Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen: Denkanstöße aus sieben Rechtsordnungen [1 ed.] 9783428526239, 9783428126231

Das Bild der Strafverteidigung in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich gewandelt. Während der Verte

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Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen: Denkanstöße aus sieben Rechtsordnungen [1 ed.]
 9783428526239, 9783428126231

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 50

Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen Denkanstöße aus sieben Rechtsordnungen

Herausgegeben von Thomas Weigend, Susanne Walther und Barbara Grunewald

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

WEIGEND / WALTHER / GRUNEWALD (Hrsg.)

Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Claus Kreß, Cornelius Nestler J ü rg e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r S u s a n n e Wa l t h e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 50

Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen Denkanstöße aus sieben Rechtsordnungen

Herausgegeben von Thomas Weigend, Susanne Walther und Barbara Grunewald

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-12623-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Als wir im Jahre 2003 über ein gemeinsames Projekt zum Thema „Strafverteidigung“ nachdachten, trieb uns in erster Linie die wissenschaftliche Neugier an: Die tektonischen Verwerfungen im deutschen Strafprozessrecht der letzten Jahrzehnte hatten so viele neue Fragen für die Strafverteidigung aufgeworfen, so viele neue Möglichkeiten, aber auch – rechtliche wie ethische – Probleme; was lag da näher als sich bei anderen Rechtsordnungen Rat zu holen, in denen sich ähnliche Fragen stellen mussten? Vielleicht, so war unsere Überlegung, würden sich durch einen intensiveren Blick über die Grenzen Erkenntnisse gewinnen lassen, die auch die deutsche Diskussion voranbringen könnten. Zugleich versprachen wir uns neue Einsichten von einer „interdisziplinären“ Zusammenarbeit zwischen einer Zivilrechtlerin, zu deren Arbeitsgebieten das Anwaltsrecht gehört, auf der einen und einer Strafprozessrechtlerin und einem Strafprozessrechtler auf der anderen Seite. Wieweit sich unsere Hoffnung auf neue Erkenntnisse als berechtigt erwiesen hat, mögen die Leserinnen und Leser dieses Bändchens selbst entscheiden. Für uns jedenfalls war die Verwirklichung unseres Vorhabens eine Quelle der intellektuellen Bereicherung und der Freude am harmonischen Zusammenwirken, nicht nur untereinander, sondern auch mit unseren engagierten und tüchtigen Mitarbeiter(inne)n, unseren deutschen Gesprächspartnern und vor allem auch mit den Kolleg(inn)en im Ausland, die uns sehr großzügig ihre Arbeitszeit und ihre vielfältige Erfahrung zur Verfügung gestellt haben. Bei ihnen allen möchten wir uns sehr herzlich bedanken: bei denen, die mit ihren schriftlichen Beiträgen dieses Buch ermöglicht haben; bei denen, die uns auf dem PraktikerRundgespräch im Frühjahr 2005 und bei dem Internationalen Kolloquium im November 2005 mit ihren Berichten, Einsichten und Ratschlägen vor voreiligen Schlüssen bewahrt und auf Probleme der Praxis hingewiesen haben; und last but not least bei Alain Drüppel, Kiyomi von Frankenberg, Anabel Harting, Claudia Lüdtke, Stefanie Haumer, Michaela Noack und Vessela Rosenlacher, die diese Veröffentlichung in vielfältiger Weise unterstützt und insbesondere die beiden Kolloquien mit vorbildlichem Engagement mitgestaltet haben. Dieses Buch enthält die Landesberichte zu unserem Projekt und die Referate, die bei dem Internationalen Kolloquium im November 2005 gehalten wurden. Sie sind im Jahre 2007 noch einmal durchgesehen und in den wesentlichen Punkten auf den aktuellen Stand gebracht worden.

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Vorwort

Auch ein Forschungsvorhaben mittlerer Reichweite kommt nicht ohne externe finanzielle Unterstützung aus. Unser besonderer Dank gilt daher der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Durchführung unseres Projekts wie auch die vorliegende Veröffentlichung großzügig gefördert hat; und ebenso danken wir der Fritz Thyssen Stiftung, die uns die Veranstaltung eines Kernstücks unseres Projekts, des Internationalen Kolloquiums in Köln, ermöglicht hat.

Köln, im Sommer 2007

Thomas Weigend

Susanne Walther

Barbara Grunewald

Inhaltsverzeichnis

Thomas Weigend Einführung ........................................................................................................... 9 I. Strafverteidigung im 21. Jahrhundert – in Deutschland und aus rechtsvergleichender Sicht Franz Salditt Strafverteidigung im 21. Jahrhundert ................................................................. 29 Jacqueline Hodgson The Role of the Criminal Defence Lawyer in Adversarial and Inquisitorial Procedure .......................................................................................................... 45 Peter J.P. Tak The Defence Lawyer´s Role in Pre-trial Investigations: Some Observations ....... 61 Richard S. Frase The Defense Lawyer´s Role in Negotiated Justice ............................................. 73 Stefan Kirsch „Aufgedrängte“ Verteidigung ............................................................................ 85 Walter Perron Strafverteidigung und die Interessen von Opfern und Zeugen ......................... 103 Matthias Kilian Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern .............................. 113

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Inhaltsverzeichnis II. Strafverteidigung in verschiedenen Rechtsordnungen Peter J.P. Tak Landesbericht Niederlande ............................................................................... 159 Nicolás González-Cuéllar Serrano Landesbericht Spanien ..................................................................................... 201 Renzo Orlandi Landesbericht Italien ........................................................................................ 233 Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki Landesbericht Polen ......................................................................................... 263 Jacqueline Hodgson National Report England and Wales ................................................................ 285 Richard S. Frase National Report United States of America ....................................................... 297 Claudia Lüdtke, Anabel Harting und Stefanie Haumer Rechtsvergleichende Lösung der praktischen Fälle ......................................... 323 III. Rechtspolitische Vorschläge Susanne Walther Rechtsstellung und Zentralpflichten des Strafverteidigers im Lichte des Grundrechts des Beschuldigten auf effektive Verteidigung ....................................... 329 Thomas Weigend Strafverteidigung im Zeitalter abgesprochener Urteile ..................................... 357 Barbara Grunewald Berufsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen bei nicht ordnungsgemäßer Verteidigung .................................................................................................... 395 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 411 Autorenverzeichnis ............................................................................................... 425

Einführung Thomas Weigend Das Bild der Strafverteidigung in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich gewandelt. Noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts war dieses Bild von dem Anwalt geprägt, der in das Strafverfahren nach Abschluss der Ermittlungen eintritt und seine Arbeit in erster Linie in der Hauptverhandlung leistet – gelegentlich durch kritische Befragung von Belastungszeugen, überwiegend aber erst in seinem Schlussplädoyer, in dem er mit der ihm jeweils zu Gebote stehenden rhetorischen Brillanz den Schuldbeweis in Zweifel zieht und die persönlichen Umstände des Angeklagten zu dessen Gunsten geltend macht. Kontakte zwischen den Verfahrensbeteiligten außerhalb des Gerichtssaals waren verpönt, und auch mit Zeugen und Verletzten sprach der Verteidiger in der Regel nicht. Heute spielt sich Strafverteidigung, jedenfalls jenseits von Routinefällen mit von Anfang an geständigen Beschuldigten, wesentlich anders ab. Der Verteidiger schaltet sich nach Möglichkeit schon in das Ermittlungsverfahren ein; er nimmt unter Umständen Kontakt zum Verletzten auf, um die Möglichkeiten eines (strafmildernden) Täter-Opfer-Ausgleichs auszuloten; und er versucht im Gespräch mit Staatsanwalt und Richter eine einvernehmliche, für den Mandanten möglichst schonende Erledigung des Falles herbeizuführen. Mit dieser gravierenden Veränderung des Arbeitsumfelds des Verteidigers ist eine Vielzahl neuer Handlungsoptionen, aber auch von neuen Aufgaben, Herausforderungen und Problemfeldern verbunden. Hinzu kommt die drängender werdende Frage nach einer Haftung des Verteidigers für die Nicht- oder Schlechterfüllung der Handlungspflichten, die ihm zugunsten des Mandanten obliegen – eine Haftung, die zivilrechtlichen, berufsrechtlichen und/oder strafrechtlichen Charakter haben kann. A. Alte Probleme – neue Herausforderungen Vor diesem Hintergrund wurde das Forschungsprojekt konzipiert, dessen Ergebnisse in diesem Band präsentiert werden. Wir – Barbara Grunewald, Susanne Walther und der Verfasser dieser Einführung – sind von dem Befund ausgegangen, dass Strafverteidigung speziell in Deutschland seit jeher schwie-

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rige Funktionsbedingungen vorfindet. Zu den Konfliktfeldern gehören etwa das prekäre Verhältnis zwischen der Beistandspflicht des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten einerseits und seinen Pflichten aus der (postulierten) Stellung als Organ der Rechtspflege andererseits. Problematisch kann das Verhältnis zwischen der Notwendigkeit einer professionell, funktional und sachkundig geführten Verteidigung und den subjektiven Wünschen des Mandanten sein. Es gibt keine Beratungs- und Prozesskostenhilfe in Strafsachen, aber andererseits ein System der „Zwangsverteidigung“ (§ 140 StPO); der Verteidiger darf zwar in Eigeninitiative Ermittlungen durchführen, entbehrt dabei aber jeder staatlichen Unterstützung; im Ermittlungsverfahren sind seine Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte auf nicht-polizeiliche Ermittlungshandlungen beschränkt und seine Informationsrechte weitgehend davon abhängig, dass sie von der Staatsanwaltschaft nicht als Gefahr für den Untersuchungszweck eingeschätzt werden (§ 147 II StPO). Die Vertraulichkeit zwischen Verteidiger und Mandant wird zwar grundsätzlich respektiert (§ 148 I StPO), ist aber doch wegen der Attraktivität der Informationsgewinnung unmittelbar an der Quelle stets gefährdet. Dadurch, dass sich die Struktur des Strafverfahrens faktisch von den Vorgaben der RStPO von 1877 weit entfernt hat, sind zu diesen „traditionellen“ Problemfeldern neue Herausforderungen hinzugekommen. Vor allem drei Neuerungen sind es, die den Aufgabenbereich des Strafverteidigers zum Teil massiv verändert haben: die Verlagerung des Schwerpunkts des Strafverfahrens in das Ermittlungsverfahren, die Stärkung der Stellung des Verletzten und auch von Zeugen im Prozess sowie vor allem die weitgehende Verdrängung der hergebrachten Hauptverhandlung durch die Praxis der Absprachen. 1. Da das Ermittlungsverfahren faktisch zur bestimmenden Phase des Verfahrens geworden und gleichzeitig der Unmittelbarkeitsgrundsatz aufgeweicht worden ist, kann sich die Verteidigung nicht mehr darauf verlassen, dass die Würfel über das Verfahrensergebnis erst in der Hauptverhandlung fallen und dass dort noch genügend Gelegenheit sein wird, alles Nötige für den Mandanten zu tun. Sie muss vielmehr schon im Ermittlungsverfahren aktiv werden. Rechtspolitisch stellt sich daher die in der jüngeren Vergangenheit intensiv diskutierte Frage nach einem Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten der Verteidigung an der Beweissammlung in den frühen Abschnitten des Verfahrens. Daran knüpft sich die Frage nach möglichen Konsequenzen, etwa einem erleichterten Transfer der unter (potentieller?) Mitwirkung der Verteidigung erhobenen Beweise ins Hauptverfahren oder einer Präklusion späterer Beweisanträge. Man kann auch darüber nachdenken, ob es ratsam wäre, die Figur des heute nur reaktiv tätig werdenden Ermittlungsrichters wieder ganz oder partiell zum Untersuchungsrichter mit Ermittlungsmöglichkeiten von Amts wegen (oder jedenfalls auf Antrag auch der Verteidigung) aufzuwerten, um das Ungleichgewicht zwi-

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schen den Ermittlungsmöglichkeiten der Anklagebehörde und der Verteidigung wenigstens etwas zu mindern. Eine weitere praktische Konsequenz der Schwerpunktverlagerung in das Ermittlungsverfahren könnte sein, dass ein Verteidigerservice rund um die Uhr angeboten werden müsste, damit Mitwirkungsmöglichkeiten (und etwaige Obliegenheiten) zugunsten des Beschuldigten jederzeit sachkundig wahrgenommen werden können. 2. Die Position des Verletzten im Strafverfahren ist seit den 1980er Jahren durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen nicht unwesentlich gestärkt worden. Der verbesserte Opfer- und Zeugenschutz kann freilich zu rechtlichen und faktischen Einschränkungen der Verteidigungsmöglichkeiten führen. Ein typisches Konfliktfeld ist in diesem Zusammenhang der Schutz besonders sensibler und verletzlicher Zeugen gegenüber mehrfacher Befragung im Verfahren auf der einen und das Konfrontationsrecht des Beschuldigten (Art. 6 III lit. d EMRK) auf der anderen Seite (vgl. insbesondere § 255a StPO). Weitere Einschränkungen des für die Verteidigung besonders wichtigen Fragerechts (§ 240 II StPO) können sich aus der gewachsenen Sensibilität für den Intimitätsschutz von Zeugen (vgl. den gestärkten, wenngleich immer noch relativ „zahnlosen“ Schutz in § 68a I StPO) sowie für deren persönliche Sicherheit (Stichwort: V-Leute) ergeben. Damit stellt sich nicht nur die Frage nach der angemessenen Balance zwischen den gegensätzlichen Interessen des Zeugen und der Verteidigung, sondern auch nach den ethischen Grenzen der Verteidigung, sofern diese auf Kosten der Persönlichkeitssphäre des (angeblichen) Verletzten oder eines Zeugen getrieben werden müsste. Neuartige Fragen werfen schließlich auch die erweiterten Möglichkeiten des Täter-Opfer-Ausgleichs auch als strafprozessuales Instrument auf (§§ 153a I 2 Nr. 1 und 5, 155a, 155b StPO); hier sind insbesondere die zulässigen Grenzen eines „Abkaufens“ des Genugtuungsinteresses des Verletzten und eine mögliche proaktive Rolle des Verteidigers dabei problematisch. 3. Hinsichtlich der Absprachenpraxis stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob die Entwicklung von der formalisierten zur konsensualen Erledigung von Strafsachen aus der Sicht der Verteidigung zu begrüßen ist oder ob sie nur Scheinvorteile bietet, da sie letztlich zu einem Sanktionsdiktat der Richter auf unsicherer Tatsachengrundlage führen kann. Falls man Absprachen nicht grundsätzlich – und unter Missachtung der Realitäten – ablehnen möchte, ist weiter zu überlegen, unter welchen Rahmenbedingungen sie aus der Sicht der Verteidigung akzeptabel sind und wie man Gefährdungen der „Waffengleichheit“ vermeiden kann, die sich insbesondere aus der drohenden Sanktionsschere zwischen den Strafmaßen mit und ohne vollständige Hauptverhandlung ergeben. Zu fragen ist ferner, welche berufsethischen Grundsätze für Verteidiger auf dem ungeregelten Markt der Absprachen gelten sollen – wie kann man vermeiden,

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dass der Verteidiger die Chance des Mandanten auf (Teil-)Freispruch oder auch auf einen günstigeren Verfahrensabschluss allzu leicht zugunsten einer konfliktfreien Kooperationsatmosphäre preisgibt? 4. Schließlich stellt sich in der Neuen Welt der Strafverteidigung mehr denn je die Frage, wie sich Verhaltensstandards für Verteidiger nicht nur griffig beschreiben, sondern auch faktisch durchsetzen lassen. Zur Debatte stehen dabei sowohl die hergebrachten straf- und berufsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten als auch eine mögliche zivilrechtliche Haftung, bei der freilich insbesondere die Frage der Schadensberechnung noch der Klärung bedarf. Diese Fragestellungen bilden die Schwerpunkte des hier präsentierten Forschungsprojekts. Selbstverständlich konnten wir nicht alle Fragen angehen, die aktuell oder in näherer Zukunft die Debatte um eine moderne Strafverteidigung bestimmen. So haben wir uns nicht mit so brennenden Themen beschäftigt wie sie z.B. die „Europäisierung“ von Strafrecht, Strafverfahren und Strafverteidigung, die Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens mit der Verwischung zwischen präventiven und strafverfolgenden Befugnissen sowie das Vordringen verdeckter Ermittlungsmethoden darstellen. Dafür wäre ein neues und größer dimensioniertes Forschungsprojekt vonnöten.

B. Methodik Um neue Erkenntnisse zu den angesprochenen Fragenkomplexen zu gewinnen, haben wir in methodischer Hinsicht vor allem auf die Rechtsvergleichung, in begrenztem Umfang aber auch auf die Rechtspraxis gesetzt. Wir konnten Experten aus sechs Rechtsordnungen gewinnen, die durchweg als Hochschullehrer tätig sind, aber auch praktische Erfahrung oder jedenfalls gute Kontakte zur Praxis besitzen: die Professoren Richard S. Frase (Minneapolis), Nicolás González-Cuéllar (Toledo), Jacqueline Hodgson (Warwick), Piotr HofmaĔski (Krakau) und Stanisáaw Zabáocki (Warschau), Renzo Orlandi (Florenz) und Peter Tak (Nijmegen). Diese Experten haben anhand eines von uns vorgegebenen Leitfadens Landesberichte erstellt und überdies erläutert, wie drei typische Problemfälle, die wir konstruiert hatten, in ihrer jeweiligen Rechtsordnung gelöst würden. Da wir aus verschiedenen Gründen nur eine relativ geringe Zahl von Rechtsordnungen in unsere Untersuchung einbeziehen konnten, haben wir versucht, einen „Mini-Kosmos“ abzubilden, indem wir zwei Rechtsordnungen des common law (England und Wales sowie USA), zwei traditionell inquisitorische Verfahrenssysteme (Niederlande und Spanien) sowie zwei in jüngerer Zeit reformierte „gemischte“ Prozessordnungen (Italien und Polen) aufgenommen haben.

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Die ersten Ergebnisse der rechtsvergleichenden Analyse haben wir zweimal zur Diskussion gestellt, und zwar in einem Kreis deutscher Rechtspraktiker aus Anwaltschaft und Justiz und dann bei einem internationalen Symposium, an dem ebenfalls eine große Zahl von Strafverteidigern und Justizpraktikern sowie unsere ausländischen Berichterstatter teilgenommen haben. Dabei haben wir zusätzlich die Perspektive der Verteidigung bei internationalen Strafgerichtshöfen in unsere Überlegungen einbezogen. Auf der Grundlage der rechtsvergleichenden Erkenntnisse und unter Einbeziehung der Informationen, die wir aus der Praxis erhalten konnten, haben die HerausgeberInnen drei Beiträge verfasst, mit denen wir Schlussfolgerungen aus unseren Überlegungen zu zentralen Themen des Projekts (Recht auf wirksame Verteidigung; Absprachenpraxis; zivil- und berufsrechtliche Haftung von Strafverteidigern) gezogen haben. Unsere ursprüngliche Vorstellung, dass wir eine „große Theorie“ der Strafverteidigung, insbesondere verbindliche und konkrete Richtlinien für eine professionelle Strafverteidigung unter den Bedingungen des Strafverfahrens des 21. Jahrhunderts würden entwerfen können, hat sich nicht als realistisch erwiesen. Vielmehr haben sowohl die vergleichenden als auch die praxisbezogenen Einsichten deutlich gemacht, dass „gute“ Verteidigung in jedem konkreten Fall ein anderes Gesicht haben kann und dass sich verbindliche Vorgaben, die für alle Verfahrenstypen Geltung beanspruchen könnten, deshalb nicht sinnvoll formulieren lassen. Das gilt insbesondere mit Blick auf eine mögliche Sanktionierung von Verstößen gegen solche Richtlinien: Regeln, die den Verteidiger ohne weiteres erkennen lassen, welche Verhaltensweisen von ihm erwartet und welche missbilligt werden, können nicht mit dem notwendigen Maß an Konkretheit formuliert werden; und in wohlklingenden Allgemeinplätzen, aus denen sich Verhaltensmaßstäbe für die Bewältigung praktischer Problemfälle nicht ableiten lassen, haben wir keinen Gewinn gesehen. Wir hoffen dennoch, dass unsere Überlegungen für die weitere Entwicklung und Verwirklichung von Maßstäben für effektive und rechtsstaatsbewusste Strafverteidigung nicht ganz ohne Nutzen sein mögen. In dem vorliegenden Band sind die Ergebnisse der Bemühungen der an dem Projekt Beteiligten zusammengeführt. Der erste Teil („Strafverteidigung im 21. Jahrhundert – in Deutschland und aus rechtsvergleichender Sicht“) enthält die Referate, die bei dem Internationalen Kolloquium in Köln im November 2005 gehalten (und überwiegend durch Anmerkungen ergänzt) wurden. In dem zweiten Teil finden sich die Landesberichte zu den Niederlanden, Spanien, Italien, Polen, England und Wales sowie den USA, ferner eine Zusammenfassung der Lösungen zu den drei Problemfällen, die den Landesberichterstattern gestellt wurden. Im dritten Teil schließlich sind die Überlegungen der ProjektleiterInnen zum Recht auf effektive Verteidigung (Walther), Absprachen und Strafver-

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teidigung (Weigend) sowie zu der berufs- und zivilrechtlichen Sanktionierung von Pflichtenverstößen (Grunewald) abgedruckt.

C. Erkenntnisse aus der Rechtsvergleichung Die in diesem Band zusammengestellten Berichte aus ausländischen Rechtsordnungen folgen zwar demselben (von dem Projekt vorgegebenen) Aufbau, sind aber inhaltlich so heterogen wie man es angesichts der Unterschiedlichkeit der Strukturen und Grundsätze des Verfahrens erwarten kann. Dennoch soll hier versucht werden, einige Erkenntnisse zu formulieren, die sich aus einer Zusammenschau der Landesberichte zur Situation der Strafverteidigung im 21. Jahrhundert ergeben. (Hinsichtlich der Details verweise ich auf die Darstellung in den Landesberichten.) Es gibt in den untersuchten Ländern im Recht der Strafverteidigung nur sehr wenige übereinstimmende Grundlinien. Dazu gehören die allseits (prinzipiell) anerkannte Schweigepflicht und das mit ihr korrespondierende Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht des Verteidigers über Informationen, die er von seinem Mandanten erhalten hat. Ebenfalls durchweg anerkannt ist eine grundsätzliche Wahrheitspflicht des Verteidigers gegenüber dem Gericht, die ihm jedenfalls verbietet, Beweise zu präsentieren, von denen er weiß, dass sie gefälscht oder (bei Zeugenaussagen) unwahr sind. Übereinstimmend wird auch die Festlegung der Verteidigungsstrategie als Sache des Anwalts angesehen. Allerdings darf er sich dabei nicht zu weit von den Vorstellungen und Wünschen seines Mandanten entfernen; für den Fall, dass unüberbrückbare Meinungsgegensätze auftreten, wird allgemein empfohlen, dass der Verteidiger das Mandat niederlegt. Auffällig ist bei einer rechtsvergleichenden Betrachtung die prekäre Stellung der Verteidigung in den Rechtssystemen des common law, die in Deutschland häufig als Vorbilder rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung vorgestellt werden. Gerade die formale Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung und die schwache Stellung des Gerichts führen letztlich zu einer doppelten Benachteiligung der Verteidigung. Sie verfügt zwar formal über das Recht, eigene Ermittlungen vorzunehmen, ist dabei aber durch das Fehlen von Eingriffsbefugnissen (die auch nicht vom Richter „geliehen“ werden können) ebenso gehemmt wie durch mangelnde finanzielle Mittel. Der Gedanke der Waffengleichheit hat andererseits die Konsequenz, dass die Verteidigung in England und den USA nur in sehr begrenztem Maße Zugang zu Informationen der Anklagebehörde besitzt, wobei die Staatsanwaltschaft in den USA mit dem geheimen Grand-juryVerfahren noch über ein besonders wirksames Mittel zur einseitigen (und mit

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Zwangsmitteln durchsetzbaren) Informationsgewinnung verfügt. Soweit der Verteidigung Zugang zu den von der Anklageseite gesammelten Informationen zugestanden wird, muss sie dies häufig damit erkaufen, dass sie ihrerseits ihre Erkenntnisse offenzulegen hat. Spätestens vor Beginn der Hauptverhandlung muss die Verteidigung wesentliche Elemente ihrer Strategie dem Gericht und der Anklagebehörde offenbaren. In England ist der Verteidiger – wie jeder Anwalt – überdies verpflichtet, das Gericht über einschlägige Präzedenzfälle zu informieren, die der eigenen Rechtsposition entgegenstehen. Im Vergleich zu dieser für die Verteidigung äußerst unbequemen Situation in den common-lawRechtsordnungen finden sich etwa in den Niederlanden und in Italien moderne Regelungen über den effektiven Zugang der Verteidigung zu eigener oder richterlicher Beweiserhebung schon im Ermittlungsverfahren. Der Umfang der (notwendigen) Beteiligung eines Verteidigers am Strafverfahren reicht von einer verpflichtenden Mitwirkung eines Verteidigers in allen Fällen (Italien) über eine sachlich auf Fälle hoher Strafdrohung oder spezieller Defektlage beim Beschuldigten eingeschränkte Pflichtverteidigung (neben Deutschland noch Polen und Spanien) bis zur grundsätzlichen Freiheit des Beschuldigten, einen Anwalt zu beauftragen oder sich (auch vor Gericht) selbst zu verteidigen (England, USA, Niederlande1). In vielen Rechtsordnungen existiert (auch neben dem Gedanken der „notwendigen“ Verteidigung in manchen Fällen) ein System der Armenverteidigung, das zum Teil auf Wunsch des Beschuldigten, zum Teil auch nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen (Inhaftierung in den Niederlanden; „interests of justice“ in England) mittellosen Beschuldigten einen kostenlosen Verteidiger anbietet2. Die Rechtsstellung des Verteidigers im Einzelnen ist sehr unterschiedlich, häufig aber ungünstiger als in Deutschland ausgestaltet. Verschiedentlich stößt man auf recht weitreichende Befugnisse des Richters, den Zugang eines Verteidigers zum inhaftierten Mandanten zeitweilig (z.B. in England für 36 Stunden, in den Niederlanden bis zu sechs Tagen) zu sperren. Auch der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandant besitzt verschiedentlich nur einen geringen Stellenwert. So ist in den Niederlanden die Überwachung ___________ 1 In den Niederlanden bedarf der Beschuldigte auch keines Verteidigers, um an verfahrensrelevante Informationen zu gelangen; er kann die Unterlagen der Anklagebehörde selbst einsehen und gegebenenfalls auch Zeugen befragen. 2 Jedenfalls bei Untersuchungshaft, bei Strafdrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe, bei minderjährigen Beschuldigten sowie bei sachlicher oder rechtlicher Komplexität des Falles ist ein System der kostenlosen Verteidigung für mittellose Beschuldigte EU-weit verbindlich vorgesehen in Art. 3 des Kommissionsentwurfs für einen Rahmenbeschluss des Rates zu den Rechten des Beschuldigten von April 2004 (KOM [2004] 328 endg.).

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von Telefongesprächen zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger gestattet, und die Anwaltskanzlei darf in Italien und England jedenfalls zum Zweck des Auffindens von producta vel instrumenta sceleris durchsucht werden. Bei dem Verdacht einer terroristischen Straftat kann es dem Verteidiger in England untersagt werden, mit seinem Mandanten über die (wenigen) von der Staatsanwaltschaft erlangten Informationen zu sprechen. Eigene Ermittlungen der Verteidigung sind in den Niederlanden rechtlich suspekt, da sich mit ihnen der Verdacht verbindet, der Verteidiger wolle Beweisquellen trüben. In Polen werden Ermittlungsergebnisse des Verteidigers nicht als Beweismittel anerkannt, sondern können nur die Grundlage für Beweisanträge an das Gericht bilden. Keinen rechtlichen Einschränkungen unterliegt das Ermittlungsrecht der Verteidigung dagegen in den Ländern des common law sowie in Spanien und Italien. In Italien gewährt die Prozessordnung dem Verteidiger sogar ausdrücklich das Recht, Zeugen zu befragen und – mit richterlicher Genehmigung – sogar Privatwohnungen zu betreten. Beweisstücke darf er allerdings nur mit Einwilligung der Wohnungsinhabers mitnehmen. Der Verteidiger kann in verschiedenen Ländern die Vornahme bestimmter Ermittlungshandlungen schon im Ermittlungsverfahren beantragen, und zwar in Italien bei der Staatsanwaltschaft, in Spanien und in den Niederlanden beim Untersuchungsrichter. In den Niederlanden kann der Richter einen solchen Antrag nur zurückweisen, wenn das Interesse der Verteidigung an der Durchführung einer „mini-instructie“ nicht hinreichend begründet ist. Dabei ist zu beachten, dass das Ermittlungsverfahren im niederländischen Rechtssystem häufig von bestimmendem Einfluss auf den Ausgang des Prozesses ist, da das Unmittelbarkeitsprinzip in der Hauptverhandlung nicht im Sinne des deutschen Rechts anerkannt ist. Möglichkeiten, ein Verfahren durch Urteilsabsprache konsensual ohne vollständige Hauptverhandlung zu erledigen, sind mit Ausnahme der Niederlande3 in allen untersuchten Rechtssystemen vorhanden. Solche Absprachen werden überwiegend auf gesetzlicher Grundlage praktiziert, allerdings durchweg nicht aus normativen, sondern aus verfahrensökonomischen Gründen. In Spanien, Italien und Polen gibt es jeweils zwei ähnliche Grundmodelle: eine Verurteilung aufgrund gemeinsamen Strafmaßvorschlags von Anklage und Verteidigung sowie eine Entscheidung des Gerichts ohne Beweisaufnahme. ___________ 3

Auch in den Niederlanden gibt es allerdings „deals“ mit Kronzeugen sowie ein Verfahren der Staatsanwaltschaft, das Ähnlichkeiten mit dem deutschen Strafbefehlsverfahren aufweist.

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Prototyp des gemeinsamen Strafmaßvorschlags von Anklage und Verteidigung ist das italienische patteggiamento-Verfahren (der korrekte Name lautet „Applicazione della pena su riquiesta delle parti“ - Art. 444 ff. Codice di procedura penale). Bei diesem Verfahren verhandeln zunächst die Anklagebehörde und die Verteidigung ohne Beteiligung des Richters über ein für beide Seiten akzeptables Strafmaß, wobei der Beschuldigte keinen Anspruch auf Entgegenkommen seitens der Staatsanwaltschaft oder auch nur auf Gleichbehandlung ähnlicher Fälle hat. Wenn man zu einer Einigung gelangt ist, wird dem Ermittlungsrichter im Zwischenverfahren der gemeinsame Vorschlag unterbreitet. Er darf bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren reichen, wobei eine Minderung der „eigentlich“ verdienten Strafe um ein Drittel vorgesehen ist. Wenn der Richter den Angeschuldigten für unschuldig oder die vorgeschlagene Strafe nach Lage der Akten für inakzeptabel hält, hat er den Antrag abzulehnen; andernfalls verurteilt er den Angeschuldigten zu der vorgeschlagenen Strafe. Scheitert das patteggiamento, so darf der beteiligte Richter nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen und auch kein Beweis über die Absprachenverhandlungen geführt werden. Eine ähnliche Rolle spielt in Spanien das Rechtsinstitut der conformidad (Art. 655, 689 Ley de enjuiciamiento criminal). Auch hier unterwirft sich der Beschuldigte bereits im Ermittlungsverfahren einer bestimmten Strafe (bis zu einem Maximum von drei Jahren Freiheitsstrafe), und auch hier wird die Strafe gegenüber dem „Normalmaß“ um ein Drittel reduziert. In Spanien ist die Erklärung einer conformidad (Einverständnis mit dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft) durch den Angeklagten auch noch im Hauptverfahren möglich. Dort gibt es allerdings keine Strafmilderung mehr, sondern der Angeklagte muss sich formell der gesetzlichen Höchststrafe für das angeklagte Delikt (bis zu sechs Jahren) unterwerfen; er kann jedoch vorab mit der Staatsanwaltschaft eine Herabsetzung des Anklagevorwurfs (der mit einer bestimmten Höchststrafe verbunden ist) aushandeln. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft müssen der Angeklagte und der Verteidiger zustimmen; das Gericht kann allerdings ein Veto des Verteidigers außer Kraft setzen. Die Gerichte akzeptieren in aller Regel den Vorschlag der Parteien; das Gericht kann auch unter der gemeinsam beantragten Strafe bleiben. Eine conformidad wird in etwa der Hälfte aller Verbrechensfälle abgegeben. In Polen kann der Staatsanwalt bei unstreitigem Sachverhalt gleichzeitig mit der Anklageschrift einen Antrag auf Verurteilung des Angeschuldigten zu einer mit diesem vorher abgesprochenen Strafe bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe einreichen (Art. 335, 343 Kodeks postĊpowania karnego). Dabei kann die Strafe unterhalb des eigentlich vom Gesetz vorgesehenen Strafmaßes bleiben und auch bei Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren deren Aussetzung zur Bewährung vorge-

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schlagen werden. Das Gericht ist an die Obergrenze des Vorschlags gebunden. Lehnt es den Vorschlag ab, so findet eine normale Hauptverhandlung statt. Als problematisch im Hinblick auf die Unschuldsvermutung wird in diesem Fall der Umstand angesehen, dass das Prozessgericht weiß, dass sich der Angeklagte zuvor zu einer Absprache bereit erklärt hatte. In den USA entspricht das sog. sentence bargaining demselben Modell. Hier vereinbaren Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein bestimmtes Strafmaß – was allerdings voraussetzt, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund ihres (informellen oder formellen) Einflusses auf die Strafzumessungsentscheidung des Gerichts zusagen kann, dass dieses eine bestimmte Strafhöhe nicht überschreiten wird. Das zweite Grundmodell sieht eine Entscheidung des Gerichts ohne Beweisaufnahme nach pauschaler vorheriger Unterwerfung des Angeklagten unter diese Entscheidung vor, meist verbunden mit einem Strafnachlass. In Italien entspricht diesem Modell das Verfahren des Giudizio abbreviato (Art. 438 ff. Codice di procedura penale). In diesem Verfahren beantragt der Angeschuldigte, dass der Richter das Urteil im Zwischenverfahren nach Lage der Ermittlungsakten (der Staatsanwaltschaft) fällt. Der Antrag des Angeklagten ist für den Richter bindend, außer wenn der Angeklagte gleichzeitig weitere Beweiserhebungen verlangt. Das Gericht überprüft das Ergebnis der Ermittlungen anhand der Akten der Staatsanwaltschaft; der Richter kann aber auch auf Antrag des Angeschuldigten oder von Amts wegen einzelne Beweise erheben (Art. 441 V Codice di procedura penale). Die Strafe, die der Richter verhängt, ist gegenüber dem eigentlich verwirkten Maß um ein Drittel reduziert. Eine ähnliche Möglichkeit der Unterwerfung des Angeklagten unter die Strafmaßentscheidung des Gerichts gibt es auch in Polen (Art. 387 Kodeks postĊpowania karnego). Dort schlägt der Angeklagte selbst zunächst ein bestimmtes Strafmaß vor; das Gericht kann allerdings erklären, dass es das Verfahren nur dann durchzuführen bereit ist, wenn der Angeklagte seinen Vorschlag abändert. Außerdem müssen in Polen (anders als in Italien) die Staatsanwaltschaft und der Verletzte zustimmen. In England und den USA entsprechen diesem Modell die Urteilsabsprachen in Gestalt des charge bargaining: Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigen sich auf die Festlegung bestimmter Anklagepunkte, und es bleibt dem Gericht überlassen, (eventuell auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft oder anhand von Strafzumessungsrichtlinien) die Strafe im einzelnen festzusetzen. In allen Fällen wird dem Angeklagten die Unterwerfung unter die gerichtliche Entscheidung durch Aussicht auf eine Strafmaßreduktion schmackhaft gemacht. Er kann allerdings nur im polnischen System sicher voraussehen, welche Strafe er erhalten wird. In den übrigen Rechtssyste-

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men wird die Unsicherheit des Angeklagten über das Strafmaß durchaus als problematisch empfunden. Es scheint jedoch grenzüberschreitend eine erstaunlich einheitliche Praxis zu existieren, dass die „verdiente“ Strafe im Fall des Verzichts des Angeklagten auf eine Beweisaufnahme um ein Drittel herabgesetzt wird. In beiden Absprachen-Modellen fällt dem Gericht im Wesentlichen eine Kontrollfunktion zu, die es allerdings meist nur auf einer sehr begrenzten Informationsgrundlage wahrnehmen kann. In Italien ist immerhin die Möglichkeit vorgesehen, dass das Gericht noch einzelne Beweise erhebt, bevor es das Urteil fällt.

D. Rechtspolitische Überlegungen Angesichts der Uneindeutigkeit der Befunde aus dem rechtsvergleichenden Überblick und angesichts der Einbettung der Einzelregelungen in den prozessualen Kontext der jeweiligen Rechtsordnung fällt es schwer, aus den Einzeldaten, die wir gewinnen konnten, rechtspolitische Schlüsse für die deutsche Diskussion abzuleiten. Letztlich brechen sich hier persönliche Präferenzen Bahn – aber man kann sie immerhin mit dem einen oder anderen Beispiel aus dem Ausland unterlegen und zeigen, dass sie sich nicht jenseits aller Realität bewegen. Das gilt schon für den ersten Vorschlag, nämlich die Einführung einer Beratungs- und Prozesskostenhilfe in Strafsachen. Mit dem Fehlen einer solchen Möglichkeit der unentgeltlichen Verteidigung für Mittellose (auch in Fällen, in denen nicht der Gesichtspunkt der „notwendigen“ Verteidigung eingreift) nimmt Deutschland international eine Minderheitsposition ein; und die ausländischen Beispiele zeigen, dass sich ein solches System durchaus organisieren lässt. Voraussetzung ist allerdings die Bereitschaft des Staates, öffentliche Mittel in die Verteidigungsinteressen von Beschuldigten zu investieren – zugegebenermaßen keine zeitgeistgemäße Forderung. Wenn man sich einmal für das Prinzip der kostenlosen Armenverteidigung entschieden hat, kann man sich den Einzelfragen zuwenden: Soll die Verteidigung, wie überwiegend in den USA, in Form von staatlichen „public defender“- Büros oder durch private Anwälte geleistet werden? Kann in letzterem Fall die Anwaltschaft einen Teil der Kosten pro bono tragen? Wie lässt sich die Bedürftigkeit von Beschuldigten verlässlich feststellen, ohne dass in den Bereich des nemo tenetur-Satzes eingedrungen werden muss? Sollte vielleicht zunächst (und das heißt: schon vor der ersten Vernehmung) jedem Beschuldigten auf Wunsch und ohne Prüfung der Vermögensverhältnisse ein Verteidiger gestellt werden, mit dem Vorbehalt, dass ein Verurteilter, der über hinreichende Mittel verfügt, später zur Erstattung der Ver-

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teidigergebühren herangezogen wird? Auch über eine Bagatellklausel mag man nachdenken; dabei wäre jedoch zu berücksichtigen, dass auch ein vergleichsweise „harmloser“ strafrechtlicher Vorwurf für die meisten Menschen eine erhebliche psychische Belastung bedeutet und dass daher die Erreichbarkeit professionellen Beistands auch in solchen Fällen nicht an fehlenden finanziellen Möglichkeiten scheitern sollte. Was die Frage der „Zwangsverteidigung“ durch einen Rechtsanwalt auch gegen den Willen des Beschuldigten betrifft, können sich Befürworter einer „Autonomie-Lösung“ gleichfalls auf ausländische Vorbilder (Niederlande, USA) und nicht zuletzt auch auf den Wortlaut von Art. 6 III lit. c EMRK berufen. Auch der Internationale Gerichtshof für das frühere Jugoslawien hat im Fall Miloševic bekanntlich in sehr weitgehendem Maße auf den Wunsch des Angeklagten, ohne Verteidiger aufzutreten, Rücksicht genommen4. Wer die Idee der Autonomie des Beschuldigten ernst nimmt, sollte sich bei dieser Frage jedenfalls an dessen Interessen und nicht an dem Gedanken orientieren, dass das Strafjustizsystem als „fair“ erscheinen möchte, indem es dem Beschuldigten das Recht auf Selbst-Verteidigung verweigert. Man sollte auch die Strategie eines Beschuldigten als legitim anerkennen, der bewusst auf jede (professionelle) Verteidigung verzichtet – sei es, weil er die Zuständigkeit des Gerichts nicht anerkennt, sei es, weil er auf einen Mitleidseffekt setzt. Eine solche Umorientierung auf die Autonomie als Leitprinzip schließt selbstverständlich nicht aus, dass man sich notfalls über ersichtlich unüberlegte oder ganz unvernünftige (etwa auf grundlegenden Irrtümern über den Ablauf des Verfahrens beruhende) Entschließungen des Beschuldigten hinwegsetzen kann. Für solche Fälle wäre zu erwägen, dem Angeklagten einen standby counsel zur Seite zu stellen, der dann in Aktion tritt, wenn sich zeigt, dass der Angeklagte allein mit seiner Verteidigung in der Hauptverhandlung überfordert ist. Im deutschen Verfahrenssystem ist das Problem im Vergleich zu manchen ausländischen Regelungen etwas entschärft, weil hier der Angeklagte selbst über einige bedeutsame Verfahrensrechte verfügt, von denen er – anders als in den Verfahrensordnungen des common law – auch neben seinem Verteidiger und unabhängig von diesem Gebrauch machen kann. Manches spricht im übrigen dafür, dem Beschuldigten in der „Akutphase“ einer Festnahme oder einer Anhörung vor dem Haftrichter einen Anwalt zwar nicht aufzuzwingen, aber doch mit Nachdruck anzubieten, da der Beschuldigte in dieser Phase häufig verfahrenstaktische Entscheidungen treffen muss, die später nicht mehr zu revidieren sind. ___________ 4 Siehe ICTY, Pros. v. Miloševic, Appeals Chamber (IT-02-54-AR 73.7), Beschluss v. 1.11.2004 und hierzu den Beitrag von Kirsch in diesem Band S. 85.

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Speziell auf die Regelung in den Niederlanden als Vorbild können die Vorschläge verweisen, die die Beteiligungsmöglichkeiten der Verteidigung im Ermittlungsverfahren dadurch verbessern möchten, dass der Verteidiger schon in diesem Verfahrensstadium ein effektiv durchsetzbares Recht auf die Erhebung bestimmter Beweise erhält. Ein solches Recht, das über das „zahnlose“ Antragsrecht nach § 136 I 3 StPO hinausgehen müsste, ist insbesondere dann wichtig, wenn potentiell entlastende Beweismittel bis zur Hauptverhandlung zu verschwinden drohen oder wenn deren Erhebung schon die Anklageerhebung verhindern kann. Es liegt nahe, (zumindest) für solche Fälle einen unmittelbaren Zugang der Verteidigung zum Ermittlungsrichter in Parallele zu § 162 StPO zu schaffen. Die Crux liegt dann freilich bei der Frage, unter welchen Bedingungen der Richter einem solchen Beweisantrag stattgeben muss oder ihn ablehnen kann. Eine völlig freie Einschätzung der „Bedeutung“ des Beweismittels (wie bei der Staatsanwaltschaft nach § 163a II StPO) dürfte dem Gewicht des Antragsrechts ebenso wenig gerecht werden wie eine strikte Bindung des Ermittlungsrichters im Sinne von § 162 III StPO oder auch an die Maßstäbe von § 244 III-V StPO, die für das Ermittlungsverfahren nicht recht passen. Möglicherweise wäre es schon nützlich, wenn das Gesetz die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung (etwa: bei Unzulässigkeit oder Untunlichkeit) als Ausnahme formulierte, wenn der Richter einen Beweiserhebungsantrag nur mit einer individualisierten Begründung ablehnen dürfte und wenn seine Entscheidung mit der Beschwerde angegriffen werden könnte. Hinsichtlich der Möglichkeiten der Verteidigung zur Teilnahme an Ermittlungshandlungen liegen seit längerer Zeit verschiedene Vorschläge für Verbesserungen gegenüber dem derzeitigen Rechtszustand auf dem Tisch. Zumindest die Forderung nach einem Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Vernehmung seines Mandanten sollte problemlos umgesetzt werden können. Reizvoll ist darüber hinaus der Vorschlag von Satzger, die Ergebnisse von Vernehmungen, die ohne Teilnahmemöglichkeit des Verteidigers durchgeführt wurden, generell nur mit Zustimmung der Verteidigung als Beweismittel in der Hauptverhandlung zuzulassen5. Andererseits dürfen der Verteidigung daraus, dass sie sich nicht an Ermittlungshandlungen vor Beginn der Hauptverhandlung beteiligt, für das Hauptverfahren keine Nachteile, etwa im Sinne einer Präklusion späterer Beweisanträge, erwachsen. Weiterer Diskussion bedarf noch der Vorschlag, rechtliche oder zumindest berufsethische Handlungspflichten des Verteidigers zu statuieren6. Solche ___________ 5 6

Satzger, Gutachten C zum 65. Deutschen Juristentag, 2004, S. C 52 ff. Siehe dazu näher den Beitrag von Walther in diesem Band S. 329, 338 ff.

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Pflichten könnten sich etwa darauf richten, mit dem Mandanten (auch wenn er sich in Haft befindet) in hinreichendem Umfang persönlich Kontakt aufzunehmen, sich rechtzeitig um Akteneinsicht zu bemühen und in dem gesetzlich zulässigen Umfang an Ermittlungshandlungen teilzunehmen. Besonderen Reiz könnte ein solcher Katalog von Handlungspflichten dadurch gewinnen, dass man deren Vernachlässigung als Verstoß gegen den Anspruch des Beschuldigten auf effiziente Verteidigung ansehen und als (wohl: relativen) Revisionsgrund ausgestalten könnte. Damit ließen sich Mindeststandards einer wirksamen Strafverteidigung nicht nur berufsrechtlich post festum, sondern auch unmittelbar im laufenden Strafverfahren durchsetzen. So attraktiv diese Idee erscheint, so lassen sich doch verschiedene Einwände nicht übersehen. In theoretischer Hinsicht stellt sich die Frage, wie eine Verantwortlichkeit des Staates (bzw. des erkennenden Gerichts) für die pflichtgemäße Erfüllung der Aufgaben der privat organisierten Institution Strafverteidigung begründet werden kann7. Auch gibt es begreifliches Unbehagen bei Verteidigern gegenüber der Vorstellung, dass ihre Tätigkeit durch das Gericht überwacht, bewertet und eventuell als unzulänglich gerügt werden kann. Dies gilt insbesondere mit Rücksicht darauf, dass es – wie oben schon angesprochen – kaum möglich erscheint, generelle, einzelfallübergreifende Standards für „gute“ Verteidigung in einigermaßen konkreter Terminologie zu formulieren – was „sachgerecht“ ist, hängt eben von der Natur der jeweiligen „Sache“ ab, und im Einzelfall kann auch Passivität die taktisch richtige Verteidigung sein. Auf dem umstrittenen Felde der Verfahrensabsprachen können sich grundsätzliche Gegner der Absprachenpraxis kaum noch auf ausländische Vorbilder berufen, und zwar auch nicht in Kontinentaleuropa. Es besteht offenbar ein verfahrenssystemübergreifendes Bedürfnis (bzw. eine überall gleich starke Versuchung), Abkürzungen gegenüber dem prozessrechtlich vorgeschriebenen Weg zum Urteil zu nehmen. Dies ändert zwar nichts an den prinzipiellen Bedenken gegen eine strafrechtliche Verurteilung allein auf der Grundlage eines „Konsenses“ der Verfahrensbeteiligten: Ein legitimierender Konsens würde gleiche Machtpositionen sowie vollständige Sachinformation der Beteiligten voraussetzen. In der Wirklichkeit der Absprachen fehlt es jedoch an beidem, da das Gericht zwar mittels der „Sanktionsschere“ über ein überwältigendes Machtpotential verfügt, aber ohne die Durchführung einer eigenen Beweisaufnahme im Wesentlichen nur die Sachverhaltsversion der Anklagebehörde zur Verfügung hat. Überdies vermag eine Absprache nicht die notwendige Fundierung des Urteils auf „Wahrheit und Gerechtigkeit“ zu erbringen (wobei dieses Ziel durchaus ___________ 7 Denkbar ist dies allerdings im Fall des vom Gericht bestellten Verteidigers, wo der Vorsitzende immerhin zur sachgerechten Auswahl verpflichtet ist.

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auch zu Lasten des Beschuldigten anzustreben ist!). Aber mit diesen Einwänden steht man offenbar auch im Ausland gegenüber einer vorherrschenden pragmatischen, effizienzorientierten Sichtweise auf verlorenem Posten. Wie dargelegt lassen sich in ausländischen Rechtsordnungen zwei Formen der „konsensualen“ Verfahrensbeendigung nachweisen, der gemeinsame Strafmaßvorschlag der Parteien und die Akzeptanz einer Entscheidung des Gerichts ohne (oder mit sehr eingeschränkter) Beweisaufnahme. Von diesen beiden Modellen scheint mir vor allem das zweite interessant zu sein, da es eine brauchbare Alternative zum ganz ungesteuerten, im freien Spiel der Kräfte ausgehandelten „Deal“ bietet und doch eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens gegenüber der traditionellen Hauptverhandlung verspricht. Den Vorteil eines Verfahrens vom Typ des italienischen Giudizio abbreviato sehe ich darin, dass es die Möglichkeit weiterer Sachaufklärung durch das Gericht im Anschluss an die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens schafft, soweit noch Punkte ungeklärt oder zwischen den Parteien streitig sind. Ein weiterer Plus-Punkt ist die Tatsache, dass sich der Richter bei diesem Modell nicht in so unwürdiger Weise wie in Deutschland selbst am Feilschen beteiligt, sondern eine neutrale und kontrollierende Position behält. Für den Fall, dass sich der Richter auch nach der Aufnahme einzelner Beweise nicht zu einer summarischen Entscheidung in der Lage sieht, sollte er allerdings – wie in Italien – von einer Teilnahme am weiteren (Haupt-)Verfahren ausgeschlossen sein. Freilich gibt es auch bei dieser Form der „konsensualen“ Verfahrenserledigung verschiedene Problembereiche. Dazu gehört etwa die Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Beschuldigter hinsichtlich des Zugangs zu abgekürzten Formen des Verfahrens, speziell wenn damit Strafmilderungen verbunden sind. Hierbei handelt es sich um ein generelles Problem, das überall dort auftaucht, wo prozessuale Weichenstellungen – wie etwa auch beim Vorgehen nach §§ 153, 153a StPO und beim Strafbefehl – von Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft abhängen. Wenn man die Gefahr willkürlicher Verfügungen bannen oder wenigstens abmildern möchte, muss man – wie in Italien – dem Beschuldigten das Recht geben, auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft unmittelbar beim Richter auf Entscheidung nach Lage der Akten anzutragen. Die Gewährung eines Strafnachlasses für Beschuldigte, die auf eine Beweisaufnahme verzichten, ist strafzumessungstheoretisch eigentlich nicht begründbar und bewirkt außerdem unangebrachten Druck auf den Beschuldigten, der Justiz die Arbeit durch eine Unterwerfungserklärung zu erleichtern. Dennoch greifen alle Verfahrenssysteme auf einen solchen – vergleichsweise kostengünstigen – Anreiz zur „Kooperation“ zurück.

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Ein Defizit des Verfahrenstyps „Giudizio abbreviato“ besteht darin, dass das Strafmaß für den Angeklagten (anders als beim „Aushandeln“ mit der Staatsanwaltschaft) in der Regel nicht sicher prognostizierbar ist; in manchen Rechtsordnungen, wie etwa in Polen, besteht noch die Möglichkeit, mit dem Gericht darüber zu (ver)handeln. Ein Übergang in die Hauptverhandlung bei einem Fehlschlag des Versuchs, eine konsensuale Lösung herbeizuführen, kommt bei diesem Verfahrenstyp nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn der Richter eine Entscheidung auf der Grundlage der Akten (und einer eventuellen eigenen Beweisaufnahme) ablehnt. Ob man dem Beschuldigten, der sich zuvor dem Spruch des Richters unterworfen hat, einen Rechtsbehelf gegen dessen Entscheidung gewähren will, ist eine offene Frage. In den ausländischen Rechtsordnungen, die diesen Verfahrenstyp kennen, ist dies, soweit ersichtlich, nicht vorgesehen. Dennoch sollte eine Korrekturmöglichkeit bestehen, schon um auf den Extremfall reagieren zu können, dass der Richter etwa über die gesetzliche Höchststrafe hinausgeht, aber auch für sonstige krasse Fälle der unangemessenen Bestrafung. Ein Anspruch auf die Durchführung einer Hauptverhandlung trotz vorheriger Unterwerfung unter den Spruch des Richters mit gleichzeitigem Verbot einer reformatio in peius würde dem Gedanken der Freiwilligkeit der Unterwerfung in optimaler Weise Rechnung tragen und gleichzeitig eine Überprüfung der Richtigkeit des Richterspruchs durch eine unabhängige Instanz garantieren. Die Chancen dafür, dass sich ein solches Ideal-Verfahren in der praktischen Rechtspolitik durchsetzen lässt, dürften allerdings nicht sehr hoch sein. Eine wesentliche Frage innerhalb unseres Forschungsprojekts richtete sich auf die Rolle des Verteidigers bei Urteilsabsprachen, sowohl bei denjenigen, die sich in Deutschland eingebürgert haben, als auch in den ausländischen Modellen konsensualer Verfahrenserledigung. Es hat sich allerdings gezeigt, dass sich auch (oder: gerade) auf diesem Gebiet kaum Richtlinien für „korrektes“ Verteidigerverhalten formulieren lassen, da das, was den Interessen des Mandanten nützt, nur situationsgebunden ermittelt werden kann. Natürlich ist es richtig, dass der Verteidiger zunächst – in Absprache mit dem Mandanten – alle Möglichkeiten einer Erledigung ohne Schuldspruch auszuschöpfen hat. Ist dieses Ergebnis nicht erreichbar, so muss er sich für eine möglichst milde Erledigung einsetzen. Liegt das Angebot einer Absprache vor, so hat er mit dem Mandanten eingehend die Risiken und Chancen einer „streitigen“ Hauptverhandlung abzuwägen. Entscheidet sich der Beschuldigte dafür, das Verfahren durch ein Geständnis abzukürzen, so sollte der Verteidiger von erfolgversprechenden Rechtsmittelmöglichkeiten dennoch Gebrauch machen. Klar ist auch, dass der Verteidiger bei Absprachenverhandlungen verpflichtet ist, einseitig die Interessen des Mandanten wahrzunehmen, und zwar auch dann, wenn er damit atmo-

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sphärische Störungen im Verhältnis zu Richtern und Staatsanwälten riskiert. Und selbstverständlich darf er nicht die Interessen des individuellen Mandanten preisgeben, um bei späteren Gelegenheiten als verlässlicher Verhandlungspartner mit guter „client control“ auftreten zu können. Aber das sind letztlich Allgemeinplätze, die dem Verteidiger in schwierigen Konfliktsituationen keine klaren Verhaltensanweisungen zu vermitteln vermögen. Letztlich wird man ihn auf die Entscheidung des vollständig aufgeklärten und sachkundig beratenen Mandanten als Richtschnur verweisen müssen. All diese rechtspolitischen Erwägungen ergeben sich, wie gesagt, nicht zwingend aus den Befunden, auf die wir in dem Projekt gestoßen sind, sondern sie sind mögliche – notwendigerweise subjektiv gefärbte und auch unter den Projektbeteiligten nicht in allen Nuancen konsentierte – Ableitungen aus den Erkenntnissen der Rechtsvergleichung sowie aus den Hinweisen, die wir von Praktikern empfangen haben. Sie sollen aber immerhin Appetit zur ebenso kritischen wie (hoffentlich) bereichernden Lektüre der folgenden Beiträge machen.

I. Strafverteidigung im 21. Jahrhundert – in Deutschland und aus rechtsvergleichender Sicht

Strafverteidigung im 21. Jahrhundert

Franz Salditt

Strafverteidigung hängt von ihren Rahmenbedingungen ab. Die gegenwärtige Lage wird von Entwicklungen bestimmt, die auf einen tiefen Wandel hindeuten. Diese Entwicklungen lassen sich durch sechs Thesen beschreiben.

A. Der Austausch des Gegners verändert die Geschäftsgrundlage der Verteidigung im inquisitorischen Verfahren Im inquisitorischen Verfahren des deutschen Prozessrechts obliegt es nicht der Verteidigung, Entlastungsbeweise beizubringen. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO). Die Polizei muss den Anordnungen der Staatsanwaltschaft Folge leisten (§ 152 StPO) und der Staatsanwaltschaft ihre Aktenvorgänge („Verhandlungen“) übersenden (§ 163 Abs. 2 StPO). Da die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, für vollständige Aktenführung zu sorgen (§ 168b Abs. 1 StPO), wird der gesamte Ermittlungsstoff transparent dargestellt. Spätestens mit dem Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) steht dem Verteidiger ein unbeschränktes Akteneinsichtsrecht zu (§ 147 Abs. 2 StPO). Er kann dann prüfen, ob die Staatsanwaltschaft ihre Pflicht zur Objektivität erfüllt hat und ob das Ermittlungsergebnis eine Anklage trägt oder zur Einstellung des Verfahrens Veranlassung gibt. Dieses historische Prozessmodell einer zunächst eher beobachtenden Verteidigung funktioniert nur, wenn die Akten die beschriebenen Anforderungen erfüllen. Nur dann nämlich ist dem Verteidiger die Kontrolle möglich, ob die Beweise vollständig und rechtmäßig erhoben wurden oder ob etwa ein Verwertungsverbot ihrer Berücksichtigung entgegensteht. Führt die Polizei eigene und den Blicken der Verteidigung entzogene Akten, die Aufschluss über Ermittlungsmaßnahmen geben könnten, die aber separiert bleiben, wird diese notwendige Architektur des inquisitorischen Verfahrens beschädigt.

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Eine solche Entwicklung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten teilweise stattgefunden. Die ureigene Aufgabe der Polizei zur Verhütung noch nicht begangener Straftaten ist mit dem Ziel ausgeweitet worden, eine spätere Strafverfolgung präventiv zu erleichtern. Das Sammeln einschlägiger Informationen und die Sicherung möglicher Beweise finden dann im sogenannten Vorfeld statt. Ein Recht der Staatsanwaltschaft zur Aufsicht und Weisung besteht hier nicht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht der vorverlagerten Überwachung der Telekommunikation ein Ende bereitet, weil es den für die Polizei zuständigen Ländern insoweit an einer Kompetenz zur Gesetzgebung fehlt1. Das Karlsruher Urteil erkennt indirekt aber die prinzipielle Zulässigkeit sonstiger polizeilicher Operationen an, deren Zweck in der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten und in deren Verhütung besteht2. Kommt es zu Straftaten, knüpft die Polizei an diese Erkenntnisse an. Deshalb müssen Verteidiger heute fragen, ob die Staatsanwaltschaft alle Quellen, auf die das Ermittlungsverfahren zurückgreift, vollständig aktenkundig machen konnte. Ist sie überhaupt von der Polizei über die gewundenen Wege ins Bild gesetzt worden, auf denen manche der zu den Akten gebrachten Beweise (etwa im Drogenstrafrecht) zustande gekommen sind? Kann sie daher noch die Objektivität der Ermittlungen gewährleisten? Ein schönes Beispiel, dem wir die Antwort entnehmen dürfen, fand sich unlängst im SPIEGEL3. Dort wurde die polizeiliche Praxis anhand eines konkreten Falles beschrieben (und übrigens auch offengelegt, wie die Beamten sich den Verteidiger vorstellen): „Hauptkommissar Andreas N. übernimmt den Job des Aktenführers. Da die EK Brasil gleichzeitig verdeckt und offen ermittelt, müssen die Akten so viele Informationen enthalten wie nötig und so wenig wie möglich, damit beispielsweise Anwälte ihre Mandanten nicht über den Stand des Gesamtverfahrens aufklären können. Es ist eine strategische Aufgabe. Neben dem Kommissionsleiter ist der Aktenführer der wichtigste Mann.“

Im Bereich der Vermögensabschöpfung (§§ 111b ff. StPO, §§ 73 ff. StGB), die bei uns heute hohe strafprozessuale Priorität genießt, gibt es inzwischen sogar ein amtliches „Trennungsprinzip“. Nach diesem Modell sollen getrennte Abschöpfungsakten geführt werden; sie werden (zum Beispiel) beim Landeskriminalamt verwahrt und sollen nicht in die Hauptakte des Staatsanwalts ___________ 1

BVerfG NJW 2005, 2603. Prinzipielle Einwendungen dagegen, dass präventiv gewonnene Beweise in den Strafprozess eingehen, sind zumindest in der Rechtsprechung nicht ersichtlich (BGH NStZ 1992, 44; kritisch dazu Anm. Rogall NStZ 1992, 45, 46; BGH NStZ 1995, 601 m. abl. Anm. Welp). Gegen die Verwertbarkeit von präventivpolizeilich mittels sog. Personenschutzsender entstandenen Tonaufzeichnungen aber LG Stuttgart StV 2005, 559. 3 Goos, SPIEGEL 42/2005, S. 86. 2

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gelangen4. Insbesondere verfahrensunabhängige Finanzermittlungen, mit denen die Polizei auf ein „ungeheures Potential“ von Informationen zurückgreifen kann, verstehen sich nicht als Teil des Ermittlungsverfahrens5. Derartige keineswegs nur faktische Veränderungen fordern die Strafverteidigung heraus. Die Anwaltschaft nämlich muss lernen, dass sie nicht (mehr) auf die Objektivität von Ermittlungen, die der Staatsanwaltschaft entwunden sind, und auf die Transparenz der Akten vertrauen darf. Das verändert die Geschäftsgrundlage der Verteidigung im inquisitorischen Verfahren. Diese Entwicklung drängt in die Richtung des adversarischen Parteiprozesses. Zu diesem aber gehören eigene durchsetzbare Ermittlungsbefugnisse des Verteidigers, an denen es in Deutschland noch fehlt6. Möglicherweise deutet die Entwicklung auf beginnende tektonische Verschiebungen hin. Jakobs hat in einer finsteren Betrachtung ohnehin für möglich und wünschenswert gehalten, dass sich Teilbereiche des Strafrechts „von einer Reaktion der Gesellschaft auf die Tat eines ihrer Mitglieder zu einer Reaktion gegen einen Feind“ entwickeln7. Dabei soll es gerade „auch um die Abwehr künftiger Angriffe“ gehen8, und zwar dort, wo nicht damit gerechnet wird, dass der Betroffene „sich als Person verhalten wird“9. Die „Wendung des Blicks von der geschehenen auf die kommende Tat“10 geht mit der Einschränkung prozessualer Garantien einher11. Zwar bleibt die Frage, wer als Feind gesehen wird12, doch gehören „vermutlich auf Dauer“ vom Recht abgewandte Täter auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität dazu13. Dies ist, so muss man fürchten, nicht nur eine prophetische Voraussage, sondern eine ___________ 4

Rönnau, Vermögensabschöpfung, 2003, Rn. 115 (S. 49). Rönnau (Fn. 4), Rn. 116 (S. 49 ff.), Rn. 120 (S. 52). 6 Der Vorschlag des „Diskussionsentwurfs zur Reform des Strafprozesses“, den die damalige Regierungskoalition im Jahre 2004 vorgelegt hatte, sprach für sich. Danach sollte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren ein Anwesenheitsrecht bei Zeugenvernehmungen der Staatsanwaltschaft gewährt werden, nicht aber bei solchen durch die Polizei. Dieser Entwurf hätte die bestehende Entwicklung, durch welche die Rolle der Staatsanwaltschaft geschwächt wird, weiter intensiviert (dazu Salditt in: Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages 2004, S. O31 ff.). 7 Jakobs in: Eser/Hassemer/Burkhardt, Strafrechtswissenschaft, 2000, S. 47, 51. 8 Jakobs (Fn. 7). 9 Jakobs (Fn. 7). 10 Jakobs (Fn. 7). 11 Jakobs (Fn. 7), S. 52. 12 Jakobs (Fn. 7), S. 52. 13 Jakobs (Fn. 7), S. 52. 5

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Beschreibung bereits wirksamer Tendenzen. Die Verteidigung von „Feinden“ aber wird den Rahmen der Strafprozessordnung sprengen.

B. Die Hauptverhandlung wird ausgehöhlt und zum bürokratischen Prozess ohne Verfahren Der Schwerpunkt des Strafprozesses hat sich in das Vorverfahren verlagert14. Das beeinflusst die gerichtliche Hauptverhandlung. Zu dieser Entwicklung gehört der erleichterte Transfer erhobener Beweise aus den Akten auf den Richtertisch. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass ein Teil der Hauptverhandlung durch die lautlose Lektüre von Schriftstücken ersetzt wird. Nach § 249 Abs. 2 StPO kann das Gericht, auch wenn Verfahrensbeteiligte dem widersprechen, Urkunden im sogenannten „Selbstleseverfahren“, also durch Anordnung einer stillen Aneignung, einführen. Dieser unkontrollierte Vorgang ist beendet, wenn Richter und Schöffen bestätigen, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben. So werden Hunderte oder notfalls Tausende von Schriftstücken ohne Diskurs zum Gegenstand der Hauptverhandlung, darunter keineswegs nur Bilanzen, Buchhaltungsbelege und Kontoauszüge. Bei Protokollen über die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen war die Verlesung statt der unmittelbaren Befragung bislang zumindest grundsätzlich nur im Konsens von Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Angeklagtem möglich (§ 251 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 S. 1 StPO a.F.). Das 1. Gesetz zur Modernisierung der Justiz von 2004 (BGBl I S. 2198) hat auch hier für vermeintlichen Fortschritt gesorgt. Jetzt können, selbst wenn wir widersprechen, insbesondere frühere Zeugenaussagen, die zum Beispiel vor Polizei oder Staatsanwaltschaft stattgefunden haben, in der Hauptverhandlung verlesen werden. Diese einseitige Anordnungsbefugnis hängt zwar davon ab, dass die zu verlesenden Aussagen die Frage betreffen, ob ein Vermögensschaden eingetreten oder wie hoch er ausgefallen ist (§ 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO); bei Betrug oder Untreue zum Beispiel handelt es sich aber dabei oft um entscheidende Beweismittel. Ebenfalls ist es fortan zulässig, die Gutachten allgemein vereidigter Sachverständiger, wenn das Gericht dies so will, in Abwesenheit der Beweispersonen durch Verlesung zu Gehör zu bringen (§ 256 Abs. 1 Nr. 1b StPO). Das Gleiche gilt jetzt für Protokolle und Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen außerhalb von Vernehmungen (§ 256 Abs. 1 Nr. 5 ___________ 14

Dazu Satzger, Gutachten zum 65. Deutschen Juristentag, 2004, passim.

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StPO), also insbesondere der Polizei zum Beispiel über Spurensicherung am Tatort, über Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Der berühmte Vorfall des O.J. Simpson-Verfahrens, bei dem es um die Sicherstellung von Handschuhen als Mittel der Überführung ging, könnte in Deutschland verhandelt werden, ohne dass Verteidigern Gelegenheit gewährt würde, die Polizei in der Hauptverhandlung zu befragen. Vor allem aber würde, falls ein Gericht es darauf anlegt, die Möglichkeit abgeschnitten, Vorurteile, theoretische Defizite und Fehlvorstellungen von Sachverständigen aufzuklären. Ob derart entleerte Hauptverhandlungen noch den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 lit. d EMRK genügen, wird in den kommenden Jahren mühsam ausgefochten werden müssen15. Diese Entwicklung begünstigt die Bereitschaft, Absprachen schon im Ermittlungsverfahren zu treffen. Das wiederum trägt zur weiteren Aushöhlung der Hauptverhandlung bei. Daraus wird eine Spirale. In dem Maße, in dem Richter zu den aufgezeigten prozessualen Mitteln greifen, verwandelt sich der Prozess in eine bürokratische Pflichtübung, die den großen Bestand überlieferter schützender Formen nur dem Anschein nach wahrt. Unsere Hoffnung, dass die Strafjustiz Widerstand gegen die Zumutungen des Gesetzgebers leistet, ist bang. Immerhin behält das Gericht die Freiheit der Wahl. Keine solche Freiheit verbleibt der Anwaltschaft, die gehalten ist, sich ihrerseits einzuordnen und nach Wahrheit in den Akten zu suchen statt in mündlicher Konfrontation. Hätte 1871 ein solcher Strafprozess zur Verfügung gestanden, wäre der Parteigründer August Bebel damals in Leipzig wegen Hochverrats verurteilt worden, ohne dass seine Schriften öffentlich verlesen worden wären16. Das hätte dem Kaiserreich die Publizität bewegender und erregender Texte erspart. Und um von der Gegenwart zu sprechen – mancher Sachverständige hätte seinen guten Ruf trotz fehlender Sachkunde behalten, wäre sein Gutachten vor den Schwurgerichten ohne Befragung zur Verlesung gekommen. Was dies freilich für den betroffenen Angeklagten bedeuten könnte, darüber sollte man gar nicht erst nachdenken. Der Transfer von Texten ohne unmittelbare Beweiserhebung wird zum Transfer von Defiziten und Fehlern. Transfer ___________ 15 Aus angelsächsischer Sicht sind Sachverständige expert witnesses. Dazu Esser, 2002, S. 693; zum Verteidigungsrecht auf Konfrontation ebda. S. 641. 16 Vom 11. bis 26.3.1872 fand vor dem Schwurgericht zu Leipzig eine Hauptverhandlung gegen August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Adolph Hepner statt, denen die Vorbereitung des Hochverrats, nämlich eines gewaltsamen Umsturzes, vorgeworfen wurde, der sich gegen den Norddeutschen Bund, das Deutsche Reich und gegen Sachsen gerichtet haben sollte. Eine wesentliche Rolle spielten Briefe, Reden und Veröffentlichungen. Im Mittelpunkt stand die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (1869). Dazu Salditt, FS Friebertshäuser, 1997, S. 127.

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gegen den Widerspruch der Verteidigung ist Anmaßung. Soweit der Verteidigung aber noch das Recht zum Widerspruch verbleiben soll, darf ihr nicht auferlegt werden, den Protest unter Offenbarung zum Beispiel des Fragekonzepts zu begründen. Strafverteidigung muss in der Lage bleiben, prozessuale Strategien zu verfolgen, ohne diese im Vorhinein bekannt zu geben.

C. Vorurteil und Befangenheit werden zu einer neuen Grundbedingung des Verfahrens Der moderne deutsche Gesetzgeber hat den Beteiligten des Strafprozesses Solidarität für das Opfer nahegelegt17. Dies transformiert, wie Schünemann es auf den Punkt gebracht hat, die Aussage des hochgerüsteten Opferzeugen von der Wissensbekundung zur Parteierklärung eines Zusatzanklägers, der seine Interessen hinter der Maske des Beweismittels wahrnehmen kann18. Als Vehikel dienen Informations- und Akteneinsichtsrechte des Verletzten auch in der Rolle als Zeuge, außerdem der für ihn oder sie im gesamten Verfahren ermöglichte kraftvolle anwaltliche Beistand, der oft durch entsprechend spezialisierte Organisationen unterstützt wird. Zugleich gibt es verschiedene Stufen prozessualer Abschirmung, die das Opfer als Zeugen vor der offenen Konfrontation mit seinem Gegner, dem Angeklagten, bewahren sollen. Eine einflussreiche Lobby hat dafür gesorgt, dass die Rechtstechnik des Opferschutzes in Deutschland maximiert worden ist. Diese Lobby hält die sogenannte Täterorientierung des Strafprozesses für einen strukturellen Mangel19. Dem hat sich der mächtige Rat der Europäischen Union zugesellt. Er leitet aus seiner Mitverantwortung für die grenzüberschreitende Sicherheit des europäischen Raums die Zuständigkeit im Blick auf den Bürger als Opfer ab20. Wie das Kaninchen aus dem Zylinder wird daraus eine europäische Teilkompetenz für ___________ 17

Im Einzelnen Salditt, StV 2002, 273. Schünemann, StV 1998, 391, 393. 19 Kerner, Opferrechte/Opferpflichten, 1999, S. 6. 20 Rahmenbeschluss des Rates der EU v. 15.3.2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, Amtsblatt Nr. L 82 v. 22.3.2001, S. 1. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Grünbuch der Kommission über die Entschädigung für Opfer von Straftaten v. 22.9.2002 – BR-Drucks. 778/02 – konzentriert sich zwar auf finanzielle Aspekte, fordert aber für Mitgliedstaaten auch, „dass eine Sekundärviktimisierung unbedingt vermieden werden muß.“ Daran knüpft der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten v. 17.10.2002 an (BR-Drucks. 801/02). 18

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den Strafprozess gezogen, in dessen Mitte folgerichtig der Verletzte stehen muss. Dies alles läuft auf einen normativen Appell an die Richter hinaus, den betroffenen Zeugen von vornherein in ihre besondere Fürsorge einzuschließen. Da solche Fürsorge unterstellt, dass der Zeuge den bestreitenden Angeklagten nicht verleumderisch belastet und die Justiz nicht missbraucht, wird den Richtern ein Vor-Urteil schon vor dem Urteil suggeriert. Die Schlussfolgerung daraus ist trivial – ein derartiges Verfahren macht befangen und gibt die Unschuldsvermutung auf. Die Entwicklung setzt vor der Hauptverhandlung ein. „Wir Strafverfolger verstehen uns als Dienstleister der Geschädigten“ – mit diesem Satz wurde erst kürzlich ein prominenter Staatsanwalt in der Presse zitiert21. Diese Herausforderung lastet schwer auf der Strafverteidigung, zumal die Entwicklung in unseren Nachbarstaaten ganz ähnlich verläuft. Im Vereinigten Königreich, der Heimat des fairen Verfahrens, haben die Richter des Oberhauses am 17.5.2001 den Fall R v A. entschieden22. Hier war der wegen Vergewaltigung verfolgte Beschuldigte daran gehindert, sich auf die Vorgeschichte des umstrittenen Geschlechtsverkehrs mit der Zeugin A. zu berufen. Der den Augen und Ohren der Geschworenen verborgen gebliebene Verteidigungssachverhalt soll darin bestanden haben, dass die beiden bis etwa eine Woche vor der „Tatnacht“ einvernehmliche sexuelle Kontakte unterhielten. Der Beschuldigte wollte seinen Richtern erklären, diese Beziehung sei mit dem angeklagten Ereignis konsensual erneuert worden. Das blieb ihm auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahre 199923 untersagt, und auch die Zeugenbefragung hierüber war ausgeschlossen. Ähnlich irritiert der Fall R v Michael Stone, dessen Neuverhandlung am 8.2.2001 vom Court of Appeal in London angeordnet worden ist24. Wie das aufgehobene Urteil deutlich macht, beschränkt sich der unaufhaltsame Siegeszug des Zeugen keineswegs auf Beweispersonen, die als Opfer in Betracht kommen. Stone war aufgrund einer Zeugenaussage von Damian Daley am 23.10.1996 wegen Mordes verurteilt worden. Sein Verteidiger hatte den wichtigen Belastungszeugen nicht nach dessen Vorgeschichte („bad character“) befragen dürfen. Den Geschworenen war deshalb unbekannt, dass Daley sich unter erschwerten Bedingungen in Strafhaft befand und dass er seit Jahren ___________ 21

OStA Hans Ernst Richter (Stuttgart) in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.10.2005, S. 23. 22 Dazu Salditt, FS Kohlmann, 2003, S. 667. 23 Section 41 Youth Justice and Criminal Evidence Act 1999. 24 Mahmutaj, Criminal Bar Association News 2005, Heft 2, S. 11.

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drogenabhängig war. Dies hatte er in einem anderen Verfahren selbst eingeräumt, nachdem er dort unter Eid zunächst noch das Gegenteil ausgesagt hatte. Auch der weitere Sachverhalt durfte nicht durch Kreuzverhör ausgeleuchtet werden: Daley hatte ferner zugegeben, dass er lüge, wenn es ihm passe. Sein Strafregister wies Verurteilungen wegen Raubes und Diebstahls aus. Die Aufhebung des auf dieser lückenhaften Grundlage ergangenen Schuldspruchs im Fall Michael Stone durch den Court of Appeal kann aber keineswegs beruhigen. Inzwischen schützt der Criminal Justice Act 2003 Zeugen nämlich ausdrücklich davor, dass ihnen Fragen nach ihrem Vorleben („bad character“) gestellt werden, selbst wenn sie nicht zu den Verletzten zählen. Ausnahmen von diesem Verbot kommen nur in Betracht, wenn alle Verfahrensbeteiligten zustimmen oder der Vorsitzende Richter von dem Verbot befreit25. Derartige höchst bedenkliche Entwicklungen könnten unter dem Einfluss Brüssels ihren Weg über die Grenze finden. Sie sollten, so müssen wir hoffen, den Widerstand der Bürger wecken, die unter solchen prozessualen Bedingungen auf gerichtliche Verfahren nicht mehr vertrauen dürfen. Und vielleicht wird man sich auch hier rechtzeitig genug an das Menschenrecht auf Konfrontation nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK erinnern.

D. Kommunikation und Transparenz ermöglichen die richterliche Steuerung des Angeklagten Wenn über die Modernisierung des gerichtlichen Verfahrens gesprochen wird, dauert es meist nur eine kurze Weile, bis ein beliebter Schlüsselbegriff fällt – Kommunikation. Oft wird er von einem weiteren Mantra begleitet, nämlich der anzustrebenden Transparenz. Da aber wegen des Rechts, sich durch Schweigen zu verteidigen, Kommunikation als Prozessmaxime nicht symmetrisch, nicht bilateral und schon gar nicht synallagmatisch sein kann, geht es um etwas anderes. Gemeint ist die Befreiung des Richters von der lastenden Passivität seiner zur Anhörung verpflichteten Rolle. An deren Stelle soll die Befugnis treten, den Prozess mit Hinweisen und Aktivitäten zu verkürzen, die oft auf Geständnisse abzielen, auf den Täter-Opfer-Ausgleich, auf eine vereinbarte Strafe und auf Rechtskraft. Diese Entwicklung ist während der vergangenen Jahre mächtig in Gang gekommen. Leider hat der Bundesgerichtshof in einer ganzen Serie von Entscheidungen schreckliche Pressionen der Tatgerichte aufdecken müssen. Dazu ___________ 25

Mahmutaj (Fn. 24), S. 13.

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gehörte zum Beispiel das richterliche Angebot an einen bestreitenden Angeklagten, für den Fall seines Geständnisses eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu verhängen. Was sich hinter diesem Angebot nur notdürftig verbarg, zeigte das Ende des Verfahrens. Nachdem der Angeklagte nämlich fortfuhr, sich zu verteidigen, wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von immerhin sieben Jahren verurteilt. Der Bundesgerichtshof merkte dazu sarkastisch an, außer der als Folge des Bestreitens erforderlich gewordenen Vernehmung einer bestimmten Zeugin sei eine wesentliche Veränderung der Sachund Rechtslage nicht erkennbar26. Oft wird, das zeigen andere zornige Entscheidungen des Revisionsgerichts, die Alternative schon gleich mit dem Versprechen angedroht27. Transparenz durch richterliche Kommunikation ist dann nur die beschönigende Beschreibung eines Verhaltens, mit dem der Angeklagte fremdbestimmt und gesteuert werden soll. Mit der Aufgabe des Richteramts, den Beschuldigten Gelegenheit zur Verteidigung zu gewähren und sie anzuhören, sind solche Auswüchse unvereinbar28. Verteidigung muss ermöglicht werden, ohne den Ausgang des Verfahrens nach innen oder nach außen zu präjudizieren29. Die deutsche Anwaltschaft hat zweifellos großes Geschick im Umgang mit Verständigungen entwickelt. Doch sind die Kräfte ungleich verteilt und gleichen unsere Bemühungen, wie ein akademischer Beobachter meinte, manchmal dem Versuch, den Tiger zu reiten. Eine zweite Gefahr, die mit prozessualer Kommunikation und Transparenz einhergeht, ist eben erst durch ein spektakuläres forensisches Experiment verdeutlicht worden. Wir verdanken es der Hauptverhandlung im Fall Mannesmann. Dazu werden hier ausschließlich Presseberichte zugrunde gelegt. Unterstellt, die Medien hätten zutreffend informiert, wäre von Folgendem ___________ 26

BGH (1. Strafsenat) StraFo 2003, 97. BGH (3. Strafsenat) StraFo 2003, 97; zu einem weiteren Fall Jähnke, ZRP 2001, 574, 575; außerdem BGH (5. Strafsenat) StV 2004, 470; BGH (4. Strafsenat) StV 2004, 636. Der Große Senat für Strafsachen des BGH hat, wohl unter dem Eindruck solcher Erfahrungen, darauf hingewiesen, dass dem Angeklagten keine überhöhte Strafe angedroht und kein Vorteil versprochen werden darf, der gesetzlich nicht vorgesehen ist (BGH NJW 2005, 1440). 28 Für die Information des Angeklagten sorgen die Anklageschrift und der Eröffnungsbeschluss, aus denen entnommen werden kann, wogegen er sich verteidigen muss. Hierzu wird Gehör gewährt (§§ 243 Abs. 4, 257 Abs. 1, 258 StPO). Falls sich der Vorwurf erheblich verändert, muss darauf hingewiesen werden (§ 265 StPO). Der geregelte Ablauf des Verfahrens gewährleistet das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und das Menschenrecht des Art. 6 Abs. 3 EMRK. 29 Dazu im Einzelnen Schlothauer, StV 1986, 213. 27

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auszugehen: Am 18. Tag der Hauptverhandlung, dem 31.3.2004, hat das Gericht die „vorläufige Kammermeinung“ in einem separaten Rechtsgespräch vorgetragen, damit „alle Beteiligten sich auf die Rechtsauffassung des Gerichts einstellen und ihr Prozessverhalten entsprechend einstellen können ...“30. Die Präsentation der Auffassung des Gerichts lief auf umfassende Freispruchsprognosen hinaus, was mit einer tatsächlichen Würdigung der Beweise begründet und bis hin zu Fragen von Vorsatz und Verbotsirrtum erläutert wurde. Die vorläufigen Ergebnisse hat die Vorsitzende, unmittelbar anschließend an die zunächst in camera abgehaltene Zusammenkunft mit den Beteiligten, in der öffentlichen Hauptverhandlung förmlich zu Protokoll gegeben. Weiter teilte sie dort mit: „Die Vertreter der Staatsanwaltschaft hielten an der Anklage fest. Die Verteidiger gaben keine inhaltliche Stellungnahme ab.“

Die Financial Times31 berichtete, die Vorsitzende habe während des nichtöffentlichen Treffens eine gute halbe Stunde lang dargelegt, wie die Richter zu der mitgeteilten Einschätzung gelangten: „Eine weitere halbe Stunde hätten dann die Staatsanwälte um die wesentlichen Punkte ihrer Anklage gekämpft ... Doch Koppenhoefer (scil. die Vorsitzende) blieb unbeeindruckt und ließ sich nicht in eine Diskussion verwickeln.“

Nach Information der Stuttgarter Zeitung32 soll während der nichtöffentlichen Begegnung Folgendes abgelaufen sein: „Obwohl man drei Stunden Zeit eingeplant hatte, war die Sache rasch erledigt. Die Verteidiger wussten sofort, dass die Hinweise der Kammer auf einen Freispruch hinauslaufen würden, sie genossen und schwiegen. Allenfalls die Staatsanwälte versuchten, das Blatt noch zu wenden, sie argumentierten gegen die Überzeugung des Gerichts.“

So gesehen, hatte (nach den Presseberichten als einziger hier berücksichtigter Quelle) kein Gespräch mit einem kommunikativ erzielten Ergebnis stattgefunden33. Vielmehr waren Freisprüche und deren Gründe ex cathedra „signalisiert“ worden34. ___________ 30 So hat das Gericht diesen Vorgang in der mündlichen Urteilsverkündung am 22.7.2004 beschrieben (Süddeutsche Zeitung v. 23.7.2004). Zu dem Rechtsgespräch im Fall Mannesmann Jahn, ZRP 2004, 179, 183. 31 Financial Times v. 1.4.2004. 32 Stuttgarter Zeitung v. 1.4.2004. 33 Insoweit stütze ich mich auch hier sowie im Folgenden allein auf Presseberichte, deren Richtigkeit unterstellt und nicht überprüft worden ist. 34 Handelsblatt v. 1.4.2004.

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Von jenem 31.3.2004 an bis zur Urteilsverkündung nach weiteren 19 Hauptverhandlungstagen am 22.7.2004 lastete ein enormer Druck auf den Staatsanwälten, den Weg für ein rasches Ende des Prozesses frei zu machen35. Die Strafkammer erschien „für jeden erkennbar festgelegt“, weshalb Journalisten öffentlich fragten, wie daran noch etwas zu ändern sei36. Die „Süddeutsche Zeitung“ meinte, die Richter könnten hinter die öffentlich mitgeteilte Auffassung nicht mehr zurückfallen, ohne das Gesicht zu verlieren37. Der „Stern“ wies darauf hin, die Strafkammer müsse, wenn sie ein anderes Urteil fällen wolle, zugeben, dass sie sich geirrt habe38. Der „Spiegel“ verglich die Staatsanwälte fortan mit geprügelten Hunden39, das Wort von der Prozessverschleppung machte die Runde40. Es war das Rechtsgespräch mitten in der Hauptverhandlung, das diese „Wende“ gebracht hat41. Die rechtspolitische Beurteilung wird erleichtert, wenn man sich vorstellt, das beschriebene Interlokut wäre zum Nachteil der Angeklagten ausgegangen. Erscheint es wünschenswert, dass Verteidiger eine Rolle einnehmen, in der sie zusammen mit ihrem Mandanten dem Vor-Urteil des Gerichts Gehör schenken, das ohne vorausgegangenes Plädoyer verkündet wird? Soll es in einer neuen Reihenfolge Aufgabe der Verfahrensparteien werden, über die Meinung der Richter nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen, die in einer Entscheidung über das eigene weitere Prozessverhalten münden? Dürfen die prozessualen Strukturen mit der Folge umgestürzt werden, dass Angeklagte nach der öffentlichen Bekanntgabe des sogenannten Rechtsgesprächs darauf angewiesen sind, die verkündete Meinung des Gerichts zu widerlegen? Nach den Presseberichten hat der Fall Mannesmann, dort in einer seltenen Konstellation zum Nachteil der Staatsanwaltschaft, gezeigt: Kommunikation und Transparenz in einer noch lange nicht abgeschlossenen Hauptverhandlung dürfen keine formalisierte Einrichtung des Prozesses werden. Sie befreien die Richter vom Prozess und heben die schützenden Formen auf. Daraus muss eine paradoxe Erkenntnis abgeleitet werden. Informelle Kontakte, die mit dem Ziel einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung stattfinden, passen besser

___________ 35

Stuttgarter Zeitung v. 1.4.2004. Stefan Geiger in: Stuttgarter Zeitung v. 2.4.2004. 37 Süddeutsche Zeitung v. 21.4.2004. 38 Anne Daniel in: Stern v. 22.4.2004. 39 Der Spiegel v. 5.4.2004. 40 Börsen-Zeitung v. 22.4.2004; NRZ v. 22.4.2004. 41 Der Spiegel v. 19.7.2004. 36

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zum fairen Verfahren als der gesetzgeberische Versuch, dem Prozess das neue richterliche Werkzeug des hoheitlichen „Rechtsgesprächs“ zu implantieren. Der Druck, an dessen Ende Konsens stehen soll, beschwert insbesondere den Angeklagten. Nur wenn die Strafverteidiger den rechtspolitischen Schalmeienklängen widerstehen, können sie die Einlassungsfreiheit der Mandanten, das rechtliche Gehör und die notwendigen Bedingungen des Richteramts bewahren42. Das Ringen um die bisherigen Strukturen kann als eine Auseinandersetzung verstanden werden, mit der die Neuerer darauf abzielen, das Gewicht der Kräfte im Strafprozess zu verändern. Mehr Richtermacht vor dem Urteil trägt immer auch dirigistische, und damit obrigkeitliche Züge. In diesem Sinne handelt es sich bei manchen rechtspolitischen Vorschlägen, ohne dass dies bislang offen ausgesprochen wird, keineswegs nur um den perfektionistischen Versuch, eine ungeregelte Praxis in den Prozess zu integrieren.

E. Die Verteidigung steht immer häufiger einem vereinzelten Richter gegenüber, der von interner Kontrolle durch einen Spruchkörper und zugleich von wirksamer Überprüfung durch Rechtsmittel freigestellt ist Mit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (1993)43 ist die Strafgewalt der Amtsgerichte von drei Jahren auf vier Jahre angehoben worden (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Das Schöffengericht, um das es hier zunächst geht, besteht aus dem Vorsitzenden und zwei Laien (§ 29 Abs. 1 S. 1 GVG). Der allein, also ohne Schöffen, amtierende Strafrichter entscheidet seither bei Vergehen, wenn keine höhere Strafe als eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu erwarten ist (zuvor lag diese Grenze bei einem Jahr, § 25 Nr. 2 GVG a. F.). Die hierüber angesiedelten Berufungsgerichte sind nunmehr, auch soweit Urteile des Schöffengerichts angegriffen werden, die kleinen Strafkammern der Landgerichte mit einem Vorsitzenden und zwei Schöffen (§ 76 Abs. 1 GVG). Man kann daher feststellen, dass bei Amtsgerichtssachen als Tatrichter erster und zweiter Instanz jeweils nur ein Berufsrichter zur Verfügung steht. Aber auch bei den Landgerichten, deren Strafkammern in erster Instanz die Masse der schwereren Strafsachen verhandeln (§§ 74 ff. GVG), ist die Zahl der Berufsrichter im ___________ 42

Die Auseinandersetzung mit den einschlägigen Teilen des von der rot-grünen Regierungskoalition und dem Bundesjustizministerium am 18.2.2004 veröffentlichten Diskussionsentwurfs für eine Strafprozessreform (§ 257b E-StPO) muss daher weitergehen. Das Gleiche gilt für den vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer im September 2005 vorgestellten „Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprache im Strafverfahren“ (ZRP 2005, 235). 43 Gesetz vom 11.1.1993, BGBl. I S. 50.

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Jahre 1993 ausgedünnt worden. Vielfach braucht dort nur vor zwei statt drei Berufsrichtern verhandelt zu werden (§ 76 Abs. 2 GVG). Die Statistik zeigt, was dies bedeutet. Im Jahre 2002 wurden 408.070 Strafverfahren vor den Amtsgerichten durch Urteil abgeschlossen, wozu es eines einzigen Berufsrichters bedurfte. In 26.995 Fällen hat die Berufungsstrafkammer des Landgerichts über das Rechtsmittel entschieden, woran wiederum nur ein Berufsrichter beteiligt war44. Die mit mehreren, nämlich zwei oder drei Berufsrichtern besetzten erstinstanzlichen Strafkammern der Landgerichte dagegen haben im Jahre 2002 nur 10.305 Urteile fällen müssen45. Dies heißt, wenn man die Zahlen der amtsgerichtlichen und landgerichtlichen Urteile erster Instanz vergleicht: Die betroffenen Bürger konnten sich in etwa 97,5 Prozent der bis zum Urteil durchgeführten Strafverfahren vor nur einem einzigen Berufsrichter verteidigen. An der ausgedünnten Richterbank ändert das Rechtsmittel der Berufung nichts. Das weitere Rechtsmittel der Revision darf, weil dort nur Rechtsfehler gerügt werden können (§ 337 StPO), als praktisch unbedeutend außer Betracht gelassen werden. Die große Mehrheit der verurteilten Personen hat daher in Deutschland nur einem einzigen Berufsrichter gegenübergestanden. Da das inquisitorische Verfahren an Aktenkenntnis anknüpft, die den Schöffen nicht zugänglich ist, muss man das Gewicht der ehrenamtlichen Richter, soweit diese überhaupt hinzuzuziehen waren, als gering einschätzen. Letztlich kommt es daher fast immer auf die frei aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpfte Überzeugung des einen Berufsrichters und bei Schuldsprüchen darauf an, wie dieser die enormen Spielräume der Strafzumessung ausfüllt. Die rechtspolitischen Tendenzen zielen auf eine weitere Ausdünnung ab. Der Deutsche Richterbund hat im Jahre 1999 ein von seiner Großen Strafrechtskommission erstelltes Gutachten vorgelegt. In diesem wird vorgeschlagen, das Rechtsmittel der Berufung gegen amtsgerichtliche Urteile einzuschränken. Die Konferenz der Justizminister diskutiert derzeit eine Reform, die auch gegen Strafurteile der Amtsgerichte überhaupt nur noch eine rechtliche Überprüfung (Revision) zulassen soll46. Damit wären Fragen der Beweiswürdigung und der

___________ 44

Statistisches Jahrbuch 2004, S. 266. Statistisches Jahrbuch 2004, S. 266. 46 Die Einladung der Justizministerin des Landes Niedersachsen zu einem Wissenschaftlichen Kolloquium am 12.11.2005 erwähnt die Diskussion einer geplanten Justizreform, deren konsequenteste Form darauf hinauslaufe, dass in allen Zivil- und Strafprozessen „grundsätzlich nur die Revision möglich ist.“ 45

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Strafzumessung zumindest grundsätzlich keiner effektiven externen Kontrolle mehr unterworfen. Die Konsequenzen erscheinen dramatisch: Das Richterbild des mit mehreren Juristen besetzten Spruchkörpers berücksichtigte unterschiedliche Persönlichkeiten, Temperamente, Lebenserfahrungen, Wertmaßstäbe und Weltanschauungen. Es zwang zur internen Kontrolle, zum Diskurs und zur Abstimmung. Dies wirkte Schwächen und Vorurteilen des Einzelnen entgegen, weil die Richter daran gewöhnt waren, sich zumindest intern mit anderen Meinungen im Spruchkörper auseinanderzusetzen. Das Richterbild der Vereinzelung zerreißt dieses Netz. Es lässt eine isolierte Persönlichkeit mit ihrer individuellen Lebenserfahrung und ihren Wertmaßstäben zum zufälligen Glück oder Unglück der Menschen werden. Der Einzelgänger hat keine Gelegenheit mehr, sich selbst als Folge interner Beratungen oder, wenn Rechtsmittel weiter eingeschränkt werden, anderer Auffassungen der Berufungsinstanz über Beweis und Strafe in Frage zu stellen. Ob der vereinzelte Richter durch Strafverteidigung noch erreichbar bleibt, erscheint eher zweifelhaft. Unbegrenzte Macht lässt Kommunikation verkümmern, anstatt sie zu fördern. Wer nicht einmal mehr im Spruchkörper diskutieren oder sich mit einer die Sache neu verhandelnden höheren Instanz vergleichen muss, wird den Diskurs auch in der Hauptverhandlung verlernen. Die größte Herausforderung der Strafverteidigung geht daher von einem neuen Richterbild aus, das autistische Züge trägt. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie eng die Gerichtsverfassung mit Fragen der Wirksamkeit von Strafverteidigung verbunden ist.

F. Mit dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung der integrierten Bürger entfällt auch deren Interesse an einer starken Strafverteidigung Wir müssen daran zweifeln, ob die Einflussreichen in unserer Gesellschaft das Strafrecht und deshalb auch die Strafverteidigung noch als ein eigenes Interesse verstehen. In Deutschland wirkt Strafrecht nämlich höchst selektiv. Wie die Statistik des Jahres 2002 zeigt47, hat die Staatsanwaltschaft damals in 564.000 Fällen Anklage bei den Amts- und Landgerichten erhoben, über die nach Eröffnung öffentlich zu verhandeln war. In 586.000 Fällen hat sie Strafbefehle mit minderen Sanktionen beantragt, die im schriftlichen Verfahren ergehen und bei Akzeptanz durch die Beschuldigten endgültig werden. ___________ 47

Statistisches Jahrbuch 2004, S. 265 f.

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Größer als die Zahl der Anklagen und Strafbefehlsanträge (1,15 Mio.) war die Summe der sogenannten Opportunitätseinstellungen (§§ 153, 153a StPO), die sich auf 1,22 Mio. belief. Davon entfielen auf § 153a StPO 257.168 Verfahren. Hier wurden schriftlich ohne Schuldfeststellung und ohne Aufhebung der Unschuldsvermutung sogenannte Geldauflagen verhängt. Damit ist, wie es im Gesetz heißt, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt. Hinter dieser Zahl verbirgt sich in erster Linie die alltägliche Kriminalität der in der Gesellschaft gut integrierten Bürger. Die davon Betroffenen brauchen das Strafrecht nicht als Drohung zu betrachten. Für sie ist Strafverteidigung daher kein eigenes Anliegen. Mehr als alle anderen Entwicklungen, von denen hier die Rede war, macht dies unsere Lage im beginnenden 21. Jahrhundert besonders labil.

The Role of the Criminal Defence Lawyer in Adversarial and Inquisitorial Procedure

Jacqueline Hodgson A. Introduction The focus of this paper is on the rights of the defence during the pre-trial stage of criminal procedure. Although the trial is the public setting in which the case is determined, the character of the pre-trial process has a determinative influence upon the nature of the evidence presented at court and indeed, the decision whether or not a trial takes place at all. I would like to offer some observations on recent changes that have taken place in two quite different legal systems – that of France and of England and Wales. These are, of course, only two examples of systems rooted in inquisitorial and adversarial procedure respectively. They are not paradigms. Despite the tendency of many AngloAmerican commentators to speak of ‘inquisitorial’ or ‘continental’ procedures as though they are homogenous, there are important differences between the French criminal process and that of, say, Germany or the Netherlands. Similarly, England and Wales, although sharing many procedural values with the USA, is also quite different from it in many respects.1 In both jurisdictions, these changes are frequently characterised as indicative of the legal procedures becoming either more adversarial (France) or inquisitorial (England and Wales). Some go further still and suggest that legal procedures from different traditions are now converging. This runs the risk of oversimplifying the nature of the changes and can be unhelpful in informing and evaluating criminal justice reform. It might be argued that there is a degree of convergence in the sense that European legal systems are increasingly driven by the common themes of system efficiency and managerialism – there are growing ___________ 1

The lawyer, for example, is not permitted to answer on behalf of her client when interrogated by the police in England and Wales.

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numbers of cases to be disposed of with the same or fewer resources.2 In this way, they may be seen to adopt modified versions of the procedures in place in neighbouring countries – for example, guilty plea procedures and forms of negotiated justice, or greater reliance upon written rather than oral evidence. However, this is not convergence in the sense that different jurisdictions are heading towards one common procedure. Rather, these separate legal systems remain on different tracks, albeit heading in broadly the same direction concerning some particular issues. In considering the role of the defence in adversarial and inquisitorial models of procedure we should perhaps note the difference between two issues contained within the defence function, which are separate, but closely related: Firstly, the place that is allotted to the accused or her lawyer (e.g. whether she may see the dossier of evidence; whether she may have her lawyer present whilst in police custody). Secondly, the role that she might properly be expected to play within the criminal process (e.g. does the suspect have access to the dossier, or have a lawyer present, in order to ensure that procedures are respected and followed? Or to enable her to engage actively in her defence through investigation etc?) Each affects the other and is influenced by the nature of the criminal procedure and the role and status of other legal actors within it. Thus, in adversarial procedure, you might expect early defence rights and to be able to have full access to the suspect, as the defence plays a greater role in the investigation and presentation of evidence. In inquisitorial procedure, the defence role is characterised rather differently. It is an additional protection to that of judicial investigation and supervision and therefore it is a diminished and more ‘complementary’ role. It concerns participation and dialogue rather than outright challenge. B. Adversarial Defence It is impossible to imagine adversarial procedure without a defence role. It is an integral part of adversarial/accusatorial procedure, an essential element of its structure and functioning. The adversarial model is of two opposing and (theoretically) equal sides, accuser and accused, prosecution and defence. ___________ 2 Rieß, DRiZ 1982, 201, 464, argues that the number of legal staff has also increased in Germany. Therefore, the number of cases is not the only factor accounting for the development of informal means of handling and disposing of cases. (Cited by Rauxloh (2006), unpublished PhD thesis, Why Socialist Lawyers Don’t Bargain: A historical and comparative study of plea bargaining in England and Wales, West Germany and the former GDR, University of Warwick, School of Law).

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Within this, the defence function is crucial in the investigation, selection and presentation of the evidence on which the court will base its determination of guilt or innocence. Without it, there would be only half a case. As with most things, the practice of criminal justice is, of course, different from the theory. Nonetheless, those responsible for legal procedural change must be mindful of the wider tenets that underpin the criminal justice process concerned and so of the repercussions that reform in one part of the criminal process might have upon the functioning of the process as a whole. Legislative reform over the last decade appears to have ignored the theoretical framework of the criminal justice system in England and Wales, as well as that in Scotland. Instead, we see a range of changes that undercut the defence role and introduce a form of illthought out hybrid criminal procedure. For example, recent changes in Scotland encourage the prosecution and the defence to agree “uncontroversial” evidence. This includes not only expert evidence (such evidence has also been agreed by the parties in England and Wales for some time), but also that of other witnesses where one party believes that the other will not contest the facts. The judge may rule that the written statement may be admissible as evidence – even where the other party contests it. This is understood as a move to make the procedure more efficient, but also more inquisitorial.3 However, attaching the label “inquisitorial” masks the real dangers of such a reform within the context of the accusatorial Scottish trial. Whilst it is true that written evidence plays a greater role in a more inquisitorial procedure and the oral testing of evidence may be less central than in adversarial procedure, it must be remembered that this is because such a model rests on the notion that the evidence is the result of a judicial investigation (or at least a judicially supervised investigation). In Scotland, or in England and Wales, this is not the case – evidence is assembled by the interested parties. Similarly, as discussed below, the limited place allowed the defence lawyer in France is not necessarily a move towards a more adversarial procedure if the lawyer is not a party in the sense understood within an adversarial process, that is, she is not herself responsible for evidence gathering and selection. As well as ensuring that reform is theoretically coherent, it is also important to take account of existing legal and occupational cultures which can act as obstacles, undermining legal change. The difficulties encountered in the introduction of an adversarial procedure in 1988 in Italy illustrate the strength ___________ 3

See Duff, in: Duff/Farmer/Marshall/Tadros (eds.), The Trial on Trial (vol. 1): Truth and Due Process, Oxford 2004, p. 29.

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of this consideration.4 As discussed below, French criminal defence lawyers also face new challenges in their role and existing legal and occupational cultures must adapt if the changes are to be effective. In England and Wales, suspects held for questioning by the police were given a statutory guarantee of access to legal advice under s58 Police and Criminal Evidence Act 1984 (PACE). Yet, when the change was implemented (a change for which lawyers had campaigned) the legal profession was unprepared. Solicitors soon realised that they could not be available to advise their clients twenty-four hours a day. In order to meet demand, they hired “clerks”, non-legally qualified, untrained and often inexperienced individuals who attended suspects in police custody. As the wages of these “clerks” were considerably less than those of their employing solicitors (whilst the amount payable under legal aid was the same) this became a profitable as well as expedient arrangement and many firms routinely assigned police station work in this way.5 In many parts of the country, agencies staffed by former police officers were set up to cover just this need. They were considered ideal as they were accustomed to the anti-social working hours and, of course, the working environment. The lack of legal expertise and the ideological shift required to move from police officer to defence appeared not to trouble solicitors using these firms.6 Police station advice was not considered a key opportunity to begin active defence preparation and even where solicitors did attend their clients in person, most did little more than offer moral support.7 The result for suspects was not good. In practice, they did not receive the legal advice and protection to which they were entitled, yet the courts refused to exclude admissions obtained by the police in the presence of a legal adviser.8 In this way, the balance of the adversarial process was upset – the suspect was credited with a benefit that she in fact never received. The Cardiff Three case9 ___________ 4

See e.g. Pizzi/Montagna, Michigan Journal of International Law 2004 (Winter),

429. 5 See further McConville/Hodgson, Custodial Legal Advice and the Right to Silence, 1993; McConville/Hodgson/Bridges/Pavlovic, Standing Accused: The Organisation and Practices of Criminal Defence Lawyers in Britain, 1994. 6 It should be noted that such organisations were unable to claim legal aid payment direct. Only solicitors are eligible to receive legal aid – ironically, as a quality control assurance. 7 There were some notable exceptions who were both skilled and effective, concerned to safeguard the interests of their client. See McConville et al (n. 5, supra). 8 For further discussion of the courts’ approach to legal advice at the police station and the exclusion of evidence see Hodgson, Criminal Law Review 1992, 854. 9 R v Paris, Abdullahi and Miller, (1993) 97 Cr App R 99.

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is perhaps the most well-known example of this. The accused were convicted in 1990 of the murder of a Cardiff prostitute. Miller, one of the appellants, had his police interviews tape recorded and his solicitor present, yet these safeguards did nothing to deter the police from conducting an oppressive interrogation: 19 separate interviews continuing for more than 13 hours over a five day period were conducted, with the police constantly asserting Miller’s guilt and offering no respite even when he was crying and sobbing for extended periods. It was only after Miller had denied involvement in the offence more than 300 times that he finally admitted to being at the scene. In the course of his questioning, Miller was “bullied and hectored” by the police and the Court of Appeal was “horrified” on hearing the tape recording of the interrogations, describing how officers “were not questioning him so much as shouting at him what they wanted him to say. Short of physical violence it is hard to conceive of a more hostile and intimidating approach by officers to a suspect. It is impossible to convey on the printed page the pace, force and menace of the officer’s delivery.” Yet, the court noted that through all of this Miller’s own solicitor did nothing, but sat “passively through this travesty of a [police] interview”. As a result of research carried out into the work of criminal defence lawyers, the position has now changed. Under a joint training initiative run by the Law Society (the professional body representing solicitors) and the Legal Services Commission (the body responsible for administering legal aid) solicitors and clerks must undergo an accreditation process which includes both written and practice-based assessments. Only accredited advisers can be paid to provide police station advice – financial regulation having succeeded where professional self-regulation had failed. The result is that the importance of professional and adversarial legal assistance at this early stage in the proceedings has now been made more explicit and the profession has developed a greater awareness of its own role. A number of other subsequent measures have undermined the defence role in England and Wales, pulling it away from the vigorous protection of the interests of the accused towards a more co-operative pre-trial model. The introduction in 1984 of legal advice for suspects in police custody was considered necessary in order to go some way towards counterbalancing the increased powers of the police which were legislated at the same time under PACE. Yet, access to legal advice is used over and again to justify measures that undermine the rights of the accused. In particular, since the Criminal Justice and Public Order Act 1994 (CJPOA), inferences may now be drawn from a suspect’s silence at the police station.10 Even though the suspect does not know the extent of the case against her, the relative formality of a tape-recorded interrogation and the presence of a lawyer have been used to justify legislation which effectively makes the

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suspect’s initial responses or non-responses evidentially very significant. 11 This makes the job of the defence lawyer increasingly important, as the consequences of her advice take on a greater significance both at the time and at trial.12 The way in which the provisions have been interpreted by the appeal courts has also impacted upon the lawyer-client relationship, with lawyers adopting an increasingly defensive posture towards the advice that they give their clients held in police custody. In a series of decisions in which the lawyer’s advice to her client was to remain silent, the courts have made it clear that this does not constitute a good reason for silence and so will not avoid the drawing of adverse inferences. In effect, this means that whilst legal advice is considered a “fundamental right” for the suspect,13 a right which is guaranteed by statute, it is not necessarily reasonable for the lay client to rely upon this advice and indeed she can be penalised for so doing. The court has suggested that this does not disadvantage the accused, as it is always open to her to call the defence lawyer to give evidence as to why silence was advised. This would, of course, be a highly risky strategy, as once the client has waived professional privilege, the lawyer may be questioned about other aspects of the defence case in ways that may be very damaging to the interests of her client. In this way, the courts have interpreted s34 CJPOA in a way that undermines the confidentiality of the lawyer-client relationship, and which increasingly compels the suspect to co-operate in the construction of the case against her. Related to the issue of silence is that of disclosure. Although the ideal-type adversarial procedure is characterised by two equal parties, accuser and accused, modern criminal procedure is a long way from this. The victim plays no formal role in the process and the accusation is brought by the Crown Prosecution Service (CPS, representing the Crown) after an investigation by the ___________ 10 This is, apparently, not incompatible with the privilege against self-incrimination – see the ECtHR case of Condron v UK (2000). 11 For example, note the language of the court in R v Hoare and Pierce [2005] 1 Cr App R 22 at para 53: ‘The whole basis of section 34 [Criminal Justice and Public Order Act 1994]…is an assumption that an innocent defendant – as distinct from one who is entitled to require the prosecution to prove its case – would give an early explanation to demonstrate his innocence. If such a defendant is advised by a solicitor to remain silent, why on earth should he do so unless because of circumstances of the sort aired by the Court in Roble [R v Roble [1997] Criminal Law Review 449], Argent [R v Argent [1997] 2 Cr App R 27] and Howell [R v Howell [2005] 1 Cr App R 1] he might wrongly inculpate himself?’ 12 See R v Howell (2003), LJ Laws describing the relationship between police station and trial as a “benign continuum”. 13 As described in the case of R v Samuel [1988] 2 WLR 920.

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police, whose powers and authority far exceed those of the accused. Disclosure of information gathered during the police investigation came to be seen as one way of redressing the obvious imbalance between the parties.14 However, despite the lack of equality of arms between the defence and prosecution, and the miscarriages of justice in the 1980s and 1990s in which lack of full disclosure to the defence played an important part, the CJPOA 1994 shifted the disclosure burden away from the prosecution and towards the defence. Prosecution disclosure is now restricted and contingent upon the defence disclosing something of its case. Thus, for the first time, the legislation introduced a requirement that the defence disclose an outline of its case in order to trigger prosecution disclosure of material on which it does not intend to rely directly. Once the defence has made its disclosure, the CPS then determines what evidence they hold that might be of relevance to the defence. This is a strange “gatekeeping” role for the prosecution to play – determining which evidence might be relevant to the defence case.15 The scheme has been widely criticised,16 but the changes introduced under the Criminal Justice Act 2003 seem likely to make matters worse. The defence is required to disclose yet more details of her case (the identities of witnesses, whether expert evidence has been commissioned, legal authorities and arguments to be relied upon at trial) whilst the obligations upon the prosecution are reduced. There is now a single point of disclosure before the defence reveal anything of their case and then a continuing duty to disclose. The prosecution must disclose any material “which might reasonably be considered capable of undermining the case for the prosecution against the accused or of assisting the case for the accused.” Without knowing ___________ 14

See McIlkenny and others (1991) 93 Cr App R 287 at 312: “A disadvantage of the adversarial system may be that the parties are not evenly matched in resources … But the inequality of resources is ameliorated by the obligation on the part of the prosecution to make available all material which may prove helpful to the defence.” In fact, the defence was also entitled to inspect all material held by the prosecution, including that which did not at first sight appear to be helpful to the defence. It was in these bundles of statements that some of the most crucial information was found in a number of miscarriage of justice cases. 15 For further discussion see Belloni/Hodgson, Criminal Injustice: An Evaluation of the Criminal Justice Process in Britain, 2000, ch 7. 16 See e.g. Plotnikoff/Woolfson, A Fair Balance? Evaluation of the Operation of Disclosure Law, 2001; Crown Prosecution Service Inspectorate, Report of the Thematic Review of the Disclosure of Unused Material, 2000; Auld, Review of the Criminal Courts of England and Wales, 2001. See also Leng/Taylor, Blackstone's Guide to the Criminal Procedure and Investigations Act 1996, 1996.

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the defence case, it might be open to the CPS to interpret this test narrowly – though given the criticism of the inadequacy of prosecution disclosure under the 1996 legislation, it is hoped that this will not be the case. Furthermore, there are clear sanctions for non-disclosure on the part of the defence (in the form of adverse inferences), but none in respect of prosecution failures to disclose evidence.17 Most recently, the Criminal Procedure Rules 2005 require the defence as well as the prosecution to work towards the active “management” and “progression” of the case, once again defining the defence role in more cooperative terms. This is not consistent with the classic definition of the defence role as set out in Rondel18 that “the role of the defence lawyer is to promote fearlessly and by all lawful and proper means the lay client’s interests”. Interestingly, the work of legal historians suggests that the presence of defence lawyers has, from the outset, served to benefit the functioning of the wider criminal process, not simply the accused.19 The professional defence role emerged in the 18th century to counter the “lawyerisation” of the prosecution function, but this “evening up” of both sides was designed less to promote the interests of the accused and more to assist in the efficient trial and conviction of defendants by avoiding the need for discretionary judicial practices. As Cairns puts it, “Certainty of detection … certainty of conviction, certainty of punishment. No mercy and no escape. This was the logic of reform”.20 C. Inquisitorial Defence Turning now to the role of the defence lawyer within French criminal procedure, I will consider the place that she is allocated within the criminal process; the role that she might properly be expected to play within that procedure; and the ways in which existing legal practice and ideology serve either to help or to hinder the development of this role. Much of this discussion draws upon my own empirical research in which observations, interviews and questionnaires were carried out over a number of years and across a number of ___________ 17

See further Taylor/Wasik/Leng, Blackstone's Guide to the Criminal Justice Act 2003, 2004. 18 Rondel v Worsley [1969] A AC 191 at 227-228. 19 For further discussion see Hodgson, French Criminal Justice: A Comparative Account of the Investigation and Prosecution of Crime in France, 2005, ch 4. 20 Cairns, Advocacy and the Making of the Adversarial Trial, 1800-1865, 1998, p. 63.

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sites in a project examining the investigation and prosecution of crime in France. These observations are self-consciously those of a lawyer from a more (in theory, at least!) adversarial procedure. The thrust of my argument is that despite its limitations in practice (and in particular the decline of the juge d’instruction model and the corresponding rise of the public prosecutor as judicial supervisor) the notion of judicial investigation and supervision remains very much at the heart of French criminal procedure and plays a defining role in the nature of its development. During the all-important pre-trial phase it is the judge who dominates the procedure and who occupies the space in which the lawyer might operate in an adversarial process. Although recent reform has apparently provided the lawyer with greater opportunities to participate in the enquiry, these changes are difficult to realise and her role remains limited in the vast majority of cases. Instead, the lawyer’s role seems to be more symbolic, ensuring that justice is seen to be done, rather than ensuring that it really is done. French commentators such as Karpik21 and Soulez Larivière22 describe the legitimating function of the defence as a guarantee of the independence of the judiciary, the possibility of her contribution in testing the case demonstrating that the accused has not been dealt with in an arbitrary way. The legitimating function of the criminal defence can also be seen in more recent reforms, ensuring, for example, a minimum degree of compliance with the European Convention on Human Rights (ECHR).23 Thus, although there is resistance to strengthening the defence role on the one hand (most notably for suspects held in police custody), on the other, the presence of the defence is recognised as a necessary feature of the new guilty plea procedure and other measures designed to dispose of cases more rapidly whilst avoiding the need for trial. In this way, just as we have seen in England and Wales, the defence role is not only about providing some form of representation for the accused, but also about being co-opted into furthering the system’s own imperatives. Inquisitorial procedure is characterised very differently from the adversarial model discussed above. It concerns a centralised enquiry conducted by a neutral, usually judicial, party and it is the result of this enquiry that comes before the court. As the procedural descriptions suggest, this is an enquiry ___________ 21

Karpik, French Lawyers: A study in collective action 1274 to 1994, 1999. Soulez Larivière, L'avocature: Maître, comment pouvez-vous défendre…?, 1982. 23 See further Hodgson, International & Comparative Law Quarterly 51 (2002), p. 781; Hodgson, in Halliday/Schmidt (eds), Human Rights Brought Home: Socio-Legal Perspectives on Human Rights in the National Context, 2004, p. 185. 22

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rather than an accusation. In adversarial procedure the case that is brought before the court is the partial and partisan account of the accuser, to which must be added the account of the accused in order that the full facts are before the court. In inquisitorial procedure, the investigation is a more wide-ranging enquiry which attempts to take in the accounts of both accuser and accused. (It is an investigation of the offence, not the offender.) In this sense, the pre-trial is crucial; it is very much a form of pre-judgment. The case against the accused is not the partial account of the accuser, but the result of a judicial enquiry. Evidence is not being heard and evaluated for the first time at trial – much of this has already been done by the pre-trial judicial investigator, and the role of the court is largely affirmative. In this way, the court does not require the defence to perform the same role as in adversarial procedure. So, what role does this suggest for the defence? For the defence to have any major impact, engagement with the case must be during the all important pre-trial enquiry. To present an alternative case at trial will in many instances be too late as much reliance is placed upon the written evidence gathered during the pre-trial stage and contained within the dossier. A high degree of credibility attaches to this evidence as it is treated as the product of a judicially supervised investigation. The defence role is most clearly defined during the period of instruction, as this continues to be treated as the paradigm. In 1897 the defence lawyer was given access to the dossier of evidence during the enquiry of the juge d’instruction and was permitted to be present during the judicial questioning of her client. This was the first time that the defence was allowed into the instruction and the reform met with much opposition. More recently, the defence role during instruction has been strengthened further. Art 82-1 Code de procédure pénale (CPP) now puts the defence on the same footing as the procureur in that (together with the partie civile) she may now ask the juge d’instruction to carry out any act of investigation that may lead to the discovery of the truth. Some have described this as the beginning of an accusatorial procedure.24 However, in contrast to accusatorial procedure, the emphasis here is on the defence ability to influence the construction of the case through participation ___________ 24 See e.g. Gilbert Azibert, the then president of the Chambre d’instruction in Paris, who argues that this change is fundamental: “That means that a criminal lawyer who now knows how to do his job, can participate in the conduct of the information. It is the beginning of an accusatorial system.” (in Greilsamer/Schneidermann, Où vont les juges?, 2002, p. 193).

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and dialogue. She is not so much an autonomous party in the case, as an auxiliary to the juge d’instruction. This is her formal status and describes the way in which it is anticipated that she will contribute – that is, not in a conflictual or adversarial way. She acts as a counterbalance, cross-checking what the juge d’instruction does. She is the grit in the system. Most importantly, her participation is mediated through the juge d’instruction, which is crucial in terms of the effectiveness of these recent changes. Existing legal and occupational cultures are also significant in understanding how reform is likely to translate into practice. For the defence to participate effectively a change in culture will be required on the part of both the avocat and the juge d’instruction. The procureur will always be regarded differently from the avocat, as she is a fellow magistrat, representing the public interest; the avocat is of a different professional status and represents the partisan interests of the accused. The procureur and the juge d’instruction have always worked together on the dossier; the defence lawyer is the relative newcomer in this procedure. In this way, the procureur will always have the ear of the juge d’instruction in a way that the avocat does not. But it is not only the way in which the juge d’instruction regards the lawyer that will have to change. The avocat also accepts the subsidiary role allotted to her. The way in which she understands her task is to re-read the dossier, to look for weaknesses and to present the reading most favourable to her client. Even the most specialist criminal lawyers25 tend not to take a proactive role – to do so is to challenge judicial investigation/supervision itself. The recent Outreau case, in which the majority of suspects were detained for several years before being released and charges dropped against them, demonstrates the limitations of this model of defence participation and its inability to act as an effective cross-check on the work of the juge d’instruction. Defence lawyers were unable to prevent the premature narrowing of the investigation, and the enquiry following the case recommended the appointment of two juges d’instruction in serious and complex cases in order to guard against such “tunnel vision”. Although the instruction model of investigation continues to operate as the paradigm in debate and reform in French criminal procedure, it applies only to ___________ 25

French criminal lawyers tend to be less specialised than their counterparts in England and Wales. Karpik (n. 20, supra) reports that even the most specialised criminal avocats do only around 40% criminal work – the poor levels of remuneration making it impossible to do a greater share of this type of work. By way of contrast, in England and Wales, firms are becoming more and more specialised as criminal work is delivered by those holding a franchise. See further Cape, Criminal Law Review 2004, 401.

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some 7% of criminal cases. The 93% of cases which are not investigated or supervised by the juge d’instruction are the responsibility of the procureur (the public prosecutor who, like the juge d’instruction and the trial judge, enjoys a judicial status as a magistrat). In these instances, there is no dialogue with the defence, no opportunity for participation – either in the text of the law, or in practice. The only point at which the defence is afforded any place in the procedure is during the period of detention and questioning in police custody, the garde à vue (GAV), supervision of which is the responsibility of the procureur. In many instances, this will be the principal site of investigation in the case, since many cases going to instruction will pass through GAV first. Yet none of the defence opportunities (limited though they might be in practice) available during the instruction are available in GAV. The suspect may have a 30 minute consultation with her lawyer at the outset of her detention, but the avocat is not permitted to be present during the police questioning of the suspect, nor is she allowed access to the dossier. There is no greffier present to make a note of the interview as there is in the office of the juge d’instruction. The interview is not tape recorded and the police are not required to inform the suspect of her right to silence. The nature of investigative supervision carried out by the procureur is quite different from that during instruction. It is characterised differently in the text of the law: it is a police enquiry overseen by the procureur, whereas the juge d’instruction is personally responsible for her investigation, but may delegate portions of it to the police. It is also very different in practice. The procureur has many cases to deal with at any one time, and supervision is generally more distant (typically carried out by telephone) and the enquiries more rapid.26 We might, therefore, expect greater defence participation to ensure a broad-based enquiry, but in fact there is less. Why? Because the GAV continues to be regarded as “preliminary” – the real enquiry only begins once the person is before a magistrat. Yet, there is a paradox here, because accountability to the procureur is also considered judicial supervision (albeit of a different nature to that carried out by the juge d’instruction) within the broadly inquisitorial tradition of French criminal procedure – and indeed the very reason why other safeguards such as tape recording of interrogations and the presence of a defence lawyer during questioning have been rejected as unnecessary. Interestingly, the GAV evolved as a direct result of the lawyer’s presence in instruction, a means by which the accused could be detained and questioned away from the legal regulatory framework of instruction and which often ___________ 26

See further Hodgson, British Journal of Criminology 41 (2001), p. 342; Hodgson, French Criminal Justice, ch 5.

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resulted in arbitrary detention. This was legally regulated in 1958, but there is a sense in which official policy making rhetoric has yet to catch up with practice – and in particular, the fact that investigations supervised by the juge d’instruction are the exception rather than the rule. There is perhaps another reason too. A greater role during the GAV would mean that the lawyer engaged directly with the police. Her participation would not be mediated through that of a magistrat (as it is during the instruction procedure) and so this would represent a new challenge to the model of judicially supervised investigation. A number of bodies both within and outside France have called for a more meaningful pre-trial defence role (especially given the minimal involvement of the procureur and the absence of tape recording in interrogation) but to no avail – judicial supervision is held up as the success story of French criminal procedure. The role of the defence is limited to one of moral support and the provision of basic information such as informing the suspect of her right to silence. It is not to engage in any meaningful participation in the enquiry. The introduction of a defence lawyer is seen as the unwelcome introduction of adversarialism (and all that is understood to go with this – obscuring the truth, benefiting the wealthy etc) into French criminal procedure. There is also a general mistrust of the lawyer, in part because of her status as an avocat rather than magistrat, representing the interests of suspected criminals rather than the public interest.27 The growing number of expedited procedures means that there is greater reliance on the availability of defence lawyers, but this is not supported by changes in payment or the legal professional culture. This is about lawyers assisting in the rapid processing of cases. This will be a new challenge for lawyers, like the changes to their potential role during instruction. The new “guilty plea” procedure (the comparution sur reconnaissance préalable de culpabilité) is therefore of particular interest as this sets out new role expectations for all involved. Whilst the level of offence is not bargained with, the sentence is: where the suspect admits the offence, the procureur can

___________ 27

Garapon, Le gardien des promesses, 1996, p. 66 f., notes the reflection of this general mistrust of lawyers through French cinema – lawyers are womanisers who will sink to any depths to block the truth and help the client; magistrats are the antithesis, sacrificing even their lives in the interests of truth.

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propose a sentence which would be less than she would normally ask for, i.e. a lesser sentence in exchange for a guilty plea.28 This is a very significant procedure – it applies to all cases punishable by up to five years imprisonment (which accounts for over half of all cases handled by the criminal courts). The procureur may propose a prison sentence of up to one year, or half of the maximum penalty for the offence. There is a ten day period during which the accused must decide whether or not to accept the sentence proposed, and if the offer is accepted it must then be confirmed by a judge. It can be argued that this does not sit so easily with a more inquisitorial based procedure. Firstly, the role of the judge is severely circumscribed: the judge may not modify the proposed sentence; she may only accept or reject it – in which case the normal trial procedure comes into play. Such an “all or nothing” approach may act as a disincentive to rejection, providing a certain momentum in favour of accepting the agreement negotiated by prosecution and defence and so undermining the function and safeguards of the trial. Secondly, in France, the lawyer and the prosecutor are not of the same professional status, making negotiation potentially more difficult. Thirdly, whilst the victim has no formal role in Britain and the USA, she is part of the process in France, with full participation rights. It is unclear what role, if any, she would play in this bargaining process. As with the changes in the instruction procedure, the reform will also require a shift in professional legal cultures. The defence lawyer will be asked to agree to a sentence; the procureur will negotiate directly with the accused; and the judge will share her decision-making power with the prosecution. There is concern that in allowing the procureur to manage cases in this way, the role of the judge becomes increasingly marginalised, undermining the accused’s right to a fair and public hearing of all the evidence. It might also be argued that this conflicts with the principle that the judge must base her decision upon the evidence debated before her, as set out in article 427 CPP.

___________ 28

There was concern that this would usurp the role of the court and infringe the principle of separation between the poursuite and the jugement, between prosecution and judgement. The Conseil Constitutionnel held that it did not, but because the accused may be sentenced to imprisonment, the hearing must take place in public (otherwise, this would of course breach Art 6 ECHR). The Conseil also emphasised that the court should still look as closely at the facts as it would do during a normal trial – it should retain its function as a court of trial and not just rubber stamp cases through.

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D. Conclusion Given the different ways in which the defence role is characterised in the two models of criminal procedure, together with the changing conceptions of the value of defence participation to the wider criminal process, can we identify a core defence function? It is easier to generalise in relation to the trial, where all jurisdictions now recognise the need for the accused to be represented, to have sight of the prosecution case, to have an opportunity to interrogate the evidence against her and so on. But the effectiveness of that representation will depend on what goes before. If the trial serves more as an affirmation of a pre-trial judicial enquiry, the defence must participate in the enquiry in order to be effective at trial. The model for this is one of dialogue, but even within the rhetoric of the law, this applies only to the most serious cases, those before the juge d’instruction. Despite recognition of the need for some defence input to act as a cross-check or counter balance since 1897, in the vast majority of cases the defence plays no part in the pre-trial enquiry and there is no opportunity for dialogue with the procureur. The suspect is left without the protections of either the adversarial or the inquisitorial model. This position is becoming increasingly untenable – it cannot be justified on the basis of judicial supervision, which is weak and largely retrospective in these instances. French criminal procedure must recognise the centrality of procureur supervised investigations and the imbalance between the defence role in these and during instruction. Basing reform on an empirical reality as well as a theoretical coherence of the overall structure will be more meaningful and more effective. In England, Wales and Scotland, the integrity of the adversarial model depends heavily upon the principle of equality of arms. In this, the defence must also take responsibility, defining and executing its own role in terms that are meaningful and effective. The failings in the initial provision of custodial legal advice in England and Wales have led to a greater awareness on the part of the profession of the appropriately adversarial nature of the defence role and what this means in concrete terms. However, further attacks on the effectiveness of the defence have come in the form of recent legislation undermining the lawyerclient relationship and increasing the evidential assumptions against the accused.

The Defence Lawyer’s Role in Pre-trial Investigations: Some Observations*

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A. The Nature of Pre-trial Investigations The topic of criminal defence facing new challenges seems rather intriguing for lawyers and legal scholars who function in a criminal law system in which the pre-trial investigation is mainly of an inquisitorial nature, as is the case in the majority of the countries on the continent of Europe. Although research on comparative criminal procedure has been the raison d’être of my professional life for over thirty years now, the role of the defence lawyer has never been a topic that I have researched from a comparative perspective. Therefore, I deal with this topic from the Dutch perspective. In the Dutch criminal justice system pre-trial investigations are of a rather strong inquisitorial nature as far as the investigations are carried out by the police. Pre-trial investigations, however, can also be carried out by an investigative judge. Those investigations are of a more moderately inquisitorial nature. I hope that the challenges for lawyers in pre-trial investigations in the Dutch criminal justice system are similar to those faced by lawyers in foreign systems with strict or moderate inquisitorial pre-trial investigations, so that lessons can be drawn for those systems as well. In what follows I will deal with a number of major problems and formulate solutions in order to improve the defence lawyer’s role in pre-trial investigations. During the pre-trial investigations the suspect is the object of the investigations; this is one of the main characteristics of the inquisitorial system. The suspect has to tolerate that investigation takes place without him being informed about the investigation or about the content of the investigation. Investigations ___________ *

Manuscript submitted in August 2005.

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can take place in a secret way, in particular when openness on the investigations or on the results of the investigations might hamper the purpose or due course of the investigations. During investigations serious intrusive covert policing methods can be used against a suspect, such as interception of communication or observation without his knowledge. In the pre-trial investigations there is no equality of arms between police and public prosecutor on the one side and the suspect on the other. This may endanger finding the truth, because the inquisitorial system carries the risk that investigating authorities merely concentrate on finding evidence against the suspect and neglect to look for evidence in his favour. B. The Defence Lawyer A distinction should be made between two kinds of defence lawyers active during the pre-trial investigations. Some suspects are wealthy enough to choose and pay their own defence lawyers. Those lawyers are paid for the number of hours they spend on assisting their clients, and one may expect that these privately paid defence lawyers will play an active role by carrying out private investigations as far as possible. They will actively look for evidence in favour of their client, they will challenge expert witnesses or reports by experts by way of contra-expertise, and they will spend considerable time discussing the results of their investigations with their clients as well as what defence position they will take when their client has to stand trial. A privately paid defence lawyer is, however, more an exception than the rule. Most of the arrested suspects will get legal aid, which means that a defence lawyer is assigned to them by a public organisation called “Council for legal aid” (Raad voor Rechtsbijstand). Legal aid defence counsel is paid by the State. The fee is rather low which means that the defence counsel needs a number of legal aid assignments in order to earn a living. The low payment reduces both the possibility and the will to invest considerable time to carry out private investigations, to challenge all evidence produced by the public prosecutor or to have contra-expertise carried out by private experts. Legal aid defence counsel is not to blame for that attitude. This is the result of an imbalance between the public prosecutor (who is a well-paid official) with access to all types of forensic public services to support him in his investigative activities, and the legal aid defence counsel who has no access at all to public services but only to private forensic services which must be paid by him out of his moderate fee. Both the privately paid defence counsel and the legal aid defence counsel have the same restricted rights during the pre-trial investigation.

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C. The Defence Counsel’s Rights during Police Arrest and Police Custody A suspect can be arrested by police when he is caught red-handed or when he is suspected of a crime carrying a statutory punishment of four years or more. Police arrest can last up to six hours, not including the hours between midnight and 9:00 a.m. The arrest is used for the interrogation of the suspect by a police officer in the interest of the investigation of the crime allegedly committed by him. The police officer has to assure himself before the arrest expires that the right person has been arrested, that the arrest was lawful and that the continuation of the arrest seems necessary. This is the so-called verification interrogation. The arrested suspect has a statutory right to be assisted by defence counsel during this verification interrogation only (Sect. 57 subs. 2 CCP), but in practice counsel is hardly ever present. During the arrest, the role of defence counsel is very restricted. Only a suspect who can afford a private defence lawyer may have one. All other suspects will have defence counsel assigned to them only after expiry of the term of the police arrest and after a senior police officer or the public prosecutor has decided to take the suspect into police custody. But even the role of private defence counsel in this phase is almost zero, because the Dutch Supreme Court has ruled that defence counsel does not have the right to be present during police interrogation (HR 22 November 1983, NJ 1984 no. 805). In the literature, this Supreme Court ruling has been severely criticised.1 Reference is made to Art. 6 sec. 1 and sec. 3 (c) European Convention on Human Rights as well as to the cases Murray (ECtHR reports 1996-I), Imbrioscia (ECtHR 1993 A275) and Averill (6 June 2000), from which the conclusion can be drawn that under certain circumstances the suspect has a right to legal aid. A conflict with Art. 6 ECHR will, however, not easily be accepted because every suspect has the statutory right to remain silent when being interrogated.2 It can be concluded from ECtHR case law that a suspect has the right to confer with defence counsel prior to the first interrogation by the police. From the moment of the police custody order, the suspect has the right to an assigned defence counsel who has free access to the suspect, unless this access is abused to hamper the finding of the truth. The suspect does not have the right ___________ 1 Lensing Verhoor, 1988, pp. 221-231; Groenhuijsen/Knigge (Hrsg.) Onderzoek, 2001, pp. 671-755; Spronken Nieuwsbrief Strafrecht, 2004, 502-506. 2 Wedzinga in: Tekst en Commentaar Sv, art. 57 note 6; Spronken in: Tekst en Commentaar Sv, art. 50 note 2.

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to an assigned defence counsel of his own choice, as has been ruled by the Dutch Supreme Court.3 One can doubt whether this ruling is in conformity with ECHR case law (Pakelli case). In practice, preference for a specific defence counsel is taken into consideration. This all means that as a rule it may take a while before an arrested suspect can confer with his defence lawyer, regardless of whether this is a private or assigned defence counsel. As soon as a police custody order has been issued, the police has to inform a legal aid defence lawyer that a suspect is kept in police custody (Sect. 40 CCP). Defence counsel has to visit his client as soon as possible. The legal aid defence lawyer can visit his client during opening hours of the police office in which the suspect is being held. The legal aid defence lawyer’s tasks are to give legal advice and legal support, as well as to support his client in a more material sense (provide clean clothes and medication, inform the employer and family, take care of pets, etc.). The lawyer’s right to visit his client does not include the right to be present while his client is interrogated by the police.

D. Defence Counsel’s Rights During Pre-trial Detention After expiry of the police custody (six days maximum) and when a remand in custody order has been issued, the public legal aid office assigns legal aid defence counsel. As a rule, this is the same counsel assigned already during police custody. The remand in custody order is issued at the request of the public prosecutor by the investigating judge and lasts for fourteen days. The suspect is heard by the examining judge, and his counsel may be present and can make the necessary critical remarks. Defence counsel has to be informed by the public prosecutor that he will request a pre-trial detention order. During the hearing by the examining judge, the public prosecutor has to disclose at least some of the results of the investigation in order to assure the investigating judge that pretrial detention of this suspect is necessary in the interest of further investigation. Defence counsel has access to the file on the basis of which the investigating judge has to take his pre-trial detention decision, and counsel can discuss the content of the file with his client and prepare critical remarks and questions. From that moment on, defence counsel can play a more active role, in particu___________ 3

HR 20 october 1987, NJ 1988, 446.

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lar, when the public prosecutor requests the opening of a judicial investigation in addition to the remand in custody order. If the grounds for pre-trial detention are still valid after expiry of the term of remand in custody, the prosecutor requests the full bench of the court to order remand detention for a maximum of 90 days (Sect. 65 CCP). Defence counsel has the right to challenge the grounds for pre-trial detention. For application of pre-trial detention there must be a danger that the suspect will abscond or will pose a serious danger to public safety. The suspect is heard in processing the pre-trial detention requests and his defence counsel will be present. At that stage of the pre-trial investigation defence counsel has the right to get copies of the files (Sect. 51 CCP). E. Observation 1 During the very crucial first phase of the investigation the suspect is without any legal advice and cannot confer with his counsel on what position to take. The least that can be said is that during that first phase no real equality of arms exists. During this crucial phase defence counsel is not able to scrutinise investigation activities by police, correct mistakes made by them, or make critical remarks. Defence counsel can start to scrutinise and correct only after having received the file of the witness statements or the expert reports, or more generally the file on the investigation and interrogation. He does not receive those reports, however, during the police investigation but only at the end of that phase. During the police investigation, defence counsel does not get any information on the content of the investigation nor on its progress. His position differs completely from that of the public prosecutor. The public prosecutor in the Dutch criminal justice system is ultimately responsible for the criminal investigation and for adherence by police to all statutory rules and procedures. Formally, the public prosecutor is the senior investigator, and although in practice the police deal with most cases without prior consultation with the public prosecutor, the latter will be informed by the police on the content and progress of the investigation, in particular in more important criminal cases. In more serious cases, the public prosecutor can give detailed instructions to the police, for example to reduce or extend the scope of investigation or to contact experts in certain types of expert investigation. During the investigation phase, the public prosecutor has an enormous lead on information, which makes his procedural position much stronger than that of defence counsel, who hardly gets information on the course of the investigation. Furthermore, the public prosecutor is leading the investigation and can request all types of investigation and support by all types of experts he deems

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necessary. Defence counsel can ask the public prosecutor to involve an expert in the investigation or to hear witnesses or experts, but the public prosecutor can refuse to respond to that request. If defence counsel thinks that the opinion of an expert witness is indispensable and the public prosecutor refuses to request such an opinion, defence counsel can hire an expert witness, but on his own expense. An additional problem for defence counsel in the Netherlands is that almost all forensic experts are employees of the Dutch Forensic Institute (Nederlands Forensisch Instituut, NFI), which is a state institute paid from public funds. That Institute and its experts – in particular DNA experts – do their research exclusively on the request of the public prosecutor and the police. The public prosecutor can contact the NFI after having received the forensic expertise report and can discuss the content of that report with the forensic expert. In this discussion the forensic expert can express doubt on the involvement of the suspect in the crime as based on the results of the forensic DNA research. That information is of course of major importance to defence counsel, but he is not allowed to be present at the meeting between the forensic expert and the public prosecutor. When the public prosecutor does not disclose the doubts expressed by the forensic expert neither defence counsel nor the court will have knowledge about the doubts expressed. This lack of information can be detrimental to the suspect and ultimately lead to an incorrect conviction, which was clearly shown in a recent case in the Netherlands.4 In that case, a suspect was convicted of murder although the DNA expert of the Dutch Forensic Institute had, in a meeting with the public prosecutor, expressed doubt as to whether the suspect was identical with the perpetrator of the murder. The public prosecutor failed to communicate this crucial information to the court and to defence counsel. The fact that the DNA expert had expressed doubt was revealed after the convicted person had served four years of his prison sentence and was released from prison after the real perpetrator of the murder had reported himself to police and had been sentenced for the murder. Defence counsel, who had had doubts as to whether his client was the perpetrator of the murder, had requested additional research, but that request was turned down by the court because the suspect had confessed twice. The confessions, although withdrawn shortly after confessing, his presence near the locus delicti at the time of the crime, and his reputation as a paedophile were the main evidence used for the conviction both by the first instance and the appeals courts. This case shows that the Dutch criminal justice system has a ___________ 4

van Koppen Parkmoord, 2003.

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number of weak points. For their decision, courts rely very much on evidence produced in reports on the crime written by the police and on reports by experts. The immediacy principle, which requires direct presentation of evidence by witnesses and by experts at the court trial, has been seriously watered down by case law of the Supreme Court. Furthermore, the statutory requirements for the reasoning of the conviction are rather restricted, especially compared to those set under German law or English law.5 That, however, is a topic that falls outside the scope of this presentation, but it shows how important it is to adequately provide defence counsel with rights equal to that of the public prosecutor during the investigation. Defence counsel who would like to receive a contra-expertise report has to contact foreign and private forensic experts, which consumes extra time, energy and money. Very often, defence counsel has to refrain from involving foreign and private forensic experts because of the high costs which neither he nor his client can afford. As a rule, the costs of the investigation and forensic research are not an issue for the prosecution service. The last point to be mentioned in this context is that the public prosecutor composes the file that will be used at the court trial. The public prosecutor has to include all relevant materials in the file; this applies to all reports of immediate interest for the case, both against and in favour of the suspect.6 It is a requirement of fairness under Art. 6 sec.1 ECHR “that the prosecuting authorities disclose to the defence all material evidence for or against the accused”.7 Although the notion of “relevance” leaves some room for interpretation by the public prosecutor, it is crucial that all relevant material is included in the file in order to enable the court to determine the material truth.

F. Mini-investigation Since 2000, the inquisitorial nature of the pre-trial investigation has been weakened by the adoption of a very important accusatorial element. Since then, counsel of a suspect against whom a pre-trial investigation of the police or the ___________ 5 Tak/Fiselier Duitsland-Nederland, 2002, pp. 167-169; Jörg (substitute prosecutorgeneral at the Supreme Court) in his advice to HR 25 january 2005, LJN AR7190 NJ; Stelling NJB 2005, pp. 893-897. 6 HR 7 Mai 1996, NJ 1997, 687. 7 Edwards ECtHR 16 December 1992 A, 247 B no. 36.

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public prosecutor is running has the right to address a reasoned request to the investigating judge, asking him to carry out one or more specified acts of investigation. In order to avoid unreasonable and rash requests, the suspect has to name the concrete act of investigation to be carried out (for example the interrogation of Mr. X as a witness or expert witness or a reconstruction) and to point out his interest in this investigation. The right of the suspect to request this so-called mini-investigation can interfere with the investigation of the police and the public prosecutor. Therefore, the investigating judge can turn down such request taking into account all relevant circumstances such as the actual state of the investigation, the interests of the suspect and an objection by the public prosecutor (who will be informed by the investigating judge about the request). The investigating judge has broad discretion to turn down the request or to partially comply with it. He can reduce the number of witnesses whose interrogation has been requested on the grounds that their number is unreasonably large or that the interrogation of a witness would be useless. The main reason for introducing the right to request a mini-investigation has been that it partly counterbalances the drastic extension, in recent decades, of the powers of the police and prosecution service in the pre-trial investigation.8 A mini-investigation is one of the means to improve the fairness of the criminal process. A suspect can have a considerable interest in presenting possible evidence in his favour to an independent judge at the earliest possible stage. It is not quite clear whether the right to request a mini-investigation is widely applied. A first evaluation of the new law has concluded that the number of mini-investigations in the first years after its introduction was rather low.9 From recent communications with lawyers I got the impression that the number of requests is increasing10 but that investigating judges quite often turn requests down. Further empirical research seems to be necessary.

G. Defence Counsel’s Role during the Judicial Preliminary Investigation In more complex cases, the pre-trial investigation is not only carried out by the police but also by the investigating judge in the so-called judicial investi___________ 8

Kamerstukken II, 1994-1995, 23 251, no. 8, p. 6. Verrest/Beenakkers WODC Onderzoeksnotities 2002/2003, 53. 10 See also Evaluatie Wet herziening GVO, Erasmus Universiteit Rotterdam, WODC Cahier 2004-11, p. 44. 9

The Defence Lawyer’s Role in Pre-trial Investigations

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gation phase. In recent years, the need for such a judicial investigation has been questioned.11 The main reasons for maintaining the judicial investigation, contrary to the development in Germany, were: -

that a judicial investigation contains more guarantees for an impartial and unbiased investigation than an investigation by the police or the public prosecutor and

-

that a judicial investigation saves the court time.12

In more complex cases, when intrusive measures have to be applied, the public prosecutor shall request the investigating judge to start a judicial preliminary investigation. During the preliminary investigation, this judge carries out further acts of investigation, if necessary with the help of the police. For the application of intrusive measures, such as a search of premises against the will of the resident, the interception of communication by technical means or the interception of mail, permission by the investigating judge is required. Furthermore, the investigating judge may hear witnesses and experts under oath. In complex cases, usually a judicial preliminary investigation takes place in order to avoid lengthy court trials. The interrogation of witnesses and experts does not take place during the court trial but during the judicial preliminary investigation. The results of interrogations are reported and added to the file which can be used as evidence during the court trial. During a judicial preliminary investigation, the suspect and defence counsel have access to the police file, except in cases where this contravenes the interests of the investigation. Defence counsel, however, quite often complain that they do not receive enough information during the judicial investigation to be able to do their work properly. The reason for sending defence counsel a copy of the file in a rather advanced phase of the judicial investigation is often a tactical one. In big and complex cases with many co-defendants, care has to be taken when to provide information to the defence counsel of one of the suspects because this information can be used by co-defendants to get a more favourable strategic position.13 The suspect and his defence counsel, as a rule, are notified that a hearing of witnesses and experts by the investigating judge will take place. They can attend the hearing. Defence counsel can play an active role in the judicial preliminary investigation by putting critical questions to the witnesses and experts, ___________ 11

See Machielse Voronderzoek, 1989. Explanatory Memorandum, House of Parliament no. 23 251, no. 3, p. 18. 13 Vgl. Honig Vooronderzoek, 1997, p 24. 12

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by explaining alternative scenarios, by confronting witnesses with conflicting statements given by other witnesses, by asking for additional investigations or contra-expertise, etc. In this phase of the pre-trial investigation, defence counsel’s presence and active contribution to the finding of the truth is crucial. Defence counsel to function properly must not only be an expert in criminal law but also have a critical mind and sufficient knowledge of investigative and forensic research techniques, such as DNA, forensic pathology, toxicology, comparative arms and ammunitions research, etc. Recent cases in the Netherlands have shown that in a number of major criminal investigations serious mistakes took place that led to the conviction of wrong suspects. A number of famous miscarriages of justice have come to light (the Zaanse dressing room murder, the Ida Post murder case, the Puttens murder case, the Deventer murder case and the Schiedamse park murder case). All these miscarriages occurred due to mistakes made during the investigation; in addition, the public prosecutor and the court had an insufficiently critical approach to the evidence presented.14 During the investigation phase, a permanent risk exists that police and prosecution develop a so-called tunnel approach, concentrating the investigation on the wrong suspect. It has happened that doubts about the guilt of the suspect were not sufficiently presented and that incriminating evidence was not sufficiently challenged. The lesson we can learn from recent miscarriages of justice is that once the police have made serious mistakes during the investigation – single track investigation, lack of open mind for alternative scenarios, concentration on evidence against the suspect – these mistakes can hardly be repaired during the court trial. In the Dutch criminal law system, courts rely heavily upon written evidence presented in the police reports. Mistakes in the investigation can therefore have a continuing effect on the court trial and may lead to a miscarriage of justice. It is not an easy task for defence counsel to challenge the results of the investigation because he has few possibilities to do so or to request additional acts of investigation or forensic research. Requests by the defence counsel to hear witnesses, to hear expert witnesses, to order further forensic and other investigations, or to hold a reconstruction during the pre-trial investigation can easily be turned down by the public prosecutor. One of the main challenges for the near future is to vest defence counsel with more rights to challenge the results of the police investigation at an earlier stage, without undue obstruction of the course of the investigation. ___________ 14

de Roos NJB 2005, pp. 1782-1785.

The Defence Lawyer’s Role in Pre-trial Investigations

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H. Observation 2 Through the possibility of requesting a mini-investigation, the role of defence counsel in the pre-trial investigation carried out by the police and the public prosecutor has been improved, but it still depends to a large extent on whether the investigating judge responds to the request. The judge has broad discretion to turn down the request, and there are no statutory criteria on the utilisation of his discretion. Furthermore, the scope of the mini-investigation is restricted; it is not the same as a full-fledged judicial preliminary investigation. During the judicial preliminary investigation by the investigating judge there is somewhat greater equality of arms between the defence lawyer and the public prosecutor and there are more possibilities for the defence counsel to play an active role. The judicial preliminary investigation is more open than the pre-trial police investigation – although it can happen that this investigation is kept secret from the suspect in the interest of the investigation – and the suspect has more rights than during the pre-trial police investigation. During the judicial preliminary investigation the defence counsel has the right to attend the interrogation of witnesses and experts by the investigating judge, unless prohibited by the interests of the investigation. Counsel can suggest questions to be put by the investigating judge. When defence counsel has not been present at the hearing, he will be informed as soon as possible, unless this is in conflict with the interests of the investigation. During the judicial preliminary investigation the judge has full powers to decide on the investigative activities to be carried out, and on whether the questions put by defence counsel have to be answered by the witnesses and experts. However, defence counsel can play an active role. To give an example: when during a judicial preliminary investigation a reconstruction is carried out, defence counsel can ask the judge’s permission to give instructions, to give further information or to order that certain remarks be noted in the file. Defence counsel can request an interrogation of witnesses or experts within reasonable limits. When the investigating judge turns down the request, appeal to the court is possible. During the judicial preliminary investigation, defence counsel has many more rights than during the pre-trial police investigation. The main reason for that is that the evidence is collected during the judicial preliminary investigation. Witnesses and experts are interrogated under oath by the investigating judge, and their statements are recorded in the file so that the court does not have to hear those witnesses and experts during the court trial but can rely upon the files. That reduces the length of the court trial considerably. Therefore, a

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very active role of defence counsel is expected in the judicial preliminary investigation. Under Dutch criminal procedural law, the heart of finding the truth is as a rule not the court session but the judicial preliminary investigation by the investigative judge. The task of the court during the court trial is mainly restricted to an assessment of the legality of the evidence gathered during that investigation.

I. Conclusion The role of defence counsel in the pre-trial investigation is greatly restricted because the law provides him with insufficient rights and powers to carry out his duty to challenge the results of the investigation. A first step to improve the position of defence counsel is to make legal advice available to every suspect even before the start of police questioning, as is proposed in the EU commission proposal for a framework decision covering the rights of suspects and defendants in criminal proceedings.15 The second step would be to finally adopt a proposal already made in 1998 by a Dutch advisory committee consisting of public prosecutors to record on DVD all police interrogations of the suspect in order to check and assess whether undue pressure has been exercised by the police and to check the exact answers of the suspect on questions put by the interrogators. Since the police have a budget of over 2.7 billion Euros, the cost of such DVD recordings cannot be an issue. The third step is to improve defence counsel’s right to challenge technical evidence at an early stage. Expert witnesses’ reports should be sent to the public prosecutor and to defence counsel at the same time. This would open the possibility for defence counsel to immediately request a mini-instruction of the investigating judge. At present, such a request is made rather late in the pre-trial investigation and is in practice not used as an instrument to influence the course and the direction of the pre-trial investigation at an early stage.16

___________ 15 16

Council framework decision COM (2004) 238 final of 28 April 2004. Evaluatie Wet herziening GVO, WODC Cahiers 2004-11, p. 56.

The Defense Lawyer’s Role in Negotiated Justice Richard S. Frase

This is a very broad topic, and my remarks can only suggest some of the more important issues. Negotiated justice almost always means negotiation between defense counsel and the prosecution and/or the court; thus, the activities of defense counsel are central to all of the problems posed by negotiated justice, as well as its supposed advantages and justifications. But counsel’s role in negotiation depends to a considerable extent on the legal context; the role of counsel in general differs considerably across systems, and in particular, between socalled adversary and inquisitorial systems. I will begin by making some preliminary observations about the differences between adversary and inquisitorial systems, and my assumptions about the justifications and problems of negotiated justice in all systems. In the remainder of my remarks, I will suggest how counsel’s role relates to these justifications and problems, in varying systems. I will argue that while negotiated justice is a much bigger theoretical problem in an inquisitorial system, it raises more practical problems in a highly adversary system such as the one in the United States. A. The Theory and Reality of Adversary and Inquisitorial Systems As noted above, any analysis of counsel’s role in negotiated justice must take account of the substantial variations in all aspects of counsel’s role in differing legal systems. But at the same time, one must be careful not to overstate these variations, or to adopt any simplistic conception of how modern systems of criminal justice are organized and operate. In these preliminary remarks, I will make three points. First – the concepts of adversary and inquisitorial justice define a continuum of systems, not two distinct and homogenous groups. Second – the adversary and inquisitorial models are still useful, since most modern systems are still predominantly of one type or the other. Third, and most important – the dominant, governing ideology of each model is to a great extent a myth, which can be dangerous as well as useful.

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Richard S. Frase I. The Adversary-Inquisitorial Continuum

There are a lot of differences among adversary systems – U.S. and English law and practice are quite different from each other in many respects, and of course there are also wide differences among systems within the Civil Law family. The broad continuum of modern criminal justice systems ranges from some which are highly adversary to others which are highly inquisitorial, with varying hybrid systems in between. Moreover, there are important inquisitorial features in even the most adversary systems in existence today, and even the most inquisitorial modern systems have very significant adversary elements. The common adversary and inquisitorial elements of all modern systems reflect underlying similarities in legal norms and practical needs. The messy reality of this continuum, in which all systems are more or less hybrids, makes it difficult to describe and model these systems. On the other hand, the underlying similarities make it easier for researchers to compare differing systems, and increase the likelihood that some features can be adapted for use in systems located elsewhere (not too far away) on the continuum – as with plants or animals, grafts and transplants are more viable when donor and recipient are compatible.

II. Dominant Adversary and Inquisitorial Ideologies

Despite the hybridization phenomenon described above, most modern systems are still predominantly of one type or the other. All systems have a dominant ideology, dogma, or rhetoric which describes that system in terms of either adversary (party-controlled, rights-based) or inquisitorial (courtcontrolled, truth-seeking) goals and values. Given this pattern, it seems that future systems probably will not – and perhaps, should not – contain equal degrees of adversary and inquisitorial justice; the two contrasting ideologies would continually pull such a system in opposite directions.

III. The Values and Dangers of Adversary and Inquisitorial Ideologies

Each system’s dominant, governing ideology can be dangerous as well as useful. It is useful to the extent that it lends coherence to the system, guides and inspires practitioners, and gives reformers and legislators a normative frame of reference with which to evaluate the performance of, and proposed changes in, particular aspects of the system. To take a concrete example, consider adversary and inquisitorial theories of evidence gathering and presentation. In a predominantly adversary system, the belief that each party has primary responsibil-

The Defense Lawyer’s Role in Negotiated Justice

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ity for gathering and presenting evidence favorable to that party’s interests helps to motivate the parties, especially the defense, to vigorously exercise these functions and to rely as little as possible on the other parties and the court. In a predominantly inquisitorial system, the belief that the police, prosecution, and court are all seeking to find the truth, even if it favors the defendant (and that the defense is not primarily responsible for gathering and presenting favorable evidence), serves to remind and motivate these officials to be thorough, openminded, and even-handed in their building of the file, charging decisions, and conduct of trials. But adversary and inquisitorial ideologies are also, to a considerable extent, myths. In the United States, and probably most other predominantly adversary systems, defense counsel actually have very limited powers to gather evidence, very limited resources, and the disadvantage of timing – counsel usually doesn’t enter the case until the police have gathered most of the available evidence, and the possibilities of finding new witnesses and evidence have grown slim. Thus, as a practical matter, the “file” put together by the police and their crime labs and other experts will serve, for better or worse, as the source of almost all of the evidence discussed at trial or in pretrial negotiations. The danger here is two-fold. First, the police and prosecution, seeing themselves as advocates, may fail to collect or preserve pro-defense evidence, and may even distort the evidence they collect. Second, courts may wrongly assume that the defense has looked for, found, and presented whatever pro-defense evidence there is. In short, to make adversary systems work, within the limits of real-world defense budgets and fact-gathering powers, the police and prosecution must strive to be at least somewhat “inquisitorial,” that is, they must not see themselves merely as advocates, but must try to remain open to the possibilities of pro-defense evidence, and build a balanced and complete file. Although I am less knowledgeable about predominantly inquisitorial systems, I believe many of them have their own dangerous myths. The belief that officials are merely truth-seeking may blind file-builders and presiding judges to the inherent risks of non-adversary procedure, which have sometimes been summarized as the “bias” and “incentive” problems. As to the former, the concern is that in an inquisitorial system the pretrial investigator or trial judge will reach preliminary conclusions about the case based on the existing file and will then firmly adhere to and seek to confirm those conclusions, despite later conflicting evidence. The “incentive” problem with inquisitorial pretrial and trial procedures is that officials have less of a personal and professional stake in ferreting out and effectively presenting all of the evidence on both sides, and also have difficulty evaluating the best interests of each party and understanding each party’s perspective –“facts,” especially those favoring the defendant, may

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Richard S. Frase

look very different depending on who is asking the questions. Ironically, these dangers may become all the more acute, especially for the police, as inquisitorial systems acquire more and more “adversary” elements. If officials start to believe that defendants are being given too many rights, or that defense counsel are actively working to distort the truth, some officials may consciously or unconsciously engage in their own, “compensating” adversary distortions. Perhaps these risks can be adequately addressed through careful selection, training, and supervision of officials. But if not, then the only solution is to make inquisitorial systems (even) more adversary – to give the parties, particularly the defense, both the legal tools and the responsibility to challenge and supplement official evidence-gathering and presentation. In sum, the challenge for systems dominated by either the adversary or inquisitorial ideology is to retain what is useful in their dominant mythology while at the same time recognizing the weaknesses of that approach in practice, and the need for safeguards modeled on the opposing ideology – inquisitorial safeguards in predominantly adversary systems, and adversary safeguards in predominantly inquisitorial ones. The inherent limitations of both predominantly adversary and predominantly inquisitorial systems have major implications for an assessment of the justifications for and problems posed by negotiated justice in such systems, which I will now address.

B. The Justifications for and Problems Posed by Negotiated Justice The following is a very abbreviated summary of the principal arguments in favor of and opposed to negotiated justice. These arguments are remarkably similar across jurisdictions, although they naturally receive differing degrees of emphasis in systems dominated by adversary or by inquisitorial ideology.

I. Justifications

There are three principal benefits of negotiated justice. First, since trials are expensive and often burdensome for victims and witnesses, it is usually more efficient (less costly and less burdensome) to avoid formal trial litigation of facts which are not seriously in dispute. Second, to the extent that negotiated justice involves greater participation by the defendant (directly, or through his attorney) in the determination of guilt and sentence, such participation may help the defendant to accept his conviction and sentence. (In general, people who

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have participated in producing a result tend to view both the result and the process as more fair; and people who feel they have been treated fairly by legal processes are more likely to be law-abiding in the future.) Third, when negotiated justice involves a genuine admission of guilt by the defendant, such admissions may reflect acceptance of moral responsibility for the crime and/or recognition of underlying problems which led to the crime and which the offender needs to address (such acceptance and recognition suggest greater amenability to corrective measures, and lower risk or re-offending even without such measures).

II. Problems

Many arguments have been made against plea bargaining and other forms of negotiated justice, but there are four principal problems. First, when negotiated justice involves placing strong pressures on defendants to admit guilt in order to avoid much more severe sanctions, there is a serious risk that offenders who are not guilty will say that they are, thus undermining both the presumption of innocence and the search for the truth. Second, when negotiated justice involves the dropping of provable additional or higher charges, such negotiations undermine the search for the truth even when the defendant is actually guilty. Third, strong pressures to admit guilt threaten the right not to be compelled to incriminate oneself. Fourth, since negotiated justice often involves giving similarly-situated offenders different sanctions, depending solely on whether they admit guilt or are found guilty at trial, the result is a sanctioning system lacking in proportionality relative both to culpability and to the practical goals of sentencing: negotiated sanctions are too low, trial-based sanctions are too high, or all sanctions are disproportionate – the proper sanction lies somewhere between the negotiated and the trial-based sanction.

C. Defense Counsel’s Role in Relation to the Justifications and Problems of Negotiated Justice We can now consider, in light of the contextual and normative considerations sketched above, what role defense attorneys play in negotiated justice in different systems, and the ways in which these roles relate to the purposes and problems of negotiated justice. Is counsel contributing to or undermining the values served by negotiated justice? Does counsel’s role tend to ameliorate or exacerbate the inherent problems of negotiated justice? How do these effects differ in predominantly adversary and inquisitorial systems?

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Richard S. Frase I. Justifications for Negotiated Justice

1. Efficiency Negotiated settlements are efficient and desirable when they avoid the costs and burdens of proving facts at trial – provided those same facts could and would be proved at trial. As discussed more fully below, negotiated justice carries a major risk that trial standards of proof will be undercut. Even in cases where the essential facts are not in dispute (probably the majority of cases, at least in well-designed systems where prosecutors and judges screen out many weak cases), trial avoidance is sometimes a false economy because the public and/or the victims will not understand the crime or the court’s disposition of the matter without a public trial. Nevertheless, there remain many cases for which negotiated trial avoidance is desirable. What role does counsel play in achieving such avoidance? Most defendants who end up pleading guilty probably don’t intend to do so when they are first charged. Negotiated justice thus typically involves not only negotiation between defense counsel and the prosecution and/or court, but also a negotiation of sorts between counsel and his or her client – counsel must first earn the client’s trust and obtain permission to bargain, then make the best deal possible, and finally help the client to see that it is in his best interest to accept the deal. Thus, even where the cost of defense counsel is publicly paid, counsel’s crucial role as the intermediary and facilitator of negotiation may result in greater overall cost savings in comparison to a system with few or no defense counsel. However, the efficiency goal, and therefore counsel’s role in achieving it, may be more important in adversary systems – since adversary trials are often lengthy, with many procedural rights extended to defendants, the cost savings of trial avoidance are higher. It is important to recognize, however, that widespread negotiated trial avoidance, even if it is cheaper, does not necessarily make the system operate more speedily. To the extent that negotiation is left to the parties and occurs outside of the court’s supervision (as is typically true in adversary systems), the result is an added stage of pretrial procedure during which the parties make repeated attempts to wear down the other side and negotiate a better deal; only when it is clear that no deal can be reached will the case be ready for the setting of a firm trial date. In cases, or systems, in which negotiation is forbidden, sharply limited, or closely supervised by the court, a firm trial date can be set much earlier. Inquisitorial systems, with their greater degree of court control and traditional skepticism of negotiated settlements, would seem to be better designed to avoid these delays in trial scheduling of cases that cannot be settled.

The Defense Lawyer’s Role in Negotiated Justice

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2. Offender Acceptance of the Fairness of his Conviction and Sentence When defendants feel that they have some control over the finding of guilt and the choice of sentence, they may be more likely to accept the justice and fairness of the process and its results. This is a good thing in itself, and may also have crime-preventive benefits. Of course, to achieve these benefits counsel must encourage the defendant to actively participate in this process. In extremely adversary, lawyer-dominated systems such as those found in the United States, it appears that defense attorneys negotiate deals with little input from their clients; only after the deal (or the latest version of it) has been agreed to by the attorneys does the client have a chance to respond, and then only in terms of accepting or rejecting the deal. Moreover, since negotiated settlement in the U.S. frequently involves a “Godfather” proposition (“I’m going to make you an offer you can’t refuse”) – plead guilty in return for a substantial penalty, or go to trial and risk receiving a draconian sentence – U.S. defendants will often feel that they have no real choice, and that the system is coercing them into accepting an unfair penalty. Finally, the participatory benefits of negotiated trial avoidance must be compared to the benefits likely to be obtained from conviction at trial. On the one hand, defendants can potentially “participate” far more directly in the trial by testifying, or at least by sitting and conferring with counsel, and the defendant may also obtain vicarious participatory satisfaction from seeing “his” lawyer conduct the defense at trial. On the other hand, if we exclude acquittals and compare only the defendants who are convicted at trial to those convicted through negotiation, the trial defendants may feel less satisfaction and acceptance after witnessing the rejection of the arguments they and their counsel made. Differences in trial procedures in adversary and inquisitorial systems also bear on the likely degree of direct and vicarious defendant participatory satisfaction at trial. Defendants in the U.S. typically do not take the stand to testify, whereas defendants in inquisitorial systems usually agree to answer questions at the start of the trial, and also frequently engage in direct exchanges with the court later in the trial. On the other hand, U.S. defense lawyers are much more in control of the choice and presentation of the defense than are lawyers in an inquisitorial system.

3. Offender Acceptance of Responsibility or Need for Help It is appropriate to encourage defendants to voluntarily admit guilt, and reward them when they do, to the extent that such admissions reflect remorse, acceptance of moral responsibility, and a desire to avoid such conduct in the

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future (including, if applicable, a recognition of the underlying personal, social, or medical causes of the crime and a willingness to address those causes). But how can admissions of guilt, feelings of remorse, and recognition of underlying problems be voluntary, and thus both morally righteous and practically desirable, if such feelings are motivated in whole or in substantial part by a negotiation process involving significant offers of leniency or threats of severity? In such a “market-place” atmosphere, defendants are likely to say whatever they feel they have to say in order to “close the deal”; indeed, they may emerge from the negotiation process more cynical and less amenable to treatment and compliance with the law. This problem is particularly acute when the degree of leniency or threatened severity is extreme, as it often is in the U.S. due to severe authorized penalties and highly adversary (punitive) prosecutors. The problem may also be more acute in the U.S., if it is the case that defendants in more adversary systems make fewer unilateral admissions to the police or other investigators, and more negotiated admissions. If a given system, whether adversary or inquisitorial, emphasizes “restorative justice” goals and procedures, it may be possible to increase the proportion of genuine admissions of guilt and responsibility by de-emphasizing “bargaining”, helping defendants and victims better understand the origins and consequences of the crime, and promoting victim-offender reconciliation. Genuine admissions may also be encouraged if the negotiation and settlement process involves family, religious, or other trusted associates of the defendant. Defense attorneys can, to some extent, choose to facilitate the inclusion of restorative perspectives and trusted-associates involvement in the negotiation process. But whether they will do so may depend upon whether this is deemed part of their professional responsibility. Genuineness can be in the client’s interest (and thus, within his lawyer’s responsibility) if it helps the defendant avoid future problems with the law and in his personal life. Arguably, counsel should discourage their clients from making false claims of remorse and acceptance of responsibility. But in a system such as the U.S., where negotiation often involves threatened and imposed penalties which defense counsel strongly believe to be unfairly severe and coercive, counsel will rarely be willing to concern themselves with the genuineness of the client’s admissions.

II. Problems of Negotiated Justice

Does counsel’s role tend to ameliorate or exacerbate the inherent problems of negotiated justice? How do these effects differ in predominantly adversary and inquisitorial systems?

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1. Conviction of the Innocent Most modern systems of criminal justice impose high burdens of proof on the prosecution and give defendants many ways to challenge or supplement prosecution evidence. These exacting requirements are designed to minimize the risk that factually or legally innocent persons will be found guilty or that persons who are guilty only of lesser crimes will be convicted of more serious charges. Perhaps the most important role of defense counsel is to make sure that these rules are enforced at trial, and that the rules are not undercut by negotiated trial avoidance. This role is particularly important in adversary systems, which impose no clear duty on police, prosecution, and court officials to seek the truth and protect the innocent. But defense counsel in adversary systems actually have very limited ability to independently gather evidence which contradicts the official investigation. Indeed, in many U.S. jurisdictions defense counsel does not even receive full pretrial disclosure of the results of the official investigation; this not only limits counsel’s ability to effectively challenge the official investigation at trial, but also makes it difficult for counsel to estimate whether the defendant is provably guilty of the charges to which he is asked to plead guilty. The U.S. system of plea bargaining makes this unsatisfactory situation even worse. When defendants are threatened with draconian penalties unless they plead guilty, or when defendants in pretrial detention are offered immediate release in return for their plea, guilt or innocence may seem irrelevant. Defense counsel in such cases may be forced to allow, and even encourage, an innocent client to plead guilty. Inquisitorial systems face fewer of these problems. Officials have a duty to gather, preserve, and present pro-defendant evidence, and defense attorneys receive full disclosure of the results of the official investigation at some point prior to trial. Moreover, if inquisitorial systems tend to impose less severe penalties, and make more sparing use of pretrial detention (both of which I believe are generally true of continental European systems), innocent defendants in such systems face less severe pressure to admit guilt as part of a negotiated settlement. However, they may face this pressure earlier, when offered release from police detention in return for a confession, a decision which they usually must make without advice of an attorney. And as was suggested earlier, the myth of official neutrality and truth-seeking may sometimes result in an official file which is not fair and balanced, and a passive defense attorney who has no duty and few legal tools with which to challenge that file. Some degree of independent defense challenge is an essential safeguard in all systems, and this is particularly true when negotiated settlements result in conviction and sentencing without full presentation and discussion of the evidence at trial.

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2. Under-conviction of the Guilty Negotiated justice can undercut the search for the truth even when the defendant is clearly guilty of the charges he admits. The truth about the nature and extent of the defendant’s acts is compromised when negotiated settlements involve the dismissal or non-filing of additional or more serious charges which could have been proved at trial. This is probably a greater danger in adversary systems, where the court has more limited ability to estimate the full extent of the defendant’s crimes (since no detailed official file is given to the court), and where (depending on the jurisdiction) the court has no legal authority to consider charges not filed or retained by the prosecutor. However, these are generally not problems for defense counsel, except when counsel makes statements about the unfiled or dismissed charges, during settlement negotiations or in court, knowing that the statements are untrue (for example, a statement falsely asserting that the defense has witnesses who would contradict such charges). Even strongly adversary systems like those in the U.S. forbid such false statements. However, U.S. counsel may be sorely tempted to evade or only loosely apply this prohibition, if he or she believes that the higher sentence resulting from conviction on those other charges would be clearly excessive. Again, this is less of a problem in systems where authorized penalties are more reasonable.

3. Compelled Self-incrimination The essence of negotiated trial avoidance is some form of self-incrimination – the defendant admits guilt formally (by pleading guilty) or informally (in some forms of negotiated conditional dismissal). But the normative concern here is not with self-incrimination per se but with compelled self-incrimination; it is deemed unfair, and likely to produce untrue admissions of guilt, to coerce suspects and defendants to confess their guilt. Defense counsel plays an important role in policing the boundary between voluntary and compelled admissions of guilt. Counsel’s legal and practical advice – as well as simple “hand-holding” (sympathy and support) – make it easier for the defendant to make a deliberate and considered choice, even if it remains a difficult one. But again, the possibility of retaining a real “choice” for the defendant (and thus, the ability of defense counsel to facilitate such choice), depends on the severity of the differential between the negotiated and non-negotiated penalty. In systems which routinely permit prosecutors to file or threaten charges carrying draconian penalties, and which place few limits on the prosecutor’s power to negotiate settlements carrying far lower penalties, defendants face choices that may be quite “rational,” but still coerced – indeed, they may be more coerced the more clearly counsel ex-

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plains to the defendant the stark alternatives he faces. These problems may be more severe in adversary systems like those in the U.S., where plea and trial penalties are often dramatically different. 4. Disproportionate Punishment The difference between plea and trial penalties, particularly when it is dramatic, also raises serious issues of sentencing proportionality (and also equal justice – the norm of treating comparable cases alike). When equally culpable defendants receive different sanctions, depending solely on whether they admit guilt or are found guilty at trial, the result is a sanctioning system lacking in retributive proportionality. Similarly, when different sentences are imposed on two defendants for whom utilitarian sentencing considerations (deterrence, dangerousness, treatment needs, etc.) would dictate similar penalties, solely because one defendant has demanded a trial, one or both of the defendants is being punished in a manner which is disproportionate to the applicable utilitarian goals. Plea versus trial sentencing disparity means that either the plea-based sanction is too low, the trial-based sanction is too high, or both sanctions are inappropriate – the proper sanction lies somewhere between the plea- and trialbased sanctions. Sentences which are too low (like conviction charges which understate the defendant’s provable criminality) are generally not a problem for defense counsel; moreover, such sentences probably occur infrequently, at least in the U.S. But there is good reason to believe, particularly in the U.S., that trial-based sentences are often too high. The theory of guilty plea “concessions” is that the trial sentence is the “right” sentence (that is, a sentence which is both fully deserved and necessary to achieve legitimate utilitarian sentencing purposes). But in a system in which 90-95 % of defendants plead guilty, and in which prosecutors threaten much more severe punishment if the defendant refuses to plead guilty, it seems very likely that the plea sentence is much closer to the “right” sentence, and that the trial-based sentence is grossly excessive. Indeed, in light of historical and comparative perspectives, it can be persuasively argued that even many plea-based sentences are excessive in contemporary U.S. jurisdictions. In the absence of meaningful constitutional limits on disparities between plea and trial (which U.S. courts have declined to impose), or meaningful statutory limits on such disparities (which no U.S. legislature has imposed), there is little that U.S. defense counsel can do to protect defendants from excessive penalties – other than encourage as many defendants as possible to plead guilty. Disparities between plea and trial sentences seem to be less extreme in other adversary systems (e.g., England and Wales), and in the continental European inquisitorial

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systems. In large part this may be due to the less severe authorized penalties in those jurisdictions and to the less adversary nature of those systems. Particularly in systems dominated by inquisitorial ideology, with its more active role for courts and traditional skepticism of negotiated justice, it is easier for defense counsel to argue effectively that a given sentence imposed after trial is disproportionate to any legitimate sentencing goal.

D. Conclusion Negotiated justice raises many problems, and its supposed justifying purposes are not always achievable. But these points have been made for years by judges, defense lawyers, and professors in the United States and other countries with predominantly adversary systems of criminal justice, yet plea bargaining remains the dominant method of deciding on guilt and sentence in such countries. Negotiated justice is much more congruent with adversary than with inquisitorial ideology, since the former emphasizes party control while the latter emphasizes court control and the search for the truth. Nevertheless, various limited or tacit forms of negotiated justice have long existed in many inquisitorial systems, and in recent years there appears to be a trend toward more frequent and more open negotiation in these systems. These patterns suggest that negotiated justice is universally deemed to be desirable, or at least inevitable in modern systems which, even if still largely court-controlled, give the parties many “adversary” rights and responsibilities. Defense counsel plays a key role in almost all forms of criminal law negotiation, and he or she must strive to minimize the problems that negotiated justice poses for defendants, while maximizing the odds that the justifying purposes of negotiated justice will be served in a given case. The practical problems of negotiated justice may be greater in highly adversary systems like those in the U.S. These problems are not only less serious in inquisitorial systems but also more capable of being ameliorated by defense counsel.

„Aufgedrängte“ Verteidigung Nachdenkenswertes aus der Praxis der internationalen Strafgerichtshöfe

Stefan Kirsch

A. Einleitung Im Juli 2005 begann in Amsterdam die Hauptverhandlung gegen den mutmaßlichen Mörder des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh. Dabei erregte neben den Umständen der Tat auch die Tatsache besondere Aufmerksamkeit, dass der Angeklagte zu Beginn des Prozesses durch seinen Anwalt mitteilen ließ, er erkenne die Zuständigkeit des Gerichts nicht an und wolle sich nicht gegen die Anklage verteidigen. „Mein Mandant will keine Verteidigung durch sich selbst und auch nicht in seinem Auftrag“, äußerte sich der Verteidiger. „Es ist eine genau durchdachte Entscheidung und wahrscheinlich das letzte, was ich in diesem Prozess sage“.1 Zugegeben eine nicht ganz alltägliche Situation: Weniger im Hinblick auf die Entscheidung des Beschuldigten, sich nicht gegen die Anklage verteidigen zu wollen, wohl aber im Hinblick auf die Position des Verteidigers, der – einer Entscheidung des Beschuldigten folgend – keine Verteidigungstätigkeit entfaltet und damit so gar nicht der Rolle entsprechen will, die wir von einem Strafverteidiger erwarten. Gleichwohl führt uns gerade die durch diese nicht ganz alltägliche Situation hervorgerufene Irritation auf direktem Weg zum Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen zum Verhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem. Anlass, sich mit dieser Frage zu befassen, besteht nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Verteidiger und ___________ 1

Die Welt v. 12.7.2005, S. 1.

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Beschuldigtem in Strafverfahren vor den beiden ad hoc-Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) und für Ruanda (RStGH) in mehreren Konstellationen ganz erhebliche Probleme bereitet und dass die Lösung dieser Probleme und damit auch die Konkretisierung der Aufgaben der Verteidigung für diese eine neue Herausforderung darstellt. Problematisch ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Verteidiger und Beschuldigtem in Verfahren vor den beiden ad hoc-Gerichtshöfen typischerweise in den folgenden drei Situationen: (1) Dem Beschuldigten ist ein Verteidiger beigeordnet worden, den der Beschuldigte ablehnt und mit dem er infolgedessen jede Zusammenarbeit verweigert, obgleich der Beschuldigte grundsätzlich anwaltlichen Beistand in Anspruch nehmen möchte. Zu einer vergleichbaren Situation kann es kommen, wenn der Beschuldigte das Mandat eines Wahlverteidigers beendet, das Gericht der Mandatsbeendigung aber widerspricht und den Wahlverteidiger somit zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit anhält. (2) Dem Beschuldigten ist ein Verteidiger beigeordnet worden, obgleich der Beschuldigte sich selbst zu verteidigen wünscht. (3) Dem Beschuldigten ist ein Verteidiger beigeordnet worden, obgleich der Beschuldigte keine Verteidigung wünscht. Gemeinsam ist diesen drei Situationen, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger „aufgedrängt“ wird, der seine Tätigkeit ohne bzw. gegen den ausdrücklichen Willen seines Mandanten ausübt. Bevor wir uns aber diesen einzelnen Fallgruppen „aufgedrängter“ Verteidigung näher zuwenden, sollen im Folgenden zunächst die Rahmenbedingungen der Verteidigung vor dem Jugoslawien- und dem Ruanda-Strafgerichtshof skizziert werden.

B. Verteidigung vor den ad hoc-Strafgerichtshöfen Für das Verständnis der Verteidigung vor den beiden ad hocStrafgerichtshöfen von erheblicher Bedeutung ist der Umstand, dass es sich bei dem Verfahren vor diesen Gerichtshöfen im Kern um ein adversarisches Verfahren handelt, das dem Modell des anglo-amerikanischen Strafprozesses folgt.2 Zwar enthalten die Verfahrensordnungen der beiden Gerichtshöfe neben Elementen des common law auch Elemente aus der kontinentaleuropäischen Tradition des civil law und stellen damit eine eigentümliche „Mischform“ ___________ 2

Vgl. Kirsch, StV 2003, 636 m.w.N.

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(„Hybridization“) unterschiedlicher Strafverfahrensmodelle dar.3 Gleichwohl kennen weder das Verfahren vor dem Jugoslawien-Strafgerichtshof noch das Verfahren vor dem Ruanda-Strafgerichtshof eine – der Regelung in § 244 Abs. 2 StPO vergleichbare – Verpflichtung des Tatrichters, den Umfang der Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Umstände zu erstrecken, die für die Erforschung der Wahrheit bedeutsam sind („Amtsaufklärungspflicht“). Angesichts dessen obliegt es vor den beiden ad hoc-Gerichtshöfen allein der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger, diejenigen Beweismittel zu ermitteln und in die Beweisaufnahme einzuführen, die sie im Hinblick auf die Entscheidung über Schuld oder Rechtsfolgen für bedeutsam erachten.4 Die dargestellte Grundausrichtung des Verfahrens wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es den Richtern gestattet ist, durch Fragen an Zeugen oder die Anordnung der Vorlage weiterer Beweismittel Sachaufklärung zu betreiben. Denn insoweit handelt es sich allein um eine Befugnis, nicht aber um eine bindende Verpflichtung, und der Nichtgebrauch dieser Befugnis stellt – anders als die Nichterfüllung einer rechtlichen Verpflichtung – keinen Verfahrensfehler dar, der im Rahmen der Prüfung durch eine Rechtsmittelinstanz mit Aussicht auf Erfolg gerügt werden kann („Aufklärungsrüge“). Vielmehr kann eine unzureichende Sachaufklärung in der Tatsacheninstanz im Rahmen der auf ein Rechtsmittel erfolgenden Nachprüfung allein dadurch ausgeglichen werden, dass die Verfahrensbeteiligten in der Rechtsmittelinstanz weitere Beweismittel vorlegen und zudem begründen, warum deren Vorlage nicht bereits in der Tatsacheninstanz erfolgte. Dementsprechend vermag auch die Befugnis des Gerichts, durch Fragen an Zeugen oder die Anordnung der Vorlage weiterer Beweismittel Sachaufklärung zu betreiben, nichts daran zu ändern, dass die Verantwortung für die Präsentation der Beweise letztlich allein bei den Parteien des Verfahrens liegt. Trotz dieser großen Verantwortung, die das Prozessrecht den Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf die Sammlung und Darstellung des Beweisstoffs zuweist, kennt das Verfahren vor dem Jugoslawien- wie vor dem RuandaStrafgerichtshof keine Fälle der „notwendigen Verteidigung“. Vielmehr steht dem Beschuldigten vor beiden Gerichtshöfen das Recht zu, seine Verteidigung ___________ 3 Vgl. Ambos, International Criminal Law Review 3 (2003), 1; Haveman/Kavran/ Nicholls (Hrsg.), Supranational Criminal Law; Orie in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), Rome Statute, 2002, S. 1439, 1442. 4 Vgl. etwa ICTY, Pros. v. Kordiü et al. (IT-95-14/2-A), Urt. v. 17.12.2004, Nr. 22: “In a primarily adversarial system, like that of the International Tribunal, the deciding body considers its case on the basis of the arguments advanced by the parties”.

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selbst zu führen.5 Macht der Beschuldigte von diesem Recht keinen Gebrauch, so wird ihm, falls er – wie regelmäßig der Fall – nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Beauftragung eines Wahlverteidigers verfügt, ein Verteidiger beigeordnet („assigned counsel“). Dementsprechend handelt es sich bei den vor den beiden ad hoc-Gerichtshöfen tätigen Verteidigern nahezu ausschließlich um beigeordnete, nicht um gewählte Verteidiger. Darüber hinaus wird dem „führenden“ beigeordneten Verteidiger (lead counsel) regelmäßig ein weiterer Verteidiger (co-counsel) beigeordnet, der den „führenden“ Verteidiger bei seiner Tätigkeit unterstützen soll. Die Voraussetzungen dafür, dass jemand an einem der ad hoc-Gerichtshöfe als Verteidiger beigeordnet werden kann, sind strenger als diejenigen, die für einen Wahlverteidiger gelten. Es können beispielsweise nur solche Verteidiger beigeordnet werden, die über eine Berufserfahrung von mindestens sieben bzw. zehn Jahren Dauer verfügen. Über diese unterschiedlichen Zulassungskriterien hinaus unterscheidet aber weder das Verfahrensrecht noch das Standesrecht6 der beiden ad hoc-Gerichtshöfe zwischen Wahlverteidigern und beigeordneten Verteidigern. Dennoch darf nicht unterschätzt werden, dass die tatsächliche Situation eines beigeordneten Verteidigers ganz erheblich von der eines Wahlverteidigers abweicht. Letzterer wird vom Beschuldigten – regelmäßig aufgrund besonderen Vertrauens in seine Person und seine professionelle Kompetenz – ausgewählt, während eine solche Wahlmöglichkeit im Hinblick auf den beigeordneten Verteidiger grundsätzlich nicht besteht. Zwar bemüht sich die Gerichtsverwaltung an den beiden ad hoc-Strafgerichtshöfen, bei der Auswahl des beizuordnenden Verteidigers auf Wünsche des Beschuldigten Rücksicht zu nehmen. Ein Wahlrecht besteht jedoch nicht. Schon deswegen ist es für den beigeordneten Verteidiger ungleich schwerer, eine „vertrauensvolle“ Mandatsbeziehung aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Dabei mag mitunter erschwerend hinzukommen, dass dem beigeordneten Verteidiger schon deshalb Misstrauen entgegengebracht wird, weil er als Teil eines insgesamt als feindlich angesehen Gesamtapparates „Strafgerichtshof“ wahrgenommen wird. Zwar nimmt die mit der Zulassung und Beiordnung von Verteidigern betraute Gerichtsverwaltung regelmäßig nicht in Anspruch, auf die Ausgestaltung der Verteidigungstätigkeit im konkreten Fall einzuwirken, doch verfügt sie mit der Verwaltung der Haushaltsmittel für die Bezahlung der beigeordneten Verteidi___________ 5

Art. 21 (4) (d) JStGH-Statut; Art. 20 (4) (2) RStGH-Statut. Für den JStGH Code of Professional Conduct for Defence Counsel appearing before the ICTY (IT/126/Rev.1) v. 12.7.2002; für den RStGH Code of Professional Conduct for Defence Counsel v. 8.6.1998. 6

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ger über ein zwar subtiles, im Ergebnis aber höchst wirksames Instrument der Steuerung und Einflussnahme. Ist somit schon das alltägliche Verhältnis des beigeordneten Verteidigers zu seinem Mandanten durchaus nicht unproblematisch, so gerät es in den nachfolgend dargestellten Problemkonstellationen vollends in die Krise.

C. Ablehnung des konkreten Verteidigers Die erste Situation, die es näher zu beleuchten gilt, ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger beigeordnet wird, den der Beschuldigte ablehnt, obgleich er grundsätzlich anwaltlichen Beistand in Anspruch nehmen möchte. Zu einer solchen Situation kann es kommen, wenn dem Wunsch des Beschuldigten nach Beiordnung eines bestimmten Verteidigers nicht gefolgt wird und ihm statt des gewünschten ein anderer Verteidiger beigeordnet wird. Denkbar ist aber auch, dass sich das Verhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger während des Verfahrens so verschlechtert, dass der Beschuldigte dessen Ablösung als notwendig erachtet. Heikel sind derartige Situationen vor den ad hoc-Gerichtshöfen vor allem deshalb, weil dort ein Recht auf freie Wahl eines beigeordneten Verteidigers nicht anerkannt ist und weil die Gerichtsverwaltung die Ablösung eines einmal beigeordneten Verteidigers wegen der damit verbundenen Mehrkosten und einer möglichen Verzögerung des Verfahrens grundsätzlich zu vermeiden trachtet. Vor diesem Hintergrund versuchen Beschuldigte mitunter die Beiordnung eines von ihnen gewünschten Verteidigers bzw. die Ablösung eines nicht genehmen Verteidigers zu erzwingen, indem sie den beigeordneten Verteidiger anweisen, sich jeglicher Verteidigungstätigkeit zu enthalten, oder gar jegliche Kommunikation mit dem Verteidiger verweigern. Ungeachtet der Frage, ob die Ablehnung des Verteidigers durch den Beschuldigten berechtigt ist oder nicht, bringt die mit der Verweigerung jeglicher Kommunikation verbundene Eskalation den betroffenen Verteidiger regelmäßig in eine geradezu ausweglose Lage im Hinblick auf die von ihm wahrzunehmenden Pflichten. Zwar ist der beigeordnete Verteidiger in seinem professionellen Urteil frei7 und insbesondere nicht verpflichtet, Weisungen seines Mandanten ___________ 7

Vgl. ICTR, Pros. v. Nyiramasuhuko et al. (ICTR-97-21-T), Decision on Ntahobali’s motion for withdrawal of counsel v. 22.6.2001, Nr. 22: “Therefore, the Chamber wishes to take this opportunity to clarify for the future the nature of the Counsel-Accused relationship and recalls that in the exercise of his professional judgement, Counsel is independent of the Accused, even if Counsel is expected to maintain a proper Counsel-

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zu befolgen, die auf ein nicht verfahrenskonformes oder gar verbotenes Verhalten gerichtet sind. Andererseits ist auch der beigeordnete Verteidiger gehalten, die Interessen seines Mandanten zu vertreten, und insoweit auf die Artikulation dieser Interessen durch den Mandanten angewiesen. Neben diesem Pflichtendilemma muss weiter berücksichtigt werden, dass es aufgrund der Verfahrensstruktur vor den beiden ad hoc-Strafgerichtshöfen kaum möglich sein dürfte, ohne Kommunikation mit dem Beschuldigten eine effektive Verteidigung vorzubereiten oder in der Hauptverhandlung zu führen. Als Beispiel8 sei auf das Verfahren gegen Blagojeviü et al. vor dem Jugoslawien-Strafgerichtshof verwiesen. Der im August 2001 festgenommene Oberst in der Armee der „Serbischen Republik“ Vidoje Blagojeviü war mit der Beiordnung eines von dem „führenden“ beigeordneten Verteidiger (lead counsel) vor Beginn der Hauptverhandlung ausgewählten zweiten Verteidigers (co-counsel) nicht einverstanden, da er die Bestellung eines anderen Verteidigers wünschte. Aufgrund dieses Dissenses im Hinblick auf die Person des zweiten Verteidigers verschlechterte sich das bis zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich gute Verhältnis zwischen „führendem“ Verteidiger und Beschuldigtem, der schließlich erklärte, er habe kein Vertrauen mehr zu seinem Verteidiger und werde für den Fall, dass der zweite Verteidiger nicht durch die von ihm gewünschte Person ersetzt werde, die Entpflichtung auch seines „führenden“ Verteidigers beantragen. Der Kanzler des Gerichtshofs, der der Gerichtsverwaltung vorsteht und in dessen Aufgabenbereich die Beiordnung von Verteidigern fällt, lehnte diesen Antrag jedoch ab. Dennoch erklärte Blagojeviü zu Beginn der Hauptverhandlung im Mai 2003 vor Gericht, er sei ohne anwaltlichen Beistand, da er zu den beiden anwesenden beigeordneten Verteidigern kein Vertrauen und diese von ihrer Tätigkeit entbunden habe. Nachdem ein weiterer Antrag des Beschuldigten auf Ersetzung der beigeordneten Verteidiger zurückgewiesen und diese Zurückweisung von der Beschwerdekammer im September 2003 auch bestätigt wurde,9 wurde die Hauptverhandlung mit den beiden zunächst beigeordneten Verteidigern fortgesetzt. Allerdings ___________ Client relationship. The Trial Chamber has to be assured that a Counsel properly conducts an accused’s defence and protects the latter’s lawful interest during trial, but also has to verify that the accused does not abuse this right.” 8 Vgl. auch ICTY, Pros. v. Delalic et al. (IT-96-21-T), Decision on request by Accused Mucic for assignment of new counsel v. 24.6.1996; ICTR, Pros. v. Bagosora (ICTR-96-7-T), Decision on the request by the Accused for Change of Assigned Counsel v. 26.6.1997; ICTR, Pros. v. Nyiramasuhuko et al. (ICTR-97-21-T), Decision on Ntahobali’s motion for withdrawal of counsel v. 22.6.2001. 9 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-AR73.4), Public and Redacted Reasons for Decision on Appeal by Vidoje Blagojeviü to replace his Defence team v. 7.11.2003.

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verweigerte der Beschuldigte weiterhin jegliche Kommunikation mit seinen Verteidigern und lehnte auch die Empfangnahme von ihm von seinen Verteidigern übersandten Schriftstücken oder deren Besuche in der Untersuchungshaftanstalt ab. Gleichzeitig machte der Beschuldigte aber auch deutlich, dass er nicht von dem Recht Gebrauch machen wolle, sich selbst zu verteidigen. Nach dem Beginn der Hauptverhandlung erklärte der Beschuldigte, er wolle als Zeuge in eigener Sache eine Aussage machen, doch wisse er angesichts des Umstandes, dass er keinen Verteidiger habe, nicht, wie dies geschehen könne. Nachdem er den Wunsch, eine Aussage zu machen, mehrfach wiederholt hatte, wies ihn die Strafkammer im Juni 2004 darauf hin, dass er – sofern er nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wolle – die Möglichkeit habe, entweder eine uneidliche Erklärung (unsworn statement) abzugeben oder als Zeuge in eigener Sache auszusagen. Die Kammer erläuterte, dass im Fall einer uneidlichen Erklärung kein Kreuzverhör durch die Staatsanwaltschaft und auch keine weitere Befragung durch das Gericht erfolgen würden, was allerdings auch dazu führe, dass einer entsprechenden Erklärung lediglich ein geringerer Beweiswert (somewhat less weight) als einer Zeugenaussage zukomme. Eine Aussage als Zeuge in eigener Sache setze demgegenüber voraus, dass der Beschuldigte zur Einführung seines Wissens in das Verfahren zunächst die Fragen seines beigeordneten Verteidigers beantworte (examination-in-chief). Der Beschuldigte erklärte daraufhin, dass eine uneidliche Erklärung ohne Befragung durch die Verfahrensbeteiligten wegen ihres geminderten Beweiswertes nicht in Betracht komme und dass er als Zeuge in eigener Sache aussagen wolle; Fragen des ihm beigeordneten Verteidigers wolle er jedoch nicht beantworten. Die Kammer wies dieses Ersuchen des Angeklagten zurück, da er nicht bereit war, auf Fragen seines Verteidigers zu antworten. Sie interpretierte die Weigerung des Angeklagten als Verzicht (waiver) auf sein Recht, als Zeuge in eigener Sache auszusagen, und versagte es ihm daher, zeugenschaftlich Angaben zu machen.10 Vidoje Blagojeviü wurde im Januar 2005 wegen Teilnahme am Völkermord (complicity to commit genocide) und weiterer Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt.11 Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Beschuldigte legten gegen diese Entscheidung Beschwerde (appeal) ein. Im Mai 2007 wies die Beschwerdekammer in einer Mehrheitsentscheidung sowohl den Einwand des Angeklagten zurück, dass ihm das Recht auf kompetente Verteidigung

___________ 10 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-T), Decision on Vidoje Blagojeviü’s Oral Request v. 30.7.2004. 11 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-T), Urt. v. 17.1.2005.

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verweigert worden sei,12 als auch seine Behauptung, die Verfahrenskammer habe ihn daran gehindert, als Zeuge in eigener Sache auszusagen. Dass Blagojeviü nicht habe aussagen können, sei allein auf seine einseitige und ungerechtfertigte Weigerung zurückzuführen, mit seinem bestellten Verteidiger zusammenzuarbeiten.13 Trotz dieser vordergründig klaren Aussage ist eine Patentlösung für schwerwiegende Konflikte zwischen Verteidiger und Mandant weit und breit nicht in Sicht. Klar scheint nur zu sein, dass es allein die Weigerung des Beschuldigten, mit dem ihm beigeordneten Verteidiger zu kommunizieren, nicht rechtfertigt, die Beiordnung zu widerrufen und einen neuen Verteidiger beizuordnen. Anderenfalls hätte der Beschuldigte es tatsächlich in der Hand, durch immer neue „Ablehnungen“ der ihm beigeordneten Verteidiger das Verfahren letztlich vollständig zum Erliegen zu bringen. Andererseits scheint es aber – gerade im Hinblick auf die Natur des Verfahrens vor den ad hoc-Gerichtshöfen und der mit ihr verbundenen besonderen Rolle des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers im Verfahren – auch auf der Hand zu liegen, dass ein beigeordneter Verteidiger das ihm übertragene Mandant jedenfalls dann nicht weiterführen sollte, wenn mit einer „Normalisierung“ des Verhältnisses zum Beschuldigten vernünftigerweise nicht mehr gerechnet werden kann. In einem solchen Fall ist eine effektive und die Interessen des Beschuldigten wahrende Verteidigung nicht mehr möglich. Ich gehe daher – entgegen der Auffassung der Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung vom 7. 11.2003 im Verfahren gegen Blagojeviü et al.14 – davon aus, dass ein beigeordneter Verteidiger in einer solchen „ausweglosen“ Situation standesrechtlich verpflichtet ist, seine Entpflichtung herbeizuführen.15 Um Missbrauchsfälle dennoch auszuschließen, könnte in Fällen, in denen die Ablehnung eines beigeordneten Verteidigers oder der Ab___________ 12

ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-A) Urt. v. 9.5.2007, Nr. 23 ff. Siehe aber das abweichende Votum des Richters Shahabuddeen, aaO, Nr. 1: “I consider that Mr. Blagojeviü was unlawfully prevented from telling his story, that this meant that he did not have a fair trial and that, in all the circumstances, his case should be remanded for retrial”. 13 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-A) Urt. v. 9.5.2007, Nr. 28. 14 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-AR73.4), Public and Redacted Reasons for Decision on Appeal by Vidoje Blagojeviü to replace his Defence team v. 7.11.2003, Nr. 52 ff.: “Once Counsel undertakes to represent an accused at the Tribunal, that Counsel has a professional obligation to fulfil the task undertaken unless there are sufficient grounds for him to request that he be withdrawn. … In circumstances such as this, where an appellant unjustifiably resists legal representation from assigned Counsel, Counsel’s professional obligations to continue to represent the accused remain.” 15 Vgl. auch Temminck Tuinstra, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 47 (61).

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bruch der Kommunikation mit dem Verteidiger allein auf sachwidrigen Gründen zu beruhen scheinen, daran zu denken sein, einen „unabhängigen“ Sachwalter zu bestellen, der ohne Bindung an konkrete Anweisungen des Beschuldigten als Wahrer eines eher objektiv verstandenen Beschuldigteninteresses tätig würde. In jedem Fall müssen Anstrengungen unternommen werden, weitere Handlungsanleitungen für die Praxis zu entwickeln. Denn es kann kaum befriedigen, dass die Gerichtsverwaltung der internationalen Strafgerichtshöfe in manchen Fällen die Entpflichtung des beigeordneten Verteidigers kategorisch ablehnt, während sie in anderen Fällen – in denen ein Missbrauch des Abbruchs der Kommunikation mit dem Verteidiger kaum zu übersehen ist – sogar den fünften Verteidiger entpflichtet und einen sechsten vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger beiordnet.16

D. Der Beschuldigte bevorzugt, sich selbst zu verteidigen Während die soeben geschilderte Problemsituation sich dadurch auszeichnet, dass dem Beschuldigten ein bestimmter Verteidiger „aufgedrängt“ wird, den der Beschuldigte ablehnt, ist das Charakteristikum der nunmehr zu erörternden Problemsituation, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger beigeordnet wird, obgleich der Beschuldigte sich selbst zu verteidigen wünscht. Dabei können Überschneidungen der beiden Fallgruppen entstehen, wenn der Wunsch des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, daraus resultiert, dass er den ihm beigeordneten Verteidiger ablehnt.17 Das Recht des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, ist in Art. 21 (4)(d) JStGH-Statut und in Art. 20 (4)(2) RStGH-Statut ausdrücklich normiert.18 Gleichwohl geht die Rechtsprechung davon aus, dass das Recht des ___________ 16 Vgl. ICTY, Pros. v. Haliloviü (IT-01-48-T), Urt. v. 16.11.2005, Annex 2: Procedural History, Nr. 4 ff. 17 Vgl. ICTY, Pros. v. Jankoviü et al. (IT-96-23/2-PT), Decision following Registrar’s Notification of Radovan Stankoviü’s request for self-representation v. 19.8.2005. 18 Nach der Rechtsprechung gilt dieses Recht auch vor der Beschwerdekammer. Vgl. ICTY, Pros. v. Krajišnik (IT-00-39-A), Decision on Momþilo Krajišnik’s request to selfrepresent, on Counsel’s motion in relation to appointment of amicus curiae, and on the Prosecution motion of 16 February 2007 v. 11.5.2007; siehe aber auch die Fundamentally Dissenting Opinion of Judge Schomburg, aaO, Nr. 2: “[…] the Appeals Chamber’s jurisprudence is based on a false dichotomy which assumes that the right to defend oneself negates the right to be assisted by counsel. This fundamental misunderstanding

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Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, Einschränkungen unterliege. Eine Beschränkung sei etwa dann geboten, wenn der Angeklagte das Recht zur Verteidigung zu verfahrensfremden Zwecke missbrauche oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, seine Verteidigung angemessen zu führen. Im Folgenden soll die Entwicklung dieser beiden Beschränkungen in der Rechtsprechung nachgezeichnet werden. Der Beschuldigte Vojislav Šešelj stellte sich dem JugoslawienStrafgerichtshof am 24. Februar 2003 und erklärte nur einen Tag später in einem Schreiben an den Kanzler des Gerichtshofs, dass er sich selbst verteidigen werde. Gleichwohl beantragte die Staatsanwaltschaft bereits am 28. Februar 2003 eine Anordnung der Kammer, dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, da dieser beabsichtige, das Verfahren als Forum politischer und nationalistischer Bekundungen zu missbrauchen. Der Antrag der Staatsanwaltschaft hatte weitestgehend Erfolg. Das Gericht ordnete am 9. Mai 2003 die Bestellung eines „Sicherungsverteidigers“ (standby counsel) an und beschrieb die Aufgaben dieses „Sicherungsverteidigers“ wie folgt: Unterstützung des Angeklagten bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung, soweit der Angeklagte dies wünsche; Unterstützung des Angeklagten bei der Präsentation seines Falles in der Hauptverhandlung, soweit der Angeklagte dies wünsche; Kenntnisnahme des gesamten das Verfahren betreffenden Schriftverkehrs mit dem Angeklagten; Anwesenheit während des Verfahrens; aktive Vorbereitung der Hauptverhandlung und Teilnahme am Verfahren, so dass der „Sicherungsverteidiger“ jederzeit in der Lage ist, die Verteidigung eigenverantwortlich fortzuführen („in order always to be prepared to take over from the Accused at trial“); Abgabe von Stellungnahmen vor Gericht, soweit der Angeklagte oder die Kammer dies wünscht; Anbieten von Rat und Vorschlägen an den Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf Beweis- und Verfahrensfragen; Befragung von Zeugen auf Anweisung der Kammer, soweit der Beschuldigte sein Fragerecht missbrauche; Übernahme der Verteidigung, sofern der Angeklagte das Verfahren behindere oder wegen Störung des Verfahrens19 von der Sitzung ausgeschlossen werden müsse.20

___________ that both rights are mutually exclusive adversely affects the fairness of the proceedings. There is no fair procedure before international tribunals without public legal assistance”. 19 Hierzu auch ICTY, Pros. v. Jankoviü et al. (IT-96-23/2-PT), Decision following Registrar’s Notification of Radovan Stankoviü’s request for self-representation v. 19.8.2005, Nr. 22 ff. 20 ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-PT), Decision on Prosecution’s motion for order appointing counsel to assist Vojislav Šešelj with his Defence v. 9.5.2003, Nr. 30.

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Der aufgrund dieser Entscheidung am 5. September 2003 bestellte Sicherungsverteidiger dürfte allerdings nur wenig Freude an seiner Tätigkeit gehabt haben, denn der Beschuldigte beeilte sich, ihm in einer öffentlichen Verhandlung allerlei Ehrenrühriges bis hin zur Verstrickung in kriminelle Machenschaften vorzuwerfen,21 worauf dem „Sicherungsverteidiger“ wegen des damit hervorgerufenen Interessenkonfliktes kaum etwas anderes übrig blieb, als seine Ersetzung zu beantragen. In Folge der andauernden Störungen des Verfahrens (obstructionist and disruptive behaviour) durch den Beschuldigten beschränkte das Gericht das Recht Šešeljs, sich selbst zu verteidigen, noch weitergehend und ordnete durch Beschluß vom 21.8.2006 die Beiordnung eines Verteidigers an.22 Die Beschwerdekammer fand diesen Schritt jedoch übereilt, da der Beschuldigte über die mögliche Folge eines vollständigen Verlusts des Rechts, sich selbst zu verteidigen, nicht hinreichend belehrt gewesen sei, und hob die Entscheidung der Kammer auf.23 Die danach folgende beispiellose Eskalation der Ereignisse wurde durch die erneute Entscheidung der Kammer ausgelöst, dem Angeklagten einen „Sicherungsverteidiger“ zu bestellen.24 In der Folge dieser Entscheidung trat der Beschuldigte in einen Hungerstreik, so dass am 27.11.2007 erneut ein „Sicherungsverteidiger“ bestellt wurde. Ganz offensichtlich unter dem Druck der sich aufgrund des Hungerstreiks rapide verschlechternden gesundheitlichen Situation des Beschuldigten hob die Beschwerdekammer am 8.12.2007 die Anordnung der Bestellung eines „Sicherungsverteidigers“ auf und stellte das Recht des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, vollständig wieder her.25 Mag man das Bemühen der Beschwerdekammer um eine „Deeskalation“ der Situation auch begrüßen, so verstört doch der Umstand, dass die Beschwerdekammer in ihren Entscheidungsbegründung allen Ernstes so tut, als sei das von ihr gefundene Ergebnis tatsächlich das Resultat regelgeleiteter Rechtsanwendung.26

___________ 21 Vgl. ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-PT), Transcript (Status Conference on 29.10.2003), S. 119 ff. 22 ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-PT), Decision on Assignment of Counsel v. 21.8.2006. 23 ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-AR73.3), Decision on Appeal against the Trial Chamber’s decision on Assignment of Counsel v. 20.10.2006. 24 ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-PT), Order concerning Appointment of Standby Counsel and delayed Commencement of trial v. 25.10.2006. 25 ICTY, Pros. v. Šešelj (IT-03-67-AR73.4), Decision on Appeal against the Trial Chamber’s decision (No. 2) on Assignment of Counsel v. 8.12.2006. 26 Ebenso Sluiter, Journal of International Criminal Justice 5 (2007), 529, 534.

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Während die im Verfahren Šešelj zur Entscheidung berufene Kammer am 9. Mai 2003 die Bestellung eines „Sicherungsverteidigers“ anordnete, hatte die im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der Republik Serbien und späteren Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien, Slobodan Miloševiü, tätige Kammer noch am 18. Dezember 2002 eine solche Maßnahme abgelehnt.27 Der Beschuldigte Miloševiü hatte im Juli 2001 erklärt, er werde sich selbst verteidigen und wünsche keine Vertretung durch einen Verteidiger. Diese Entscheidung zog die Kammer nicht in Zweifel und regte gleichwohl Ende August 2001 die Bestellung von amici curiae – Freunden des Gerichts – an, die zwar nicht den Beschuldigten vertreten, aber das Gericht dabei unterstützen sollten, die Interessen des Beschuldigten zu wahren und ein faires Verfahren zu gewährleisten.28 Einen darüber hinausgehenden Vorschlag der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen, wies die Kammer unter Hinweis auf das Statut des Gerichtshofs zurück. Nach dem Beginn der Hauptverhandlung im Februar 2002 gewährte das Gericht dem Beschuldigten zudem die Möglichkeit vertraulicher Kommunikation mit zwei Anwälten, die ihn im weiteren Verfahren beraten würden (legal associates). Im November 2002 beantragte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf den Gesundheitszustand des Angeklagten erneut die Beiordnung eines Verteidigers, doch wurde dieser Antrag mit der schon genannten Entscheidung vom 18. Dezember 2002 zurückgewiesen. Die Kammer unter dem Vorsitz des inzwischen verstorbenen Richters Richard May verwies zur Begründung ihrer Entscheidung neben dem eindeutigen Wortlaut des Statuts auch auf die Natur des Verfahrens vor dem Gerichtshof, denn in einem adversarischen Verfahren führe die zwangsweise Bestellung eines Verteidigers dazu, dass es dem Beschuldigten unmöglich werde, selbst eine Verteidigung vorzubringen.29 Eine Änderung der Situation im Verfahren gegen Miloševiü zeichnete sich aber im Sommer des Jahres 2004 ab, nachdem die Staatsanwaltschaft im Februar die Präsentation ihres Falles abgeschlossen hatte und nunmehr der Be___________ 27

ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54), Reasons for Decision on the Prosecution motion concerning assignment of Counsel v. 4.4.2003. 28 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-99-37-PT), Transcript (Status Conference on 30.8.2001), S. 6. 29 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54), Reasons for Decision on the Prosecution motion concerning assignment of Counsel v. 4.4.2003, Nr. 24: “In the adversarial system, it is the responsibility of the parties to put forward the case and not for the court, whose function it is to judge. Therefore, in an adversarial system, the imposition of defence counsel on an unwilling accused would effectively deprive that accused of the possibility of putting forward a defence. In this connection, Article 21 (4)(d) of the Statute may be said to be reflective of the common law position”.

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schuldigte beginnen sollte, seine Beweise vorzulegen. Da die Kammer aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Beschuldigten, an dessen Verhandlungsfähigkeit indes nicht gezweifelt werden durfte, weitere erhebliche Verfahrensverzögerungen befürchtete, erwog sie bereits im Juli 2002 die Beiordnung eines Verteidigers und bat den Kanzler um Nennung geeigneter Anwälte.30 Am 2. September 2004 ordnete die Kammer unter dem Vorsitz des Richters Patrick Robinson, der dem verstorbenen Richter May im Vorsitz nachgefolgt war, die Bestellung von Verteidigern durch das Gericht an und berief sich dabei darauf, dass die Verpflichtung zur Gewährleistung eines fairen und zügigen Verfahrens angesichts des schlechten Gesundheitszustands des Beschuldigten eine Beschränkung des Rechts, sich selbst zu verteidigen, rechtfertige.31 Bereits einen Tag später, am 3. September 2004, erließ die Kammer einen weiteren Beschluss, in dem sie die Aufgaben der bestellten Verteidiger konkretisierte.32 Gleichwohl wurde dem Beschuldigten mit dieser Entscheidung erlaubt, weiterhin aktiv am Verfahren teilzunehmen, soweit die Kammer dies gestatte. Ebenfalls am 3. September 2004 bestellte der Stellvertretende Kanzler des Gerichtshofs zwei der bis dahin als amici curiae tätigen Anwälte zu Verteidigern.33 Eine Beschwerde der vom Gericht bestellten Verteidiger gegen die Entscheidung der Kammer vom 2. September 2004 blieb im Ergebnis ohne Erfolg.34 Die Beschwerdekammer erklärte, die Verfahrenskammer habe zutreffend angenommen, dass Beschränkungen des Rechts, sich selbst zu verteidigen, nicht nur dann in Betracht kommen, wenn der Beschuldigte dieses Recht bewusst missbraucht.35 Gleichwohl hob die Beschwerdekammer den Beschluss auf, mit dem ___________ 30 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Order on Future Conduct of the Trial v. 6.7.2004; vgl. auch Further Order on Future Conduct of the Trial v. 19.7.2004 und Further Order on Future Conduct of the Trial Concerning Assignment of Defence Counsel v. 6.8.2004. 31 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Reasons for Decision on Assignment of Defence Counsel v. 22.9.2004. Hierzu auch Sluiter, Journal of International Criminal Justice 3 (2005), 9; Scharf, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 31. 32 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Order on the Modalities to be Followed by Court Assigned Counsel v. 3.9.2004. 33 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Decision by the Deputy Registrar assigning Mr. Steven Kay, QC, as lead counsel and Ms. Gillian Higgins as co-counsel for the Accused v. 3.9.2004. 34 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-AR73.7), Decision on Interlocutory Appeal of the Trial Chamber’s Decision on the Assignment of Defence Counsel v. 1.11.2004. 35 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-AR73.7), Decision on Interlocutory Appeal of the Trial Chamber’s Decision on the Assignment of Defence Counsel v. 1.11.2004, Nr. 14.

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die Kammer die Rolle und die Aufgaben der vom Gericht bestellten Verteidiger konkretisierte, da dieser Beschluss das Recht des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, in unverhältnismäßiger Weise beschränkt habe, und wies die Kammer an, die Aufgaben der vom Gericht bestellten Verteidiger neu zu bestimmen. Im Wesentlichen solle es dem Beschuldigten zukommen, seine Verteidigung zu festzulegen und aktiv umzusetzen. Dagegen sollten die vom Gericht bestellten Verteidiger – ähnlich dem im Verfahren gegen Šešelj beigeordneten „Sicherungsverteidiger“ – grundsätzlich erst eingreifen, wenn der Beschuldigte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Führung der Verteidigung imstande sei. Nachdem sich zahlreiche Zeugen der Verteidigung weigerten, mit den vom Gericht bestellten Verteidigern zusammenzutreffen, beantragten diese bereits am 26. Oktober 2004 – und damit noch vor der Entscheidung der Beschwerdekammer – bei der Gerichtsverwaltung ihre Entpflichtung. Der Stellvertretende Kanzler entschied nicht über diesen Antrag, sondern verwies ihn zur Entscheidung an die Kammer, die den Kanzler nach der Bejahung ihrer Zuständigkeit anwies, den Antrag zurückzuweisen.36 In der Begründung ihrer Entscheidung nahm die Kammer Bezug auf die Entscheidung der Beschwerdekammer im Verfahren gegen Blagojeviü et al., nach der ein beigeordneter Verteidiger das Mandat auch dann fortzuführen habe, wenn der Beschuldigte eine Vertretung durch den beigeordneten Vertreter ohne Rechtfertigung ablehnt.37 Im Hinblick auf eine mögliche Kollision dieses Standpunktes mit standesrechtlichen Verpflichtungen des Verteidigers führte die Kammer aus, dass die Beiordnung eines Verteidigers gegen den Willen des Beschuldigten ein sich entwickelndes Gebiet sowohl im Bereich des nationalen als auch des internationalen Strafrechts sei („developing area of the law both in national and international jurisdictions“)38 und dass deshalb auch standesrechtliche Verpflichtungen im Lichte dieser Entwicklung auszulegen seien. Dies ist eine ziemlich gewagte These, die weder das grundlegende Pflichtendilemma der betroffenen Anwälte ___________ 36

ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Decision on Assigned Counsel’s motion for withdrawal v. 7.12.2004. Der Stellvertretende Kanzler lehnte daraufhin am 14. Dezember 2004 den Antrag der vom Gericht bestellten Verteidiger auf Entbindung ab, und der Präsident bestätigte diese Entscheidung am 7. Februar 2005; ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Decision affirming the Registrar’s Denial of Assigned Counsel’s Application to withdraw v. 7.2.2005. 37 ICTY, Pros. v. Blagojeviü et al. (IT-02-60-AR73.4), Public and Redacted Reasons for Decision on Appeal by Vidoje Blagojeviü to replace his Defence team v. 7.11.2003, Nr. 54. 38 ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Decision on Assigned Counsel’s motion for withdrawal v. 7.12.2004, Nr. 22.

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zu mindern noch die praktischen Schwierigkeiten, eine effektive Verteidigung zu gewährleisten, zu beseitigen geeignet ist. Zu den praktischen Schwierigkeiten, denen sich ein „aufgedrängter“ Verteidiger gegenübergestellt sieht,39 sei beispielhaft auf eine Situation im weiteren Gang des Verfahrens hingewiesen, die eindrucksvoll die marginale Rolle der vom Gericht bestellten Verteidiger aufzeigt. Als der Angeklagte Miloševiü am 19. April 2005 aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme an der Hauptverhandlung verhindert war und diese ohne ihn fortgesetzt werden sollte, weigerte sich der für diesen Verhandlungstag vorgesehene Zeuge der Verteidigung Kosta Bulatoviü, in Abwesenheit des Beschuldigten weitere Angaben zu machen. Nach der Belehrung des Zeugen durch die Kammer, dass eine derartige Weigerung unberechtigt sei und daher eine Missachtung des Gerichts (contempt of court) darstelle, wurde die Verhandlung unterbrochen, um dem Zeugen Gelegenheit zu geben, seine Auffassung zu überdenken. Als der Zeuge jedoch auch am Folgetag Angaben in Abwesenheit des Beschuldigten verweigerte, leitete die Kammer ein Verfahren gegen den Zeugen wegen Missachtung des Gerichts ein, aufgrund dessen Bulatoviü zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung aufgrund des Gesundheitszustandes des Zeugen allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde.40 Noch weitergehend beschränkt wurde das Recht, sich selbst zu verteidigen, im Verfahren gegen Sam Hinga Norman et al. vor dem Strafgerichtshof für Sierra Leone. Zwar gewährleistet auch das Statut dieses Strafgerichtshofs das Recht, sich selbst zu verteidigen,41 doch nahm die Kammer bei ihrer Entscheidung vom 8. Juni 200442 zahlreiche Umstände an, die gegen eine Gewährung dieses Rechts sprächen. Hierzu gehörten sowohl die Tatsache, dass die Hauptverhandlung nicht allein gegen den Beschuldigten Hinga Norman, sondern auch gegen zwei weitere Mitbeschuldigte geführt werde, als auch der Umstand, dass der Beschuldigte erst zu Beginn der Hauptverhandlung43 mitgeteilt habe, dass er ___________ 39 Vgl. auch ICTY, Pros. v. Miloševiü (IT-02-54-T), Decision affirming the Registrar’s Denial of Assigned Counsel’s Application to withdraw v. 7.2.2005, Nr. 8. 40 ICTY, Pros. v. Miloševiü (Contempt Proceedings against Kosta Bulatovic) (IT-0254-R77.4), Decision on Contempt of the Tribunal v. 13.5.2005. 41 Art. 17 (4)(d) SLStGH-Statut. 42 Pros. v. Sam Hinga Norman (SCSL-04-14-T), Decision on the Application of Samuel Hinga Norman for Self Representation under Article 17(4)(d) of the Statute of the Special Court v. 8.6.2004. Hierzu Jørgensen, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 64. 43 Zur Verzögerung des Verfahrens als Begründung einer Beschränkung des Rechts des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, vgl. auch ICTY, Pros. v. Krajišnik (IT-00-

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sich selbst verteidigen werde. Recht einleuchten will die Begründung der Entscheidung gleichwohl nicht. Ungeachtet der Frage aber, ob und inwieweit einzelne Entscheidungen zu überzeugen vermögen, sind auch in dieser zweiten Problemgruppe einfache Lösungen nicht in Sicht.44 Zwar spricht einiges dafür, das Recht des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, zu beschränken, wenn der Beschuldigte dieses Recht zu verfahrensfremden Zwecken missbraucht. Gleichwohl ist fraglich, ob eine derartige Beschränkung auch in weiteren Fällen, wie etwa im Fall gesundheitlicher Probleme des Angeschuldigten bei der Führung der Verteidigung, gerechtfertigt ist. Insoweit sind jedenfalls Zweifel angebracht.45 Und ungeachtet der Schwierigkeiten bei der Bestimmung derjenigen Fälle, in denen eine Beschränkung des Rechts, sich selbst zu verteidigen, gerechtfertigt ist, sind die Rolle und die Pflichten eines in einer derartigen Situation bestellten „Sicherungsverteidigers“ keineswegs abschließend bestimmt.46

E. Keine Verteidigungsabsicht des Beschuldigten Die dritte vorzustellende Problemsituation zeichnet sich dadurch aus, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger „aufgedrängt“ wird, obgleich der Beschuldigte keine Verteidigung wünscht. Auch insoweit bietet die Praxis der beiden ad hoc-Gerichtshöfe Anschauungsmaterial. Das Verfahren im sog. Medienprozess vor dem Ruanda-Strafgerichtshof begann im Oktober 2000. Einer der drei Beschuldigten, Jean BoscoBarayagwiza, hatte sich entschieden, nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen, und begründete dies mit seiner Überzeugung, dass der Gerichtshof nicht zu einem unabhängigen Verfahren imstande sei. Gleichzeitig wies Barayagwiza auch die beiden ihm beigeordneten Verteidiger an, nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dementsprechend ersuchten die beiden Verteidiger um die Genehmigung der Kammer, sich aus der Hauptverhandlung entfernen zu dürfen. Das Gericht gab diesem Ersuchen nicht statt, woraufhin die beiden beigeordneten Verteidiger ihre Entpflichtung beantragten, da sie standesrechtlich verpflichtet seien, der Anweisung des Beschuldigten nachzukommen. Die ___________ 39-T), Reasons for oral Decision denying Mr. Krajišnik’s request to proceed unrepresented by Counsel v. 18.8.2005, Nr. 31 ff. 44 So auch Bohlander, Criminal Law Forum 16 (2005), 159, 173. 45 Vgl. auch Ntanda Nsereko, Criminal Law Forum 12 (2001), 487 (507). 46 Vgl. Damaška, Journal of International Criminal Justice 3 (2005), 3 (8).

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Kammer lehnte die Entpflichtung ab und verwies darauf, dass ein beigeordneter Verteidiger nicht allein gegenüber seinem Klienten verpflichtet sei, sondern im Interesse des Gerichts ein faires Verfahren sicherzustellen habe.47 Die Anweisung des Beschuldigten an die beigeordneten Verteidiger, nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sei Ausdruck eines Versuchs des Beschuldigten, das Verfahren zu stören oder gar zu verhindern; daher seien die beigeordneten Verteidiger nicht an diese Anweisung gebunden.48 Während die Kammermehrheit also die beigeordneten Verteidiger zu weiterer Tätigkeit verpflichtete, schlug Richter Asoka de Zoysa Gunawardana in einem Sondervotum eine abweichende Lösung vor und verwies auf die Möglichkeit der Bestellung eines „Sicherungsverteidigers“ (standby counsel).49 Diesen Gedanken hat – wie dargelegt – die Verfahrenskammer des JStGH im Verfahren gegen Šešelj wieder aufgenommen und in einem Fall zur Anwendung gebracht, in dem der Beschuldigte erklärte, sich selbst verteidigen zu wollen.

F. Fazit und Ausblick Die dargestellten Problemkonstellationen haben gezeigt, in welchen Situationen Verteidigung vor den ad hoc-Gerichtshöfen in eine Krise gerät, weil sie dem Beschuldigten „aufgedrängt“ wird. Neben den ethischen Problemen, die mit einer solchen „aufgedrängten“ Verteidigung einhergehen, hat die Darstellung vor allem zu zeigen versucht, mit welchen praktischen Schwierigkeiten sie verbunden ist. Gerade diese praktischen Probleme gilt es im Blick zu behalten, ___________ 47 SCSL, Pros. v. Barayagwiza (ICTR-97-19-T), Decision on Defence Counsel Motion to Withdraw v. 2.11.2000, Nr. 21: “It should be further noted that Counsel is assigned, not appointed. In the view of the Chamber, this does not only entail obligations towards the client, but also implies that he represents the interest of the Tribunal to ensure that the Accused receives a fair trial. The aim is to obtain efficient representation and adversarial proceedings.” Hierzu auch Scharf, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 31 (41). 48 SCSL, Pros. v. Barayagwiza (ICTR-97-19-T), Decision on Defence Counsel Motion to Withdraw v. 2.11.2000, Nr. 24: “In such a situation, his lawyers cannot simply abide with his »instructions« not to defend him. Such instructions, in the opinion of the Chamber, should rather be seen as an attempt to obstruct judicial proceedings. In such a situation, it cannot reasonably be argued that Counsel is under an obligation to follow them, and that not to do so would constitute grounds for withdrawal.” 49 SCSL, Pros. v. Barayagwiza (ICTR-97-19-T), Decision on Defence Counsel Motion to Withdraw – Concurring and Separate Opinion of Judge Gunawardana v. 2.11.2000: “This solution has been tried and tested in the United States, and has been proved to be an effective and appropriate procedure to assist the proper administration of justice.”

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um dem Eindruck entgegenzutreten, eine „Zwangsverteidigung“ sei einer „normalen“ Verteidigungstätigkeit vergleichbar. Sollte dies nicht gelingen, steht zu befürchten, dass Fälle der „aufgedrängten“ Verteidigung als Alibi eines fairen und die Rechte des Beschuldigten wahrenden Verfahrens missbraucht werden.50 Darüber hinaus müssen die von der Rechtsprechung der ad hoc-Gerichtshöfe entwickelten Lösungen kritisch geprüft und gegebenenfalls modifiziert werden, denn es steht kaum zu erwarten, dass hier neben der weiteren Feinabstimmung und Detailarbeit51 konzeptuell abweichende „große Würfe“ entstehen. Dieser weiteren Abstimmung bedarf es nicht zuletzt auch deswegen, weil das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ebenfalls keine Fälle der notwendigen Verteidigung kennt und es dem Beschuldigten nach Art. 55 (2)(c) und 67 (1)(d) IStGH-Statut auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof freisteht, sich selbst zu verteidigen.

___________ 50

Vgl. Temminck Tuinstra, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 47 (61): “Not granting counsel the right to withdraw when their request originates from their inability to abide by their ethical obligations as lawyers makes them unreasonably dependent on the court. Arguably, it might make them appear to be a tool being used by the court to facilitate the cosmetic appearance of the court rendering ‘fair trials’.” 51 Weiterführend etwa Temminck Tuinstra, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 47.

Strafverteidigung und die Interessen von Opfern und Zeugen

Walter Perron

A. Überblick Der Umgang des Strafverteidigers mit dem Tatopfer oder sonst schutzbedürftigen oder gefährdeten Zeugen gehört seit jeher zu den problematischsten Aufgaben seiner Profession. Von einer neuen Herausforderung zu sprechen ist daher allenfalls deshalb berechtigt, weil Öffentlichkeit, Gesetzgebung und Rechtsprechung inzwischen eine gesteigerte Sensibilität gegenüber den Interessen dieser Personengruppen entwickelt und dadurch den Strafprozess nicht unwesentlich verändert haben.1 Wie auch die Landesberichte zu diesem Projekt zeigen, wurden in jüngerer Zeit vielerorts konkrete Regelungen geschaffen, die den Schutz von Opfern und Zeugen bezwecken und dem Verteidiger seine Arbeit erschweren.2 Im Folgenden kann ich freilich nicht zu all den vielfältigen und vielschichtigen Fragen Stellung nehmen, die mit diesen Regelungen und Regelungsbereichen verbunden sind. Ich werde mich vielmehr nach einem kurzen Überblick auf zwei wichtige Konstellationen beschränken und ihre Bedeutung für die Strafverteidigung sowie mögliche Lösungswege erörtern. 1. Die Interessen von Opfern und Zeugen bilden aus der Sicht des Verteidigers zwei große Kreise, die sich teilweise überschneiden, teilweise aber auch nichts miteinander zu tun haben. Das Opfer ist für den Verteidiger in dreifacher Hinsicht von Bedeutung: Erstens ist es im Verfahren ein Beweismittel. Seine Aussage stellt regelmäßig einen wesentlichen, gelegentlich sogar den einzigen ___________ 1

Näher dazu z.B. Walther StraFo 2005, 452. Vgl. Frase in diesem Band S. 318 (USA); González-Cuéllar in diesem Band S. 230 (Spanien); HofmaĔski/Zabáocki in diesem Band S. 277 (Polen); Orlandi in diesem Band S. 257 (Italien); Tak in diesem Band S. 192 (Niederlande). Zu Deutschland und Österreich Laubenthal Gedächtnisschrift für Zipf (1999), S. 469. 2

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Belastungsbeweis gegen den Beschuldigten dar. Eine zentrale Aufgabe des Verteidigers ist daher, die Qualität dieses Belastungsbeweises, d.h. die Glaubwürdigkeit der Aussage des Opfers, zu prüfen, zu testen und gegebenenfalls zu erschüttern. Zweitens ist das Opfer ein zentraler Strafzumessungsfaktor.3 Wie empirische Untersuchungen gezeigt haben, hängt die Art und Höhe der Sanktion vor allem von drei Faktoren ab:4 Art des Delikts, Höhe des konkreten Schadens und Vorstrafenbelastung des Täters. Entscheidet sich der Verteidiger, den Tatvorwurf in seinem Kern nicht zu bestreiten, sondern nur einen möglichst milden Verfahrensausgang anzustreben, so kann er weder die Art des Delikts noch die Vorstrafen seines Mandanten nachträglich verändern. Die Folgen der Tat für das Opfer kann er durch seine Tätigkeit jedoch zumindest insoweit beeinflussen, als er seinen Mandanten zu einer Schadenswiedergutmachung bewegt und durch Entschuldigungsschreiben, einen Blumenstrauß oder andere Gesten oder Angebote versucht, das Opfer soweit wie möglich zu besänftigen.5 Nicht selten führt eine Erklärung des Opfers, es habe angesichts der Anstrengungen des Beschuldigten um Wiedergutmachung kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung, sogar zu einer vollständigen Einstellung des Strafverfahrens.6 Drittens tritt das Opfer dem Beschuldigten und seinem Verteidiger in vielen Rechtsordnungen als förmlicher Verfahrensbeteiligter, in der Sprache mancher Rechtsordnungen sogar als „Partei“7 gegenüber. Während es sich bei den ersten beiden Bereichen – Belastungszeuge und Strafzumessungsfaktor – um allgemeine Phänomene handelt, mit denen der Verteidiger sich in jeder Verfahrensordnung auseinandersetzen muss, kommt es hier auf die jeweilige Verfahrensstruktur an. Im angelsächsischen jury trial mit seiner adversatorischen Beweispräsentation durch Anklage und Verteidigung ist für eine förmliche Verfahrensbeteiligung des Opfers als Prozesssubjekt kein Platz.8 Seine Interessen können von dem Ankläger oder Richter nur in informeller Weise aufgegriffen werden, indem etwa die Ermessensentscheidung, ob und mit welchen rechtlichen Vorwürfen Anklage erhoben wird, oder die Zusage eines bestimmten Strafmaßes im ___________ 3

Vgl. Walther StraFo 2005, 452. Vgl. näher H.-J. Albrecht Strafzumessung, 1994, S. 479 ff. 5 Vgl. näher Dahs Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. 2005, Rn. 168 ff.; Weihrauch Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 5. Aufl. 1997, Rn. 158. 6 Vgl. Dahs (Fn. 5) Rn. 170; Weihrauch (Fn. 5) Rn. 158. 7 Vgl. für Spanien González-Cuéllar in diesem Band S. 228; für Frankreich Schönknecht, Opportunitätsprinzip, 1997, S. 149 ff. 8 Vgl. etwa Höynck Das Opfer zwischen Parteirechten und Zeugenpflichten, 2005, S. 118 f.; siehe auch Pizzi/Perron 32 Stanford Journal for International Law 37 (1996). 4

Strafverteidigung und die Interessen von Opfern und Zeugen

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plea bargaining von dem Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Opfer abhängig gemacht wird. Im französischen oder spanischen Amtsermittlungsverfahren mit gerichtlicher Voruntersuchung kann das Opfer hingegen die Stellung eines förmlichen Anklägers erlangen, der nicht nur zivilrechtliche Schadensansprüche innerhalb des Strafverfahrens geltend macht, sondern auch gegen den Willen der staatlichen Anklagebehörde die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens erzwingen kann.9 Einen Mittelweg nehmen insoweit Länder wie Deutschland, die Niederlande und, soweit ich das dem Landesbericht entnehmen kann, auch Italien ein, in denen dem Opfer zwar nicht die Stellung eines Anklägers übertragen, es jedoch in anderer Weise offiziell am Verfahren beteiligt wird und dafür auch einen Rechtsanwalt mit der Interessenwahrnehmung beauftragen kann.10 Insbesondere wenn eine konsensuale Verfahrenserledigung im Raum steht, die heute in praktisch allen Ländern in der einen oder anderen Form möglich ist, muss das Opfer förmlich eingebunden werden. Aber auch bei streitigen Entscheidungen kann es etwa in einer deutschen Hauptverhandlung passieren, dass der öffentliche Ankläger einen Teil seiner Vorwürfe fallen lässt, während der Opferanwalt als Vertreter der Nebenklage auf einer vollen Verurteilung besteht und neue Belastungsbeweise heranschafft, die den Verteidiger plötzlich in große Schwierigkeiten bringen. Bei allen Formen der Beteiligung des Opfers geht es daher auch um eine Gewährleistung von prozessualer Ausgewogenheit oder Waffengleichheit, die nicht dadurch gefährdet werden darf, dass dem ohnehin zumeist sehr mächtigen öffentlichen Ankläger noch ein privater Ankläger von ähnlichem Gewicht zur Seite gestellt und die Verteidigung mit ihren begrenzten faktischen Kapazitäten überlastet wird.11 Da diese Problematik aber wesentlich von den Besonderheiten der jeweiligen nationalen Prozessstruktur abhängt, möchte ich sie im Folgenden nicht weiter vertiefen. 2. Die besonderen Schutzinteressen von gefährdeten Zeugen, die den zweiten Teil meines Themas bilden, betreffen ebenfalls unterschiedliche Bereiche. An erster Stelle zu nennen ist wiederum das Opfer, das insbesondere bei Gewaltdelikten durch die Tat in erheblicher Weise traumatisiert sein kann und deshalb Gefahr läuft, bei einer Konfrontation mit dem Angeklagten und seinem Vertei___________ 9

Vgl. González-Cuéllar in diesem Band S. 228; Schönknecht (Fn. 7) S. 149 ff. Vgl. für Italien Orlandi in diesem Band S. 256. Zum deutschen Recht vgl. insbesondere §§ 395 ff., 406d ff. StPO. 11 So nimmt das OLG Zweibrücken in ständiger Rechtsprechung (vgl. NStZ-RR 2002, 112, StraFo 2005, 28) einen Fall der notwendigen Verteidigung an, wenn bei nicht unproblematischer Beweiswürdigung ein Opferanwalt tätig wird. Siehe auch OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78. 10

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diger weiteren seelischen und auch körperlichen Schaden zu erleiden.12 Zahlreiche Rechtsordnungen sehen deshalb Maßnahmen wie Ausschluss der Öffentlichkeit, Entfernung des Angeklagten oder Ersetzung der Aussage durch eine Video-Aufzeichnung einer früheren Vernehmung vor, die dem Opfer diese Belastung ersparen sollen.13 Andererseits muss der Verteidiger aber die Möglichkeit haben, die Glaubwürdigkeit der Aussage des Opfers in Frage zu stellen, was ohne eine unmittelbare Gegenüberstellung mit dem Angeklagten häufig nur schwer möglich ist.14 Die Gerichte stehen daher immer wieder ganz konkret vor der Frage, ob und wie das jedem einleuchtende Schutzinteresse des Opfers und die legitimen Verteidigungsinteressen des Beschuldigten zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden können. Vergleichbar hiermit ist auch die Situation minderjähriger oder seelisch kranker Zeugen. Insbesondere wenn sie durch die Wahrnehmung der Tat oder wegen einer engen persönlichen Beziehung zum Täter oder Opfer innerlich stark aufgewühlt sind, kann eine scharf geführte Befragung ihnen Schaden zufügen, so dass sich der Konflikt zwischen Zeugenschutz- und Verteidigungsinteressen in ähnlicher Weise darstellt wie bei den Opferzeugen. Eine völlig andere Problematik besteht demgegenüber bei bedrohten Zeugen, deren Identität geheim gehalten werden muss, um sie vor Racheakten zu schützen oder ihre weitere Tätigkeit als Informationsquelle nicht zu gefährden. Der Konflikt zwischen Zeugenschutz und Verteidigungsrechten stellt sich hier zwar vordergründig in ähnlicher Weise wie bei den Opfer- und Kinderzeugen, doch geht es um ganz andere tatsächliche Phänomene und Probleme. Zumeist betreffen solche Verfahren Taten aus dem Umfeld der organisierten Kriminalität, gegen die von der Polizei einerseits mit geheimdienstähnlichen Methoden vorgegangen wird und bei der andererseits Insider durch eine Kombination von hoher Strafdrohung und Versprechungen über Straffreiheit oder Strafnachlass zum Reden gebracht werden sollen. Ein Verteidiger benötigt hier kein Fingerspitzengefühl im Umgang mit sensiblen Zeugen, sondern er muss robust die Unzulänglichkeit und Unzuverlässigkeit des von Polizei und Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismaterials rügen und auf Nachbesserung

___________ 12 Vgl. Laubenthal (Fn. 2) S. 470 f. Siehe auch Senge in: KK StPO, 5. Aufl. 2003, § 58a Rn. 6 mit weiteren Nachweisen. 13 Vgl. die Nachweise in Fn. 2. 14 Vgl. hierzu insbesondere die Entscheidung des EGMR P.S./Deutschland v. 20.12.2001 (veröffentlicht in deutscher Sprache in NJW 2003, 2893).

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oder Freispruch bestehen. Auch diese Problematik kann ich hier schon aus Zeitgründen nicht weiter verfolgen.15 3. Übrig bleiben damit zwei typische Konstellationen, die ein Verteidiger im Umgang mit Opfern und sensiblen Zeugen bewältigen muss: erstens die Vernehmungssituation vor Gericht und zweitens die unmittelbare Kontaktaufnahme des Verteidigers mit dem Opfer, um dieses durch Geldangebote etc. zu einem für den Beschuldigten günstigen Verhalten zu bewegen.

B. Das Verhalten des Verteidigers bei Vernehmungen von Opfern und Kindern als Belastungszeugen Wie sich ein Verteidiger bei der Vernehmung eines schutzbedürftigen Belastungszeugen verhalten soll, ist in erster Linie eine Frage der Verteidigungsstrategie. So macht der Versuch, den Anklagevorwurf durch eine aggressive Befragung und Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zerstören, nur dann Sinn, wenn die Erfolgsaussichten auch im Hinblick auf die sonstige Beweislage hinreichend groß sind. Scheitert nämlich der Verteidiger, weil das Gericht dem Zeugen dennoch glaubt, dann ist die Gefahr zumindest sehr groß, dass der Angeklagte für das Verhalten seines Verteidigers bestraft und zu einer deutlich höheren Sanktion verurteilt wird, als wenn er seine Schuld eingeräumt und der Verteidiger den Zeugen in Ruhe gelassen hätte.16 Die Bewertung eines solchen Prozessverhaltens der Verteidigung als erschwerender Strafzumessungsfaktor ist eigentlich zwar unzulässig, weil die legitime Wahrnehmung von Verteidigungsrechten nicht zum Nachteil gereichen darf.17 In der Praxis wird das Geständnis jedoch regelmäßig mit deutlichen Strafrabatten belohnt, die insbesondere dann, wenn dem Opfer dadurch eine belastende Aussage vor den Augen der Öffentlichkeit erspart wird, sehr erheblich ausfallen können.18 Im Rahmen von Verhandlungen über eine konsensuale Verfahrenserledigung, die heute in vielen Rechtsordnungen üblich sind, schafft häufig erst das Angebot des Verteidigers, das Opfer zu schonen, einen wirksamen Anreiz für Ankläger, Gericht und Opferanwalt zu substantiellem Entgegenkommen. ___________ 15

Einen neueren Überblick über die Problematik gibt Safferling NStZ 2006, 75. Vgl. Walther (Fn. 1) S. 453. 17 Vgl. etwa BGH NStZ 1995, 78; Schäfer Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. 2001, Rn. 380; Stree in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 46 Rn. 41 ff. 18 Vgl. Deckers in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 3. Aufl. 2003, § 21 Rn. 162 ff. 16

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Es sind daher weniger die verschiedenen Zeugenschutzvorschriften, welche die Position der Verteidigung bei der Vernehmung von Opfer- und Kinderzeugen schwächen, als vielmehr die faktische Bereitschaft der Gerichte, Geständnisse und prozessuales Wohlverhalten zu belohnen und damit zugleich ihre Verweigerung zu bestrafen.19 Ein Verteidiger kann sich diesem Druck nicht entziehen. Im Interesse seines Mandanten muss er ein entsprechendes Angebot des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft vielmehr auch dann übermitteln, wenn er es für unangemessen hält. Diese Situation mag man beklagen und auch für rechtsstaatswidrig halten – ändern lässt sie sich meines Erachtens kaum. Wie auch sonst ist gegen plea bargaining und Absprachen kein Kraut gewachsen. Nicht mehr hinnehmbar wird der Geständnisdruck freilich dann, wenn ein unschuldig Angeklagter sich genötigt fühlt, etwa eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe zu akzeptieren, um das Risiko einer längeren Strafhaft zu vermeiden. Der Verteidiger muss sich solchen Ansinnen widersetzen und versuchen, seinen Mandanten davon zu überzeugen, dass das Verfahren durchgestanden werden muss. Auch wenn sich der Verteidiger dazu entschließt, die Glaubwürdigkeit des Zeugens anzugreifen, liegt es meist in seinem taktischen Interesse, dabei möglichst schonend vorzugehen. Anderenfalls besteht nämlich die Gefahr, dass die Berufs- oder Laienrichter, die am Ende über die Schuld des Angeklagten zu befinden haben, sich mit dem Zeugen solidarisieren und ihre Entscheidung von dieser Stimmung beeinflusst wird. Gleichwohl gibt es sowohl Fälle, in denen der Verteidiger hart vorgehen muss, als auch solche, in denen unnötig hart vorgegangen wird. Zumindest wegen der letzten Fallgruppe sind Regeln notwendig, die das Verteidigerhandeln begrenzen und die berechtigten Interessen des Opfers oder sonstiger Zeugen schützen. Auf einer abstrakten Gesetzesebene kann die Grenze zwischen legitimem und zu weit gehendem Verteidigerverhalten freilich nicht gezogen werden. Ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit ist immer auch ein Angriff auf die Ehre und Würde des Zeugen. Will man dem Angeklagten und seinem Verteidiger das Recht einräumen, Belastungsbeweise zu erschüttern, dann muss gleichzeitig auch dem Opfer oder sonstigen Zeugen einiges an Beeinträchtigung zugemutet werden. Wenig zweckmäßig sind daher Regelungen wie etwa die englischen und US-amerikanischen „rape shield laws“, die es dem Verteidiger verbieten, das Opfer einer Vergewaltigung nach seinem Sexualverhalten ___________ 19 Vgl. den Fall BGH StraFo 2003, 97 sowie dazu Salditt ZStW 115 (2003), S. 570, 573 f.

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zu befragen.20 So gut solche Vorschriften auch gemeint sein mögen, um die Würde eines Opfers zu schützen und zu verhindern, dass es in den Dreck gezogen wird, so dürfen sie doch nicht dazu führen, dass die entscheidenden Fragen, die den Weg zur Entlarvung einer falschen Anschuldigung weisen, erst gar nicht gestellt werden können. Die Landesberichte zu England und den USA weisen deshalb auch zu Recht darauf hin, dass die englischen und amerikanischen Gerichte hier im Einzelfall durchaus Ausnahmen zulassen.21 Wenig hilfreich sind andererseits aber auch so vage gehaltene Vorschriften wie § 68a StPO, wonach Fragen nach Tatsachen, die einem Zeugen zur Unehre gereichen können, nur gestellt werden sollen, wenn dies unerlässlich ist.22 Wie ein Verteidiger mit einem Opferzeugen oder etwa einem minderjährigen Zeugen umgehen darf und soll, kann nur im Einzelfall entschieden werden und hängt vom Fingerspitzengefühl der Beteiligten ab. Dem Gesetzgeber bleibt daher nichts anderes übrig, als die Entscheidung in die Hände des Richters zu legen und diesem einzelne Instrumente – Entfernung des Angeklagten aus dem Verhandlungssaal, Vernehmung des Zeugen per Videokonferenz, Hinzuziehung eines Psychologen etc. – in die Hand zu geben, die er nach Ermessen heranziehen kann.23 Eine Kontrolle dieser Ermessensentscheidung durch Rechtsmittelgerichte ist durchaus möglich, wenn die konkreten Umstände in dem Verhandlungsprotokoll oder einer Ton- oder Bildaufzeichnung festgehalten werden. Ebenso können solche Aufzeichnungen auch als Beweismaterial in einem standesrechtlichen Disziplinarverfahren gegen den Verteidiger dienen, wenn er seine Befugnisse missbraucht und den Zeugen in einer Weise demütigt, die mit dem Verteidigungsinteresse des Beschuldigten nicht mehr erklärt werden kann. In kritischen Fällen ist sicher auch die Bestellung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand hilfreich.24 Letztlich entscheidet aber das Verhalten der Strafverteidiger selbst zu über die Praxis: Je verantwortungsbewusster sich diese in der heiklen Situation der Befragung solcher Zeugen verhalten, um so mehr Freiräume wird ihnen der Richter gewähren.

___________ 20 Vgl. Frase in diesem Band S. 318; Höynck (Fn. 8) S. 128; Hodgson in diesem Band S. 294. 21 Vgl. Frase in diesem Band S. 318. 22 Vgl. z.B. Rogall in: SK StPO, § 68a Rn. 23: Die bisherigen Deutungsversuche bleiben „unspezifisch schemenhaft“. 23 Vgl. insbesondere §§ 58a, 168e, 247, 247a, 255a StPO sowie ergänzend Nr. 130a, 135 RiStBV. 24 Vgl. § 68b StPO.

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C. Das Verhalten des Verteidigers bei der Kontaktaufnahme mit dem Opfer Noch stärker sind die Verantwortung des Verteidigers und auch das Missbrauchspotential schließlich bei der Kontaktaufnahme mit dem Opfer außerhalb des Strafverfahrens.25 Grundsätzlich ist zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn der Verteidiger einen Entschuldigungsbrief seines Mandanten überbringt und Schadensersatzzahlungen oder sonstige Wiedergutmachungsleistungen anbietet.26 Sofern dadurch jedoch das Aussageverhalten des Opfers beeinflusst, die Rücknahme eines Strafantrags oder die Zustimmung zu einer Verfahrenseinstellung erreicht werden soll, ergeben sich mehrere Einwände:27 Zum einen besteht immer die Gefahr eines nötigenden Drucks, weil sich der Laie einem Rechtsanwalt nicht gewachsen fühlt.28 Um solche asymmetrischen Gesprächssituationen zu vermeiden, verbietet es etwa das anwaltliche Standesrecht, sich unter Umgehung des Gegenanwalts unmittelbar an einen anderen Beteiligten eines Rechtsfalles zu wenden.29 Für das Opfer einer Straftat liegt es aber aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt nahe, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Abgesehen von der Kostenfrage darf es nämlich von den Strafverfolgungsbehörden zu Recht erwarten, dass sich diese des Falles annehmen und die Straftat aufzuklären und zu verfolgen suchen. Im Gegensatz zu zivilrechtlichen Auseinandersetzungen dürfte daher auch die Tatsache, dass der Verteidiger direkten Kontakt zu dem Opfer sucht, dieses nicht unbedingt von der Notwendigkeit der eigenen Beauftragung eines Rechtsanwalts überzeugen. Andererseits läge es aber nicht im Interesse der Opfer von Straftaten, wenn eine solche unmittelbare Kontaktaufnahme generell verboten würde. So dürfte das freiwillige Angebot von Wiedergutmachungsleistungen, das der Verteidiger dem Opfer überbringt, häufig weit über das hinausgehen, was das Opfer im Falle einer Verurteilung des Täters und einer anschließenden zivilrechtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Wege der Klage und Zwangs___________ 25

Näher dazu Weihrauch (Fn. 5) Rn. 159. Vgl. BGHSt 46, 53, 56. Siehe auch Dahs (Fn. 5) Rn. 168; Kempf in: Brüssow/ Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 3. Aufl. 2003, § 1 Rn. 97; Pfordte/Degenhardt Der Anwalt im Strafrecht, 2005, S. 150. 27 Näher dazu Walther (Fn. 1) S. 453 ff. Siehe auch BGHSt 46, 53, 57; Pfordte/ Degenhardt (Fn. 26) S. 150 f.; Weihrauch (Fn. 5) Rn. 159. 28 Vgl. Dahs (Fn. 5) Rn. 169; Pfordte/Degenhardt (Fn. 26) S. 150. 29 Vgl. § 12 Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) i.d.F. vom 1.7.2006 (Satzung der Bundesrechtsanwälte gem. § 59b BRAO). 26

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vollstreckung zu erwarten hätte. Auch sollte der Einfluss eines Strafverteidigers auf die private Konfliktlösung nicht unterschätzt werden. Nicht selten ist er die einzige Person, die das Vertrauen des Täters soweit genießt, dass er diesen von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs überzeugen kann.30 Gerade die einseitige Verpflichtung auf die Interessen seines Mandanten erlaubt es dem Verteidiger, Druck auf diesen auszuüben und ihm auch in drastischerer Form klarzumachen, welche Konsequenzen eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Opfer hätte. Sofern der Verteidiger verantwortungsbewusst gegenüber dem Opfer auftritt, kann deshalb auch dieses von seiner Tätigkeit profitieren. Der zweite wesentliche Einwand gegen die Kontaktaufnahme des Verteidigers mit dem Opfer ist die Gefahr der Verfälschung von Beweismitteln. Staatsanwälte, Polizeibeamte und Gerichte reagieren gewöhnlich sehr empfindlich auf jegliche Form der Beeinflussung von Zeugen.31 Ein Verteidiger ist daher gut beraten, nicht einmal den leisesten Hauch eines entsprechenden Verdachts entstehen zu lassen, will er nicht ein Strafverfahren gegen sich selbst wegen Strafvereitelung, Anstiftung zur Falschaussage oder Behinderung der Justiz riskieren.32 Angesichts der nicht zu leugnenden Gefahren sind solche Strafvorschriften auch berechtigt und finden sich deshalb mit gutem Grund in fast allen Rechtsordnungen. Wie solche Vorschriften ausgestaltet werden sollten, ist freilich ein Thema, mit dem ich mich hier nicht näher beschäftigen kann. Nur einen Hinweis möchte ich mir insoweit erlauben: Das tatsächliche Ausmaß der Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten hängt oft weniger von den materiellrechtlichen Vorschriften als vielmehr von deren prozessualer Umsetzung ab. Um einen missliebigen Verteidiger zu disziplinieren, bedarf es nicht unbedingt seiner strafrechtlichen Verurteilung – es reicht oft schon, dass seine Kanzlei unter dem Verdacht einer solchen Straftat medienwirksam durchsucht wird. Ganz zu Recht hat deshalb das deutsche Bundesverfassungsgericht hier eine besondere Sensibilität entwickelt.33

___________ 30

Vgl. Deckers (Fn. 18) Rn. 164 f. Vgl. Gillmeister in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 3. Aufl. 2003, § 4 Rn. 190, Bandisch ebenda § 9 Rn. 69; Weihrauch (Fn. 5) Rn. 92. 32 Näher zu den Grenzen erlaubten Verteidigerverhaltens bei der Kontaktaufnahme mit Belastungszeugen BGHSt 46, 53. 33 Vgl. etwa BVerfGE 105, 365, 371; 113, 29, 47 ff. sowie zuletzt BVerfG vom 4.7.2006 (2 BvR 950/0) m.w.N. Siehe auch BVerfG NStZ 1997, 35 zu den Grenzen ehrengerichtlicher Maßnahmen gegen Strafverteidiger. 31

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Jedenfalls darf dem Verteidiger der Kontakt zu Zeugen einschließlich des Opfers der Straftat nicht vollständig verboten werden. Zur legitimen Interessenwahrnehmung gehören eigene Ermittlungen auch in dieser Richtung – den betreffenden Personen wurden von der Polizei möglicherweise nicht die richtigen Fragen gestellt – wie auch Verhandlungen über Schadensersatzforderungen des Opfers.34 Der Verteidiger sollte sich dabei nur hinreichend absichern, etwa, wie in den Niederlanden empfohlen, durch Hinzuziehung eines vertrauenswürdigen neutralen Kollegen.35 Noch besser ist es natürlich, wenn das Opfer ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hat, der bei den betreffenden Gesprächen anwesend ist oder über den der Kontakt gänzlich abgewickelt wird. Wo genau die Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens liegen, lässt sich auch in diesem Bereich nicht generell bestimmen. Wesentlich ist nicht zuletzt, wieviel Vertrauen die Rechtsordnung der Anwaltschaft entgegenbringt und ob diese im Rahmen des Standesrechts über ausreichende Mittel verfügt, gegen Missbrauch wirksam vorzugehen. Müssen erst einmal die Gerichte tätig werden und die Grenzen erlaubten Verteidigerverhaltens innerhalb des Strafverfahrens etwa durch Verteidigerausschluss oder außerhalb durch Strafverfolgung von Rechtsanwälten wegen Strafvereitelung etc. festlegen, so werden im Zweifel viele Freiräume vorsorglich geschlossen werden, die ansonsten zur Verfügung stünden. Das anwaltliche Standesrecht sollte deshalb der vorrangige Regelungsort sein, während ein strafrechtliches Vorgehen auch hier nur die ultima ratio darstellen kann. Meines Erachtens sind daher in erster Linie die Anwaltskammern gefordert. Wenn die Anwaltschaft im Strafverfahren eine aktive Rolle als Gegenmacht zur staatlichen Strafverfolgung spielen und auch gegenüber den Opfern von Straftaten und sonstigen gefährdeten Zeugen Handlungsspielräume erlangen und behalten will, muss sie selbst dafür sorgen, dass die Justiz ihr Vertrauen entgegenbringt.

___________ 34 Ebenso BGHSt 46, 53, 56. Siehe auch Dahs (Fn. 5) Rn. 216 f.; Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, Thesen zur Strafverteidigung, 1992, These 28, S. 12, 55 f. 35 Vgl. Tak in diesem Band S. 191.

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern Anreizsystemgesteuerte Regulierung zur Sicherung der Qualität anwaltlicher Dienstleistungen am Beispiel der Strafverteidigung

Matthias Kilian

A. Grundlagen I. Problemstellung

Eine häufig gehörte Klage von anwaltlichen Mandanten ist eine fehlende Mandantenorientierung der Tätigkeit des Rechtsanwalts, insbesondere eine unzureichende Betreuung des Mandats über die bloße rechtliche Dimension eines Falles hinaus. Beschwerden über schlechte telefonische Erreichbarkeit des Anwalts, dilatorische Behandlung von Anfragen, unpersönliche Betreuung durch wechselnde Sachbearbeiter oder Schwierigkeiten, zeitnahe Besprechungstermine zu erhalten, gehören zu den bei den Berufsorganisationen am häufigsten vorgebrachten Klagen von Mandanten1. Die Unzufriedenheit treibt bisweilen kuriose Blüten: So existiert in Schottland eine professionell aufgemachte Website unter dem Titel „Scotland Against Crooked Lawyers“, auf der in der Rubrik „Naming & Shaming“ Rechtsanwälte im Stile von Steckbriefen u.a. wegen subjektiv empfunden nachlässiger Mandatsbearbeitung an den virtuellen Pranger gestellt werden2. Eine ähnlich kämpferische Internetpräsenz, die die Anwaltschaft einleitend als Teil der organisierten Kriminalität charakterisiert, findet

___________ 1 Vgl. etwa die monatlichen Berichte des Consumer Complaints Services (CCS) der Law Society Of England and Wales, abrufbar unter: http://www.lawsociety.org.uk/ choosingandusing/redressscheme/ourrecord.law. 2 www.sacl.info.

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sich in England3. In Deutschland wurde die Mandantenzufriedenheit erstmals 2006 durch eine breit angelegte Bevölkerungsumfrage untersucht4. Je nach Betrachtungsweise (Zufriedenheit mit dem Dienstleistungsprozess, dem Ergebnis der Tätigkeit oder dem Rechtsanwalt schlechthin) liegt der Wert eher unzufriedener Mandanten zwischen 10 und 15% – und damit auf den ersten Blick recht niedrig. Vergegenwärtigt man sich freilich, dass im Fünfjahreszeitraum 2002 bis 2006 41% der volljährigen Deutschen einen Rechtsanwalt beauftragt haben, davon 48% mehr als einmal, lässt sich errechnen, dass in diesem Referenzzeitraum nur von Privatkunden jährlich mehr als 10 Mio. Mandate erteilt wurden. Eine „Unzufriedenheitsquote“ von 10% bedeutet damit jährlich 1 Mio. Mandate, in denen Mandanten mit ihrem Rechtsanwalt nicht zufrieden sind5. Bemerkenswert ist, dass – in Deutschland ebenso wie in anderen Rechtsordnungen6 – nur wenige Anwälte dem Thema Mandantenzufriedenheit auch nur rudimentäre Aufmerksamkeit schenken, sich etwa um die Messung der Zufriedenheit durch Befragungen bemühen. Unzufriedenheit des Kunden mit der anwaltlichen Dienstleistung beruht zumeist auf einem bunten Strauß von Defiziten des Rechtsanwalts: mangelnde Empathie gegenüber der Lebenssituation des Gegenübers, gering ausgeprägte Professionalität hinsichtlich der eigenen Dienstleistung, fehlende Einsicht in die Besonderheiten der Anwalt-Mandanten-Beziehung als Vertrauensbeziehung und ein fehlendes Verständnis der Tatsache, dass der Bezugspunkt des Mandats für Mandanten zumeist nicht das Recht, sondern der Wunsch nach Gerechtigkeit ist7. Diese Defizite im Prozess der Dienstleistungserbringung sind für Mandanten handgreiflich, während die Beratungsqualität, das Ergebnis des Prozesses, als geistige Dienstleistung durch den wissensunterlegenen Mandanten nur sehr eingeschränkt bewertet werden kann. Trotz der empirisch gesicherten Erkenntnis, dass die wichtigsten Akquisitionspotenziale für Rechtsanwälte in ___________ 3

www.unjustis.co.uk. Weitere Beispiele: www.solicitorsfromhell.co.uk und www. legalbullies.co.uk. 4 Hommerich/Kilian, Mandanten und ihre Anwälte: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage zur Inanspruchnahme und Bewertung von Rechtsdienstleistungen, 2006. Vgl. etwa zu England und Wales Lewis, Complaints, 1995; Moorhead et al., Quality, 2001; ferner Kilian, AnwBl. 2004, 389, 391 ff.; zu Norwegen Gottschalk, JILT 2002, 1; für Australien Mark, Complaints, 1995. Anschauliche Belege geben die Jahresberichte der in vielen Ländern existierenden Beschwerdestellen, die für Mandanten von Rechtsanwälten durch Anwaltsorganisationen oder sonstige Stellen eingerichtet worden sind. Siehe etwa für Australien (NSW) der Bericht des Office of the Legal Services Commissioner, http://www.lawlink.nsw.gov.au/lawlink/olsc/ll_olsc.nsf/pages/olsc_index. 5 Zu den Daten Hommerich/Kilian, Mandanten, S. 155 ff. 6 Vgl. etwa zu den USA Cunningham, 67 Fordham Law Review 1959 (1999). 7 Mark, Complaints, 1995, spricht von der Dichotomie von „law and justice“.

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Netzwerken der Weiterempfehlung liegen8, die auf Mandantenzufriedenheit basieren, ist die Diskussion über anwaltliche Qualität häufig nicht auf Aktivitäten des Rechtsanwalts fixiert, sondern auf das Ergebnis dieser Bemühungen. Paradigmatisch steht hierfür die ausufernde Befassung von Rechtsprechung und Doktrin mit der Anwaltshaftung, die an Beratungsfehler anknüpft. Besonders nachhaltig wirken sich diese Defizite aus, wenn der Mandant aufgrund seiner persönlichen Lebensumstände, der Dringlichkeit sachgerechter Vertretung und eingeschränkter Alternativen in überdurchschnittlichem Maße einer engagierten und qualitativ hochwertigen Hilfeleistung bedarf. Paradigmatisch für eine solche Situation steht der sich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzte Mandant, der unter Umständen sogar inhaftiert ist. Er befindet sich in einer besonders fatalen Abhängigkeit von seinem Verteidiger, sind ihm doch die Handlungsmöglichkeiten gewöhnlicher Mandanten – jederzeitige Kontaktaufnahme, persönliches Vorstelligwerden, problemloser Wechsel des Anwalts – verwehrt oder doch erheblich erschwert. Der vorliegende Beitrag befasst sich, ausgehend von diesem Befund, mit der Frage, welche Steuerungsfunktionen existieren, um eine möglichst mandantengerechte Erbringung der Anwaltstätigkeit sicherzustellen. Es geht damit letztlich um das Problem der Qualität der anwaltlichen Dienstleistung jenseits der wissenschaftlich-akademisch vermittelten Kenntnisse der Rechtsanwendung, also um die Sicherung und Verbesserung der Qualität in den Prozessen, in denen die anwaltliche Dienstleistung erbracht wird. Untersucht werden soll, welche qualitätsbeeinflussenden Regularien de lege lata zur Verfügung stehen und wie effektiv sie dem Desiderat einer möglichst effektiven Rechtsdienstleistung gerecht werden. Der Blick soll sich sodann weiten auf de lege ferenda vorstellbare Modelle, die ein solches Ergebnis möglicherweise besser zu erreichen in der Lage sind. Bei einer solchen Betrachtung sind insbesondere die Erfahrungen aus dem Ausland von besonderem Interesse, wird doch in anderen Rechtsordnungen die Diskussion über Qualitätsfragen anwaltlicher Tätigkeit deutlich intensiver geführt als in Deutschland.

___________ 8

Hommerich, Einstieg, 1997, S. 100.

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II. Anreizsysteme als Instrument der Verhaltenssteuerung 1. Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen Die zu erörternde Problematik der Verhaltenssteuerung und Motivation von Rechtsanwälten in Bezug auf ihre Mandatsführung betrifft nicht rein juristische, sondern auch und vor allem verhaltenswissenschaftliche Probleme der Schaffung eines sachgerechten Anreizsystems. Hierunter versteht man alle bewusst gestalteten und aufeinander abgestimmten Belohnungen und Bestrafungen (Stimuli), die aufgrund ihres für den Empfänger subjektiven Werts (Anreizwert, Befriedigungswert, Valenz, Nutzen) die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter (un-)erwünschter Verhaltensweisen verändern9. Anreizsysteme sollen durch den bewussten Einsatz von positiven und negativen Anreizen eine Übereinstimmung zwischen den Zielen einer Organisation und des sich in ihr bewegenden Individuums herstellen. Die entsprechende verhaltenswissenschaftliche Diskussion, die Elemente der Psychologie und der Ökonomie aufweist, ist nicht neu. Sie wird seit langem, besonders lebhaft für Wirtschaftsunternehmen, geführt – aktuelle Stichworte sind etwa erfolgsbezogene Vergütungssysteme für Vorstände oder leistungsbezogene Forschungsförderung im universitären Bereich10 –, letztlich ist aber die Regulierung eines Berufsstands ebenfalls ein Anreizsystem.

2. Gestaltung von Anreizsystemen Die Gestaltung eines Anreizsystems lässt sich typischerweise von zwei Grundüberlegungen leiten: Anreize haben nicht bei jeder Person die gleiche Wirkung. Verhaltenswissenschaftler unterscheiden zwischen zwei Typen von Menschen, erfolgsmotivierten und misserfolgsmotivierten, die aufgrund ihrer Charakterstruktur auf identische Anreize unterschiedlich reagieren können. Ausdifferenzierte Anreizsysteme weisen daher sowohl negative wie auch positive Anreize, d. h. Sanktionen und Incentives, auf. Zudem orientiert sich die Gestaltung eines Anreizsystems an der primären Funktion, die es erfüllen soll: In einem Anreizsystem steht eine eher abstrakte Aktivierungsfunktion im Vordergrund, die vorhandene Motive aktiviert und kognitive Komponenten zur Steigerung der Leistungsbereitschaft positiv beeinflusst. Häufig wird der Steuerungs___________ 9

Schröder/Schweizer, zfbf 1999, 608, 610 (am Beispiel der Finanzwirtschaft). Auch die Rechtswissenschaft selbst hat Anreizsysteme geschaffen; ein Beispiel hierfür ist das Arbeitnehmererfindungsgesetz. 10

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funktion eine größere Bedeutung beigemessen; sie versucht vor allem durch wirtschaftliche Anreize und Sanktionen eine direkte Verknüpfung des Verhaltens der Mitglieder der Organisation mit deren Zielen herbeizuführen. Geschehen kann dies durch pekuniäre Anreize oder die Eröffnung von neuen Betätigungsmöglichkeiten. Aufgrund der primär aus Sicht der Ökonomie geführten Diskussion über Anreizsysteme findet zumeist wenig Beachtung, dass diese auch eine Informationsfunktion besitzen. Anreizsysteme setzen explizit oder hintergründig Signale zur Organisationskultur und vermitteln auf diese Weise den Organisationsmitgliedern, welche Verhaltensmuster angesehen sind und welche nicht. Schließlich kommt Anreizsystemen eine Veränderungsfunktion zu, da sich im Zuge von Veränderungsstrategien ergebende neue Anforderungen den Organisationsmitgliedern über angepasste Anreize verdeutlicht werden können.

3. Anreizsysteme für die Anwaltschaft Die Berufstätigkeit der Anwaltschaft wird in Deutschland, aber auch in anderen Rechtsordnungen nicht über ein kohärentes Anreizsystem gesteuert. Dies mag im Wesentlichen darin begründet liegen, dass trotz der Verkammerung des Berufs eine für Konzeption und Implementierung eines Anreizsystems eigenverantwortlich zuständige Organisation fehlt, die Steuerung vielmehr aufgrund verfassungsrechtlicher Implikationen der Ebene der Normsetzung durch den Gesetzgeber erfolgt. Der Gesetzgeber wiederum hat kein ganzheitliches Konzept geschaffen, sondern verwirklicht seine Anliegen typischerweise durch das anwaltliche Berufsrecht, indem er Berufspflichten statuiert und ihre Verletzung mit Sanktionen disziplinar-, straf- und schadensersatzrechtlicher Natur verkoppelt. Der Fokus liegt damit vor allem auf der reinen Steuerungsfunktion, die zudem vorrangig auf misserfolgsorientierte Adressaten zielt. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, den Horizont zu weiten und zu analysieren, welche Elemente eines ausdifferenzierteren Anreizsystems geeignet sein könnten, die Mandatsführung von Rechtsanwälten zufriedenstellender auszugestalten.

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B. Negative Anreize zur Verhaltenssteuerung I. Verhaltenssteuerung durch Berufsrecht

1. Einführung Der traditionelle Ansatz einer Steuerung von Berufen, denen eine besondere gesamtgesellschaftliche Funktion zukommt, ist die Statuierung von berufsrechtlichen Pflichten der Berufsangehörigen auch für Fragen der Leistungserbringung, also der Außenbeziehungen des Rechtsanwalts mit Dritten. Als berufsrechtliche Pflichten folgen sie aus dem Status der Berufsträger, nicht etwa aus zivilrechtlichen Bindungen mit ihren Auftraggebern. Eine solche öffentlichrechtliche Verwurzelung des Pflichtenprogramms in Ergänzung zu nicht berufsspezifischen vertragsbasierten zivilrechtlichen Pflichten ist typisches Charakteristikum kontinentaleuropäisch geprägter Rechtsordnungen11. Selbstverständlich ist eine solche Herleitung von Pflichten nicht; dies zeigt bereits die in Deutschland anhaltende Diskussion über die Frage, ob bestimmte im Berufsrecht geregelte Komplexe wie etwa die Werbung, die Prävarikation oder die Verjährung nicht besser der Regulierung durch allgemeinere Rechtsmaterien wie das Wettbewerbs-, Verfahrens- oder Bürgerliche Recht überlassen bleiben sollten. Einem solchen Regulierungsansatz folgen vor allem Rechtsordnungen, die dem angelsächsischen Rechtskreis zugeordnet werden können. Dieser Grundsatzfrage kann in diesem Kontext nicht nachgegangen werden. Generell gilt, dass gerade die Frage der Außenbeziehungen der Berufsangehörigen – und um solche geht es bei dem Thema dieses Beitrags – eine stark privatrechtlich beeinflusste Materie ist, die in Details sowohl sonderprivatrechtliche als auch berufsrechtliche Überlagerungen kennt.

2. Befassung des Berufsrechts mit der Problematik a) Ausgangsbefund Beschäftigt man sich mit dem Problem der Qualität der anwaltlichen Mandatsführung, so ist eine grundlegende Frage, ob sich das den Rechtsanwalt treffende berufsrechtliche Pflichtenprogramm überhaupt zum Prozess der anwaltlichen Dienstleistungserbringung äußert. Zumeist beschränkt sich Berufsrecht darauf, die gesamtgesellschaftliche Funktion des Rechtsanwalts pro___________ 11 Ein Überblick des Pflichtenprogramms findet sich bei Kilian, Grundlagen, 2005, S. 81 ff.

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grammatisch zu statuieren, ohne dass aus diesen allgemein gehaltenen Aussagen für den Mandanten bestimmte Berechtigungen oder Verpflichtungen gewonnen werden könnten. Beispiel hierfür ist das deutsche Recht, das in § 3 Abs. 1 BRAO feststellt, dass der Rechtsanwalt für den Bürger „der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten“ ist – ohne dass näher bestimmt wäre, wie der Rechtsanwalt dieser Berufung gegenüber dem Bürger im Detail nachzukommen hat. Eine noch allgemeiner gehaltene Formulierung findet sich z.B. in den kroatischen Berufsregeln, in denen es einleitend u.a. heißt, dass der Rechtsanwalt seine Tätigkeit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen von Menschlichkeit, Würde, Wahrheit und Gerechtigkeit zu erbringen hat12. Auch dort, wo sich das Berufsrecht mit dieser Frage beschäftigt, bleiben die Aussagen zumeist vage. So heißt es etwa im schweizerischen Recht in Art. 12 lit. a BGFA, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf „sorgfältig und gewissenhaft“ ausübt. Kommentatoren merken hierzu an, dass der Bezugspunkt der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit weitgehend im Dunkeln bleibt13. Das österreichische Berufsrecht ordnet in § 9 Abs. 1 S. 1 RAO an, dass der Rechtsanwalt die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit „Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit“ zu vertreten hat, was die Kommentarliteratur mit entlarvender Unbestimmtheit als „Umschreibung der Standespflichten, deren Verletzung den Rechtsanwalt der Disziplinarstrafgewalt seiner Standesgenossen aussetzt“, charakterisiert14. Ähnliche Formulierungen finden sich in vielen Berufsrechten. Beispielhaft erwähnt sei die Advokatetiske Regler 3.1.2.1. der dänischen Anwaltschaft15, in der es heißt, dass der Rechtsanwalt seine Aufgaben gründlich, verantwortungsbewusst und zügig zu erledigen hat. Ähnlich Art. 3 Abs. 3 der französischen Règles de Déontologie, nach welcher der französische avocat mit Rücksicht auf seinen Mandanten mit Kompetenz, Hingabe, Sorgalt und Vorsicht tätig zu werden hat16. Der schwedische Rechtsanwalt muss die Interessen seines Mandanten nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 der Regler om God Advokatsed nach besten Kräften

___________ 12

Nr. 7 Kodeks odvjetniþke etike: „Svojim ponašanjem odvjetnik mora služiti kao primjer humanosti, poštovanja ljudskog dostojanstva i progresivnih nastojanja u priznavanju i ostvarivanju temeljnih ljudskih prava i sloboda.“ 13 Fellmann in Fellmann/Zindel, 2005, Art. 12 Rn. 11. 14 Feil/Wennig, Anwaltsrecht, 2004, § 9 RAO, Rn. 2. 15 Nr. 3.1.2.1. Advokatetiske Regler: „En advokat skal varetage klientens interesser grundigt, samvittighedsfuldt og med fornøden hurtighed.“ 16 Art. 3 Abs. 3 Règles de Déontologie: „Il fait preuve, à l’égard de ses clients, de compétence, de dévouement, de diligence et de prudence.“

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verfolgen17, der norwegische Advokat nach 3.1.2 der Berufsregeln die Interessen des Mandanten prompt, gewissenhaft und sorgfältig wahrnehmen18. Zu deutlicheren, über das Programmatische hinausgehenden Aussagen zur Betreuung der Mandanteninteressen kommen nur wenige Berufsgesetze. Im Code of Ethics der lettischen Rechtsanwälte heißt es in Art. 2.1 in ungewöhnlicher Deutlichkeit, dass der Rechtsanwalt durch seine Handlungen bzw. durch Unterlassungen nicht die Interessen seines Mandanten verletzen darf19. Die kroatische Berufsethik verlangt in Art. 41 vom Rechtsanwalt, dass er seine Tätigkeit ohne Verzögerung zu entfalten hat und sicherstellen muss, dass er durch Arbeitsüberlastung die Rechtzeitigkeit und Sorgfalt der Vertretung nicht gefährdet20. Das zypriotische Berufsrecht verbietet in Art. 20.4 die Übernahme eines Mandats bei Zeitmangel des Rechtsanwalts21. Insgesamt ist bei einer tour d’horizon aber durchgängig eine auffällige Zurückhaltung festzustellen, das Berufsrecht mit konkreten Aussagen zum Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten zu befassen.

b) Probleme der berufsrechtlichen Regulierung der Mandatsführung Für eine gewisse Zurückhaltung sprechen nachvollziehbare Gründe: Soweit die Tätigkeit des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten auf zivilrechtlicher Grundlage erbracht wird, besteht ein Spannungsverhältnis zum Primat des Zivilrechts, die Qualität der Mandatsführung durch die Rechtsinstitute ___________ 17

Art. 1 Abs. 1 S. 1 Regler Om God Advokatsed: „Advokats främsta plikt är att, inom ramen för vad lag och god advokatsed bjuder, efter bästa förmåga tillvarata klientens intressen.“ 18 Nr. 3.1.2. Regler for god advokatskikk: „En advokat skal gi råd til klienten og ivareta hans interesser raskt, samvittighetsfullt og påpasselig. Advokaten er personlig ansvarlig for å utføre de oppgaver han påtar seg. Han skal holde klienten underrettet om sakens gang.“ 19 Art. 2.1. ZvƝrinƗtu advokƗtu Ɯtikas kodekss: „Veicot aizstƗvƯbu vai pƗrstƗvƯbu lietƗ, advokƗtam aizliegts ar savu darbƯbu vai bezdarbƯbu kaitƝt aizstƗvamƗ vai pƗrstƗvamƗ interesƝm.“ 20 Art. 41 Kodeks odvjetniþke etike: „Odvjetnik je dužan posvetiti svu svoju struþnost i savjesnost zastupanju stranke i pružiti joj pravnu pomoü bez odgode i zastoja. Stoga odvjetnik prigodom preuzimanja zastupanja mora paziti na to da zbog preoptereüenosti ne ugrozi pravodobnost, temeljitost i savjesnost obavljanja svoje dužnosti. Odvjetnik kojemu se obraüa prevelik broj stranaka treba uputiti stranke drugim odvjetnicima.“ 21 Art. 20.4. Advocate’s Deontology Regulations: “An advocate cannot accept a case if he lacks the amount of time needed for the circumstances of the case and other obligations.”

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der Haftung und Kündigung zu kontrollieren. Communis opinio ist, dass die Verletzung zivilrechtlicher Pflichten nicht über berufsrechtliche Programmsätze generalklauselartigen Charakters sanktionierbar gemacht werden soll22. Grund hierfür kann nicht so sehr das Problem sein, dass unterschiedliche Stellen über die Mandatsführung urteilen müssten – einmal ein Zivilgericht in einem Haftungsprozess und ein anderes Mal die Aufsichtsbehörde oder ein Berufsgericht in einem berufsrechtlichen Disziplinarverfahren. Diese Doppelgleisigkeit ist aus anderen Bereichen, wenn auch zumeist unter umgekehrten Vorzeichen, bekannt (etwa die Beurteilung der Verletzung von Schutzgesetzen durch Zivilgerichte), wird aber auch im Anwaltsrecht etwa durch die Konkurrenz von berufsgerichtlichem und strafrechtlichem Verfahren gelegentlich praktisch23. Anschaulich wird das mit der Erfassung der Mandatsführung durch die Berufspflichten entstehende Dilemma in der Rechtsanwendung etwa im schweizerischen Recht: Dort heißt es in ständiger Rechtsprechung, dass die Aufsichtsbehörde nicht allgemeine Kontrollinstanz zur Beurteilung der Qualität der Führung von Mandaten ist24. Eine Verletzung der Berufspflicht zur Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit wird vielmehr erst dann angenommen, wenn ein „grobes Fehlverhalten“ vorliegt, das nicht nur Interessen des Mandanten gefährdet, sondern auch solche der Rechtspflege und des rechtsuchenden Publikums schlechthin25. Das Zuordnungsproblem lässt sich damit auf die Tatsache zurückführen, dass Berufsrecht im engeren Sinne aus Gemeinwohlgründen existiert, nicht zum Schutz von Individualinteressen. Sollen letztere geschützt werden, so sieht das Berufsrecht – dann im weiteren Sinne – sonderprivatrechtliche Inhalte vor, die von den Zivilgerichten zu beurteilen sind26. Die festgestellte Zurückhaltung erklärt sich letztlich auch aus den an eine Berufspflichtverletzung geknüpften Sanktionen mit Strafcharakter, die von einem Verweis über ein befristetes Tätigkeitsverbot bis hin zum Ausschluss aus der Anwaltschaft reichen können. Hier eine sachgerechte Trennlinie zu finden zwischen einem noch lediglich zivilrechtlich relevanten Fehlverhalten und einem bereits berufsrechtlich zu ahndenden Verstoß ist, soweit es nicht um den Inhalt der Tätigkeit geht, sondern um den Dienstleistungsprozess, eine in der Praxis kaum zu erfüllende Herausforderung jedenfalls dann, wenn die prozessbezogenen Anforderungen an den Rechtsanwalt diesem nicht im Sinne eines „best practice“-Manuals im Detail vorgeschrieben werden. Die eigentliche Wurzel ___________ 22

Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 2003, § 43 Rn. 15 m.w.N. Hierzu ausführlich Wagner, Konkurrenz, 2005. 24 Fellmann in Fellmann/Zindel, 2005, Art. 12 Rn. 15 (Fn. 69). 25 Fellmann in Fellmann/Zindel, 2005, Art. 12 Rn. 15. 26 So auch Kleine-Cosack, BRAO, 2003, § 43 Rn. 15. 23

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dieses Problems sind die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die berufsrechtliche Generalklauseln im Verbund mit unbestimmten Rechtsbegriffen mit sich bringen. Eine Berufspflicht zur eifrigen, gewissenhaften, korrekten, sorgfältigen Mandatsführung ist so wenig konkret, dass grundrechtsrelevante Eingriffe nur sehr eingeschränkt auf entsprechende Normen gestützt werden können. Angesprochen sind aus Sicht des deutschen Rechts der sog. Bestimmtheitsgrundsatz und das Gebot der Vorhersehbarkeit belastender Regelungen und Sanktionen. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist eine Ausprägung des im deutschen Grundgesetz garantierten Rechtsstaatsprinzips. Der Normadressat muss erkennen können, welche Rechtsfolgen sich aus seinem Verhalten ergeben können27. Die staatliche Reaktion auf Handlungen muss voraussehbar sein. Die lebhafte Diskussion im deutschen Recht, inwieweit es die Generalklausel des § 43 BRAO gestattet, Sanktionen über pflichtvergessene Rechtsanwälte zu verhängen28, ist Beispiel dieser Problematik, führen Generalklauseln doch in gewisser Weise zu einem schwer kalkulierbaren „Pflichtenerfindungsrecht“ der zu ihrer Anwendung berufenen Stellen.

c) Berufsrechtliche Regulierung jenseits der Berufspflichten? Mit diesem Zwischenbefund ist nicht gesagt, dass sich das Berufsrecht nicht grundsätzlich zur Mandatsführung äußern kann oder sollte. Aus den genannten Gründen liegt es allerdings näher, entsprechende allgemeine Vorgaben außerhalb der sanktionierbaren Berufspflichten im engeren Sinne zu machen. Eine nicht sanktionierbare Vorgabe an den Rechtsanwalt, ein Appell an sein Berufsethos, ist immer noch besser als ein völliges Schweigen des Berufsrechts zu diesem Thema, wie es aktuell in Deutschland anzutreffen ist. Vereinzelt wird in Rechtsordnungen, so z.B. in Singapur, England und Wales oder Schottland, an herausgehobener Stelle in einem spezifischen Paragraphen angeordnet, dass der Rechtsanwalt eine „adäquate professionelle Dienstleistung“ zu erbringen hat29. ___________ 27

Vgl. etwa BVerfGE 84, 133, 149; 87, 234, 263. Vgl. nur die Nachweise bei Kleine-Cosack, BRAO, 2003, § 43 Rn. 2 ff.; Kilian, Grundlagen, 2005, S. 105. Bejahend jüngst etwa AnwG Freiburg, BRAK-Mitt. 2005, 27, 30 f. 29 In Singapur wird etwa näher erläutert, was insbesondere inadäquat sein soll: “lack of diligence and competence; improper costs; failing to complete work within reasonable time; failing to keep the client informed on the matter; failing to give receipt of client's moneys or securities; failing to provide a statement of accounts upon request; failing, without reasonable grounds, to respond to clients; failing to explain to clients the fees on contentious matters; failing to evaluate risks with the client of proceeding with a matter.” 28

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Soweit die meisten Berufsgesetze oder sonstigen sich mit anwaltlicher Berufsausübung befassenden Normen mit einem grundlegenden Aufriss der Anwaltstätigkeit, einer Definition des anwaltlichen Selbstverständnisses beginnen, erscheint es wünschenswert, dass in diese Kernaussagen auch die Mandantenorientierung der Leistungserbringung als Kernelement der anwaltlichen Berufstätigkeit aufgenommen wird. Es spräche nichts dagegen, im deutschen Recht etwa § 2 BRAO einen Absatz 3 folgenden Inhalts beizugeben: „Der Rechtsanwalt erbringt auf Grundlage adäquaten Fachwissens und komplementärer Schlüsselqualifikationen Rechtsdienstleistungen gegenüber seinen Auftraggebern, die er mit angemessener Professionalität und Sorgfalt betreut.“ Auf diese Weise würde die besondere Bedeutung des Problems herausgehoben angesprochen und zugleich eine Vermengung mit der zivilrechtlichen Regulierung der Anwaltstätigkeit sowie das verfassungsrechtliche Problem der Bestimmtheit sanktionsbewehrter Berufspflichten vermieden.

d) Zwischenergebnis Soweit verschiedene Gründe gegen die Statuierung allzu allgemein gehaltener Vorschriften zur Mandatsführung sprechen, solche vielmehr allenfalls außerhalb des sanktionierbaren Berufspflichtenprogramms postuliert werden sollten, bleibt die Frage unbeantwortet, ob es spezifische Berufspflichten geben sollte, die im Interesse prozessbasierter Qualität zumindest einzelne Aspekte der Mandatsarbeit verbindlich regeln. Der bekannte österreichische Publizist Karl Kraus, ein gefürchteter Justizkritiker, hat einmal, wenngleich mit Blick auf die Richterschaft, formuliert: „Die bloße Mahnung, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen, genügt nicht. Es müssten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie groß das Gewissen sein darf.“30 Im Kontext dieses Beitrags ist mit diesem Aphorismus die Frage angesprochen, inwieweit die Statuierung sehr spezieller Berufspflichten zur Art und Weise der Mandatsführung durch Rechtsanwälte ein überzeugender Regulierungsansatz wäre.

___________ 30

Kraus, Die Fackel 267/268, S. 42.

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3. Spezifische Berufspflichten a) Ausgangsbefund Die Tätigkeit des Strafverteidigers wird berufsrechtlich zunächst durch die allgemeinen Berufspflichten reguliert, die je nach tatsächlicher Ausgestaltung des Sachverhalts für eine Strafverteidigung typische Konstellationen erfassen können und auch die Art der Mandatswahrnehmung beeinflussen. Zu denken ist zunächst an die Verletzung der als core values bezeichneten Kernberufsregeln durch den Strafverteidiger, die jeweils auch einen mandantenschützenden Einschlag haben. Es geht um jene Berufspflichten, die nach allgemeiner Überzeugung aller Rechtsstaaten das Wesen der Anwaltstätigkeit ausmachen: Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Loyalität durch die Freiheit von Interessenkonflikten. Verletzungen dieser Pflichten zum Nachteil des Mandanten sind ein aus allen Rechtsordnungen bekanntes Problem, Stichworte sind etwa die problematische Mehrfachverteidigung, ideologisch vermittelte Bindungen tatsächlicher Art, die eine optimale Interessenvertretung verhindern, oder das Ausplaudern sensiblen Wissens, das dem Mandanten schadet. Allerdings ist zu konzedieren, dass der Strafverteidiger mit Blick auf diese Normen ebenso häufig in die Gefahr einer Pflichtverletzung gerät, weil er seinem Mandanten pflichtvergessen Vorteile verschafft, dies gilt insbesondere beim Verlust der Unabhängigkeit durch das Eingehen von Bindungen rechtlicher, wirtschaftlicher oder tatsächlicher Art oder für die weitere Berufspflicht der „würdevollen“ bzw. „sachlichen“ Aufgabenwahrnehmung. Aus dem bereits erörterten Grundverständnis heraus, dass das Verhältnis zum Mandanten vor allem ein solches zivilrechtlicher Natur ist, sind über die Kernberufspflichten hinaus gehende mandats- oder mandantenbezogene spezifische Berufspflichten jedenfalls in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen nur sehr rudimentär geregelt. Berufsrecht befasst sich vor allem mit dem Umgang des Rechtsanwalts mit Gerichten, Kollegen, Kammern, der allgemeinen Öffentlichkeit (Werbung)31. Das Mandat und der Mandant werden als Anknüpfungspunkt häufig nur dann interessant, wenn nicht nur die Einzelinteressen des Mandanten gefährdet werden können, sondern reflexartig auch die Rechtspflege als solche oder das Ansehen der Anwaltschaft betroffen sind. Unterschiedliche Anknüpfungspunkte für eine Änderung dieses status quo, eine spezifische Regulierung der Mandatswahrnehmung, sind vorstellbar: Zum einen kann angeknüpft werden an die fachspezifische Tätigkeit, etwa an die Strafverteidigung, ___________ 31 Vgl. zu den typischen Regelungskomplexen von Berufsrecht Ruffert in: Kluth, 2005, S. 254 ff.

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zum anderen ist ein allgemeinerer Ansatz vorstellbar, der sich nicht an den fachlichen Inhalten orientiert, sondern an prozessspezifischen Vorgängen. Oder, anders formuliert: Ist es, soweit der status quo unbefriedigend ist, de lege ferenda sachgerecht, fachspezifisch für die Strafverteidigung besondere Pflichten zu statuieren, oder erscheint es sinnvoller, prozessspezifisch die Mandatsarbeit, unabhängig von deren fachlichem Bezugsobjekt, zu regulieren?

b) Fachspezifische Regulierung aa) Berufspolitische Dimension Diese Frage ist vor allem eine berufspolitische und kann deshalb nicht verengt auf das Problem etwa der Strafverteidigung beantwortet werden. Die fortschreitende Aufsplitterung des Anwaltsmarktes in verschiedene Segmente – internationale Law Firms, Mittelstandskanzleien, Boutiquen, örtliche Sozietäten, Einzelanwälte mit spezifischen Zielgruppen, die sie bedienen – und die Spezialisierung des Rechtsdienstleistungsangebots ist ein rechtstatsächlicher Befund. Berufspolitik und auch Gesetzgeber halten aber weiterhin am Bild eines „Einheitsrechtsanwalts“ fest, der der berufene Vertreter der Bevölkerung in allen Rechtsangelegenheiten ist. Der Versuch, eine tätigkeitsspezifische Regulierung für bestimmte Bereiche des anwaltlichen Berufsbildes zu etablieren, konterkariert daher das bisher vorherrschende Verständnis berufsrechtlicher Regulierung. Wenngleich sicher ein Konsens zu erzielen wäre, dass etwa isoliert für den Bereich der Strafverteidigung spezifische Regelungen sinnvoll sind, so liegt das berufspolitische Risiko in einem solchen Ansatz, dass er Begehrlichkeiten von anwaltlichen Interessengruppen wecken wird, die für sich ebenfalls tätigkeitsspezifische Regulierung beanspruchen, die den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe gerecht wird. Zu denken ist z.B. an international tätige Großkanzleien, die zahlreiche bewährte Regelungen des Berufsrechts als nicht mehr zeitgemäß erachten und prima facie nachvollziehbare Gründe vorbringen, warum es z.B. im Mandanteninteresse sein soll, dass in die Vertretung widerstreitender Interessen eingewilligt, ein Erfolgshonorar vereinbart oder Mandatswerbung betrieben werden kann. Familienrechtlich spezialisierte Anwälte werden Gründe dafür vorbringen, dass es den Interessen Scheidungswilliger entspricht, wenn sie nur einen Rechtsanwalt beauftragen müssen und der Anwaltmediator an bestimmte Berufspflichten nicht gebunden ist. Eine solche schleichende Erosion der gemeinsamen Basis, auf der Anwaltstätigkeit erfolgt, läge nach meiner Überzeugung bei aller Nachvollziehbarkeit im Einzelfall langfristig nicht im Interesse des Berufsstands und der Rechtssuchenden: Transparente Regulierung schafft in einer Welt der Expertensysteme für den

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wissensunterlegenen Mandanten letztlich ein Gerüst, an dem er das Vertrauen in den einzelnen Experten festmachen kann32. Für einzelne Tätigkeitsbereiche strenger, für andere großzügiger zu regulieren, schwächt auf lange Sicht die Bedeutung der Anwaltschaft insgesamt, da ein solcher Ansatz die Zersplitterung des Rechtsdienstleistungsmarktes beschleunigen, seine Transparenz verschlechtern und damit das Verständnis der Bevölkerung für die Existenz von Monopolrechten, Berufs- und Sonderprivatrecht schwächen würde. bb) Rechtsvergleichender Befund Die Rechtsvergleichung bestätigt eine solche Zurückhaltung gegenüber tätigkeitsspezifischer Regulierung: Kaum ein Berufsrecht kennt Berufspflichten, die an eine bestimmte Ausschnittstätigkeit des Rechtsanwalts, etwa die Strafverteidigung, anknüpfen. Berufspflichten gelten regelmäßig für die anwaltliche Tätigkeit schlechthin, nicht nur für einzelne fachspezifische Bereiche. Dieser Befund gilt etwa für das deutsche, österreichische und schweizerische Recht, aber auch für das Berufsrecht der EU-Beitrittsstaaten, Frankreichs oder der skandinavischen Länder. Die in diesem Band abgedruckten Länderberichte aus Polen, Spanien, Italien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten belegen dies auch für jene Länder33. Allenfalls zu verzeichnen sind „best practice“Empfehlungen von privatrechtlich organisierten Zusammenschlüssen von Verteidigern, denen allerdings keine sanktionierbare Verbindlichkeit zukommt. So existieren in Italien die Regole di comportamento del penalista nelle investigazioni difensive der Unione delle Camere penali, in den Niederlanden Verhaltensregeln der Nederlandse Vereniging van Strafrechtsadvocaten. Eine Ausnahme gilt allerdings für einige der angelsächsischen Rechtsordnungen, die sich aufgrund ihrer kasuistisch geprägten Regulierung des Rechtslebens, eines abweichenden Verfassungsverständnisses und der Loslösung hierarchisch strukturierten kodifizierten Rechts zumeist leichter tun, sich von systematischen Vorbehalten zu lösen. So findet sich etwa in Schottland für solicitors ein eigener Code of Conduct for Criminal Work. Er enthält u.a. die Bestimmung, dass der solicitor die Verteidigung sorgfältig und zügig vorzubereiten hat, keine Mehrfachverteidigung übernehmen darf, welche Unterlagen er einem Mandanten überlassen darf und wie er mit Zeugen umzugehen hat. Detaillierte Vorgaben zur Mandatsführung enthält der Code of Conduct nicht. In Singapur ist in den Legal Profession (Professional Conduct) Rules ein spezieller Abschnitt der Berufsregeln der Tätigkeit als Strafverteidiger ___________ 32 33

Hierzu Kilian, ZRP 2005, 209 ff. Vgl. den Landesbericht Italien von Orlandi, in diesem Band S. 255.

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(„Defending accused persons“) gewidmet34. Er regelt u.a. das Verhalten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit einem Schuldbekenntnis des Mandanten und der Bereitstellung einer Kaution. Die Mandatsführung ist ausschließlich in der Rule 81 angesprochen, nach der sich der Rechtsanwalt auch nach der Verurteilung angemessen um den Mandanten kümmern soll. Einige spezielle Berufsregeln für Verteidiger enthält schließlich auch das Recht der baltischen Republiken Litauen und Estland. Das litauische Recht befasst sich in den Berufsregeln 23 bis 26 mit Verhaltensregeln des Rechtsanwalts bei Kenntniserlangung von der Schuld des Mandanten. Art. 19 des estnischen Berufskodex gibt ebenfalls Leitlinien bei einem Schuldbekenntnis des Mandanten vor und verbietet dem Rechtsanwalt unter anderem, zur Verteidigung seines Mandanten unberechtigte Anschuldigungen gegen Mitangeklagte zu erheben. Auffällig an den genannten verteidigerspezifischen Regelungen ist zweierlei: Der schottische Code of Conduct ist ausdrücklich nicht zu einer sanktionierbaren Practice Rule erklärt worden, sondern nach der Charakterisierung der Law Society ein bloßer „Leitfaden“. Auch hier wird das Bemühen deutlich, kein Sonderberufsrecht für einige Mitglieder des Berufsstands zu schaffen. In allen verteidigerspezifischen Regularien ist, mit der Ausnahme einer einzigen Regel aus Singapur und Schottland, die Frage der Betreuung der Mandanten nicht angesprochen. Die Regeln enthalten vielmehr vor allem strafprozessuale Bezüge, indem sie für bestimmte Verfahrenssituationen besondere Pflichten des Rechtsanwalts vorsehen.

c) Prozessspezifische Regulierung aa) Regel: Fragmentarische Regulierung Soweit im Berufsrecht ganz überwiegend auf eine fachspezifische Regulierung der Anwaltstätigkeit verzichtet wird, bedeutet dies nicht, dass eine umfassende prozessspezifische Regulierung die Norm wäre, etwa detaillierte Vorgaben gemacht würden, wie ein Mandat gleich welchen Inhalts ablauftechnisch und inhaltlich zu gestalten ist. Zwar finden sich, zumeist unter dem Topos „Anwalt und Mandant“ zusammengefasst, in vielen Berufsrechten einige wenige Detailregelungen, die Einzelaspekte der Mandatswahrnehmung durch den Rechtsanwalt betreffen. Unter dem Oberbegriff „Anwalt und Mandant“ werden ___________ 34

Dem in England und Wales existierenden Code of Conduct für Rechtsanwälte, die für den Public Defender Service tätig sind, liegt ein besonderer Regulierungsansatz zu Grunde; hierzu unten C.III.3.

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allerdings häufig vor allem Regeln zur Mandatsübernahme (einschließlich der Prävarikation) sowie Mandatskündigung und -abwicklung zusammengefasst. Nur wenige Berufspflichten betreffen die zwischen diesen beiden Eckpunkten liegende Phase. Die einzigen Pflichten, die in der Mehrzahl der Rechtsordnungen vorgesehen sind, betreffen die Pflicht zur Informierung des Mandanten über wesentliche Vorgänge (Deutschland, Bulgarien, Tschechien) sowie zur Beantwortung von Anfragen des Mandanten (Deutschland, Bulgarien, Tschechien, Finnland). Sonstige mandatsbezogene Pflichten, wie etwa die ehrliche Kommunikation der Erfolgsaussichten (Zypern), die Vermeidung unnötiger Kosten (Kroatien) oder das Verbot der heimlichen Kontaktaufnahme mit dem Gegner (Kroatien) kennen nur vereinzelte Berufsrechte.

bb) Ausnahme: “Client Care” Ausnahme ist auch hier wieder der angelsächsische Rechtskreis. Zumindest im Vereinigten Königreich hat der Normgeber weniger Scheu als anderswo, sich durch einen „ganzheitlicheren“ Ansatz intensiver mit der Mandatsführung des Rechtsanwalts zu befassen. Das entsprechende Regelwerk wird zumeist unter dem Schlagwort Client Care zusammengefasst. In England und Wales verpflichtet der Client Care Code 199935 den solicitor u.a. dazu, den Mandanten zu Beginn des Mandats in verständlicher Form über den Inhalt des Mandats, die mit ihm verbundenen Risiken und Kosten und seine zeitliche Dimension zu unterrichten, ihm Name und Kontaktmöglichkeiten des Sachbearbeiters und seines Vorgesetzten mitzuteilen, während des Mandats kontinuierlich über den Fortgang zu informieren sowie einen Ansprechpartner für den Fall von Beschwerden zu benennen. Darüber hinaus muss die Kanzlei ein schriftlich fixiertes Beschwerdemanagementsystem nachweisen; die entsprechenden Informationen sind dem Mandanten auf Wunsch auszuhändigen. Die entsprechenden Verpflichtungen haben den Rang einer Practice Rule (Practice Rule 15 des Code of Professional Conduct). Flankiert wird diese spezifische Regelung zum Client Care durch eine allgemeinere Norm im Solicitors Act 1974. Nach Section 37A hat eine der Law Society of England and Wales angegliederte Beschwerdestelle36 das Recht, aus ihrer Sicht qualitativ nicht adä___________ 35

Law Society of England and Wales (ed.), Guide to the Professional Conduct of Solicitors, London 1999, online abrufbar unter http://www.lawsociety.org.uk:80/ professional/conduct/guideonline.law. 36 Bis 2004 war dies das Office for the Supervision of Solicitors, seither der Consumer Complaints Service (CCS).

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quate anwaltliche Dienstleistungen (inadequate professional service, auch als IPS bezeichnet) zu sanktionieren37. Voraussetzung ist, dass die Leistungen des Anwalts nicht die quality which it is reasonable to expect of him as a solicitor besessen haben. Allerdings handelt es sich bei diesem Regelwerk normqualitativ um einen merkwürdigen Zwitter, da ausdrücklich betont wird, dass ein inadequate professional service kein Anwendungsfall von professional misconduct (eines im engeren Sinne berufsrechtlich durch Disziplinarmaßnahmen sanktionierbaren Fehlverhaltens) ist . Ähnlich weitgehende Regeln gelten für schottische solicitors. Diese erhalten durch die Solicitors (Scotland) (Client Communications) Rules 2005 Vorgaben zur Information des Mandanten über die Mandatsarbeit, die Kosten, den Sachbearbeiter und ein kanzleiinternes Beschwerdewesen. Darüber hinaus enthält der Code of Conduct die Anforderung, einen adequate professional service zu erbringen. Die Law Society of Scotland hat 2005 die bestehenden Regeln zum Client Care weiter verschärft und schreibt nunmehr vor, dass jede Kanzlei einen Client Relations Partner benennen muss, der der Law Society zu melden ist und Mandanten von dieser auf Beschwerde hin bekannt gegeben wird. Nach einer Mandatsübernahme hat der solicitor dem Mandanten zudem einen ausführlichen Letter of Engagement zu übersenden, der die Grundlagen des Tätigwerdens umreißt38.

d) Zwischenergebnis Die Statuierung spezifischer, die Erbringung der anwaltlichen Dienstleistung gegenüber dem Mandanten betreffender Berufspflichten ist nur sehr vereinzelt anzutreffen. Soweit sich entsprechende Regelungen finden, knüpfen sie nicht an ein bestimmtes Fachgebiet, etwa die Strafverteidigung, an, sondern befassen sich abstrakt mit dem Prozess der anwaltlichen Dienstleistungserbringung ohne Rücksicht auf die Anforderungen eines spezifischen Tätigkeitsfeldes. Allerdings fehlt es zumeist an einem in sich geschlossenen Modell; es bleibt bei sehr fragmentarischen Regelungen.

___________ 37

Diese Nähe zur Berufsorganisation der solicitors ist gegenwärtig Gegenstand von Reformüberlegungen; vgl. Kilian, AnwBl. 2004, 389, 391 f. Gedacht ist an eine einheitliche „Aufsichtsbehörde“ für alle Rechtsberufe. Aktuell übernimmt diese Klammerfunktion der Legal Services Ombudsman (vgl. www.olso.org). 38 Zur Problematik Yelland, Journal of The Law Society of Scotland 2003, 45.

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4. Resümee Bei der Untersuchung der berufsrechtlichen Regulierung der Mandantenorientierung der Anwaltstätigkeit hat sich gezeigt, dass Berufsrecht sich praktisch weltweit darauf beschränkt, die Mandatsführung durch zumeist rechtlich, jedenfalls aber praktisch nicht sanktionierbare, generalklauselartige Programmsätze beeinflussen zu wollen. Diese Programmsätze haben in der Praxis zumeist Appellcharakter und dienen vor allem der Berufsbildpflege, ohne dem Mandanten konkreten Nutzen oder einforderbare Qualität zu bringen. Gleichwohl haben entsprechende Vorschriften ihre Existenzberechtigung, da sie bei den Berufsangehörigen zumindest Problembewusstsein schaffen und das Berufsethos stärken können. Dort, wo sich entsprechende Aussagen zur Mandantenorientierung der Anwaltstätigkeit noch nicht finden – wie etwa im deutschen Recht –, sollten sie in den Berufsgesetzen ergänzt werden. Eine echte Steuerungsfunktion kann Berufsrecht daher nur über die Ausstrahlungswirkung sogenannter core values auf die Mandatsführung sowie durch spezifische, die Leistungserbringung gegenüber dem Mandanten betreffende Berufspflichten entfalten. Für die Mandatswahrnehmung haben die core values allerdings nur eingeschränkte Bedeutung, da Aspekte wie die anwaltliche Unabhängigkeit und die Freiheit von Interessenkonflikten vor allem das Zustandekommen eines Mandats ansprechen und nur eine eingeschränkte Bedeutung für die sich anschließende Mandatsführung besitzen. Auch spezifische, die Leistungserbringung gegenüber dem Mandanten betreffende Berufspflichten sind nur rudimentär vorhanden: Bei einer rechtsvergleichenden Gesamtschau zeigt sich, dass mit Ausnahme der in vielen Rechtsordnungen anzutreffenden Pflicht zur Information des Mandanten und Beantwortung seiner Anfragen praktisch keine mandatsbezogenen Berufspflichten existieren, die eine Steuerungsfunktion gegenüber dem Rechtsanwalt entfalten könnten. Noch ungewöhnlicher ist rechtsvergleichend eine fachspezifische Regulierung etwa der Strafverteidigertätigkeit; wo sie anzutreffen ist, beschränkt sie sich vor allem auf Pflichten im Kontext strafprozessualer Vorgänge und betrifft nicht die Mandatsführung. Allerdings gibt es aus dem angelsächsischen Rechtskreis vereinzelte Beispiele umfassender normativer Befassung mit fachspezifischer bzw. prozessspezifischer Regulierung. Diese Vorschriften zeichnen sich indes dadurch aus, dass sie bewusst nicht den Charakter von sanktionierbaren Berufspflichten haben, sondern sich als best practice-Leitfäden verstehen, die vor allem Problembewusstsein schärfen sollen und Orientierungshilfe geben wollen. Soweit sie nicht als echte Berufspflichten ausgestaltet sind, fehlt ihnen allerdings bei Verstößen die Möglichkeit disziplinarrechtlicher Sanktionierung, die Berufspflich-

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ten im engeren Sinne immanent ist. Diesem Problem können nur innovative Ansätze in einem mehrgliedrigen Anreizsystem begegnen. Hierauf wird noch einzugehen sein.

II. Verhaltenssteuerung durch Haftung

1. Einführung Klassisches Steuerungsinstrument neben dem Berufsrecht ist seit jeher die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Rechtsanwälten für die von ihnen durch die Verletzung vertraglicher Pflichten oder von Schutzgesetzen beim Mandanten verursachten Schäden. Flankiert wird das zivilrechtliche Haftungsregime in vielen Rechtsordnungen durch eine berufsrechtliche Pflicht zum Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Die Tatsache, dass in Deutschland nach Angaben der Versicherungswirtschaft ein Versicherungsvertrag alle vier Jahre zum Schadensfall wird, lässt den Rückschluss zu, dass den Versicherungsunternehmen jährlich über 30.000 Haftpflichtfälle durch Rechtsanwälte gemeldet werden.

2. Zivilrechtliche Statuierung von Verhaltenspflichten Der zivilrechtlichen Haftung kommt daher grundsätzlich eine erhebliche praktische Bedeutung zu. Sie lässt sich knapp wie folgt zusammenfassen: Treten im Rahmen eines nach dienstvertraglichen Regeln zu beurteilenden Mandats39 Störungen auf, so richten sich Schadensersatzansprüche des Mandanten nach den §§ 280 ff. BGB. Kernvorschrift dieses Regelungskomplexes ist § 280 BGB, der in Abs. 1 S. 1 anordnet: „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hieraus entstandenen Schadens verlangen.“ Die fehlerhafte Mandatsbearbeitung ist – ebenso wie das Ausbleiben jeglicher Leistung, eine verspätete oder eine unvollständige Leistung – eine solche in § 280 BGB tatbestandlich vorausgesetzte Verletzung einer Vertragspflicht des Rechtsanwalts als Dienstnehmer und Schuldner, nämlich die Schlechterfüllung der geschuldeten Leistung. Wie der Rechtsanwalt seine Leistung aus Sicht des Zivilrechts erbringen muss, um sich nicht dem Vorwurf der schadensersatzbegründenden schuldhaften Schlechterfüllung auszusetzen, hat die Rechtsprechung in einer umfangreichen Kasuistik herausgearbeitet. Den ___________ 39

Zu Qualifizierung des Anwaltsvertrags Kilian, Grundlagen, 2005, S. 48 ff.

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Anwalt treffen als vertragliche Grundpflichten die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, die Rechtsprüfungspflicht, die Beratungs- und Belehrungspflicht sowie die Pflicht zur Wahl des sichersten Weges40.

3. Einschränkungen der Steuerungsfunktion des Haftungsrechts Die Bedeutung des negativen Anreizes der zivilrechtlichen Haftung in einem Anreizsystem, das der Verbesserung der Prozesse der Dienstleistungserbringung dienen soll, ist allerdings aus verschiedenen Gründen begrenzt: Die Steuerungsfunktion ist von vornherein beschränkt, wenn eine Berufspflicht zur Versicherung von Haftungsrisiken besteht. Der Rechtsanwalt kauft sich dann aufgrund äußeren Zwangs von den wirtschaftlichen Risiken der Fehlleistung frei. Steuerungsfunktion übt die Haftung vor diesem Hintergrund eher durch das abstrakte Risiko aus, dass bei einer Vielzahl von Haftungsfällen die versicherungsvertragsrechtlich begründete Gefahr besteht, dass der Versicherer den Versicherungsvertrag kündigt (vgl. für das deutsche Recht § 158 VVG), der Rechtsanwalt keinen alternativen Versicherer findet und damit rechnen muss, wegen Verletzung der Pflicht zum Nachweis des Bestehens einer Berufshaftpflichtversicherung seine Zulassung als Rechtsanwalt zu verlieren41. Von diesem grundsätzlichen ökonomisch verwurzelten Problem einmal abgesehen, ist die Steuerungsfunktion in dem hier interessierenden Kontext aus einem weiteren Grund begrenzt – und dies trotz des ausdifferenzierten zivilrechtlichen Pflichtenprogramms, das jeden Rechtsanwalt trifft: Ein hoher Anteil der Haftungsfälle (ca. 45%) resultiert nicht aus falscher Rechtsanwendung, also den Inhalten der Dienstleistung im Rahmen von Rechtsprüfung, Beratung und Belehrung, sondern aus Fristversäumnissen der Rechtsanwälte42. Angesprochen sind bei einem solchen Organisationsverschulden Defizite im Prozess der Dienstleistungserbringung43. Eine strenge Haftung, im Verbund mit einer restriktiven Interpretation des Instituts der Wiedereinsetzung, kann insofern eine gewisse Steuerungsfunktion entfalten44. Dieser Hauptanwendungsfall der An___________ 40

Hierzu Kilian, Grundlagen, 2005, S. 61 ff. Zu diesem Problem van Bühren, Berufshaftpflichtversicherung, 2004, S. 172 ff. 42 Hartmann/Appel, Fristen, 2004. 43 Vgl. Kilian, Grundlagen, 2005, S. 65; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftung, 2003, Rn. 741. 44 Zur Steuerungsfunktion von Berufshaftung ausführlich Sommerschuh, Berufshaftung, 2003. 41

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern

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waltshaftung ist aber keiner der Strafverteidigerhaftung45: Fristversäumnisse des Verteidigers werden dem Beschuldigten oder Angeklagten in der Regel wegen § 137 StPO nicht zugerechnet46. Die typischen Haftungsrisiken, die zivil- oder verwaltungsrechtlich tätige Kollegen treffen, ergeben sich für Strafverteidiger damit kaum. So wird das praktisch völlige Fehlen von Kasuistik zur Haftung des Strafverteidigers in der Literatur mit dem Bemerken kommentiert, dass „strafrechtliche Mandate im Regelfall kein besonderes Haftungsrisiko bergen“47. Gleichwohl besteht auch für den Verteidiger ein grundsätzliches Risiko, in die Haftung zu geraten. Es folgt meist aus einer Verletzung der Beratungspflicht, die häufig auf einer fehlenden Belehrung über die Konsequenzen eines bestimmten prozessualen Vorgehens beruhen48. Die nicht sehr zahlreichen Entscheidungen zur Verteidigerhaftung49 betrafen etwa das Versäumnis, über das Risiko der Erhöhung einer Geldstrafe bei einem Einspruch gegen einen Strafbefehl50 oder den Verlust von Versorgungsbezügen eines Beamten bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bestimmter Länge51 zu belehren. Ebenfalls entschieden wurde über eine Klage, der das Versäumnis des Verteidigers zu Grunde lag, die zum Nachweis eines absoluten Revisionsgrunds im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO notwendigen Tatsachen vorzutragen52. Diese Entscheidung hatte sich auch mit dem zwangsläufig bei der Haftung von Verteidigern aktuell werdenden Problem zu befassen, welcher ersatzfähige Schaden im Raum steht – der Verlust der Freiheit nach einer Verurteilung zu Haft ist bei vielen Straftätern nur eingeschränkt in ökonomischen Dimensionen fassbar, Schmerzensgeld allenfalls in geringem Umfang in analoger Anwendung des Gesetzes über Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen vorstellbar. Es geht damit häufig lediglich um die Befreiung von Vergütungsansprüchen des Rechtsanwalts; eine Perspektive, die unter dem Aspekt der Steuerung von Anwaltsverhalten angesichts der durchschnittlichen Ausfälle von Vergütungsforderungen in der Rechtsanwaltschaft wenig abschreckend ist. ___________ 45 Zu dieser jüngst ausführlich monographisch Müller-Gerteis, Haftungssituation, 2005; ferner Zwiehoff, StV 1999, 555. 46 Burhoff, ZAP 2000, 109, 114 (Fach 22 R). 47 Vollkommer, Anwaltshaftung, 1989, Rn. 601. 48 Burhoff, ZAP 2000, 109, 114 (Fach 22 R). 49 Übersicht bei Müller-Gerteis, Haftungssituation, 2005, S. 5 ff. 50 OLG Düsseldorf StV 1986, 211. 51 OLG Nürnberg StV 1997, 481. 52 LG Berlin StV 1991, 310.

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Mit der Frage nach ersatzfähigen Schadenspositionen ist zugleich das Kernproblem der Strafverteidigerhaftung berührt, nämlich die haftungsausfüllende Kausalität. An ihrem Nachweis scheitert in der Praxis häufig jeder Schadensersatzanspruch53. Fehlerhafte Reaktionen des Rechtsanwalts auf Verfahrensfehler etwa werfen das Problem auf, dass eine Revision zwar zur Aufhebung eines Urteils geführt hätte, aber nicht notwendigerweise zu einem endgültigen Freispruch des Mandanten oder zu einer günstigeren Strafzumessung. Dies beurteilt der Regressrichter im Rahmen eines hypothetischen Inzidentverfahrens, dessen Inhalt dem Beweis sachlogisch nicht zugänglich ist und in dem es regelmäßig nicht zu Verfahrensfehlern kommen kann.

4. Resümee Der rechtstatsächliche Befund, dass der Strafverteidiger nur sehr eingeschränkt Regressrisiken ausgesetzt ist, bestätigt sich damit – jenseits klar konturierter Ausnahmefälle – aus zivilrechtlicher Sicht selbst für jene Bereiche, in denen sich typische Anwendungsfälle der Berufshaftung ergeben, wie die falsche Rechtsanwendung und -beratung oder die Versäumung von Fristen. Sie betreffen aber ohnehin – unabhängig vom betroffenen anwaltlichen Tätigkeitsbereich, aber insbesondere im Falle der Strafverteidigung – nur am Rande das hier interessierende Problem der mandantenorientierten Mandatswahrnehmung. Es bleibt daher festzuhalten, dass dem Haftungsrecht als negativem Anreiz in einem auf die Verbesserung von Prozessqualität ausgerichteten Anreizsystem insgesamt eine untergeordnete, im Falle des Strafverteidigers eine praktisch verschwindend geringe Funktion zukommt.

III. Verhaltenssteuerung durch ein Ombudswesen – der ideale negative Anreiz?

1. Einführung Nach dem bisherigen Befund sieht sich der Versuch der Verhaltenssteuerung auf der Prozessebene durch negative Anreize einem kaum überwindbaren Dilemma ausgesetzt: Das Fehlen eines kohärenten Systems prozessspezifischer Berufspflichten sowie die – rechts- und berufspolitisch nachvollziehbare – Scheu vor dem Einsatz des scharfen Schwerts des Disziplinarrechts zur Steue___________ 53

Ausführlicher Zwiehoff, StV 1999, 555, 558 ff.

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern

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rung der Dienstleistungsqualität einerseits, andererseits die Notwendigkeit des Nachweises eines Vermögensschadens, um das kompensatorische Haftungssystem des Zivilrechts anwenden zu können, machen es schwierig, eine angemessene Reaktionsmöglichkeit auf im Einzelfall festgestellte Verstöße schlechter, aber nicht schadensverursachender Dienstleistungsqualität zur Verfügung zu stellen. Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems kann an die Erkenntnis anknüpfen, dass in den wenigen Rechtsordnungen, in denen die anwaltliche Dienstleistungsqualität zu Regulierung geführt hat, bisweilen bereits auf der Ebene des Pflichtenprogramms ein Sonderweg beschritten wird54. Neben vertragsrechtlich begründete, durch Schadensersatz sanktionierte Pflichten und berufsrechtliche Anforderungen, deren Verletzung disziplinarrechtlich geahndet wird, tritt eine dritte Säule, namentlich best practice-Vorgaben, die weder Berufspflichten im engeren Sinne sind noch einen solchen Inhalt haben, dass ihre Verletzung regelmäßig zu ersatzfähigem Schaden beim Mandanten führen würde.

2. Das englische Modell der Supervision Das prominenteste Beispiel hierfür ist das bereits erörterte Modell des englischen Rechts, das die berufsrechtliche Anforderung kreiert hat, inadequate professional services (IPS) zu vermeiden. Ausdruck der Zwitterstellung des Rechtsinstituts der IPS ist, dass die Konsequenzen, die das Office for the Supervision of Solicitors bzw. der Consumer Complaints Service, das wohl am ehesten mit einer Ombudsstelle verglichen werden kann55, an einen berufsrechtlich definierten IPS knüpfen kann, im Kern zivilrechtlicher Art sind: Die Beschwerdestelle kann auf entsprechende Beschwerde hin aussprechen, dass der solicitor dem Mandanten eine Entschädigung von bis zu 15.000 GBP zu zahlen hat56, ihm verwehren, einen Teil seiner Vergütungsansprüche zu realisieren, die Anweisung erteilen, einen Missstand abzustellen, oder sonstige Maßnahmen anordnen, mit denen auf Kosten des solicitor das entstandene Problem gelöst ___________ 54

Hierzu bereits oben B.I.3. Aufgrund der Tatsache, dass es in England und Wales verschiedene Rechtsberufe gibt (u.a. solicitor, barrister, legal executive), die jeweils über vergleichbare Beschwerdestellen verfügen, existiert als übergeordnete Beschwerdestelle das Office of the Legal Services Ombudsman, das zugleich die Tätigkeit des Office for the Supervision of Solicitors beaufsichtigt. Dieses System ist gegenwärtig Gegenstand von Reformüberlegungen; Kilian, AnwBl. 2004, 389, 391 f. 56 Der Höchstbetrag ist kontinuierlich erhöht worden, von anfänglich 1.000 GBP im Jahr 1990 über 3.000 GBP und 5.000 GBP auf 15.000 GBP seit dem 1.1.2006. 55

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werden kann. Die entsprechenden Vorschriften bezeichnen vor diesem Hintergrund die Reaktionsmöglichkeiten der Beschwerdestelle auch nicht als Sanktionen, sondern als „flankierende Hilfsmittel“ (remedies). Erst wiederholter IPS kann auch zu berufsrechtlichen Sanktionen führen57. Nach der Rechtsprechung der englischen Gerichte ist das System ausdrücklich nicht schadensersatzrechtlicher Art und präkludiert deshalb nicht etwaige auf das Institut der professional negligence gestützte Schadensersatzklagen. Vielmehr dient das System der Qualitätssicherung58 und hat damit weder kompensatorischen noch disziplinarischen Charakter59, sondern verfolgt vor allem präventivregulatorische Zwecke. Anknüpfungspunkt sind damit, anders als im System der zivilrechtlichen Anwaltshaftung, nicht die Folgen qualitativ inadäquater Dienstleistungen für den Mandanten, sondern die Leistungserbringung selbst. Gleichwohl steht insbesondere bei der Bemessung einer Entschädigung oder der Reduzierung von Vergütungsansprüchen sachlogisch ein Verlust des beschwerdeführenden Mandanten im Raum. Dieser kann allerdings neben Vermögenseinbußen auch immaterielle Schäden umfassen, die sich aus dem Verhalten des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten ergeben. Zugleich enthält es neben der Entschädigungskomponente auch ein Instrumentarium zur Qualitätsverbesserung über den Einzelfall hinaus, soweit angeordnet werden kann, dass festgestellte Defizite durch den Rechtsanwalt behoben werden müssen. Dies kann etwa die Veränderung von Managementstrukturen, ein Training der Anwälte oder Mitarbeiter in Managementfragen oder Ähnliches umfassen60. 3. Resümee Nicht übersehen werden kann, dass ein solches Modell in einem gewissen Maße zwischen den etablierten Kontrollinstrumentarien des Berufsrechts im engeren Sinne auf der einen und der zivilrechtlichen Haftung auf der anderen ___________ 57

“A serious breach of the code, or persistent breaches of a material nature, will be a breach of the rule, and may also be evidence of inadequate professional services under section 37A of the Solicitors Act 1974.” 58 Siehe R v Solicitors’ Complaints Bureau, ex parte Singh & Choudry (a firm) [1995] 7 Admin LR 249: “…The object of the provision is not to enable an aggrieved client to bring any claim against the solicitors; it is not therefore a provision which requires proof of damage. The object of the provision is disciplinary. It is to assist in maintaining the standards to be achieved by solicitors and to provide sanctions in terms of costs and payments if the proper standards are not reached. It is the quality of the service, in our judgment, which is of importance in applying the relevant provision, not the consequences of any shortcoming on the part of the solicitor.” 59 Holland (ed.), Cordery, 1995, para. 403. 60 Moorhead/Sherr/Rogers, Compensation, 1998, S. 13.

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Seite gefangen ist: Auch wenn es mit Blick auf diese jeweils unterhalb einer Schwelle ansetzt, die berufsrechtliche und/oder zivilrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, bleiben doch Abgrenzungs- und Anwendungsprobleme. So zeigen Erfahrungen aus England und Wales, dass bei der Anwendung der Handlungsinstrumentarien von Seiten der Ombudsstelle in analoger Anwendung zivil- oder berufsrechtlicher Grundsätze verfahren wird. Mandanten sehen das Verfahren nicht selten als bloße Möglichkeit, außerhalb eines aufwendigen und kostspieligen Haftungsprozesses eine Entschädigung zu erhalten. Gleichwohl erscheint das Konzept am geeignetsten, das Problem zu lösen, dass Berufs- und Haftungsrecht nur unvollkommen in der Lage sind, prozessbasierte Defizite der anwaltlichen Dienstleistung zu regulieren.

IV. Zwischenergebnis

Die bisherige Analyse existierender und denkbarer negativer Anreize zur Verbesserung der Qualität der Prozesse anwaltlicher Dienstleistungserbringung hat ergeben, dass de lege lata weder das klassische Berufsrecht noch das zivilrechtliche Haftungsregime einen zufriedenstellenden Beitrag zur Zielerreichung leistet. Dieser unbefriedigende Befund lässt sich, wenn man die tradierten Grundstrukturen der Regulierung von Rechtsdienstleistungen beibehalten möchte, de lege ferenda nur begrenzt abstellen: Zivilrechtlich stehen die dogmatischen Grundlagen des Haftungsrechts – auch bei gewissen prozessualen Erleichterungen etwa im Bereich der Beweislast – einer effektiven Steuerung ebenso entgegen wie die Überwälzung hieraus resultierender wirtschaftlicher Risiken auf einen Versicherer. Das Berufsrecht im engeren Sinne lässt sich aus systematischen Gründen ebenfalls nur sehr eingeschränkt zur Prozesssteuerung verwenden. Eine tätigkeitsspezifische Regulierung ist aus berufspolitischen Gründen abzulehnen, da sie zu einem Abschied von dem Leitbild des Einheitsrechtsanwalts führen würde. Eine Lösung kann daher nur über eine am Dienstleistungsprozess orientierte Regulierung gesucht werden. Ein sinnvoller Ansatz ist insofern ein berufsrechtlich verankertes, umfassendes Client Care-Konzept, das Steuerungsfunktion bereits unterhalb der Schwelle der Verletzung von berufsrechtlichen und/oder zivilrechtlichen Pflichten entfaltet und mit einem „Sanktions“regime eigener Art versehen ist. Dieser Zwischenbefund zeigt zugleich, dass besonderes Augenmerk auf die Frage zu lenken ist, inwieweit im Gegensatz zu den ersichtlich problematischen negativen Anreizen positive Stimuli ein vielversprechender Ansatz zur Verhaltenssteuerung sind. Solche positiven Anreize sind im Anwaltsrecht bislang nur

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schwach ausgeprägt und werden insbesondere nicht bewusst als Elemente eines breit angelegten Regulierungskonzepts verwendet. C. Positive Anreize zur Verhaltenssteuerung I. Verhaltenssteuerung durch Marktzutrittsschranken

1. Einführung Eine starke Steuerungsfunktion haben vom Staat errichtete Marktzutrittsschranken, die den Zugang zu einer Erwerbsmöglichkeit von dem Nachweis abhängig machen, dass der Marktteilnehmer bestimmte Voraussetzungen erfüllt, die von Seiten des Staates an sein Tätigwerden geknüpft werden. Prominentes Beispiel ist der Rechtsdienstleistungsmarkt selbst, der nur dem zugänglich ist, der eine langjährige Ausbildung durchlaufen hat, nachweisen kann, dass seiner Berufsausübung keine persönlichen Inkompatibilitäten entgegenstehen und der sich durch Kammermitgliedschaft einem berufsrechtlichen Pflichtenprogramm unterwirft. Hier ist allerdings die Freiwilligkeit stark eingeschränkt, da durch die Monopolisierung der angestrebten Tätigkeit praktisch keine Handlungsalternativen für den Interessenten bestehen. Eine besonders effektive Form der Verhaltenssteuerung ist vor diesem Hintergrund die Verkoppelung von freiwilliger Unterwerfung unter Verhaltenspflichten und wirtschaftlichen Vorteilen, da hier ein konkreter Vorteil für die dauerhafte Einhaltung von Verhaltensstandards eingeräumt wird. Eine freiwillige Unterwerfung unter Verhaltensstandards ist typisches Element der Mitgliedschaft in freiwilligen Zusammenschlüssen. Gruppen von Anwälten mit identischer beruflicher Ausrichtung bzw. kongruenten Interessen schließen sich nicht selten auf freiwilliger Basis zusammen und verpflichten sich bei dieser Gelegenheit, bestimmte Verhaltensstandards bei der Berufsausübung einzuhalten. Beispiele im Bereich der Strafverteidigung sind die bereits erwähnten Zusammenschlüsse Unione delle Camere penali Italiane und Nederlandse Vereniging van Strafrechtsadvocaten, die jeweils Empfehlungen für die Berufsausübung gegeben haben. In all jenen Staaten, in denen für Rechtsanwälte keine Zwangsmitgliedschaft in einer Berufskammer angeordnet ist und keine umfassenden Rechtsdienstleistungsmonopole zu Gunsten der Anwaltschaft bestehen, sind die Anwaltsorganisationen letztlich ebenfalls freiwillige Zusammenschlüsse auf privatrechtlicher Grundlage. Beispiele hierfür sind die skandinavischen Länder, denen eine Verkammerung des Anwaltsberufs fremd ist. Die Anwälte als Mitglieder der privatrechtlich verfassten Berufsverbände unterwerfen sich den Berufsregeln durch den Entschluss zur Mitgliedschaft freiwillig, können

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sich ihnen aber jederzeit durch Austritt wieder entziehen. Die Motivation zur Mitgliedschaft mag insofern Ergebnis eines berufsethisch geprägten Berufsverständnisses sein, häufig spielen aber praktischere Gründe eine Rolle für die Unterwerfung: Neben der positiven Wahrnehmung einer entsprechenden Mitgliedschaft bei den angesprochenen Verkehrskreisen eröffnet eine Mitgliedschaft nicht selten faktisch, bisweilen auch rechtlich, Betätigungsmöglichkeiten, die ansonsten verwehrt blieben. Prägnantester Anwendungsfall für diese Verkoppelung von freiwilliger Unterwerfung unter Verhaltensstandards zur Überwindung von Marktzutrittsschranken ist der Bereich der staatlich finanzierten Rechtsdienstleistungen, die weltweit unter dem terminus technicus „legal aid“ zusammengefasst werden61 und vom Rechtsanwalt häufig den freiwilligen Anschluss an ein System verlangen, das Verhaltensregeln aufstellt.

2. Verhaltenssteuerung bei staatlich finanzierten Rechtsdienstleistungen a) Allgemeines Es entspricht einem weltweiten, von den Gegebenheiten in Deutschland allerdings abweichenden Trend, dass der Fiskus als Einkäufer entsprechender Beistandsleistungen, die er finanziell bedürftigen Bürgern zugute kommen lässt, sein finanzielles „Investment“ nicht durch jeden interessierten Rechtsanwalt erbringen lässt, sondern an die Vergabe entsprechender Aufträge die Verpflichtung des Rechtsanwalts knüpft, bestimmte Verhaltensstandards zu erfüllen. Zwar betrifft ein solcher Regulierungsansatz nur einen geringen Teil der Mandate, aber Reformen und Standards im Bereich staatlich finanzierter Rechtsverfolgung haben in vielen Ländern Eisbrecherfunktion auch für andere Bereiche der anwaltlichen Tätigkeit. In Deutschland, das bislang auf jegliche Qualitätsanforderung für Rechtsanwälte verzichtet, die Prozesskosten- und Beratungshilfemandate oder Pflichtverteidigungen übernehmen wollen, hat das jährliche Ausgabenvolumen mittlerweile die Schallmauer von 500 Mio. EUR durchbrochen62. Für Beiordnungen in Strafsachen, die aus rechtsvergleichender Sicht kein Fall klassischer legal aid sind, wenden die Bundesländer jährlich einen Anteil zwischen 16% und 22% ihres legal aid-Budgets auf, also einen Betrag, ___________ 61

Im deutschen Rechtssystem sind unter diesen Begriff die Institute der Prozesskostenhilfe, der Beratungshilfe und der Pflichtverteidigung zu fassen. 62 Vgl. Kilian, Prozesskostenhilfe, 2005, S. 269, 273 f. (die Zahlen beruhen auf einer vom Verfasser im Frühjahr 2005 bei den Landesjustizministerien durchgeführten Erhebung).

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der zwischen 82 und 113 Mio. EUR liegt63. Vor diesem Hintergrund ist die Frage durchaus legitim, ob der Staat für dieses erhebliche Investment nicht Leistungsstandards definieren kann und sollte. Vorbilder für eine solche Verhaltenssteuerung durch selektive Auftragsvergabe an die Anwaltschaft finden sich in zahlreichen Rechtsordnungen mit entwickelten legal aid-Systemen.

b) Contracting: Der Criminal Defence Service in England und Wales Besonders augenfällig ist eine entsprechende Entwicklung in England und Wales64. Das dortige System entsprach lange Zeit dem deutschen Modell der Beiordnung von Pflichtverteidigern. Eine Reform des Systems staatlich finanzierter Rechtsdienstleistungen führte Mitte der 1990er Jahre dazu, dass nur noch ausgewählte Kanzleien, die von einem Legal Aid Board vorgegebene Qualitätsstandards erfüllen konnten, entsprechende Mandate übernehmen durften. Dieses System ist in mehreren Stufen immer weiter verfeinert worden; aktueller Standard sind die Grundsätze des Criminal Defence Service (CDS) der Legal Services Commission (LSC). Die Legal Services Commission vergibt nach einem Ausschreibungsverfahren Arbeitsvolumina an Kanzleien. Aussichten auf einen contract haben nur Kanzleien, die über einen sog. Specialist Quality Mark (SQM) verfügen, eine Art zertifiziertes Qualitätssiegel für den Bereich des Strafrechts. Dessen Verleihung setzt voraus, dass zahlreiche qualitätssichernde Anforderungen erfüllt werden. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland die Übernahme eines staatlich finanzierten Mandats auf Seiten des Leistungserbringers an eine einzige Voraussetzung geknüpft ist – die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft – , ist es instruktiv, sich einen Überblick über die für englische Rechtsanwälte geltenden Anforderungen zu verschaffen, ohne deren Erfüllung keine legal aid-Mandate bearbeitet werden können65. So muss die Kanzlei zunächst einen sog. Quality Mark erwerben, eine Art staatliches Prüfsiegel, das die Qualität der Kanzlei zertifiziert66. Ein Erwerb des Quality Mark setzt voraus, dass zunächst ein Business Plan unterbreitet wird, der die beabsichtigten Rechtsdienstleistungen, die vorhandene Infrastruktur, die Qualifikationen der Mitarbeiter, Bürozeiten, Erreichbarkeit, eine Finanzplanung und Marketingaktivitäten enthalten muss. Der Business Plan muss von der Kanzlei alle sechs ___________ 63

Kilian, Prozesskostenhilfe, 2005, S. 269, 274. Hierzu auch Kilian/Buck, ZVerglRWiss 2003, 425. 65 Siehe im Detail http://www.legalservices.gov.uk/aboutus/contracting/index.asp. 66 Vgl. http://www.legalservices.gov.uk/criminal/forms/specialist_quality_mark.asp. 64

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern

141

Monate überprüft, bewertet und ergänzt werden; Reaktionen auf notwendige Anpassungen müssen dokumentiert werden. Die Kanzlei muss sich verpflichten, im Falle fehlender Kompetenz potentielle Mandanten an andere Leistungsanbieter zu verweisen, hierfür entsprechende Verhaltensrichtlinien für Mitarbeiter aufstellen, die gewöhnlich als erste mit potentiellen Mandanten in Kontakt geraten, und entsprechende Vorgänge dokumentieren. In der Kanzlei müssen schriftliche Managementgrundsätze existieren und allen Mitarbeitern, die aus ihnen ihre Aufgaben und Berichtspflichten entnehmen können, zugänglich sein. Verfahren der Aufsichtsbehörden oder Schlichtungsstellen, in welche die Kanzlei involviert ist, müssen der Legal Services Commission angezeigt werden. Für die finanziellen Belange der Kanzlei muss ein Verantwortlicher benannt werden; vierteljährlich muss eine Einnahme-Überschuss-Rechnung erstellt werden. Die Bücher der Kanzlei müssen mindestens alle 18 Monate extern geprüft, eine Berufshaftpflichtversicherung mit hoher Deckungssumme muss vorgehalten werden. Besonderes Augenmerk muss auf das Personalwesen gelegt werden: Für jeden Arbeitsplatz in der Kanzlei muss eine Arbeitsplatzbeschreibung nebst Anforderungsprofil existieren, die Auswahl von Personal in bestimmten vorgegebenen Strukturen erfolgen. Verhaltensmaßregeln mit denkbaren Sanktionen für den Umgang miteinander in der Kanzlei müssen fixiert und kommuniziert werden. Für neue Mitarbeiter muss binnen zwei Monaten eine einführende Schulung erfolgen, mit allen Mitarbeitern jährlich ein Personalgespräch geführt werden. In der Kanzlei muss ein detailliert vorgegebenes System der Supervision implementiert werden, jeder anwaltliche Mitarbeiter mindestens sechs Stunden pro Jahr fortgebildet werden. Die Kanzlei verfügt über ein definiertes System der Mandats- und Aktenbearbeitung. Diesbezüglich macht die LSC u.a. detaillierte Vorgaben dazu, wie, wann und in welchem Umfang mit dem Mandanten zu kommunizieren ist und dass eine schriftliche Planung der Mandatsbearbeitung zu erstellen ist. Notwendig sind Vorgaben an Mitarbeiter und die erforderliche Infrastruktur, um jederzeit die Vertraulichkeit von Mandanteninformationen zu wahren. Die Kanzlei muss ein effektives Beschwerdemanagement nachweisen, Feedback ihrer Mandanten einholen und analysieren sowie einen Qualitätsmanager benennen. Die LSC überprüft zunächst in einem Verwaltungsverfahren und sodann in einem zweistufigen Audit vor Ort, ob die vorstehenden Voraussetzungen von der Kanzlei erfüllt werden. Die entsprechenden Audits werden jährlich wiederholt und beinhalten eine Überprüfung ausgewählter Mandate durch einen sog. file review. Die Mandatsarbeit der Kanzlei wird hierbei anhand definierter transaction criteria bewertet, die zu 65-70% (je nach Rechtsgebiet) erreicht werden müssen, um den Audit zu bestehen. Die Transaktionskriterien beurteilen die Mandatsbearbeitung in den Kategorien Informationseinholung, erste Beratung, konkrete Mandatsbearbeitung, verfahrenstechnisches Handling und Abschluss

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des Mandats. Der Auditor erstellt einen ausführlichen Bericht und empfiehlt, ob die Kanzlei in den CDS aufgenommen werden soll bzw. in diesem verbleiben kann. Ist dies der Fall, wird der Kanzlei der Specialist Quality Mark (erneut) verliehen. Dieser ermöglicht lediglich, sich um einen sog. Contract mit der LSC zu bewerben; der SQM garantiert also noch keine tatsächliche Arbeit. Mit ihm kann allerdings, da ein Siegel verliehen wird, nach außen werbend in Erscheinung getreten werden. Ob ein Contract mit dem Inhaber eines SQM geschlossen wird, entscheidet die LSC anhand definierter Kriterien, zu denen u.a. die Erfahrung der Bewerber, die Strukturen der Kanzlei und der value for money gehören. Der Contract selbst legt für bestimmte Rechtsdienstleistungen und Rechtsgebiete eine Höchstzahl von Fällen fest, die die Kanzlei pro Jahr übernehmen darf, sowie die maximale Vergütung, die die LSC insgesamt über die Laufzeit des Vertrages zahlen wird (die Vergütung der Vertragspartner wird von der LSC allgemein bestimmt und nicht im Einzelfall ausgehandelt). Für bestimmte andere Rechtsdienstleistungen autorisiert der Contract lediglich dazu, Anträge auf Finanzierung einzelner Fälle an die LSC zu richten. Soweit die Kanzlei einen Contract erhält, wird ergänzend ein sog. contract compliance audit durchgeführt. Die Häufigkeit der Audits hängt von der Bewertung im vorangegangenen Audit ab, als dessen Ergebnis eine Kanzlei in die Qualitätskategorie 1, 2 oder 3 eingestuft wird. Die Audits haben etwa im Geschäftsjahr 2004/2005 dazu geführt, dass im Bereich des Zivilrechts rund 16% aller Kanzleien mit einem Contract auditiert wurden. Kanzleien, die im vorangegangenen Audit in die schlechteste Bewertungskategorie („Category 3“) gefallen waren, wurden zu fast 70% (Zivilrecht) bzw. 87% (Strafrecht) auditiert67. Von knapp über 3.000 Contracts wurden im Zivilrecht 101 wegen Verfehlens der Zielvorgaben nicht erneuert, Vergleichszahlen für das Strafrecht sind nicht mitgeteilt68.

c) Probleme Über die rechtspolitische Bewertung der Vor- und Nachteile eines solchen komplexen Systems des Contracting, das es in vergleichbarer Form etwa auch in Schottland gibt, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Nicht zu verkennen ist, dass es zu erheblicher Bürokratie führt. Der Prozess, einen Quality Mark und einen Contract zu erhalten, ist von enormer Bürokratie begleitet – Fragebögen und Handbücher, die von an legal aid-Arbeit interessierten Rechtsanwälten durchzuarbeiten sind, erreichen einen Umfang von Hunderten von ___________ 67 68

Legal Services Commission, Annual Report 2004/2005, S. 29, 46. Legal Services Commission, Annual Report 2004/2005, S. 29.

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern

143

Seiten69. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass ein Contracting zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der Anbieter führt, je strenger die Anforderungen an eine Vergabe werden. So sind in England und Wales die Vorgaben im letzten Jahrzehnt stetig verschärft worden. Dies hat dazu geführt, dass die Zahl der Kanzleien, die staatlich finanzierte Rechtsdienstleistungen erbringen können, von über 11.000 vor 1999 über 5.200 in 2001 im Bereich des Zivilrechts auf mittlerweile unter 4.000, im Bereich des Strafrechts auf unter 2.700 zurückgegangen ist70. Eine solche Entwicklung kann zu Problemen des Zugangs zum Recht in bevölkerungsschwachen Regionen, aber auch zu starker wirtschaftlicher Abhängigkeit der in das System integrierten Kanzleien führen – diese richten sich häufig, um überhaupt den Anforderungen genügen zu können, fast ausschließlich auf die im Rahmen von Contracts gefragten Tätigkeitsbereiche und die geförderten Zielgruppen aus und geraten in erhebliche Schwierigkeiten, wenn sie keinen neuerlichen Contract erlangen können. Der Haupteinwand, der aus deutscher Sicht diesem Modell entgegengesetzt werden dürfte, ist jener der enormen Kostenbelastung, die das System der legal aid in England und Wales mit sich bringt. England und Wales gibt bei einer Bevölkerung von 53 Millionen pro Jahr ca. 2.038 Mio. GBP für legal aid aus, während in Deutschland bei einer Bevölkerung von 82 Millionen die Aufwendungen für Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe und Beiordnung in Strafsachen bei ca. 514 Mio. EUR liegen71. Mehrere Relativierungen dieser Zahlen sind allerdings angezeigt, sowohl allgemein als auch mit Blick auf den Bereich der criminal legal aid: So fließt ein großer Anteil des legal aid-Budgets in England und Wales in die hoch entwickelte criminal legal aid72, die in Deutschland in dieser Form weder für das Straf- noch für das Ermittlungsverfahren noch für Beratung durch Rechtsanwälte oder Rechtshilfeeinrichtungen existiert. Während in Deutschland das Verhältnis von Prozesskostenhilfe zu den Kosten für Pflichtverteidigungen ca. 80 : 20% ist73, liegt die Vergleichszahl in Großbritannien bei 20 : 80% – dies ist zugleich Ausdruck einer rechtspolitischen prioritisation, also der Fokussierung des staatlichen Investments auf bestimmte Bereiche, die aus rechtlichen und politischen Gründen als besonders förderungswürdig angesehen werden. So hat der Criminal Defence Service für England und Wales im Geschäftsjahr 2004/2005 allein 172 Mio. GBP für ___________ 69

Vgl. nur das Formularwesen unter http://www.legalservices.gov.uk/criminal/forms/ cds.asp. 70 Vgl. Legal Services Commission, Annual Report 2004/2005, S. 25, 43. 71 Hommerich/Kilian, Jahrbuch, 2006. 72 Hierzu Kilian/Buck, ZVerglRWiss 2003, 425, 444 f. 73 Hommerich/Kilian, Jahrbuch, 2006.

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Beistandsleistungen in Polizeidienststellen ausgegeben, also mehr als das Doppelte der gesamten deutschen Aufwendungen für Pflichtverteidigungen74. Seriöserweise als Vergleichsgröße herangezogen werden kann wohl nur der Bereich der criminal legal aid, der dem deutschen Konzept der Pflichtverteidigung entspricht, die sog. right to representation orders. Sie führten 2004/2005 in England und Wales zu Aufwendungen von 288 Mio. GBP75. Letztlich wird sich jeder, der den Kosteneinwand erhebt, entgegenhalten lassen müssen, dass Deutschland in die staatliche Kostenhilfe im Bereich der Strafverteidigung aus rechtsvergleichender Sicht weniger investiert als andere Industrienationen – und dies, obwohl die Aufwendungen für Prozesskostenhilfe im Zivil- und Arbeitsrecht bereits dadurch minimiert sind, dass Deutschland der größte Rechtsschutzversicherungsmarkt der Welt ist und Bürger in entsprechenden Rechtsstreitigkeiten häufig keine staatliche Kostenhilfe in Anspruch nehmen müssen, weil sie auf eine Versicherungspolice zurückgreifen können (und dann auch müssen)76. Bei einem Vergleich von 12 Rechtsordnungen mit entwickelten Rechtssystemen rangiert Deutschland mit seinen Pro-Kopf-Ausgaben auf Rang 11 – lediglich Südafrika, das erst seit Überwindung der Apartheid legal aid im rechtsstaatlichen Sinne kennt und in dieser Hinsicht noch als „Entwicklungsland“ bezeichnet werden kann, gibt noch weniger Geld für legal aid aus als Deutschland. Noch drastischer sind diese Zahlen, wenn sie auf den Bereich der criminal legal aid beschränkt werden. Hier rangiert Deutschland beim Vergleich von zehn Nationen – mit Abstand – auf dem letzten Platz77.

Ausgaben legal aid pro USD 10,000 GDP

Ausgaben criminal legal aid pro USD 10,000 GDP

Belgien

1.49

n.v.

Deutschland

2.70

0.45

England und Wales

23.80

13.80

Finnland

4.30

1.95

Land

___________ 74

Legal Services Commission, Annual Report 2004/2005, S. 43. Legal Services Commission, Annual Report 2004/2005, S. 44. 76 Hierzu Kilian, Journal of Law Society 30, 31 (2003). 77 Die Zahlen beruhen auf einer zweijährlichen Erhebung der International Legal Aid Group (vgl. www.ilagnet.org), deren deutsches Mitglied der Verfasser ist. 75

Berufsrechtliche Verantwortlichkeit von Strafverteidigern

Hongkong

4.10

0.80

Irland

5.20

2.85

Kanada

5.00

2.20

Neuseeland

6.17

2.92

Niederlande

11.50

4.60

Schottland

18.40

12.50

Südafrika

1.38

n. v.

USA

3.70

2.90

145

Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass eine grundlegend zu beantwortende Frage auch ist, wie viel dem Staat der effektive Rechtsschutz seiner Bürger in Strafsachen letztlich wert ist.

3. Resümee Trotz einiger berechtigter Vorbehalte unterliegt es keinem Zweifel, dass Elemente des englischen Modells des Contracting wertvolle Anregungen für die Konzeption eines Steuerungssystems geben können, dem sich Rechtsanwälte freiwillig unterwerfen, um in einem bestimmten Marktsegment tätig werden zu können. Die Vorgaben, die sie zu befolgen haben, entfalten eine positive Wirkung auf die Strukturen, Prozesse und auch die Inhalte der Dienstleistung. Die Selbstverpflichtung des Anwalts hat aufgrund ihres Einflusses auf Strukturen, Prozesse und Inhalte, die die gesamte Anwaltstätigkeit erfassen, nicht nur Bedeutung für das spezielle Marktsegment, für das sie primär gilt, sondern hat Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Tätigkeit des Dienstleisters. Vorgaben des Staates als Einkäufer anwaltlicher Dienstleistungen kann daher katalytische Funktion zukommen, die andere Marktteilnehmer nicht übernehmen können oder wollen. So könnten z.B. Rechtsschutzversicherungen – sie zahlen etwa in Deutschland jährlich über 1,6 Mrd. EUR an Anwaltshonoraren78 – eine vergleichbare Steuerungsfunktion übernehmen, indem sie Versicherungsprodukte anbieten, die Versicherungsnehmer darauf beschränken, nur solche Rechtsan___________ 78

Vgl. Kilian/Hommerich/Jackmuth/Wolf, AnwBl. 2006, 200 f.

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wälte zu beauftragen, die einem Panel angehören, das der Versicherer nach Kriterien besetzt, die dem Contracting entsprechen. Wenngleich eine solche PanelBildung bereits betrieben wird, so ist die Stoßrichtung der Versicherungswirtschaft aktuell eine andere; es geht ihr weniger um die Qualität der finanzierten Rechtsdienstleistungen im Interesse der Versicherten als um das Bemühen, zu einem den eigenen wirtschaftlichen Belangen dienenden Preiswettbewerb zu stimulieren.

II. Verhaltenssteuerung durch wirtschaftliche Anreize

1. Einführung Das soeben diskutierte Anreizsystem, der durch eine Selbstverpflichtung ermöglichte Zugang zu Verdienstmöglichkeiten, hat bereits einen starken ökonomischen Einschlag. Wirtschaftliche Anreize zur Verhaltenssteuerung lassen sich allerdings durch eine Regulierung der anwaltlichen Vergütung direkter und wohl auch effektiver setzen. Die Vergütung desjenigen, der zu einem bestimmten Verhalten motiviert werden soll, steht daher im Zentrum vieler Anreizsysteme.

2. Variabilisierung der Vergütung Der verhaltenssteuernde Hebel ist eine Variabilisierung der Vergütung. Zwei Gestaltungsformen sind hier gebräuchlich: Erfolgsbezogene Vergütungssysteme versuchen einen Anreiz und einen Steuerungsimpuls für den Rechtsanwalt dadurch zu erreichen, dass sie ihn für den Erfolg der Mandatsbearbeitung belohnen. Leistungsbezogene Entgeltsysteme sind prinzipiell unabhängig von dem Wertzufluss; sie belohnen besondere Leistung durch einen variablen Entgeltanteil. Eine grundlegende Schwierigkeit bei dem Unterfangen, Verhaltenssteuerung durch Vergütungssysteme zu erreichen, ist allerdings, dass die Zeiten staatlicher Zwangstarife für die Anwaltstätigkeit lange der Vergangenheit angehören. Anwalt und Mandant genießen vielmehr in praktisch allen Rechtsordnungen die – bisweilen, so in Deutschland, verfassungsrechtlich garantierte – Vertragsfreiheit, können also die anwaltliche Vergütung individuell und ohne Rückgriff auf ein nach ordnungspolitischen Gesichtspunkten strukturiertes Tarifgesetz bestimmen. Ein Anwaltstarif, der wie das deutsche RVG oder das österreichische RATG lediglich subsidiäre Wirkung hat, also nur dann eingreift, wenn die Vertragsparteien, aus welchen Gründen auch immer, von einer Individualvereinbarung Abstand genommen haben, besitzt daher nur begrenztes

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Potential, zur qualitätssteigernden Verhaltenssteuerung fruchtbar gemacht werden zu können. Hinzu kommt, dass es ein ideales Vergütungssystem nicht gibt: Jedes denkbare Vergütungssystem „bezahlt“ seine Vorteile durch die ihm immanenten Nachteile79. Marktorientierte Zeithonorare leiden unter der für den Finanzier problematischen Ungewissheit, dass nie klar ist, wie viele Stunden in einem Mandat anfallen und zu vergüten sind – und ob die abgerechneten Stunden tatsächlich angefallen sind80. Pauschvergütungen bieten kein Stimulans für überdurchschnittliches Engagement, da dieses durch das alle Tätigkeiten abgeltende Einmalprinzip der Vergütung nicht zusätzlich belohnt wird81. Kleinschrittige Einzelvergütungen für bestimmte Tätigkeiten reizen zu einer Orientierung der Vergütung nicht an dem Notwendigen, sondern an dem Gebührenauslösenden, das nicht notwendigerweise fachlich angezeigt ist. Erfolgshonorare schließlich können nach landläufiger Vorstellung zu einer Übermotivation des Rechtsanwalts führen82. Der Staat befindet sich damit bei der Gestaltung seines Anreizsystems gleichsam zwischen Skylla und Charybdis: Für was immer er sich auch entscheidet, gewisse Nachteile muss er in Kauf nehmen. Er kann sich allenfalls überlegen, ob er zur Kontrolle der immanenten Risiken besondere Schutzvorkehrungen trifft, etwa eine spezialgesetzliche Äquivalenzkontrolle vorsieht oder bestimmte Nachweispflichten statuiert.

3. Vergütungsvereinbarungen Im Bereich des anwaltlichen Vertragsrechts ist es denkbar, durch gezielte Eingriffe in die Vertragsfreiheit Vergütungsmodelle zu fördern oder zu unterbinden, die ein bestimmtes Verhalten des Anwalts bei der Dienstleistungserbringung fördern bzw. unterbinden. Dieser Eingriff kann entweder auf der Ebene der Vertragsgestaltung oder durch eine spezielle Äquivalenzkontrolle der Vereinbarung erfolgen. Im Bereich der Strafverteidigung besonders verbreitet ist die Vereinbarung von Pauschalhonoraren. Aufgrund ihres Wirkungsprinzips können sie den Rechtsanwalt dazu anleiten, dass er in dem Wissen, unabhängig vom Umfang und Erfolg seiner Bemühungen eine feste – häufig sehr üppige – Vergütung ___________ 79

Vgl. Kilian, AnwBl. 2004, 688, 691; ders., BB 2006, 225. Kilian, AnwBl. 2004, 688, 689 ff. 81 Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung, 2005, Rn. 230 ff. 82 Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung, 2005, Rn. 250 ff. 80

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beanspruchen zu dürfen, das Mandat nicht mit der Intensität bearbeitet, die Vergütungsmodelle beflügeln, die den prozessorientierten Input des Rechtsanwalts in das Mandat belohnen. Pauschalhonorare haben einen entgegengesetzten Effekt: Sie fördern eine aus Sicht des Rechtsanwalts besonders effektive Arbeit – je weniger Zeit in das Mandat investiert werden muss, desto größer ist der unternehmerische Gewinn, da die Vergütung von vornherein starr ist. Mit dem Interesse des Mandanten an qualitativ hochwertiger Leistung deckt sich dieser Effekt nur, wenn auch in der Kürze der Zeit dieselbe Qualität der Dienstleistung produziert wird wie bei einer intensiveren Befassung mit dem Mandat83. Das Risiko, dass sich diese Erwartung nicht erfüllt, ist bei einem Pauschalhonorar jedenfalls höher als bei anderen Formen der Vergütung. Da ein Verbot von Pauschalhonoraren allgemein bereits deshalb nicht befürwortet wird, weil sie eine verbraucherfreundliche Preistransparenz gewährleisten, wie sie kein anderes Vergütungsmodell bieten kann, sind allenfalls vorsichtige korrigierende Eingriffe denkbar. Ein Beispiel hierfür bietet das deutsche Recht. Der BGH hat für die Äquivalenzkontrolle von Vergütungsvereinbarungen für eine besondere Konstellation, die insbesondere Pauschalhonorare trifft, eine starre Grenze der Angemessenheit eingeführt84. Überschreitet eine Vergütungsvereinbarung die für die fragliche Tätigkeit hypothetisch geltenden gesetzlichen Gebühren um mehr als das Fünffache, besteht eine widerlegliche Vermutung der Unangemessenheit der Vereinbarung. Widerlegt werden kann die Vermutung nur durch den detaillierten Nachweis, dass die tatsächlich entfaltete Tätigkeit ein Pauschalhonorar in der vereinbarten Höhe ausnahmsweise rechtfertigt. Ein solcher Ansatz ermöglicht eine, wenn auch recht schwach ausgeprägte Verhaltenssteuerung, weil der Rechtsanwalt damit rechnen muss, dass ihm eine hohe Vergütung nur zugesprochen wird, wenn er eine intensive Mandatsbearbeitung nachweisen kann. Leichter ist eine Verhaltenssteuerung zu erreichen, wenn die Gestaltung der anwaltlichen Vergütung dazu führt, dass sich das Interesse des Rechtsanwalts an seiner Vergütung und jenes des Mandanten an einer erfolgreichen anwaltlichen Tätigkeit wechselseitig befruchten. Erreichbar ist dies vorrangig durch eine output-basierte Vergütung des Anwalts, also ein anwaltliches Erfolgshonorar85. Bei diesem hängt die Vergütung des Rechtsanwalts zumindest zum Teil, häufig sogar vollumfänglich davon ab, dass er durch engagierte Arbeit am Mandat ein positives Ergebnis für den Mandanten herbeiführt. Paradigmatisch für eine solche Verkoppelung von Anwalts- und Mandanteninteressen steht die quota litis___________ 83

Grundlegend Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung, 2005, Rn. 250 ff. BGH NJW 2005, 2142; hierzu Henssler/Kilian, WuB VIII E § 3 BRAGO 1.05. 85 Hierzu grundlegend Kilian, Erfolg, 2003. 84

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Vereinbarung bzw. die contingency fee des amerikanischen Rechts86, bei welcher der Rechtsanwalt einen Prozentsatz des erstrittenen Erlöses hält, sich Rechtsanwalt und Mandant also gleichsam die Früchte der anwaltlichen Bemühungen teilen. Wenngleich aus verhaltenswissenschaftlicher und ökonomischer Sicht solche Anreize besonders sinnvoll erscheinen müssen, so ist doch festzustellen, dass in vielen Rechtsordnungen ein gewisses Unbehagen gegenüber Erfolgshonoraren jedenfalls in Form der Erfolgsbeteiligung besteht. Die Ablehnung fußt zumeist in einer vagen Sorge, dass der Rechtsanwalt versucht ist, seinem Mandanten „um jeden Preis“ zum Erfolg zu verhelfen, dass ein dem Anwaltsberuf unwürdiges gewerbliches Erfolgsstreben propagiert werde87. Diese Sorge ist, so sie sich überhaupt auf rationale Kategorien zurückführen lässt88, bei einem richtigen Verständnis der Wirkungsprinzipien von Erfolgshonoraren jedenfalls für das „einfache“ Erfolgshonorar unbegründet. Weltweit setzt sich aufgrund dieser Erkenntnis in den letzten Jahren ein Trend weg von bestehenden gesetzlichen Verboten hin zu bestimmten Formen von Erfolgshonoraren fort, um Mandanten, bei denen diese Vergütung die höchste Akzeptanz besitzt89, ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, mit dem sie ihrem Rechtsanwalt wirtschaftliche Anreize für eine optimale Mandatsbetreuung geben können90. Deutschland ist eines der wenigen Länder, das sich von dieser Entwicklung bislang abgekoppelt hat; die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2006 zur teilweisen Verfassungswidrigkeit von § 49b Abs. 2 BRAO dürfte hier jedoch einen Wandel bringen91.

4. Tarifvergütung Während im Bereich der Vergütungsvereinbarungen die Anreizsteuerung weitgehend den individuell ausgehandelten Kautelen überlassen bleiben muss, hat der Gesetzgeber bei der Tarifvergütung, also im Anwendungsbereich eines subsidiären Tarifgesetzes, unmittelbarere Einflussmöglichkeiten – allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung, dass sich die Betroffenen jederzeit durch eine individuelle Vereinbarung dem Tarifgesetz entziehen können. ___________ 86

Zu dieser Kilian, Erfolg, S. 145 ff.; Kritzer, Risks, 2004. Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Kilian, Erfolg, 2003, S. 62 ff. 88 Kritisch Kilian, Erfolg, 2003, S. 410 ff. 89 Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung, 2005, Rn. 269. 90 Vgl. die Übersicht bei Kilian, AnwBl. 2003, 452, 463. 91 BVerfG NJW 2007, 979; hierzu ausführlich Kilian, BB 2007, 1061. 87

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Naheliegend ist es, besondere Einzelvergütungen für jene Tätigkeiten zu gewähren, die mit Blick auf den Mandanten als besonders notwendig oder wünschenswert erscheinen, z.B. die Durchführung von Besprechungsterminen oder das Abfassen von Schreiben. Eine solche kleinschrittige Vergütung, die im Kern den bloßen Fleiß des Rechtsanwalts belohnt, führt aber nicht nur zu einer verbraucherunfreundlichen Preisintransparenz, sondern vor allem zu unnötigen anwaltlichen Bemühungen. Taxordnungen des 18. und 19. Jahrhunderts, die diesem Konzept weitgehend folgten, sind daher seit langem überholt92. Sie sahen z.B. eine Bezahlung per beschriebenem Bogen vor – abgeschafft wurden sie, weil sie nicht zu höherer Qualität führten, sondern lediglich zu unnötigen Aktivitäten der Anwälte, die nicht mehr die Tätigkeiten entfalteten, die rechtlich angezeigt waren, sondern vor allem das veranlassten, was weitere Einzelgebühren auslöste. Nicht nur die Rechtshistorie kann für dieses Problem Zeugnis ablegen. Aus Schottland ist etwa bekannt, dass der Versuch, Pflichtverteidiger durch eine zusätzliche Vergütung zum Besuch von inhaftierten Mandanten in Haftanstalten zu motivieren, in großem Umfang unnötige Besuche ausgelöst hat93. Auch im Bereich der Tarifvergütung ist letztlich zu beobachten, dass besonders effektive Verhaltenssteuerung durch ergebnisorientierte Gebührentatbestände erreicht wird. So sieht der deutsche Gesetzgeber trotz des umfassenden Verbots vertraglich vereinbarter Erfolgshonorare im Tarifgesetz eine Anzahl von Gebührentatbeständen vor, die ein bestimmtes Ergebnis der anwaltlichen Bemühungen belohnen – Beispiele sind die Vergleichsgebühr oder die Aussöhnungsgebühr –, weil er sich erhofft, insbesondere seinen Interessen dienende Ziele (Entlastung der Gerichte) erreichen zu können94.

5. Resümee Eine Verhaltenssteuerung durch unmittelbare wirtschaftliche Anreize ist vor allem durch staatliche Einflussnahme auf die anwaltliche Vergütung vorstellbar. Sowohl im Bereich der Vergütungsvereinbarungen als auch staatlicher Tarifgesetze sieht sich der Gesetzgeber dem Problem ausgesetzt, dass die Ermöglichung einer starken Pauschalisierung der Vergütung – etwa durch Pauschal___________ 92

Vgl. Ostler, Rechtsanwälte, 1982, S. 26 ff. Zum Problem der fixed fees im System der criminal legal aid in Schottland Lancaster, Report, 2005, S. 8 f. 94 Zu diesem Widerspruch mit Blick auf § 49b Abs. 2 BRAO Kilian, Erfolg, 2003, S. 262 ff. 93

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honorare oder Pauschgebühren – zu nachlässiger Mandatswahrnehmung anreizen kann, da unterhalb der Grenze haftungsrelevanter Nachlässigkeit besonderes Engagement nicht belohnt wird. Die naheliegende Alternative, die Vergütung des Rechtsanwalts an möglichst viele mandantenorientierte Einzelhandlungen zu knüpfen, führt erfahrungsgemäß zu unerwünschten Effekten des anderen Extrems, nämlich der Entfaltung fachlich überflüssiger, aber gebührenauslösender Tätigkeiten. Sachgerechte Alternative ist die Ermöglichung erfolgsorientierter Vergütungselemente durch den Gesetzgeber, da durch diese am ehesten sichergestellt werden kann, dass der Rechtsanwalt nicht möglichst wenige Aktivitäten (Gefahr bei der Pauschalierung) oder möglichst viele Aktivitäten (Gefahr bei kleinschrittiger Vergütung) entfaltet.

III. Verhaltenssteuerung durch Wettbewerb

1. Einführung Ein weiteres Stimulans kann die Förderung des Wettbewerbs von Anbietern identischer Rechtsdienstleistungen sein, die ihre Tätigkeit in unterschiedlichen Strukturen erbringen. Diese Wettbewerbssituation muss nicht notwendigerweise durch eine völlige Deregulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes herbeigeführt werden. Denkbar ist auch, dass eine Wettbewerbssituation innerhalb des monopolisierten Marktes durch staatlichen Eingriff künstlich geschaffen wird.

2. Künstlich geschaffener Wettbewerb Für das Konzept der Qualitätsverbesserung durch Wettbewerb stehen erneut beispielhaft England und Wales. Dort ist im Jahr 2001 ein Public Defender Service (PDS) etabliert worden, eine Art staatlicher Einrichtung, die durch ihre Angestellten Pflichtverteidigungen übernimmt und hierdurch mit Rechtsanwälten konkurriert, die Pflichtverteidigungen im Rahmen eines contract übernehmen. Seit 2001 sind in England und Wales sukzessive sog. Public Defender Offices in Großstädten etabliert worden; mittlerweile gibt es sie für acht Regionen95. Beschuldigten, die einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger haben, steht es frei, einen anwaltlichen Mitarbeiter des PDS oder einen selbstständig tätigen Rechtsanwalt zu wählen, der einen Contract (s.o.) hält. Dieses sog. mixed model setzt sich in legal aid-Systemen weltweit immer stärker durch. Es ___________ 95

Informationen unter http://www.legalservices.gov.uk/criminal/pds/index.asp.

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erstreckt sich über die Strafverteidigung hinaus auf viele Rechtsgebiete, da in vielen Rechtsordnungen staatliche Rechtshilfeeinrichtungen sog. staff lawyers beschäftigen, die Mandate finanzschwacher Bürger übernehmen. Entsprechende mixed models kennen, zum Teil noch in der Erprobungsphase, etwa die Rechtsordnungen in Brasilien, Kanada, England und Wales, Finnland, Irland, Südafrika, Neuseeland und Schottland96. Neben dem Leitgedanken, durch Wettbewerb Qualität zu stimulieren, ist ein weiteres Anliegen der mixed models, durch die Leistungserbringung in staatlichen Einrichtungen ein „benchmarking“ zu erreichen. In England und Wales, wo entsprechende Zahlen vorliegen, erreicht die Mandantenzufriedenheit einen Wert von 97-98%. Ein offensichtliches Problem ist die Wahrung der Unabhängigkeit der vom PSD angestellten Leistungserbringer; sie wird durch staatliche Garantien, einen Code of Conduct und die Ernennung eines sog. Professional Head gewährleistet. Die Niederlassungen des PDS werden wie Anwaltskanzleien geführt, sind aber in einem PDS Office Manual97 Qualitätsanforderungen unterworfen, die über die Erfordernisse hinausgehen, die für unabhängige Kanzleien gelten, die sich um legal aidAufträge bemühen.

3. Deregulierung von Beratungsmärkten Qualitätsstimulierender Wettbewerb kann auch durch die teilweise oder vollständige Überwindung existierender Rechtsdienstleistungsmonopole herbeigeführt werden. In vielen Rechtsordnungen genießen Rechtsanwälte weitgehende Monopolrechte. Für den Bereich der gerichtlichen Tätigkeit gilt dies in noch stärkerem Maße als für die außergerichtliche Beratung und Vertretung. Die Öffnung des Rechtsdienstleistungsmarktes für andere Anbieter als nur Rechtsanwälte verfolgt zumeist verschiedene Anliegen, u.a. die Versorgung der Bevölkerung mit Rechtsrat in Rechtsgebieten oder Regionen, für die sich die Anwaltschaft nicht in ausreichendem Maße interessiert, oder eine Intensivierung des Preiswettbewerbs zugunsten der Verbraucher. Ein rechtspolitischer Beweggrund kann allerdings auch die Hoffnung sein, durch eine verschärfte Wettbewerbssituation das zu schaffen, was in angelsächsischer Sprachfindung gerne als competition on excellence bezeichnet wird, also ein Qualitätswettbewerb zwischen Rechtsanwälten und anderen Rechtsdienstleistern. ___________ 96 Zum schottischen Public Defence Solicitors’ Office (PDSO) vgl. ausführlich Goriely/McCrone/Duff/Knapp/Henry/Tata/Lancaster/Sherr, Legal Studies Research Finding No. 37, Edinburgh 2001. 97 http://www.legalservices.gov.uk/docs/pds/OfficeManual.pdf.

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Erfahrungen aus dem Ausland belegen allerdings, dass sich diese Hoffnung auf einen Qualitätswettbewerb zumeist nicht erfüllt. Eine typische Beobachtung in deregulierten Beratungsmärkten ist, dass die vermeintlichen Wettbewerber nur sehr eingeschränkt um dieselbe Kundschaft buhlen. So ist häufig festzustellen, dass gewerbliche Mandanten größeren Zuschnitts und wohlhabendere Privatpersonen Rechtsanwälte aufsuchen, während die sich primär über den Preis positionierenden Wettbewerber vor allem Kleinunternehmer und einkommensschwächere Bevölkerungsschichten ansprechen und kostenlos tätige Einrichtungen für Bedürftige tätig werden. Hiermit geht in gewissem Maße eine Orientierung an den rechtlichen Bedürfnissen der Zielgruppen einher. Bestimmte Rechtsgebiete werden von den konkurrierenden Wettbewerbern nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt abgedeckt, der diesbezügliche Markt vielmehr anderen überlassen. Eine qualitätssteuernde Funktion kann Deregulierung vor diesem Hintergrund allenfalls haben, soweit man auf die unvermeidlich stärkere Spezialisierung der Anbieter abstellt, die aber eher die Dienstleistungsinhalte und weniger die Dienstleistungsprozesse betrifft. Ansonsten stellt sich häufig lediglich eine an sozioökonomischen und psychographischen Kriterien ansetzende Marktsegmentierung ein. Die dann entstehenden homogenen Teilmärkte leiden unter denselben Problemen wie der Gesamtmarkt auch. Selbst dort, wo es nicht zu einer spürbaren Marktsegmentierung kommt, also eine beschränkte Wettbewerbssituation entsteht, sprechen Indikatoren nicht für eine uneingeschränkt verbesserte Wahrung der Mandanteninteressen: So ist etwa in England und Wales festgestellt worden, dass nicht-anwaltliche Wettbewerber, die um dieselbe Kundschaft werben wie Anwälte, aufgrund ihrer stärkeren Spezialisierung mittelfristig eine höhere Vergütung beanspruchen als Rechtsanwälte98. In Finnland hat die schlechte Dienstleistungsqualität nicht-anwaltlicher Prozessbevollmächtigter gar zu einer „De-Deregulierung“ geführt, indem für die Prozessparteien ein Anwaltszwang eingeführt worden ist99. Zuvor hatten bereits finnische Rechtsschutzversicherer ihren Versicherungsnehmern untersagt, (zumeist preiswertere) nicht-anwaltliche Prozessbevollmächtigte auf Kosten der Versicherung zu beauftragen100.

___________ 98

Moorhead/Sherr/Paterson, Law & Society Review 37, 765 (2003). Allerdings ist zu konzedieren, dass sowohl die Qualität als auch die Mandantenorientierung dieser Wettbewerber im Durchschnitt höher eingeschätzt wird als jene der Rechtsanwälte; Moorhead et al., Quality, 2001, S. 91, 132. Siehe auch Goriely, Approach 2002, S. 14. 99 Sévon, European Lawyer, May 2004, S. 5. 100 Henssler/Kilian, AnwBl. 2005, 1, 3.

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4. Resümee Die Deregulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes kann nach den bisherigen Erfahrungen in deregulierten Märkten keine spürbare Verhaltenssteuerung der Markteilnehmer in qualitativer Hinsicht bewirken, da die Deregulierung zumeist eine Marktsegmentierung oder einen reinen Preiswettbewerb auslöst. Eine wenn auch eingeschränkte Steuerungswirkung hat die künstliche Schaffung von Wettbewerbern durch staatlichen Eingriff, wenn der Staat von ihm finanzierte Rechtsdienstleistungen durch eigenes Personal staatlicher Rechtshilfeeinrichtungen erbringen lässt, das an bestimmte Qualitätsstandards gebunden ist.

D. 10 Thesen 1. Die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen leidet häufig nicht oder nicht ausschließlich unter fehlerhafter Rechtsanwendung, sondern unter Defiziten im Prozess der Dienstleistungserbringung, die auf mangelnder Mandantenorientierung des anwaltlichen Leistungserbringers beruhen. 2. Die Berufstätigkeit der Anwaltschaft wird in Deutschland, aber auch anderen Rechtsordnungen, bislang nicht über ein kohärentes Anreizsystem gesteuert. Regulierung beschränkt sich zumeist auf die bloße Steuerung misserfolgsorientierter Adressaten durch berufsrechtliche Sanktionen und zivilrechtliche Haftung. 3. Ein ausdifferenzierteres Anreizsystem ist geeignet, die Mandatsführung von Rechtsanwälten zufriedenstellender auszugestalten. Ein an verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen orientiertes, ausdifferenziertes Anreizsystem muss auch positive Anreize enthalten, welche motivierende, informierende und verändernde Funktionen des Anreizsystems betonen. 4. Gegen die Statuierung allgemein gehaltener Berufspflichten zur Mandatsführung spricht das Gebot der Vorhersehbarkeit belastender Regelungen und Sanktionen sowie der Vorrang des Zivilrechts zur Regelung der Außenbeziehungen der Rechtsanwälte. Allerdings ist zu erwägen, eine Aussage zur Notwendigkeit der Mandantenorientierung außerhalb des sanktionierbaren Berufspflichtenprogramms, etwa in den §§ 1-3 BRAO, vorzusehen. Soweit im Berufsrecht spezifische Pflichten zur Mandatswahrnehmung aufgenommen werden, sind diese inhaltlich nicht fachgebietsspezifisch (Strafverteidigung), sondern prozessspezifisch zu orientieren. 5. Die zivilrechtliche Haftung kann im Bereich der Strafverteidigung aufgrund spezifischer prozessualer Regelungen und der Kausalitätserfordernisse im

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Bereich der Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung nur geringe Steuerungsfunktion entfalten. Dem Haftungsrecht als negativem Anreiz in einem auf die Verbesserung von Prozessqualität ausgerichteten Anreizsystem kommt damit nur eine untergeordnete Funktion zu. 6. Im Bereich der negativen Anreize eines Anreizsystems ist ein Ombudswesen am geeignetsten, das Problem zu lösen, dass Berufs- und Haftungsrecht aus funktionalen und rechtlichen Gründen nur unvollkommen in der Lage sind, prozessbasierte Defizite der anwaltlichen Dienstleistung zu regulieren. 7. Ein positiver Anreiz zur Verhaltenssteuerung kann die Gewährung von Vorteilen als Gegenleistung für die freiwillige Unterwerfung des Rechtsdienstleisters unter ein Pflichtenprogramm sein. Solche Vorteile können z.B. der Staat durch an Qualitätskriterien orientierte Zutrittschranken zum Markt staatlich finanzierter Rechtsdienstleistungen oder Rechtsschutzversicherungsunternehmen durch Vermittlung von Versicherungsnehmern gewähren. Die entsprechenden Vorgaben, die zur Überwindung der Marktzutrittsschranken zu befolgen sind, entfalten eine positive Wirkung auf Strukturen, Prozesse und auch Inhalte der Dienstleistung und haben nicht nur Bedeutung für das spezielle Marktsegment, für das sie primär gelten, sondern Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Tätigkeit des Dienstleisters. 8. Eine Verhaltenssteuerung durch unmittelbare wirtschaftliche Anreize ist vor allem durch staatliche Einflussnahme auf die anwaltliche Vergütung vorstellbar. Im Bereich der Vergütungsvereinbarungen wie auch staatlicher Tarifgesetze sieht sich der Gesetzgeber dem Problem ausgesetzt, dass die Ermöglichung einer starken Pauschalisierung der Vergütung – etwa durch Pauschalhonorare oder Pauschgebühren – zu nachlässiger Mandatswahrnehmung anreizen kann, da unterhalb der Grenze haftungsrelevanter Nachlässigkeit besonderes Engagement nicht belohnt wird. Sachgerechte Alternative ist die Ermöglichung erfolgsorientierter Vergütungselemente durch den Gesetzgeber. 9. Die Deregulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes kann nach den bisherigen Erfahrungen in deregulierten Märkten keine spürbare Verhaltenssteuerung der Markteilnehmer in qualitativer Hinsicht bewirken, da die Deregulierung zumeist eine Marktsegmentierung oder einen reinen Preiswettbewerb auslöst. Eine wenn auch eingeschränkte Steuerungswirkung hat die künstliche Schaffung von Wettbewerb durch staatlichen Eingriff, wenn der Staat von ihm finanzierte Rechtsdienstleistungen durch eigenes Personal staatlicher Rechtshilfeeinrichtungen erbringen lässt, das an bestimmte Qualitätsstandards gebunden ist. 10. Anreize zur Behebung festgestellter Defizite anwaltlicher Dienstleistungserbringung sind stets dann entbehrlich, wenn das Berufsethos der An-

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waltschaft auch ohne regulierende Eingriffe von außen eine hohe Qualität von Inhalten, Prozessen und Ergebnissen der anwaltlichen Dienstleistung sicherstellt. Ein solcher Idealzustand wird bei realistischer Betrachtung nie zu erreichen sein. Allerdings kann ein stark ausgeprägtes Berufsethos die Notwendigkeit, Anreizsysteme als Korrektiv festgestellter Defizite vorzusehen, abschwächen. Die Aus- und Fortbildung der Rechtsanwälte sollte daher stärker als bislang auch berufsethische Fragestellungen aufgreifen.

II. Strafverteidigung in verschiedenen Rechtsordnungen

Landesbericht Niederlande*

Peter J.P. Tak

A. Einleitung In den Niederlanden hat sich die öffentliche Meinung über den Strafverteidiger in der vergangenen Zeit wesentlich geändert. Früher genoss der Beruf hohes Ansehen, während heute die öffentliche Meinung über den Strafverteidiger zwiespältig ist.1 Einerseits ist der Beruf des Strafverteidigers prinzipiell mit gesellschaftlicher Bewunderung und Faszination verbunden und genießt hohes Ansehen in der Gesellschaft, denn der Verteidiger wagt es, den Goliath der Justiz zu bekämpfen. Und nicht nur das: es gelingt ihm auch des Öfteren zu siegen – nicht selten aufgrund besserer juristischer Qualität verglichen mit der des Staatsanwalts. Eine Anzahl von Strafverteidigern – und sei sie auch klein – ist höchst qualifiziert, besitzt große Sachkenntnis und ist von der Staatsanwaltschaft deswegen zu fürchten. Andererseits wird es dem Verteidiger verübelt, wenn er mit vernünftigen und klugen juristischen Argumenten einen Freispruch erwirkt oder eine Strafe erzielt, die nach Art und Höhe in der Öffentlichkeit als unangemessen angesehen wird, insbesondere dann, wenn die Straftat großen Abscheu erweckt hat. In einzelnen Fällen, in denen der Verteidiger erreichte, dass sein Mandant nicht zu einer Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt verurteilt wurde, wurde der Verteidiger von der Öffentlichkeit dafür mitverantwortlich gemacht, dass der Mandant während der Bewährungszeit erneut eine schwere Straftat beging. Dies erscheint mir nicht richtig. In dieser Hinsicht ist eine gewisse ___________ * 1

Stand: August 2005. de Roos in: de Hullu/Valkenburg, Straatsburg, 2000, S. 63 ff.

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Diskrepanz zwischen der öffentlichen Meinung und der Ansicht der Berufsgruppe selbst über die Aufgaben des Verteidigers zu erkennen. Nicht nur die gesellschaftliche Stellung des Verteidigers hat sich geändert; auch seine Stellung im Prozess gegenüber der Strafjustiz ist einem erhöhten Druck ausgesetzt. Früher wurde der Rechtsstreit in der Hauptverhandlung geführt, während der Schwerpunkt heute auf der Voruntersuchung liegt, insbesondere wenn verdeckte und andere besondere Ermittlungsmaßnahmen angewandt werden. Vom Rechtsanwalt wird erwartet, dass er in höchstem Maße aufmerksam, aktiv und kritisch ist, falls er noch Einfluss auf den Ablauf der Voruntersuchung haben will. Teilweise muss er sich seine Position in der Voruntersuchung gegenüber der Polizei und der Staatsanwaltschaft erkämpfen. Auch der Rechtsstreit selbst hat sich im Vergleich zu früher wesentlich verschärft. Er wird nicht mehr ausschließlich im Gerichtssaal, sondern auch in den Medien geführt. Wegen der Zunahme der Schwerstkriminalität wurden im Jahr 2000 die Befugnisse der Polizei und Justiz so wesentlich erweitert,2 dass der Gesetzgeber auch dem Strafverteidiger neue Befugnisse zur Antragstellung in einer „begrenzten Voruntersuchung“ (mini-instructie) zugestanden hat, um ein gewisses Kräftegleichgewicht wiederherzustellen. Der Strafverteidiger steht heute regelrecht unter Beschuss. Sein Berufsgeheimnis und das Zeugnisverweigerungsrecht geraten zunehmend unter Druck. Teilweise werden Strafverteidiger als Mittäter oder Gehilfen ihrer Mandanten gesehen oder der Geldwäsche verdächtigt. Damit drängen sich neue ethische Fragen auf. Die neuen Herausforderungen hängen nicht nur mit der großen Komplexität heutiger Strafverfahren nach nationalem und internationalem Strafverfahrensrecht zusammen, sondern auch mit der veränderten Rolle des Verteidigers gegenüber seinem Mandanten. Die steigende Anzahl von Strafverteidigern und der dadurch bedingte Wettbewerb sowie häufig im Vordergrund stehende finanzielle Interessen könnten dazu führen, dass Strafverteidiger den Boden moralischen Handelns verlassen und sich zu anfechtbarem Verhalten hinreißen lassen. Ein Problem könnte die steigende Zahl der immer besser qualifizierten und spezialisierten Strafverteidiger auch in Relation zur Senkung der Pflichtverteidigervergütung werden. Hier besteht die Gefahr, dass es zu einer Zweiteilung kommt zwischen hoch qualifizierten und spezialisierten Strafverteidigern, die ausschließlich gut bezahlende Mandanten verteidigen, und Verteidigern, die ___________ 2

Siehe Tak ZStW 112 (2000), 691 ff.

Landesbericht Niederlande

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aufgrund eingeschränkter finanzieller Mittel weniger qualifiziert und spezialisiert sind und zudem sehr viele Strafsachen gleichzeitig bearbeiten müssen. Vor diesem Hintergrund bildet es für den Verteidiger die größte Herausforderung, jedem Straftäter – arm oder wohlhabend, durchschnittlich oder schwerstkriminell – adäquaten und qualifizierten Rechtsbeistand zu leisten und eine gut qualifizierte Gegenpartei zu Polizei und Staatsanwaltschaft zu bleiben. Im Folgenden sollen fünf verschiedene Aspekte der Strafverteidigung behandelt werden. Zunächst wird das Verhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten im Strafprozess betrachtet. Unter anderem kommen Fragen über die Rolle des Strafverteidigers in der Strafrechtspflege, das Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten sowie sein Berufsgeheimnis zur Sprache. Auch die Entwicklung einer Verfahrensstrategie und ein eventuell strafbares Handeln des Strafverteidigers werden hier aufgegriffen. Im zweiten Teil wird die Rolle des Strafverteidigers im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Untersuchungsrichter näher beleuchtet. Der dritte Teil geht auf die Möglichkeiten eines Strafverteidigers ein, mittels Verfahrensabsprachen Einfluss auf den Ablauf des Strafverfahrens zu nehmen, sowie auf die damit zusammenhängenden Probleme. Daran anschließend werden mögliche Konflikte zwischen Verteidigerinteressen einerseits und Opfer- und Zeugenschutz andererseits erörtert. Schließlich werden Fragen besprochen, die mit berufsrechtlichen Regelungen zusammenhängen.

B. Stellung und mögliche Rollenkonflikte des Verteidigers I. Rechtliche Grundlagen

Seit der Grundgesetzreform des Jahres 1983 hat jeder Beschuldigte Anspruch auf Verteidigung durch einen Verteidiger seines Vertrauens. In § 18 I Grondwet (Grundgesetz der Niederlande, im Folgenden: GG-NL) ist festgelegt, dass jedermann sich in jeglichem Rechtsstreit Rechtsbeistand suchen kann.3 Dieses Recht besteht nicht nur in Strafprozessen, sondern auch in Disziplinarverfahren. Trotz der abstrakten Formulierung ist hiermit nicht gemeint, dass jedermann in der Wahl seines Verteidigers uneingeschränkt frei ist. Beschränkende Vorschriften können beispielsweise hinsichtlich der Qualität des juristischen Beistands erlassen werden. Außerdem muss der Rechtsanwalt durch seinen Mandanten schriftlich ermächtigt sein. ___________ 3

Drucks. Tweede Kamer, 1976-1977, no. 13873 no. 7, S. 27.

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Nach § 18 Abs. 2 GG-NL wird der Rechtsbeistand für einkommensschwache Personen gesetzlich geregelt. Dieser Auftrag an den Gesetzgeber enthält jedoch keine staatliche Verpflichtung, kostenlosen Rechtsbeistand zu gewährleisten.4 Eine gute Strafverteidigung liegt nicht nur im Interesse des Verdächtigen, sondern auch im gesellschaftlichen Interesse. Denn es besteht die Gefahr, dass auf Grund der Neigung zur Polarisierung zwischen Ermittlungs- und Verfolgungsorganen einerseits und dem Verdächtigen andererseits eine einseitig belastende Selektion des vorhandenen Beweismaterials stattfindet. Eine gute Strafverteidigung kann sich hiergegen wehren und die Verurteilung eines Unschuldigen verhindern. Vor diesem Hintergrund hat der Grundgesetzgeber den Anspruch auf Strafverteidigung formuliert.5 Neben dem GG-NL ist auch die EMRK als Rechtsgrundlage von Bedeutung. Aufgrund von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK hat der Verdächtige Anspruch auf Beistand eines Rechtsanwalts seiner Wahl. Wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, einen Rechtsanwalt zu bezahlen, so muss ein Rechtsanwalt bestellt werden, wenn dies im Interesse der Rechtspflege liegt. Eine ähnliche Bestimmung findet sich in Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbpR.

II. Grundsatz der Waffengleichheit

Der Grundsatz der Waffengleichheit im Sinne einer mit der Anklageseite gleichrangigen Einwirkungsmöglichkeit des Beschuldigten auf das Verfahren wird in der strafprozessualen Literatur meist lediglich im Zusammenhang mit der Zeugen- oder Sachverständigenvernehmung behandelt.6 Der Grundsatz der Waffengleichheit ist in den Niederlanden an sich anerkannt. In der Hauptverhandlung hat der Beschuldigte jedoch kaum noch die Möglichkeit, auf das Verfahren einzuwirken.7 Beweisanträge in der Hauptverhandlung zu stellen ist nur sehr begrenzt möglich. Gleiches gilt hinsichtlich der Möglichkeit, weitere Zeugenvernehmungen zu beantragen. Dies hängt damit zusammen, dass in den Niederlanden die Untersuchung in der Hauptverhandlung regelmäßig nicht mehr ist als die Wiederholung – anhand einer Verlesung der ___________ 4 Kortmann Grondwetsherziening, 1983, S. 111; PWC Akkermans Grondwet, 1987, S. 317. 5 Näher dazu de Jongh in: Koekoek/Konijnenbelt/Crijns Grondrechten, 1982, S. 367. 6 U. a. Corstens Strafprocesrecht, 2002, S. 140, 551; Prakken/Spronken Handboek, 2003, S. 173. 7 Schon 1976 wurde dies kritisiert; Myjer Delikt en Delinkwent 1976, 17.

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Polizeiprotokolle – und Bestätigung der in der Voruntersuchung gemachten Aussagen des Angeklagten und der Zeugen. Im Rahmen der Voruntersuchung findet in der Regel bereits die definitive Beweiserhebung statt. Es ist das Ziel der Voruntersuchung – und insbesondere der gerichtlichen Voruntersuchung –, die Hauptverhandlung so vorzubereiten, dass kaum noch unmittelbar Beweis erhoben werden muss. Kommt der Richter während der Hauptverhandlung zu der Überzeugung, dass dennoch ergänzende Beweise zu erheben oder anzufordern sind, so kann er zu diesem Zweck Zeugen und Sachverständige zur Hauptverhandlung laden. In der Regel verweist er die Sache jedoch an den Untersuchungsrichter zurück mit dem Auftrag, weitere Vernehmungen und Untersuchungen durchzuführen. Grundsätzlich ist die Beweiserhebung in der vorbereitenden Untersuchung abschließend. Dies gilt insbesondere für technische Beweismittel, normalerweise aber auch für den Zeugenbeweis.8 Das zeigt, dass in den Niederlanden der Grundsatz der Waffengleichheit insbesondere in der richterlichen Voruntersuchung von großer Bedeutung ist. Im polizeilichen Ermittlungsverfahren dagegen gibt es kaum eine reale Waffengleichheit. Solange der Verdächtige nicht in Haft genommen wird und keine gerichtliche Voruntersuchung gegen ihn stattfindet, erfährt er nichts von den Ermittlungen gegen ihn und kann auch nicht auf das Verfahren einwirken. Dem Beschuldigten steht das Recht auf Akteneinsicht erst zu, sobald ihm die Anklageschrift zugestellt worden ist. Wenn der Beschuldigte in Gewahrsam genommen wird, wird er über die Art der Beschuldigung informiert. In der Anordnung der Polizeihaft wird die Straftat so genau wie möglich beschrieben. Ferner werden dort der Grund des Haftbefehls und die Umstände, auf denen er beruht, angegeben (§ 59 Wetboek van Strafvordering, im Folgenden: StPO-NL). Da die Polizei für die Anordnung der Polizeihaft regelmäßig Standardformulare verwendet, wird meist keine Individualisierung des Verdachts auf den konkreten Einzelfall vorgenommen.9 Sobald der Beschuldigte zum ersten Mal von einem Untersuchungsrichter vernommen wird, nachdem die Staatsanwaltschaft die Eröffnung der gerichtlichen Untersuchung beantragt hat, wird ihm eine Abschrift dieses Antrags ausgehändigt (§ 207 StPO-NL).10 Falls das Interesse der Untersuchung nicht entgegensteht, kann dem Beschuldigten und seinem Rechtsanwalt Akteneinsicht gewährt werden11 (siehe dazu C.V.). ___________ 8

Siehe Tak ZStW 112 (2000), 170 ff.; vgl. C.I. Reijntjes Voorarrest, 1994, S. 26. 10 Vgl. die deutsche Übersetzung und Einführung von Scholten Wetboek, 2003. 11 Ausführlich dazu Tak ZStW 112 (2000), 170, 192 ff. 9

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Eine mit der Waffengleichheit vergleichbare Einwirkungsmöglichkeit des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren besteht grundsätzlich nur in der sog. Beschränkten Voruntersuchung (mini-instructie); dort hat der Beschuldigte die Befugnis, die Einleitung einer auf Teilbereiche beschränkten gerichtlichen Voruntersuchung zu beantragen (siehe unten C.IX.).12

III. Notwendigkeit eines (bestellten) Verteidigers

Eine generelle Verpflichtung, in einem Strafverfahren einen Verteidiger hinzuzuziehen, besteht in den Niederlanden nicht. Auch um an verfahrensrelevante Informationen zu gelangen, bedarf der Beschuldigte keines Verteidigers. Er darf selbst Unterlagen der Anklage einsehen und gegebenenfalls Zeugen befragen. Beschuldigten, denen die Freiheit entzogen worden ist, wird unabhängig von ihren Vermögensverhältnissen ein Verteidiger beigeordnet, sofern sie nicht bereits einen Wahlverteidiger haben. Den Anspruch auf einen Verteidiger hat der Beschuldigte, sobald er in Polizeihaft genommen worden ist (Art. 40 StPO-NL). Der Hilfsstaatsanwalt, ein Polizist höheren Ranges, unterrichtet in einem solchen Fall den Rechtsanwalt, der Bereitschaftsdienst hat, unverzüglich per Fax oder Telefon über die Inhaftierung. Ist der Bereitschaftsdienst nicht erreichbar, so muss die Inhaftierung unverzüglich dem Präsidenten oder Vizepräsidenten des Bezirksgerichts mitgeteilt werden. Dieser beauftragt daraufhin den Rat für Rechtsbeistand, dem Beschuldigten einen Rechtsanwalt für die Dauer der vorläufigen Festnahme beizuordnen. Der Beistand durch den Anwalt des Bereitschaftsdienstes endet, sobald der Beschuldigte freigelassen wird oder gegen ihn ein Untersuchungshaftbefehl ergeht. Im letzteren Fall erteilt der Präsident oder Vizepräsident des Bezirksgerichts dem Rat für Rechtsbeistand von Amts wegen den Auftrag, dem Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen (Art. 41 StPONL). Ein Beschuldigter, der sich in Freiheit befindet, hat keinen Anspruch auf Rechtsbeistand. Er kann jedoch die Beiordnung eines Verteidigers bei dem Rat für Rechtsbeistand beantragen. Dazu muss er eine Erklärung darüber vorlegen, dass sein Monatseinkommen unter 2033 Euro liegt. Je nach seiner finanziellen Lage können Ratenzahlungen festgesetzt werden. In diesem Fall hat der

___________ 12

de Roos Delikt en Delinkwent 1991, 599; Franken Strafvordering, 1994, S. 116.

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Beschuldigte allerdings nicht das Recht auf die Beiordnung eines Anwalts seiner Wahl.13

IV. Der Verteidiger – ein „Organ der Rechtspflege“?

Nach niederländischem Recht wird der Verteidiger anders als in Deutschland nicht als Organ der Rechtspflege verstanden.14 Die Position des Verteidigers leitet sich allein von der Stellung des Beschuldigten ab. Für sein Verhalten ist der Strafverteidiger selbst verantwortlich. Insbesondere muss er darauf achten, dass sein Auftreten und Handeln weder gegen das Recht noch gegen die einschlägigen anwaltlichen Verhaltensregeln verstößt. Der Strafverteidiger erteilt dem Beschuldigten juristischen Beistand, ist dessen Berater und Vertrauensperson und hat dafür zu sorgen, dass sein Mandant die optimalen Möglichkeiten erhält, seine Rechte als Prozesspartei zu verwirklichen. Dies gilt sowohl für einen vom Beschuldigten gewählten als auch für einen vom Gericht oder Rat bestellten Verteidiger.15 Grundsätzlich bleibt jedoch der Beschuldigte der Herr des Verfahrens (dominus litis), was die Strategie der Verteidigung angeht.16 Der Verteidiger ist nicht dazu verpflichtet, an der Sachaufklärung aktiv mitzuwirken und das Gericht über das Verfahren oder über die Rechtslage zu informieren, es sei denn, dass dies im Interesse seines Mandanten liegt. Im Prozess der Wahrheitsfindung spielt der Verteidiger nur eine marginale Rolle. Unternimmt der Verteidiger eigene Ermittlungen, so wird von Polizei und Staatsanwaltschaft leicht vermutet, dass der Strafverteidiger belastende Informationen vor der Justiz verheimlichen will.17 Jedoch kommt dem Verteidiger während des gesamten Verfahrens eine bedeutende Rolle als Überwacher der Rechtmäßigkeit von Zwangsmitteln und Ermittlungsmethoden ___________ 13 HR NJ 1998, 446. Aufgrund der EGMR-Rechtsprechung (u. a. Pakelli und Croissant) ist anerkannt, dass bei der Auswahl des beizuordnenden Rechtsanwalts die Wünsche des Beschuldigten zu berücksichtigen sind. 14 Im Rahmen des Forschungsprojekts „Strafvordering 2001“ wird eine intensive Diskussion über die Stellung des Strafverteidigers im Strafprozess geführt. Die verschiedenen Standpunkte lassen sich nicht kurz darstellen, da die Konsequenzen der unterschiedlichen Grundpositionen (Strafverteidiger als „officer of the court“ oder als Beistand seines Mandanten) wesentlich voneinander abweichen. Ausführlich dazu Blom/Hartmann in: Groenhuijsen/Knigge Onderzoek, 2000, S. 195 m. w. N . 15 Näher dazu unter C.II. 16 Spronken Verdediging, 2001, S. 321. 17 Prakken/Spronken Handboek, 2003, S. 7.

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zu. Falls er erfährt, dass diese nicht rechtmäßig sind, soll er hierzu aktiv Stellung nehmen.

V. Wahrheitspflicht des Strafverteidigers

In der Disziplinarrechtsprechung18 wird an dem zentralen Grundsatz festgehalten, dass dem Anwalt bei der Verteidigung seines Mandanten große, allerdings nicht absolute Freiheit zukommt. Der Verteidiger darf weder Tatsachen behaupten, deren Unwahrheit er kennt, noch darf er den Richter in die Irre führen.19 Folglich ist der Verteidiger grundsätzlich verpflichtet, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. Der Strafverteidiger ist jedoch nicht verpflichtet, das Gericht umfassend über Tatsachen zu informieren, die allein ihm bekannt sind; diese Informationen kann er zurückhalten. Er darf keinerlei Beweismittel präsentieren oder deren Verwertung beantragen, wenn er positiv weiß, dass diese gefälscht sind oder dass Zeugen nicht der Wahrheit gemäß aussagen. Dem Verteidiger kommt aber nicht die Pflicht zu, zu untersuchen, ob Beweismittel gefälscht sind oder Zeugen falsch aussagen werden. Dies wäre mit der Stellung des Verteidigers nicht vereinbar, außer wenn es im Interesse seines Mandanten liegt. Der Beschuldigte selbst darf falsche Aussagen machen. Offensichtlich unwahre Aussagen des Beschuldigten können allerdings vor Gericht als Beweis gegen ihn verwendet werden.20 Der Beschuldigte wird im Strafverfahren nie unter Eid vernommen. Zeugen hingegen werden vereidigt und müssen die Wahrheit sagen (§ 290 StPO-NL). Sagt ein Zeuge falsch aus, macht er sich nach § 207 StGB-NL des Meineids schuldig.

VI. Informationsweitergabe

Grundsätzlich ist es dem Verteidiger erlaubt, Informationen über den Verfahrensgegenstand, die er vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft erhalten hat, an seinen Mandanten weiterzugeben. Verteidiger und Beschuldigter haben mit Blick auf verfahrensrelevante Informationen prinzipiell die gleichen Befugnisse. ___________ 18

Siehe dazu unten F.II. Prakken/Spronken Handboek, 2003, S. 323; Spronken Verdediging, S. 626. 20 HR (= Hoher Rat) 1988 NJ 1989; 14 HR 2002, NJ 2002, 567. 19

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Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. In bestimmten Fällen hat der Verteidiger Zugang zu Informationen, die er dem Verdächtigen vorenthalten muss. Hierbei geht es zum einen um die Vernehmung von (anonymen) Zeugen im Vorverfahren und zum anderen um das Recht auf Akteneinsicht. Gemäß § 31 StPO-NL darf dem Verdächtigen die Einsicht in Protokolle verwehrt werden, die Vernehmungen oder Ermittlungshandlungen betreffen, bei denen der Verteidiger anwesend war. Dies gilt insoweit, als sich aus einem Protokoll ein Umstand ergibt, über den der Beschuldigte im Interesse der Untersuchung einstweilen nichts wissen darf. Vom Untersuchungsrichter oder vom Staatsanwalt muss diesbezüglich eine Beschränkung des Kontakts zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten angeordnet sein. Sie darf angeordnet werden, wenn sich aus bestimmten Umständen die begründete Vermutung ergibt, dass der Kontakt dazu benutzt werden soll, dem Verdächtigen eine Angelegenheit mitzuteilen, von der er im Interesse der Untersuchung vorerst nichts erfahren darf, oder wenn der Kontakt dazu missbraucht wird, die Ermittlung der Wahrheit zu behindern. Eine solche Beschränkung darf höchstens sechs Tage andauern, kann jedoch mehrmals angeordnet werden. Die Beschränkungsmöglichkeit besteht nur während der gerichtlichen Voruntersuchung (§ 50a Abs. 2 StPO-NL).

VII. Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant

Auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten gründet sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers.21 Gesetzlich ist es zum einen geschützt über die strafrechtliche Geheimhaltungspflicht (§ 272 StPO-NL), die für den Rechtsanwalt besteht, zum anderen durch ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht. Der Rechtsanwalt kann hiernach das Zeugnis insgesamt oder auch nur die Beantwortung bestimmter Fragen verweigern, wenn sich diese Fragen auf Wissen beziehen, das ihm auf Grund seines Berufs anvertraut worden ist (§ 218 StPO-NL). Die Geheimhaltungspflicht des Rechtsanwalts folgt daneben aus § 46 Advocatenwet (Rechtsanwaltsgesetz), wonach der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die Interessen seines Mandanten sorgfältig zu vertreten.22 Ausdrücklich formuliert ist sie auch in Regel 6 der Gedragsregels voor advocaten 1992 (Verhaltensregeln für Rechtsanwälte 1992).23 ___________ 21

Wisselink Beroepsgeheim, 1997, S. 130, 174. Wisselink Beroepsgeheim, 1997, S. 9. 23 Näher dazu unter F. 22

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Besondere Ermittlungsmaßnahmen gegen einen Rechtsanwalt sind grundsätzlich nicht gesetzlich begrenzt.24 Seit 2002 dürfen auch Telefongespräche eines Rechtsanwalts überwacht und seine Kanzlei observiert werden.25 Wenn das überwachte Gespräch jedoch Informationen enthält, hinsichtlich derer dem Anwalt ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 218 StPO-NL zusteht, dürfen diese Gespräche nicht zu den Akten genommen, sondern müssen vernichtet werden (§ 126aa Abs. 2 StPO-NL). In der Literatur wird bezweifelt, dass eine spätere Vernichtung vertraulicher Informationen einen ausreichenden Schutz vor Verstößen gegen das Berufsgeheimnis bietet.26 In der Vergangenheit fand die Vernichtung des gefundenen Materials nicht konsequent statt.27 Deshalb waren nähere Weisungen des Kollegiums der Generalstaatsanwälte notwendig.28 Die Kanzleiräume des Verteidigers dürfen durchsucht, sein Telefon abgehört und seine Verteidigerunterlagen beschlagnahmt werden, wenn diese Maßnahmen darauf gerichtet sind, Gegenstände und Informationen aufzuspüren und zu erlangen, die Objekte einer Straftat sind oder zur Verübung einer Straftat benutzt wurden (corpora et instrumenta delicti). Die Durchsuchung und die Beschlagnahme in einer Anwaltskanzlei dürfen sich jedoch nicht auf andere Briefe und Schriftstücke erstrecken als diejenigen, die den Gegenstand der Straftat ausmachen oder zu deren Begehung gedient haben (§ 98 StPO-NL). Durchsuchung nach und Beschlagnahme von anderen Schriftstücken als den corpora et instrumenta delicti ist nach der Rechtsprechung des Hohen Rates nur erlaubt, sofern die Schriftstücke nicht unter die Geheimhaltungspflicht fallen.29 Corpora et instrumenta delicti fallen nie unter die Geheimhaltungspflicht.30 Grundsätzlich entscheidet der Rechtsanwalt selbst, ob Briefe oder Schriftstücke unter die Geheimhaltungspflicht fallen. Nur wenn zweifelsfrei feststeht, dass seine Entscheidung falsch ist, dürfen Durchsuchung und Beschlagnahme fortgesetzt werden.31 ___________ 24

Spronken Verdediging, 2001, S. 424. Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die besonderen Ermittlungsmaßnahmen v. 1.2.2002 war die Überwachung von Gesprächen zwischen Rechtsanwalt und Mandant ausdrücklich verboten, außer wenn der Rechtsanwalt selbst einer Straftat verdächtig war. Seitdem ist dies nicht mehr der Fall. 26 Spronken Verdediging, 2001, S. 429; Prakken/Spronken Handboek, 2003, S. 130. 27 Spronken Nieuwsbrief Strafrecht 2002, 7. 28 Instructie Vernietiging geintercepteerde gesprekken geheimhouders (1.4.2002), Nieuwsbrief Strafrecht 2000, 266. 29 HR 1988 NJ 1989, 213. 30 HR 1994 NJ 1994, 537. 31 HR 1985 NJ 1986, 533. 25

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Um einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht in solchen Fällen vorzubeugen, wird in der Praxis bei Durchsuchungen stets der Vorsteher der örtlichen Anwaltskammer eingeladen zu beurteilen, ob die Beweisstücke unter die Geheimhaltungspflicht fallen.32 Eine Beschlagnahme von Gegenständen ist nur zulässig, wenn diese Gegenstände der Wahrheitsfindung dienen oder einen widerrechtlich erlangten Vorteil nachweisen können. Ferner sind alle Gegenstände beschlagnahmefähig, deren Einziehung oder Entziehung aus dem Verkehr angeordnet werden kann (§ 94 StPO-NL). Die Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Mandanten gehören und sich bei seinem Verteidiger befinden, ist grundsätzlich zulässig. Der Rechtsanwalt ist wegen seines Zeugnisverweigerungsrechts jedoch nicht verpflichtet, Gegenstände zum Zweck der Beschlagnahme herauszugeben, soweit die Herausgabepflicht mit seiner Geheimhaltungspflicht in Konflikt geraten würde (§ 96a StPO-NL).

VIII. Verschwiegenheitspflicht des Verteidigers

Der Verteidiger ist nach Regel 6 der Verhaltensregeln für Rechtsanwälte zur Verschwiegenheit hinsichtlich beruflich erlangter Informationen verpflichtet (Berufsgeheimnis). Verletzt er dieses Berufsgeheimnis absichtlich, so verstößt er gegen § 272 StGB-NL und kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 11.250 Euro bestraft werden. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses kann darüber hinaus auch standesrechtlich geahndet werden.33 Ziel von § 272 StGB-NL ist sicherzustellen, dass man sich vertrauensvoll an einen Strafverteidiger wenden kann.34 Das Berufsgeheimnis gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So kann eine Verletzung des Berufsgeheimnisses gerechtfertigt sein, wenn sie übergeordneten Interessen dient, z. B. wenn der Rechtsanwalt durch die Offenbarung von Informationen einen Mord verhindern kann. Wird dem Strafverteidiger selbst strafbares oder deliktisches Verhalten vorgeworfen, so ist er nicht an seine Geheimhaltungspflicht gebunden, da er sich sonst gegen die Vorwürfe nicht

___________ 32 Handleiding bij bezoek (fiscale) opsporingsambtenaren, Nieuwsbrief Strafrecht 1998, 166. 33 Disziplinarhof v. 10.6.1987 (975), Advocatenblad 1988, 251, und v. 11.5.1998 (2550) nicht veröffentlicht. 34 Cleiren/Nijboer Strafrecht, 2002, Rn. 1 vor § 272.

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wehren könnte. Dasselbe gilt, wenn der Mandant gegen seinen Verteidiger ein standesrechtliches Verfahren anstrengt.35 Für bestimmte Straftaten besteht eine Anzeigepflicht (§ 160 StPO-NL). Es handelt sich hierbei um Straftaten gegen die Staatssicherheit (§§ 97 - 107a StGB-NL), Verbrechen gegen die Würde des Königs (§§ 108 - 110 StGB-NL), Verbrechen, die eine Lebensgefahr verursachen, und Verbrechen gegen das Leben (§§ 278 - 296 StGB-NL), Menschenraub (§ 278 StGB-NL) und Vergewaltigung (§ 242 StGB-NL). Diese Anzeigepflicht gilt gemäß § 160 Abs. 2 StPO-NL jedoch nicht für Rechtsanwälte, sofern ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Ein Rechtsanwalt, der trotzdem Anzeige erstattet und dadurch sein Berufsgeheimnis verletzt, kann sich auf Notstand i. S. v. § 40 StGB-NL berufen.36

IX. Entwicklung der Verfahrensstrategie

Die Entwicklung einer Verfahrensstrategie ist Aufgabe des Verteidigers, wobei er den Wünschen seines Mandanten Rechnung tragen muss. In Regel 9 der Verhaltensregeln (Gedragregels) von 1992 ist festgelegt, dass der Rechtsanwalt die alleinige Verantwortung für die strafprozessuale Behandlung der Sache trägt. Erhält er von seinem Mandanten Weisungen, mit denen er nicht einverstanden ist, so muss er versuchen, seinen Mandanten mit Hinweis auf die Folgen von diesen Weisungen abzubringen. Gelingt ihm dies nicht und will er die Weisungen nicht befolgen, so muss er sein Mandat niederlegen.

X. Strafbarkeit wegen Geldwäsche

Seit dem 1. Juni 2003 sind Rechtsanwälte gesetzlich verpflichtet, unübliche finanzielle Transaktionen bei der Meldestelle für unübliche Transaktionen anzuzeigen.37 Objektive und subjektive Indikatoren für eine unübliche Transaktion sind für Rechtsanwälte in dem Beschluss vom 11.3.2003 festgelegt.38 ___________ 35

Disziplinarhof v. 30.5.1988, 1108, und v. 6.11.1989, 1173. Auf den Rechtfertigungsgrund kann er sich nicht berufen (§ 42 StGB-NL), da die Anzeigepflicht für den Rechtsanwalt nicht gilt. Vgl. Buruma in: Melai/Groenhuijsen Strafvordering, § 160 Rn. 3. 37 Nach dem Gesetz zur Anzeige unüblicher finanzieller Transaktionen (Wet Melding ongebruikelijke transacties); EG-Richtlinie 2001/97/EG, PbEG 2001, L 433, S. 76. 38 Staatscourant 14.3.2003 Nr. 52, S. 13; Beschluss zur Anzeigepflicht freier Berufsgruppen und Indikatorenliste zur Änderungsfeststellung für unübliche Transaktionen 36

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Objektive Indikatoren sind gegeben, wenn der Rechtsanwalt bei der Polizei oder Justiz ein Geschäft meldet, bei dem Geldwäsche zu vermuten ist; er muss dieses Geschäft dann auch der Meldestelle für unübliche Transaktionen anzeigen. Objektive Indikatoren liegen ferner dann vor, wenn mehr als 15.000 Euro in bar oder per Scheck an den Rechtsanwalt gezahlt oder durch seine Vermittlung als Bezahlung weitergeleitet werden. Aufgrund subjektiver Indikatoren besteht eine Meldepflicht auch bei Transaktionen unter 15.000 Euro, wenn aus Sicht des Rechtsanwalts anzunehmen ist, dass die Transaktion auf Geldwäsche angelegt ist oder dass die Transaktion einen Vorteil für den Mandanten begründet und Grund zu der Annahme besteht, dass er eine Meldung umgehen will. Im Rahmen der subjektiven Indikatoren muss sich dem Rechtsanwalt auf Grund seiner Erfahrung der Verdacht aufdrängen, dass der Mandant die Transaktion bewusst unterhalb der Grenzwertsumme (15.000 Euro) belässt.39 Nach § 1 Abs. 2 Wet Melding ongebruikelijke Transacties (Gesetz über die Anzeige unüblicher Transaktionen) ist der Rechtsanwalt zur Anzeige nicht verpflichtet, wenn seine Aktivitäten auf die Feststellung der Rechtslage, die Vertretung seines Mandanten, die Verteidigung von dessen Rechten oder die Beratung vor, während und nach einem Verfahren gerichtet sind oder dessen Einleitung oder Vermeidung betreffen. Kommt der Rechtsanwalt der Meldepflicht nicht nach, so macht er sich nach § 1 Abs. 2 Wirtschaftsstrafgesetz (Wet Economische Delikten) strafbar. Die Höchststrafe liegt bei zwei Jahren Freiheitsstrafe und 45.000 Euro Geldstrafe. Von Bedeutung sind im Zusammenhang mit Geldwäsche auch die sog. Bruyninckx-Richtlinien40 des Niederländischen Rechtsanwaltsvereins. Benannt nach dem Vorsitzenden des Ausschusses, der die Richtlinien verfasst hat, sind diese Richtlinien eine Konkretisierung von § 46 Advocatenwet (Rechtsanwaltsgesetz). Gemäß den Richtlinien trifft den Rechtsanwalt eine Untersuchungspflicht, um zu verhindern, dass das anwaltliche Berufsgeheimnis missbraucht wird, um finanzielle Transaktionen im Rahmen einer Geldwäsche zu unterstützen oder zu verdecken.41 Nach § 6 der Richtlinien darf ein Rechtsanwalt als Honorar nicht mehr als 11.345 Euro pro Verfahren in bar annehmen. Wird diese ___________ (Besluit inzake de meldingsplicht vrije beroepsgroepen en wijziging vaststelling indicatorenlijst voor ongebruikelijke transacties) siehe Nieuwsbrief Strafrecht 2003, 484; Melai/Groenhuijsen Strafvordering, § 218 Rn. 19,5. 39 van der Hoeven/Visser NJB 2003, 1124. 40 Richtlijnen ter voorkoming van betrokkenheid van advocaten bij criminele handelingen (Richtlinien zur Vorbeugung der Verübung krimineller Handlungen durch Rechtsanwälte), veröffentlicht in: Advokatenblad 1995, 809. 41 Prakken/Spronken Handboek, S. 156.

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Vorschrift nicht beachtet, so stellt dies keine berufsrechtliche Pflichtverletzung dar, kann aber strafrechtliche Konsequenzen haben (§ 416 StGB-NL, Hehlerei).42

XI. Strafverteidigung und Strafvereitelung

Ein Rechtsanwalt missbraucht seine Befugnisse, wenn er das Verfahren und die Arbeit der Staatsanwaltschaft offensichtlich schikaniert oder behindert.43 Dies führt zwar nicht zu strafrechtlichen Sanktionen, aber dazu, dass das Gericht den betreffenden Antrag sowie die Befugnis des Rechtsanwalts, einen solchen zu stellen, nicht anerkennt.44 Sofern der Rechtsanwalt innerhalb seiner strafprozessualen Befugnisse handelt, kann er nicht wegen Behinderung der Rechtspflege bestraft werden. Er kann jedoch wegen seines Verteidigerhandelns bestraft werden, wenn er in der Absicht handelt, die Ermittlung oder Verfolgung eines Verbrechens zu verhindern oder zu erschweren. Auch wenn der Verteidiger Gegenstände, an oder mit denen ein Verbrechen verübt worden ist, oder andere Spuren vernichtet, beseitigt oder der Untersuchung durch Polizei- und Justizbeamte auf andere Weise entzieht, macht er sich strafbar nach § 189 StGB-NL.

C. Verteidigung im Ermittlungsverfahren I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Der Hauptverhandlung geht nach § 132 StPO-NL die vorbereitende Untersuchung voraus. Sie besteht aus dem Ermittlungsverfahren und gegebenenfalls der gerichtlichen Voruntersuchung. Das Ermittlungsverfahren wird von der Polizei unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft durchgeführt. Zum Teil reichen die Befugnisse der Polizei nicht aus, um die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Voruntersuchung beantragen, denn der Untersuchungsrichter verfügt über umfangreichere Eingriffsrechte und Zwangsmittel. Er kann beispielsweise das Erscheinen eines Zeugen erzwingen und ihn unter Umständen auch vereidigen ___________ 42 Siehe Spong Leugens om bestwil, 1997, S. 190; Delikt en Delinkwent, Rubriek Advocatuur, 1997, 1064. 43 Siehe z.B. Hof Amsterdam NJ 1993, 478; Hoge Raad NJ 1994, 306. 44 Vgl. Cleiren in: Grensoverschrijdend strafrecht, 1990, S. 141.

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(§ 216 StPO-NL). In der Hauptverhandlung wird der Zeuge dann regelmäßig nicht mehr vernommen; dort begnügt man sich mit der Verlesung des richterlichen Vernehmungsprotokolls.45 Zum Verhältnis von vorbereitender Untersuchung und Hauptverhandlung steht in der Gesetzesbegründung zur StPO-NL: „Alles, was den selbständigen Wert der mündlichen, regelmäßig öffentlichen, abschließenden Verhandlung erhöhen kann, verdient es, vom Gesetzgeber gefördert zu werden. Die vorbereitende Untersuchung muss auch tatsächlich vorbereitend bleiben.“46 Nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers sollte im Rahmen der vorbereitenden Untersuchung nur eine Abklärung der Beweise erfolgen, während die endgültige Beweiserhebung der Hauptverhandlung vorbehalten sein sollte. Diese Vorstellung entspricht der heutigen Praxis des niederländischen Strafverfahrens bei weitem nicht mehr. In der Regel findet im Ermittlungsverfahren und insbesondere während der gerichtlichen Voruntersuchung die endgültige Beweiserhebung statt. Dem Richter steht es jedoch in der Hauptverhandlung frei, ergänzende Beweismittel zu erheben oder anzufordern; er tut dies aber nur in Ausnahmefällen selbst. Der Regelfall ist, dass er die Sache mit dem Auftrag an den Untersuchungsrichter zurückverweist, weitere Zeugen und Sachverständige zu vernehmen oder ergänzende Beweismittel zu erheben. Die Hauptverhandlung dient regelmäßig nur zur Bestätigung der in der Voruntersuchung gemachten Aussagen und sonstiger Beweise und zur Vorbereitung der Strafzumessungsentscheidung. Auch in der Rechtsprechung des Hohen Rates lässt sich die verstärkte praktische Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und der gerichtlichen Voruntersuchung deutlich erkennen.47 Aussagen, die im Rahmen der Voruntersuchung protokolliert werden, dürfen innerhalb bestimmter Grenzen48 verwertet werden. Beweisergebnisse des Ermittlungsverfahrens können grundsätzlich durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Wenn ein Rechtsanwalt die Anwendung besonderer Ermittlungsmaßnahmen rügt, dient die Hauptverhandlung auch dazu, die Rechtmäßigkeit dieser Ermittlungen zu überprüfen. Die Möglichkeit, dass ein Richter den Strafprozess ohne Hauptverhandlung mit einer sanktionierenden Entscheidung auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens abschließt, besteht ebensowenig wie ein Strafbefehls___________ 45

Ausführlich zu den Hauptmerkmalen der vorbereitenden Untersuchung Tak ZStW 112 (2000), 170, 171. 46 Gesetzesbegründung (StPO-NL), Parlamentarische Drucksache, 1912-1913 Nr. 286, 3. 47 Vgl. HR NJ 1996, 41; HR NJ 1996, 427; HR NJ 1999, 73 f. 48 Siehe Tak ZStW 112 (2000), 170, 186.

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verfahren. Nach Art. 74 StGB-NL kann der Staatsanwalt jedoch das Verfahren mittels eines Vergleichs (sog. Transaktion) beenden. Diese außergerichtliche Erledigungsmöglichkeit wird bei etwa einem Drittel aller Verfahren angewandt.49 Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, muss eine Hauptverhandlung stattfinden.

II. Das Recht auf einen Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Der Beschuldigte kann jederzeit einen oder mehrere Verteidiger wählen (Art. 38 Abs. 1 StPO-NL). Bezüglich der Anzahl der Verteidiger setzt das Gesetz keine Grenzen. Außer im Fall der vorzeitigen Beendigung des Mandats gilt die Wahl eines Verteidigers – ebenso wie die Beiordnung eines Verteidigers (Art. 43 Abs. 1 StPO-NL) – für die gesamte Instanz, d. h. bis die abschließende Entscheidung rechtskräftig geworden oder gegen sie ein ordentliches Rechtsmittel eingelegt worden ist.50 Der Beschuldigte muss einen von ihm gewählten Verteidiger für dessen Tätigkeit selbst bezahlen. Um sicherzustellen, dass der Verteidiger Zugang zu seinem Mandanten erhält, wenn sich dieser in Untersuchungshaft befindet, und an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen teilnehmen sowie die Verfahrensakten einsehen kann, muss der Verteidiger die Übernahme des Mandats dem Staatsanwalt (bzw. dem Hilfsstaatsanwalt oder dem Gerichtsschreiber des Bezirksgerichts; Art 39 StPO-NL) schriftlich anzeigen. Wer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, kann einen Verteidiger beigeordnet erhalten (Art. 43 StPO-NL). Die Beiordnung erfolgt durch den Rat für Rechtsbeistand. Ihre Einzelheiten sind in den Art. 43 und 44 des Gesetzes über den Rechtsbeistand (Wet op de rechtsbijstand) und im Beschluss Rechtsbeistand 1994 (Besluit Rechtsbijstand) geregelt. Das Recht auf freie Wahl eines Verteidigers und die gesetzlichen Regelungen über die Beiordnung garantieren nicht für jede Phase des Ermittlungsverfahrens den Beistand durch einen Rechtsanwalt. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern hat der Beschuldigte in den Niederlanden nicht das Recht, zu seiner Vernehmung durch die Polizei einen Verteidiger hinzuzuziehen.51 Für ein derartiges Recht wurde unter Verweis auf ausländische ___________ 49

Openbaar Ministerie Jaarverslag 2003, S. 22. HR NJ 1998, 784. 51 Fijnaut Toelating, 1988. 50

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Rechtssysteme in den siebziger Jahren intensiv gestritten,52 der Gesetzgeber ist jedoch auf diese Forderung nicht eingegangen.53 Unter Einfluss des Urteils des EGMR in der Sache Murray54 hat der Hohe Rat allerdings anerkannt, dass es Umstände geben kann, unter denen die Verweigerung der Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger bei der polizeilichen Vernehmung eine Verletzung von Art. 6 EMRK darstellt. Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung55 muss sich die Polizei darum bemühen, dem Beschuldigten während der polizeilichen Vernehmung Gelegenheit zur Konsultation mit einem Rechtsanwalt zu geben, wenn er darum bittet, insbesondere wenn seine Einlassung während der polizeilichen Vernehmung ausschlaggebende Konsequenzen für die Verteidigung im weiteren Verlauf des Verfahrens hat. Das ist z. B. der Fall, wenn der Beschuldigte während der polizeilichen Vernehmung keine vernünftige Erklärung für einen belastenden Umstand geben kann; der Richter darf dies bei der Beweiswürdigung berücksichtigen.56 Der Beschuldigte ist über sein Recht, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen, durch die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Wenn eine gerichtliche Voruntersuchung stattfindet, muss ihn der Untersuchungsrichter oder derjenige, der in dessen Auftrag den Beschuldigten vernimmt, bei der ersten Vernehmung auf dieses Recht hinweisen (Art. 44 Abs. 1 StPO-NL). Außerdem wird auf dieses Recht auch in einer Vielzahl von Schriftstücken, die dem Beschuldigten übergeben werden, hingewiesen, z. B. in der Ladung zur ersten Vernehmung, in der Bekanntgabe der weiteren Strafverfolgung und in der Ladung zur Hauptverhandlung.57

III. Ablauf des Ermittlungsverfahrens

Während eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens kann die Verteidigung die Polizei bitten, über die bisherigen Ergebnisse informiert zu werden. Noch nicht bei der Staatsanwaltschaft eingereichte Protokolle stellen dabei keinen Bestandteil der Akten dar. Wenn der Rechtsanwalt Akteneinsicht erhalten will, so muss er sich an die Staatsanwaltschaft wenden. Die Einsicht in bestimmte Aktenteile kann im Interesse der Untersuchung verweigert werden (Art. 30 ___________ 52

Unter anderem in der maßgebenden Arbeit von Lensing Verhoor, 1988. Vgl. Drucks. Tweede Kamer, zittingsjaar 1987-1988, no. 20440. 54 EGMR NJ 1996, 725. 55 HR NJ 1998, 152. 56 HR NJ 1997, 584. 57 Corstens Strafprocesrecht, S. 92 f. 53

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Abs. 2 StPO-NL). Wird der Beschuldigte in Gewahrsam genommen, so wird seinem Rechtsanwalt kurz vor der Vorführung des Beschuldigten vor den Untersuchungsrichter grundsätzlich Akteneinsicht gewährt. Auch dann kann sie ihm jedoch im Interesse der Untersuchung versagt werden. Allerdings muss die gewährte Akteneinsicht ausreichen, um die Begründetheit des Verdachts sowie die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams zu prüfen.58 Das Recht auf Information hinsichtlich der Beschuldigung und der Beweislage ist in den Niederlanden eher zur Vorbereitung der Verteidigung von Bedeutung als zur Überprüfung der Ermittlungsergebnisse durch den Rechtsanwalt. Ab welchem Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren eine Pflicht zur Belehrung des Beschuldigten besteht, ergibt sich nicht allgemein aus dem Gesetz. Allerdings muss der Untersuchungsrichter nach Art. 207 StPO-NL dem Beschuldigten bei dessen erster Vernehmung in der gerichtlichen Voruntersuchung eine Abschrift des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung der Voruntersuchung aushändigen. Diese Vorschrift dient dazu, den Beschuldigten in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens über den Verdacht, der gegen ihn besteht, aufzuklären.

IV. Eigene Ermittlungen des Strafverteidigers

Die niederländische StPO kennt keine Bestimmungen, die sich auf Ermittlungshandlungen des Rechtsanwalts beziehen. Eine eigenständige Rolle kommt der Verteidigung in der Voruntersuchung gesetzlich insoweit nicht zu. Der Verteidiger kann über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hinausgehende Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft oder beim Untersuchungsrichter beantragen. Es steht dem Rechtsanwalt frei, zudem selbständige Ermittlungen durchzuführen; er ist dazu jedoch nicht verpflichtet. Er kann Zeugen oder Sachverständige um eine Aussage bitten, sich am Tatort selbst ein Bild von den örtlichen Gegebenheiten machen oder sich über die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen informieren. Die Justiz legt regelmäßig keinen Wert auf eigene Ermittlungen des Verteidigers. Trotzdem ermitteln Strafverteidiger gelegentlich selbst. Vorwiegend werden weitere Ermittlungen oder Gegengutachten aber bei der Staatsanwaltschaft oder beim Untersuchungsrichter beantragt. Für die Durchführung eigener Ermittlungen erhält der Strafverteidiger weder finanzielle Unterstützung seitens des Staates noch stehen ihm Zwangsmittel zur Verfügung. Allein dem Untersuchungsrichter steht das Recht zu, Zeugen ___________ 58

EMRG v. 14.2.2000 (Schöps).

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zwangsweise zu laden oder die Vorlage von Urkunden zu erzwingen. Führt der Rechtsanwalt eigene Ermittlungen durch, so kann ihm aus der Staatskasse eine Vergütung für die entstandenen Aufwendungen zuerkannt werden, sofern diese Ermittlungen im Interesse der Untersuchung lagen (Art. 591 StPO-NL). Das Risiko, dass die Kosten im Nachhinein nicht vergütet werden, trägt der Rechtsanwalt. Des Weiteren ist die Vergütung durch das Fehlen allgemein gültiger (marktkonformer) Tarife beschränkt.59 Der Hohe Rat hat entschieden, dass durch Vergütungsregelungen die Möglichkeit zur Befragung von Zeugen und die Einschaltung von Sachverständigen hinreichend gewährt ist.60 Die Tarife sind im Beschluss über Tarife in Strafsachen (Besluit tarieven in strafzaken) festgelegt.61

V. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers

Regelungen über die Akteneinsicht enthalten Art. 30 bis 34 StPO-NL. Danach kann dem Beschuldigten auf Antrag (während des Ermittlungsverfahrens durch den Staatsanwalt und während der gerichtlichen Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter) ganz oder teilweise Einsicht in die Verfahrensakte gewährt werden, falls das Interesse der Untersuchung dem nicht entgegensteht. Ansonsten wird dem Beschuldigten schriftlich mitgeteilt, dass die ihm zur Einsicht überlassenen Akten unvollständig sind. Bestimmte Teile der Akten dürfen der Einsicht durch den Beschuldigten grundsätzlich nicht entzogen werden. Dies betrifft die Protokolle seiner eigenen Vernehmung sowie solcher Vernehmungen oder Untersuchungshandlungen, bei denen er oder sein Verteidiger ein Recht auf Anwesenheit gehabt hätte, ferner Protokolle von Vernehmungen, deren Inhalt ihm vollständig mündlich mitgeteilt worden ist. Die Einsicht in diese Protokolle kann dem Beschuldigten nur versagt werden, wenn und soweit sich aus dem Protokoll ein Umstand ergibt, von dem er im Interesse der Untersuchung zeitweise nichts wissen darf, und sofern der Staatsanwalt (im Ermittlungsverfahren) oder der Untersuchungsrichter (in der gerichtlichen Voruntersuchung) angeordnet hat, dass der Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger eingeschränkt ist. Gegen die Versagung der Akteneinsicht durch den Staatsanwalt kann der Beschuldigte Beschwerde beim Bezirksgericht (Rechtbank) einlegen. ___________ 59

van der Groot Advocatenblad 2002, 124. HR NJ 2000, 243. 61 Cleiren/Nijboer Strafvordering, S. 1949. 60

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Sobald der Beschluss über den Abschluss der gerichtlichen Voruntersuchung für den Staatsanwalt unanfechtbar geworden oder die gerichtliche Voruntersuchung durch eine pro forma-Anklage (Art. 258 Abs. 2 StPO-NL) beendet worden ist, muss uneingeschränkte Akteneinsicht gewährt werden. Falls eine gerichtliche Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, steht dem Beschuldigten das Recht auf uneingeschränkte Akteneinsicht zu, sobald ihm die Fortsetzung der Strafverfolgung bekanntgegeben oder eine Anklage zugestellt worden ist. Hat der Beschuldigte einen Verteidiger, so hat dieser das Recht auf Akteneinsicht und auf den Erhalt von Abschriften (Art. 51 i. V. m. Art. 30 - 34 StPONL). Der Rechtsanwalt darf Akten nicht in seine Kanzlei mitnehmen, hat aber einen Anspruch auf kostenlose Kopien der wichtigsten Akten, z. B. von Vernehmungsprotokollen und von Sachverständigengutachten. In einem Rundschreiben des Justizministeriums62 wurden die Akten, die dem Rechtsanwalt kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen, abschließend aufgelistet. Nach Beendigung des Strafverfahrens muss der Verteidiger die Kopien an das Gericht zurückschicken oder sie bezahlen.

VI. Pflicht des Verteidigers zur Offenlegung von Ermittlungsergebnissen

Es gibt keine gesetzliche Regel, nach der Staatsanwaltschaft oder Gericht verlangen könnten, dass die Verteidigung schon vor der Hauptverhandlung Informationen über die Ergebnisse der eigenen Ermittlungen zur Verfügung stellt. Der Verteidiger wird die Anklagebehörde aus eigenem Antrieb über die Ergebnisse informieren, wenn sie für die Verfolgungsentscheidung von Belang sein können. Führen die Ermittlungen zu einer Entlastung des Beschuldigten, so kann der Verteidiger die Informationen vorlegen, um eine Verfahrenseinstellung zu bewirken.

VII. Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte des Strafverteidigers im Ermittlungsverfahren

Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Ermittlungsverfahrens,63 der Untersuchungsrichter ist Herr der gerichtlichen Voruntersuchung. Während des ___________ 62

Rundschreiben vom 22.2.1971 (Circulaire d.d. 22.2.1971 kennisneming door raadslieden van dossiers in strafzaken tegen verdachten, H Afd. RO Nr. 74/871) in: Cleiren/Nijboer Strafvordering, S. 1961. 63 Zum Verhältnis der Staatsanwaltschaft zur Polizei und zum Untersuchungsrichter in der vorbereitenden Untersuchung Tak ZStW 112 (2000), 170, 179.

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Ermittlungsverfahrens hat der Verteidiger nicht das Recht, bei einer Vernehmung seines Mandanten, anderer Beschuldigter oder von Zeugen durch die Polizei anwesend zu sein. Während der gerichtlichen Voruntersuchung hingegen kann der Verteidiger an den Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter teilnehmen, wenn dies das Interesse der Untersuchung nicht beeinträchtigt. Diese Berechtigung gilt sowohl für Vernehmungen seines Mandanten als auch für Vernehmungen anderer Beschuldigter sowie von Zeugen und Sachverständigen. Wird dem Rechtsanwalt die Anwesenheit verweigert, so kann er seine Fragen schriftlich stellen. Der Untersuchungsrichter ist in diesem Fall gezwungen, den Zeugen ein weiteres Mal zu hören, da der Verteidiger erst nachdem er die Zeugenaussage gelesen hat umfassend beurteilen kann, welche Fragen er an den Zeugen stellen möchte. Der Verteidiger hat hinsichtlich des Zeugen die Möglichkeit „to challenge and question“. Er darf auch Fragen formulieren und angeben, welche der Untersuchungsrichter stellen soll (Art. 186 a Abs. 3 StPO-NL). Falls Grund zu der Annahme besteht, dass ein Zeuge oder Sachverständiger zur Hauptverhandlung nicht erscheinen kann, fordert der Untersuchungsrichter den Beschuldigten auf, an dessen Vernehmung teilzunehmen. Der Verteidiger wirkt an der Vernehmung mit, indem er Fragen angibt, die er gestellt haben möchte. Er muss sich daher vorher über den Sachverhalt informieren, weswegen ihm Akteneinsicht zu gewähren ist. Der Untersuchungsrichter kann anordnen, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger an der Vernehmung nicht teilnehmen dürfen, falls der Zeuge durch ihre Anwesenheit ernsthaft belästigt oder in der Ausübung seines Amtes oder Berufes ernsthaft gestört würde oder das Interesse der Ermittlungen entgegensteht. In diesem Fall werden der Beschuldigte und sein Verteidiger davon unterrichtet, was der Zeuge oder Sachverständige erklärt hat, sofern das Ermittlungsinteresse nicht entgegensteht. Über eine Inaugenscheinnahme von Beweismaterial (§ 193 StPO-NL) wird der Beschuldigte rechtzeitig informiert. Der Untersuchungsrichter kann ihm gestatten, an dem Augenschein ganz oder teilweise teilzunehmen, sofern dies das Untersuchungsinteresse nicht beeinträchtigt. Der Verteidiger kann beantragen, dass er gegebenenfalls Hinweise erteilen oder Erläuterungen geben darf oder dass bestimmte Feststellungen in das Protokoll aufgenommen werden sollen. Er kann auch beantragen, dass bestimmte Ermittlungen durch Augenschein durchgeführt werden.64 Hat die Verteidigung im Ermittlungsverfahren von Mitwirkungs- oder Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, so ist dies für den Beschuldigten in ___________ 64

Cleiren/Nijboer Strafvordering, § 194 Rn. 1.

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der Hauptverhandlung nicht nachteilig.65 Sein Recht, Zeugen und Sachverständige schriftlich laden zu lassen oder zur Hauptverhandlung mitzubringen, bleibt unberührt. Die Staatsanwaltschaft kann die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen jedoch durch begründeten Beschluss ablehnen, falls sie zu der Überzeugung gelangt, dass der Verdächtige dadurch nicht in seiner Verteidigung beeinträchtigt wird (Art. 264 StPO-NL). Ablehnen kann der Staatsanwalt einen Zeugen zudem nur dann, wenn dieser offensichtlich keine nützlichen Beiträge mehr beisteuern kann. Falls der Beschuldigte dies beantragt, muss das Gericht die von der Staatsanwaltschaft abgelehnten Zeugen laden, außer wenn die Verteidigung durch Nichtladung des Zeugen nicht beeinträchtigt wird. Anträge, die sich auf die Erhebung von Beweisen richten, die im Ermittlungsverfahren oder in der gerichtlichen Voruntersuchung bereits erhoben wurden und an deren Erhebung der Rechtsanwalt mitgewirkt hat, sind nicht ausnahmslos ausgeschlossen. Der Rechtsanwalt muss jedoch sehr gute Gründe angeben, warum er diese weiteren Anträge erst zu diesem späten Zeitpunkt stellt und sie nicht bereits im Rahmen einer mini-instructie gestellt hat. Werden in der Hauptverhandlung neue Zeugen oder Sachverständige auf Antrag des Verteidigers geladen, so verweist das Gericht das Verfahren an den Untersuchungsrichter zurück, um diese Zeugen vernehmen zu lassen, bevor das Verfahren in der Hauptverhandlung weitergeführt wird. Falls die Aussage eines Sachverständigen, der auf Antrag des Verteidigers vernommen wurde, dazu Anlass gibt, hat der Verteidiger das Recht, erneut eine mini-instructie zu beantragen.66 In der Praxis stellen Verteidiger in der Hauptverhandlung praktisch keine umfangreichen Beweisanträge. Die Beweiserhebung erfolgt de facto in der gerichtlichen Voruntersuchung, während in der Hauptverhandlung die erhobenen Beweise nur noch geprüft werden.

VIII. Verdeckte Ermittlungen

Die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sind in Art. 126g bis 126z StPO-NL geregelt.67 Unter Verweis auf Art. 13 EMRK hat der Gesetzgeber die Staatsanwaltschaft verpflichtet, den Betroffenen schriftlich über besondere Ermittlungsmaßnahmen zu unterrichten, sobald das Interesse der Untersuchung dies zulässt (Art. 126bb StPO-NL). Ist der Betroffene der Beschuldigte, kann von ___________ 65

Mols in: Hendriks Strafprocesrecht, 1997, S. 282. Corstens Strafprocesrecht, S. 299. 67 Tak ZStW 112 (2000), 691 ff. 66

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der Unterrichtung abgesehen werden, sofern er durch Einsicht in die Verfahrensakten von den Ermittlungsmaßnahmen Kenntnis erlangt. Die Verpflichtung gilt sowohl für den Fall der Anklageerhebung als auch für den Fall der Einstellung. Vor allem in dem letztgenannten Fall ist die Unterrichtungspflicht von Bedeutung, weil die besonderen Ermittlungsmethoden meist heimlich angewandt werden und der Beschuldigte auf andere Weise niemals Kenntnis von den erfolgten Grundrechtseingriffen erhielte. In der Regel erfährt der Verteidiger von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, wenn die Staatsanwaltschaft Protokolle und Unterlagen mit Hinweisen auf die Durchführung besonderer Ermittlungsmaßnahmen zu den Akten legt. Falls den Verfahrensakten keine Protokolle beigefügt werden, wird zumindest in den Akten vermerkt, dass die Befugnis, solche Maßnahmen zu ergreifen, in Anspruch genommen wurde. Der Vermerk oder das Beifügen der Protokolle erfolgt, sobald das Untersuchungsinteresse dies zulässt, d. h. regelmäßig kurz vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens.68

IX. Einfluss des Verteidigers auf die Beweiserhebung

Von einer Ausnahme abgesehen, hatte der Beschuldigte bis 1.2.2000 kein Recht auf Beteiligung an den Beweiserhebungen während der Voruntersuchung. Immerhin konnte er sich an den Staatsanwalt mit dem Antrag wenden, eine gerichtliche Voruntersuchung zu beantragen, wenn er Interesse an einer richterlichen Untersuchungshandlung hatte; etwa weil er fürchtete, dass ein Entlastungszeuge ins Ausland verreisen würde, ohne vom Richter vernommen worden zu sein. Lehnte der Staatsanwalt diesen Antrag ab, stand der Beschuldigte jedoch mit leeren Händen da; allenfalls konnte in der Weigerung des Staatsanwalts eine Verletzung des in Art. 6 EMRK gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren gesehen werden, was zur Unzulässigkeit der Anklage führen konnte. In der Literatur war bereits seit längerem gefordert worden, auch dem auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten die Befugnis einzuräumen, die Einleitung einer gerichtlichen Voruntersuchung zu beantragen.69 Durch das Gesetz über die Reform der gerichtlichen Voruntersuchung, das am 1.2.2000 in Kraft getreten ist, wurde dieser Forderung Rechnung getragen und die „beschränkte Voruntersuchung“ (sog. mini-instructie) eingeführt. ___________ 68

Cleiren/Nijboer Strafvordering, § 126 aa, Rn. 10. Zur Gesetzgebungsgeschichte und zu Einwänden gegen die mini-instructie Tak ZStW 112 (2000), 170, 194. 69

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Nach Art. 36a bis 36d StPO-NL kann ein Verteidiger, der redlicherweise annehmen kann, dass gegen seinen Mandanten wegen einer bestimmten Tat ein Strafverfahren eingeleitet werden soll, beim Untersuchungsrichter den Antrag stellen, diesbezüglich bestimmte Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Dasselbe Recht steht dem Verteidiger eines Beschuldigten zu, gegen den bereits ein Strafverfahren eingeleitet, jedoch keine gerichtliche Voruntersuchung und auch nicht die Hauptverhandlung eröffnet worden ist. Der Antrag muss schriftlich gestellt werden und die Tat sowie die Untersuchungshandlungen, die der Untersuchungsrichter ausführen soll, genau bezeichnen. Er ist auch zu begründen. Nach Anhörung des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft nimmt der Untersuchungsrichter die beantragten Untersuchungshandlungen vor, falls er den Antrag für zulässig und begründet hält. Er kann den Antrag des Verteidigers zurückweisen, wenn dieser sein Interesse an der beantragten Untersuchungshandlung nicht unzweifelhaft zu begründen vermag. Durch diese Regelung wird die Missbrauchsgefahr zurückgedrängt. Gegen die Zurückweisungsentscheidung ist keine Berufung möglich. Der Verteidiger kann mit Hilfe der mini-instructie auf die Verfolgungsentscheidung Einfluss nehmen sowie Richtung und Umfang des Strafverfahrens mitbestimmen; er kann sich besser als bisher gegen die Beschuldigung zur Wehr setzen. In der Praxis wird die mini-instructie meist für Zeugenvernehmungen, Aufträge für Sachverständigengutachten und die Vernehmung von Sachverständigen verwendet.70

X. Mitwirkungsrechte des Verteidigers bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Ist das Ermittlungsverfahren oder die gerichtliche Voruntersuchung abgeschlossen, weil ausreichende Erkenntnisse vorhanden sind, um in der Hauptverhandlung die Frage nach der Strafbarkeit zu klären und gegebenenfalls angemessene Sanktionen festzulegen, so muss die Staatsanwaltschaft über das weitere Vorgehen entscheiden. Drei Möglichkeiten stehen zur Auswahl: - der Beschuldigte hat bestimmte Bedingungen – insbesondere die Zahlung einer bestimmten Geldsumme an die Staatskasse – zu erfüllen, um die weitere Strafverfolgung abzuwenden (sog. Transaktion, Art. 74 ff. StPO-NL); - das Verfahren wird – eventuell unter Auflagen – eingestellt; - die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage. ___________ 70

Prakken/Spronken Handboek, S. 249.

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Der Verteidiger hat bei dieser Entscheidung der Staatsanwaltschaft keinerlei Mitwirkungsrechte. Für die Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip (Art. 167 Abs. 2 StPO-NL) benötigt die Staatsanwaltschaft nicht die Zustimmung des Gerichts oder des Beschuldigten. Das Gleiche gilt für die Transaktion. Für beide Entscheidungen ist allein der Staatsanwalt zuständig. Der Verteidiger kann jedoch Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufnehmen und versuchen, mit dieser über eine Transaktion oder eine Einstellung – insbesondere auch über Auflagen und Bedingungen – zu verhandeln. Wird die Möglichkeit einer Transaktion nicht angenommen, so erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage.

XI. Zwischenverfahren

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern gibt es in den Niederlanden zwischen Anklageerhebung und Eröffnung der Hauptverhandlung kein gerichtliches Zwischenverfahren. Um zu verhindern, dass eine leichtfertige Vorladung und damit eine unnötige und belastende öffentliche Hauptverhandlung stattfindet, kann der Beschuldigte innerhalb von acht Tagen nach Zustellung der Ladung beim Bezirksgericht Beschwerde zur Beschlusskammer einlegen (§ 262 StPO-NL).71 In dem summarischen Beschwerdeverfahren72 geht es allein um die Frage, ob es nach dem gegenwärtigen Stand „höchst unglaubwürdig ist, dass der Richter zu einer Verurteilung käme, also aufgrund des vorliegenden Beweises die Anklage als voll oder zum Teil bewiesen erachten würde“.73 Ist dies der Fall, so wird das Strafverfahren eingestellt.

D. Verteidigung und Verfahrensabsprachen I. Verfahrensbeendende Absprachen

In manchen europäischen Rechtssystemen ist es möglich, mit Zustimmung des Verletzten eine Verfahrensbeendigung ohne Sanktionierung zu erreichen. Diese Möglichkeit besteht nach niederländischem Strafprozessrecht nicht. Wenn ein Strafverfahren begonnen wurde, so kann es – abgesehen von besonderen Ausnahmefällen – nur durch eine prozessuale oder materielle Entscheidung des Gerichts, d. h. durch ein Urteil beendet werden. Sobald die ___________ 71

Siehe Valkenburg Bezwaarschrift, 1993. Auch die juristischen Einreden werden summarisch beurteilt; HR NJ 1987, 486. 73 HR NJ 1952, 58. 72

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Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten die Anklageschrift zugeschickt hat, beginnt das Gerichtsverfahren (Art. 258 StPO-NL), und das Verfahren kann nur mit der Verkündung eines Urteils (Art. 345 StPO-NL) beendet werden, das die in Art. 348 und 350 StPO-NL aufgeführten Fragen74 beantwortet. Im Jahre 2000 veröffentlichte Hans-Joseph Scholten, Richter am OLG Düsseldorf, in der niederländischen Strafrechtszeitschrift „Delikt en Delinkwent“ einen Aufsatz über Absprachen zur Beendigung des Strafverfahrens in der deutschen Strafrechtspraxis.75 Auch den am Strafprozess interessierten niederländischen Lesern waren solche Verfahrensabsprachen grundsätzlich unbekannt. Dies kann damit zusammenhängen, dass das deutsche Strafverfahren wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, der Aufklärungspflicht und der – verglichen mit den Niederlanden – umfangreicheren Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen, wesentlich länger dauert als ein Strafverfahren in den Niederlanden.76 Auch die Anklageschriften umfassen in Deutschland wegen des Legalitätsprinzips wesentlich mehr Straftatbestände als in den Niederlanden, wo von den Möglichkeiten des Opportunitätsprinzips (Art. 167 StPO-NL) wesentlich umfangreicher als in Deutschland Gebrauch gemacht wird. Absprachen zwischen Rechtsanwalt, Angeklagtem, Staatsanwaltschaft und dem Gericht über das Ergebnis des Verfahrens, z. B. über eine Zusage des Angeklagten, ein volles oder teilweises Geständnis abzulegen, sind in den Niederlanden entweder rechtlich nicht gestattet oder unbekannt. Dasselbe gilt für Absprachen über die Bereitschaft zum Verzicht auf bestimmte Beweisanträge und im Gegenzug die Zusage über die Verhängung einer milderen Strafe oder über die Beschränkung der Verfolgung im laufenden Verfahren. Eine Verständigung zwischen Verteidiger und Beschuldigtem auf der einen und der Staatsanwaltschaft auf der anderen Seite ist aber nicht absolut ausgeschlossen. Der Verteidiger und der Staatsanwalt können beispielsweise vereinbaren, dass der Beschuldigte bereit ist, auf einen bestimmten Transaktionsvorschlag77 der Staatsanwaltschaft einzugehen. Bringt der Staatsanwalt die ___________ 74 Diese Vorschriften verlangen Antworten auf die Fragen, ob der Angeklagte wirksam geladen wurde, ob das Gericht zuständig und ob die Anklage zulässig ist, ferner ob die angeklagte Tat strafbar ist, ob dem Angeklagten ihre Begehung nachgewiesen wurde, ob er ihretwegen strafbar ist und welche Sanktion festgesetzt wurde. 75 Scholten Delikt en Delinkwent 2000, 671. 76 Detaillierte Analyse bei Tak/Fiselier Duitsland – Nederland, 2002, S. 115. 77 § 74 StGB-NL gestattet es der Staatsanwaltschaft, mit dem Beschuldigten eine Vereinbarung zu treffen, in der sich dieser zur Abwendung eines Strafverfahrens zur Erfüllung bestimmter Auflagen, z. B. zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrags an die

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Sache trotz der Zustimmung des Beschuldigten zu einer Transaktion vor Gericht, so ist der Beschuldigte nicht mehr an die Abmachung gebunden und kann sich unbeschränkt gegen die Anklage zur Wehr setzen. Einen Transaktionsvorschlag zu akzeptieren bedeutet nicht, die eigene Schuld anzuerkennen. Die Staatsanwaltschaft profitiert von einer derartigen Verständigung gegebenenfalls dadurch, dass sie sich ein Verfahren mit komplexer Beweislage erspart. In den vergangen Jahren kamen solche Fälle häufig vor und stießen auf große Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Politik.78 Das öffentliche Aufsehen hat die Generalstaatsanwälte dazu veranlasst, einen Leitfaden zu hohen strafrechtlichen Transaktionen und Transaktionen in besonderen Strafsachen herauszugeben.79 Dessen Ausgangspunkt ist, dass Straftaten grundsätzlich vor Gericht verfolgt werden sollen, es sei denn, es besteht ein guter Grund für eine Transaktion. Des Weiteren regelt der Leitfaden das interne Aufsichtsverfahren. Durch den Leitfaden sind die Verständigungsmöglichkeiten hinsichtlich umfangreicher Deals erheblich eingeschränkt.80 Es bleibt jedoch Spielraum für Absprachen in kleineren Fällen. Jährlich werden für mehr als 60.000 Verbrechen Transaktionen vereinbart. Seit dem Geldstrafenreformgesetz 1983 hat sich der Anwendungsbereich von Transaktionsverfahren wesentlich erweitert. Transaktionen sind seither auch bei Verbrechen möglich, die mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Jahren bedroht sind; das sind ungefähr 95% aller Verbrechen. Wie häufig eine Verständigung zwischen Rechtsanwalt und Staatsanwaltschaft zustande kommt, ist nicht bekannt. Im Jahre 2007 wird die Transaktion in eine staatsanwaltliche Strafverfügung umgewandelt (Art. 257a StPO-NL). Als Strafen und Maßregeln können gemeinnützige Arbeit bis zu 180 Stunden, Geldbuße, Entschädigungszahlungen an die Staatskasse zugunsten des Opfers sowie Entziehung der Fahrerlaubnis bis zu 6 Monaten verhängt werden. Vor dem Erlass einer Strafverfügung hört die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten an; in schweren Fällen wird ihm ein Rechtsanwalt beigeordnet. Wenn der Beschuldigte die Strafverfügung akzeptiert, erkennt ___________ Staatskasse verpflichtet (sog. Transaktion). Kommt der Beschuldigte diesen Auflagen nach, so erlischt das Recht zur Strafverfolgung. 78 Vgl. Corstens NJB 2001, 2133; Mols Nieuwsbrief strafrecht 2001, 542. Drei große Bauunternehmen, die bei Bauarbeiten am Schipholtunnel betrügerische Rechnungen in Höhe von mehreren Millionen Euro fingierten, konnten ein Strafverfahren durch Zahlung von jeweils 450.000 Euro als Transaktion und Zurückzahlung des Gewinns abwenden. Dies führte zu großer politischer Aufregung, obwohl die Summe der Höchstgeldstrafe von 450.000 Euro entsprach (Art. 23 StGB-NL). 79 Aanwijzing hoge transacties en transacties in bijzondere zaken, Staatscourant 2002 Nr. 39. 80 Prakken/Spronken Handboek, S. 292.

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er damit seine Schuld an und die Verfügung wird in der Verurteiltenkartei registriert. Legt der Beschuldigte innerhalb von zwei Wochen Einspruch gegen die Strafverfügung ein, so wird er zu einer Gerichtsverhandlung geladen. Die Strafverfügung verbraucht die Strafklage ebenso wie bisher eine Transaktion.

II. Einfluss der Voruntersuchung auf die Verfahrensdauer

Niederländische Einzelstrafrichter (Politierechter), die Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr verhängen können (Art. 369 StPO-NL), behandeln durchschnittlich 20 bis 25 Strafverfahren pro Verhandlungstag.81 Die Große Strafkammer, die für schwerere Strafsachen zuständig ist, erledigt pro Verhandlungstag sieben bis acht Strafsachen. Im Vergleich dazu wurden für eine Verhandlung beim Landgericht in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1998 durchschnittlich 3,3 Verhandlungstage benötigt.82 Niederländische Strafgerichte können mehr Strafverfahren pro Tag behandeln, weil in der Hauptverhandlung kaum noch Zeugen oder Sachverständige vernommen werden. Der Richter kann Aussagen, die gegenüber der Polizei oder dem Untersuchungsrichter gemacht und protokolliert wurden, als schriftliche Beweismittel (Art. 339 Abs. 1 Nr. 5 StPO-NL) heranziehen. Lange Strafverfahren sind daher sehr selten.83 In der Hauptverhandlung konfrontiert der Richter den Angeklagten mehr oder minder detailliert mit den protokollierten Aussagen84 und gibt ihm Gelegenheit, deren Richtigkeit in Frage zu stellen. Nur selten kommt es vor, dass der Angeklagte seiner eigenen früheren Aussage widerspricht, da er die polizeilich protokollierte Aussage kennt und das Protokoll unterschrieben hat. Die Untersuchung in der Hauptverhandlung ist deshalb in aller Regel nicht mehr als die Reproduktion und Bestätigung der in der Voruntersuchung gemachten Aussagen des Angeklagten und der Zeugen.85 Da die Entscheidungsfindung des Gerichts in wesentlichem Umfang bereits in der Voruntersuchung vorbereitet wird, kann der Richter an einem Hauptverhandlungstag mehrere Sachen schnell und effizient erledigen. Dadurch, dass die unmittelbare Beweiserhebung in der Hauptverhandlung nicht wiederholt werden muss, kann auch verhindert werden, dass Verbrechensopfer als Zeugen ___________ 81

Tak/Fiselier Duitsland – Nederland, 2002, S. 168. Statistisches Bundesamt Strafgerichte 1998. 83 Dem Verfasser ist nur ein einziger Fall mit mehr als 50 Hauptverhandlungstagen bekannt. 84 Otte Justitiële Verkenningen 1998, 26. 85 Näher dazu Tak ZStW 112 (2000), 170, 185. 82

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ihre vielfach traumatischen Erfahrungen neu erleben müssen und mit dem vermutlichen Verursacher dieser traumatischen Erfahrungen vor Gericht konfrontiert werden. Ein weiterer Vorteil des Rückgriffs auf schriftliche Unterlagen liegt darin, dass dem Richter mit den Aussagen, die unmittelbar nach der Tat vor der Polizei gemacht wurden, ein authentisches Beweismittel vorliegt, da die Angaben noch nicht durch den Zeitablauf zwischen polizeilicher Vernehmung und Hauptverhandlung verzerrt oder verdrängt worden sind. Allerdings ist diese Praxis auch mit Nachteilen verbunden. Die Verteidigung hat keine Möglichkeit, einem Zeugen, der eine belastende Aussage gemacht hat, in Anwesenheit des Richters nähere Fragen zu stellen, und der Richter ist in seiner Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen eingeschränkt, da non-verbale Kommunikation während der Vernehmung in dem Protokoll keinen Ausdruck findet.

III. Alternativen der (außergerichtlichen) Verfahrensbeendigung

Das niederländische Justizsystem ist unstreitig überlastet. Verfahrensabsprachen eröffnen hierfür jedoch keine Lösung. Wesentlich effektiver wäre es, die Zuständigkeit des Einzelrichters zu erweitern und ihm eine umfangreichere Strafbefugnis zu gewähren. Hiergegen hat der Gesetzgeber jedoch große Bedenken.86 Die Möglichkeiten der außergerichtlichen Erledigung von Straftaten, etwa durch eine vorläufige Einstellung unter Auflagen, durch einen staatsanwaltschaftlichen Entziehungsbeschluss (§ 36 Wirtschaftsstraftatengesetz) oder durch Transaktionen sind gesetzlich geregelt. Letztere spielen dabei eine bedeutende Rolle (siehe oben D. I.).

IV. Kronzeugenvereinbarungen

Neben den oben genannten Möglichkeiten gibt es eine weitere Vereinbarung, die als Verfahrensabsprache bezeichnet werden kann: die sog. Kronzeugenvereinbarung. Die Kronzeugenregelung ist bisher nicht gesetzlich normiert. Bereits am 5.7.2001 wurde ein Gesetzentwurf zu Zusagen an Zeugen vom Parlament angenommen; es fehlt jedoch an der Zustimmung des Senats. Die vorläufigen Instruktionen basieren auf diesem Gesetzentwurf und wurden von ___________ 86

Vgl. Dijksterhuis/Jacobs/de Jongste Competentiegrens, 2003.

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der Staatsanwaltschaft als Richtlinie herausgegeben.87 Nach den „Vorläufigen Instruktionen“ dürfen Vereinbarungen mit einem mutmaßlichen Straftäter getroffen werden, wenn dieser bereit ist, in anderen Strafverfahren gegen andere Angeklagte auszusagen. Dies gilt in Verfahren wegen Straftaten, die mit mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, im organisierten Verbund begangen werden und eine ernsthafte Störung der Rechtsordnung verursachen. Sind die beiden zuletzt genannten Bedingungen nicht erfüllt, so können KronzeugenAbsprachen getroffen werden, wenn dem Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mindestens acht Jahren droht. Nach den vorläufigen Instruktionen darf Gegenstand einer Absprache eine Strafmilderung von höchstens einem Drittel der Strafe (Freiheitsstrafe, gemeinnützige Arbeit oder Geldstrafe), die Umwandlung von einem Drittel der unbedingten in eine bedingte Strafe oder die Ersetzung von höchstens einem Drittel der Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit oder Geldstrafe sein. Bei Kronzeugen, die bereits verurteilt wurden, kann die Staatsanwaltschaft höchstens ein Drittel der Strafe im Gnadenwege erlassen. Kronzeugenabsprachen binden das Gericht nicht; es wird in seiner Freiheit der Strafzumessung durch sie rechtlich nicht eingeschränkt. Praktisch hat der Richter die Absprachen bei der Strafzumessung jedoch zu berücksichtigen. Vereinbarungen mit Kronzeugen werden von der Justiz akzeptiert, da sie ohne Aussagen von Kronzeugen in Fällen der Schwerkriminalität kaum zu Verurteilungen gelangen kann. In ihrer jetzigen Fassung lässt die Regelung der Praxis jedoch zu wenig Raum für die Ermittlung und Verfolgung von Schwerkriminalität; dies wird von Staatsanwälten und auch von Politikern kritisiert.88 Die Staatsanwaltschaft erstrebt einen weiteren Ermessensspielraum für Absprachen über die Höhe der Entziehung des geschätzten Vorteils der Straftat sowie über sonstige Vorteile, die sie dem Kronzeugen gewähren kann (bevorzugte Behandlung im Strafvollzug, Fürsprache beim Finanzamt, Übertragung des Strafvollzugs ins Ausland, Bescheidung von Auslieferungsersuchen). Kommt eine Kronzeugenabsprache in Betracht, so prüft zunächst die Staatsanwaltschaft in einem Gespräch mit dem Kronzeugen, ob dessen Aussage eine hinreichende Grundlage für eine Verhandlung bildet. Für die Verhandlung bekommt der Zeuge den Beistand eines Rechtsanwalts. Der Zeuge muss von der Staatsanwaltschaft über die Konsequenzen und den Verfahrensablauf der ___________ 87 Tijdelijke aanwijzing toezeggingen aan getuigen in strafzaken, Staatscourant 2001 Nr. 138, S. 8. 88 Brief vom Juli 2004 des Justizministers an das Parlament, Tweede Kamer 20032004, 26294 Nr. 6.

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Abmachung ausführlich unterrichtet werden. Die schriftlich festgehaltene Absprache wird dem Kollegium der Generalstaatsanwälte vorgelegt, das sie von einer zentralen Prüfungskommission und dem Landesrechtsanwalt begutachten lässt. Nach Zustimmung des Kollegiums wird die Absprache vom Staatsanwalt und vom Zeugen unterzeichnet.89 Der Richter ist an Absprachen nicht beteiligt; er erfährt aber bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung, dass mit einem Zeugen Absprachen getroffen wurden, da das Protokoll der Absprachen den Akten beigefügt werden muss. In der Hauptverhandlung muss die Staatsanwaltschaft aus Gründen der Transparenz die für die Absprache wichtigen Umstände darlegen. Dem Richter kommt dabei keine Kontrollfunktion zu. In der Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten, der als Kronzeuge fungiert hat, muss die Staatsanwaltschaft angeben, welche Strafe ohne Absprache beantragt worden wäre. Ferner muss sie dartun, welchen Beitrag der Beschuldigte durch seine Aussage zur Aufklärung von Straftaten geleistet hat und welche Strafmilderung ihm zugesagt wurde. Kommt eine Absprache nicht zustande, so darf die Staatsanwaltschaft die ihr gegenüber gemachten Angaben des verhinderten Kronzeugen nicht benutzen. Hält der Kronzeuge – trotz protokollierter Absprache – seinen Teil der Abmachungen nicht ein, obwohl er bereits eine Strafmilderung erhalten hat, so kann er wegen Zeugnisverweigerung mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden. Die Staatsanwaltschaft kann nicht ohne weiteres von ihrem Teil der Abmachung abrücken, da die schriftliche Fixierung der Absprache den Akten beigefügt wurde. Stellt ein Staatsanwalt trotzdem keinen Antrag auf Strafmilderung, so kann das Gericht diese von Amts wegen gewähren. Das Gericht kann außerdem die kooperative Haltung des Angeklagten bei der Strafzumessung berücksichtigen.

E. Opfer- und Zeugenschutz vs. Verteidigungsinteressen I. Verhalten des Verteidigers gegenüber dem Verletzten

Der Verletzte kann in den Niederlanden ein Strafverfahren nicht selbst einleiten, aber in unterschiedlicher Weise an ihm mitwirken.90 Er kann die gegen ___________ 89 Kap. 6 §§ 6.1 - 6.6 der Vorläufigen Instruktionen; detailliert dazu Mols Getuigen, 2003, S. 314. 90 Corstens Strafprocesrecht, S. 71.

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ihn verübte Straftat zur Anzeige bringen und (bei Antragsdelikten) Strafantrag stellen. Gegen einen Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft kann der Verletzte beim Gerichtshof Beschwerde erheben, wenn er durch diesen Beschluss benachteiligt wird (Art. 12 ff. StPO-NL). Schließlich hat er die Möglichkeit, sich dem Strafverfahren mit seiner Schadensersatzforderung anzuschließen.91 Es kann zu Konflikten zwischen dem Interesse an Opferschutz einerseits und den Interessen der Verteidigung andererseits kommen (Ähnliches gilt für Zeugen). Problematisch sind insbesondere Fälle, in denen der Verteidiger das Opfer oder einen Zeugen den Medien gegenüber als unzuverlässig, lügnerisch, psychisch krank oder anderweitig negativ darstellt. Dies wird von den betroffenen Personen häufig als beleidigend empfunden, kann jedoch strafrechtlich nicht geahndet werden. Rechtliche Normen über das Verhalten des Verteidigers gegenüber dem Verletzten enthält weder die StPO-NL noch haben sie sich in der Praxis entwickelt. Unklar ist, ob ein Bedarf an solchen Regelungen besteht. Die niederländische Rechtsanwaltskammer (Nederlandse Orde van Advocaten) hat 1992 Verhaltensregeln veröffentlicht (Gedragregels voor advocaten 1992); dies sind rechtlich nicht verbindliche Richtlinien für das Verhalten eines Anwalts. Nach Regel 31 der Verhaltensregeln darf sich ein Rechtsanwalt in Wort und Schrift nicht „unnötig kränkend“ äußern. Diese Formulierung stammt aus der Zivilrechtsprechung zu unrechtmäßigen Presseveröffentlichungen. Die Regel gilt auch für Äußerungen gegenüber Verletzten und Zeugen.92 Herabsetzende öffentliche Äußerungen sind nur dann zulässig, wenn der Verteidiger davon überzeugt ist, dass sie dem Interesse seines Mandanten nützen können.93 Wie die Rechtsprechung von Disziplinarrat und Disziplinarhof erkennen lässt, nehmen Rechtsanwälte nur selten an, eine ihrer Äußerungen sei unnötig kränkend.94

___________ 91

Tak ZStW 112 (2000), 170, 197. Raad van Discipline, Den Bosch v. 8.5.1995, Nr. H 110-1994. 93 Raad van Discipline, Amsterdam v. 15.6.1987, Nr. 87/07 A; Raad van Discipline, Den Haag, Nr. 21/11/1994; Nr. R 829 94, 43. 94 Beispiel (Disziplinarhof 16.6.2000; Advocatenblad 2001, S. 282): Rechtsanwalt Sprong schrieb in seinem Buch „Leugens om bestwil“, dass in einem Verfahren, in dem er als Strafverteidiger auftrat, der Richter sein Urteil schon vorher geschrieben habe und dass das ganze Strafverfahren ein einziges Theater dargestellt habe; außerdem sei ihm das Recht auf Berufung genommen worden. Beides stellte sich als offensichtlich unwahr heraus, und der Rechtsanwalt wurde vom Disziplinarhof abgemahnt. 92

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II. Kontakt zwischen Verteidiger und Verletztem

Es ist nicht geregelt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Verteidiger zu Verteidigungszwecken mit dem Verletzten in Kontakt treten darf – etwa um auf informelle Weise an Informationen zu gelangen. Nach Verhaltensregel Nr. 16 soll der Rechtsanwalt in Strafsachen jedoch auf die vorherige Anhörung von Zeugen verzichten, die von der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung geladen sind. Sofern der Verletzte (oder ein Zeuge) nicht von der Staatsanwaltschaft als Zeuge geladen ist, ist eine Kontaktaufnahme daher grundsätzlich gestattet. Der Rechtsanwalt darf auch mit Zeugen Kontakt aufnehmen, die er selbst vorgeschlagen hat, unter anderem um festzustellen, ob diese Zeugen über relevante Tatsachen aussagen können. Es empfiehlt sich für den Rechtsanwalt, dem Gericht mitzuteilen, dass er bereits vorab mit den Zeugen gesprochen hat, so dass ihm nicht der Vorwurf gemacht werden kann, er habe die Zeugen beeinflusst. Am besten ist es, einen respektierten und vertrauenswürdigen Kollegen zu dem Gespräch mit einem Zeugen hinzuzuziehen.95

III. Wiedergutmachungsleistungen an den Verletzten

Der Verteidiger darf dem Verletzten im Namen seines Mandanten Wiedergutmachungsleistungen anbieten. Geschieht dies vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Fall anzuklagen, dann kann es zu einer Verfahrenseinstellung führen. Bietet der Verteidiger vor Beginn der Hauptverhandlung Wiedergutmachungsleistungen an, so kann der Richter dies bei der Strafzumessung berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung zur Erfüllung eines bestehenden zivilrechtlichen Anspruchs des Verletzten erfolgt, da die Wiedergutmachungsleistung als tätige Reue angesehen wird. In welchem Umfang die Leistung von Richter und Staatsanwaltschaft berücksichtigt wird, liegt in deren Ermessen.96 Je deutlicher die Wiedergutmachungsleistung über den bestehenden Rechtsanspruch des Verletzten hinausgeht, desto größer ist ihre Bedeutung für die Anklage- und Strafzumessungsentscheidung. Solange Staatsanwaltschaft und Richter annehmen, der Beschuldigte leiste die Wiedergutmachung, macht es keinen Unterschied, ob die Leistung tatsächlich vom Beschuldigten oder von Dritten oder sogar vom Verteidiger selbst ___________ 95

Prakken/Spronken Handboek, S. 184. In den Niederlanden gibt es kaum gesetzliche Regelungen über die Strafzumessung. Zum Vergleich zu Deutschland siehe Tak Straffen, 2001, S. 3; van Kalmthout/Tak Minimumstraf, 2003, S. 155. 96

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erbracht wird. Erfahren Staatsanwaltschaft oder Richter aber davon, dass die Leistung tatsächlich nicht vom Beschuldigten erbracht wurde, so kann dies Folgen für das gesamte Verfahren haben. Der Grund dafür, dass nicht der Beschuldigte selbst, sondern ein Dritter geleistet hat, ist dabei zu berücksichtigen. IV. Auswirkungen des Zeugenschutzes auf Rechte der Verteidigung

Im Ermittlungsverfahren kann ein Zeuge weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft zur Aussage gezwungen werden. Auch darüber hinaus darf im Ermittlungsverfahren keinerlei Zwang gegen Zeugen verübt werden. In der gerichtlichen Voruntersuchung verändert sich die Stellung des Zeugen grundlegend. Er wird vom Untersuchungsrichter in dessen Büro geladen, muss dort erscheinen (Art. 213 StPO-NL) und Fragen beantworten; andernfalls kann er inhaftiert werden (Art. 221 StPO-NL). Der Untersuchungsrichter lädt Zeugen entweder von Amts wegen oder auf Ersuchen des Verteidigers. Dieser darf während der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter anwesend sein, es sei denn, der Untersuchungsrichter verwehrt es ihm (Art. 186a StPO-NL), beispielsweise wenn zu erwarten ist, dass der Zeuge etwas bekunden wird, was dem Beschuldigten und dessen Verteidiger (noch) nicht bekannt werden darf. Der Untersuchungsrichter kann den Verteidiger in diesem Fall von der Vernehmung ausschließen. Auf Ersuchen des Anwalts kann der Untersuchungsrichter anordnen, dass der Beschuldigte im Interesse der Untersuchung bei der Vernehmung anwesend sein darf. Dies ist jedoch nicht die Regel; normalerweise nimmt nur der Verteidiger an der Vernehmung teil. Ist allerdings vorauszusehen, dass ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht anwesend sein wird oder dass seine Gesundheit durch eine Aussage in der Hauptverhandlung ernsthaft gefährdet würde, werden der Beschuldigte und der Verteidiger zur Vernehmung dieses Zeugen geladen. Mit Blick auf den Schutz gegenläufiger Rechte von Zeugen oder Verletzten gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen des Frage- oder Konfrontationsrechts der Verteidigung. Eine Ausnahme bilden gefährdete Zeugen, also Jugendliche, Opfer schwerer Sexualdelikte und andere physisch oder psychisch geschwächte Zeugen. Der Untersuchungsrichter kann anordnen, dass weder der Verteidiger noch der Beschuldigte an der Vernehmung eines Zeugen teilnehmen darf, falls diese Maßnahme erforderlich ist, um dem Zeugen eine ernsthafte Belästigung zu ersparen, um eine ernsthafte Behinderung des Zeugen bei der Ausübung seines Amtes oder Berufs zu vermeiden oder wenn sonst ein schwerwiegendes Interesse der Anwesenheit entgegensteht. In einem solchen Fall können der Verteidiger und der Beschuldigte dem Untersuchungsrichter Fragen angeben, die dem Zeugen in ihrer Abwesenheit gestellt werden sollen. Der

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Untersuchungsrichter kann jedoch die Beantwortung einer vorgelegten Frage untersagen (Art. 187 - 187d StPO-NL). Grundsätzlich können Zeugen sowohl in der gerichtlichen Voruntersuchung vom Untersuchungsrichter als auch später vom Richter in der Hauptverhandlung vernommen werden. Ein gefährdeter Zeuge indessen darf nicht in der Hauptverhandlung, sondern nur in der gerichtlichen Voruntersuchung vom Untersuchungsrichter vernommen werden. Für bedrohte Zeugen gibt es seit 1994 die Möglichkeit einer Vernehmung unter Geheimhaltung ihrer Identität (Art. 136c StPO-NL).97 Die Art. 226a - 226f StPO-NL regeln die Vernehmung bedrohter Zeugen. Muss ein Zeuge aufgrund seiner Aussage um Leben, Gesundheit, Sicherheit, sein Familienleben oder seine wirtschaftliche Existenz bangen und hat er zu erkennen gegeben, wegen dieser Bedrohung keine Aussage machen zu wollen, so kann der Untersuchungsrichter98 den Zeugen in Abwesenheit aller übrigen Verfahrensbeteiligten vernehmen. Danach unterrichtet er die Staatsanwaltschaft, den Verteidiger und den Beschuldigten vom Ergebnis der Zeugenvernehmung und gibt ihnen Gelegenheit, mittels Telekommunikation oder schriftlich Fragen anzugeben. Bestimmte Antworten kann er dabei gegenüber dem Beschuldigten, seinem Verteidiger oder der Staatsanwaltschaft geheim halten. Der Untersuchungsrichter ist ferner befugt, Angaben über die Identität des Zeugen in den Verfahrensakten wegzulassen oder zu anonymisieren.99 In der Praxis werden diese Regelungen insbesondere bei Straftaten gegen das Leben, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und bei gewaltsamem Diebstahl angewandt.100 Nach Auffassung des Hohen Rats verstoßen diese Sonderregeln für „bedrohte Zeugen“ nicht gegen Art. 6 EMRK, da in dem zu entscheidenden Fall Staatsanwaltschaft und Verteidiger bei der Zeugenvernehmung per Telekommunikation anwesend waren (wenn auch in einem anderen Raum), der Verteidiger weitere Fragen stellen konnte, der Zeuge offensichtlich kein Polizeibeamter war101 und die Verurteilung des Beschuldigten nicht hauptsächlich auf die Aussagen des anonymen Zeugen gestützt wurde. ___________ 97

Siehe Beyer Getuigen, 1997, S. 121; van der Reyt in: Hünerfeld Zeugenschutz, 1992, S. 129. 98 Hat der Untersuchungsrichter einen Zeugen als „bedrohten Zeugen“ eingestuft, so kann der Richter in der Hauptverhandlung den Status dieses Zeugen auch abweichend beurteilen; HR v. 30.6.1998, NJ 1999, 88; HR v. 10.9.2002, NJ 2002, 519. 99 Detailliert hierzu Mols Getuigen, 2003, S. 292. 100 van Hoorn Getuigenbescherming, 1996. 101 So war es im Fall van Mechelen v. Niederlande, EGMR v. 23.4.1997, EHCR Reports 1997 III, S. 69.

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F. Berufsrechtliche Regelungen I. Gesetzliche Regelungen von Rechten und Pflichten des Strafverteidigers

In den Niederlanden gibt es gesetzliche und nicht-gesetzliche Regelungen über die Rechtsstellung des Strafverteidigers. Am wichtigsten sind Vorschriften der StPO-NL und des Rechtsanwaltsgesetzes (Advocatenwet) sowie die Verhaltensregeln für Rechtsanwälte (Gedragsregeln voor Advocaten). Letztere sind von der Niederländischen Rechtsanwaltskammer (Nederlandse orde van Advocaten) erlassen worden, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 134 GG-NL, bei der jeder Rechtsanwalt Mitglied ist. Die Niederländische Rechtsanwaltskammer ist befugt, bindende Verordnungen zu erlassen. Nach § 10 Rechtsanwaltsgesetz ist der Rechtsanwalt zunächst an die Vorschriften der StPO gebunden.102 Außerdem hat der Rechtsanwalt nach Art. 46 Rechtsanwaltsgesetz für die Vertretung ihm anvertrauter Interessen zu sorgen, die Verordnungen der Niederländischen Rechtsanwaltskammer zu beachten und sich so zu verhalten, wie es sich für einen guten Rechtsanwalt gehört, insbesondere die Verhaltensregeln von 1992 einzuhalten. Verletzungen dieser in Art. 46 abstrakt beschriebenen Gebote können als berufsrechtliche Pflichtverletzungen geahndet werden; sie werden im jeweiligen Disziplinarverfahren konkretisiert. Die Verhaltensregeln für Rechtsanwälte enthalten Normen, die nach der herrschenden Auffassung im Kreis der Rechtsanwälte bei der Ausübung ihres Berufs zu berücksichtigen sind. Sie sind im Wesentlichen eine Konkretisierung der ersten und dritten in § 46 Rechtsanwaltsgesetz genannten Verpflichtungen.103 Im Jahr 2003 wurde vom Niederländischen Verein der Strafverteidiger (Nederlandse Vereniging van Strafrechtsadvocaten) ein Statut für Strafverteidiger aufgestellt.104 Dieses Statut umfasst 33 Regelungen, die – anders als die Verhaltensregeln für Rechtsanwälte – speziell das Verhalten des Strafverteidigers betreffen. Zum Teil sind diese Regelungen eine Konkretisierung der Rechtsprechung des Disziplinargerichtshofs und der Disziplinarräte.105

___________ 102

Spronken Verdediging, S. 498. Gedragsregels voor advocaten 1992, Einleitung. 104 Text unter www.nvvs.nl. 105 Franken/Spronken Advocatenblad 2004, 114; kritisch zum Statut Advocatenblad 2004, 230. 103

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II. Konflikte zwischen der Unabhängigkeit des Anwalts und seiner Verpflichtung als Verteidiger

Eines der größten Probleme des Strafverteidigers ist es zu vermeiden, dass er zum Spielball seines Mandanten wird. Der Strafverteidiger ist juristischer Sachwalter und Vertrauensperson seines Mandanten, und er muss stets in dessen Interesse und im Rahmen seines Auftrags handeln. Bei der Festlegung der Verteidigungsstrategie hat er seinen Mandanten vorab über die verschiedenen Möglichkeiten zu informieren, damit dieser sich ein eigenständiges Urteil bilden kann. Aus der Struktur des niederländischen Prozessrechts folgt, dass der Beschuldigte Prozesspartei ist und dass er allein entscheidet, auf welche Weise die Verteidigung zu führen ist. Bestehen zwischen Mandant und Verteidiger Meinungsverschiedenheiten, die sich nicht lösen lassen, so muss der Rechtsanwalt das Mandat niederlegen. In Literatur und Praxis wird über mögliche Konflikte und Kollisionen zwischen der öffentlichen Verantwortlichkeit des Verteidigers und seinen Verteidigungsinteressen diskutiert.106 Nach einer Auffassung107 sind Verteidigungsinteressen mit den subjektiven Interessen des Beschuldigten nicht identisch; erstere seien vielmehr auf das Ziel des Strafverfahrens gerichtet, nämlich auf die Wahrheitsforschung und die Verhinderung der Bestrafung Unschuldiger. Nach der Gegenauffassung108 stimmen die objektiven Verteidigungsinteressen (also die allgemeinen Interessen der Rechtspflege) mit den subjektiven Interessen des Beschuldigten überein. Nach dieser Ansicht ist der Verteidiger selbstständig verantwortlich für die Vertretung der Mandanteninteressen, wobei aber die subjektiven Verteidigungsrechte dem Interesse einer effizienten Rechtspflege nicht untergeordnet sind.

III. Disziplinarverfahren gegen Verteidiger wegen Verletzung ihrer Pflichten

In den vergangenen zehn Jahren fanden vor den Disziplinarräten einige tausend Disziplinarverfahren gegen Strafverteidiger wegen mutmaßlicher Pflichtverletzungen gegenüber Mandanten statt. Etwa 200 Fälle wurden in der

___________ 106

Siehe z. B. Loth Advocatenblad 2003, 24. Groenhuijsen/Knigge (Hrsg.), Onderzoek, 2000, S. 24, 35. 108 Prakken/Spronken Handboek, S. 11. 107

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Berufungsinstanz durch den Disziplinarhof entschieden.109 In vielen dieser Verfahren ging es um die Qualität der Dienstleistung. Dabei handelte es sich um Pflichtverletzungen verschiedener Art. In einigen Fällen ging es um die Übernahme der Verteidigung durch einen vom Mandanten gewählten Rechtsanwalt, nachdem dem Beschuldigten bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden war. Eine solche Übernahme muss sorgfältig vorbereitet werden und kann nur nach Rücksprache mit dem bestellten Rechtsanwalt erfolgen. Auch Klagen wegen übermäßiger Honorarforderungen oder wegen der Wahl der Verteidigungsstrategie kommen häufig vor. In den letztgenannten Fällen gehen die Disziplinarräte davon aus, dass der Verteidiger zwar die Verantwortung für die Verteidigungsstrategie trägt, dass er jedoch nicht gegen den Willen seines Mandanten handeln darf. Dem Anwalt kommt ein Ermessensspielraum zu, aufgrund dessen er diejenige Strategie verfolgen kann, die er selbst als die effektivste erachtet. Der Vorwurf einer Verletzung des Mandantenwillens wird regelmäßig zurückgewiesen, wenn sich der Mandant im Laufe des Verfahrens mit dieser Strategie abgefunden oder sich zumindest nicht gegen sie gewehrt hat. Der überwiegende Teil der Klagen betrifft die Säumigkeit von Verteidigern sowie grobe Vernachlässigung von Mandanteninteressen und sonstige mangelnde Sorgfalt. Diese ist etwa gegeben, wenn der Verteidiger den Mandanten nicht in der Untersuchungshaft besucht, seine Briefe nicht beantwortet oder die Verteidigung nicht gemeinsam mit dem Mandanten vorbereitet.110 Auch Fälle von Missbrauch des freien Verkehrs zwischen Verteidiger und inhaftiertem Mandanten waren Gegenstand von Klagen. In diesen Fällen klagten jeweils die Staatsanwaltschaft oder der Untersuchungsrichter. Der Disziplinarhof folgt in diesen Fällen dem Grundsatz, dass es nicht wichtig sei, ob die Wahrheitsfindung tatsächlich durch das beanstandete Verhalten beeinträchtigt wurde. Er hebt auch das starke Interesse daran hervor, dass das Vertrauen in die Rechtsanwaltschaft nicht beschädigt und die bestehenden Privilegien des Verteidigers dadurch nicht gefährdet werden.111 Das Disziplinarverfahren ist in Art. 46 - 60 Rechtsanwaltsgesetz geregelt. Jeder Betroffene kann schriftlich Klage beim Vorsitzenden der regionalen ___________ 109 Im Einzelnen waren es folgende Fallzahlen: 1990: 133; 1991: 113; 1992: 106; 1993: 103; 1994: 160; 1995: 124; 1996: 156; 1997: 164; 1998: 185; 1999: 174; 2000: 183; 2001: 199; 2002: 257 (Quelle: Recht of tuchtrecht, 2003, S. 22). Über die Verfahren bei Disziplinarräten existieren keine Statistiken. 110 Zur Disziplinarrechtsprechung siehe Spronken Verdediging, S. 509. 111 Zur Rechtsprechung des Disziplinarhofes Boekman Advocatentuchtrecht, 1998; van Heloma Lugt Tuchtrechter, 1998, S. 48 f.

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Rechtsanwaltskammer erheben. Der Vorsitzende untersucht die Klage und versucht zunächst zwischen den Parteien zu vermitteln. Gelingt es ihm nicht, einen Vergleich zu erreichen, so leitet er die Klage an einen der fünf Disziplinarräte112 weiter. Offensichtlich unbegründete Klagen und Klagen wegen Bagatellen kann der Vorsitzende für unzulässig erklären. Gegen diese Entscheidung kann beim Disziplinarrat Einspruch eingelegt werden. Die Verhandlung über die Klage findet in einer öffentlichen Sitzung des Rates statt, an der der Kläger und der beklagte Rechtsanwalt teilnehmen. Der Rat kann Zeugen und Sachverständige hören und trifft seine Entscheidung innerhalb von sechs bis acht Wochen. Gegen die Entscheidung können der Rechtsanwalt, der Kläger und der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer beim Disziplinarhof in Utrecht Berufung einlegen. Auch der Vorsitzende des Disziplinarhofs kann entscheiden, ob eine Klage begründet oder unbegründet ist. Ist sie begründet, kommen folgende Maßnahmen in Betracht: Verwarnung, Verweis, Suspension für höchstens ein Jahr und die dauerhafte Entziehung der Zulassung als Rechtsanwalt. Ein Auszug aus den Entscheidungen wird im Advocatenblad, dem Standesblatt für Niederländische Rechtsanwälte, abgedruckt. Die bedeutendsten Entscheidungen sind auch in Buchform veröffentlicht.113 Eine rechtssoziologische Untersuchung über die Behandlung von Klagen gegen Rechtsanwälte, die 1997 veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass jährlich auf mehr als 3000 Klagen rund 400 Entscheidungen ergehen.114 Diese Zahl nimmt – ebenso wie die Zahl der Rechtsanwälte (2003: 12349 Rechtsanwälte) – stetig zu.115

IV. Berufsrechtliche Kontrolle von Strafverteidigern

Das gegenwärtige System der berufsrechtlichen Kontrolle von Strafverteidigern und der Ahndung ihrer Pflichtverstöße wird in der Literatur teilweise kritisch diskutiert. Fraglich ist zunächst, ob das Disziplinarverfahren tatsächlich den Wünschen der Kläger gerecht wird. Viele Betroffene sind von der ___________ 112 Der Disziplinarrat ist mit vier Rechtsanwälten und einem Richter besetzt, der Disziplinarhof mit drei Richtern und zwei Rechtsanwälten. 113 Boekman Advocatentuchtrecht, 1998. 114 Doornbos/de Groot-van Leeuwen Klachten, 1997, S. 9, 111. 115 Zahl der bei Disziplinarräten anhängigen Disziplinarverfahren zwischen 1990 und 2000: 1990: 361; 1991: 353; 1992: 410; 1993: 427; 1994: 506; 1995: 587; 1996: 640; 1997: 716; 1998: 635; 1999: 704; 2000: 681. Dazu Böcker/de Groot-van Leeuwen Klachten, 2002, S. 4.

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Behandlung ihrer Klagen enttäuscht. Oft werden Klagen abgewiesen, und falls doch zugunsten des Klägers entschieden wird, so wird ihm kein Schadensersatz zugesprochen.116 Andererseits ist die unbegrenzte Zulassung von Klagen zum Disziplinargericht für Rechtsanwälte belastend, da sie sich gegen zahlreiche von vornherein unbegründete Klagen wehren müssen. Andere Autoren plädieren für eine Abschaffung der Disziplinarverfahren, da Beschwerden auch von Ziviloder Strafrichtern erledigt werden könnten.117 Dagegen spricht jedoch, dass Richter bereits jetzt ausgelastet sind, wesentlich weniger Sachkenntnis auf dem Gebiet des Disziplinarrechts haben als spezielle Disziplinargerichte und das Gerichtsverfahren sehr viel komplizierter und teurer und daher für den Kläger weniger leicht zugänglich ist.118 Grundsätzlich ist das gegenwärtige System berufsrechtlicher Kontrolle daher den denkbaren Alternativen vorzuziehen. Die steigende Zahl der Klagen und die Unzufriedenheit der Kläger mit der Tatsache, dass im Disziplinarverfahren kein Schadensersatz zugesprochen werden kann, hat der Niederländische Rechtsanwaltsverein 1999 zum Anlass genommen, eine Klage- und Konfliktregelung aufzustellen.119 Danach kann eine Konfliktkommission das Klageverfahren mit einem verbindlichen Rat oder einer Schlichtung beenden.120 Um eine Klage von der Konfliktkommission behandeln zu lassen, ist die Mitwirkung des Rechtsanwalts notwendig. Erste Erfahrungen mit dieser Regelung wurden in einem Pilotprojekt gesammelt. Obwohl die Zahl der von der Konfliktkommission behandelten Klagen gering war,121 fielen deren Ergebnisse für Kläger und Rechtsanwalt so positiv aus, dass die Regelung seit dem 1.6.2003 für das ganze Land gilt. 2003 wurden 116 Klagen bei der Konfliktkommission eingereicht.

G. Praktische Fälle Welche rechtlichen oder informellen Reaktionen hätte ein Anwalt (A) zu gewärtigen, der als Verteidiger eines Mannes (M), dem ein Sexualdelikt vorgeworfen wird, folgendes tut: ___________ 116

Zum Ablauf des Verfahrens vor Disziplinarräten siehe Doornbos/de Groot-van Leeuwen Klachten, 1997. 117 Boeles in: Langemeijer Tuchtrecht, 1975, S. 53. 118 Boekman Advocatentuchtrecht, 1998, S. 184. 119 Text der Regelung unter www.advocaten-orde.nl. 120 Beispiele von Entscheidungen unter www.sgc.nl. 121 Im Jahre 2000: 14, 2001: 37, 2003: 92.

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Fall 1: A unterlässt es, vorhandene Entlastungszeugen dem Gericht zu benennen sowie die Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. M wird verurteilt und erst später aufgrund der Initiative eines neuen Verteidigers nach Aufhebung des ersten Urteils aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Ein Rechtsanwalt, der es unterlässt, vorhandene Entlastungszeugen der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zu benennen, sich rechtzeitig um zugängliche Informationen über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu bemühen oder Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen, vernachlässigt seine Pflichten als Strafverteidiger und verstößt gegen die Verhaltensregeln 1, 4 und 8. Er riskiert eine Verurteilung zu einer Disziplinarstrafe durch einen Disziplinarrat oder den Disziplinarhof. Sein ehemaliger Mandant könnte auch zivilrechtlich gegen ihn vorgehen und Schadensersatz verlagen. Strafrechtlich oder strafverfahrensrechtlich braucht der Rechtsanwalt dagegen keine Sanktionen zu fürchten. Fall 2: A zahlt der verletzten Frau im Auftrag des M eine sehr hohe Geldsumme und erreicht dadurch, dass die Frau vor Gericht wahrheitswidrig aussagt, sie sei mit den Handlungen, die M an ihr vorgenommen hat, einverstanden gewesen. Ob A wusste, dass diese Aussage der Frau nicht der Wahrheit entsprach, lässt sich nicht aufklären.

Ein Rechtsanwalt, der sich vorab an einen Zeugen wendet und diesem eine hohe Geldsumme dafür anbietet, dass der Zeuge vor Gericht anders aussagt, als er es zuvor bei der Polizei getan hat, hätte ein Disziplinarverfahren sowie ein Strafverfahren wegen Anstiftung zum Meineid (Art. 47 i. V. m. Art. 207 StGBNL) oder wegen versuchter Anstiftung zum Meineid (Art. 46a StGB-NL) zu gewärtigen. Aus den Umständen der Tat (es ist eine hohe Geldsumme im Spiel und die Zeugin sagt anders aus, als sie dies zuvor bei der Polizei getan hat) kann bedingter Vorsatz abgeleitet werden. Sollte die Aussage der Frau der Wahrheit entsprechen, liegt versuchte Anstiftung vor. In der Anklageschrift werden beide Vorwürfe genannt. Falls Vorsatz nicht nachzuweisen ist, kommt eine Strafbarkeit nach Art. 285a StGB-NL122 in Betracht. Danach macht sich strafbar, wer die Aussagefreiheit von Zeugen oder anderen Personen beeinträchtigt. Diese Bestimmung greift auch ein, wenn Anstiftung zum Meineid nicht gegeben ist, weil es an der Kausalität zwischen Bedrohung und Meineid fehlt, weil das benutzte Mittel nicht die Anforderungen des Art. 47 StGB-NL erfüllt oder weil die bedrohte Person von der Polizei uneidlich vernommen wird. Art. 285a StGB-NL ___________ 122 Die Vorschrift wurde 1993 gleichzeitig mit den strafprozessualen Regelungen über bedrohte Zeugen in das Strafgesetzbuch aufgenommen.

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soll gewährleisten, dass jedermann frei und unbeeinträchtigt aussagen kann.123 Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt, eine Person in ihrer Freiheit, die Wahrheit auszusagen, zu beeinträchtigen, und dass er weiß oder davon ausgeht, dass eine Aussage vor einem Richter stattfinden wird. Fall 3: Gericht und Staatsanwaltschaft bieten an, dass M zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wird, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegt; andernfalls müsse M mit einer Strafe von 4 Jahren rechnen. M beteuert gegenüber A seine Unschuld. Daraufhin sagt A zu M, falls dieser kein Geständnis ablege, werde A in der Hauptverhandlung durchblicken lassen, dass M bereits früher ähnliche Taten begangen habe. Daraufhin legt M ein Geständnis ab.

Absprachen, wie sie in diesem Fall vorkommen, sind in den Niederlanden nicht möglich. Grundsätzlich darf aber A, wenn M seine Unschuld beteuert, in der Hauptverhandlung nicht durchblicken lassen, dass M früher bereits ähnliche Taten – für die er nicht verurteilt wurde, da das Gericht andernfalls diese Information aus dem Strafregister besitzen würde – begangen hat. Dies wäre ein Verstoß gegen die in § 46 Rechtsanwaltsgesetz festgelegte Verhaltensvorschrift. Solches Verhalten gehört sich für einen guten Rechtsanwalt nicht und stellt keine sorgfältige Vertretung der ihm anvertrauten Interessen dar. Der Rechtsanwalt hätte in einem solchen Fall mit standesrechtlichen Sanktionen zu rechnen.

___________ 123

Cleiren/Nijboer Strafrecht, § 285 a, Rn. 5.

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A. Stellung und mögliche Rollenkonflikte des Verteidigers I. Das Recht auf (effektive) Verteidigung

1. Beistand durch einen Wahlverteidiger Das Recht des Beschuldigten auf Beistand durch einen Anwalt seines Vertrauens wird als Grundrecht durch Art. 24.2 der spanischen Verfassung (Constitución Española – im Folgenden CE) gewährleistet. Das Recht auf Beistand eines Wahlverteidigers kann jedoch nach Art. 527 Strafprozessgesetz (Ley de Enjuiciamiento Criminal – im Folgenden LECrim) bei inhaftierten Beschuldigten eingeschränkt werden.1 Wird hier ausnahmsweise eine Kontaktsperre (incomunicación) verhängt, so hat der Beschuldigte kein Recht auf Beistand durch einen Wahlverteidiger, sondern es wird ihm von Amts wegen ein Verteidiger bestellt, der bei seiner Vernehmung anwesend ist.2 Auch dieser Pflichtverteidiger hat jedoch nicht das Recht, mit dem isolierten Häftling vertraulich zu sprechen.3 Nach Auffassung des spanischen Verfassungsgerichts4 verletzt Art. 527 LECrim nicht das Recht auf Beistand eines gewählten Verteidigers nach Art. 24.2 CE, sondern betrifft nur Art. 17 CE, der die rechtlichen ___________ 1 Art. 527 LECrim bezieht sich auf Beschuldigte, die (vorläufig) festgenommen wurden oder sich in Untersuchungshaft befinden; dies ergibt sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift in Kapitel IV LECrim „Über die Ausübung des Rechts auf Verteidigung, den anwaltlichen Beistand und die Behandlung von vorläufig Festgenommenen und Untersuchungshäftlingen“. 2 Art. 520.2.c, 527.a LECrim. 3 Art. 527.b und 527.c LECrim. 4 Entscheidung (Sentencia del Tribunal Constitucional – im Folgenden STC) vom 11.12.1987, STC 196/1987.

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Garantien im Fall der Freiheitsentziehung festlegt und dem Festgehaltenen ein Recht auf anwaltlichen Beistand gewährt. Aus dieser Vorschrift ergebe sich jedoch nicht die Notwendigkeit, jederzeit den Beistand durch einen Wahlverteidiger zu gewährleisten.

2. Beiordnung eines Pflichtverteidigers In Verfahren wegen Vergehen (faltas) ist anwaltlicher Beistand nicht zwingend vorgesehen;5 hier kann sich der Beschuldigte selbst verteidigen. Im Strafprozess wegen eines Verbrechens hat dagegen jeder Beschuldigte ein unverzichtbares Recht auf Beistand durch einen Verteidiger. Das Gericht ist deshalb nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn dieser selbst keinen Wahlverteidiger bestimmt hat.6 Das Gericht kann einen bestellten Verteidiger nicht abberufen und durch einen anderen ersetzen. Die Sanktionen, die gegen einen Anwalt wegen der Verletzung prozessualer Pflichten verhängt werden können, beschränken sich auf Verwarnung und Bußgeld; sie sind im Organgesetz über die rechtsprechende Gewalt (Ley Orgánica del Poder Judicial – im Folgenden LOPJ) und im Zivilprozessgesetz (Ley de Enjuiciamiento Civil – im Folgenden LEC) festgelegt. Die Auswechslung eines Anwalts kann nur durch dessen Suspendierung von der Berufsausübung erzwungen werden; die Suspendierung wird von der Anwaltskammer aufgrund eines berufsrechtlichen Verfahrens ausgesprochen. Auch in Verfahren wegen eines Verbrechens kann der Beschuldigte einige Handlungen selbst vornehmen; er kann z.B. eine während einer Kontaktsperre gemachte Aussage mündlich zurücknehmen7 und Einspruch gegen die Anordnung der Untersuchungshaft (prisión provisional) einlegen.8 Auf Antrag erhält er Zugang zu den Ermittlungsakten.9 Bei Augenscheinseinnahmen, z.B. bei der Besichtigung des möglichen Tatorts und der Untersuchung von Tatwerkzeugen und „Früchten der Straftat“, steht ihm ein Anwesenheitsrecht zu.10 Auch darf er ___________ 5

Es besteht aber natürlich ein Recht auf Beistand durch einen Wahlverteidiger, Art. 962.2 LECrim. 6 Vgl. Art. 118 LECrim und 767 LECrim. 7 Art. 58 LECrim. 8 Art. 501 LECrim. 9 Art. 33 LECrim. 10 Art. 336 LECrim.

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einen Rechtsmediziner auswählen, der bei einer Autopsie11 oder chemischen Analyse12 anwesend ist. Auf Antrag des Beschuldigten ist unter gerichtlicher Aufsicht eine Gegenüberstellung mit demjenigen durchzuführen, der ihn der Begehung eines Verbrechens beschuldigt.13 Der Beschuldigte darf alles vorbringen, was seiner Entlastung dienen kann, und dem Gericht seine Sicht der Tatsachen darlegen.14 Er darf so oft aussagen wie er es wünscht;15 er kann sich mit der höchsten geforderten Einzelstrafe einverstanden erklären (conformidad)16 und ein Geständnis17 ablegen. Zum Abschluss der mündlichen Verhandlung hat er das Recht auf das letzte Wort.18 Die Beteiligung des Beschuldigten am Ermittlungsverfahren war ursprünglich stark eingeschränkt. In seiner Fassung von 1882 legte Art. 302 LECrim als wesentliches Prinzip den Grundsatz der Geheimhaltung der Ermittlungshandlungen und Akten im Ermittlungsverfahren fest. Dies machte eine wirksame Selbstverteidigung faktisch unmöglich und gewährte dem Beschuldigten das Recht auf anwaltlichen Beistand erst mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses. Bei letzterem handelte es sich um einen formalen Beschluss, der in der Praxis erst am Ende der Ermittlungsphase gefasst wurde. Vor dem Eröffnungsbeschluss wurde ein Recht des Angeklagten auf Verteidigerbeistand – anders als während des Hauptverfahrens – nicht als notwendig angesehen. Erst mit Eröffnung der mündlichen Verhandlung erstarkte es zu einem unverzichtbaren Recht. Diese Situation bestand bis zum Inkrafttreten des Gesetzes 57/1978 vom 4.12.1978, das die Vorschriften über das Recht des Beschuldigten auf Verteidigung im Strafprozess grundlegend änderte. Zur gleichen Zeit entstanden die in der heutigen Verfassung enthaltenen Vorschriften über Grundrechte. Durch die Reform von 1978 wurde die Möglichkeit der Beteiligung des Beschuldigten am Strafverfahren ab dem Zeitpunkt der ersten Anschuldigung geschaffen. Der 1978 eingeführte Art. 118 Abs.1 LECrim sieht vor, dass jede Person, der eine strafbare Handlung vorgeworfen wird, das Recht auf Verteidigung ausüben kann, sobald sie von dem Verfahren Kenntnis erlangt oder inhaftiert wird, wenn andere präventive Maßnahmen gegen sie ergehen oder die Durchführung des gerichtlichen (Haupt-)Verfahrens angeordnet wird; über sein Recht auf Vertei___________ 11

Art. 350 LECrim. Art. 356 LECrim. 13 Art. 368 LECrim. 14 Art. 396 LECrim. 15 Art. 400 LECrim. 16 Art. 655 LECrim. 17 Art. 688 LECrim. 18 Art. 739 LECrim. 12

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digung ist der Betroffene zu belehren. Nach Art. 118 Abs. 2 LECrim soll die Existenz einer Anzeige, eines Strafantrags und jeder sonstigen prozessualen Handlung, durch die jemand eines Verbrechens beschuldigt wird, dem Betroffenen unverzüglich zur Kenntnis gebracht werden. Das Verfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass es Aufgabe des Ermittlungsrichters ist zu prüfen, ob eine strafbare Handlung einer bestimmten Person mit einiger Wahrscheinlichkeit vorgeworfen werden kann. Dem Beschuldigten soll das Recht auf Verteidigung von dem Moment an gewährt werden, in dem gegen ihn ein begründeter Verdacht besteht. Deshalb ist es insbesondere verboten, eine Person, gegen die Indizien vorliegen, zunächst als Zeugen zu laden, um die eigentlich gebotene Beschuldigung hinauszuzögern.19 Das Recht des Verdächtigen auf anwaltlichen Beistand ist im Übrigen nicht auf den Fall einer gerichtlichen Beschuldigung begrenzt, sondern besteht auch im Fall der Inhaftierung, während der der Häftling Objekt von Ermittlungshandlungen und Vernehmungen sein kann, und bei Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft. Die Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Durchführung solcher Vorermittlungen ergibt sich aus Art. 5 Staatsanwaltschaftsstatut (Estatuto Orgánico del Ministerio Fiscal – im Folgenden EOMF) und Art. 773.2 LECrim. Das Recht des Tatverdächtigen auf anwaltlichen Beistand während dieser Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist nur mangelhaft geregelt. Durch Art. 5 Abs. 2 EOMF wird lediglich festgestellt, dass der Tatverdächtige bei einer Aussage vor der Staatsanwaltschaft die gleichen Rechte wie bei Aussagen vor dem Ermittlungsrichter haben soll. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen, wie der deutschen, italienischen oder portugiesischen, werden jedoch weder die maximale Dauer der Ermittlungen noch der Zeitpunkt und die Form der Unterrichtung des Beschuldigten oder die Beteiligung der Verteidigung an den Ermittlungen geregelt. Auch die durch das Gesetz 14/2003 vom 26. Mai 2003 geänderte Fassung des Art. 5 EOMF weist Mängel auf und ist keinesfalls zufriedenstellend. Nach Art. 5 Abs. 4 EOMF n.F. sollen die Grundsätze der „contradicción“ (streitigen Verhandlung) und der Verhältnismäßigkeit sowie das Recht auf Verteidigung die Ermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft bestimmen. Zu diesem Zweck nimmt der Staatsanwalt eine Aussage des anwaltlich vertretenen Verdächtigen auf und ermöglicht diesem die Kenntnisnahme der durchgeführten Ermittlungshandlungen (Art. 5 Abs. 5 EOMF n.F.). Die Dauer der Ermittlungen soll der Natur der Straftat angemessen sein und – außer bei Verlängerung durch Beschluss des Generalstaatsanwalts – sechs Monate nicht überschreiten. Nach ___________ 19

STC 37/1989, 135/1989, 186/90, 121/1995, 41/1998, 87/2001.

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Ablauf der angemessenen Frist muss der Staatsanwalt unabhängig vom Stand der Ermittlungen Anklage erheben oder Strafantrag stellen, wenn die Ermittlungen strafrechtlich relevante Tatsachen ergeben haben, und andernfalls das Verfahren einstellen.

3. Grundsatz der Waffengleichheit Das Recht auf ein faires Verfahren, dessen einzelne Gewährleistungen in Art. 24.2 CE enthalten sind, schließt den Grundsatz der Waffengleichheit ein. In Strafverfahren wegen eines Verbrechens wird der Grundsatz der Waffengleichheit in Zusammenhang mit dem Recht auf Verteidigung gesehen und als Grundlage des Rechts auf Beistand durch einen professionellen Verteidiger betrachtet, das aufgrund der Komplexität der Rechtsordnung unerlässlich ist. Es ist im spanischen Recht anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht durch Vorschriften verletzt wird, die bestimmte Handlungsmöglichkeiten im Verfahren allein der Staatsanwaltschaft einräumen. Als Grund wird angeführt, dass die Staatsanwaltschaft dem Legalitäts- und dem Neutralitätsgrundsatz unterworfen ist; daher verfolge sie keine eigenen Interessen, sondern handle nur im allgemeinen Interesse. Es sei davon auszugehen, dass sie objektiv und vernünftig handle. So ist die Staatsanwaltschaft beispielsweise nicht von einer Anordnung des Ermittlungsrichters betroffen, Verfahrensinformationen (z.B. die Ermittlungsakten) geheim zu halten. In diesem Fall darf zwar die Staatsanwaltschaft, aber kein anderer Verfahrensbeteiligter Akteneinsicht nehmen.

II. Der Verteidiger – ein Organ der Rechtspflege?

Das LOPJ begreift den Anwalt als Helfer der Rechtspflege. Dazu führt Art. 30 Organstatut über die Spanische Rechtsanwaltschaft (Estatuto General de la Abogacía - im Folgenden EGA) aus: „Da der Rechtsanwalt an der öffentlichen Funktion der Rechtspflege teilhat, ist es seine grundlegende Pflicht, mit der Justiz durch Beratung, Schlichtung und Verteidigung der ihm anvertrauten Interessen zusammenzuarbeiten. In keinem Fall kann der Schutz dieser Interessen ein Abweichen vom obersten Ziel der Gerechtigkeit, dem sich die Anwaltschaft verpflichtet hat, rechtfertigen.“ Die Regelung, die als oberstes Ziel der Anwaltstätigkeit das Streben nach Gerechtigkeit vorschreibt, hat allerdings keine praktisch relevanten Auswirkungen auf die Anwaltstätigkeit. Es besteht z.B. keine generelle Pflicht des Anwalts zur Mitwirkung bei den Ermittlungen. Der Verteidiger hat dem Gericht

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lediglich die für seinen Mandanten günstigen Umstände vorzutragen, von denen er Kenntnis hat. Über die allgemeinen Pflichten von Redlichkeit und Ehrlichkeit hinaus besteht keine Pflicht, das Gericht über verfahrensbezogene Umstände oder über die Rechtslage zu unterrichten. Diesbezüglich gibt es keine Unterschiede zwischen dem Wahlverteidiger und einem von Amts wegen bestellten Pflichtverteidiger.

III. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Verteidiger

1. Schutz vor Durchsuchung und Beschlagnahme Art. 24.2 CE garantiert das Recht auf anwaltlichen Beistand und das Berufsgeheimnis. Letzteres ist auch in Art. 437.2 LOPJ, in der LECrim, in Art. 5 des Standesrechtlichen Kodex der Spanischen Anwaltschaft (Código Deontológico de la Abogacía Española - im folgenden CDAE), in Art. 32 und 42 EGA und in Art. 51 des Allgemeinen Abgabengesetzes (Ley General Tributaria – im folgenden LGT) festgelegt. Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant ist streng vertraulich. Ein Eingriff ist nur möglich, wenn der Verdacht besteht, dass der Anwalt in eine Straftat verwickelt ist. Jedoch gibt es diesbezüglich keine spezifische Regelung. Es ist lediglich die Überwachung der Kommunikation zwischen Anwälten und inhaftierten Mandanten geregelt; sie ist im Fall des Terrorismusverdachts mit Genehmigung des Gerichts möglich.20 Eine Durchsuchung der Kanzlei kann nur angeordnet werden, wenn der Verdacht der Beteiligung an einem Verbrechen besteht oder um bestimmte Gegenstände zu suchen und zu beschlagnahmen, wie z.B. Tatobjekte, Werkzeuge oder Früchte der Straftat. Allerdings fehlt auch hier eine ausdrückliche Regelung. Speziell vorgesehen ist hingegen die Beteiligung des Dekans der regionalen Anwaltskammer an den Ermittlungen; er soll über die Einhaltung des Berufsgeheimnisses wachen (Art. 32.2 EGA). Die Beschlagnahme von Dokumenten hat im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als milderes Mittel Bedeutung, da so eine Durchsuchung der Kanzlei auch in einem Fall vermieden werden kann, in dem die Durchsuchung gerechtfertigt wäre. Beschlagnahmt werden können nur Dokumente mit Bezug zu Tatobjekten, Tatwerkzeugen oder Tatfrüchten, nicht aber solche Dokumente, die der Vorbereitung oder Führung der Verteidigung dienen. ___________ 20

Siehe auch STC 183/1994.

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Zu der Frage, ob Gegenstände des Beschuldigten, die im Besitz des Verteidigers sind, beschlagnahmt werden können, gibt es keine spezifischen Vorschriften. Es ist jedoch anzunehmen, dass weder die Pflicht zur Verschwiegenheit noch das Recht auf Verteidigung den Zugriff auf Tatobjekte, Tatwerkzeuge oder Früchte der Tat hindert.

2. Weisungen des Mandanten Nach dem LOPJ sowie nach Art. 1.1, 33.2 EGA und Art. 2 CDAE hat der Anwalt seine Funktion unabhängig auszuüben, auch gegenüber seinem Klienten. Konflikte können für den Verteidiger bei Weisungen seines Mandanten auftreten, denen er ablehnend gegenübersteht. In einem solchen Fall sollte der Verteidiger nach Art. 2.4, 13.3 CDAE sein Mandat niederzulegen. Zuvor muß er jedoch alles unternehmen, was erforderlich ist, um den Mandanten vor Schaden zu bewahren, der durch fehlende Verteidigung entstehen könnte.

IV. Pflichten des Verteidigers

1. Wahrheit Nach Art. 36 EGA sind die Pflichten des Anwalts gegenüber den Gerichtsorganen Redlichkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit hinsichtlich des Inhalts und der Motive seiner Aussagen und Vorträge sowie Zurückhaltung hinsichtlich der Form seines Auftretens. Die Vorschrift, die Wahrhaftigkeit nur in Bezug auf die „Motive“ verlangt, erlaubt dem Anwalt, bei seinen Handlungen in gewissem Umfang von seiner persönlichen Überzeugung abzuweichen. In der Praxis wird die Tatsache, dass der Anwalt bewusst die Unwahrheit sagt, um seinem Mandanten zu helfen, nur sanktioniert, wenn diese Pflichtverletzung ungerechtfertigte Folgen für Gegner oder Dritte hat. Daher wird nur ein unrichtiger Tatsachenvortrag sanktioniert, der eine Vermögensverfügung verursacht hat (Prozessbetrug), hingegen nicht eine Unwahrheit, die ohne Schädigung Dritter den Freispruch des Mandanten oder eine Strafmilderung bewirkt hat. Der Anwalt ist nicht berechtigt, falsche Dokumente vorzulegen oder Zeugen oder Sachverständige zu benennen, von denen er weiß, dass sie zur Falschaussage entschlossen sind. Jede dieser Handlungen stellt ein Verbrechen dar. In der Praxis sollte der Anwalt, der von der fehlenden Echtheit der vorgelegten Beweismittel oder von der Unwahrheit einer Aussage Kenntnis hat, sein Mandat niederlegen. Aus Sicht der Lehre ergeben sich hier jedoch Probleme, da ein

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Konflikt zwischen der beruflichen Verschwiegenheitspflicht und der Notwendigkeit, Verletzungen wichtiger Rechtsgüter zu vermeiden, besteht.

2. Verschwiegenheitspflicht Das Berufsgeheimnis des Anwalts stellt nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht dar, deren Verletzung strafrechtlich und berufsrechtlich sanktioniert wird und auch zivilrechtliche Haftung nach sich ziehen kann. Je nachdem, in welchem Bereich die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant stattfindet, schützt die Verschwiegenheitspflicht das Recht auf Intimität oder die Rechte der Verteidigung, den anwaltlichen Beistand und das Recht, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen. Die mögliche Einschränkung dieser Rechte mit dem Ziel, wesentliche Rechtsgüter zu schützen, stellt ein komplexes Problem dar, das nicht einfach anhand genereller Kriterien zu bewältigen ist. Grundsätzlich gilt allerdings das Prinzip der absoluten Verschwiegenheit in Bezug auf Informationen über Tatsachen der Vergangenheit, die der Anwalt in Ausübung seiner Tätigkeit für den Mandanten erhalten hat, soweit diese Tätigkeit darin bestand, die Rechtslage zu bestimmen oder den Mandanten in einem Verfahren zu vertreten oder zu verteidigen. Die Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.12.200121 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche erlaubt den Mitgliedstaaten, dieses Prinzip zu wahren. Die Richtlinie schweigt jedoch hinsichtlich einer Beschränkung der Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf Informationen über zukünftige Tatsachen, die durch die anwaltliche Tätigkeit erlangt worden sind, wenn die Offenbarung des Geheimnisses die Begehung schwerer Straftaten verhindern könnte. Nach Artikel 5.8 CDAE soll in außergewöhnlich schwerwiegenden Fällen dieser Art, in denen die Wahrung des Berufsgeheimnisses irreparable Schäden oder offenkundiges Unrecht verursachen könnte, der Dekan der Anwaltskammer den Anwalt beraten und wenn möglich alternative Mittel oder Verfahren zur Lösung des Problems bestimmen, wobei im Hinblick auf die kollidierenden Rechtsgüter eine Abwägung vorzunehmen ist. ___________ 21 Die Umsetzung dieser europäischen Norm erfolgte durch die Erste Zusatzvorschrift des Gesetzes 19/2003 vom 4.7.2003 zur Regelung von Geldbewegungen und wirtschaftliche Transaktionen mit dem Ausland und über bestimmte Mittel zur Prävention der Geldwäsche.

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Zulässig ist eine Beschränkung des Berufsgeheimnisses des Anwalts, soweit er Informationen außerhalb seiner anwaltlichen Tätigkeit erhalten hat. Darunter fällt, wie auch in Richtlinie 2001/97/EG normiert, die Abwicklung finanzieller oder unternehmerischer Geschäfte. Für diese Fälle sieht Art. 3.4 des Gesetzes 29/93 in Umsetzung der Richtlinie die Pflicht des Anwalts vor, relevante Informationen (Daten oder Dokumente) gegenüber den Behörden zur Verhinderung oder Verfolgung von Geldwäschedelikten offenzulegen. Keine Mitteilungspflicht besteht dagegen in Bezug auf Informationen, die den Mandanten oder die Rechtslage in seinem Fall betreffen oder durch den Mandanten erlangt wurden. Dasselbe gilt für Informationen, die der Anwalt als Vertreter oder Verteidiger des Mandanten in einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erlangt hat; dies schließt die rechtliche Beratung über die Einleitung oder Vermeidung eines solchen Verfahrens ein, und es ist unerheblich, ob die Information vor, während oder nach Abschluss des Verfahrens erlangt wurde. Eigentlich sind die genannten Ausnahmen von der Mitteilungspflicht des Anwalts bei einem Geldwäscheverdacht überflüssig, da die Vertretung im Gerichtsverfahren oder die darauf hinzielende Beratung des Mandanten schon die objektiven Voraussetzungen für die Entstehung einer Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Behörden (nämlich die Abwicklung von Transaktionen oder die Unterstützung der Planung oder Durchführung finanzieller oder unternehmerischer Geschäfte) nicht erfüllen. Auch darüber hinaus lässt die Fassung des Art. 3.4 des Gesetzes 29/93 Raum für Fragen. Es ist jedoch festzuhalten, dass die Ausnahmeregelung sowohl in der Richtlinie als auch in dem spanischen Gesetz dem Berufsgeheimnis deutlich den Vorrang vor dem Interesse an Prävention und Verfolgung von Geldwäsche einräumt. Von der Meldepflicht nicht erfasst sind Informationen, die der Anwalt vom Mandanten erhalten hat oder die diesen selbst betreffen. Dies dürfte auch Informationen von Dritten und über Dritte einschließen, die der Anwalt in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit für den Mandanten erhalten hat und deren Weitergabe diesem Nachteil zufügen könnten. Der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass Mandant nicht notwendigerweise die Person ist, die den Rechtsanwalt beauftragt hat oder seine Tätigkeit bezahlt, sondern derjenige, für den der Anwalt seine Leistung erbringt.22 Bei Dienstleistungen für juristische Personen erstreckt sich das Berufsgeheimnis auch auf die von Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführen, Direktoren und Mitarbeitern des Unternehmens erhaltenen Informationen. Es ist jedoch ___________ 22

Vgl. das Urteil 3a.6a des Obersten Gerichtshofs vom 17.2.1998, Rec. 2060/1992.

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fraglich, ob die Pflicht zur Verschwiegenheit auch in den Fällen bestehen bleiben soll, in denen die Offenlegung der Fakten der juristischen Person als solcher keinen (möglicherweise aber einem ihrer Funktionsträger oder Angestellten) Schaden zufügt. Es ist schwierig, diese Fälle anhand genereller Kriterien zu entscheiden, so dass jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. In vielen Fällen ist der Anwalt des Unternehmens gleichzeitig auch Anwalt der natürlichen Personen, die im Namen oder für Rechnung des Unternehmens gehandelt haben – unabhängig davon, wer ihn ausgewählt hat und bezahlt. Diese Personen vertrauen darauf, dass ihre vertraulichen Mitteilungen nicht dazu benutzt werden, sie zu belasten. Nur in den Fällen, in denen der Anwalt eindeutig nur für die juristische Person und nicht für die natürliche Person tätig ist, kann die erhaltene Information offengelegt werden, soweit kein Schaden für die juristische Person entsteht oder diese ihre Zustimmung zur Offenlegung gegeben hat. Darüber sollten die durch den Anwalt befragten Personen belehrt werden. Im Zweifel hat jedoch die Pflicht zur Verschwiegenheit Vorrang. Im Fall einer koordinierten Verteidigung durch zwei oder mehr Anwälte erstreckt sich das Berufsgeheimnis selbstverständlich auf alle Informationen, die von einem der Mandanten erlangt wurden, da andernfalls eine koordinierte Verteidigung, welche die Entwicklung gemeinsamer Strategien und die Vermeidung von Widersprüchen bezweckt, sehr schwierig wäre.23 Art. 5.2 CDAE erweitert den Anwendungsbereich des Berufsgeheimnisses des Anwalts auf vertrauliche Mitteilungen und Vorschläge des Mandanten, der gegnerischen Partei, des Lebenspartners des Mandanten sowie auf alle Tatsachen und Dokumente, die dem Anwalt aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit zur Kenntnis oder in Besitz gekommen sind. Der Anwalt ist in solchen Fällen selbst dann zur Wahrung der Verschwiegenheit verpflichtet, wenn der Mandant sein Einverständnis zur Offenlegung gegeben hat (Art. 5.8 CDAE). Die Zurückhaltung vertraulicher Mitteilungen und Vorschläge von Kollegen, selbst gegen den Widerstand des Mandanten, erscheint durchaus angemessen. Nicht logisch ist es jedoch, der Gegenpartei dieselbe Behandlung zukommen zu lassen, außer wenn die Informationen durch den Anwalt der Gegenpartei übermittelt wurden (vgl. Art. 5.3 CDAE). Die Feststellung der Rechtslage sowie die Vertretung oder Verteidigung des Mandanten in einem Prozess ebenso wie Handlungen mit Bezug zu einem solchen Prozess sind nicht von der Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Behör___________ 23 Auch im nordamerikanischen Recht schließt das Attorney Client Privilege das Joint Defense Privilege ein.

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den erfasst. Hier hat das Berufsgeheimnis absoluten Vorrang. Die Feststellung der Rechtslage setzt eine schriftliche oder mündliche Beratung über die rechtlichen Folgen einer potentiell strafrechtlich relevanten Situation voraus. Es handelt sich folglich nicht um irgendeine rechtliche Beratung, wie vom Ausschuss der Anwaltskammern der EU und ursprünglich auch vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, dessen Änderungsanträge jedoch keine Berücksichtigung fanden.24 Es ist fraglich, ob die Situation, auf deren rechtliche Folgen sich die Beratung bezieht, bereits bestehen muss oder ob es sich auch um eine zukünftige Situation handeln kann. Grundsätzlich ist das Berufsgeheimnis in beiden Fällen zu wahren. Umfasst die Beratung die Beteiligung des Anwalts an der Planung von Transaktionen, bei denen Hinweise auf Geldwäsche bestehen, besteht hingegen keine Verschwiegenheitspflicht. Diese Frage stellt sich, wenn der Mandant eine Beratung über mögliche vorhersehbare rechtliche Konsequenzen beabsichtigter Tätigkeiten oder Handlungen wünscht. Falls die Beurteilungen oder Hinweise des Anwalts für die Durchführung von Straftaten genutzt werden können und sich der Mandant auch zu deren Begehung entschließt, hat der Anwalt die Pflicht, die Tat zu verhindern. Andernfalls macht er sich sowohl bei vorsätzlichem als auch bei grob fahrlässigem Handeln möglicherweise wegen Geldwäsche strafbar. Selbst der Ausschuss der Anwaltskammern der EU hält es für notwendig zu vermeiden, dass der Anwalt zu einem Instrument der Geldwäsche wird. In Ergänzung des Standeskodex der Europäischen Anwaltschaften hat der Ausschuss in einer Erklärung zur Geldwäsche festgestellt, dass ein Anwalt verpflichtet ist, das Mandat niederzulegen, sobald ein ernsthafter Verdacht auf Geldwäsche entsteht und der Mandant sich weigert, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Jedoch reicht weder nach der Richtlinie noch nach der nationalen Gesetzgebung die Niederlegung des Mandats aus, um mögliche Sanktionen auszuschließen. Diesen Aspekt greift Begründung 17 der Richtlinie auf. Sie stellt zunächst fest, dass im Fall der Vertretung oder Verteidigung sowie der Feststellung der Rechtslage in der Sache eines Mandanten keine Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Behörden besteht. Die Verschwiegenheitspflicht entfalle jedoch, wenn der Anwalt selbst in Geldwäscheaktivitäten verwickelt ist, wenn Geldwäsche das Ziel der rechtlichen Beratung ist oder wenn der Anwalt weiß, dass sich der Klient von ihm im Hinblick auf die Durchführung von Geldwäsche beraten ___________ 24

Dies ergibt sich nicht nur aus dem eindeutigen Wortlaut von Art. 6.3.2 der Richtlinie, sondern auch aus den ersten Sätzen der Begründung 17 der Richtlinie. Zwar hat der Ausschuss der Anwaltskammern der EU die Mitgliedstaaten eindringlich gebeten, die Befreiung auf jegliche rechtliche Beratung zu erstrecken, auch wenn dies nicht ausdrücklich von Art. 6.3.2 vorgesehen ist, und diese Bitte auf die Begründung 17 der Richtlinie gestützt. Der spanische Gesetzgeber ist dieser Anregung jedoch nicht gefolgt.

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lässt. Die Aufnahme des Begriffs „rechtliche Beratung“ in den Text geht auf den Schlichtungsausschuss zurück. Dort wurden gleichzeitig Änderungsvorschläge des Parlaments abgelehnt, die Anwälte bei jeder Art von rechtlicher Beratung von der Kooperationspflicht befreien wollten. Wie bereits erläutert bezieht sich dieser Begriff ausschließlich auf Handlungen der Vertretung oder Verteidigung in Zusammenhang mit Gerichtsverfahren sowie auf die Feststellung der Rechtslage in der Sache eines Mandanten. Die Kooperationspflicht besteht aus einer Pflicht zur Mitteilung von Tatsachen, die Hinweise auf Geldwäsche enthalten können, sowie einer Informationspflicht über Daten und Dokumente, die von den Behörden verlangt werden können. Die von der Richtlinie vorgeschriebene Pflicht zur Übermittlung von Tatsachen, die Indizien auf die Straftat enthalten können, kann im Rahmen der nationalen Umsetzung eng oder weit ausgestaltet werden. So kann der nationale Gesetzgeber sie auf Fälle beschränken, in denen ein begründeter Verdacht für das Vorliegen einer Straftat besteht, oder aber die Pflicht auf die Erstellung systematischer Berichte über Handlungen ausweiten, die nach einem gesetzlich normierten Katalog generell einen solchen Verdacht begründen. In Spanien besteht sowohl eine Verpflichtung zur Anzeige als auch eine Pflicht zum systematischen Bericht.25 Die Unterrichtung der Leitung der Kommission für die Prävention von Geldwäsche und Geldstraftaten (Servicio Ejecutivo de la Comisión de Prevención del Blanqueo de Capitales e Infracciones Monetarias) über Tatsachen, die nach Auffassung des Anwalts Hinweise auf die Begehung von Geldwäsche enthalten,26 hat eine ähnliche Wirkung wie eine Strafanzeige, wenn die Übermittlung einer Anzeige an das zuständige Staatsorgan vorgeschrieben ist. Die Übermittlung wird als durchgeführt angesehen, wenn die Anzeige der Staatsanwaltschaft, dem zuständigen Gericht oder dem Ermittlungsrichter vorliegt. Den spanischen Anwaltskammern, die nach Art. 6.3 der Richtlinie Empfänger der Mitteilungen der Anwälte über Hinweise auf Geldwäsche sein können, ist eine solche Rolle bisher nicht übertragen worden. Der Verteidiger darf seinem Mandanten die vorgeschriebene Mitteilung eines Verdachts auf Geldwäsche an die Behörden nicht offenbaren. Von dieser Geheimhaltungspflicht gegenüber dem Mandanten sind die Anwälte in Spanien nicht befreit, obgleich Art. 8.2 der Richtlinie dies zuließe und es auch wünschenswert wäre. Nach Art. 3.5 Gesetz 19/93 soll der Anwalt die Durchführung einer Tat nicht verhindern, wenn eine Geheimhaltungspflicht mit ___________ 25 26

Art. 7 Königliches Dekret 925/1995 v. 9.6.1995. Vorgeschrieben durch Gesetz 19/1993 und Königliches Dekret 925/1995.

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dem Ziel besteht, die Verfolgung und Bestrafung des Mandanten sicherzustellen. Demnach hat der Anwalt gegenüber seinem Mandanten auch dann zu schweigen, wenn er ihn durch Information von einer Straftat abhalten könnte. Die Geheimhaltungspflicht lässt sich nicht mit einer von Vertrauen und Ehrlichkeit geprägten Beziehung zwischen Mandant und Anwalt in Einklang bringen, die wesentlich für den Anwaltsberuf ist. Ist schon die Pflicht zur Übermittlung von Informationen, die den Mandanten betreffen, im Hinblick auf die traditionellen Prinzipien der Anwaltschaft ungewöhnlich, so ist das dem Anwalt angesonnene Handeln hinter dem Rücken des Mandanten geradezu abstoßend. Wenn der Mandant schon hinnehmen muss, dass sein Anwalt Informationen über seine Aktivitäten weitergibt, sollte er zumindest Grund, Zeitpunkt und Form der Übermittlung kennen. Andernfalls kann er nicht beurteilen, ab wann sein Anwalt nicht mehr uneingeschränkt seine Interessen vertritt, sondern vielmehr mit dem Ziel arbeitet, seine Verfolgung und Verurteilung wegen Geldwäsche sicherzustellen. Es ist unter keinem Gesichtspunkt hinnehmbar, dass der Anwalt gezwungen wird, seinen Mandanten zu hintergehen – auch wenn dies dadurch geschieht, dass er ihm gegenüber die Unterrichtung der Behörden verschweigt. Die Rolle des Anwalts als „verdeckter Ermittler“ ist schlicht widersinnig. Nach Art. 7 der Richtlinie soll der Anwalt ohne Benachrichtigung der Behörden grundsätzlich davon Abstand nehmen, verdächtige Tätigkeiten auszuführen. Der letzte Abschnitt der Vorschrift sieht jedoch eine Ausnahme für den Fall vor, dass andernfalls die gerichtliche Verfolgung der Begünstigten gefährdet würde. Die strafrechtliche, disziplinarische und zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Anwalts wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses ist ausgeschlossen, wenn Informationen i.S.v. Art. 6 und 7 der Richtlinie in gutem Glauben an die Behörden weitergegeben werden. Dies ist auch in Art. 4 des spanischen Gesetzes 19/93 vorgesehen, wo für die Freistellung guter Glaube vorausgesetzt wird, aber grobe Fahrlässigkeit der Bösgläubigkeit nicht – wie in anderen Rechtsordnungen – gleichgestellt wird. Es besteht also keine strafrechtliche oder disziplinarische Verantwortlichkeit von Anwälten, die in gutem Glauben, aber fahrlässig handeln. Wollte man fahrlässiges, aber gutgläubiges Verhalten strafrechtlich oder disziplinarisch ahnden, so müsste man ein Merkmal eines Rechtfertigungsgrundes zulasten des Beschuldigten restriktiv auslegen, was im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip bedenklich erscheint. Zum Ausschluss des guten Glaubens ist deshalb mindestens bedingter Vorsatz nötig.27 ___________ 27

Im zivilrechtlichen Bereich gäbe es zwar keine dogmatischen Probleme, die grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleichzustellen. Da die Befreiung von der Verantwortlich-

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3. Information des Mandanten und Entwicklung einer Verteidigungsstrategie Der Anwalt ist verpflichtet, seinem Mandanten jede relevante Information, über die er in der Sache verfügt, zukommen zu lassen. Eine Ausnahme besteht, wenn der Anwalt Informationen durch den gegnerischen Anwalt erhalten hat, dieser ihn aber nicht zur Weitergabe ermächtigt hat. Gemäß Art. 5.3 CDAE ist es dem Anwalt nicht erlaubt, Briefe, Mitteilungen und Aufzeichnungen, die er vom Anwalt der gegnerischen Partei erhalten hat, dem Gericht oder seinem Mandanten ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis vorzulegen.

V. Strafbarkeit des Verteidigers (Strafvereitelung und Geldwäsche)

1. Geldwäsche Geldwäsche ist nach Art. 301 bis 304 des Strafgesetzbuches (Código Penal – im Folgenden CP) strafbar, wobei Art. 301 CP den Grundtatbestand darstellt.28 ___________ keit durch die Richtlinie und das spanische Gesetz aber alle Arten von Verantwortlichkeit betrifft, erscheint es nicht überzeugend, die Voraussetzungen je nach Art der Verantwortlichkeit unterschiedlich auszulegen. Darüber hinaus beabsichtigt die Norm, die Einhaltung der Informationspflicht zu fördern und zu verhindern, dass der Verpflichtete die Übermittlung der Informationen aus Angst vor strafrechtlicher oder sonstiger Verantwortlichkeit unterlässt. Die Erreichung dieses Ziels würde durch eine Ausweitung der Bösgläubigkeit für den Bereich der zivilrechtlichen Haftung beeinträchtigt. 28 Art. 301 CP lautet: 1. Wer Güter erwirbt, umtauscht oder vermittelt, in Kenntnis der Tatsache, dass diese aus einer Straftat hervorgegangen sind, oder jegliche andere Handlung zur Verdeckung oder Verschleierung der rechtswidrigen Herkunft vornimmt, oder einer Person, die an einer Straftat oder an Straftaten beteiligt ist, hilft, den rechtlichen Folgen dieser Handlungen auszuweichen, wird mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 6 Jahren und Geldstrafe in Höhe des dreifachen Wertes der Güter bestraft. In diesen Fällen können die Richter oder Gerichte, unter Berücksichtigung der Schwere der Handlungen und der persönlichen Umstände des Täters, außerdem ein Verbot der Ausübung eines Berufes oder Gewerbes von 1 bis 3 Jahren aussprechen und die befristete oder endgültige Sperrung eines Betriebs oder Lokals anordnen. Eine befristete Sperrung darf einen Zeitraum von 5 Jahren nicht überschreiten. Die Strafen erhöhen sich um die Hälfte, wenn die Güter aus Straftaten stammen, die in Verbindung mit dem Handel von toxischen, berauschenden oder psychotropischen Substanzen gemäß Art. 368 bis 372 stehen. In diesen Fällen finden die Vorschriften des Art. 374 dieses Gesetzbuches Anwendung. 2. Mit den gleichen Strafen wird je nach Fall geahndet die Verdeckung oder Verschleierung der wahren Natur, Herkunft oder Lage, des Verwendungszwecks, der Bewe-

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Die berufliche Stellung des Anwalts führt weder zu einer Freistellung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit noch stellt sie in einem Strafverfahren wegen Geldwäsche ein Hindernis für Ermittlungen gegen den Anwalt dar. Von besonderem Interesse ist die Frage, ob die Nichterfüllung der dem Anwalt durch das Gesetz zur Prävention und Verfolgung von Geldwäsche auferlegten Pflichten eine fahrlässige Begehung von Geldwäsche darstellen kann. Art. 301 Abs. 3 CP stellt die leichtfertige Erfüllung des objektiven Tatbestandes unter Strafe. In einem Urteil des Landgerichts Madrid29 wurde allerdings die Absicht, auch fahrlässige Geldwäsche zu bestrafen, als „erstaunlich“ bezeichnet. Dies scheint dem Ziel zu widersprechen, die Bestrafung von Tätern sicherzustellen, denen kein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Wenn der Anwalt die wesentlichen Handlungen der Geldwäsche zwar ohne Vorsatz, jedoch unter Verletzung seiner Sorgfaltspflicht vornimmt, besteht kein Zweifel an einer fahrlässigen Begehung des Deliktes. Ist das Verhalten des Anwalts aber auch dann strafbar, wenn er den Tatbestand der Geldwäsche zwar nicht selbst verwirklicht, aber von dessen Verwirklichung Kenntnis hat, die Unterrichtung der Behörden unterlässt und damit die Geldwäsche begünstigt? Anders gesagt, kann die Straftat der Geldwäsche durch Unterlassung begangen werden? Die Antwort auf diese Frage findet sich in Art. 11 CP, nach dem Delikte, die auf die Erreichung eines Erfolges gerichtet sind, nur dann durch Unterlassung begangen werden können, wenn die fehlende Verhinderung des Erfolges unter Verletzung einer speziellen Pflicht des Täters der Herbeiführung des Erfolges im Sinne des Gesetzes entspricht. Die Unterlassung ist dem Handeln gleichzustellen, wenn eine spezifische rechtliche oder vertragliche Verpflichtung zum Handeln vorliegt oder wenn der Unterlassende durch eine vorherige Handlung oder ein Unterlassen ein Risiko für ein Rechtsgut geschaffen hat. Unterrichtet der Anwalt die Behörden nicht, so dürften die Voraussetzungen einer Geldwäsche durch Unterlassen gegeben sein. Der Anwalt hat eine spezifische rechtliche Pflicht zum Tätigwerden, und die fehlende ___________ gung oder der Rechte bzw. des Eigentums an Gütern, in dem Wissen, dass sie aus einem der in Absatz 1 genannten Delikte oder einer Beteiligung an denselben stammen. 3. Wird die Tat leichtfertig begangen, so beträgt die Freiheitsstrafe 6 Monate bis zu 2 Jahre und die Geldstrafe das Dreifache der Summe. 4. Der Täter ist auch dann zu bestrafen, wenn die Straftat, aus der die Güter stammen, oder die strafbaren Handlungen der vorherigen Absätze ganz oder teilweise im Ausland verübt wurden. 5. Soweit der Täter einen Gewinn erzielt hat, ist dieser gemäß Art. 127 dieses Gesetzbuches zu beschlagnahmen. 29 Urteil vom 7.12.2001, Abschnitt 23.

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Verhinderung der Straftat wird der Begehung gleichgestellt. Vorsatz ist bei einem Unterlassen in Kenntnis und unter Billigung der Geldwäsche gegeben, bei schwerer Sorgfaltspflichtverletzung liegt Fahrlässigkeit vor.

2. Sonstige Strafbarkeit Generell führt die Tätigkeit als Verteidiger nicht zur Freistellung von der strafrechtlichen Verantwortung. So kann der Verteidiger z.B. Teilnehmer eines Betrugsdeliktes nach Art. 250.1.2a CP sein, wenn er weiß, dass sein Mandant durch Täuschung einen Irrtum beim Gericht auslöst, aufgrund dessen die gegnerische Partei ungerechtfertigt zu einer Zahlung verurteilt wird, und der Anwalt dem Mandanten die Erreichung dieses Ziels durch seine professionelle Tätigkeit erleichtert oder ermöglicht. Die reine Beistandleistung des Verteidigers für einen Angeklagten oder Verurteilten ist hingegen keine Strafvereitelung, sondern im Gegenteil Erfüllung seiner anwaltlichen Pflicht, die Interessen des Mandanten zu vertreten.

B. Verteidigung im Ermittlungsverfahren I. Ablauf des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren ist die erste Phase des Strafprozesses. Sein Ziel ist die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch Sachverhaltsaufklärung, Beweisaufnahme und Opferschutz sowie die Sicherung der Durchsetzung einer möglicherweise bestehenden strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verantwortlichkeit. Je nachdem, ob es sich um einen allgemeinen Strafprozess wegen schwerer Straftaten,30 um ein Abgekürztes Verfahren,31 ein Verfahren zur beschleunigten Einleitung des Hauptverfahrens bei bestimmten Straftaten32 oder um ein Verfahren vor dem Geschworenengericht handelt, gelten für das Ermittlungsverfahren unterschiedliche Regelungen. Die Ermittlungen werden grundsätzlich durch den Ermittlungsrichter geleitet. Es gibt allerdings zur Zeit eine Diskussion über die Vorteile einer Übertragung der Leitung des Ermittlungsverfahrens auf die Staatsanwaltschaft, wie sie bereits im Jugendstrafprozess stattgefunden hat. Die Regierung hat die baldige ___________ 30

Libro II LECrim. Libro IV, Titulo II LECrim. 32 Libro IV, Titulo III LECrim. 31

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Veröffentlichung einer Gesetzesvorlage angekündigt, die das Instruktionsmodell in diesem Sinne reformieren soll. Obwohl zum Teil starke Vorbehalte gegen die Überlegung bestehen, der Staatsanwaltschaft die Leitung der Ermittlungen zu übertragen, würden damit sicher die Effizienz der Strafjustiz erhöht und die Rechte des Beschuldigten verbessert. Der Ermittlungsrichter würde von seinen Untersuchungsbefugnissen und -aufgaben befreit und könnte sich auf den Schutz der Grundrechte des Beschuldigten konzentrieren. In der heutigen Praxis ist das Verhalten der Ermittlungsrichter stark von ihren Ermittlungsaufgaben geprägt und nachteilig für die Verteidigung, da dem Richter häufig die notwendige Neutralität fehlt. Darüber hinaus bewirkt die dem Richter zugeschriebene Autorität in manchen Fällen, dass den bloßen Ermittlungsergebnissen in unangemessener Weise der Charakter „vorbegründeter Beweise“ (prueba preconstituida) zugemessen wird, ohne dass die Voraussetzung eines „vorgezogenen Beweises“ (prueba anticipada) erfüllt sind. Diese Praxis erscheint im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit sowie der Unschuldsvermutung zweifelhaft. Durch die Übernahme der Ermittlungstätigkeit durch die Staatsanwaltschaft könnte dieses Problem gelöst werden. Der Ermittlungsrichter ist nach geltendem Recht zur Durchführung von Ermittlungen verpflichtet. Dies gilt selbst für den Fall eines Geständnisses des Beschuldigten. Nach Art. 406 Abs.1 LECrim entbindet ein Geständnis des Angeklagten den Ermittlungsrichter nicht von seiner Pflicht, alle notwendigen Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen, um sich von der Wahrhaftigkeit des Geständnisses und der Existenz der Straftat zu überzeugen. Zu diesem Zweck befragt der Ermittlungsrichter nach Art. 406 Abs. 2 LECrim den geständigen Beschuldigten; dieser soll alle Umstände der Straftat darlegen und so sein Geständnis belegen und außerdem angeben, ob er Täter oder Beteiligter war, sowie Zeugen benennen, die Kenntnis von der Tat haben. Um die Durchsetzung einer möglicherweise bestehenden strafrechtlichen und/oder zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zu gewährleisten, kann der Ermittlungsrichter vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Persönliche vorbeugende Maßnahmen (z.B. Untersuchungshaft, vorläufige Entlassung aus der Haft gegen Kaution) sichern das Erscheinen des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung und die Vollstreckung einer zu erwartenden Freiheitsstrafe; vorbeugende Vermögensmaßnahmen (z.B. Kaution, Beschlagnahme) stellen die Erfüllung finanzieller Verbindlichkeiten sicher, die durch das Urteil auferlegt werden können. Der Beschuldigte hat im Ermittlungsverfahren ein Recht auf anwaltlichen Beistand von dem Zeitpunkt an, in dem gegen ihn ein ernsthafter Tatverdacht

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besteht (Art. 118.1 LECrim). Es gibt keine Zweiteilung des Ermittlungsverfahrens der Art, dass die Verteidigung sich nach einer ersten geheimen Phase in einer zweiten Phase umfassend über die bisherigen Ergebnisse informieren und diese überprüfen (lassen) kann. Auch wenn die Ermittlungen gemäß Art. 301 LECrim grundsätzlich geheim sind, steht dem Beschuldigten von Anfang an das Recht zu, über alle Ermittlungen informiert zu werden und daran teil-zunehmen (Art. 302.1 LECrim). In besonderen Fällen kann der Ermittlungs-richter allerdings zunächst für einen Monat die teilweise oder vollständige Geheimhaltung der Ermittlungen anordnen (Art. 302.2 LECrim); danach kann die Frist verlängert werden. Eine solche Anordnung macht der Verteidigung sowie den übrigen Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft die Kenntnisnahme von den für geheim erklärten Ermittlungen sowie die Mitwirkung an ihnen unmöglich. Nach Aufhebung der Geheimhaltung, d.h. spätestens zehn Tage vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens (Art. 302.2 LECrim), können die Verteidigung und die anderen Verfahrensbeteiligten die geheim gehaltenen Ermittlungsakten einsehen, sich dazu äußern und gegebenenfalls Ermittlungs handlungen beantragen, die sie für angebracht halten, wie z.B. die erneute Vernehmung eines bereits befragten Zeugen. Es gibt grundsätzlich keine Möglichkeit, den Strafprozess ohne mündliche Hauptverhandlung mit einer sanktionierenden Entscheidung auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens abzuschließen. Ausnahmsweise ist dies allerdings zulässig, wenn der Angeklagte sich mit der geforderten Strafe einverstanden erklärt. Das Ermittlungsverfahren kann beendet werden, sobald die Voraussetzungen der privilegierten Zustimmung (conformidad privilegiada) vorliegen. Dies ist der Fall, wenn eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren, eine Geldstrafe oder eine sonstige Strafe, die nicht über zehn Jahre hinausgeht, zu erwarten ist und der Beschuldigte die Tat gesteht und sich mit der schwersten der von der Anklage geforderten Strafen einverstanden erklärt. Nach Art. 801 LECrim darf die Summe der geforderten Strafen, reduziert um ein Drittel, zwei Jahre Freiheitsstrafe nicht übersteigen. Dann erlässt der Ermittlungsrichter ein Zustimmungsurteil33 (sentencia de conformidad), und die Strafe wird aufgrund der privilegierten Zustimmung gemäß Art. 779.1.5o und 801 LECrim um ein Drittel reduziert. Eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei kann nur mit der fehlenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten begründet werden; eine Einstellung aus Opportunitätsgründen ist nicht möglich. ___________ 33

Vgl. Art. 787 LECrim.

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Zwischen dem Ermittlungsverfahren und der mündlichen Hauptverhandlung gibt es eine „Zwischenphase“ (fase intermedia), in der entschieden wird, ob Anklage erhoben wird. Diese Phase ist je nach Art des Verfahrens unterschiedlich geregelt.

II. Eigene Ermittlungen des Verteidigers

Die für die Verteidigung relevanten Ermittlungshandlungen finden im Ermittlungsverfahren statt. Daneben kann der Verteidiger auch „privat“ Ermittlungen durchführen und z.B. außergerichtlich Zeugen befragen oder Sachverständigengutachten in Auftrag geben mit dem Ziel, diese in den Prozess einzubringen oder die Verteidigung vorzubereiten. Dafür kann er allerdings nicht mit der Unterstützung des Staates rechnen. Es besteht keine generelle Pflicht des Verteidigers zur Durchführung eigener Ermittlungen; er hat aber die Verteidigung seines Mandanten im Ermittlungsverfahren mit professioneller Sorgfalt zu führen, was eigene Ermittlungen zur Entkräftung belastender Beweise erforderlich machen kann. In der Praxis gibt die Verteidigung häufig, insbesondere in komplexen Prozessen, Gutachten oder Stellungnahmen von Sachverständigen in Auftrag. Die Kosten solcher privaten Ermittlungsmaßnahmen trägt der Mandant. Die Verteidigung ist nicht verpflichtet, dem Gericht oder der Anklage schon vor Beginn der Hauptverhandlung die Ergebnisse eigener Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Die LECrim verbietet der Polizei und der Staatsanwaltschaft die Durchführung eigener Ermittlungen nach Einleitung des richterlichen Ermittlungsverfahrens. Die Anordnung von Ermittlungen obliegt dem Gericht als Teil seiner gerichtlichen Autorität, was parallele Nachforschungen ausschließt. Durch ein Gesetz von 199234 wird Privatdetektiven die Ermittlung bei Offizialdelikten untersagt. Ermittlungen über Straftaten, die auf Antrag verfolgbar sind, müssen mit dem Beginn des Strafprozesses enden. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen können daher nur für die Vorbereitung der Anzeige oder Klage genutzt werden.

___________ 34

Gesetz 23/1992 vom 30. 7.1992 über private Sicherheit.

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Nicolás González-Cuéllar Serrano III. Beteiligung des Verteidigers am Ermittlungsverfahren

1. Akteneinsicht und Mitwirkung Das Recht der Verteidigung auf Einsicht in die Ermittlungsakten ist für das Ermittlungsverfahren und die vorhergehenden Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft unterschiedlich geregelt. Die dem Prozess vorausgehende Ermittlung durch die Staatsanwaltschaft ist nur mangelhaft geregelt. In Art. 5 EOMF ist das Recht der Verteidigung auf Teilnahme daran ohne weitere Präzisierung genannt. Das formelle Ermittlungsverfahren vollzieht sich grundsätzlich in Kenntnis und unter Möglichkeit der Mitwirkung der Verteidigung. Gemäß Art. 302.1 LECrim können die Parteien in allen Phasen des Verfahrens Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen und an den Ermittlungen mitwirken. Für den Verteidiger folgt dies aus dem Recht des Beschuldigten auf anwaltlichen Beistand. Das Teilnahmerecht bezieht sich (u.a.) auf die Vernehmung des Mandanten sowie von Mitbeschuldigten, Zeugen und Sachverständigen. Ebenso wie die Staatsanwaltschaft und die Anwälte der anderen Parteien kann der Verteidiger Fragen stellen, soweit sie zulässig und sachdienlich sind. Zur Vorbereitung seiner Teilnahme an den Ermittlungen darf der Verteidiger Einsicht in alle Ermittlungsakten nehmen, mit Ausnahme derjenigen, die sich auf geheime Ermittlungen beziehen. Die Verteidigung ist nicht verpflichtet, dem Gericht oder der Anklage schon vor Beginn der Hauptverhandlung Informationen wie z.B. die Ergebnisse eigener Ermittlungen zur Verfügung zu stellen.

2. Beschränkung der Mitwirkung Das Recht der Verteidigung auf Teilnahme an den Ermittlungen wird durch Art. 302.2 LECrim begrenzt, der die Teilnahme an für geheim erklärten Ermittlungen ausschließt. Diese Norm erlaubt es dem Richter, die Ermittlungen ganz oder teilweise für alle Parteien mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft für einen Zeitraum von maximal einem Monat für geheim zu erklären. Spätestens zehn Tage vor dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens muss die Geheimhaltung allerdings aufgehoben werden. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts35 ist die Verlängerung der Anordnung der Geheimhaltung über einen Monat hinaus ___________ 35

STC 176/1988.

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nicht verfassungswidrig, wenn die Verlängerung unbedingt notwendig ist und innerhalb einer angemessenen Zeit im Rahmen des Ermittlungsverfahrens stattfindet. Die Geheimhaltung dient der Vermeidung eines mißbräuchlichen Zusammenwirkens der Verdächtigen, der Veränderung oder Zerstörung von Beweisen sowie von Gefahren für das Opfer. Bei Anordnung der Geheimhaltung ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Telefon- oder Gesprächsüberwachungen werden grundsätzlich für geheim erklärt. Sie dürfen nur mit Genehmigung und unter Kontrolle des Gerichts und nur durch Staatsbeamte ausgeführt werden. Nach Beendigung der Geheimhaltung erhält der Verteidiger Zugang zu den Ergebnissen der Abhörmaßnahmen. In der Praxis werden Teilnahmerechte der Verteidigung teilweise auch dann beschränkt, wenn dringende Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, die keinen Verzug – und damit auch keine Unterrichtung des Anwalts – erlauben. Erst mit Aufhebung der Geheimhaltung werden die richterlichen Beschlüsse, die Schriftsätze und Dokumente der Parteien der Verteidigung in Form von Kopien zugänglich gemacht. In Fällen, in denen der Richter nicht über Kopien aller Dokumente verfügt, wird Akteneinsicht im Sekretariat ermöglicht. In jedem Fall sind der Verteidigung zur Einreichung der Verteidigungsschrift alle Ermittlungsakten im Original oder in Kopie zu überlassen. Der Beschuldigte oder Angeklagte kann von seinem Verteidiger jederzeit eine Kopie aller diesem zur Verfügung stehenden Auszüge aus den Ermittlungsakten verlangen.

3. Mitwirkung an Beweisaufnahmen In der Ermittlungsphase kann der Verteidiger die Anordnung von Ermittlungshandlungen oder vorgezogenen Beweisaufnahmen (für Beweise, deren Verlust zu befürchten ist, d.h. deren Erhebung in der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht wiederholt werden kann) bei Gericht beantragen, wenn diese zulässig und sachdienlich sind. Beweisaufnahmen können im Übrigen auch durch die Staatsanwaltschaft oder andere Parteien des Verfahrens beantragt oder vom Ermittlungsrichter angeordnet werden. Da das Ermittlungsverfahren der Vorbereitung der Hauptverhandlung dient, ist eine mangelnde Ermittlung der den Beschuldigten entlastenden Tatsachen für die Verteidigung nachteilig; in diesem Fall können dem Verteidiger in der Hauptverhandlung Informationen fehlen, um seine Argumente zu belegen oder aussichtsreiche Beweisanträge zu stellen. Theoretisch sollte die unparteiische

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Tätigkeit von Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter etwaige Versäumnisse der Verteidigung bei der Sachverhaltsaufklärung im Ermittlungsverfahren ausgleichen, denn nach Art. 2 LECrim haben alle am Strafverfahren beteiligten Behörden und Beamten im Rahmen ihrer Kompetenzen für die Erfassung von belastenden wie von entlastenden Umständen zu sorgen. Das Recht auf anwaltlichen Beistand wird jedoch gerade deshalb gewährt, damit sich der Beschuldigte hinsichtlich seines Rechts auf (Selbst-)Verteidigung nicht auf Richter und Staatsanwälte verlassen muss. Daraus kann gefolgert werden, dass bestimmte Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahmen nicht durchgeführt werden, wenn der Anwalt sie nicht beantragt. Grundsätzlich ist allerdings die Hauptverhandlung der Zeitpunkt, in dem Beweis anzutreten ist. Dies geschieht durch Einreichung der Verteidigungsschrift nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens (im beschleunigten Verfahren zu Beginn der Gerichtsverhandlung). Die Tatsache, dass ein Zeuge oder Sachverständiger nicht schon im Ermittlungsverfahren benannt worden ist, stellt weder einen Grund für die Unzulässigkeit dieses Beweismittels dar, noch bewirkt sie eine Präklusion. Zu einem mangelhaften Beweisantritt der Verteidigung im Ermittlungsverfahren kann es nur bei sog. „vorgezogenen Beweisen“ (prueba anticipada) kommen. Dies sind der Hauptverhandlung vorausgehende Beweisaufnahmen, deren Ergebnisse für das Urteil verwertbar sind, wenn die Beweise in der Hauptverhandlung nicht oder nur unter schwierigen Umständen erhoben werden könnten. Pruebas anticipadas müssen durch einen Richter im kontradiktorischen Verfahren erhoben werden. Sie werden in die Hauptverhandlung durch Protokollverlesung eingeführt und dort erörtert. Versäumt es der Verteidiger beispielsweise darauf hinzuwirken, dass ein Entlastungszeuge, dessen Leben in Gefahr ist, vorab als prubea anticipada vernommen wird, so schadet diese Nachlässigkeit des Anwalts der Verteidigung.

IV. Das Zwischenverfahren

Das Ermittlungs- oder Instruktionsverfahren ist die erste Phase des Strafprozesses und wird vom Untersuchungsrichter geleitet. Je nachdem, ob es sich um ein Normalverfahren für schwere Straftaten, ein Abgekürztes Verfahren, ein Verfahren zur beschleunigten Einleitung des Hauptverfahrens bei bestimmten Straftaten oder ein Verfahren vor dem Geschworenengericht handelt, ist das Ermittlungsverfahren unterschiedlich geregelt. Im Anschluss an das Ermittlungsverfahren gibt es eine „Zwischenphase“ (fase intermedia), in der über die Erhebung der Anklage entschieden wird.

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C. Verteidigung und verfahrensbeendende Absprachen I. Zulässigkeit und gesetzliche Normierung der Absprachenpraxis

Absprachen sind Ausdruck einer einvernehmlichen Strafjustiz, zu deren Rechtfertigung sich vernünftige Gründe finden lassen. Die Akzeptanz der Absprachen beruht überwiegend auf normativen Erwägungen. Vorteile der Absprachen sind eine Vereinfachung der Strafverfolgung, die Gewissheit der Leistung von Schadensersatz für das Opfer, die Ersparnis von Personal- und Materialkosten für die Justizverwaltung sowie die Möglichkeit für den Angeklagten, die „Strafe der Anklagebank“ (pena de banquillo) zu vermeiden. Trotz dieser Vorteile bergen Absprachen Risiken im Hinblick auf das Recht auf Verteidigung, die Gleichbehandlung der Angeklagten, den Opferschutz und die Interessen der Rechtspflege. Diese Risiken sollten durch angemessene Regelungen und eine vernünftige forensische Praxis möglichst gering gehalten werden. In Spanien gibt es seit der ersten Fassung des LECrim von 1882 das Institut der conformidad (Zustimmung)36: Der Angeklagte kann die schwerste der durch die Anklage geforderten Strafen ohne mündliche Verhandlung akzeptieren; seine Zustimmung muss unbedingt und umfassend sein. Die Möglichkeit einer Zustimmung besteht bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von bis zu sechs Jahren. Darüber hinaus ist eine privilegierte Zustimmung (conformidad privilegiada) möglich, wenn eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren, eine Geldstrafe oder eine sonstige Strafe, die nicht über zehn Jahre hinausgeht, zu erwarten ist, der Beschuldigte die Tat gesteht und sich mit der schwersten der von der Anklage geforderten Strafen einverstanden erklärt. In diesem Fall ergeht ein Zustimmungsurteil (sentencia de conformidad) durch den Ermittlungsrichter, und die Strafe wird (als spezielle Folge der privilegierten Zustimmung) nach Art. 779.1.5 und 801 LECrim um ein Drittel reduziert.

II. Gegenstand der Absprache

Die conformidad hat die zu verhängende Strafe zum Gegenstand, kann sich aber auch auf die Anerkennung zivilrechtlicher Ansprüche (Wiedergutmachung, Erstattung oder Entschädigung) beziehen. Werden zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren geltend gemacht, so kann der Angeklagte auch diese anerkennen ___________ 36

Die conformidad ist detailliert geregelt in Art. 655, 688, 700, 779.1.5a, 784.3, 787, 800, 801 LECrim und Art. 50 des Organgesetzes über das Geschworenengericht (Ley Orgánica del Tribunal del Jurado – im folgenden LOTJ).

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oder die conformidad auf die strafrechtliche Seite beschränken. Im letzteren Fall bezieht sich die Verhandlung gemäß Art. 655.5 LECrim allein auf die Erörterung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit.

III. Voraussetzungen der Absprache

Die objektiven Voraussetzungen der conformidad betreffen die Höhe der zu erwartenden Strafe, die rechtliche Würdigung des Sachverhalts und die Zulässigkeit der beantragten Strafe. Eine conformidad ist nicht erlaubt bei einer möglichen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Jahren, einer falschen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts sowie dann, wenn die vorgeschlagene Strafe nicht der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts entspricht. Der Richter hat dann die Nichterfüllung der Voraussetzungen festzustellen und muss den Parteien die Möglichkeit einräumen, die Mängel zu beseitigen oder einen Strafantrag zu stellen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes bezieht sich die Kontrolle der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts nur auf die anerkannten Tatsachen, wie sie durch die Parteien beschrieben worden sind. Sie sollte darüber hinaus aber auch die Fälle erfassen, in denen sich aus den Anträgen der Parteien Umstände ergeben, die für den Angeklagten vorteilhaft sind, aber bisher unzureichend oder gar nicht gewürdigt wurden. Da ein Rechtsstaat, der die Rechtsprechung ausschließlich Richtern und Gerichten zuweist, den gerichtlichen Schutz der Freiheit zu gewährleisten hat, müssen die Gerichte die Möglichkeit haben, alle für den Angeklagten vorteilhaften Umstände zu berücksichtigen, die sich aus dem Vortrag der Parteien ergeben.37 Weitere Voraussetzung einer conformidad ist, dass ein korrekter Strafantrag gestellt ist. Dies bedeutet nicht, dass der Strafantrag der individuellen Schuld entsprechen muss; es reicht vielmehr aus, dass er mit der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts übereinstimmt. In subjektiver Hinsicht setzt eine conformidad die Zustimmung des Angeklagten und grundsätzlich auch des Verteidigers voraus (Prinzip der „doppelten Garantie“). Gibt es mehrere Angeklagte, so kann ein Zustimmungsurteil nur ergehen, wenn alle Angeklagten damit einverstanden sind (Art. 655.4 LECrim). Hält allein der Verteidiger trotz Zustimmung des Angeklagten die Fortsetzung des Verfahrens für erforderlich, so kann er diese mit Begründung bean___________ 37

Eine gesetzliche Konkretisierung dieses Prinzips zum Schutze des Angeklagten enthält Art. 699 LECrim, wonach das Hauptverfahren stattzufinden hat, wenn das Tatobjekt nicht existiert.

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tragen. Wird sein Antrag zurückgewiesen, so ersetzt die Entscheidung des Gerichts ausnahmsweise die Einwilligung des Verteidigers zur conformidad. Die Kriterien, nach denen das Gericht über einen solchen Antrag des Verteidigers entscheiden soll, sind nicht eindeutig festgelegt. Grundsätzlich soll der Verteidiger nicht die Möglichkeit haben, eine gesetzlich vorgesehene Prozesshandlung seines Mandanten außer Kraft zu setzen. Eine Ausnahme gilt jedoch für außergewöhnliche Fälle, in denen der Antrag des Verteidigers den Interessen des Angeklagten besser dient. Dies kommt nur dann in Frage, wenn sich die Durchführung einer Hauptverhandlung höchstwahrscheinlich zum Vorteil des Angeklagten auswirkt. Dies ist jedoch in der Praxis schwer nachzuweisen, denn der Angeklagte kann im Fall der conformidad auch nur (genau) in der von ihm akzeptierten Höhe bestraft werden, während der Ausgang einer Hauptverhandlung ungewiss ist und zu einer weit höheren Strafe führen kann. Anders ist es dann, wenn der Anwalt die Ablehnung der conformidad mit dem Fehlen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen (mangelnde wirksame Einwilligung des Angeklagten, Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts oder gesetzeswidriger Strafantrag) begründet. In diesem Fall widerspräche ein „Zustimmungsurteil“ den Interessen des Angeklagten. Im Ergebnis hängt also die Entscheidung des Gerichts über den Antrag vom Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen der conformidad ab.

IV. Folgen der Absprache

Eine wirksam beantragte conformidad führt dazu, dass das Urteil ohne Gerichtsverhandlung entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Sachverhalts, seiner rechtlichen Würdigung und der beantragten Strafe, gegebenenfalls auch hinsichtlich der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit ergeht. Liegen die Voraussetzungen für ein Zustimmungsurteil nicht vor – etwa wenn die Parteien für den Angeklagten vorteilhafte Tatsachen nicht berücksichtigt haben, wenn die rechtliche Würdigung fehlerhaft oder das Strafmaß gesetzlich nicht vorgesehen ist –, so muss das Gericht das Verfahren fortsetzen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf das Gericht zwar nicht über das beantragte Strafmaß hinausgehen (Art. 655 LECrim), kann jedoch innerhalb des gesetzlichen Rahmens eine geringere Strafe verhängen.38 Bei der privilegierten Zustimmung gemäß Art. 801 LECrim wird die Strafe um ein Drittel reduziert. Dabei handelt es sich um eine Neuerung im spanischen ___________ 38

Siehe z.B. STS 2a v. 4.12.1990.

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Rechtssystem, ähnlich dem italienischen „patteggiamento“, welche auf einer zweifelhaften Begründung beruht und zudem gesetzlich mangelhaft geregelt ist.

V. Verfahrensablauf bei Absprachen

Der Verfahrensablauf richtet sich nach der Art der conformidad. Absprachen unterschiedlicher Form können von Beginn des Ermittlungsverfahrens an bis zum Urteil stattfinden. Eine conformidad privilegiada ist zu Beginn des Verfahrens vor dem Untersuchungsrichter durchzuführen, der die ersten Ermittlungen geleitet hat. Die „normale“ conformidad wird in der Regel außergerichtlich vor der mündlichen Verhandlung zwischen Verteidigung, Anklagebehörde und Gericht vereinbart und danach ausgefertigt. Da die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Zustimmung gesetzlich festgelegt sind, kann der Fall nicht eintreten, dass die staatliche Seite ihren Teil der Absprache nicht einhält. Es würde sich dabei um eine unzulässige, nichtige und haftungsauslösende Handlung handeln. Kommt es zu keinem Einvernehmen über eine Absprache, wird das Verfahren fortgesetzt. Die Absprache muss unter Beteiligung aller Parteien, d.h. auch der privaten Ankläger, stattfinden, da die conformidad voraussetzt, dass der Angeklagte die höchste geforderte Strafe akzeptiert. Verlangt z.B. der Staatsanwalt ein Jahr und ein privater (Popular- oder Privat-)Ankläger39 zwei Jahre Freiheitsstrafe, so kann ein Zustimmungsurteil nur über eine zweijährige Freiheitsstrafe ergehen. In der Praxis wird in diesem Fall die Zivilpartei ihre Strafmaßforderung reduzieren, wenn der Angeklagte seine zivilrechtliche Verantwortlichkeit akzeptiert. Üblicherweise ist der Angeklagte nicht selbst an den Absprachenverhandlungen beteiligt. Die Absprache wird vielmehr durch den Verteidiger im Rahmen des Vertrauensverhältnisses zu seinem Mandanten ausgehandelt. Der Verteidiger darf keine Gespräche über eine conformidad gegen den Willen des Angeklagten initiieren. Auch darf er im Rahmen der Verhandlungen keine Informationen preisgeben, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Grundsätzlich hat er den Mandanten angemessen und nötigenfalls detailliert über den Verlauf und die Ergebnisse der Absprachenverhandlungen zu unterrichten; der Angeklagte hat dann zu entscheiden, ob er mit dem Ergebnis einverstanden ist. In den meisten Fällen wird der Mandant dem Vorschlag des Anwalts folgen. Akzeptiert der Angeklagte eine von seinem Verteidiger ausgehandelte Abspra___________ 39

Zum Begriff der Anklage siehe unten.

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che nicht, so wird dies als sein Recht angesehen und hat keine nachteiligen Folgen für den Anwalt. Alle Angeklagten haben Zugang zu Absprachen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die soziale Stellung des Angeklagten hat dafür keine Bedeutung. Gleichwohl ist es häufig schwieriger, eine Absprache in einem Prozess von öffentlicher Bedeutung und mit großem Medieninteresse zu erreichen als in einem für die Medien uninteressanten Prozess. In solchen Fällen beantragt die Staatsanwaltschaft nur ungern geringere Strafen als die ursprünglich geforderten, da sie nicht den Anschein erwecken möchte, Personen von öffentlicher Bedeutung zu bevorzugen. Auch im Fall der Popularklage wird nur geringe Neigung bestehen, eine Strafe zu fordern, mit der sich der Angeklagte einverstanden erklärt. Das Vorliegen der Voraussetzungen der conformidad wird durch das Gericht geprüft. Nach Art. 787 Abs. 2 und 4 LECrim informiert der Gerichtssekretär den Angeklagten über die Konsequenzen der conformidad und weist den Richter auf seine Pflicht hin, sich von der freien und bewussten Zustimmung des Angeklagten zu überzeugen. Hat der Richter diesbezüglich Zweifel, so muss er die Fortsetzung des Verfahrens anordnen. In der Praxis kommt es heute freilich nur sehr selten vor, dass das Gericht eine conformidad nicht akzeptiert. Vor 1989, als eine Änderung der Strafanträge durch die Anklage zu Beginn der mündlichen Verhandlung gesetzlich noch nicht vorgesehen war, griffen die Gerichte stärker in die Absprachen ein, um die maximal zulässige Reduzierung des Strafmaßes zu erreichen. Heute kann die Anklage ihre Strafanträge zu diesem Zeitpunkt ändern, um noch eine Absprache zu erreichen; dadurch wird ein Eingreifen des Richters überflüssig. VI. Praktische Bedeutung der Absprachen und Interessenlage

Absprachen kommen bei allen Arten von Delikten vor, bei denen die mögliche Strafe nicht mehr als sechs Jahre Freiheitsstrafe beträgt. Ungefähr die Hälfte aller Strafprozesse wegen Verbrechen wird durch Absprachen beendet. In der Regel profitiert der Angeklagte von einer Absprache, während sie für den Anwalt weder Vor- noch Nachteile zur Folge hat. Der Status des Anwalts als Organ der Rechtspflege spielt im Zusammenhang mit der conformidad keine Rolle. Da das Interesse des Mandanten immer Vorrang vor den persönlichen Interessen des Anwalts hat, gibt es keinen Grund für das Entstehen von Rollenkonflikten. In der Praxis hat sich nicht gezeigt, dass Anwälte im Rahmen der conformidad eigenen Interessen Vorrang gegenüber denen der Mandanten einräumen oder dass sie auf ihre Mandanten Druck ausüben, um sie zur Annahme

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des „ausgehandelten“ Verfahrensergebnisses zu veranlassen. Ein solches Verhalten würde zu einer strafrechtlichen oder disziplinarischen, möglicherweise auch zu einer zivilrechtlichen Haftung des Verteidigers führen. Das Honorar des Verteidigers wird frei ausgehandelt, und die Höhe ergibt sich aus der Vereinbarung zwischen Mandant und Anwalt. Die Anwaltskammern geben zur Orientierung Richtlinien heraus, in denen – je nach den Umständen – Rabatte zwischen 25% und 50% für die Beendigung eines Verfahrens durch conformidad vorgeschlagen werden. Die von Amts wegen bestellten Anwälte werden aus öffentlichen Mitteln und durch die Anwaltskammern bezahlt und erhalten für eine conformidad und die Durchführung der Hauptverhandlung jeweils dieselbe Vergütung. VII. Anklagearten im spanischen Strafprozessrecht

Im spanischen Strafprozessrecht hat die Staatsanwaltschaft kein Anklagemonopol. Die Anklage stellt zwar eigentlich eine öffentliche Aufgabe dar, die spanische Verfassung (Art. 125 CE) und das LECrim erlauben jedoch die Erhebung der Anklage durch Private. Ebenso ist das Richteramt grundsätzlich eine öffentliche Aufgabe, in bestimmten Fällen wirken jedoch Bürger als Geschworene am Verfahren mit. Bei Offizialdelikten kann die Anklage von der Staatsanwaltschaft oder jedem Bürger (acusación popular) erhoben werden. Der Ankläger muss nicht durch die Straftat geschädigt worden sein. Ist der Ankläger der durch die Straftat Verletzte, so spricht man von Privatklage (acusación particular). Dem Privatkläger wird über das sogenannte „Klageangebot“ (ofrecimiento de acciones) die Teilnahme am Verfahren ermöglicht. Er ist von der Verpflichtung, eine Bürgschaft zu stellen, befreit und hat, wenn er nicht über ausreichende eigene wirtschaftliche Mittel verfügt, ein Recht auf Beistand durch einen von Amts wegen bestellten Anwalt, der vom Staat bezahlt wird. „Halb-öffentliche“ Straftaten (delitos semipúblicos) werden nur auf Anzeige des Verletzten verfolgt. Darüber hinaus gibt es „Privatdelikte“ (delitos privados), bei denen der Verletzte selbst Anklage (acusación privada) erheben muss. Privatdelikte sind nur die Beleidigung und die Verleumdung von Privatpersonen. D. Opfer- und Zeugenschutz vs. Verteidigungsinteressen Im spanischen Recht gibt es keine spezifischen Bestimmungen zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Verteidiger mit dem Opfer einer

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Straftat zu Verteidigungszwecken in Kontakt treten darf. Kommt es zu einem Kontakt mit dem Opfer, so gilt auch hier die allgemeine Pflicht des Anwalts, die gegnerische Partei besonnen und höflich zu behandeln und auf Handlungen zu verzichten, die sie in ungerechtfertigter Weise verletzen könnten.40 Zulässig und üblich ist die Kontaktaufnahme durch den Verteidiger, um dem Opfer Wiedergutmachungsleistungen anzubieten. In der Regel wird ein solches Angebot gemacht, um eine conformidad zu erreichen, die normalerweise auch eine Einigung über die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht umfasst. In der Praxis hängt die Herabsetzung des Strafantrags durch private Ankläger von einer Einigung über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Beschuldigten ab. Unzulässig und möglicherweise sogar strafbar ist es hingegen, dem Opfer die Zahlung einer Geldsumme anzubieten, damit es nicht vor Gericht erscheint oder falsch aussagt. Vernehmungen von Verbrechensopfern sind generell, d.h. auch durch den Anwalt des Beschuldigten, mit Rücksicht auf dessen persönliche Situation, seine Rechte und seine Würde durchzuführen.41 Bei der Vernehmung von Zeugen hängt die Zulässigkeit von Fragen des Verteidigers zunächst von ihrer Angemessenheit und Sachdienlichkeit ab. Suggestivfragen und Fangfragen sind verboten.42 Darüber hinaus sind Zeugen nicht verpflichtet, gegen bestimmte Angehörige auszusagen43 oder Fragen zu beantworten, wenn dies eine Selbstbezichtigung zur Folge hätte.44 Ein Gesetz von 199445 macht es möglich, die Identität oder andere Daten eines Zeugen oder Sachverständigen geheim zu halten. Deren Aussagen sind jedoch in Anwesenheit des Verteidigers aufzunehmen, der an der Vernehmung mitwirken darf. In der Hauptverhandlung können die Parteien die Bekanntgabe des Vor- und Nachnamens des Zeugen oder Sachverständigen und danach die Erhebung von Beweisen beantragen, die auf die Würdigung der Zeugenaussage Einfluss haben können.

___________ 40

Vgl. Art. 43 EGA. Art. 15.3 des Gesetzes 35/1995 v. 11. 12.1995 über Hilfen und Beistand für die Opfer von Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. 42 Art. 439 LECrim. 43 Art. 416.1 LECrim. 44 Art. 418 LECrim. 45 Organgesetz 19/1994 v. 23.12.1994 über den Schutz von Zeugen und Sachverständigen in Strafprozessen. 41

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Nicolás González-Cuéllar Serrano

E. Berufsrechtliche Regelungen Die Rechte und Pflichten der Anwälte sind im LOPJ, dem EGA und Vorschriften der Anwaltskammern (wie z.B. der CDAE) festgelegt. Spezifische Regelungen der Berufspflichten von Strafverteidigern gibt es im spanischen Recht nicht. Insoweit sind aktuell auch keine Reformen geplant. Die Sanktionierung von Berufspflichtverletzungen fällt gemäß Art. 3.1, 4.1 lit. h, 81 EGA in die Zuständigkeit der Anwaltskammern. Deren Entscheidungen können vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Vor den Kammern wird eine Vielzahl von Disziplinarverfahren gegen Anwälte wegen sehr unterschiedlicher Pflichtverletzungen durchgeführt. Statistiken über berufsrechtliche Verfahren werden nicht veröffentlicht. Die Verletzung prozessualer Pflichten, die durch LOPJ und LEC normiert sind, kann durch das jeweils betroffene Gericht durch Verwarnung oder Bußgeld geahndet werden. Insgesamt wird das gegenwärtige System der berufsrechtlichen Kontrolle von Strafverteidigern als befriedigend angesehen. Alternative Modelle werden zur Zeit nicht diskutiert.

F. Praktische Fälle Im Folgenden soll an Beispielsfällen verdeutlicht werden, welche rechtlichen oder informellen Reaktionen ein Anwalt (A) zu erwarten hätte, der sich als Verteidiger eines Mannes (M), dem ein Sexualdelikt vorgeworfen wird, wie unten beschrieben verhält. Fall 1: A unterlässt es, vorhandene Entlastungszeugen dem Gericht zu benennen sowie die Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. M wird verurteilt und erst später aufgrund der Initiative eines neuen Verteidigers nach Aufhebung des ersten Urteils aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Das Verhalten des A ist im Hinblick auf die Interessen des Mandanten M offensichtlich nachteilig sowie grob fahrlässig. A würde durch dieses Verhalten eine Straftat nach Art. 467.2.2 CP verwirklichen, die mit einer Geldstrafe von 6 bis 12 Monaten und einem Berufsverbot von 6 Monaten bis 2 Jahren geahndet werden kann. Darüber hinaus ist A eine schwere Verletzung seiner Berufspflichten vorzuwerfen, die grundsätzlich disziplinarisch geahndet werden kann. Wegen des Prinzips „ne bis in idem“ entfällt allerdings eine berufsrechtliche Sanktionierung, wenn die Tat gleichzeitig strafbar ist. Im Übrigen sind die

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Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Haftung des Anwalts gegeben. A muss die verursachten Schäden und Nachteile ersetzen. Fall 2: A zahlt der verletzten Frau im Auftrag des M eine sehr hohe Geldsumme und erreicht dadurch, dass die Frau vor Gericht wahrheitswidrig aussagt, sie sei mit den Handlungen, die M an ihr vorgenommen hat, einverstanden gewesen. Ob A wusste, dass diese Aussage der Frau nicht der Wahrheit entsprach, lässt sich nicht aufklären.

Bei vorsätzlichem Handeln ist A Täter der Straftat der Präsentation falscher Zeugen (Art. 461 CP), die wie eine Falschaussage oder eine Anstiftung zur Falschaussage (Art. 458 CP) bestraft wird. Der Strafrahmen für eine Falschaussage zugunsten des inhaftierten Beschuldigten beträgt 6 Monate bis 2 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 3 bis 6 Monaten. Sollte es sich bei der Zeugenaussage hingegen nur um eine „Ungenauigkeit“ handeln, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Ermittlung der Wahrheit hat, ist eine Geldstrafe von 6 bis 12 Monaten und ein Berufsverbot von 6 Monaten bis 3 Jahren vorgesehen. Fall 3: Gericht und Staatsanwaltschaft bieten an, dass M zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wird, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegt; andernfalls müsse M mit einer Strafe von 4 Jahren rechnen. M beteuert gegenüber A seine Unschuld. Daraufhin sagt A zu M, falls dieser kein Geständnis ablege, werde A in der Hauptverhandlung durchblicken lassen, dass M bereits früher ähnliche Taten begangen habe. Daraufhin legt M ein Geständnis ab.

Durch sein Verhalten hat A in Idealkonkurrenz die Straftaten der bedingten Drohung (Art. 169 CP) sowie der Untreue im Beruf (Art. 367.2 CP) verwirklicht. Für den Fall, dass M die Straftat nicht begangen hat und infolge des Urteils eine Freiheitsstrafe im Gefängnis verbüßen muss, hätte A darüber hinaus in mittelbarer Täterschaft eine unerlaubte Freiheitsentziehung (Art. 163 CP) begangen. Das Urteil gegen M wäre im Übrigen nichtig, da es auf einer Prozesshandlung des Angeklagten beruht, die durch Einschüchterung bewirkt wurde. Auch wenn das Urteil rechtskräftig geworden sein sollte, könnte es jederzeit durch eine Aufhebungsklage (fälschlicherweise „Revision“ genannt) mit der Begründung angefochten werden, das Geständnis sei durch eine Straftat erlangt worden. Nach Art. 954.3 LECrim ist „das Rechtsmittel der Revision“ unter anderem dann statthaft, wenn jemand eine Strafe verbüßt, die auf einem Urteil beruht, das auf Dokumenten oder Aussagen, die später durch rechtskräftiges Urteil für fehlerhaft befunden wurden, oder auf einem dem Inhaftierten durch Gewalt oder sonstige strafbare Handlung Dritter abgenötigten Geständnis (was durch rechtskräftiges Urteil belegt werden muss) beruht.

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Renzo Orlandi

A. Stellung und mögliche Rollenkonflikte des Verteidigers I. Rechtliche Grundlagen

Das Recht auf Beistand eines professionellen Verteidigers ist in Art. 24 it. Verfassung für jede Phase des Verfahrens garantiert, und zwar speziell auch für mittellose Personen. Die Verfassung erwähnt nicht Wahl- oder Pflichtverteidiger; dennoch hat der Beschuldigte einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, einen Verteidiger seines Vertrauens zu wählen und gegebenenfalls den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten. Beschuldigte dürfen sich nicht selbst, d.h. ohne den Beistand eines Rechtsanwalts verteidigen1.

II. Grundsatz der Waffengleichheit

Die Waffengleichheit zwischen den Parteien wird durch Art. 111 Abs. 2 it. Verfassung2 nicht nur für das Strafverfahren, sondern für alle gerichtlichen Verfahren garantiert. Im Strafverfahren wirkt sich die Waffengleichheit

___________ 1 Das italienische Verfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass der Anwaltszwang in Strafsachen verfassungsgemäß ist: siehe Urt. v. 3.10.1979, Nr. 125, und Urt. v. 16.12.1980, Nr. 188 (alle Urteile des italienischen Verfassungsgerichts sind unter folgender Web-Adresse zu finden: www.giurcost.org). 2 Dieser Artikel wurde durch verfassungsänderndes Gesetz vom 23.11.1999, Nr. 2 (in Kraft seit 2.1.2000) modifiziert. Nach Art. 111 Abs. 2 it. Verfassung muss jeder Prozess in kontradiktorischer Verhandlung der Parteien unter Gewährleistung der Waffengleichheit vor einem unabhängigen Richter stattfinden.

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insbesondere in der Weise aus, dass das Gericht belastende und entlastende Beweise gleich behandeln muss3.

III. Notwendigkeit eines (bestellten) Verteidigers

Nach der früheren Strafprozessordnung (1930) konnte sich der Beschuldigte bei leichteren Delikten selbst verteidigen4; dies ist jetzt nicht mehr gestattet. Allerdings kann der Beschuldigte in mehrfacher Weise selbst Initiativen zu seiner Verteidigung ergreifen. Er kann z.B. die Erhebung von Beweisen beantragen, in jeder Lage des Verfahrens Erklärungen abgeben und Rechtsmittel einlegen. Einige für die Verteidigung besonders bedeutsame Rechte dürfen indes ausschließlich vom Verteidiger wahrgenommen werden. Dazu gehören z.B. das Akteneinsichtsrecht im Ermittlungs-5 und im Zwischenverfahren6, das Recht, private Ermittlungen durchzuführen7, sowie die Möglichkeit, Zeugen direkt oder im Kreuzverhör zu befragen8. Grundsätzlich hat der Beschuldigte das Recht, einen Verteidiger seines Vertrauens zu wählen9. Tut er dies nicht oder legt der gewählte Verteidiger das Mandat nieder, so bestimmt der Richter, auch gegen den Willen des Beschuldigten, auf Vorschlag der Anwaltskammer einen Pflichtverteidiger10. Falls der Beschuldigte dann einen Wahlverteidiger beauftragt, endet die Tätigkeit des Pflichtverteidigers von selbst. Das Gericht kann einen Pflichtverteidiger gegen den Willen des Beschuldigten nur dann abberufen und durch einen neuen ersetzen, wenn der Verteidiger nicht erreicht werden kann, nicht vor Gericht erschienen ist oder das Mandat

___________ 3

Art. 111 Abs. 3 it. Verfassung übernimmt fast wörtlich die Formulierung des Art. 6 Abs. 3 EMRK. 4 Art. 125 Codice di Procedura Penale 1930 erlaubte die Selbstverteidigung im Fall von Übertretungen (contravvenzioni), die mit einer geringen Geldstrafe (3.000 Lire) oder mit einem Monat Freiheitsstrafe bedroht waren. 5 Art. 366 Codice di Procedura Penale (Dekret des Präsidenten der Republik vom 22.9.1988, Nr. 447, mehrmals geändert). Im Folgenden sind Artikel ohne nähere Angabe solche des Codice di Procedura Penale von 1988. 6 Art. 466. 7 Art. 391 bis ff. 8 Art. 498 Abs. 1. 9 Art. 96 Abs. 1. 10 Art. 97.

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niedergelegt hat11 oder wenn das Tätigwerden des bestellten Pflichtverteidigers in dieser Sache zu einer Interessenkollision führt12.

IV. Der Verteidiger – ein „Organ der Rechtspflege“?

Das italienische Recht kennt den Ausdruck „Organ der Rechtspflege“ nicht. Die Verteidigertätigkeit wird als freier Beruf par excellence angesehen. Der Verteidiger wird als notwendiger Gegenpart des Staatsanwalts verstanden: Er übt demnach eine öffentliche Aufgabe in privatem Interesse aus. Die Tätigkeit des Strafverteidigers ist daher unabhängig von den Strafverfolgungsbehörden. Die Strafprozessreform von 1988 hat diese Unabhängigkeit hervorgehoben, indem sie die Rolle der Anwaltskammern in mehrfacher Hinsicht gestärkt hat. Aufgrund seiner Unabhängigkeit hat der Strafverteidiger auch keine Mitwirkungspflicht gegenüber der Polizei oder der Justiz bezüglich der Sachaufklärung. Dies gilt insbesondere für verfahrensbezogene Informationen wie z.B. die Ergebnisse privater Ermittlungen der Verteidigung. Diese werden dem Richter erst dann übermittelt, wenn der Verteidiger sie zugunsten des Beschuldigten in das Verfahren einbringen will.

V. Ausmaß der anwaltlichen Wahrheitspflicht

Grundsätzlich ist der Verteidiger verpflichtet, vor Gericht die Wahrheit zu sagen; er darf auch keine falschen Beweise vorlegen oder Zeugenaussagen beurkunden, von denen er weiß, dass sie falsch sind13. Die Rolle als Zeuge ist mit derjenigen des Verteidigers im selben Verfahren unvereinbar; will er als Zeuge aussagen, so muss er zuvor sein Verteidigermandat unwiderruflich niederlegen14. In anderen Verfahren kann der Verteidiger, wenn er als Zeuge gerufen wird, die Aussage über Informationen verweigern, ___________ 11

Art. 97 Abs. 2. Nach Art. 106 Abs. 1 kann die Verteidigung mehrerer Angeklagter von einem gemeinsamen Verteidiger übernommen werden, „soweit die verschiedenen Positionen nicht miteinander unvereinbar sind“. Ist das der Fall, hat das Gericht nach Art. 97 die Unvereinbarkeit zu erklären und die nötigen Pflichtverteidiger zu bestellen. 13 Art. 14 Codice deontologico forense (Anwaltliche Berufsordnung) des Nationalrats der Rechtsanwälte (Consiglio nazionale forense) vom 17.4.1997; vgl. dazu unter E.I. 14 Art. 58 Abs. 3 Codice deontologico forense. Im Übrigen ist auch der Verteidiger von der Zeugnispflicht entbunden, der private Ermittlungen durchgeführt hat (siehe unten A.VII.). 12

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die ihm im Rahmen seiner Verteidigertätigkeit bekannt geworden sind15. Er soll bezüglich solcher Informationen auch als Zeuge keine Angaben machen. Im Übrigen ist er als Zeuge zur Wahrheit verpflichtet. Ein Verteidiger, der seine Pflichten zur Wahrhaftigkeit oder zur Vertraulichkeit verletzt, muss sowohl mit strafrechtlichen als auch mit disziplinarrechtlichen Folgen rechnen.

VI. Informationsweitergabe

Grundsätzlich darf der Verteidiger seinem Mandanten jede das Strafverfahren betreffende Information zur Kenntnis bringen. Hierbei unterliegt er inhaltlich keinen Einschränkungen. So ist es z.B. nicht strafbar, wenn der Verteidiger nach Einsicht in die Ermittlungsakten seinem Mandanten mitteilt, dass gegen ihn ein Haftbefehl erlassen wird16. Auch inhaftierte Beschuldigte haben nach Art. 104 grundsätzlich das Recht, mit ihrem Verteidiger zu sprechen. Liegen jedoch außergewöhnliche Umstände vor, die gewisse Vorsichtsmaßnahmen erfordern, so kann der Kontakt zwischen Verteidiger und Beschuldigtem auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch richterlichen Beschluss für maximal fünf Tage untersagt werden.

VII. Umfang des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandanten

Die Garantie der Verteidigung nach Art. 24 Abs. 2 der italienischen Verfassung umfasst auch das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger, da nur so eine effektive Verteidigung garantiert werden kann. Dieses Vertrauensverhältnis wird zunächst durch die Verschwiegenheitspflicht des Verteidigers geschützt. Nach Art. 9 Codice deontologico forense ist es sowohl die Pflicht als auch ein grundlegendes und vorrangiges Recht des Verteidigers, Stillschweigen über seine Tätigkeit sowie über alle von seinem Mandanten und in Ausübung seiner Tätigkeit erhaltenen Auskünfte zu bewahren. Von dieser Regel gibt es jedoch einige Ausnahmen. Die Offenbarung der in Ausübung des Mandats erlangten Informationen ist rechtmäßig, soweit sie notwendig ist, um die Effektivität der Verteidigungstätigkeit zu gewährleisten, zur Verhinderung von seiten des Mandanten geplanten Straftaten, zur Beibringung von Beweisen in einem Prozess zwischen dem Verteidiger und seinem Mandan___________ 15 16

Art. 58 Abs. 1 Codice deontologico forense. Corte Cassazione, Urt. v. 29.3.2000, CED RV 217188.

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ten oder in einem gerichtlichen Verfahren, das die Tätigkeit des Verteidigers zum Gegenstand hat. Das unbefugte Offenbaren eines Berufsgeheimnisses wird strafrechtlich nach Art. 622 it. Strafgesetzbuch geahndet. Der Bruch der Verschwiegenheitspflicht ist nicht ausdrücklich als Standesverstoß normiert; da aber das Disziplinarrecht nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz unterliegt, kann eine Verletzung dieser Pflicht dennoch eine Disziplinarmaßnahme rechtfertigen. Mit der Verschwiegenheitspflicht korrespondiert ein Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers im Strafverfahren17. Als Zeuge von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist der Verteidiger, soweit er in Bezug auf dasselbe Verfahren Ermittlungen durchgeführt hat18. Darüber hinaus ist der Verteidiger vor Durchsuchungen seiner Kanzleiräume weitgehend geschützt. Durchsuchungen sind nur zulässig, um Beweismittel gegen den Verteidiger aufzufinden, wenn dieser selbst einer Straftat beschuldigt ist, sowie dann, wenn nach Tatspuren oder nach bestimmten, vorher genau bezeichneten Gegenständen oder Personen gesucht wird19. Papiere oder Urkunden dürfen beim Verteidiger nicht beschlagnahmt werden, mit Ausnahme von Gegenständen, die Objekte der Straftat sind20. Ein besonderes Beschlagnahmeverbot in Bezug auf Gegenstände, die im Eigentum des Beschuldigten stehen, gibt es nicht. Hinsichtlich der Anordnung und Durchführung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Anwaltsbüros bestehen besondere Regelungen. Eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsverfügung reicht in solchen Fällen nicht aus; die Durchsuchung muss durch richterlichen Beschluss angeordnet werden und ist unmittelbar durch den Richter oder den Staatsanwalt – niemals durch die Polizei – in Gegenwart von Vertretern der Anwaltskammer durchzuführen21. Auch das Abhören von Gesprächen sowie die Beschlagnahme des Schriftverkehrs zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten sind grundsätzlich nicht gestattet; entgegen diesem Verbot gewonnene Beweismittel sind unverwertbar22. Wenn ein Schriftstück oder ein Gespräch unmittelbares Objekt einer Straftat ist, darf es jedoch beschlagnahmt bzw. überwacht werden. ___________ 17

Art. 200 Abs. 1 (siehe oben A.V.). Art. 197 lit. d. 19 Art. 103 Abs. 1. 20 Art. 103 Abs. 2. 21 Art. 103 Abs. 3, 4. 22 Art. 103 Abs. 5 bis 7. 18

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Renzo Orlandi VIII. Entwicklung der Verfahrensstrategie

Das Standesrecht (Codice deontologico forense) verpflichtet den Strafverteidiger zur ausführlichen Information seines Mandanten. Der Rechtsanwalt muss seinen Mandanten präzise über die Bedeutung und die speziellen Probleme der Strafsache sowie über denkbare Prozesshandlungen und Verfahrensstrategien unterrichten. Auf Wunsch des Mandanten hat der Rechtsanwalt zudem eine Prognose über die Dauer des Verfahrens und die zu erwartenden Kosten abzugeben. Die Entwicklung der Verfahrensstrategie ist grundsätzlich Aufgabe des Verteidigers; der Mandant muss jedoch über die Maßnahmen, die sein Verteidiger ergreift, eingehend informiert werden. Nach Art. 99 stehen dem Verteidiger alle Befugnisse und Rechte zu, die das Gesetz auch dem Beschuldigten gewährt, sofern es sich nicht um höchstpersönliche Rechte handelt. Dies ist der Fall im Bereich der sogenannten „Alternativen Verfahrensarten“, wie dem Abgekürzten Verfahren und der Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien (patteggiamento). Die Einleitung solcher Verfahren muss der Angeklagte persönlich oder durch einen von ihm speziell Bevollmächtigten (gegebenenfalls den Rechtsanwalt) beantragen23. Abgesehen von diesen Fällen sind der Wille des Verteidigers und derjenige des Angeklagten fast gleichrangig. Der Angeklagte kann allerdings durch eine ausdrückliche gegenteilige Erklärung den vom Verteidiger vorgenommenen Verfahrenshandlungen (etwa im Bereich der Einlegung von Rechtsmitteln) ihre rechtliche Wirkung nehmen, solange hinsichtlich dieser Verfahrenshandlung noch keine Verfügung des Gerichts ergangen ist24.

IX. Strafbarkeit wegen Geldwäsche

Es ist grundsätzlich möglich, Ermittlungen gegen Verteidiger zu führen, gegen die der Verdacht der Geldwäsche vorliegt. In diesem Fall sind auch Durchsuchungen und Beschlagnahmen in der Kanzlei des beschuldigten Anwalts zulässig25. Deshalb ist dem Rechtsanwalt bei der Annahme eines Mandats zur Vorsicht zu raten. Das anwaltliche Standesrecht verpflichtet ihn, zunächst die ___________ 23 So Art. 438 Abs. 3 für das Abgekürzte Verfahren und Art. 446 Abs. 3 für das „patteggiamento“ (Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien). 24 Art. 99 Abs. 2. 25 Art. 103 Nr. 1 (a).

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Identität des potentiellen Mandanten festzustellen26. In jedem Fall muss er es ablehnen, Gelder unbekannter Herkunft anzunehmen oder zu verwalten27. Ferner ist der Verteidiger verpflichtet, sein Mandat niederzulegen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass seine Tätigkeit die Begehung strafbarer Handlungen fördern könnte28. Verurteilungen von Verteidigern wegen Geldwäsche sind im italienischen Recht sehr selten; auch in der strafverfahrensrechtlichen Literatur wird das Problem der Geldwäsche-Strafbarkeit von Verteidigern kaum behandelt. Das bekannteste Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Fall „Parmalat“. Nach dem Konkurs des weltweit tätigen Lebensmittelkonzerns wurde gegen einen der Rechtsanwälte wegen Geldwäsche ermittelt. Die entsprechende Hauptverhandlung hat jedoch bis Ende 2005 nicht stattgefunden. Seit 2004 gilt auch für den Strafverteidiger eine Meldepflicht für bestimmte Gelder29. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. t der maßgeblichen Gesetzesverordnung sind alle Rechtsanwälte verpflichtet, jede Überweisung oder Nutzung von Geldern fragwürdiger Herkunft sowie jedes Immobiliengeschäft, das sie im Interesse ihrer Mandanten tätigen, der zuständigen Behörde (Ufficio italiano cambi) anzuzeigen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einer Geldbuße von 500 bis 25.000 € geahndet werden30. Keine Meldepflicht besteht hinsichtlich strafrechtlich relevanter Informationen, die der Verteidiger von seinem Mandanten in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erhält31.

X. Strafverteidigung und Strafvereitelung

Nach der italienischen Strafprozessordnung von 1930 waren private Ermittlungen im Interesse des Beschuldigten, wie z.B. die Befragung von Zeugen oder die Annahme von Beweisunterlagen, verboten. Ein Strafverteidiger, der privat ermittelte, ging damals oft das Risiko einer Strafbarkeit wegen Begünstigung oder Strafvereitelung ein. ___________ 26

Art. 36 Abs. 2 Codice deontologico forense. Art. 36 Abs. 3 Codice deontologico forense. 28 Art. 36 Abs. 4 Codice deontologico forense. 29 Gesetzesverordnung vom 20.2.2004, Nr. 56. Die Verordnung hat die Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.12.2001 (zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche) in nationales Recht umgesetzt. 30 Art. 7 der Gesetzesverordnung (Fn. 29). 31 Art. 2 Abs. 3 der Gesetzesverordnung (Fn. 29). 27

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Seit der Verfahrensreform des Jahres 1988 sind eigene Ermittlungen des Strafverteidigers ausdrücklich erlaubt und seit 2001 auch ausführlich geregelt (siehe unten B.III.). Eine Strafbarkeit wegen Begünstigung oder Strafvereitelung ist daher heute nur dann denkbar, wenn der Strafverteidiger die offizielle Untersuchung vereitelt, indem er z.B. rechtswidrig erlangte Informationen oder gefälschte Urkunden benutzt, um eine bestimmte Entscheidung zu erwirken32. Eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der „Vereitelungserfolg“ auf der Verwendung rechtmäßig erlangter Informationen beruht33.

B. Verteidigung im Ermittlungsverfahren I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Der italienische Strafprozess ist nach dem Vorbild des adversary system aufgebaut. Daraus folgt grundsätzlich eine strikte Trennung zwischen Ermittlungsund Hauptverfahren. Diese Trennung wurde allerdings im Jahre 1992 aufgrund dreier Urteile des Verfassungsgerichts beträchtlich relativiert34. Durch diese Entscheidungen wurde die Möglichkeit, Ergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren (etwa polizeiliche Auskünfte oder Informationen aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, einschließlich Zeugenaussagen) in die Hauptverhandlung einzuführen, erheblich erweitert. Diese verstärkte Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung wurde jedoch durch die Verankerung des fair trial-Prinzips in Art. 111 der italienischen Verfassung35 im Jahre 2000 wieder eingeschränkt. Seither können Ergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren nur ausnahmsweise durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden, falls die jeweilige Verfahrenshandlung (z.B. eine Zeugenvernehmung) aus Gründen, die im Ermittlungsverfahren noch nicht vorhersehbar waren, in der Hauptverhandlung nicht wiederholt werden kann. Ist die Unwiederholbarkeit der Verfahrenshandlung indes schon im ___________ 32 Als strafbar angesehen wurden z.B. die Benutzung von gefälschten Urkunden oder Beweisen sowie die unzulässige Beeinflussung eines Zeugen, um ihn dazu zu bewegen, seine Beziehung zum Beschuldigten vor der Staatsanwaltschaft zu leugnen. 33 In der Rechtsprechung wurde z.B. das Verhalten eines Verteidigers als nicht strafbar beurteilt, der seinem Mandanten nach rechtmäßiger Akteneinsicht mitgeteilt hatte, dass er mit Anordnung von Untersuchungshaft rechnen müsse (Corte Cassazione, Urt. v. 29. 3.2000, CED RV 217188). 34 Urt. v. 22.1.1992, Nr. 24; Urt. v. 18.5.1992, Nr. 254; Urt. v. 18.5.1992, Nr. 255. 35 Siehe oben Fn. 2.

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Ermittlungsverfahren absehbar, so hat sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung das Recht, den entsprechenden Beweis durch den Ermittlungsrichter nach den strengen Regeln der Hauptverhandlung erheben zu lassen36. Im Einklang mit Art. 111 Abs. 5 der italienischen Verfassung sieht das Strafprozessrecht überdies die Verwertbarkeit von Ermittlungsakten in der Hauptverhandlung dann vor, wenn beide Parteien einverstanden sind oder in der Hauptverhandlung der Verdacht besteht, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme durch rechtswidriges Verhalten (etwa die Bedrohung eines in der Hauptverhandlung zu vernehmenden Zeugen) beeinflusst werden könnte37. Zudem sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens regelmäßig maßgebliche Entscheidungsgrundlage in den besonderen Verfahrensarten, die eine Erledigung des Strafverfahrens außerhalb bzw. vor der Hauptverhandlung möglich machen. Dazu gehören das Abgekürzte Verfahren (giudizio abbreviato, Art. 438-443), die Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien (patteggiamento, Art. 444-448) sowie das Strafbefehlsverfahren (decreto penale di condanna, Art. 459-464)38. Die Hauptverhandlung ist also grundsätzlich völlig unabhängig von der Verteidigungstaktik und vom konkreten Gebrauch der Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren. Das Versäumen einer Möglichkeit zur Teilnahme an Ermittlungshandlungen im Ermittlungsverfahren kann daher niemals zu einer Präklusionswirkung in der Hauptverhandlung führen. Trotz der eingeschränkten Verwertbarkeit der Ermittlungsergebnisse in der Hauptverhandlung seit der Reform des Jahres 2000 kommt dem Ermittlungsverfahren immer noch eine erhebliche Bedeutung innerhalb des Strafverfahrens zu.

II. Das Recht auf einen Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Art. 24 Abs. 2 der italienischen Verfassung gewährt dem Beschuldigten „in jeder Lage des Verfahrens“ und damit auch im Ermittlungsverfahren das Recht auf Verteidigung. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen jedoch nicht übermäßig behindert werden; daher unterliegt das Recht auf Verteidigung im Ermittlungsverfahren einigen Beschränkungen. ___________ 36 Für diesen Fall wurde das sog. Beweissicherungsverfahren („incidente probatorio“, Art. 392 ff.) eingeführt. 37 Siehe Art. 431 Abs. 2 und Art. 493 Abs. 3. 38 Eine Darstellung dieser besonderen Verfahrensarten findet sich bei Orlandi, ZStW (116) 2004, 120.

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Wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, so wird der Beschuldigte hierüber informiert (sog. informazione di garanzia)39. Dies soll die effektive Wahrnehmung der Verteidigungsrechte garantieren und dem Beschuldigten die Möglichkeit geben, einen Wahlverteidiger zu beauftragen. Die Mitteilung wird dem Beschuldigten und auch dem Opfer vor der ersten Ermittlungsmaßnahme zugestellt, deren Durchführung unter der Aufsicht eines Verteidigers erledigt werden soll40; dazu gehören die Beschlagnahme, die Haus- und die Personendurchsuchung sowie weitere Handlungen, falls sie die Teilnahme des Beschuldigten erforderlich machen (Vernehmung, Augenscheinseinnahme, Gegenüberstellung). Falls der Beschuldigte in Erwartung eines gegen ihn einzuleitenden Ermittlungsverfahrens schon einen Wahlverteidiger beauftragt hat, kann dieser Verteidiger auch schon vor der offiziellen Mitteilung bei der Staatsanwaltschaft anfragen, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird41. Dies hat vor allem den Sinn, schon zu einem frühen Zeitpunkt private Ermittlungen zu ermöglichen. Der Staatsanwalt muss die Anfrage des Verteidigers wahrheitsgemäß beantworten, es sei denn, die Ermittlungen beziehen sich auf eine schwere Straftat42 oder müssen für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten geheim geführt werden, um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Für einige Ermittlungshandlungen (z.B. Beschuldigtenvernehmung, Augenscheinseinnahme und Gegenüberstellung unter Beteiligung des Beschuldigten) wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt. Der bestellte Verteidiger hat bei diesen Handlungen – ebenso wie ein vom Beschuldigten gewählter Verteidiger – ein Recht auf Anwesenheit43. Bei anderen Ermittlungsmaßnahmen, wie Durchsuchungen oder Beschlagnahmen, wird dem Beschuldigten kein Pflichtverteidiger bestellt; ein Wahlverteidiger ist jedoch auch hier zur Anwesenheit berechtigt, sofern seine Mitwirkung den Fortgang der Ermittlungshandlung nicht beeinträchtigt44. Der Verteidiger darf Einsicht in alle Protokolle von Ermittlungshandlungen nehmen, an denen er teilzunehmen berechtigt war. Die Protokolle sind von der Staatsanwaltschaft innerhalb von drei Tagen im Sekretariat der Staatsanwalt___________ 39

Art. 369. Art. 366 enthält eine abschließende Aufzählung dieser Handlungen. 41 Art. 335 Abs. 3. 42 Art. 335 Abs. 3 i.V.m. Art. 407 Abs. 2 lit. a (bezogen auf Mord, sexuellen Missbrauch von Minderjährigen, besonders schwere Fälle des Landsfriedensbruchs sowie Taten der organisierten Kriminalität). 43 Art. 364. 44 Art. 365 Abs. 2 i.V.m. Art. 249 Abs. 1. 40

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schaft zu hinterlegen. Innerhalb der darauf folgenden fünf Tage kann der Strafverteidiger sie einsehen und kopieren. Grundsätzlich darf das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers bezüglich solcher Akten nicht eingeschränkt werden. Wenn es allerdings für die erfolgreiche Durchführung des Ermittlungsverfahrens erforderlich ist, kann der Staatsanwalt dem Verteidiger die Einsicht in bestimmte Aktenteile versagen45. Manche Ermittlungshandlungen werden insgesamt geheim durchgeführt. Dazu gehören Zeugenvernehmungen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft, Vernehmungen von Mitangeklagten oder von Angeklagten eines sachlich zusammenhängenden46, aber getrennt geführten Strafverfahrens47, ferner staatsanwaltschaftliche Gutachten48 und die Überwachung der Telekommunikation49. Erst am Ende des Ermittlungsverfahrens werden die Protokolle solcher Handlungen dem Beschuldigten und der Verteidigung zugänglich gemacht.

III. Eigene Ermittlungen des Verteidigers

Die Ermittlungstätigkeit des Strafverteidigers ist in Art. 391bis ff. ausführlich geregelt. Danach hat der Verteidiger insbesondere das Recht, Zeugen und Mitangeklagte zu befragen, bei Verwaltungsbehörden Schriftstücke zu kopieren sowie private Räume zu betreten, um Beweisstücke und Spuren der Tat zu sichern. Bei der Ausübung dieser Rechte hat der Strafverteidiger keine hoheitlichen Zwangsrechte, die betroffenen Personen können ihre Mitwirkung an den Ermittlungen der Verteidigung also verweigern. Für diesen Fall stellt das Gesetz dem Verteidiger jedoch die Zwangsgewalt des Staatsanwalts und des Ermittlungsrichters zur Verfügung. Er kann bei der Staatsanwaltschaft beantragen, die betreffende Person vorzuladen. In diesem Fall wird die Vernehmung freilich nicht allein durch den Verteidiger, sondern gemeinsam mit dem Staatsanwalt durch___________ 45

Art. 329 Abs. 3. Der Begriff des Zusammenhangs (Art. 12) ist im italienischen Recht etwas weiter als im deutschen (§ 3 StPO). Außerdem gilt im italienischen Strafprozessrecht ein materieller (keine formeller) Begriff des Mitangeklagten; dieser hat also auch in einem abgetrennten Verfahren ein Schweigerecht. 47 Art. 362 und 363. 48 Das sind Gutachten, die von einem seitens des Staatsanwalts (nicht des Richters) beauftragten Sachverständigen erstattet werden (Art. 359). 49 Art. 266 ff. 46

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geführt50. Dies kann der Verteidiger vermeiden, wenn er die Vernehmung nicht beim Staatsanwalt, sondern im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens beim Ermittlungsrichter beantragt51. Ist ein privater Wohnungsbesitzer nicht bereit, dem Verteidiger Zugang zu seiner Wohnung zu gewähren, so muss sich der Verteidiger um einen richterlichen Beschluss bemühen. Ähnliches gilt für den Fall, dass eine Verwaltungsbehörde die Einsichtnahme in Verwaltungsakten verweigert. In einem solchen Fall kann der Verteidiger beim Staatsanwalt die Beschlagnahme der gewünschten Unterlagen beantragen. Wird dieser Antrag abgelehnt, so kann sich der Verteidiger zur Durchsetzung seines Rechts an den Ermittlungsrichter wenden52. Private Ermittlungen spielen in der italienischen Rechtswirklichkeit noch keine bedeutende Rolle, obwohl eine Gesetzesnovelle des Jahres 200053 die Verteidigerrechte in diesem Bereich deutlich erweitert hat. Eine Verpflichtung zu eigenen Ermittlungen besteht für den Verteidiger nicht. Dass die meisten Verteidiger auch von ihren diesbezüglichen Rechten keinen Gebrauch machen, liegt in erster Linie an ihrer geringen persönlichen Eignung für die Vornahme kriminalistischer Untersuchungen sowie an der fehlenden technischen Ausrüstung. Außerdem sind nur die wenigsten Mandanten finanziell in der Lage, die Kosten privater Ermittlungen zu tragen. Nur wer weniger als 9.500 Euro pro Jahr verdient, erhält einen Pflichtverteidiger, der aus der Staatskasse bezahlt wird; die meisten Beschuldigten müssten also für die Kosten privater Ermittlungsmaßnahmen selbst aufkommen.

IV. Pflicht des Strafverteidigers zur Offenlegung von Ermittlungsergebnissen

Der Strafverteidiger ist nicht verpflichtet, die Ergebnisse seiner privaten Ermittlungen den Strafverfolgungsbehörden offen zu legen. Es kann jedoch vorkommen, dass der Strafverteidiger dem Ermittlungsrichter seine privaten Ermittlungsakten freiwillig übermittelt, damit dieser sie bei zukünftigen Entscheidungen verwerten kann. Der Ermittlungsrichter ist dann verpflichtet, diese Akten in einem „Aktenbündel“ zu sammeln und in seinem Büro aufzubewahren54. Hinsichtlich dieser Akten hat die Staatsanwaltschaft ein Einsichtsrecht. ___________ 50

Art. 391bis Abs. 10. Art. 391bis Abs. 11. 52 Art. 391quater Abs. 3. 53 Gesetz vom 7. 12.2000, Nr. 397. 54 Art. 391octies Abs. 3. 51

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Sie darf sie prüfen und kopieren, bevor der Ermittlungsrichter eine Entscheidung auf Antrag des Beschuldigten oder von dessen Verteidiger trifft55.

V. Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte des Verteidigers im Ermittlungsverfahren

Nur die staatsanwaltlichen Zeugenvernehmungen (einschließlich die Vernehmungen eines Mitangeklagten) sowie die staatsanwaltlichen Gutachten sollen in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt werden. An Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Beschuldigtenvernehmungen und Gegenüberstellungen, an denen der Beschuldigte mitwirken muss, darf hingegen der Verteidiger wenn möglich (d.h. wenn er sich in der Nähe befindet) teilnehmen (siehe oben). Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist der Verteidiger sogar zur Teilnahme verpflichtet. Soweit der Verteidiger zur Teilnahme an einer Ermittlungshandlung berechtigt ist, ist er fast nur passiver Zuschauer. Bei der Beschuldigtenvernehmung darf er den Beschuldigten selbst nicht befragen und auch nicht durch Bemerkungen oder Gesten zustimmend oder missbilligend auf den Mandanten einwirken; ihm steht jedoch das Recht zu, Anträge an die Staatsanwaltschaft zu richten. Diese Anträge sowie alle von der Verteidigung geäußerten Bemerkungen und Vorbehalte sind zu protokollieren56. Bei einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am Tatort oder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Tat darf die Polizei den Beschuldigten auch in Abwesenheit des Verteidigers vernehmen57. Die auf diese Weise erlangten Ergebnisse dürfen aber weder protokolliert noch in der Hauptverhandlung verwertet werden; sie dienen ausschließlich der unmittelbaren Fortsetzung der polizeilichen Ermittlungen58. Auch der Staatsanwalt kann den Beschuldigten ausnahmsweise ohne vorherige Mitteilung an den Verteidiger vernehmen, wenn durch die eintretende Verzögerung die Ermittlung oder Sicherung von Beweisen beeinträchtigt werden könnte59. Von Handlungen im Ermittlungsverfahren des Staatsanwalts zu unterscheiden sind Beweiserhebungen im Beweissicherungsverfahren60. Dieses Verfahren ___________ 55

Der Ermittlungsrichter entscheidet stets auf Antrag der Parteien, niemals von Amts wegen. 56 Art. 364 Abs. 7. 57 Art. 350 Abs. 5. 58 Art. 350 Abs. 6. 59 Art. 364 Abs. 5. 60 Art. 392 ff.

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wird auf Antrag einer Partei durchgeführt, wenn abzusehen ist, dass bestimmte Beweise in der Hauptverhandlung nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Es dient dazu, diese Beweise schon während der Ermittlungsphase nach den Regeln des Strengbeweises zu erheben und sie für die Hauptverhandlung zu konservieren. Die Beweise (Vernehmungen von Zeugen oder Mitangeklagten, Gegenüberstellungen, Amtsgutachten) werden in diesem Fall durch den Ermittlungsrichter erhoben, und die Verteidigung hat hier die gleichen Rechte wie sie ihr im Rahmen der Hauptverhandlung zustehen.

VI. Verdeckte Ermittlungen

Wenn die Strafverfolgungsbehörden geheime Ermittlungen – etwa eine Telefonüberwachung – durchführen, so hat die Polizei die Protokolle und Aufzeichnungen der Überwachung unverzüglich der Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Sie werden dann innerhalb von fünf Tagen nach Abschluss der Abhörtätigkeit im Sekretariat der Staatsanwaltschaft hinterlegt und können dort grundsätzlich vom Verteidiger eingesehen werden. Eine Mitteilung an den Beschuldigten darf jedoch unterbleiben, soweit dessen Kenntnis schwerwiegende Nachteile für die staatsanwaltlichen Ermittlungen mit sich brächte. In diesem Fall kann die Offenlegung der Protokolle durch richterlichen Beschluss bis zum Abschluss der Ermittlungen aufgeschoben werden61. Spätestens kurz vor Abschluss der Ermittlungen müssen jedoch alle Ermittlungshandlungen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger offengelegt und einer Überprüfung zugänglich gemacht werden62.

VII. Einfluss des Strafverteidigers auf die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren

Der Verteidiger kann im italienischen Strafverfahren Einfluss auf die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren nehmen. Er kann nicht nur selbst Ermittlungen durchführen, sondern auch bei der Staatsanwaltschaft Anträge auf die Erhebung bestimmter Beweise stellen63. Bezieht sich ein solcher Antrag auf ei-

___________ 61

Art. 268 Abs. 5. Art. 415bis (eingefügt durch Gesetz v. 16.12.1999, Nr. 479). 63 Art. 367. 62

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ne Beschlagnahme und ordnet der Staatsanwalt die beantragte Beschlagnahme nicht an, so trifft der Ermittlungsrichter die endgültige Entscheidung64.

VIII. Mitwirkungsrechte der Verteidigung bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren kann nur vom Ermittlungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Dabei besteht grundsätzlich kein Mitwirkungsrecht des Beschuldigten oder seines Verteidigers. Hat sich der Beschuldigte im Laufe des Ermittlungsverfahrens in Untersuchungshaft befunden, so wird er von der Einstellung benachrichtigt65. Stimmt der Ermittlungsrichter oder der Verletzte mit dem Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft nicht überein, so beraumt der Ermittlungsrichter eine nichtöffentliche Verhandlung an; daran kann der Verteidiger teilnehmen, er ist dazu aber nicht verpflichtet66.

IX. Das Zwischenverfahren

Im italienischen Strafverfahren wird die Klage grundsätzlich in einem Zwischenverfahren (udienza preliminare) durch einen Richter, der nicht als Ermittlungsrichter in derselben Sache tätig gewesen sein darf67, überprüft. Ein Zwischenverfahren findet jedoch nicht statt, wenn das Verfahren eine Straftat mit einer Mindeststrafe unter vier Jahren Freiheitsstrafe zum Gegenstand hat68 oder wenn die Beweislage eindeutig ist (giudizio immediato); im Schnellverfahren (giudizio direttissimo) wird ebenfalls kein Zwischenverfahren durchgeführt. Der Angeschuldigte – nicht der Verteidiger in eigenem Namen – kann durch schriftliche Erklärung auf die Durchführung des Zwischenverfahrens verzichten69. Dies ist für ihn vor allem dann sinnvoll, wenn er auf einen Freispruch in der Hauptverhandlung hofft; denn zwar kann das Verfahren auch im Zwischen-

___________ 64

Art. 368. Art. 409 Abs. 1 Satz 2. 66 Art. 409 Abs. 2 bis 5 und Art. 410. 67 Art. 34 Abs. 2bis. 68 Dasselbe gilt für weitere in Art. 550 genannte Straftaten. 69 Art. 419 Abs. 5. 65

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verfahren eingestellt werden, diese Entscheidung („non luogo a procedere“) erwächst jedoch nicht in Rechtskraft70. Im Zwischenverfahren werden vor dem Richter die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie etwaiger privater Ermittlungen der Verteidigung erörtert. Hält der Richter die vorgelegten Ermittlungsergebnisse für ungenügend, so kann er entweder zusätzliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft anordnen71 oder selbst die nötigen Beweise erheben72. Ein Beweisantragsrecht im eigentlichen Sinne besteht nicht; die Parteien können aber durch Anregungen auf die Entscheidung des Richters Einfluss nehmen. Am Schluss des Zwischenverfahrens stellt der Richter das Verfahren ein oder beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens (decreto di rinvio a giudizio). Das Zwischenverfahren bietet dem Angeschuldigten nicht nur den Vorteil, dass die Stichhaltigkeit der Anklage überprüft wird, bevor das öffentliche Hauptverfahren beginnt, sondern es eröffnet auch die Möglichkeit, ohne Hauptverhandlung zu einem Schuldspruch und einer geringeren als der eigentlich verwirkten Strafe zu gelangen; dazu dienen die oben erwähnten besonderen Erledigungsformen des giudizio abbreviato (Entscheidung auf der Grundlage des Ermittlungsverfahrens) und des patteggiamento (Schuld- und Strafausspruch nach gemeinsamem Vorschlag der Parteien).

C. Verteidigung und Verfahrensabsprachen I. Verfahrensbeendende Absprachen

Die Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien wie auch das Abgekürzte Verfahren (giudizio abbreviato)73 sind Alternativen zum herkömmlichen Strafverfahren. In beiden Fällen verzichtet der Beschuldigte auf bestimmte Verteidigungsrechte, und im Gegenzug wird seine Strafe gemildert. Die Einführung der beiden Verfahrensarten durch die Prozessreform des Jahres 1988 wurde als Mittel gegen die Überlastung der Strafjustiz verstanden. Da der gewünschte Entlastungseffekt in den ersten Jahren jedoch als unzureichend ___________ 70 Art. 425 (Einstellung des Verfahrens durch Urteil) und Art. 434 (Widerruf des Einstellungsurteils aufgrund neuer Beweismittel). 71 Art. 421bis. 72 Art. 422 Abs. 1. 73 Das „patteggiamento“ ist in Art. 444 bis 448, das „Abgekürzte Verfahren“ in Art. 438 bis 443 geregelt.

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empfunden wurde, wurde der Anwendungsbereich der beiden Verfahrensarten in den Jahren 199974 und 200375 erweitert. In der italienischen Rechtslehre ist über die juristische und rechtspolitische Rechtfertigung der hier behandelten alternativen Erledigungsarten viel diskutiert worden. Die meisten Vertreter des Strafrechts sind erklärte Gegner oder zumindest skeptische Beobachter jeder Art von Absprachen, weil diese die Ziele der Strafjustiz gefährden oder beeinträchtigen könnten76; dagegen neigen die Strafprozessrechtslehrer dazu, die Praxis sowie die gesetzliche Regelung der Absprachen sowohl unter dem Gesichtspunkt der verfahrensbezogenen Grundrechte (etwa des Schweigerechts, der Unschuldsvermutung und des Rechts auf ein faires Verfahren) oder der einschlägigen Verfassungsprinzipien (etwa der richterlichen Unabhängigkeit und des Legalitätsprinzips) als auch durch pragmatische Gründe (Entlastung der Strafjustiz) zu rechtfertigen77. Die Rechtsprechung hat das System der konsensualen Justiz grundsätzlich akzeptiert. In einem grundlegenden Urteil aus dem Jahre 1990 hat das Verfassungsgericht die Grundlinien der Absprachenregelung verteidigt und ihre Verfassungsmäßigkeit festgestellt78. Seit einer Änderung im Jahre 2000 sieht die italienische Verfassung die Zustimmung des Angeklagten sogar ausdrücklich als Grund für einen Verzicht auf ein streitiges Verfahren und damit für eine Erledigung des Strafverfahrens ohne Hauptverhandlung vor79. Verschiedene Einzelnormen der abgekürzten Verfahrensarten wurden jedoch als verfassungsrechtlich bedenklich beanstandet. Das italienische Verfassungsgericht hat diese Regelungen teils selbst abgeändert, teils den Gesetzgeber zu Änderungen veranlasst80.

___________ 74

Gesetz v. 16.12.1999, Nr. 479 (giudizio abbreviato). Gesetz v. 12.6.2003, Nr. 134 (patteggiamento). 76 Siehe etwa Bricola, Riforma, 1997, S. 1666; Dolcini, Equità, 1994, S. 7 ff.; Ferrajoli, Diritto, 1989, S. 777 ff.; Padovani, Rivista italiana di diritto e procedura penale 1989, 916. 77 Beispielhaft Lozzi, Rivista italiana di diritto e procedura penale 2002, 1159, der versucht, die Bedingungen einer verfassungskonformen Regelung der Absprachen zu entwickeln. 78 Corte Costituzionale Nr. 313/1990. 79 Art. 111 Abs. 5 it. Verfassung, eingeführt durch Verfassungsgesetz vom 23.11.1999, Nr. 2 . 80 Das galt insbesondere für das Abgekürzte Verfahren (Art. 438 bis 443). Anfang der 1990er Jahre hatte eine Reihe von Urteilen des italienischen Verfassungsgerichtshofs diese Verfahrensart praktisch außer Kraft gesetzt. Das Gesetz vom 16.12.1999, Nr. 479, hat das Abgekürzte Verfahren daraufhin tiefgreifend verändert. 75

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Renzo Orlandi II. Gegenstand möglicher Absprachen

Im italienischen Strafprozess gibt es zwei Kategorien von verfahrensbeendenden Absprachen, nämlich die Einigung der Parteien über das Verfahrensergebnis und das Einverständnis des Beschuldigten mit einer Erledigung ohne Hauptverhandlung. Zur ersten Kategorie gehören die Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien (patteggiamento) und das Strafbefehlsverfahren. Zur zweiten Kategorie gehört das Abgekürzte Verfahren, das allerdings heute kein eigentlicher Fall einer Absprache mehr ist, sondern auf einer einseitigen Entscheidung des Beschuldigten beruht. In den Fällen der ersten Kategorie ist der Richter nicht an die Vorschläge der Parteien gebunden: Er kann die gemeinsamen Anträge der Parteien ablehnen, wenn er die vorgeschlagene Strafe für unangemessen oder unter rechtlichen Gesichtspunkten für fehlerhaft hält. Der Richter ist außerdem verpflichtet, die Ermittlungsakten zu überprüfen und den Beschuldigten freizusprechen, wenn ein Freispruch nach dem Stand der Ermittlungen begründet ist. Im abgekürzten Verfahren ist der Richter dagegen praktisch verpflichtet, einem Antrag des Beschuldigten auf Aburteilung nach Lage der Akten zu entsprechen und zudem im Falle einer Verurteilung die vorgeschriebene Strafmilderung – ein Drittel der verwirkten Strafe – vorzunehmen. Nur wenn der Beschuldigte das abgekürzte Verfahren unter der Bedingung weiterer Beweiserhebungen beantragt, kann der Richter seinen Antrag ablehnen und damit die Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptverhandlung bewirken81.

III. Verfahrensablauf bei Absprachen

Was den Verfahrensablauf angeht, muss man zwischen der Verhängung der Strafe auf Antrag der Parteien und dem Abgekürzten Verfahren unterscheiden. Das patteggiamento findet in einer nichtöffentlichen Sitzung meistens im Rahmen des Zwischenverfahrens statt82. Eine der Parteien erläutert kurz ihren Antrag und die andere erteilt ihre Zustimmung83. Der Richter übt hier aus___________ 81

Art. 438 Abs. 5. Die einvernehmliche Verhängung der Strafe kann zwar auch im Laufe des Ermittlungsverfahrens beantragt werden (vgl. Art. 447). Fast immer wird der Antrag jedoch erst nach Abschluss der Ermittlungen im Zwischenverfahren gestellt. 83 Sowohl der Angeklagte als auch der Staatsanwalt können ein bestimmtes Strafmaß beantragen. Ein solcher Antrag hat nur dann Erfolg, wenn ihm die andere Partei zustimmt. 82

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schließlich eine Kontrollfunktion aus; er darf nicht an den Verhandlungen der Parteien über das Strafmaß teilnehmen. Auch das Abgekürzte Verfahren findet in einer nichtöffentlichen84 Sitzung im Rahmen des Zwischenverfahrens statt. Anders als beim patteggiamento können hier aber Beweise sowohl auf Antrag der Parteien als auch durch den Richter von Amts wegen erhoben werden85. Zeugen oder Sachverständige werden vom Richter und nicht von der Verteidigung oder der Staatsanwaltschaft vernommen86. Ergibt sich nach der Beweisaufnahme eine Veränderung in der Beurteilung der Tat, so kann der Angeklagte die Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptverhandlung beantragen. In diesem Fall hebt der Richter die Anordnung des Abgekürzten Verfahrens auf87. Die Verhandlung im Abgekürzten Verfahren endet mit den Schlussvorträgen der Parteien. Für das Urteil gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“88. Im Falle eines patteggiamento gilt dieser Grundsatz dagegen nicht. Zu einem Freispruch kann und muss der Richter dort nur kommen, wenn die Unschuld des Beschuldigten zweifelsfrei bewiesen ist oder, häufiger, wenn die Anklage ganz offensichtlich unzureichend ist. In Zweifelsfällen muss der Richter also die beantragte Strafe verhängen, falls die Tat zutreffend unter das Gesetz subsumiert wurde und die vorgeschlagene Strafe angemessen ist.

IV. Beteiligung des Beschuldigten an den Abspracheverhandlungen

In der Praxis finden die Verhandlungen zwischen Verteidiger und Staatsanwalt statt. Da aber die Wahl jeder der alternativen Erledigungsarten theoretisch als persönliches Recht des Beschuldigten begriffen wird, darf der Verteidiger die Durchführung eines patteggiamento oder eines „Abgekürzten Verfahrens“ nicht ohne eine besondere Vollmacht seines Mandanten beantragen. In der Rechtswirklichkeit hängt die Entscheidung des Beschuldigten jedoch fast immer von der taktischen Beratung durch den Verteidiger ab. Er muss den Mandanten über die Zweckmäßigkeit einer Erledigung ohne Hauptverhandlung eingehend informieren; dessen Entscheidung dürfte aber letztlich eher von der Überzeu___________ 84

Es sei denn, der Angeklagte hat die Öffentlichkeit der Verhandlung ausdrücklich beantragt (Art. 441 Abs. 1). 85 Art. 438 Abs. 5 und Art. 441 Abs. 5. 86 Art. 441 Abs. 6. 87 Art. 441bis Abs. 4. 88 Art. 442 Abs. 1.

252

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gungskraft des Verteidigers abhängen als von einem selbständigen Willensentschluss. Zu der Frage, welche Beschuldigten besonders bereit zu Absprachen sind, fehlen offizielle Angaben. Natürlich werden das patteggiamento sowie das Abgekürzte Verfahren oft empfohlen, wenn die belastenden Beweise unangreifbar erscheinen. Auch die Absicht, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung zu vermeiden, ist ein starker Anreiz für die Einwilligung in eine alternative Erledigungsform. Insbesondere bekannte Persönlichkeiten, wie etwa Unternehmer, Schauspieler oder Ärzte, bevorzugen eine solche Verfahrenserledigung selbst dann, wenn die Beweislage nicht zweifelsfrei ist; für sie kann der öffentliche Prozess schlimmer als die Strafe wirken, insbesondere wenn diese zur Bewährung ausgesetzt wird.

V. Scheitern von Abspracheverhandlungen

Das Scheitern von Abspracheverhandlungen führt zur Durchführung einer Hauptverhandlung. Der Richter, der die beantragte Absprache abgelehnt hat, darf am weiteren Verfahren nicht teilnehmen89. Das Urteil in der Hauptverhandlung spricht demnach ein anderer Richter. Die Tatsache, dass der Angeklagte ein patteggiamento beantragt hatte, darf im Hauptverfahren nicht (etwa als Geständnis) verwertet werden. Nach der italienischen Strafprozessordnung ist es nicht denkbar, dass der Staatsanwalt „die Absprache nicht einhält“. Bei der Einleitung des Abgekürzten Verfahrens spielt die Staatsanwaltschaft seit der Reform von 1999 keine Rolle mehr, und beim patteggiamento darf sie ihre Erklärung (Stellung des Antrags oder Zustimmung zum Antrag des Beschuldigten) nachträglich weder widerrufen noch abändern. Auch der Richter hat beim patteggiamento nur die Wahl, die von den Parteien vorgeschlagene Strafe zu verhängen oder deren Vorschlag aus rechtlichen Gründen zu verwerfen. Verhängt er eine andere Strafe als die vorgeschlagene, so kann seine Entscheidung mit der Kassation angegriffen werden.

___________ 89

Art. 34 Abs. 2.

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VI. Die Rechtswirklichkeit der Absprachenpraxis

Leider stehen bezüglich der Rechtswirklichkeit der Absprachen im Strafverfahren keine ausführlichen empirischen oder statistischen Angaben zur Verfügung. Nach allgemeinen Angaben des Generalstaatsanwalts beim Kassationsgericht betrug der Prozentsatz aller „alternativen Erledigungsarten“ (d.h. patteggiamento, Abgekürztes Verfahren und Strafbefehlsverfahren) im Zeitraum vom 1. Juli 2002 bis 30. Juni 2003 etwa 28% der insgesamt erhobenen Anklagen90. Die Zahl der Abgekürzten Verfahren hat etwas zugenommen (+ 6,7% im Vergleich zum vorigen Zeitraum), während die Zahl der durchgeführten patteggiamentoVerfahren etwas abgenommen hat (- 7,7%). Der Anteil der Strafbefehlsverfahren ist fast unverändert geblieben. Die Praxis variiert zwischen den einzelnen Gerichtsbezirken. Es ist z.B. bekannt, dass in Süditalien (besonders in der Campania) wegen der höheren Anzahl schwerer Delikte die Staatsanwaltschaft eher geneigt ist, auf einen Antrag des Beschuldigten auf ein patteggiamento einzugehen.

VII. Die Interessenlage bei Absprachen

Den ersten Schritt in Richtung auf eine Absprache macht fast immer der Verteidiger. Die Zustimmung des Staatsanwalts zur Durchführung des beantragten patteggiamento wird von der Verteidigung als „Geschenk“ empfunden. In finanzieller Hinsicht sind Absprachen für den Verteidiger nicht besonders lohnend. Nach der geltenden Gebührentabelle91 kann der Verteidiger für die Teilnahme an einer nichtöffentlichen Sitzung im Rahmen der Vorverhandlung 60 bis 90 € fordern, während ihm für sein Auftreten in einer Hauptverhandlung vor einem Kollegialgericht 100 bis 375 € zustehen. Wenn man bedenkt, dass das patteggiamento in einer einzigen Sitzung erledigt wird, ist offensichtlich, dass der Verteidiger kein finanzielles Interesse an einer derartigen Erledigung des Strafverfahrens hat. Andere, eher praktische Gründe lassen eine schnelle Erledigung der Strafsache hingegen günstig erscheinen: Wenn der Mandant zwar zuviel verdient, um einen Pflichtverteidiger auf Kosten des Staates zu bekommen, seine finanziellen Mittel aber auch nicht ausreichen, um die Verteidigung ___________ 90 Bericht des Generalstaatsanwalts beim Kassationsgericht über die Lage der italienischen Justiz in den Jahren 2002/2003 (Rom, Januar 2004). Zu finden unter http://www.giustizia.it/uffici/inaug_ag/cass2004index.htm. 91 Dekret des Justizministers vom 8.4.2004.

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in einer langen und kostenintensiven Hauptverhandlung bezahlen zu können, ist für den Verteidiger die schnelle Erledigung der Strafsache von Vorteil, da so seine Bezahlung gesichert ist.

VIII. Die Rolle des Verteidigers bei verfahrensbeendenden Absprachen

In Italien wird der Verteidiger eher als Freiberufler denn als „Organ der Rechtspflege“ begriffen. Deshalb werden Absprachen mit dem Staatsanwalt nicht als unvereinbar mit der Rolle des Strafverteidigers wahrgenommen. Die Zulässigkeit von Absprachen hängt natürlich von den näheren Umständen ab: So empfahlen z.B. in der Zeit der „sauberen Hände“ (1992-1994) mehrere Rechtsanwälte, die eine „intime Beziehung“ zur Staatsanwaltschaft hatten, ihren Mandanten, mit der Justizbehörde zusammenzuarbeiten. Damals kam es oft auch zu informellen Absprachen; dies führte zu heftigen Spannungen zwischen den Strafverteidigern der zur Kooperation mit der Justizbehörde bereiten Beschuldigten und den Strafverteidigern anderer Mitbeschuldigter. Abgesehen von solchen einmaligen Situationen trifft der Verteidiger weder mit dem Staatsanwalt noch mit dem Richter informelle Absprachen. Im Rahmen von Abspracheverhandlungen darf er nur formell und aufgrund einer ausdrücklichen Bevollmächtigung seines Mandanten handeln. Neue Probleme für die Rolle des Verteidigers sind nach der jüngsten (2003) Erweiterung des Anwendungsbereichs des patteggiamento aufgetreten. Die Rechtsanwälte fürchten, dass diese Erweiterung negative Auswirkungen auf ihr ohnehin schon schwieriges Verhältnis zur Staatsanwaltschaft haben wird. Die Möglichkeit, auch bei schweren Straftaten mit einer Straferwartung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (!) Absprachen zu treffen, gefährde die Transparenz der Strafjustiz und störe die Beziehungen der Prozessparteien92. Bisher wurden keine Richtlinien für Absprachen im Strafverfahren verabschiedet, es gelten daher die allgemeinen Vorschriften der anwaltlichen Standesordnung. Die Rechtsanwälte fordern – bisher erfolglos – Richtlinien für Richter und Staatsanwälte, um deren Verhalten bei Absprachen vorhersehbarer zu gestalten93. Der Rechtsanwalt ist dazu verpflichtet, seinen Mandanten über die Verteidigungsmöglichkeiten in für diesen verständlicher Sprache zu informieren. Er muss außerdem die voraussichtliche Dauer sowie die zu erwartenden ___________ 92 93

Bovio in: Peroni, Patteggiamento, 2004, S. 211 ff. Bovio in: Peroni, Patteggiamento, 2004, S. 214.

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Kosten der in Frage kommenden Verfahrensvarianten erläutern94. Dies gilt auch für die Absprachen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant wird durch die Durchführung eines patteggiamento oder eines abgekürzten Verfahrens nicht erschüttert. Ein abgesprochenes oder ein „abgekürztes“ Urteil kann für den Beschuldigten durchaus ein „gutes Geschäft“ sein. Die Nötigung des Mandanten zu einer Absprache ist kein eigener Tatbestand des Disziplinarrechts der Anwälte, kann aber dennoch – wie jede Verletzung einer Berufspflicht – zu berufsrechtlichen Sanktionen führen. Entsprechende Fälle aus der Praxis sind freilich nicht bekannt.

IX. Verfahrensbeendende Absprachen in Verfahren mit mehreren Beschuldigten

Beantragt im Verfahren gegen mehrere Beschuldigte nur einer ein patteggiamento oder das Abgekürzte Verfahren, so wird das Verfahren gegen die anderen abgetrennt und als Normalverfahren weitergeführt. In der Praxis treten vor allem dann schwierige Probleme auf, wenn von mehreren Mittätern nur einer eine Absprache durchführt. Hier kann es zu eklatanten Unterschieden in der Strafzumessung kommen, etwa derart, dass einer der Mittäter eine um ein Drittel geringere Strafe als die übrigen erhält. Das widerspricht deutlich dem Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung und gefährdet den mit der Durchführung des Strafverfahrens angestrebten Rechtsfrieden.

D. Opfer- und Zeugenschutz vs. Verteidigungsinteressen I. Verhältnis zwischen Verteidiger und Deliktsopfer

Rechtliche Verhaltensregeln über das Verhalten des Verteidigers gegenüber dem Verletzten existieren nicht. Für die Ermittlungen eines Opferanwalts gelten die gleichen Regeln wie für den Verteidiger95. Der Rechtsanwalt kann im Interesse des Opfers unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Verteidiger Aussagepersonen befragen, mit Genehmigung des Ermittlungsrichters Wohnungen durchsuchen und Einsicht in Verwaltungsakten nehmen.

___________ 94

Art. 40 Codice deontologico forense. Die oben (A.IV.) erwähnten Art. 391bis ff. gelten auch für den Rechtsbeistand eines Opfers. 95

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Der Verteidiger darf dem Verletzten Wiedergutmachungsleistungen anbieten. Abgesehen von den Verfahren vor dem Friedensrichter und vor dem Jugendgericht wirkt eine Wiedergutmachungsleistung jedoch nur als Strafmilderungsgrund; sie kann nicht die Verfahrenseinstellung begründen96. Im Strafprozess vor dem Friedensrichter kann auch der Opferanwalt einen TäterOpfer-Ausgleich initiieren. Der (ehrenamtliche) Friedensrichter ist für Bagatellsachen zuständig, die höchstens mit Geldbuße oder Hausarrest bis zu 45 Tagen zu bestrafen sind97. Er kann den Beschuldigten vor der Hauptverhandlung freisprechen, wenn dieser sich bereit erklärt, das Opfer zu entschädigen und die Folgen der Tat zu beseitigen98. Darüber hinaus spielt der Opferanwalt im Jugendstrafverfahren eine wichtige Rolle.

II. Auswirkungen des Zeugenschutzes auf die Rechte der Verteidigung

Der Zeugenschutz stellt in Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität ein großes Problem dar. Für diese Fälle besteht ein Zeugenschutzprogramm nach amerikanischem Vorbild (Marshals Service)99. Zeugen und Mitangeklagte, die in ein solches Programm aufgenommen worden sind, werden nicht im Gerichtssaal, sondern an einem anderen Ort vernommen100. Ihre Aussage wird über eine Bild-/Tonverbindung in den Gerichtssaal übertragen. Gegebenenfalls wird ihr Gesicht verborgen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung wurde bisher nicht in Zweifel gezogen. Nach herrschender Meinung vermindert eine Fernvernehmung die Ver___________ 96

Art. 62 Nr. 6. Siehe Art. 4, 52 Gesetzesverordnung vom 28.8.2000, Nr. 274, über die sachliche Zuständigkeit des Friedensrichters. 98 Art. 35 Gesetzesverordnung v. 28.8.2000, Nr. 274. 99 Der Kronzeuge soll zuerst eine Vereinbarung unterschreiben, womit er sich verpflichtet, a) die Sicherheitsmaßnahmen des Schutzprogramms zu beachten, b) sich an jeder nötigen Ermittlungshandlung zu beteiligen, c) alle Fragen der Justizbehörde zu beantworten, d) den Inhalt seiner Aussagen gegenüber Dritten geheim zu halten, e) nur mit Genehmigung der Justizbehörde mit Anderen (insbesondere mit Mitangeklagten) Kontakt aufzunehmen, f) seine Vermögensverhältnisse eingehend darzulegen. Die Aufnahme in das Schutzprogramm wird von der Staatsanwaltschaft bei einem vom Innenminister eingesetzten Zentralausschuss (Commissione centrale per la definizione e applicazione dei programmi di protezione) beantragt. Das Schutzprogramm wird dann von einem Schutzdienst (Servizio centrale di protezione) durchgeführt. Diese Regeln sind in Art. 9 bis 16sexies des Gesetzesdekrets v. 15.1.1991, Nr. 8, und in der Gesetzesverordnung v. 29.3.1993, Nr. 119, enthalten. 100 Art. 147bis Durchführungsbestimmungen zum Codice di Procedura Penale. 97

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teidigungsrechte des Angeklagten nicht, da die Aussageperson nicht anonym, sondern unter ihrer wahren Identität (allerdings eventuell nicht unter ihrer früheren Identität) befragt wird101. Der Verteidiger kann also direkt, wenn auch nur mit Hilfe einer audiovisuellen Verbindung, Fragen stellen, so dass nach h.M. das Konfrontationsrecht nicht verletzt wird. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die Möglichkeiten der Verteidigung im Gegensatz zu denen der Staatsanwaltschaft erheblich eingeschränkt sind, wenn sich ein Zeuge in einem Zeugenschutzprogramm befindet oder seine Identität sonst geheim gehalten bleibt. Die in einem Schutzprogramm oft unter einer Legende aufgenommene Aussageperson (Zeuge oder Mitangeklagter) wird normalerweise von der Innenbehörde überwacht. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens steht sie für einen bestimmten Zeitraum102 zur Verfügung des Staatsanwalts. Der Verteidiger hat hingegen praktisch keine Chance, einen solchen Zeugen während der Ermittlungen zu befragen.

E. Berufsrechtliche Regelungen I. Gesetzliche Regelungen von Rechten und Pflichten des Strafverteidigers

Im italienischen Recht existieren zwei Regelwerke, die die Rechte und Pflichten des Strafverteidigers betreffen. Das erste ist die anwaltliche Berufsordnung (Codice deontologico forense): Vom Nationalrat der Rechtsanwälte (Consiglio nazionale forense) im Jahre 1997 verabschiedet, betrifft sie die allgemeinen Pflichten der Anwälte (Art. 1–21), die beruflichen Beziehungen unter Rechtsanwälten (Art. 22–34), das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten (Art. 35–47) sowie das Verhältnis zur Gegenpartei, zu Richtern, zu Staatsanwälten und zu Dritten (Art. 48–59). Die zweite Regelung, die „Verhaltensregeln für die privaten Ermittlungen des Strafverteidigers“ (Regole di comportamento del penalista nelle investigazioni difensive), betrifft ausschließlich Strafverteidiger. Diese Regelung wurde im Jahre 2001 von der Unione delle Camere penali, einem bedeutenden freiwilligen Verein der Rechtsanwälte, verabschiedet. Die „Verhaltensregeln“ enthalten eingehende Empfehlungen für die Ermittlungstätigkeit des Strafverteidigers. ___________ 101 Dies gilt auch dann, wenn sich der Zeuge unter einer Legende in einem Schutzprogramm befindet. 102 Ein in das Schutzprogramm aufgenommener Kronzeuge soll dem Staatsanwalt innerhalb von sechs Monaten ab dem Anfang seiner Mitwirkung alle Informationen übermitteln. Die nach dieser Frist gemachten Aussagen sind gegenüber Dritten unverwertbar (Art. 16quater Abs. 9 Gesetzesverordnung v. 29.3.1993, Nr. 119).

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Die Suche nach Aussagepersonen und deren Vernehmung, das Betreten von Wohnungen und privaten Räumen, das Verhältnis zum Beschuldigten im Laufe der privaten Ermittlungen sind hier im Einklang mit den gesetzlichen Regelungen (Art. 391bis ff.) ausführlich beschrieben. Dieser Text hat jedoch nur begrenzte rechtliche Wirkung, da er von einer privaten Vereinigung stammt. Er hat also eher ethischen Wert und bindet insbesondere die etwa 9000 Mitglieder der Unione. Konflikte zwischen der Unabhängigkeit des Anwalts und seiner Verpflichtung als Verteidiger, sich in vollem Umfang für seinen Mandanten einzusetzen, gab es insbesondere in den Zeiten des politischen Terrorismus in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Heute werden solche Konflikte weder in der Praxis noch in der Literatur diskutiert.

II. Berufsrechtliche Pflichtverletzungen von Strafverteidigern und damit zusammenhängende Disziplinarverfahren

Die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts werden in der anwaltlichen Berufsordnung in Generalklauseln beschrieben. Hier gilt der Bestimmtheitsgrundsatz nicht. Nur selten werden daher bestimmte Pflichtverletzungen ausdrücklich als standesrechtlich sanktionierbar erwähnt. Die anwaltliche Berufsordnung wurde im Jahre 1997 verabschiedet und danach zweimal (1999 und 2002) geändert. Eine weitere Reform ist bisher nicht geplant. In der jüngsten Rechtsprechung des anwaltlichen Nationalrates wurden insbesondere folgende Verhaltensweisen als pflichtwidrig eingestuft: Interessenkollisionen in der Verteidigung (z.B. Verteidigung des Gegners eines ehemaligen Mandanten im selben Verfahren oder Verteidigung eines Mandanten, während der Gegner von einem Kollegen derselben Anwaltskanzlei vertreten wird); unterlassene oder falsche Information des Mandanten über den Verlauf des Verfahrens; Einbehalten von Geldern, die der Verteidiger im Auftrag seines Mandanten bekommen hat; Erwerb von Mandaten durch rechtswidrige Werbung (etwa Telefongespräche mit den Verwandten eines Beschuldigten oder Verteilung von Visitenkarten zu diesem Zweck). Auch privates Verhalten, wie z.B. schamlose oder aggressive Ausdrucksweise, wurde disziplinarisch bestraft. Die vom anwaltlichen Nationalrat für die Jahre 1998-2003 vorgelegten Statistiken enthalten Angaben über die Anzahl der Disziplinarverfahren und die Art der verhängten Sanktionen.

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In der folgenden Tabelle ist die Anzahl der vor dem anwaltlichen Nationalrat anhängigen Disziplinarverfahren am Ende des jeweiligen Jahres dargestellt:

Jahr

1998

1999

2000

2001

2002

2003

Anhängige Disziplinarverfahren am Ende des Jahres

477

448

427

333

317

206

Was die verhängten Sanktionen angeht, so ergibt sich im betrachteten Zeitraum Folgendes:

Art der Sanktionen

1998

1999

2000

2001

2002

2003

Ermahnungen

11

33

51

48

47

24

Dienststrafen

15

35

55

48

59

69

Befristete Aussetzungen der Anwaltszulassung Löschen des Namens aus dem Anwaltsregister Streichungen aus dem Anwaltsregister

70

103

97

90

75

50

17

10

8

12

14

16

15

6

11

10

9

10

III. Berufsrechtliche Kontrolle von Strafverteidigern

Die Möglichkeiten berufsrechtlicher Kontrolle werden weniger im Hinblick auf das Verhalten von Verteidigern als vielmehr im Hinblick auf Richter und Staatsanwälte diskutiert. Oft wurde vor allem von Vertretern der konservativen politischen Parteien die Meinung vertreten, dass eine disziplinarische Verantwortlichkeit von Richtern und Staatsanwälten wegen der angeblichen Milde der sie beaufsichtigenden Disziplinarbehörde (Consiglio Nazionale Forense) praktisch nicht existent sei. Deshalb wurde von der Regierung Berlusconi eine – von Richtern, Staatsanwälten sowie der politischen Opposition heftig kritisierte – Gesetzgebungsinitiative ergriffen, um diese Art des Disziplinarverfahrens tiefgreifend zu verändern. Nie wurde jedoch die Notwendigkeit einer Reform des anwaltlichen Standesrechts erwähnt, obwohl auch die anwaltliche Disziplinarbehörde ihre Befugnisse nicht mit besonderer Strenge ausübt.

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Renzo Orlandi

F. Praktische Fälle Welche rechtlichen oder informellen Reaktionen hätte ein Anwalt (A) zu gewärtigen, der als Verteidiger eines Mannes (M), dem ein Sexualdelikt vorgeworfen wird, sich folgendermaßen verhält: Fall 1: A unterlässt es, vorhandene Entlastungszeugen dem Gericht zu benennen sowie die Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. M wird verurteilt und erst später aufgrund der Initiative eines neuen Verteidigers nach Aufhebung des ersten Urteils aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

In diesen Fällen kann der Verteidiger standesrechtlich vor der örtlich zuständigen Behörde (Consiglio dell’ordine degli avvocati) und später in einer Art Berufungsinstanz vor dem anwaltlichen Nationalrat (Consiglio nazionale forense) zur Verantwortung gezogen werden. Solche Verhaltensweisen stellen klare Beispiele der Nichterfüllung des anwaltlichen Mandatsvertrags dar103. Er kann auch zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagt werden. Er haftet insoweit aber nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit104. Im Falle einer ungerechtfertigten Unterlassung von Verteidigungshandlungen wäre eine solche Pflichtverletzung vor dem Zivilrichter leicht zu beweisen. Die genannten Verhaltensweisen wären hingegen strafrechtlich nicht relevant, es sei denn, die unterlassene Prozesshandlung stellt sich als Teil einer strafrechtlich relevanten Handlung – etwa einer Anschuldigung – dar. Fall 2: A zahlt der verletzten Frau im Auftrag des M eine sehr hohe Geldsumme und erreicht dadurch, dass die Frau vor Gericht wahrheitswidrig aussagt, sie sei mit den Handlungen, die M an ihr vorgenommen hat, einverstanden gewesen. Ob A wusste, dass diese Aussage der Frau nicht der Wahrheit entsprach, lässt sich nicht aufklären.

Ein solches Verhalten wäre sicher standesrechtlich sanktionierbar, obwohl es in der anwaltlichen Berufsordnung nicht ausdrücklich als Pflichtverletzung vorgesehen ist. Der Verteidiger würde hingegen nicht zivilrechtlich haften, weil es in diesem Fall keinen Geschädigten gibt, der einen Schadensersatzanspruch geltend machen könnte. Das Verhalten wäre wahrscheinlich auch nicht strafbar. Zwar ist nach Art. 377 it. StGB (Bestechung von Aussagepersonen) die Hingabe von Geldern zur Erreichung falscher Aussagen vor dem Richter strafbar, selbst wenn die bestochene Person im Prozess trotzdem wahrheitsgemäß aussagen sollte. Die hier angenommene Handlung wäre jedoch nur strafbar, wenn A ___________ 103 104

Art. 38 Codice deontologico forense. Art. 2236 it. BGB (Codice civile).

Landesbericht Italien

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als Verteidiger den Zeugen mit Vorsatz (im weiten Sinne) zur falschen Aussage angestiftet hätte. Fall 3: Gericht und Staatsanwaltschaft bieten an, dass M zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wird, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegt; andernfalls müsse M mit einer Strafe von 4 Jahren rechnen. M beteuert gegenüber A seine Unschuld. Daraufhin sagt A zu M, falls dieser kein Geständnis ablege, werde A in der Hauptverhandlung durchblicken lassen, dass M bereits früher ähnliche Taten begangen habe. Daraufhin legt M ein Geständnis ab.

Das Verhalten wäre standesrechtlich zu ahnden. Es stellt eine Verletzung der Loyalitätspflicht (Art. 6 anwaltliche Berufsordnung) sowie der Treuepflicht (Art. 7 anwaltliche Berufsordnung) dar. Auch zivilrechtlich könnte der Verteidiger auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden (siehe die Antwort zu Fall 1). Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten ist die geschilderte Handlung unerheblich.

Landesbericht Polen

Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki

A. Stellung und mögliche Rollenkonflikte des Verteidigers I. Rechtliche Grundlagen

Nach Art. 42 Abs. 2 der Verfassung der Republik Polen hat jedermann, gegen den ein Strafverfahren geführt wird, das Recht auf Verteidigung in allen Abschnitten des Verfahrens. Insbesondere kann er einen Verteidiger wählen oder gemäß den im Gesetz festgelegten Grundsätzen einen Pflichtverteidiger in Anspruch nehmen. Diese Vorschrift gewährleistet vor allem den Anspruch auf Verteidigung im materiellen Sinne, insbesondere das Recht, den Behauptungen der Anklage zu widersprechen. Zugleich („insbesondere“) umfasst die Norm das Recht auf Verteidigung im formellen Sinne (Anspruch auf Beistand des Verteidigers). Der materielle Anspruch auf Verteidigung gilt unbegrenzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Befugnisse des Verteidigers in den verschiedenen Phasen des Verfahrens unbeschränkt wären. Der Beschuldigte kann einen Verteidiger seines Vertrauens wählen. Ein Pflichtverteidiger wird ihm jedoch nur bestellt, wenn bestimmte gesetzlich geregelte Voraussetzungen erfüllt sind. II. Grundsatz der Waffengleichheit

Der Grundsatz der Waffengleichheit ist ein fundamentales Element eines fairen Strafverfahrens, wie es in Art. 45 Abs. 1 der polnischen Verfassung garantiert ist. Nach diesem Grundsatz, der in allen Verfahrensstadien gilt, stehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in etwa die gleichen Rechte zu. Dadurch, dass sowohl die Anklageseite als auch die Verteidigung nur von professionell ausgebildeten Juristen vertreten werden darf, soll die effektive Durchsetzung der Waffengleichheit garantiert werden.

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Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki III. Notwendigkeit eines (bestellten) Verteidigers

In bestimmten Fällen muss der Angeklagte einen Verteidiger haben; andernfalls ist ein absoluter Berufungs- bzw. Kassationsgrund gegeben (Art. 439 § 1 Nr. 10 und Art. 523 § 1 poln. StPO1). In diesen Fällen wird dem Angeklagten, sofern er keinen Wahlverteidiger hat, unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen ein Verteidiger von Amts wegen bestellt (Art. 81 § 1). Die Verteidigung ist notwendig, wenn der Angeklagte minderjährig, taub, stumm oder blind ist, wenn begründete Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit bestehen (Art. 79 § 1), ferner im Verfahren vor dem Landgericht als Gericht des ersten Rechtszuges, wenn dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wird oder er sich in Haft befindet (Art. 80). Das Gericht kann darüber hinaus die Mitwirkung des Verteidigers auch dann als unerlässlich erachten, wenn Umstände vorliegen, welche die Verteidigung erschweren (Art. 79 § 2). Anwaltszwang besteht außerdem für die Einlegung der Berufung gegen Urteile des Landgerichts, für die Kassation und die Wiederaufnahme, ferner für die Einlegung bestimmter besonders komplizierter Beschwerden und bei Subsidiärklage des Verletzten. Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor und wählt der Angeklagte trotzdem keinen Verteidiger, so bestellt ihm das Gericht, auch gegen seinen Willen, von Amts wegen einen Verteidiger. Auf begründeten Antrag des Angeklagten oder seines Pflichtverteidigers kann der Präsident des erkennenden Gerichts (Art. 81 § 2) den bestellten Pflichtverteidiger abberufen und ersetzen. Während der Verhandlung entscheidet in solchen Fällen das Gericht über die Abberufung oder Ersetzung des Pflichtverteidigers (vgl. Art. 378 § 2). Ein Antrag auf Abberufung des bestellten Verteidigers muss in dem Sinne „begründet“ sein, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass der bestellte Verteidiger seinen Pflichten nicht nachkommen kann. Die Beurteilung der Begründetheit des Antrags steht dem Gericht bzw. dem Gerichtspräsidenten zu. In der Praxis wird als Grund für eine Abberufung am häufigsten angegeben, dass sich der Angeklagte und der berufene Verteidiger nicht auf eine Verteidigungsstrategie einigen können. Auch wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht gegeben sind, kann der Angeklagte verlangen, dass ihm von Amts wegen ein Verteidiger bestellt wird, sofern er nachweist, dass er die Kosten der Verteidigung nicht tragen kann, ohne dadurch den notwendigen Unterhalt für sich und seine Familie zu beeinträchtigen (Art. 78 § 1). ___________ 1 Gesetzesangaben ohne nähere Bezeichnung beziehen sich im Folgenden auf die polnische Strafprozessordnung.

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Zur Erlangung von verfahrensrelevanten Informationen ist der Beschuldigte nicht auf die Mitwirkung eines Verteidigers angewiesen.

IV. Der Verteidiger – ein „Organ der Rechtspflege“?

Der Verteidiger wird in Polen nicht als „Organ der Rechtspflege“ verstanden. Daher ist er auch nicht zur Zusammenarbeit mit der Justiz und zur Mitwirkung an der Sachaufklärung verpflichtet, sondern er darf Prozesshandlungen nur zugunsten des Angeklagten vornehmen (Art. 86 § 1). Prozesshandlungen zum Nachteil des Angeklagten sind unwirksam. Die Grenzen der Verteidigertätigkeit im Strafverfahren bestimmt im Übrigen das Gesetz. Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt im Strafverfahren als Verteidiger auftritt, schützt diesen grundsätzlich nicht vor Strafbarkeit. Allerdings genießt der Anwalt nach Art. 8 Abs. 2 Anwaltsordnung Indemnität wegen mündlicher oder schriftlicher Äußerungen vor Gericht. Ausgenommen sind Beleidigungen oder Verleumdungen einer Prozesspartei, eines Prozessbevollmächtigten, Verteidigers, Kurators, Zeugen, Sachverständigen oder Dolmetschers; solche Missbräuche können disziplinarisch geahndet werden.

V. Wahrheitspflicht des Verteidigers

Der Verteidiger ist im Strafverfahren keine Beweisquelle in Bezug auf Tatsachen, die er bei der Erteilung von Rechtsrat oder in seiner Rolle als Verteidiger erfahren hat. Er darf hierüber nicht vernommen werden (Art. 187 Nr. 1), und etwaige Aussagen unterliegen einem zeitlich unbeschränkten absoluten Beweisverwertungsverbot, das auch nach Beendigung der Verteidigertätigkeit fortbesteht. Wird der Verteidiger selbst einer Straftat beschuldigt, so darf er sich gegen unwahre Behauptungen zur Wehr setzen. Nach Meinung der Literatur ist der Rechtsanwalt jedoch auch in diesem Fall zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet und darf die Interessen seines Mandanten selbst in dieser prekären Lage nicht beeinträchtigen. Umstritten ist die Frage, ob der Verteidiger Beweise vorlegen darf, von deren Echtheit er nicht überzeugt ist oder bei denen die Gefahr besteht, dass sie gefälscht sind. Nach herrschender Meinung ist das Gericht für die Würdigung von Beweismitteln zuständig; die Stellung eines Beweisantrags allein kann daher zwar gegen die Berufsethik verstoßen, aber nicht die Strafbarkeit des Rechtsanwalts begründen. Anderes gilt allerdings dann, wenn der Verteidiger

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Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki

zur Entlastung seines Mandanten durch die Fälschung von Beweisen oder durch andere arglistige Handlungen den Verdacht auf eine andere Person lenkt. Dadurch kann sich sowohl der Angeklagte als auch der Verteidiger nach Art. 235 poln. StGB strafbar machen; die falsche Beschuldigung eines Dritten wird auch nicht durch ein „Recht zur Lüge“ im Rahmen der Verteidigung gedeckt.

VI. Informationsweitergabe

Der Verteidiger ist uneingeschränkt dazu berechtigt, seinem Mandanten alle vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Verfahrensgegenstand erlangten Informationen weiterzugeben.

VII. Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant

Das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant ist durch die oben erwähnte Regelung des Art. 187 Nr. 1 geschützt, wonach der Verteidiger im Strafverfahren keine Beweisquelle hinsichtlich von Tatsachen ist, die er bei der Erteilung von Rechtsrat oder als Verteidiger erfahren hat. Auch jeder Rechtsanwalt kann im gleichen Umfang ohne zeitliche Befristung die Aussage über beruflich erlangte Informationen verweigern (Art. 6 Abs. 1 Anwaltsordnung v. 26.5.1982); in Bezug auf Informationen, die er im Rahmen eines Zivilverfahrens oder als Vertreter der Nebenklage erfahren hat, besteht jedoch kein absolutes Beweisverbot, sondern der Anwalt kann zur Aussage verpflichtet werden, wenn dies im Interesse der Rechtspflege unerlässlich ist und der betreffende Umstand nicht durch andere Beweismittel ermittelt werden kann (Art. 180 § 2). Gegen den Beschluss des Gerichts, der den Anwalt zur Aussage verpflichtet, ist die Beschwerde zulässig. Die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei ist zwar grundsätzlich zulässig, aber es bestehen Einschränkungen im Hinblick auf den Schutz des Anwaltsgeheimnisses (Art. 226). Die Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Mandanten gehören und sich bei dem Verteidiger befinden, ist ohne weiteres gestattet, da die Anwaltskanzlei kein „Asyl“ für den Angeklagten selbst oder für belastende Beweismittel darstellt. Allerdings ist der Verteidiger nicht zu deren Herausgabe verpflichtet.

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VIII. Verschwiegenheitspflicht des Verteidigers

Der Bruch der Verschwiegenheitspflicht durch den Anwalt gilt als eines der schwerwiegendsten Disziplinardelikte, für dessen Ahndung das Anwaltsdisziplinargericht zuständig ist; er ist jedoch nicht mit Kriminalstrafe bedroht.

IX. Entwicklung der Verfahrensstrategie

Die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie ist Aufgabe des Verteidigers. Der Angeklagte kann selbstverständlich Wünsche formulieren, an die der Verteidiger aber nicht gebunden ist. Nach Art. 86 § 1 schließt die Mitwirkung des Verteidigers am Verfahren eine persönliche Beteiligung des Angeklagten nicht aus. Verteidiger und Angeklagter verfügen über je eigenständige Positionen, und die von ihnen vorgenommenen Prozesshandlungen sind gleichermaßen wirksam. Allerdings kann der Verteidiger keine Handlungen vornehmen, die aufgrund ihres persönlichen Charakters dem Angeklagten selbst vorbehalten sind, wie insbesondere Erklärungen, Geständnisse oder Anträge auf Aburteilung ohne Hauptverhandlung (Art. 387). Auch kann nur der Angeklagte selbst die Zustimmung zur Verfahrenseinstellung abgeben, wenn der Privatkläger vor Abschluss des Strafverfahrens die Klage zurückgenommen hat (Art. 496 § 1).

X. Strafbarkeit wegen Geldwäsche

Das polnische Recht enthält keine besondere Regelung über die Strafbarkeit des Verteidigers wegen Geldwäsche. Er kommt daher durchaus als Täter dieses Delikts in Frage, wenn er von seinem Mandanten eine Vergütung annimmt und dabei zumindest in Kauf nimmt, dass die finanziellen Mittel aus einer Straftat herrühren (Art. 299 § 1 i. V. m. Art. 9 § 1 poln. StGB). Ob der Verteidiger, sofern er im Rahmen seiner Befugnisse handelt, tatsächlich wegen Geldwäsche bestraft werden kann, ist bisher im polnischen Schrifttum nicht diskutiert worden; dieses Ergebnis wäre im Hinblick auf die anwaltliche Tätigkeit durchaus zweifelhaft. Seit Mai 2004 ist das Anwaltsgeheimnis gemäß Art. 4 Abs. 4 Anwaltsordnung insofern eingeschränkt, als sich die Verschwiegenheitspflicht nicht mehr auf Informationen erstreckt, die unter das „Gesetz über die Bekämpfung des Inverkehrbringens von aus illegalen oder zumindest nicht offen gelegten Quellen kommenden Vermögenswerten sowie über die Bekämpfung der Finanzierung von Terrorismus“ fallen. Die Rechtsanwaltsvereinigung hat gegen diese neue

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Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki

gesetzliche Regelung Verfassungsbeschwerde eingelegt; bisher ist über sie noch nicht entschieden.

B. Verteidigung im Ermittlungsverfahren I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Vorrangige Aufgabe des vorbereitenden Verfahrens ist es, zu ermitteln, ob eine Straftat begangen wurde. Daneben dient das vorbereitende Verfahren auch der Ermittlung und Ergreifung des Täters sowie der Beweisermittlung und -sicherung für das Hauptverfahren (Art. 297 § 1). Wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit kann aber das Beweisverfahren in diesem Stadium die Beweiserhebung im Hauptverfahren nicht ersetzen. Nur in Ausnahmefällen – wenn eine unmittelbare Beweisaufnahme unmöglich ist – kann das Gericht auf die im vorbereitenden Verfahren erhobenen Beweise zurückgreifen. In manchen Fällen kann allerdings das Gericht bereits im vorbereitenden Verfahren Beweise erheben, die dann im Hauptverfahren verwertet werden können. Prinzipiell liefern die im vorbereitenden Verfahren ermittelten Beweismittel keine Grundlage für sanktionierende Entscheidungen. Die Strafverfolgungsorgane dürfen auch keine Sanktionen verhängen. Allerdings besteht die Möglichkeit, das Verfahren auf der Grundlage der im vorbereitenden Verfahren erhobenen Beweise mit einem Gerichtsurteil abzuschließen, wenn dies der Staatsanwalt nach vorheriger Vereinbarung mit dem Angeklagten beantragt hat (Art. 335 und Art. 343). Auch wenn der Angeklagte einen Antrag auf Erlass eines auf eine bestimmte Strafe lautenden Urteils stellt, sind Urteilsgrundlage die vor der Anklageerhebung ermittelten Beweise (Art. 387). Genauso verhält es sich bei dem sog. Strafbefehlsurteil (Art. 500 § 1). Wird allerdings gegen den Strafbefehl Einspruch erhoben (Art. 506 § 1), so wird die Sache dann nach den allgemeinen Grundsätzen, also auch unter Einhaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes entschieden.

II. Das Recht auf einen Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Gemäß Art. 42 Abs. 2 der polnischen Verfassung steht jeder Person, gegen die ein Strafverfahren läuft, das Recht auf Verteidigung zu. Dieses Recht wird im Zeitpunkt der Eröffnung des Tatvorwurfs wirksam; die Eröffnung erfolgt durch Beschluss (Art. 313 § 1) oder, im vereinfachten Verfahren, durch schlichte Information (Art. 325 § 1). Wird ein Verdächtiger schon vor Eröffnung des

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Tatvorwurfs festgenommen, so müssen ihm die Prozessorgane die Möglichkeit einräumen, mit einem Rechtsanwalt in Kontakt zu treten (Art. 245 § 1). Der Angeklagte, dem der Tatvorwurf eröffnet wurde, hat nicht nur Anspruch auf die Wahl eines Verteidigers seines Vertrauens, sondern er kann auch verlangen, dass ihm unter den in Art. 78 § 1 bezeichneten Umständen von Amts wegen ein Verteidiger bestellt wird.

III. Ablauf des Ermittlungsverfahrens

Das vorbereitende Verfahren ist ein einheitliches Verfahren, das primär der Verdachtsklärung und der Beweissicherung für das Hauptverfahren dient. Eine Zweiteilung des Verfahrens in Abschnitte mit unterschiedlichen Geheimhaltungsgraden gibt es in Polen nicht. Volle Akteneinsicht wird allerdings erst unmittelbar vor Abschluss des vorbereitenden Verfahrens gewährt (Art. 321).

IV. Eigene Ermittlungen

Der Verteidiger ist nicht befugt, vor der Gerichtsentscheidung eigene Ermittlungen durchzuführen. Er kann lediglich informelle Informationen über Beweise einholen und die Überprüfung dieser Beweise beantragen. Dabei erhält der Verteidiger keine Unterstützung seitens des Staates. In der Praxis beauftragen die Verteidiger oft privat – auf Kosten ihrer Mandanten – weitere Sachverständige. Für das Gericht stellen deren Gutachten allerdings keine Beweise dar, sondern sie werden als Informationen angesehen, die zu einer Überprüfung von Gutachten der durch die Prozessorgane bestellten Sachverständigen und zur Bestellung weiterer Sachverständiger führen können.

V. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers

Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten ist während des ganzen vorbereitenden Verfahrens eingeschränkt. Nach Art. 156 § 5 bedürfen im vorbereitenden Verfahren die Akteneinsicht sowie die Anfertigung von Abschriften und Ablichtungen der Genehmigung des Organs, das das vorbereitende Verfahren leitet. In der Praxis wird diese Zustimmung in unterschiedlichem Umfang erteilt. Von Bedeutung sind dabei die Art der Straftat (mit äußerster Zurückhaltung wird der Akteneinsicht in Fällen der sog. Organisierten Kriminalität zugestimmt), die Persönlichkeit des Täters (nur selten wird die Akteneinsicht dem braven Bürger verwehrt, der fahrlässig einen Verkehrs-

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unfall verursacht hat) und der Grad der Sicherung von Beweisen in den einzelnen Verfahrensstadien. Im vorbereitenden Verfahren besteht für die Verteidigung nicht die Möglichkeit, die Akten in die Kanzlei mitzunehmen. Volle Akteneinsicht wird erst unmittelbar vor Abschluss des vorbereitenden Verfahrens gewährt (Art. 321). Das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht hat denselben Umfang wie das des Beschuldigten. Wird dem Verteidiger also Akteneinsicht gewährt, so kann er sein Wissen uneingeschränkt an seinen Mandanten weitergeben. VI. Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte des Verteidigers

Das Strafverfahrensrecht garantiert dem Angeklagten und seinem Verteidiger grundsätzlich auf seinen Antrag die Mitwirkung an allen Prozesshandlungen, die im vorbereitenden Verfahren vorgenommen werden. In besonders begründeten Fällen, wenn dies „im Hinblick auf wichtige Belange des Verfahrens tunlich erscheint“, kann das Organ, das das vorbereitende Verfahren leitet, die Teilnahme an einer Handlung jedoch durch Beschluss versagen (Art. 317 §§ 1, 2). Uneingeschränkt teilnehmen kann der Verteidiger an der Vernehmung des Beschuldigten, wenn dieser es beantragt (Art. 301), sowie an allen Beweiserhebungen, die von Seiten der Verteidigung beantragt wurden (Art. 315 § 2 Satz 1). Der Verteidiger ist ferner auch ohne vorherigen Antrag zur Teilnahme an Beweiserhebungen zuzulassen, die in der Hauptverhandlung nicht wiederholt werden können. Von der Zulassung des Verteidigers kann in diesen Fällen jedoch abgesehen werden, wenn die dadurch entstehende Verzögerung die Gefahr des Beweisverlustes begründet (Art. 316 § 1). Ein Beschluss über die Zuziehung eines Sachverständigen wird dem Verteidiger zugestellt, und es wird ihm die Teilnahme an der Vernehmung des Sachverständigen gestattet. Wird das Sachverständigengutachten schriftlich erstellt, so kann der Verteidiger Einsicht in das Gutachten nehmen (Art. 318). Die Teilnahme an Beweiserhebungen umfasst auch das Recht auf aktive Mitwirkung. So kann der Verteidiger beispielsweise Zeugen oder Sachverständigen Fragen stellen. Sofern der Verteidiger keinen rechtlichen Anspruch auf Anwesenheit oder Mitwirkung hat, wird er in der Praxis auch nicht zugelassen. VII. Verdeckte Ermittlungen

Werden von den Strafverfolgungsbehörden verdeckte Ermittlungen – wie z.B. Telefonüberwachung oder der Einsatz eines verdeckten Ermittlers – angeordnet,

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erfahren weder der Verteidiger noch der Beschuldigte davon. Wird ein anonymer Zeuge vernommen, so erfährt der Verteidiger in der Regel nicht dessen wahre Identität.

VIII. Einfluss des Verteidigers auf die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren

Der Verteidiger kann die Vornahme von Beweiserhebungen im vorbereitenden Verfahren ohne weiteres beantragen (Art. 315 § 1). Der beantragte Beweis soll durch das Organ, das das vorbereitende Verfahren leitet, erhoben werden. Der Beweis wird nicht erhoben, wenn die Beweiserhebung unzulässig ist, die Beweistatsache für die Entscheidung der Sache ohne Bedeutung oder bereits erwiesen ist, die Beweisaufnahme undurchführbar ist oder der Beweisantrag offensichtlich auf die Verschleppung des Verfahrens abzielt (Art. 170 § 1 Nr. 1-5). IX. Mitwirkungsrechte des Verteidigers bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Gegen den Beschluss über die Einstellung des vorbereitenden Verfahrens steht dem Verteidiger nach Art. 306 § 1 die Beschwerde zum vorgesetzten Staatsanwalt zu. Gibt dieser der Beschwerde nicht statt, so leitet er sie an das Gericht weiter. X. Zwischenverfahren

Nach Anklageerhebung und vor Eröffnung der Hauptverhandlung prüft der Präsident des Gerichts die Anklageschrift auf das Vorliegen der formellen Voraussetzungen. Falls eine der folgenden Entscheidungen notwendig ist, beraumt das Gericht eine Sitzung an: -

Einstellung des Verfahrens wegen rechtlicher Unzulässigkeit;

-

Einstellung des Verfahrens wegen offensichtlichen Fehlens einer tatsächlichen Grundlage für die Anklage;

-

Zurückverweisung der Sache an den Staatsanwalt zur Beseitigung wesentlicher Mängel des vorbereitenden Verfahrens;

-

Erlass eines Beschlusses über die Untersuchungshaft oder eine andere Zwangsmaßnahme (Art. 339 § 2);

-

Erlass anderer in diesem Verfahrensstadium erforderlicher Beschlüsse.

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Die Sitzungen des Gerichts werden vom Gerichtspräsidenten anberaumt. Der Verteidiger ist zu dem Termin zu laden (kann aber auf die Teilnahme verzichten), wenn das Verfahren mangels tatsächlicher Grundlage eingestellt oder Untersuchungshaft angeordnet werden soll; in den übrigen Fällen kann er teilnehmen, wenn er aus eigener Initiative von dem Termin erfährt und erscheint (Art. 96 § 2). C. Verteidigung und Verfahrensabsprachen I. Verfahrensbeendende Absprachen

Verfahrensabsprachen über das Ergebnis eines Strafverfahrens sind im polnischen Strafverfahrensrecht grundsätzlich zulässig; sie sind seit 1998 gesetzlich geregelt, und ihr Anwendungsbereich wurde durch eine Novelle im Jahre 2003 noch wesentlich erweitert. In der Literatur wird ihre Legitimität dennoch häufig in Frage gestellt, vor allem im Hinblick auf das Legalitätsprinzip und die Unschuldsvermutung. Andererseits wird auf die positive Auswirkung von Verfahrensabsprachen auf die Effizienz und Beschleunigung des Verfahrens gerade bei minder schweren Straftaten hingewiesen. Aber auch andere Gründe, wie z.B. die Rationalität der Bestrafung und die Ausgleichsfunktion des Strafrechts und des Strafverfahrens, sollen für die Zulässigkeit von Absprachen sprechen. Nach allgemeiner Ansicht hat die Regelung der Materie durch den Gesetzgeber den Vorteil, dass durch sie informelle oder halbformelle Absprachen ausgeschlossen sind und das Strafverfahren effizient gestaltet wird. Nach wie vor ungelöst ist das Problem der Verfahrensverschleppung. Zu dessen Lösung hat der Gesetzgeber nicht nur Verfahrensabsprachen zugelassen, sondern auch die Möglichkeit eingeführt, eine Sache an ein anderes als das örtlich zuständige Gericht zu verweisen, wenn die Sache andernfalls zu verjähren droht. Außerdem kann gegen Verfahrensverschleppung Beschwerde beim Berufungsgericht oder beim Obersten Gericht eingelegt werden. II. Gegenstand von Absprachen und Verfahren

Gegenstand von Absprachen ist weder die Frage der Schuld noch der rechtlichen Qualifizierung der Tat, sondern es darf nur über Art und Maß der Sanktion verhandelt werden. Absprachen werden im vorbereitenden Verfahren zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ohne Beteiligung eines Richters getroffen. Der Beschuldigte kann grundsätzlich an den Abspracheverhandlungen teilnehmen.

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Möglich ist aber auch, dass nur der Verteidiger mitwirkt und den Beschuldigten vertritt. Ein Geständnis ist keine Voraussetzung für das Zustandekommen einer Verfahrensabsprache. Haben sich die Parteien geeinigt, so beantragt der Staatsanwalt in der Anklageschrift, dass das Gericht ein Urteil ohne Durchführung einer Hauptverhandlung fällt und die mit dem Angeklagten vereinbarte Strafe oder Strafmaßnahme verhängt (Art. 335 § 1). Das Gericht entscheidet dann selbständig darüber, ob es dem Antrag stattgibt. Die Absprache ist für das Gericht insoweit bindend, als die tatsächlich verhängte Strafe nicht strenger als die vereinbarte sein darf. Das Gericht kann seine Zustimmung allerdings von einer Änderung des Antrags der Staatsanwaltschaft abhängig machen (Art. 343 § 3). Ist das Gericht der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Sinne des Antrags insgesamt nicht gegeben sind (weil z.B. Zweifel an der Schuld des Angeklagten oder an den Umständen der Tat bestehen), so verfährt es gemäß Art. 343 § 7 nach den allgemeinen Regeln, d.h. es führt eine Beweisaufnahme durch. Grenzen der Zulässigkeit von Absprachen ergeben sich zunächst aus der gesetzlichen Strafandrohung für die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat: Absprachen sind bei Vergehen zulässig, die mit einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 10 Jahren bedroht sind; bei Verbrechen sind sie unzulässig (Art. 335 § 1). Außerdem dürfen keine Zweifel bezüglich der Tatumstände bestehen, und die Haltung des Angeklagten muss die Annahme zulassen, dass die Ziele des Strafverfahrens auch ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erreicht werden können. Kommt eine Absprache im vorbereitenden Verfahren nicht zustande, so wird die Anklageschrift eingereicht, ohne dass der Versuch, zu einer Absprache zu gelangen, darin erwähnt wird. Gibt das Gericht dem Antrag auf Verurteilung ohne Durchführung der Hauptverhandlung nicht statt, so wird die Sache nach den allgemeinen Grundsätzen entschieden (Art. 343 § 7). In diesem Fall kann es zu einer Verletzung der Unschuldsvermutung kommen, da dem erkennenden Gericht bekannt ist, dass der Beschuldigte seiner Verurteilung ohne Hauptverhandlung zugestimmt hatte. III. Rechtswirklichkeit der Absprachenpraxis

Absprachen kommen meist bei minder schweren Delikten zustande. Die Zahl der durch Verfahrensabsprachen beendeten Strafverfahren ist geringer als bei Einführung der gesetzlichen Regelung erwartet; sie lag im Jahre 2000 bei etwa 4500 Fällen und im Jahre 2002 bei etwa 8000 Fällen. Es liegen noch keine Angaben darüber vor, inwieweit sich die Erweiterung des Anwendungsbereichs der

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Verfahrensabsprachen im Jahre 2003 auf die Anzahl der durch Absprachen beendeten Verfahren ausgewirkt hat. IV. Die Interessenlage bei Absprachen

Der Vorteil für den Staatsanwalt bei Absprachen beschränkt sich grundsätzlich darauf, dass er von weiteren Beweiserhebungen im vorbereitenden Verfahren absehen kann (Art. 335 § 2). Er muss jedoch solche Ermittlungen vornehmen, deren Durchführung während der Hauptverhandlung nicht mehr möglich wäre. Für den Angeklagten ist eine Verfahrensabsprache deshalb sehr vorteilhaft, weil die verhängte Strafe viel niedriger sein kann als das Strafmaß, das in einer Hauptverhandlung zu erwarten gewesen wäre. Gibt das Gericht dem Antrag auf Absprache statt, so kann es die Strafe außerordentlich mildern oder die Strafe bedingt aussetzen, und zwar auch dann, wenn dies im Strafgesetzbuch nicht vorgesehen ist (Art. 343). V. Stellung des Verteidigers bei Absprachen

Der Verteidiger hat keine persönlichen Vorteile durch eine Verfahrenserledigung im Wege der Absprache. Das Honorar eines Wahlverteidigers muss bei einer Absprache nicht niedriger sein als bei einer vollständigen Hauptverhandlung; dies hängt von dem Vertrag mit dem Mandanten ab. Das Honorar eines Pflichtverteidigers wird von der Zahl der in der Sache anberaumten Termine bestimmt, so dass sein Honorar niedriger ist, wenn das Verfahren durch eine Absprache zügig beendet wird. Dennoch soll ein Verteidiger das tun, was im Interesse seines Mandanten liegt, auch wenn sich dies negativ auf sein Honorar auswirken kann. Bezüglich des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandant sind bislang aus der Praxis keine problematischen Fälle bekannt geworden. Damit eine Absprache zustande kommen kann, muss der Beschuldigte die zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidiger ausgehandelten Bedingungen akzeptieren. Für den Fall, dass der Verteidiger auf seinen Mandanten Druck ausübt, um ihn zur Zustimmung zu den ausgehandelten Verfahrensergebnissen zu veranlassen, sieht das polnische Recht keine direkten Sanktionen vor. Da der Verteidiger nur Prozesshandlungen zugunsten des Angeklagten vornehmen darf (Art. 86 § 1), ist es ihm untersagt, Druck auf den Beschuldigten auszuüben, wenn er weiß, dass die ausgehandelten Bedingungen für seinen Mandanten ungünstig sind. Geht der Verteidiger trotzdem auf eine für den Mandanten

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nachteilige Absprache ein, so kann dies eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung im Strafverfahren darstellen. Ein solches Verhalten kann zu einem Disziplinarverfahren vor dem Korporationsgericht führen.

VI. Verfahrensbeendende Absprachen in Verfahren mit mehreren Beschuldigten

Die gesetzliche Regelung umfasst auch Absprachen in Verfahren mit mehreren Beschuldigten. Danach ist es zulässig, mit nur einem von mehreren Mitbeschuldigten eine Absprache zu treffen; die Fälle der übrigen werden dann im regulären Hauptverfahren erledigt. Problematisch ist es allerdings, wenn dann in dem zuständigen Spruchkörper ein Richter mitwirkt, der zuvor ein abgesprochenes Urteil gegen einen Mitbeschuldigten gefällt hat. Ein solcher Richter ist zwar nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen, er kann jedoch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

D. Opfer- und Zeugenschutz vs. Verteidigungsinteressen I. Verhältnis zwischen Verteidiger und Verletztem

Im polnischen Recht existieren keine rechtlichen Regelungen, die das Verhalten des Verteidigers gegenüber dem Verletzten betreffen. Der Rechtsanwalt ist jedoch an die allgemeinen Regeln für die Durchführung des Beweisverfahrens gebunden, die beispielsweise Suggestivfragen (Art. 171 § 4) sowie das Einwirken auf die Aussageperson durch Zwang oder rechtswidrige Drohung (Art. 171 § 5 Nr. 1) verbieten. Neben den Normen des Verfahrensrechts gelten für Rechtsanwälte die berufsrechtlichen Regelungen, die in der „Sammlung von Grundsätzen“ enthalten sind. Nach deren § 28 hat der Rechtsanwalt „darauf zu achten, dass sein Auftreten, seine Äußerungen und die gestellten Fragen die Würde der an der Sache beteiligten Personen nicht verletzen“. Es wird betont, dass die Wahrung dieses ethischen Grundsatzes in Verfahren wegen Strafsachen gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie unter Beteiligung von kindlichen Opferzeugen von besonderer Bedeutung ist. Hervorgehoben wird auch die Notwendigkeit, Fragen einerseits im Interesse des Mandanten eindringlich und präzise zu stellen, andererseits jedoch die angemessene Form zu wahren. Wenn ein Anwalt schwer gegen die standesethischen Grundsätze verstößt, kann er disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. Es ist schwer vorauszusehen, ob die standesethischen Regeln durch die Rechtsprechung der Gerichte oder Disziplinargerichte fortentwickelt werden.

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Piotr HofmaĔski und Stanisáaw Zabáocki II. Kontakt zwischen Verteidiger und Verletztem

Das Gesetz verbietet es dem Verteidiger nicht, mit dem Verletzten in unmittelbaren Kontakt zu treten. Im Interesse seines Mandanten kann er sich darum bemühen, eine Versöhnung zwischen Opfer und Täter auszuhandeln. Diese Aussöhnung kann Grundlage für verschiedene verfahrensabschließende Entscheidungen sein. Außerdem berücksichtigt das Gericht den Abschluss eines Vergleichs zwischen Täter und Opfer bei der Strafzumessung (Art. 53 § 3). Auch in den Fällen, in denen der Angeklagte den Ausspruch eines auf eine bestimmte Strafe lautenden Urteils beantragt, bietet sich ein vorheriges Gespräch mit dem Deliktsopfer an, da einem solchen Antrag nur stattgegeben werden kann, wenn der Verletzte nicht widerspricht (Art. 387 § 2).

III. Wiedergutmachungsleistungen

Der Verteidiger kann im Namen seines Mandanten dem Verletzten Wiedergutmachung des durch die Straftat zugefügten Schadens anbieten. Eine solche Wiedergutmachungsleistung kann Einfluss auf die Strafzumessung haben. Schon die bloße Vereinbarung einer Wiedergutmachung mit dem Verletzten erweitert die Möglichkeit des Gerichts, das Verfahren bedingt einzustellen (Art. 66 § 3). Beantragt der Angeklagte die Verhängung einer bestimmten Strafe, so kann das Gericht seine Zustimmung zu dem Vorschlag davon abhängig machen, dass der Angeklagte den Schaden vollständig oder teilweise wiedergutgemacht oder dem Opfer Genugtuung für das erlittene Unrecht geleistet hat (Art. 343 § 3). Dabei ist es irrelevant, ob die Wiedergutmachung auf Initiative des Verteidigers oder einer anderen Partei erfolgt ist.

IV. Auswirkungen des Zeugenschutzes auf die Rechte der Verteidigung

Mit der Novelle von 2003 wurde der Schutz minderjähriger Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in der StPO ausgebaut. Nach Art. 185a darf das Opfer in solchen Fällen im Strafverfahren nur einmal vernommen werden. Die Vernehmung führt das Gericht im Beisein eines Psychologen durch; dabei ist der Verteidiger zur aktiven Teilnahme berechtigt. Der Gesetzgeber war sich darüber im Klaren, dass eine solche Regelung zu einer Einschränkung der Rechte des Beschuldigten führen kann. Deshalb wurde die Möglichkeit der erneuten Vernehmung des Verletzten auf Verlangen des Angeklagten vorgesehen, wenn dieser während der ersten Vernehmung keinen Verteidiger hatte. In der Praxis ist dies leider zum Regelfall geworden, denn die

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erste Vernehmung des Opfers findet in den meisten Fällen noch vor der Eröffnung des Tatvorwurfs statt und dient zunächst der Feststellung, wer die Tat begangen hat. Wenn die Identität eines Zeugen geheim gehalten wird, hat der Verteidiger keine Möglichkeit, Informationen über dessen wahre Identität zu erlangen. Dies bedeutet indes nicht, dass der Verteidiger den Zeugen nicht befragen dürfte. Nach Art. 184 § 3 dürfen an der Vernehmung eines anonymen Zeugen durch das Gericht der Staatsanwalt, der Angeklagte und sein Verteidiger mitwirken. Die Vernehmung ist an einem Ort und in einer Weise durchzuführen, dass die Identität des Zeugen nicht offenbart wird (bild- und tonverzerrende Geräte, Verfremdung des Aussehens des Zeugen, Telekonferenz etc.). Bei der Verwertung von Beweisen aus einer anonymen Quelle befindet sich der Verteidiger in einer unangenehmen Lage. Nach Art. 184 § 1 dürfen nicht nur die Angaben zur Person, sondern auch alle anderen Informationen geheim gehalten werden, welche die Identifizierung des Zeugen ermöglichen. Die Folge dieser Geheimhaltung ist jedoch, dass diese Informationen nicht in die faktische Entscheidungsgrundlage aufgenommen werden dürfen. Da dem Verteidiger der Zugang zu diesen Informationen versagt ist, kann er sie nicht verifizieren, um daraus Argumente zugunsten seines Mandanten herzuleiten. E. Berufsrechtliche Regelungen I. Gesetzliche Regelungen von Rechten und Pflichten des Strafverteidigers

Die wichtigsten Verhaltensregeln für Rechtsanwälte sind in dem seither mehrfach novellierten Korporationsgesetz (Anwaltsordnung) vom 26. Mai 1982 formuliert (z.B. Art. 6 über die anwaltliche Schweigepflicht). Zur Präzisierung der Regeln für die anwaltliche Berufsausübung hat der Hauptanwaltsrat im Jahre 1958 einen Ausschuss berufen, um eine Sammlung von Grundsätzen der Anwaltsethik zu erarbeiten. Der 1961 verabschiedete Text der „Sammlung von Grundsätzen der Anwaltsethik und der Würde des Berufs“ wurde später mehrfach modifiziert, und im Jahre 1988 beschloss der Hauptanwaltsrat (Beschluss Nr. 2/XVIII/98) eine neue „Sammlung von Grundsätzen der Anwaltsethik und der Würde des Berufs“, die als „Kodex der Anwaltsethik“ bezeichnet werden. In den letzten Jahren war die polnische Anwaltschaft als beobachtendes Mitglied des Rats der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft (CCBE) bemüht, den Inhalt ihres „Kodex“ an den 1998 vom CCBE angenommenen Europäischen Kodex der Anwaltsethik anzupassen; außerdem bemüht man sich auch um eine Anpassung des polnischen Kodex an die Vorgaben des von der Internationalen Anwaltsunion (UIA) vorbereiteten Entwurfs.

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Dies ist keine leichte Aufgabe, da der Entwurf der UIA trotz gemeinsamer Prinzipien die Akzente wesentlich anders setzt als der Kodex der CCBE – letzterer misst der Freiheit der Advokatur und der besonderen Stellung des Anwalts eine deutlich größere Bedeutung zu. Da in Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten auch Rechtsbeistände, die keine Rechtsanwälte sind, als Verteidiger auftreten können (Art. 24 § 1 Gesetzbuch über das Ordnungswidrigkeitsverfahren), ist anzumerken, dass auch die Vereinigung der Rechtsbeistände für standesethische Fragen im Jahre 1999 eine „Sammlung von Regeln der Rechtsbeistandsethik“ verabschiedet hat. Diese Sammlung wurde im Jahre 2002 (Beschluss Nr. 45/VI/2004) weitgehend modifiziert.

II. Konflikte zwischen der Unabhängigkeit des Anwalts und seiner Verpflichtung als Verteidiger

Konflikte zwischen der Unabhängigkeit des Anwalts und seiner Verpflichtung als Verteidiger, sich in vollem Umfang für seinen Mandanten einzusetzen, werden seit Jahren von Rechtspraktikern und Rechtstheoretikern heftig diskutiert. Die Problematik wird auf zwei Ebenen erörtert. Zum einen wird diskutiert, unter welchen Voraussetzungen der Verteidiger ein Mandat ablehnen kann, zum anderen, wie sich der Verteidiger im Falle einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Mandanten über die Verteidigungsstrategie verhalten soll. Zum ersten Aspekt: Nach Art. 28 Abs. 1 Anwaltsordnung darf ein Rechtsanwalt rechtlichen Beistand nur aus wichtigen Gründen verweigern. Diese Gründe hat er der betreffenden Person mitzuteilen. Über mögliche Zweifel hinsichtlich der Übernahme oder Verweigerung von Rechtsbeistand entscheidet der Bezirksanwaltsrat und in dringenden Fällen der Dekan dieses Rates. In der Geschichte der polnischen Anwaltschaft finden sich beeindruckende Beispiele dafür, dass die Verantwortung gegenüber dem Berufsstand im Konflikt mit persönlichen Überzeugungen und Abneigungen die Oberhand gewinnen kann. So wurden z.B. die für Kriegsverbrechen verantwortlichen NSDAP-Aktivisten von Rechtsanwälten verteidigt, die selbst ehemalige KZ-Häftlinge waren. Es existieren jedoch psychologische Grenzen, die der Verteidiger wegen des fundamentalen Konflikts zwischen dem von ihm anerkannten Wertesystem und der Tat des Angeklagten nicht überschreiten kann. Dies war z.B. in dem berühmten Prozess wegen des Mordes an dem Priester Jerzy Popieáuszko, einer Symbolfigur der „Solidarnosc“-Bewegung, der Fall; damals weigerten sich verschiedene Rechtsanwälte, die Verteidigung der Angeklagten zu übernehmen. In der Literatur wird das Recht des Rechtsanwalts anerkannt, im Hinblick auf sein un-

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eingeschränktes Engagement für die Verteidigung in Extremfällen die Übernahme eines Mandats abzulehnen. Zum Fall der Meinungsverschiedenheit zwischen Verteidiger und Mandanten: Im polnischen Rechtssystem gibt der Verteidiger nicht lediglich den Willen des Angeklagten wieder, sondern er ist dazu verpflichtet, selbständig zu beurteilen, welche Verteidigungstaktik für den Angeklagten am günstigsten und mit welchen rechtlich zulässigen Methoden eine effektive Verteidigung am besten zu verwirklichen ist. § 7 der Sammlung von Grundsätzen der Anwaltsethik bestimmt, dass „dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs volle Freiheit und Unabhängigkeit zusteht“. Das Ergebnis seiner Überlegungen hat er dem Angeklagten mitzuteilen. Teilt dieser die Ansichten des Verteidigers, so ist der Anwalt verpflichtet, diese Verteidigungsstrategie mit höchster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu verfolgen, ohne sich dabei allerdings mit den Interessen seines Mandanten identifizieren zu müssen. Kommt es hinsichtlich der Verteidigungsstrategie zu einem Konflikt zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem, so sollte der Rechtsanwalt das Mandat niederlegen, d.h. als Wahlverteidiger den Mandatsvertrag kündigen und als Pflichtverteidiger das zuständige Prozessorgan um Rücknahme seiner Bestellung ersuchen. Ebenso hat er sich zu verhalten, wenn der Angeklagte von ihm verlangt, ihn auf rechtlich unzulässige Weise zu verteidigen (z.B. durch Fälschung von Beweisen oder Ausübung unerlaubten Drucks auf Zeugen). In einem solchen Fall würde die Fortführung der Verteidigung gegen § 51 der „Sammlung von Grundsätzen“ verstoßen, wonach das Verhältnis zwischen Verteidiger und Mandant „auf Vertrauen beruht“. Wenn der Verteidiger das Mandat niederlegt, darf er den Verfahrensorganen allerdings – mit Rücksicht auf das Anwaltsgeheimnis – nicht offenbaren, worin der Konflikt zwischen ihm und dem Angeklagten bestand. Unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall ein solcher Konflikt den Rückzug des Verteidigers rechtfertigen kann, ist allerdings im Detail umstritten. III. Berufsrechtliche Pflichtverletzungen von Strafverteidigern und damit zusammenhängende Disziplinarverfahren

Handlungen und Unterlassungen, die als berufsrechtliche Pflichtverletzungen im Rahmen des anwaltlichen Disziplinarrechts sanktioniert werden können, lassen sich in drei Gruppen unterteilen: 1.

Pflichtverletzung gegenüber dem Gericht oder einem anderen Organ, vor dem der Anwalt auftritt (§§ 27-30 Kodex der Anwaltsethik);

2.

Pflichtverletzung gegenüber anderen Rechtsanwälten (§§ 31-42 Kodex der Anwaltsethik;

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3.

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Pflichtverletzung gegenüber dem Mandanten (z.B. §§ 45-58, 22-23 Kodex der Anwaltsethik). Von größter Bedeutung ist die letztgenannte Gruppe von Pflichtverletzungen, wie z.B. die Vertretung mehrerer Angeklagter trotz widerstreitender Interessen. Ein solches Verhalten stellt auch dann eine Pflichtverletzung dar, wenn die Angeklagten der Mehrfachvertretung zustimmen. Auch mangelnde Sorgfalt bei Führung der Verteidigung, wie etwa eine unzureichende Aufsicht über die Sache oder eine mangelnde Information des Mandanten über die Sach- und Rechtslage, können Pflichtverletzungen darstellen. Selbst wenn die Zahlung des vereinbarten Honorars ausbleibt, darf der Verteidiger nicht als Reaktion darauf bestimmte erforderliche Handlungen, wie z.B. das Erscheinen in der Hauptverhandlung, unterlassen. Das Ausbleiben des Honorars kann allerdings die Niederlegung des Mandats rechtfertigen, wenn das dabei vorgeschriebene Verfahren und die gesetzliche Frist eingehalten werden. Weitere Beispiele von Pflichtverletzungen sind die Unterlassung der Rechtsmitteleinlegung ohne Zustimmung des Mandanten (Meinungsunterschiede hinsichtlich der “Richtigkeit“ einer Rechtsmitteleinlegung können allerdings ein Kündigungsgrund sein), die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses als der wohl schwerste Verstoß gegen die Berufsethik und die sog. praevaricatio (Parteiverrat), d.h. ein bewusstes Handeln zu Ungunsten des Mandanten. Obwohl auch in Polen Disziplinarverfahren gegen Verteidiger wegen Verletzung ihrer Berufspflichten stattfinden, verfügen wir über keine verlässlichen und präzisen Angaben, insbesondere für die letzten zehn Jahre. Es liegen lediglich Teilinformationen vor, die im Bericht der Organe der Anwaltskammern für die Jahrestagung der Anwaltschaft (Ende November 2004) enthalten sind. Dem Bericht des Höheren Disziplinargerichts für die Zeit vom 1. Oktober 2001 bis zum 30. Juni 2004 ist zu entnehmen, dass innerhalb dieses Zeitraums 156 Verfahren gegen Rechtsanwälte bei Gericht anhängig waren, von denen 112 entschieden wurden. Dabei ging es in 54 Fällen um die Verletzung von Berufspflichten, in 27 Fällen um die Verletzung der Berufsethik. Vier Verfahren betrafen die Verletzung der Meinungsfreiheit, und in 15 Fällen ging es um finanzielle Auseinandersetzungen. Es wurden folgende Maßnahmen verhängt: in acht Fällen wurde der Ausschluss aus der Anwaltschaft angeordnet, in 22 Fällen die einstweilige Dienstenthebung, in zwölf Fällen eine Geldstrafe, in weiteren zwölf Fällen ein Verweis und in 25 Fällen eine Verwarnung. Diese Zahlen beziehen sich auf Disziplinarverfahren, die in zweiter Instanz entschieden wurden (in erster Instanz können die Zahlen deutlich höher gewesen sein); außerdem unterscheidet die Statistik nicht zwischen Verfahren gegen Strafverteidiger und gegen Rechtsanwälte, die in Zivil- oder Verwaltungsstreitigkeiten tätig sind.

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Unsere eigenen Erkenntnisse betreffen erst die Zeit nach dem 1. Juni 2000, als nach Neufassung von Art. 91a Anwaltsordnung das Oberste Gericht zur Kassationsinstanz gegen Entscheidungen im Disziplinarverfahren wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlte die Möglichkeit, die im Disziplinarverfahren ergangenen Entscheidungen auf dem Rechtsweg anzufechten. In der Zeit vom 1.1. bis 1.11.2004 hat das Oberste Gericht über 26 Kassationsanträge gegen im Disziplinarverfahren ergangene Entscheidungen gegenüber Rechtsanwälten (nicht notwendig Strafverteidigern) entschieden. In den meisten Fällen wurde dem Anwalt mangelnde Sorgfalt, wie z.B. die Versäumung einer Rechtsmittelfrist, oder Unredlichkeit bei der Abrechnung mit dem Mandanten vorgeworfen. Gelegentlich kommen aber auch schwerwiegende Vorwürfe vor, die dann nicht nur ein Disziplinar-, sondern auch ein Strafverfahren nach sich ziehen. Dies geschieht z.B. dann, wenn die Handlungsweise des Verteidigers nicht nur offensichtlich gegen die geltende Rechtsordnung verstoßen hat, sondern der Verteidiger selbst Teilnehmer der Straftat ist. Die letztgenannten Fälle stellen ein gewisses Novum dar, das auf die Entstehung der sog. Organisierten Kriminalität sowie auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass diese mafiaähnlichen Strukturen über nahezu unerschöpfliche Geldquellen verfügen. IV. Berufsrechtliche Kontrolle von Strafverteidigern

Hinsichtlich der Praxis der berufsrechtlichen Kontrolle verfügen wir nur für die Zeit nach dem 1. Juni 2000, d.h. seit Inkrafttreten von Art. 91a Anwaltsordnung, über Angaben. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der – unseres Erachtens – zufriedenstellenden Rechtslage und der praktischen Anwendung der Vorschriften durch die Organe der Rechtsanwaltskammern. Die Disziplinarverfahren werden oft verschleppt, so dass nicht selten Verjährung eintritt, was die berechtigten Interessen der geschädigten Personen beeinträchtigt. Daher wird eine Verlängerung der Verjährungsfristen von Disziplinarverfehlungen gefordert; diese Frist beträgt derzeit drei Jahre, in einigen Fällen sogar nur 6 Monate (Art. 88 Abs. 1 Anwaltsordnung). Nur wenn eine Disziplinarverfehlung gleichzeitig die Tatbestandsmerkmale einer Straftat erfüllt, läuft die Verjährungsfrist nach Art. 88 Abs. 2 Anwaltsordnung nicht früher ab als die strafrechtliche Verjährungsfrist. F. Praktische Fälle Welche rechtlichen oder informellen Reaktionen hätte ein Anwalt (A) zu gewärtigen, der als Verteidiger eines Mannes (M), dem ein Sexualdelikt vorgeworfen wird, sich folgendermaßen verhält:

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Fall 1: A unterlässt es, vorhandene Entlastungszeugen dem Gericht zu benennen sowie die Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. M wird verurteilt und erst später aufgrund der Initiative eines neuen Verteidigers nach Aufhebung des ersten Urteils aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Ein solches Unterlassen des Verteidigers stellt ohne Zweifel ein schwerwiegendes Disziplinarvergehen dar, das im Rahmen eines in Teil VIII der Anwaltsordnung vorgesehenen Disziplinarverfahrens geahndet werden kann. Theoretisch kann der ehemalige Mandant seinen Verteidiger auch vor dem Zivilgericht auf Schadensersatz verklagen. Eine Klage gegen den Staat scheidet hingegen aus. Die Staatskasse haftet nämlich nur für Verfehlungen von Staatsbeamten (Polizisten, Staatsanwälte, Richter), nicht aber für Verfehlungen von Rechtsanwälten. Der frühere Mandant muss im Zivilverfahren die Höhe des erlittenen Schadens und das Verschulden des Rechtsanwalts nachweisen; das Verschulden wird jedoch vermutet. Die Höhe des Schadensersatzes hängt davon ab, ob der frühere Mandant für die unbegründete Verurteilung oder für die ungerechtfertigte Inhaftierung bereits einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch gegen den Staat geltend gemacht hat. Theoretisch könnte die unbegründete Inhaftierung des Angeklagten sowohl auf einer Pflichtverletzung des Verteidigers als auch auf einer zusätzlichen Pflichtverletzung der staatlichen Strafverfolgungsorgane beruhen. Kann dem Rechtsanwalt Vorsatz nachgewiesen werden, so kommt auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Beweismittelunterdrückung nach Art. 236 poln. StGB in Betracht.2 Fall 2: A zahlt der verletzten Frau im Auftrag des M eine sehr hohe Geldsumme und erreicht dadurch, dass die Frau vor Gericht wahrheitswidrig aussagt, sie sei mit den Handlungen, die M an ihr vorgenommen hat, einverstanden gewesen. Ob A wusste, dass diese Aussage der Frau nicht der Wahrheit entsprach, lässt sich nicht aufklären.

Der Rechtsanwalt hat grundsätzlich das Recht, Verhandlungen mit dem Opfer der Straftat aufzunehmen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn er dabei nicht rechtswidrig vorgeht. Bietet er dem Verletzten eine Geldsumme dafür an, dass dieser vor Gericht wahrheitswidrige Aussagen, z.B. hinsichtlich der Schwere der erlittenen Verletzungen, macht, so kann er – falls ihm bewusst ist, dass er eine andere Person zu einer Falschaussage verleitet – nicht nur disziplinarisch wegen unethischer Berufsausübung, sondern auch strafrechtlich wegen An___________ 2

Art. 236 poln. StGB lautet: „§ 1 – Wer Beweise für die Unschuld einer der Begehung einer Straftat, einer Übertretung oder einer Disziplinarverfehlung verdächtigen Person verheimlicht, wird mit Geldstrafe, mit Freiheitsbeschränkungsstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. § 2 – Wegen der Straftat im Sinne des § 1 wird nicht bestraft, wer Unschuldsbeweise aus Angst vor einer ihm selbst oder einem Allernächsten drohenden Strafverfolgung verheimlicht.“

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stiftung zur Falschaussage (Art. 18 § 2 i.V.m. Art. 233 § 1 poln. StGB) belangt werden. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob er im eigenen oder im Namen des Straftäters gehandelt hat. Falls der Verletzte letztlich trotz der erfolgten Anstiftung keine falsche Aussage macht, beseitigt dies die Rechtswidrigkeit des anwaltlichen Verhaltens nicht. In solchen Fällen kann allerdings eine außerordentliche Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe in Betracht kommen (vgl. Art. 22 § 2 poln. StGB). Bietet der Rechtsanwalt der Verletzten eine angemessene Geldsumme an, um sie gegenüber dem Angeklagten günstig zu stimmen, und weiß er dabei nicht, ob sie vor Gericht tatsächlich die Wahrheit sagen oder lügen wird, so kann er nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Eine disziplinarische Verantwortlichkeit des Anwalts kommt etwa dann in Betracht, wenn er dem Opfer gedroht hat. Drohungen darf ein Anwalt niemals äußern, selbst dann nicht, wenn er davon überzeugt ist, nur auf diesem Wege eine wahrheitsgemäße Aussage erlangen zu können. Fall 3: Gericht und Staatsanwaltschaft bieten an, dass M zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wird, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegt; andernfalls müsse M mit einer Strafe von 4 Jahren rechnen. M beteuert gegenüber A seine Unschuld. Daraufhin sagt A zu M, falls dieser kein Geständnis ablege, werde A in der Hauptverhandlung durchblicken lassen, dass M bereits früher ähnliche Taten begangen habe. Daraufhin legt M ein Geständnis ab.

Wenn der Rechtsanwalt als „Berater“ an einem Absprachenverfahren teilnimmt, ist er zu einer sorgfältigen Beurteilung des Sachverhalts und der Rechtslage verpflichtet. Ferner muss er seinen Mandanten ausführlich informieren. Er darf den Angeklagten zu keiner Entscheidung zwingen. Es ist für den Verteidiger absolut unzulässig, auf seinen Mandanten in irgendeiner Form Druck auszuüben, um ihn zu einer bestimmten Entscheidung zu veranlassen. Auch wenn der Mandant seine Unschuld beteuert, kann es doch in bestimmten Fällen angebracht sein, ihm die Zustimmung zu einer Absprache nahe zu legen. Die gegen den Angeklagten vorliegenden Beweise können nach Auffassung des Verteidigers so erdrückend sein, dass der von den Strafverfolgungsorganen unterbreitete Vorschlag vor diesem Hintergrund für den Angeklagten günstig erscheint. Wenn der Angeklagte seine Unschuld beteuert, muss ihn der Rechtsanwalt besonders nachdrücklich darauf hinweisen, dass bei Ablehnung der angebotenen Absprache die vorliegenden Beweise zu seinen Lasten verwertet werden können. Ferner muss der Rechtsanwalt zum Ausdruck bringen, dass letztlich der Angeklagte selbst die endgültige Entscheidung treffen muss. Wenn der Verteidiger diese Grundsätze einhält, ist der Ausgang des Verfahrens für seine Verantwortlichkeit ohne Bedeutung.

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Bei der Beurteilung des Verhaltens des Rechtsanwalts im Absprachenverfahren muss beachtet werden, dass keine der beiden Formen des konsensorientierten Verfahrensabschlusses (Art. 335 StPO und Art. 337 StPO) ein Geständnis des Angeklagten verlangt. Voraussetzung für eine Verurteilung ist jedoch in jedem Fall, dass „über die Umstände der Begehung der Straftat keine Zweifel bestehen“. Diese Voraussetzung kann jedoch auch bei fehlendem Geständnis aufgrund anderer Beweise erfüllt sein.

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A. Functions and Potential Role Conflicts of Defence Counsel I. Right to Counsel

England does not have a written constitution, but through the Human Rights Act 1998 the European Convention on Human Rights applies. There is a common law right to defence counsel in criminal proceedings. Defendants can apply for legal aid to pay for defence counsel, but granting legal aid is subject to an “interests of justice” test under the Access to Justice Act 1999. Where this test is satisfied, legal aid is initially free in the Crown Court, but subject to a defence costs order if the accused is convicted. In the magistrates’ court, the granting of legal aid is subject to a financial means test, as well as the “interests of justice” test. The accused has a choice of lawyer, subject to that lawyer having rights of audience. (Barristers may appear in both levels of court; solicitors must undergo additional training to gain the right of audience before the Crown Court). Under s. 58 Police and Criminal Evidence Act 1984, the suspect is entitled to free legal advice from a named solicitor or a duty lawyer during her police detention and interrogation. This right is independent of the suspect’s financial means. Only in specified circumstances (e.g. when there is a reasonable belief that the lawyer will interfere with witnesses) can that right be denied.

II. Equality of Arms between Prosecution and Defence

Historically, the right to defence counsel at trial appears to have grown out of the increasing use of professional counsel by the prosecution during the 18th and 19th centuries; there is hence a relation between the principle of equality of arms and the right to defence.

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Today, equality of arms between prosecution and defence is recognised in principle, but in practice the accused suffers from a number of restrictions. For example, there is only a limited right to disclosure of investigative materials obtained by the police under the Criminal Procedure and Investigations Act (CPIA) 1996: In advance of the court hearing, the prosecution needs to disclose only evidence that it wishes to rely upon at trial. In the early 1990s, there had been a stricter evidence disclosure requirement upon the prosecution covering “unused” material gathered by the police but not relied upon at trial. This broader disclosure right was described by the Court of Appeal as an important way of respecting the principle of equality of arms within an adversarial procedure, given the obvious imbalance in resources and investigative powers between prosecution and defence. A number of miscarriages of justice occurred in the 1990s because of the non-disclosure of key information that exculpated the accused. Despite this, the 1993 Royal Commission on Criminal Justice (RCCJ) recommended that the prosecution should only be required to disclose “unused” evidence that related directly to the defence being advanced. This in turn required the defence, for the first time, to disclose the outline of its case to the prosecution in order to obtain this secondary disclosure.

III. Requirement of a Professional Defence?

Defendants have a right not to be represented. Because the legal right to disclosure is bestowed upon the defendant, not her lawyer, it is in principle not necessary for a defendant to be legally represented in order to obtain disclosure from the prosecution, but in practice a non-represented defendant may have difficulty in accessing disclosure, particularly given the complexities of the disclosure regime under the Criminal Procedure and Investigations Act 1996. Defendants may not cross-examine their own alleged victims in crimes of rape and sexual assault. If such cross-examination is necessary, the court can appoint a lawyer for the defence even against the defendant’s wishes. In instances of misconduct by appointed counsel, the court cannot withdraw the appointment but can report the issue to the Bar Council so that counsel may face disciplinary action.

IV. Counsel as Representative of the Client or “Officer of the Court”?

Defence counsel’s role is mainly to represent the best interests of the accused, to put her case as best she can and to test out the prosecution case. There is no difference in the professional duties of retained and appointed counsel.

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Under the more traditional approach, it is counsel’s task to devise a defence strategy for trial in accordance with her professional judgement. The more modern approach is for the client to make important decisions during trial after receiving advice from counsel. But counsel’s obligation to comply with the client’s wishes is subject to the lawyer’s duty to refrain from knowingly misleading the court. If the client explicitly opposes the strategy suggested by counsel and the latter refuses to back down the client may well dismiss her. Counsel is obliged to put her client's case (even when it may be tactically disadvantageous to do so) but is not required to actively participate in determining the truth.1 Because counsel is regarded as an officer of the court she must not knowingly mislead the court. This does not mean, however, that counsel must not put forward evidence she merely suspects of being false. If, for example, she suspects that a document is a forgery whilst she has been explicitly instructed that it is not, then she is obliged to use it if instructed to so do. If she merely suspects that all is not right, she is not obliged to inform the court of any concern as to the reliability or veracity of a piece of evidence – to do so would conflict with her duty to the client. If, by contrast, the defendant tells counsel, ‘Here is a forged document. Use it as if it is real.’, counsel must refuse to so act. If the client persists in instructing counsel to offer the forged piece into evidence then counsel must withdraw from the case; to do otherwise would be to act unprofessionally. Because counsel must still protect confidentiality she cannot reveal the reason for withdrawing from the case beyond indicating that she has to withdraw. Counsel is obliged to relate to her client all matters disclosed to her. In limited circumstances, there are some professional restrictions, at least as far as solicitors are concerned (see Chapter 16 of the Guide to the Professional Conduct of Solicitors). Money laundering legislation likewise imposes some restrictions on the disclosure of information by lawyers to their clients, and there exist certain limitations regarding tapes and videos of children’s evidence (see para 21.16 and 398 GPCS) Most recently, special advocates for those held without charge have been established under terrorism legislation. These are lawyers who are specially selected and vetted for security reasons. Special advocates can take instructions from the client and then inspect the evidence held, but they may not speak to the client about this evidence without the express permission of the judge. This is ___________ 1

This question is of little relevance in the English system because it does not have an inquisition to uncover the truth but only a trial at which the prosecution tries to persuade a jury to convict.

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very different from the usual lawyer/client relationship, as communication can only be in one direction. A number of these special advocates have resigned in protest at the nature of the legal regime in these cases.

V. Confidentiality

Legal professional privilege attaches to confidential communications between a lawyer and her client, relating to the seeking or providing of legal advice or where the dominant purpose of the communication is litigation.2 In these instances, client/counsel confidentiality is absolute except when the client waives the privilege. If for example the client discusses the contents of advice given by her lawyer with a third party (e.g., the Court of Appeal) and alleges incompetence on the part of counsel, then she has waived the privilege and the Court of Appeal will seek counsel's version of events, at which point full disclosure should be made. Breach of client confidentiality does not amount to a criminal offence but would render the lawyer liable to professional disciplinary proceedings as well as to civil liability to their client. Client confidentiality may be overridden in only very limited circumstances, such as expressly provided through statute (see for solicitors para 16.02 GPCS). Counsel’s office cannot be searched, her telephones cannot be tapped and her files cannot be seized to gather evidence against her client. Tapping of telephone conversations between a lawyer and her client is however possible for surveillance to be conducted under the Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) 2000. RIPA provides for no special protection of lawyers' communications. Material not consisting of communications between lawyer and client made in connection with or in contemplation of legal proceedings, or in connection with the giving of legal advice, or material enclosed with such communications, is not covered by legal professional privilege. Such material could be seized at the lawyer's office by law enforcement officials, although normally this would require a court order. Confidential lawyer/client information that is not covered by legal professional privilege may be disclosed under a court order or statutory obligation, or in the public interest to prevent the client or a third party from committing a criminal act that the lawyer reasonably believes will result in serious bodily ___________ 2 In the House of Lords case R (Morgan Grenfell & Co Ltd) v Special Commissioner of Income tax and Another, [2002] UKHL 21 at para 7, Lord Hoffmann describes legal professional privilege as “a fundamental human right long established in the common law.”

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harm or child abuse. There has been some discussion about the lawyer’s duty in terrorism cases.3 There are three ‘disclosure’ type offences under the Terrorism Act 2000. Those under ss. 19 and 21A explicitly exempt disclosure of information obtained in privileged circumstances and this caveat can be implied in the s. 38B offence. However, if the lawyer has information that might prevent the commission of an act of terrorism or secure the apprehension of a person for an offence involving the commission, preparation or instigation of an act of terrorism (the s. 38B offence), and this was not received for the obtaining of legal advice, nor is it directly related to the performance of the lawyer’s professional duty as legal adviser, it is confidential but is not protected by legal professional privilege. There is a defence of reasonable excuse for nondisclosure, but confidentiality (as against legal professional privilege) is unlikely to constitute such an excuse. In these circumstances, there will be a duty on the lawyer to disclose the information in the public interest in order to prevent the commission of an offence that she reasonably believes will lead to serious bodily harm. Many solicitors believe that at least some police station consultations are monitored; the results cannot be used for evidential purposes but are used for intelligence purposes. All investigatory measures mentioned above are permissible when criminal conduct by counsel is being investigated. Some recent cases involving the defendant’s right to silence also have implications for client confidentiality. In these cases, defendants argued that adverse inferences should not be drawn from their silence at the police station because they were following the advice of their lawyers. The Court of Appeal ruled that this claim by itself is not sufficient to prevent inferences but that it is always open to the lawyer to testify to support the client’s account. This of course would open the lawyer to cross-examination about her advice and what exactly her client had told her.

VI. Criminal Responsibility of Counsel

A lawyer confining herself to acting lawfully in the best interests of her client, as she is required to do by professional rules, is not likely to be charged with obstruction of justice. Counsel is not immune from prosecution for money laundering, however; in that case, mens rea need not be proved. She may also be liable under the Terrorism Act, as discussed above. ___________ 3

See further the Law Society’s ‚Anti-terrorism practice note’ of 19 July 2007.

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B. Criminal Defence before Trial I. Police Interrogation

The adversarial English process lacks a formal pretrial phase; it is nevertheless true that there exists a broad tendency away from trial and toward other forms of disposal.4 The only pretrial stage regulated by law is the police detention and interrogation of the suspect. In practice, this part of the police investigation is crucial although the evidence must either be agreed, or the witness must come to court to testify at trial. The suspect’s confession at the police station is often the key piece of evidence against her – and it is difficult to refute at trial, unless some impropriety on the part of the police can be shown. Recent changes (especially concerning inferences from a suspect’s silence at the police station) are resulting in increasing evidentiary significance being attached to this stage. Police interrogation is viewed as a more formal process during which the accusation is put to the suspect – even though there has only been a police investigation, no formal disclosure of evidence, and the case has not been through the hands of any lawyers.5 It might be argued that this pretrial phase is becoming increasingly formalised – not only through the regulation of PACE, but now through the presence of prosecutors who will provide advice to police officers and who will determine the charge brought against the suspect.6 Suspects have a right to representation from the moment they are detained at the police station. This right can in limited circumstances be delayed for up to 36 hours (or 48 hours if arrested on suspicion of terrorism). Counsel does not have access to the case file at that stage, but she may consult with her client in private and may be present during the client’s interrogation conducted by the police. The right to legal advice (s. 58 Police and Criminal Evidence Act [PACE] 1984) is continuous – a suspect who has at first declined legal advice can change her mind and ask for a lawyer at any time during her detention in police custody. She may also halt the police interview and ask to speak to her lawyer in private. There is no time restriction on lawyer/client consultation, and legal representation is free to all. The lawyer may stay until the suspect has been ___________ 4 Police can caution a suspect when she admits the offence. The prosecutor, who is now present at the police station, may issue a caution with conditions attached. Under s. 17(2) Police and Justice Act 2006, these conditions may be attached for explicitly punitive purposes (eg unpaid community work or a fine). 5 See R v Howell (2003), LJ Laws describing the relationship between police station and trial as a “benign continuum”. 6 Previously, the prosecutor had no involvement until after the decision to charge, a decision which rested entirely with the police.

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formally charged and a date for the court appearance set. Defence lawyers have no right to be present during police questioning of witnesses.

II. Defence Investigation

The defence has a right to conduct its own investigation before trial, and good lawyers seek to uncover their own evidence, even if only in the form of witnesses. Defence lawyers quite often obtain expert's reports, but rely upon the defendant to identify witnesses. There are great practical problems, however, including a lack of investigative powers and of proper legal aid for this purpose. Affluent defendants, e.g. those in serious fraud cases, are more likely to have a proactive defence investigation conducted. Lawyers cannot, in any event, obtain assistance from the state for the purpose of investigating. Solicitors have a duty to investigate as part of their general duty to act in their client’s best interests. A failure to conduct defence investigations is occasionally criticised by the courts7 but rarely if ever sanctioned. If a client outlined a defence and her lawyer failed to act on this (e.g., did not interview witnesses or seek expert evidence to support her client’s claims) this may be grounds for appeal, but the courts are very reluctant to criticise the conduct of the defence or to allow an appeal on this basis. Barristers have more of an advocacy role and do not conduct investigations.

III. Right to Inspect Prosecution Material and to Disclose Defence Material

The defence do not have a right to inspect the prosecution file. The prosecution will provide a copy of the evidence on which they intend to rely at trial. Further disclosure depends upon the accused disclosing an outline of her case. If disclosure is lacking or very limited, there may be less of a negative inference from a suspect’s silence, yet the reaction of the court, and still less of a jury, remains difficult to predict. With respect to secret investigatory measures (for example, wiretaps and undercover agents), the prosecution can claim public interest immunity, which makes it almost impossible to discover or challenge the evidence. In that case, counsel may know that such evidence exists, but not what it is. ___________ 7 For criticism of lawyers’ failure to go beyond the prosecution case, see, e.g., McConville et al., Standing Accused, 1994, pp. 140 et seq.

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Under the CPIA (as amended by the CJA 2003), the defence must in Crown Court provide a defence statement setting out the substance of the defence, the matters on which the defence takes issue with the prosecution and the reasons for doing so. The defence must further provide information about any alibi (details of alibi and prospective witnesses), names, addresses and dates of birth of all prospective defence witnesses, and details of any experts consulted by the defence.

IV. Committal Proceedings

In some classes of cases (but not in very serious cases), trial is preceded by committal proceedings. Very occasionally, the defence will participate and point out the holes in the prosecution case, and the judge may find there is no case to answer and dismiss the charge. This leaves the client at risk of recharging with extra evidence because dismissal at this stage does not amount to an acquittal, so there is no bar against re-entering charges. In the Crown Court, there may also be plea and directions hearings to see which issues can be resolved before trial and to assist in the listing of cases.

C. Judgment Bargaining and Defence In England, the guilty plea is being viewed pragmatically as an efficient case management device to save time and money. There are no official statistics on the frequency of plea bargaining but the incidence is high. Bargains are most frequent in cases of assault and public disorder cases because the law in this area provides a wide range of more and less serious offences to select from. Procedural principle poses no problems for plea bargaining. The Criminal Justice and Public Order Act (CJPOA) 1994 has formalised sentence discounts for guilty pleas, and the judge should state what discount has been given in recognition of the guilty plea. According to dicta of the Court of Appeal, judges should not be involved in plea bargains, but in practice they sometimes are. When the relevant part of the Criminal Justice Act 2003 comes into force, the accused can ask the court, in either-way cases, to give a broad sentence indication before deciding on mode of trial. For counsel, entering into a plea bargain is an attractive option. Their fee structure is set up to discourage trials and encourage plea bargaining. A guilty plea is an attractive disposition, moreover, when counsel is ill-prepared for trial, and plea bargaining opens up the possibility of mutual favours between counsel.

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In spite of the pragmatic advantages of plea bargaining, there are still concerns that this practice results in innocent defendants feeling pressured to plead guilty. The CJPOA has reinforced this. There are very practical difficulties when the lay client is told by the professional lawyer that the court is unlikely to believe her – the power of the lawyer as professional is an important part of this process. There is some empirical research showing that prosecutors proceed with cases they know to be weak assuming that the majority will end in guilty pleas so that the strength of the prosecution evidence will not be properly tested. Bargains are about the type of offence, not the sentence itself (although CJPOA does award a sentence discount for a guilty plea). Bargains between the prosecution and the defence are not binding upon the court, and the court may refuse to accept them. The court thus has a control function. Bargaining is always conducted between counsel, either at the plea hearing or at the trial. Counsel may talk with the judge to find out what her sentencing disposition may be, but the judge does not directly participate. Nor does the defendant personally take part in bargaining. In theory, counsel is to represent the defendant’s interests, but research shows that they also pursue interests of their own and of the prosecution.8 There is no specific duty for counsel to inform the client of the particulars of a deal and of alternative options, beyond the general duty to act in the client’s best interest. There exist no specific rules to avoid potential role conflicts on the part of counsel – an efficiency discourse has replaced earlier warnings of the lawyer becoming a “double agent” in bargaining. Defendants may not have equal access to bargaining because access and outcome depend on the quality and skill of counsel. When negotiations between the parties do not lead to an agreement there will normally be a trial. Because the judge does not participate in bargaining she will not be biased and the trial can be held before her. At the trial, the prosecution cannot generally use the failed plea bargain against the defendant as evidence or in cross examination. According to a recent case, however, if the deal has been put in writing (e.g., the defence offers a confession in exchange for a mere caution), that communication is not privileged and the prosecution may make use of it. If the prosecutor fails to honour an agreement (i.e., does not reduce charges as promised) the defence can make representations to the judge, and if she does ___________ 8

See McConville et al. (n. 7), pp. 137 et seq.

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not grant relief bring an appeal. The Court of Appeal has ruled that the court should not convict on a more serious charge when the prosecution had agreed to reduce it in exchange for a plea. If defence cousel withdraws from an informally agreed bargain because her client does not agree to it, this will not have any negative consequences for counsel except perhaps on her reputation. If more than one defendant is involved in a case the prosecution normally accept only package deals covering all co-defendants. This can lead to pressure being exerted on those unwilling to deal by their co-defendants who wish to secure their own position. There is some evidence as to pressure being brought to bear on defendants by their own counsel as well; this sometimes comes up in connection with motions to vacate a plea. Professional sanctions are available for lawyers who overstep the bounds of professional zeal in that regard.

D. Defence Interests vs. Victim and Witness Protection The Code of Conduct for solicitors contains rules concerning the conduct of counsel with respect to victims and witnesses. Because a witness is not “property” of one party it is theoretically possible for solicitors to approach prosecution witnesses. In practise this is rarely done, however, because of the fear that such contacts might be interpreted as criminal witness interference. A solicitor should in any event notify the Crown Prosecution Service prior to making contact with a prosecution witness. Counsel must not offer the victim compensation payments. This would be regarded as perverting the course of justice and lead to criminal sanctions. The right of the defence to confront adverse witnesses is limited by statute in sex offence cases with respect to the complainant’s previous sexual behaviour, and in relation to child witnesses. The statute’s impact on the defendant’s right to a fair trial has been considerably watered down by judicial interpretation.

E. Rules of Legal Ethics and their Enforcement Rights and obligations of defence counsel are regulated in professional rules of conduct. These rules are complemented by a special Code of Conduct for lawyers employed by the Public Defender Service. There has been some discussion on the possible conflicts between the lawyer’s duty to zealously represent her client’s interests and her duty to the court.

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A failure to call relevant defence witnesses could be sanctioned as a violation of professional obligations. Recent miscarriage of justice cases have revealed such misconduct by counsel, including incompetent preparation of the defence. In another case, a solicitor was struck off the list for not adequately advising his client at the police station. The present system of professional responsibility is primarily governed by the professional bodies. Their conduct including the regulation of solicitors and barristers is in turn overseen by a Legal Services Ombudsman. According to the Ombudsman’s report of July 2007, complaints were handled satisfactorily in 68% cases concerning solicitors, and in 84% cases concerning barristers. This report relates to all complaints, not just of criminal defence lawyers. The main complaints related to delay in investigations, poor communication, acting without instruction, providing misleading information and breaching confidentiality. F. Hypothetical Cases Which criminal, procedural, civil, disciplinary or informal sanctions (if any) would an attorney (A) have to face if he, as counsel for defendant D (charged with an offence of violence), did one of the following: (1) A omits to - present or nominate available defence witnesses at / for trial, - ask the prosecutor for information legally available to A before trial (discovery), - question prosecution witnesses in order to test their credibility / reliability. Assume that D is convicted in the court of first instance, and the conviction is later overturned on the initiative of new defence counsel. D is eventually acquitted for lack of sufficient evidence of his guilt.

Disciplinary sanctions, including his being stricken off the list, could be taken against A by the Bar Council, and similar sanctions would be available for solicitors. (2) A, acting on behalf of D, offers victim V a large amount of money, provided that V will testify in court that her injuries were less severe than she had previously told the police. V accepts the money and testifies as agreed with A; V’s testimony is false. It cannot be determined, however, whether A knew that V’s testimony in court would be false.

A would be convicted of perverting the course of justice; to pay money to change evidence is a clear example of that criminal offence.

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(3) In pretrial negotiations with A, the prosecutor and the judge offer D a sentence of 2 years in prison if she makes a full confession (or pleads guilty) at the beginning of court proceedings; if D remained silent and asked for a full trial on the charges she would face 4 years imprisonment. When A informs D of the offer, D insists that she is innocent. A responds that she intends to reveal in court that D had previously committed similar offences unless D went along with the deal. D consequently makes a confession (pleads guilty) and receives a sentence of 2 years imprisonment.

This case would not “work” in an English setting because there are no pre-set sentences, and the evidence of prior offences would not be admissible in court. But a lawyer bullying her client might face disciplinary (not criminal) sanctions. If counsel offered evidence against her client in court the court would ask the defendant if she had agreed to waive privilege; the defendant would then be likely to dismiss counsel and the court would agree to change of counsel.

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A. Roles and Role Conflicts of Defense Counsel I. Constitutional Right to Professional Defense Counsel

Defendants have quite broad choice of counsel they hire and pay for, but much less choice as to appointed counsel. Indigent defendants are assigned counsel in one of three ways: by appointment of the public defender’s office; appointment from a list of publicly-paid private attorneys who accept such appointments; and appointment pursuant to a contract between an attorney or group of attorneys with the court or other funding source. Defendants are not asked which assistant public defender, listed attorney, or contract attorney they would prefer. Such providers vary in their willingness to honor such preferences, although most would consider reassignment if the client voiced very strong objections to their assigned counsel. A defendant’s choice of privatelypaid counsel enjoys some constitutional protection, but such choice may sometimes be overridden – if that counsel has a conflict of interest which cannot be avoided or waived; if the chosen counsel will not be available soon enough to ___________ 1 Preliminary Note: The United States is a federal system in which the 50 states, the federal capital city (Washington, D. C.), and the federal government all have their own criminal laws and criminal courts. The U.S. Constitution imposes certain requirements and limitations, but otherwise all matters of criminal justice are governed by the laws of the 52 jurisdictions. These laws differ considerably on some points. The responses below attempt to state the general (most common) rules and practices, but some significant alternative approaches (minority views) are also noted. The licensing and professional responsibility of lawyers is governed almost entirely by state law, although the American Bar Association has issued Model Rules of Professional Conduct which have been widely adopted or consulted. No U.S. jurisdiction recognizes the traditional British distinction between barristers (trial lawyers) and solicitors; all lawyers admitted to practice in a given state or federal court district may handle trials.

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avoid unacceptable delay; if the counsel engages in professional misconduct; or if the assets the defendant would use to pay his chosen lawyer are subject to forfeiture. Courts are also very reluctant to allow defendants to change to a different privately-paid lawyer later in the process, especially during trial. Whether privately or publicly paid, a lawyer cannot represent a defendant if the lawyer feels he will be unable to provide competent representation for what ever reason, even if the client is informed and still wants the lawyer to represent him. A client’s consent cannot shield a lawyer from responsibility to provide adequate representation.

II. Principle of „Equality of Arms“

No Equality of Arms principle is formally recognized in law, although it may be implicit in certain constitutional provisions. In particular, the Sixth Amendment right to appointed counsel assumes that the adversary system cannot function fairly if only one side has a lawyer. Furthermore, the Sixth Amendment rights to confrontation of witnesses and compulsory process to obtain witnesses grant defendants the powers of asking questions and calling witnesses which the prosecution normally enjoys. Some scholars have made proposals for equal funding and quality of prosecution and defense lawyers which are premised on an Equality of Arms theory (without using that form of words).

III. Requirement of an (Appointed) Counsel

No matter how serious the charges, U.S. defendants have a constitutional right to refuse counsel and proceed with a “pro se” defense. However, this right can be denied if the court finds that the accused has not made a knowing, intelligent, and voluntary waiver of the constitutional right to the assistance of counsel. Counsel will be appointed if the accused is indigent and financially unable to pay for adequate assistance of counsel. Defendants with some resources but insufficient funds to pay the entire cost of their defense may be required to reimburse the court or other funding agency for part of the cost. In some jurisdictions, especially those calling for broad and relatively automatic pretrial disclosure of relevant information to the defense, the rules specify that disclosures will be made to counsel (but such textual limitations are not always interpreted as preventing counsel from sharing the disclosed information with the client). In other jurisdictions, especially those more narrowly defining the scope of routine disclosures, the rules state that disclosure will be to “the defendant” (which includes counsel). Courts generally also have discretion to decide whether to

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grant a pro se defendant access to additional information not required to be disclosed routinely. The prosecution may also apply for a protective order, barring or delaying access to certain information, upon a specific showing that disclosure will result in harm to witnesses, evidence, or a continuing investigation.

IV. Appointment and Dismissal of Counsel against the Defendant´s Wishes

Although defendants have a Sixth Amendment right to refuse the assistance of counsel and represent themselves pro se, courts have the authority to appoint “standby” counsel to be available before and at trial and provide whatever assistance the pro se defendant requests. Sometimes defendants will change their minds later in the pretrial process, or during the trial, and allow the standby counsel to take over and perform some or all normal counsel roles. Courts can order a change of counsel if the current retained or appointed counsel becomes unavailable, has a conflict of interest, or engages in misconduct. V. The Counsel as an Officer of the Court

Counsel is an “officer of the court” only in the sense that he or she has some obligation not to subvert the search for the truth. In particular, counsel may not knowingly present false evidence or knowingly make a false statement to the court of material fact, must sometimes surrender evidence received from the client, and must disclose to the court controlling legal authority (cases, statutes) which are contrary to the arguments being made on the client’s behalf and which the prosecution has not already disclosed. In an ex parte proceeding (where there is no lawyer for the other side) counsel must disclose not only controlling law but also facts that are adverse to the client’s interest. VI. The Extent to which Counsel is Bound by the Truth

As noted above, counsel may not present evidence he or she knows to be false. Knowledge of falsity may be inferred from circumstantial evidence, but there is some debate about how certain such knowledge must be. Particular problems arise when a client insists on testifying, and counsel believes the testimony will be false. (The decision to testify belongs to the defendant, not the court or counsel. In the U.S., defendants who choose to testify take an oath to tell the truth, subject to perjury sanctions, like all other witnesses.) If counsel has actual knowledge that the client will testify falsely, counsel must try to dissuade the client; if the client insists on testifying falsely counsel must seek to

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withdraw from the case. Failing that, counsel should consider refusing to call the client as a witness, or avoiding asking questions likely to elicit false answers. (Counsel has some discretion to override the defendant’s wish to testify, if perjury seems very likely and any available means to avoid it, or avoid counsel’s participation in it, would be likely to adversely affect how the court or jury views the defendant.) Under an alternative approach favored by some courts and model codes, counsel’s direct questions to the client on the witness stand are limited to matters as to which truthful statements are expected, after which the client is asked if there is anything he wishes to add (the client thereafter testifies in narrative form, rather than in the usual question and response format). As for evidence other than the client’s testimony, counsel has discretion to refuse to offer evidence which he reasonably believes to be false, and must refuse evidence the lawyer knows to be false. After evidence (of any type) has been introduced, if counsel comes to “know” that it is false, he or she should not use this evidence in final arguments, and must also seek to correct the falsehood, e.g., by seeking to persuade the client to correct his false statements and, failing that, informing the court (even if this involves disclosure of confidential information). There is debate about counsel’s obligations if the source of counsel’s knowledge of false evidence is confidential information received from the client. One view is that this makes no difference; another view is that client confidences should never be revealed by counsel without the client’s consent.

VII. Transmission of Information

As noted above2, some discovery rules provide for disclosure to “the defendant” (unless a protective order is obtained, based on a special showing that witnesses or evidence are in danger). When the rules specify disclosure only to counsel, it is understood that counsel may need to discuss some of the information with the client, but in some of these jurisdictions there is doubt whether full copies of the documents can be given to the client, or more information disclosed to the client than is necessary in order to provide effective representation. In jurisdictions which would ordinarily allow counsel to disclose a particular piece of information to the client, disclosure may be barred by a protective order. Counsel also has discretion to withhold particular information (for instance, a psychiatric diagnosis) when the client would be likely to react imprudently to that information. ___________ 2

See section III.

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VIII. Protection of Confidentiality between Counsel and his Client

The Sixth Amendment right to effective counsel may include protection of confidential information given by the client to counsel, but it does not protect documents or information which the client would not himself be privileged to refuse to disclose. State laws on the attorney-client privilege vary but generally define privileged communications to be those made in confidence for the purpose of giving or obtaining legal advice. The privilege does not cover statements made in the presence of a third party whose presence was not necessary to the provision of such advice. Counsel cannot be called to testify as to privileged information absent a waiver by the client. Counsel may disclose client confidences without a waiver, when counsel believes disclosure is necessary: to adequately defend the client or protect a client with diminished mental capacity; to prevent the commission of a crime or perpetration of fraud; to prevent reasonably certain death or substantial bodily injury; to prevent substantial financial or property harms which will result from the client’s use of counsel’s legal services; to rectify the consequences of the client’s criminal or fraudulent act resulting from use of counsel’s services; to correct material evidence previously offered by counsel which counsel then learns to be false; to obtain advice about legal ethics requirements; to defend against civil, criminal, or disciplinary charges related to representation of the client; or to support an action to collect the lawyer’s fee. There is no per se ban on searches or phone surveillance of lawyers under the U.S. Constitution, but some state laws impose limitations, for example, a requirement to use a subpoena (court order to turn over specified documents) rather than a search warrant, absent a showing of attorney misconduct or likely concealment. A client’s property held by an attorney may be seized or subpoenaed if it would not have been privileged (non-seizeable) while still in the hands of the client (and sometimes even if it would have been privileged). Confidential communications from the client may only be disclosed under limited circumstances. Information obtained from other sources should ordinarily not be revealed if it would prejudice the defendant’s case, but counsel may not hide, move, or conceal evidence which is relevant to the case and might be sought by the prosecution. Defense counsel would not necessarily be required to turn over incriminating evidence even if taken from the scene of the crime; if counsel can return the evidence after a reasonable examination, without destroying any of the evidentiary value, that can generally be done. The defense does not have to help the State with its investigation, but cannot harm the investigation. Confidentiality is waived when the client charges counsel with incompe-

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tency or unprofessional conduct. Breaches of confidentiality by counsel are not criminal offenses but may be sanctioned in professional disciplinary proceedings. IX. The Development of a Defense Strategy for Trial

Counsel will often give some deference to the client’s choice of trial strategy, but a fully engaged (non-standby) counsel has the power to decide most issues of strategy and tactics, including: which defense witnesses to call and in what order; what questions defense and prosecution witnesses will be asked; what motions and objections are made before and at trial; and what opening and closing arguments are made. Counsel must, however, communicate to the client counsel’s strategic decisions and the means chosen to carry out those decisions. Defendants must make certain critical decisions: whether to plead guilty and if so, to what charges and on what terms; whether to demand or waive a jury trial; whether to take the stand and testify; and whether to appeal if convicted at trial. There is support for the view that the defendant should also be the one to decide whether to raise a defense of insanity (which often invokes compulsory pretrial mental examinations, and may, if successful, result in automatic commitment to a secure hospital). X. Conduct as Defense Counsel and the Obstruction of Justice

Criminal defense attorneys have been charged with obstruction of justice (destruction of evidence, soliciting of false testimony, threatening witnesses so they won’t testify or will change their testimony, warning suspects of impending arrest or search, etc.). There do not appear to be any special rules applicable to defense counsel. Counsel may be charged with money laundering if they are paid with assets which they know or have reason to know to be proceeds of crimes subject to the money laundering law. Lawyers may also be criminally liable under currency reporting laws, for instance, for failing to report cash payments greater than $10,000 or structuring payments to avoid the reporting requirements. B. Criminal Defense before Trial I. The Importance of Pretrial Proceedings

Pretrial proceedings are more important than trials in that the vast majority of cases end in the pretrial phase. Cases end before trial because the case has been

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dismissed or the defendant has agreed to plead guilty. Cases are dismissed when the evidence is found by the court or the prosecutor to be insufficient (especially: when crucial evidence has been ruled inadmissible at trial). Dismissal sometimes also occurs because the defendant has agreed to seek treatment, compensate the victim, or take other positive measures; such measures would not usually be considered a “sanction,” but they are often indistinguishable from conditions imposed on convicted offenders. Pretrial findings and statements or testimony of persons other than the defendant usually cannot be introduced at trial unless the defendant consents. But if a witness becomes unavailable his or her pretrial testimony may be admissible at trial provided the defendant had a full opportunity to question the witness in the pretrial phase. II. The Right to Counsel during Pretrial Proceedings

The Sixth Amendment right to counsel “attaches” (begins) as to a given offense when the defendant is charged in court with that crime (by filing of the formal charging document, or at the defendant’s first court appearance after being arrested). This right includes the rights to retain or receive appointment of counsel, the right to begin preparing for trial, and the right of counsel to be present and provide assistance at all “critical stages” of pretrial and trial procedure (such stages include presentation of the defendant to a witness for identification, most court hearings, and attempts by government agents to elicit incriminating evidence from the defendant. Even before the Sixth Amendment right attaches, defendants have a right to counsel (based on the Fifth Amendment privilege against compelled self-incrimination) during any “custodial interrogation” (direct questioning, or its functional equivalent, of a suspect who is under arrest or its functional equivalent). III. The Course of Pretrial Proceedings

Many aspects of pretrial procedure are “secret,” and not just those in the earlier phases. For example, counsel may consult with the client outside the grand jury room but may not be present when evidence and witnesses are presented to the grand jury as it decides whether an indictment (formal charge) will be issued; this stage may occur weeks or months after the defendant was arrested. Rules governing defense access to pretrial investigation results (“pretrial discovery”) vary considerably among U.S. jurisdictions. In some states, by law or custom, defense counsel have access to almost anything in the prosecutor’s files, including the names and pretrial statements of proposed trial witnesses; at the other extreme, some states (and the federal system) provide very limited

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pretrial discovery. The U.S. Constitution requires the prosecution to disclose to the defense, before or at trial, any known exculpatory evidence (see below). Defense counsel have very limited coercive powers to collect evidence, and no formal power to demand that the prosecution or police collect certain evidence, or re-do any aspect of their previous investigation (which is usually mostly complete before defense counsel is retained or appointed). Counsel may request the court to order the pretrial deposition of a witness who is likely to be unavailable to testify at trial; a few states have somewhat broader grounds for taking pretrial depositions on behalf of the defense. IV. Own Investigation of the Counsel

In theory, counsel can collect almost any kind of evidence that the police and prosecution can collect, but the practical scope of defense investigatory powers is limited – not just by the lack of coercive powers, but also by the limits of defense budgets, especially for indigent defendants. The limited defense evidencegathering powers stand in stark contrast to those of the police and prosecution. Counsel lack not only the police powers of search and seizure, and the prosecutor’s power to forcibly summon witnesses before the grand jury, but also the power of the police and prosecutors to detain witnesses for questioning by the use or threatened use of ”stop-and-frisk,” arrest, and other coercive police powers. Counsel further lacks the prosecutor’s charging discretion and authority to request a court order of testimonial immunity for a witness. These powers, backed up by severe sentencing laws, give the prosecutor powerful tools for obtaining cooperation and testimony from potential witnesses. Defendants also have no “witness protection” programs. Counsel can request the police and prosecution to assist in locating witnesses, but there is no right to demand any particular pretrial investigative measures. Subpoenas may be obtained to ensure the presence of defense witnesses and their relevant documents or property at trial, but not for pretrial interviews or depositions (absent a showing that the witness will be unavailable to give trial testimony). Counsel has a duty to conduct useful and feasible pretrial investigations, and may be sanctioned for unprofessional conduct if he failed to do so. If the failure violated the defendant’s Sixth Amendment right to effective assistance of counsel, it can provide a basis to appeal the conviction. However, there are very few “per se” grounds for finding ineffective assistance, and there is no standard “check list” of pretrial investigative steps (the appropriate forms of investigation are deemed to be very dependent on the particular case). Ineffective assistance, according to the Supreme Court, requires a showing of two elements: 1) counsel’s actions fell below an objective standard of reasonable effectiveness

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(what a reasonably competent and motivated attorney would have done under the circumstances); and 2) there is a “reasonable probability that, but for counsel’s unprofessional errors, the result of the proceeding would have been different” (a probability great enough “to undermine confidence in the outcome”). There isn’t any national data on what kinds of pretrial investigations counsel typically carry out; given strained defense budgets, it seems likely that substantial investigations are not common. Defendants with retained counsel pay for their own investigations; court-appointed counsel have budgets for ordinary investigations, and may request additional public funding for very expensive and critical support (e.g., an expert witness to support a defense of insanity). V. The Counsel´s Right to Inspect the Prosecutor’s (or Police) Files

Prosecutors are constitutionally required to disclose to the defense any exculpatory or other pro-defense evidence in the possession of the prosecution whenever such evidence is “material” to either the determination of guilt or to sentencing (so-called “Brady” material). In reviewing a prosecutor’s failure to disclose evidence, the standard of materiality is whether there exists a reasonable probability that the result (as to guilt or sentencing) would have been different had the evidence been disclosed. Beyond these federal constitutional requirements, pretrial discovery varies by jurisdiction, and may be further limited or expanded by court order. But it generally provides little access to police and prosecution information until after the pretrial investigation is complete. Defense counsel receive copies but not originals of documents. As noted above, disclosure to the client may not be allowed. In more serious (felony) cases, another important potential source of information about the prosecution case is the testimony of witnesses at the preliminary hearing. This is an adversary hearing held some days or weeks after the initial arraignment (first appearance in court), to determine whether there is sufficient evidence (probable cause) to justify continued pretrial proceedings and trial. However, a substantial number of defendants (perhaps one-fourth) waive the preliminary hearing, usually because they have already decided to plead guilty, but in some cases out of concern that the hearing would solidify adverse testimony or allow the hearing testimony to be used at trial if the witness becomes unavailable. In addition, prosecutors can bypass the preliminary hearing by obtaining a grand jury indictment, which establishes probable cause (however, at some later point before trial discovery rules may require disclosure to the defendant of the names of persons who testified before the grand jury and their testimony, or even a transcript of the entire grand jury proceedings). Finally, in preliminary hearings and grand jury proceedings, the probable cause standard is lower both quantitatively

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and qualitatively than trial standards of proof; hence, the prosecution need not call all of its proposed witnesses, and may rely on documents and second-hand (hearsay) testimony. Sometimes witnesses located by the defense turn out to be helpful to the prosecution. Demanding a preliminary hearing can result in hearing testimony of prosecution witnesses (and unexpectedly adverse defense witnesses) being deemed admissible at trial, if the witness subsequently becomes unavailable to testify. If counsel is present at other pretrial proceedings (interrogations, identification procedures, searches) and fails to object to any apparent improprieties, courts may deem the objections waived. But if the assistance of counsel was constitutionally required at that proceeding, there may be a basis to argue that the failure to object violated the right to effective assistance. Pretrial discovery is sometimes a two-way street. In many jurisdictions the defense is required to give notice to the prosecutor or the court prior to trial of its intent to raise certain defenses (especially insanity, but sometimes any specific recognized defense); often a list of proposed witnesses in support of the defense(s), and their pretrial statements, must also be disclosed.

VI. The Counsel´s Right of Presence and Participation

As noted above3, defendant has a right to have counsel present at any custodial interrogation, and also at certain “critical” stages of the pretrial process after the Sixth Amendment right to counsel has attached. Except when the defendant is presented to witnesses for identification after the Sixth Amendment right attaches, or is examined by expert witnesses, there is no right to counsel when witnesses or experts are interviewed by the police or prosecutors, nor when real evidence or premises are inspected or searched. Counsel who is present at an interrogation or identification session may observe the proceedings, register objections, and consult with the defendant, but counsel has no formal right to ask or suggest questions of anyone present. Such sessions are not required to be recorded in most jurisdictions. The pretrial participation rights summarized above can be limited if the defendant waives the right, and perhaps also if counsel is very obstructive. (Advising the client not to answer questions is allowed, but the client has no right to refuse to participate in a lineup or other showing for identification to witnesses.) In practice counsel are rarely allowed to be present when there is no right to ___________ 3

See section II.

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counsel unless the prosecution views such presence as helpful to obtaining a negotiated settlement. Counsel will usually learn about wiretaps before trial, and sometimes also about the use (but not the identity) of confidential informants and undercover officers. The defense can make a motion for pretrial disclosure of the identity of such informants, or even their production and questioning in private (“in camera”) court session, but in most jurisdictions such motions are rarely granted unless it can shown that the informant or undercover officer has material exculpatory information which is constitutionally required to be disclosed (“Brady” material, discussed above). However, the identity of any witness who testifies at trial must be revealed to the defense.

VII. The Counsel´s Influence on Taking of Evidence

Pretrial motions to exclude evidence at trial are extremely common, and may be ruled on either by the assigned trial judge or another judge. Counsel can rarely make pretrial motions requesting the gathering of certain evidence. Courts will sometimes grant a motion to hold a lineup identification procedure at trial (to avoid the inherent suggestiveness of asking the witness whether the defendant, sitting next to counsel, is the perpetrator).

VIII. The Counsel´s Participation Rights in Dismissal of a Case

Conditional dismissal in the U.S. is called Pretrial Diversion (also Continuance for Dismissal or Stay of Adjudication). These decisions are usually a matter of prosecutorial discretion, so there is no hearing or other formal right of defense participation. Conditional dismissals are often bargained in the same way as initial and subsequent charging decisions are negotiated as part of the general “plea bargaining” process, but the procedures are informal. A court hearing and court approval would only be necessary in the minority of jurisdictions and cases in which pretrial diversion decisions are regulated by statute, or where court approval (“leave of court”) is required to dismiss an indictment or other formal charge. However, when charges are held open (“continued”) rather than finally or conditionally dismissed, this decision is more likely to require court approval. Occasionally, a court will dismiss or continue charges or stay adjudication on its own motion, with the consent of the defendant but not necessarily of the prosecution, on condition that the defendant undertake certain probation-like obligations.

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Richard S. Frase IX. Intermediate Proceedings

For defendants who have only received an ex parte probable cause determination4, an adversary preliminary hearing to determine probable cause may be held after the first court appearance. A grand jury proceeding to determine probable cause and issue formal charges via an indictment may be held after, or in lieu of, the preliminary hearing. At some point before trial, motions may be filed and heard to suppress illegally obtained or otherwise inadmissible evidence, to request or compel additional discovery of prosecution evidence, to dismiss some or all charges for lack of a sufficient legal or factual basis, to request a change of venue (trial location) or assignment to a different judge, to request additional public funding (e.g., to hire expert witnesses), and for various other purposes. All of these proceedings and motions are waivable; if not waived, the defendant and counsel may be present at all pretrial hearings except the grand jury. These proceedings and motions are usually helpful to the accused, subject to the problems noted above.

C. Judgment Bargaining and Defense I. Judgment Bargains

Judgment bargains are legal and widespread. Most scholars and some judges have strongly criticized plea bargaining, especially with respect to certain procedural principles, for example, the obligation to search for the truth, the presumption of innocence, the privilege against self-incrimination, and the proportionality of sentences. Lawyers usually only criticize aspects of the practice which hurt their party interests. For instance, defense attorneys are concerned about innocent offenders being coerced to plead guilty by threats of draconian sanctions if they do not, and also object when those penalties are imposed on defendants who refuse to plead guilty. Prosecutors object that some guiltypleading defendants receive insufficient punishment, or plead to lesser crimes which seriously understate their criminality.

___________ 4 E.g., through the issuance of an arrest warrant before the arrest or, more commonly, a day or two afterwards.

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II. Reasons for Bargains

The legitimacy of plea bargaining is based on both normative and systemic considerations. The latter are probably more significant causes of bargaining. For example, the American Bar Association revised its guilty plea standards in 1979, substantially narrowing the scope of the stated normative justifications for plea concessions, but there is little evidence that the frequency or size of such concessions has decreased since then. (Of course, this may just mean that no one pays much attention to the ABA standards, at least in this context.) Alternatives to plea bargaining are not often discussed these days, except in the context of “restorative” and/or “community” justice theories and programs (which are not primarily motivated by case overloads or concerns about plea bargaining per se). However, case overloads and the resulting heavy reliance on negotiated pleas and substantial concessions to defendants are sometimes cited as reasons to increase court and attorney resources. Another “solution” to overload and undue-concessions problems is to increase the prosecutor’s bargaining power by enacting even more draconian penalties, such as mandatory minimum and repeat offender (“three-strikes”) provisions. III. Statutory Basis for Judgment Bargaining

There is almost no statutory basis for plea bargaining, and little interest in enacting specific rules. Rules and Codes of Criminal Procedure usually specify the requirements for acceptance of a guilty plea. These rules sometimes make explicit reference to plea agreements, and may require that the terms of the agreement be fully disclosed to the court. They also often specify that, if a guilty plea is not accepted by the court or is later withdrawn, the plea itself as well as testimony about the plea discussions or plea agreement are inadmissible in any subsequent criminal, civil, or administrative proceeding. Implicit support for plea bargaining can be found in several provisions of the federal sentencing guidelines. One provision grants specified concessions for defendants’ “acceptance of responsibility” (which, in practice, usually requires the defendant to plead guilty, preferably early in the pretrial process). Another provision grants open-ended concessions to defendants who provide “substantial assistance” in the prosecution of other offenders (which also usually requires the defendant to plead guilty). A third provision, designed to limit the discretion of prosecutors to forego or dismiss collateral or more serious charges, specifies sentence enhancements for certain “relevant conduct” beyond the crime(s) for which the defendant has pled or been found guilty. All of these provisions have been criticized, and no state guidelines regime has copied them

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Richard S. Frase

or independently derived anything similar. It should be noted that these three features of the federal guidelines, and indeed all of the guidelines rules, became voluntary (not legally binding) in January 2005, as a result of a Supreme Court case finding that aspects of the guidelines violated federal constitutional rights of jury trial and proof beyond reasonable doubt.

IV. The Subject of Bargains

Bargains typically involve the defendant’s agreement to plead guilty to some or all charges (or at least, to waive jury trial), and sometimes also include a waiver of the right to appeal any aspect of the pretrial procedure, in return for one or more of the following concessions: 1) the prosecutor’s agreement to dismiss collateral or more serious charges (or not file other, as yet unfiled charges); 2) the prosecutor’s agreement to recommend a specified sentence (or a sentence no more severe than a specified sentence), or an agreement not to oppose a specified sentence, or to take no position (“stand silent”) at sentencing; and/or 3) an agreed sentence whereby the defendant retains the option to withdraw his plea if the court imposes a more severe sentence, and the prosecutor has the option to oppose the sentence and refuse any agreed-to charging concessions, if the court imposes a less severe sentence. None of these bargains is formally binding on the court, but prosecution concessions as to charge reduction, dismissal, or non-filing are often binding as a practical matter: although the court can refuse to accept the plea, it cannot legally compel the prosecutor to file other charges (and the court cannot, in most jurisdictions, demand the retention of charges which the prosecutor wishes to drop).

V. The Typical Course of Bargaining

Bargaining is conducted informally at all stages of the pretrial process after counsel has been appointed or waived. It is conducted almost exclusively between the prosecutor and the defense attorney. The presiding judge must evaluate the guilty plea and must at a minimum find that the plea: 1) is a voluntary admission of guilt; 2) involves a voluntary, knowing and intelligent waiver of all applicable trial rights; and 3) has a sufficient “factual basis” (likelihood that the prosecution could prove the offense(s) pled to – however, this is not a very exacting standard). In many jurisdictions judges receive a statement on the record of the plea agreement (what each side agreed to do), and in some jurisdictions the court is formally given authority to reject the plea agreement. Beyond this, judges in many jurisdictions do not participate in plea negotiations; indeed,

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judges in federal courts and in some states are expressly forbidden to participate. There are several objections to judges participating in plea negotiations: 1) judicial participation in discussions creates the impression that the defendant is not receiving a fair trial, 2) participation lessens the objectivity of the judge to determine the voluntariness of the plea, 3) participation is inconsistent with the theory behind the use of the pre-sentence investigation report (the court should not form an opinion about the sentence before receiving the report), and 4) the risk of not going along with the judge may induce an innocent person to plea guilty. Some judges in some jurisdictions will “participate” to the extent of saying what sentence (or most severe sentence) they would impose if the defendant pled guilty; it is generally considered improper for the judge to also say what the sentence would be if the defendant were to be convicted at trial; however, the general sentencing practices of judges become known to attorneys who regularly appear before them. Occasionally judges in some jurisdictions participate more actively in plea negotiations, holding a meeting in the judge’s chambers in which the judge moderates a discussion of charging and sentencing options between the attorneys (and, very occasionally, the defendant, the victim and/or community representatives or family members).

VI. The Defendant´s Part of Plea Bargaining

Although the defendant generally does not participate in plea negotiations, he must give consent before counsel begins to engage in plea discussions with the prosecution, and the defendant must ratify the tentative agreement reached between the attorneys. Counsel must also inform the defendant of all offers made by the state, even if counsel feels that such offers are inadequate. In theory, all defendants have access to bargaining. But some offenses or offenders are considered too serious to permit any prosecution concessions, and some offenders are less able to effectively bargain (because their attorneys are less effective or overworked, or because they distrust the process or are unable to accept and admit their guilt). More affluent or higher-class offenders typically have more effective and less overworked counsel; on the other hand, some of these cases receive heightened publicity, which limits the prosecutor’s willingness to grant concessions that would ordinarily be granted.

VII. An Unsuccessful Negotiation

If no plea agreement can be reached the case usually goes to trial, but sometimes defendants will agree to plead guilty with no concessions (“straight

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Richard S. Frase

plea”), especially upon learning that a judge known for giving lenient plea sentences (and/or severe trial sentences) has been assigned to try the case. And sometimes, when no agreement or straight plea is obtained, the prosecution will dismiss the charges, especially if evidentiary weaknesses make trial conviction uncertain, and/or the defendant has been or will be convicted on other charges or will be deported. If the prosecutor fails to honor the bargain (even a bargain made by another prosecutor), the defendant is entitled to have the bargain enforced by order of the court; failing that, the defendant may refuse to plead guilty or withdraw any guilty plea previously entered or tendered to the court. The court must honor its limited part of the bargain: if a plea agreement calling for a specified sentence or sentence-cap has been accepted by the court, it must enter that sentence or a less severe sentence, failing which the defendant must be allowed to withdraw his plea. If the court’s sentence is less severe than the penalty specified in the agreement, the prosecutor can refuse to grant any agreed-upon charging concessions.

VIII. Statistics

In most jurisdictions at least 90 percent of serious-crime (felony) convictions are obtained by guilty plea rather than trial conviction, and an even higher proportion of misdemeanor convictions are by plea. Most guilty pleas reflect at least some degree of bargaining. As the felony and misdemeanor plea rates suggest, more serious cases are somewhat more likely to go to trial. In very serious cases, the prosecutor may refuse to offer any concessions in return for a plea, or the proposed guilty-plea sentence, with or without any concessions, may be so severe that the defendant is unwilling to give up the possibility of acquittal. In very minor cases the various inconveniences of going to trial (delay, lost wages, embarrassment) further encourage pleas. There are, of course, many other factors which encourage or discourage bargaining and pleas of guilty. As was suggested earlier, draconican penalties (especially mandatory penalties invoked by conviction for specified crimes) combined with substantial guilty-plea concessions can reduce the trial rate to almost zero. (Something close to this appears to have happened in federal criminal cases since 1990, under the federal guidelines and mandatory-sentence statutes.) Some offenders are very “risk averse,” and are willing to give up the chance of a trial acquittal in return for an agreed sentence which eliminates any possibility of a more severe sentence; at the other extreme, some offenders are gamblers, willing to risk a higher trial penalty for the small chance of obtaining acquittal.

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IX. Benefits from a Bargain

The relative benefits of plea bargaining for prosecutors and defendants are very difficult to calculate. Such a calculation depends on how one compares very different dimensions of the process (in particular: conviction odds, resources consumed, and sentences imposed); what assumptions one makes about the strength of the evidence in guilty plea cases; and what baseline one uses to define an appropriate sentence. In most state systems it seems probable that most defendants who plead guilty would have been found guilty of the pled-to crime(s) – or more serious crime(s) – if they had gone to trial. Thus in these systems prosecutors may be saving resources but not gaining very many convictions they wouldn’t have gotten at trial. Defendants with retained counsel may also be saving resources by pleading guilty, but most defendants in state systems have free lawyers. Who gains as to sentencing? In most state systems it appears that plea bargains benefit defendants (in some cases, very substantially) when compared with authorized penalties and with penalties imposed after trial. Combining conviction odds, resources used, and apparent sentencing effects, and assuming that sentencing is more important than resources saved, one might conclude that “most defendants in most state systems benefit more than the prosecutor did in their cases.” However, it can be persuasively argued that authorized or even trialconviction sentences are an improper baseline. Authorized penalties are, at best, only appropriate for a very small group of extremely aggravated cases. Some would say (particularly in light of international and historical comparisons) that for many crimes, especially drug crimes and repeat-offender crimes, authorized penalties in the U.S. are unduly severe even for the most aggravated cases. As for trial penalties, these are not comparable to guilty-plea penalties to the extent that tried cases tend to involve more serious charges5. Researchers have tried to control statistically for known sentence-related factors in trial and guilty plea cases, but such after-the-fact statistical comparisons can never eliminate the possibility that trial-conviction cases are more serious, in unmeasured ways, than the guilty-plea cases to which they are being compared6. It is also quite possible that trial-conviction sentences are unfairly exaggerated by a desire to penalize defendants who refuse to plead guilty. Thus it remains possible that in most states most defendants who plead guilty are not receiving much if any ___________ 5

See section VIII. above. To cite but two examples: trial defendants may be less amenable to probation, and many defendants who choose to testify at trial are believed to commit perjury. 6

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sentence concession, relative to a fair sentence for their crime(s). In sum: prosecutors’ savings in resources may be the most common benefit of bargaining. In some jurisdictions there is reason to think that prosecutors also gain a substantial number of convictions through plea bargaining that they would not have obtained at trial. This seems especially likely to be the case in the current federal system. Federal guilty plea rates have increased substantially since 1990, with a corresponding decline in the non-conviction rate. This change appears to be due to the combined effects of the federal sentencing guidelines7 and severe statutory mandatory-minimum sentences which, as a practical matter, can only be avoided if the defendant pleads guilty. There is no reason to believe that this shift is due to a steady decline after 1990 in the proportion of prosecuted federal cases with evidentiary weaknesses; rather, there is good reason to believe that more and more federal defendants who would have been acquitted at trial have given up the chance of acquittal in exchange for the certainty of receiving a substantially less severe sentence.

X. The Interest of Counsel in Bargaining

Most defense counsel want to “win” for their client as well as for themselves; most also believe that their effectiveness in each case improves their general reputation and thus their bargaining power in other cases, and see no conflict between their self-interest, their duty to their current client, and their duty to other or future clients. Certain conflicts of interest are, however, inherent in defense work even though such conflicts are formally forbidden. For retained counsel, it is generally easier to make money by pleading a large number of cases guilty than by taking many cases to trial (however, counsel must take enough cases to trial to maintain good trial skills, make the threat of demanding trial credible, and avoid getting a reputation as a lawyer who isn’t a zealous advocate for his clients). Appointed counsel often face similar pressures to avoid trial. Some appointed counsel are paid a flat fee which does not depend on whether the case is pled or tried (or, if the trial fee is higher, it does not come close to providing adequate payment for the extra time it takes to prepare for and conduct a trial). Public Defender programs are chronically under-funded, and every case they take to trial reduces the attorney time and other resources available to process the other cases being handled by the office. All attorneys at least occasionally face pressures to dispose of a given case quickly (for instance, because they have other more serious cases they need to work on, or ___________ 7

See section III. above.

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urgent private demands on their time). Defense attorneys who practice regularly in a court system, whether retained or appointed, feel pressure from judges and prosecutors to accept “reasonable settlement” norms, even in cases where they believe (but cannot persuade the other actors) that settlement is inappropriate.

XI. Proceedings Involving more than one Defendant

When there are multiple defendants in a single case, attorneys generally cannot represent more than one of them, since their interests are potentially in conflict. When co-defendants are represented by separate counsel, each counsel (and client) often faces the classic “prisoner’s dilemma” in deciding whether the defendant should cooperate with the authorities and help them convict the other defendant(s). If all defendants cooperate the prosecution will have little need to grant substantial concessions to any of them; if none cooperate, they may all escape conviction; but if this defendant refuses to cooperate and one or more others gives in, this defendant will receive the most severe consequences.

XII. The Counsel’s Role in Judgment Bargaining

Other than the prohibition on making false statements, there are few if any specific rules on the conduct of counsel in bargaining. The “officer of the court” slogan is mostly invoked to support limits on counsel’s use of false evidence at trial8, and is not expressly applied to plea bargaining except in connection with the prohibition on making false statements during plea discussions. But there is probably wide-spread tacit agreement, at least among judges and prosecutors, that defense attorneys serve an important public interest by facilitating plea discussions and helping to persuade defendants to accept plea agreements. Counsel might experience some embarrassment for “failing to convince” the defendant to accept a bargain informally agreed to by the lawyers, but the client has the final say. To retain the confidential relationship between client and counsel, defense counsel must maintain client confidences during bargaining. Counsel must inform the client as to the options and outcome of bargaining to a sufficient extent to render the client’s guilty plea “knowing, intelligent, and voluntary.” Counsel should also discuss with the client certain collateral conse___________ 8

See sections A.V., VI. above.

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quences of the negotiated conviction (for example, that he may no longer be eligible for his current employment) which the court need not spell out when the plea is tendered. Occasionally defendants convicted at trial complain that they received inadequate advice from their lawyer, and would have pled guilty (and received a lower sentence) if they had been competently advised. These claims might be a basis for a civil damages or disciplinary action against the attorney, but they are almost never successful as a basis to void a trial conviction or sentence. There is good reason to believe and some anecdotal evidence (but no hard data) suggesting that counsel sometimes put pressure on their clients to accept a plea bargain. This is not always considered improper; it may very well be in the client’s best interest to accept the bargain. But even if the bargain is not in the client’s best interest there are no criminal penalties, nor would disciplinary sanctions be available unless it were shown that counsel discouraged acceptance of the bargain because of the counsel’s personal matters or other conflict of interest. D. Defense Interests vs. Victim and Witness Protection I. Rules Concerning the Conduct of Counsel with Respect to Victims

There are no rules specifically limiting defense questioning of victims, but several general rules apply. If the victim is known to be represented by a lawyer in connection with the victim’s civil claim for damages resulting from the offense, counsel may not communicate with the victim about that claim without the consent of the victim’s lawyer. If the victim is not represented by a lawyer, defense counsel must not give legal advice to the victim (other than the advice to obtain counsel), nor may defense counsel state or imply that the counsel is neutral in the matter. Of course, counsel also may not use means of obtaining evidence that violate the victim’s privacy, property, or other legal rights.

II. Counsel’s Access to Victims to Obtain Information and Discuss Settlement

It is generally accepted that the prosecution may not discourage victims or other witnesses from talking to the defense. It is also generally established that the victim has the right to refuse to be interviewed by the defense, and defense counsel will usually have no way of compelling the victim to do so. Some jurisdictions have passed constitutional amendments specifically outlining the right of a victim to refuse a pretrial interview. On the other hand, some jurisdictions

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allow the victim to be cross-examined at trial on why the victim refused to grant such an interview, especially if it bears on the credibility of the victim as a witness.

III. Payments of Compensation by Counsel to Victims

There is generally nothing prohibiting counsel from asking the victim to request the government to drop charges against the defendant. Counsel is prohibited from threatening, bullying, or lying to the victim, and as noted above, counsel must be careful not to offer legal advice to a person unrepresented by counsel. Additionally, defense counsel cannot encourage the victim to not show up at trial, refuse to testify, or commit perjury, nor may counsel in any other way unlawfully obstruct the prosecutor's access to evidence. Paying compensation to a victim becomes witness tampering when, as an explicit or implicit consideration for the payment, there is an agreement that the victim/witness will not testify or will change their testimony. However, a legitimate payment to compensate a victim for damages without any hint that the victim will, as a quid pro quo, refuse to testify or alter testimony, would not violate the rules.

IV. The Effect of the Protection of Witnesses or Victims on Defense Rights

Certain types of victims receive special protection. So-called “rape shield” laws limit the ability of counsel to question the complaining rape victim about his or her prior sexual conduct with persons other than the defendant. However, these statutory rules are sometimes overridden by the defendant’s Sixth Amendment right to confront and cross-examine all prosecution witnesses. If a special showing is made that a particular child victim would otherwise experience serious emotional distress and be unable to adequately communicate, a child victim may be permitted to testify by closed circuit television or a oneway screen preventing the child from seeing the defendant but allowing the defendant, counsel, judge and jury to see the witness and allowing the defendant and counsel full communication with each other. Some courts have placed limits on the right of defendants, handling their case without a lawyer (pro se), to directly question children or other vulnerable victims. In such cases, the court or standby counsel will ask the questions.

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Richard S. Frase V. Counsel’s Access to Protected or Anonymous Witnesses

Counsel will often need to obtain a court order authorizing him or her to speak to witnesses held in protective custody or a witness protection program. The identity of confidential informants whose information is used to support arrest or search and seizure of evidence, or who buy or sell illegal substances or services, is generally kept secret unless and until the witness testifies at trial.

E. Rules of Legal Ethics and their Enforcement Defense counsel are subject to codes of professional conduct which describe the rights and obligations of all lawyers. Such codes impose many general and specific duties on defense counsel, violation of any of which could be a basis for disciplinary sanctions. Lawyers can also be sued for damages by their former clients, on the theory of professional malpractice. Most U.S. jurisdictions, however, require that a criminal defendant must be exonerated, or must make a showing of actual innocence, before a legal malpractice claim against defense counsel may proceed. Lawyers are occasionally held criminally liable for conspiracy or aiding and abetting perjury, witness tampering, obstruction of justice, and other laws that protect individuals and the system. Lawyers are also sometimes held in contempt for actions such as violating a court order, or acting in some way that disrupts the court. The most common form of discipline is sanctions from the attorney licensing board in each jurisdiction. The high court in each jurisdiction licenses and sanctions lawyers who practice within that jurisdiction. The sanctions range from private admonitions and probation to disbarment. Every jurisdiction has its own rules and system for discipline, but they are for the most part similar. Defense counsel are sanctioned for a variety of violations, including lack of diligence such as missing an appeal deadline, incompetent advice or representation, failure to communicate adequately, and failure to properly handle client funds and property. There are no national data on disciplinary proceedings against criminal defense attorneys. In the state of Minnesota in 2004 the lawyer’s professional responsibility board received a total of 1147 complaints against lawyers licensed in that state; 242 of those complaints were in the area of criminal law. The most common complaints against criminal defense counsel involved claims of ineffective assistance (lack of diligence or competence) and lack of adequate com-

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munication with the client. Discussions of conflicts between the duty to serve the client and lawyer independence (from the client) focus primarily on the problem of evidence which the lawyer knows or strongly suspects to be false9. There do not appear to be any major projects or proposals to change the disciplinary system as it relates to criminal defense counsel. Because each jurisdiction has their own rules and their own system of discipline, each would likely have individualized objections to the current system. The main overall issue seems to be the degree of procedural protection in disciplinary proceedings. Most jurisdictions have granted only limited procedural rights in these proceedings. The U.S. Supreme Court has called disciplinary proceedings quasicriminal, and has stated that the jurisdiction must afford notice of what the charge is so the lawyer can prepare a defense. On the other hand, in most jurisdictions there will be no presumption of innocence, no reasonable doubt standard, and no right to confrontation with adverse witnesses.

F. Hypothetical Cases Which criminal, procedural, civil, disciplinary or informal sanctions (if any) would an attorney (A) have to face if he, as counsel for defendant D (charged with an offence of violence), did one of the following: Case 1: A omits to -

present or nominate available defense witnesses at / for trial, ask the prosecutor for information legally available to A before trial (discovery), question prosecution witnesses in order to test their credibility / reliability.

Assume that D is convicted in the court of first instance, and the conviction is later overturned on the iniative of new defense counsel. D is eventually acquitted for lack of sufficient evidence of his guilt.

Assuming that the result in this first trial would probably have been the same as eventually occurred with new counsel (i.e., acquittal), if the first counsel had called the available witnesses, requested the discoverable information, and challenged the prosecution witnesses’s credibility, there might be a basis to sue the first lawyer for damages (malpractice). Except in extreme cases, a single instance of malpractice might not result in disciplinary sanctions, but repeated instances probably would. Although it is the attorney’s authority to make strategic decisions with regard to the case, including which witnesses to call, it is ___________ 9

See Section A.V., VI. above.

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Richard S. Frase

generally considered a violation of competence to not adequately investigate and interview such witnesses. Courts have sanctioned lawyers for not interviewing obvious potential witnesses, and for not adequately investigating cases. Repeated instances could also result in employer reprimands or loss of future assigned counsel work, and loss of paying clients for a private attorney. It is very unlikely that such malpractice, even if repeated, would result in criminal sanctions. Case 2: A, acting on behalf of D, offers victim V a large amount of money, provided that V will testify in court that his injuries were less severe than he had previously told the police. V accepts the money and testifies as agreed with A; V’s testimony is false. It cannot be determined, however, whether A knew that V’s testimony in court would be false.

It is considered unethical, and in most jurisdictions a criminal offense (e.g., bribery, obstruction of justice, witness tampering, or contempt of court), to offer a witness money or other compensation beyond reimbursement for their expenses in testifying. This could be grounds for disbarment (loss of the attorney’s license to practice law in that jurisdiction). Case 3: In pretrial negotiations with A, the prosecutor and the judge offer D a sentence of 2 years in prison if he makes a full confession (or pleads guilty) at the beginning of court proceedings; if D remained silent and asked for a full trial on the charges he would face 4 years imprisonment. When A informs D of the offer, D insists that he is innocent. A responds that he intends to reveal in court that D had previously committed similar offenses unless D went along with the deal. D consequently makes a confession (pleads guilty) and receives a sentence of 2 years imprisonment.

This seems like a clear violation of the duty of loyalty to the client, and also of the duty to not reveal confidential information. In some jurisdictions this could be charged as a criminal offense (blackmail or coercion), although actual prosecution seems unlikely based on a single instance and D’s uncorroborated testimony. These breaches of duty to the client could also justify a malpractice claim (for damages) and disciplinary sanctions for professional misconduct, but would probably not provide a basis to void the defendant’s conviction. Courts are reluctant to reverse convictions for violations which caused the defendant to enter a guilty plea he otherwise would not have.

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Bibliography American Bar Association: Annotated Model Rules of Professional Conduct, 5th edition 2003. – Standards for Criminal Justice: Prosecution Function and Defense Function, 3rd edition 1993. Hall, John Wesley Jr.: Professional Responsibility of the Criminal Lawyer, 2nd edition 1996. LaFave, Wayne R. / Israel, Jerold / King, Nancy J.: Criminal Procedure, 4th edition 2004.

Rechtsvergleichende Lösung der praktischen Fälle

Claudia Lüdtke, Anabel Harting und Stefanie Haumer

Welche rechtlichen oder informellen Reaktionen hätte ein Anwalt (A) zu gewärtigen, der als Verteidiger eines Mannes (M), dem ein Sexualdelikt vorgeworfen wird, folgendes tut:

Fall 1 A unterlässt es, vorhandene Entlastungszeugen dem Gericht zu benennen sowie die Belastungszeugen durch intensive Befragung auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. M wird verurteilt und erst später aufgrund der Initiative eines neuen Verteidigers nach Aufhebung des ersten Urteils aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Die geschilderten Unterlassungen führen in allen untersuchten Rechtsordnungen1 vorrangig zum Entstehen eines Schadensersatzanspruchs des M gegen seinen Verteidiger. Für die zivilrechtliche Haftung reicht überwiegend der Verschuldensgrad der einfachen Fahrlässigkeit aus, nur in Italien haftet der Verteidiger lediglich für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Trotz des höheren Verschuldensgrades wäre jedoch hier angesichts der geschilderten Unterlassungen sowohl Vorsatz als auch grobe Fahrlässigkeit in einem Zivilprozess leicht zu beweisen. In Polen wird das Verschulden des Verteidigers vermutet, so dass M diesbezüglich keine Beweispflicht trifft. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs gegen den Verteidiger hängt in Polen davon ab, ob der Mandant bereits gegen den Staat einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch geltend gemacht hat. Dies hängt damit zusammen, dass nach h. M. eine ungerechtfertigte Verurteilung des Angeklagten nicht nur auf einer Pflicht___________ 1 Im Rahmen dieses Projekts wurden untersucht: Deutschland, England und Wales, Italien, die Niederlande, Polen, Spanien und die USA.

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Claudia Lüdtke, Anabel Harting und Stefanie Haumer

verletzung des Verteidigers, sondern auch auf einer Pflichtverletzung der staatlichen Strafverfolgungsorgane beruhen kann. Auch mit Blick auf berufsrechtliche Sanktionen liefert die Rechtsvergleichung ein relativ einheitliches Bild. In allen Rechtsordnungen stellt das geschilderte Verhalten einen schweren Verstoß gegen die Standespflichten dar. Geahndet werden könnte dieser z.B. mit einem Berufsverbot oder anderen Sanktionen.2 Strafbar scheint das geschilderte Verhalten des Verteidigers jedoch überwiegend nicht zu sein. Lediglich in Polen und Spanien kommt eine Strafbarkeit des Verteidigers wegen Beweisunterdrückung in Betracht. Sofern dem Verteidiger Vorsatz nachgewiesen werden kann, hätte er in Spanien eine Geldstrafe oder Berufsverbot zu gewärtigen. Im italienischen Recht sind die geschilderten Verhaltensweisen strafrechtlich relevant, sofern sie sich etwa als falsche Anschuldigung darstellen. Wegen des Grundsatzes ne bis in idem käme im Falle einer strafrechtlichen Sanktion eine zusätzliche berufsrechtliche Ahndung in Italien nicht in Betracht.

Fall 2 A zahlt der verletzten Frau im Auftrag des M eine sehr hohe Geldsumme und erreicht dadurch, dass die Frau vor Gericht wahrheitswidrig aussagt, sie sei mit den Handlungen, die M an ihr vorgenommen hat, einverstanden gewesen. Ob A wusste, dass diese Aussage der Frau nicht der Wahrheit entsprach, lässt sich nicht aufklären.

In allen untersuchten Rechtsordnungen muss für eine berufs- oder strafrechtliche Verurteilung des A dessen Vorsatz hinsichtlich der Falschheit der Aussage der Frau bewiesen werden. In Fällen wie dem vorliegenden ist dieser Beweis allerdings schwer zu führen. Falls dies gelingt, kann das geschilderte Verhalten in allen untersuchten Rechtsordnungen zu einer berufsrechtlichen Sanktion führen. Daneben wird das Verhalten des A überwiegend auch als strafrechtlich relevant angesehen. In Deutschland läge Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage (§§ 153, 26 StGB) vor. In Spanien kommt zusätzlich eine Strafbarkeit wegen Präsentation falscher Zeugen in Betracht. Hier besteht die Besonderheit, dass die Sanktion für den Verteidiger niedriger ausfällt, wenn die ___________ 2 § 114 Abs. 1 dt. BRAO führt als anwaltsgerichtliche Maßnahmen auf: Warnung, Verweis, Geldbuße bis zu 25.000 Euro, Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren tätig zu werden, Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft.

Rechtsvergleichende Lösung der praktischen Fälle

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beeinflusste Zeugenaussage nur eine sogenannte Ungenauigkeit darstellt, die auf die Wahrheitsermittlung keinen Einfluss hat. In England könnte A’s Verhalten als perverting the course of justice strafrechtlich geahndet werden. Unterschiedlich sind die Rechtsfolgen, wenn die beeinflusste Zeugin trotz der gezahlten Geldsumme in der Hauptverhandlung wahrheitsgemäß aussagt. Die Rechtsfolgen hängen davon ab, ob das jeweilige Strafrecht die Entscheidungsfreiheit der Aussageperson schützt, wie dies z.B. in Italien der Fall ist, oder ob die staatliche Rechtspflege das geschützte Rechtsgut ist, wie etwa in Deutschland. Im italienischen Recht ist die Beeinflussung von Zeugen unter dem Gesichtspunkt der Bestechung von Aussagepersonen strafbar. Da die Entscheidungsfreiheit des Zeugen geschützt wird, ist eine Strafbarkeit unabhängig von der tatsächlichen Falschaussage gegeben. Auch im polnischen Recht hängt eine Strafbarkeit des Verteidigers nicht von der Falschheit der Aussage ab. Falls der beeinflusste Zeuge in der Hauptverhandlung die Wahrheit sagt, kommt jedoch eine außerordentliche Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe in Betracht. In Deutschland schützen die Aussagedelikte allein die staatliche Rechtspflege, so dass kein vollendetes Delikt vorliegt, wenn die beeinflusste Aussageperson wahrheitsgemäß aussagt. In einem solchen Fall ist aber Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung zur Falschaussage gegeben. Sie ergibt sich bei einer Vereidigung des Zeugen aus §§ 154, 30 StGB und bei fehlender Vereidigung aus dem Spezialtatbestand des 159 StGB. Ähnlich ist die rechtliche Regelung in den Niederlanden. Wird der beeinflusste Zeuge vereidigt, so macht sich der Strafverteidiger wegen Anstiftung oder versuchter Anstiftung zum Meineid strafbar. Andernfalls greift der Auffangtatbestand der Beeinträchtigung der Aussagefreiheit ein. Dieser ist weiter gefasst als § 159 dt. StGB und soll gewährleisten, dass jedermann frei und unbeeinträchtigt aussagen kann. Dieser Tatbestand greift auch dann ein, wenn es gar nicht zu einer Falschaussage kommt oder wenn es an der Kausalität zwischen der Beeinflussung und der Falschaussage fehlt.

Fall 3 Gericht und Staatsanwaltschaft bieten an, dass M zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wird, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegt, andernfalls müsse M mit einer Strafe von 4 Jahren rechnen. M beteuert gegenüber A seine Unschuld. Daraufhin sagt A zu M, falls dieser kein Geständnis ablege, werde A in der Hauptverhandlung durchblicken lassen, dass M bereits früher ähnliche Taten begangen habe. Daraufhin legt M ein Geständnis ab.

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Claudia Lüdtke, Anabel Harting und Stefanie Haumer

In allen Rechtsordnungen hat der Verteidiger berufsrechtliche Sanktionen wegen Verletzung der Treue- und Loyalitätspflicht gegenüber dem Mandanten zu gewärtigen. In den Niederlanden sind verfahrensbeendende Absprachen nicht zulässig, so dass die Situation, wie sie hier geschildert ist, nicht vorkommen kann. Der Verteidiger hätte dort allerdings standesrechtliche Sanktionen zu befürchten, wenn er in der Hauptverhandlung tatsächlich durchblicken ließe, dass sein Mandant früher Taten begangen hat, die den Strafverfolgungsorganen unbekannt geblieben sind. Lediglich in diesem Fall müsste der Verteidiger auch in England disziplinarrechtliche Sanktionen befürchten. Darüber hinaus würde das Gericht dem Angeklagten die Möglichkeit geben, den Verteidiger zu wechseln. In den meisten Rechtsordnungen würde sich A auch strafbar machen. Im deutschen Recht stellt sein Vorgehen einen Fall der Nötigung (§ 240 StGB) dar. In Spanien hat der Verteidiger strafrechtliche Sanktionen wegen bedingter Drohung und wegen Untreue im Beruf zu gewärtigen. Ähnliches gilt in den USA, wo eine Strafbarkeit wegen Erpressung (blackmail) oder Nötigung (coercion) in Betracht kommt. Allerdings ist die tatsächliche Verurteilung des Verteidigers eher unwahrscheinlich, insbesondere wenn es sich bei dem Verhalten um einen Einzelfall handelt. Sollte der Verteidiger seine Drohung wahr machen und in einer etwaigen Hauptverhandlung tatsächlich darauf hinweisen, dass M früher schon ähnliche Taten begangen habe, so käme eventuell eine Strafbarkeit nach § 203 dt. StGB in Betracht. Die Rechtsordnungen, die verfahrensbeendende Verständigungsgespräche zulassen, verbieten grundsätzlich, dass der Beschuldigte zu einem Geständnis gedrängt wird. Jedoch kann es für den Verteidiger geboten sein, seinem Mandanten die Konsequenzen einer erdrückenden Beweislage darzulegen, auch wenn dieser seine Unschuld beteuert. Jegliche Art der Drohung ist hierbei unzulässig. Verhält sich der Verteidiger dennoch wie geschildert, macht er sich – neben der Strafbarkeit – in Deutschland und Italien wegen einer Vertragsverletzung des Mandatsverhältnisses und in den USA wegen Verletzung der Berufspflicht (malpractice) schadensersatzpflichtig. Sofern das Verhalten des Verteidigers in der Rechtsmittelinstanz nachgewiesen wird, hat ein Urteil, das auf dem derart beeinflussten Geständnis des M beruht, in keiner Rechtsordnung Bestand.

III. Rechtspolitische Vorschläge

Rechtsstellung und Zentralpflichten des Strafverteidigers im Lichte des Grundrechts des Beschuldigten auf effektive Verteidigung

Susanne Walther

A. Einführung Gibt es im deutschen Strafverfahrensrecht ein Recht des Beschuldigten auf effektive Verteidigung, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Rechts- und Pflichtenstellung des Strafverteidigers, besonders mit Blick auf die Qualitätssicherung der Verteidigungsführung? Angesichts der enormen Freiheitseingriffe wie auch der faktischen Belastungen, denen ein Bürger, gegen den ein Strafverfahren im Gange ist, regelmäßig ausgesetzt ist, darf im demokratischen Rechtsstaat eigentlich erwartet werden, dass sich eine erste Antwort unmittelbar anhand des Textes der Verfassung, namentlich einer Grundrechtsgewährleistung, formulieren lässt. Diese Erwartung wird im deutschen Grundgesetz enttäuscht; insbesondere fehlt ein „Grundrecht auf effektive Verteidigung“ im Strafverfahren bei den sogenannten Justizgrundrechten der Art. 101 ff. GG. Konsequent wäre es, ein solches Grundrecht als besondere Ausprägung des rechtlichen Gehörs anzuerkennen (Art. 103 Abs. 1 GG)1 und im Grundgesetz auch explizit zu normieren. In der Sache ist ein „Recht auf Verteidigung“ als Grundrecht sowohl auf der Basis der Gewährleistung des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 EMRK wie auch auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt, und dieses Recht wird, wie wir im Karlsruher Kommentar zur StPO lesen, „zu den wesentlichen Grundsätzen ___________ 1 Für eine Zuordnung des Rechts auf Verteidigerbeistand (auch) zu Art. 103 Abs. 1 GG z.B. Gusy, AnwBl. 1984, 225; grundlegend Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (1990), S. 212 ff., 219 ff. Siehe auch Walther, GA 2003, 204, 219 ff.

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eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens“ gezählt.2 Indessen ist in der Judikatur des EGMR wiederholt davon die Rede, dass Gegenstand der Gewährleistung nicht nur eine irgendwie geartete Verteidigung, sondern eine wirksame – effektive – Verteidigung ist (dazu sogleich unter II.). Geht man von diesem Postulat aus, so führt dies freilich nicht nur zu der – bislang im Vordergrund stehenden – Frage, welche (Abwehr-, Teilhabe- und Gegen-)Rechte der Beschuldigte gegenüber dem Staat (namentlich Staatsanwaltschaft und Strafgericht) hat. Vielmehr ist auch zu fragen, welche Konsequenzen sich daraus mit Blick auf den Leistungseinsatz ergeben, den der Beschuldigte von seinem professionellen Strafverteidiger zu erwarten hat.3 Es geht, mit anderen Worten, darum, ob sich aus dem Grundrecht auf effektive Verteidigung nicht nur Gewährleistungsansprüche gegen den Staat, sondern auch gegen den Strafverteidiger ergeben – ungeachtet des Umstandes, dass dieser nicht qua öffentlichen Amtes, sondern aufgrund eines privatrechtlichen, vertraglichen Mandatsverhältnisses tätig wird. Und wenn es solche – unmittelbar grundrechtsrelevanten – Gewährleistungsansprüche gibt, so folgt daraus, dass das Grundrecht auf effektive Verteidigung nicht nur durch den Staat, sondern auch durch einen „Privaten“, nämlich den – die Verteidigung nicht oder schlecht führenden – Strafverteidiger verletzt werden kann. Müssten solche Grundrechtsverletzungen dann aber nicht erst „haftungsrechtlich“ relevant sein, sondern schon das am Ende des Strafverfahrens ergangene Strafurteil selbst in Frage stellen, mit der Konsequenz, dass der Beschuldigte – ggf. mit Hilfe eines anderen Verteidigers – das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision angreifen können müsste? Die Frage ist nicht völlig neu. So hat insbesondere Barton vor gut zehn Jahren einen „Perspektivenwechsel“ gefordert, bei dem das Grundrecht des Beschuldigten auf wirksame Verteidigung in den Vordergrund tritt, und nach den Konsequenzen gefragt, die daraus für die Qualität von Strafverteidigung zu ziehen sind.4 Barton hat dabei unter anderem aufgedeckt, dass die „Bewältigung von Revisionsrügen, die Verteidigung sei unzureichend geführt worden, […] von zentraler Bedeutung für die Gewährleistung zureichender Verteidigung [ist]“.5 Barton hat auch herausgestellt, dass es sich bei der Revisionsrüge aufgrund unterbliebener Verteidigungsführung systematisch „um die Wahrnehmung von Eigenkontrolle“ der Verteidigungsqualität handelt, „weil die entsprechende Aktivität […] hier vom Beschuldigten oder dessen Verteidiger ___________ 2

Pfeiffer, in: KK StPO, 5. Aufl. 2003, Einl. Rn. 64. Zur Aktualität dieser Fragestellung siehe neuerdings Johnigk, StV 2006, 347. 4 Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1994, S. 17 ff. 5 Barton (Fn. 4), S. 201. 3

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ausgeht“.6 Barton hat indessen aufgezeigt, dass de lege lata als absoluter Revisionsgrund lediglich § 338 Abs.1 Nr. 5 StPO (Abwesenheit oder Verhandlungsunfähigkeit des Verteidigers bei notwendiger Verteidigung) in Betracht kommt, und dass die „unterbliebene Verteidigungsführung“ als relativer Revisionsgrund bislang in der Rechtsprechung – mit Verweis auf die selbständige Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege – keine Anerkennung gefunden hat.7 Für das künftige Recht ist indessen nicht nur – mit Barton – darauf zu verweisen, dass in solchen Fällen – bei notwendiger Verteidigung – eine Verletzung der Kontrollpflicht des Gerichts nach § 145 Abs.1 StPO vorliegen (Revision dann als „Eigenkontrolle der Fremdkontrolle“) und zu einem Revisionsgrund nach § 337 StPO führen kann.8 Vielmehr ist weitergehend danach zu fragen, ob die „Verletzung des Rechts auf effektiven Verteidigerbeistand“ aus heutiger Sicht nicht als eigenständiger Revisionsgrund anzuerkennen wäre. Die Frage gerade zum jetzigen Zeitpunkt zu stellen, hat triftige Gründe. Erstens: Die bereits vielfach beschriebene Schwerpunktverlagerung des Strafprozesses ins Ermittlungsverfahren verbietet es entschieden, dass der Verdächtige oder Beschuldigte zuwartet, bis über die Erhebung öffentlicher Klage entschieden ist. Will er seine Chancen auf Entkräftung des Tatverdachts, Einstellung des Verfahrens, Freispruch oder wenigstens eine möglichst milde Sanktion im späteren Gerichtsverfahren optimal nutzen, so muss er sich so früh wie möglich um Verteidigung – und zwar wirksame Verteidigung – kümmern. Zweitens: Neue, „konsensuale“ Strukturen des Strafprozesses, namentlich in Gestalt der Absprachenpraxis, führen zu einer Verkomplizierung der Rolle und damit auch der Rechtsstellung des Beschuldigten im Verfahren. Um seine Verfahrensinteressen optimal wahrzunehmen, muss er im heutigen Strafverfahren entscheiden, in welchen Situationen er von formalen (Abwehr-, Teilhabe- und Gegen-)Rechten Gebrauch macht und in welchen anderen Situationen es chancenreicher ist, Gespräche zu führen und seine Verteidigung auf der Ebene von „Kooperation und Konsens“ zu betreiben. In diesem ohnehin komplexen Verfahrenssystem wird die Rechtsstellung des Beschuldigten weiter verunsichert oder gar bedroht durch den Umstand, dass mit einer kooperativen, informellen Verfahrenserledigung für den Strafverteidiger ökonomische und persönliche Vorteile verbunden sein können, die eine energische, striktparteiische und für den Beschuldigten transparente Interessenwahrnehmung ___________ 6

Barton (Fn. 4), S. 201. Barton (Fn. 4), S. 202 ff. 8 Barton (Fn. 4), S. 203 f. 7

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potentiell gefährden.9 Die Garantie, dass der Beschuldigte in den Genuss einer solchen Interessenwahrnehmung durch seinen Strafverteidiger kommt, wird schließlich – drittens – zunehmend in Frage gestellt durch das Phänomen, dass die Rechtsstellung von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren in den letzten Jahrzehnten erheblich aufgewertet worden ist. Und schließlich ist ein vierter Grund zu nennen, der der Frage nach einem Recht auf „effektive“ Verteidigung besondere Aktualität verleiht: Sollten sich künftig, namentlich im Zuge der Ahndung und Prävention von Terrorismus, im deutschen Strafrecht und Strafverfahrensrecht Zwecke der „Bekämpfung“ und „Sicherung“ stärker in den Vordergrund schieben (Stichwort „Feindstrafrecht“), so könnte dies (auch) zu einem (politischen) Angriff auf die Verteidigungsrechte des Beschuldigten führen. Auch insofern erweist es sich als unerlässlich, die durch höherrangiges Recht abgesicherte Grundrechtsposition des Beschuldigten näher auszuleuchten. Ich will im Folgenden zunächst die Rechtsgrundlagen des Grundrechts des Beschuldigten auf effektive Verteidigung skizzieren (II.). Im Anschluss daran soll aufgezeigt werden, welche rechtsdogmatische Einordnung das „Recht auf effektiven Verteidigerbeistand“ in den USA erfahren hat und welche Konsequenzen sich für die Rechtsstellung des Verteidigers ergeben (III.). Anschließend entwickle ich Perspektiven für das künftige deutsche Strafverfahrensrecht (IV.) und skizziere, welche Schritte im Hinblick auf eine Normierung von Verteidigerpflichten unternommen werden sollten (V.).

B. Das Grundrecht des Beschuldigten auf effektive Verteidigung nach BVerfG und EGMR Das Recht des Beschuldigten, sich überhaupt im Strafverfahren zu verteidigen, wird heute nirgendwo ernstlich in Frage gestellt; es gehört zu den elementaren Errungenschaften demokratischer Rechtsstaatlichkeit. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spiegelt sich dieser SockelBefund in der Kernaussage, dass der Angeklagte nicht Objekt des Verfahrens sein darf. Diese „Objekt“-Formel bildet den Dreh- und Angelpunkt des (älteren) Verständnisses des Bundesverfassungsgerichts vom „Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren“, wie es vom Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährleistet wird; zum Teil wird auch Art. 1 Abs. 1 GG herangezogen.10 Die Objekt-Formel stellt freilich ___________ 9 Instruktiv Schünemann, Gutachten B für den 58. Deutschen Juristentag (1990), S. B 46; ders., NJW 1989, 1895, 1901; siehe auch Wohlers, SK StPO, vor § 137 Rn. 69. 10 BVerfGE 26, 66, 71.

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ein kleines, ja geradezu minimalistisches Konzept dar. Denn die Konsequenzen, die aus ihr für Art und Umfang der Rechtsstellung des Beschuldigten zu ziehen sind, bleiben noch relativ vage und bescheiden: Es muss, so das Bundesverfassungsgericht, dem Beschuldigten „die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen“.11 Zwar folgt aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, Einfluss zu nehmen, insbesondere „das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen“.12 Doch besagt der Anspruch, Einfluss nehmen zu können, noch nichts darüber, welchen Rang, welches Gewicht die (professionell verteidigte oder aber sich selbst verteidigende) Beschuldigtenseite einnimmt im Verhältnis zu den anderen Verfahrensbeteiligten, namentlich im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft als Interessenvertreterin der Allgemeinheit. Im Vordergrund steht vielmehr die Formulierung eines allgemeinen Prozessgrundrechts, das einen „Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen“ sichern soll.13 Die Formel von der „Möglichkeit, Einfluss zu nehmen“ bedeutet folglich – für sich genommen – noch nicht den Schritt zu einer fundamentalen Aufwertung der Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafprozess. Sie ist immer noch kompatibel mit einem im Kern inquisitorischen Verfahrenssystem, in dem es einer institutionellen, systemnotwendigen Verankerung „der Verteidigung“ nicht bedarf.14 Diese konzeptionelle Verzichtbarkeit „der Verteidigung“ hat, vor diesem Hintergrund betrachtet, nichts damit zu tun, dass es im (inquisitorischen) Verfahrenssystem schwer fällt, die Figur des professionellen Strafverteidigers zu integrieren. Sie hat vielmehr ihren eigentlichen Grund in der fehlenden Anerkennung des Beschuldigten selbst in seinem Status als „die Verteidigung“, d.h. einer institutionalisierten, neben Staatsanwaltschaft und Gericht eigenständig auftretenden „dritten Gewalt“ im Strafprozess. Erst in dem Moment, in dem die Position des Beschuldigten im Strafprozess nicht mehr nur als die eines vom Anklagevorwurf betroffenen, mit Einflussnahmerechten ausgestatteten einfachen Bürgers begriffen wird, der die Gefahr eines Objektstatus abzuwehren hat, sondern zugleich gewissermaßen als ___________ 11

BVerfGE 26, 66, 71; 57, 250, 274; 63, 332, 337; 64, 135, 145; 65, 171, 174; BVerfG (2. Sen., 3. Kammer) StV 2002, 578. 12 BVerfGE 66, 313, 318 f. 13 Vgl. BVerfGE 57, 250, 275. 14 Zur Geschichte der Strafverteidigung und zum fehlenden Raum für den Partei nehmenden Verteidiger siehe Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2001, vor § 137 Rn. 7.

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autonomes, mit Teilhaberechten ausgestattetes Lager „der“ Verteidigung, kommt es zu einer entscheidenden, grundlegenden Aufwertung des Status des Beschuldigten selbst. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbinden sich die Anfänge einer solchen Aufwertung mit dem Begriff der „Waffengleichheit“, und zwar der „Waffengleichheit von Ankläger und Beschuldigtem“, die von dem Anspruch auf ein faires Verfahren verlangt werde.15 Der „Grundsatz der Waffen- und Chancengleichheit“ kennzeichnet aber vor allem das Verständnis des fairen Verfahrens, wie es sich in den letzten beiden Jahrzehnten in der Judikatur des EGMR zu Art. 6 EMRK manifestiert hat.16 Gefordert ist Fairness des Verfahrens in einem Sinne, der dem Beschuldigten mehr, ja qualitativ Anderes gewährleistet als bloß den Anspruch, nicht Objekt zu sein. Das menschenrechtlich geprägte und damit zugleich „internationalisierte“ Verständnis von Fairness im Sinne von Art. 6 EMRK geht vielmehr von einer Denkweise aus, in der die Beschuldigtenseite der Anklägerseite auf einer institutionalisierten, gleichgeordneten Ebene gegenüber tritt. Die Beschuldigtenseite ist „die Verteidigung“ (the defence). Aufbauend auf dieser Sichtweise muss das Strafverfahren, um dem Fairnessgrundrecht zu genügen, nun allerdings eine bestimmte Struktur haben: Es muss adversarisch sein.17 Konsequenterweise folgt auf der Grundlage eines an „Waffengleichheit“ und damit an Parität ausgerichteten Beschuldigtenstatus, dass der Beschuldigte die Möglichkeit zu einer effektiven, d.h. wirksamen Verteidigung haben muss.18 Denn nur wenn dem Gegner – gemessen an dessen Ausrüstung – mit einer potentiell wirksamen Gegenmacht begegnet werden kann, ist von „Waffen- und ___________ 15 BVerfGE 38, 105, 111; BVerfG (2. Senat, 3. Kammer) StV 2002, 578. Der von Spaniol, Verteidigerbeistand, 1990, S. 10 f. konstatierte Befund, es handle sich bei dem Prinzip der Waffengleichheit nicht um einen „eigenständigen Grundsatz, sondern um ein Element fairer Verfahrensführung“, dürfte nach wie vor zutreffend sein. 16 Dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 6 Rn. 83 ff.; Wohlers, SK StPO, vor § 137 Rn. 31 ff. 17 Siehe z.B. EGMR, Urt. v. 27.10.2004 (Edwards and Lewis v. Großbritannien), HRRS Jan. 2005, Nr. 74; No. 2); Urt. v. 24.6.2003 (Dowsett v. Großbritannien), HRRS Sept. 2003, Nr. 41. 18 EGMR, Urt. v. 13.5.1980 (Artico v. Italien), EuGRZ 1980, 662 (EMRK will Rechte gewährleisten, die konkret sind und Wirksamkeit entfalten); EGMR, Urt. v. 9.4. 1984 (Goddi v. Italien), StV 1985, 441; weitere Nachweise zur Garantie von (insgesamt) wirksamen Verteidigungsrechten bei Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2005, MRK Art. 6 Rn. 160, 193; Wohlers, SK StPO, vor § 137 Rn. 32 f.; siehe auch Barton (Fn. 4), S. 60 ff.; Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 70 f.

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Chancengleichheit“ zu sprechen.19 Das bedeutet freilich, dass auf der Grundlage von Art. 6 EMRK auch solche Verfahrenssysteme, die – wie etwa das deutsche – inquisitorisch angelegt sind, die Rechtsstellung des Beschuldigten im Prozess zu einer dem Ankläger autonom und gleichberechtigt gegenüber tretenden, institutionell zu begreifenden „Verteidigungsgewalt“ im Strafprozess aufwerten müssen. Als erste Konsequenz ergeben sich daraus natürlich Forderungen an den Staat: Die jeweilige Rechtsordnung hat sicherzustellen, dass dem Beschuldigten in angemessener Weise ermöglicht wird, sich eines professionellen Verteidigerbeistands zu bedienen20 sowie die bestmögliche Verteidigungsstrategie zu entwickeln und in konkrete Verfahrensschritte umzusetzen. Insbesondere müssen ihm sowie seinem Verteidiger ausreichend Informationsrechte, Entlastungsrechte und Konfrontationsrechte zur Verfügung stehen. Art. 6 Abs. 3 EMRK sieht dementsprechend einen Katalog an Mindestrechten des Beschuldigten vor. Eine zweite, bislang aus strafprozessualer Sicht noch wenig beleuchtete Konsequenz besteht indessen darin, dass auch Forderungen an den professionellen Strafverteidiger zu stellen sind: Ob Waffengleichheit zwischen Ankläger und Verteidigung praktisch hergestellt wird, hängt wesentlich von der Qualität seiner Verteidigungsführung (performance) ab. Das führt zu der Frage, ob sich entsprechende Qualitätsstandards unmittelbar aus der Grundrechtsgewährleistung des Beschuldigten, namentlich also aus Art. 6 EMRK ableiten lassen.

___________ 19

Die Vorstellung vom Strafverteidiger als einer „Gegenmacht“ im Strafprozess ist keineswegs neu. Dazu z.B. Holtfort, KJ 1977, 313; Ostendorf, NJW 1978, 1345, 1350; ablehnend dazu Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 55 ff., 61 ff., 69 ff. Beulke ist jedoch entgegenzuhalten, dass aus der Gegenmacht-These keineswegs zwingend die Konsequenz folgt, die Rechtsmacht des Verteidigers müsse „schrankenlos“ sein. Von der Aufgabe des Verteidigers, das „Machtgefälle zwischen Strafverfolgtem und Strafverfolger“ zu reduzieren, spricht Rzepka, Fairness, 2000, S. 400. 20 Barton (Fn. 4), S. 72 ff., spricht von „materiellstaatsrechtlichen Pflichten im infrastrukturellen Bereich“, woraus eine „Institutsgarantie der Verteidigung“ folgt: „Der Staat hat die Pflicht und Aufgabe, eine funktionierende Strafverteidigung zu gewährleisten: Er hat hierfür die infrastrukturellen, normativen, personellen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen“ (S. 73). Dabei trifft den Staat auch eine „materiellstaatsrechtliche Pflicht zu Gewährleistung von Qualität der Verteidigung“.

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C. Das Grundrecht auf „effektiven Beistand“ des Verteidigers im US-amerikanischen Recht Interessantes Vergleichsmaterial zum Verständnis des Rechts auf Verteidigung als zentrales Beschuldigtengrundrecht in einem adversarischen Prozesssystem bietet das US-amerikanische Recht. Der 6. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung (1789) gewährleistet demjenigen, der in einem Strafverfahren beschuldigt wird, das Recht auf anwaltlichen Beistand. Dabei genügt es nicht, dass „eine Person, die Anwalt ist, im Prozess neben dem Angeklagten präsent ist“.21 Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt vielmehr an, dass das Grundrecht auf effektiven Verteidigerbeistand gerichtet ist (effective assistance of counsel).22 Dieses Recht gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Wahlverteidiger oder um einen Pflichtverteidiger handelt. Der dogmatische Rahmen dieses Rechts wird durch das Recht auf ein faires Verfahren gebildet. Als Kernelement eines fairen Verfahrens gilt ein adversarisches System der Prozessführung. Dementsprechend sei im 6. Verfassungszusatz das Recht auf Verteidigerbeistand deshalb verankert, weil der Verteidiger eine entscheidende Rolle dafür spiele, dass im adverarischen System gerechte Ergebnisse hervorgebracht werden könnten.23 Das Recht auf effektive Verteidigung ist das Recht des Beschuldigten zu verlangen, dass der Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft einer Feuerprobe durch ein sinnvolles adversarisches Prüfungsverfahren unterzogen wird.24 Das Recht auf effektive Verteidigung kann durch den Staat verletzt werden, indem etwa das Gericht einen Verteidiger in der Ausübung seiner Verfahrensrechte in unangemessener Weise beschränkt. Es kann jedoch auch – da es ein Recht des Beschuldigten ist – durch den Verteidiger selbst verletzt werden, indem dieser – beispielsweise aufgrund eines Interessenkonflikts – die Verteidigung defizitär führt (deficient performance).25 Auch dies gilt unabhängig davon, ob der Verteidiger vom Beschuldigten gewählt oder vom Staat bestellt worden ist. Das für eine Grundrechtsverletzung notwendige Element ___________ 21

Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 685 (1984). LaFave/Israel/King, Criminal Procedure, 2. Aufl. 1999, § 11.7.; aus der Rechtsprechung insbesondere McMann v. Richardson, 397 U.S. 759 (1970); Strickland v. Washington, 466 U.S. 668 (1984). Aus der deutschen Literatur zur Struktur des amerikanischen Strafverfahrens siehe Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozess, 1995, S. 385 ff. 23 Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 685 (1984). 24 United States v. Cronic, 466 U.S. 648, 654 ff. (1984). 25 Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 686 (1984); dazu Tomkovicz, Criminal Procedure, 1997, S. 349 ff. 22

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eines staatlichen Eingriffs ist dabei darin gesehen worden, dass es sich stets um ein staatliches Strafverfahren handelt.26 Im Grunde erscheint der Verteidiger – gleichgültig, ob gewählt oder bestellt – als ein Privater, der dafür Sorge zu tragen hat, dass ein Grundrechtsanspruch des Beschuldigten erfüllt wird. Das Recht auf effektive Verteidigung ist folglich nicht nur Abwehrrecht gegen staatliche Intervention bzw. Beschränkung, sondern auch Leistungsrecht auf effektive Führung der Verteidigung durch einen Privaten – den Strafverteidiger. Daran schließen sich zwei Fragen an: Unter welchen Voraussetzungen ist von actual ineffectiveness zu sprechen, und welche Konsequenzen hat dies für das konkrete Strafverfahren? Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann der Beschuldigte mit der Behauptung, sein Recht auf effektive Verteidigung sei durch seinen eigenen Verteidiger verletzt worden, die Aufhebung der Verurteilung anstreben. Es handelt sich also um einen Revisionsgrund bzw. einen Wiederaufnahmegrund.27 Bezieht sich die Rüge auf die Art und Weise, wie die Verteidigung geführt worden ist, so muss der Beschuldigte, um mit dem Angriff gegen die Verurteilung durchzudringen, allerdings zweierlei dartun: zum einen, dass der Verteidiger eine defizitäre Leistung erbracht hat (deficient performance), und zum zweiten, dass dem Beschuldigten hierdurch ein Nachteil (in Gestalt erhöhter Verurteilungswahrscheinlichkeit) entstanden ist (prejudice).28 Keines Nachteilsnachweises bedarf es hingegen, wenn ein Sonderfall von ineffectiveness vorliegt. Die „Unwirksamkeit“ der Verteidigung wird vermutet, wenn der Strafverteidiger mit einem „tatsächlichen Interessenkonflikt belastet“ war: Dann liegt die Verletzung der „vielleicht

___________ 26

Cuyler v. Sullivan, 466 U.S. 335, 344 (1980). Die verfahrensrechtliche Handhabung ist in den verschiedenen Jurisdiktionen recht unterschiedlich. Das Hauptproblem besteht darin, dass es regelmäßig einer Beweiserhebung bedarf über die – naturgemäß komplexe – Frage, ob und in welcher Weise die Führung der Verteidigung im erstinstanzlichen Verfahren fehlerhaft war. Die Revisionsgerichte sind für eine solche Beweisaufnahme nicht gerüstet, zumal sie nicht allein anhand des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführt werden kann. Nach LaFave/ Israel/King (Fn. 22), § 11.7 (e) bevorzugen die meisten Jurisdiktionen es daher, Angriffe gegen die Verurteilung wegen Ineffektivität der Verteidigung in das außerordentliche Rechtsmittelverfahren (Habeas Corpus–Verfahren) zu verweisen. Diejenigen Jurisdiktionen, die eine Ineffizienz-Rüge im Revisionsverfahren behandeln, sehen vor, dass das Revisionsgericht das Verfahren aussetzen und die Frage, ob die Verteidigungsführung fehlerhaft war, zunächst zur Aufklärung und Entscheidung an das Instanzgericht verweisen kann. Entscheidet das Instanzgericht zugunsten des Beschuldigten, so wird das weitere Revisionsverfahren hinfällig; entscheidet es gegen den Beschuldigten, so wird das Revisionsverfahren auf dieser Basis fortgesetzt. 28 Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 693 (1984). 27

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wichtigsten“ anwaltlichen Pflicht gegenüber dem Beschuldigten – der Loyalitätspflicht – vor.29 1. Zur Rüge der fehlerhaften Verteidigungsführung: In der Frage, wann eine deficient performance vorliegt, war in der älteren Rechtsprechung – vor der Grundsatzentscheidung des U.S. Supreme Court in Strickland v. Washington (1984) – zum Teil ein Richtlinien-Konzept vertreten worden.30 Man versuchte, einzelne Regeln zu entwickeln, denen eine Verteidigungsführung, um „wirksam“ zu sein, zu entsprechen hatte. Als Orientierung dienten dabei die standesrechtlichen Richtlinien für Strafverteidiger, wie sie von der amerikanischen Anwaltsvereinigung (American Bar Association) entwickelt worden sind.31 Um eine fehlerhafte Verteidigungsführung darzutun, brauchte der Beschuldigte dann lediglich nachzuweisen, dass der Verteidiger eine Verhaltensrichtlinie missachtet hatte. Ein solches Richtlinien-Konzept war allerdings von der überwiegenden Rechtsprechung der Untergerichte missbilligt worden, und der U.S. Supreme Court hat es in Strickland definitiv verworfen. Der angemessene Maßstab ist demnach derjenige einer „vernünftigen“ Verteidigungsführung (reasonable effective assistance), unter Berücksichtigung geltender Regeln professionellen Verhaltens und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles.32 Eine Orientierung an „spezifischeren Richtlinien“ wurde nicht zuletzt mit Verweis auf den Normzweck der verfassungsrechtlichen Garantie abgelehnt: Das Grundrecht des 6. Amendment garantiere den Beistand des „Verteidigers“, ohne weitere Anforderungen von Effektivität aufzustellen, und dabei vertraue es darauf, dass der Berufsstand in hinreichender Weise für Verhaltensstandards sorge, die eine „rechtliche Vermutung“ rechtfertigten, dass der Verteidiger seine Rolle im adversarischen Verfahren so erfülle, wie es der Verfassung entspreche.33 In ihrem Mehrheitsvotum erkannte Richterin O’Connor zwar an, dass eine kompetente Verteidigungsführung an gewissen Grundpflichten ausgerichtet sein müsse. So müsse der Verteidiger Interessenkonflikte vermeiden, die Sache des Mandanten verfechten, wichtige Entscheidungen mit dem Beschuldigten besprechen und ihn über alle wichtigen Entwicklungen informieren; auch müsse er sein Wissen und seine Fähigkeiten so einsetzen, dass der Prozess zu einem „verlässlichen adversarischen Testverfahren“ werde. Nicht angemessen sei es jedoch, derartige Pflichtsätze ___________ 29

Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 692 (1984). LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (a). 31 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (a). Die ABA Standards for the Defense Function finden sich unter www.abanet.org/crimjust/standards/dfunc_toc.html. 32 Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 688 (1984). 33 Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 687 (1984). 30

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schlicht als „Checkliste für Kompetenz“ heranzuziehen. Die entscheidende Frage sei stets einzig und allein, ob die Verteidigungsführung, im Lichte aller Umstände des Einzelfalles, „vernünftig“ war. Jegliche Aufstellung abstraktgenereller Regeln würde demgegenüber mit der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit des Verteidigers in Konflikt geraten und den breiten Handlungsspielraum einengen, den der Verteidiger brauche, um taktische Entscheidungen treffen zu können. Detaillierte Regeln könnten sogar kontraproduktiv sein, indem sie den Verteidiger in seiner „überragenden Mission kraftvoller Advokatur“ behindern könnten, und auch das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Beschuldigtem könne in schädlicher Weise unterminiert werden. Im Übrigen: Es sei nicht Zweck des Grundrechts auf effektive Verteidigung, die Qualität der Strafverteidigung allgemein zu verbessern, vielmehr gehe es allein darum, für den konkreten Beschuldigten das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten. Und schließlich mahnte Richterin O’Connor, dass die richterliche Überprüfung der Leistung des Verteidigers in hohem Maße nachgiebig sein müsse: Nur wenn von einem „Zusammenbruch des adversarischen Verfahrens“ gesprochen werden könne, dürfe von defizitärer Verteidigungsführung die Rede sein.34 Der Grundsatz, dass berufsrechtliche oder standesethische Richtlinien für das Verhalten von Strafverteidigern nicht zwingend darüber entscheiden, welche Verteidigungsführung im konkreten Fall „vernünftig“ ist, wurde durch den U.S. Supreme Court auch in der Entscheidung Nix v. Whiteside bekräftigt.35 Selbst dann, wenn ein Verteidiger gegen einen „ethischen Standard professioneller Verantwortlichkeit“ verstößt, kann hiernach die Verteidigungsführung im konkreten Fall, nämlich wenn dies im Interesse des Mandanten lag, „vernünftig“ und damit kompetent sein. Die Aufgabe, die Maßstäbe der „Vernünftigkeit“ einer Verteidigungsführung näher zu konkretisieren, bleibt also letztlich eine Domäne der Judikative. Die praktischen Hürden für einen Beschuldigten, das Vorliegen von inkompetenter Verteidigungsführung nachzuweisen, sind im übrigen hoch; solange es plausibel ist, dass eine bestimmte Entscheidung des Verteidigers strategisch motiviert war, ist sie kaum angreifbar.36 Aussichtsreich ist hingegen die Rüge grober Verteidigungsfehler, wie etwa des Nichtvorbringens eines einschlägigen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes (defense), der Nichtbeanstandung einer offensichtlich unzulässigen Beweisführung durch die Staatsanwaltschaft, ___________ 34

Strickland v. Washington, 466. U.S. 668, 688 ff. (1984). 475 U.S. 157 (1986). 36 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (c). 35

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oder der fehlenden Geltendmachung von Einwendungen (z.B. Verjährung oder Verbot der Doppelbestrafung), die zur Einstellung des Verfahrens führen würden.37 Besondere Bedeutung nimmt im Übrigen die Pflicht ein, mit dem (verurteilten) Mandanten die Frage zu erörtern, ob ein Revisionsantrag gestellt werden soll. Eine – verfassungsrechtliche – Pflicht hierzu nimmt der Oberste Gerichtshof in zwei Situationen an: erstens, wenn ein „vernünftiger Beschuldigter“ Revision einlegen wollen würde, und zweitens, wenn der „konkrete Beschuldigte“ hinreichend deutlich gemacht hat, dass er an einem Revisionsantrag interessiert ist.38 Verlangt der Beschuldigte ausdrücklich, dass ein Revisionsantrag gestellt wird, so muss der Verteidiger diesem Verlangen unbedingt Folge leisten.39 Mit Ausnahme der zuletzt genannten Fallkonstellation – Nichteinlegung von Revision unter Verletzung einer verfassungsrechtlichen Pflicht – , die per se einen Wiederaufnahmegrund wegen „ineffektiver Verteidigung“ liefert, weil hier dem Beschuldigten nicht nur ein „faires“ Verfahren, sondern das (weitere) Verfahren „insgesamt“ genommen wird,40 ist die Aussicht des Beschuldigten, mit der Behauptung inkompetenter Verteidigungsführung eine Aufhebung der Verurteilung zu erreichen, durch das Erfordernis einer Beschwer (prejudice) in der Praxis nicht sehr rosig. Die Beschwer setzt eine „vernünftige Wahrscheinlichkeit“ (reasonable probability) voraus, dass es ohne das fehlerhafte Verteidigerverhalten zu einem anderen Verfahrensausgang gekommen wäre.41 Es wird also eine Beruhensprüfung in dem Sinne vorausgesetzt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Rechtsverletzung und Verfahrensergebnis als wahr___________ 37

Näher LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (c). Roe v. Flores-Ortega, 528 U.S. 470 (2000). 39 Roe v. Flores-Ortega, 528 U.S. 470 (2000). Nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung des 2. Bundesbezirks gilt dies selbst dann, wenn der Beschuldigte zuvor im Rahmen eines Absprachenverfahrens (plea agreement) einen Rechtsmittelverzicht erklärt hatte und der Verteidiger einen Revisionsantrag für sinnlos hält; Campusano v. United States (2nd Cir, Urt. v. 23.3.2006, no. 04-5134-pr). Hält der Verteidiger einen Revisionsantrag für sinnlos, ist ein besonderes, vom Obersten Gerichtshof in Anders v. California, 386 U.S. 738 (1967) entwickeltes Verfahren einzuhalten: Der Verteidiger hat nach der Stellung des Revisionsantrags einen Schriftsatz bei Gericht einzureichen sowie seinem Mandanten zuzustellen, indem er um seine Entpflichtung ersucht und im übrigen „auf alle denkbaren Revisionsgründe auf Grundlage des Prokolls“ Bezug nimmt. Spezielle Regeln für diesen sogenannten AndersSchriftsatz gelten für Fälle, in denen der Beschuldigte einen Rechtsmittelverzicht erklärt hatte; U.S. v. Gomez-Perez, 215 F.3d 315 (2d. Cir 2000); Campusano v. U.S. (2nd Cir, Urt. v. 23.3.2006, No. 04-5134-pr). Ein Rechtsmittelverzicht ist nach amerikanischem Recht unter bestimmten (engen) Voraussetzungen unwirksam. 40 Roe v. Flores-Ortega, 528 U.S. 470 (2000). 41 Näher LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (d). 38

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scheinlich dargetan werden muss. Eine „vernünftige Wahrscheinlichkeit“ wird definiert als eine Wahrscheinlichkeit, die ausreicht, um das Vertrauen in das Urteilsergebnis zu untergraben (sufficient to undermine confidence in the outcome).42 Damit ähnelt die Rechtslage der Struktur des „relativen“ Revisionsgrundes im deutschen Strafverfahrensrecht,43 mit der Besonderheit, dass der Fokus auf dem Vertrauen in das Verfahrensergebnis liegt. 2. Ineffizienz aufgrund von Interessenkonflikt: Ausgangspunkt ist hier die im amerikanischen Strafverfahrensrecht besonders hervorgehobene Zentralpflicht des Strafverteidigers, gegenüber dem Mandanten ungeteilte Loyalität (undivided loyalty) walten zu lassen und ihn engagiert zu verteidigen (zealous advocacy). Besondere Aufmerksamkeit wird daher dem Problemkreis der Interessenkonflikte gewidmet. Der Verteidiger befindet sich in einem Interessenkonflikt, der ihn an der Erfüllung dieser Zentralpflicht hindert, wenn er sich gegenläufigen Interessen verpflichtet fühlt. Daraus folgt insbesondere ein Verbot der Mehrfachverteidigung.44 Doch werden Interessenkonflikte auch dann angenommen, wenn der Strafverteidiger in einem anderen Verfahren den Verletzten oder einen Belastungszeugen vertreten hat oder gegenwärtig vertritt.45 Auch in anderen Situationen kann ein Interessenkonflikt bestehen, etwa wenn der Strafverteidiger ein enges persönliches Verhältnis zum Staatsanwalt oder zu einem Belastungszeugen hat oder aber wenn ihn persönliche oder finanzielle Interessen mit dem Arbeitgeber seines Mandanten verbinden. Das amerikanische Strafverfahrensrecht sieht hier eine (Fürsorge-)Pflicht des Gerichts vor, mögliche Interessenkonflikte aufzuspüren und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen.46 Wird diese Pflicht verletzt, etwa indem die Fortführung des Mandats angeordnet wird, obwohl ein Pflichtverteidiger das Gericht auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen hat, so kann dies zu einem absoluten Revisionsgrund führen.47 Die Verurteilung kann also ohne Beruhensprüfung zu Fall gebracht werden.

___________ 42

LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.10 (d). Zum deutschen Recht BGHSt. 1, 346, 350; 22, 278, 280; BGH NStZ 2003, 497; Beulke, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Rn. 565; Kühne, Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2003, Rn. 1081. 44 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.9 (a). 45 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.9 (a). 46 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.9 (b). 47 LaFave/Israel/King (Fn. 22), § 11.9 (b); Tomkovicz (Fn. 25), S. 353 f. 43

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D. Perspektiven für das deutsche Strafverfahrensrecht I. Rechtsstellung des Strafverteidigers

Die Diskussion um die treffende Bestimmung der Rechtsstellung des Strafverteidigers ist bekanntlich alt.48 Sie neu aufzurollen ist hier nicht der Raum, noch gibt der Fokus meines Themas dazu Anlass. Wir können insbesondere die Frage ausgeblendet lassen, ob und inwieweit der Verteidiger auch spezifische Interessen des Staates, wie etwa Rechtspflege- und Sicherheitsinteressen, zu berücksichtigen hat.49 Der Blick auf die Diskussion in den USA vermag aber eine Kernfunktion des Verteidigers, die bislang in der deutschen Diskussion noch wenig hervorgehoben worden ist, neu ins Bewusstsein zu rücken: Die bereits von Beulke als „naheliegendste öffentliche Aufgabe des Rechtsbeistands“ apostrophierte „Garantiefunktion für die Effektivität der materiellen Verteidigung“.50 Das Neue besteht in der Erkenntnis, dass sich diese Garantiefunktion keineswegs bloß aus den einfachrechtlichen Normen der StPO sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lässt,51 sondern auch oder gar primär aus dem Grundrecht des Beschuldigten auf effektive Verteidigung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK).52 Daraus folgt eine rechtsstaatlich spezifische, wohl einzigartige Besonderheit des Anwaltsrechts: Der Beschuldigte schließt, indem er einen Verteidiger mit der Wahrnehmung eines Mandats im Strafverfahren beauftragt, einen zivilrechtlichen Vertrag, der darauf gerichtet ist, einen Anspruch zu realisieren, dessen Adressat primär der Staat ist: nämlich einen Grundrechtsanspruch. Tatsächlich richtet sich der Grundrechtsanspruch des Beschuldigten insofern unmittelbar gegen den Staat, als letzterer alles zu unterlassen hat, was geeignet ist, die Effektivität der Verteidigung zu behindern; insoweit geht es um einen Abwehranspruch. Im Übrigen aber handelt es sich um einen Grundrechtsanspruch auf Rechtsschutz – und damit auf Leistung –, mit der Besonderheit, dass diese Leistung – die in

___________ 48 Eingehend z.B. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980; Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2001, vor §§ 137 ff.; Wohlers, in: SK StPO, vor § 137 Rn. 4 ff.; vgl. auch Köllner, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl. 2006, Kap. 1 Rn. 12 ff. 49 Dazu Beulke, Verteidiger, S. 88 ff., 183 ff. 50 Beulke, Verteidiger, S. 81. 51 Vgl. Beulke, Verteidiger, S. 82 ff. 52 Für eine dogmatische Grundlegung der Rechtsstellung des Verteidigers aus Verfassung und EMKR auch Wohlers, in: SK StPO, vor § 137 Rn. 26 ff. (danach ist der Verteidiger „Prozesssubjektsgehilfe“ des Beschuldigten).

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effektiver Verteidigungsführung besteht53 – im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat von staatlichen Organen gar nicht erbracht werden kann.54 Denn eine Grundvoraussetzung effektiver Verteidigung besteht darin, dass sie von einem staatsunabhängigen, ja staatsfernen Organ geleistet wird.55 Ein in persönlicher Hinsicht vom Staat abhängiger Verteidiger könnte strukturell keine Gewähr dafür bieten, in engagierter Weise allein dem Parteiinteresse seines Mandanten zu dienen, das darauf gerichtet sein muss und sein darf, den staatlichen Strafanspruch mit allen verfahrensrechtlich zu Gebote stehenden Mitteln vollumfänglich abzuwehren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob man die Rechtsstellung des Strafverteidigers weiterhin – wie es die h.M. tut – (neben der Beistandsfunktion) als die eines „Organs der Rechtspflege“ qualifizieren sollte. Wie Köllner zu Recht betont, besitzt der Begriff „keine eigene argumentative oder normative Kraft“.56 Es stellt sich daher die Frage, ob man den Organ-Begriff überhaupt braucht bzw. welche Funktion er erfüllen kann. Einer zeitgemäßen, grund- und menschenrechtsorientierten Sicht entspricht es jedenfalls, dass die „Verteidigerstellung mit ihren Rechten und Pflichten aus der Gewährleistung der MRK sowie den Art. 1, 2, 5, 12 Abs. 1, 20, 101 ff. GG zu betrachten“ ist.57 In sinnvoller Weise aufrecht erhalten lässt sich der Organ-Begriff daher nur unter der Prämisse, dass man ihn „im Sinne der Grund- und Menschenrechtsnormen ausfüllt und konkretisiert“.58 Der Verteidiger ist „’nur’ der Garant für eine bestmögliche Verteidigung“59; insofern mag man ihn als Organ der Rechtspflege bezeichnen.

___________ 53

Nach Beulke, Verteidiger, S. 81, muss der Verteidiger „darauf achten, dass von allen Verteidigungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht wird.“ 54 Im Verfassungsrecht ist anerkannt, dass zu den positiven Statusrechten, die Leistungsrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat umfassen, die Rechte auf Rechtsschutz gehören; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar Bd. 1, 4. Aufl. 1999, Art. 1 Abs. 3 Rn. 15 m.w.N. 55 Ebenso Beulke, Verteidiger, S. 86. 56 Köllner (Fn. 48), Kap. 1 Rn. 44. 57 Köllner (Fn. 48), Rn. 42; ähnlich Wohlers, in: SK StPO, vor § 137 Rn. 29 ff. 58 So Köllner (Fn. 48), Rn. 44. 59 Köllner (Fn. 48), Rn. 44; Widmaier, NStZ 1992, 519, 522 f.

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Susanne Walther II. Einfachrechtliche Konsequenzen: Strafprozessuales Kontroll- oder Rechtsbehelfsmodell?

Der Beschuldigte, der einen Strafverteidiger mit der Übernahme eines strafprozessualen Mandats beauftragt, darf also die Erfüllung eines höherrangigen Anspruchs – eines Grundrechtsanspruchs – erwarten. Dann stellt sich die Frage, wie die Erfüllung dieses Anspruchs praktisch zu gewährleisten ist. 1. Zentrale Grundvoraussetzung für die Gewährleistung effektiven Verteidigerbeistands ist zunächst etwas, das im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie eine Selbstverständlichkeit klingt: Dem Beschuldigten muss ein privater „Markt“ bestmöglich ausgebildeter Strafverteidiger zur Verfügung stehen, auf dem er einen Verteidiger frei wählen kann; und auch in den Fällen der staatlichen Beiordnung eines Verteidigers muss gewährleistet sein, dass dieser bestmöglich qualifiziert ist. Insofern muss der Staat für eine angemessene Rechtsschutz-Infrastruktur sorgen, insbesondere auf den Gebieten der staatlich überwachten Ausbildung und Fortbildung. Er hat insofern Infrastruktur- und Qualitätssicherungspflichten.60 Des Weiteren muss dafür gesorgt sein, dass dem Beschuldigten bei Pflichtverletzungen des Verteidigers ein ausreichendes System berufsrechtlicher und zivilrechtlicher Sanktionsmechanismen zur Verfügung steht. Insbesondere müssen ihm, soweit entsprechende Haftungstatbestände erfüllt sind, Ansprüche auf Schadensersatz zustehen, die er vor den Zivilgerichten geltend machen kann.61 Während insoweit noch mit Konsens gerechnet werden darf, ist die Frage, ob auch auf der Ebene des Strafprozessrechts Konsequenzen zu ziehen – also spezielle Gewährleistungsmechanismen zu installieren – sind, wesentlich brisanter. Die Ausgangsüberlegung geht dahin, ob die Rechtsfolgen grob fehlerhafter Verteidigungsführung allein den Sanktionsmechanismen des Berufs- und Zivilrechts überlassen bleiben können oder vielmehr auch das Strafprozessrecht selbst „angehen“. Denn schließlich ist das Recht auf effektive Verteidigung ein Prozessgrundrecht, dessen praktische Wirksamkeit – und damit Geltung – zu einem erheblichen Teil von der performance des professionellen Strafverteidigers abhängt. Führt er die Verteidigung in wesentlichen Punkten schlecht ___________ 60

Dazu bereits Barton (Fn. 4), S. 72 ff., 221 ff. Die Frage, welche Konsequenzen aus diesen Infrastruktur- und Qualitätssicherungspflichten auf dem Gebiet des Rechtsschutzes, und insbesondere der Strafverteidigung, im Einzelnen zu ziehen sind, führt über das hier behandelte Thema weit hinaus. 61 Dazu der Beitrag von Grunewald, in diesem Band S. 395; Krause, NStZ 2000, 225. Zu der bislang in der Praxis „nicht existenten“ zivilrechtlichen Haftung des Strafverteidigers siehe Köllner (Fn. 48), Rn. 113 ff.

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oder fällt er praktisch ganz aus, weil er untätig bleibt oder z.B. bei wesentlichen Verfahrenshandlungen nicht kraftvoll die Interessen seines Mandanten wahrnimmt bzw. dies nicht kann, etwa weil er unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen steht,62 so wird „die Verteidigung“ – nämlich die des Beschuldigten – in ähnlicher Weise beschränkt wie dies bei einem Eingriff des Staates „von außen“ in die Verteidigungsrechte – etwa durch einen Beschluss des Gerichts – geschieht (vgl. § 338 Nr. 8 StPO). Folgt man dieser Prämisse, so kann sich die Wirkung schlechter Verteidigung nicht auf eine Vertragsverletzung beschränken, die allein im Wege eines zivilrechtlichen Haftungsanspruchs (oder einer berufsrechtlichen Sanktion) zu ahnden wäre. Sie greift vielmehr die Legitimationsgrundlage des Strafverfahrens selbst an. Sie untergräbt das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Prozesses und seines Ergebnisses, des Strafurteils, und zwar in ähnlich fundamentaler Weise, wie dies bei der Mitwirkung eines befangenen Richters, bei Abwesenheit eines notwendigen Verfahrensbeteiligten oder bei Versagung des rechtlichen Gehörs der Fall ist. Ich sehe zwei Lösungswege, auf denen man diesem Befund Rechnung tragen kann. 2. Der erste Weg bestünde darin, innerhalb des laufenden Strafverfahrens präventive Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Verteidigung einzubauen. Man könnte diesen Weg als „Kontrollmodell“ (oder „Fremdkontrollmodell“63) bezeichnen. Denkbar wäre es, die Normen der §§ 138a ff. StPO so zu erweitern, dass dem Gericht für den Zeitraum des Strafverfahrens (zumindest der Hauptverhandlung) eine Art Disziplinargewalt zukommt und ihm die Befugnis zugestanden wird, einen Verteidiger auch wegen grober Defizite in der Verteidigungsführung auszuschließen bzw. wegen mangelnder Verteidigungseignung zurückzuweisen. Ist ein Pflichtverteidiger bestellt, so müsste eine solche Disziplinargewalt im Rahmen von § 143 StPO (Rücknahme der Bestellung) anerkannt werden (sofern man nicht, was verbreitet gefordert wird,64 auch auf den Pflichtverteidiger ausschließlich §§ 138a ff. StPO anwendet). Das Kontrollmodell könnte im Übrigen unterschiedlich ausgestaltet werden, je nachdem, welche Pflichtenstellung man dem Gericht beimisst. In einem ultima ratio- Modell würde man voraussetzen, dass der Tatbestand einer defizitären Verteidigungsführung dem Gericht als offensichtlich „ins Auge stechen“ muss; in einem „proaktiven“ Modell wäre das Gericht gehalten, eigeninitiativ Qualitätschecks durchzuführen, etwa indem bei Eröffnung der Haupt___________ 62

Im Einzelfall kann dann auch § 338 Nr. 5 StPO eingreifen. In Anlehnung an die Terminologie bei Barton (Fn. 4), S. 79 ff., der von „prozessualer Fremdkontrolle“ spricht. 64 Siehe z.B. Kempf, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 1 Rn. 98. 63

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verhandlung bestimmte Maßnahmen der Verteidigung abgefragt werden (etwa, ob Akteneinsicht genommen worden ist). Die Wahl eines (wie auch immer näher ausgestalteten) (Fremd-)Kontrollmodells liegt dann nahe, wenn man es als Aufgabe des Gerichts ansieht, auch für die Effektivität der Verteidigung des Angeklagten eine prozessuale Fürsorgepflicht zu tragen. Ein völliges Novum wäre das nicht, denn immerhin ist im deutschen Strafprozess eine allgemeine gerichtliche Fürsorgepflicht anerkannt, die im Rahmen der Hauptverhandlung besondere Relevanz erlangt und die im Rechtsstaatsprinzip bzw. im Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verankert ist.65 Eine spezielle, aus dem Grundrecht des Beschuldigten auf effektiven Verteidigerbeistand abzuleitende, auf Qualitätssicherung gerichtete Fürsorgepflicht dürfte sich relativ leicht – nämlich in Gestalt einer grundrechtlichen Schutzpflicht66 – für die Fallgruppe der nach § 140 StPO notwendigen Verteidigung begründen lassen.67 Denn hier verpflichtet der Staat den Beschuldigten, sich eines professionellen Verteidigers zu bedienen. Gleichgültig ob der Beschuldigte sich vom Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnen lässt oder aber einen Verteidiger selbst wählt: In beiden Fällen kann der Staat sich kaum darauf berufen, es sei vollständig Privatsache des Beschuldigten, für die Qualität der ihm von seinem Anwalt zu erbringenden Dienste zu sorgen. Offensichtlich ist dies für den Pflichtverteidiger; dieser kann nicht vom Beschuldigten, sondern nur vom Gericht entpflichtet werden. Nach geltendem Recht ist anerkannt, dass dies aus „wichtigem Grund“ u.a. dann geschehen kann, wenn erkennbar wird, dass der Verteidiger aus persönlichen Gründen, etwa weil er alkoholisiert ist oder unter Drogeneinfluss steht, nicht verhandlungsfähig ist (vgl. § 7 Nr. 7 BRAO); eine Entpflichtung ist darüber hinaus möglich, wenn der Verteidiger den Anspruch des Beschuldigten auf effektive Verteidigung nur schlecht erfüllen kann, weil „ihm schwere und offenkundige Fehler unterlaufen, weil er völlig unerfahren ist, weil er sich seit Jahren nicht ___________ 65

Dazu z.B. Beulke, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Rn. 383; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1998, Einl. Abschn. H, Rn. 120 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, Einl. Rn. 155 ff. 66 Zu der (noch jungen) Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten siehe z.B. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 54), Art. 1 Abs. 3 Rn. 158 ff. 67 Mit Blick auf die EGMR-Rechtsprechung, wonach der Staat bei offenkundigem Ungenügen eines Pflichtverteidigers geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat (Artico v. Italien [oben Fn. 18]; Imbrioscia v. Schweiz, Urt. v. 24.11.1993, Serie A Bd. 275, S. 13, Nr. 41; Czekalla v. Portugal, Urt. v. 10.10.2002, NJW 2003, 1229, 1230) im Ansatz wie hier (jedoch beschränkt auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers) Wohlers, in: SK StPO, vor § 137 Rn. 83.

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mehr mit dem Straf- und Strafprozessrecht beschäftigt hat oder weil er nicht über das notwendige spezifische Fachwissen verfügt“.68 Wird im Verfahren für das Gericht erkennbar, dass Indizien für eine defizitäre Verteidigungsführung vorliegen, so müsste aus einer staatlichen Schutzpflicht folgen, dass das Gericht diesen Indizien nachgehen, also entsprechende Aufklärungsmaßnahmen ergreifen und den Pflichtverteidiger gegebenenfalls entpflichten muss. Entsprechendes müsste für Sachlagen gelten, in denen ein Interessenkonflikt offenbar wird, also die „Besorgnis der Befangenheit“ gegeben ist.69 Handelt es sich um einen Wahlverteidiger, dürfte indessen die rechtliche Wertung unter dem Aspekt des Beschuldigtengrundrechts nicht wesentlich anders ausfallen. Schon deshalb, weil es sich auch hier um „notwendige“ Verteidigung handelt, kann es sich bei der Frage des „Wie“ nicht um eine reine Privatsache des Beschuldigten handeln. Lägen also in concreto Gründe für die Annahme vor, dass die Verteidigungsführung defizitär ist, so müsste das Gericht den Angeklagten zunächst davon in Kenntnis setzen und ihm nahe legen zu überprüfen, ob er das Mandat aufrecht erhalten will. Hielte das Gericht sogar den Tatbestand ineffizienter Verteidigungsführung für offensichtlich, so müsste es den Verteidiger auch gegen den Willen des Beschuldigten (auf Grundlage entsprechend erweiterter Regelungen in §§ 138a ff. StPO) ausschließen können. Schwieriger wird die Begründbarkeit eines Kontrollmodells für die Fallgruppe nicht notwendiger Verteidigung. Um auch hier eine Schutzpflicht des Gerichts begründen zu können, müsste man auf die allgemeine Fürsorgepflicht zurückgreifen. Man müsste die These aufstellen, dass die Überwachung der Qualität der Strafverteidigung niemals „reine“ Privatsache des Beschuldigten sein könne, eben weil der Strafverteidiger stets – also auch schlicht kraft der zivilrechtlichen Übernahme des Mandats – als Garant eines Grundrechtsanspruchs fungiert. Indessen: Dass ein (Fremd-)„Kontrollmodell“ brisant ist, liegt auf der Hand. Es bedeutet, dass dem verfahrensführenden Gericht ein Instrument an die Hand gegeben wird, das schlechtenfalls zur Disziplinierung nicht des unfähigen, sondern des nur unbequemen, konfliktfreudigen Verteidigers missbraucht werden kann. Im deutschen Strafprozessrecht ist dementsprechend die Auffassung vorherrschend, dass eine Kontrolle der genügenden Verteidigerleistung durch die Strafverfolgungsorgane strikt abzulehnen sei.70 Doch wird in der Richterschaft durchaus vertreten, dass die gerichtliche Fürsorgepflicht es ___________ 68

Dazu Seier, FS Hirsch, 1999, S. 977, 980. Wie hier Seier, FS Hirsch, S. 981. 70 Nachweise bei Wohlers, in: SK StPO, vor § 137 Rn. 81. 69

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gebiete, einen Pflichtverteidiger (!) abzulösen, wenn seine Unfähigkeit zu sachgemäßer Verteidigung des Angeklagten „klar erkennbar“ ist.71 Gleichwohl ist zweifelhaft, ob man das Strafgericht prinzipiell zum allgemeinen Kontrollorgan für die Effektivität von Strafverteidigung machen soll. Derartige Bedenken gegen das (Fremd-)Kontrollmodell ließen sich allenfalls zerstreuen, wenn gesichert wäre, dass die Gerichte hinreichende Zurückhaltung ausüben und der Notwendigkeit unabhängiger, energischer und professioneller Strafverteidigung ein hohes Maß an Respekt entgegenbringen. 3. Die Ausgangsüberlegung für den zweiten Weg, den man als Rechtsbehelfsmodell (oder Eigenkontrollmodell72) bezeichnen kann, geht dahin, dass die im Prozess ergangene Verurteilung fehlerhaft ist und vom Beschuldigten im Wege eines ordentlichen oder außerordentlichen Rechtsbehelfs angreifbar sein muss, wenn ihm keine hinreichend effiziente Verteidigung zur Verfügung stand. In diesem Modell bleibt die Kontroll-Funktion bei der – privat, staatsfern und unabhängig organisierten – Anwaltschaft selbst. Es ist hier nicht der Staat, der darüber entscheidet, ob ein Anlasstatbestand vorliegt, der es rechtfertigt, die Verteidigungsführung eines Anwalts einer justiziellen Überprüfung zu unterziehen. Vielmehr bleibt dies – insofern wie bei der zivilrechtlichen Haftung – der Anwaltschaft selbst vorbehalten. Nur wenn sich ein – (typischerweise: anderer) – Anwalt findet, der die Auffassung vertritt, es liege ein hinreichender Verdacht vor, dass das Erstverfahren unter dem Mangel einer ineffektiven Verteidigungsführung leidet, kann es überhaupt zu einer justiziellen – staatlichen – Überprüfung (und Reglementierung) kommen. Das Rechtsbehelfsmodell kann insofern, im weitesten Sinne, noch den Mechanismen der Eigenkontrolle einer Berufsgruppe – hier der Anwaltschaft – zugeordnet werden. In welcher Weise ein strafprozessualer Rechtsbehelf wegen einer „Verletzung des Rechts auf effektiven Verteidigerbeistand“ de lege ferenda sachgerecht ausgestaltet werden sollte, müsste in Strafprozessrechtswissenschaft und Praxis noch untersucht und diskutiert werden. Da es sich in der Sache um einen Unterfall der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren handelt, liegt es auf den ersten Blick nahe, entweder einen weiteren absoluten Revisionsgrund zu schaffen (§ 338 StPO) oder jedenfalls einen relativen Revisionsgrund anzunehmen (§ 337 StPO). Indessen verbinden sich mit einer solchen Ausge___________ 71

Meyer-Goßner, FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 615, 627 (unter Bezug auf BGH Urt. v. 11.7.1995, 1 StR 189/95). 72 Zum Begriff der Eigenkontrolle – im Gegensatz zur Fremdkontrolle – , die durch „die Verteidiger oder durch die Mandanten“ erfolgt, „in gewisser Weise auch durch den Berufsstand“, siehe Barton (Fn. 4), S. 42 mit Fn. 30, sowie bereits im Text oben unter I.

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staltung etliche praktische Bedenken. Der Beschuldigte wird, um eine Rüge wegen „ineffektiven Beistands“ vorzubringen, gewissermaßen im Galopp das Pferd wechseln und einen anderen Strafverteidiger suchen müssen. Für die Einlegung der Revision steht ihm jedoch nur die kurze Frist von einer Woche zur Verfügung (§ 341 Abs. 1 StPO). Im Hinblick auf die typische Komplexität der Frage, ob die Verteidigungsführung im erstinstanzlichen Verfahren fehlerhaft war, dürfte auch die weitere Monatsfrist zur Anbringung von Revisionsanträgen und Revisionsbegründung noch als knapp anzusehen sein (§ 345 Abs. 1 StPO). Zweifelhaft erscheint des Weiteren, ob es angemessen ist, die Prüfung einer solchen Rüge vor die Revisionsgerichte zu bringen. Denn ob ein Rechtsverstoß vorliegt, kann bei einer Rüge wegen „ineffektiven Beistands“ regelmäßig nur aufgrund einer Erhebung von Tatsachen über den Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens festgestellt werden. Es bedarf also einer mehr oder weniger umfangreichen Beweiserhebung. Wählt man dennoch eine Revisionsgrund-Lösung, so müsste diese – dem amerikanischen Beispiel folgend – für den speziellen Revisionsgrund der Ineffizienzrüge die Möglichkeit einer Verfahrensaussetzung kombiniert mit Rückverweisung zur Aufklärung und Entscheidung durch das Instanzgericht vorsehen. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Ineffizienzrüge könnte einiges dafür sprechen, eher einen neuen, außerordentlichen, Rechtsbehelfstypus zu schaffen. Ähnlich dem amerikanischen Habeas Corpus-Verfahren könnte dieses außerordentliche Rechtsmittel darauf gerichtet (und beschränkt) sein, die fundamentale Fairness des Verfahrens gerichtlich zu überprüfen. Denkbar wäre es, das Wiederaufnahmeverfahren nach § 359 StPO um einen neuen Wiederaufnahmetatbestand – Verletzung des Grundrechts auf effektiven Verteidigerbeistand – zu erweitern. Für die Geltendmachung dieses Wiederaufnahmegrundes könnte eine angemessene Befristung vorgesehen werden. III. Kriterien für „Ineffizienz“ – Zentralpflichten des Strafverteidigers

Doch ganz gleich, welche rechtliche Ausgestaltung man für ein Rechtsbehelfsmodell wählt: Zentral ist stets, nach welchen Sachkriterien das Vorliegen von „Ineffizienz“ beurteilt werden soll. Die Frage ist, ob man die allgemeine Pflicht des Strafverteidigers, den Mandanten wirksam zu verteidigen, in abstrakt-generelle Einzelpflichten übersetzen und auf diese Weise normieren, also ihre Nachprüfbarkeit durch Standards erhöhen kann. 1. Dass der Gedanke einer solchen Verrechtlichung bei vielen Praktikern, aber auch Wissenschaftlern immer noch verbreitet auf Ablehnung oder zumindest auf große Skepsis stoßen dürfte, ist abzusehen. Die Befürchtung, es könnten auf diesem Wege Instrumente geschaffen werden, die die Unab-

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hängigkeit des Strafverteidigers einschränken und seinen Freiraum bei der Gestaltung der Verteidigung im konkreten Fall beschneiden, ist natürlich grundsätzlich berechtigt. Auch die Gefahr, dass eine Verrechtlichung von Einzelpflichten sogar kontraproduktiv wirken kann, weil ein Verteidiger sich im Einzelfall möglicherweise gehindert sieht, eine unkonventionelle Verteidigungsstrategie zu entwickeln und zu verfolgen, ist keineswegs irreal und muss bedacht werden. Sehr zu Recht hat der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer in seinen „Thesen zur Strafverteidigung“ von 1992 (BRAKThesen) daher den „Freiraum der Verteidigung“ an vorderster Stelle als „allgemeinen Grundsatz“ formuliert (These 1).73 Dieser Freiraum soll zur Konsequenz haben, dass es in der „alleinigen und nicht überprüfbaren Entscheidung des Verteidigers“ steht, wie oft und zu welchen Zeitpunkten er z.B. Akteneinsicht beantragt, mit dem Staatsanwalt in Kontakt tritt, Schriftsätze einreicht, Beweisanträge stellt oder in welchem Umfang er eigene Erkundigungen (Ermittlungen) durchführt. Es unterliegt auch allein seinem Entschluss, einzelne Maßnahmen – z.B. die Befragung von Zeugen (außerhalb der Hauptverhandlung) – selbst durchzuführen oder durch einen Dritten durchführen zu lassen, fachliche Fragen durch einen Sachverständigen untersuchen zu lassen oder derartige Erhebungen mit Hilfe von Anträgen an die Strafverfolgungsbehörde oder das Gericht zu veranlassen. Schließlich gehört es auch zum Freiraum des Verteidigers, Entlastungsbemühungen seines Mandanten oder Dritter lediglich hinzunehmen, ohne selbst anregend oder leitend aktiv zu werden. Die Auswertung der Ergebnisse solcher Bemühungen steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen.74 Gleichwohl ist die „Pflichtenperspektive“ für den Bereich der Verteidigungsführung nicht neu. Barton hat vor mehr als zehn Jahren den Versuch unternommen, „konkrete Mindeststandards“ effektiver Strafverteidigung zu formulieren, wenngleich beschränkt auf den Sachbereich der Vorbereitung der Hauptverhandlung.75 Er hat dabei drei Pflichtenkreise identifiziert und bis in die Einzelheiten hinein ausgeleuchtet, nämlich „Pflichten im Rahmen der Informationsgewinnung“, „Pflichten im Rahmen der Verteidigungskonzeption“, und „Pflichten bei der Umsetzung der Verteidigungskonzeption“. Dabei will Barton manche Mindestpflichten als „absolute“ verstehen, namentlich die Pflicht, die ___________ 73 These 1 lautet: „(1) Der Verteidiger ist frei in der Gestaltung der Verteidigung im Rahmen der Gesetze, seiner Schutzaufgabe und seiner Einordnung in die Funktion der Strafrechtspflege. (2) Dieser Freiraum umfasst alle Maßnahmen, die der Verteidiger zur Abwehr der gegen seinen Mandanten erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe durchführt, veranlasst oder geschehen lässt.“ 74 BRAK-Thesen zur Strafverteidigung, 1992, S. 24. 75 Barton (Fn. 4), S. 324 ff.

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Akten beizuziehen und durchzuarbeiten, dem Beschuldigten die Möglichkeit zum Beratungsgespräch einzuräumen sowie eine Mindestvorbereitungszeit einzuhalten.76 Aber auch bereits in den BRAK-Thesen von 1992 wird deutlich, dass die Frage des „Wie“ der Verteidigungsführung nicht als Angelegenheit völlig freier Kunst gelten kann. Dementsprechend finden sich in den Thesen etliche Pflichtennormierungen, die die Gestaltung der Verteidigung betreffen. Dazu gehört etwa die Pflicht, bei der Entwicklung und Durchführung einer gemeinsamen Verteidigungskonzeption für mehrere Beschuldigte (Sockelverteidigung) das Individualinteresse des Mandanten stets vorrangig zu beachten (These 13).77 Des Weiteren „soll“ der Verteidiger „bei der Beratung den Mandanten auch auf Risiken und mögliche Nachteile eines an sich nicht unzulässigen (Prozess-)Verhaltens hinweisen“ (These 24).78 Bezüglich eigener Erhebungen (Ermittlungen) wird ausgesprochen, dass der Verteidiger deren Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage des Verfahrens „sorgfältig zu prüfen“ hat und dass er im Einzelfall „zu eigenen Erhebungen verpflichtet sein“ kann (These 25).79 Über Aufnahme, Durchführung und Ergebnis eigener Erhebungen muss der Verteidiger seinen Mandanten unterrichten (These 27).80 Der Verteidiger „soll sich im Regelfall unverzüglich nach der Anzeige seiner Beauftragung um Einsicht in die Akten bemühen“ (These 45); besonders vermerkt wird in der Begründung, dass der Zeitpunkt „Abschluss der Ermittlungen“ häufig verspätet ist, weil im Ermittlungsverfahren häufig die Weichen gestellt werden.81 Bemerkenswert sind sodann die Thesen 39 bis 43, die die „Verständigung im Strafverfahren“ betreffen.82 Sie lassen ___________ 76

Barton (Fn. 4), S. 326 ff., 365. BRAK-Thesen (Fn. 74), S. 39. 78 BRAK-Thesen (Fn. 74), S. 51 f. 79 BRAK-Thesen (Fn. 74), S. 52 f. 80 BRAK-Thesen (Fn. 74), S. 54. 81 BRAK-Thesen (Fn. 74), S. 74 f. 82 Sie lauten: These 39 (Voraussetzungen) Die Verständigung über das Verfahrensergebnis setzt eine sorgfältige Prüfung der Sach- und Rechtslage durch den Verteidiger voraus, dies insbesondere – im Hinblick darauf, dass Zusagen des Gerichts stets unter dem Vorbehalt einer Bewertungsänderung stehen und rechtlich nicht verbindlich sind –, im Hinblick auf das Risiko der Preisgabe besserer Verteidigungsmöglichkeiten. These 40 (Aufklärung des Mandanten) (1) Der Verteidiger hat mit dem Mandanten die möglichen Folgen einer Verständigung, insbesondere bei einem Geständnis, zu erörtern. (2) Bereits vor der Aufnahme von Verständigungsgesprächen hat der Verteidiger die Risiken, die sich schon aus der Aufnahme solcher Gespräche und insbesondere aus deren Fehlschlagen für den 77

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deutlich werden, dass gerade in diesem Bereich die Zentralpflichten des Verteidigers zu ungeteilter Loyalität und engagierter Advokatur besonderen Gefährdungen ausgesetzt sein können und die Verantwortlichkeit des Verteidigers für die Wahrung der (Grund-)Rechtsstellung des Beschuldigten daher besonders gesteigert ist. 2. Die Frage, ob und welche Einzelpflichten formuliert werden sollten, um die Aufgabe des Strafverteidigers, effektive Strafverteidigung zu leisten, mit Leben zu füllen, kann und braucht an dieser Stelle nicht weiter verfolgt zu werden. Sie bietet Stoff für ein eigenständiges Projekt, zumal die einzelnen Verfahrensstadien und Verfahrensarten – namentlich die Verständigungsverfahren – separat in den Blick genommen werden müssen. Ich will mich vielmehr an dieser Stelle auf die Frage beschränken, wie und woran gemessen werden soll, ob Regelverletzungen so gravierend sind, dass sie zu einer Grundrechtsverletzung des Beschuldigten führen können. Denn gewiss kann dies nicht für jede Pflichtverletzung des Verteidigers gelten. Es muss sich um eine Zentralpflicht handeln. Ob es im Ansatz zutreffend erscheint, wenn der U.S. Supreme Court in der Strickland-Entscheidung die Antwort pauschal aus der Fair-Trial-Dogmatik heraus entwickelt (siehe oben III.) und auf diesem Wege zu einem sehr vagen „Vernünftigkeits“-Maßstab kommt, erscheint fragwürdig. Die Fair-TrialDogmatik kann richtigerweise nur dort einschlägig sein, wo es um jene Pflichten des Verteidigers geht, die auf die Wahrnehmung von Waffengleichheit ___________ Mandanten ergeben können, zu prüfen und mit dem Mandanten zu erörtern. (3) Der Verteidiger führt Gespräche über Verständigungen im Einvernehmen mit dem Mandanten und informiert ihn vollständig und möglichst frühzeitig. Mit Einverständnis des Mandanten kann der Verteidiger berechtigt sein, Vertraulichkeit über einzelne Gesprächsinhalte auch gegenüber dem Mandanten zu wahren. These 41 (Grenzen der Verständigung) Auch im Rahmen einer Verfahrensabsprache darf der Verteidiger nicht an der Verurteilung eines Unschuldigen mitwirken. Deshalb hat der Verteidiger insbesondere auch darauf zu achten, dass ein Geständnis, das der Mandant im Rahmen einer Verfahrensabsprache abzulegen bereit ist, von diesem verantwortet wird. These 42 (Richterablehnung) Das „offene Wort“ des Richters im Rahmen von Verständigungsgesprächen wird in der Regel keinen Anlass zur Befangenheitsablehnung geben. Auch hier ist jedoch das richterliche Verhalten nicht von der Überprüfung nach den §§ 24 ff. StPO freigestellt. These 43 (Entscheidung anderer Stellen) Der Verteidiger beachtet, dass in eine Verständigung über das Verfahrensergebnis zukünftige Entscheidungen anderer Stellen grundsätzlich nicht verbindlich einbezogen werden können.

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abzielen. Was diese Waffengleichheit betrifft, so sollten auch im deutschen Strafverfahrensrecht die beiden Zentralpflichten des Strafverteidigers besonders hervorgehoben werden: Die Pflicht zu ungeteilter Loyalität und zu engagierter Advokatur (undivided loyalty, zealous advocacy). Werden diese beiden Pflichten vernachlässigt, so fehlt es an den Grundvoraussetzungen der Waffengleichheit, und damit eines fairen Verfahrens. Von hier aus müssten typische Szenarien herausgearbeitet werden, in denen eine Verletzung dieser Zentralpflichten indiziert ist. Vorläufig kann immerhin als ein Leitgrundsatz formuliert werden: In einer grundrechtsrelevanten Weise sind diese Zentralpflichten immer dann verletzt, wenn der Strafverteidiger mit einem Interessenkonflikt belastet ist oder wenn es auf ähnliche Weise zur Unterminierung oder gar zum Zusammenbruch des notwendig adversarischen Strafverfahrens kommt. Daher verdient die – außerhalb des engen Bereichs von § 146 StPO bislang in der deutschen Diskussion sehr unterbelichtete83 – Frage, welche Interessenkonflikte speziell beim strafrechtlichen Mandat relevant werden können, künftig eine stärkere Beachtung. Immer dann, wenn der Strafverteidiger gegenüber Dritten oder auch Verfahrensbeteiligten, die gegenläufige Interessen haben (z.B. daran, dass gegen den Beschuldigten Strafen, Nebenfolgen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung verhängt werden), in einer Pflicht oder auch nur in enger persönlicher Verbindung steht, besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts und damit einer Verletzung des Rechts auf effektive Verteidigung. Des Weiteren gebührt eine besondere Aufmerksamkeit den Beratungs- und Verteidigungsführungspflichten, wenn es um das Ob und Wie der Einlegung von Rechtsmitteln, namentlich um die Revision geht. Bei groben Fehlern in diesem Bereich kann die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ebenfalls in fundamentaler Weise gefährdet sein. In eine andere Kategorie fällt hingegen die Verletzung von Verhaltenspflichten, die weniger der Waffengleichheit dienen als vielmehr der Gewährleistung rechtlichen Gehörs.84 Hier geht es darum sicherzustellen, dass der Beschuldigte im Strafprozess – namentlich in der Hauptverhandlung – vollumfänglich Gelegenheit erhält, „sich vor dem Erlass der Entscheidung zu dem ___________ 83

Beachtung findet das Thema zu Recht bei Seier, FS Hirsch, S. 981. In § 43a Abs. 4 BRAO findet sich nur ein einziger, allgemein gehaltener Satz: „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten“. Der völlige Verzicht auf eine gesetzliche Konkretisierung von (mindestens regelbeispielsförmigen) Fallgruppen mandatswidriger Interessenkonflikte erscheint nicht mehr zeitgemäß. 84 Zu dieser Differenzierung, im Kontext des Konfrontationsrechts, siehe Walther, GA 2003, 204, 219 ff.

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Sachverhalt zu äußern, welcher der Entscheidung zugrunde gelegt wird“.85 Der Beschuldigte muss in die Lage versetzt werden, in optimaler Weise die für ihn günstigen Tatsachen und Beweismittel vorbringen zu können.86 Er hat ein subjektives Recht87 darauf, dass das Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen die Verteidigung Stellung nehmen konnte. Ungeachtet der Aufklärungspflicht des Gerichts im deutschen Strafprozess wird man es im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Gehörsgrundrechts zu den Zentralpflichten des Strafverteidigers zählen müssen, defences aufzuspüren und vorzubringen. Er muss, wenn ein Bestreiten der Täterschaft keine Aussicht auf Erfolg verspricht, den Sachverhalt selbständig auf etwaige aussichtsreiche Rechtfertigungs- und Entschuldigungs- sowie sonstige Straffreistellungs- und Strafmilderungsgründe untersuchen und die entsprechenden Tatsachen gegebenenfalls rechtzeitig im Verfahren – auch bereits im Ermittlungsverfahren – vorbringen. Eine weitere, vierte Zentralpflicht des Verteidigers sehe ich darin, die von der Staatsanwaltschaft im Prozess präsentierten Belastungsbeweise einer rigorosen Überprüfung zu ziehen, namentlich sorgfältig und frühzeitig – also bereits im Ermittlungsverfahren bzw. bei der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung – zu prüfen, ob Anlass besteht, Belastungszeugen in einem eingehenden Gegenverhör auf ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit zu testen, also vom Konfrontationsrecht der Verteidigung Gebrauch zu machen.88

E. Zukunft: „Soft Law“ – „Hard Law“ In einer Zeit vielfältiger neuer Herausforderungen, vor denen die Strafverteidigung steht, darf es kein Sakrileg sein, einmal nicht nur über die Rechte, sondern auch über die Pflichten des Strafverteidigers zu sprechen und auch über die Justiziabilität solcher Pflichten nachzudenken. Denn er übt seinen Beruf in einer ganz besonderen Funktion aus: Übernimmt er ein Mandat, so ist er Garant für die effektive Verteidigung des Beschuldigten im Strafprozess, und damit Garant für die Verwirklichung eines elementaren Justizgrundrechts. Indessen kann die Pflichtenperspektive durchaus auch schützend für den Strafverteidiger ___________ 85

Ständige Rechtsprechung; BVerfGE 81, 123, 126; 92, 158, 184, jeweils m.w.N. Walther, GA 2003, 204, 221; vgl. bereits Tiedemann, JuS 1965, 19, unter Bezug auf BVerfGE 7, 275, 278 f. 87 Gusy, AnwBl. 1984, 225, 231. 88 Eingehend zum Konfrontationsrecht Walther, GA 2003, 204. Dieser Aspekt kommt zu kurz in den „Mindeststandards“ bei Barton (Fn. 4), S. 324 ff. 86

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wirken: Soweit er seinem Mandanten gegenüber zu einer effektiven Verteidigungsführung verpflichtet ist, müssen ihm auch die dafür notwendigen Verfahrensrechte eingeräumt werden. Dass die vier hier formulierten Zentralpflichten des Strafverteidigers – ungeteilte Loyalität, engagierte Advokatur, Aufspüren und Vorbringen von defences und Testen der Belastungsbeweise – gerade heute einer offenen Diskussion in Wissenschaft und Praxis sowie dann auch einer Konkretisierung für die verschiedenen Verfahrensstadien und Verfahrensarten bedürfen, steht außer Frage: Der Einzug von Verfahren, die auf „Verständigung“ der Verfahrensbeteiligten sowie auf „konsensuale“ Erledigung ausgerichtet sind, kann die Loyalitätspflicht des Strafverteidigers auf besondere Proben stellen. Inwieweit engagierte Advokatur, also die einseitige Verfolgung der Mandanteninteressen, legitim ist, kann vielfach fraglich werden vor dem Hintergrund des in den letzten Jahrzehnten stark aufgewerteten Zeugen- und Opferschutzes. Aber auch neu in den Vordergrund tretende öffentliche Interessen, namentlich an der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, könnten zu einer Forderungen nach Zurückhaltung – und damit letztlich zu einem Abbau von Strafverteidigungsrechten – führen. Und schließlich, was die Zentralpflicht zum Testen von Belastungsbeweisen betrifft: Das deutsche Strafverfahren ist adversarischer geworden. Die Ursachen liegen zum einen in Schwerpunktverlagerungen in das Ermittlungsverfahren; zum anderen muss nach dem FairnessVerständnis der EGMR-Rechtsprechung die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung unter den Bedingungen „adversarischen Testens“ erfolgen.89 Es erscheint daher an der Zeit, die Pflichtenstellung des Strafverteidigers unter dem Aspekt seiner Garantiefunktion für effektive Verteidiger systematisch zu beleuchten. Die Ansätze, die sich in den BRAK-Thesen finden, müssten aufgegriffen und fortentwickelt werden. Ein besonders wichtiges Kapitel wäre den Verständigungsverfahren (§ 153a StPO) sowie dem Thema der Urteilsabsprachen zu widmen. Die Ausarbeitung von Verhaltenspflichten könnte als Soft law, in Gestalt von „Standards“ erfolgen. Doch dürften dies nicht bloß „Mindeststandards“ sein, vielmehr müsste es sich um Standards „bester Praxis“ (Best Practice Standards) handeln. Diese sollten in die Ausbildung von Strafverteidigern Eingang finden. Eine davon zu trennende, ganz andere Frage ist die, welche Pflichtverletzungen bei der konkreten Führung einer Strafverteidigung so gravierend sind, dass sie Grundlage eines Haftungsanspruchs bzw. eines Revisionsverfahrens sein können. Dies ist in hohem Maße eine Frage des Einzelfalls; aufgrund der überragenden Bedeutung des Freiraums der Vertei___________ 89

Dazu Walther, GA 2003, 204, 214.

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digung bei der Gestaltung der Verteidigungsstrategie könnte die Verletzung einzelner „Standards“ nie mehr als ein Indiz sein. Nur die Verletzung einer Zentralpflicht kann die Legitimationsgrundlage des Strafverfahrens erschüttern. Insofern müsste die Aufgabe, „harte“ Kriterien für den Tatbestand ineffizienter Verteidigungsführung zu konkretisieren, letztlich der höchstrichterlichen Rechtsprechung überlassen werden.

Strafverteidigung im Zeitalter abgesprochener Urteile

Thomas Weigend

A. Strafverteidigung und Absprachen Strafverteidigung zielt darauf ab, den Ausgang des Verfahrens zugunsten des Beschuldigten zu beeinflussen. So war es immer, und an diesem Ziel hat sich nichts geändert – aber die Wege, die dorthin führen können, sind verzweigt und vielfältig geworden. Der Verteidiger ist nicht mehr, wie im kontinentaleuropäischen Strafprozess bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus üblich, auf den Versuch beschränkt, das Gericht durch kritische Fragen an Belastungszeugen und durch ein schwungvolles Schlussplädoyer für seinen Mandanten einzunehmen. Mit der Diffundierung der Verfahrensweisen unterhalb des breiten Daches „Strafprozess“ haben sich auch die Möglichkeiten und Chancen der Verteidigung vervielfacht – von der Einwirkung auf die polizeilichen Ermittlungen und deren Ergänzung durch eigene Nachforschungen, dem Schutz des Mandanten vor Maßnahmen, die schon während des Ermittlungsverfahrens in seine Freiheit und sein Vermögen eingreifen, über Bemühungen, eine Ermessenseinstellung der Staatsanwaltschaft oder wenigstens eine Erledigung ohne Hauptverhandlung zu erreichen bis zur Initiierung von Ausgleichsverhandlungen mit dem Verletzten (mit Blick auf § 46a StGB) reichen die Optionen, die dem Verteidiger heute zur Verfügung stehen und von denen er im Interesse seines Mandanten nötigenfalls Gebrauch zu machen verpflichtet ist. Zur professionellen Verteidigung gehört damit auch die Mitwirkung an Vereinbarungen mit anderen Verfahrensbeteiligten. Solche Vereinbarungen sind im deutschen Strafverfahrensrecht – ebenso wie in vielen anderen Rechtsordnungen – nicht mehr auf etwaige Gegenleistungen des Beschuldigten bei staatsanwaltschaftlicher Diversion (etwa nach § 153a StPO) beschränkt, und auch nicht auf den technischen Ablauf des Hauptverfahrens, sondern beziehen sich auch auf das Herzstück des Strafverfahrens, den Inhalt des Urteils. Spätestens seit der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 19971 sind Urteilsab-

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Thomas Weigend

sprachen grundsätzlich akzeptiert, und die Entscheidung des Großen Senats von 20052 hat dies – auch gegenüber deutlich erkennbaren Vorbehalten innerhalb des Gerichts – bestätigt. Es führt daher heute nicht mehr weiter, den Verfall der Verfahrenskultur zu beklagen, der mit den Urteilsabsprachen verbunden ist; ebenso wenig ist es noch von Interesse, ihre Vereinbarkeit mit einzelnen „Verfahrensprinzipien“ zu überprüfen.3 Urteilsabsprachen sind ein wesentlicher Teil des deutschen Strafverfahrens im 21. Jahrhundert, und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie auch formell in die Strafprozessordnung integriert werden. Strafverteidiger sollten sich darüber nicht beklagen – die Entstehung der Absprachenpraxis ist nicht zuletzt ihrer Tätigkeit zu verdanken. Erst die aktive, sachkundige, den Konflikt und die Verfahrensverzögerung nicht scheuende Verteidigung, wie sie sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts formiert hat, hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Gerichte und Strafverfolgungsbehörden sich veranlasst gesehen haben, das Gespräch mit der „Gegenseite“ aufzunehmen, um zu einer einvernehmlichen Abkürzung des Verfahrens zu gelangen.4 Wenn – wie teilweise angenommen5 – Urteilsabsprachen tatsächlich den Übergang von einem einseitig-inquisitorischen zu einem stärker an Waffengleichheit orientierten diskursiven Verfahrensmodell markieren, dann ist es die Emanzipation der Strafverteidigung zu einem gleichwertigen Partner im Strafverfahren, die diesen Übergang möglich gemacht hat. In jedem Fall hat das Vordringen der Absprachenpraxis der Verteidigung eine neue mitbestimmende Rolle im Verfahren verschafft und damit unzweifelhaft auch ihr Selbstverständnis verändert. Der Verteidiger ist nicht mehr, wie in früheren Jahrzehnten, bloß eine Randfigur in der Hauptverhandlung, sondern zumindest in formaler ___________ 1

BGHSt 43, 195. BGHSt 50, 40. 3 Es trifft allerdings durchaus zu, dass Absprachen den „Gegenentwurf zu den tragenden Prinzipien unseres rechtsstaatlichen Strafverfahrens“ darstellen, wie Nestler in Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, 2005, S. 15, schreibt. Ebenso trifft es zu, dass Urteilsabsprachen zu einem „Funktionsverlust“ der an Sachlogik orientierten Dogmatik des materiellen Strafrechts führen; siehe dazu Volk FS Dahs, 2005, S. 495, 502 f. 4 Dazu schon Hanack StV 1987, 500. 5 Siehe etwa Herrmann Archivum Iuridicum Cracoviense XXXI-XXXII (1998-1999) S. 55, 80 (durch die Absprachen sei der „mündige Bürger“ an die Stelle des „Untertans“ getreten); ähnlich Kintzi JR 1990, 309, 313 f.; Lüderssen StV 1990, 415, 419 f.; siehe dagegen Klemke/Elbs Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, 2007, Rn. 780: Der Deal „degradiert den Angeklagten zum Verfahrensobjekt“. 2

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Hinsicht gleichberechtigter Verhandlungspartner, der dem Richter und dem Staatsanwalt erhobenen Hauptes gegenübertreten kann. Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass die Verschiebung vom inquisitorischen zum negotiatorischen Verfahrenstyp auch für den Angeklagten von Vorteil ist. Die euphorische Vorstellung der frühen Jahre, dass man das Gericht mittels der Daumenschrauben des Beweisantrags- und des Ablehnungsrechts zu überdimensionierten Strafnachlässen veranlassen könnte, ist inzwischen auf Seiten der Verteidiger offenbar verflogen.6 Gegenüber der „Sanktionsschere“, die das Gericht fast beliebig weit öffnen kann, um den Angeklagten gefügig zu machen, erweisen sich die Möglichkeiten der Verteidigung, die Hauptverhandlung in die Länge zu ziehen, offenbar häufig als recht stumpfe Waffen. Wenn dem Angeklagten die Verdoppelung der Strafe für den Fall einer vollständig nach den Regeln der StPO durchgeführten Hauptverhandlung vor Augen gestellt wird,7 wird ihn die Aussicht darauf, das Gericht in dieser Verhandlung noch ein wenig „ärgern“ zu können, vermutlich wenig reizen. Wenn Nestler aus dieser Situation den Schluss zieht, der eigentliche Gewinner der Absprachenpraxis sei der Verteidiger, da er Zeit und Vorbereitungsaufwand erspare und das Ergebnis seiner Arbeit dem Mandanten überdies noch als Erfolg verkaufen könne,8 dann ist das sicher nicht von der Hand zu weisen. Andererseits kann es aus der Sicht einer professionellen Verteidigung nicht befriedigend sein, den eigenen Vorteil auf Kosten des Mandanten zu ziehen oder, wie Nestler es ausdrückt, zum „eigentlichen Feind des Mandanten“ zu werden.9 Und doch ist diese Gefahr nicht (nur) Ergebnis individuellen Fehlverhaltens, sondern im System der Absprachen angelegt: Der Weg des geringsten Widerstandes, den die Absprache eröffnet, kommt den Wünschen – und vielleicht auch den Gerechtigkeitsvorstellungen – des Gerichts und der Staatsanwaltschaft entgegen, und er nützt zugleich dem eigenen ökonomischen Interesse des Verteidigers; einziger Störfaktor ist der möglicherweise „uneinsichtige“ Angeklagte, dessen Placet der Verteidiger einzuholen hat.10 Angesichts dieses ___________ 6 Siehe etwa Nestler (Fn. 3) S. 20, 22 f.; Weider NStZ 2002, 174, 177; Widmaier NJW 2005, 1985, 1986. Klemke/Elbs (Fn. 5) Rdn. 784 lehnen Absprachen aus der Sicht der Strafverteidigung scharf ab: „Der Deal korrumpiert alle, die sich auf ihn einlassen.“ 7 Siehe etwa den Fall BGH StV 2005, 201; auch BGH StV 2004, 636 m. Anm. Eidam StV 2005, 201. 8 Nestler (Fn. 3) S. 21. 9 Nestler (Fn. 3) S. 21. 10 Auch Schoop Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht, 2006, S.167, spricht von einer „Zwitterstellung“ des Anwalts – „Sprachrohr des Gerichts einerseits und Berater des Angeklagten andererseits“.

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unvermeidlichen Interessenkonflikts stellt sich umso drängender die Frage nach einer berufsethischen Bewältigung der Absprachensituation. Mit dieser Frage haben sich – in je unterschiedlicher Weise – alle beteiligten juristischen Berufsgruppen auseinanderzusetzen; sie ist aber für den Verteidiger besonders kritisch, da er doch „eigentlich“ uneingeschränkt auf der Seite des Angeklagten stehen sollte. Am Schluss dieses Beitrags (unter F.) werde ich auf diese Problematik und mögliche Wege zu ihrer Lösung zurückkommen. Zuvor ist jedoch wenigstens kurz11 der derzeitige (Anfang 2007) Stand der Diskussion um die Urteilsabsprachen zu skizzieren. Er steht im Zeichen eines Grundsatzstreits (C.) und der Erörterung verschiedener Entwürfe für gesetzliche Regelungen der Materie (D.). Ausgangspunkt dieser Entwicklungen ist der jüngste Versuch des Bundesgerichtshofs, eine einheitliche Position zu dem Phänomen der Urteilsabsprachen zu finden (B.).

B. Der Stand der Diskussion nach der Entscheidung des Großen Senats von 2005 Seit der Grundsatzentscheidung des 4. Senats des BGH aus dem Jahre 199712 schwelte zwischen den Strafsenaten ein Streit, der sich vordergründig auf die Bewertung eines vom Gericht nahe gelegten, vorab angekündigten Rechtsmittelverzichts des Angeklagten im Rahmen einer Urteilsabsprache bezog, in Wirklichkeit jedoch die Beurteilung der Legitimität von Urteilsabsprachen als solcher zum Gegenstand hatte. Schließlich blieb kein anderer Ausweg als den Großen Senat anzurufen. Für die Frage des Rechtsmittelverzichts fand der Große Senat eine Kompromisslösung: Ein Rechtsmittelverzicht im Anschluss an ein abgesprochenes Urteil ist nur dann wirksam, wenn der Angeklagte zuvor darüber belehrt wurde, ___________ 11 Eine vollständige Darstellung auch nur der wichtigsten Literatur und Rechtsprechung zu dem Thema kann hier nicht gegeben werden. Gute und aktuelle Bibliographien enthalten z.B. die Dissertationen von Schoop (Fn. 10) und Weichbrodt Das Konsensprinzip strafprozessualer Absprachen, 2006; ferner aus der neueren AufsatzLiteratur Altenhain/Haimerl GA 2005, 281, 298 f.; Duttge ZStW 115 (2003) S. 539; Schünemann FS Rieß, 2002, S. 525; Siolek FS Rieß, 2002, S. 563; Weider FS Lüderssen, 2002, S. 773; Weßlau ZStW 116 (2004) S. 150. Eine erste umfassende empirische Untersuchung ist die Arbeit von Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, 2007. 12 BGHSt 43, 195.

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dass etwa vorher über einen Verzicht getroffene Vereinbarungen oder Zusagen unwirksam sind.13 Dass dies eine Lösung des Problems sei, wird im Schrifttum überwiegend bezweifelt – es liegt nahe, dass der Angeklagte, wenn er (meist von seinem Verteidiger) vorab auf einen Rechtsmittelverzicht eingeschworen wird, auch darauf hingewiesen wird, dass das Gericht die vom BGH geforderte qualifizierte Belehrung erteilen werde, dass aber „natürlich“ trotzdem der mit den übrigen Verfahrensbeteiligten ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarte Verzicht abgegeben werden müsse. Die eigentliche Crux, dass nämlich durch das einverständliche Handeln der beteiligten Juristen dem Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer neutralen Nachprüfung des Deal genommen wird, lässt sich durch das Aussprechen einer ritualisierten Reinigungsformel, wie sie die qualifizierte Belehrung darstellt, nicht aus der Welt schaffen.14 Der BGH konnte in dieser Frage keine wirklich durchgreifende Lösung finden, da er an die gesetzlich geregelte Möglichkeit eines sofortigen Rechtsmittelverzichts (§ 302 I 1 StPO) gebunden war; das Gericht war darauf beschränkt zu versuchen, dessen gefährliche Folgen für den Angeklagten nach Möglichkeit einzudämmen. Der Gesetzgeber ist demgegenüber in seiner Disposition frei; er könnte – und sollte – die Möglichkeit einer verbindlichen Sofortentscheidung des Angeklagten über sein Rechtsmittelrecht ersatzlos streichen.15 Wesentlicher Schaden für die Rechtspflege kann dadurch wegen der ohnehin nur einwöchigen Rechtsmittelfristen nicht entstehen. Die eigentliche Bedeutung des Beschlusses des Großen Senats liegt freilich nicht in der Entscheidung über die vergleichsweise marginale Frage des Rechtsmittelverzichts, sondern in der grundsätzlichen Stellungnahme zur Zulässigkeit von Urteilsabsprachen. Hier setzt der Große Senat zunächst die schon ___________ 13

BGHSt 50, 40, 56 ff. Übereinstimmend Altenhain/Haimerl GA 2005, 281, 298 f.; Altenhain/Hagemeier/ Haimerl NStZ 2007, 71, 77 (unter Hinweis auf die Einschätzung befragter Praktiker); Hamm FS Dahs, 2005, S. 267, 271; Schoop (Fn. 10) S. 173 f.; Weider FS Lüderssen, 2003, S. 772, 782. 15 Ebenso der Vorschlag des Strafrechtsausschusses der BRAK, abgedr. in NJW Sonderdruck „Der Deal im Strafverfahren“, 2006, S. 3, 5 (außer in Verfahren vor dem Strafrichter) sowie Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 77; Pfister StraFo 2006, 349, 354. Eine Regelung im Sinne der BGH-Entscheidung ist jedoch vorgesehen in § 35a Satz 4 StPO i.d.F. des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren v. 18.5.2006; im Internet zugänglich unter http://www. bmj.bund.de/files (im Folgenden: BMJ-Entwurf) sowie in § 35a S. 3 StPO i.d.F. des Gesetzentwurfs des Landes Niedersachsen v. 29.3.2006, BR-Drucks. 235/06 (im Folgenden: Nds-Entwurf). 14

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199716 vom 4. Senat eingeschlagene Richtung des „Ja, aber“ fort: Zwar seien Absprachen über das Strafmaß mit der StPO vereinbar und aus Gründen der Verfahrensökonomie auch nicht mehr aus der Welt zu schaffen; aber dennoch dürften „die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung (…) nicht im Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts stehen“.17 Außerdem bleibe nach dem rechtsstaatlichen „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“ die Ermittlung des wahren Sachverhalts als Grundlage des Urteils ein zentrales Ziel des Strafverfahrens.18 Wie sich die Urteilsabsprachen, die gerade die Vermeidung der „bestmöglichen Sachaufklärung“ im gerichtlichen Verfahren intendieren, mit eben diesen basalen Verfahrensgrundsätzen kompatibel machen lassen sollen, erklärt der Große Senat allerdings nicht.19 In erster Linie ist der Beschluss des Großen Senats ein Hilferuf an den Gesetzgeber. Der BGH sieht sich, nachdem er durch zahlreiche Entscheidungen zu unterschiedlichen Absprachenkonstellationen ein differenziertes AbsprachenRegelwerk entwickelt hat, nunmehr an der äußersten verfassungsrechtlichen Grenze richterlicher Rechtsschöpfung.20 Das Gericht nennt im Zusammenhang mit der Absprachenpraxis verschiedene Grund- und Detailfragen, die nicht „nebenbei“ durch Richterrecht, sondern nur im Rahmen eines durchdachten Gesamtkonzepts seitens des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geregelt werden können.21 Damit reicht allerdings der BGH an die Legislative das Problem weiter, das die Judikative – durch ihre Akzeptanz und teilweise aktive Förderung der Absprachenpraxis – selbst geschaffen hat und das jedenfalls in prinzipieller Hinsicht kaum lösbar erscheint: die tendenziell rechtsfremden Absprachen in ein so kompliziertes Regelwerk wie die StPO einzufügen, ohne in einen unüberbrückbaren Widerspruch zu deren Grundnormen zu geraten.22 Die Aufforderung an den Gesetzgeber, sich der Materie anzunehmen, verbindet der BGH mit der These, dass die Funktionstüchtigkeit der Justiz ange___________ 16

In BGHSt 43, 195. BGHSt 50, 40, 48. 18 BGHSt 50, 40, 48. 19 Siehe zur Frage der Vereinbarkeit von Absprachen und Verfahrensgrundsätzen der StPO eingehend Meyer-Goßner in: Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, 2004, S. 161, 173 ff. 20 BGHSt 50, 40, 52. 21 BGHSt 50, 40, 52, 63 f. 22 Ähnliche Bewertung bei Pfister StraFo 2006, 349, 352, der der Rechtsprechung des BGH attestiert, sie sei zögernd, uneinheitlich und letztlich ohne durchschlagenden Erfolg geblieben, da es ihr an rechtlichen Regelungen gefehlt habe, an denen sie die zu beurteilenden Sachverhalte hätte messen können. 17

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sichts der „knappen Ressourcen“ ohne die Zulassung von Urteilsabsprachen nicht mehr gewährleistet werden könne; im Hintergrund einer gedachten Regelung soll der „Grundsatz der Prozessökonomie“ stehen, den der Große Senat bereits in §§ 154, 154a und 430 StPO verwirklicht sieht.23 Tatsächlich ist die – meist etwas verschwommen bezeichnete – „Ökonomie“ das Leitmotiv, das die Entwicklung der Absprachenpraxis von Anfang an begleitet hat und das nunmehr offenbar auch für die gesetzliche Festschreibung dieser Praxis Pate stehen soll.24 Was genau in welcher Hinsicht „ökonomisch“ gestaltet werden soll, bleibt dabei häufig offen. Gemeint ist wahrscheinlich zum einen der Gedanke der Zeitersparnis: Wenn der Strafausspruch aufgrund einer mehrwöchigen Hauptverhandlung ebenso wie aufgrund einer einstündigen Besprechung im Dienstzimmer des Vorsitzenden zu bekommen ist, dann ist der letztere Weg sicher der „ökonomischere“. Damit locker verbunden – und bei den gesetzgeberischen Bemühungen um das Thema vermutlich noch stärker bestimmend – ist die Idee der finanziellen Ersparnis: Wenn viele Strafprozesse – dank Absprachen – kurze Prozesse sind,25 dann kann man Stellen aus der Strafjustiz abziehen und die bisher für sie benötigten Finanzmittel für andere Aufgaben verwenden. Auch das ist Ökonomie, und sie gilt mutatis mutandis auch für den zu geschäftlichem Denken veranlassten Strafverteidiger. Solche platten Sparziele26 zu verkünden, macht sich in der öffentlichen Diskussion freilich nicht besonders gut, zumal die Kosten der Justiz nur einen minimalen Anteil an den öffentlichen Haushalten einnehmen – zur Camouflage des eigentlich Intendierten lassen sich wohlklingende Begriffe wie „Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege“ und „Prozessökonomie“ jedenfalls gut verwenden. Eine grundsätzliche Kritik an der Linie, die der Große Senat des BGH dem Gesetzgeber vorgezeichnet hat, lässt sich zwar gut begründen, sie hat aber keine realistische Durchsetzungschance (mehr). Der Gedanke, der Gesetzgeber solle doch, statt die Absprachen umfassend zu legalisieren, deren Ursachen beseiti___________ 23

BGHSt 50, 40, 53 f. Ebenso Landau/Bünger ZRP 2005, 268, 270. Siehe etwa Entwurf Niedersachsen (Fn. 15) S. 4; Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung von Verfahrensabsprachen vor Gericht, beschlossen von den Generalstaatsanwälten in Karlsruhe am 24.11.2005, abgedr. in: NJW Sonderdruck „Der Deal im Strafverfahren“, 2006, S. 9, 10 (im Folgenden: Eckpunkte GenStAe). 25 Wohlers GA 2005, 11, 13, bemerkt mit Recht, dass der Begriff des „kurzen Prozesses“ seinen negativen Beigeschmack verloren habe und zu einer finanzpolitisch motivierten Leitidee der Strafprozessreform geworden sei. 26 Kritisch zu den Kürzungen bei Personal und Ausstattung der Justiz auch Pfister StraFo 2006, 349 f.; siehe auch Nestler (Fn. 3) S. 19 (die mit den Absprachen verbundenen Arbeitserleichterungen dienen nicht der Bewältigung von Überlast, sondern „entspringen dem justiziellen Alltag“). 24

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gen,27 ist ebenso berechtigt wie (angesichts der tatsächlichen Absichten der Politik) naiv. Dasselbe gilt für den Vorschlag, Absprachen durch Gesetz zu verbieten,28 und auch für die Forderung des Deutschen Anwaltvereins, man solle anstelle der Einführung eines Deal-Verfahrens die Möglichkeiten des geltenden Rechts für eine verbesserte Kommunikation unter den Verfahrensbeteiligten besser nutzen und dem Angeklagten einen Anspruch auf ein „Rechtsgespräch“ einräumen.29 Es bleibt natürlich wahr, dass die Deal-Praxis nicht im Einklang mit den tragenden Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens steht30 und dass ihre Aufnahme in die StPO die Gefahr einer „nachhaltigen Entwertung der schützenden Formen des Verfahrensrechts überhaupt“ begründet;31 aber nicht nur die Alltagspraxis der Strafverfolgung hat sich über diese Bedenken weitestgehend hinweggesetzt,32 sondern auch dem mehr fiskalisch als justiziell denkenden Gesetzgeber ist derartige Prinzipienreiterei heute ganz fremd. Das legislatorische Problem wird denn von den Apologeten der Absprachenpraxis auch – realistischerweise – nur noch als ein technisches gesehen: es gehe darum, den Erfindungsreichtum der Praxis bei der Umgehung aller für ihre „Ökonomie“ störenden rechtlichen Vorgaben zu überlisten.33

C. Konsensprinzip? Über Prinzipien gestritten wird aber dennoch – freilich nicht mehr über so altbackene Grundsätze wie die Inquisitionsmaxime oder das Schuldprinzip bei der Strafzumessung, sondern um die Einführung eines „Konsensprinzips“, das die dogmatische Basis für eine legalisierte Absprachenpraxis liefern soll.34 Der Konsens der Verfahrensparteien (Anklage und Verteidigung) soll nach diesem Konzept die Legitimationsbasis für den Urteilsspruch liefern, so dass dem Ge___________ 27

So Pfister StraFo 2006, 349, 354. Dafür – mit guten Gründen, aber ohne reale Aussicht auf Erfolg – Haller DRiZ 2006, 277. 29 Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, StraFo 2006, 89, 98. 30 Vgl. Saliger JuS 2006, 8, 12. 31 Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, StraFo 2006, 89, 90. 32 Vgl. Weßlau StV 2006, 357, 358 (für den Strafverteidiger sei es nicht wichtig, an einem Diskurs über die Verträglichkeit der Alltagspraxis mit Prinzipien teilzunehmen, da für ihn informelles Agieren der Normalfall sei). 33 Jahn/Müller JA 2006, 681, 686 sprechen in diesem Zusammenhang von „dem etwas undankbaren Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“. 34 Hierzu eingehend Sinner Der Vertragsgedanke im Strafprozeßrecht, 1999, S. 179 ff.; Weichbrodt (Fn. 11) S. 75 ff.; Weßlau Das Konsensprinzip im Strafverfahren, 2002, S. 66 ff. 28

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richt die mühsame Aufgabe der selbstständigen Wahrheitsfindung erspart bleibt.35 Es ist klar, dass sich, sobald das Konsensprinzip herrscht, die Zuständigkeiten ebenso wie die Machtverhältnisse im Strafverfahren verschieben: Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden zu den bestimmenden Kräften, das Gericht behält nur noch eine nicht näher definierte Kontrollfunktion.36 Während Jahn im Wege einer ausgesprochen kreativen Auslegung das Konsensprinzip bereits in den Halbsatz „die für die Entscheidung von Bedeutung sind“ der Vorschrift des § 244 II StPO hineininterpretiert37 (und dieses Prinzip damit gewis___________ 35 In diesem Sinne Jahn/Müller JA 2006, 681, 685 f. (die meinen, das Festhalten am Aufklärungsgrundsatz sei angesichts der Absprachenpraxis „wirklichkeitsfremd“); Widmaier NJW 2005, 1985, 1987. Mit diesem Ansatz sympathisierend auch Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 76 (die eine „Einschränkung oder Neudefinition der Instruktionsmaxime“ fordern) und Satzger StraFo 2006, 45, 48 (der meint, man dürfe sich bei der Erkundung neuer Wege nicht „von Denkverboten oder angeblich grundlegenden Verfahrensprinzipien“ abschrecken lassen und Wahrheitsfindung – insoweit richtig – als kontradiktorischen Prozess versteht). 36 Jahn, einer der aktivsten Verfechter des Konsensprinzips, schreibt, dass eine „grundsätzliche gerichtliche Bindung“ an die Konsensualentscheidung der Parteien bestehen solle, dass aber andererseits „willkürliche Konsensualentscheidungen“ keine solche Bindung entfalten sollen (ZStW 118 [2006] S. 427, 459 f.; ebenso Strafrechtsausschuss BRAK [Fn. 15] S. 4). Nach welchen Maßstäben die „Willkürlichkeit“ gemessen werden soll – Konsens beruht immer auf Willkür der Konsentierenden – und wie das Gericht die notwendigen Feststellungen ohne eigene Tatsachenkenntnis treffen soll, bleibt unerklärt. 37 Jahn ZStW 118 (2006) S. 427, 440 ff. Nach Jahns Auffassung ist die „Bedeutung“ von Tatsachen und Beweismitteln nicht objektiv aus der Sicht des Gerichts, sondern danach zu bestimmen, was Staatsanwaltschaft und Angeklagter für bedeutsam halten (a.a.O. S. 442). Dies habe der Gesetzgeber im Jahre 1950 zwar nicht so gemeint, aber der Gesetzestext sei heute angesichts der „gewandelten Normsituation“ in dem von Jahn postulierten Sinn auszulegen (a.a.O. S. 453). Inwiefern sich die „Normsituation“ gewandelt haben soll, erläutert Jahn nicht; statt dessen beruft er sich auf einen prozeduralen, diskurstheoretischen Wahrheitsbegriff, in den auch geschickte Argumentation, Kenntnis des Rechts usw. integriert werden müssten (a.a.O. S. 454 ff.). Überzeugend ist weder Jahns gesetzeshistorische noch seine gesetzessystematische Argumentation (so wird § 245 I 2 StPO, der allein das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten auf die einmal getroffenen Beweisanordnungen des Gerichts schützt, zu Unrecht als Beleg für eine Parteiherrschaft über die Beweispräsentation in Anspruch genommen, a.a.O. S. 445-448); und ein diskursiver Wahrheitsbegriff mag in der erkenntnistheoretischen Diskussion der Philosophie gute Argumente für sich haben, er liegt aber sicher nicht dem Beweiserhebungssystem der StPO zugrunde. Im Strafverfahren geht es nicht um die Frage, was gewesen sein soll (so aber Jahn a.a.O. S. 455), sondern das Urteil kann nur dann legitimiert werden, wenn es sich auf das bezieht, was gewesen ist (soweit dies vom Gericht mit aller gebotenen Aufklärungsbemühung festgestellt werden kann). Vertieft und

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sermaßen in das Allerheiligste der Instruktionsmaxime einschleusen möchte), soll das Konsensprinzip für den Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) die Basis einer künftigen gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprache bilden. Der BRAK-Strafrechtsausschuss versteht unter dem Konsensprinzip den Gedanken, „dass in einem gesetzlich eröffneten Rahmen die Rechtsgestaltung durch den übereinstimmenden Willen der daran Beteiligten erfolgen kann“.38 Dieses Prinzip soll der StPO „nicht gänzlich strukturfremd“ sein, „wenn (!) man das Strafverfahren als Prozessrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten begreift, das deren Disposition unterliegt, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist“.39 Soweit etwaige Spannungen mit den hergebrachten Grundsätzen der StPO fortbestehen, sollen sie im Wege der „praktischen Konkordanz“ gelöst werden.40 Auf den ersten Blick erscheint das so beschriebene „Konsensprinzip“ als nicht mehr als eine griffige Formel für das, was in der Absprachenpraxis täglich geschieht: Man einigt sich, und das vom Gericht verkündete Urteil beruht auf dieser Einigung. Der Clou des „Konsensprinzips“ besteht jedoch darin, dass es außer dem Einigsein keine weiteren legitimierenden Voraussetzungen für den Urteilsspruch mehr verlangt, insbesondere kein Geständnis des Angeklagten. Es muss nur der Streit zwischen Anklage und Verteidigung im Wege gegenseitigen Nachgebens (vgl. § 779 I BGB) beseitigt werden; die Konzession des Angeklagten kann auch auf rein prozessualer Ebene liegen, etwa im Verzicht auf Beweisanträge oder auch auf den Einspruch gegen die Verwertung eigentlich unverwertbarer Beweismittel (!).41 Über all dem schwebt das Spruchband „Konsens schafft Frieden“.42 Eine Grenze für die Anwendung des Konsensprinzips soll (allein) die „allgemeine Strafgerechtigkeit“ bilden; in deren Rahmen soll ___________ treffend zur Frage des Wahrheitsbegriffs im Strafverfahren Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) S. 175, 177 ff.; gegen Jahns „höchst eigenwillige“ Auslegung von § 244 II StPO auch Weßlau StraFo 2007, 1, 4 Fn. 26. 38 Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 3. 39 A.a.O. 40 A.a.O. 41 So ausdrücklich Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 7. Daraus ergibt sich eine besonders aparte Verfahrensvariante: Es wird eine Hauptverhandlung durchgeführt, allerdings mit unzulässigen Beweismitteln; der Angeklagte akzeptiert deren Ergebnis und bekommt für seine Kollusion bei der gemeinschaftlichen Missachtung der StPO einen Strafnachlass. Man fragt sich allerdings, worin bei dieser Konstellation der „verfahrensökonomische“ Gewinn liegen soll. 42 Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 3; vom Strafrechtsausschuss des DAV (StraFo 2006, 89, 92) treffend als „juristische Kitschrhetorik“ bezeichnet. Sachliche Kritik an der These des BRAK-Strafrechtsausschusses bei Weßlau StraFo 2007, 1, 3 Fn. 18.

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ein „gerechter Ausgleich“ zwischen den Bedürfnissen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und den schutzwürdigen (!) Interessen des Beschuldigten sowie gegebenenfalls des Tatopfers gefunden werden.43 Die Umsetzung des Konsensprinzips in dem konkreten Gesetzgebungsvorschlag des BRAK-Strafrechtsausschusses führt allerdings nicht wesentlich über die gängige Praxis hinaus. Das wesentlich neue Merkmal des Vorschlags besteht darin, dass die Initiative zum Deal nicht vom Gericht, sondern gemeinsam von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem ausgehen soll.44 Nicht recht mit dem „party empowerment“, das dem Konsensprinzip vermeintlich zugrunde liegt, vereinbar ist allerdings der Umstand, dass es das Gericht trotz gemeinsamen Antrags der Parteien rundweg ablehnen kann, einen Strafmaßvorschlag zu machen.45 Entschließt sich das Gericht, dem Gedanken eines Deal näher zu treten, so kann es mit den Parteien einzeln oder gemeinsam Verhandlungen aufnehmen, ersichtlich mit dem Ziel, eine allseits akzeptable Lösung zu finden. Der Inhalt des „abgesprochenen“ Urteils wird dann aber einseitig vom Gericht festgelegt und den Verfahrensbeteiligten in Form einer Strafmaßzusage angeboten. Das Gericht kann die Zusage einer gemilderten (nur in ihrer Obergrenze festgelegten) Strafe46 von der Erfüllung von Bedingungen abhängig machen; diese Bedingungen reichen von der Abgabe eines Geständnisses über Schadenswiedergutmachung bis zu „sonstigem Verhalten, das der Verfahrensbeschleunigung dient“.47 Das Gericht ist an die Zusage gebunden, es sei denn, die Staatsanwaltschaft oder der Angeklagte widerspricht dem Angebot, der Angeklagte erfüllt eine der ihm auferlegten Bedingungen nicht, es ergeben sich neue straferschwerende Umstände oder das Gericht hat solche Umstände „übersehen“.48 Dies be___________ 43

Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 4. Wieso zwischen diesen „Interessen“ ein Gegensatz bestehen soll, ist nicht recht ersichtlich: Ist eine Strafrechtspflege etwa um so funktionstüchtiger je weniger die Rechte des Beschuldigten und/oder des Verletzten gewahrt werden? 44 Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 5. Kritik an der Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, einen Deal durch Verweigerung einer gemeinsamen Initiative von vornherein zu blockieren, übt mit Recht Weßlau StV 2006, 357, 360 f. 45 Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 6. 46 Die Strafe soll nach einem neuen § 46b StGB im Fall einer Absprache zwingend gemäß § 49 I StGB gemildert werden; Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 6. Gegen diesen Vorschlag, der den wahrhaft reuigen, ohne Deal geständigen Angeklagten ohne Grund benachteiligt, Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 10; Landau/Bünger ZRP 2005, 268, 271; Weßlau StV 2006, 357, 361. 47 So § 243a I Nr. 4 StPO i.d.F. des Vorschlags des Strafrechtsausschusses der BRAK (Fn. 15) S. 4. 48 § 243a IV StPO i.d.F. des Vorschlags des Strafrechtsausschusses der BRAK (Fn. 15) S. 4 f.

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deutet, dass das Gericht die zugesagte Strafe auch gegen den Widerspruch der Staatsanwaltschaft verhängen kann;49 diese hat dann allerdings die Möglichkeit, die gegen das Urteil statthaften Rechtsmittel einzulegen. Eine Besonderheit des BRAK-Entwurfs liegt in der Durchführung der „Rückabwicklung“ für den Fall des Scheiterns einer Absprache: Hat der Angeklagte zur Erfüllung einer Bedingung des Gerichts eine Vorleistung erbracht,50 etwa ein Geständnis oder eine bestimmte Prozesserklärung abgegeben, so werden diese Erklärungen bei Wegfall der Bindungswirkung der Zusage unverwertbar bzw. wirkungslos.51 Der Vorschlag des BRAK-Strafrechtsausschusses hat durchaus originelle und bedenkenswerte Elemente, zu denen insbesondere das grundsätzliche Verbot zählt, ein Geständnis nach dem „Platzen“ einer Strafmaßzusage zu verwerten,52 wie auch die weitgehende Streichung der Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts.53 Dennoch ist der Vorschlag auf massive und im Ergebnis berechtigte Kritik gestoßen. Eingewandt wurde, dass sich das Modell der BRAK „vollständig dem bürokratischen Interesse der Strafverfolgungsbehörden ergeben“ habe und deren Stellung einseitig stärke.54 Tiefer greift die Kritik Hamms, der vor allem den Strafverteidiger in eine prekäre Situation gedrängt sieht: Die „neue juristische Harmonielehre“ der BRAK mache den Verteidiger zum Mittler bei der Konnexität wechselseitiger Nötigungen und gefährde sein ___________ 49

Der Vorschlag spricht ausdrücklich von einer „Orientierungsfunktion“ des Strafmaßangebots des Gerichts für die spätere Strafzumessung auch für den Fall, dass eine formelle Absprache nicht zustande kommt; Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 6. 50 Da sich zunächst die Staatsanwaltschaft zu dem Strafmaßvorschlag des Gerichts erklären muss, werden solche „Vorleistungen“ nach dem Entwurf weitgehend vermieden; hat die Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichts zugestimmt, so kann dessen Bindungswirkung nur noch durch den Angeklagten selbst oder durch das spätere Bekanntwerden belastender Umstände vereitelt werden; vgl. Strafrechtsausschuss der BRAK (Fn. 15) S. 7. Im letztgenannten Fall soll ein Geständnis des Angeklagten verwertbar bleiben (a.a.O. S. 8). Damit wird das Geständnis des Angeklagten für diesen zum Drahtseilakt: Sagt er „zu viel“, so entfällt nicht nur die Bindung des Gerichts an seine Zusage, sondern das Geständnis bleibt auch im weiteren (streitigen) Verfahren verwertbar. Diese „Geständnisfalle“ droht auch (und besonders) dem Angeklagten, der keinen Verteidiger hat – die Mitwirkung eines Verteidigers ist bei dem „Konsens“Modell des BRAK-Strafrechtsausschusses nicht notwendig. 51 § 243a V StPO i.d.F. des Vorschlags des Strafrechtsausschusses der BRAK (Fn. 15) S. 5. 52 Siehe aber die in Fn. 50 angesprochene erhebliche Einschränkung dieses Grundsatzes. 53 § 302 I StPO i.d.F. des Vorschlags des Strafrechtsausschusses der BRAK (Fn. 15) S. 5. 54 Schünemann ZRP 2006, 63, 64.

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Vertrauensverhältnis zum Mandanten – dieser würde in einem Konsensmodell „mit guten Gründen seinem eigenen Verteidiger nicht mehr über den Weg trauen“.55 Hamms Kritik ist zwar berechtigt; sie trifft aber nicht nur den Gesetzgebungsvorschlag des BRAK-Strafrechtsausschusses, sondern jede Form von (geregelten oder ungeregelten) Absprachen. Die Struktur der Urteilsabsprache begründet unvermeidlich die Gefahr, dass der Verteidiger zum Doppelagenten wird, der sich zwar (im günstigen Falle) den Interessen seines Mandanten, aber immer auch dem Interesse am Funktionieren des Absprachen-Systems verpflichtet fühlt. Spätestens dann, wenn eine vorläufige Einigung mit Richter und Staatsanwalt zustande gekommen ist, liegt es im professionellen Interesse des Verteidigers, seinem Mandanten diesen Deal so zu „verkaufen“, dass er ihn akzeptiert. Der BRAK-Entwurf entlastet sogar eher den Verteidiger gegenüber der bestehenden Praxis, da – zumindest formal – Gericht und Staatsanwaltschaft mit dem Entscheidungsvorschlag und der Stellungnahme der Anklagebehörde in Vorleistung zu treten haben, bevor sich der Angeklagte festlegen muss. Der Gedanke, dass das Urteil durch einen Konsens von Ankläger und Angeklagtem fundiert sein soll, taucht in dem eigentlichen Gesetzesvorschlag des BRAK-Strafrechtsausschusses allenfalls am Rande auf. Tatsächlich steht ein vom Gericht konzipierter Vorschlag im Vordergrund, zu dessen Verwirklichung es nicht einmal der Zustimmung der Staatsanwaltschaft bedarf. Dessen ungeachtet entzündet sich an dem postulierten „Konsensprinzip“ der Widerspruch, der auch die Anwaltschaft spaltet. So wendet der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins ein, dass ein „volenti non fit iniuria“-Dogma angesichts der Drucksituation, die schon durch die Einleitung des Verfahrens auf dem Beschuldigten lastet, nicht in dessen Interesse sei; dem Beschuldigten sei vielmehr in erster Linie durch Formstrenge und Prinzipiengeleitetheit des Verfahrens gedient.56 Weßlau legt dar, dass ein Konsensprinzip zwar – jenseits der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts – im Beweisrecht bestehe, dass es aber in Strafsachen nicht die Disposition über den Verfahrensgegenstand erfasse: hier gehe es nicht um die Beilegung eines Rechtsstreits, sondern um die Bewältigung eines Normbruchs.57 Das Konsensprinzip könne daher nicht begründen, dass die gebotene Aufklärung des Sachverhalts durch eine Prognose über den Ausgang des Verfahrens ersetzt wird.58 ___________ 55

Hamm NJW 2006, 2084, 2088. Strafrechtsausschuss des DAV, StraFo 2006, 89, 93. 57 Weßlau StraFo 2007, 1, 4 f. 58 Weßlau StraFo 2007, 1, 6 f. 56

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Tatsächlich wird man der Prämisse des BRAK-Strafrechtsausschusses, dass der „Konsens der Verfahrensbeteiligten … eine spezifische Richtigkeitsgewähr des im Abspracheverfahren erzielten Verfahrensergebnisses“ beinhalte,59 nicht zustimmen können. Sie gilt jedenfalls dann nicht, wenn man unter „Richtigkeit“ mehr versteht als das Ergebnis des jeweils wirksamen Kräfteparallelogramms der Einzelinteressen der „Verfahrensbeteiligten“ (wobei in dem BRAK-Papier unklar bleibt, ob dieser Begriff das Gericht einschließt). Das „Verfahrensergebnis“ kann als solches weder richtig noch falsch sein – es ist nicht mehr als das Ergebnis des jeweils gewählten (konsensualen oder nicht-konsensualen) Verfahrens. „Richtig“ können allerdings der Schuldspruch und die Sanktionsentscheidung sein. Sie sind es dann, wenn sie dem Sachverhalt, d.h. der Tat und dem aus ihr resultierenden Sanktionsbedarf gerecht werden. Dies wiederum setzt voraus, dass derjenige, der die Entscheidung fällt, eine zutreffende (d.h. dem wirklichen Geschehen möglichst nahe kommende) Vorstellung von der Tat und eine realistische Einschätzung der Persönlichkeit des Täters (soweit sie für die Sanktionsentscheidung relevant ist) besitzt.60 Diese Voraussetzungen können durch das Aushandeln des Ergebnisses zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht garantiert werden. Aushandlungsprozesse mögen in einem ökonomischen Markt geeignet sein, den „richtigen“ Preis einer Ware zu bestimmen – aber das ist gerade deshalb der Fall, weil eine Ware keinen per se „richtigen“ Preis hat, so dass dieser nur über das am jeweiligen Eigeninteresse orientierten Handeln der (als gleich mächtig postulierten) Marktteilnehmer gebildet werden kann. Zwar wird auch eine gerichtliche Sanktionsentscheidung meist in Zahlen ausgedrückt; sie unterscheidet sich aber etwa von dem ausgehandelten Kaufpreis eines Gebrauchtwagens (u.a.) dadurch, dass ihre Angemessenheit an externen Kriterien (Tat, Täter, gesetzlich niedergelegte Gerechtigkeitsvorstellungen) gemessen werden kann – und muss. ___________ 59

So Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 4. Es zeigt natürlich die philosophische Bildung eines Autors, wenn er sich über die „Naivität korrespondenztheoretischer Wahrheitsvorstellungen“ mokiert (so Jahn ZStW 118 [2006] S. 427, 454). Aber wer im Zusammenhang mit dem Strafverfahren auf diskurstheoretische Wahrheitsfindung setzt (wie Jahn a.a.O. S. 455 ff.), übersieht zweierlei: zum einen, dass auch ein postulierter „Konsens“ das Machtgefälle zwischen Staat und Angeklagtem, das einen auch nur annähernd „herrschaftsfreien“ Diskurs ausschließt, nicht aufzuheben vermag (siehe dazu etwa Hamm in: Nelles/Vormbaum [Hrsg.], Strafverteidigung in Forschung und Praxis, 2006, S. 57, 67: Strafprozess ist „notwendigerweise hierarchische Zwangsveranstaltung“); zum anderen, dass Strafurteile ihrer sozialen Funktion nach darauf angewiesen sind, von Menschen akzeptiert zu werden (der „Öffentlichkeit“, dem Verletzten, dem Angeklagten), die nun einmal naiv an das Vorhandensein einer erkennbaren und verbal darstellbaren „Wirklichkeit“ glauben; vgl. hierzu zutreffend Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) S. 175, 184. 60

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In ähnlicher Weise unterscheidet sich auch die Situation des zivilrechtlichen Streits von derjenigen des Strafverfahrens. Zwar muss sich das streitige Urteil eines Zivilgerichts ebenso wie das Strafurteil an dem (dem Gericht vorgetragenen) „wahren“ Sachverhalt und dem gesetzlichen Normprogramm orientieren, aber für den prozessauslösenden Interessenkonflikt der Zivilparteien als solchen gibt es kein „richtiges“ Ergebnis; „richtig“ ist insofern das, was die Parteien befriedigt.61 Der Konflikt, der dem Strafprozess zugrunde liegt, ist dagegen nie bloßer Interessenkonflikt. Hier geht es vielmehr einerseits um unterschiedliche Konzepte der Realität („Wer hat was getan?“), andererseits um einen normativen Konflikt zwischen der gültigen Rechtsnorm und der konkreten Verhaltensnorm, die der Täter für sich zugrunde gelegt hat („Was ist erlaubtes Verhalten?“).62 Keiner dieser beiden Punkte kann im Streitfall durch einen pragmatischen Kompromiss über irgendein Ergebnis („Der Angeklagte zahlt € 500 an die Staatskasse.“) erledigt werden. Notwendig ist vielmehr eine Entscheidung, die sowohl bezüglich der relevanten Tatsachen als auch bezüglich der Normen nach gründlicher Prüfung sagt, „was gilt“. Prinzipiell widersprechen daher auch Vereinbarungen zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagtem über bestimmte Tatsachen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen soll, dem Sinn und Zweck des Strafverfahrens. Wenn das Verfahren darauf gerichtet ist, den Anfangsverdacht einer Straftat verbindlich aufzuklären,63 dann kann dieses Ziel nicht durch die „konsensuale“ Annahme von Fiktionen als Urteilsgrundlage erreicht werden. Andererseits besteht wegen der faktischen Unmöglichkeit, die „Wirklichkeit“ eines Sachverhalts vollständig im Gerichtsverfahren zu reproduzieren, ein gewisser Spielraum hinsichtlich der Grabungstiefe, bis zu der man sich in die Sachverhaltsaufklärung vorarbeiten will. Historische Vollständigkeit in allen Details ist für die vermittelbare Darstellung eines Urteils nicht notwendig; es genügt eine pragmatisch plausible Basis für die richterliche Überzeugung von der Schuld und den Strafzumessungstatsachen. Die deutsche Strafprozessordnung64 ge___________ 61

Bezogen auf das Zivilverfahren steckt also in dem Satz „Konsens schafft Rechtsfrieden“ ein Körnchen Wahrheit – freilich sollte man auch insofern nicht von Rechtsfrieden sprechen, sondern schlicht von Befried(ig)ung. 62 In der Sache übereinstimmend Weßlau StraFo 2007, 1, 5: Gegenstand des Strafverfahrens ist „ein Lebenssachverhalt, der sich als Normbruch darstellt“. 63 Siehe dazu zuletzt eingehend Rieß JR 2006, 269, 270 f. 64 Auch wenn die „Instrumente“ spezifisch für das deutsche Recht sind, so findet sich die Möglichkeit der Parteien, auf den Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen, auch in vielen anderen Rechtsordnungen. Das gilt zunächst evidentermaßen für alle Verfahrensordnungen, die die Beweispräsentation insgesamt in die Hände der Parteien legen; funktional ähnlich ist aber z.B. auch die in Italien vorgesehene Möglichkeit, sich

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währt den Verfahrensbeteiligten einigen Einfluss darauf, wie weit das Gericht die Sachverhaltsaufklärung zu treiben hat. Instrumente dazu sind z.B. die Initiierung von bzw. Unterwerfung unter das Strafbefehlsverfahren, das Fragerecht in der Hauptverhandlung (§ 240 II StPO) sowie das Beweisantragsrecht. In diesem Rahmen kann tatsächlich „konsensual“ festgelegt werden, ob sich das Gericht mit einer Mindest-Aufklärung begnügen darf (nicht: muss!) oder ob es weitere Beweise zu verarbeiten hat.65 Dies bedeutet aber nicht, dass das Urteil allein oder in erster Linie vom Konsens der Parteien abhinge; in diesem Zusammenhang von einem „Konsensprinzip“ zu sprechen, ist daher eher irreführend.

D. „Traditionelle“ Regelungsentwürfe Anders als der Entwurf des BRAK-Strafrechtsausschusses bleiben die 2006 vorgelegten beiden ministeriellen Versuche, die Absprachenpraxis in Gesetzesform zu gießen,66 ebenso wie die „Eckpunkte“ der deutschen Generalstaatsanwälte67 zumindest verbal mit den herkömmlichen Prinzipien des deutschen Strafverfahrensrechts verbunden. Sie folgen damit der Mahnung des Großen Senats des BGH, der auf den hohen Rang der richterlichen Aufklärungspflicht und des Prinzips der Schuldangemessenheit staatlichen Strafens hinweist.68 Der BGH gibt daher als Maßgabe für jede gesetzliche Regelung vor, dass das Gericht nicht „vorschnell auf eine Urteilsabsprache ausweichen [dürfe], ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben“, und dass es sich auch nicht mit einem „inhaltsleeren Formalgeständnis“ begnügen dürfe.69 Außerdem könne eine Absprache nicht den „Schuldspruch“ (gemeint ist wohl: den Straftatbestand, auf den sich die Verurteilung bezieht) betreffen, und die Differenz zwischen einem ab___________ der Entscheidung des Richters aufgrund des vorläufigen Ermittlungsergebnisses zu unterwerfen (siehe dazu Orlandi in diesem Band S. 247 f.) oder das Angebot des Angeklagten zu Beginn der Hauptverhandlung, ein bestimmtes Strafmaß zu akzeptieren (vgl. zu dieser Möglichkeit im polnischen Recht HofmaĔski/Zabáocki in diesem Band S. 272 f.). 65 Zum Ganzen eingehend Weßlau (Fn. 34) S. 144 ff., 159 ff.; siehe auch Weichbrodt (Fn. 11) S. 75 ff, 110 ff. 66 BMJ-Entwurf (Fn. 15) und Nds-Entwurf (Fn. 15). 67 Siehe Fn. 24. 68 BGHSt 50, 40, 48 f. 69 BGHSt 50, 40, 49.

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gesprochenen und einem bei „Durchverhandeln“ in Aussicht gestellten Strafmaß dürfe nicht unvertretbar groß sein.70 Im Jahre 2006 wurde insgesamt drei Vorschläge veröffentlicht, die sich diesen Grundsätzen verpflichtet fühlen: ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (im Folgenden: BMJ-Entwurf),71 ein Entwurf des Landes Niedersachsen (im Folgenden: Nds-Entwurf)72 sowie „Eckpunkte“ der Generalstaatsanwälte (im Folgenden: Eckpunkte GenStAe).73 Eine Detailanalyse dieser Entwürfe und ihrer Unterschiede kann und soll hier nicht geboten werden; es geht vielmehr nur um die Darstellung der Grundlinien mit Blick auf die Rolle der Strafverteidigung bei den Absprachen.

I. Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums

Nach dem BMJ-Entwurf soll die „Verständigung“ im Strafverfahren so geregelt werden, „dass sie mit den tradierten Grundsätzen des deutschen Strafverfahrens übereinstimmt“.74 Dieses Ziel soll in einer Weise erreicht werden, die „der Praxis Vorgaben für Zustandekommen und Inhalt der Verständigung zur Verfügung stellt, andererseits aber auch den notwendigen Spielraum im Einzelfall eröffnet.“75 Zu diesem Zweck bietet der Entwurf zunächst vier – deklaratorische – Vorschriften über die Möglichkeit für Staatsanwaltschaft bzw. Gericht, im Ermittlungsverfahren sowie im Zwischen- und Hauptverfahren „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern“ (§§ 160a, 202a, 212, 257b StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs).76 Der Kern der Regelung findet sich dann in einem neuen § 257c StPO, der sich ausschließlich auf die „Verständigung“ in der Hauptverhandlung bezieht.77 Im Rahmen einer solchen „Verständigung“ (auf deren Einleitung durch das Gericht die Verfahrensbeteiligten keinen An___________ 70

BGHSt 50, 40, 50. Siehe Fn. 15. 72 Siehe Fn. 15. 73 Siehe Fn. 24. 74 BMJ-Entwurf (Fn. 15) S. 1. 75 BMJ-Entwurf (Fn. 15) S. 12. 76 Hierzu bemerken Jahn/Müller JA 2006, 681, 685 treffend, dass diejenigen, die das Gespräch suchen, dafür keine Einladung durch den Gesetzgeber brauchen. 77 Hierzu mit Recht kritisch Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 74: In der Praxis finden die allermeisten Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung statt, und für diese würden die von § 257c StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs errichteten „schützenden Formen“, insbesondere das Verbot der Mitteilung eines potentiellen Strafmaßes ohne Antrag des Angeklagten, nicht gelten. 71

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spruch haben) kann das Gericht die Ober- und Untergrenze einer Strafe angeben, deren Verhängung von „verfahrensbezogenen Maßnahmen“78 und vom „Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten“79 abhängig gemacht werden kann (§ 257c II). Wenn weder die Staatsanwaltschaft noch der Angeklagte dem Vorschlag des Gerichts widerspricht, kommt die Verständigung zustande, und das Gericht ist grundsätzlich an den zugesagten Sanktionsrahmen gebunden. Die Bindung entfällt jedoch nicht nur dann, wenn das Prozessverhalten des Angeklagten „nicht dem entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist“, sondern auch schon dann, wenn „sich seine [scil. des Gerichts] Bewertung der Sach- oder Rechtslage im Verlauf der Hauptverhandlung ändert“ (§ 257c IV 1 StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs). Der Angeklagte ist über diese labile rechtliche Situation zu belehren. Ist die Belehrung erfolgt, so bleiben seine im Zuge der Verständigung gemachten Angaben verwertbar (§ 257c IV 2). Gegen das Urteil kann der Angeklagte mit den statthaften Rechtsmitteln vorgehen. Die Revision wegen eines Verfahrensfehlers kann jedoch nur auf absolute Revisionsgründe (§ 338 StPO), auf die Verletzung der Verfahrensfairness sowie darauf gestützt werden, dass die Vorschriften über das Verständigungsverfahren nicht eingehalten wurden (§ 337 III StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs). Dieser Entwurf ist im Schrifttum bald nach seiner Veröffentlichung angegriffen worden. Es wurde kritisiert, dass der Angeklagte keinerlei Anspruch darauf habe, dass das Gericht eine „Verständigung“ initiiert; dies könne dazu führen, dass das Gericht gleich situierte Angeklagte willkürlich ungleich behandelt.80 Außerdem gebe es keinen Schutz davor, dass der Angeklagte durch das Öffnen einer „Sanktionsschere“ zum Verzicht auf eine vollständige Hauptverhandlung genötigt wird.81 ___________ 78 Darunter sollen Beweisanträge der Verfahrensbeteiligten, aber auch Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaft im laufenden Verfahren (z.B. nach § 154 StPO) zu verstehen sein; BMJ-Entwurf (Fn. 15) S. 23. 79 Die Ankündigung, auf Rechtsmittel zu verzichten, ist hiervon ausdrücklich ausgenommen (§ 257c II 3 StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs). 80 Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 72, 78. 81 Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 73 f. Diese Kritik ist in Bezug auf Verhandlungen außerhalb der Hauptverhandlung berechtigt. In der Hauptverhandlung selbst darf das Gericht den „Verständigungs“-Sanktionsrahmen jedoch nur mit Zustimmung des Angeklagten mitteilen (§ 257c II 2 StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs). Das Gericht kann zwar jederzeit Prognosen über das Strafmaß nach vollständiger Hauptverhandlung abgeben; eine „Sanktionsschere“ wird dem Angeklagten damit aber noch nicht vor Augen geführt. Allerdings wird man sich insgesamt von gesetzlichen „Redeverboten“, wie sie in § 257c II 2 vorgesehen sind, keinen wirksamen Schutz des Angeklagten gegen nötigende Pressionen erwarten dürfen – von dunklen Andeutungen des

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Der wesentliche Mangel des BMJ-Entwurfs liegt aber weniger in diesen Einzelpunkten als vielmehr darin, dass der Entwurf nicht mehr als ein grobes Skelett für den Ablauf des „Verständigungs“-Verfahrens beschreibt und alle materiell wichtigen Fragen dem freien Spiel der Kräfte in der Praxis überlässt. Es fehlt jede Regelung darüber, in welchem Maße das Gericht trotz „Verständigung“ noch zur Sachverhaltsermittlung verpflichtet bleibt, und es bleibt offen, weshalb und in welchem Umfang das „Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten“ auf die Strafmaßentscheidung Einfluss nehmen darf bzw. soll. Im Ergebnis läuft der BMJ-Entwurf daher noch mehr als der Entwurf des BRAKStrafrechtsausschusses darauf hinaus, dass die Legitimation des auf „Verständigung“ beruhenden Urteils allein in der Zustimmung bzw. Unterwerfung seitens der Verfahrensbeteiligten,82 also im „Konsensprinzip“ zu finden ist;83 eine inhaltliche Steuerung des Verfahrens oder der Sanktionsentscheidung des Gerichts enthält der Entwurf nicht. Die nahe liegende Replik, dass eine solche Regelung nicht notwendig sei, da die allgemeinen Grundsätze (etwa § 244 II StPO, § 46 StGB) weiterhin gelten,84 griffe zu kurz: Die Verfahrenserledigung durch Absprache entfernt sich so weit vom ursprünglichen Modell des gerichtlichen Verfahrens, dass eine spezifische Regelung der sich in diesem Zusammenhang ganz neu stellenden zentralen Fragen notwendig wäre, um den Verfahrensbeteiligten (und speziell dem Angeklagten) ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu verschaffen. Besonders ungünstig für den Angeklagten ist die extreme Labilität der gerichtlichen Urteils“zusage“, wie sie nach dem BMJ-Entwurf vorgesehen ist. Für ___________ Gerichts über die möglichen Folgen verweigerter „Kooperation“ dürfte häufig größerer Druck ausgehen als von einer klar offengelegten Strafmaßdifferenz. 82 Der Verletzte wird in allen vorliegenden Entwürfen eher stiefmütterlich behandelt. Nach dem BMJ-Entwurf ist zwar immerhin der Nebenkläger als „Verfahrensbeteiligter“ zu dem Sanktionsvorschlag des Gerichts anzuhören, seiner Zustimmung bedarf es jedoch nicht (§ 257c III StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs; siehe dazu auch die Begründung a.a.O. S. 24). Er kann zwar mit der Revision das Urteil ohne Beschränkung anfechten – aber nach § 400 I StPO nicht das Strafmaß als solches. 83 In der Stoßrichtung ähnlich die Kritik von Weßlau StraFo 2007, 1, 2, die einwendet, dass es ungereimt sei, einerseits das „Konsensprinzip“ abzulehnen, andererseits aber den Umfang der gerichtlichen Sachaufklärung zur Disposition der Verfahrensbeteiligten zu stellen. In dieser Form scheint mir Weßlaus Vorwurf den BMJ-Entwurf allerdings nicht zu treffen – nach dem Entwurf liegt die Initiative zur „Verständigung“ allein beim Gericht, und der Einfluss der Verfahrensbeteiligten beschränkt sich darauf, dem Sanktionsvorschlag zuzustimmen oder ihn abzulehnen. 84 So zitiert der BMJ-Entwurf etwa in der Begründung (S. 23) wörtlich die Ausführungen des Großen Senats des BGH (BGHSt 50, 40) zu der Notwendigkeit, ein abgesprochenes Geständnis auf seine Zuverlässigkeit hin zu überprüfen.

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die Aufhebung der Selbstbindung des Gerichts an den angekündigten Strafrahmen reicht es schon aus, dass das weitere Prozessverhalten des Angeklagten oder eines Verfahrensbeteiligten nicht dem entspricht, was der Prognose (?) des Gerichts zugrunde gelegt worden ist (§ 257c IV 1 StPO i.d.F. des BMJEntwurfs). Ob sich dies nur auf solche „Prognosen“ bezieht, die das Gericht explizit ausgesprochen hat, oder ob es als Geschäftsgrundlage auch ein allgemeines prozessuales Wohlverhalten des Angeklagten (und seines Verteidigers?) „zugrunde legen“ kann, ist dem Entwurf nicht zu entnehmen. In jedem Fall sorgt die Formulierung in § 257c IV des BMJ-Entwurfs dafür, dass der Angeklagte an der kurzen Leine des Gerichts bleibt, will er nicht die Vorteile des Deals wieder verlieren. Andererseits kann sich das Gericht aber schon dann von seiner Zusage lösen, wenn sich „seine Bewertung der Sach- oder Rechtslage“ im Verlauf der weiteren Hauptverhandlung geändert hat – selbst Rechtsirrtümer des Gerichts oder schlampige Sachaufklärung gehen also zu Lasten des Angeklagten!85 Die Möglichkeit des Gerichts, eine „Verständigung“ schon beim kleinsten Anlass wieder zurückzuziehen, ist nach dem BMJ-Entwurf für den Angeklagten besonders fatal, da ein Geständnis, das er im Vertrauen auf die „Verständigung“ abgelegt hat, verwertbar bleibt, wenn er nur allgemein über die gesetzliche Möglichkeit der Rücknahme informiert war (§ 257 IV 2, V StPO i.d.F. des BMJ-Entwurfs). Eigentlich dürfte ein gewissenhafter Verteidiger bei dieser unsicheren Vertrauensbasis seinem Mandanten nicht dazu raten, ein Geständnis abzulegen – zu groß ist nach dem BMJ-Entwurf die Gefahr, dass das Gericht die Vorleistung des Angeklagten annimmt, aber seine Gegenleistung nicht erbringt.

II. Eckpunkte der Generalstaatsanwälte

Die deutschen Generalstaatsanwälte haben keinen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt, sondern sich auf die Formulierung von „Eckpunkten“ für eine Regelung der Absprachenpraxis beschränkt.86 Die Eckpunkte schließen sich zu einem guten Teil den Grundsätzen an, die der BGH formuliert hat, und finden sich auch weitgehend in dem BMJ-Entwurf wieder. Bemerkenswert sind jedoch die folgenden Abweichungen: Ein Verständigungsverfahren soll nur auf gemeinsamen Antrag der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten eingeleitet werden, und die Verständigung wird auch nur dann wirksam, wenn beide Seiten ___________ 85 86

Dazu mit Recht kritisch auch Saliger JuS 2006, 8, 10. Siehe Fn. 24.

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zustimmen.87 Anders als nach dem BMJ-Entwurf muss „ein qualifiziertes Geständnis (…) conditio sine qua non einer jeden Urteilsabsprache sein“.88 Das ist eine begrüßenswerte Einschränkung, schließt sie doch den „Handel“ allein mit verfahrensabkürzendem Prozessverhalten aus und sorgt zugleich für eine wenigstens einigermaßen befriedigende faktische Urteilsbasis. Das Gericht soll sich von der Zusage eines bestimmten Strafrahmens lösen können, wenn „sich im weiteren Verfahren wesentliche strafmildernde oder -erschwerende Umstände ergeben, die dem Gericht im Zeitpunkt seiner Zusage unbekannt waren“.89 Dies ist ein etwas strengerer Maßstab als derjenige des BMJ-Entwurfs, lässt dem Gericht aber immer noch großen Freiraum. Wie nach dem BMJ-Entwurf soll auch nach den „Eckpunkten“ ein einmal abgegebenes Geständnis auch nach Wegfall der Bindungswirkung einer Strafmaßzusage verwertbar bleiben, wenn nicht aus sonstigen strafprozessrechtlichen Gründen (z.B. nach § 136a III StPO) ein Verwertungsverbot besteht.90 Begründet wird die grundsätzliche Verwertbarkeit des Geständnisses mit der Erwägung, dass der Wegfall der Bindungswirkung entweder vom Angeklagten zu verantworten sei oder jedenfalls seiner „Einschätzungsprärogative“ unterliege, da nur er den Sachverhalt vollständig kenne.91 Dieses Argument ist zunächst schon mit der Unschuldsvermutung schwer zu vereinbaren (allenfalls der Täter, nicht der Angeklagte kennt den Sachverhalt); es übersieht darüber hinaus, dass sich strafsteigernde Umstände z.B. auch aus der Sphäre des Verletzten ergeben können, die dem Angeklagten nicht im Einzelnen bekannt sein muss. Charakteristika der „Eckpunkte“ sind (nicht überraschend) eine Stärkung der Position der Staatsanwaltschaft (Veto-Recht bezüglich Einleitung und Ergebnis des Verständigungsverfahrens) und das Bemühen um eine realitätsnahe Grundlage für die Sanktionsentscheidung des Gerichts. Die Interessen der Verteidigung spielen (ebenfalls nicht überraschend) keine bedeutsame Rolle, wie sich insbesondere in der fortdauernden Verwertbarkeit eines – für das Zustandekommen der „Verständigung“ unverzichtbaren – Geständnisses trotz eines Fehlschlags der Absprache zeigt.

___________ 87 Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 9, 10. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer gemeinsamen Initiative stimmen die Eckpunkte mit dem Entwurf des Strafrechtsausschusses der BRAK (Fn. 15) S. 5 überein. 88 Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 9, 10. 89 Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 9, 11. 90 Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 9, 11. 91 Eckpunkte GenStAe (Fn. 24) S. 9, 11.

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Thomas Weigend III. Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen

Der Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen „zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren“ steht den „Eckpunkten“ der Generalstaatsanwälte näher als dem BMJ-Entwurf. Die in dem niedersächsischen Entwurf vorgesehenen Regelungen gelten ausdrücklich nur für Verfahren vor dem Schöffengericht und der Strafkammer; das Verfahren vor dem Strafrichter soll dagegen „keiner zu strikten Regulierung“ unterworfen werden.92 Eine Besonderheit des niedersächsischen Entwurfs liegt darin, dass er Absprachen auch schon im Zwischenverfahren legalisieren möchte: Die Staatsanwaltschaft kann schon mit der Anklageschrift einen Strafrahmen für ein abgesprochenes Urteil vorschlagen (§ 199 II StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). Außerdem können auf gemeinsamen Antrag von Staatsanwaltschaft, Angeklagtem und Verteidiger93 oder auch auf „Anregung“ des Vorsitzenden schon vor Beginn der Hauptverhandlung in gemeinsamen Gesprächen die Möglichkeiten einer Urteilsabsprache erörtert werden (§ 212 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs).94 Führen diese Erörterungen zu einem Ergebnis, so wird dieses in der Hauptverhandlung mitgeteilt und dann nach Anhörung der Beteiligten sogleich umgesetzt (§§ 243 IV, 243a IV StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). Ebenso wie nach den „Eckpunkten“ der Generalstaatsanwälte kann die Leistung des Angeklagten ausschließlich in einem Geständnis bestehen, das „der Nachprüfung zugänglich“ sein und „zur Überzeugung des Gerichts der Wahrheit entsprechen“ muss (§ 243a III 2 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). „Unter freier Würdigung sämtlicher Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen“ kann das Gericht, bevor der Angeklagte das Geständnis abgibt, „in Erwartung“ desselben eine Unter- und eine Obergrenze für die zu verhängende Strafe zu Protokoll geben (§ 243a III 1 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). Ebenso wie nach den übrigen Entwürfen ist das Gericht an diese Prognose nicht gebunden, wenn das Geständnis nicht zur Überzeugungsbildung des Gerichts genügt oder wenn im weiteren Verlauf des Verfahrens „neue wesentliche strafmildernde oder strafschärfende Umstände auftreten“, die dem Gericht zuvor nicht bekannt waren (§ 243a III 2, V 2, VI 2 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). In diesem Fall kann der Angeklagte, wenn er über die Rechtslage belehrt war, auch nach dem Nds-Entwurf sein Geständnis ___________ 92

Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 6. Ob zwingend ein Verteidiger an dem Verfahren mitwirken muss, sagt der Entwurf nicht ausdrücklich; da dem Verteidiger jedoch eigene Rechte gewährt werden, können Absprachen mit einem unverteidigten Angeklagten wohl (auch in Fällen ohne notwendige Verteidigung i.S.v. § 140 StPO) nicht getroffen werden. 94 Die Verfahrensbeteiligten können solche Erörterungen jedoch nicht gegen den Willen des Vorsitzenden erzwingen; Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 8. 93

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nicht zurücknehmen (§ 243a VI 3 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). Eine Besonderheit des niedersächsischen Entwurfs liegt darin, dass der Verteidiger unabhängig vom Angeklagten seine Zustimmung zu dem Deal erklären muss; andernfalls wird er nicht wirksam (§ 243a V 1 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs).95 Verfahrensfehler können mit der Revision gegen ein auf Absprache beruhendes Urteil nur insoweit gerügt werden, als absolute Revisionsgründe oder Verstöße gegen die Regelung über das Absprachen-Verfahren behauptet werden (§ 337 III i.d.F. des Nds-Entwurfs). Sympathisch an dem niedersächsischen Entwurf ist sein Beharren auf der Notwendigkeit einer zumindest rudimentären Sachaufklärung durch ein „nachprüfbares“ Geständnis;96 das Gericht muss jedoch die inhaltliche Richtigkeit des Geständnisses nicht tatsächlich nachprüfen, sondern lediglich aufgrund einer „Übereinstimmung mit der Aktenlage“ von ihr überzeugt sein.97 Der Entwurf betont auch das Gebot der Schuldangemessenheit der Strafe (unter Hinweis auf § 46 StGB), wobei freilich ein „verfahrensverkürzendes Geständnis“ „berücksichtigt“ werden kann.98 Damit bemüht sich der niedersächsische Entwurf von allen Vorschlägen am intensivsten darum, auch bei Absprachen den Amtsaufklärungs- sowie den Schuldgrundsatz zu wahren; ein Handeln mit Beweisanträgen und dergleichen ist ausgeschlossen. Andererseits ist der Entwurf insofern pragmatisch orientiert, als er die Durchführung von Gesprächen vor der Hauptverhandlung ausdrücklich ermöglicht,99 wobei die Staatsanwaltschaft schon bei Anklageerhebung eine „Hausnummer“ für das Strafmaß vorgeben kann.100 Es ___________ 95

Der Nebenkläger hat auch nach dem Nds-Entwurf kein Veto-Recht. Immerhin muss aber die Staatsanwaltschaft, wenn der Nebenkläger Einwände gegen die Absprache erhebt, ausdrücklich zu ihnen Stellung nehmen, und die Erklärung der Staatsanwaltschaft wird im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten (§ 243a IV 5 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs). 96 Siehe dazu auch Heister-Neumann ZRP 2006, 137, 138. 97 Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 10. 98 Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 10 (dort wird auch auf das Verbot übermäßiger Sanktionsscheren in BGHSt 50, 40 hingewiesen). 99 Richtigerweise verlangt § 212 I 1 StPO i.d.F. des Nds-Entwurfs eine „gemeinsame“ Erörterung aller Verfahrensbeteiligten mit dem Vorsitzenden und will so bilaterale Vorab-Festlegungen nach Möglichkeit vermeiden; siehe dazu Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 7. Allerdings bleibt die Frage nach der Mitwirkung der übrigen Mitglieder des Gerichts offen. 100 Es wäre auch sinnvoll, dass der Vorsitzende bei Erörterungen im Zwischenverfahren zunächst darauf hinwirkt, dass sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf einen für beide Seiten akzeptablen Strafrahmen einigen, bevor er sich selbst – nur auf vorläufige Aktenkenntnis gestützt – mit einem konkreten Vorschlag aus der Deckung wagt.

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bleibt freilich auch hier der gravierende „Schönheitsfehler“ der leichten Rücknehmbarkeit der Zusage des Gerichts und der gleichzeitigen Festlegung des Angeklagten auf sein im Vertrauen auf den Deal abgegebenes Geständnis.

E. Grundsätzliche Fragen zu einer Absprachen-Regelung I. Konsens als Entscheidungsgrundlage?

Ungeachtet kritischer Stellungnahmen zu Einzelfragen korrespondiert mit den ministeriellen Gesetzentwürfen eine zunehmende Tendenz in Wissenschaft und Praxis, von der Fundamentalopposition gegen „konsensuale“ Erledigungsformen abzurücken und die Möglichkeiten einer Verfahrensabkürzung im allgemeinen Einverständnis zumindest im Grundsatz positiv zu sehen. Dem liegt einerseits die Erkenntnis zugrunde, dass ein Kampf „gegen Absprachen“ bei dem derzeitigen Stand der Verfahrenswirklichkeit weniger aussichtsreich wäre als Don Quijotes Kampf gegen Windmühlenflügel.101 Andererseits spiegelt sich in der wachsenden Akzeptanz einer inhaltlichen Beschränkung des Hauptverfahrens – neben der immer wieder zitierten faktischen Überlastung der Justiz – eine Verschiebung der Gewichte zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren wider. Komplexe Sachverhalte, wie sie typischerweise in Wirtschaftsstrafsachen, aber auch in vielen anderen heutigen Strafverfahren oberhalb des durch Verfahrenseinstellung oder Strafbefehl zu erledigenden Bagatellbereichs zur Aufklärung anstehen, lassen sich nicht mehr in einer zusammenhängenden, übersichtlichen mündlichen Verhandlung durch Augenschein und Zeugenaussagen zuverlässig darstellen. Zu ihrer Aufklärung bedarf es eines oft langwierigen, schrittweise geführten, vielfach auch die nationalen Grenzen überschreitenden Ermittlungsverfahrens, das weniger auf filmreif-dramatische Zeugenaussagen als vielmehr auf die geduldige Aufarbeitung eines paper trail und auf sachverständige Unterstützung aus den verschiedensten Bereichen (von der Biologie über die Ballistik bis zur Finanzwissenschaft) setzen muss.102 Ist der Sachverhalt in dieser Weise hinreichend exploriert, so kann die traditionelle Hauptverhandlung mit ihren klassischen Prinzipien der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit oft keinen großen Erkenntniszuwachs mehr bieten. ___________ 101

Siehe zur Häufigkeit von Absprachen in Wirtschaftsstrafsachen die Daten aus einer empirischen Untersuchung bei Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 72 (für 81% der befragten Praktiker waren Absprachen ein „unverzichtbares Instrument“ zur Bewältigung von Wirtschaftsstrafsachen). 102 Siehe zu dieser Gewichtsverschiebung näher Weigend in Duff u.a. (Hrsg.), The Trial on Trial, vol. 2, 2006, S. 207, 209 ff.

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Wenn und soweit das Ermittlungsverfahren so geführt worden ist, dass der Beschuldigte eine faire Möglichkeit hatte, seine Sachverhaltsperspektive wirksam zur Geltung zu bringen, dann kann man im allgemeinen Einverständnis auf die ritualisierte Darstellung der Ermittlungsergebnisse in einer Hauptverhandlung verzichten. Die Sanktionsentscheidung kann dann auf der Basis der Ermittlungsergebnisse gefällt werden, und der Beschuldigte kann sich ihr unterwerfen. Diese Grundidee liegt einem Verfahrenstyp zugrunde, der im Ausland etwa in Italien („giudizio abbreviato“, Art. 438 ff. it.StPO), in Polen (Art. 335, 343 p.StPO) und (beim Typus des „charge bargaining“) auch in den USA zu finden ist. Charakteristikum dieses Verfahrenstyps ist, dass sich der Beschuldigte dem Spruch eines Gerichts unterwirft, das ohne Hauptverhandlung im Wesentlichen auf der Basis des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens entscheidet.103 Diese Verfahrensweise wird auch in Deutschland von verschiedenen Autoren propagiert und zum Teil als „Strafbescheidverfahren“ bezeichnet.104 Ein Verfahren, das auf der Zustimmung zu einer summarischen Entscheidung des Gerichts beruht, hat im kontinentaleuropäischen Verfahrenssystem insofern eine stärkere Fundierung als das plea bargaining der common law-Rechtsordnungen, als der Richter in Europa mit der Verfahrensakte eine zwar de facto einseitige, aber immerhin breite Informationsquelle über das Tatgeschehen zur Verfügung hat, während er in den USA – soweit er am Aushandeln des Verfahrenergebnisses überhaupt mitbeteiligt ist – allein auf die Behauptungen der Verfahrensparteien angewiesen ist.105

II. Problembereiche

Mehrere Fragen harren bei dem Verfahrenstyp „Zustimmung“ allerdings noch einer Lösung.

___________ 103

Dabei ist es durchaus denkbar, dass das Gericht – wie etwa in Italien – auf Antrag des Beschuldigten noch einzelne Beweise erhebt. 104 Siehe etwa Meyer-Goßner NStZ 1992, 167; Nestler (Fn. 3) S. 26; Satzger StraFo 2006, 45, 49; Schünemann Gutachten B zum 58. Deutschen Juristentag 1990, S. B 158 ff.; Weigend ZStW 104 (1992) S. 486, 506 ff.; ähnlich auch Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 78. 105 Vgl. zu diesem Unterschied Turner American Journal of Comparative Law 54 (2006) S. 199, 227 ff. (deutsche Richter halten auch bei Absprachen an dem Ziel einer „wahrheitsgemäßen“ Entscheidung fest und verlassen sich auf den Akteninhalt).

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1. Anreize für den Angeklagten? Das Hauptproblem liegt darin, den Angeklagten dazu zu motivieren, sich überhaupt auf ein „konsensuales“ Verfahren einzulassen. Es liegt nahe, eine Absenkung des Strafmaßes als Anreiz zu verwenden – sie kostet nichts, ist leicht handhabbar und abstufbar und überdies für den Angeklagten von hoher Attraktivität. Dementsprechend wird auch in vielen ausländischen Rechtsordnungen verfahren. Den deutschen Gesetzgebungsvorschlägen liegt – auch wenn dies nicht offen zum Ausdruck gebracht wird – ebenfalls die Vorstellung zugrunde, dass der Strafmaßvorschlag des Gerichts einen Rabatt gegenüber der sonst zu erwartenden Strafe enthält; durch ihn soll die Geständnisbereitschaft des Angeklagten honoriert werden.106 Nach den Vorstellungen des Strafrechtsausschusses der BRAK soll der Strafrabatt „ein konsensual erzieltes Verfahrensergebnis und die damit verbundene Entlastung der Rechtspflege sowie den dadurch bewirkten Schutz etwaiger Verletzter“ belohnen.107 Das Problem an dieser Begründung liegt darin, dass erhöhter oder verminderter Verfahrensaufwand unter keinem Aspekt ein legitimer Strafzumessungsgrund ist. Weder ist es Aufgabe des Angeklagten, die Rechtspflege zu „entlasten“, noch darf es ihm zum Nachteil gereichen, wenn er den Nachweis seiner Schuld in dem von der StPO dafür vorgesehenen Verfahren verlangt und dabei auch von dem Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, Gebrauch macht. Ein Strafrabatt für die Beschleunigung des Verfahrens verknüpft inkommensurable Größen miteinander – die Abkürzung des Prozesses hat mit den in § 46 I StGB genannten Strafzumessungserwägungen der Tatschuld und der Resozialisierungsaussichten nichts zu tun,108 und die Belohnung prozessualer „Kooperation“ steht staatlicher ___________ 106

Vgl. etwa den Hinweis auf die „Berücksichtigung eines verfahrensverkürzenden Geständnisses“ in Nds-Entwurf (Fn. 15) S. 10. 107 Strafrechtsausschuss BRAK (Fn. 15) S. 8. Dass eine gesetzliche Regelung des Strafnachlasses dazu führen würde, dass die Absprache „weniger stark dem negativen Odium ausgesetzt [ist], Gerichte würden Angeklagten entgegenkommen, wenn diese ihre Arbeit erleichterten und reduzierten“ (a.a.O.), erscheint allerdings fraglich, zumal als ein Grund des Strafnachlasses doch gerade die „Entlastung der Rechtspflege“ genannt wird. Für einen gesetzlich vorgesehenen Strafnachlass bis zu einem Drittel der Strafe auch Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 78; dies entspräche wohl auch der gängigen Praxis in Wirtschaftsstrafsachen (a.a.O. S. 72). Noch 2005 hatten Altenhain/Haimerl GA 2005, 281, 287 Fn. 25 allerdings die Legitimität einer Strafreduktion aufgrund der Verkürzung des Verfahrens mit Blick auf § 46 StGB bezweifelt. 108 Das Prozessverhalten des Angeklagten kann auch nicht als „Verhalten nach der Tat“ i.S.v. § 46 II StGB berücksichtigt werden. Denn auch dieses Verhalten muss einen Bezug zur Tat selbst haben; nicht alles, was zeitlich „nach der Tat“ geschieht, wird damit automatisch zum Strafzumessungsfaktor; vgl. Franke in MüKo StGB, 2003, § 46

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Nötigung zu einem Verzicht auf prozessuale Rechte allzu nahe.109 Man mag dem Angeklagten eine Geldprämie dafür bezahlen, dass er durch seine Zustimmung zu einem Sanktionsvorschlag hilft, Steuergelder einzusparen – das wäre ehrlicher (freilich auch teurer) als die Gewährung eines Strafnachlasses. Aber wie steht es mit der Honorierung eines Geständnisses als solchen? Die Strafzumessungsrelevanz des Geständnisses ist zwar in § 46 StGB nicht erwähnt, aber man dürfte nicht fehlgehen in der Annahme, dass der Gesetzgeber die althergebrachte Praxis einer günstigeren Behandlung des reuigen gegenüber dem „verstockten“ Täter nicht missbilligen wollte. Allerdings lässt die Geständigkeit eines Täters zur Zeit des Hauptverfahrens – entgegen der überholten „doppelten Indizkonstruktion“110 – keine Rückschlüsse auf die Tatschuld nach ___________ Rn. 48 (mit Kritik an der Rechtsprechung, die diesen Grundsatz teilweise nicht hinreichend beachtet); Horn in SK StGB § 46 Rn. 132; Streng in NK StGB, 2. Aufl. 2005, § 46 Rn. 77. Zugunsten des Täters zu berücksichtigen sind jedoch seine Bemühungen um Schadenswiedergutmachung. Ob damit auch die in der Praxis gern zitierte Erwägung des „Opferschutzes“ durch Vermeidung einer Zeugenaussage des Opfers legitimiert wird, ist allerdings zweifelhaft. Erstens steht dieser Erwägung die Unschuldsvermutung im Wege – vor der Verurteilung braucht der Angeklagte sich nicht als „Täter“ und einen Belastungszeugen nicht als (sein) „Opfer“ ansehen zu lassen; zweitens gilt auch insoweit, dass die StPO die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung durch Zeugenaussagen als Regelfall vorsieht, so dass es dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn er die Durchführung einer „normalen“ Hauptverhandlung nicht durch ein VorabGeständnis verhindert. Allenfalls eine verletzende, unsachliche Befragung von Belastungszeugen durch den Angeklagten (nicht durch seinen Verteidiger!) kann man als Zeichen von Uneinsichtigkeit und damit als Strafschärfungserwägung behandeln; zutreffend Streng a.a.O. Für eine Berücksichtigung eines „Beitrags zur Sachaufklärung“ als solchen jedoch (ohne nähere Begründung) Theune in LK, 12. Aufl. 2006, § 46 Rdn. 206. 109 Von einer „ziemlich unverhohlenen Einladung zum Verzicht auf prozessuale Rechte“ spricht in diesem Zusammenhang der Strafrechtsausschuss des DAV, StraFo 2006, 89, 95. 110 Siehe dazu die Entscheidung BGHSt 1, 105, 106: Hier führt der BGH zunächst mit Recht aus, dass es unzulässig sei, „den geständigen Verbrecher nur seines Geständnisses wegen milder und den leugnenden Verbrecher nur seines Leugnens wegen härter zu bestrafen“; es müsse jedoch gestattet sein, das Prozessverhalten des Angeklagten dann zu berücksichtigen „wenn und soweit das Leugnen oder das Geständnis des Angeklagten [...] Schlüsse auf das Maß seiner persönlichen Schuld und den Grad seiner Gefährlichkeit zuläßt“. In concreto wurde daraus, dass der Angeklagte trotz starker Schuldbeweise seine Schuld bestritt, geschlossen, „daß er weder Reue empfinde, noch daß er überhaupt seine Schuld einsehe“ (a.a.O. S. 107). Daraus habe das Tatgericht mit Recht entnommen, „wie der Angeklagte innerlich zu seiner Tat steht“ (a.a.O.). Ungeklärt bleibt allerdings, inwiefern die Frage, wie der Angeklagte zur Zeit des Strafverfah-

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§ 46 I 1 StGB zu.111 Von strafzumessungsrechtlicher Bedeutung kann ein Geständnis deshalb nur im Hinblick auf die Legalprognose für den Täter sein – wenn seine Äußerung zeigt, dass er seine Tat nunmehr ablehnt und bereit ist, seinen Beitrag zur Beseitigung ihrer Folgen zu erbringen.112 Das wird jedoch bei einem ausgehandelten, „schlanken“ und möglicherweise nur vom Verteidiger verlesenen Geständnis, das nur der Vermeidung einer strengen Bestrafung dient, eher selten der Fall sein. Daher kann man eine reumütige innere Einstellung des Angeklagten auch nicht „im Zweifel“ vermuten113 – in der Regel lässt die Vorgeschichte eines „ausgedealten“ Geständnisses gerade keinen Zweifel an dessen aus der Sicht des Angeklagten rein funktionaler Bedeutung zur Vermeidung schlimmerer Rechtsfolgen. Damit bleiben die strafzumessungsrechtlich legitimen Möglichkeiten, dem Angeklagten einen Anreiz zum Verzicht auf eine vollständige Hauptverhandlung zu bieten, beschränkt. Allerdings wird es häufig – ähnlich wie im Strafbefehlsverfahren – so sein, dass sich der Verzicht auf eine vollständige Ermittlung des Sachverhalts und die Übernahme der (wenngleich „geständigen“) Version des Tatgeschehens des Angeklagten zu dessen Gunsten auswirkt. Manche Zweifel, die nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch verbleiben, mögen dann zugunsten des Angeklagten gelöst werden und genauere Informationen über die Tatfolgen beim Verletzten außer Betracht bleiben. Dies kann schon zu einer „natürlichen“ Strafmilderung auch ohne gesetzlich vorgesehenen Rabatt führen.114 Hinzu kommt der Verzicht auf die Bloßstellung des Angeklagten, die mit der öffentlichen Erörterung des Tatgeschehens in der Hauptverhandlung unvermeidlich verbunden wäre, sowie die rasche Beseitigung der Ungewissheit über den Verfahrensausgang. Dies zusammen müsste ein hinreichender Anreiz für tatsächlich im Sinne der Anklage schuldige Angeklagte sein, einer summarischen Verurteilung auf der Grundlage der Ermittlungs___________ rens „innerlich zu seiner Tat steht“, für die Tatschuld von Bedeutung sein kann; siehe hierzu (bei einem weiteren Verständnis des Begriffs der Strafzumessungsschuld) eingehend Frisch ZStW 99 (1987) S. 751, 776 ff. Die neuere Rechtsprechung berücksichtigt das Aussageverhalten des Angeklagten nicht zu seinen Lasten, solange es sich in den „Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens“ (das unter Umständen auch ein „qualifiziertes“ Leugnen einschließt) hält; siehe z.B. BGH StV 2001, 456; StV 2002, 74; NStZ 2003, 199; StV 2004, 74; OLG Düsseldorf StV 1996, 217; übereinstimmend Stree in Schönke/Schröder, 27. Aufl. 2006, § 46 Rn. 41a m.w.N. 111 Zutreffend bereits Dencker ZStW 102 (1990) S. 51, 58 f.; siehe ferner Streng FS Schwind, 2006, S. 447, 449. 112 Ebenso Streng FS Schwind, 2006, S. 447, 449 f. m.w.N. 113 Vgl. aber in diesem Sinne BGHSt 43, 195, 209. 114 Siehe auch hierzu bereits treffend Dencker ZStW 102 (1990) S. 51, 76 ff.

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akten und etwa von der Verteidigung beantragter weiterer einzelner Beweiserhebungen zuzustimmen. Und wenn dies nicht „wirkt“, wenn der Angeklagte es ablehnt, bei der Vermeidung einer Hauptverhandlung zu kooperieren – darf ihm dann mit der „Sanktionsschere“ gedroht werden, also mit einer expliziten oder angedeuteten Strafschärfung für den Fall einer Verurteilung nach einer vollständigen Beweisaufnahme? Da sich ein Strafzuschlag für mangelnde Kooperation bei der eigenen Verurteilung strafzumessungsrechtlich ebenso wenig legitimieren lässt wie eine Belohnung für verfahrensverkürzendes Verhalten, kann man – abgesehen von den gerade angestellten Überlegungen zu dem Vorteil einer nur summarischen Sachaufklärung für den Angeklagten – einen gezielten Hinweis des Richters auf die Wahrscheinlichkeit einer strengeren Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung nur als Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme i.S.v. § 136a StPO bezeichnen. Solche Hinweise sind daher unzulässig und führen zur Unverwertbarkeit der auf sie folgenden Angaben des Angeklagten.

2. Verfahren nach fehlgeschlagener Absprache Ein weiteres ungelöstes Problem von „Zustimmungs“-Verfahren liegt in der Frage, wie bei einem Scheitern des Versuchs einer konsensualen Erledigung verfahren werden soll.115 Insbesondere geht es darum, ob Prozess- und/oder Wissenserklärungen (z.B. ein Geständnis), die der Angeklagte oder sein Anwalt für ihn abgegeben hat, in einem dann durchzuführenden „streitigen“ Hauptverfahren verwertbar sein sollen. Bezüglich reiner Prozesserklärungen (etwa eines guilty plea nach englischem oder US-amerikanischem Recht) lässt sich das Problem relativ leicht durch eine Rücknahme der Erklärung, verbunden mit einem Verbot der späteren Verwertung, lösen. Bei Wissenserklärungen widerstrebt die „Streichung“ aus dem weiteren Prozess der Wahrheitsorientierung des Strafverfahrens; hinzu kommt, dass der im „streitigen“ Verfahren entscheidende Spruchkörper meist faktisch Kenntnis von dem Inhalt der früheren Erklärung des Angeklagten besitzt, sie vielleicht sogar selbst entgegengenommen hat.116 ___________ 115

Siehe hierzu eingehend Graumann Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen, 2006, S. 405 ff. 116 Der Vorschlag von Weßlau (StV 2006, 357, 359), nach einem missglückten Absprachenversuch die Sache an einen anderen Spruchkörper zu verweisen, ist zwar berechtigt, dürfte aber in der Praxis auf Widerstände stoßen; dagegen auch Altenhain/ Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 78 f., die zwar Vorkehrungen gegen eine „Bestra-

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Daher ist es nachvollziehbar, dass die Mehrzahl der vorliegenden deutschen Entwürfe an der Verwertbarkeit eines Geständnisses auch nach dem Scheitern oder der Rücknahme der ihm zugrunde liegenden Absprache festhalten will.117 Dennoch ist das nicht die richtige Lösung. Sie verstößt gegen die Verfahrensfairness, weil sie dem Angeklagten eine Vorleistung abverlangt, die er auch bei Fehlschlag des Austauschgeschäfts (Geständnis für Strafmilderung) nicht zurückerhalten kann. Sie verschiebt damit die Gewichte innerhalb des Absprachensystems (weiter) zu Lasten des Angeklagten: Hat er einmal ein Geständnis abgegeben, so ist er wegen dessen Irreversibilität gezwungen, alles zu tun, um den initiierten Deal, eventuell auch unter ungünstigeren Bedingungen, aufrecht zu erhalten – Gericht und Staatsanwaltschaft können also ohne Risiko die Daumenschrauben weiter anziehen. All dies macht die Mitwirkung an einer Absprache jedenfalls für einen sachgerecht beratenen Angeklagten ausgesprochen unattraktiv. Das „System“ kann dann langfristig nur dadurch beibehalten werden, dass das Beharren auf einer vollständigen Beweisaufnahme durch weiteres Öffnen der „Sanktionsschere“ für den Angeklagten noch riskanter gemacht wird als die Abgabe eines Geständnisses mit Aussicht auf ein Entgegenkommen des Gerichts bei der Strafzumessung. Dies spricht für die Schaffung bzw. Anerkennung eines Verwertungsverbots für selbstbelastende Äußerungen, die der Angeklagte im Vertrauen auf die Strafmaßzusage eines Gerichts abgegeben hat.118 Diese Lösung des Problems wäre heute im deutschen Strafverfahrensrecht kein Fremdkörper (mehr), nimmt doch die Zahl der Beweisverwertungsverbote – trotz der verständlichen Zurückhaltung der Gerichte – zu, auf der Ebene sowohl der Gesetzgebung (siehe § 100c V 3 StPO) als auch der Rechtsprechung.119 Auch besteht kein Grund zu der Befürchtung, ein Beweisverwertungsverbot bezüglich eines „abgesprochenen“ Geständnisses könnte letztlich dem Angeklagten schaden, da es einen An___________ fung“ des nicht kooperationsbereiten Angeklagten fordern, aber keine konkreten Maßnahmen nennen. 117 Ausdrücklich gegen ein „starres“ Beweisverwertungsverbot auch Landau/Bünger ZRP 2005, 268, 272, die auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verweisen (der sich freilich nur auf verwertbare Beweise bezieht und daher für das Problem nichts besagt). 118 Wenn man den Grundsatz anerkennt, kann man über Einzelfragen immer noch streiten – etwa darüber, wie „formell“ die Zusage des Gerichts gewesen sein muss (reicht eine Zusage allein des Vorsitzenden eines Spruchkörpers aus?) und ob das Beweisverwertungsverbot auch dann gilt, wenn der Angeklagte nicht das „vollständige“ Geständnis abgegeben hat, das das Gericht erwartet oder verlangt hatte. Am Maßstab des § 136a StPO orientiert sich der Vorschlag von Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63, 72. 119 Siehe BGHSt 38, 214, 220 ff.; 42, 73, 78.

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lass zur Strafmilderung beseitigt – es steht dem Angeklagten ja frei, sich auch in einer „streitigen“ Hauptverhandlung zur Sache zu äußern und auf diese Weise Einfluss auf die Strafzumessungsentscheidung des Gerichts zu nehmen.120

III. Ein Lösungsvorschlag

Mit einem Beweisverwertungsverbot ließe sich das Problem fehlgeschlagener Absprachen lösen – aber wie ist es mit dem Problem der „Sanktionsschere“? Oben hatten wir gesehen, dass das Gericht keine höhere Strafe bei einer Verweigerung von Kooperation in Aussicht stellen darf. Das Gericht braucht jedoch eine solche Drohung gar nicht auszusprechen, wenn sie in einem Absprachensystem bereits routinemäßig enthalten ist, wenn also der Angeklagte aufgrund ständiger Praxis damit rechnen muss, dass die Strafe, falls er einen „Vorschlag“ des Gerichts ablehnt, deutlich höher ausfällt. Ein wirksames Remedium gegen diese Art der immanenten Pression auf den Angeklagten wäre ein Verbot der Verschlechterung: Der Strafmaßvorschlag des Gerichts müsste dann, jedenfalls soweit nicht bedeutsame strafschärfende Umstände erst später bekannt werden, zugleich die Obergrenze der Strafe nach einer vollständigen Hauptverhandlung bilden.121 Es ist allerdings einzuräumen, dass eine konsequente Bindung des Gerichts an die einmal angebotene Sanktionsentscheidung Konsequenzen haben kann, die – aus unterschiedlichen Gründen – kontraproduktiv wirken: Das strikte Verbot einer reformatio in peius kann zum einen dazu führen, dass das Gericht schon bei seinem Vorschlag einen „Bestreitensmalus“ einkalkuliert, die Strafe also gleich so bemisst, wie sie nach einer hypothetischen Hauptverhandlung „im schlimmsten Fall“ angemessen wäre – daraus ergäbe sich ein gegenüber der jetzigen Praxis deutlich gesteigertes Strafniveau; oder die Justizpraxis würde die als unangemessen empfundene Bindung und damit das gesamte Absprachenregime ablehnen und (wieder) auf unkontrollierbare illegale Deals ausweichen. Wenn man nicht nur die theoretische Stringenz, sondern auch die praktische Durchsetzbarkeit einer Absprachenregelung vor Augen hat, wird man daher statt eines strikten Verbots der Strafmaßerhöhung eine „weiche“ Lösung anstreben müssen. Sie könnte folgendermaßen aussehen: Auf Antrag der Verteidigung macht das Gericht im Zwischenverfahren einen Sanktionsvorschlag. ___________ 120 Siehe zu den „positiven“ Möglichkeiten der Einflussnahme durch Geständnis Hammerstein StV 2007, 48, 51. 121 Dafür auch Nestler (Fn. 3) S. 25 f.; Schünemann (Fn. 104) S. B 160 ff.; Weigend ZStW 104 (1992) S. 486, 509.

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Dieser Vorschlag beruht auf dem Inhalt der Ermittlungsakten sowie eventuell auf einzelnen Beweiserhebungen des Gerichts (§ 202 StPO), wenn diese von einem Verfahrenbeteiligten nach § 201 II StPO beantragt worden sind oder das Gericht sie von Amts wegen für geboten angesehen hat. Das Gericht hört auch den Angeschuldigten an, wenn er sich zur Sache äußern möchte.122 Sind Staatsanwaltschaft und Angeklagter mit dem Vorschlag einverstanden, so wird der Angeklagte durch Beschluss schuldig gesprochen und die in dem Vorschlag angekündigte Strafe verhängt. Lehnt die Staatsanwaltschaft123 oder der Angeklagte den Vorschlag ab, so eröffnet das Gericht das Hauptverfahren. Möchte das Gericht nach Hauptverhandlung eine höhere Strafe als die im Zwischenverfahren vorgeschlagene verhängen, so muss es dies besonders begründen und diejenigen Umstände bezeichnen, die in der Hauptverhandlung neu hervorgetreten sind und eine höhere Strafe notwendig machen.124 Durch eine derartige Begründungspflicht könnte immerhin vermieden werden, dass der Angeklagte, der dem gerichtlichen Sanktionsvorschlag nicht zustimmen möchte, ohne sachliche Grundlage und nur aufgrund der Kooperationsverweigerung schärfer bestraft wird. Außerdem mag die Begründungspflicht das Gericht im Zweifel dazu veranlassen, es bei der ursprünglich ins Auge gefassten Sanktion zu belassen, so dass eine Strafsteigerung nach Hauptverhandlung praktisch nur dann ausgesprochen wird, wenn sie dem Gericht nach dem Eindruck der in der Verhandlung erhobenen Beweise unumgänglich erscheint. Nach diesem Modell ließe sich ein „Zustimmungsverfahren“ konzipieren, das einerseits eine – nach Meinung aller Verfahrensbeteiligter – überflüssige Hauptverhandlung vermeidet, andererseits aber den Angeschuldigten nicht dem Druck eines nur „jetzt oder nie“ gewährten Sonderangebots bei der Strafzumessung aussetzt. ___________ 122

Ein Geständnis des Angeklagten wäre hier aber ebensowenig wie im Strafbefehlsverfahren Voraussetzung für den Sanktionsvorschlag des Gerichts. Der Angeklagte kann sich so für die Hauptverhandlung alle Verteidigungsmöglichkeiten offenhalten. Zur Ersetzung des bisher als Voraussetzung für einen Strafnachlass geforderten Geständnisses durch eine Prozesserklärung siehe auch Rieß FS Chr. Richter II, 2006, S. 433, 440 f. 123 Ein Veto-Recht des Nebenklägers gegen den Sanktionsvorschlag sollte man im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 400 I StPO nicht vorsehen. Allerdings sollte es bei dem Beschwerderecht des Nebenklägers nach § 400 II 1 StPO bleiben, soweit das Gericht den Angeschuldigten wegen einer angeklagten zur Nebenklage berechtigenden Tat nicht schuldig spricht. 124 Selbstverständlich kann das Gericht eine niedrigere als die im Zwischenverfahren vorgeschlagene Strafe verhängen. Dies kann z.B. auch darauf gestützt werden, dass der Angeklagte erst in der Hauptverhandlung ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, das günstige Resozialisierungschancen erkennen lässt.

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F. Die Rolle des Verteidigers Abschließend möchte ich auf die Frage zurückkommen, wie die Rolle des Verteidigers in dem sich abzeichnenden System der Verfahrenserledigung durch Absprachen aussehen könnte. Es ist offensichtlich, dass sich der Verteidiger in einem solchen System neuen Möglichkeiten, aber auch anderen Risiken gegenübersieht als in der traditionellen Verfahrensordnung. Zunächst ist zu betonen, dass sich der Verteidiger auch und gerade in einem Absprachenverfahren eindeutig und unzweifelhaft allein auf die Seite seines Mandanten stellen muss. Die Gefahr, von diesem Grundsatz abzuweichen, ist in einem solchen Verfahren – wie oben125 dargelegt – größer als im herkömmlichen Verfahren, bei dem der Verteidiger aufgrund der Dynamik des Prozesses in eine „natürliche“ Konfrontation mit der Staatsanwaltschaft und häufig auch mit dem Gericht gerät. Das auf Konsens und Ausgleich abzielende Absprachenverfahren droht den Verteidiger demgegenüber seinem Mandanten zu entfremden und ihn stattdessen zu einem loyalen Mitglied des – ohnehin durch die gleiche juristische Sozialisation verbundenen – „Gerichtsteams“ zu machen. Dagegen muss sich der Verteidiger bewusst und gezielt abschirmen, indem er sich die – auch eigensüchtigen – Interessen seines Mandanten als alleinigen Maßstab für seine Mitwirkung am Aushandlungsprozess vor Augen hält. Viel mehr als solche berufsethische Selbstkontrolle wird man nicht tun können – rechtliche, etwa berufsrechtliche oder schadensersatzrechtliche126 Sanktionen für den Verrat der Mandanteninteressen um des juristeninternen Friedens willen sind zwar theoretisch vorstellbar, dürften aber schon aus Beweisgründen in der Praxis kaum je zum Zuge kommen. Dass in der unvermeidlichen psychologischen Doppelrolle des Verteidigers ein schwerwiegendes Manko und eine gefährliche Bruchstelle jeglichen Absprachensystems liegen, wird sich allein durch rechtliche Regelungen nicht aus der Welt schaffen lassen. Der zentrale Punkt der Verteidigungsbemühungen liegt in einem Absprachensystem nicht in der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung, sondern bei der (formell geregelten oder informellen) Einwirkung auf das Gericht, um eine für den Mandanten günstige Sanktionsentscheidung zu erreichen. Auf diesen Punkt müssen sich alle Bemühungen des Verteidigers konzentrieren. Erfolge können hier jedoch nicht spontan oder allein durch geschicktes „Pokern“ erzielt werden, sondern es bedarf sorgfältiger Vorbereitung, um die Interessen des Be___________ 125

Bei Fn. 8 und 9. Siehe zur zivilrechtlichen Haftung des Strafverteidigers zuletzt Schlecht Haftung, 2006, insb. S. 111 ff., 123 ff. sowie Grunewald in diesem Band S. 395. 126

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schuldigten bei den Absprachenverhandlungen bestmöglich wahrnehmen zu können. Da der Verteidiger in einem Absprachensystem nicht auf die geordnete, regelgeleitete Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vertrauen kann, muss er versuchen, sich möglichst frühzeitig zugunsten seines Mandanten in das Ermittlungsverfahren einzuschalten, um die Sicht der Verteidigung schon in die Ermittlungsakten (die später für das Gericht eine wesentliche Entscheidungsgrundlage bilden) einzubringen und sie dort zu dokumentieren. Besonders wichtig ist der frühzeitige Kontakt mit dem Mandanten, möglichst schon vor der ersten Vernehmung – legt der Beschuldigte, weil es an sachgerechter anwaltlicher Beratung fehlt, schon bei der Polizei ein Geständnis ab, so ist eine wesentliche Chance zum späteren Aushandeln eines günstigen Verfahrensergebnisses verspielt. Der Verteidiger wird dem Mandanten raten, keine spontanen mündlichen Erklärungen abzugeben, sondern sich eine spätere (mündliche, mit dem Verteidiger vorbesprochene oder schriftliche) Stellungnahme zum Tatvorwurf vorzubehalten. Auf diese Weise kann der Vorteil eines „frühen Geständnisses“ gewahrt werden, ohne dass eine unbedachte Erklärung fixiert wird, die später nicht mehr wirksam zurückgezogen werden kann. Außerdem kann der Beschuldigte schon in diesem Stadium durch eine klug formulierte Erklärung seine Sicht des Sachverhalts zu den Akten bringen – dies kann gerade (aber nicht nur) in einem Absprachensystem von großem Vorteil sein, da der Akteninhalt dort wesentlichen Einfluss auf die späteren Entscheidungen und Optionen nimmt. Aus demselben Grund ist es für die Verteidigung wichtig, durch Beweisanträge sowie durch die Mitwirkung an Maßnahmen der Beweiserhebung die Ermittlungen schon frühzeitig auf Umstände zu erstrecken, die für den Beschuldigten günstig sind. Nach geltendem Verfahrensrecht sind die Möglichkeiten der Verteidigung dafür allerdings begrenzt: ein Anwesenheits- und Mitwirkungsrecht steht ihr nur bei richterlichen Untersuchungshandlungen (§§ 168c, 168d StPO) sowie bei staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmungen (§ 163a III 2 StPO) zu. Um so wichtiger ist es, gerade auch im Hinblick auf das Vordringen von Absprachen auf die bereits mehrfach geforderte Ausweitung dieser Mitwirkungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren127 zu dringen. Ebenso bedeutsam ist das Anliegen, die nach geltendem Recht begründungslos mögliche Ablehnung von Beweisanträgen der Verteidigung im Ermittlungsverfahren128 zu erschweren und insbesondere der Verteidigung einen eigenen ___________ 127 Siehe z.B. AE Ermittlungsverfahren, 2001, S. 124 ff.; Satzger Gutachten C für den 65. DJT, 2004, S. C 56 ff.; Wolter Aspekte, 1991, S. 84 ff. 128 Es ist umstritten, ob die Staatsanwaltschaft Ermessen hinsichtlich der Erhebung der vom Beschuldigten beantragten Beweise hat (so z.B. Meyer-Goßner StPO, 49. Aufl.

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Zugang zu Ermittlungshandlungen des Richters nach § 162 StPO zu verschaffen.129 Je weiter durch einen neuen Verfahrenstyp die Entscheidungsfindung des Gerichts aus der Hauptverhandlung heraus verlagert und unmittelbar auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gestützt wird, desto weniger kann es angehen, dieses Verfahren als geheime und einseitige Inquisition der Staatsanwaltschaft zu konzipieren. Für eine wirksame Verteidigung ist vielmehr die Möglichkeit einer prinzipiell „waffengleichen“ Mitgestaltung des Ermittlungsverfahrens von höchster Notwendigkeit.130 Daneben steht die Option eigener, von der polizeilichen Untersuchung unabhängiger Beweissammlung durch die Verteidigung. Sie ist in Deutschland rechtlich ohne weiteres zulässig; die Hürde gegenüber der Gewährung von Zwangsbefugnissen für den Verteidiger (durch spezielle richterliche Anordnung) dürfte jedoch auch de lege ferenda hoch sein. Wegen der mit ihnen verbundenen Kosten und des Zeitaufwandes werden eigene Ermittlungen der Verteidigung in der Verfahrenswirklichkeit ohnehin eher die Ausnahme bleiben. Besonders gefordert ist der Verteidiger in einem Absprachensystem in der Phase nach Anklageerhebung. Hier ist zunächst wichtig, dass er auf der Basis einer spätestens jetzt vollständig möglichen Akteneinsicht die Gefahren und Aussichten des weiteren Verfahrens mit dem Mandanten eingehend bespricht, ihm die rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten erläutert und ihm so eine selbstständige Entscheidung über die zu verfolgende Strategie ermöglicht. Oft wird die Entscheidung, ob eine eher konfrontative oder eine „kooperative“ Strategie den günstigeren Verfahrensausgang verspricht, schwer zu treffen sein; hier ist es die vornehmliche Aufgabe des Verteidigers, den Mandanten auf der Grundlage seiner allgemeinen Erfahrung sowie von Vorgesprächen mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft und mit dem Vorsitzenden sachkundig und vorurteilslos zu beraten. Der Verteidiger muss sich um eine möglichst brei___________ 2006, § 163a Rn. 15) oder ob es sich bei der Wendung „wenn sie von Bedeutung sind“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt (so z.B. Rieß in: L/R, 25. Aufl. 2003, § 163a Rn. 107, 112) – mangels wirksamer Überprüfungsmöglichkeit seitens des Beschuldigten macht das jedoch praktisch keinen Unterschied. 129 Siehe zu solchen Möglichkeiten etwa im niederländischen Recht Tak in diesem Band S. 179 f. 130 Dieser Zusammenhang wird eingehend bei Satzger (Fn. 127) S. C 32 ff. herausgearbeitet. Zu betonen ist, dass von der Verfahrensordnung kein Druck auf die Verteidigung ausgehen darf, von den eingeräumten Möglichkeiten aktiver Mitwirkung im Ermittlungsverfahren tatsächlich Gebrauch zu machen. Falls es zu einer Hauptverhandlung kommt, liegt gerade in dem „Neustart“ der Beweiserhebung aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ein unverzichtbares Interesse der Verteidigung, das nicht etwa durch Präklusionsregelungen unterlaufen werden darf.

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te Informationsbasis bemühen, die er dem Mandanten unterbreiten kann. Sie umfasst eine Einschätzung der Beweislage nach dem Ermittlungsverfahren, etwaige Optionen der Verteidigung in einer Hauptverhandlung, die örtliche Praxis bei Absprachen und konkrete Beurteilungen des Falles seitens der zuständigen Staatsanwälte und Richter. Ein in dieser Weise vollständig informierter Mandant ist in der Lage, seine eigene Entscheidung zu treffen und abzuschätzen, ob es für ihn besser ist, ein „Angebot“ des Gerichts anzunehmen. Der Verteidiger sollte ihn dabei so wenig wie möglich beeinflussen – schließlich ist es der Mandant, der mit den Konsequenzen seiner Entscheidung leben muss.131 Selbstverständlich sollte es sein, dass der Verteidiger seine Beratung nicht von etwaigen (finanziellen oder anderen) Eigeninteressen einfärben lässt, auch nicht durch das Bestreben, Erwartungen des Gerichts zu erfüllen. Um eine verfrühte Festlegung zu vermeiden, sollte der Verteidiger in Vorgesprächen die allgemeine Einstellung von Staatsanwaltschaft und Gericht zu erkunden versuchen, ohne in dieser Phase bereits in konkrete Verhandlungen über eine für den Beschuldigten etwa akzeptable Sanktionsentscheidung einzutreten. Erst wenn er die Situation mit dem Mandanten erörtert und mit diesem gemeinsam die „Marschroute“ für Verhandlungen festgelegt hat, kann der Verteidiger mit einem klaren Ziel vor Augen in die konkreten Absprachenverhandlungen gehen. Natürlich muss er auch dann im Fall einer „Einigung“ immer noch ausdrücklich den Vorbehalt einer Zustimmung seines Mandanten zu den Bedingungen des Deals machen; und selbst wenn der Mandant nunmehr von der vorher besprochenen Linie abweichen und die vom Verteidiger bona fide ausgehandelte Absprache nicht (mehr) akzeptieren möchte, muss die Entscheidung des Mandanten den Ausschlag geben, und der Verteidiger muss sie gegenüber Gericht und Staatsanwaltschaft vertreten. Der Verteidiger hat bei Absprachenverhandlungen, anders als in der Hauptverhandlung, keine eigenen Rechte als Beistand (oder als „Organ der Rechtspflege“) wahrzunehmen, sondern ist allein Interessenvertreter des Beschuldigten und dessen Weisungen unterworfen. Dies liegt daran, dass Absprachenverhandlungen keine Prozesshandlungen nach den Regeln der StPO sind, sondern lediglich die Prozesshandlungen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts vorbereiten sollen; insofern hat der ___________ 131

Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Beschuldigte selbst für unschuldig – jedenfalls hinsichtlich des konkreten Anklagevorwurfs – hält. Selbstverständlich darf der Verteidiger nicht darauf hinwirken, dass der Mandant vor Gericht ein inhaltlich falsches Geständnis abgibt. Er kann dem Mandanten aber erklären, dass es angesichts einer sehr ungünstigen Beweislage ausnahmsweise klüger sein kann, einen Schuldspruch und eine milde Sanktionsentscheidung zu akzeptieren als um einen (Teil-)Freispruch zu kämpfen. Gerade in einem solchen Konfliktfall muss aber der Mandant selbst die Entscheidung treffen, und der Anwalt sollte ihn nicht in die eine oder andere Richtung drängen.

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Verteidiger keine eigenständige Rolle, sondern wirkt nur als Sprecher seines Mandanten. Ist eine Einigung über das Verfahrensergebnis zustande gekommen, so obliegt es dem Verteidiger, dem Beschuldigten alle Einzelheiten der Absprache und ihre Konsequenzen zu erklären; empfehlenswert ist es, dass er sie auch schriftlich niederlegt. Stimmt der Beschuldigte nach einer angemessenen Überlegungsfrist der Absprache zu, so hat der Verteidiger sicherzustellen, dass alle Beteiligten die übernommenen Verpflichtungen erfüllen. Stimmt etwa die vom Gericht verkündete Entscheidung nicht mit dem Inhalt der Absprache überein, so hat der Verteidiger das Gericht sofort darauf hinzuweisen und nötigenfalls die Einlegung des statthaften Rechtsmittels anzukündigen. Bei einem Scheitern der Absprachenverhandlungen hat der Verteidiger gemeinsam mit dem Mandanten die Strategie für die Hauptverhandlung zu überlegen. Er wird je nach Lage des Falles prüfen, ob es geboten ist, die an den Verhandlungen beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Hat der Mandant noch kein Geständnis abgelegt, so kann es sinnvoll sein, nach Beginn der Hauptverhandlung erneut Kontakt mit dem Gericht aufzunehmen, um in „Nachverhandlungen“ möglicherweise ein günstiges Verfahrensergebnis für den Angeklagten zu erreichen. Dabei kann eine aktive Verteidigungsführung – etwa auch das Stellen oder Ankündigen von Beweisanträgen – dem Gericht deutlich machen, dass die Beweisaufnahme schwierig und zeitaufwändig wird, und so zu Konzessionen bei der Strafzumessung führen, die vor Beginn der Hauptverhandlung noch nicht erreicht werden konnten. Auch insoweit gilt, dass die Option der Absprache die Aufgabe des Verteidigers während des gesamten Verfahrens komplizierter – aber auch interessanter und wirkungsvoller macht.

G. Schlussbemerkung „Das Strafverfahren“ gibt es in Deutschland nicht mehr. Die Unterscheidung zwischen „streitigen“ und „konsensualen“ Verfahrensabläufen mit je unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben hat die Praxis im Laufe der letzten Jahre so stark durchdrungen, dass sie nicht mehr beseitigt werden kann. Natürlich gibt es fließende Übergänge zwischen den beiden Verfahrenstypen, und gerade diese Übergänge werfen erhebliche rechtliche Probleme auf. Der Ruf nach einer gesetzlichen Regelung der gesamten Materie ist deshalb verständlich und berechtigt, und eine solche Regelung sollte sich keinesfalls auf eine bloße generelle Genehmigung von Absprachen und die damit verbundene Ausstellung eines Freibriefs an die Praxis beschränken. Gerade der Gesetzgeber ist dazu berufen,

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die „harten“ Fragen der Absprachenpraxis (z.B. die Berechtigung von Strafrabatten und die Vermeidung von Druck auf den Angeklagten zum Akzeptieren einer „konsensualen“ Lösung) zu regeln – ohne Zeitdruck, unter Berücksichtigung ausländischer Erfahrungen und mit dem Blick auf die Gesamtstruktur des Strafverfahrens.132 Die Rolle des Verteidigers wird in jedem Absprachensystem ein wunder Punkt bleiben. Denn einerseits steht und fällt die Fairness eines solchen Systems mit der eindeutigen Positionierung des Verteidigers auf der Seite seines Mandanten – und andererseits besteht unvermeidlich für den Verteidiger die große Versuchung, dem eigenen Interesse an einer raschen Verfahrensbeendigung und an der Aufrechterhaltung harmonischer Arbeitsbeziehungen mit Gericht und Staatsanwaltschaft den Vorzug vor unbequemen, langwierigen Auseinandersetzungen zu geben. Einerseits ist zu wünschen, dass der Gesetzgeber die mit einer „einvernehmlichen“ Verfahrenserledigung verbundenen Fragen möglichst konkret regelt – und andererseits hat es gerade der Verteidiger faktisch in der Hand, im Zusammenspiel mit den übrigen juristischen Verfahrensbeteiligten jede noch so gut gemeinte Regelung durch informelle Absprachen leer laufen zu lassen.133 Wie es gemacht werden sollte, lässt sich leicht formulieren – den Weg der „guten“, berufsethisch korrekten Verteidigung auch in der rauen Wirklichkeit verlässlich zu gehen, erfordert gerade vom Strafverteidiger Unabhängigkeit, Professionalität und Charakter.

___________ 132

Für eine gesetzliche Regelung bereits 1994 Wolter in SK StPO vor § 151 Rn. 79. Böttcher FS Meyer-Goßner S. 49, 59, sowie Hamm (Fn. 60) S. 78 möchten die Regelung der Absprachen in eine Gesamtreform des deutschen Strafverfahrensrechts durch eine „Große Strafprozeßrechtskommission“ einbetten. Dem kann man gewiss zustimmen – allzu bald wird eine solche Kommission freilich nicht zusammentreten. 133 Siehe hierzu sehr skeptisch Hamm (Fn. 60) S. 71 f.

Berufsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen bei nicht ordnungsgemäßer Verteidigung

Barbara Grunewald

A. Berufsrechtliche Sanktionen I. Berufsrechtliche Pflichten

1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts1 aus dem Jahre 1987 haben eine völlige Veränderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte mit sich gebracht. Bis zu diesen Entscheidungen war es allgemeine – auch vom Bundesverfassungsgericht geteilte – Meinung, dass für das Eingreifen standesrechtlicher Maßnahmen eine genaue Normierung der einzelnen Berufspflichten nicht erforderlich sei. Da eine abschließende Aufzählung dieser Pflichten nicht möglich sei, reiche die Generalklausel des § 43 BRAO („Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen“) aus, zumal diese einzelnen Pflichten den Berufsangehörigen sowieso bekannt seien. Anhaltspunkte für die Ermittlung konkreter Berufspflichten ergaben sich aus den von der Bundesrechtsanwaltskammer veröffentlichten Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts. In den erwähnten Entscheidungen wurde diese Vorgehensweise als verfassungswidrig eingestuft. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG wurde entschieden, dass die Standesrichtlinien weder als normative Regelung der anwaltlichen Berufspflichten noch als

___________ 1

BVerfG NJW 1988, 191; NJW 1988, 194.

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Hilfsmittel zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO in Betracht kommen. Dieses Ergebnis folgt letztlich aus dem Gesetzesvorbehalt, nach dem die Freiheit der Berufsausübung nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann. Satzungen erfüllen im Grundsatz diesen Gesetzesvorbehalt. Dies gilt auch für die BORA, die von der Satzungsversammlung auf Grund der in § 59b BRAO enthaltenen Ermächtigungsgrundlage beschlossen wurde. Allerdings ist insoweit zu beachten, dass nach der sogenannten Wesentlichkeitslehre Regelungen, die den Betroffenen besonders stark belasten, vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen.2 Eine Delegation an den Satzungsgeber ist insoweit also nicht möglich.

2. Pflichten aus § 43 BRAO a) § 43 BRAO als pflichtenkonstituierende Norm Nach § 43 S. 1 BRAO hat der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Vor dem geschilderten verfassungsrechtlichen Hintergrund wird deutlich, dass der Generalklausel von § 43 BRAO keine berufsrechtlichen Pflichten entnommen werden können, die durch anwaltsgerichtliche Maßnahmen sanktionierbar wären. Denn wenn dies anders wäre, würde den geschilderten verfassungsrechtlichen Vorgaben erneut nicht Rechnung getragen.3 Der Anwaltschaft wäre es dann wieder nicht möglich, die sie betreffenden anwaltlichen Berufspflichten aus dem Gesetz zu entnehmen. Dies gilt auch dann, wenn man Pflichten aus § 43 BRAO nur dann entwickeln will, wenn die Satzungsversammlung die in Rede stehenden Verhaltensweisen nicht behandelt bzw. übersehen hat.4 Denn wie sollte ein Rechtsanwalt aus dem Gesetz entnehmen können, womit sich die Satzungsversammlung in den letzten Jahren befasst bzw. was sie übersehen hat? ___________ 2

BVerfGE 33, 125, 169; Kilian Grundlagen, 2004, S. 4; Schlosser NJW 2002, 1376, 1380. 3 Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 8, 17 f; Grunewald/Piepenstock MDR 2000, 869, 871; Feuerich/Weyland BRAO, 2003, § 43 Rn. 3; § 113 Rn. 10; Hartung BORA, 2006, § 43 Rn. 12; Römermann/Hartung Berufsrecht, 2002, § 15 Rn. 17; Prütting AnwBl. 1999, 361, 363; a. A. Henssler/Prütting/Dittmann BRAO, 2004, § 113 Rn. 11; Kleine-Cosack, BRAO, 2003, § 43 Rn. 10; Knöfel AnwBl. 2006, 77, 84; Schlosser NJW 2002, 1376, 1380. 4 So AnwG Freiburg BRAK-Mitt. 2005, 27, 29.

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Anwaltsgerichtliche Maßnahmen bringen eine Missbilligung des Verhaltens des Rechtsanwalts zum Ausdruck. Die darin liegende persönliche und berufliche Beeinträchtigung muss ein Rechtsanwalt nur hinnehmen, wenn in einer Norm zumindest relativ präzise festgelegt ist, welche Verhaltensweisen nicht gebilligt werden.

b) § 43 BRAO als Überleistungsnorm Wie geklärt können aus § 43 BRAO keine sanktionierbaren beruflichen Pflichten entwickelt werden. Man geht aber allgemein davon aus, dass bestimmte Berufspflichten, die in anderen gesetzlichen Regelungen niedergelegt sind (z. B. in §§ 203, 258, 352, 356 StGB, § 27 Abs. 4 StVollzG, Nr. 36 Abs. 5 VollzO), als Konkretisierung von § 43 BRAO verstanden werden können.5 Bisweilen werden allerdings auch Normen zur Ausfüllung von § 43 BRAO herangezogen, denen ein an den Rechtsanwalt gerichtetes Verhaltensgebot nicht mehr entnommen werden kann.6 Wenn etwa § 147 StPO oder § 148 StPO – also Bestimmungen, die Privilegien des Verteidigers festlegen – entnommen wird, dass jeder Missbrauch des Privilegs verboten ist und nach § 43 BRAO anwaltsgerichtlich sanktioniert werden kann,7 so läuft dies der Intention des Gesetzgebers, dem es ja um die Konkretisierung der anwaltlichen Pflichten ging, zuwider. Gleiches gilt für das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Denn wenn man aus Rechten ohne jeden Anhaltspunkt im Gesetz Pflichten entnimmt, wird diesem Grundsatz nicht mehr Rechnung getragen. Welche anwaltlichen Pflichten im Bereich des Rechts auf Akteneinsicht berufsrechtlich sanktionierbar sind, ist also gewissermaßen in § 19 BORA abschließend geregelt.8 Im Bereich der Vernachlässigung der aus dem Anwaltsvertrag folgenden Pflichten (etwa kein Aufsuchen des Mandanten in Untersuchungshaft, kein Verlangen von Akteneinsicht) stellt sich ein vergleichbares Problem. Nach h. M. führen solche Verstöße in der Regel nicht zur Verletzung von § 43 BRAO, da anderenfalls die Tätigkeit des Rechtsanwalts einer berufsrechtlichen Überprü___________ 5 Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 6 ff.; Feuerich/Weyland BRAO, 2003, § 43 Rn. 6 ff.; Kleine-Cosack, BRAO, 2003, § 43 Rn. 13; PrüttingAnwBl. 1999, 361, 362 f.; Römermann/Hartung Berufsrecht, 2002, § 15 Rn. 8. 6 Grunewald/Piepenstock MDR 2000, 869, 871. 7 BayEGH BRAK-Mitt. 1992, 224 f.; Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 12; zu § 147 StPO; Feuerich/Weyland BRAO, 2003, § 43 Rn. 7; Römermann/ Hartung Berufsrecht, 2002, § 15 Rn. 11. 8 Siehe den Hinweis von Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 12.

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fung unterzogen würde, was dem Recht auf freie und selbstverantwortliche Berufsausübung widersprechen soll.9 Diese Argumentation leuchtet nicht ein, da die Schlechterfüllung des Mandatsvertrages nicht Teil der Berufsausübungsfreiheit ist. Daher stößt sich auch niemand an den Schadensersatzansprüchen, die selbstverständlich gegen Rechtsanwälte auch gerichtlich durchgesetzt werden, wenn diese ihren Pflichten aus dem Mandatsvertrag nicht nachkommen, und dies, obwohl oftmals solche Schadensersatzansprüche die Anwaltschaft stärker belasten als berufsrechtliche Sanktionen (etwa in Form einer Rüge oder eines Verweises). Hält man demgegenüber berufsrechtliche Maßnahmen bei Vernachlässigung von Pflichten aus dem Anwaltsvertrag wegen eines darin liegenden Eingriffs in den Schutzbereich aus Art. 12 GG mit der geschilderten Argumentation für unzulässig, so ist auch die vielfach gemachte Ausnahme für häufige oder grob fahrlässig begangene Pflichtverletzungen10 bzw. für Pflichtverletzungen, die nur die äußere Seite der anwaltlichen Tätigkeit betreffen (Bummelei, Kündigung zur Unzeit),11 nicht schlüssig begründbar. Denn von der Berufsausübungsfreiheit, die den berufsrechtlichen Sanktionen entgegen stehen soll, darf natürlich auch wiederholt Gebrauch gemacht werden. Zudem ist eine Unterscheidung zwischen der äußeren und inneren Seite der anwaltlichen Tätigkeit weder praktikabel12 noch gerade mit Blick auf Art. 12 GG wertungsmäßig nachvollziehbar. Dass Pflichtverstöße im Bereich des Anwaltsvertrages berufsrechtlich weitgehend nicht sanktionierbar sind, hat einen anderen Grund. Diese Pflichten sind nicht ausformuliert und daher nicht in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise konkretisiert. Hier zeigt sich wieder, dass es verfassungsrechtlich geboten ist, das, was berufsrechtlich und damit strafrechtsähnlich geahndet werden soll, auch konkret zu benennen. Solange das nicht geschehen ist, können Verletzungen von Pflichten aus dem Mandatsvertrag so nicht geahndet werden. Dies gilt auch, wenn dieselbe Pflicht mehrfach verletzt wird und auch, wenn dies grob fahrlässig geschieht. Ein schlichtes Nichtstun des Rechtsanwalts ist allerdings auf Grund von § 11 BORA meist anders zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung ist der Man___________ 9 Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 15; Hartung BORA, 2006, § 43 Rn. 18; Römermann/Hartung Berufsrecht, 2002, § 15 Rn. 13. 10 Etwa Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 16. 11 Hartung BORA, 2006, § 43 Rn. 19; Kleine-Cosack BRAO, 2003, § 43 Rn. 16; Römermann/Hartung Berufsrecht, 2002, § 15 Rn. 14. 12 So kann etwa nur gesagt werden, der Anwalt bleibe pflichtwidrig nachhaltig untätig, wenn geklärt ist, ob er tätig werden muss; siehe auch den Hinweis von Henssler/ Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 Rn. 16.

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dant über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten. Ihm ist insbesondere von allen wesentlichen erhaltenen oder versandten Schriftstücken Kenntnis zu geben. Anfragen des Mandanten sind unverzüglich zu beantworten. Ein reines Untätigbleiben ist mit dieser Regelung wohl nahezu nie zu vereinbaren. Sollte dies einmal anders sein, bleibt das Verhalten berufsrechtlich ungeahndet.

3. Pflichten aus §§ 43a, 43b BRAO sowie aus der BORA Konkrete Berufspflichten sind in §§ 43a, 43b BRAO aufgeführt. Diese können auch für Strafverteidiger relevant werden. Besonders problematisch ist insoweit § 43a Abs. 3 BRAO. Nach dieser Bestimmung darf ein Rechtsanwalt nicht bewusst Unwahrheiten verbreiten. Die Gratwanderung, die der Rechtsanwalt gerade im Bereich der Verteidigung insoweit zu vollbringen hat, ist schon mehrfach geschildert worden.13 Ebenfalls einzuhalten sind die in der BORA niedergelegten Verpflichtungen. Von den gerade für Strafverteidiger wichtigen Pflichten ist im Zusammenhang mit dem Akteneinsichtsrecht (§ 19 BORA) schon die Rede gewesen.

II. Folgen von Verstößen gegen berufsrechtliche Pflichten

Nach § 74 BRAO kann der Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer eine Rüge aussprechen, wenn ein Rechtsanwalt eine der ihm obliegenden Berufspflichten verletzt hat und seine Schuld gering ist. In schwereren Fällen besteht die Möglichkeit, anwaltsgerichtliche Maßnahmen (Warnung, Verweis, Geldbuße bis zu € 25.000, Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten als Vertreter für die Dauer von 1 bis 5 Jahren tätig zu werden, Ausschließung aus der Anwaltschaft) zu verhängen. Das Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft eingeleitet (§ 121 BRAO). Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann die Einleitung eines solchen Verfahrens beantragen (siehe § 122 BRAO).

___________ 13

Dahs Handbuch, 2005, S. 43; Henssler/Prütting/Eylmann BRAO, 2004, § 43 a Rn. 118; Kilian Grundlagen, 2004, S. 98, Weihrauch FS Dahs, 2005, S. 19, 26 ff., alle mit weiteren Nachweisen.

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B. Zivilrechtliche Folgen I. Das Rechtsverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant als Schuldverhältnis

Wenn der Beschuldigte von sich aus einen Verteidiger beauftragt, kommt zwischen den Beteiligten ein Dienstvertrag14, der eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat (§§ 675, 611 BGB), zu Stande. Dies ist im Grunde unproblematisch.15 Zwar kann der Mandant den Verteidiger nicht zu Handlungen anweisen, die diesem – etwa auf Grund der Berufspflichten – nicht gestattet sind.16 Aber das gilt für jede Weisung eines Mandanten an seinen Rechtsanwalt und hat zwar die Unbeachtlichkeit der Weisung, nicht aber die Umqualifizierung eines Vertragsverhältnisses in ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zur Folge. Für die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Erledigung zivilrechtlicher Fragestellungen ist dies auch völlig unbestritten, obgleich auch in diesem Mandatsverhältnis rechtswidrige Weisungen (etwa Vortäuschen, dass ein Eltern-KindVerhältnis zur Durchführung einer Adoption begründet werden soll, während es in Wahrheit lediglich um die Möglichkeit geht, in Deutschland zu bleiben) selbstverständlich nicht zu befolgen sind. Für Pflichtverteidiger gilt im Grunde nichts anderes. Sie haften im gleichen Rahmen wie Wahlverteidiger. Zwar kommt das Schuldverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Mandant nicht durch Vertragsschluss zustande, sondern durch hoheitlichen Akt. Aber dieses hoheitlich begründete Rechtsverhältnis hat zum Inhalt, dass den Verteidiger genau dieselben Pflichten treffen sollen wie einen Wahlverteidiger.17

II. Pflichten des Verteidigers

Jede Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB setzt eine Pflichtverletzung voraus. Eine abschließende Aufzählung der den Verteidiger treffenden Pflichten ist

___________ 14 In Einzelfällen kann ein Werkvertrag vorliegen: Barton in: Anwaltshandbuch, 2006, S. 3; Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 30. 15 Krause NZSt 2000, 225; Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 30. 16 Vgl. dazu B.II. 17 OLG Düsseldorf StV 2000, 430 mit zust. Anm. Jahn; Barton in: Anwaltshandbuch, 2006, S. 3; Krause NZSt 2000, 225; Köllner ZAP Fach 23, 303, 308; Vollkommer/Heinemann Anwaltshaftungsrecht, 2003, Rn. 61; zur Parallele der Behandlung des Rechtsverhältnisses zwischen Kassenpatient und Arzt Köllner ZAP Fach 23, 303, 309.

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selbstverständlich nicht möglich.18 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert insbesondere die Frage, ob der Rechtsanwalt Weisungen des Mandanten zu befolgen hat. Dies ist gem. § 665 BGB im Grundsatz zu bejahen.19 Eine Ausnahme gilt für rechtswidrige Weisungen20, etwa die an den Rechtsanwalt gerichtete Anordnung, bewusst die Unwahrheit zu sagen (§ 43a Abs. 3 S. 2 BRAO). Es spielt dabei keine Rolle, aus welchem Grund die Weisung rechtswidrig ist (etwa weil sie gegen Berufspflichten verstößt oder weil sie den Anwalt zur Unterstützung eines betrügerischen Vorgehens veranlassen will, wobei dann meist bewusst die Unwahrheit vorgetragen und somit zumindest auch gegen § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO verstoßen wird). Will der Rechtsanwalt rechtmäßige Weisungen nicht einhalten (etwa weil er eine andere Verteidigungsstrategie für günstiger hält), muss er dies mit seinem Mandanten besprechen. Bleibt dieser bei seiner Entscheidung, so ist diese maßgeblich. Wenn der Rechtsanwalt sich dem nicht beugen will, bleibt nur die Niederlegung des Mandats, die aber nicht zur Unzeit erfolgen darf (§ 627 Abs. 2 BGB). Dies entspricht dem auch für das Arzt/Patientenverhältnis maßgeblichen Grundsatz, dass der Mandant als der eigentlich Betroffene und nicht sein Berater letztlich entscheidet, was geschehen soll. Der Anwalt hat also nicht die Möglichkeit, bei Aufrechterhaltung des Mandats rechtmäßige Weisungen nicht zu befolgen. Beachtet er Weisungen, die er für unsinnig hält21, gleichwohl nicht, so handelt er gewissermaßen auf eigenes Risiko. Wäre die Befolgung der Weisung für den Mandanten gewinnbringend gewesen, ist der Hinweis des Rechtsanwalts darauf, dass sie unsinnig gewesen sei oder er sie jedenfalls für unsinnig hätte halten dürfen, also nicht relevant. ___________ 18

Überblick bei Barton in: Anwaltshandbuch, 2006, S. 4; Krause NZSt 2000, 225, 226 f. 19 Kretschmer Parteiverrat, 2005, S. 104 ff.; die von Barton in: Anwaltshandbuch, 2006, S. 12 und Fahrendorf in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Haftung, 2005, Rn. 581 postulierte Ausnahme für völlig unsinnige Weisungen besteht nicht. Was unsinnig ist, bestimmt eben der Beschuldigte. Sollte die Weisung tatsächlich unsinnig gewesen sein, entfällt die Haftung schon deshalb, weil es dann regelmäßig an einem Schaden fehlt. Entgegen Krause NStZ 2000, 225, 229 ergeben sich insoweit keine Unterschiede zum zivilrechtlichen Mandat; a. A. OLG Düsseldorf StV 2000, 431 und Dahs Handbuch, 2005, S. 25: Verteidiger sei nur eingeschränkt gebunden; auch Müller FS Dahs, 2005, S. 3, 11. 20 Barton in: Anwaltshandbuch, 2006, S. 4; Borgmann/Jungk/Grams Anwaltshaftung, 2005, Kap. IV, Rn. 148. 21 Die von Borgmann/Jungk/Grams Anwaltshaftung, 2005, Kap. IV, Rn. 143 postulierte Ausnahme für aussichtlose Weisungen besteht aus den gleichen Gründen nicht.

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Auf der anderen Seite entlastet eine Weisung des Mandanten, die dem Verteidiger nach entsprechender Beratung gegeben wurde, diesen im Rahmen eines späteren Haftpflichtprozesses. Wenn also der Verteidiger auf Weisung des Mandanten nicht vorgetragen hat, dass die Tat verjährt ist, kann der Mandant im Schadensersatzprozess den Rechtsanwalt nicht gerade wegen dieses Verhaltens auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Eine weitere, insbesondere den Strafverteidiger betreffende Problematik liegt darin, dass der Verteidiger die Interessen genau dieses Mandanten zu wahren hat und daher auch dann pflichtwidrig handelt, wenn er im Interesse späterer weiterer Mandanten bestimmte Tätigkeiten durchführt oder unterlässt. Hierzu würde etwa ein Nachgeben gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht bei der Aushandlung von Deals zählen, sofern Motiv dafür ist, generell eine gewisse Verlässlichkeit und Zugänglichkeit im Rahmen solcher Vereinbarungen zu signalisieren. Auch wenn eine solche Vertrauensbasis zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Anwalt im Interesse weiterer Mandanten liegen mag, ändert dies doch nichts daran, dass der Strafverteidiger in erster Linie seinem momentanen Mandanten gegenüber verpflichtet ist.

III. Verschulden

Die Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB setzt des Weiteren Verschulden voraus. Da gemäß § 276 Abs. 1 BGB Fahrlässigkeit genügt, wird es daran kaum je fehlen.

IV. Schaden

1. Materieller und immaterieller Schaden Rechtsfolge von § 280 Abs. 1 BGB ist ein Anspruch auf Schadensersatz. Der Mandant ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Rechtsanwalt ordnungsgemäß gehandelt hätte (§ 249 Abs. 1 BGB). Zu ersetzen sind Vermögensund Nichtvermögensschäden. Bei Nichtvermögensschäden ist allerdings nur dann eine billige Entschädigung in Geld zu leisten, wenn es um eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit (Haft)22 oder der sexuellen Selbstbestimmung geht ___________ 22 Berechnung für 76 Tage Haft bei KG NJW 2005, 1284, 1285: € 7.000,-- bei erheblichem Mitverschulden des Klägers.

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(§ 253 Abs. 2 BGB).23 Wird also beispielsweise ein aussichtsloses Rechtsmittel eingelegt, so liegt der Vermögensschaden in den Kosten, die diese Vorgehensweise verursacht. Kommt es zur Verurteilung, obgleich ein Freispruch möglich gewesen wäre, so liegt der Vermögensschaden bei einer Geldstrafe in dieser Summe. Bei einer Haftstrafe tritt neben eventuelle Vermögenseinbußen ein immaterieller Schaden, der wie geschildert durch eine billige Entschädigung in Geld zu ersetzen ist. Manche Strafen führen zu immateriellen Schäden, ohne dass eines der Rechtsgüter von § 253 Abs. 2 BGB betroffen wäre (Verwarnung, Bewährungsstrafe24). Hier kommt eine Entschädigung in Geld nur unter dem Aspekt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Frage.25 Dies gilt auch für Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO sowie für Fahrverbote. Auch diese Sanktionen können aber, wie andere Strafe auch, zu materiellen Folgeschäden bei dem Mandanten führen (Taxikosten bei Fahrverbot).

2. Strafe als Schaden Diesem Ergebnis, dass Strafe einen materiellen bzw. immateriellen Schaden verursacht und somit ersatzfähig sein kann, lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine Abwälzung von Strafen in das strafrechtliche Sanktionensystem nicht hineinpasse.26 Es geht hier um eine Strafe, die bei ordnungsgemäßem Verteidigerverhalten nicht verhängt worden wäre. Sie kann daher völlig zu Recht im Wege des Schadensersatzes dem Rechtsanwalt angelastet werden. Denn auf sein Fehlverhalten ist die Belastung des Mandanten zurückzuführen. Auch ist mittlerweile geklärt, dass Geldstrafen generell von Dritten beglichen werden können und daher unter Umständen eine Person betroffen ist, an die sich die Strafe im Prinzip nicht richtet.27 Jede andere Sicht der Dinge würde auch schon daran scheitern, dass man das Begleichen einer Geldstrafe durch Dritte nicht verhindern kann. ___________ 23

Zur Problematik der Versicherbarkeit Chab AnwBl. 2005, 497, 498. Anders, wenn die Bewährung widerrufen und die Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Doch greift dann § 254 BGB ein. 25 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Bamberger/Roth/Spindler BGB, Anh. § 823; Wagner in: MüKo BGB § 823 Rn. 171 ff. 26 So aber Schäfer FS Egon Müller, 2000, S. 62, 63, 74; wie hier BGH NJW 1964, 2402 (Verjährung übersehen); Fahrendorf in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille Haftung, 2005, Rn. 1640; Jahn StV 2000, 431, 432; Krause NStZ 2000, 225, 229; Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 88 f. 27 Siehe BGHZ 41, 223. 24

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a) Die gerechte Strafe als Schaden Die Problematik spitzt sich zu, wenn eine „gerechte Strafe“ auf einen Rechtsanwalt abgewälzt werden soll. Wenn beispielsweise, wie in einem Fall des OLG Düsseldorf, ein Rechtsanwalt Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegt und dann auf Grund bislang fehlerhaft erfolgter Berechnung der Höhe der Tagessätze in dem erneuten Verfahren eine höhere Geldstrafe verhängt wird, hat der Beschuldigte einen Anspruch auf Ersatz der „Zuzahlung“, und dies auch dann, wenn der nunmehr verhängte Tagessatz richtig berechnet ist.28 Dieses Ergebnis führt schon deshalb nicht zu Ungerechtigkeiten, weil niemand verpflichtet ist, ein Rechtsmittel mit dem Ziel einzulegen, „gerecht“ im Sinne von höher bestraft zu werden. Daher muss ein Rechtsanwalt, der hierzu (wenn auch unabsichtlich) geraten hat, auch die Folgen seiner Beratung tragen. Die Rechtsordnung nimmt die Möglichkeit hin, dass ein Schuldiger nicht hoch genug oder vielleicht sogar gar nicht bestraft wird. Rechtsanwälte, die dies verhindern, müssen die Kosten selber tragen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Judikatur, wenn es um die Frage geht, ob eine gerichtliche Entscheidung einen Schaden bilden kann, davon ausgeht, dass dies nur dann der Fall ist, wenn das konkrete, den Mandanten belastende Urteil unrichtig ist. Es reicht also für die Feststellung eines Schadens nicht aus, dass das in Rede stehende Gericht bei ordnungsgemäßer Entscheidung anders und für den Mandanten günstiger entschieden hätte. Vielmehr muss hinzukommen, dass diese Entscheidung auch richtig gewesen wäre.29 Diese Judikatur bezieht sich nur auf die Frage, wie ein Gericht bei ordnungsgemäßem Verteidigerverhalten entschieden hätte. In dem geschilderten Fall des OLG Düsseldorf geht es aber darum, dass eine gerichtliche Entscheidung bei ordnungsgemäßem Verteidigerverhalten überhaupt nicht getroffen worden wäre. Der Schadensberechnung soll also nicht etwa ein Fehlurteil zugrunde gelegt werden, sondern es soll davon ausgegangen werden, dass es gar nicht zu einem Urteil gekommen wäre. Das ist auch ohne ein Spekulieren auf gerichtliche Irrtümer möglich.

___________ 28

OLG Düsseldorf StV 1986, 211; OLG Braunschweig BRAK-Mitt. 2001, 213 mit zustimmender Anm. Borgmann; Barton in: Anwaltshandbuch 2006, S. 15; ähnlich auch Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 107 f., falls die günstigere Option der Verfahrensbeendigung für den Beschuldigten gesichert war. 29 Dazu näher unten B.V.

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b) Strafen für Vorsatztaten Eine Ausnahme von der Annahme, dass in einer Strafe ein Schaden liegt, gilt entgegen der Annahme des LG Bonn30 auch nicht für Vorsatztaten. In dem vom LG Bonn zu entscheidenden Fall hatte der beklagte Rechtsanwalt dem Kläger, dem die Fahrerlaubnis entzogen worden war, geraten, eine englische Fahrerlaubnis zu erwerben und diese in Deutschland zu benutzen. Da die Fahrerlaubnis in Deutschland nicht gültig war, wurde der Kläger wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer erheblichen Geldstrafe verurteilt, die er von dem beklagten Rechtsanwalt zurückverlangte. Da der Beklagte – nach dem Vortrag des Klägers – die Tat sogar initiiert hatte, war in diesem Fall die Verlagerung der Geldstrafe auf den Beklagten im Grundsatz sogar besonders unproblematisch. Sollte der Kläger – worauf die Verurteilung wegen vorsätzlichen Handelns hindeutet – gewusst haben, dass die englische Fahrerlaubnis in Deutschland nicht gilt, träfe ihn allerdings ein ganz erhebliches Mitverschulden.

V. Kausalität

Nur der Schaden ist zu ersetzen, der auf die Pflichtverletzung zurückzuführen ist. So simpel diese Grundregel, so schwierig die Anwendung auf die Haftung des Strafverteidigers. Denn die Komplexität des Strafverfahrens hat zur Folge, dass kaum je gesagt werden kann, dass ein Strafurteil bei ordnungsgemäßem Verhalten des Verteidigers anders ausgefallen wäre.31 In den zivilrechtlichen Haftungsprozessen geht die Judikatur davon aus, dass, wenn es um die Frage geht, ob eine gerichtliche Entscheidung einen Schaden bilden kann, nicht zu prüfen ist, zu welchem Urteil das konkret den Fall bearbeitende Gericht gekommen wäre, wenn der Rechtsanwalt ordnungsgemäß gehandelt hätte. Vielmehr ist zu fragen, wie das Gericht richtigerweise hätte entscheiden müssen. Hätte also beispielsweise ein Gericht die Verjährung der Tat (bei entsprechendem Verteidigerhinweis) objektiv angenommen, so fehlt es gleichwohl an einem ersatzfähigen Schaden, wenn dies eine Fehlentscheidung gewesen wäre.32 ___________ 30 31

LG Bonn NJW 1997, 1448; kritisch Jungk AnwBl. 1998, 152, 153. So auch Dahs Handbuch, 2005, Rn. 165; Schäfer FS Egon Müller, 2000, S. 73,

83. 32

Schilderung dieser Judikatur bei Borgmann/Jungk/Grams Anwaltshaftung, 2005, Kap. V Rn. 97; Vollkommer/Heinemann Anwaltshaftungsrecht, 2003, Rn. 546 ff.; Kritik bei Mäsch Chance, 2004, S. 80 ff.

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Die praktische Bedeutung dieser Judikatur ist allerdings gering, da sie nur relevant wird, wenn das konkret in Rede stehende Gericht bei ordnungsgemäßer Verteidigung falsch entschieden hätte. Zudem soll bei der Beurteilung, ob die fiktive Entscheidung unzutreffend gewesen wäre, eine später erfolgte Änderung der Judikatur außer Betracht bleiben.33 Des Weiteren gilt die geschilderte Rechtsprechung auch nicht für Ermessensentscheidungen, zu denen nach h. M. auch die Strafzumessung zählt.34 Nur in diesem eingeschränkten Umfang ist die im zivilrechtlichen Bereich ergangene Judikatur – so der BGH sie denn überhaupt auf die Strafverteidigung übertragen würde35 – für die hier zur Diskussion stehende Fragestellung relevant. Für den Mandanten bleibt es daher schwierig zu beweisen, wie sich ein ordnungsgemäßes Verteidigerverhalten im Prozess ausgewirkt hätte. Dies gilt aus den genannten Gründen insbesondere für die Frage, wie sich eine pflichtgemäße Verteidigung auf die Strafzumessung ausgewirkt hätte. Denn gerade in diesem Bereich ist ja – wie dargestellt – die Judikatur, die von einem fiktiven richtigen Urteil ausgeht und die daher den Kausalitätsnachweis in gewisser Hinsicht erleichtert, nicht anwendbar. In der Literatur ist vorgeschlagen worden, schon die verlorene Chance, dass es zu einem günstigeren Urteil kommt, als Schaden anzusehen.36 Dann erübrigt sich die Frage, ob sich die Chance auch verwirklicht hätte. Diese Sicht kommt aber nur in Frage, wenn sich die Chance irgendwie bewerten lässt. Da es im Bereich des Strafprozesses aber keine Statistiken gibt, aus denen sich ergeben könnte, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein ordnungsgemäßes Verteidigerverhalten zu einer geringeren Strafe führt, kann diese Methode im vorliegenden Zusammenhang nicht angewandt werden.37 Daher stellt sich die Frage, ob Beweiserleichterungen, die die Judikatur im Bereich anderer beruflicher Fehlverhalten entwickelt hat, auch auf die Verletzung von Pflichten aus dem Anwaltsvertrag übertragbar sind. Solche Beweis-

___________ 33

BGH NJW 2001, 146, 148; bestätigt in BGH NJW 2003, 2022, 2025. Schilderung bei Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 114; siehe auch OLG Nürnberg StV 1997, 481, 483; unklar OLG Düsseldorf StV 2000, 430, 431; a. A. wohl Fahrendorf in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Haftung, 2005, Rn. 1640 ff., der aber nicht gesondert auf die Strafzumessung eingeht. 35 OLG Düsseldorf BRAK-Mitt. 1988, 63. 36 Mäsch Chance, 2004, S. 320 ff.; siehe auch Mäsch ZeuP 2006, 656, 662 ff. 37 Mäsch Chance, 2004, S. 419 ff schlägt in erster Linie die Bewertung nach dem Wert eines Vergleichs vor. Dieser ist im Strafverfahren aber nicht möglich. 34

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erleichterungen betreffen in erster Linie die Arzthaftung38 und beruhen auf der Überlegung, dass „angesichts der Multikausalität physiologischer Abläufe, der strukturellen, informationellen und kognitiven Schlechterstellung des Patienten, der Abhängigkeitssituation des Kranken und anderem mehr, gewisse beweisrechtliche Erleichterungen unumgänglich sind, damit der verfassungsrechtlich gebotene Grundsatz eines fairen Verfahrens und eines effektiven Rechtsschutzes im Arzthaftungsprozess gewährleistet ist“39. Diese Beweiserleichterungen betreffen sowohl die Pflichtverletzung wie auch Kausalitäts- und Verschuldensfragen. Für den Rückgriff des Mandanten gegen seinen Verteidiger können nur Beweiserleichterungen im Rahmen der Kausalitätsproblematik in Frage kommen, da Pflichtverletzung und Verschulden des Anwalts schon deshalb von dem Mandanten dargelegt und bewiesen werden können, weil insoweit jedenfalls in Bezug auf das Tatgeschehen und damit in gewisser Weise auch in Bezug auf die beste Form der Verteidigung kein Wissensgefälle zwischen Mandant und Verteidiger besteht. In der Praxis der Arzthaftungsprozesse ist von besonderer Bedeutung die Regel, dass bei einem vom Patienten bewiesenen, schuldhaften groben Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der eingetretenen Art herbeizuführen, in Bezug auf die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr erfolgen.40 Diese Regel könnte auch auf das Verhältnis zwischen einem Strafverteidiger und seinem Mandanten übertragen werden.41 Denn genau wie dem Patienten so ist es auch dem Mandanten eines Strafverteidigers geradezu unmöglich, nachzuweisen, dass ein bestimmtes Urteil anders ergangen wäre, wenn er ordnungsgemäß verteidigt worden wäre. Dabei ist insbesondere nochmals darauf hinzuweisen, dass der Mandant nicht etwa so gestellt werden soll, als wäre unrichtig entschieden worden. Dass dies nicht in Frage kommt, folgt aus der bereits geschilderten Judikatur, nach der im Regressprozess ein rechtmäßiges Urteil zu Grunde gelegt wird. Es geht also nur darum, dem Mandanten die Beweislast dafür abzunehmen, dass innerhalb eines vertretbaren Rahmens zu seinen Gunsten ___________ 38 Ähnlich aber auch im Schwimmmeisterfall BGH NJW 1962, 959, 960, wo die Regel zu Lasten eines Schwimmmeisters angewandt wurde. 39 Ausführlich Katzenmeier Arzthaftung, 2002, S. 421 f. 40 Ausführlich Katzenmeier Arzthaftung, 2002, S. 439 ff. 41 Barton StV 1998, 606, 607; Giesen JZ 1988, 660; Teske JZ 1995, 472, 474; Zwiehoff StV 1999, 555, 561; offen gelassen von LG Berlin StV 1991, 310, 312; sympathisierend Köllner ZAP Fach 23, 303, 310; a. A. Borgmann/Jungk/Grams Anwaltshaftung, 2005, Kap. IX, Rn. 24; Fahrendorf in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Haftung, 2005, Rn. 726.

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entschieden worden wäre (also etwa dass bei einem Hinweis des Verteidigers darauf, dass eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren unabdingbar den Verlust des Beamtenstatus herbeiführt, das Gericht eine Strafe von weniger als 2 Jahren verhängt hätte). Dieser Nachweis ist für den Beschuldigten genau so schwer – wenn nicht sogar noch schwerer – zu führen wie für einen Patienten der Nachweis, dass es ihm besser ginge, wenn ein grober Behandlungsfehler nicht erfolgt wäre. Dass der BGH für ein zivilrechtliches Mandat anders entschieden hat,42 steht auf Grund der geschilderten Besonderheiten des Strafverfahrens dem nicht entgegen.43 Dem Anwalt steht die Möglichkeit offen, seinerseits nachzuweisen, dass in dem konkreten Fall sein Fehlverhalten für die Bestrafung nicht kausal war.44 Wenn demgegenüber die Ansicht vertreten wird, dass bei allen Fällen, in denen es um die Haftung eines Strafverteidigers geht, von einer Beweislastumkehr auszugehen sei,45 so ist dem nicht zu folgen. Zwar ist die Beweisnot des Mandanten unabhängig von der Schwere des Fehlers des Verteidigers stets die gleiche. Aber ein Abweichen von der Grundregel, dass jeder die ihm günstigen Tatbestandsmerkmale einer Norm zu beweisen hat, lässt sich nur rechtfertigen, wenn diese Belastung dem Rechtsanwalt wegen seiner gravierenden Pflichtverletzung zumutbar ist.

C. Perspektiven de lege ferenda Die hier geschilderte Rechtslage ist nicht unverrückbar vorgegeben. Es besteht die Möglichkeit, in der BORA berufsrechtliche Pflichten der Verteidiger festzuschreiben und so die Anzahl der mit berufsrechtlichen Maßnahmen sanktionierbaren Pflichtverletzungen zu vergrößern. M. E. sollte man diesen Weg nicht gehen. Gerade die komplexe Struktur eines Strafverfahrens eignet sich nicht für die Festlegung von ganz konkreten Pflichten, die stets und immer zu befolgen wären. Hier liegt es nahe, dem Strafverteidiger einen gewissen Freiraum zuzubilligen. Zugleich besteht auf Grund der geschilderten zivilrechtlichen Haftung kein Bedürfnis für weitergehende berufsrechtliche Sanktionen. Gerade wenn man, ___________ 42

BGHZ 126, 217, 222 ff. So auch Müller-Gerteis Haftungssituation, 2005, S. 159 f. 44 Dies wäre wohl in dem Fall LG Berlin StV 1991, 310 gelungen: Der Verteidiger hatte § 344 Abs. 2 StPO nicht beachtet. Die Zeugin war entlassen worden, bevor der Mandant wieder in den Sitzungssaal vorgelassen worden war. 45 So wohl OLG Nürnberg StV 1979, 481, 484 f. 43

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wie hier vertreten, bei groben Fehlern des Verteidigers von einer Beweislastumkehr ausgeht, muss in gravierenden Fällen der Strafverteidiger mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Somit ergibt sich auch keine Sanktionslücke und es ist dann auch nicht zu befürchten, dass Strafverteidiger ihre Pflichten nur nachlässig erfüllen.

D. Zusammenfassung 1. Aus § 43 BRAO können keine berufsrechtlich sanktionierbaren Pflichten entwickelt werden. Die Norm kann allerdings als Überleitungsbestimmung dienen, mit Hilfe derer in anderen Gesetzen niedergelegte Pflichten des Verteidigers berufsrechtlich sanktioniert werden. Normen, die Rechte des Verteidigers begründen, können nicht in Pflichten begründende Normen uminterpretiert werden. 2. Das Rechtsverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant ist ein Schuldverhältnis i. S. d. § 241 BGB. Der (Pflicht-)Verteidiger ist an rechtmäßige Weisungen des Mandanten gebunden. 3. Ein (Pflicht-)Verteidiger, der den rechtmäßigen Weisungen seines Mandanten nicht folgt oder sonst pflichtwidrig handelt, macht sich schadensersatzpflichtig. Sofern der (Pflicht-)Verteidiger grob fehlerhaft gehandelt hat, greift zugunsten des Mandanten eine Beweiserleichterung bezüglich der Frage ein, ob das Urteil auf dieser Pflichtwidrigkeit beruht.

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Autorenverzeichnis Richard S. Frase, J.D., Richard N. Berger Professor of Criminal Law, lehrt Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der University of Minnesota (Minneapolis, USA). Nicolás González-Cuéllar Serrano, Prof. Dr., ist Inhaber des Lehrstuhls für Prozessrecht an der Universität Toledo (Spanien). Barbara Grunewald, Prof. Dr., ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln sowie Vorstand des Instituts für Anwaltsrecht an dieser Universität. Anabel Harting ist Rechtsreferendarin in Köln. Stefanie Haumer ist Rechtsreferendarin in Köln. Jacqueline Hodgson, LLB, PhD, Prof., lehrt Strafrecht und Strafrechtsvergleichung an der University of Warwick (Großbritannien). Piotr HofmaĔski, Prof. Dr., ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafprozessrecht an der Jagiellonen-Universität (Krakau) sowie Richter am Obersten Gericht Polens. Matthias Kilian, Dr., ist Rechtsanwalt und Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Stefan Kirsch ist Rechtsanwalt in Frankfurt a. M. Claudia Lüdtke ist Rechtsreferendarin in Koblenz. Renzo Orlandi, Prof. Dr., lehrt Strafprozessrecht an der Universität Bologna (Italien). Walter Perron, Prof. Dr., ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Franz Salditt, Prof. Dr., ist Rechtsanwalt und Notar in Neuwied sowie Honorarprofessor für Strafrecht an der FernUniversität Hagen. Peter J.P. Tak, Prof. Dr., lehrt Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Radboud Universität Nijmegen (Niederlande). Susanne Walther, Prof. Dr., ist Vorstand des Instituts für Strafrechtsvergleichung der Universität zu Köln und lehrt dort Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Thomas Weigend, Prof. Dr., ist Vorstand des Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität zu Köln und lehrt dort Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Stanisáaw Zabáocki ist Richter am Obersten Gericht Polens in Warschau.