber. Sonst sah ich ihn nie nahe.«497

Dennoch schreibt Schnitzler noch 1917, dass diese Vertrautheit mit dem jüdischen Milieu gleichzeitig mit seiner politisch-antisemitischen Agitation für ihn gerade »immer als der stärkste Beweis seiner moralischen Fragwürdigkeit«498 gegolten hatte. Karl Kraus sieht in ihm, wie auch in anderen antisemitisch agierenden Politikern das Problem, dass deren »komischer Gehalt« für einen Satiriker kein Betätigungsfeld mehr biete da er zu offensichtlich sei. »Für einen Satiriker ist in unserm öffentlichen Leben kein Platz mehr. […] Unser Antisemitismus beispielsweise verlangt keine satirische Individualität ersten Ranges, einem Lueger oder gar primitiven Helden, wie es die Herren Schneider und Vergani sind, kann auch eine mäßige ironische Begabung beikommen, ihr komischer Gehalt ist unschwer zu ergründen.«499

Wesentlich kontroverser sieht Felix Salten in seinem Essay »Das österreichische Antlitz« 1910 die politischen Entwicklungen der 1890er Jahre und die Person Luegers. Die Lage in der Stadt Wien war gekennzeichnet von gesellschaftlicher Unzufriedenheit und sozialen und kulturellen Spannungen. Da diese nicht we-

493 494 495 496 497 498 499

Vgl. Zweig 2002. Erinnerungen Alfred Marills. In: Lichtblau, 1999, 99. Ebd., 99. Vgl. Ley 2007, 17. Tagebucheintrag 10. 03. 1910. Schnitzler 1981b, 132. Schnitzler 1981a, 142. Wiener Brief. Die Gesellschaft, 12/2 (1896), 252 – 254. Zitiert in: Kraus 1979, 242.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

143

sentlich verändert wurden, »mussten die darin eingelagerten, explosiven Spannungen in anderer Form thematisiert werden.«500 »Die breite Masse der Kleinbürger aber irrt führerlos blökend wie eine verwaiste Herde durch die Verammlungslokale. Und alle sind von der österreichischen Selbstkritik, von der Skepsis, von der österreichischen Selbstironie bis zur Verzagtheit niedergedrückt. Da kommt dieser Mann und schlachtet – weil ihm sonst alle anderen Künste mißlangen – vor der aufheulenden Menge einen Juden. […] Es ist seine erste monarchisch-klerikale Tat: Der allgemeinen Unzufriedenheit den Weg in die Judengassen zu weisen; dort mag sie sich austoben.«501

Der Person Luegers wird damit eine entscheidende Rolle in der Diskursgestaltung zugewiesen, auch wenn dieser Text die Thematik literarisch dramatisiert. Luegers Politik festigte mit Sicherheit die österreichische nationale Identität, indem er die Bevölkerung auf Monarchie und Dynastie einschwor. Infolge der populistischen Verwendung antisemitischer Agitationen, die allerdings kaum rassistisch inspiriert waren502, lieferte sie durch Verbreitung und Desensibilisierung innerhalb der Gesellschaft die Basis für weitere Entwicklungen und radikale Ausformungen. Dies führte wieder zu den Ereignissen des Wahlkampfes im Sommer bzw. zu den Wahlergebnissen des Herbstes des Jahres 1895. »Der antisemitische Radau, welcher derzeit in Wien als Wahlbewegung bezeichnet wird, nähert sich dem Höhepunkte. […] Doch nicht was von den antisemitischen Parteihäuptern gesprochen wurde, ist es, was wir besonders bemerkenswerth finden. So grauenhaft die sittliche Verwilderung ist, welche allein es möglich macht, daß derlei Behauptungen ohne den Versuch einer thatsächlichen Begründung gewagt werden können […]; wir sind diese Methode durch vierjährige Übung zu sehr abgestumpft, um den aussichtslosen Kampf gegen dieselbe neuerdings aufzunehmen. […] Der Patriotismus hat damit einen Grad erreicht, wie es nur nach reichlich genossenen Tafelfreuden in fortgeschrittener Feststimmung seinesgleichen findet.«503

Die liberale Presse greift die Problemfelder der Diskursposition Luegers auf, indem die »sittliche Verwilderung« die Radikalisierung aufgreift und dabei festgestellt wird, dass die Gesellschaft infolge der politischen Entwicklungen der letzten Jahre bereits »zu sehr abgestumpft« ist. Wie in der Karikatur des Kikerikis dargestellt wird, fällte Lueger den Baum des »Judenliberalismus«. Der Text über der Grafik beschreibt: »Wie seinerzeit der heilige Bonifazius vor den Augen der entsetzten Heiden Donar’s Eiche fällte« und führt unterhalb weiter aus »so hat Dr. Karl Lueger, der am Bonifaziustage zum Vizebürgermeister gewählt wurde, dem Baum des Judenliberalismus den tödt500 501 502 503

Maderthaner 2006, 239. Salten 1910, 132. Vgl. Maderthaner 2006, 239. Neue Freie Presse, 05. 09. 1895, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

144

Die Radikalisierung der Gesellschaft

lichen Streich versetzt«504. Unterhalb der Schlagmarke ist am Stamm des Baumes »Judenliberalismus« zu lesen, während auf den drei bereits am Boden liegenden Ästen die Namen der Politiker Richter, Matzenauer und Grübl zu lesen sind.

Abb. 10: Karikatur Lueger. Kikeriki, 23. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Neben den augenscheinlichen christlichen und antisemitischen Ebenen ist eine anti-deutschnationale Struktur zu erkennen, indem die Erzählung des Hl. Bonifatius aufgegriffen bzw. der Fall einer germanischen Eiche in die Karikatur eingebaut wurde. Der Sieg des Christentums und des Antisemitismus über den Liberalismus und das Judentum ist jedoch Kernaussage der Darstellung. Der Wahlkampf wurde im Laufe des Septembers 1895 immer extremer und die unterschiedlichsten Verleumdungen von christlichsozialer und liberaler Seite gegen das jeweils andere Lager häuften sich.505 Das Vaterland spricht »angesichts des Wolkenbruchs von Mißtrauensvoten«506 gegen das liberale Lager 504 Kikeriki, 23. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 505 Vgl. Boyer 2010, 163. 506 Das Vaterland, 05. 09. 1895, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

145

von nachvollziehbaren Entwicklungen in der Bevölkerung. Der Herausgeber Alfred Regner und der Redakteur der Wiener Neueste Nachrichten, Eduard Ballaban, wurden angeklagt, da sie direkte antisemitische Aussagen in ihrem Blatt getätigt hatten. Der Verteidiger Robert Pattai argumentierte, dass diese »nicht gegen die gesammte Judenschaft gerichtet«507 waren und erwirkte einen Freispruch. Auch Adolf Swoboda, Herausgeber der Zeitschrift Mit Vereinter Kraft wurde aufgrund der Verleumdungen in einem Artikel gegen die christlichsoziale Partei verklagt. Darin hieß es: »Wir wollen uns hier mit diesem vom Pfaffengeldern erhaltenen ehrlosen Gesindel nicht länger befassen […] diese ehrlosen Volksverräther und Schufte sollen es büßen.«508 Auch er wurde freigesprochen. Dies zeigt einerseits, dass es in dieser aufgeheizten Stimmung sehr rasch zu verleumderischen Artikeln gegen das oppositionelle Lager kam, andererseits auch, dass sich die Lage in der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf Antiklerikalismus und Antisemitismus zuspitzte. Der Wahlkampf des christlichsozialen Lagers zeigte Wirkung und Lueger wurde zum Bürgermeister gewählt, jedoch vom Kaiser nicht bestätigt.509 Die Reichspost feierte dennoch den Wahlsieg und druckte einen passenden Leitartikel aus der in Brünn erscheinenden Zeitung Brnenskeho Draka ab, der den Titel »Unser ist der Sieg!«510 trug. Lueger wurde in einem zweiten Wahlgang wiedergewählt, wonach jedoch der Gemeinderat erneut aufgelöst wurde, da darin eine Verletzung des »gesetzliche[n] Bestätigungsrecht[s] der Krone«511 gesehen wurden. Daraufhin versammelte sich eine wütende Menge vor dem Rathaus, die jedoch auch keine Veränderung des Zustandes bewirken konnte.512 Im Frühjahr des Jahres 1896 wurde im zum dritten Mal gewählten Gemeinderat Lueger erneut zum Bürgermeister ernannt und wieder nicht anerkannt. Daher wurde im Mai dieses Jahres Strobach zum Bürgermeister gewählt.513 Dieser trat jedoch bereits im März 1897 wieder zurück. Im fünften Anlauf wurde Lueger am 8. April 1897 zum Bürgermeister gewählt und diesmal auch vom Kaiser in seinem Amt anerkannt.514 Anlässlich der Vereidigung Luegers erfolgte die Aufforderung: »christliche 507 Neue Freie Presse, 09. 10. 1895, Abendblatt, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 508 Neue Freie Presse, 15. 10. 1895, Abendblatt, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 509 Neue Freie Presse, 07. 10. 1895, 1. bzw. Das Vaterland, 07. 10. 1895, 1. oder Deutsches Volksblatt, 07. 10. 1895, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 510 Die Reichspost, 08. 10. 1895, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 511 Das Vaterland, 13. 11. 1895, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 512 Neue Freie Presse, 13. 11. 1895, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 513 Neue Freie Presse, 06. 05. 1896, Abendblatt, 1. Bzw. Das Vaterland, 06. 05. 1896, Abendblatt, 1. 514 Die Reichspost, 09. 04. 1897, 2. Bzw. Das Vaterland, 08. 04. 1897, Abendblatt, 1. Oder Neue Freie Presse, 08. 04. 1897, Abendblatt, 1. bzw. Vgl. Das Vaterland, 20.04,1897, 1. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

146

Die Radikalisierung der Gesellschaft

Wiener beflaggt und illuminirt!«515 Am Abend seines Amtseides bzw. seiner Anerkennung durch den Kaiser fanden in den christlichsozialen bürgerlichen Bezirken Freudenfeiern statt516, während in den Arbeiterbezirken Ottakring oder Hernals »die Straßen Schluchten der Dunkelheit«517 bildeten. Darin wird die zunehmende politische Spaltung Wiens in ein christlichsoziales und sozialdemokratisches Lager deutlich, und damit auch die Veränderung der politischen Landschaft. Der Wahlkampf dieser Jahre unterschied sich zentral von den bisherigen Aktivitäten der politischen Lager. Einerseits lag dies in der Hochstilisierung der Person Luegers, andererseits in den eindeutig politischen Predigten im Raum Wien, die eine Unterstützung Luegers förderten. Zudem wird deutlich, dass zum ersten Mal die weibliche Bevölkerung in politische Aktionen miteinbezogen wurde, was erheblich zur Unterstützung der Wählerschaft beitrug. Die Verknüpfung politischer Ziele mit der Ebene des Privatem, dem die Frau der 1890er definitiv zuzuordnen ist, zeigt die neue Taktik des Wahlkampfes in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß.518 Die Neue Freie Presse tituliert im Dezember 1895 einen Artikel mit der Überschrift »Ein antisemitischer Straßentumult« und beschreibt darin die Ereignisse des 2. Dezembers 1895, als im Volkprater eine »antisemitische Frauenversammlung«519 abgesagt werden musste. »In Folge dessen entstand unter den Frauen, die – wie schon erwähnt – zumeist den bürgerlichen Kreisen angehörten, eine Aufregung und Erbitterung, die sich alsbald in feindseligen Kundgebungen gegen die Juden Luft machten. […] Unter dem unaufhörlichen Geheul: ›Hoch Lueger! Nieder mit den Juden! Kauft nur bei Christen! Aufhängen die Juden! Kauft’s nix bei Juden!‹ wälzt sich der etwa 2000 Köpfe zählende Menschenstrom längs der linken Seite der Praterstraße der Stadt zu; jüdische Passanten, die nicht schnell genug ausweichen, werden angespuckt, insultirt und gestoßen.«520

In Das Vaterland erfolgt nur ein kurzer Bericht, dass die Versammlung stattgefunden hat521, während die Reichspost eine deutliche Gegenposition zu den Darstellungen in der Neuen Freien Presse einnimmt. In dem Lokalteil der Tagesberichte finden sich zwei Bemerkungen zur Versammlung. Erstere beschreibt eine konstruierte Szene, in der zwei jüdische Zuseher diese Versammlung beobachten. 515 516 517 518 519 520 521

Die Reichspost,18. 04. 1897, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 21. 04. 1897, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Boyer 2010, 177. Vgl. Ebd., 169 – 170. Neue Freie Presse, 03. 12. 1895, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 03. 12. 1895, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 03. 12. 1895, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

147

»Einer fragt den Anderen, was ›eigentlich los sei?‹ Worauf der Andere erwiderte: ›H…. sind’s, die den Lueger leben lassen.‹ So weit ist es gekommen bei uns, daß ein schmieriger Hebräer die christlichen Bürgerfrauen Wiens in solcher Weise beschimpfen darf.«522

In dieser Beschreibung, die einzig und allein einer Steigerung der bereits angespannten Situation zuträglich war, wird durch eine konstruierte Beleidigung von jüdischer Seite die Aggression gegenüber dieser Gruppierung gerechtfertigt. Das zweite Textelement reagiert auf die Berichterstattung in der Neuen Freien Presse. »Etwa 2000 Frauen marschierten im geschlossenen Zuge durch den Prater, über die Praterstraße, Ferdinandsbrücke und Rothenthurmstraße, von Zeit zu Zeit »Hoch Lueger« rufend. Die Leopoldstädter Juden waren sehr erstaunt über eine solche Kundgebung und die respectiven Krummbeinigen bei den Geschäften machten verdutzte Gesichter […] Die Judenblätter berichten heute in ihrer bekannten Weise über die Versammlung.«523

In dieser Gegenüberstellung der Berichterstattungen wird deutlich, dass diese natürlich abhängig von der politischen Orientierung der herausgebenden Zeitung war. Während das deutschliberale Lager die Veranstaltung im Negativen überzeichnet, wird sie im katholisch-konservativen Milieu heruntergespielt bzw. umgekehrt. Einigkeit besteht in diesen Textfragmenten jedenfalls in der Anzahl der TeilnehmerInnen und der Route, die diese nach Auflösung der Veranstaltung eingeschlagen hatten. Der neuartige Einsatz der Frau für politische Zwecke macht die Ausweitung der politischen Parteien auf die Massen greifbar. In der Gewinnung der weiblichen Bevölkerung liegt ein wesentlicher Schlüssel für den Erfolg des christlich-sozialen Wahlkampfes von 1895. Die während des Wahlkampfes initiierte Kampagne »Kauft nur bei Christen« zeigte eine eindeutige Wirkung in der wirtschaftlichen Situation des Winters 1895 und aus Berichten geht hervor, dass der Umsatz jüdischer Geschäfte in dieser Zeit tatsächlich zurückging.524 Diese Kampagne wurde auch durch Karikaturen im Kikeriki unterstützt. Das liberale Lager sah in den Entwicklungen um die Gemeinderatswahlen ihre bisherige Vormachstellung in Wien eindeutig schwinden. Abgesehen von dem politischen Debakel selbst war es umso bitterer, diese Position an die christlichsoziale Bewegung zu verlieren, die antisemitische beeinflusst war. Diese emotionale Ebene wird auch in einem Artikel der Neuen Freien Presse aufgegriffen. 522 Die Reichspost, 04. 12. 1895, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 523 Ebd., 6. 524 Vgl. Boyer 2010, 170 – 171.

148

Die Radikalisierung der Gesellschaft

Abb. 11: Karikatur zur Kampagne »Kauft nur bei Christen«. Kikeriki, 08. 12. 1895, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

»Durch fünfunddreißig Jahre war die Gemeindevertretung von Wien liberal. Ihr Werk ist Alles, was Gutes und Großes in Wien geschaffen wurde, was auch nach der Schlacht von Königgrätz unserer Heimat zu einem Mittelpunkte deutscher Gesittung gemacht hat. Durch die liberale Partei ist Wien eine Zierde der Monarchie geworden, auf die alle Deutschen in Österreich mit Stolz blicken konnten. […] Die Regierung muss sich darüber klar werden, ob eine gerechte Verwaltung neben confessioneller Unterdrückung bestehen kann, ob es zufällig ist, dass mehr als hunderttausend friedliche Bürger geängstigt, verfolgt und gedemüthigt werden. […] Die Antisemiten, diese Partei der Rohheit und der empörendsten Bildungsfeindlichkeit, sind im Besitze der Macht. […] Was soll aus unserem Wien werden?«525

Die liberale Regierung hatte die Hauptstadt – der »Mittelpunkte deutscher Gesittung« – die letzten fast vier Jahrzehnte geleitet; nun war diese Zeit vorüber. Mit dem Aufgreifen der »Schlacht von Königgrätz« wird historische Kontinuität konstruiert, die den Beginn der Glanzzeit dieser Epoche anzeigt. Mit der Machtübernahme der Christlichsozialen wird nicht nur eine grundlegende gesellschaftliche Entwicklung sichtbar, sondern auch die damit verbundenen politischen Bewegungen. Ein zentraler Punkt in der christlichsozialen Politik war die Förderung eines österreichischen Nationalbewusstseins der deutschsprachigen Bevölkerung der Monarchie, das sich durch Elemente von Katholizismus und Antisemitismus auszeichnete.526 Josef Redlich notierte bei seinem Tod am 10. März 1910: »Lueger hat ermöglicht, daß einmal ein neues und gesundes österreichisches Staatsgefühl entstehe.«527 Auch die am 20. Oktober 1895 gegründete Deutsche Volkspartei zeigte in ihrem Programm vom 7. Juni 1896 die Übernahme antisemiti-

525 Neue Freie Presse, 14. 05. 1895, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 526 Vgl. Gottsmann 2010, 201. 527 Redlich 1953, 52.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

149

scher Agitationen sowie die Ausweitung des Nationalitätenkampfes in parteipolitischen Programmen auf. »Die Unterordnung der innerpolitischen Fragen unter das gemeinsame nationale Interesse der Deutschen Österreichs; der Schutz des Deutschtums in Österreich durch Gesetzgebung und Verwaltung, insbesondere durch Festlegung der deutschen Sprache als Staatssprache und vor allem durch nationale Selbsthilfe und durch Erweckung und Betätigung des nationalen Bewußtseins; die Beseitigung des slawischen Übergewichtes, insbesondere durch eine Sonderstellung Galiziens, und der Kampf gegen die fortschreitende Slawisierung; die Befreiung von den nachteiligen Einflüssen des Judentums; in dieser Richtung verlangen wir als dringendste Maßnahme das Verbot weiterer jüdischer Einwanderung aus Rußland und Polen. […] Wir begehren freies Vereins- und Versammlungsrecht, wahre Preßfreiheit, aber auch Bekämpfung der moralischen Fäulnis der Presse.«528

Damit weitete sich der Antisemitismus, wie auch dessen politische Verwendung, weiter aus. In der Auseinandersetzung mit der Definition der deutschsprachigen Bevölkerung griff dieses Programm die zentralen gesellschaftlichen Problemfelder der 1890er Jahre auf. Neben dem zunehmenden Nationalitätenkonflikt wurden vor allem »die nachteiligen Einflüsse des Judentums« hervorgehoben. Diese Judenfrage wurde zudem durch die steigende Einwanderung aus dem Osten verschärft, die auch im Textfragment aufgegriffen wurde. Neben der Abgrenzung von der jüdischen Gruppierung wird hier auf die sich ausweitenden nationalen Bestrebungen der slawischen Gruppierung innerhalb der Bevölkerung der Monarchie hingewiesen. Die Festigung der Position der deutschsprachigen Gemeinschaft kann nur durch die Festlegung der deutschen Sprache als Staatssprache vollständig erfolgen. Damit werden hier sowohl Elemente aus der deutschnationalen Tradition herausgenommen als auch eine Stellung zum Nationalitätenkonflikt, der bereits aus früheren Jahren aus dem liberalen Lager bekannt war, eingenommen. Infolge des rasanten gesellschaftlichen Wandels fühlten sich traditionelle Bevölkerungsgruppen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Dabei bot die Ausweitung antisemitischer Argumentationen auf politische Programme der 1890er Jahre eine einfache Erklärung für die Entwicklungen und zeigte in seiner Vereinfachung ein Erklärungsmodell, das auf breite Bevölkerungsschichten angewandt werden konnte.529 Auch in Vorarlberg kam 1896 die Frage auf, ob ein Anschluss an die »Wiener Antisemitenpartei«530 als Ziel gesehen werden sollte. Der Abgeordnete Kohler sprach sich gegen den Anschluß an die »Wiener Antisemitenpartei«531 aus. Bei dieser Frage wurde gezögert, da die Beziehungen zur 528 529 530 531

Berchtold 1967, 205 – 206. Vgl. Dreier 1988, 149. Vorarlberger Volksblatt, 26. 07. 1896, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 3.

150

Die Radikalisierung der Gesellschaft

Hauptstadt komplex waren und eine zu starke Annäherung nicht unbedingt angestrebt wurde. »Es wurde vielmehr betont, dass unsere Partei auf eigenen Füssen steht, ihr christlichsociales Programm besitzt, dabei die lebhaftesten Sympathien zu den Wiener Christlich-Sozialen hegt, aber deshalb noch nicht Anlaß hat, in Sache und Modus alles so zu machen, wie die Wiener.«532

Wie bereits in diesem Textfragment des Vorarlberger Volksblattes sichtbar wird, hatte dies weniger inhaltliche Gründe, als dass man einfach nicht alles so machen wollte »wie die Wiener«533. Die Thematisierung des Antisemitismus und seiner Beziehung zum konservativ-katholischen Lager wird in einem Artikel mit dem Titel »Christlicher Socialismus und Antisemitismus 1895«534 sichtbar. Das Vorarlberger Volksblatt macht deutlich, wie sehr der christlichsoziale Einsatz des Antisemitismus mittlerweile im ländlichen konservativ-katholischen Lager an Bedeutung gewonnen hatte. »Der Antisemitismus ist ein Kampf, der voll berechtigt und von hoher Bedeutung ist. Er ist zunächst ein Kampf gegen den Capitalismus… […] Der Antisemitismus ist weiter auch ein Kampf gegen den Socialismus. […] Der Antisemitismus ist aber endlich auch ein Kampf für christlichen Glauben und christliche Sitte. Indem das Judenthum in die Dienste des Liberalismus und des Socialismus sich gestellt, oder vielmehr, indem es sich zu deren Leiter und Fahnenträger gemacht hat, musste es auch zu einem Widersacher alles dessen werden, was christlich heißt. […] Österreich steht in dieser Hinsicht voran und ermuntert die Antisemiten aller Länder zu gesteigerter rastloser Thätigkeit. […] Die katholische Moral lehrt, dass das Gebot der Nächstenliebe Niemanden verpflichtet, sich Eingriffe in seine Rechte gefallen zu lassen. Darin liegt die Berechtigung des Antisemitismus, und wer diesen für unchristlich hält, kennt entweder die Forderungen des Christenthums oder das Judenthum nicht.«535

In dieser Darstellung wird die Politisierung des Antisemitismus anschaulich demonstriert. Die Aufzählung des Kampfes gegen »Capitalismus«, »Socialismus«, bzw. für »christlichen Glauben« und »Sitte« macht deutlich, dass die Verwendung antisemitischer Elemente hauptsächlich der Abgrenzung von diesen Oppositionen dient. Der jüdischen Bevölkerung wird die Schuld an diesen negativen Entwicklungen selbst zugeschrieben, da sie sich freiwillig »in die Dienste« der liberalen Bewegungen gestellt hätten. Interessant sind die rechtfertigenden Schlussfolgerungen dieses Artikels. Während einerseits die Entstehung des Antisemitismus im Verhalten des Judentums gesucht wird, zeigt sich die Argumentation, dass die »katholische Moral« die »Berechtigung für den 532 533 534 535

Vorarlberger Volksblatt, 26. 07. 1896, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 3. Vorarlberger Volksblatt, 03. 01. 1896, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 20. 07. 1897, 2 – 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

151

Antisemitismus« liefert. Der rechtfertigende Bruch in der Argumentation liegt im letzten Satz, der behauptet, wenn dennoch jemand den Antisemitismus für »unchristlich hält«, dieser einfach das Christentum nicht kennen würde. Durch die wachsende politische und gesellschaftliche Präsenz der Christlichsozialen in Vorarlberg wurde der in diesem Milieu praktizierte Antisemitismus auch weiter in der breiten Gesellschaft verstärkt. Einerseits wurde der Aufruf der Boykottierung jüdischer Geschäfte vorangetrieben, während andererseits weiter betont wurde, dass der verwendete Antisemitismus nicht aus religiösen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen propagiert wurde. Interessant ist, dass das Vorarlberger Volksblatt nicht an der Aktion der Christlichsozialen des Jahres 1895 partizipiert hatte, die zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen hatte. Da dies jedoch in direktem Zusammenhang mit dem Wiener Wahlkampf von 1895 stand, liegt darin wahrscheinlich auch der Grund. Zur gesellschaftlichen Festigung der Partei wurde festgehalten, dass »Juden […] die Sozialdemokratie«536 leiten würden, während man gleichzeitig »so laut wir können, dem Volke zurufen: »Kauft nur bei Christen.«537. Dieser Aufruf wurde die nächsten Monate weiter getragen und in jeder Ausgabe des Vorarlberger Volksblattes auf der Titelseite der Zeitung festgehalten. Während bis in die 1890er Jahre in Vorarlberg religiöse, wirtschaftliche und politische Gründe für die Verwendung antisemitischer Stereotype und Symbole vorranig waren, so wurden ab diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Nationalitätenfrage zunehmend rassistische und völkische Positionen bezogen. Dreier stellt diese Entwicklung auch in der Sozialdemokratie fest, die aller Ablehnung zum Trotz immer wieder antisemitische Elemente aufgreift und damit weitertradiert. Generell ist festzuhalten, dass Vorarlberg durch eine »Kultur, die den Antisemitismus als wesentlichen Bestandteil des Weltbildes von einer Generation auf die andere weitergab«538 geprägt war. In der Verwendung antisemitischer Karikaturen unterstreicht der Kikeriki die gesellschaftlichen Entwicklungen in Wien weiter. In einem Gedicht an Rabbiner Samuel Bloch wird die Gegenüberstellung antisemitischer Stereotype, die in der Bezeichnung »wand’re, kleiner Tintenjüd«539 eindeutig feststellbar sind, und christlicher Symbole wie der weißen Nelke, die als Parteisymbol der Christlichsozialen verwendet wurde540, deutlich. Auch die Reaktion der jüdischen Bevölkerung auf den zunehmenden Antisemitismus wird thematisiert. »Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus« war zentrale Reaktion des jüdisch-liberalen Milieus auf die gesellschaftliche Ausweitung des Antisemitismus 536 537 538 539 540

Vorarlberger Volksblatt, 08. 04. 1898, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 3. Dreier 1988, 144 – 145. Kikeriki, 19. 05. 1895, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Kriechbaumer 2001, 136.

152

Die Radikalisierung der Gesellschaft

im Deutschen Reich sowie in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Aufzeichnungen des deutschen Rabbiners Moritz Güdemann, der 1866 als Prediger in die jüdische Gemeinschaft nach Wien kam und 1892 zum Oberrabbiner Wiens gewählt wurde541, zeigen auch die Ratlosigkeit eines Teils der deutschsprachigen Gesellschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie, der nun – ebenso wie die Österreicher 1866 aus dem Deutschen Bund – aus einer national konstruierten Gemeinschaft ausgeschlossen wird.542 Auch Arthur Schnitzler hält über Mizzi, eine seiner zahlreichen Liebschaften, fest, dass ihn ihre »antisemit. Vorstadtweisheiten«543 wieder einmal ärgern würden und definiert damit auch gleichzeitig eines der zentralen Milieus, in denen sich der Antisemitismus verstärkt ausbreiten konnte. Zudem schreibt er einen Brief an Georg Brandes über die, seinem Empfinden nach, unhaltbaren Zustände in Österreich. »Fügen Sie Ihren Antipathieen (sic) gegen Preußen und Frankreich nur getrost die gegen Österreich bei. Lesen Sie manchmal Wiener Zeitungen, Parlaments- und Gemeinderathsberichte? Es ist erstaunenswerth unter was für Schweinen wir hier leben; – und ich denke immer, selbst Antisemiten müßte es doch auffallen, daß der Antisemitismus – von allen andern abgesehen – jedenfalls die sonderbare Kraft hat, die verlogensten Gemeinheiten der menschlichen Natur zu Tage zu fördern und sie aufs höchste auszubilden.«544

Schnitzler zählt die wesentlichen Informationsorgane des 19. Jahrhunderts auf, wobei deutlich wird, dass die zentralen Inhalte der politischen Debatten in den Wiener Zeitungen abgedruckt wurden. Damit wird deutlich, welchen Einfluss die zunehmende Politisierung und Radikalisierung auf die Bevölkerung hatte, die diese Debatten Tag für Tag in der Tagespresse lesen konnten. Der zunehmende Antisemitismus auf öffentlich-politischer und privater Ebene machte Schnitzler zusehends zu schaffen. Dies weist auch darauf hin, dass dieser Diskurs einen wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Alltags ausmachte. Wie bereits die Ausschreitungen im Wahlkampf 1895 gezeigt haben, radikalisierte sich die Gesellschaft in Bezug auf die Diskursstränge Nationalismus und Antisemitismus zunehmend. Auch Rassismus wurde immer stärker Thema in dieser Auseinandersetzung. Peter Altenberg griff die Definition des Judentums als »Rasse« auf und fragte nach der Betonung dieser »Andersrassigkeit«545 im künstlerischen Milieu. 541 542 543 544 545

Vgl. Duizend-Jensen 2004, 51. Vgl. Ebd., 52. Oder Vgl. Lichtblau 1999, 471 – 472. Tagebucheintrag 27. 04. 1891. Schnitzler 1987, 327. Schnitzler Brief an Georg Brandes am 12. Jänner 1899. In: Schnitzler 1981c, 368. Dieser Text von Peter Altenberg wurde ohne den zweiten Absatz im Werk »Nachlese« posthum von seiner Schwester Marie Mauthner 1930 veröffentlicht. Der zweite Absatz wurde von Andrew Barker und Leo A. Lensing nach einem Vergleich mit dem Manuskript

Wahlkampf-Sommer/Septemberwahlen 1895 in Wien

153

»Weil man darüber befriedigt ist, daß sie öffentlich, durch ihre Art und Weise, wenn auch amüsant, interessant, den Beweis liefern, daß ›diese‹ Rasse eben trotz allem eine andere, verschiedene Rasse sei! Man gönnt ihnen ihre kleinen Lacherfolge, weil sie dadurch eine ganze Rasse demaskieren, nein, nur kompromittieren! Der ›Wiener‹ hat es nämlich nicht gern, sich ehrlich, anständig sagen zu müssen: ›Schau, schau der is ja doch grad a so wie Unsereiner!‹ Das hat er nicht gern. Lieber sagt er : ›Er ist zwar a Jud‹, aber amüsant is er, der Kerl, das muß man gerechterweise zugeben!‹«546

In diesem Aufgreifen stereotyper Konstruktionen in Verbindung mit rassistischen Motiven erfolgt auch eine Abgrenzung von der Bevölkerungsgruppierung der »Wiener«, die sich z »Ja, es ist wahr, daß durch das stete Zusammensein der christlich-arischen Jugend mit den jüdischen Kindern in den Räumen der Schule in den Gemüthern unserer deutscher Knaben und Mädchen so manche Spur zurückbleibt, die sich nicht mehr tilgen läßt […] Wir wollen seine Befähigung, seine auf Grund des jüdischen Volkscharakters naturnothwendig hervortretenden Eigenschaften hier gar nicht in Rechnung ziehen, wir wollen nur im Auge behalten, daß er einem anderen Stamme, einer anderen Race angehört, […].«547

Zentral ist der konstruierte Unterschied zwischen »christlich-arischen« und »jüdischen« Kindern, wobei die Begrifflichkeit des »arischen« in dieser Zeit verstärkt in der Gesellschaft auftritt. Der Begriff Arier oder arisch wurde im 18. Jahrhundert als wissenschaftlicher Begriff der Selbstbezeichnung indischiranischer Völker aus dem Sanskrit übernommen. Dabei wird wieder die Rolle der Wissenschaft und besonders der Sprachwissenschaft und Ethnographie deutlich. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff auf das Indo-Germanische ausgeweitet und mit dem Aufkommen des Rassismus wurden Sprachgruppen verstärkt auch als Rassen definiert.548 Während der 1880er und 1890er Jahre wurde der Begriff immer stärker in Abgrenzung von anderen Gruppierungen verwendet und mit dem Germanentum verknüpft. Interessant in dieser Verwendung ist die Verknüpfung mit dem Attribut christlich, die sich in Verganis Konstruktion nicht durch einen Rückbezug auf das Arische ausschloß, sondern noch immer im Vordergrund steht. Daher ergibt sich auch die Verwendung des Begriffes des »Christlich-arischen«. Grundsätzlich schien diesem Begriff, ebenso wie auch der Entwicklung des Begriffes Antisemitismus, eine wissenschaftliche Begründung zugrunde zu liegen.549 Das hier vertretene rassistische Gedankengut breitete sich weiter in der

546 547 548 549

im Werner Kraft Archiv hinzugefügt. Da Altenberg 1919 verstarb, ist davon auszugehen, dass dieser Text im Laufe des Untersuchungszeitraumes verfasst wurde. Zitiert nach: Barker/Lensing 1995, 36. Barker/Lensing 1995, 36. Ebd., 1. Vgl. dazu auch Alter/Bärsch/Berghoff 1999. Schmitz-Berning, 2000, 55

154

Die Radikalisierung der Gesellschaft

Gesellschaft aus und fand vor allem in deutschnational ausgerichteten studentischen Gruppierungen immer stärkere Aufnahme und führte Mitte der 1890er Jahre zu den Waidhofener Beschlüssen.

5.2

Die Waidhofener Beschlüsse und ihre Folgen

1895 wurde durch den Artikel »Ist der Jude satisfactionsfähig oder nicht?« in den Unverfälschten Deutschen Worten ein Diskurs um die Frage der Ehre der jüdischen Studenten begonnen.550 Dieser Artikel erregte sowohl im deutschnationalen als auch in der restlichen Gesellschaft großes Aussehen und löste die Waidhofener Beschlüsse, die sich bis zum Ende des Jahrzehnts in allen deutschnationalen Verbindungen durchsetzen konnten, aus.551 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Duell zu dieser Zeit wesentlicher Bestandteil der studentischen Lebenswelt war und rassistische Argumentationen zur Unterstützung dieser Handlung die Bedeutung der gesellschaftlichen Ausweitung von Rassismus weiter unterstrichen. Auch wenn Anderson rassistische Bestrebungen in der Abgrenzung Europas nach außen hin definiert, so ist die Verwendung von Rassismus – wie an diesem Bespiel deutlich wird – auch in innernationalen Diskursentwicklungen möglich.552 Daher liegt Michlers Schlussfolgerung nahe, dass die Ereignisse im studentischen Milieu der 1890er Jahre »eine wichtige Wegmarke des Antisemitismus in Österreich«553 darstellten. Schnitzler beschreibt die Situation an den Universitäten und die Umstände der Entstehungszeit des »Waidhofener Beschlusses«554. »Die Frage war damals für uns junge Leute, namentlich für uns Juden, sehr aktuell, da der Antisemitismus in den studentischen Kreisen immer mächtiger emporblühte. Die deutschnationalen Verbindungen hatten damit begonnen, Juden und Judenstämmlinge aus ihrer Mitte zu entfernen; gruppenweise Zusammenstöße während des sogenannten »Bummels« an den Samstagvormittagen, auch an den Kneipabenden, auf offener Straße zwischen den antisemitischen Burschenschaften und den freisinnigen Landsmannschaften und Corps, deren einige zum großen Teil aus Juden bestanden (rein jüdische schlagende Verbindungen gab es damals noch nicht), waren keine Seltenheit, Herausforderungen zwischen Einzelpersonen in Hörsälen, Gängen, Laboratorien an der Tagesordnung.«555 550 Vgl. Uverfälschte Deutsche Worte, 01. 03. 1895. Reaktion darauf aus dem liberalen Milieu, Neue Freie Presse, 17. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 551 Vgl. Trauner 1999, 160. 552 Vgl. Anderson 1993, 150. bzw. Vgl. Miles 1991, 150. 553 Michler 1999, 486. 554 Schnitzler 1981a, 151 – 152. 555 Schnitzler 1981a, 151 – 152. Die Autobiographie wurde in seinem Testament von 1918 zur Veröffentlichung freigegeben. In den Jahren 1915 bis 1918 verfasste er die Texte, die 1920 in

Die Waidhofener Beschlüsse und ihre Folgen

155

In dieser Zeit, die bestimmt ist vom Aufeinandertreffen unterschiedlich positionierter studentischer Gruppierungen, beschließen nun »die wehrhaften Vereine Deutscher Studenten in der Ostmark«556 am 11. März 1896: »In vollster Würdigung der Tatsache, daß zwischen Ariern und Juden ein so tiefer moralischer und psychischer Unterschied besteht und daß durch jüdisches Unwesen unsere Eigenart schon so viel gelitten, in Anbetracht der vielen Beweise, die auch der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben und da er der Ehre nach unseren Begriffen völlig bar ist, faßt die heutige Versammlung deutscher wehrhafter Studentenverbindungen den Beschluß: Dem Juden auf keine Waffe mehr Genugtuung zu geben, da er deren unwürdig ist!«557

In der Presse wurde diesem Beschluss ebenso wie an der Universität selbst ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gewidmet. Die liberale Presse zeigte sich über die Entwicklungen in der Studentenschaft generell schockiert und die Neue Freie Presse forderte Konsequenzen. »Die Universität muß, wenigstens in ihrem Schoße, dieser Bewegung Herr werden, und die akademischen Behörden dürfen hiebei selbst vor den äußersten Maßregeln nicht zurückweichen.«558 Die Reichspost sah sich als ›unparteiischer‹ Beobachter dieser Ereignisse, »denn wir verwerfen das Duell als ungesetzlich und sündhaft«559. Dieser ›objektiven‹ Sichtweise wird in der nächsten Spalte des Artikels gleich wieder widersprochen, wenn nach der »Lösung der Hauptfrage, wie die academische Gesellschaft von dem jüdischen Einflusse befreit werden kann«560 gefragt wird, da sich das Judentum auch hier »am schädlichsten«561 auswirken würde. Das Vaterland sah in Bezug auf die Verfassung der Waidhofener Beschlüsse eine Gegenüberstellung der abgehaltenen Duelle und ihres Ausgangs für relevant. Innerhalb eines Semesters »allein wurden von einer jüdischen Verbindung 31 Mensuren absolviert, von denen nicht weniger als 29 mit einer ›Abfuhr‹ der Arier endigten.«562 Neben physiognomischen Stereotypen wurden zunehmend auch Charaktereigenschaften, wie zum Beispiel Feigheit563, als feste Persönlichkeitsbestandteile festgelegt. Die Zeitung Kikeriki griff vornehmlich solche Stereotype auf und verarbeitete diese in Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Ereignisse, wie den Waidhofener Beschlüssen, in Gedichten oder Karikaturen.

556 557 558 559 560 561 562 563

einer Abschrift gesammelt wurden und noch zu seinen Lebzeiten von ihm selbst korrigiert wurden. Daher fällt auch dieses Werk in den Untersuchungszeitraum. Neue Freie Presse, 15. 03. 1896, 7. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 15. 03. 1896, 7. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 15. 03. 1896, 7. Bzw. Neue Freie Presse, 13. 03. 1896, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 15. 03. 1896, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2. Ebd., 2. Das Vaterland, 13. 03. 1896, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Ullrich 1995, 211.

156

Die Radikalisierung der Gesellschaft

»Heil den arischen Studenten! / Hör‹ es, Makabäer-Sohn: / Man verlangt von einem Juden / Nicht mehr Satisfaktion! / Wacker, deutsche Burschenschaften, / Die Ihr muthig wiederum / Eine »Riesenquart« geschlagen / Ins Gesicht dem Judenthum!«564

Die Begrifflichkeit des »arischen« kommt in Bezug auf diese Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Tragen und zeigt die rassistische Abgrenzung von der jüdischen Bevölkerung. Zudem werden angebliche Charaktereigenschaften einzelner rassistisch konstruierter Gruppierungen, wie Mut oder Feigheit, immer stärker thematisiert.

Abb. 12: Karikatur jüdischer Studentenverbindungen. Kikeriki, 22. 03. 1896, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Unter den beiden Bildteilen wird zum Bildthema »Der Muth des Makkabäers« zu linker Hand »wenn ihn keine Katz anschaut und« vermerkt, während zu rechter Hand »wenn er nur die Spur von einem Säbel erblickt« zu lesen ist. Die Darstellung links zeigt zwei, den physiognomischen Stereotypen einer antisemitischen Argumentationslinie entsprechende, jüdische Studenten, die sich mit ihren Säbeln von hinten einer Katze nähern, während die gleichen zwei Personen rechts vor einem kleinen Kind mit einem Spielzeugsäbel flüchten. Negativ besetzte angebliche Charaktereigenschaften der jüdischen Bevölkerung werden in solchen polemischen Darstellungen weiter tradiert und verstärken den gesellschaftlichen, rassistischen Diskurs. Auch die Verbindung zum christlichsozialen Lager und Lueger wird in einer zweiten Karikatur thematisiert. Hier wird die Gegenüberstellung des Jüdischen zum Deutschen im Kontext der Waidhofener Beschlüsse 1896 aufgegriffen. Auch in der nächsten Karikatur wird diese Gegenüberstellung von jüdisch und deutsch in der Darstellung der Kategorien von Körperlichkeit sichtbar. Das Jüdische zeichnet sich in der Stereotypisierung des jüdischen Körpers aus, der sich mit einer großen Nase, kurzen Beinen und geringer körperlicher Kraft 564 Kikeriki, 19. 03. 1896, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die Waidhofener Beschlüsse und ihre Folgen

157

definiert,565 während das Deutsche durch eine Darstellung Luegers aufgegriffen wird, der im zeitgenössischen Kontext auch der »schöne Karl«566 genannt wurde.

Abb. 13: Karikatur Luegers und seine politischen Gegner. Kikeriki, 19. 03. 1896, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

Die Waidhofener Beschlüsse werden im Vorarlberger Volksblatt anscheinend nicht mehr thematisiert. Dieses zeichnete sich jedoch mittlerweile selbst durch stark antisemitische Texte aus, sodass ein Aufgreifen dieser Thematik nicht dringend notwendig war, um die Gesinnung des Blattes aufzuzeigen. So wird zum Beispiel bereits Anfang des Jahres festgestellt, dass eine Abgrenzung aller gesellschaftlichen und politischen Oppositionen vorgenommen werden muss, um das Wohl der Gesellschaft zu erhalten. »Liberalismus, Atheismus, Materialismus, Judenthum, alle von Haus aus geschworenen Feinde der Gerechtigkeit, materiellen und geistigen Volkswohles.«567 Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Waidhofener Beschlüsse wurde eine Delegation der jüdischen Studentenverbindungen zum Rektor gesandt, um diese Frage unter Studierenden zu einer Frage der Universität zu machen.568 Zudem kam es auch zu einer Protestversammlung jüdischer Studierenden aller Wiener Hochschulen in einem Lokal am Schottenring. Der Medizinstudent Max Jerusalem hielt die erste Rede der Versammlung und betonte die Unterschiede zwischen einer deutschen und jüdischen Gruppierung, wobei erstere sich besonders auf das deutschradikale und antisemitische Milieu bezog und weniger eine Abgrenzung von Österreich darstellen sollte.569 Der Medizinstudent Wilhelm Sternbach beantragte folgende Resolution, die in der Folge auch einstimmig angenommen wurde: 565 566 567 568

Vgl. Haibl 2000 bzw. Vgl. Moser 1995, 149 – 155. Pittler 2003, 49. Vorarlberger Volksblatt, 03. 01. 1896, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 14. 03. 1896, 9. bzw. Neue Freie Presse, 14. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 569 Vgl. Neue Freie Presse, 17. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

158

Die Radikalisierung der Gesellschaft

»Die jüdische Studentenschaft weist den Anwurf der Ehrlosigkeit mit Verachtung zurück; die Ehrhaftigkeit ist nicht von der Zugehörigkeit zum deutschen Volke oder zur arischen Race abhängig.«570

In dieser Resolution wurde jedoch deutlich zwischen dem »deutschen Volk« bzw. der »arischen Race« und der »jüdischen Studentenschaft« unterschieden. Diese Entwicklungen zeigten die zunehmende Aufspaltung der national-rassistisch definierten Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft, von denen aus zeitgenössischer Sicht das Judentum eine war. Nach einem Bericht in Das Vaterland standen zudem vor allem die Worte »feig und ehrlos«571, die in einer Rede von Isidor Schalit, eines Altburschen der Kadima, fielen, in dieser Veranstaltung zur Debatte. Dies wurde auch in der Berichterstattung der Neuen Freien Presse aufgegriffen. »Feig und ehrlos ist der Jude? In den Freiheitskämpfen aller Völker haben die Juden mitgekämpft – nur aus Feigheit. […] So lächerlich auch die Behauptung von jüdischer Feigheit klingen mag, man wird sie glauben, denn diese deutschnationalen Studenten werden ja einst die Jugend erziehen, sie werden Recht sprechen, sie werden in der Verwaltung sitzen, sie repräsentieren die künftige Gesellschaft.«572

Schalit greift hier ein zentrales Thema auf, wenn er sagt, dass »diese deutschnationalen Studenten« die Zukunft bestimmen werden. Der Begriff der Erziehung zur Nation ist damit nicht mehr nur auf nationale Bereiche anzuwenden, sondern ist infolge der Ausweitung antisemitischer Ideen als Weltanschauung auf breiten Gesellschaftsschichten vor allem als eine Erziehung zum Antisemitismus zu sehen. Der akademische Senat missbilligte den Beschluss der jüdisch-nationalen Studenten und dessen Inhalt573 und so wurden die Verfasser der Resolution zum Rektor der Universität berufen. Die Anführer der deutschnationalen Studentenverbindungen gaben eine schriftliche Erklärung ab, welche diese Fassung des Beschlusses bestätigte. Nachdem die Anwesenden dem Rektor die Beantwortung weiterer Fragen verweigerten, notierte er zu den bereits getätigten Vergehen auch noch Ungehorsam dazu.574 Auch die Veranstalter der Protestveranstaltung, Leonhard Serbel, Max Jerusalem, Wilhelm Sternbach und der Redner Isidor Schalit, wurden zum Kanzleidirektor berufen, um über die Protestveranstaltung Bericht zu erstatten.575 Vgl. Neue Freie Presse, 17. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland, 20. 03. 1896, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 17. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 15. 03. 1895, 7. Vgl. dazu auch Das Vaterland, 15. 03. 1896, 5 – 6. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. 574 Vgl. Das Vaterland, 18. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 575 Neue Freie Presse, 20. 03. 1896, 6. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

570 571 572 573

Die Waidhofener Beschlüsse und ihre Folgen

159

Durch die Verweigerung der Satisfaktionsfähigkeit infolge der Waidhofener Beschlüsse im Jahre 1896 duellierte sich Hermann Bahr vermehrt für jüdische Kollegen.576 Seit seinem Verweis von der Wiener Universität im Jahre 1883 wandelte sich seine deutschnationale Haltung. So schrieb er am 28. März an seinen Vater, eher beiläufig und offensichtlich doch auch ein wenig stolz, von seinen in letzter Zeit absolvierten Duellen, die er mit deutschnationalen Studenten ausfocht.577 Die Antwort seines Vaters wies ihn darauf hin, dass er selbst vor nicht allzu langer Zeit in diesem Milieu verkehrt war und sich daher in seinen Äußerungen zurückhalten könnte. »Dir stand es am wenigsten zu, die Antisemitennationalen ›Buben‹ zu heißen, der Du selbst ein solcher ›Bube‹ warst – und was kümmert Dich, der Du Dich ja von der Politik ganz losgesagt, dieses Getriebe?‹«578

Auch Arthur Schnitzler notierte in seinem Tagebuch am 30. März 1896, dass Hermann Bahr verstärkt durch seinen Einsatz in der »Satisfactionsfrage« auffallen würde. »Abd. bei Bahr, der sich in der Satisfactionsfrage (die Juden nehmlich von den ›wehrhaften deutschen Studenten‹ für satisf. unfähig erklärt worden) mit irgend einem Subjekt geschlagen hat und verwundet ist. – Er war mir direct sympathisch.«579

Dies zeigt deutlich die Problematik in der jüdischen Studentenschaft auf. Während sie ebenso wie ihre christlichen Kommilitonen einem erwachten nationalen Bewusstsein anhingen, wurde es zunehmend problematischer, dieser Regung nachzugehen, da die nationalen studentischen Verbände mittlerweile alle antisemitisch eingestellt waren. Die jüdisch-nationalen Studenten wurden durch gesellschaftspolitische Ereignisse aus dem studentischen Leben gedrängt, bzw. auf Positionen verwiesen, die ihrem Selbstbildnis nicht gerecht wurden. Völkisch-rassistisches Gedankengut, wie in den Waidhofener Beschlüssen, verbreitete sich immer stärker und zeigt sich damit an österreichischen Hochschulen wesentlich früher und deutlicher als zum Beispiel in Deutschland.580 Dies wurde auch in der thematischen Verbindung von Nationalismus und Rassismus Anfang der 1890er Jahre aufgegriffen, welche die Aufrechterhaltung deutscher Ideale mit Hilfe von rassistischen, antisemitischen Argumenten erfolgte. »Geboren, erzogen, groß und mächtig geworden im nationalen Kampfe, sieht die charakteristische Burschenschaft der Ostmark ihre Ideale immer wieder im reinsten 576 577 578 579 580

Vgl. Wagner 2006, 114 – 115. Vgl. Brief von Hermann Bahr an seinen Vater am 28. März 1896. Schmidt 1971, 382. Brief von Alois Bahr an Hermann am 03. April 1896. Schmidt 1971, 382. Schnitzler 1989, 181. Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 372;426. Bzw. Rüegg 2004, 261 – 262.

160

Die Radikalisierung der Gesellschaft

unverfälscht deutschen Lichte, […] Hier muß sich der Wahlspruch unseres Führers bewahrheiten: ›Durch Reinheit zur Einheit.‹«581

In diesem Textfragment wird die Region Österreich dem Deutschen Reich als »Ostmark – ein historisierender Begriff der Neueren Zeit, der auf die historische Kontinuität des deutschen Volkes verweisen sollte582 – zugeordnet. Damit wird die kulturelle Einheit mit dem deutschen Volk weiter verstärkt und der »nationale Kampfe« innerhalb Österreichs zudem unterstrichen. In Bezug auf Schönerer, »unseres Führers«, wird ein Wahlspruch der deutschradikalen, antisemitischen Bewegung aufgegriffen, der die rassistischen Elemente der Zeit aufgreift und »rassische Reinheit« befürwortet. In der Verwendung dieser völkischen Begrifflichkeiten wird deutlich, wie stark dieser Diskurs das ausgehende 19. Jahrhundert beeinflusste.583

5.3

Die Badenische Sprachenverordnung

Stourzh hielt fest, dass die Absicht, Deutsch als umfassende Reichssprache durchzusetzen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.584 Die nationalen Konflikte, die sich bereits nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867 verschärften, erreichten Ende der 1890er Jahre einen vorzeitigen Höhepunkt.585 »Verordnung der Minister des Inneren, der Justiz, der Finanzen, des Handels und es Ackerbaues vom 5. April 1897, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen. §. 1. Die Gerichts- und Staatsanwaltschaftlichen Behörden, sowie die den Ministerien des Inneren, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues unterstehenden Behörden im Königreiche Böhmen sind verpflichtet, die an die Parteien über deren mündliche Abringung oder schriftlichen Eingaben ergehenden Erledigungen und Entscheidungen in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist. […] §. 8. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen.«586

581 Festkommerses der Deutschnationalen am 18. Oktober in Wien, Rede eines Sprechers der Wiener Burschenschaft »Teutonia« Karl von Benedikty. In: Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 11. 1892, 5. 582 Vgl. Schmitz-Berning 1998, 456. 583 Vgl. Ziege 2002. 584 Vgl. Stourzh 1985. 585 Vgl. Stubkjaer 2000, 102. 586 Wiener Zeitung, 06. 04. 1897, 1.

Die Badenische Sprachenverordnung

161

Die Enthebung der deutschen Bevölkerung von ihrer Machtposition durch den Wegfall der dominierenden Stellung der deutschen Sprache zog Entwicklungen nach sich, die in diesem Ausmaß von der Politik nicht erwartet worden waren.587 Alle beteiligten Positionen zeigten Unzufriedenheit und Ablehnung gegenüber der Badenischen Sprachenverordnung. Die deutschsprachige Bevölkerung in Österreich spaltete sich in Entsetzen im liberalen Lager und Zustimmung im konservativ-katholischen Lager, die deutschsprachigen Gruppierungen in Böhmen radikalisierten sich und die Tschechen reagierten ungehalten und in keinster Weise zufrieden durch die Annäherung in der Sprachenfrage.588 Der bereits vor Jahrzehnten entbrannte Nationalitätenkonflikt loderte in bisher unbekannter Art und Weise auf, und jede nationale Gruppierung versuchte sich darin zu behaupten. Die Neue Freie Presse beschrieb den Inhalt der Verordnung als im Widerspruch »mit der Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofes«589 stehend. Die gesetzlichen Grundlagen galten jedoch nur als Vorwand, um gegen die »schwere, überaus drückende Schädigung und tiefe Demüthigung des deutschen Volkes in Böhmen«590 auftreten zu können und die deutschsprachige Bevölkerung in ihrer Machtposition zu verteidigen. Und auch Das Vaterland thematisierte »die schroffe Ablehnung der Sprachenverordnungen durch die Deutschböhmen«591, die jedoch als nicht angemessen erachtet wurde. Im gesamten Reich fanden Demonstrationen gegen die Sprachenverordnung statt und am Ende war der Druck auf Badeni im Winter 1897 so stark geworden, dass dieser zurücktreten musste. Dies wurde als Triumpf der nationalen Bestrebungen über das dynastische Vorgehen der Regierung gewertet und vor allem im deutschnationalen Lager freudig aufgenommen.592 Insbesondere in der Abgeordnetendiskussion nach der Sprachenverordnung 1897 wurden die verstärkten Problemfelder des Nationalitätenkonflikts sichtbar. Die deutsche Volkspartei erklärte auf einer Kundgebung folgenden Beschluss: »An die deutsche Wählerschaft! Als im April dieses Jahres die Sprachenverordnungen des Grafen Badeni erschienen, waren wir keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß sie eine tiefgehende Schädigung unserer Stammesgenossen in Böhmen und Mähren, eine schwere Beleidigung der nationalen Ehre und eine Bedrohung der politischen und wirthschaftlichen Stellung unseres ganzen Volkes bedeuteten. […] Wir stehen unseren

587 Vgl. Stubkjaer 2000, 102. 588 Vgl. Sutter 1965, 12. bzw. Vgl. Kirchhoff 2001, 100. 589 Neue Freie Presse, 07. 04. 1897, 4. Vgl. auch Neue Freie Presse, 08. 04. 1897, 1. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. 590 Neue Freie Presse, 07. 04. 1897, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 591 Das Vaterland. 07. 04. 1897, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 592 Vgl. Trauner 1999, 171 – 73

162

Die Radikalisierung der Gesellschaft

deutschen Stammesgenossen in dem Kampfe um die berechtigte Stellung der Deutschen in Österreich treu zur Seite.«593

Dies wurde auch im deutschliberalen Milieu weitestgehend unterstützt, da die »berechtigte Stellung der Deutschen in Österreich« auch ihr zentrales Interesse war. Deutsche und nationale Symbole wie die blaue Kornblume wurden aufgegriffen und in den Diskurs eingewoben594, genauso wie die ethnozentristische Haltung der deutschsprachigen Gruppierung innerhalb der Monarchie in Diskussionen im Abgeordnetenhaus zum Ausdruck kam. Der Abgeordnete Glöckner595, Mitglied der deutschen Fortschrittspartei, erklärte: »Österreich wäre nie das geworden, wenn nicht das centralistische Gefüge und die Beitragsleistung aller bestanden hätte […]. Hätte man diesen Standpunkt vor 200 Jahren eingenommen, wäre Österreich nicht im entferntesten das, was es ist, und dass es das geworden ist, das ist zum Theil das Verdienst der wirtschaftlich stärkeren Deutschen (Zustimmung links) und zum Danke dafür nimmt man heute einen so gehässigen Standpunkt ein, will man uns eine Sprache octrohieren, die in einem engen Raume begrenzt ist, will man von uns verlangen, dass wir cˇechisch lernen, das wir gar nicht brauchen.«596

Die Bemühung um die Aufrechterhaltung der bisherigen Machtstruktur durch die dominierende deutschsprachige Bevölkerung wird in diesem Auszug aus seiner Rede besonders deutlich sichtbar. In der Abwertung des Tschechischen als regional begrenzte Sprache wird sie, und damit die tschechische nationale Gruppierung, als nicht fähig für die Übernahme dieser Machtposition bezeichnet. Heer sieht die Badeni-Unruhen als einen »Sieg der Deutsch-Gläubigen über die Schwarz-Gelben«597, dem jedoch Rumpler widerspricht, wenn er die Betonung des »deutschösterreichischen«598 in dieser Zeit unterstreicht. Auch Kirchhoff sieht in den Entwicklungen um den sich ausweitenden Nationalitätenkonflikt deutlicher die Notwendigkeit einer Differenzierung innerhalb der gesellschaftlichen Positionen.599 Es sind in allen deutsch-orientierten Milieus 593 Neue Freie Prese, 11. 12. 1897, 2. 594 Stenographische Protokolle des Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung der 14. Session am 2. Juni 1898. 1389 – 1390. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 595 Eine frühere Rede Glöckners, am 12. Dezember 1897 auf der Versammlung der Deutschnationalen im Wiener Sophiensaal zitiert in der Neuen Freien Presse, unterstreicht diese Haltung: »Ich bin, schloß Glöckner unter stürmischen Heil-Rufen, zwar Mitglied des deutsch-fortschrittlichen Clubs im Abgeordnetenhause, aber radical-national.«, In: Neue Freie Presse, 13. 12. 1897, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 596 Stenographische Protokolle des Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung der 14. Session am 2. Juni 1898, 1390. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 597 Heer 1996, 286. 598 Rumpler 1991, 321. 599 Vgl. Kirchhoff 2001, 101.

Los-von-Rom!

163

Reaktionen auf die Sprachenverordnung zu erkennen, damit ist jedoch noch keine automatische Ablehnung der monarchischen Strukturen verbunden, wie zum Beispiel in den Entwicklungen des liberalen Lager deutlich wurde. Zentrale Auswirkungen hatte die Badenische Sprachenverordnung jedoch vor allem auf das studentische und deutschnationale Milieu.

5.4

Los-von-Rom!

Eine Petition der Prager Universität forderte das Hohe Haus zu einer »baldigste [n] Aufhebung der Sprachenverordnung mit allem Nachdrucke«600 auf. Am 22. Mai 1897 veröffentliche das Grazer Tagblatt diesen Aufruf der Prager an die Grazer Studentenschaft mit dem Aufruf, sich zu versammeln und gegen die Sprachenverordnung zu demonstrieren.601 Diese Versammlungen gegen die Badenische Sprachenverordnung entwickelte sich zu zu einer »Pro-SchönererKundgebungen«602, die in weiterer Folge in einem Demonstrationszug durch die Stadt endete, bei dem »Wachet am Rhein« gesungen wurde.603 Die Sprachenverordnung bzw. die Reaktionen darauf standen in direktem Zusammenhang mit der sich entwickelnden Los-von-Rom Bewegung, die sich mit nationalen und religiösen Fragestellungen auseinandersetzte. Auch das immer stärkere Auftreten katholischer Korporationen förderte diese Entwicklung im deutschnationalen und studentischen Milieu, wobei interessant zu beobachten ist, dass im Zusammenschluss mit deutschnational-freisinnigen, liberalen Gruppierungen auch jüdische Studierende in diese Auseinandersetzungen aktiv miteingriffen.604 Der Erhalt des deutschen Charakters der österreichischen Universitäten wurde immer zentraler in den Forderungen der Studenten und führte in den nächsten Monaten immer wieder zu Unruhen.605 Am 11. Dezember 1897 kam es zu einer Versammlung der deutschnationalen Studierenden im Arkadenhof der Wiener Universität, bei der bis zu 4000 Teilnehmer gezählt wurden. Der Konflikt mit den katholischen Verbindungen entstand in erster Linie dadurch, dass diese nicht bereit waren, gegen die Regierung zu demonstrieren. Die Hinwendung zum Deutschen Reich wurde nun in der Bedeutung des Protestantismus – aus Protest gegen die katholischen Verbin-

600 601 602 603 604 605

Prager Tagblatt, 14. 05. 1897, 2. Grazer Tagblatt, 22. 05. 1897, 2. Trauner 1999, 171 – 173. Vgl. Sutter 1965, 43 – 44. Vgl. Trauner 1999, 163 – 164. Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 423 – 424. oder Vgl. Rüegg 2004, 269.

164

Die Radikalisierung der Gesellschaft

dungen – konstruiert.606 Die Neue Freie Presse beschrieb die Stimmung dieser Versammlung. »Die Aula war dicht gefüllt, alle nationalen Verbindungen waren vollzählig anwesend. […] die Studentenschaft betrachte es als selbstverständliche Pflicht, für die Freiheit, das Recht und die Ehre der Deutschen in Österreich einzutreten, über welche jetzt schwere Zeiten kommen. ›Wir lassen‹, rief der Student, ›kein Theresianum aus der Universität machen! […] Wir hoffen, daß auch die deutschen Frauen sich uns anschließen werden. Unsern Kampf gegen Rom haben wir noch nicht begonnen. Wir wissen aber, daß Rom unser größter Feind ist. Wir wissen, daß unsere einzige Rettung im protestantischen Bekenntnisse, das auch den nationalen Gedanken in sich birgt, gelegen ist.‹«607

Erst infolge dieser Entwicklung konnte sich die Los-von-Rom Bewegung breitenwirksam durchsetzen.608 Am 12. Dezember 1897 fand in den Sophiensälen in Wien der Volkstag der Deutschnationalen statt. Bis zu 6000 Personen waren nach Berichten der Neuen Freien Presse anwesend. »Das Publicum bestand zum großen Theile aus Wiener Bürgern, Studenten und Vertretern der deutschnationalen Partei aus der Provinz«609. Der Reichsratsabgeordnete Drexel von der deutschen Volkspartei aus Vorarlberg stellte nochmals fest, »daß der Kampf gegen den Clericalismus endlich zum Siege geführt werde«610 und stellte damit die Politisierung der am Vortag im studentischen Milieu geforderten Entwicklung dar. Dennoch war es wieder ein Student, Theodor Georg Rakus, der in einer Rede bei dieser Versammlung diese Forderungen konkretisierte.611 »Universitätshörer Rakus verwahrte die deutsche Studentenschaft gegen die ihr von Dr. Lueger zugemuthete Enthaltung von politischen Angelegenheiten. Gerade der deutschen Studentenschaft stehe es zu, den Kampf für die idealen Güter zu führen und namentlich für die Freiheit der Schule einzutreten. Dr. Lueger möge seine Heilslehre unter die katholischen Studenten tragen, den deutschen Studenten imponire er nicht. […] Wenn Rom gegenüber den Deutschen nicht eine andere Politik befolgt, werde als einziger Schlachtruft die Devise ertönen: ›Los von Rom!‹«612

Rakus wurde zusammen mit einem weiteren Studenten nach Beschwerden von der Universität verwiesen, und es dauerte noch über ein Jahr, bis der Ausspruch weitläufig politisch verwendet wurde. Schönerer griff ihn jedoch im Jänner 1899 auf und bereitete damit den weiteren Weg der Los-von-Rom Bewegung.613 606 607 608 609 610 611 612 613

Vgl. Rüegg 2004, 269. Oder Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 424. Neue Freie Presse, 11. 12. 1897, Abendblatt, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Trauner 1999, 229. Neue Freie Presse, 13. 12. 1897, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2. Trauner 1999, 229. Neue Freie Presse, 13. 12. 1897, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Trauner 1999, 229 – 230.

Los-von-Rom!

165

In der breiten Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde eine österreichisch-dynastische Identität aufrechterhalten. Wenn im Falle einiger Gruppierungen diese nun aufgegeben wurde und stattdessen verstärkt eine nationale gesucht wurde, erwies sich dies durchaus als problematisch innerhalb der Gesellschaft. Eine Hinwendung zur deutschen Kultur war in der breiten Bevölkerung nachvollziehbar und erwünscht. Eine weitere Anlehnung an das Deutsche Reich im Sinne einer Auflösung der Monarchie, oder noch drastischer einer Übernahme des protestantischen Glaubens, so wie es infolge der Los-vonRom Bewegung gefordert wurde, löste vielfach jedoch Unverständnis aus. Die Hinwendung zum Protestantismus zu dieser Zeit war eng mit dem Deutschnationalismus verbunden, der seit den 1880er Jahren vermehrt in der österreichischen Gesellschaft Platz gefunden hatte. Die Los-von-Rom Bewegung positionierte sich gegen die Staatskirche und zeigte eine deutliche Hinwendung zum Deutschen Reich auf. Unterschiedliche Motivationen führten zu einer Ausweitung dieser Bewegung. Vor allem in Grenzregionen, in denen sich aufgrund von Nationalitätenkonflikten das Zusammenleben ambivalent gestaltete, zeigte sich ein Interesse an der Los-von-Rom Bewegung. Während zum Beispiel in der Steiermark Deutsche in Konflikt mit Slowenen dem Protestantismus und der Idee der Losvon-Rom Bewegung zusagten, ergab sich in Böhmen eine Zustimmung der tschechischen Bevölkerung infolge der Konflikte mit der Habsburgerdynastie.614 Insbesondere infolge der Badenischen Sprachenverordnung und der daraus resultierenden politischen und gesellschaftlichen Problemfelder im gesamten Reich zeigt sich die starke Verbindung der Los-von-Rom Bewegung und der politischen Alldeutschen Bewegung.615 »Die Alldeutsche Bewegung ist vielmehr das Ringen nach einer arisch-germanischen Weltanschauung und Bestätigung auf allen Gebieten des Lebens: also in politischen, religiösen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, ethischen ja sogar ästhetischen Dingen […]. Der Boden ›Los von Rom‹ ist uralt heiliger Kampfboden, auf dem wir uns alle finden können und finden müssen, wenn wir es wirklich mit der Liebe zu unserem Volk ernst meinen.«616

Die Bedeutung der Los-von-Rom Bewegung und die Verbindung zur nationalen Alldeutschen Bewegung wird hier deutlich unterstrichen. Sichtbar wird in der Argumentationslinie und den verwendeten Begriffen, dass die nationale Erzählung der deutschen Gruppierung, oder wie hier bezeichneten »arisch-germanischen« Bewegung, auf den Erhalt dieser Gemeinschaft konzentriert ist. Zu dieser Erzählung gehört ebenso ein starker Antikatholizismus, der aufgrund der 614 Vgl. Johnston 2006, 76. 615 Vgl. Trauner 1999, 171 – 173. 616 Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1903, 1. Österreichische Nationalbibliothek.

166

Die Radikalisierung der Gesellschaft

konstruierten Verbindung zum Germanentum als »uralter heiliger Kampfboden« beschrieben wird. Diese Betonung der Kontinuität in der nationalen Erzählung unterstreicht die angestrebte Machtposition der Gruppierung in der gegenwärtigen Situation. Bereits 1882 propagierte Schönerer in seinen politischen Programmen den Anschluss der deutschsprachigen Gebiete Österreichs an das Deutsche Reich und forcierte Antikatholizismus und Antisemitismus. »Von den Rechten trennt uns selbstverständlich auch ein Abgrund, denn die Rechte, die heutige Majorität, sie folgt blindlings und willig der Heerfolge der nationalitätslosen Klerikalen und das sind diejenigen, denen ich am entschiedensten entgegentreten möchte […] Wir möchten dazusetzen: Deutsches Volk in Österreich, sei deutsch und emanzipiere dich von den Börsenliberalen und von der Parteiherrschaft, schüttle endlich die an dir zehrenden Schmarotzer ab, um die Früchte deiner Arbeit selbst und ungeteilt zu genießen.«617

Er vertrat die Ansicht, dass nur in einer Hinwendung zum Protestantismus eine vollständige Angleichung an das Deutsche Reich vollzogen werden könnte. Zudem war auch nur infolge dieser Entwicklung die tatsächliche Abgrenzung von den anderen nationalen Gruppierungen der Monarchie möglich. Die alldeutsche Bewegung zeigte einen radikalen Nationalismus auf, der sich stark antisemitischer Agitationen bediente.618 In dieser Propaganda ist einerseits eine widerständige Haltung gegen andere nationale Gruppierungen innerhalb der Monarchie bzw. andererseits eine Ablehnung der dynastischen österreichischen Identität und damit auch der breiten Gesellschaft zu erkennen. Insbesondere im deutschnationalen Lager, und damit auch in der Los-von-Rom Bewegung, finden sich Widerstandserzählungen eingebettet in den Nationalitätendiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Diese Erzählungen weisen zentrale Elemente eines starken Antiklerikalismus und Antikatholizismus auf. Lueger forderte dementsprechend Maßnahmen gegen die Los-von-Rom Bewegung, da sie seiner Meinung nach nur als Vorbereitung dient, um Österreich stärker an das Deutsche Reich anzugleichen und dadurch im Endeffekt eine leichtere Übernahme zu gewährleisten.619 Bruckmüller sieht, ähnlich wie Heer, in den Folgen der Badenischen Krise eine Auflösung der emotionalen Bindung an Österreich. Durch die Ausbreitung deutschradikaler Ansichten in der Gesellschaft wurde das dynastisch-monarchie Identitätsbewusstsein von einem nationalen abgelöst. »In der deutschna617 Stenographische Protokolle der Sitzungen des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, 9. Session, 200. Sitzung vom 28. Februar 1882, 7059 – 7060. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 618 Vgl. Walkenhorst 2007, 322. 619 Vgl. Trauner 1999, 277.

Los-von-Rom!

167

tionalen Symbolik traten ›österreichische‹ Symbole zurück, an Deutschland orientierte wurden stärker verwendet.«620 Die Gegenüberstellung eines nationalen, im Gegensatz zu einem dynastischen, Österreichsbegriff war für die Entwicklungen der Identitätskonstruktion im Österreich des 19. Jahrhunderts mit Sicherheit eine zentrale Feststellung, die meiner Erkenntnis nach jedoch nicht mit den 1890er Jahren endete. Die Radikalisierung infolge der Badenischen Sprachenverordnung zeigte durchaus die Entwicklung einer die österreichische Monarchie ablehnenden nationalen Entwicklung, die in Verbindung mit der Los-von-Rom Bewegung zu sehen ist. Dies zeigt jedoch nur eine Haltung innerhalb der vielschichtigen Gesellschaftsstruktur dieser Zeit auf. Der Fehler in der Betrachtung Heers oder Bruckmüllers liegt in der einseitigen Betrachtung von Identität. Es ist davon auszugehen, dass es eine Vielzahl österreichischer Identitätskonstruktionen gab, die sich abhängig von ihrer regionalen und zeitlichen Herausbildung konstruierten. Weiters sind die sozioökonomischen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse zu beachten, die eine Gruppierung innerhalb der Gesellschaft zu einer bestimmten Entwicklung motivierten. Abgesehen von diesen öffentlichen Faktoren sind individuelle private Veranlagungen in diese Konstruktion miteinzubeziehen. Identitätskonstruktionen sind komplexe, voneinander divergierende, differenziert zu betrachtende Phänomene, die nicht an einem bestimmten Punkt konzentriert werden können, sondern in ihrer Entwicklung analysiert werden müssen. So zeigt sich auch, dass eine dynastische Identitätskonstruktion im adeligen sowie auch im klerikalen Milieu weiterhin bestehen blieb, wenn Karl von Grabmayr auf einer Volksversammlung in Meran am 15. April 1898 erklärte: »Ich sage es laut und wünsche, dass es möglichst weit gehört wird: Wir wollen keine antidynastische, wir wollen keine antiösterreichische Politik, wir wollen eine Politik, die bei noch so strammer Betonung unseres nationalen, unseres deutschen Standpunktes die Verständigung und den Frieden zwischen den Völkern Österreichs nicht ausschließt. […] Wir wollen eine Verständigung, denn wir sind Österreicher und wollen Österreicher bleiben; damit ist für unser ehrliches Deutschtum die Grenze gezogen, über diese Grenze gehen wir nicht mit.«621

620 Bruckmüller 2009, 276. 621 Grabmayr 1912, 40.

»Der Untergang des Abendlandes«622

6.

»Wir, die wir in Wien geboren und aufgewachsen sind, hatten während der glanzvollen Zeit der Stadt vor dem 1. Weltkrieg keine Ahnung, daß diese Epoche das Ende bedeuten sollte. […] und noch viel weniger ahnten wir, daß die Habsburger Monarchie […] zum Untergang bestimmt war. […] Wir genossen die herrliche Stadt, die so elegant und schön war, und dachten keinen Augenblick daran, daß das Licht, das über ihr strahlte, das eines farbigen Sonnenunterganges sein könnte.«623

Der jüdische Musikkritiker Max Graf greift die Stimmung des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts, ähnlich wie auch Stefan Zweig, auf und beschreibt die Stimmung dieser Tage. Der Beginn des neuen Jahrhunderts zeigt eine Weiterführung der Ereignisse der 1890er Jahre. Die politischen Massenbewegungen nahmen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung stetig zu und der Nationalitätenkonflikt beherrschte weiterhin die Bildfläche der Presselandschaft Österreich-Ungarns. Am Beginn des 20. Jahrhunderts stand die offizielle Annexionserklärung des Kaisers Franz Joseph I., die am 7. Oktober 1908 in der Wiener Zeitung veröffentlicht wurde. Damit wurde der bisherige Status des okkupierten Gebiets Bosniens und der Herzegowina verändert und in eine eindeutige Rechtsstellung zur Monarchie gebracht. »Proklamation an das bosnisch-hercegovinische Volk! […] Für die Einführung dieser Landesverfassung bildet aber die Schaffung einer klaren und unzweideutigen Rechtsstellung der beiden Länder die unerläßliche Voraussetzung. Aus diesem Grunde, wie auch eingedenk der in alten Zeiten zwischen Unseren glorreichen Vorfahren bestandenen Bande erstrecken Wir die Rechte Unserer Souveränität auf Bosnien und die Hercegovina und wollen, daß auch für diese Länder die für Unser Haus geltende Erbfolgeordnung zur Anwendung gelange.«624

Aus Sicht der liberalen Presse war dieser formelle Akt der Eingliederung in das Reich kein Wunsch der Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie, da sich dadurch kein Gewinn für diese ergab. In diesem Sinne wurde die Angliederung Bosniens und der Herzegowina in der Neuen Freien Presse einzig und allein als Maßnahme in der Balkanfrage gesehen und damit auch befürwortet. »Die Angliederung wird hoffentlich genügen, um der serbischen Regierung das Fiasko ihrer gegenwärtigen Politik zum Bewußtsein zu bringen. In diesem Sinne ist die Angliederung eine Maßregelung zur Erhaltung der Ruhe auf dem Balkan.«625 622 623 624 625

Bahr 1923, 298. Graf 1952, 65. Wiener Zeitung, 07. 10. 1908, 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 05. 10. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

170

»Der Untergang des Abendlandes«

Die Reichspost zeigte in einem Artikel über »Die Bosnische Frage«626, dass eine Eingliederung der einzig sinnvolle Weg für die Befriedung des Balkangebietes darstellen würde und auch das Vorarlberger Volksblatt sah darin nur den nachvollziehbaren Schluss der Unabhängigkeitserklärung Bulgariens und damit eine richtige Entscheidung für die Erhaltung der Monarchie.627 Nur im Arbeitermilieu wurden Kritikpunkte an der Annexion laut, die jedoch die breite Zustimmung in der Bevölkerung nicht wesentlich veränderte.628 Der Kikeriki griff zudem die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Annexion auf. »Was ist Öst’reichs Vaterland? / So nenne endlich mir das Land! / Weil uns nicht Feinde g’nug am Nacken, / So müssen jetzt noch Bosniaken / Und Türken, Serben groß und klein, / Sie müssen alle noch Herein!«629

Im deutschsprachigen Raum der Monarchie hatte man offensichtlich keine Bedenken bezüglich der Annexion Bosniens und der Herzegowina, dennoch war dieses Ereignis mitunter für das Anheizen des Nationalitätenkonflikts verantwortlich. Auch die Lage an den Universitäten war seit den 1890er Jahren nicht nachhaltig abgekühlt und endete immer wieder in Auseinandersetzungen.

6.1

»Die Hochschulkämpfe«630

Der Nationalitätenkonflikt wurde besonders in der Geschichtswissenschaft und der sich gerade institutionalisierenden Volkskunde behandelt, wobei hier, wie bei Raimund Friedrich Kaindl deutlich wird, die Abgrenzung von der deutschsprachigen Bevölkerung bzw. generell der Unterschied zwischen den einzelnen Nationen im Vordergrund stand. »Dazu kommt der grundverschiedene Charakter beider Nationen. Dem Magyaren, vor allem dem Adeligen, ist der deutsche Bauer und Bürger durch seinen Fleiß, der deutsche Gelehrte durch seine Pedanterie, der deutsche Beamte durch seinen Diensteifer und seine Unparteilichkeit verhaßt. Der Magyar besitzt unangemessenen Stolz und setzt sich und sein Volkstum über alles; er verachtet deshalb nicht nur den Deutschen, sondern ebenso die anderen Mitbewohner.«631

Diese Darstellung in der »Geschichte der Deutschen in Ungarn. Ein deutsches Volksbuch«632 zeigt konkret die Gruppierung, von der man sich abgrenzen 626 627 628 629 630 631 632

Reichspost, 05. 10. 1908, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 07. 10. 1908, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 08. 10. 1908, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Kikeriki, 15. 10. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 25. 06. 1908, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Kaindl 1912, 99. Kaindl 1912.

»Die Hochschulkämpfe«

171

wollte: die ungarischen »Adeligen«. Diesen wurden unterschiedliche »deutsche« gesellschaftliche Schichten gegenübergestellt, »Bauer und Bürger«, »Gelehrte«, »Beamte«, die aufgrund ihrer angeblich überlegenen Eigenschaften in der ungarischen Bevölkerung verhasst wären. Die Aufwertung der eigenen nationalen Gruppierungen, verbunden mit der gleichzeitigen Abwertung der anderen, zeigt den Versuch, angenommene Unterschiede zwischen nationalen Gruppierungen anhand von zugeschriebenen Charaktereigenschaften wissenschaftlich festzumachen. Abgesehen von der Thematisierung des Nationalitätenkonfliktes war der Antiklerikalismus seit Ende der 1890er Jahre an den Universitäten immer deutlicher spürbar. Lueger forderte am sechsten Katholikentag, dass der Losvon-Rom Bewegung entgegengearbeitet werden müsse und forderte eine Rückeroberung der Universitäten.633 Ludwig Wahrmund, der Sohn von Adolf Wahrmund, veröffentlichte 1908 als Antwort auf diese Forderung das Werk »Katholische Weltanschauung und freie Wissenschaft«634. Darin kritisierte er die Haltung der Kirche und beschreibt ihr Verhalten gegenüber der Universitäten und der Wissenschaft. »Und da sich die Kirche in fremdem Hause auch noch tyrannisch gebärdete, hat sie die Herrin desselben geradezu zum Kampfe und zur Abwehr herausgefordert und ist von ihrer weitaus überlegenen Kraft dann auch natürlich vor die Türe gesetzt worden.«635

Wahrmunds Ausführungen entspannten die Lage kaum. Sein Werk wurde beschlagnahmt und er beurlaubt. Die Neue Freie Presse zeigt sich dieser Entwicklung gegenüber ablehnend und veröffentlichte Artikel wie zum Beispiel von T. G. Masaryk, Reichsratsabgeordneter und Professor an der Prager Universität. »Die österreichischen Bischöfe, und unter ihrer Leitung die Wiener Luegerischen Christlichsozialen und die alpenländischen Klerikalen, stellen dem Kampf gegen die Modernisten und die freien Wissenschaften die politische Sturmtruppe – das bedeutet der Fall Wahrmund, das bedeutete der Bauernsturm in Graz.«636

Bereits im Herbst 1907 gab es schwere Zusammenstöße zwischen katholischen und nationalen Verbindungen in Graz637, wobei sich besonders die Reichspost über diese Zustände empörte. »Die akademische Prügelrepublik. Wien, am 24. Oktober. […] Es fällt niemandem ein, darüber Beschwerde zu führen, daß an unseren Hochschulen ein heftiger geistiger

633 634 635 636 637

Wodka 1959, 352. Vgl. Wahrmund 1908. Wahrmund 1908, 45. Neue Freie Presse, 17. 05. 1908, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 24. 10. 1907, Abendblatt, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

172

»Der Untergang des Abendlandes«

Kampf geführt wird, bei dem die Vertreter der christlichen Weltanschauung einem feindselig gearteten Ideenthum gegenüberstehen.«638

Am 16. Mai 1908 stürmten ca. zweihundert Bauern unter christlichsozialer Führung die Grazer Universität, und auch vor der Wiener Universität kam es nach großen Studentendemonstrationen zu Zusammenstößen verschiedener studentischer Verbindungen.639 Die sich bereits 1907 abzeichnenden Auseinandersetzungen zwischen katholischen und deutschnationalen Studenten entwickelten sich zu einem österreichweiten Problem, das Besetzungen von Universitäten und Zusammenstöße zwischen Studenten unterschiedlicher Gesinnung nach sich zog.640 Die Neue Freie Presse hielt fest, dass der Fall um Universitätsprofessor Wahrmund zentraler Auslöser dieser Entwicklungen war. »Seit die Hochschulen in der Affaire Wahrmund sich zur Abwehr der Angriffe auf die Freiheit der Lehre und der Wissenschaft zusammengeschlossen haben, Lehrer und Schüler der Wissenschaft sich einig gezeigt haben in dem Entschluss, die höchsten Güter der Nation gegen die klerikale Verwüstung zu verteidigen, ist die Wut der Klerikalen auf das höchste gestiegen.«641

Als Wahrmund von seiner Beurlaubung zurückkehrte und seine Vorlesungen in Innsbruck wieder aufnehmen wollte, musste auch hier die Universität geschlossen werden, um weitere Ausschreitungen verhindern zu können. Damit hatte sich bis zum Juni 1908 der Streik auf alle Universitäten ausgeweitet.642 In Prag zeigte sich der Rektor der Universität August Sauer durch die Studentenunruhen und die Affäre um Wahrmund zunehmend von tschechischen Nationalismen bedroht, die sich auch in seinen Auseinandersetzungen mit dem Professor der tschechischen Medizinischen Fakultät, Oskar Srdinko, zeigten. Damit wird deutlich, dass der Nationalitätenkonflikt im universitären Milieu sich einerseits in den Studentenunruhen, andererseits aber auch in kulturellen Abgrenzungsmechanismen der tschechischen respektive deutschen Kultur zeigte.643 Die hier angesprochene Freiheit von Lehre und Wissenschaft wird in einer Karikatur des Kikeriki als Deckmantel für die Bestrebungen einer jüdischen Weltherrschaft herangezogen. Hier wird, wie bereits in der Überschrift deutlich die Forderung des liberalen Milieus nach der »Freiheit der Lehre« umgekehrt und in eine Konstruktion der jüdischen Weltherrschaft uminterpretiert. Unter dem ersten Teil der Karikatur, 638 Reichspost, 25. 10. 1907, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 639 Vgl. Neue Freie Presse, 16. 05. 1908, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 640 Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 425. 641 Neue Freie Presse, 16. 05. 1908, Abendblatt, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 642 Vgl. Hoffmann 1988, 378. 643 Vgl. Höhne 2011, 210.

»Die Hochschulkämpfe«

173

Abb. 14: Karikatur zu Wissenschaft, Lehre und Weltherrschaft. Kikeriki, 11. 10. 1908, 11. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

die die Sonne durch eine Mönchskutte verhängt zeigt, steht folgender Text. »Die Sonne soll nicht mit der Kutte verhängt werden;«. Unter dem rechten Bild wird der Satz weitergeführt und die Erde mit einem jüdischen Hut und Pejes als Zeichen für das orthodoxe Judentum verhüllt. »sie wollen lieber der Erde den Schabbesdeckel aufsetzen!«. Zum einen wird damit die antiklerikale Haltung des liberalen Lagers mit seiner Zugehörigkeit zum Judentum erklärt, zum anderen wird genau in dieser Haltung der Anspruch zur Weltherrschaft imaginiert. Auch im christlich-konservativen Milieu erzeugten diese Vorkommnisse an den Universitäten heftige Reaktionen. So greift die Reichspost die angeblich anstiftende Rolle »der liberalen, sozialdemokratischen und alldeutschen Presse«644 auf und verbindet diese mit den Interessen der »judenliberalen« Gruppierung. »Dabei merken die alldeutschen Studenten gar nicht, daß sie die Geschäfte des Judentums und der Sozialdemokratie besorgen, wie ja auch die deutschnationale Kronlandspresse vom führenden Wiener judenliberalen Organ vollkommen beeinflußt ist. […] Schließlich hat die jüdische und sozialdemokratische Presse eine Revolte der ›freisinnigen‹ Studenten herbeigeführt, vor welcher nicht nur die akademischen Behörden, sondern auch der Unterrichtsminister zum ungeheuren Jubel der liberalen Parteipresse kapituliert haben.«645

Aus katholisch-konservativer Sicht kam es zu einem mehr oder weniger freiwilligen Zusammenschluß zwischen »jüdischliberalen« Interessen und »deutschnationalen« Aktionen, die dasselbe Ziel, den Kampf gegen den Katholizismus, verfolgten. In der konstruierten Verbindung dieser beiden Gruppierungen und dem Zusatz, dass auch die »Sozialdemokratie« hierbei beteiligt sei, wurden alle politischen Gegner zu einem mehr oder weniger homogenen Feindbild stilisiert, gegen das es zu agieren galt. Auch die christlich-soziale Arbeiter-Zeitung veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel »Der österreichische Hochschulskandal«, und griff diese Ausführungen auf. 644 Reichspost, 17. 05. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 645 Ebd., 1.

174

»Der Untergang des Abendlandes«

»Das ist der Zweck, den die »freiheitlichen« Studenten für sich an den Universitäten anstreben – die Vernichtung der katholischen Verbindungen. Die Absichten der Judenpresse und der »freiheitlichen« Parteien gehen noch weiter, sie sind ausgesprochen politischer Natur. […] Doch nicht allein parteipolitische Motive bilden die Triebfeder des einträchtigen Vorgehens der Judenpresse und der »freiheitlichen« Parteien, es handelt sich ihnen darum, den festen Wellenbrecher, als welchen sich die katholischen Verbindungen gegen die Schmutzfluten der antichristlichen Bewegung auf akademischen Boden erwiesen haben, zu vernichten. Der Kampf gegen die katholischen Verbindungen ist somit in dem heutigen Stadium keine interne Sache der Studenten mehr, sondern eine Angelegenheit des ganzen christlichen Volkes und dessen parlamentarischer Vertretung.«646

Die »Vernichtung der katholischen Verbindungen« wird als Ausdruck der zunehmenden antikatholischen Haltung in der Gesellschaft gesehen, die sowohl von liberaler als auch von nationaler Parteiseite im Sinne der Los-von-Rom Bewegung zunahmen. Damit wird deutlich, dass die Konflikte auf akademischem Boden nur Ausdruck gesellschaftsübergreifender Entwicklungen sind.

Abb. 15: Karikatur zum Wahrmundskandal. Kikeriki, 04. 06. 1908, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Die Karikatur des Kikerikis zeigt eine stereotyp-jüdisch dargestellte Figur, die eine Kirche umstürzt. Als Überschrift findet sich der Titel »Zum endlosen Wahrmundrummel.«, während unter dem Bild ein der Person zugeschriebener Ausspruch zu lesen ist: »Fraihait, die ich meine!«. Die beiden Vokale »a« anstatt der eigentlich vorgesehenen Vokale »e« im Wort Freiheit verweisen in der Textebene zusätzlich auf den jüdischen Hintergrund, indem sie auf das Jiddische verweisen sollen. In dieser Darstellung wird deutlich, dass das Judentum als direkter Agitator des Antikatholizismus und der Entwicklungen um den Fall Wahrmund gesehen wurde, worin das deutschnational ausgerichtete Blatt Kikeriki in diesem Punkt mit den katholisch-konservativen Zeitungen über-

646 Christlich-soziale Arbeiter-Zeitung, 23. 05. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

»Die Hochschulkämpfe«

175

einstimmte. Dies ist mit Sicherheit auch in der Beteiligung Luegers und der Christlichsozialen an diesen Ereignissen zu begründen. Auch im katholisch-konservativen Vorarlberger Volksblatt zeigt sich die Ablehnung gegen die starke Verbindung zwischen Liberalismus und Judentum, die sich in der »liberalen Presse«647 manifestiert. Ein Artikel der Frankfurter Zeitung wird rezipiert und vehement kritisiert, wie auch der Titel des Artikels » »Bis hieher und nicht weiter!« verdeutlicht. »Die Haltung der liberalen Presse Deutschlands gegenüber der Mißhandlung katholischer Studenten in Österreich durch die jüdisch-deutschnationale Studentenschaft ist geradezu ein Skandal. […] Wie es scheint, arbeitet die ›Frankf. Ztg.‹ Mit allen Kräften daran, auch im deutschen Volk mehr und mehr die Überzeugung zum Durchbruch zu bringen, daß die größte Gefahr dem christlichen deutschen Volke vom liberalen Geldprotzentum droht, wie es zumeist im Judentum verkörpert und vertreten wird. Glaubt denn die ›Frankf. Ztg.‹ im Ernste, das christliche Volk im Deutschen Reich ließe sich ebenso gutmütig in die Fesseln des zerfetzenden, großkapitalistischen Judentums schlagen wie die christlichen Völker Österreichs?«648

Die hier verwendete Argumentationslinie greift das wiederholt konstruierte Klischee der übermächtigen jüdischen Presse auf und zeigt die angeblichen Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich auf. Die Macht des »liberalen Geldprotzentum[s]« scheint noch nicht so weit fortgeschritten wie in Österreich, in dem sich die »christlichen Völker« der Donaumonarchie bereits vollständig in den »Fesseln des zerfetzenden, großkapitalistischen Judentums« befinden. Die Ausweitung des Konflikts auf universitärer Ebene zu einem gesellschaftlichen Konflikt, der vom Antikatholizismus und auch vom Antisemitismus geprägt war, wird hier sichtbar. Dieser beruhigte sich Mitte des Jahres wieder. Am 25. Juni wurden die Vorlesungen an der Innsbrucker Universität wieder aufgenommen649, und auch in Graz wurden die Proteste für beendet erklärt. Dennoch fanden noch am Abend des 24. Juni Straßenschlachten nach einer Kneipe der Carolinen und ihrer Anhänger in der Mariahilferstraße statt, sodass gegen acht Uhr abends das Militär anrücken musste.650 Ludwig Wahrmund wurde in eine Provinz der Monarchie ›versetzt‹ und nahm eine Berufung an die deutsche Universität Prag an.651 Die Neue Freie Presse sah in der Gewährleistung seiner weiteren beruflichen Karriere einen Sieg der Studentenunruhen. Vorarlberger Volksblatt, 23. 05. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 23. 05. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Neue Freie Presse, 25. 06. 1908, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Ebd., 5. Vgl. dazu auch Reichspost 25. 06. 1908, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 651 Johnston 2006, 76.

647 648 649 650

176

»Der Untergang des Abendlandes«

»Die Wendung, der Entschluß zur Einstellung des Streiks, geschah lediglich infolge der Innsbrucker Parole zur allgemeinen Wiederaufnahme der Vorlesungen. […] das Resultat dieses Kampfes […]: Wahrmund liest in Österreich und Wahrmund liest Kirchenrecht.«652

Während die christlichsoziale Reichspost in diesem »jüdischen Freisinn«653, der an den Hochschulen und in der Gesellschaft generell um sich griff und »eine Tyrannei des Knüppels«654 vertrat, Ausdruck einer »fanatischen Jugendverhetzungen«655 sah, schrieb auch das Vorarlberger Volksblatt empört darüber, »wie man mit den katholischen Studentenverbindungen Schindluder«656 trieb. In den Entwicklungen des Jahres 1908 wird zum einen die Ausweitung der Los-vonRom Bewegung im bzw. außerhalb des universitären Rahmens deutlich und zum anderen die enge Verbindung der Bewegung zur nationalen Alldeutschen Partei. »Die Alldeutsche Bewegung ist vielmehr das Ringen nach einer arisch-germanischen Weltanschauung und Bestätigung auf allen Gebieten des Lebens: also in politischen, religiösen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, ethischen ja sogar ästhetischen Dingen […]. Der Boden ›Los von Rom‹ ist uralt heiliger Kampfboden, auf dem wir uns alle finden können und finden müssen, wenn wir es wirklich mit der Liebe zu unserem Volk ernst meinen.«657

Die Weiterführung einer historischen Kontinuität wird in der Berufung auf diese Bewegung besonders stark betont. Die Bestrebung einer Verstärkung der »arisch-germanischen Weltanschauung« in der Gesellschaft zeigt die nationalen Motivationen sowie auch den verwendeten Antikatholizismus und Antisemitismus. Diese Kategorien werden durch Artikel wie »Deutsche Kämpfe. Juden oder Jesuiten«658 oder »Rom, unser Todfeinde«659 weiter verstärkt. Eindeutig thematisiert wird auch der Grund für die Ablehnung der Religion, die ebenso als »selbstverständliche Pflicht«660 gesehen wurde, wie auch »Unser Volkstum von jedem fremden, daher auch vom jüdischen Einfluss reinzuhalten und uns von Rom loszusagen«661. 652 653 654 655 656 657 658 659 660 661

Neue Freie Presse, 25. 06. 1908, 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 26. 06. 1908, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Ebd., 1. Vorarlberger Volksblatt, 27. 06. 1908, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte. 1. Hornung 2016 [01. 02. 1903], 5. Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte. Monatshefte für deutsche Volkserziehung und Volksveredelung, alldeutsche Politik, Volkswirtschaft, Kunst und Literatur, Ostermond 2016 [April1903], 5. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 9. Unverfälschte Deutsche Worte, 1. Ostermonds 2015 (!) [01. 04. 1902], 11. Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 11.

»Die Hochschulkämpfe«

177

»Die ›U.D.W.‹ stehen in der ›Los von Rom‹ Frage auf dem unbedingt völkischen Standpunkte, und können sich daher, solange das Blatt sich ›Unverfälschte Deutsche Worte‹ nennt, für keine religiöse konfessionelle Richtung begeistern, die, da sie auf das jüdische Geschichtsbuch, genannt Bibel, aufgebaut ist, bezw. ihr dieses Judenbuch als ›Heilige Schrift‹ gilt, kein deutschvölkisches Glaubenstum ist. […] Christus war als Nachkomme Davids und fleischlicher Sohn einer jüdischen Frau Rassenjude!«662

Die zunehmende Verbindung von Antisemitismus und Rassismus wird in der Zeitung Unverfälschte Deutsche Worte immer deutlicher. Artikel, die »Die Schaffung großer Vermögen und die ökonomische Wissenschaft« ansprechen, in denen eindeutig rassistische Elemente wie die »angeborene[n] Judenfrechheit«663 und »nomarische[n] Raubgewohnheiten«664 eingebaut werden, häufen sich. Auch der Aufruf, Verbände des »Bund der Germanen« zu gründen, dessen Schlagwort »Durch Reinheit zur Einheit«665 lautete, zeigen deutlich, in welche Richtung die Entwicklung ging. Die bereits vielfach angesprochene angebliche Weltherrschaft des Judentums wurde seit den 1890er Jahren verstärkt thematisiert und nunmehr auch mit rassistischen Elementen verbunden, wie in einem Artikel mit dem Titel »Der gerechte Judenstolz – Weltherrschaft des Judengeistes«666 deutlich wird. Zum einen werden nun die »arischen Kulturvölker«667 hervorgehoben, die unter der »Herrschaft des Judengeistes«668 stehen, zum anderen wird das Ziel der Alldeutschen Bewegung geschildert: »Den Judengeist zu vernichten, muß daher ebenso unser Ziel sein, wie der Sturz der jüdischen Geldherrschaft.«669 Die Darstellung des Judentums als Nomadenvolk, das keiner Nation angehört, wird ebenso aufgegriffen wie wirtschaftliche Motivationen der Abgrenzung. Zu diesem Zeitpunkt war der Antisemitismus in diesem Milieu so weit fortgeschritten, dass eindeutig von einer Weltanschauung gesprochen werden konnte, die sich auch in der Los-von-Rom Bewegung zeigte. Neben der Entrüstung im konservativ-katholischen und christlich-sozialen Lager über den zunehmenden Antikatholizismus traten die Konflikte zwischen deutsch- und jüdisch-nationalen Studenten in der gesellschaftlichen Wahr662 Unverfälschte Deutsche Worte, 1. Ostermonds 2015 [01. 04. 1902], 16. Nationalbibliothek. 663 Vgl. Unverfälschte Deutsche Worte. 1. Lenzmonds 2016 [01. 03. 1903], 2. Nationalbibliothek. 664 Vgl. Ebd.,2 665 Unverfälschte Deutsche Worte. 1. Lenzmonds 2016 (!) [01. 03. 1903], 1. Nationalbibliothek. 666 Unverfälschte Deutsche Worte, 16. Scheidings 2015 [16. 09. 1902], 2 – 3. Nationalbibliothek. 667 Unverfälschte Deutsche Worte, 16. Scheidings 2015 [16. 09. 1902], 2 – 3. Nationalbibliothek. 668 Ebd., 2 – 3. 669 Ebd., 2 – 3.

Österreichische Österreichische Österreichische Österreichische Österreichische

178

»Der Untergang des Abendlandes«

nehmung in den Hintergrund. Im November des Jahres 1908 wurden in die bisher von den Konfliktpositionen der klerikalen und deutschnationalen Studenten dominierten Auseinandersetzungen auch jüdisch-nationale Verbindungen miteinbezogen.670 Nach einer Satisfaktionsverweigerung kam es wiederholt zu Zusammenstößen und Wachleute mussten zur Trennung der beiden Gruppierungen eingesetzt werden.671 Damit wird deutlich, dass sich die Lage an den Universitäten zwar beruhigt hatte, bei weitem jedoch noch nicht abgekühlt war.

6.2

Wissenschaft und Gesellschaft

Neben den radikalen Ansichten der alldeutschen Partei, respektive Schönerers, zeigte sich auch in breiten Gesellschaftsschichten zunehmend Antisemitismus. Nach den Entwicklungen von 1907 und 1908 verhärtete sich das Klima an den österreichischen Hochschulen und die Unterschiede zwischen dem deutschnationalen, katholischen und jüdisch-nationalen Lager traten deutlicher hervor. Mit den wachsenden Konflikten und der Zunahme antisemitischer Agitationen orientierten sich immer mehr jüdische Studenten an der entstehenden zionistischen Bewegung.672 Schulze und Ssymank stellten fest, dass infolge der politischen Entwicklungen dieser Zeit und der daraus folgenden Radikalisierung der Studenten eine »Abkehr vom österreich-dynastischen Denken«673 bewirkt wurde. Dem ist bis zu einem gewissen Grad natürlich zuzustimmen, jedoch ist hier wie auch bei den Feststellungen über österreichische Identitätskonstruktionen bei Heer oder Bruckmüller das Fehlen einer Differenzierung zwischen den Gruppierungen innerhalb der Studentenschaft zu erkennen. Die deutschnational orientierten Studenten grenzten sich noch stärker von der österreichischen Monarchie ab als bisher, während im katholischen Milieu hingegen die Treue zur Dynastie weiter betont wurde. Die Verbindung beider Gruppierungen gegen das jüdische Milieu wird in den Reaktionen auf die Antrittsvorlesung von Elise Richter im Oktober 1907 erkennbar.674 Vordergründig ist dies auf den Umstand zurückzuführen, dass dies die erste Antrittsvorlesung einer Frau im deutschsprachigen Raum war. Dennoch ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch davon auszugehen, dass der Um670 Vgl. Rüegg 2004, 275. 671 Vgl. Neue Freie Presse, 07. 11. 1908, Abendpost, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.Oder Schulze, Ssymank: S. 425. 672 Vgl. Rüegg 2004, 275. oder Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 424. 673 Schulze/Ssymank 1931, 424. 674 Vgl. Elsen, http://www.dieuniversitaet-online.at/pdf/2005/Elise_Richter_ Kurzbiografie.pdf, [09. 06. 2011].

Wissenschaft und Gesellschaft

179

stand, dass sie eine Frau jüdischer Herkunft war, diese Abneigung noch weiter unterstrich. Elise Richter selbst hielt fest, dass ihre Antrittsvorlesung von Gegendemonstrationen »klerikaler und nationaler Studenten«675 begleitet wurde. Einen Monat später, im November 1907, wurde Julius Schnitzler zum außerordentlichen Professor ernannt.676 Arthur vermerkt dabei in seinem Tagebuch: »Julius neulich Professor geworden (auch Louis Mandl, Gomperz u. a.). (Das antisemitische Geschmeiss hat natürlich schon wegen der darin enthaltenen Beleidigungen des christl. Volkes interpelliert.)«677

Dieser Tagebucheintrag zeigt neben dem Hinweis auf antisemitische Aktionen im Alltag die gesteigerte Aggressivität Schnitzlers gegenüber diesen Anfeindungen. Deutlich wird auch in der Textkohärenz, dass die »Beleidigungen des christl. Volkes« im Zentrum stehen, daher sind diese antisemitischen Verhaltensweisen auch im christlich-sozialen Lager, und nicht nur im deutschnationalen, anzusiedeln. Um 1900 entstanden zunehmend wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit rassistischem Unterton. So zum Beispiel Otto Weiningers678 1902 eingereichte Dissertation mit dem Titel »Eros und Psyche«, die dezidiert frauenfeindlich und antisemitisch ausgerichtet war und wenig später als Buch unter dem Titel »Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung«679 erschien. Er sah Juden und auch Frauen als inferior an, da beide angeborene Eigenschaften hätten, die sich negativ auswirken würden. »[…] aber es gibt keine Frau, die über gewisse umschriebene, nicht sonderlich hoch zu ziehende, moralische und intellektuelle Grenzen hinauskäme. Und darum will ich es hier nochmals aussprechen: das höchststehende Weib steht noch unendlich tief unter dem tiefststehenden Manne.«680 »Daß der Jude, nicht erst seit gestern, sondern mehr oder weniger von jeher, staatfremd ist, deutet bereits darauf hin, daß dem Juden wie dem Weibe die Persönlichkeit fehlt; was sich allmählich in der Tat herausstellen wird.«681

Zudem sah er im Antisemitismus keine Reaktion gegen das Judentum als Rasse oder Nation, sondern gegen das Judentum als Geisteshaltung.682 Darin unterschied er sich in seinen Darstellungen von Chamberlain. 1902 trat er vom Judentum zum Protestantismus über, beging jedoch nur kurz nach der Fertig675 676 677 678 679 680 681 682

Hoffrath 2009, 55. Vgl. Skopec 1994, 411. Tagebucheintrag 8. 11. 1907. Schnitzler 1991, 302. Vgl. zu seinem Leben Le Rider 1985. Vgl. Weininger 1920. Vgl. Weininger 1920, 400. Ebd., 408. Vgl. Ebd., 402.

180

»Der Untergang des Abendlandes«

stellung seiner Dissertation Selbstmord. Seine Gestalt wurde daraufhin in den Kreisen österreichischer Intellektueller und Künstler mystifiziert und überhöht. Karl Kraus, Hermann Broch oder Ludwig Wittgenstein waren von seinem Werk begeistert.683 Die Festschreibung nationaler Kategorien durch anthropologische Bestimmungen wuchs im wissenschaftlichen Bereich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. So verfasste Houston Stewart Chamberlain, der seit dem Ende der 1880er Jahre in Wien lebte, das Werk »Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts«. Darin behandelte er rassistische Gesellschaftskonstruktionen und griff besonders die Position des Judentums auf.684 »Andere wiederum reden von Religion: es handle sich, so sagen sie, lediglich um religiöse Differenzen. Wer das sagt, übersieht, dass es gar keine jüdische Religion gäbe, wenn keine jüdische Nation existierte. Die existiert aber.«685

Chamberlain sah in der seiner Meinung nach im Judentum praktizierten Rassenreinheit etwas Positives, da diese die Stärke einer Gemeinschaft beeinflusste und daher auch die Weltherrschaft des Judentums ermöglichen würde. Infolge der Badenischen Sprachenverordnung wurden rassistisch-nationale Erklärungsmodelle herangezogen, um den Nationalitätenkonflikt zu erklären oder darin eingenommene Positionen zu unterstützen. Zwar konstruiert Chamberlain nicht als erster die Verbindung zwischen dem aufkommenden Rassismus und der Abgrenzung zum Judentum, dennoch wird deutlich, dass die jüdische Bevölkerung hier dezidiert als »Fremde«686 und »Andersrassige«687 bezeichnet wurde, was sich auch auf die Haltung innerhalb der Gesellschaft auswirkte. Bis zum Ende der Monarchie hatte Chamberlain über 100.000 Exemplare seines Werks vor allem im bürgerlichen Milieu verkauft.688 Jörg Lanz von Liebenfels, der eigentlich Adolf Josef Lanz hieß und nur eine Affinität für Adelstitel hatte, vertrat in seinen Anschauungen eine Verknüpfung germanisch-arischer Phantasien mit einer rassistischen Haltung. In seiner Zeitschrift »Ostara« (1905) übernahm er theosophische Ideen und interpretierte diese im rassistischen Kontext um. Die Zeitschrift beschäftigte sich unter anderem mit der Klassifikation von Rassen, Sex, Frauen und Prostitution sowie mit religiösen und okkulten Themen. Lanz von Liebenfels sah Rassen als kosmologische Typen, die für Ordnung oder Chaos im Universum standen. Grundsätzlich ging er davon aus, dass es vormals eine herrschende Rasse der Arier 683 684 685 686 687 688

Vgl. Wistrich 1999, 432. Vgl. Sievers 2007, 151. Chamberlain 1912, 327. Vgl. Chamberlain 1942, 574. Vgl. Chamberlain 1942, 574. Vgl. Sievers 2007, 154.

Wissenschaft und Gesellschaft

181

gegeben hatte, die von verschiedenen Mischrassen zurückgedrängt wurde. Bestätigung seiner Thesen fand er in der Zoologie, der Alten Geschichte sowie in der Anthropologie. 1905 publizierte er »Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron. Eine Einführung in die älteste und neueste Weltanschauung und eine Rechtfertigung des Fürstentums und des Adels.«689 Darin beschrieb er seine Theorien über frühe Formen übergeordneten Lebens, die besondere Fähigkeiten wie z. B. Telepathie besessen hätten. Mit Hilfe dieser alten Kräfte, glaubte von Liebenfels, könnte man dem Aufstieg der angeblich niedrigeren Rassen entgegengewirken und die Wende zur neuen Herrschaft der Arier beginnen.690 Der Kreis um Lanz von Liebenfels war klein und wurde in der breiten Gesellschaft zumeist belächelt und kaum ernstgenommen,691 dennoch waren seine Theorien in der Bevölkerung bekannt und fanden Anhänger. Auch Guido List, der 1848 in Wien geboren wurde, veröffentlichte Anfang des 20. Jahrhunderts einige Werke, darunter unter anderem »Die Namen der Volksstämme Germaniens und deren Deutung«692 und »Die Rita der Ariogermanen«693. Sein erstes Manuskript schickte List an die Akademie der Wissenschaften, offensichtlich in der Überzeugung, Wissenschaftliches erarbeitet zu haben. Die Ablehnung seiner Arbeit wurde sogar im Reichsrat erörtert, indem eine Stellungnahme vom Kultusminister verlangt wurde. Dieser Antrag war unter anderem auch von Karl Lueger unterzeichnet worden.694 List verband in seinen Werken Theosophie und Okkultismus und wurde so zu einem Anführer der völkischen Bewegung. Seine Werke zeigten eine starke Naturverbundenheit und den Rückbezug auf eine germanische Weltdeutung, die sich auch in einer Ablehnung der Gegenwart äußerte. Die romantisierende Darstellung einer paganen Vergangenheit mit der Vorstellung eines »ario-germanischen Stammes arischer Rasse«695 zeigte sich in seiner Hinwendung zu germanischen Religionsformen. Ebenso wie bei Lanz von Liebenfels spielte auch bei List die Reinheit der Rasse eine zentrale Rolle. Auch wenn beide eher als Außenseiter gesehen werden können, so bestimmten sie jedoch die weiteren Entwicklung des deutschsprachigen Diskurses um Rasse und Nation aus völkischer Perspektive wesentlich mit.696 In diesen pseudowissenschaftlichen Untersuchungen wird deutlich, wie weit 689 690 691 692 693 694 695 696

Vgl. Lanz von Liebenfels 1905. Vgl. Lanz von Liebenfels 1905. oder Vgl. Goodricke-Clarke 1997, 86 – 89. Vgl. Johnston 2006, 332. Vgl. List 1909. Vgl. List 1908. Vgl. Goodricke-Clarke 1997, 43 – 44. List 1910, 9. Vgl. Sievers 2007, 161 – 164. Vgl. Trauner 1999, 215.

182

»Der Untergang des Abendlandes«

sich rassistisches Gedankengut bereits in der Gesellschaft ausgebreitet hatte. Auch der mit diesen Rassentheorien verbundene Antisemitismus verhaftete sich dadurch noch stärker in einzelnen völkisch beeinflussten Milieus. Auch wenn teilweise in der Literatur davon ausgegangen wird, dass sich antisemitische Strömungen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückbildeten, ist dieser Annahme zu widersprechen.697 Der Antisemitismusdiskurs ist im Politischen wie auch im Alltäglichen eindeutig festzumachen. Besonders die akribischen Tagebuchaufzeichnungen Arthur Schnitzlers zeigen sich besonders ergiebig in Hinblick auf kleine, alltägliche Auseinandersetzungen dieser Art. So vermerkt er »antisemitische Gemeinheiten im Lehr- und Schulwesen«698, wie die Aussage eines Schuldirektors, »die verdorbenen Judenkinder werden schon früher reif«699, ebenso wie ein Zusammenstoß mit Robert Pattai in der Oper. »Im Tamagno Concert mit O. – Widerwärtig durch Publikum besonders. Neben mir sass Pattai, hob mir einen heruntergefallenen Operngucker auf, sah mich dabei mildstrafend an: ›Wie kann man nur ein Jude sein…‹«700

In dieser Aussage wird die Abneigung gegen die gesellschaftlich zugelassene und akzeptierte öffentliche Abwertung des Judentums sichtbar. Neben diesen das öffentliche Leben aufgreifenden Vermerken beobachtete er auch alltägliche private Entwicklungen in der Gesellschaft. So schrieb er in seinem Tagebuch auch Kleinigkeiten wie die Diskussionen zwischen Kindern, die im Garten spielten, auf. »Kinder aus dem Nebenhaus (Besucher) zu Richards Kindern im Garten: ›Euer Vater ist ja ein Jud… Ein Straßenkehrer ist mehr wie Euer Vater.‹«701

Diese Augenblicksaufnahme aus dem Jahr 1906 zeigt, wie weit sich antisemitisches Gedankengut als Abgrenzungsstrategie in der Gesellschaft durchgesetzt hatte, wenn dieses bereits in den privaten Alltag und die Erziehung miteingeflossen war. Die gesellschaftliche Kategorisierung der jüdischen Bevölkerung und die Zuweisung bestimmter Positionen am Rande der Gesellschaft zeichnen diese Mechanismen nach. In der sozialen Ausgrenzung im kindlichen Weltbild werden gesellschaftliche sowie erlernte Muster ungleicher Machtverhältnisse wiedergegeben, die sich Alltag manifestieren. In der Erziehung zur Nation ergibt sich damit auch eine Erziehung zur Ausgrenzung. Die Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Alltag zeigen sich auch in öffentlichen Annoncen, wie ein Beispiel aus dem Kikeriki vom 07. Juni 1908 verdeutlicht: 697 698 699 700 701

Vgl. Pauley 1993, 82. Tagebucheintrag 23. 06. 1907. Schnitzler 1991, 284. Tagebucheintrag 08. 03. 1904. Schnitzler 1991, 64. Tagebucheintrag 23. 01. 1905, Schnitzler 1991, 115. Tagebucheintrag 02. 12. 1906, Schnitzler 1991, 236 – 237.

Wissenschaft und Gesellschaft

183

»Frankfurt am Main. Bahnhof-Hotel Kölner-Hof. Weltbekanntes Haus guten Ranges am Hauptbahnhof in freister Lage. – Frequenz 1907: Über 28.000 Personen – 80 Zimmer. – Dampfheizung. – Elektrisches Licht. – Aufzug. – Telephon in allen Zimmern. – Bäder. –Speisesaal. – Schreib- und Lesezimmer. – Großes rauchfreies Restaurant mit vorzüglicher Küche. Jüdischer Besuch verbeten.«702

Die Ausgrenzung des Judentums nimmt hierbei explizitere Formen an. In den Darstellungen des Judentums als Nation, Rasse und Volksstamm werden zwar nationale Begrifflichkeiten verwendet, diese gehen in ihrer Ausformung jedoch über traditionelle Nationskonstruktionen hinaus. Nach der Emanzipation wird die Integration in die Gesellschaft nun doch verweigert. Lichtblau unterteilte die Entwicklung des 19. Jahrhunderts in der Donaumonarchie in drei Phasen. Erstens die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung nach 1848, die ganz vom Liberalismus geprägt war. Zweitens die Nationalisierung der Lebenswelt, in welcher die Integration nur teilweise als gelungen anerkannt wurde und die Verteidigung der eigenen politischen und gesellschaftlichen Interessen im Vordergrund stand, wie im Diskurs um Rabbiner Bloch deutlich wurde. Und drittens wurde durch den Zionismus die letzte Phase des 19. Jahrhunderts eingeleitet. Diese war die Reaktion auf den wachsenden »antisemitischen Deutschnationalismus«703 in Österreich. Theodor Herzl, zentrale Gestalt in der Herausbildung des Zionismus, hielt den wesentlichen Gedanken dieser Bewegung in seinem Werk »Der Judenstaat« fest. »Die Juden haben die ganze Nacht ihrer Geschichte hindurch nicht aufgehört, diesen königlichen Traum zu träumen: »Übers Jahr in Jerusalem!« ist unser altes Wort. Nun handelt es sich darum, zu zeigen, daß aus dem Traum ein tagheller Gedanke werden kann.«704

Dennoch war nicht das gesamte jüdische Milieu zionistisch orientiert. Wie auch in der Gesamtbevölkerung gab es unterschiedliche politische Positionen, von sozialdemokratisch, liberal über konservativ bis hin zu nationalistisch.705 Die Definition der jüdischen Gemeinschaft als homogene Gruppierung ist ebenso wie bei allen anderen nationalen, politischen oder religiösen Gruppierungen irrational. Diese gesellschaftliche Differenzierung und auch das teilweise Unverständnis der jüdischen Bevölkerung gegenüber der zionistischen Bewegung zeigen sich in einem Leserbrief einer Leserin in Blochs Wochenschrift aus dem Jahre 1898. »Was wollen wir Wiener Juden denn eigentlich? Wir fühlen uns eben als Wiener jüdischer Confession und sehnen uns eben so wenig nach Palästina zurück, wie der 702 703 704 705

Kikeriki, 07. 06. 1908, 11. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Lichtblau 1999, 117 – 118. Herzel 1934, 19. Vgl. Lichtblau 1999, 117 – 118.

184

»Der Untergang des Abendlandes«

Germane nach seinem Ursitze in Asien […] Wenn die Herren wirklich genöthigt wären, statt in Wien oder in Paris in Jerusalem zu leben, vielleicht würde ihnen da noch Ärgeres passieren, als die Ausschließung aus einem obscuren deutschen Badeort oder die Nichtaufnahme in einem bigotten Alpennest.«706

Die zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung im Alltag wird auch in dieser Textstelle deutlich. Dennoch wird im Sinne der Meinung der breiten jüdischen Bevölkerung argumentiert, dass man »Wiener jüdischer Confession« sei, und nicht mehr. Der gesellschaftlichen Ausgrenzung war ihrer Meinung nach nur durch verstärkte Assimilation entgegenzuwirken.707 Das Österreichische wird betont und im Gegensatz zum Deutschen definiert. Damit ist hier einerseits eine Differenzierung zwischen diesen beiden Begrifflichkeiten zu erkennen, andererseits wird die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer nationalen Umorientierung sichtbar, die als kaum durchdacht abgetan wurde. Vor allem aber im studentischen Milieu und bei der jüngeren Bevölkerung fanden diese Ideen einen fruchtbaren Nährboden. Radikale nationale Bestrebungen insbesondere des deutschradikalen Lagers zwangen die jüdische Bevölkerung, sich mit ihrer eigenen nationalen Identität auseinanderzusetzen, obwohl sich ein Großteil als Österreicher definierte.708 Pulzer sieht als Antwort auf diesen gesellschaftlichen Zwang im jüdischen Milieu unterschiedliche Reaktionen, »sei es österreichischer Patriotismus, überspitztes Deutschtum, Sozialismus, Zionismus oder Freitod«.709

6.3

Ausschnitte aus politischen Programmen

Aufgrund der Tatsache, dass die jüdische Bevölkerung Österreichs im Laufe des 19. Jahrhunderts von unterschiedlichen Milieus in der Gesellschaft immer stärker als Nation, nationale Volksgruppe oder ähnliches, und nicht mehr als Religionsgemeinschaft definiert wurde, zeigt sich eine Verbindung des Antisemitismus mit dem wachsenden Nationalismus. Ähnlich wie die nationalen Gruppierungen der Tschechen oder Slawen von der deutschsprachigen Gruppierung positioniert wurden, geschah dies auch mit der jüdischen Gemeinschaft. Die Ablehnung der religiösen Definition der Gruppe von außen ergab eine zunehmende Definition nach Standards der Nationsabgrenzung. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung wurde damit über folgende Bereiche definiert: die Namensgebung sowie die genealogischen Verhältnisse der Herkunft 706 707 708 709

Blochs Wochenschrift, 17. 06. 1898, 462. Vgl. dazu auch Raggam-Blesch 2005, 31. Vgl. Kirchhoff 2001, 129. Vgl. Ebd., 123. Pulzer 1986, 37.

Ausschnitte aus politischen Programmen

185

und die soziale Position in der Gesellschaft. Besitztum, Ideologie und Religion wurden ebenso für diese Konstruktion herangezogen, wie rassistisch konstruiertes, einheitliches Aussehen, zugewiesene physische und geistige Fähigkeiten sowie angenommene moralische Eigenschaften.710 Diese Verbindung traditioneller antijüdischer Stereotypen mit nationalen Bestrebungen und rassistischen Abgrenzungen fungierte verstärkt auch als Weltbild. Im deutschnationalen wie auch im christlich-konservativen Lager wurde der Antisemitismus politisiert und in Abgrenzungs- bzw. Widerstandserzählungen eingebaut. Als Beispiel, um die politische Bedeutung des Nationalitätenkonflikts und seine Verbindung zum Antisemitismus hervorzuheben, möchte ich das Wahlmanifest der christlichsozialen Reichspartei von 1907 heranziehen. Dieses wurde am 12. März 1907 in der Reichspost abgedruckt und definierte die christlichsoziale Partei als Volkspartei.711 Hier wird die Selbstdarstellung als deutsche Partei innerhalb des Nationalitätenkonflikts deutlich. Die Betonung lag verstärkt auf dem christlichen sowie deutschen Milieu, während die christliche Moral hier als Gegenstück zu Liberalismus und Kapitalismus präsentiert wurde. Als ihre politische Aufgabe wurde vor allem die Neugestaltung der als unhaltbar empfundenen Verhältnisse der Länder der ungarischen Krone dargestellt. Unter anderem wurde dadurch nicht nur der Nationalitätenkonflikt, sondern auch ein wachsender Antisemitismus sichtbar. »Seit 1867 haben es die Magyaren verstanden, innerhalb der Monarchie und auf Kosten der diesseitigen Reichshälfte ein Staatsgebilde aufzubauen, das, gelenkt von den fast durchwegs korrupten Parteien der judäomagyarischen Minderheit, alle nichtmagyarischen Völker Ungarns, seine deutschen Staatsbürger, die slavischen und romanischen Nationalitäten geknechtet, unterdrückt und ausgebeutet hat. […] Zu den erhabensten Gütern des deutschen Stammes rechnet die christlich-soziale Partei die christlich-deutsche Gesinnung, die sich in der Heiligkeit der Ehe, des Familienlebens und der sittlichreligiösen Erziehung der Jugend wiederspiegelt. Die Partei wird an diesen Grundpfeilern eines gesunden Volkslebens gegenüber den wütenden Anstürmen der vom jüdisch-freimaurerischen Geiste geleiteten Sozialdemokratie und ihrer Mitläufer ohne Wanken festhalten.«712

Interessant hierbei ist, dass nicht nur die Politik der ungarischen Reichshälfte kritisiert wird, sondern dass vor allem der Magyarisierungsdruck innerhalb der Region auf die »judäomagyarische Minderheit« zurückgeführt wird. Diese wird als hauptverantwortlich für die gesellschafts-politischen Entwicklungen gezeichnet. Um die Unterscheidung im Sinne einer Nationskonstruktion zu erreichen, wird in diesem Wahlmanifest der »judäomagyarischen Minderheit« die 710 Vgl. Metzeltin 2000, 35. 711 Reichspost. 12. 03. 1907, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 712 Reichspost. 12. 03. 1907, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

186

»Der Untergang des Abendlandes«

positive Gruppierung des »deutsche[n] Stamm[s]«, gegenübergestellt. Hierbei werden im Text vor allem die betont christlichen Vorzüge dieser Gruppierung unterstrichen. In der letzten Zeile wird das Judentum außerdem mit den Freimaurern und der Sozialdemokratie in Verbindung gesetzt. Diese waren durchgängig Gruppierungen, von denen man sich politisch abgrenzen wollte. Bereits am Parteitag in Eggenburg am 17. September 1905 wurde eine Resolution verfasst, die ähnliches forderte. »Die Bevölkerung des Stammlandes unserer Monarchie sieht als die Ursache dieses sich von Tag zu Tag verschlimmernden Mißverhältnisses die unverantwortliche und grenzenlose Nachgiebigkeit an, mit welcher seit Jahren die Regierung Österreichs die Interessen unserer Reichshälfte gegenüber einer gewissen übermütigen judeäomagyarischen Clique preisgibt.«713

Auch in diesem Textauszug wird deutlich, dass die deutschsprachige katholischkonservative Gruppierung, die hinter der Reichspost stand, auch die in den politischen Programmen vermittelte Grundhaltung mittrug. Somit ist in diesem Milieu eine verstärkte Ablehnung der ungarischen Reichshälfte zu erkennen, die sich in einer narrativen Verknüpfung mit dem Judentum konstruierte. Die Bezeichnung als deutsche Partei ist in erster Linie keine Verbindung mit dem Deutschen Reich, sondern eine Abgrenzung von der ungarischen Reichshälfte. Die Definition als Deutschösterreich war im Fall der Christlichsozialen verstärkt eine Selbstdefinition gegen den wachsenden Nationalitätenkampf innerhalb der Monarchie.714 Zentral ist jedoch die Abgrenzung von anderen nationalen Gruppierungen, die sich vor allem in den verwendeten Begriffen zeigt. Durch die Konstruktion der »judeäomagyarischen Clique«715 sowie deren »judenliberale Herrschaft«716 wurde die Abgrenzung vom Liberalismus als politisches Gegenlager sichtbar. Zentral war hier vor allem die Ablehnung des Dualismus als Reichsform, wie in der Reichspost weiter ausgeführt wurde. »Der Dualismus ist überhaupt keine lebensfähige Staatsform. Er ist lediglich ein Produkt jener judenliberalen Herrschaft, die mit ihrer Schöpfung ›Österreich-Ungarn‹ ebenso bankrottirt hat, wie mit ihrer Sozial- und Kulturpolitik.«717

Negativ konnotierte politische Entwicklungen wurden mit gesellschaftlichen und sozialen Bestrebungen gleichgesetzt oder verbunden, um Abgrenzungsmechanismen breitenwirksam aufzugreifen. In dieser Gesellschaftskonstruktion wurde die historisierende Rückbesinnung auf ›die gute alte Zeit‹, vor der »judenliberalen Herrschaft« und der »Schöpfung Österreich-Ungarn[s]« ima713 714 715 716 717

Reichspost, 19. 09. 1905, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Kirchhoff 2001, 132. Reichspost, 19. 09. 1905, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 20. 09. 1905, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 20. 09. 1905, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Ausschnitte aus politischen Programmen

187

giniert. Aber die Ablehnung des Judentums wird nicht nur mit Ungarn verbunden, auch die Haltung der Regierung gegenüber der Zuwanderung jüdischer Gruppierungen aus Russland wird in dem Artikel »Das rückständige Österreich« heftig kritisiert. Internationale politische Entwicklungen wurden als Vorbild herangezogen, um innerregionale Konflikte aufzuzeigen und Lösungsansätze zu präsentieren. Dies war während der 1880er Jahre im deutschnationalen Lager mit dem Verweis auf die Einwanderungsgesetze der USA in Bezug auf chinesische Immigranten aufgegriffen worden und wurde nun wieder thematisiert. »Am 1. Jänner ist in England das neue Einwanderungsgesetz, das sich hautsächlich gegen die Einwanderung der Juden richtet, in Kraft getreten. Dasselbe schreibt vor, daß Personen, die keine Mittel besitzen, die Verbrecher sind oder ansteckende Krankheiten haben, nicht ins Land gelassen werden sollen. […] Nach Österreich strömen täglich Tausende von Juden, zumeist dem Gesindel angehörend, das die russischen Arbeiter zur Revolution hetzte und sie nun sitzen läßt. In Wien soll die Zahl bereits weit über 10.000 betragen, kein Mensch aber denkt daran, den Zustrom dieser in jeder Hinsicht höchst bedenklichen Gäste zu hindern. Ja, Österreich ist rückständig, rückständig bis zur Trottelosis!«718

Im Vergleich mit der politischen Haltung anderer Nationen werden eigene als negativ aufgefasste gesellschaftspolitische Entwicklungen dargestellt. Mit der Darstellung des Einwanderungsgesetzes in England wird die Zuwanderung reguliert und das Bild einer intakten Nation suggeriert, die nicht durch Zuwanderung ›verfälscht‹ wird. Neben dem Einsatz für die Beschränkung der Zuwanderung wird in der christlich-sozialen Arbeiter-Zeitung auch der aus dem deutschnationalen Lager kommende Vorschlag der Schaffung einer »eigenen Judenkurie«719 positiv aufgegriffen. Das Programm der Deutschen Arbeiterpartei, die als »Gegengewicht zu den sozialdemokratischen und christlichsozialen Arbeiterorganisationen«720 entworfen wurde und deutsch-völkisch geprägt war, wurde am Reichsparteitag am 7. und 8. Mai 1913 beschlossen und definierte sie als »deutsche Arbeiterpartei«. »Die deutsche Arbeiterpartei ist keine engherzige Klassenpartei; sie vertritt die Interessen aller ehrlichen schaffenden Arbeit überhaupt, sie betrachtet sich jedoch vorwiegend als die Vertreterin der Forderungen der deutschen Arbeitnehmerschaft und erstrebt die Beseitigung aller Mißstände und die Herbeiführung gerechter Zustände des öffentlichen Lebens. Wir sind eine freiheitliche völkische Partei, die mit aller Schärfe bekämpft die rückschrittlichen Bestrebungen, die mittelalterlichen, kirchlichen und 718 Christlich-soziale Arbeiter-Zeitung, 20. 1. 1906, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 719 Christlich-soziale Arbeiter Zeitung, 09. 12. 1905, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 720 Berchtold 1967, 225.

188

»Der Untergang des Abendlandes«

kapitalistischen Vorrechte und jeden fremdvölkischen Einfluß, vor allem den überwuchernden Einfluß des jüdischen Geistes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens.«721

Am Ende des ersten Weltkriegs wurde der Parteiname in Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei umgeändert. Man definierte sich als sozialistisch und grenzte sich dadurch vom Bürgerlichen ab.722 Wie in diesem Ausschnitt des Pateiprogrammes sichtbar wird, zeigte sich die Deutsche Arbeiterpartei vor allem vom Nationalitätenkonflikt beeinflusst rassistisch und antisemitisch sowie antiliberal und antiklerikal mit der Betonung der sozialen Frage im Arbeitermilieu, das es zu stärken galt.723 Im Gegensatz zu diesen beiden Bespielen war die Sozialdemokratie des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts, wie bereits in ihrem Programm Ende der 1880er Jahre deutlich wurde, nicht antisemitisch verortet, sondern griff diese Elemente nur von Zeit zu Zeit auf, auch um die Entwicklungen der politischen Opposition darzustellen.724

6.4

Österreichisches Gefühl?

Die Problemfelder der österreichisch-deutschen Identitätsbildung im Politischen zeigen sich auch nach außen. »Es findet sich im politischen Bereich durchweg das Bekenntnis zum Staat Österreich, aber – abgesehen von den Christlichsozialen – nur selten zu einer dezidiert österreichischen Identität.«725 Diese Feststellung trifft auch der rumänische Abgeordnete Aurel Popovici im Jahr 1906. »Aber die österreichischen Deutschen haben heute überhaupt kein positives, den heutigen geänderten Umständen angepasstes staatsrechtliches oder national-politisches Programm, so dass sie tatsächlich den Eindruck erwecken, als ob sie selbst nicht recht wüssten was sie eigentlich wollten.«726

In der politischen Landschaft des deutschsprachigen Österreichs sieht Kirchhoff in der Entwicklung der drei großen politischen Lager vor allem drei Tendenzen. Erstens ist die Forderung für eine Angliederung an Deutschland nur im radikalen deutschnationalen Lager vertreten, keineswegs jedoch als breite politische Forderung zu erkennen. Zweitens wird die Rolle der deutschsprachigen Bevölkerung überdurchschnittlich hoch eingeschätzt und das Elitendenken 721 722 723 724 725 726

Berchtold 1967, 226. Vgl. Burschofsky 1915, 41 – 43. Vgl. Hamann 1906, 352 – 354. Vgl. Wistrich 1990, 180 Kirchhoff 2001, 149. Popovici 1906, 16.

Österreichisches Gefühl?

189

damit weiterkonstruiert. Dennoch sieht er drittens nur das christlichsoziale Lager eindeutig mit einem nationalen österreichischen Bewusstsein in Abgrenzung zum Deutschen Reich verbunden.727 Diesen Entwicklungen ist grundsätzlich zuzustimmen, dennoch ist zum Beispiel auch im klerikalen Milieu die Betonung der österreichischen Monarchie von zentraler Bedeutung in der Abgrenzung von Preußen. Generell ist festzuhalten, dass die Begrifflichkeit des Österreichischen in allen politischen Lagern des deutschsprachigen Teils der Monarchie – mit Ausnahme des deutschnationalen – elementaren Gehalt hatte und im Rahmen der Selbstdefinition wie auch in der Abgrenzung vom Deutschen Reich eingesetzt wurde. Hermann Bahr hielt in einem Essay mit dem Titel »Das junge Österreich« 1893 fest, dass das österreichische Bewusstsein erst durch die Abgrenzung vom Deutschen Reich entstehen konnte. Diese sah er zu diesem Zeitpunkt auch als zentralen Inhalt dieser Konstruktion an. »Es will vielmehr, da nun einmal unser Leben aus der deutschen Entwicklung geschieden und heute der deutschen Literatur verlassen und nun aus der eigenen Art auch eine eigene Kunst gestalten. Es möchte – sonst hat es keinen vernehmlichen Trieb – es möchte recht österreichisch sein, […].«728

In der Abgrenzung vom »Deutschen« wird das Österreichische erst bestimmt, auch wenn es ein »jetzt so heftiges, aber vages und rahtloses Gefühl des Österreichischen«729 ist. Die Trennung zwischen österreichischer und deutscher Kultur wird mit Ende der 1890er Jahre zunehmend stärker formuliert. »Deutschösterreichisch, was ist das für ein Ungethüm? Warum diese Mischung? Es gibt Autoren, die in Österreich geboren sind und leben, aber deutsch denkend und deutsch fühlend Deutsches schaffen – diese gehören zur deutschen Literatur. […] Aber wir haben auch andere, die, wenn auch mit deutschen Worten redend, sich doch keineswegs als Deutsche fühlen, indem sie andere Nerven, andere Sinne und einen ganz anderen Geist haben als die Deutschen – diese bilden unsere österreichische Literatur. […] Die Deutschen unter uns werden nicht österreichisch heißen wollen, die Österreicher nicht deutsch.«730

Die Problematik der Beziehung zwischen dem Deutschen Reich und Österreich wird vor allem von Künstlern der Wiener Moderne aufgegriffen und thematisiert. Deutschland, vornehmlich mit kultureller Dominanz in Verbindung gebracht, wird langsam von einer österreichischen Identität differenziert.731 Das Österreichische der deutschsprachigen Gruppierung definierte sich demnach 727 728 729 730 731

Vgl. Kirchhoff 2001, 148. Bahr 1894, 80. Bahr 1976, 624. Bahr 1976, 761. Vgl. Cs‚ky 1996, 185 – 187.

190

»Der Untergang des Abendlandes«

nicht ausschließlich bzw. nur teilweise über die deutsche Sprache, da diese auch in Bezug auf eine deutsche Identitätskonstruktion verwendet werden konnte. Kirchhoff sieht in Bahrs Haltung die repräsentative Darstellung einer Generation, die sich sowohl deutsch als auch österreichisch definiert. Diese Kombination ist in der Begriffsdefinition zu finden, die österreichisch als »eine kulturelle, keine nationale Größe«732 konstruiert. Bahr als Repräsentant einer Generation, die in ihrer Jugend verstärkt vom Verlust der kulturellen Anbindung an Deutschland geprägt war und ihre Hinwendung im studentischen Milieu auslebte, spiegelt die Ambivalenz der österreichischen Nationalidentität wider. Österreich war einerseits als Gesamtstaat und Monarchie definiert und umfasste in dieser Konstruktion unterschiedlichste Nationalitäten. In dieser Vorstellung war die deutschsprachige Gruppierung nur eine unter vielen, insbesondere infolge ihres zunehmenden Machtverlustes. Andererseits versprach eine Hinwendung zum Deutschen Reich keine Besserung des Zustandes, und eine Eingliederung sowie die Loslösung vom Katholizismus wurden nur von einem kleinen radikalen Teil der Bevölkerung tatsächlich angestrebt. Damit wird deutlich, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine dynastische Identitätsprägung vorherrschte, während diese jedoch verstärkt mit nationalen Begrifflichkeiten aufgefüllt wurde. Zudem ist es richtig, dass die Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und Österreich ein besondere war, die sich auch in der nationalen Identitätskonstruktion vor allem des deutschnationalen Lagers niederschlug. So sieht man zum Beispiel in der national-romantischen Dichtung Robert Hammerlings die Zerrissenheit zwischen diesen beiden Kategorien. »Deutschland ist mein Vaterland! / Und Österreich? Ei, mein Mutterland! / Ich liebe sie innig beide. […] / Von jenem hab ich Geist und Sinn, / von diesem das Gemüte! / Wenn ich denke, wenn ich sinne, / wenn ich dichte, wenn ich schaffe, / fühl‹ ich mich als Sohn des Vaters, / Sproß vom deutschen Stamme; / Aber wenn ich liebe, schwärme, / wenn ich jauchze, lache, weine, / bin ich meiner Mutter Sohn.«733

Hammerling unterscheidet in seiner Darstellung zwischen Deutschland und Österreich als Vater- und Mutterland. Deutschland repräsentiert nach dieser Konstruktion die künstlerische Heimat, während die emotionale Verortung in Österreich liegt. Wesentlich für die Definition einer österreichischen Identitätsentwicklung ist aber auch Hermann Bahrs »Austriaca«, das den bürokratischen Alltag der Monarchie kritisiert. »Für unser eigentlich österreichisches Problem wird immer noch das nationale gehalten. Ich glaube das nicht. Was unsere Völker verbindet, ist überall viel stärker, als 732 Kirchhoff 2001, 120. 733 Hammerling 1893, 13.

Österreichisches Gefühl?

191

was sie trennt. […] Darin besteht die Thätigkeit des Beamtenthums. Es fühlt sich als Kurator dieser alten Staatsidee. Das Volk hat diese alte Staatsidee nie gehabt, der Kaiser hat sie aufgegeben; Volk und Kaiser haben sich im Glauben an ein neues Reich gefunden, das nur noch eine seiner Form sucht. Von der alten Staatsidee ist nichts mehr übrig als der Kurator. Der setzt nun alles daran, das neue Reich zu verhüten. Zunächst, indem er überall die nationalen Fragen vorschiebt. Er schürt die nationale Hetze.«734

Er sieht in dieser Beschreibung nicht mehr die Frage nach der nationalen österreichischen Identität im Vordergrund, sondern stellt fest, dass »die Thätigkeit des Beamtenthums« das eigentlich Trennende zwischen den Völkern unterstreicht und hervorhebt. Bahr stellt sowohl den Kaiser als auch das Volk als hinter der Staatsidee stehend dar, während die Bürokratie versucht, alte Strukturen aufrechtzuerhalten und daher auch den Nationalitätenkonflikt anheizt. Da nicht genau definiert wird, was die neue bzw. die alte »Staatsidee« ist, kann auch nicht genau nachvollzogen werden, inwiefern sich diese beiden unterscheiden bzw. ob tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass sowohl das Volk als konstruierte Einheit, als auch der Kaiser hinter dieser Idee gestanden haben. In seiner 1907 veröffentlichten Rede »Der Dichter und diese Zeit«735 beschreibt Hugo von Hofmannsthal, dass die Fähigkeit, die Gefühle eines Volkes zu erfassen, ausschließlich bei Dichtern zu finden sei. Aus dieser Betrachtungsweise ist das Literarische und Künstlerische an sich also für die Schaffung eines nationalen Bewusstseins notwendig, wodurch jedoch eine Beschränkung der Kultur allein auf eine Hochkultur eines bestimmten Milieus vollzogen wird. Während Max Mell in seinem Werk »Österreichische Zeiten und Charaktere. Ausgewählte Bruchstücke aus österreichischen Selbstbiographien«736 sich zwar mit einem Volkscharakter beschäftigt, diesen jedoch nicht genau definieren kann. Dies zeigt die noch am Anfang stehende literarische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Österreichischen auf, die in den 1890er Jahren begann und sich auch in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fortsetzte. Während im 19. Jahrhundert noch vermehrt der Nationalitätenkonflikt und die Abgrenzung von anderen nationalen Gruppierungen im Vordergrund stand, wurde nun versucht dem spezifisch Österreichischen selbst geisteswissenschaftlich und literarisch auf den Grund zu gehen.

734 Bahr 1911, 33. 735 Vgl. Hofmannsthal 1979, 54 – 81. 736 Vgl. Mell 1912.

192

6.5

»Der Untergang des Abendlandes«

Antisemitismus und Nationalismus 1914

Entgegen der Annahme, dass sich Nationalismus und auch Antisemitismus am Vorabend des Ersten Weltkrieges beruhigt hätten, wird in der Presselandschaft des Jahres 1914 das Gegenteil sichtbar. Am 29. Mai 1914 kommentierte das Vorarlberger Volksblatt als Leitartikel die österreichische Delegationsrede von Fürst Schönburg, die sich mit der österreichischen Presse beschäftigte. »Es ist ein ebenso scharfes, als richtiges Urteil, das Fürst Schönburg über das Verhalten der Judenpresse fällt; es ist begreiflich, daß die von dieser Kritik hauptsächlich getroffenen Preßorgane höchst ungehalten sind. Leider zog Fürst Schönburg aus seiner Erkenntnis nicht die richtigen Schlüsse; er hätte aus den vorgebrachten Tatsachen die Folgerung ableiten müssen, daß alle maßgeblichen Faktoren der Monarchie verpflichtet werden, auf der ganzen Linie den Kampf mit dieser unpatriotischen, die Interessen des Vaterlandes gewissenlos schädigenden und für das Ausland arbeitenden Presse aufzunehmen, sie wie eine Pest zu bekriegen, ihren Einfluß im In- und Auslande möglichst kalt zu stellen, kurz, diese Presse so rasch als möglich unschädlich zu machen.«737

Die österreichische Presse und damit das Judentum wird als Bedrohung des »Vaterlandes« gesehen, da die Schlussfolgerung gezogen wird, dass es für »das Ausland« arbeiten würde. Der logische Schluss für das konservative-katholische Lager des Vorarlberger Volksblatt ist demnach das »unschädlich« machen »dieser Presse«. Insbesondere die Ausweitung des Antisemitismus in alltägliche Belange macht die tiefe gesellschaftliche Verankerung deutlich. So veröffentlicht der Kikeriki die Anzeige eines Unternehmens, das sich damit rühmt, die »einzige christlich-arische Krankentransport-Unternehmung«738 Wiens zu sein. Und auch die Reichspost konstruiert am 6. Mai 1914 in ihrem Leitartikel »Die größte nationale Gefahr«, die jüdische Presse und ihre Verbindung zum Nationalitätenkonflikt als zentrale Problemfelder der Gegenwart. »Als Exemieur, der Begründer der Alliance Israelite, in einer der ersten Generalversammlung dieser Vereinigung das berühmt gewordene Wort sprach: ›Wie schnell gehen wir Kinder Israels! Wir machen Riesenschritte!‹, da wußte er noch nichts von dem Königreich Böhmen des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Begeisterung über die Erfolge, das gewaltige Fortschreiten des Judentums zu einer Herrenstellung würde ihn sonst zu noch begeisterterer Freude angespornt haben. Es ist wie ein tragisches Verhängnis, daß zur selben Zeit, da die Blicke der beiden christlichen Nationen Böhmens gebannt an den deutsch-tschechischen Gegesätzen hängen, ihr gemeinsamer Gegner, das Judentum, auf ihre Kosten einen Erfolg zum anderen häuft und in dem Lande, in dem sonst jedermann unter den Folgen des nationalen Zwistes leidet, der einzige ist, der die natürlichen Güter dieses Landes fröhlich genießt. […] – nur einer befindet sich 737 Vorarlberger Volksblatt, 29. 05. 1914, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 738 Kikeriki, 12. 04. 1914, 9. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Antisemitismus und Nationalismus 1914

193

wohl, lächelt, triumphiert, streift Gewinne ein und herrscht: der Jude. […] Die hierzulande noch immer allmächtige jüdische Presse trübt die Situation noch mehr. Diese Presse steht zwischen dem Volk und dem nationalen Frieden.«739

Der Bezug zur Alliance Israelit¦ Universelle greift die Angst vor einer jüdischen Weltherrschaft auf und kombiniert diese mit dem noch immer vorherrschenden Nationalitätenkonflikt, der insbesondere in Böhmen seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer stärker wurde. Die nationalen und politischen Entwicklungen werden nun von der Reichspost jedoch nicht als von den daran beteiligten gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen konstruiert gesehen, sondern beinahe ausschließlich vom Judentum beeinflusst. Die »christlichen Nationen Böhmens« vergessen nach Meinung des christlichsozialen Lagers ihre Gemeinsamkeiten, die auch in einem gemeinsamen Feind, dem Judentum, liegen. In dieser Darstellung wird die jüdische Presse als hauptverantwortlich für die nationalen Konflikte gezeichnet. Interessant an dieser Beschreibung ist auch, dass sie als »zwischen« Volk und Nation stehend beschrieben wird, womit dem Judentum automatisch eine Zugehörigkeit zu einem österreichischen Volksbegriff aberkannt wird. In einer Karikatur in der Zeitschrift Kikeriki wurde neben diesen völkischen Gedanken auch das Moment der religiösen Abgrenzung in der Betonung von Judentum und Christentum als gegenteilige Positionen aufgegriffen. Im Jahre 1914 wurde eine Ansichtskartenserie mit antisemitischen Motiven herausgebracht, die direkt bei der Redaktion in Wien bestellt werden konnte. Diese Ansichtskarten stellen allesamt unterschiedliche Aspekte des Antisemitismus dar. In der folgenden Abbildung zeigt sich das Judentum als Richter über das Christentum, in der Darstellung als Opferlamm. Durch diese Beispiele wird deutlich, dass der Antisemitismus auch vor dem Beginn des zweiten Weltkrieges nicht nachgelassen hat. In der Wiederholung der immer gleichen Bilder und Stereotype werden deren Inhalte gesellschaftlich tradiert und können endlos weiter transportiert werden. Diese Entwicklung ist in enger Verbindung mit der Politisierung der Gesellschaft während der 1880er und 1890er Jahre zu sehen, in der vor allem durch das deutschnationale Milieu antisemitisches Gedankengut gesellschaftstauglich wurde. Die politische Entwicklung der letzten Jahre ins Auge gefasst, zeigt, dass die deutschnationalen Tendenzen seit den 1880er Jahren stetig zugenommen haben, auch wenn seit den 1890er Jahren das christlichsoziale Lager die politische Macht in Händen hielt. Während 1885 der Verband der Deutschnationalen vier Mandate im österreichischen Abgeordnetenhaus hatte, so waren dies 1901 im Rahmen der Alldeutschen Partei bereits 22 Mandate. Im Jahre 1911 wurden – aufgeteilt auf 739 Reichspost, 06. 05. 1914, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

194

»Der Untergang des Abendlandes«

Abb. 16: Religiös motivierte antisemitische Karikatur. Kikeriki, 12. 07. 1914, 7. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Schönerers Alldeutsche, die Deutsche Arbeiterpartei und Wolfs Deutschradikale – sogar insgesamt 29 Mandate erreicht.740 Die Auflage antisemitischer und alldeutscher Zeitschriften sank bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges. Dies ist jedoch in direktem Zusammenhang mit dem Aufstieg der christlichsozialen Reichspost zu sehen, die dieses Publikum zu einem großen Teil in ihre Leserschaft integrieren konnte.741

28. Juni 1914 Stefan Zweig hält in seinem Werk »Die Welt von Gestern« fest, dass »keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung [.] von den Gesichtern abzulesen«742 war, als verkündet wurde, dass das Thronfolgerpaar ermordet wurde, »denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen.«743 Diese Feststellung zieht sich durch alle zeitgenössischen privaten Aufzeichnungen. Schnitzler bemerkte, dass er am Nachmittag von der Ermordung erfuhr, jedoch schenkte er diesem Ereigniss nur mehr wenig Aufmersamkeit. 740 741 742 743

Vgl. Trauner 1999, 14 – 15. Pauley 1993, 84. Zweig 2002, 250. Ebd., 250.

Antisemitismus und Nationalismus 1914

195

»Nm. telephoniert uns Julius dass Franz Ferdinand und Gemahlin in Sarajevo erschossen wurden; näheres dann die Hofrätin und Salten.– Schöner Sommertag; […] Die Ermordung F.F.s, nach der ersten Erschütterung wirkte nicht mehr stark nach. Seine ungeheure Unbeliebtheit.«744

Indem er sich in der Mitte seines Tagbucheintrags noch mit dem Wetter des Tages und dem Spiel der Kinder im Garten beschäftigt, wird einerseits ein gewisses Desinteresse an politischen Ereignissen sichtbar, andererseits vor allem die Abneigung gegen die Person Franz-Ferdinands hervorgehoben. Josef Redlich, deutsch-freisinniger Abgeordneter, verzeichnet in seinem Tagebuch folgende Notiz: »Vielleicht wird man sagen dürfen: Gott hat es gut gemeint mit Österreich, daß er ihm diesen Kaiser erspart hat«.745

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Situation in ihrer Tragweite erheblich unterschätzt wurde. Die endgültige Eskalation des Nationalitätenkonflikts wurde erst in den Pressemeldungen der nächsten Tage sichtbar, als der Tod des Erzherzogs und seiner Gemahlin großräumig publik gemacht wurde. Die ersten Meldungen griffen, wie hier in der Neuen Freien Presse, die auf jeden Fall im liberalen Lager vorherrschende Fassungslosigkeit auf, die in bestimmten Teilen der Gesellschaft entstanden war. »Erzherzog Franz Ferdinand ist heute mit seiner Gemahlin in Sarajevo das Opfer eines Mordanschlages geworden. In die sommerliche Ruhe des Sonntags kommt diese Nachricht mit all ihren grauenhaften Einzelheiten wie ein Donnerschlag, und eine Verschwörung zeigt sich, deren Ziel es war, den Staat selbst zu treffen und die Sicherheit des Besitzes von Bosnien in Frage zu stellen.«746

Die Reichspost titelt in ihrem Leitartikel vom 29. Juni 1914 »Das Verbrechen von Sarajevo. Die letzten Augenblicke des Erzherzogs und der Herzogin. – Aufdeckung eines Belgrader Komplottes. – Rückkehr des Kaisers nach Wien.«747 In einem Artikel von Richard von Kralik, einem deutschen Schriftsteller böhmischer Abstammung, wird eine zunehmende Rechtfertigungstrategie der Nationalitätenpolitik der Monarchie und damit eine Ablenkung von der Eigenverantwortlichkeit an den Geschehnissen deutlich. »Es war, ist und wird immer die Aufgabe Österreichs sein, sowohl im Inneren wie im Äußeren der Sache der Gerechtigkeit im Zusammenleben der verschiedenen Völker zum Erfolg zu verhelfen. Das war auch die große, von vielen mißverstandene Aufgabe 744 745 746 747

Schnitzler 1983, 123. Redlich 1953, 235. Neue Freie Presse, 29. 06. 1914, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Reichspost, 29. 06. 1914, Nachmittagsausgabe, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

196

»Der Untergang des Abendlandes«

Abb. 17: Titelblatt der Neue Freie Presse. Neue Freie Presse, 29. 06. 1914, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Österreichs in den letzten Jahren. Österreichs Politik hat innen und außen die Unterdrückung berechtigter nationaler Interessen zu verhindern gesucht. […] Unsere Politik ist nicht slavenfeindlich, wenn wir staatliche Gebilde zu verhindern suchen, die der Kulturgeschichte, der Ethnographie, der Statistik widersprechen. Wir sind Freunde des serbischen Volkes, wenn wir es verhindern, in abenteuerlichen Plänen sich zu erschöpfen, die es nicht durchführen kann gegen Bulgaren, Albaner, Griechen usw.«748

Die Argumentationslinie dieses Artikels führt streng genommen auch die nationalen Bestrebungen und die nationale Identitätskonstruktion des christlichsozialen Milieus im deutschsprachigen Teil der Monarchie ad absurdum. Als Hintergrund hierbei ist jedoch zum einen der böhmisch-adelige Hintergrund des Artikelschreibers zu sehen und zum anderen die Machtposition, aus der heraus die ethnozentristische und rassistische Haltung der deutschsprachigen Bevölkerung gebildet wurde. Der Begriff »Österreich« wird auch hier in der Gesamtheit der Monarchie und der Unterdrückung der anderen Nationen verstanden. Die übergeordnete Rolle der deutschsprachigen Gruppierung gegenüber den anderen wird insbesondere in der »Kulturgeschichte, der Ethnographie, der Statistik« begründet. Die anderen nationalen Gemeinschaften werden zudem als inferior und weniger weit entwickelt dargestellt, sodass man ihnen ›helfen‹ muss, sich in der Welt zurechtzufinden. Diese koloniale Haltung wird zum Katalysator der bereits bestehenden Konflikte am Balkan. Dennoch kam es innerhalb der Bevölkerung zu Protesten und Demonstrationen aufgrund dieses Angriffs auf die Monarchie, die sich gegen die serbische Regierung bzw. die serbische Nation richtete. In Wien wurden serbische Fahnen verbrannt und die Monarchie gepriesen.

748 Reichspost, 30. 06. 1914, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Antisemitismus und Nationalismus 1914

197

»Die Menge, die immer zahlreicher anschwoll, stimmte dann plötzlich die Kaiserhymne an und plötzlich hatte einer eine serbische Fahne da, schwenkte sie unter Pfuirufen in der Luft und gleich darauf wurde sie von der Menge unter stürmischer Kundgebungen gegen Serbien verbrannt.«749

In den Schuldzuweisungen an die serbische Regierung wurde das Gemüt des Volkes mit Hilfe der Presse aufgeheizt, sodass es seinen Unmut in den Straßen von Wien bis Sarajevo entlud. Dass diese Ausschreitungen in Sarajevo, wie im Vorarlberger Volksblatt berichtet, nur in den Unterstützungsbekundungen für die Monarchie begründet sind, ist zu bezweifeln, da die Hauptbeteiligten auch nach diesem Bericht »kroatische und mohammedanische Studenten« waren und eigene Motivationen in der Ablehnung der serbischen Bestrebungen hatten. Diese Ausschreitungen sind im Rahmen der Ereignisse zu sehen, dennoch wird zudem die extreme Konfliktsituation des Balkans sichtbar. »Kroatische und mohammedanische Studenten zogen, indem sie die Volkshymne sangen und ›Hoch!‹-Rufe auf Kaiser Franz Josef ausbrachten, durch die Straßen und riefen ›Nieder mit den Serben!‹ […] Die Menge gebärdete sich wie wahnsinnig. Viele Frauen stürzten sich wütend auf die auf die Straße geworfenen Gegenstände und zertrümmerten sie gänzlich. Die Polizei und das Militär waren den Demonstranten gegenüber machtlos.«750

Am 23. Juli wurde die »Note der österreichisch-ungarischen Regierung in Belgrad« überreicht. Diese war befristet auf 48 Stunden und erwartete bis zum Samstag den 25. Juli um sechs Uhr nachmittags eine Antwort. Sollte diese nicht bis zu diesem Zeitpunkt einlangen, war die österreichisch-ungarische Regierung entschlossen, »die Folgen zu ziehen.«751 Genau diese Haltung jedoch, die kein anderes Endergebnis als Krieg zur Folge haben konnte, förderte die nationale Identitätskonstruktion der deutschsprachigen Bevölkerung Österreich. »Und doch verzagen wir in unserem abgrundtiefen Leid nicht. Wie immer im Unglück zeigt sich auch jetzt der österreichische Patriotismus im hellsten Lichte.«752

Niemand konzentrierte sich nun mehr auf innerösterreichische Konflikte in dieser Lage der äußersten Angespanntheit. Alle politischen und gesellschaftlichen Problemfelder, die in den letzten fünf Jahrzehnten bestanden hatten, wurden von den überwältigenden Ereignissen und der nationalen Euphorie in den Hintergrund gedrängt. Österreich und der Weiterbestand der Monarchie

749 750 751 752

Reichspost, 01. 07. 1914, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 02. 07. 1914, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse, 24. Juli.1914, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 01. 07. 1914, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

198

»Der Untergang des Abendlandes«

standen im Vordergrund und das neu erstarkende nationale Bewusstsein der Österreicher war durch nichts zu erschüttern.753

753 Vgl. Kirchhoff 2001, 178.

7.

Der Anfang vom Ende?

»Wir anderen Deutschen, die nicht in Böhmen leben, wir Deutschen der österreichischen Alpen haben uns längst in das neue Österreich gefunden, das ein slawisches Reich ist, in dem wir durch unsere Zahl wenig, aber alles durch unsre geistige und wirtschaftliche Macht bedeuten können. Wir fragen uns nicht mehr erst, warum es unseren Vätern nicht gelungen sei, Österreich deutsch zu machen. Wir wissen, daß es jetzt zu spät ist, dies noch einmal zu versuchen.«754

Tendenziell ist festzuhalten, dass zwischen den Haltungen der einzelnen Milieus zu unterscheiden ist. Nationale Bestrebungen differenzierten sich in der Notwendigkeit, Erhaltungstendenzen für die Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, ebenso wie in der Abgrenzung von anderen Gruppierungen. Wesentlich in der Bestimmung der Identitätsentwicklung ist die Verwendung der Begrifflichkeiten im gesellschaftlichen Diskurs. Haider unterscheidet im 19. und 20. Jahrhundert vier Arten der Verwendung des Begriffes deutsch in Österreich. Erstens die Definition des Deutsch-Seins selbst, zweitens die Möglichkeit, sich als Mitglieder der deutschen Kultur zu präsentieren, drittens sieht er die Verbindung zum Deutschen Bund als zentralen Anknüpfungspunkt und viertens wird die Deutschsprachigkeit selbst hervorgehoben.755 Damit wird Identität auf einer individuellen sowie kulturellen und kollektiven Ebene konstruiert und mit politischen und sprachnationalen Aspekten verbunden. In der Verwendung der Begriffe deutsch und österreichisch finden sich unterschiedliche Ansatzpunkte in der österreichischen Presselandschaft des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. In zentralen Zusammenhang stehen diese jedoch mit der Identitätskonstruktion um Dynastie und Nation.

7.1

Zwischen Dynastie und Nation

Seit dem Trauma von 1866 zeigten sich Bestrebungen, die deutschsprachige Gruppierung Österreichs aufgrund dieser Zwangslage stärker von Deutschland abzugrenzen. Insbesondere der Begriff Österreich wurde mit der Monarchie in Verbindung gebracht und als übergreifendes Konstrukt dargestellt. Auch wenn sich unterschiedliche nationale Gruppierungen darin vereinten, so war die deutschsprachige Bevölkerung dennoch in einer Vormachtstellung zu sehen.756 754 Bahr 1911, 48. 755 Vgl. Haider 1998, 63 – 82. 756 Vgl. Wandruszka 1966, 207 – 216.

200

Der Anfang vom Ende?

Nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bund bestand vornehmlich die Angst, ohne offizielle politische Anknüpfung die Kulturverbindung zu Deutschland nicht mehr aufrechterhalten zu können. Das liberale Lager zeigte in einem Artikel in der Neue Freie Presse »Deutsch-Österreich«757 als von seinem Mutterland ausgeschlossen. Es musste sich nun im »permanenten Kampfe mit der magyarischen und der slavischen Politik«758 beweisen und dem anscheinenden Desinteresse Deutschlands an Deutschösterreich trotzen, dem versucht wurde durch eine gesteigerte Machtzuschreibung entgegenzuwirken. Zentral hierbei war die Unterscheidung zwischen »Deutschland«, das als kulturelles und emotionales Vaterland gesehen wurde, und »Preußen«, dessen politische Vormachtstellung im deutschsprachigen Raum aus österreichischer Sicht zu verhindern war.759 Das Vorarlberger Volksblatt sah im Gegensatz dazu eine historisierende Konstruktion der Vergangenheit als idealtypische Kontinuitätsbestätigung einer Nationserzählung.760 Das deutsche Vaterland wurde als »großes«761 und »mächtiges Reich«762 imaginiert, das sich gegen alle Feinde zur Wehr setzen konnte. Das österreichische Volk wurde als Teil dieser Konstruktion gesehen, das nun jedoch von dieser geeinten »deutschen Nation«763 abgegrenzt wurde. Neben dieser Darstellung waren für das katholisch-konservative Lager Monarchie und Dynastie sowie die Bedeutung der Aufrechterhaltung dieser Instanzen grundsätzlich von zentraler Bedeutung. Das Vaterland betonte, dass das Deutsche Reich immer Bezugspunkt und Mittelpunkt für die deutschsprachigen Österreicher bleiben würde.764 Dabei wurde jedoch zwischen den einzelnen nationalen Gruppierungen der Monarchie differenziert, wobei deutlich war, dass die Konstruktion eines »österreichischen Bewußtseins«765 von Bedeutung sei, da es »zur Kräftigung und Freiheit des Gesamtvaterlandes«766 beitragen würde In diesem Positionierungsprozess der Deutschösterreicher erfolgte eine stärkere Abgrenzung in Bezug auf Deutschland und Preußen zum einen, sowie zum anderen zwischen den unterschiedlichen nationalen Gruppierungen innerhalb der Monarchie selbst. Im konservativ-katholischen Lager wurden die Ausgleichsbemühungen Böhmens während der 1860er und 70er Jahre unterstützt, während im ländlich-katholischen Milieu Vorarlbergs jegliche Aus757 758 759 760 761 762 763 764 765 766

Neue Freie Presse, 22. 07. 1866. 1 – 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1 – 2. Ebd., 2. Vorarlberger Volksblatt, 31. 07. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Ebd., 1. Ebd., 1. Das Vaterland, 26. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Das Vaterland 25. 08. 1866, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1.

Zwischen Dynastie und Nation

201

gleichsbewegungen sowie das liberale Lager als eindeutig negativ konnotiert dargestellt wurden. Das deutschliberale Milieu sah, ebenso wie das entstehende deutschnationale Lager, die Bedrohung durch die wachsenden nationalen Bestrebungen slawischer Gruppierungen als zentrales Problemfeld der Monarchie. Die Wirtschaftskrise 1873 läutete das Ende des Liberalismus ein und förderte den Aufstieg deutschnationaler Ideen. Insbesondere das studentische Milieu zeigte sich immer stärker dem Deutschen Reich zugewandt und grenzte im Zuge eines radikalen Deutschtums verstärkt jüdische Kommilitonen aus studentischen Verbindungen aus.767 Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit nationalem Ideengut wurde während der 1870er Jahre deutlich sichtbar. Die Konstruktion von Volk und Seele wurde mit dem ethnozentristischen Blick des deutschen Wissenschaftlers verbunden, der sich und seine Kultur als über allen anderen nationalen Gruppierungen stehend beschreibt.768 In diesen Entwicklungen wird deutlich, dass Wissenschaft und universitäres Milieu im Allgemeinen eine zentrale Position der Diskursbestimmung der nationalen Identitätskonstruktion sowie auch des zunehmenden Antisemitismus einnahmen. Während der 1870er Jahre begannen nationale Wirkungsmächte die nationale österreichische Identitätskonstuktion stärker zu beeinflussen. Die 1880er Jahre waren geprägt von der Entwicklung des deutschnationalen Lagers, das zentrale Begriffe einer nationalen deutsch-österreichischen Identitätskonstruktion ebenso definiert hat wie wesentliche Elemente des wachsenden Antisemitismus in seinen Gesellschaftsdarstellungen. Nationale Identität wurde nun als Gegenstück zur konservativ-katholischen Haltung der Bewahrung der Monarchie konstruiert und eine Annäherung an das Deutsche Reich in dieser Gruppierung angestrebt. Die Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppierungen wie dem liberalen oder katholischen Lager steht im Vordergrund – man wollte eine Gegenposition begründen, die sehr stark an einzelne Personen, wie etwa Schönerer, gebunden war. Infolge der zunehmenden Thematisierung und gesellschaftlichen Ausweitung zentraler nationaler und antisemitischer Begrifflichkeiten wurde die Gesellschaft auch ohne politische Breitenwirksamkeit der deutschnationalen Partei für dieses Themengebiet ›desensibilisiert‹. Das Friedjung-Programm von 1880 zum Beispiel griff in der Selbstbezeichnung den Begriff deutsch auf, auch um sich deutlich von den anderen Nationalitäten der Habsburgermonarchie abzugrenzen und die Machtposition der deutschsprachigen Gemeinschaft zu stärken.769 In der Betonung der deutschnationalen Haltung sollte vor allem eine Abgrenzung zum liberalen Lager erzielt werden, dass als jüdisch identifiziert wurde. Diese zunehmende 767 Vgl. Schulze/Ssymank 1931, 371 – 372. Oder Vgl. Wistrich 1999, 179. 768 Vgl. Riehl 1862, 213 – 214. oder Herder 1994. 769 Vgl. Pichl 1938, 104 – 105.

202

Der Anfang vom Ende?

Radikalisierung des deutschnationalen Lagers machte deutlich, dass nun nicht mehr die »schamlose Verjudung und Verlotterung unserer Preßzustände«770 im Vordergrund standen, sondern rassistische Motivationen durch die Betrachtung der nationalen Einstellung zur »Judenfrage«.771 Indem Antisemitismus als Abgrenzungsfunktion im nationalstaatlichen Kontext konstruiert und als »größte nationale Errungenschaft«772 dargestellt wurde, zeigte sich die Reduktion dieses Phänomens auf die nationale Abgrenzung der jüdischen Bevölkerung und seine Einbettung in den Nationalismusdiskurs. Jedoch erst mit der Übernahme dieser antisemitischen Tendenzen im politischen Milieu, verbunden mit dem politischen Aufstieg der Christlichsozialen während der 1890er Jahre, zeigte sich die Ausweitung dieser Begrifflichkeiten auf breitere Bevölkerungsschichten. Dank der Bemühungen des deutschnationalen Lagers wurden nationale Begriffe zunehmend Teil des politischen Alltags und beeinflussten damit die Entwicklung einer österreichischen Nationalidentität. Abgesehen von einem radikal-deutschnationalen Standpunkt, der tatsächlich eine Auflösung der Monarchie vorsah, zeigte sich in den breiten Bevölkerungsschichten jedoch noch immer die Dynastie im Mittelpunkt des Denkens. Dies setzte sich auch in der Entwicklung des christlichsozialen Milieus fort, das von der Notwendigkeit des Erhaltes der Monarchie überzeugt war. Zentral in der Politisierung und Radikalisierung der Gesellschaft war daher die christlichsoziale Haltung, die sich in der Verbindung der gesellschaftlichen Problemfelder mit der sozialen Frage zeigte. Trotz der Betonung der Bedeutung der Monarchie und der Bestrebungen diese aufrechtzuerhalten, wurden darin Elemente und Begrifflichkeiten der Nationskonstruktion sichtbar. In der Verwendung des Begriffes Österreich wird deutlich, dass dieser, wie in christlich-konservativer Tradition üblich, mit der Gesamtmonarchie gleichgesetzt wurde, hier nun aber auch mit nationalen Begrifflichkeiten verbunden wurde. Damit grenzte sich die christlichsoziale Partei vom deutschnationalen, politischen Lager ab, das der dynastischen Frage negativ gegenüber stand. Ihr zentrales Ziel lag in der Unterstützung der Gesellschaft, die durch die »unheilvolle Herrschaft des Liberalismus zerrüttet«773 worden war. Die Jahrhundertwende sowie die beiden ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zeigen unterschiedliche nationale Ausprägungen auf. Erstens ist die Forderung für eine Angliederung an Deutschland als radikale Haltung des deutschnationalen Lagers zu sehen, die jedoch kaum politische Breitenwirk770 Vgl. Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1886, 1 – 5. Österreichische Nationalbibliothek. 771 Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 02. 1884, 13. Oder Vgl. Österreichischer Volksfreund, 16. 07. 1881, 2 – 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. 772 Stenographische Protokolle der Abgeordneten. 136. Sitzung der 10. Session am 28. April 1887. 4963. ALEX/Österreichische Nationalbibliothek. 773 Reichspost, 18. 05. 1895, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Österreich: Identitätskonstruktion, Nationalitätenkonflikt und Antisemitismus

203

samkeit hat, zweitens wird das Elitendenken der deutschsprachigen Bevölkerung in der Presse in allen politischen Lagern und Milieus hochgehalten und drittens zeigt sich die Verbindung einer nationalen österreichischen Identität mit dem dynastischen Ansatz des christlichsozialen Lagers.774 Generell ist festzuhalten, dass die Begrifflichkeit des Österreichischen in allen politischen Lagern des deutschsprachigen Teils der Monarchie, mit Ausnahme des deutschnationalen, elementaren Gehalt hatte und im Rahmen der Selbstdefinition wie auch in der Abgrenzung vom Deutschen Reich verwendet wurde. Dies zeigt eine Verbindung nationaler Begrifflichkeiten mit dynastischen Bildmotiven vor allem in der Presse auf. Die Verteidigung der Machtposition der deutschsprachigen Bevölkerung war in einem solchen Maß ausgeprägt, dass der Begriff des Österreichischen von essentieller Bedeutung geworden war. Dies wird auch in der Differenzierung der einzelnen Gruppierungen innerhalb dieser Gemeinschaft deutlich, die sich jedoch in einigen Punkten voneinander unterschieden. Während das deutschliberale Milieu sich hauptsächlich von der ungarischen oder slawischen Bevölkerung abgrenzen wollte, wurden im deutschnationalen und katholisch-konservativen bzw. in weiterer Folge im christlichsozialen Lager nationale Abgrenzungsstrategien mit antisemitischen Motivationen verbunden.

7.2

Österreich: Identitätskonstruktion, Nationalitätenkonflikt und Antisemitismus

Schnitzlers autobiographischer Vermerk, der in seinem Werk »Jugend in Wien« zu finden ist, fasst mit der von ihm bereits in früheren Notizen deutlichen Feinfühligkeit gesellschaftliche Entwicklungen auf. Es zeigt die Bedeutung der »sogenannten Judenfrage«775 auf, die gegen Ende des 19. wie auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zentrales Thema in der Gesellschaft war. »In diesen Blättern wird viel von Judentum und Antisemitismus die Rede sein, mehr als manchem geschmackvoll, notwendig und gerecht erscheinen dürfte. Aber zu der Zeit, in der man diese Blätter möglicherweise lesen wird, wird man sich, so hoffe ich wenigstens, kaum mehr einen rechten Begriff zu bilden vermögen, was für eine Bedeutung, seelisch fast noch mehr als politisch und sozial, zur Zeit, da ich diese Zeilen schreibe, der sogenannten Judenfrage zukam.«776

Mehrere Beeinflussungen begründeten nach Lichtblau das Wachstum des modernen Antisemitismus. Erstens der Wegfall der gesetzlichen Diskriminierung 774 Vgl. Kirchhoff 2001, 148. 775 Schnitzler 1981, 322. 776 Ebd., 322.

204

Der Anfang vom Ende?

durch die Gleichberechtigung im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867.777 Die jüdische Bevölkerung wurde jedoch nicht als eigenes Volk anerkannt, sondern als Religionsgemeinschaft. Dies ist insofern interessant, als dass sie im Nachhinein vor allem innerhalb rassistisch-antisemitischer Motivationen als ›Volk‹ und nicht als Religionsgemeinschaft bestimmt wurde.778 Zweitens sieht Lichtblau einen wesentlichen Punkt in der Auflösung von sozial gesicherten Strukturen und drittens die Entwicklung hin zu einer generellen Säkularisierung innerhalb der Gesamtgesellschaft.779 Antisemitismus entwickelte sich zunehmend aufgrund der ökonomischen und politischen Umstände des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ausgehend von der Wirtschaftskrise 1873 war die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaften Europas von ersten Rissen gezeichnet, wodurch sich vor allem infolge des Übergangs von einem dynastischen hin zu einem nationalen Bewusstsein innerhalb der Habsburgermonarchie die Ideologie des Antisemitismus in konservativen aber vor allem in nationalen Milieus festsetzte. Dennoch ist hier festzustellen, inwiefern der Übergang von einer dynastischen hin zu einer nationalen Identitätskonstruktion erfolgte und ob nicht viel eher eine Verknüpfung dieser beiden Ausprägungen zu erkennen ist, wie sich im christlichsozialen Milieu zeigt. Die Position der jüdischen Bevölkerung in der österreichischen Politik wurde durch die Beziehung zwischen Kirche, Konstitutionalismus und Nationalismus sowie durch die Verbindung zum Liberalismus bestimmt. Die Nichtanerkennung des Konkordats sowie die Abspaltung der Altkatholiken, ausgelöst durch das Dogma der Unfehlbarkeit, trafen die Katholiken in Österreich tief. Es bestand das Bestreben des konservativen-katholischen Milieus den liberalen Tendenzen während der 1850er bzw. 1860er Jahre in der Gesellschaft entgegenzuhalten. Beeinflusst von diesen Faktoren zeigten sich verstärkt antisemitische Spuren in der konservativ-katholischen Landschaft Österreichs,780 die zudem von antijudaistischen Altlasten beeinflusst wurden. Infolge des Niedergangs des Liberalismus setzten sich in der breiten Gesellschaft politische Massenparteien durch, die sich insbesondere vom liberalen Lager abgrenzen wollten. Antiklerikalismus, Antiliberalismus und Antisemitismus zeigten sich im deutschnationalen Lager, während die christlichsoziale Partei sich in ihrer Position vor allem auf Antiliberalismus und Antisemitismus bezog.781 So differenzierten sich diese politischen Parteien auch auf gesellschaftlicher und ideo-

777 778 779 780 781

Vgl. Lichtblau 1999, 92. Vgl. Vgl. Lichtblau 1999, 41. Vgl. Ebd., 92. Vgl. Ebd., 95 – 96. Vgl. Schorske 1994, 5 – 6.

Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion?

205

logischer Ebene.782 Der Antisemitismusdiskurs jedoch wurde dadurch in den Alltag breiter Bevölkerungsschichten eingeführt, politisiert und agierte damit sowohl auf kultureller, sozialer und öffentlicher Ebene, als auch im privaten Raum.783 Diese Ausweitung antisemitischer Gedanken und Ideen zeigte sich auch in deren Ausweitung als gesellschaftlicher und kultureller Code, der weite Kreise in der Bevölkerung zog und als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen oder nationalen Gruppierung fungierte.784 Besonders deutlich wurde dies in der politischen Funktion und seiner Definition als Widerstandshaltung, die vor allem in der Presse deutlich hervortrat.

7.3

Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion?

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich während des ausgehenden 19. Jahrhunderts verschiedene Tendenzen zu einer Hinwendung zum Antisemitismus zeigten. Zentral ist die Beziehung dieser Entwicklungen zum wachsenden Nationalitätenkonflikt dieser Zeit, die sich zunehmend in den politischen Problemen widerspiegelt. Gegen Ende der 1870er und zu Beginn der 1880er Jahre begann eine Bewegung des Kleinbürgertums, die sich gegen die Wirtschaftskrise und vor allem ihre angeblichen Verursacher richtete. Da der Liberalismus über weite Strecken mit dem Judentum gleichgesetzt wurde, entwickelten sich auch verstärkt antisemitische Strömungen, die im gesellschaftlichen Diskurs sichtbar wurden. Diese antisemitischen Widerstandsbewegungen, die vornehmlich gegen den Liberalismus wirkten, griffen in den 1880er Jahren nationale Forderungen auf, wie sie vor allem im deutschnationalen und konservativ-katholischen Lager sichtbar wurden. Damit unterstützten sie die Herausbildung einer Identitätskonstruktion. Kulturhistorisch betrachtet grenzt sich der moderne Antisemitismus vom religiösen Antijudaismus durch die Verknüpfung mit Nationalismus und Rassismus785 ab. Er zeigt unterschiedliche Motivationen politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art auf, agiert jedoch oft auch als Widerstandsbewegung. Wyrwa sieht mehrere Entwicklungen als bedeutsam an, insbesondere jedoch den historischen Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts. Antisemitismus ist als ablehnende Haltung gegen die Veränderung in seiner Zeit zu sehen, in der sich auch Antiliberalismus oder Antikatholizismus als Protestbewegungen und zivilisationskritische Strömungen 782 783 784 785

Vgl. Schubert 2008, 93. Oder Pulzer 1964, 111. Vgl. Vortrag Wyrwa 02. 02. 2011. Vgl. Volkov 2000, 69. Vgl. Daim 1967, 18 – 19.

206

Der Anfang vom Ende?

zeigten.786 Besonders in der deutschsprachigen Studentenschaft war eine eindeutige nationale Positionierung innerhalb des Nationalitätenkonfliktes zu sehen. Ein radikales deutsches Bewusstsein wurde von antiliberalen und pangermanischen Bestrebungen unterstützt, die sich in den unterschiedlichen Vereinen widerspiegelten und so breitenwirksame Diskurspositionen einnahmen.787 Im ländlichen konservativ-katholischen Lager Vorarlbergs zeigten sich antisemitische Abgrenzungsentwicklungen vor allem in der Ablehnung des Liberalismus, des Deutschnationalismus sowie in der Abneigung gegen die zentralistische Ausrichtung der österreichisch-ungarischen Monarchie. Zudem wurden antisemitische Artikel als Mittel zur politischen Agitation verwendet, um die christlichsoziale Partei zu stärken, dennoch wird deutlich, dass bereits vor der Etablierung dieser politischen Entwicklung antisemitische Tendenzen in Vorarlberg zu erkennen waren. Die Furcht vor »einer jüdischen Weltherrschaft«788 wurde in religiösen Ansätzen sichtbar, die traditionelle antijudaistische Elemente aufgriffen und diese durch nationale und rassistische Tendenzen transformierten. So wurde durch die Verbreitung der Protokolle von Zion789 das Stereotyp des jüdischen Verräters, der die Weltherrschaft anstrebt, aufgegriffen und weiter tradiert. Interessant ist, dass der in Vorarlberg vorherrschende Antisemitismus größtenteils ohne jüdische Bevölkerung auskam. Bis 1867 gab es keine jüdischen Siedlungen in Vorarlberg, und auch danach hielt sich die Zuwanderung in Grenzen. Eher kam es zu einer Abwanderung in wirtschaftlich starke urbane Gebiete in der Schweiz, aber auch nach Wien.790 In Hohenems lebten 1867 ca. 450 Juden, diese Zahl sank jedoch kontinuierlich bis 1900 auf 91.791 In Vorarlberg schienen im Jahre 1910 in der Statistik der Bevölkerungsverteilung auch nur knapp über 100 Juden auf.792 Im städtischen Gebiet Wiens, in denen der Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in dieser Zeitspanne vor allem durch Binnenmigration innerhalb der Habsburgermonarchie erheblich anstieg und deutlich über 10 % lag793 lässt sich eine verstärkte Ablehnung der jüdischen Bevölkerung durch vermehrte Sichtbarkeit erklären. Der Wachstumsanteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung innerhalb 786 787 788 789 790 791 792

Vgl. Vortrag Wyrwa 02. 02. 2011. Vgl. Rüegg 2004, 261 oder Schulze/Ssymank 1931, 370. Vorarlberger Volksblatt, 09. 07. 1892, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Benz 2007. Vgl. Lichtblau 1999, 48. Vgl. Walser 1988, 96. Vgl. Tabelle 1: Die jüdische Bevölkerung in der cisleithanischen Reichshälfte, 1880 und 1910. In: Lichtblau 1999, 45. 793 Vgl. Lichtblau, 45 – 47.

Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion?

207

Vorarlbergs hielt sich jedoch nicht nur in Grenzen, sondern war eindeutig abnehmend. Dies wirft Fragen bezüglich des Auftretens und der Verwendung von Antisemitismus in dieser Region auf. Unterschiedliche Beispiele aus dem Vorarlberger Volksblatt zeigen die Verwendung von antisemitistischen Ideengut in diesem ländlichen konservativkatholischen Milieu. Das Vorarlberger Volksblatt sah Antisemitismus als berechtigten Kampf gegen »Capitalismus« und »Socialismus«.794 Es wurden vor allem politische Gegenpositionen angegriffen und gesellschaftliche Gruppierungen definiert, von denen man sich abgrenzen wollte. Damit wurde zudem das regionale Identitätsbewußtsein unterstrichen. »Indem das Judenthum in die Dienste des Liberalismus und des Socialismus sich gestellt, oder vielmehr, indem es sich zu deren Leiter und Fahnenträger gemacht hat, musste es auch zu einem Widersacher alles dessen werden, was christlich heißt.«795

Auch die Gleichsetzung von Sozialismus und Antikatholizismus wird deutlich ausgeführt, wenn festgehalten wird, »Sozialist sein heißt Antichrist sein.«796. Antisemitismus wurde in diesen Fällen zentral zur Abgrenzung von politischen Gegnern verwendet. Insbesondere das Aufgreifen dieser Elemente durch politische Wahlkämpfe unterstreicht diese Annahme der ideologisch-politischen Verwendung.797 Auch im Rahmen der Darstellung innerhalb der Artikel des Vorarlberger Volksblattes wird deutlich, dass Antisemitismus während der 1890er und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in politischen Abgrenzungen der christlich-sozialen Partei von anderen politischen oder gesellschaftlichen Gruppierungen diente. »Die große Mehrheit der ministeriell gewordenen deutschen Partei stimmte gemeinsam mit den judenliberalen Todfeinden des Gewerbestandes, […]. Daher muß jetzt vor allem mit den deutschvölkischen und judenliberalen Gewerbefeinden des Abgeordnetenhauses abgerechnet werden.«798

Diese radikale Darstellung der politischen Lebenswelt, die aufgrund der Veröffentlichung in Zeitungen wie dem Vorarlberger Volksblatt die alltägliche Meinungsbildung der Bevölkerung mitbestimmte, wird auch in anderen Beispielen deutlich. »Was keine Partei auf der lieben Welt, welche noch einen Funken Charakter hat, zustande bringt, das vermag nur die vertrottelte Sozialpartei. […] Herein mit dem Vieh aus den Balkanländern, uns kümmern die österreichischen Bauern nicht […]. Dabei 794 795 796 797 798

Vorarlberger Volksblatt, 20. 07. 1897, 2 – 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 2 – 3. Vorarlberger Volksblatt, 16. 04. 1907, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Dreier 1988, 142. Vorarlberger Volksblatt, 13. 04. 1907, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

208

Der Anfang vom Ende?

verschweigen sie aber wohlweislich, daß an den hohen Viehpreisen die jüdischen Zwischenhändler und Kommissionäre die Hauptschuld tragen.«799

Abgesehen von der Kritik bestimmter politischer Strategien werden vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte für antisemitische Agitationen herangezogen und in weiterer Folge in der Verbindung von Liberalismus und Judentum unterstrichen. »Siegt der judenliberale Freisinn, dann wird die Schule entchristlicht, der Unsittlichkeit durch gesetzliche Erlaubnis der Wiederverheiratung geschiedener kathol. Eheleute Tür und Tor geöffnet […].«800

Während in diesen textlichen Ausführungen hauptsächlich wirtschaftliche Argumente politisch inszeniert wurden, zeigten sich zunehmend auch rassistische Elemente im konservativ-katholischen Milieu Vorarlbergs, die jedoch meistens mit religiösen Motiven verknüpft waren. So wird die Selbstdarstellung des Vorarlberger Volksblatt differenziert, wenn sie behaupten, »keine Rassenantisemiten« zu sein, da ihr »öffentlicher Kampf« sich nur dem »ausbeutenden und korrumpierenden Judentume« zuwendet.801 Der Glaube tritt in den Hintergrund und wirtschaftliches Interesse in den Vordergrund. Antisemitismus wird hier als kultureller Code konstruiert, als Zeichensystem, der religiöse Vorurteile und wirtschaftliche Ängste aufgreift und weiter konstruiert.802 Infolge der Integration dieses Codes in die kulturelle Ebene der Gesellschaft entwickelt sich der Antisemitismus zu einer Weltanschauung und einer »Scheinanalyse der Wirklichkeit«803. Zentral scheint dennoch der immer stärker werdende Einfluss rassistischer Elemente in antisemitische Vorstellungen, auch wenn aus christlichsozialer Sicht ein wirtschaftlich motivierter Antisemitismus propagiert wurde. Dies wurde bei der Rede des Bregenzer Rechtsanwaltes Otto Ender auf der 16. Generalversammlung des christlichsozialen Volksvereins für Vorarlberg im Jahr 1910 deutlich. »Während zur Blütezeit des Liberalismus die möglichste Völkermischung und ein gewisses Weltbürgertum als Gipfel der Kultur betrachtete, so erblickt man jetzt mit Recht darin eine Bedrohung des Volkstums und völkischer Eigenart. Unsere nationale Frage im Lande hat zwei Seiten, die sprachliche und der Rassenumschwung. […] Für die körperlichen und geistigen Eigenschaften ist es nicht gut, wenn Romanen und Germanen zusammenheiraten, die Nachkommen sind physisch und moralisch gefährdet. Das ist gerade die Ursache der Widerstandsfähigkeit des Judenvolkes, daß sie 799 800 801 802 803

Vorarlberger Volksblatt, 14. 04. 1907, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 15. 05. 1907, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 12. 10. 1902, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vgl. Volkov 2000. Dreier 1988, 152.

Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion?

209

durch Gesetze und religiöse Anschauungen ferngehalten werden von der Blutmischung und so die Rassenreinheit erhalten.«804

Hier werden zentrale rassistische Elemente aufgegriffen und, wie bereits früher im deutschnationalen Lager sichtbar, mit dem Nationalismus verbunden. Wenn es heißt, dass »Unsere nationale Frage« sowohl auf sprachlicher als auch rassistischer Ebene konstruiert wird, zeigt dies die gesellschaftliche Veränderung auch im katholisch-konservativen ländlichen Milieu auf. Zudem werden traditionelle religiöse Antijudaismen wie das Ritualmordstereotyp neu aufgegriffen und rassistisch interpretiert. Dies wird in einem Leitartikel im November 1913, »Ein jüdisch-europäisches Zeit- und Machtbild«, deutlich. Der »jüdische Ritualmord«805 wird als eine »häßliche, die europäische Kulturgemeinschaft schändende806 Tatsache dargestellt. »Weniger als früher darf nun die jüdisch-freisinnige Presse vom Ritualmorde als von einem ›Märchen‹ reden; […] Das Volk wird aber auch wissen, was es von jenen arischen Verteidigern des Judentums und deren ›überzeugungsvollen‹ Verteidigungsphrasen zu halten hat. Es wird in ihnen nur die dem jüdischen Einfluß und Geldsack zu jeder Schandtat bereiten Sklaven erkennen.«807

Die Aufnahme rassistischen und völkischen Vokabulars zeigt die Beeinflussung des konservativ-klerikalen Milieus durch diese Diskursentwicklungen, die vor allem durch das deutschnationale Lager in der breiten Gesellschaft verankert wurden. Insbesondere der Aufruf zur Erziehung zur Nation wird in der Tätigkeit des Germanenbundes sichtbar, wie in einem Artikel in der Zeitung Unverfälschte Deutsche Worte zu lesen war. »Alle Volkskräfte aufzubieten für die Reinigung und Klärung unseres deutschen Volksthumes von allem Fremdthum und dem der natürlichen eigenartigen Entwicklung dieses Volksthumes Hinderlichen. […] Nur ein gänzliches Anerkennen der selbstwaltenden Urkraft eines nach allen Richtungen geläuterten Nationalismus – kann den Eintritt in unseren so volksthümlichen Bund ermöglichen. […] Die künftige Arbeit des Germanenbundes muß eine rein national erziehliche sein.«808

Der Nationalismus als zentrale Bedeutungsebene der Entwicklung eines »deutschen Volksthumes« steht hier im Mittelpunkt. Und auch Anton Edelmüller zeigt in seiner Rede zur »Klarstellung des nationalen Standpunktes des niederösterreichischen Turngaues.« die Grundsätze des nationalen Bewusstseins auf: 804 805 806 807 808

Vorarlberger Volksblatt, 08. 02. 1910, 3 – 5. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt, 14. 11. 1913, 1. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 1. Ebd., 1. Unverfälschte Deutsche Worte, 16. 09. 1890, 1 – 2. Österreichische Nationalbibliothek.

210

Der Anfang vom Ende?

»Ich erwähnte vorher die drei Grundsätze, deren Übung und Befolgung unser nationales Bewußtsein bilden; sie sind: deutsche Gesittung, deutsche Lebensweise, deutsche Volkskunde.«809

Im Laufe der Herausbildung des deutschnationalen bzw. alldeutschen Lagers zeigte sich die Bemühung der Konstruktion einer nationalen deutschösterreichischen Identitätskonstruktion, deren Ziel, die Eingliederung in das Deutsche Reich, nur durch verstärkte Abgrenzungsmechanismen gegen andere führende Gruppierungen in der Gesellschaft durchgesetzt werden konnte – auch da der Deutschnationalismus seit den 1890er Jahren verstärkt in den Nationalitätendiskurs der ausgehenden Monarchie eingebettet war. Verbunden mit Antiklerikalismus und Antikatholizismus stellte dies die Grundlage für die weitere Entwicklung antisemitischer Stereotype in Gegenposition zur Mehrheitskultur dar. Wesentlich in der weiteren Entwicklung des deutschnationalen Milieus war die Verbindung von Nationalismus und Rassismus, die sich besonders in der Einnahme eindeutiger Sprecherpositionen im Antisemitismusdiskurs zeigte. Dührings Werk »Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Kulturfrage«810 hatte wesentlichen Einfluss auf die Berührungspunkte zwischen der sozialen Frage und der Judenfrage, die nun mit rassistischen Ansätzen erklärt wurde. Dies wurde auch in der thematischen Verbindung von Nationalismus und Rassismus Anfang der 1890er Jahre aufgegriffen, wenn die Aufrechterhaltung deutscher Ideale mit rassistischen, antisemitischen Argumenten erfolgt. »Geboren, erzogen, groß und mächtig geworden im nationalen Kampfe, sieht die charakteristische Burschenschaft der Ostmark ihre Ideale immer wieder im reinsten unverfälscht deutschen Lichte, […] Hier muß sich der Wahlspruch unseres Führers bewahrheiten: ›Durch Reinheit zur Einheit.‹«811

Dennoch zeigten sich auch innerhalb des widerständischen Milieus Konflikte, sodass sich die Bewegung trotz der weitverzweigten Forderung nach dem Anschluss der deutschsprachigen Gebiete Österreichs an das Deutsche Reich aufspaltete. Zentral waren jedoch, und das wurde im christlichsozialen Lager weiterkonstruiert, die Verknüpfungspunkte zwischen dem Diskursstrang der österreichischen Nationalidentität und dem wachsenden Antisemitismus. Das christlichsoziale Lager Wiens griff teilweise die Begrifflichkeiten des deutschnationalen Milieus auf und entwickelte diese weiter bzw. passte sie an ihre eigenen Bedürfnisse an. Dennoch trat auch hier die Verknüpfung der beiden Diskursstränge von Antisemitismus und Nationalidentität in den Vordergrund, und insbesondere die Verbindung mit der sozialen Frage war von Bedeutung. 809 Unvefälschte Deutsche Worte, 01. 03. 1890, 2 – 3. Österreichische Nationalbibliothek. 810 Dühring 1881. 811 Unverfälschte Deutsche Worte, 01. 11. 1892, 5. Österreichische Nationalbibliothek.

Antisemitismus als widerständische Identitätskonstruktion?

211

Die Anfänge des christlichsozialen Lagers bei Karl von Vogelsang zeigten Antisemitismus vor allem aus wirtschaftlichen Motivationen heraus. Er war gegen jüdische Geschäftspraktiken, die eine christliche Berufsethik untergraben würden und dadurch nicht mehr wirtschaftlich wettbewerbsfähig wären.812 Dies zeigte sich auch in der Zeitung Das Vaterland, die von ihm herausgegeben wurde.813 Vogelsang identifizierte das Judentum stark mit sozio-ökonomischen Entwicklungen wie dem Kapitalismus und griff damit die soziale Frage der Zeit auf.814 Im Christentum lag die zentrale Bedeutung dieser konservativ-katholischen Haltung. Auch wenn keine rassistische Ausgrenzung von Vogelsang aufgegriffen wurde, so verbreitete Das Vaterland doch antisemitische Stereotype und Klischees und führte damit zu einer Desensibilisierung der Gesellschaft.815 Insbesondere der konservative Hochklerus in Österreich war vom radikalen Antisemitismus der 1890er Jahre nicht sehr angetan, da er doch deutlich über die Ebene der bisher verwendeten religiös motivierten, antijudaistischen Vorstellung hinausging. Vor allem jedoch die Verbindung von traditionellen judenfeindlichen Bildern und Stereotypen, wie die des Gottesmordes, der Hostienschändung oder dem Motiv der Ritualmordvorwürfe mit rassistischen und nationalen Elementen integrierte den modernen Antisemitismus auch in katholischen Milieus. Dadurch war eine Umsetzung antisemitischer Ansätze im christlichsozialen politischen Milieu erst möglich.816 Diese Verteidigung der »Freiheit unserer christlichen Völker«, »unserer Kirche« und auch der »deutsche[n] Art und Sitten«817, wie zum Beispiel von Lueger in einer Rede im Wahlkampf 1895 aufgegriffen, zeigten dies. »Wir fürchten uns vor Freimaurern und Juden nicht (Demonstrativer Beifall), wir werden kämpfen für die Freiheit unserer christlichen Völker, kämpfen für die Freiheit unserer Kirche, kämpfen für deutsche Art und Sitten, so lange noch ein Blutstropfen in unseren Adern rollt und ein Ton in unserer Kehle steckt. (Nicht endenwollender Beifall.) «818

Diese Darstellung zeichnete verschiedene Milieus innerhalb der Gesellschaft, die aufgrund unterschiedlicher Motivationen heraus widerständische Erzählstrukturen entwickelten, um sich gegen die Majorität behaupten zu können. Diese im Kontext des Nationalitätenkonfliktes konstruierten nationalen Bestrebungen zeigten in ihrer Argumentation verstärkt antisemitische Sprache, Stereotype und Erzählmuster auf, die sich durch deren intensive Verwendung innerhalb 812 813 814 815 816 817 818

Vgl. Schubert 2008, 94. Vgl. Weiss 1997, 223 – 224. Vgl. Pulzer 1990, 126. Vgl. Wistrich 1999, 187. Vgl. Lichtblau 1999, 90 – 93. Reichspost, 18. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Ebd., 4.

212

Der Anfang vom Ende?

eines Antisemitismusdiskurses weiter in der Gesellschaft ausbreiten konnten. Somit wurde der bestehende Zusammenhang zwischen dem zunehmenden Nationalitätenkonflikt der Habsburgermonarchie und dem wachsenden Antisemitismus dieser Zeit aufgezeigt. Neben dem Antikatholizismus und der Bekämpfung der slawischen Volksgruppen819 nahm die Verwendung des Begriffs ›Jude‹ im Sinne eines teilweise radikalen Rassenantisemitismus zu. Nicht mehr religiöse Motive standen im Vordergrund, sondern wirtschaftliche oder rassistische. Diese Entwicklung zeigte zusammen mit der politischen Hinwendung zur sozialen Frage, die im ausgehenden 19. Jahrhundert immer zentraler wurde, die Entwicklung des Antisemitismusdiskurses auf.820 Dadurch liegt die Schlussfolgerung nahe, dass durch die Vielzahl von Nationalitäten, die sich im Habsburgerreich drängten, und deren wachsender Nationalismen, sich in unterschiedlichen Milieus eine widerständische Haltung gegen diese Entwicklung hin konstruierte. Mit der Formierung differenziert zu betrachtender Bewegungen, die nationale, antiklerikale, antislawische und antisemitische Tendenzen mehr oder weniger stark in sich vereinten, wird die Positionierung des Antisemitismus als Diskursposition in einer widerständischen und nationalen Identitätskonstrukion sichtbar. Zentral ist, dass nun nicht mehr religiöse Motive im Vordergrund der Argumentation standen, sondern politische, nationale oder rassische Elemente.821 Infolge der Ausweitung auf breite Bevölkerungsschichten wurde das alltägliche Verhältnis zwischen Juden und Christen negativ beeinflusst, da sich eine Desensibilisierung der Gesellschaft in Bezug auf in diesem Zusammenhang stehende Begrifflichkeiten entwickelte.822 Antisemitismus wurde zunehmend Teil des Alltags und stand in enger Beziehung mit der Konstruktion einer österreichischen Nationalidentität, wie Schnitzler aus seiner Position heraus festhielt. »Sie rechnen uns nicht zu ihresgleichen. Ich möchte es mir auch verbeten haben. Sie finden ich sei kein Österreicher wie sie. Vor allem bin ich ich, was mir als Erstes genügt, und daß ich in Österreich auf die Welt gekommen bin kann mir niemand abstreiten. Wenn Millionen Cretins finden, daß ich nicht hierher gehöre, so weiß ich’s besser als diese, daß ich hier heimischer bin als sie alle.«823

Die spürbare Entrüstung aufgrund der Aberkennung der eigenen österreichischen Nationalidentität wird hier besonders deutlich, vergleichbar mit dem emotionalen Entsetzen der Deutschösterreicher nach dem Ausschluss aus dem 819 820 821 822 823

Vgl. Walkenhorst 2007, 321. Vgl. Bauer 2008, 15. Vgl. Bauer 2008, 15. Vgl. auch Lichtblau 1999, 108. Vgl. Lichtblau: Als hätten wir dazu gehört. S. 99. Riedmann 2002, 421.

Schlussfolgerung

213

Deutschen Bund. In diesem Textfragment wird deutlich, dass in der Konstruktion einer österreichischen Nationalidentität zunehmend weniger Platz für das Jüdische blieb. Schnitzler setzte sich auch künstlerisch zunehmend mit diesen gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinander, wie im Theaterstück »Professor Bernhardi« 1912 deutlich wird.824 Beier interpretiert diese Darstellung als Metapher für den »Untergang des Abendlandes«825, die zum einen als Darstellung des Zerfalls »der gleichermaßen polyglott-liberal, deutschnationalund klerikal-geprägten Donaumonarchie verstanden werden«826 kann sowie auch das »Erstarken eines politischen Antisemitismus«827 aufgreift. Auch Gustav Mahler zeigt in seiner Identitätskonstruktion die Problemfelder der österreichischen Monarchie auf. »Ich bin dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Überall Eindringling, nirgends willkommen.«828

Hier wird erstens der Nationalitätenkonflikt in Böhmen angesprochen, zweitens die komplexe Beziehung zwischen Österreich und dem Deutschen Reich aufgegriffen und drittens die Problematik der jüdischen Identität als Spielball zwischen Nationalismus und Antisemitismus konstruiert.829

7.4

Schlussfolgerung

Damit zeigt sich deutlich, dass Antisemitismus in unterschiedlichen politischen Lagern inszeniert wurde und oftmals als widerständisches Element in der nationalen Identitätskonstruktion fungierte. Die Beziehungen zwischen den beiden untersuchten Diskurssträngen der österreichischen Nationalidentität und des Antisemitismus während des Untersuchungszeitraumes von 1866 bis 1914 in der Donaumonarchie zeigt Verbindungen, aber auch Bruchstellen auf. Die Verknüpfung von Nationalismus und Rassismus zeigt sich in einzelnen Gruppierungen der Gesellschaft in der Ausformung der Konstruktion einer Nationalidentität in Verbindung mit rassistischen Abgrenzungsmechanismen, die sich vornehmlich auf das Judentum konzentrieren und damit Antisemitismus aufzeigen. Die unterschiedlichen Themenkomplexe und Sprechergruppen innerhalb der Gesellschaft bringen eine Differenzierung der Beziehung dieser 824 825 826 827 828 829

Vgl. Beier 2008, 312. Bahr 1923, 298. Beier 2008, 312. Ebd., 312. Mahler-Werfel 1980, 137. Vgl. Kirchhoff 2001, 122.

214

Der Anfang vom Ende?

Diskursstränge mit sich. Veränderungen des Sozialgefüges der Gesellschaft und die damit verbundenen Problemfelder, wie in der Auseinandersetzung des Nationalitätenkonflikts oder der zunehmenden Industrialisierung sichtbar, führen zu einer politischen Instrumentalisierung der sozialen Frage und ihrer Verknüpfung mit nationalen Fragestellungen und antisemitischen Ausprägungen. Wie bereits Blaschke oder Gräfe, die unterschiedliche Erklärungsmodelle für die Entstehung des Antisemitismus erläutert haben, gibt es zahlreiche Forschungsansätze, die hier herangezogen werden können.830 Sozio-ökonomische Entwicklungen sowie kulturelle und religiöse Traditionen sind mit Sicherheit zentrale Aspekte innerhalb dieses Phänomens. Essentiell ist zudem die Erziehung und Sozialisation innerhalb einzelner Gruppierungen, die sich mit der Zeit auf größere Bevölkerungsschichten ausbreiten konnten. Hier ist durchaus von einer Erziehung zum Antisemitismus zu sprechen.831 Dieses Element der Erziehung zum Antisemitismus spiegelt sich in der alltäglichen Konfrontation mit antisemitischen Aussagen einerseits im öffentlichen Bereich, andererseits im Privaten wider. Schnitzler zeigt eine dieser Episoden der deutlichen Verankerung im Alltäglichen auf, indem er von einer Begegnung seiner Tochter Lili mit einem Nachbarskind berichtet. »Neulich sitzt Lili auf der Terrasse; das kleine 4j. Gärtnermädl (bisher nie gesprochen) von nebenan fragt sie durchs Gitter : Nicht wahr, du bist eine Jüdin? – Lili. Ja: Warum fragst du. – - Das Mädl: – Weil du schöne Kleider hast … Nur die Juden haben schöne Kleider.«832

Diese Darstellung eines Gesprächs zwischen zwei Kindern unterschiedlicher Herkunft greift die alltägliche Dimension des Antisemitismus in der Gesellschaft auf. Dies macht sich auch an der Universität sowie in den Schulen bemerkbar, wie Joseph Floch festhält, der den wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft als Kind deutlich spürte. »Da ich aber ein kräftiger Junge war, schickte ich die Angreifer mit einem blauen Auge zurück.«833 Auch Paul Barnay berichtet von ähnlichen Alltagssituationen aus seiner Schulzeit in Wien Ende der 1890er Jahre, als ein Mitschüler ihn beschimpfte und erklärte: »Halt’s Maul schon, jüdischer Lausbub!«834. »Nun ich war kein nachdenkliches, kein sensitives Kind. Ich litt nicht unter dem Antisemitismus, ich wehrte mich dagegen. Damals galt in Wien die Lueger’sche Devise: ›Wer a Jud is, sag i‹ – das hieß, Lueger, Bürgermeister von Wien, wetterte im Stadtparlament gegen die Juden, spielte aber nachmittags mit seinen jüdischen Freunden im 830 831 832 833 834

Vgl. Blaschke 2000, 77 – 110. bzw. Vgl. Gräfe 2010. Vgl. Blaschke 2000, 90. Tagebucheintrag 15. 07. 1918. Schnitzler 1985, 162. Erinnerungen ohne Titel und Jahr. In: Lichtblau 1999, 568. Paul Barnay »Mein Leben. Wien 1957« In: Lichtblau 1999, 522.

Schlussfolgerung

215

Kaffeehaus Tarock. Aber der Abgeordnete Schönerer hatte schon sein nazi-ahnendes Wort gesprochen: ›In der Rasse liegt die Schweinerei!‹«835

Der wirtschaftlich motivierte und politisch inszenierte Antisemitismus war spätestens während der 1890er Jahre vollends im Alltag angekommen. Die Gründe für die Entwicklung des Antisemitismus sind in den Folgen zahlreicher sozio-ökonomischer, kultureller, politischer und nationaler gesellschaftlicher Veränderungen zu sehen. Zudem sind in den Stereotypen und Klischees gegen das Judentum Ansätze einer Weltdeutung zu erkennen, die den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft, in der alle negativen Entwicklungen der jüdischen Bevölkerung zugeschrieben werden, verändern will und demzufolge eine Gesellschaftskonstruktion ohne Juden anstrebt.836 Vor allem aber in der Verwendung als kultureller Code wird Antisemitismus in Verbindung mit nationalrassistischen Weltdeutungsmodellen in die Definition einer Gruppierung bzw. im Widerstand gegen die Mehrheitskultur konstruiert. Insbesondere der Einfluss des deutschen, rassistisch-völkischen Diskurses wird zunehmend deutlicher. »Ich kann Niemandem in‹s Innere sehen und habe in der Geschichte gelernt, wie stark das Rassenbewusstsein der Juden ist! Ein Bisschen stärker als das Nationalbewusstsein der Deutschen!«837

Dadurch wird auch in Österreich eine rassistische und antisemitische Richtung vor allem im radikalen deutschnationalen Lager aufgegriffen. In einem weiteren stark rassistisch und kolonial geprägten Textfragment wird der Einfluss dieser beiden Diskurse auf die Entwicklung des Antisemitismus innerhalb Europas deutlich. »Und dem gesunden Menschverstande muß es widerstreben, an die biblische Fabel von einem einzigen Stammelternpaar der Menschheit zu glauben. Nie und nimmer ist es vereinbar, daß der weißhäutige, wohlgestaltete Germane oder Hellene und der mißgestaltete, schwarzhäutige, affenähnliche Papuaneger Neuseelands oder der Buschmann Afrikas, einer Mutter Schoß entstammen – oder daß der kupferfarbene Indianer Amerikas und der weißhäutige, arische Europäer oder der gelbhäutige, schlitzaugige Mongole oder gar der semitische Jude – ein und dasselbe Elternpaar zum Ausgangspunkte hatten. […] Aus all dem geht hervor, daß der klerikale oder religiöse, bzw. römisch-katholische oder protestantisch-orthodoxe Antisemitismus nicht aufricht […] ist!838 835 Paul Barnay »Mein Leben. Wien 1957« In: Lichtblau 1999, 522. 836 Vgl. Greussing, 1988, 294. 837 Wilhelm Marr In: Österreichischer Volksfreund, 19. 09. 1881, 5. Österreichische Nationalbibliothek. 838 Unverfälschte Deutsche Worte, 16. Lenzmonds 2010 [16. 03. 1897], S. 7. Österreichische Nationalbibliothek.

216

Der Anfang vom Ende?

Während sich im Kolonialismus ethnozentristische Haltungen rassistisch begründen, werden diese in der Verbreitung antisemitischer Ansätze aus innereuropäischer Sicht konstruiert. Der Vergleich mit den anderen Rassen dient aus Sicht des deutschnationalen Lagers zur Veranschaulichung der Unhaltbarkeit der christlich-religiösen Annahmen. Diese Entwicklung zeigt auch die steigende Thematisierung antisemitischer Anschauungen und Forderungen in der Gesellschaft und die damit einhergehende Normalisierung dieser Ideen.839 Abschließend ist festzuhalten, dass in der Darstellung der unterschiedlichen Diskursentwicklungen der österreichischen Nationalidentität und des wachsenden Antisemitismus Zusammenhänge zu erkennen sind. Die Herausbildung der österreichischen Identität zeigt sich zwischen den Kategorien dynastisch und national konstruiert, wobei sich diese Kategorien in der Begrifflichkeit der Politisierung während der 1890er Jahre im christlichsozialen Milieu vermehrt vermischen und so zu einer national inspirierten, die Dynastie unterstützenden Nationalidentitätskonstruktion verschmelzen. Es sind bereits im deutschnationalen Milieu eindeutige nationale Bestrebungen zu erkennen, die sich hier jedoch stärker auf die Betonung des Deutschen als des Österreichischen stützen. Auch im deutschliberalen Lager ist in der emotionalen Abgrenzung vom Deutschen Reich eine zunehmende Nationalisierung der Begrifflichkeiten feststellbar, auch wenn die Dynastie immer zentraler Mittelpunkt der Identitätskonstruktion bleibt. Wesentlich dabei ist jedoch die Verortung in der Dominanz der deutschsprachigen Gruppierung innerhalb der Monarchie und – im Gegensatz zu anderen Milieus – eine Ablehnung des Antisemitismusdiskurses. Die Entwicklungen nach 1866 und 1867 prägten das gesamte ausgehende 19. Jahrhundert sowie die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ereignisse des beginnenden 20. Jahrhunderts. In der breiten Bevölkerung ist eine Abgrenzung vom Deutschen Reich zu erkennen, obwohl die kulturelle Heimat in Deutschland weiterhin betont wurde. Zunehmend tritt jedoch eine Hervorhebung des Österreichischen in den Vordergrund, was sich auch in literarischen Auseinandersetzungen zeigt. Der Nationalitätenkonflikt beflügelt die Entwicklung einer österreichischen Nationalidentität auf dem Hintergrund nationaler und teilweise rassistischer Argumentationen. Dieser Prozess spitzt sich in jedem Jahrzehnt weiter zu und endet schließlich vorerst im Ersten Weltkrieg. Die unterschiedlichen Diskurspositionen zeigen die Veränderungen und Bruchstellen sowie auch Anknüpfungspunkte der beiden Diskursstränge. Berührungspunkte zwischen den beiden Diskurssträngen zeigen sich differenziert. Während die nationale Sprache der Deutschnationalen zwar Nation und Antisemitismus verbindet, so wird damit jedoch keine spezifisch österreichische Identität konstruiert. Es wird vielmehr nur versucht sich dem Deutschen 839 Vgl. Greussing1988, 307.

Schlussfolgerung

217

Reich weiter anzunähern. Im deutschsprachigen national-liberalen Milieu werden nationale Begrifflichkeiten aufgegriffen, vor allem um sich von anderen nationalen Gruppierungen wie der slawischen oder ungarischen Bevölkerung abzugrenzen, jedoch hier wiederum nicht mit antisemitischem Vokabular verbunden. Im konservativ-katholischen Lager zeigt sich über weite Strecken des Untersuchungszeitraums ein mit nationalen Begrifflichkeiten unterstützter religiös motivierter Antisemitismus, der sich jedoch mit der Politisierung der Gesellschaft zu Beginn der 1890er Jahre auch rassistischer Motive bedient. Im ländlichen Raum Vorarlbergs wird Antisemitismus über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg zur Definition der eigenen Position im Gegensatz zum zentralistisch geführten Habsburgerstaat und der Mehrheitshaltung des Liberalismus deutlich. Erst infolge der Entstehung der christlichsozialen Partei verknüpfen sich nationale und christliche Begrifflichkeiten in der Textebene der katholischkonservativen Presse mit antisemitischen Argumentationen. In diesem Entwicklungsprozess sind elementare Berührungspunkte zwischen den beiden Diskurssträngen erkennbar. Die Betonung der Unterstützung von Monarchie und Dynastie und die Verwendung eindeutig nationalem Vokabulars machen strukturelle Gemeinsamkeiten aus. Dies spiegelt jedoch nur die Entwicklung in einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu wider und kann nicht auf die Gesamtgesellschaft übertragen werden. Wie bereits ausführlich behandelt wurde, ist die Differenzierung gesellschaftlicher Prozesse von zentralem Inhalt für die Darstellung offener sowie verdeckter Formen der Herausbildung einer nationalen Identitätskonstruktion in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Die Frage nach der Machtposition und deren Aufrechterhaltung für die deutschsprachige Bevölkerung innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie sind jedoch in jedem Fall als zentral zu erkennen. Die sprachlichen und symbolischen Konstruktionen innerhalb der beiden Diskursstränge zeigen Unterschiede auf, dennoch sind Berührungspunkte in ihrem Verlauf zu erkennen. Entscheidend in diesen Entwicklungen ist vor allem, dass das christlichsoziale Lager, das wesentliche Verknüpfungspunkte der beiden Diskursstränge aufweist, Grundlage einer politischen Massenbewegung war und damit weitreichende gesellschaftliche Entwicklungen mitbestimmt hat. Insbesondere die Rolle der Medien muss in diesem Prozess als zentral betrachtet werden, da ihr Einfluss Gesellschaftsentwicklungen essentiell konstruiert.840 Die Darstellung der Diskursentwicklungen des wachsenden Antisemitismus und der entstehenden österreichischen Nationalidentität zeigt die Komplexität einer Gesellschaftskonstruktion auf. Die österreichische Nationalidentität hat ihre Wurzeln unbestreitbar im 19. Jahrhundert, auch wenn sie ein 840 Vgl. Lichtblau 1999, 99.

218

Der Anfang vom Ende?

entscheidendes Element ihrer heutigen Ausprägung erst nach dem Trauma des Endes der Donaumonarchie erfuhr. »Mir ist das Furchtbarste geschehen, womit ein Mensch auf Erden gezüchtigt werden kann: mein Vaterland zerging in nichts. Ich habe kein irdisches Vaterland mehr ; ich bin nirgends auf der weiten Welt, nirgends mehr daheim.«841

841 Bahr 1923, 300 – 301.

8.

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17

Abbildungsverzeichnis

Beispiel einer antisemitischen Karikatur. Kikeriki, 26. 03. 1896, 1. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur der Allegorien Austria und Borussia. Kikeriki, 06. 09. 1866, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur der Ereignisse von Nikolsburg. Karikatur Kikeriki, 02. 08. 1866, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikierte Darstellung der Reaktion auf die konfessionellen Gesetze. Kikeriki, 28. 08. 1868, 3. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur eines beginnenden Nationalitätenkonfliktes. Kikeriki, 25. 09. 1868, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur der zukünftigen Grenzen Deutschlands. Kikeriki, 01. 02. 1871, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur politischer Protagonisten. Kikeriki, 23. 10. 1871, 1. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Antisemitische Karikatur nach dem Börsenkrach. Kikeriki, 18. 05. 1873, 8. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur zweier politischer Fragen. Kikeriki, 20. 04. 1882, 4. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur Lueger. Kikeriki, 23. 05. 1895, 4. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur zur Kampagne »Kauft nur bei Christen«. Kikeriki, 08. 12. 1895, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur jüdischer Studentenverbindungen. Kikeriki, 22. 03. 1896, 2. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur Luegers und seiner politischen Gegner. Kikeriki, 19. 03. 1896, 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur zu Wissenschaft, Lehre und Weltherrschaft. Kikeriki, 11. 10. 1908, 11. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur zum Wahrmundskandal. Kikeriki, 04. 06. 1908, 3. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek. Religiös motivierte Karikatur. Kikeriki, 12. 07. 1914, 7. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Titelblatt der Neue Freie Presse. Neue Freie Presse, 29. 06. 1914, 1. ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek.

9.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen Allgemeine Zeitung des deutschen Judentums. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Blochs Wochenschrift. Christlich-soziale Arbeiter Zeitung. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Mauthner, Fritz/ Neumann-Hofer, Otto (Hg.): Das Magazin für Litteratur. 60/3, 1891. Das Vaterland. Juni 1866 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Österreichischer Volksfreund. Österreichische Nationalbibliothek. Die Debatte. Juli 1866 bis Dezember 1868. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Die Reichspost. Jänner 1894 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Grazer Volksblatt. Österreichische Nationalbibliothek. Grazer Tagblatt. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Kikeriki. Juni 1866 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Neue Freie Presse. Juni 1866 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Prager Tagblatt. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses. Juni 1866 bis Juli 1914. ALEX/ Österreichische Nationalbibliothek. Unverfälschte Deutsche Worte. Österreichische Nationalbibliothek. Vorarlberger Volksblatt. Juni 1866 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Wiener Zeitung. Juni 1866 bis Juli 1914. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

Zeitgenössische Literatur bzw. deren Neuauflagen Bahr, Hermann: Austriaca. Berlin: Fischer, 1911. Bahr, Hermann: Der Antisemitismus. Ein internationales Interview. Hermann Greive (Hg.), Königstein: Jüdischer Verlag, 1979. Bahr, Hermann: Österreichisch. (1897) In: Wunberg, Gotthart (Hg.): Das Junge Wien: österreichische Literatur- und Kunstkritik 1887 – 1902. 2. Bd., Tübingen: Niemeyer, 1976.

222

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bahr, Hermann: Selbstbildnis. Berlin: Fischer, 1923. Bahr, Hermann: Das junge Österreich. Deutsche Zeitung, Wien, 27. 9. 1893, 1 – 3. In: Hermann Bahr (Hg.): Studien zur Kritik der Moderne. Frankfurt/Main: Rütten & Loening, 1894, 79 – 87. Bartels, Adolf: Geschichte der deutschen Literatur. (1901/2) 18. Aufl. Braunschweig/Berlin/Hamburg: Westermann, 1942. Bauer, Bruno: Die Judenfrage. Braunschweig: Friedrich Otto, 1843a. Bauer, Bruno: Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen frei zu werden. In: Ein und zwanzig Bogen aus der Schweiz. Georg Herwegh (Hg.), Bd. 1, Zürich/Winterthur : Verlag des Literarischen Comptoirs, 1843b. Billroth, Theodor : Über das Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften an den Universitaten der deutschen Nationen. Wien, 1976. Burschofsky, Ferdinand: Beiträge zur Geschichte der deutschnationalen Arbeiterbewegung. Bd. 2, Hohenstadt: Selbstverlag, 1915. Chamberlain Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. 1. Hälfte. 10. Aufl., Volksausgabe, München: Bruckmann, 1912. Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhundert. 28. Aufl., München: 1942. Carinthia. Zeitschrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben vom Geschichtverein und nat. hist. Landesmuseum in Kärnten. 60. Jg., Klagenfurt: Kleinmayr. 1870. Dühring, Eugen Karl: Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Mit einer weltgeschichtlichen Antwort. Karlsruhe: Reuther, 1881. Fichte, Johann Gottlieb: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution. Erster Theil. Zur Beurtheilung ihrer Rechtmäßigkeit. Wörtlicher Abdruck der 1793 anonym und ohne Druckort erschienen Ausgabe, Bern: Jenni, 1844. Friedjung, Heinrich: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 – 1866, 2 Bd., Stuttgart: 1897/98. Glagau, Otto: Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Deutschland. Zweiter Theil von Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin, Leipzig: Paul Frohberg, 1877. Grabmayr, Karl von: Von Badeni bis Stürgkh. Politische Reden, herausgegeben vom verfassungstreuen Tiroler Großgrundbesitz. Wien: Tempsky, 1912. Graf, Max: Legende einer Musikstadt. Wien: Österreichische Buchgemeinschaft, 1952. Hammerling: Sämtliche Werke in sechzehn Bänden. Letzte Grüße aus Stiftinghaus. 15. Bd., Leipzig: Hesse & Becker Verlag, 1893. Herder, J.G.: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Mit einer Einleitung von Heinricht Luden. 4. Aufl., Bd. 1., Leipzig: Hartknoch, 1841. Herder, J.G.: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (Johann Gottfried Herder Werke 4. Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum. 1774 – 1787, hg. von Jürgen Brummack und Martin Bollacher), Frankfurt a.M. 1994. Herzel, Theodor : Der Judenstaat. 10 Aufl. Berlin: Jüdischer Verlag, 1934. Hofmannsthal, Hugo von: Der Dichter und diese Zeit. In: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Bernd Scholler (Hg.), 8. Bd. Reden und Aufsätze 1, 1891 – 1913, Frankfurt/Main: Fischer 1979.

Zeitgenössische Literatur bzw. deren Neuauflagen

223

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck: Niemann und Comp, 1810. Kaindl, Raimund Friedrich: Das Ansiedlungswesen in der Bukowina seit der Besitzergreifung durch Österreich mit besonderer Berücksichtigung der Ansiedlung der Deutschen. (Quellen und Forschungen zur Geschichte, Litteratur und Sprache Österreichs und seiner Kronländer ; 8)Innsbruck: Wagner, 1902. Kaindl, Raimund Friedrich: Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern: bd. Geschichte der Deutschen in Galizien, Ungarn, der Bukowina und Rumänien seit etwa 1770 bis zur Gegenwart. Gotha: Perthes, 1911. Kaindl, Raimund Friedrich: Geschichte der Deutschen in Ungarn. Ein deutsches Volksbuch. Gotha: Friedrich Andreas Berthes, 1912. Kolmer, Gustav : Parlament und Verfassung in Österreich. 1869 – 1879. 2. Bd., Wien/ Leipzig: Fromme, 1903. Kraus, Karl. Frühe Schriften 1892 – 1900. Joh. J. Braakenburg (Hg.), Bd. 1: 1892 – 1896. München: Kösel, 1979. Lanz von Liebenfels, Jörg: Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron. Eine Einführung in die älteste und neueste Weltanschauung und eine Rechtfertigung des Fürstentums und des Adels. Wien u. a.: Moderner Verlag, 1905. List, Guido: Die Bilderschrift der Ario-Germanen. Ario-Germanische Hieroglyphik. Wien: Guido-von-List-Gesellschaft, 1910. List, Guido: Die Namen der Volkstämme Germaniens und ihre Deutung. Leipzig: C. F. Steinacker, 1909. List, Guido: Die Rita der Ariogermanen. Leipzig: Steinacker, 1908. Mahler-Werfel, Alma Maria/ Mahler Gustav : Erinnerungen an Gustav Mahler. Briefe an Alma Mahler. [Gesamtwerk] Donald Mitchell (Hg.) Frankfurt/Main [u. a.]: Ullstein, 1980. Marr, Wilhelm: Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet. 8. Aufl., Bern: Rudolf Costenoble, 1879. Marx, Karl: Zur Judenfrage. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Arnold Ruge/ Karl Marx (Hg.), Paris: Bureau der Jahrbücher, 1844. Mauthner, Fritz: Prager Jugendjahre. Erinnerungen. Erstmals erschienen 1918 unter dem Titel »Erinenrungen I. Prager Jugendjahre«. Frankfurt/Main: Fischer, 1969. Mell, Max: Österreichische Zeiten und Charaktere. Ausgewählte Bruchstücke aus österreichischen Selbstbiographien. Wien: Deutsch-österreichischer Verlag, 1912. Pichl, Eduard: Georg Schönerer. Sechs Bände. Erster Band erstmals 1912 erschienen. Neuauflage aller sechs Bände 1938. Oldenburg i.O./Berlin: Gerhard Stalling Verlag, Bd. 1, 1938. Popovici, Aurel: Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich. Leipzig, 1906. Reden des Reichsabgeordneten Georg Ritter von Schönerer. (Nach stenografischen Aufzeichnungen.) Horn: Druck und Verlag Ferdinand Berger, 1896. Redlich, Josef: Schicksalsjahre Österreichs 1908 – 1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs. Bd 1: 1908 – 1914. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs), Wien [u. a.]: Böhlau, 1953. Renan, Ernest: Was ist eine Nation? In: Ernest Renan: Was ist eine Nation? und andere politische Schriften. (Transfer Kulturgeschichte; 2), Wien [u. a.]: Folio-Verl., 1995. 41 – 58.

224

Quellen- und Literaturverzeichnis

Riehl, Wilhelm Heinrich: Culturstudien: aus drei Jahrhunderten. Bände 1 – 3, Stuttgart: Gotta’scher Verlag, 1862. Rohling, August: Der Talmudjude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände. 2. Aufl., Münster : Adolf Russell’s Verlag, 1871. Salten, Felix: Das österreichische Antlitz. Essays. Berlin: Fischer, 1910. Scheckenburger, Max: Deutsche Lieder. Auswahl aus seinem Nachlaß. Stuttgart: Metzler’sche Buchhandlung, 1870. Schmidt, Adalbert (Hg.), Hermann Bahr. Briefwechsel mit seinem Vater. Wien: Bauer, 1971. Schnitzler, Arthur. Tagebuch 1913 – 1916. Hg. von d. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften. Wien: Verl. d. Österr. Akad. d. Wiss., 1983. Schnitzler, Arthur : Jugend in Wien. Eine Autobiographie. Therese Nickl / Heinrich Schnitzler (Hg.), Frankfurt/Main: Fischer, 1981a. Schnitzler, Arthur : Tagebuch. 1879 – 1892. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (Hg.), Wien: ÖAW, 1987. Schnitzler, Arthur : Tagebuch. 1893 – 1902. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (Hg.), Wien: ÖAW, 1989. Schnitzler, Arthur : Tagebuch. 1909 – 1912. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (Hg.), Wien: ÖAW, 1981b. Schnitzler, Arthur : Tagebuch. 1903 – 1908. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (Hg.), Wien: ÖAW, 1991. Schnitzler, Arthur. Tagebuch. 1917 – 1919. Kommission für Literarische Gebrauchsformen d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (Hg.), Wien: ÖAW, 1985. Schnitzler, Arthur : Briefe 1875 – 1912. Therese Nickl/ Heinrich Schnitzler (Hg.) Frankfurt/ Main: Fischer, 1981c. Treitschke, Heinrich von: Unsere Aussichten. In: Preußische Jahrbücher, Band 44, Berlin: Reimer, 1879, 559 – 576. Wagner, Richard: Das Judenthum in der Musik. Leipzig: Weber, 1869. Wahrmund, Adolf: Babylonierthum, Judentum und Christentum. Leipzig: Brockhaus, 1882. Wahrmund, Adolf: Das Gesetz des Nomadenthums und die heutige Judenherrschaft. Reuther, 1887. Wahrmund, Ludwig: Katholische Weltanschauung und freie Wissenschaft. Ein populärwissenschaftlicher Beitrag unter Berücksichtigung des Syllabus Pius X und der Enzklika »Pascendi Dominici Gregis«. München: Lehmann, 1908. Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. 19. Unveränd. Aufl., Wien: Friedrich Jasper, 1920. Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. 33. Aufl., Frankfurt/ Main: 2002. Zwiedineck-Südenhorst, Hans von: Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen deutschen Kaiserreiches (1806 – 1871), Stuttgart: 1897.

Literatur nach 1914

225

Lexika und Nachschlagewerke Antisemitismus. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4. Völlig neu bearb. Aufl., Hans Dieter Betz u. a. (Hg.), 1. Bd, Tübingen: Mohr Siebeck, 1998, Sp. 569 – 570. B‚nffy Desider Baron. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950 (ÖBL). Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1957, 48. Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 1. A – Ate. 17. völlig neu bearb. Aufl., Wiesbaden: Brockhaus, 1966. Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 13. Mot – Oss. 17. völlig neu bearb. Aufl., Wiesbaden: Brockhaus, 1971. Brockhaus-Enzyklopädie. Bd. 1. A – Apt. 19. völlig neu bearb. Aufl., Mannheim: Brockhaus, 1986. Brockhaus-Enzyklopädie. Bd. 10. Herr – Is. 19. völlig neu bearb. Aufl., Mannheim: Brockhaus, 1989. Dudenredaktion (Hg.): Duden Fremdwörterbuch. 7. neu bearb. u. erweit. Aufl., Bd. 5, Mannheim [u. a.]: Dudenverlag, 2001. Goldinger, Walter : Kielmansegg, Erich Graf von Kielmansegg. In: Neue Deutsche Biographie. Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, 580. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.), Band 4: I-K, Basel/Stuttgart: Schwabe & Co: 1976. Jäger, Friedrich (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 8. Manufaktur – Naturgeschichte. Stuttgart/Weimar : Metzler, 2008. Kossuth von Udvard. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950 (ÖBL). Band 4, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1969, 152 – 153. Nipperdey, Thomas / Rürup, Reinhard: Art. Antisemitimus. Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.), 1. Bd: A-D, Stuttart: Klett, 1972, 129 – 153. Skopec, M.: Schnitzler Julius. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950 (ÖBL). Band 10, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1994. 411.

Literatur nach 1914 Ahmann, Rolf: Von Malta nach Zypern. Zur Entwicklung der britischen Politik in der Orientalischen Frage im 19. Jahrhundert. In: Zypern und der Vordere Orient im 19. Jahrhundert. Die Levante im Fokus von Politik und Wissenschaft der europäischen Staaten. Sabine Rogge (Hg.), Münster : Waxmann, 2009, 9 – 32. Alt, Peter-Andr¦: Franz Kafka. Der ewige Sohn – eine Biographie. 2. Aufl., München: Beck, 2008. Alter, Peter/ Bärsch Claus-Ekkehard/ Berghoff, Peter (Hg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München: 1999.

226

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anderson, Benedict: Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism. Erweiterte und bearbeitete Aufl., London: Verso, 1993. Barker, Andrew / Lensing, Leo A.: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen. Kritische Essays, Briefe an Karl Kraus, Dokumente zur Rezeption, Titelregister der Bücher. (Untersuchungen zur Österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, 11) Wien: Braumüller, 1995. Barthes, Roland: Mythen des Alltags. 9. Aufl. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1984. Bauer, Kurt: Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall. Wien [u. a.]: Böhlau, 2008. Beier, Nikolaj: »Vor allem bin ich ich…«. Judentum, Akkulturation und Antisemitismus in Arthur Schnitzlers Leben und Werk. Göttingen: Wallenstein, 2008. Benz, Wolfgang: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung. München: Benz, 2007. Berchtold, Klaus (Hg.): Österreichische Parteiprogramme 1868 – 1966. Wien: Verlag für Geschichte und Politik. 1967. Binder, Dieter A.: Dorfgeschichten. In: Die Erzählung der Landschaft. Dieter A. Binder/ Helmut Konrad/ Eduard G. Staudinger (Hg.), (Schriftreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Biliothek, Salzburg, Bd. 34), Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 2011, 157 – 176. Binder, Dieter A. / Konrad, Helmut/ Staudinger, Eduard G. (Hg.): Die Erzählung der Landschaft. (Schriftreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Biliothek, Salzburg, Bd. 34), Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 2011. Blaschke, Olaf: Wie wird aus einem guten Katholiken ein guter Judenfeind? Zwölf Ursachen des katholischen Antisemitismus auf dem Prüfstand. In: Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrhundert. Ursachen und Traditionen im internationalen Vergleich. Olaf Blaschke/ Aram Mattioli (Hg.), Zürich: Orell Füssli, 2000, 77 – 110. Boyer, John: Karl Lueger (1844 – 1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. (Studien zu Politik und Verwaltung; 93) Wien [u. a.]: Böhlau, 2010. Brechenmacher, Thomas: »Österreich steht außer Deutschland, aber es gehört zu Deutschland«. Aspekte der Bewertung des Faktors Österreich in der Deutschen Historiographie. In: Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland im 19. Und 20. Jh. Michael Gehler u. a. (Hg.) Innsbruck/ Wien/Bozen: StudienVerlag, 2009, 31 – 54. Brix, Emil (Hg.): Ludwig Gumplowicz oder die Gesellschaft der Natur. (Monographien zur österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte; 3), Wien/Köln/Graz: Böhlau, 1986. Broch, Hermann: Hofmannsthal und seine Zeit. Eine Studie. München: Piper, 1964. Broch, Hermann: Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880. In: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Gotthart Wunberg (Hg.), Stuttgart: Reclam, 1981, 86 – 97. Bruckmüller Ernst: Die Entwicklung des Österreichbewusstseins. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Österreichische Nationalgeschichte nach 1945. Die Spiegel der Erinnerung: Die Sicht von innen, Band 1. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 1998, 369 – 396. Bruckmüller, Erich: Österreichbegriff und Österreichbewußtsein in der franzisko-josephinischen Epoche. In: Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland im 19. Und 20. Jh. Michael Gehler u. a. (Hg.) Innsbruck/ Wien/Bozen: StudienVerlag, 2009, 286 – 287.

Literatur nach 1914

227

Bruckmüller, Ernst: Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse. Wien/Köln/ Graz, 1996. Bruckmüller, Ernst: Sozialgeschichte Österreichs. 2. Aufl., München: Oldenburg Verlag, 2001. Brügel, Ludwig: Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Der Kampf gegen die Internationale. Organisationsversuche (1870 bis 1878). Bd. 2, Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1922. Bunzl, John / Marin, Bernd: Antisemitismus in Österreich. Sozialhistorische und soziologische Studien. Innsbruck: Inn Verlag, 1982. Cs‚ky, Moritz: Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer Essay zur österreichischen Identität / Moritz Cs‚ky Wien [u. a.],: Böhlau, 1996. Daim, Wilfried: Die Nation – in österreichischer Sicht. In: Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen. Albert Mssiczek (Hg.), Wien: Europa, 1967, 15 – 28. Dreier, Werner : Rücksichtslos und mit aller Kraft. Antisemitismus in Vorarlberg 1880 – 1945. In: Antisemitismus in Vorarlberg. Regionalstudie zur Geschichte einer Weltanschauung. Werner Dreier (Hg.), (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs; 4), Bregenz: Vorarlberger Autoren Gesellschaft, 1988, 132 – 249. Duizend-Jensen, Shoshana: Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungen und Fonds. »Arisierung« und Restitution. (Vereine, Stiftungen und Fonds im Nationalsozialismus; 2), (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission; 21,2) Wien [u. a.]: Oldenbourg, 2004. Dzˇaja, Srec´ko M.: Bosnien-Herzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878 – 1918). (Südosteuropäische Arbeiten; 93), München: Oldenbourg: 1994. Eder, Franz X.: Historische Diskurse und ihre Analyse. Eine Einleitung. In: Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2006. Emmerich, Klaus: Zum Beispiel Österreich. Kulturmacht, Wirtschaftskraft, Identität. Wien/Köln/Weimar : 2006. Erb, Rainer : Die Wahrnehmung der Physionogmie der Juden. Die Nase. In: Das Bild des Juden in der Volks- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945. Heinrich Pleticha (Hg.), (Schriftreihe der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, 7) Würzburg: Königshausen und Naumann, 1985, 107 – 126. Farkas, Reinhard: »Fahnenwechsel«. Wandel und Ausprägung antiliberaler Ideologeme und Begriffsfelder bei Hermann Bahr. In: Fahnenwörter der Politik. Kontinuitäten und Brüche. Oswald Panagl (Hg.), (Studien zu Politik und Verwaltung; 59), Wien/Köln/ Graz: Böhlau, 1998, 83 – 100. Felden, Klemens: Die Übernahme des antisemitischen Stereotyps als soziale Norm durch die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands 1871 – 1900. Diss. Heidelberg, 1966. Floßmann, Ursula: Österreichische Privatrechtsgeschichte. 5. Akt. Aufl., Wien: Springer, 2005. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt/Main: Suhrkamp,1992. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. 10. Aufl., Frankfurt/Main: Fischer, 2007. Frey, Lawrence R./ Konieczka, Stephen P.: Group Identity. In: Encyclopedia of identity. Ronald L. Jackson (Hg.), London: Sage, 2010, 316 – 319. Gebhard, Gunther/ Geisler, Oliver / Schröter, Steffen (Hg.): Heimat. Konturen und Kon-

228

Quellen- und Literaturverzeichnis

junkturen eines umstrittenen Konzepts. (Kultur- und Medientheorie), Bielefeld: transcript Verlag, 2007. Gilman, Sander L.: Der jüdische Körper. Gedanken zum physischen Anderssein der Juden. In: Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen. Wien: Picus, 1995, 168 – 179. Glettler, Monika: Die Bewertung des Faktors Deutschland in der österreichischen Historiographie. In: Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland im 19. Und 20. Jh. Michael Gehler u. a. (Hg.) Innsbruck/ Wien/Bozen: StudienVerlag, 2009, 55 – 74. Goodricke-Clarke, Nicholas: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Graz/Stuttgart: Stocker, 1997. Görlich, Ernst Joseph: Zwölf Thesen zur österreichischen Nation. In: Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen. Albert Massiczek (Hg.), Wien: Europa, 1967, 69 – 82. Gottsmann; Andreas: Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878 – 1914. (Publikationen des historischen Institutes beim österreichischen Kulturforum in Rom, 16. Bd.) Wien: ÖAW, 2010. Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Deutschland 1815 – 1918. Rezensionen – Forschungsüberblick – Bibliographie. 2. Erw. und überarb. Aufl., Norderstedt: BoD, 2010. Greussing, Kurt: Der ewige Antisemit – heillos. Überlegungen zur Dynamik des judenfeindlichen Vorurteils. In: Antisemitismus in Vorarlberg. Regionalstudie zur Geschichte einer Weltanschauung. Werner Dreier (Hg.), (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs; 4), Bregenz: Vorarlberger Autoren Gesellschaft, 1988, 287 – 317. Grimm, Gerhard: Kaindl, Raimund Friedrich. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 11: Kafka-Kleinfercher, Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Berlin: Duncker und Humbolt, 1977. Guillaumin, Colette: Rasse. Das Wort und die Vorstellung. In: Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der alten Welt? Uli Bielefeld (Hg.), 2. Aufl., Hamburg: Junius, 1992, 159 – 174. Habscheid, Stephan: Text und Diskurs. Paderborn: Wilhelm Fink, 2010. Haibl, Michaela: Zerrbild als Stereotyp. Visuelle Darstellungen von Juden zwischen 1850 und 1900. Frankfurt/Main: Metropol, 2000. Haider, Markus Erwin: Von Deutsch-Österreich zur österreichischen Nation. Zur terminologischen Klärung des Differenzierungsprozesses zwischen deutsch und österreichisch. In: Fahnenwörter der Politik. Kontinuitäten und Brüche. Oswald Panagl (Hg.), (Studien zu Politik und Verwaltung; 59), Wien/Köln/Graz: Böhlau, 1998, 63 – 82. Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. 3. Aufl. München [u. a.]: Piper, 1996. Haslinger, Peter : Diskurs, Sprache, Zeit, Identität. Plädoyer für eine erweiterte Diskursgeschichte. In: Historische Diskursanalysen. Franz X. Eder (Hg.),Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, 27 – 50. Hecht, Walter: Nation und Staatsideologie. In: Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen. Albert Massiczek (Hg.), Wien: Europa, 1967, 83 – 96. Heer, Friedrich: Der Kampf um die österreichische Identität. 2. Unv. Aufl. Wien/Köln/ Graz: Böhlau, 1996.

Literatur nach 1914

229

Hein, Stefanie: Richard Wagners Kunstprogramm im nationalkulturellen Kontext. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006. Heinrich, Angelika: Vom Museum der Anthropologischen Gesellschaft in Wien zur Prähistorischen Sammlung im k.k. Naturhistorischen Hofmuseum (1870 – 1876 – 1889 – 1895). In: Mitteiungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW). Band 1257126, 1995/96, 11 – 42. Hellwig, I. A.: Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich. (Studien, 2) Wien/Freiburg/Basel: Herder, 1972. Herwig, Wolfram/ Leeb, Rudolf: Österreichische Geschichte. Geschichte des Christentums in Österreich von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien: Überreuter, 2003. Heuberger, Valeria/ Peterseil, Walter : Nationale Stereotypen in der Karikatur. Österreich und seine Nachbarstaaten Deutschland, Tschechien, Polen, Ungarn, Jugoslawien (Slowenien, Kroatien, Bosnien, Serbien), Italien und die Schweiz 1895 – 1995. In: Ästhetik und Ideologie. Klagenfurt, 3. – 4. Oktober 1996. (Grenzenloses Österreich – Dokumentation; 5), Wien: BM f. Wissenschaft und Verkehr, 1997, 43 – 56. Hildebrand, Klaus: Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. München: Oldenbourg, 2008. Höbelt, Lothar : Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882 – 1918. Wien: Verl. für Geschichte u. Politik [u. a.], 1993. Hobsbawm, Eric J.: Nations and Nationalism since 1780. Programme, myth, reality. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1990. Hoffmann, Roland J.: T.G. Masaryk und die tschechische Frage. Nationale Ideologie und politische Tätigkeit bis zum Scheitern des deutsch-tschechischen Ausgleichsversuchs vom Februar 1909. (Veröffentlichung des Collegium Carolinum; 58), München: Oldenbourg, 1988. Hoffrath, Christiane: Bücherspuren. Das Schicksal von Elise und Helene Richter und ihrer Bibliothek im »Dritten Reich«. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2009. Höhne, Steffen: August Sauer (1855 – 1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kulturund Wissenschaftspolitik. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2011. Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Gesammelte Schriften Bd. 3, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1973. Johnston, William M.: Östereichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938. 4. unveränderte Aufl., Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 2006. Kann, Robert A.: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Bd. 1: Das Reich und die Völker. (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Ost; 4), 2. Erw. Aufl., Graz/Köln: Böhlau, 1964a. Kann, Robert A.: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahr 1918. 2. Bd: Ideen und Pläne zur Reichsreform. 2. Aufl., Graz/ Köln: Böhlau, 1964b. Kann, Robert A.: Geschichte des Habsburgerreiches 1526 – 1918. (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes; 4), 2. Aufl. Wien/Graz [u. a.]: Böhlau, 1982. Kaschuba, Wolfgang: Geschichtspolitik und Identitätspolitik. Nationale und ethnische

230

Quellen- und Literaturverzeichnis

Diskurse im Kulturvergleich. In: Beate Binder/ Wolfgang Kaschuba/ Peter Niedermüller (Hg.): Inszenierung des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts. (Alltag & Kultur ; 7), Köln: Böhlau, 2001, 19 – 42. Kirchhoff, Jörg: Die Deutschen in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Ihr Verhältnis zum Staat, zur deutschen Nation und ihr kollektives Selbstverständnis (1866/ 67 – 1918). Berlin: Logos, 2001. Kneißl, Daniela: Die Republik im Zwielicht. Zur Metaphorik von Licht und Finsternis in der französischen Bildpublizistik 1871 – 1914. München: Oldenbourg, 2010. Korˇalka, Jirˇ†: Hans Kohns Dichotomie und die neuzeitliche Nationsbildung der Tschechen, In: Lemberg, Hans/ Heumos, Peter (Hg.): Das Jahr 1919 in der Tschechoslowakei und in Ostmitteleuropa. (Bad Wiesseer Tagung des Collegiums Carolinum; Bd. 20) München: Oldenbourg, 1994. Krabbe, Wolfgang R.: Kritische Anhänger – Unbequeme Störer. Studien zur Politisierung deutscher Jugendlicher im 20. Jahrhundert. Berlin: BWV, 2010. Kriechbaumer, Robert: Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertewende bis 1945. Wien/Köln/Weimar : Böhlau Verlag, 2001. Kuppe, Rudolf; Dr. Karl Lueger. Persönlichkeit und Wirken. (Österreichische Heimat, Bd. 12), Wien: Hollinek, 1947. Landwehr, Achim: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse. Tübingen: edition diskord, 2001. Le Rider, Jacques: Der Fall Otto Weininger. Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus. Wien/München: Löcker, 1985. Lessing, Jakob: Die langen Wurzeln des Jungen Wien. In: Jüdische Aspekte Jung-Wiens im Kulturkontext des Fin de si¦cle. Sarah Fraiman-Morris (Hg,) (Conditio Judaica, 52), Tübingen: Niemeyer, 2005. Ley, Michael: Die Geburt der neuen Europa. Nationalstaat und Identität. (Passagen Religion und Politik, 2), Wien: Passagen, 2007. Lichtblau, Albert: Als hätten wir dazu gehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie. In Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut New York und dem Institut für Geschichte der Juden in Österreich. Wien [u. a.]: Böhlau, 1999. Lowenstein, Steven M.: Die Gemeinde. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Umstrittene Integration 1871 – 1918. Lowenstein, Steven M. [u. a.] (Hg.), 3. Bd., München: Beck, 1997. 123 – 150. Lutz, Heinrich: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches. Europäische Entscheidungen 1867 – 1871. Frankfurt/M. [u. a.]: Verl. Propyläen, 1979. Maderthaner, Wolfgang: Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945. In: Wien. Geschichte einer Stadt. Von 1790 bis zur Gegenwart. Peter Csendes / Ferdinand Opll (Hg.), Bd. 3, Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 2006, 175 – 544. McGarth, W. J.: Student Radicalism in Vienna. The Journal of Contemporary History 2 (Juli 1967), 183 – 201. Metzeltin, Michael: Nationalstaatlichkeit und Identität. Ein Essay über die Erfindung von Nationalstaaten. (Cinderella, Bd. 4), Wien: Eidechsen Verlag, 2000.

Literatur nach 1914

231

Michler, Werner : Darwinismus und Literatur. Naturwissenschaftliche und literarische Intelligenz in Österreich, 1859 – 1914. Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 1999. Miles, Robert: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs. Hamburg [u. a.]: Argument, 1991. Moser, Jonny : Der Antisemitismus der Deutschnationalen in Österreich. In: Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen. Wien: Picus, 1995, 149 – 155. Müller, Dietmar : Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode Ethnonationale Staastbürgerschaftskonzepte 1878 – 1941. (Balkanologie Veröffentlichungen; 41), Wiesbaden: Harrassowitz, 2005. Oberkrome, Willi: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologie in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918 – 1945. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 101), Göttingen: Vanderhoeck & Ruprecht, 1993. Pantenburg, Isabel F.: Im Schatten des Zweibundes. Probleme österreichisch-ungarischer Bündnispolitik 1897 – 1908. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; 86) Wien/Köln/Böhlau, 1996. Pastor, Eckart: Die männliche Stimme. Überlegungen zum Stormschen Erzählen anlässlich der Novelle »Renate«. In: Stormlektüren. Festschrift für Karl Ernst Laage zum 80. Geburtstag. Gerd Eversberg/ David A. Jackson/ Eckart Pastor (Hg.), Würzburg: Königshausen und Neumann, 2000, 163 – 182. Pauley, Bruce: Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Wien: Kremayer und Scheriau, 1993. Paupi¦, Kurt: Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848 – 1959. Band 1: Wien. Wien/Stuttgart: Braumüller, 1960. Pittler, Andreas: Die Wiener Bürgermeister. Eine Geschichte der Stadt in Porträts. Wien: Ueberreuter, 2003. Pollak, Michael: Wien 1900. Eine verletzte Identität. (¦dition discours, Bd. 6) Konstanz: UVK, 1997. Pulzer, Peter G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Gütersloh: Sigbert Mohn, 1966. Pulzer, Peter G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 – 1914. Durchgesehne und erweiterte Neuausgabe, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004. Pulzer, Peter : Liberalismus, Antisemitismus und Juden im Wien der Jahrhundertwende. In: Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne. Peter Berner / Emil Brix/ Wolfgang Mantl (Hg.), Wien: Verlag f. Geschichte und Politik, 1986, 32 – 38. Pulzer, Peter : Spezifische Momente und Spielarten des österreichischen und des Wiener Antisemitismus. In: Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert. Gerhard Botz/Ivar Oxaal/ Michael Pollak (Hg.) Buchloe: Obermayer, 1990, 121 – 140. Raggam-Blesch, Michaela: Frauen zwischen den Fronten. Jüdinnen in feministischen, politischen und philanthropischen Bewegungen in Wien an der Wende des 19. Zum 20. Jahrhundert. In: Geschlecht, Religion und Engagement. Margarete Grander / Edith Saurer (Hg.), Wien: Böhlau, 2005. Rees, Wilhelm (Hg.): Katholische Kirche im neue Europa. Religionsunterricht, Finanzie-

232

Quellen- und Literaturverzeichnis

rung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder. (Austria: Forschung und Wissenschaft, Theologie Bd. 2), Wien/ Berlin: Lit, 2007. Riedmann, Bettina: Ich bin Jude Österreicher, Deutscher. Judentum in Arthur Schnitzlers Tagebüchern und Briefen. Tübingen: Niemeyer, 2002. Rüegg, Walter (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Vom 19. Jahrhundert bis zum zweiten Weltkrieg 1800 – 1945. Bd. 3, München: Beck, 2004. Rumpler, Helmut/ Urbanitsch, Peter : Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918. Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Vereine, Parteien und Interessensverbände als Träger der politischen Partizipation. Bd. 8,1, Wien: Verl. d. ÖAW, 2006. Rumpler, Helmut: Das Deutsche Reich aus der Sicht Österreich-Ungarns. In: Rumpler Helmut (Hg.) Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung in Österreich und Deutschland 1867/71 bis 1914. Historikergespräch Österreich – Bundesrepublik Deutschland 1989. Wien/München: 1991, 221 – 233. Sarasin, Philipp: Diskurstheorie und Geschichtswissenschaft. In: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2003, 58 – 60. Schäfer, Julia: Vermessen, Gezeichnet, Verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918 – 1933. Frankfurt/Main: Campus, 2005. Scharf, Christian: Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart. Die Fundamentalartikel von 1871 und der deutsch-tschechische Konflikt in Böhmen. (Veröffentlichungen des collegiums carolinums, Bd. 82), München: Oldenbourg, 1996. Schieder, Theodor : Typologie und Erscheinungsformen des Nationalstaates. In: Nationalismus. Heinrich August Winkler (Hg.), 2. Erw. Aufl., Königstein/Ts.: Athenäum, 1985, 120 – 137. Schmidt-Brentano, Antonio: Die österreichische Beziehungsweise österreichisch-ungarische Armee. In: Österreich und die deutsche Frage im 19. Und 20. Jahrhundert. 1982, 245 – 255. Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalisozialismus. Nachdruck der Ausg. von 1998, Berlin/NY: de Gruyter, 2000. Schöllgen, Gregor: Imperialismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage 1871 – 1914. 3. Aufl., München: Oldenbourg, 2000. oder Ahmann, Rolf: Von Malta nach Zypern. Zur Entwicklung der britischen Politik in der Orientalischen Frage im 19. Jahrhundert. In Münster : Zypern und der Vordere Orient im 19. Jahrhundert. Die Levante im Fokus von Politik und Wissenschaft der europäischen Staaten. Sabine Rogge (Hg.), Waxmann, 2009, 9 – 32. Schorske, Carl E.: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de SiÀcle. München: Piper, 1994. Schorske, Carl: Wien. Geist und Gesellschaft des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung. Wien: Kremayr & Scheriau, 1993. Schubert, Kurt: Die Geschichte des österreichischen Judentums. Wien: Böhlau, 2008. Schulze, Friedrich/ Ssymank, Paul: Das deutsche Studententum. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 4. Völlig neu bearb. Aufl., München: Verlag für Hochschulkunde, 1931. Schwarz, Egon: Das jüdische Selbstverständnis jüdischer Autoren im Fin de siÀcle. In: Judentum und Antisemitismus. Studien zur Literatur und Germanistisk in Österreich. Anne Betten/ Konstanze Fliedl (Hg.), (Philologische Studien und Quellen; 176) Berlin: Schmidt, 2003, 21 – 31.

Literatur nach 1914

233

Sievers, Kai Detlev : »Kraftwiedergeburt des Volkes«: Joachim Kurd Niedlich und der völkische Heimatschutz. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007. Sottopietra, Doris: Variationen eines Vorurteils. Eine Entwicklungsgeschichte des Antisemitismus in Österreich. Wien: Passagen, 1997. Stekl, Hannes: Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien; 31), Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 2004. Stourzh, Gerald: Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848 – 1918. Wien: ÖAW, 1985. Stubkjaer, Flemming Talbo: Nationalitätenkonflikte in der Monarchie als Kampf um die Sprache. In: Österreich. Kultur und Identität – heute und vor 100 Jahren. (Schriften der Österreichischen Abteilung der Süddänischen Universität, 1), Odense: University Press, 2000, 85 – 106. Sturmayr, Gerald: Industrielle Interessenpolitik in der Donaumonarchie. (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien; Bd. 22), München: Oldenbourg, 1996. Sutter, Berthold: Die Badenische Sprachenverordnung von 1897. Ihre Genesis und ihre Auswirkungen vornehmlich auf die innerösterreichischen Alpenländer. 2. Bd., Graz/ Köln: Böhlau, 1965. Trauner, Karl-Reinhart: Die Los-von-Rom-Bewegung. Gesellschaftspolitische und kirchliche Strömung in der ausgehenden Habsburgermonarchie. Szentendre: Wien, 1999. Ullrich, Volker : »Drückeberger«. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Schoeps, Julius H./ Schlör, Joachim (Hg.), München/Zürich: Piper, 1995, 210 – 217. Venus, Theodor : Der Antisemitismus im österreichischen Pressewesen 1848 – 1938. In: Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen. Wien: Picus, 1995, 192 – 211. Verhovsek, Johann: Theorienlos?! Zur Theoriendynamik in der österreichischen Volkskunde von ihrer Institutionalisierung um 1900 bis zum Paradigmenwechselm um 1970. Unveröffentlichte Diss. Graz, 2007. Von Geyr, G¦za Andreas: S‚ndor Wekerle. 1848 – 1921. Die politische Biographie eines ungarischen Staatsmannes der Donaumonarchie (=Südosteuropäische Arbeiten. 91). München: Oldenbourg, 1993. Volkov, Shulamit: Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays. 2. erw. Aufl., München: Beck, 2000. Wagner, Michael: Literatur und nationale Identität. Österreichbewußtsein bei Franz Werfel. Wien: Praesens, 2009. Wagner, Renate: Wie ein weites Land. Arthur Schnitzler und seine Zeit. Wien: AmaltheaVerlag. 2006. Waibl-Stocker, Jasmin: »Die Juden sind unser Unglück«. Antisemitische Verschwörungstheorien und ihre Verankerung in Politik und Gesellschaft. München: Lit, 2009. Walkenhorst, Peter : Nation, Volk, Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890 – 1914. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd 176), Göttingen: Vanderhoeck & Rupert, 2007. Walser, Harald: Emanzipation und Ausgrenzung. Die Hohenemser Judengemeinde im 19. Jahrhundert. In: Antisemitismus in Vorarlberg. Regionalstudie zur Geschichte einer Weltanschauung. Werner Dreier (Hg.), (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, 4), Bregenz: Vorarlberger Autoren Gesellschaft, 1988, 84 – 131.

234

Quellen- und Literaturverzeichnis

Walter, Edith: Österreichische Tageszeitungen der Jahrhundertwende. Ideologischer Anspruch und ökonomische Erfordernisse. Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 1994. Wandruszka, Adam: Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867 – 1918). In: Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 6, Stuttgart: Union, 1968, 354 – 400. Wandruszka, Adam: Schicksalsjahr 1866. Graz/Wien/Köln: Styria, 1966. Weinzirl, Erika: Kirche, Gesellschaft, Politik von der Ersten zur Zweiten Republik. In: Kontinuität und Bruch. 1938 – 1945 – 1955. Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Münster : Lit, 1972, 51 – 68. Weiss, John: Der Lange Weg zum Holocaust. Die Geschichte der Judenfeindlichkeit in Deutschland und Österreich. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1997. Weitensfelder, Hubert: »Römlinge« und »preußenseuchler«. Konservativ-Christlichsoziale, Liberal-Deutschnationale und der Kulturkampf in Vorarlberg, 1860 bis 1914. Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 2008. Wilke, Jürgen, Massenmedien im Spannungsfeld von Grundwerten und Wertkollisionen, in: Mast, Claudia (Hg.): Markt – Macht – Medien. Publizistik zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und ökonomischen Zielen. Konstanz: UVK, 1996, 17 – 33. Wistrich, Robert S.: Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs. (Anton-GindeleyReihe zur Geschichte der Donaumonarchie und Mitteleuropas, 4) Wien/Köln/Weimar : Böhlau, 1999. Wistrich, Robert S.: Sozialdemokratie, Antisemitismus und die Wiener Juden. In: Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert. Gerhard Botz/Ivar Oxaal/ Michael Pollak (Hg.) Buchloe: Obermayer, 1990, 169 – 180. Wladika, Michael: Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie. Wien [u. a.]: Böhlau, 2005. Wodak, Ruth: The rise of racism. An Austrian or a European phenomenon? In: Discourse and Society, Vol. 11, Nr. 1, London: Sage publications, January 2000, 5 – 6. Wodka, Josef: Kirche in Österreich. Wegweiser durch ihre Geschichte. Wien: Herder, 1959. Wunberg, Gotthart: Jahrhundertwende. Studien zur Literatur der Moderne. Tübingen: Narr, 2001. Wyrwa, Ulrich: Vortrag. Die Entstehung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert. Konflikte, Kontexte, Konstellationen. 02. 02. 2011, Stadtmuseum Graz. Ziege, Eva-Maria: Mythische Kohärenz. Diskursanalyse des völkischen Antisemitismus. Konstanz: UVK-Verl.-Ges, 2002. Zöllner, Erich: Der Österreichbegriff. Aspekte seiner historischen Formen und Wandlungen. In: Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichsbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute. Richard G. Plaschka/Gerald Stourzh/Jan Paul Niederkorn (Hg.), (Archiv für österreichische Geschichte, Bd. 136), 2. Unveränderte Aufl., Wien: Akadmie der Wissenschaften, 1996, 19 – 34.

Internetquellen

235

Internetquellen Das Vaterland, http://anno.onb.ac.at/info/vtl_info.htm, [13. 04. 2014]. Elsen, Thierry : Elise Richter. Ein kleiner biographischer Essay zu Ehren einer großen Wissenschafterin. In: Die Universitaet-Online.at, Online-Zeitung der Universität Wien. In: http://www.dieuniversitaet-online.at/pdf/2005/Elise_Richter_Kurzbiografie.pdf, veröffentlicht am 2. März 2005, [13. 04. 2014]. Reichspost, http://anno.onb.ac.at/info/rpt_info.htm, [13. 04. 2014].